N tay ET Bi ey PR PEED tuts an pbetas eel eta teases: Ehe able eat tecture math ben dien Wal aateant KT Dee ern En Me ae eda hte divans eer pees, ann x 7 2 Ay rage dheeeo pe Wee Fa oe Kellnern Een A a ioe ind tats an ar Den . Re ahd be Faron deren parison ie : tA Maren! IE bereuen vo a IH 28 it dig blind rm u hea “ ee mar enn intone Be te * N wien vn a ee Hartieasrteds ‘ a ; Dee ran poe et ur te N = - P \ H wet PITY ELITE : n 1 ae nein: " .. ary be rie ae (Ps re ra tt, 5 N ' im er f . 1 ! 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Inhalt des zweiundzwanzigsten Bandes. Erstes Heft. Ausgegeben am 20. November 1394. Seite Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. Eine vergleichend - anatomische Untersuchung. Von E. Göppert. (Mit Taf. I—II u. 9 Fig. im Text). 1 Über die ventralen Urwirbelknospen in der Brustflosse der Teleostier. Von fon Cornus. (MitiTaf, I TV scot. moet. & FI jak RL 79 Zur Entwicklungsgeschichte des Bulbus cordis bei aati und Säugethieren. Yoo A. Langer: (Mit 14 Textfiguren.) + an... gus oa. fee 99 Zur Bildung des Mesoderms bei der Paludina vivipara. Yon R. v. Erlanger. Er EN ee asian yet aebdedatsl ser iaus oye 113 Das Flossenskelet der Crossopterygier und das Archipterygium der Fische. Non C. Gegenbaur..:(Mit 5 Big m Texte) 212.1 aol 2 an 119 Zweites Heft. Ausgegeben am 11. December 184. Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. — Der Gefäßkanal im Adductor magnus. Eine anatomische Untersuchung. Von G. Ruge. Be: Kipuren, tn Post); 1 el ee a re sale, idle Spb 161 Die ventrale Rumpfmuskulatur der anuren Amphibien. Von F. Maurer. PObG EaS VEREDELTER N 225 Besprechung: Vorlesungen über die Zelle und die einfachen Gewebe des thierischen Kiarpers: YVoneRı Os Dieta ips). 1.372 3 HE ee RE NER 263 Drittes Heft. Ausgegeben am 23. April 1895. Über Umformungen an den Ineisiven der zweiten Zahngeneration des Menschen. Von E. Rosenberg. (Mit Taf. VIII—XI und 1 Figur im Text.) fe Bemerkungen über die Entwicklung der Wirbelsäule bei den Amphibien; nebst Schilderung eines abnormen Wirbelsegmentes. Von H.H. Field. (Mit BET ET TSDRETETE In Seats a en ee es Neal 340 AN, Seite Rekonstruktion der Segmentirung der Gliedmaßenmuskulatur, dargelegt an den Muskeln des Oberschenkels und des Schultergirtels. Von L. Bolk. (Mit doug, gm Wext) ... 2... 2000 + + 2 2 357 Morphologisch-biologische Studien über den Bewegungsapparat der asthe poden. I. Theil: Astacus fluviatilis. Von Th. List. (Mit Taf. XIV bis XYIH u. 3 Hig. im Text). . - .ı- .-.= » «+ >22 SE 380 Zur Kenntnis der Amphibienrippen. Vorläufige Mittheilung. Von E. Göppert. (Mit 5 Fig. im Text). ........ 5... + = . 3) Ps 441 Viertes Heft. Ausgegeben am 4. Juni 1895. Über Variationen der Spinalnerven und der Wirbelsäule anurer Amphibien. II. Pelobates fuscus Wagl. und Rana esculenta L. Von H. Adolphi. (Mit Taf. XIX u. 4 Fig.. im Text.).. .... . » 20.2 22 SSsEeEBEEEEEEEE 449 Beiträge zur Morphologie der Tardigraden. I. Zur Embryologie eines Tardi- graden: Macrobiotus macronyx Dujardin. Von R. v. Erlanger. (Mit Taf. XX—XXI u. 2 Fig. im Text.) . . „0. . . 491 Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. III. Zur Phylogenese der Chordascheiden und zur Geschichte der Umwandlungen der Chorda- struktur. . Von H. Klaatsch. (Mit Taf. XXII u. Xoo Über wissenschaftliche Verwerthung der Arbeit im Präparirsaal. Von E. Bosenberfe .'. 2.0. nme m nn 0 ko 561 Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. Eine vergleichend-anatomische Untersuchung. Von Dr. med. Ernst Goppert, Assistent am anatomischen Institut zu Heidelberg. Mit Tafel I—II und 9 Figuren im Text. Einleitung. Durch GEGENBAUR’S Epiglottisarbeit (5!) ist der Kehlkopf wieder zu einem Gegenstand vergleichend-anatomiscben Interesses geworden, nachdem er seit den bekannten HENLE’schen Untersuchungen (6) nicht wieder von allgemeineren morphologischen Gesichtspunkten aus bearbeitet worden war. GEGENBAUR behandelt die Phylogenese des Laryngo-trachealskelets unter der weitgehendsten Berücksichtigung der gesammten Verhilt- nisse der Luftwege. Seine Untersuchungen führten ihn dazu, den Epiglottisknorpel von dem vierten Kiemenbogen, die Cartilagines laterales des primitiven Urodels und damit auch deren Derivate, die Arytänoide, das Cricoid, die Trachealringe von dem fünften Kiemen- bogenpaar abzuleiten. Diese GEGENBAURr'schen Deduktionen haben nicht nur specielles Interesse für die Morphologie der Luftwege, sondern allgemeine Be- deutung für die Bildungsgeschichte des Organismus. Sie zeigen, wie der Fortschritt in der Organisation erreicht wird mit Benutzung früher bereits vorhandener Einrichtungen unter den Erscheinungen 1 Die Zahlen hinter den Autorennamen verweisen auf das Litteraturver- zeichnis am Schluss der Arbeit. Morpholog. Jahrbuch. 22. 1 a Ernst Göppert der Differenzirung und des Funktionswechsels, indem stets die Leistung den gestaltenden Faktor darstellt. Zur Weiterführung der den Kehlkopf betreffenden Probleme musste die Frage nach der Herkunft der Kehlkopfmuskulatur auf- geworfen werden. Wir finden in den höheren Klassen der Wirbelthiere, speciell bei den Säugern, eine dem Kehlkopf eigene, ihn in vollkommenster Weise beherrschende Muskulatur. Die Innervation derselben durch den Vagus weist auf ihre Abstammung von den Muskeln des Kie- menskelets niederer Formen hin. Für die phylogenetische Entstehung der Kehlkopfmuskeln sind nun zwei Möglichkeiten denkbar. Sie können einmal direkt als Schließer und Öffner des Kehlkopfs von der visceralen Muskulatur aus entstanden sein, oder sie haben sich ganz allmählich aus letzterer entwickelt: Theile derselben erlangten im Laufe der Phylogenese Beziehungen zum vordersten Abschnitt der Luftwege und bildeten sich zu Kehlkopfmuskeln um, indem sie Schritt für Schritt ihre primitive Wirkungsweise und Anordnung einbüßten. Zwischen diesen beiden Möglichkeiten ist zu entscheiden. Die Aufgabe, die Phylogenie der Larynxmuskulatur klar zu stellen, kann aber nur gelöst werden durch eine Untersuchung der Formen, bei denen zuerst in der Thierreihe ein Kehlkopf auftritt, d. h. der Am- phibien. Ehe wir zur Darstellung der eigenen Befunde schreiten, wollen wir noch die hierher gehörigen Arbeiten früherer Autoren besprechen. Wir müssen dabei unterscheiden zwischen Arbeiten, die einfach das Verhalten der Kehlkopfmuskulatur vergleichend-anatomisch be- handeln, ohne die Herkunft dieser Muskeln zu ergründen und solchen, die der letzteren Frage nachzugehen streben. Nur diese sollen jetzt genauer besprochen werden, um die Berechtigung unserer Arbeit ihren Vorläufern gegenüber zu erweisen. Die Arbeiten der ersten Kategorie werden hier nur kurz und nur zum Theil erwähnt, da ihre Angaben im speciellen Theil meiner Arbeit die gebührende Be- rücksichtigung finden. Zu ihnen gehört zunächst die bereits oben erwähnte HENLE’sche Untersuchung über den Kehlkopf (6). Bekanntlich verdanken wir derselben die wichtigsten Aufklärungen über das Laryngo-tracheal- skelet. Weniger gelten seine Angaben über die Kehlkopfmuskulatur speciell über diejenige der Urodelen. Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 3 Sie haben eine vortreffliche Ergänzung erfahren durch die Arbeit von J. G. FiscHEr (3) über die Perennibranchiaten und Derotremen, die unserer Kenntnis der visceralen Muskulatur der Amphibien eine feste Grundlage giebt. Auch hier zeigte sich aber die Nothwendig- keit, die FıscHer’schen Angaben zu vervollständigen und zum Theil zu modifieiren. Besonders das Verhalten des Hyo-pharyngeus zum Dorso-pharyngeus, das sich als wichtig herausstellte, zeigte sich anders als FISCHER angenommen hat. Einem Versuch, die Phylogenie der Kehlkopfmuskulatur festzu- stellen, begegnen wir bei H. H. WILDER, zum Theil in seiner Unter- suchung über Siren (17), besonders aber in den »Studies in the phylogenesis of the larynx« (18). WILDER giebt hier eine Über- sicht über die Kehlkopfmuskeln. Er unterscheidet dabei zunächst ein Intrinsic system (muscular ring), das seiner Lage nach dem Constrietor laryngis HENLE’s entspricht. Außer bei den niedersten Formen soll dieses System sich aus zwei Antagonisten aufbauen, einem Musculus periarytaenoideus dorsalis, einem Erweiterer des Kehlkopflumens, und einem periarytaenoideus ventralis, einem Constrictor. Ich will gleich hier bemerken, dass ich dieser Auf- fassung nicht beistimmen kann, muss mir jedoch naturgemäß die Begründung meiner abweichenden Anicht auf den betreffenden Ab- schnitt meiner Arbeit versparen. Dieses Intrinsie system leitet nun WILDER phylogenetisch von der glatten Ringmuskulatur des Darmkanals ab. Ursprünglich soll es einen Ring dargestellt haben, erst sekundär gewann es Beziehungen zum Arytaenoid und schied sich damit in die oben genannten beiden Abschnitte. Es ist selbstverständlich, daß wir dieser Auffassung uns nicht anschließen können. Ich brauche wohl kaum zu betonen, dass zwischen den glatten Muskelzellen und den quergestreiften Muskel- fasern ein fundamentaler Unterschied besteht. Abgesehen davon, dass die glatten Elemente einzelne Zellen sind, die Muskelfaser ein Syneytium vorstellt, ist vor Allem das Verhalten zum Nervensystem ein ganz verschiedenes bei beiden. Dies spricht sich bekanntlich 1 The fact that in its simplest form this system consists of a ring sur- rounding the mouth of the air passages, suggests as the most plausible theory that we have here merely a continuation of the ring-musculature of the alimentary canal which the developing respiratory tract car- ried with it when it arose as a diverticulum from the former (18. pag. 579). 1* 4 Ernst Göppert physiologisch darin aus, dass die Muskelzelle des Wirbelthierkörpers dem Einfluss des Willens entzogen, die Muskelfaser demselben unter- worfen ist. Das Verhältnis zum Centrum ist also bei der Muskel- zelle ein ganz anderes als bei der Muskelfaser. Nun stehen Muskulatur und Nervensystem in fester Beziehung zu einander. Nie ändert ein Muskel im Laufe der phyletischen Ent- wicklung seine Innervationsweise. Diese Erkenntnis stellte erst die vergleichende Anatomie des Muskelsystems auf sicheren Boden. Die Annahme einer Umbildung glatter Muskelzellen in querge- streifte Muskelfasern setzt aber eine tiefgreifende Umgestaltung der Innervationsverhältnisse der betreffenden Theile voraus und wider- spricht damit unseren fest begründeten Kenntnissen vom Verhalten der Muskulatur zum Nervensystem, ist also nicht zu halten. Wie ferner nach WILDER das intrinsie system den Zustand des Kehlkopfeingangs beherrscht, kommt einem »extrinsie system (transverse system) die Bewegung des Larynx als eines Ganzen zu (vgl. die Arbeit über Siren 17). Unter diesem System fasst WILDER den Hyo-trachealis, den Dorso-trachealis und Dorso-laryngeus der früheren Autoren zusammen. Ich werde unten noch nachweisen, dass die Einzelheiten der WILDEr'schen Angaben über das Verhalten dieser Muskeln, speciell des Hyo trachealis und Dorso-trachealis, innerhalb der Klasse der Amphibien mit den thatsächlichen Verhältnissen nicht überall har- moniren, und verweise hier auf die diesen Muskeln gewidmeten Abschnitte meiner Arbeit. Speciell den Dorso-trachealis und den mit ihm zusammengehörigen Dorso-laryngeus führt nun WILDER auf dorsale Theile des ober- flichlichen Constrictor arcuum visceralium der Selachier zurück, während er für die phyletische Herleitung des Hyo-trachealis noch keine sicheren Angaben zu geben im Stande ist. Mir erscheint nun eine derartige, speciell durchgeführte Ver- gleichung von visceralen Muskeln der Amphibien mit solchen von Selachiern vor der Hand sehr gewagt. Wir finden bei letzteren be- reits einen hochdifferenzirten Muskelapparat, wie VETTER in seiner bekannten Untersuchung (15) zeigte. Wir haben hier ein oberfläch- liches System von Constrictores arcuum visceralium gesondert von einem tieferen (Mm. interareuales Constrietor pharyngis). Beide zeigen aber Verbindungen unter einander, die einen primitiveren Zustand vor- aussetzen lassen, in welchem heide Systeme sich in einem einheit- lichen Constrietor vereinigt fanden. Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 5 Nur eine eingehende vergleichend-anatomische Untersuchung kann daher die Berechtigung darthun in der von WILDER versuchten Weise, direkte Ableitungen der hier in Betracht kommenden vis- ceralen Muskeln der Amphibien von denen der Selachier zu geben. In erster Linie ist aber die Frage zu entscheiden, wie sich die Muskeln des »extrinsic system« zu den Muskeln der Kiemenbogen der Amphibien verhalten. Es muss versucht werden, sie in die für jene unterscheidbaren Muskelsysteme einzuordnen und damit die Verhältnisse der Homodynamie klar zu legen. Dies kann erst die Grundlage für eine Untersuchung der Homologie geben. Nun hat WILDER, ohne es allerdings auszusprechen, doch durch die Abbildungen seiner Arbeit (18, Fig. 2 und 3) augenscheinlich ge- zeigt, dass er den Dorso-trachealis und Dorso-laryngeus für homo- dynam hält den Levatores arcuum visceralium. In dieser durch die bezeichneten Figuren gegebenen Andeutung erblicken wir den Hauptwerth des Theils der WıLper’schen Arbeit, die sich auf die Phylogenie seines »extrinsic system« bezieht. Endlich habe ich noch die kurz gefasste Dusots’sche Mittheilung »zur Morphologie des Larynx« zu erwähnen (2). Wenn sie auch in ihren thatsächlichen Angaben mehrfach irrt, — ich verweise hier auf den speciellen Theil meiner Arbeit — so kommt sie doch zu einem beachtenswerthen Resultat. Aus den Lagebeziehungen und der Inner- vation des Dilatator und Constrictor laryngis der Urodelen schließt Dusois, dass beide zu einem gemeinsamen System, dem des Con- strictor pharyngis, gehören. Damit ist ausgesprochen, dass die Kehlkopfmuskeln der Urodelen speciell von den Pharynxmuskeln abzuleiten sind. Unsere Aufgabe ist es jetzt zu untersuchen, auf welchem Weg sich die Kehlkopf- muskeln aus Pharynxmuskeln phylogenetisch entwickelt haben. Wenn wir nunmehr zur Mittheilung unserer eigenen Befunde und der sich aus ihnen ergebenden Folgerungen übergehen, so müssen wir uns zunächst über die allgemeineren Verhältnisse des Kopfdarmes der Amphibien verständigen‘. Bei einem perennibranchiaten Urodel, wie z. B. Siredon, führt die Mundhöhle in den geräumigen Kiemendarm, dessen Seitenwände durch die Kiemenspalten durchbrochen und mittels der Kiemen- bogen gestützt werden. An diesen respiratorischen Theil schließt ! Bei der Beschreibung benutze ich »vorn« und »hinten« = oral und caudal, »oben« und »unten« = dorsal und ventral. 6 Ernst Göppert sich unmittelbar hinter dem letzten (vierten) Kiemenbogen ein viel kleinerer Abschnitt der Kopfdarmhöhle an, der ausschließlich der Fortbewegung der Ingesta im weitesten Sinne dient. Caudalwärts setzt er sich in den Vorderdarm fort. Wir können ihn als Pharynx bezeichnen. Er ist quergestreiften Muskeln unterworfen, die der visceralen Muskulatur angehören. In den »Pharynx« münden die Luftwege mit ihrem vordersten Theil, dem Kehlkopf. Letzterer und damit auch seine Muskeln liegen also im Bereich der Pharynxmukeln, die als Constrietor pharyngis zusammengefasst werden können. In diesem Constrietor hat man aber zwei Muskeln zu unterschei- den: den Musculus hyo-pharyngeus (hyo-trachealis FiscHER) und den Musculus dorso-pharyngeus (dorso-trachealis FISCHER). Musculus hyo-pharyngeus (= hyo-trachealis). Zunächst soll uns der Musculus hyo-pharyngeus! und zwar an erster Stelle derjenige von Siredon pisciformis beschäftigen (Fig. 2 Taf. I und Fig. 9 Taf. II M. h-ph.). Die beiden Mm. hyo-pharyngei bilden zusammen eine breite, quer am Boden der Kopfdarmhöhle (X) ausgespannte Platte, auf welcher der, vorderste Theil der Luftwege lagert (Z)% Dieselbe liegt dorsal vom Perikardialsack (Per.). Jeder M. hyo-pharyngeus entspringt vom vierten knorpeligen . Kiemenbogen (Br./V) und zwar von dem allein erhaltenen Dorsal- segment desselben (Epibranchiale). Der Ursprung lässt nur das ven- trale Viertel des Knorpels frei. Der vierte Kiemenbogen ist derart orientirt, dass er von seinem ventralen Ende aus schräg dorsal- und caudalwärts aufsteigt. Da- mit setzen die von seinen ventralen Abschnitten entspringenden Fasern des Hyo-pharyngeus den vorderen, die weiter dorsal ent- springenden den hinteren Theil des Muskels zusammen. Während nun die vorderen Fasern unseres Muskels kurzsehnig entspringen, heften sich die hinteren mit allmählich an Länge zu- ! Von den früheren Autoren wird der Muskel »hyo-trachealis« genannt. Wir wählen die obige Bezeichnung, weil sie auf die Hauptfunktion des Muskels hinweist, die eben den Pharynx, nicht die Trachea betrifft. Meine Dar- stellung stimmt für Siredon in allen wesentlichen Punkten mit derjenigen FISCHER’S (3) überein. . 2 WILDER (18) behauptet pag. 577, dass bei Siredon der Hyo -pharyngeus (-trachealis) mit dem anderseitigen vor dem gesammten Respirationstractus zu- sammenträfe. 'Thatsächlich ist beiden Muskeln der vordere Theil der Luftwege aufgelagert. Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 7 nehmenden Sehnenzügen am Skeletstiick an. Die längste dieser Sehnen erstreckt sich von der dorsalen Spitze des vierten Bogens am hinteren (caudalen) Rand des Muskels herab und lässt eine besonders große Anzahl von Muskelbündeln hervorgehen (Fig. 2). Die hinteren Theile des Muskels streben fast genau medianwärts auf die Mittellinie zu, die weiter vorn entspringenden Fasern schlagen einen immer mehr oralwärts gerichteten Verlauf ein. Der Muskel trifft mit dem anderseitigen in einer Raphe zu- sammen, die in der Mittellinie in sagittaler Richtung verläuft. In Folge der eben geschilderten Verlaufsrichtung treffen in den hinter- sten Theilen der Raphe die Muskelfaserbündel beider Seiten an- nähernd gerade auf einander, während sie weiter vorn in immer spitzer werdenden Winkeln zusammenstoßen. Die Innervation des Muskels vermittelt bekanntlich der Ramus recurrens nervi vagi. Funktionell steht der Hyo-pharyngeus in engster Beziehung zum Musculus levator arcus IV (Fig. 2 M.lev. IV). Wie bekannt ent- springt derselbe in der unmittelbaren Nachbarschaft der Heber der vorderen Kiemenbogen (M.lev./—III) von der die dorsalen Theile der Seitenrumpfmuskulatur deckenden Fascie (F), etwas lateral von der dorsalen Mittellinie. Er zieht abwärts zum Dorsalsegment des vierten Kiemenbogens, an dessen medialer Fläche er etwas unterhalb des dorsalen Bogenendes seine Befestigung nimmt. Die hintersten seiner Bündel inseriren jedoch nicht am Knorpel, sondern an der beschriebenen langen Ursprungssehne am hinteren Rand des Hyo-pharyngeus (in Fig. 2 mit « bezeichnet). Es wird nicht ganz ohne Interesse sein, diese Verbindung zwi- schen beiden Muskeln bei jüngeren Thieren zu prüfen. Sie fand sich bereits bei einer 18 mm langen Larve, fehlte jedoch bei Thieren von 13,5 mm. Danach stellt sie eine sekundäre Erwerbung vor und entbehrt einer wesentlichen Bedeutung. Ein ganz ähnliches Verhalten wie bei Siredon zeigten die bisher behandelten Muskeln auch bei älteren Larven von Tritonen, speciell von Triton alpestris. Der Hyo-pharyngeus ist hier verhältnismäßig nicht so breit wie bei Siredon. Seine Lagebeziehung zum Kehlkopfeingang ist außerdem nicht genau die gleiche, wie bei diesem. Der Aditus laryngis ruht bei Siredon etwa der Mitte des Hyo-pharyngeus auf, bei Triton dagegen den hintersten Abschnitten dieses Muskels. Der Ursprung des Hyo-pharyngeus am Dorsalsegment des, vierten 8 Ernst Göppert Bogens ist ferner durch die Insertion des Levator arcus IV in zwei Theile zerlegt; der größte Theil des Muskels entspringt ventral von letzterer. Oberhalb der Levatorinsertion an dem dorsalen Ende des Bogens nimmt dann noch eine lange Ursprungssehne Befestigung, an der die hintersten Theile des Muskels entspringen, um sich als- bald der vorderen Hauptpartie des Hyo-pharyngeus anzulegen (Fig. II pag. 21). Ein Übergang von Insertionen des Levators IV auf diese Sehne fehlt bei Triton im Gegensatz zu Siredon!. Die Untersuchung einer 3,5 cm langen Larve von Pleurodeles Waltlii und von Salamandralarven ergab die gleichen Befunde. Die im Vorhergehenden behandelten Formen zeichneten sich durch den Besitz eines wohlentwickelten vierten Kiemenbogens aus. Bei einer Reihe urodeler Amphibien findet nun eine mehr oder weniger weit gehende Reduktion von Kiemenbogen statt, die bei einigen, den Salamandrinen, mit dem Übergang zum Landleben ver- knüpft ist. Es wird hier das Verhalten des Musculus Hyo-pha- ryngeus und des Levator arcus IV zu prüfen sein. Wir beginnen mit Menobranchus lateralis Say., einer mit nur drei Kiemenbogen ausgestatteten Form. In seinem ganzen Verhalten zeigt der M. hyo-pharyngeus hier große Übereinstimmung mit dem von Siredon (vgl. Figg. 3—5 Taf. I M.h-ph.). Er trägt etwas hinter seiner Mitte den Larynx. Von Interesse sind besonders seine Ursprungsverhältnisse. Der Muskel entspringt zunächst mit seinen vordersten Theilen von dem Dorsalsegment des dritten Bogens (Fig. 3 und 4 Br.III), dem allein erhaltenen Bestandtheil desselben. Der Ursprung beginnt etwas oberhalb des ventralen Endes des Knorpels und reicht hinauf bis gegen das dorsale Ende des Bogens, ohne dasselbe jedoch zu er- reichen. Hier geht der Ursprung auf einen Sehnenstreifen über, der, vom Bogenknorpel ausgehend, annähernd horizontal eaudalwärts zieht (J). Dieser Sehnenstreifen besaß bei einem 43 cm langen Exemplar eine Länge von 6 mm. Das distale Ende desselben zeigt eine für die Beurtheilung der vorliegenden Verhältnisse wesentliche Verbindung mit den Kiemen- bogen: Von dem dorsalen Ende des zweiten Kiemenbogens geht 1 Das Bestehen eines Hyo-pharyngeus (hyo-trachealis) bei Salamandrinen- larven findet sich kurz bei Dusots, l. c. pag. 228, erwähnt. Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 9 nämlich ein straffes Band aus, das zum gleichen Ende des dritten Bogens verläuft (Fig. 3 d), hier befestigt ist, aber noch weiter caudal- wärts, eben zum distalen Theil des beschriebenen Sehnenstreifens zieht (a), um hier mit jenem (J) verbunden sein Ende zu erreichen. Wir sehen ferner, dass erster und zweiter Kiemenbogen an ihren dorsalen Enden ebenfalls durch ein Band verbunden sind (ec) und konstatiren die Thatsache, dass der caudale Theil des dem Hyo- pharyngeus als Ursprungsort dienenden sehnigen Streifs (J) mit dem dorsalen Ende des dritten Kiemenbogens in derselben Weise verbunden ist, wie letzteres mit dem entsprechenden Theile des zweiten und dieser wieder mit dem ersten Bogen. Es muss schließlich noch hervorgehoben werden, dass der Mus- culus sterno-hyoideus einen Theil seiner Fasern, die als Sterno-pha- ryngeus von FISCHER unterschieden werden, zwischen den Bündeln des Hyo-pharyngeus zur Insertion an die Pharynxwand treten lässt (M.st-ph.). Dieser Durchtritt von Bündeln eines fremden Muskel- systems findet in einer queren Linie statt, jederseits annähernd an der Grenze zwischen dem Theil des Hyo-pharyngeus, welcher vom dritten Bogen entspringt, und demjenigen, der an dem Sehen- streifen seine Befestigung nimmt. Wir sehen uns jetzt nach dem Levator um, der mit dem be- schriebenen Hyo-pharyngeus zusammenzuwirken bestimmt ist. Der Levator arcus III (M.lev.III) entspringt in unmittelbarem Anschluss an den Levator II (M.lev.II) in der bekannten Weise von der Nackenfascie (F) und befestigt sich etwas unterhalb des dorsalen Endes seines Bogens an dessen Innenseite. In kontinuirlichem Zu- sammenhang mit diesen Muskelbündeln stehen nun aber andere mehr caudalwärts entspringende, die ihre Insertion an dem oben be- schriebenen Sehnenstreifen (J) finden, also genau gegenüber den Hyo- pharyngeusursprüngen inseriren (M.lev. IV). Der genannte Sehnenstreifen stellt also eine Inscriptio tendinea zwischen Theilen des Levators und dem Hyo-pharyngeus vor. Die oralen Fasern dieses Levatorabschnitts ziehen unter dem vom dritten Bogen ausgehenden und caudal verlaufenden Band (a) hindurch zu ihrer Insertion. Weiter caudalwiirts befestigen sich einige der Bündel am Ende dieses Bandes selbst. Die eben gegebene Schilderung weicht nicht unerheblich von der FıscHer’schen Beschreibung ab (l. e. pag. 89, 90). Zweifelsohne in Folge der oben erwähnten Theilung des Hyo-pharyngeus in zwei Portionen durch die Pharynxinsertion des Sterno-hyoideus betrachtet 10 Ernst Göppert FiscHEr den hinteren Theil des Hyo-pharyngeus sammt dem zu ihm gehörigen Levatortheil als vordersten Abschnitt seines Dorso-trache- alis, der durch eine Inscription in eine dorsale und eine ventrale Hälfte zerlegt worden ist. Eine Betrachtung unserer Abbildung und eine Berücksichtigung der weiteren Darstellung lässt das Irrthümliche der FıscHer’schen Auffassung erkennen. Wie haben wir nun die beschriebenen Verhältnisse zu beur- theilen ? Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass die Inscription zwischen Levator und Hyo-pharyngeus ihre Entstehung dem Schwund eines vierten Kiemenbogens verdankt, welche bewirkte, dass der Levator IV und der Hyo-pharyngeus mit ihrer Insertion resp. ihrem Ursprung zusammentrafen. Das caudale Ende der Zwischensehne entspricht, wie seine Bandverbindung mit dem dritten Bogen beweist, dem dorsalen Ende eines vierten Bogens. Es ist ferner leicht verständlich, dass im Laufe der Phylogenese der an einem früheren vierten Bogen entspringende Hyo-pharyngeus bei allmählichem Verschluss der vierten Kiemenspalte und der damit eintretenden Rückbildung des vierten Kiemenbogens seinen Ursprung zum Theil auf den dritten Bogen verlegte. Damit bildete sich gleich- zeitig die kontinuirliche Reihe von Insertionen zwischen dem Leva- tor III und IV aus, die beide Muskeln als Einheit erscheinen lässt. Die hier vertretene Ansicht steht im Widerspruch mit der FiscHER- schen Auffassung (l. c. pag. 16 u. 17). Fiscuer leitet die Reduktion der Kiemenbogenzahl bei Menobranchus und Proteus von einer Ver- schmelzung der Dorsal- und Ventralsegmente des ersten und zweiten Bogens her, und führt als hauptsächliche Stütze hierfür an, dass beide Segmente des ersten Bogens bei Menobranchus durch eine longi- tudinale Furche ihre Zusammensetzung aus je zwei Theilen bekunden. Dieser Auffassung schloss sich auch van DER HOEVEN (7) an. Die Furche des Ventralsegmentes habe ich bei drei daraufhin unter- suchten Exemplaren nicht konstatiren können!. Die Furche am Dorsal- segment ist allerdings immer scharf ausgeprägt. Sie findet sich aber stets nur an der ventralen Fläche des Knorpelstückes. Bei genauerer Unter- suchung trifft man in ihr die Arteria carotis externa eingebettet. ! Ich will damit die Möglichkeit des Vorkommens der von FISCHER be- schriebenen Reliefverhältnisse des Ventralsegments am ersten Kiemenbogen nicht in Abrede stellen, fasse dieselben aber auf als die Folge der Muskelbe- festigungen an diesem Skeletstück. j Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 11 Eine ganz ähnliche Bildung, nur nicht so scharf ausgeprägt wie bei Menobranchus zeigt auch das Dorsalsegment des ersten Kiemenbogens bei Siredon. Hier ist eine Deutung des Befundes im Fiscuer’schen Sinne bei der Vollzähligkeit der Kiemenbogen aus- geschlossen. Wir werden demnach die Rinne des Dorsalsegments am ersten Kiemenbogen von Menobranchus einfach als das etwas vertiefte Bett einer Arterie ansehen müssen. Auf keinen Fall ist also das Ver- halten des ersten Kiemenbogens geeignet unsere Deutung der oben beschriebenen Muskelverhältnisse als Folge der Rückbildung eines vierten Kiemenbogens zu erschiittern. Sehr ähnliche Verhältnisse wie Menobranchus bietet Proteus anguineus dar, der bekanntlich gleichfalls nur noch drei Kiemen- bogen besitzt (Fig. 6 Taf. I). | FIscHER hat bereits richtig hervorgehoben, dass die vordersten Theile des Hyo-pharyngeus (M.A-ph.) nicht mit den entsprechenden Theilen der anderen Seite zusammentreffen, sondern am Ventralsegment des zweiten Bogens Befestigung nehmen. Er bezeichnete diesen Muskel- abschnitt als M. protractor arcus ultimi (Fig.6 M.p.a.w.). Er hat ferner richtig beschrieben, wie die Kontinuität des Hyo-pharyngeus unter- brochen wird, indem der Sterno-hyoideus durch ihn hindurch eine größere Reihe lamellenartiger Abzweigungen zur Pharynxwand sendet, zwischen denen die Bündel des Hyo-pharyngeus spielen. Unter Ergänzung der Fiscuer’schen Angaben haben wir zu be- tonen, dass der Hyo-pharyngeus (M.A-pAh.) nicht nur vom dritten Kiemenbogen seinen Ursprung nimmt, sondern in seinem hintersten Theil noch von einer allerdings sehr kurzen Zwischensehne (J), zwischen ihm und Fasern des Levators (M.le.IV). Bei der Kleinheit der einschlägigen Verhältnisse war es nöthig, die Resultate makroskopischer Untersuchung durch die Prüfung von Schnittserien zu bestätigen. Beide Untersuchungsmethoden ergaben, dass die Zwischen- sehne (J) etwas unterhalb des Dorsalendes des dritten Kiemenbogens (Dr.III) von letzterem abgeht und caudalwärts zieht. Ihr Ende steht mit der Spitze des dritten Bogens durch ein Band in Verbin- dung, wie es auch die dorsalen Enden des zweiten und dritten Bogens mit einander verknüpft. Wir haben hier also im Wesentlichen dieselben Verhältnisse, wie bei Menobranchus. Ganz genau, wie bei Menobranchus werden wir dieselben durch 12 Ernst Göppert die Rückbildung des vierten Kiemenbogens erklären, die ein Zu- sammentreffen der Insertion des Levator IV und des Ursprungs des Hyo-pharyngeus in einer Zwischensehne bewirkte. Mit dem Schluss der ursprünglichen letzten Kiemenspalte ging der Haupttheil des Hyo-pharyngeus mit seinem Ursprung auf den dritten Bogen über. In vollkommenster Weise schließt sich an die Befunde von Menobranchus und Proteus der Zustand an, den Cryptobranchus japonicus aufweist, wie ich der Fıscuer’schen Darstellung entnehme. Cryptobranchus besitzt bekanntlich nur noch 2 Kiemenbogen, die den beiden ersten Bögen der vorher besprochenen Formen ho- | molog sind. Denken wir uns bei einer Form, die die Verhältnisse von Meno- branchus besitzt, den dritten Kiemenbogen rückgebildet, so wird Levator III und vorderer Theil des Hyo-pharyngeus in einer Zwischen- sehne zusammentreffen, die die Inscription zwischen Levator IV und hinterem Theil des Hyo-pharyngeus nach vorn verlängert. In der That finden wir bei Cryptobranchus, wie FISCHER unter richtiger Deutung der Befunde beschreibt, eine vom Dorsalende des zweiten Kiemenbogens ausgehende und caudalwärts verlaufende Zwischensehne, an der einerseits eine dem Levator III und IV ent- sprechende Muskelmasse inserirt, andererseits der Hyo-pharyngeus entspringt. Gewissermaßen eine Probe auf die Richtigkeit der eben dar- gestellten Auffassungen, die wir entwicklungsgeschichtlich in Folge Mangels geeigneten Materials nicht begründen konnten, bieten uns die Salamandrinen dar bei ihrem Übergang zum Landleben. Es fragt sich wie sich der Hyo-pharyngeus und Levator IV der Larven nach der Metamorphose verhält, bei der ja auch der vierte Kiemenbogen rückgebildet wird. Untersuchen wir eine ausgewachsene Salamandra maculosa (Fig. 1 Taf. 1), so finden wir an der uns interessirenden Stelle einen Muskel, der gleich den Levatoren der Kiemenbogen der Larve dorsal mit seinem größten Theile von der Fascie der Nackenmuskeln ent- springt, während noch ein schmales Bündel von vorn her kommend sich ihm anschließt, das am Os tympanicum seinen Ursprung nimmt und unter den dorsalen Theilen des Musculus digastrieus (depressor maxil- lae inferioris) hinweg zieht. Das aus diesen Ursprüngen entstehende Muskelband zieht ventralwärts um den Pharynx herum und trifft, stets unmittelbar unter der Schleimhaut liegend, in der Mittellinie mit dem entsprechenden Muskel der anderen Seite in einer Raphe Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 13 zusammen (Fig. 1 M.dig.ph.). Der Muskel liegt mit seinen ventralen Theilen zwischen Pharynx und Perikard an derjenigen Stelle, an welcher wir den Hyo-pharyngeus suchen müssten. Dem hinteren Rand des Muskels liegt unmittelbar der Larynx an. Untersucht man den Muskel genau, so nimmt man bald wahr, dass er durch eine Inscriptio tendinea in einen ventralen und dor- salen Theil zerlegt ist (J); die Inscription liegt etwa an der Stelle, wo der Muskel von oben kommend sich der Pharynxwand anlegt. Die Untersuchung eines jungen Thieres, das die Metamorphose eben hinter sich hatte, ergab in der Zwischensehne eine kleine un- regelmäßig gestaltete Insel von Knorpelzellen. Der ganze Befund lässt nicht daran zweifeln, dass der be- schriebene Muskel, der »Digastricus pharyngis«, wie man ihn nennen könnte, entstanden ist durch die Vereinigung von Hyo-pharyngeus (M.h-ph.) und Levator IV (M.lev.IV) bei der Rückbildung des vierten Bogens während der Metamorphose. Im Wesentlichen gleiche Verhältnisse bietet auch Triton (vgl. Textfigur VI [pag. 45])'. Wir haben zuletzt die Formen behandelt, bei welchen hintere Kiemenbogen durch Rückbildung verloren gingen. Wir wollen jetzt {In dem Theil seiner unter No. 18 von mir aufgeführten Arbeit, die den M. dorso-laryngeus und dorso-trachealis, behandelt (pag. 577), beschreibt H. H. WILDER bei Salamandra und ähnlich auch bei Triton vor dem Dorso-laryngeus ein Muskelband, das nach seiner Meinung den Dorso-trachealis vorstellt. Der- selbe soll seine ursprüngliche Lage hinter dem (caudal vom) Dorso-laryngeus verlassen haben, vorwärts gewandert sein und nunmehr vor dem Dorso-laryn- geus liegen. Nach der Beschreibung WILDERr’s und ihrer Vergleichung mit einem Prä- parat, wie es unsere Fig. 1 auf Taf. I wiedergiebt, besteht kein Zweifel, dass WILDER unseren Digastricus pharyngis (M.dig.ph) als Dorso-trachealis an- spricht. Es ist aber ganz zweifellos, dass der Digastricus pharyngis sich aus dem Hyo- pharyngeus und dem Levator arcus IV der Larve nach der mit der Metamorphose verbundenen Rückbildung des vierten Kiemenbogens aufbaut. Die von WILDER nicht erwähnte Inscriptio tendinea (Fig. 1 J) weist unzweideutig darauf hin. Ferner wird im folgenden Theile unserer Arbeit gezeigt werden, dass der »Dorso-trachealis« der Salamandrinen während des Larvenlebens caudal vom »Dorso-laryngeus« zu finden ist, bei der Metamorphose jedoch der Rückbildung verfällt, ohne seine Lage zum Dorso-laryngeus irgendwie zu ändern. Das vor dem Dorso-laryngeus (Fig. 1 M.d-!) bei Triton und Salamandra sich findende Muskelband, unser Digastrieus pharyngis, hat also mit dem Dorso- trachealis nicht das Geringste zu thun. Damit ist die oben wiedergegebene Wivper’sche Auffassung als irrthümlich erwiesen. 14 Ernst Göppert noch einen Vertreter der Gymnophionen untersuchen, bei welchem die Umbildung des larvalen Kiemenapparates in den fertigen Zustand unter Verschmelzung der beiden letzten (dritten und vierten) Kiemen- bogen stattfindet. Dieser Vorgang ist durch die Gebrüder SARASIn wenigstens für Ichthyophis glutinosa nachgewiesen (11). Der letzte Bogen des Zungenbeinapparates zeigt beim erwachsenen Thier durch seine Ge- stalt noch deutlich seine Zusammensetzung aus zwei Komponenten an. Mir stand eine ältere Larve von Ichthyophis glutinosa zur Ver- fügung, die an einer Querschnittserie untersucht wurde. Nach ihrem ganzen Verhalten befand sich dieselbe dicht vor der Metamorphose. Beide am Grunde des Spiraculums mündende Kiemen- spalten waren noch offen, die vorderste, zwischen zweitem und drittem Bogen gelegene, stellte aber nur noch einen ganz engen Kanal vor. Der vierte Kiemenbogen stand bereits mit seinem ventralen Ende in kontinuirlicher Verbindung mit dem dritten Bogen, war im Übrigen aber noch völlig selbständig und vom dritten Bogen durch die hintere Kiemenspalte geschieden. Am vierten Bogen befestigte sich an einem von ihm etwas unter- halb seines dorsalen Endes ausgehenden, nach hinten ragenden Vor- sprung ein schwach entwickelter Levator IV. Der Hyo-pharyngeus war stark entwickelt (Fig. I M.h-ph.) und zeigte sich in zwei Portionen getheilt: die vordere entsprang von dem unteren Theil des vierten Kiemenbogens (Br.JV), die hintere von dem dorsalen Ende desselben. Zwischen beiden Ursprüngen setzte sich am Branchiale IV der Constrictor arcuum branchialium (FiscHEr) an (M.c.a.). Derselbe zog von hier aus nach vorn, befestigte sich mit einem Theil seiner Fasern am Brapchiale III, während ein schwächeres Faserbiindel an der Außenseite des letzteren vorbei lief, um am Branchiale II Be- festigung zu nehmen. Es liegt hier also im Wesentlichen dasselbe Verhalten des Constrictors vor, wie es bei Perennibranchiaten und Derotremen von FISCHER geschildert worden ist. Die beiden am Ursprung geschiedenen Theile des Hyo-pharyngeus legten sich bald unmittelbar an einander, so dass sie ein einheitliches Muskelblatt bildeten. Die von beiden Seiten medianwärts strebenden Fasern treffen mit den anderseitigen ventral vom Luftweg in einer Zwischensehne zusammen. Nur die vordersten Fasern machen hiervon eine Ausnahme, indem sie seitlich vom Kehlkopfeingang sich an der Fascie der nach vorn strebenden Theile des Rectussystems festheften. Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 15 Nach dem ganzen Befund ist anzunehmen, dass der Hyo-pharyn- geus der erwachsenen Form von dem durch Verschmelzung des dritten und vierten Bogens entstandenen Stück des Zungenbeins entspringt. Den Gymnophionen und Urodelen stehen die Anuren dadurch gegenüber, dass ihnen auch im Larvenzustand ein Hyo-pharyngeus, wie wir ihn im Vorhergehenden trafen, fehlt. Wenigstens gilt dies für unsere einheimischen Formen. Fig. I. Dr S. ED. ARD 3 X ws Ss CEH: A OATS TEGO OR nee SER Cl 2 u ii ae <5 Ichthyophis glutinosa. Vor der Metamorphose stehende Larve. Querschnitt durch den Körper in der Gegend der letzten Kiemenspalte. 30/1. Br.IV vierter Kiemenbogen. X. Kiemenhöhle. M. ventrale Rumpfmuskulatur. M.c.a. M. constrietor arcuum branchialium. M.h.ph. M. hyo-pharyngeus. M.h.ph.int. M. hyo-pharyngeus internus. S. letzte (zweite) Kiemenspalte. 7. Trachea. Zh. Thymus. T.K. Trachealknorpel. In typischer Weise sind aber bei den Anurenlarven die Levatores arcuum branchialium ausgebildet (vgl. F. E. ScHuLzeE 12). Einen für unsere Aufgabe interessanten Befund bietet nun der Levator IV von Larven von Rana esculenta. Dieser Muskel zeichnet. sich vor den vorderen Hebern durch seine mächtige Entfaltung aus. Zunächst befestigt er sich nicht allein am dorsalen Ende des ihm zu- gehörigen Kiemenbogens, sondern nimmt mit seiner Insertion den größten Theil desselben ein. Nur der ventralste Theil des Bogens trägt keine Insertionen. 16 Ernst Göppert Entsprechend diesem Verhalten ist auch der Ursprung des Mus- kels modifieirt. Ein Theil entspringt von der Gehörkapsel des knor- peligen Schiidels. Er liefert die Fasern zum dorsalen Theil des vierten Bogens. Ein großer Abschnitt des Muskels entspringt aber viel weiter ventral von dem die laterale Seite des Pharynx umgeben- den Bindegewebe, unmittelbar nach außen von der Muscularis dieses Darmtheils. Die hier ansetzenden Fasern inseriren, ohne Lücke an die von oben kommenden angeschlossen, an den ventralen und damit vorderen Theilen des vierten Bogens. Von den eben geschilderten Verhältnissen ist uns aus Gründen, die später klar werden, zunächst von Interesse, dass der Levator seine Insertion weit gegen das ventrale Ende des ihm zugehörigen Kiemenbogens vorgeschoben hat. Er muss damit in ausgiebiger Weise als ein Constrictor des hintersten Theils des Kiemenkorbes wirken. : Zweitens erscheint die Verlagerung des Ursprungs eines Theils des Muskels für uns von Bedeutung. Das ursprüngliche Verhalten hat der hintere Theil des Muskels sich noch erhalten, indem er von der Dorsalseite her herabsteigt. Ein Theil des Muskels hat aber eine neue Ursprungsstelle seitlich von der Pharynxwand gewonnen. Das specielle Verhalten des Levator IV bei der Metamorphose ist nicht genauer untersucht worden. So viel ist jedoch sicher, dass er bei der Rückbildung des Kiemenapparates neue Insertionen an den Processus postero-mediales (thyreoidei)! des Zungenbeins des Frosches gewinnt und damit die Musculi petrohyoidei posteriores (EcKER 1) oder doch wenigstens den hinteren Theil derselben bildet. Beziehungen dieser Muskeln zu den Levatores arcuum branchi- alium hat übrigens bereits FISCHER vermuthet (l. e. pag. 86). Fassen wir nunmehr die im Vorhergehenden mitgetheilten Be- funde noch einmal zusammen, so haben wir den Musculus hyo- pharyngeus als einen abgeplatteten Muskel kennen gelernt, der, mit dem anderseitigen in einer medianen Raphe vereinigt, zwischen den hintersten Kiemenbogen ausgespannt ist. Dieses Muskelband liegt dorsal vom Perikardialsack und ventral von dem Anfangstheil der Luftwege. Es fehlt, wenigstens in typischer Entwicklung, den Anuren. ı Vgl. E. Gaupp, Beiträge zur Morphologie des Schiidels. II. Das Hyo- Branchialskelet der Anuren und seine Umwandlung. (Morphol. Arbeiten, her- ausgegeben von G. SCHWALBE. Bd. III, Heft 3.) Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 47 Der Muskel bildet mit dem Levator IV eine funktionelle Einheit. Beide zusammen stellen einen Constrietor des hintersten Theils des Kopfdarmes vor. Bildet sich, wie bei Menobranchus und Proteus, der vierte Kie- menbogen zurück, so tritt der Hyo-pharyngeus in seinem hinteren Theil mit der Insertion des Levator IV in einer Inscriptio tendinea zusammen, während der Haupttheil des Muskels mit seinem Ursprung auf das Dorsalsegment des dritten Kiemenbogens übergeht. Bei der Rückbildung auch dieses Bogens vereinigen sich Levator III und Hyo-pharyngeus durch eine Inscription (Cryptobranchus FIscHEr), die eine Verlängerung der dem Bereich des Levator IV angehörigen Inseriptio tendinea vorstellt. Etwas andere Verhältnisse weisen die landlebenden Formen auf. Ein Vorwärtswandern des Hyo-pharyngeusursprungs findet bei der Metamorphose nicht statt. Mit der Rückbildung des vierten Bogens tritt Levator IV und Hyo-pharyngeus einfach zu einem schmalen, durch eine Inscriptio getheilten Muskelband, dem Digastricus pha- ryngis, zusammen. Es handelt sich nunmehr darum, die Beziehungen des M. hyo- pharyngeus zu den Muskeln vorderer Kiemenbögen festzustellen (vgl. GEGENBAUR |]. ec. pag. 60). Dabei ist von Interesse, dass nach FıscHEr der Hyo-pharyngeus nicht immer nur ventral von den Luftwegen mit dem der anderen Seite zusammentrifft, sondern gelegentlich, z. B. bei Menopoma, auch mit einem Theil seiner Fasern an der Trachea, damit natürlich an den Skelettheilen derselben Befestigung nehmen kann. Wir sehen aber nach GEGENBAUR in dem gesammten Laryngo-trachealskelet der Amphibien Derivate eines fünften Kiemenbogenpaares 1. Damit stellt sich der Hyo-pharyngeus, wie bereits GEGENBAUR (5) ausgeführt hat, in eine Reihe mit den Con- strietores arcuum branchialium, zu welchen übrigens noch der M. cerato-hyoideus gehört. Der Muskel ist das hin- terste Glied eines den Zungenbeinbogen und die Kiemen- bögen unter einander verbindenden Muskelsystems. Der Hyo-pharyngeus ist vor den Constrietoren dadurch ausge- zeichnet, dass er in der Regel seine Befestigung an Skelettheilen an seinem distalen Ende aufgegeben hat. Dies erklärt sich aber zur Genüge einerseits aus den Umbildungen, die der fünfte Kiemenbogen ! Vgl. E. GÖPPERT, Über die Herkunft des Wrisberg’schen Knorpels. Morph. Jahrb. XXI. Bd. 1. pag. 69 Anm. 3. Morpholog. Jahrbuch. 22. 2 18 Ernst Göppert erfuhr, andererseits aus der mächtigen Entfaltung des Muskels, die wiederum seiner großen Bedeutung für den Schluckakt und für die Athmung entspricht. Musculus dorso-pharyngeus. Dilatator laryngis. An zweiter Stelle haben wir den Musculus dorso-pharyngeus zu besprechen. Wir fassen unter diesem Namen den M. dorso-laryngeus und. dorso-trachealis der früheren Autoren zusammen, da beide, wie wir sehen werden, ursprünglich eine Einheit bilden. Bei Siredon finden wir nur einen als Dorso-laryngeus zu be- zeiehnenden Muskel. Derselbe entspringt in unmittelbarem Anschluss an den Levator IV von der Fascie der Nackenmuskeln und verhält sich hier ganz genau wie die Levatoren der Kiemenbogen (Fig. 2 Taf. I M.d-1.). Nach FiscHEr (pag. 89) entspringt nur eine hintere schwache Portion des Muskels in der eben bezeichneten Weise, während ein vorderer Theil von dem »oberen vorderen Rande des knorpeligen Schulterblatttheils« entspringen soll. Ich kann diese Angabe nicht bestätigen. Der Muskel entspringt ganz genau, wie die Levatores arcuum branchialium, von der Fascia dorsalis als ein ziemlich breites Band, das weiterhin zu einem mehr rundlichen Strang wird. Von seinem Ursprung zieht der Muskel ventralwärts und gleich- zeitig nach vorn und erreicht bald den hinteren Rand der vom Hyo- pharyngeus gebildeten Platte (M.h-ph.). Er kreuzt dabei den Verlauf des Hyo-pharyngeus und liegt der Innenfläche dieses Muskels un- mittelbar auf. Er inserirt endlich an einem seitlichen Vorsprung des Arytänoids, nachdem er vorher in eine verhältnismäßig lange Endsehne überge- gangen ist!. FISCHER betont (pag. 89), dass der Dorso-laryngeus seinem Ver- lauf und seiner Lage nach als ein hinterer Theil des Hyo-pharyngeus (Hyo-trachealis) erscheint. Beide Muskeln sind jedoch scharf von einander zu sondern. Es ist dabei bemerkenswerth, dass der Dorso- 1 WILDER (18) unterscheidet (pag. 577) in seinem »extrinsic system«, das unserem Dorso-pharyngeus entspricht, im Allgemeinen zwei Muskelbinder, den M. dorso-trachealis und dorso-laryngeus. Dieselben bestehen nach ihm auch bei Siredon: In Siredon, a complete separation has been effected between these two bands, and the dorso-laryngeus, lying at its origin posterior to the other, crosses beneath it to gain its customary position. Es ist mir unmöglich, diese Schilderung mit meinen Befunden bei Siredon in Einklang zu bringen. Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 19 laryngeus bereits bei ganz jungen Larven (9,5 mm) dieselben Ur- sprungsverhältnisse aufweist wie beim erwachsenen Thier. Charakteristisch ist endlich die Lage des Dorso-laryngeus zur Arteria pulmonalis (Art.pulm.). Dieselbe zieht von der vierten Kiemen- vene, also von vorn her kommend, an der lateralen Seite des Muskels vorbei nach hinten zu. Die vierte Kiemenvene mündet vor dem Dorso-laryngeus in die Aortenwurzel; diese wiederum verläuft medial von unserem Muskel caudalwirts. Damit wird letzterer gewisser- maßen von einer Gefäßschlinge von vorn her umzogen, die von der Arteria pulmonalis, dem dorsalen Ende der vierten Kiemenvene, der Aortenwurzel und endlich der Aorta selbst gebildet wird. Die Schlinge ist also caudalwärts offen. Nach dem Vorhergehenden erscheint der Dorso-laryngeus als ein Muskel, der den Aditus laryngis bei seiner Kontraktion öffnen wird, indem er das Arytänoid seiner Seite lateralwärts zieht. Zu dieser immerhin geringfügigen Leistung steht jedoch die Größe des Muskels nicht in entsprechendem Verhältnis. Für einen einfachen Dilatator laryngis ist er zu mächtig. Beriicksichtigen wir nun aber den ganzen Verlauf des Muskels, so müssen wir ihm noch die Wirkung eines Con- strietor pharyngis zusprechen. Der Dorso-laryngeus vereinigt also die Leistung eines Erweiterers des Kehlkopfeinganges und die eines Pha- rynxverengerers. Ganz ähnliche Verhältnisse wie bei Siredon treffen wir bei den Salamandrinen nach der Metamorphose an (Salamandra maculosa, Triton alpestris). Auch hier besteht ein M. dorso-laryngeus, der von der Nacken- fascie entspringt und den Pharynx umgreifend ventralwärts zu seiner Insertion am Arytänoid zieht (Fig. 1 Taf. I M.d-1.). Seine Befestigung vermittelt hier eine kurze Endsehne. Er liegt dicht hinter dem Di- gastricus pharyngis (M.dig.-ph.). Wieder ist der Muskel allerdings ein Dilatator laryngis, aber gleichzeitig ein Constrictor pharyngis, also ein Synergist des Di- gastricus pharyngis. Sehr beachtenswerthe Abweichungen von den eben geschilderten Befunden ergiebt die Untersuchung von ilteren Larven der Sala- mandrinen. Wir beginnen mit der Darstellung der einschligigen Verhältnisse bei einer nicht mehr weit von der Metamorphose ent- fernten Larve von Salamandra maculosa. Wir finden hier an Stelle des Dorso-laryngeus einen relativ viel mächtiger entwickelten Muskel, der, wie die folgende Schilderung 9» 20 Ernst Göppert zeigen wird, als Dorso-pharyngeus zu bezeichnen ist. Es handelt sich um ein breites Muskelband, das, wie beim fertigen Thier, von der Nackenfascie entspringend um die seitliche Pharynxwand herum- zieht und weiter zwischen Perikard und ventraler Schlundwand auf den vordersten Abschnitt des Tractus respiratorius zustrebt. Der Muskel verhält sich nun, was seine Insertion anlangt, in seinen verschiedenen Theilen verschieden. Sein vorderster (oraler) Abschnitt lässt eine lange Endsehne hervorgehen, die sich am late- ralen Arytänoidrand befestigt (vgl. Fig. VIII pag. 50 M.d-ph, a). Die unmittelbar caudalwärts angeschlossenen Fasern des Dorso- pharyngeus inseriren nicht am Arytänoid, sondern enden in der Nähe des Larynx in einer Inscriptio tendinea, die parallel mit dem Ary- tänoid caudalwärts verläuft (Fig. VIII, rechte Hälfte, J). Diese Inscription, die uns weiter unten bei der Behandlung der Schließmuskulatur des Larynx noch beschäftigen wird, ist einge- schaltet zwischen den Enden der Fasern des Dorso-pharyngeus und den Fasern eines zweiten, von uns als M. laryngeus ventralis unter- schiedenen Muskels (M.lar.ventr.), der sich mit dem gleichen Muskel der anderen Seite ventral vom Kehlkopf in einer Raphe vereinigt. Die hintersten Fasern des Dorso-pharyngeus endlich gehen in lange, dünne Sehnenfäden über, die, ohne zu einer einheitlichen Sehne verbunden zu sein, parallel neben einander medianwärts ver- laufen und am caudalsten Theil des Arytänoids sich befestigen. Wir treffen also bei der Larve von Salamandra maculosa an Stelle des Dorso-laryngeus des fertigen Thieres einen Muskel von sehr komplieirtem Verhalten, einen Dorso-pharyngeus. Obwohl dieser Dorso-pharyngeus ein zusammenhängendes Ganzes darstellt, ist doch schon seine vorderste Portion durch ihre Insertion von den hinteren Theilen different geworden. Sie allein bleibt als Dorso-laryngeus nach der Metamorphose erhalten. | Von den hinteren Theilen des Muskels hat, wie wir sehen, der eine jede Wirkung auf die Stellknorpel verloren. Er bildet zusammen mit dem eben genannten M. laryngeus ventralis jederseits einen zwei- bäuchigen Pharynxconstrictor!. Die allerhintersten Fasern schließlich sind nach ihrer Insertion wieder im Stande, die Stellung des Ary- 1 Man muss sich vor Verwechselungen dieses Befundes bei der Larve mit dem allein der fertigen Form zukommenden M. digastrieus pharyngis hüten. Wie oben aus einander gesetzt, bildet sich letzterer erst während der Metamor- phose in Folge der Rückbildung des vierten Kiemenbogens aus, indem Hyo- pharyngeus und Levator IV der Larve in einer Inseription zusammentreten. Hier handelt es sich um den M. dorso-pharyngeus und Laryngeus ventralis. Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 21 tänoids zu beeinflussen, während sie gleichzeitig die Verengerung des Schlundes mit bewirken können. Die beiden zuletzt genannten Abschnitte des Dorso-pharyngeus bilden sich, wie gesagt, mit der Metamorphose zurück. Viel einfachere Verhältnisse als die Larve von Salamandra maculosa weist die von Triton alpestris auf. Die Zustände unterscheiden sich hier nur wenig von denen des fertigen Thieres. Auch hier aber müssen wir von dem Bestehen Med.spin.--- en 52 Larve von Triton alpestris. Querschnitt. 40/1. Ar. Anlage des Arytänoids. Br.ZV oberer Theil des vierten Kiemenbogens. Ch. Chorda dorsalis, L. Larynx. M. dorsale Rumpfmuskulatur. M.d-ph. Musculus dorso-pharyngeus. (Der Schnitt zeigt den als Dorso-laryngeus zu bezeichnenden vordersten Theil des Muskels, der am Arytänoid inserirt und den Dilatator laryngis vorstellt.) M.h-ph. Musculus hyo- pharyngeus. (Der Schnitt enthält nur einen Theil der hintersten Fasern dieses Muskels, die jeder- seits mit langer Ursprungssehne am vierten Kiemenbogen, Br.IV, entspringen.) Med.spin. Medulla spinalis. Per. Perikardialhöhle (mit Theilen des Herzens). Ph. Pharynx. eines Dorso-pharyngeus sprechen, der nach der Metamorphose nur in seinem vordersten Theil als Dorso-laryngeus erhalten bleibt. An diesen Abschnitt des Dorso-pharyngeus schließen sich nämlich bei der Larve eine ‘allerdings nur geringe Anzahl von Fasern an, die ähnlich wie wir es bei Salamandra fanden, das Arytänoid nicht er- reichen, sondern lateral von demselben enden. Sie sind hier durch Inseription mit den Fasern des schon genannten M. laryngeus ven- tralis und einem Salamandra maculosa fehlenden M. laryngeus dor- salis verbunden. 22 Ernst Göppert Auch hier ist also ein Theil des Dorso-pharyngeus ein reiner Constrietor pharyngis, während der vorderste und größte Abschnitt letztere Funktion mit der eines Dilatator laryngis vereinigt (vgl. Fig. II M.d-ph.). Ganz ähnliche Zustände wie bei der Tritonlarve fanden sich bei einer etwa 3,5 cm langen Larve von Pleurodeles Waltlii. Fig. VII auf pag. 48 stellt den hintersten Theil des M. dorso-pha- ryngeus und seine Beziehungen zum M. laryngeus dorsalis und ven- tralis (M.lar.ventr. und dors.) dar. Sehr interessante Befunde bietet uns Menobranchus latera- lis. Auch hier liegt ein Dorso-pharyngeus vor, in welchem ein vorderer Abschnitt als Dorso-laryngeus zu unterscheiden ist. Bereits oben /pag. 9 u. 10) hatten wir erwähnt, dass von FiscHER der hinterste Theil des Hyo-pharyngeus und der Levator IV zum Dorso-laryngeus gerechnet wurde, der demnach in seinen vorderen Theilen durch eine Inscription getheilt sein sollte (FISCHER pag. 89). Diese Verhältnisse sind oben bereits richtiggestellt worden. Der Dorso-pharyngeus repräsentirt ein sehr komplieirtes Muskel- system, an dem wir nach den Ursprungsverhältnissen drei ver- schiedene Partien zu unterscheiden haben (Fig. 3, 4, 5 M.d-ph.): Ein großer Theil des Muskels entspringt, ganz unmittelbar an den Levator IV (M.lev. IV) angeschlossen, von der Nackenfascie (F) und zieht schräg von hinten und oben nach vorn und unten. Dieser Theil des Muskels verhält sich an seinem Ursprung ganz genau wie die Levatores arcuum visceralium. Er stellt den kleinsten Theil des Muskels vor. Ein anderer, mehr nach innen gelegener Theil des Muskels ent- springt viel weiter ventral (Fig. 4 M.d-p/’). Er nimmt seinen Ur- sprung von einem anfänglich ziemlich derben, caudalwirts schwächer werdenden Bindegewebszug, der am hinteren Ende der Inseriptio tendinea zwischen Levator IV und Hyo-pharyngeus (J) ansetzt und von hier caudalwärts verläuft, gleichzeitig ventralwärts etwas ab- fallend. Der Ursprung liegt lateral von der Pharynxwand, und zwar unmittelbar neben der Umbiegungsstelle des dorsalen-in den ventralen Theil derselben. Der bindegewebige eben erwähnte Streif gehört zu dem die Ventralfläche der dorsalen Seitenrumpfmuskulatur deckenden Bindegewebe. | Ein dritter und ganz besonders interessanter Abschnitt des Mus- kels kommt, wie bereits Fiscuer hervorhebt, von der Dorsalseite Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 33 des Pharynx (Fig. 5 5) her. Die beiderseitigen Portionen des Mus- kels treten hier ventral von den Wirbelkörpern nicht in einer Raphe zusammen, sondern durchflechten sich in der Nähe der Medianebene. Der Muskel verhält sich im Ganzen sehr ähnlich wie ein Constrietor pharyngis der Säugethiere. Er stellt kein ganz schmales Gebilde vor. Bei einem 32cm langen Exemplar besaß er eine Breite von 7 mm, während die des gesammten Dorso-pharyngeus etwa 11 mm betrug. Er entspricht seiner Lage nach dem hinteren Theil des dritten und vorderen des vierten Wirbels. Der eben beschriebene Theil bleibt nur so weit selbständig, als er dorsal vom Pharynx verläuft. Weiterhin legt er sich auf das innigste der lateral vom Pharynx in der geschilderten Weise ent- springenden zweiten Portion des Muskels an und geht damit, ohne seine Selbständigkeit zu bewahren, in die Einheit des Dorso-pha- ryngeus auf. Seinen Lagebeziehungen entsprechend legt er sich natürlich der Innenseite der zweiten Portion an. Er findet sich nur im Bereich der hinteren ?/, derselben. So viel ich feststellen konnte, reichte die zweite Portion genau so weit caudalwärts als die dritte. Die hintersten Fasern der ersteren stellen aber eine nur äußerst dünne Schicht dar. Die Lage der drei Portionen des Dorso-pharyngeus zu einander ist dem Gesagten zufolge derart, dass die erste von der Nacken- fascie kommende Portion die oberflächlichsten Fasern des vorder- sten Muskelabschnittes liefert. Nach innen von diesen liegen die vordersten Fasern der zweiten Portion, jedoch etwas hinter dem Vorderrand des Muskels beginnend. Weiter caudalwärts bilden die Theile der zweiten Portion die oberflächlichen Lagen, während die inneren Theile des Muskels hier von der dritten Portion geliefert werden. Der in der beschriebenen Weise sich aufbauende Dorso-pha- ryngeus zieht als ein breites Band, das sich vor dem Hyo-pharyngeus durch die Zartheit seines Fasergefüges schon makroskopisch aus- zeichnet, ventral- und schließlich, den Pharynx umgreifend, median- wärts gegen den Anfangstheil der Luftwege (Fig. 5). Ein vorderster schmaler Saum ist dabei dem hintersten Theil des Hyo-pharyngeus (M.h-ph.) noch aufgelagert. Präparirt man die Pharynxmuskulatur von der Mundhöhle aus unter Wegnahme der Schleimhaut frei, so kann man leicht, bei dem innigen Aneinanderliegen von Hyo-pharyngeus und Dorso - pharyn- geus, beide Muskeln für ein einheitliches Gebilde halten, bis eine 24 Ernst Göppert genauere Untersuchung die Verhältnisse derartig erscheinen lässt, wie sie oben dargestellt wurden. Auch die Insertion des Dorso-pharyngeus bietet erwähnenswerthe Besonderheiten: Der an der Nackenfascie entspringende Theil des Muskels befestigt sich am Seitenrand des Arytänoids (Fig. 5). So weit ich feststellen konnte wird damit diese ganze Portion erschöpft. Die ganzen übrigen Theile des Dorso-pharyngeus (Portion 2 und 3) treffen mit denen der anderen Seite, dorsal von dem Luftweg, also zwischen diesem und dem Pharynx, in der Mittellinie zusammen. Hier besteht eine median gelegene Raphe (Fig. 5), die nur im hin- tersten, gleichzeitig dünnsten Theil des Muskels nicht mehr bemerk- bar ist. Sie setzt sich nach vorn in die mediane Raphe fort, die die beiden zum Schließapparat des Larynx gehörigen und am Ary- tänoid jederseits entspringenden Musculi laryngei dorsales (M.lar.dors:) von einander scheidet. Letztere Muskeln erscheinen damit wie die vordersten zwischen den Arytänoiden ausgespannten Theile des Dorso- pharyngeus. Gemäß den eben geschilderten Insertionsverhältnissen besteht also innerhalb des Dorso-pharyngeus eine nicht unwesentliche Ver- schiedenheit zwischen dem von der Nackenfascie entspringenden Ab- schnitt und den übrigen Theilen des Muskels: Ersterer ist nicht nur Constrietor pharyngis, sondern auch Dilatator laryngis, letztere da- gegen (Portion 2 und 3) sind ausschließlich Zusammenschnürer des Pharynx und in hohem Maße dieser Leistung angepasst. Wir haben ja hier einen breiten den Pharynx umziehenden Muskelring kennen gelernt. Wir wenden uns nunmehr zur Untersuchung des Dorso-pharyn- geus von Proteus anguineus (Fig. 6 Taf. I). Der Muskel (M.d-ph.) tritt uns hier als ein etwa 2 mm breites Band entgegen (bei einem 20 cm langen Thier). Er entspringt mit seiner hinteren Hälfte (c) von der Nackenfascie und ist hier un- mittelbar an den Levator IV angeschlossen. Der vordere Theil des Muskels (4) entspringt weiter ventral und zwar von der Inscriptio tendinea (J) zwischen Levator IV (M.lev. IV) und dem caudalen Theil des Hyo-pharyngeus (M.Ah-ph.), die wir oben kennen lernten. Er liegt dabei der Innenseite des letzteren Muskels auf. Beide Theile des Dorso-pharyngeus schließen unmittelbar an einander, das aus ihnen sich zusammensetzende Muskelband zieht ventral und etwas nach vorn um die Pharynxwand herum und in- serirt an der lateralen Seite der Cartilago lateralis (vgl. Fig. III und IV pag. 41). Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 25 Bekanntlich stellt dieser Knorpel im Verein mit dem ander- seitigen das gesammte Laryngotrachealskelet von Proteus vor. Man unterscheidet an ihm aber bereits eine vordere in Beziehung zum Constrictor laryngis stehende Pars arytaenoidea von dem hinteren als Pars crico-trachealis zu bezeichnenden Abschnitt. Die Insertion des Dorso-pharyngeus findet nun gleichmäßig an beiden Abschnitten des Seitenknorpels statt, lässt jedoch das vordere und das caudale Ende desselben frei. j Wie schon gesagt, liegt der Dorso-pharyngeus dem hintersten Theil des Hyo-pharyngeus nach innen zu auf. Letzterer überragt noch etwas den Hinterrand des Dorso-pharyngeus (Fig. 6). Beide Muskeln sind aber leicht von einander abzuheben. Präparirt man von außen her, so ist es nicht schwer, nach Entfernung des hinteren Theils des Hyo-pharyngeus den Dorso-pharyngeus in seinem ganzen Verlauf bis zu seiner Insertion zur Ansicht zu bringen. Wieder besteht eine Differenz in der Faserung beider Muskeln. Der Dorso-pharyngeus besteht aus dünneren Muskelfasern als der Hyo-pharyngeus. Dieser Unterschied tritt schon bei makroskopischer Untersuchung deutlich hervor. Bei Fiscuer (pag. 91) treffen wir nun auf die Angabe, dass unser Muskel innerhalb der dorsalen Spitze des dritten Kiemenbogens von einer der Längsrichtung des Körpers folgenden kurzen Inscriptio tendinea unterbrochen wird, und ferner die Behauptung, dass die vorderen Fasern des Dorso-pharyngeus (FiscHER’s Dorso-trachealis) von den letzten des Hyo-pharyngeus (FiscHEer’s Hyo-trachealis) nicht abgesetzt sind, sondern auf dieselben wie die Fasern eines einzigen Muskels folgen. Wie eine genaue Prüfung ergab, schiebt sich aber die Inscriptio tendinea nicht in den Verlauf von Fasern des Dorso- pharyngeus ein, sondern ist zwischen Hyo-pharyngeus und Levator IV eingeschaltet. Dabei dient sie gleichzeitig dem vorderen Theil des Dorso-pharyngeus als Ursprungsstelle. Weiter liegt letzterer Muskel und der Hyo-pharyngeus zwar ganz unmittelbar an einander (Fig. III und IV pag. 41), dennoch sind sie bei vorsichtiger Präparation ohne Schwierigkeit von einander zu sondern. Schließlich ist noch zu betonen, dass hier der gesammte Dorso- pharyngeus den Aditus laryngis als ein Dilatator beeinflussen muss, aber gleichzeitig als Constrietor pharyngis wirkt. Eine besondere Stellung im Verhalten des uns augenblicklich beschäftigenden Muskels nimmt Ichthyophis glutinosa ein. : 26 Ernst Göppert In der Litteratur finde ich bei HENLE (6, pag. 23) die Angabe, dass der Dilatator des Kehlkopfes vom »vierten Horn des Zungen- beins« seinen Ursprung nimmt. Die bereits oben (pag. 14) charakterisirte Ichthyophislarve zeigte nun folgende Verhältnisse: Dicht oberhalb der Verbindung des vierten Kiemenbogens mit dem dritten entspringt von ersterem ein ziemlich starker Muskel, der dorsal vom Hyo-pharyngeus in leicht gebogenem Verlauf nach vorn und medianwärts zieht, um an einem lateralen Vorsprung des Arytänoids Befestigung zu nehmen. Die Ursprungs- stelle des Dilatators, denn als solchen müssen wir den beschriebenen Muskel auffassen, liegt etwas mehr dorsal als seine Insertion. Der Muskel muss daher einen der Form der ventralen Pharynxwand ent- sprechend gebogenen Verlauf nehmen, um seine Insertion zu er- reichen, d.h. also er wird bei seiner Aktion nicht nur einfach den Aditus laryngis öffnen, sondern er wird gleichzeitig, allerdings nur in geringem Maße, den Larynx und damit den ihm dorsal anliegen- den Theil der Pharynxwand heben und demnach auch im Sinne eines Constrietor pharyngis wirken (vgl. auch Fig. IX pag. 52 Dil.). Der Ursprung des Dilatators am Branchiale IV liegt unmittelbar be- nachbart dem Ursprung des Hyo-pharyngeus, aber etwas dorsal von ihm. Im unmittelbaren Anschluss an den eben geschilderten Muskel (vgl. Fig. I pag. 15) entspringt von dem ganzen oberen Theil des Branchiale IV (Br.JV) eine breite Muskelplatte, die, die ventrale Pharynxwand umgreifend, wieder dorsal vom Hyo-pharyngeus gelagert medianwärts zieht. Sie trifft mit dem gleichen Theil der anderen Seite in der Medianebene zwischen dem Luftweg und der Pharynx- wand zusammen. Zwischen dem Vorderrand dieses Muskels, den wir als Hyo- pharyngeus internus (M.h-ph.int.) bezeichnen wollen, und dem Dila- tator findet sich in der Nähe des Kehlkopfes eine Lücke, während beide am Ursprung unmittelbar zusammenstoßen. Der Ursprung des Hyo-pharyngeus internus beschränkt sich aber nicht auf den vierten Kiemenbogen, sondern erstreckt sich von dem hintersten Ende desselben noch weiter caudalwärts. Die Fasern ent- springen hier noch eine Strecke weit von dem Bindegewebe seitlich vom Pharynx, das einen sehnigen Charakter angenommen hat. Den hintersten Theilen dieses Muskelabschnittes gegenüber in- serirt der vorderste Theil eines anderen Muskels, der von der dor- salen Fascie entspringt und mit seinen hinteren Abschnitten weiter Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 27 ventral ziehend an der die vorderen Theile der ventralen Rumpf- muskulatur dorsal deckenden Fascie seine Befestigung nimmt. Ferner ist noch zu erwähnen, dass dicht hinter dem Kiemenbogen- ursprung des Hyo-pharyngeus internus eine ventrale Portion sich von letzterem abzweigt, die nicht zwischen Trachea und Pharynx endet, sondern sich an der lateralen Seite der Trachea befestigt. Bemerkenswerth ist endlich vielleicht, dass der Dilatator la- ryngis von dem Hyo-pharyngeus internus durch geringere Stärke seiner Fasern ausgezeichnet ist. Im Großen und Ganzen stellt der Hyo-pharyngeus internus funktionell eine Verstärkung des eigentlichen Hyo-pharyngeus (M.h-pA.) vor. Er ist ein Verengerer des Pharynxlumens. Denkt man sich nun beide genannte Muskeln in Aktion, so wird dabei nicht nur der Boden des Pharynx gehoben, das Lumen desselben verengert werden, sondern gleichzeitig eine Kompression der Trachea in dorsoventraler Richtung eintreten, die durch die von der seitlichen Wand derselben ansetzenden Internusfasern nur verstärkt werden könnte. Die Knorpel- stücke der Trachea werden wenig daran hindern können, da sie be- kanntlich sich fast ganz auf die Dorsalseite der Luftröhre beschränken (HENLE). Diese Kompression steht augenscheinlich im Dienste der Ein- athmung von Luft; denkt man sieh die Kontraktion beider Muskeln in einer Art von Peristaltik verlaufend, d. h. von vorn nach hinten fortschreitend, so werden aufgenommene Luftblasen nothwendig in der Trachea gegen die Lungen befördert werden. Von großer Bedeutung für unser Thema sind die Verhältnisse, welche sich bei den Anuren ergeben. Es wurde hier nur Rana berücksichtigt (vgl. A. Ecker 1). Wir finden nun am erwachsenen Frosch keinen Muskel, der an den Dorso- pharyngeus der Urodelen erinnern könnte. Die Öffnung des Kehl- kopfeinganges wird bekanntlich von einem Musculus dilatator besorgt, der jederseits mit seinem größten Theile von dem knorpeligen Ende des Processus postero-medialis (thyreoideus) (vgl. E. GAupe l. ce.) des Zungenbeins entspringt. Bekanntlich liegt der Kehlkopf des Frosches wie zwischen den Zinken einer Gabel zwischen den genannten Zun- genbeinfortsätzen. Eine zweite und gleichzeitig vordere Portion des Dilatators nimmt ihren Ursprung an einer Stelle des sogenannten Ringknorpels, die der ersten Ursprungsstelle nahe benachbart ist. Der Muskel inserirt 28 Ernst Göppert an dem den Aditus laryngis begrenzenden, stark gebogenen Rand des Arytänoids. Die ganze Anordnung des Muskels ist derart, dass ein Einfluss desselben auf den Pharynx ausgeschlossen, seine Wirkung also auf die Öffnung des Aditus laryngis beschränkt ist. Wir treffen also hier zum ersten Mal auf einen Dilatator, der ein reiner Kehlkopf-, nicht gleichzeitig ein Pharynxmuskel ist. Die Beziehungen dieses Dilatators zum Dorso-pharyngeus werden klargelegt durch eine Untersuchung der Ontogenese. Wir gehen aus von einem bei 10 mm langen Larven bestehenden Zustand, den Fig. 7 auf Taf. II wiedergiebt. In diesem Stadium finden sich noch äußere Kiemen, die Kiemenbogen bestehen aus dichtgedringten Zell- massen, ohne hyaline Zwischensubstanz. Der Muskel, der nach seiner Insertion unzweifelhaft den Dila- tator laryngis vorstellt (Dxil.), besitzt hier ganz andere Beziehungen als wir sie beim erwachsenen Thier kennen lernten. Er entspringt nicht von einem Theil des Zungenbeinapparates, sondern von dem Gewebe, das den Raum seitlich vom Pharynx (?%.) einnimmt. Von hier zieht der Muskel in leichtem Bogen ventralwärts, um dann, an der Ventralseite des Pharynx angelangt, nach vorn und medianwärts auf seine Insertion zuzustreben. Der Muskel endet an einer Zellen- masse, die einer scharfen Abgrenzung gegen ihre Umgebung entbehrt, aber unzweifelhaft die Anlage des Kehlkopfskelettes darstellt. Vergleichen wir diesen Zustand mit dem z. B. bei Salamandra, Triton oder Siredon am Dorso-laryngeus dauernd bestehenden, so erkennen wir nur den Unterschied, dass der Ursprung des Dilatators bei der Ranalarve etwas ventral verlagert ist. Sonst sehen wir, dass auch hier der Muskel die Pharynxwand von oben her kommend um- zieht, also in diesem Stadium noch als Constrietor des Pharynx zu wirken im Stande ist. Unzweifelhaft hat H. H. WıLver diesen Zustand gekannt. Er sagt wenigstens in seiner bereits mehrfach eitirten Arbeit (18 pag. 578), dass die Homologie vom Dorso-laryngeus der Urodelen mit dem Di- latator laryngis der Anuren sicher bewiesen würde: not merely by the comparison of adult forms, but also by the investigation of frog tadpoles where the relation of parts is almost identical with that of Triton. Der eben geschilderte Befund ändert sich bei der weiteren Ent- wicklung der Larve. Untersuchen wir ältere Kaulquappen, z. B. in einem Stadium, in welchem bereits die Hinterbeine wohl entwickelt Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 29 sind, so finden wir den Ursprung des Dilatators ein Stiick tiefer als in dem oben geschilderten Fall. Der Muskel befestigt sich im Binde- gewebe in der nächsten Nachbarschaft des Pharynx, aber nunmehr in der Höhe der ventralen Wand des einen stark abgeplatteten breiten Raum darstellenden Pharynx. Der Muskel zieht von hier aus annähernd horizontal nach vorn und medianwärts zu seiner Insertion an dem nunmehr wohl entwickel- ten Arytänoid. Der Dilatator laryngis hat damit seine Wirkung auf den Pha- rynx selbst verloren und kann nur noch den Kehlkopfeingang be- einflussen. Schließlich untersuchen wir einen jungen Frosch am Ende der Metamorphose mit kurzem Schwanzstummel. In der bekannten Weise ist die Rückbildung des Kiemenapparates eingetreten. Als neue Theile haben sich von der Branchialplatte aus die Processus postero- mediales (thyreoidei) entwickelt (vgl. E. GAupp) und stellen schon ansehnliche Fortsätze vor. Der Ursprung des Dilatators ist jetzt auf das Ende derselben übergegangen. Vergleichen wir die Ursprungsstelle in diesem Stadium mit der in den vorher beschriebenen Zuständen, so erkennen wir, dass die- selbe sich allmählich medianwärts verschoben hat. Sahen wir sie noch im zweiten Fall am lateralen Rand des Pharynx gelegen, so finden wir sie hier etwa um ein Sechstel der Pharynxbreite von die- sem medianwärts verlagert. Man kann also wohl von einer relativen Verkürzung des Dilatators sprechen. Ferner sehen wir, dass der Dilatator auf seinem Wege zum Arytänoidrand unmittelbar an dem sogenannten Cricoid vorbeizieht, und beobachten, dass bereits ein ziemlich beträchtlicher Theil von Muskelfasern am Cricoid Ursprung genommen hat. Bei Larven vor der Metamorphose — es wurde ein Exemplar mit vier Beinen und langem Schwanz daraufhin untersucht — fehlte dieser Crieoidursprung noch gänzlich. Wenn wir den eben geschilderten Entwicklungsprocess noch einmal überblicken, so sehen wir, wie bei Rana ursprünglich ein Muskel besteht, der noch als Dorso-laryngeus bezeichnet werden kann und, wie der gleichbenannte Muskel der Urodelen, außer auf den Larynxeingang, auch auf das Pharynxlumen einzuwirken im Stande ist. Wir beobachten weiter, wie die letztere Funktion unter allmählicher Verlagerung des Ursprungs aufgegeben wird, die Wirkung auf den Kehlkopfeingang allein übrig bleibt; schließ- 30 Ernst Göppert lich sehen wir, dass die Leistung des Muskels gesichert und erhöht wird durch die Erwerbung einer festen Ursprungsstelle am Processus postero-medialis des Zungenbeins und durch den Übergang von Muskelursprüngen auf ein Skeletstück des Kehlkopfes selbst, auf das Cricoid. Es ist klar, dass durch diesen Process der Organismus in Be- sitz eines höheren Zustandes gelangt: Ein ausschließlich im Dienst des Kehlkopfes stehender Muskel wird für letzteren zu höherer Leistung im Stande sein, als ein Muskel, der gleichzeitig anderen Funktionen vorsteht. Es bleibt jetzt noch übrig, nach dem Ersatz für den Verlust eines Constrietor pharyngis, den wir schrittweise verfolgen konnten, zu suchen. Unzweifelhaft tritt hier zunächst der Levator IV ein. Wir sahen oben (pag. 16), dass derselbe bei Ranalarven eine auf- fallend mächtige Entwicklung, erkennbar an seinem Ursprung wie an seiner Insertion, aufweist. Unzweifelhaft besitzt er die Bedeu- tung eines Constrietor pharyngis, indem er bei seiner Aktion am vierten Bogen gleichzeitig mit letzterem den Boden der Mundhöhle heben wird. Wir haben in diesem Abschnitt unserer Arbeit gesehen, dass sich der Dilatator des Kehlkopfeinganges durch große Verschieden- heiten in seinem Verhalten bei den verschiedenen Formen aus- zeichnet. Der als Dilatator laryngis fungirende Muskel zeigte sich bei den Salamandrinen nach der Metamorphose (Salamandra, Triton), und bei Siredon als ein typischer Dorso-laryngeus, der in einer Flucht mit dem Levator arcus IV von der Nackenfascie entspringt und den Pharynx umziehend am Arytänoid Befestigung nimmt. Ein solcher Muskel muss bei seiner Kontraktion auch den Pharynx zusammenschnüren, stellt also gleichzeitig einen Constrietor pharyn- « gis vor. Es ist übrigens, wie ich gleich hier betonen möchte, selbstver- ständlich, dass die Wirkung des Muskels auf den Kehlkopfeingang von der gleichzeitigen Aktion des Constrictor laryngis beeinflusst wird. Anderenfalls würde ein seitlicher Zug an beiden Arytänoiden natur- gemäß schließlich eine Abplattung des Kehlkopfeinganges und damit einen Verschluss desselben bewirken. Es ergab sich nun, dass bei den Larven der Salamandrinen der Dorso-laryngeus nur den vordersten Theil eines stärkeren Muskels Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 31 bildet, des Dorso-pharyngeus, der in seinen hinteren Theilen ganz (Triton, Pleurodeles) oder doch der Hauptsache nach (Salamandra) ein Pharynxverengerer ist. Einen Dorso-pharyngeus treffen wir auch bei Proteus und Menobranchus. Bei Menobranchus zunächst besitzt der Muskel komplieirtere Ur- sprungsverhältnisse. Nur zum Theil kommt er von der Nackenfascie, ein anderer Theil des Muskels entspringt weiter ventral von dem Gewebe seitlich von der lateralen Pharynxwand; schließlich kommen andere Theile von der Dorsalseite des Pharynx, wo sie mit denen der anderen Seite eine Durchflechtung bilden. Der aus diesen Theilen sich zusammensetzende breite Muskel umfasst den Pharynx und be- festigt sich mit einem Theil seiner vordersten Fasern am Arytänoid (Dorso-laryngeus), während die Hauptmasse des Muskels zwischen Trachea und ventraler Pharynxwand zu einer Raphe zusammentritt. Im hinteren Theil des Muskels besteht nach Allem ein geschlossener, den Pharynx umgreifender Ring. Bis zu einem gewissen Grade schließt sich Proteus unmittel- bar an Menobranchus an, während er augenscheinlich in anderer Beziehung primitivere Verhältnisse aufweist. Wenn hier auch ein Theil des Muskels noch von der Nackenfascie entspringt, so ist der vordere Theil einerseits ventral, andererseits nach vorn gewandert und entspringt nunmehr von der Inseriptio tendinea zwischen Levator IV und Hyo-pharyngeus. Es fehlt aber hier noch jede Sonderung eines Dorso-laryngeus. Der an der Pars arytaenoidea der Cartilago late- ralis inserirende Theil des Dorso-pharyngeus hängt ganz kontinuir- lich zusammen mit dem hinteren, am Anfang der Pars crico-trachealis befestigten Abschnitt des Muskels. Wichtig erscheint ferner der Befund an der untersuchten Larve von Ichthyophis glutinosa. Wir haben hier zum ersten Mal eine schärfere Sonderung des Dilatator laryngis. Derselbe entspringt hier vom Branchiale IV. Seiner Lage nach ist seine Wirkung auf die Pharynxwand nur ganz unbedeutend. Der Muskel ist ganz über- wiegend Erweiterer des Kehlkopfeinganges. Unmittelbar im Anschluss an ihn entspringt von dem ganzen oberen Theil des vierten Kiemen- bogens, so wie mit seinem hintersten Theil noch von dem Gewebe seitlich von dem Pharynx, ein mit dem Dilatator zusammengehöriger Muskel, den wir entsprechend seiner Lage als Hyo-pharyngeus in- ternus bezeichneten. Dieser Muskel vereinigt sich zwischen Dorsal- seite der Trachea und ventraler Pharynxwand mit dem anderseitigen 32 Ernst Göppert in der Mittellinie, während eine kleine Portion zur seitlichen Luft- röhrenwand geht. Besonders interessante Verhältnisse wiesen schließlich die Anu- ren, speciell Rana auf. Wir konnten hier in der Ontogenese ver- folgen, wie anfänglich der Dilatator laryngis, noch etwas dorsal vom Pharynx entspringend, das Lumen desselben noch zu beeinflussen im Stande ist, wie der Ursprung des Muskels sich aber allmählich auf die Ventralseite des Pharynx verlagert und damit erst der Muskel ein reiner Dilatator laryngis wird. Wir sahen schließlich, dass während der Metamorphose der Muskelursprung auf das Ende des Processus postero-medialis des Zungenbeins und sogar noch auf einen Bestandtheil des Kehlkopfskelettes selbst, nämlich auf das Crieoid, übergeht. Wie stellen sich nun die geschilderten Befunde zu einander? Wenn wir sehen, wie verschieden sich der Dilatator des Kehl- kopfes in den verschiedenen Stadien der Ontogenese von Rana ver- hält, so werden wir nicht daran zweifeln, dass der Dilatator laryngis und der mit ihm zusammengehörige Dorso-pharyngeus resp. der Hyo- pharyngeus internus (Ichthyophis) bei den verschiedenen Formen homologe Bildungen sind. Man wird die extremen Zustände, wie sie Ichthyophis einerseits, Siredon so wie die Salamandrinen andererseits darbieten, auf einander beziehen können. Zwischenzustände stellen dann Proteus und Menobranchus vor, bei denen der Muskel nur mit einem Theil von der Nackenfascie, mit einem anderen aber mehr ventral, in der Höhe des Dorsalendes des letzten Kiemenbogens, bei Proteus sogar unter einer Verschiebung nach vorn entspringt. Es fragt sich nur, wie ist die Aufeinanderfolge der verschiedenen Zustände zu beurtheilen, mit anderen Worten, ist das Verhalten bei Ichthyophis oder das bei Siredon und der Salamandrinenlarve reprä- sentirte als das ursprüngliche zu betrachten? Berücksichtigt man die Lage des Dilatators und des Hyo-pha- ryngeus internus von Ichthyophis zum eigentlichen Hyo-pharyngeus, andererseits das Verhalten des Dorso-pharyngeus bei Siredon ete. zu den Levatores arcuum branchialium, so stellt sich die Frage so: Gehört der Dilatator laryngis genetisch zum Hyo-pharyngeus, und hat er erst sekundär seinen Ursprung bei einzelnen Formen dorsal verlagert, oder ist er homodynam den Levatores arcuum, d.h. ein ursprünglicher Levator eines fünften Kiemenbogens, und hat er in bestimmten Fällen seinen Ursprung ventral und nach vorn ver- schoben? Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 33 Betrachten wir zunächst die Formen, deren Dilatator nicht oder nicht ausschließlich von der Nackenfascie entspringt, so können die- selben in Bezug auf ihren Kiemenapparat nicht als primitiv gelten. Bei Menobranchus und Proteus hat sich, wie wir oben sahen, der letzte (vierte) Kiemenbogen zurückgebildet; Ichthyophis andererseits nimmt nach dem Verhalten seines Visceralskelets eine Sonderstellung ein, die es von den übrigen Amphibien trennt. Es ist also nicht anzunehmen, dass diese Formen in der hier in Betracht kommenden Gegend ursprünglichere Zustände aufweisen werden, als die Formen mit typisch entwickeltem Kiemenskelet (Siredon, Larven der Sala- mandrinen). — Nun ist von J. G. Fischer wiederholt behauptet worden, dass Dorso-pharyngeus und Hyo-pharyngeus sich nur wie Theile eines einzigen Muskels darstellen. Es hat sich aber durch unsere Unter- suchung herausgestellt, dass beide immer gut von einander zu son- dern sind. Endlich sprieht auch die Ontogenese nicht für einen ursprüng- lichen Zusammenhang von Dorso-pharyngeus resp. Dilatator laryngis und Hyo-pharyngeus, wenn wir auch auf negative Zeugnisse der Entwieklungsgeschichte nur geringen Werth legen können. Vergleichen wir andererseits den Dorso-pharyngeus in seiner typischen Ausbildung mit den Levatores arcuum, so ist die Überein- stimmung beider eine überraschende. Der Dorso-pharyngeus ent- springt in einer Flucht mit den Levatores von der Nackenfascie und ist ihnen nach hinten zu unmittelbar angeschlossen. Er unterscheidet sich nun aber von den Levatores durch die ventrale Lage seiner Insertion. Das oben geschilderte Verhalten des Levator IV bei Larven von Rana esculenta beweist jedoch, dass darin keine wesentliche Differenz zu erkennen ist. Auch. hier umfasste ja der Levator, constrietorartig, die Pharynxwand, um mit seinen vordersten Fasern erst in der Nähe des ventralen Endes des Arcus branchialis IV an letzterem Befestigung zu nehmen (pag. 15). Von Wichtigkeit ist naturgemäß die Innervation des Muskels, die von FiscHeR untersucht worden ist (pag. 140ff.). Bei Siredon zunächst wird nach FıscHEr der Dorso-pharyngeus eben so wie der Cucullaris von einem direkt aus dem Vagusganglion stammenden Nerven (Ramus accessorius) versorgt. Die ventralen Theile des Mus- kels erhalten noch Faseın aus dem den Hyotrachealis: innervirenden Ramus recurrens vagi. Auch bei Menobranchus wird der Dorso- Morpholog. Jahrbuch. 22. 3 34 Ernst Göppert pharyngeus nur in seinen ventralen Partien vom Ramus recurrens mit Nerven versorgt, während den Nerven für den dorsalen Theil des Muskels ein besonderer Ast des fünften, aus dem Vagusganglion hervorgehenden Stammes darstellt, welch letzterer erst in seinem weiteren Verlauf nach Abgabe von Ästen zum Omo-pharyngeus und Cucullaris den Recurrens entsendet. Im Wesentlichen gleiche Ver- hältnisse wie bei Menobranchus treffen wir nach FiscHEr bei Siren und Menopoma. Von diesen Innervationsverhältnissen ist von Bedeutung, dass der Dorso-pharyngeus stets einen Nerv erhält, der einen selbständigen Ast des Vagus darstellt und nur in seinen ventralen Theilen von dem auch den Hyo-pharyngeus innervirenden Zweig Fasern empfängt. Der Dorso-pharyngeus verhält sich im ersteren Punkte ähnlich wie der Musculus eueullaris und omopharyngeus. Die Innervationsver- hältnisse lassen also den Dorso-pharyngeus nicht einfach als ein Derivat des Hyo-pharyngeus beurtheilen, sondern lassen ihn in einer gewissen Selbständigkeit letzterem gegenüber erscheinen. Nach Allem kommen wir zu der Überzeugung, dass der Dorso-pharyngeus nicht ein Abkömmling des Hyo-pharyn- geus, sondern den Levatores arcuum visceralium homo- dynam ist, ursprünglich also einen Levator V vorstellte. Wir ordnen demgemäß nunmehr die oben geschilderten Befunde so an einander, dass der Zustand bei Siredon und den Salamandrinen- larven den Anfang, das Verhalten bei Ichthyophis das Ende der Reihe darstellt. Als ursprünglichen Zustand nehmen wir das Be- stehen eines typischen Dorso-pharyngeus an. In einem späteren phylogenetischen Entwicklungszustand erlangte dieser Muskel neue Ursprungsbeziehungen, indem der innere Theil seiner Fasern weiter ventral, seitlich von der Pharynxwand Befestigung gewann. Schließ- lich beobachten wir eine Vorwärtswanderung des Muskelursprungs. Noch unbedeutend bei Proteus, finden wir sie erheblich ausgebildet bei der Ichthyophislarve, bei welcher der größte Theil des ur- sprünglichen Dorso-pharyngeus mit seinem Ursprung auf das Bran- chiale IV übergegangen ist (Dilatator und Hyo-pharyngeus internus), also voraussichtlich beim ausgebildeten Thier von dem Theil des Zungenbeinapparates entspringt, der aus der Verschmelzung des dritten und vierten Kiemenbogens hervorgegangen ist. Diese Auffassung wird gestützt durch die ontogenetischen Be- funde bei Rana. Wir verfolgen hier die allmähliche Verlagerung des Dilatatorursprungs und sehen wie der Muskel von einem mehr dor- Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 35 salen Ursprung zur Befestigung am Zungenbein und schließlich noch am Cricoid gelangt. Wenn die Ursprungsverhältnisse des Dorso-pharyngeus resp. des Dilatator laryngis sich verschieden zeigten, so gilt das Gleiche auch von der Insertionsweise. Als das ursprünglichste Verhalten muss die Befestigungsweise bei Proteus gelten, bei welchem der Dorso-pharyngeus ausschließlich an der Cartilago lateralis inserirt. Bei Menobranchus und Ichthyophis verlassen nun die hinteren Fasern des Dorso-pharyngeus (resp. des Hyo-pharyngeus internus) die Knorpel des Luftweges, um dorsal vom letzteren, ventral vom Pharynx mit den entsprechenden Theilen der anderen Seite zusammenzutreffen. Der vorderste Theil des Muskels behält dabei seine Insertion am Arytänoid. Anders steht es bei den Larven der Salamandrinen. Auch hier hat zwar der caudale Abschnitt des Dorso-pharyngeus seine Verbindung mit dem Arytänoid ganz oder fast ganz (Salamandra) aufgegeben, er ist aber hier mit dem Laryngeus ventralis, auch mit dem Laryngeus dorsalis in einer Inscription zusammengetreten!. Er verfällt bei der Metamorphose der Rückbildung. Nur der vorderste Abschnitt des Dorso-pharyngeus, der Dorso-laryngeus, bleibt erhalten. Letzteren allein treffen wir ferner bei Siredon. Ihm entspricht auch der Dilatator der Anuren. Wir haben hierin einen sekundären Zustand zu erblicken, der sich von dem Ausgangszustand bei Proteus durch eine Rückbildung der hintersten Partien des ursprünglichen Dorso-pha- ryngeus ableitet. Wir sehen demgemäß im Dorso-pharyngeus, dem alten Levator V, eine Differenzirung eintreten. Im primitiven Zustand wirkt der gesammte Dorso-pharyngeus gleich- zeitig als Kehlkopföffner und PharynxschlieBer (Proteus). Diese doppelte Beziehung wird von dem hinteren Theil des Muskels zu Gunsten einer ausschließlichen Wirkung als Constrietor pharyngis aufgegeben (Menobranchus, Ichthyo- phis, Larve von Triton und Pleurodeles). Ein umgekehrtes Verhalten zeigt der vorderste, als Dorso-laryngeus unterschiedene: Abschnitt des Dorso-pha- ryngeus, der Dilatator des Kehlkopfes?. Öffnung des 1 Wir können erst weiter unten bei der Besprechung der Mm. laryngei den Beweis führen, dass der Zusammentritt dieser Muskeln mit dem Dorso- pharyngeus und damit die Loslösung von Theilen des letzteren vom Arytänoid wirklich einen sekundären Zustand darstellt. 2 Von Eve. Dusors wird irrthümlicherweise behauptet, dass der Dilatator 3* 36 Ernst Göppert Kehlkopfeinganges und Verengerung des Pharynx vereinigt er noch in ursprünglicher Weise bei simmtlichen Urodelen. Bereits innerhalb der Amphibienklasse geht aber die letz- tere Funktion allmählich verloren. Sie ist schon sehr ein- geschränkt bei Ichthyophis und endlich ganz geschwunden bei den Anuren. Hier treffen wir also zum ersten Mal in der Vertebratenreihe einen reinen Dilatator laryngis an, der selbstverständlich bei der Beschränkung seiner Wir- kung auf den Kehlkopf zu höherer Leistung für letzteren befähigt ist, als es im früheren Zustand des Muskels der Fall wart. Wenn wir sahen, dass Öffnung des Larynx und Schluss des hintersten Abschnittes der Kopfdarmhöhle von einem Muskel besorgt wird, so liegt die Frage nahe, ob die letztere Leistung nicht auch im Dienst des Inspirationsvorgangs steht. Zum Verständnis dieser Verhältnisse müssen wir einen kurzen Blick auf den Athemmecha- nismus der Amphibien werfen, der namentlich von J. G. FISCHER eine ausführliche Darstellung erfahren hat. | Während die höheren Vertebraten (viele Reptilien, Vögel, Säuger) den Luftdruck zur Füllung der Lungen verwenden, indem sie die Leibeshöhle durch Hebung der Rippen resp. Senkung des Zwerchfells erweitern, pressen die Amphibien die Luft aus der Mundhöhle in die Lungen; sie schlucken die Luft hinunter. Eine Reihe von Muskeln bewirken zunächst eine starke Er- weiterung des Lumens der Mundhöhle und Kopfdarmhöhle, wodurch laryngis bei Coecilia, Proteus, Menobranchus, Siredon einen noch nicht abge- trennten Theil der Hyo-trachealis repräsentirt, während richtig angegeben wird, dass bei Siren, Amphiuma, Menopoma, Cryptobranchus, Salamandra der vom Dorso-trachealis (= dorso-pharyngeus) gesonderte Dorso-laryngeus als Dilatator fungirt. 1 Nach WIEDERSHEIM (Lehrbuch d. vergl. Anat. '2. Aufl.) leitet sich der Dilatator des Kehlkopfs von einem unserem Hyo-pharyngeus entsprechenden Muskel her. Die Angabe bedarf nach meiner Auffassung der Korrektur in dem oben gegebenen Sinne. Immerhin hat aber W. ausgesprochen, dass der Dilatator aus einem »zum Deglutitionsgeschäft in wichtiger Beziehung stehen- den« Muskel hervorgegangen ist und selbst im primitivsten Zu- stand gleichzeitig als Constrietor pharyngis funktionirte. Die obigen Ausführungen zeigen, wie die Herausbildung eines Dilatator laryngis aus einem »Schluckmuskel« zu denken ist und welchen Weg dieser als Funktionswechsel zu bezeichnende Entwicklungsvorgang zunächst bei den Am- phibien eingeschlagen hat. Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 37 Luft in dieselbe aspirirt wird. Es kommen hier nach FiscHeEr haupt- sächlich die Cerato-hyoidei und dann die Sterno-hyoidei resp. Sterno- pharyngei in Betracht. Die in der Mundhöhle angesammelte Luft- menge wird nun durch Verkleinerung des Binnenraumes der Mund- höhle in die Lungen gepresst. Alle im Dienst einer derartigen Be- wegung stehenden Muskeln kommen hierbei in Aktion, besonders die Mm. mylohyoidei, ferner die Hyo-pbaryngei. Die vorderen Levatores arcuum werden mitwirken, auch die Constrietores arcuum eine Rolle spielen. FiscHEr nimmt dabei eine Art von nach hinten gerichteter. Peristaltik in der Thätigkeit dieser Muskeln an. Damit die unter Druck gesetzte Luft den Weg in die Lungen nimmt, ist es natürlich nothwendig, dass einerseits der Kehlkopfeingang geöffnet, andererseits jeder andere Weg verschlossen wird. Die Constrietores arcuum, auch der Mylohyoideus posterior, verschließen die Kiemenspalten, bestimmte Vorkehrungen verschließen die inneren Nasenöffnungen. Schließlich ist der Abschluss des hinter dem Kehlkopfeingang gelegenen Theils des Pharynx erforderlich, um ein Einpumpen der Luft in den Magen zu hindern. Dieser Leistung im Dienste der Athmung steht nun, ohne Frage der Dorso-pharyngeus neben seiner Wirkung auf den Aditus laryngis und neben seiner wesentlichen Bedeutung für das Verschlucken von Nahrungsbestandtheilen vor!. Wenn wir sehen, dass Öffnung des Aditus laryngis und gleich- zeitige Zuschnürung des Pharynx hinter dem Kehlkopf die Vorbe- dingung für die Aufnahme von Luft in die Luftwege vorstellt, so ist die Übernahme beider Leistungen durch einen Muskel verständlich. Die Beziehung des Muskels zum Respirationsakt datirt aber noch aus der Zeit der Kiemenathmung und kommt bei gleichzeitigem Be- stehen der letzteren neben der Lungenathmung auch ihr zu Gute; die Kontraktion des Dorso-pharyngeus verhindert ein Einpressen des dem Athmungsvorgang dienenden Wassers in den Magen. Nach dem Vorhergehenden erkannten wir aus den verschiedenen Zuständen des Dilatator laryngis gewissermaßen eine Entwicklungs- richtung, die allmählich den Ursprung des Muskels auf Theile des Visceralskelets und schließlich auf Knorpel des Kehlkopfes selbst überführte und den Dilatator laryngis aus einem Pharynxmuskel zu einem reinen Kehlkopfmuskel werden ließ. Hier schließt sich nun das Verhalten des Dilatators an, wie es 1 Dieses Verhalten wird von FISCHER nicht berücksichtigt. 38 Ernst Göppert die Sauropsiden aufweisen. Wir haben hier allerdings bei den meisten Formen den Kehlkopferweiterer in seinem Ursprung auf den Ringknorpel beschränkt. Dennoch finden sich bei manchen Formen Zustände, die auf ein früheres anderes Verhalten hinweisen. Bei Alligator nimmt ein nicht unbeträchtlicher Theil des Muskels von der starken Zungenbeinplatte seinen Ursprung. Auch bei den Schlangen entspringt ein gemäß seiner Innervation (DuBo1s) hierhergehöriger Muskel, der »Herabzieher des Kehlkopfs« HEnLe’s, von der dünnen, das Zungenbein repräsentirenden Knorpelspange. Selbst bei den Säugern scheint noch eine Andeutung ursprüng- licheren Verhaltens des Dilatators nachweisbar zu sein. Als solche kann die Dilatatorportion gelten, die nicht vom Crieoid, sondern, ge- legentlich auch beim Menschen, als ein ziemlich starkes Bündel vom unteren Horn des Thyreoids entspringt. Wir finden nämlich nach Dusots einen M.kerato-crico—arytaenoi- deus bei den Aplacentaliern und Cetaceen als Norm. Bei den Pla- centaliern findet eine »Koncentration« des Muskelursprungs auf der Crieoidplatte statt, doch zeigen noch Formen wie Coelogenys, Dasy- procta einen einheitlichen Kerato-crico—arytaenoideus mit schwacher Thyreoidportion, während Myrmecophaga, Hystrix, Troglodytes und Mensch die Thyreoidportion als kerato-arytaenoideus vom Haupttheil des Muskels abgesondert haben (FÜRBRINGER 4). Es scheint demnach, als wenn in der Reihe der Säuger noch eine Verschiebung des Dilatatorursprungs von dem zweiten Bestandtheil des Thyreoids auf das Cricoid erkennbar wäre. Diese Beurtheilung gewinnt dadurch an Wahrscheinlichkeit, dass gerade die primitivsten Säuger dann den ursprünglicheren Zustand erhalten hätten?. FÜRBRINGER nimmt nun aber die Entstehung des kerato-arytae- noideus aus einem abgespaltenen Bündel des erico-arytaenoideus posti- cus an, das ursprünglich neben dem unteren Horn des Thyreoids vorbei- zog, später an ihm Befestigung gewann und damit in einen kerato- arytaenoideus und einen crico-thyreoideus posticus zerlegt wurde. 1 Ich will damit natürlich nicht behaupten, dass einer der hier bei den Amphibien konstatirten Zustände des Dilatators genau in gleicher Weise auch bei den Vorfahren der Reptilien repräsentirt war. 2 DugBoIs bemerkt hierzu: Der Ursprung des Dilatators von dem hinter- sten Bogen des Visceralskelets, der bei den aplacentalen Säugern und den Cetaceen noch als konstante Bildung bewahrt geblieben ist (kerato-arytaenoideus), stellt also eine sehr verbreitete Erscheinung bei den niederen Wirbelthieren und besonders bei den Amphibien dar. Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 39 Da jedoch den FÜRBRINGER’schen Ausführungen Monotremen und Marsupialier nicht zu Grunde lagen, so glaube ich mich der von Dusois vertretenen Ansicht anschließen zu müssen, meine jedoch, dass eine erneute Prüfung der Frage bei der Knappheit der Dusors- schen Mittheilungen nothwendig ist. Schließlich möchte ich noch darauf hinweisen, dass der Dorso- pharyngeus von Proteus in der unmittelbarsten Nachbarschaft des dritten Kiemenbogens entspringt, einem Theil, der sich bekanntlich in dem hinteren Abschnitte des Thyreoids der Säugethiere wieder- findet. Die Ursachen für die Wanderung des Dilatators werden schwer festzustellen sein. Den ersten Übergang seines Ursprungs auf den hintersten Theil des Kiemenskelets haben wir wohl als Folge der Verschiebungen zu erkennen, die den Kehlkopf in seiner Lage zu den vorderen Kiemenbogen beeinflussen und ihn schließlich dem zweiten und dritten Bogen auflagern. Oben ist bereits auf den Differenzirungsvorgang hingewiesen worden, der den Dorso-pharyngeus bei manchen Urodelen in einen Dilatator laryngis (den Dorso-laryngeus) und einen reinen Constrictor pharyngis zerlegte. Ich möchte noch mit ein paar Worten auf die Bedeutung der hierhergehörigen Befunde bei Menobranchus eingehen. Wir haben dort in den hinteren Abschnitten des Dorso-pharyn- geus eine auffallende Übereinstimmung mit einem Constrietor pha- ryngis, wie er bei den Säugern bekannt ist. Ein Unterschied be- ruht nur darauf, dass es sich bei Menobranchus um einen vollkommen geschlossenen, bei den Mammalien um einen ventral offenen Ring handelt, indem hier die Constrietoren von Skelettheilen entspringen (Hyoid, Thyreoid, Cricoid). Auch für Menobranchus mussten wir jedoch ein ähnliches Verhalten als das primitive ansehen, nämlich die ventrale Festheftung des Dorso-pharyngeus auch in seinen hinte- ren Portionen an der ursprünglichen Cartilago lateralis. Aus dieser geht nun aber bekanntlich unter Anderem auch das Cricoid hervor. Es liegt damit der Gedanke nahe, dass der Constrietor pharyn- gis von Menobranchus dem M. crico-pharyngeus der Säuger homo- log ist, Nun wird der Dorso-pharyngeus der Urodelen vom Vagus in- nervirt. Die Beziehungen des Vagus zur Pharynxmuskulatur der Säuger sind aber, so weit ich sehe, noch nicht gesichert. Damit ist eine bestimmte Entscheidung der Frage vor der Hand nicht zu geben. 40 Ernst Göppert Trotzdem sind die Befunde bei Menobranchus von großem Inter- esse. Sie geben uns die Art und Weise an die Hand, wie wir uns die Entstehung des Constrietor pharyngis der Säuger zu denken haben. Ganz so, wie wir ihn bei Menobranchus von einem Levator eines ursprünglichen fünften Bogens entstehen sahen, werden wir die vorderen Theile des Constrietors, sicher jedenfalls den Thyreo- pharyngeus, den Hyo-pharyngeus, von Levatoren der vorderen Bogen ableiten und dabei dieselben Etappen der Entwicklung annehmen, die wir bei Menobranchus noch erhalten fanden!. Es ist endlich von allgemeiner Bedeutung, dass auch hierin wieder die Amphibien, nicht die Reptilien, im ganzen Verhalten ihrer Muskulatur den Anschluss an die Säuger vermitteln und damit wieder als der Säugerstammform näherstehend sich erweisen als jene. Schließlich möchte ich noch darauf hinweisen, dass mit der Auffassung des Dorso-pharyngeus als eines ursprünglichen Levator V sich der Pharynx auch bei den primitivsten Urodelen als ein ur- sprünglicher Theil der Kjemenhöhle erkennen lässt, der mit der Rück- bildung des früher ausgedehnteren Kiemenapparates zu Stande kam und bei weiterer Reduktion des letzteren von vorn her Zuwachs empfängt. Die Schliessmuskulatur des Kehlkopfs. Nach der Besprechung des Dilatator laryngis wenden wir uns zur Untersuchung der Schließmuskulatur des Kehlkopfs. Wir be- ginnen hier mit Proteus anguineus?. Es ist oben bereits auf die Gestaltung der Cartilago lateralis von Proteus hingewiesen worden. Wie HENLE (6) zeigte, stellt die Pars arytaenoidea derselben ein ziemlich breites, aber plattes Stück , das vorn sich zuspitzt, weiter caudalwärts an seiner breitesten 1 Wie bereits oben erwähnt, leitet WILDER den Sphincter laryngis von der glatten Muskulatur des Darmkanals ab und sagt dann (pag. 579): If the question of striation or non-striation should be felt as an objection by any one, we have an exact parallel in the pharyngeal constrictors of the Mammalia which are clearly conceded to have differentiated from the muscular layer of the upper portion of the oesophagus. Ich brauche mich hier wohl nicht noch einmal auf die Frage nach dem Uber- gang glatter in quergestreifte Muskulatur einzulassen und verweise auf den diesbeziiglichen Abschnitt der Einleitung. 2 DuBois nahm irrthümlicherweise an, dass bei Proteus und Menobranchus ein Constrictor laryngis fehlt. Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 41 Stelle mit einer Durchbohrung versehen ist. Man unterscheidet hier also eine innere und eine äußere Spange. Der Kehlkopfverengerer besteht nun aus vier von einander gesonderten Quadranten, zwei dorsalen und zwei ventralen, die von der Pars arytaenoidea der Cartilago lateralis entspringen (vgl. Fig. 6 Fig. II. Ph. MM. d-ph. IM. lar: dors. p= a4 --= S x I ’ x N r oe N . E f see VL X \ ' Per. Ar M. lar. ventr: Mh "ph. Proteus anguineus. Querschnitt durch den.vorderen Theil des Larynx. Rechte Hälfte. 45/1. Ar. Pars arytaenoidea der Cartilago lateralis. M.lar.dors. und ventr. Musculus laryngeus dorsalis und ventralis, Im Übrigen Bezeichnungen wie in Fig. I, Proteus anguineus. Querschnitt durch die Mitte des Kehlkopfs. 40/1. Die Pars arytaenoidea der Cartilago lateralis (Ar.) zeigt hier jederseits eine Durchbohrung. Sonderung einer medialen Portion des M. laryngeus dorsalis (M.lar.dors.). Bezeichnungen wie in Fig. H, Taf. I und Fig. II u. IV). Die beiden dorsalen, die wir als Musculi laryngei dorsales (M.lar.dors.) bezeichnen wollen, treffen in der dorsalen Mittellinie des Kehlkopfs (Z.) in einer Linea alba zusammen. Sie sind durch die Insertion des Dorso-pharyngeus (M.d-ph.) voll- ständig getrennt von den beiden »ventralen Muskeln, den Mm. la- ryngei ventrales (M.lar.ventr.). Diese liegen der Innenfläche des 42 Ernst Göppert Hyo-pharyngeus (M.h-ph.) auf und hängen gleichfalls median mittels einer Zwischensehne unter einander zusammen. Diese Zwischensehne ist dieselbe, wie die des Hyo-pharyngeus. Der Ursprung der Musculi laryngei beginnt etwa in der Mitte der Pars arytaenoidea (Ar.) der Cartilago lateralis, an der Inser- tionsstelle der vordersten Dorso-pharyngeus-Fasern. Die Mm. la- ryngei dorsales zunächst entspringen von dem lateralen Theil der Dorsalfläche der Pars arytaenoidea. An der vorderen Cirkumferenz der erwähnten Durchbohrung theilt sich der Ursprung (Fig. IV). Eine schmale Reihe von Fasern entspringt von der der Perforation zuge- kehrten Seite der medialen Spange, der laterale Theil von der me- dialen Oberfläche der äußeren Spange; der letztere überwiegt be- trächtlich an Masse. Er zieht gestreckt in der geraden Verlängerung des Faserverlaufs des Dorso -pharyngeus medianwärts, während der mediale Theil in leicht bogenförmigem Verlauf der dorsalen Mittel- linie des Larynx zustrebt. Hinter der Durchbrechung vereinigen sich beide Portionen wieder. Verhältnismäßig schwach sind die Musculi laryngei ventrales (M.lar.ventr.). Sie sind in ihrem Ursprung auf die Nähe des Seiten- randes der Pars arytaenoidea beschränkt und entspringen auch in der Gegend der Perforation nur von der lateralen Spange. Da sie sich hier ähnlich wie die Ursprünge des Laryngeus dorsalis auf die ganze medianwärts gekehrte Oberfläche derselben ausgebreitet haben, so interferiren die Fasern beider Muskeln in der Nähe des Skelet- stücks. Die Laryngei ventrales schließen sich unmittelbar dorsal an die Schicht des Hyo-pharyngeus (M.h.-ph.) an. Überlegen wir uns jetzt die Wirkungsweise der beiden Paare der Mm. laryngei, so kann zunächst kein Zweifel darüber bestehen, dass sie bei ihrer Kontraktion die vorderen Theile der Cartilagines laterales einander nähern und damit das zwischen jenen gelegene Kehlkopflumen verschließen werden. Es sind Schließmuskeln des Kehlkopfs. Wenn auch jedes der beiden Muskelpaare im Stande ist, für sich eine Verengerung des vordersten Abschnittes der Luftwege zu bewirken, so ist doch die Gleichzeitigkeit der Aktion der dorsalen und ventralen Laryngei als Regel anzusehen. Berücksichtigen wir nun die Lagerung der Muskeln, so muss sofort auffallen, dass der Laryngeus dorsalis, wenigstens in seiner größten (lateralen) Portion, die Verlaufsrichtung des Dorso-pharyn- geus fortsetzt, während der Laryngeus ventralis in seinem Faserverlauf Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 43 demjenigen des Hyo-pharyngeus gleichkommt. Beide Muskeln zeigen dabei eine verhältnismäßig große Länge ihrer Fasern. Aus diesen Befunden erhellt, dass die Musculi laryngei bei ihrer Kontraktion die Wirkung des Dorso-pharyngeus und Hyo-pharyngeus direkt zu unter- stützen vermögen und auch bei der Verengerung des Pharynx eine Rolle spielen werden. Diese Beurtheilung der Mm. laryngei ist von großer Wichtigkeit. Ähnlich wie bei dem primitiven Dilatator laryngis finden wir auch beim Constrietor Muskeln, die eine Zwitterstellung, zwischen Kehl- kopf und Pharynxmuskeln, einnehmen, indem sie zwar bei ihrer Aktion den Kehlkopf schließen, aber auch bei der Verengerung des Pharynxlumens mitzuwirken im Stande sind. Es ist endlich von Interesse, dass am Laryngeus dorsalis eine Sonderung eingetreten ist. Das eben über die doppelte Leistung des Muskels Gesagte gilt nur für den lateralen Theil des Muskels. Die mediale Portion wird zweifelsohne ausschließlich im Sinne eines Constrietor laryngis wirken. Die Schließmuskeln von Menobranchus lateralis wurden nur makroskopisch untersucht. Im Großen und Ganzen bestehen hier sehr ähnliche Verhältnisse wie bei Proteus. Auch hier treffen wir die Muskeln in vier Quadranten angeordnet, die dorsal und ventral vom Kehlkopf in einer Linea alba zusammentreffen. Wir bezeichnen die Muskeln wieder als Mm. laryngei dorsales und ventrales. Dorsale und ventrale Muskeln sind seitlich von einander völlig gesondert durch die am Rand der breiten Arytänoide inserirenden Theile des Dorso-pharyngeus (vgl. Fig. 5 Taf. I M.lar.dors. und M.d-ph.). Die Mm. laryngei dorsales sind bedeutend mächtiger ent- faltet als die ventralen. Es ist oben bereits betont worden, dass die dorsalen Muskeln sich nach hinten zu unmittelbar an die Theile des Dorso-pharyngeus anschließen, welehe mit den anderseitigen dorsal von den Luftwegen in einer Linea alba zusammentreffen (Fig. 5 M.d-ph.). Letztere setzt sich auch kontinuirlich in die gleiche Bildung der Mm. laryngei dor- sales fort. Die hinterste Partie dieser Muskeln wird sogar noch von Dorso-pharyngeus-Fasern überlagert. Für beide Theile ist also hier die Linea alba eine kurze Strecke gemeinsam. Das ganze Verhalten scheint auf nähere Beziehungen zwischen den Mm. laryngei dorsales und dem Dorso-pharyngeus hinzuweisen. Für die Verlaufsrichtung der Mm. laryngei dorsales, eben so 44 Ernst Göppert wie für die Lagerung der Mm. laryngei ventrales, gilt auch die für Proteus gegebene Schilderung. Die nahe Nachbarschaft zwischen Laryngeus ventralis und Hyo- pharyngeus bei Proteus wie bei Menobranchus wird den Gedanken an die Möglichkeit einer Ableitung des ersteren vom Hyo-pharyngeus wachrufen. Eine weitere Untersuchung muss auf diese Fragen Licht werfen. An dritter Stelle untersuchen wir einen ausgewachsenen Triton alpestris (vgl. Fig. V u. VI). Wir haben oben bereits gehört, dass bei dieser Form der Fig. V. Dorso-laryngeus ML. MM. aie Pr 4G dors. ig ( M. d-1.) gideantiicls ‘ ' \ ' ‘ 1 einer kurzen End- sehne am Arytänoid (Ar.) befestigt. Die Länge der Endsehne beträgt nicht ganz die Linge des Durch- messers des Arytäno- ids an dieser Stelle. Der Kehlkopf- schließer umfasst als ein dorsal und ventral Sph. in der Medianebene Triton alpestris erwachsen. Querschnitt durch den hinte- R z ren Theil des Kehlkopfs. 30/1. m. Glatte Muskulatur der Pha- durch eine Linea alba rynxwand. Sph. Sphincter. M.d-l. Musculus dorso-laryngeus, h Rin Der Schnitt trifft gerade noch den hintersten Rand des M. hyo- unterbrochener é me pharyngeus (M.h-ph.). Sonst Bezeichnungen wie in Fig, II u. II. den Larynx (Fig. V Sph.). Der Ring liegt schräg zur Längsachse des Luftwegs, indem er dorsal weiter caudal- wärts liegt als ventral. Seine Fasern schlagen also eine schräge Richtung ein, indem sie jederseits von der Rückenseite her nach vorn und ventralwärts ziehen. Der Muskel liegt unmittelbar hinter der Sehne des Dilatators. Der ventrale Theil dieses paarigen Muskels, den wir als Sphincter laryngis bezeichnen, liegt dem ventralen Theil des Digastrieus pharyngis, also dem ursprünglichen Hyo-pharyngeus (M.h-ph.) auf und überragt denselben ein wenig nach hinten zu mit seinem cau- dalen Abschnitt. Beide Muskeln haben damit eine gemeinsame, mediane Linea alba. (Ich verweise hier auf die Darstellung des Hyo-pharyngeus pag. 7, 12 u. 13.) Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 45 Damit sind nun aber die Theile des Schließapparates des Kehl- kopfs noch keineswegs erschöpft. Es fällt zunächst auf, dass ventral von den Ansatzstellen des Dilatators die Schließmuskulatur wohl um ein Drittel stärker ist als am dorsalen Theil der Larynxeirkumferenz, und bald erkennen wir, dass an den oben beschriebenen Sphincter sich vorn ein mächtiges Muskelbündel anschließt, das von der End- sehne des Dilatators selbst entspringt. Es verhält sich im Übrigen genau wie ein Theil des Sphincters, d. h. es zieht schräg nach vorn und ventralwärts, um dorsal vom Hyo-pharyngeus (M.h-ph.) sich mit dem gleichen Theil der anderen Seite in der Linea alba des eben Fig. VI. Md. Kun) Mat Mlardors, I. |, . ~ ~ aga Per: Triton alpestris erwachsen. Querschnitt durch den vorderen Theil des Kehlkopfs. 24/1. M.d-l. Musculus dorso-laryngeus (Dilatator). Der Schnitt trifft gerade die Insertion des Muskels. M.diy.ph. Musculus digastricus pharyngis. Zusammengesetzt aus dem Hyo-pharyngeus (M.h-ph.) und dem Levator arcus IV (M.lev.IV) der Larve. J. Inscription zwischen beiden Theilen. Sonst Bezeich- nungen wie in Fig. II und II. genannten Pharynxmuskels zu vereinigen (Fig. VI M.lar.ventr.). Der ventrale Theil des Sphincters und der eben beschriebene Muskel hängen ganz kontinuirlich zusammen. Wir bezeichnen den letzteren Muskel unter Vorbehalt der spä- teren Begründung des Namens als M. laryngeus ventralis. Zu diesen zwei Muskelpaaren kommt noch ein drittes hinzu. Ebenfalls von der Endsehne des Dilatators entspringt jederseits ein dünnes, höchstens 15—20 Fasern umfassendes Muskelbündel, das dem Sphincter aufgelagert, dorsal- und gleichzeitig schräg caudal- wärts zieht, um in der dorsalen Linea alba des Sphincters sein Ende zu erreichen. Wir bezeichnen dieses Muskelbündel als M. laryn- geus dorsalis (Fig. V u. VI M.lar.dors.). Betrachten wir nunmehr das Verhalten der Kehlkopfschließer 46 Ernst Göppert einer älteren Larve von Triton alpestris, so treffen wir auf recht er- hebliche Unterschiede gegenüber den Befunden beim fertigen Thier. Wir finden allerdings die nämlichen Muskeln wieder, aber in etwas verschiedener Lagerung und vor Allem in anderem Größenverhältnis zu einander. Der stärkste Muskel ist hier der Laryngeus ventralis. An sei- nem Ursprung ist der Muskel in engster Verbindung mit dem Dorso- pharyngeus (vgl. pag. 21). Seine ‘vordersten Fasern entspringen un- mittelbar an der Stelle, an welcher die Fasern des Dorso-pharyngeus in die Endsehne übergehen. Die hintersten Fasern des Laryngeus ventralis stoßen, wie wir bereits oben sahen, mit den caudalsten Fasern des Dorso-pharyngeus in einer kurzen Zwischensehne zu- sammen. Der Laryngeus ventralis hat also keinerlei Verbindung mit dem Arytänoid. Die Endsehne des Dorso-pharyngeus ist nun aber bei der Larve verhältnismäßig viel länger als die des Dorso-laryngeus beim fertigen Thier. Die ventralen Enden der Muskelfasern sind hier weiter vom Arytänoid entfernt als später. Damit ist die Verlaufsrichtung des Laryngeus ventralis bei der Larve eine andere als nach der Meta- morphose: sie nähert sich der Horizontalen und entspricht damit der Verlaufsrichtung des Hyo-pharyngeus. Von seinem Ursprung zieht der Muskel, nur sehr allmählich ventralwärts abfallend, in schwachem, dorsal offenem Bogen auf die ventrale Mittellinie zu, um hier mit dem anderseitigen zusammenzutreffen. Das ganze Verhalten des Muskels erinnert lebhaft an das des gleichnamigen Muskels bei Proteus. Der Sphineter ist bei der Larve ungleich schwächer entwickelt, als später. Er erscheint auf dem Querschnitt des Larynx als ein höchstens 3—4 Fasern dicker Ring. Er liegt dem Laryngeus ventralis mit seinem ventralen Theil unmittelbar auf und erscheint dadurch wie eine besonders entwickelte Portion desselben. Der Sphincter überragt den Laryngeus nur um ein ganz minimales Stück nach hinten zu. Annähernd gleich stark entwickelt wie der Sphincter ist der La- ryngeus dorsalis. Er entspringt ganz wie der Laryngeus ventralis an den Enden der Fasern des Dorso-pharyngeus: mit seinem vordersten Abschnitt setzt er dort an, wo die Fasern des letzteren Muskels in die Endsehne übergehen. Seine hintersten Fasern sind mit denen des Dorso-pharyngeus durch eine kurze Zwischensehne verbunden. Von hier ziehen die Fasern des Laryngeus dorsalis in der Ver- Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 47 längerung der ventralen Theile der Dorso-pharyngeus - Fasern medianwärts, um zwischen Kehlkopf und Pharynx mit denen des anderseitigen Muskels zusammenzutreffen. In seinem ganzen Ver- halten ähnelt damit der Muskel außerordentlich dem Laryngeus dor- salis von Proteus. Laryngeus dorsalis und ventralis umschließen einen annähernd dem Querschnitt einer Linse entsprechenden Raum, in dessen kürze- rem Durchmesser die dorso-ventrale Achse des Kehlkopfs liegt. Betrachten wir jetzt die Lage der beiden Paare der Mm. la- ryngei, so erkennen wir, dass sie auch das Lumen des Kehlkopfs bei ihrer Kontraktion verengern werden. Sie thun dies aber nur in- direkt, indem sie bei gleichzeitiger Aktion den Kehlkopf in dorso- ventraler Richtung komprimiren. Vorausgesetzt ist dabei, dass ihre Ursprungsstellen durch die Wirkung der Mm. dorso-pharyngei fixirt werden. Die Hauptwirkung der Mm. laryngei beruht aber unzweifelhaft darauf, dass sie entschiedene Synergisten des Dorso-pharyngeus und des Hyo-pharyngeus in ihrer Wirkung auf den Pharynx sind. Sie stellen mit den Mm. dorso-pharyngei eine physiologische Einheit vor, indem sie die beiden ventralen Enden jener Muskeln mit einander verbinden und sie dadurch zu einem ventral geschlossenen Halbring ergänzen. Es ist oben schon wiederholt darauf aufmerksam gemacht worden, in wie hohem Grade die Mm. laryngei dorsales und ventrales der Tritonlarve in ihrem ganzen Verhalten mit den gleichbenannten Thei- len von Proteus übereinstimmen. Vergleichen wir jetzt das Verhalten der Kehlkopfverengerer der Larve mit dem beim ausgewachsenen Triton, so finden wir zunächst bei ersterer den Sphincter auffallend schwach; mit der Metamorphose ist also eine starke Zunahme des Sphincters verbunden. Ferner bil- den sich bei dem Übergang zum Landleben die hintersten Fasern der Mm. laryngei zurück, eben so wie die mit ihnen durch Inseription verbundenen Fasern des Dorso-pharyngeus (vgl. oben pag. 21). Die Mm. laryngei entspringen dann nur noch von der Endsehne des nun- mehrigen Dorso-laryngeus. Indem aber die Endsehne desselben beim fertigen Thier verhältnismäßig kürzer ist, als bei der Larve, ziehen jetzt beide Laryngei nicht mehr in der ursprünglichen ge- streckten Verlaufsrichtung, sondern schließen sich mehr dem Ver- halten der Sphincterfasern an. Sie stellen dann wohl nur Ver- stärkungen des Sphincters vor und haben ihre besondere Bedeutung 48 Ernst Göppert für die Verengerung des Pharynx verloren. Schließlich ist noch hervorzuheben, dass der Laryngeus dorsalis bei der Metamorphose an Mächtigkeit einbüßt, während der Laryngeus ventralis annähernd in gleicher Entfaltung in das Landleben hinübergenommen wird. Wir untersuchen jetzt die Larve von Pleurodeles Waltlii, die uns bereits oben beschäftigt hat. Wir treffen hier zunächst einen stark entwickelten M. laryngeus ventralis (Fig. VIL M.lar.ventr.), der dem hintersten Theil des Hyo-pharyngeus (M.h-ph.) aufgelagert ist. Der Muskel entspringt ganz wie bei der Tritonlarve von den Enden der Fasern des Dorso-pharyngeus (M.d-ph.). Seine vorderen Fasern setzen genau dort an, wo die Fasern des Dorso-pharyngeus sich mit Fig. VIL. U.d-ph. Mlardors. Ph. pu | ph. + ı | I i} Mhph. M. lar rent: Ar. Per. Pleurodeles Waltlii. Larve von 3,5 cm Länge. Querschnitt durch den Kehlkopf. 75/1. J. In- scription zwischen Dorso-pharyngeus (M.d-ph.) einerseits, Laryngeus dorsalis und ventralis (M.lar.dors. und ventr.) andererseits. Sph. Sphincter. Sonst Bezeichnungen wie in Fig. II und III. ihrer Endsehne verbinden, seine hinteren Fasern sind durch eine In- scriptio tendinea (J) mit den Theilen des Dorso-pharyngeus verbunden, welche keine Verbindung mit dem Arytänoid besitzen (vgl. pag. 22). Von seinem Ursprung zieht der Laryngeus ventralis, sich ganz all- mählich ventralwärts senkend, medianwärts. Er ist dabei in seinen vorderen Theilen leicht oralwärts, in den hinteren Theilen annähernd genau transversal gerichtet. Eine gleichzeitig dem Hyo-pharyngeus angehörige Linea alba vereinigt die Laryngei ventrales beider Seiten. Eben so wie der Laryngeus ventralis sich dorsal an den Hyo- pharyngeus anschließt, so ruht auf seinem caudalen Theil der Sphineter (SpA.), der hier, ähnlich wie beim fertigen Triton, stark Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 49 entwickelt ist. Der Muskel geht jederseits von der Hyo-pharyngeus und Laryngeus ventralis gemeinsamen Linea alba aus. Eine dorsal vom Kehlkopf gelegene Linea alba schließt auch hier beide Sphineter- hälften zusammen. An letzterer Stelle befestigt sich auch der Laryngeus dorsalis, der einen ziemlich langen, ganz dünnen (aus etwa sechs Fasern be- stehenden) Muskelzug vorstellt (M./ar.dors.). Er entspringt eben so wie der hintere Theil des Laryngeus ventralis von einer Inscription, die ihn mit den Enden der Dorso-pharyngeusfasern verbindet (J), und setzt die Verlaufsrichtung des letzteren Muskels annähernd fort. Im Großen und Ganzen haben wir also bei der Pleurodeleslarve sehr ähnliche Verhältnisse wie bei der Larve von Triton. Abweichun- gen von letzterer bestehen in der starken Entwicklung des Sphincters und der geringen Entfaltung des Laryngeus dorsalis bei Pleurodeles. Bemerkenswerthe Befunde bietet ferner Salamandra macu- losa. Der Sphincter ist hier beim fertigen Thier außerordentlich mächtig und verhältnismäßig stärker als bei Triton entwickelt. Auch hier besteht er aber aus zwei symmetrischen Hälften, die dorsal und ventral vom Kehlkopf durch eine Linea alba zusammenhängen. Er liegt nur mit dem vordersten Theil seines ventralen Abschnittes dem hinteren Theil des Hyo-pharyngeus auf. Wie bei Triton laufen seine Fasern hinter der Endsehne des Dilatators um den Kehlkopf herum. Von letzterer entspringt nun unmittelbar an den Enden der Dila- tatorfasern der M. laryngeus ventralis. Derselbe beschränkt sich aber auf ein ganz kleines, unbedeutendes Bündel, das sich der Masse des Sphincters anschließt und in gleichem Verlauf mit diesem ventral zieht. Ein Laryngeus dorsalis fehlt. Die auffallend mächtige Ent- faltung des Sphineters erklärt sich also aus dem Mangel resp. der geringen Stärke der beiden anderen Muskelpaare. Erheblich weicht nun vom Verhalten beim fertigen Thier der Zustand der Constrietoren des Kehlkopfs bei einer älteren Larve ab (Fig. VIII). In erster Linie fällt die starke Entwicklung des M. la- ryngeus ventralis auf (M.lar.ventr.). Dieselbe steht in Zusammen- hang mit der mächtigen Entfaltung des Dorso-pharyngeus (M.d-ph.), die wir oben (pag. 19, 20) schilderten. Der Laryngeus ventralis ent- springt wie bei Triton zunächst von der Ansatzstelle der vorderen Fasern des Dorso-pharyngeus (Dorso-laryngeus) an ihrer Endsehne (a). Ein eaudaler Theil des Muskels heftet sich an die Zwischen- sehne (J) an, die gleichzeitig dem mittleren Abschnitt des Dorso- pharyngeus als Insertionsstelle dient und annähernd parallel‘ dem Morpholog. Jahrbuch. 22. 4 | 50 Ernst Göppert inneren Rand des Arytänoids caudalwirts zieht. Ganz übereinstimmend mit dem bei der Tritonlarve festgestellten Befund läuft der M. laryn- | geus ventralis fast gestreckt median- und leicht ventralwärts, um in der Linea alba zu inseriren, die auch die ventralen Enden der beiden Sphineterhälften (Sp/.) aufnimmt. Der Muskel ist nun aber nicht nur durch die Menge der ihn zusammensetzenden Fasern, sondern auch durch die Länge derselben ausgezeichnet. Misst man nämlich den Zwischepraum zwischen seinen beiderseitigen Ursprungsstellen, so beträgt derselbe etwa die Hälfte der Pharynxbreite an dieser Stelle. Der Muskel wird also eine sehr beträchtliche Unterstützung für den Dorso - pharyngeus abgeben (Fig. VII). Fig. VII. i sg ett : 3 Ress | PEE = GE I si E ER 2 Soh. Ur Per | Lar: ees CEN Per I-larrentr Sph Md pie. a Salamandra maculosa. Ältere Larve. Querschnitt durch den Kehlkopf und Pharynx. 36/1. Die linke Hälfte der Figur zeigt etwas mehr oral gelegene Theile als die rechte. a. Endsehne des Dorso- j pharyngeus (M.d-ph.) und zwar des vordersten als Dorso-laryngeus zu bezeichnenden Theils dieses Muskels. J. Inseription zwischen dem mittleren Theil des Dorso-pharyngeus und dem Laryngeus ventralis (M.lar.ventr.). Der Sphincter (Sph.) ist auf dem Schnitt nur in seinen ventralen Theilen getroffen. Sonst Bezeichnungen wie in Fig. II und III. | Ein M. laryngeus dorsalis fehlt auch der Larve. Der Sphincter ist auch bei ihr schon stark entwickelt (SpA.). Er liegt dem La- ryngeus ventralis derart auf, dass er als eine dorsale Abzweigung Metamorphose beruht also bei Salamandra wesentlich auf der Ver- änderung des Laryngeus ventralis. Mit der oben bereits geschilderten Riickbildung im Dorso-pharyngeus geht auch der gréBte Theil des Laryngeus ventralis verloren. Es erhält sich nur der von der End- | sehne des Dorso-laryngeus entspringende Abschnitt. Dieser hat dabei seine urspriingliche, gestreckte Verlaufsrichtung aufgegeben und sich derjenigen der ventralen Theile des Sphineters angeschlossen. Damit ist selbstverständlich eine Änderung der Funktion des Muskels ein- getreten. Die Wirkung auf den Pharynx ist verloren gegangen, die desselben erscheint. Die Umgestaltung der Kelilkopfvexon ical Muskeln bei der Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 51 Thätigkeit des Muskels äußert sich bloß durch eine Unterstützung des Sphineter laryngis. _ Eine wesentliche Ubereinstimmung mit den bei der Salamander- larve beschriebenen Verhältnissen weist die Schließmuskulatur des Kehlkopfs bei Siredon auf. Auch hier findet sich ein stark ent- wickelter Laryngeus ventralis. Seine Ursprungsverhältnisse sind aber etwas weniger einfach, als bei den früher besprochenen Formen. Die Endsehne des Dorso-pharyngeus setzt nämlich nicht gleich an ihrem Anfang als ein massiver Strang an ihrem Muskel an, sondern ent- wickelt sich in Form von einzelnen Bündeln, die erst später zu einer soliden Sehne zusammentreten. Zwischen diese Bündel greifen nun Faserbündel des Laryngeus ventralis ein, um an den Enden der Dorso-pharyngeusfasern Befestigung zu nehmen. Dadurch entsteht an Querschnitten ein recht komplieirtes Bild, das sich erst bei ge- nauerer Untersuchung in der eben geschilderten Weise entwirren lässt. Der starke, übrigens makroskopisch leicht darzustellende La- ryngeus ventralis zieht nun mit seinen vorderen Fasern nach vorn und medianwärts, weiter hinten mehr transversal. Alle Fasern nehmen natürlich einen ventral leicht absteigenden Verlauf, um zur medianen Vereinigung mit dem gleichen Muskel der anderen Seite in einer unter dem Larynx gelegenen Linea alba zu gelangen. Diese Linea alba gehört gleichzeitig dem Hyo-pharyngeus an. 2 Der Laryngeus triigt mit seinem ganzen caudalen Abschnitt den starken Sphincter, der eine ähnlich mächtige Ausbildung und gleiche Verhältnisse zeigt wie beim erwachsenen Salamander. Von einem Laryngeus dorsalis fand ich nur eine zweifelhafte Spur. An einem auf einer Querschnittserie untersuchten Kehlkopf entsprangen 2—3 Fasern seitlich vom Sphincter von der Endsehne des Dilatators, die sich dem dorsalen Theil des Sphineter anschlossen. Eine Identifieirung dieser geringfügigen Fasern ist natürlich mit Sicherheit nicht zu geben. Bei den später zur Besprechung ge- langenden jüngeren Larven von Siredon habe ich nie eine Andeutung eines Laryngeus dorsalis angetroffen. Endlich wollen wir noch den Constrietor der Ichthyophislarve besprechen (Fig. IX). Zunächst unterscheiden wir wieder einen typischen Sphincter (Sph.), aus zwei symmetrischen Hälften be- stehend. Derselbe umfasst, wie in den vorher besprochenen Fällen, den Kehlkopf (Z) unmittelbar hinter dem die Dilatatorinsertion tra- genden seitlichen Vorsprung des Arytänoids. Eine typische Linea 52 Ernst Göppeıt alba trennt dorsal in der Medianebene beide Hälften. Ventral stehen beide nicht in diesem direkten Zusammenhang. Die Fasern be- festigen sich an der Fascie der dem Rectussystem zugehörigen ven- tralen Längsmuskulatur (MW), so dass zwischen beiden Hälften ein kleiner Zwischenraum bleibt. Seitlich vom hinteren Theile des Sphincters befestigen sich in gleicher Weise vordere Fasern des Hyo-pharyngeus (M.h-ph.), wäh- rend die Hauptmasse des letzten Muskels sich nach hinten zu an den Sphineter anschließt und dabei in der gewöhnlichen Weise in einer Zwischensehne mit dem gleichen Muskel der anderen Seite zusam- mentrifft. Ichthyophis glutinosa. Vor der Metamorphose stehende Larve. Querschnitt durch den Kehl- kopf hinter der Insertion des Dilatators. 50/1. Rechts sind noch die vordersten Fasern des Hyo- pharyngeus (M.h-ph.) getroffen. Dil. Dilatatorlaryngis. If. Ventrale Rumpfmuskulatur, Sph. Sphincter Außer dem Sphincter besteht nun noch ein Laryngeus ven- tralis. Derselbe entspringt von dem oben schon erwähnten Fort- satz des Arytänoids unmittelbar von der Stelle, an welcher der Di- latator Befestigung nimmt. Der Muskel schließt sich kontinuirlich an den eben beschriebenen Sphineter nach vorn zu an und vereinigt sich mit dem anderseitigen in einer medianen Linea alba ventral vom Kehlkopf. Ob ein Laryngeus dorsalis besteht, konnte nicht völlig sicher- gestellt werden. Auf jeden Fall kann es sich nur um eine ganz geringe Anzahl von Muskelbündeln handeln, die diese Bezeichnung verdienten. Bei der Betrachtung der Schließmuskulatur des Kehlkopfs der Ichthyophislarve werden wir uns an die bei Salamandra und Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 53 Triton gemachten Erfahrungen erinnern und nicht das Verhalten des Laryngeus ventralis als den ursprünglichen Zustand des Muskels be- trachten. Es ist sehr gut möglich, dass jüngere Stadien den La- ryngeus ventralis in einem ähnlichen Verlauf zeigen wie bei den Larven der Urodelen. Überlegen wir uns jetzt noch einmal die verschiedenen Zustände, in welchen uns die Schließmuskeln des Kehlkopfs entgegentraten, so haben wir nach ihrem Verhalten unter den bisher untersuchten For- men zwei Gruppen zu unterscheiden. Zu der einen gehören Proteus und Menobranchus, zu der zweiten alle übrigen uns vorliegenden Arten. Bei Proteus und Menobranchus besteht der Apparat der Kehl- kopfverengerer aus den beiden Paaren der Mm. laryngei dorsales und ventrales. Jeder dieser vier Muskeln nahm am Arytänoid sei- nen Ursprung und war mit dem gleichnamigen Muskel der anderen Seite dorsal beziehungsweise ventral vom Kehlkopf in einer Linea alba verbunden. Liegen nun auch hier typische Kehlkopfverengerer vor, so zeigten die Muskeln doch gleichzeitig nicht zu vernachlässigende Beziehungen zu den Pharynxmuskeln, dem Dorso-pharyngeus und Hyo-pharyngeus. Ihre Fasern ziehen in der Verlaufsrichtung der letztgenannten Muskeln. Sie wirken bei ihrer Kontraktion genau in dem Sinne derselben und sind daher im Stande, die Aktion der Pharynxmuskeln direkt zu unterstützen. Dabei stehen sie in den innigsten Lagebeziehungen zu den Muskeln des Pharynx. Der La- ryngeus ventralis erscheint wie eine dorsale Portion des Hyo-pha- ryngeus. Der Laryngeus dorsalis, der auch bei Proteus völlig den Faserverlauf des Dorso-pharyngeus fortsetzt, steht bei Menobranchus in kontinuirlichem Zusammenhang mit Theilen dieses Muskels. Aus diesen Gründen können wir sagen, dass die Kehlkopf- schließer von Proteus und Menobranchus eine Zwitterstellung zwi- schen Kehlkopf- und Pharynxmuskeln einnehmen. Wir unterscheiden nun auch bei den übrigen untersuchten Uro- delen, welche die zweite Gruppe zusammensetzen, zwei Muskelpaare, die wir gleichfalls als Laryngei dorsales und ventrales bezeichneten. Nicht immer fanden sich beide Paare vor. Der Laryngeus dorsalis war beim erwachsenen Thier stets schwach oder fehlte ganz. Wenn wir sehen, dass bei Triton der Muskel bei der Metamor- phose redueirt wird, wenn wir ihn auch bei der Pleurodeleslarve 54 Ernst Göppert verhältnismäßig schwach finden, so werden wir in ihm einen der Rückbildung verfallenen Muskel erkennen und sein Fehlen (Sala- mandra, Siredon) als die Folge einer Rückbildung ansehen. Berücksichtigen wir zunächst die larvalen Zustände, so finden wir hier die Laryngei in allerengster Beziehung zum Dorso-pharyn- geus. Sie entspringen von den laryngealen Enden der Fasern des mit langer Endsehne an den Arytänoiden befestigten Muskels, zum Theil sogar von einer zwischen Dorso-pharyngeus und ihnen einge- schalteten Inscriptio tendinea. Ihre Insertion findet in derselben Weise statt wie die der gleichnamigen Muskeln von Proteus und Menobranchus. In Folge des Fehlens einer Beziehung zum Arytänoid können die Musculi laryngei hier nur indirekt und nur bei gleichzeitiger Aktion des dorsalen und ventralen Paares eine Kompression des Larynx be- wirken. Dieselbe wird in dorso-ventraler Richtung vor sich gehen. Der Hauptsache nach bilden die Laryngei mit dem Dorso-pharyngeus eine funktionelle Einheit, sie unterstützen erheblich seine den Pha- ıynx verengernde Wirkung und damit gleichzeitig die des Hyo-pha- ryngeus. | Das ganze Verhalten der Muskeln, ihre Verlaufsweise, ihre In- sertionsverhältnisse, ihre Lagerung zu den Pharynxmuskeln erinnert hochgradig an das der gleich genannten Theile bei Proteus und Menobranchus (man vgl. Fig. II] und IV mit Fig. VIL und VIII). Denken wir uns die Arytänoidplatte bei jenen beiden verschmälert, d.h. dem Zustand genähert, den sie bei den Salamandrinen und Siredon einnimmt, und dabei die Ursprungsstelle der Laryngei und die Lage der Enden der Dorso-pharyngeusfasern nicht verändert, so müssen die ersteren nothwendig sich mit dem Dorso-pharyngeus ver- binden, d. h. sie gelangen zu demselben Verhalten wie die Musculi laryngei der anderen Urodelen. Wir finden nun, dass Theile der Mm. laryngei mit Theilen des Dorso-pharyngeus mittels einer Inscription verbunden sind, letztere also ausschließlich in dieser Inscription inseriren. Ein der- artiges Verhalten lässt sich am einfachsten daraus verstehen, dass ursprünglich Dorso-pharyngeus und Mm. laryngei unmittelbar neben einander am Arytänoid Befestigung nahmen, später das Arytänoid sich an dieser Stelle riickbildete. Eine analoge Erscheinung be- obachteten wir ja bereits oben am Levator arcus branchialis IV und Hyo-pharyngeus bei der Rückbildung des ursprünglich zwischen beiden eingeschalteten Kiemenbogens. Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 55 Damit gelangen wir zu der Überzeugung, dass einerseits die Mm. laryngei von Proteus und Menobranchus homolog sind denen der iibrigen Formen, andererseits auch einen primitiveren Zustand darstellen, als diese. Bei der Metamorphose redueirt sich mit dem Kiemenapparat auch der mit ihm verbundene Apparat der Constrietoren des Pharynx, da die an letztere gestellten Anforderungen mit dem Schwinden der bewegten Theile sinken. Damit ist es verständlich, dass die La- ryngei, die doch, wie oben bemerkt, Constrictoren des Pharynx sind, theilweise der Rückbildung verfallen oder auch, wo sie ganz erhalten bleiben (Laryngeus ventralis bei Triton, Ichthyophis?), unter innigem Anschluss an den Sphincter in den Dienst des Kehlkopfs treten. Die zweite Gruppe der untersuchten Amphibien ist ferner aus- gezeichnet durch den Besitz eines Sphincters. Es handelt sich um einen paarigen Muskel, der die Arytänoide von der Seite her um- zieht und dorsal und ventral vom Kehlkopf in einer Linea alba mit den anderseitigen zusammentrifit. Die letztere fällt ventral zusammen mit der Linea alba des Laryngeus ventralis und damit auch der des Hyo-pharyngeus, dorsal mit der des Laryngeus dorsalis. Der Sphincter stellt den eigentlichen SchlieBmuskel des Kehlkopfeingangs vor. In- dem er keine direkten Beziehungen zur Pharynxmuskulatur zeigt, können wir ihn als einen reinen Kehlkopfmuskel bezeichnen. Nach der Feststellung des thatsächlichen Verhaltens der Schließ- muskeln des Urodelenlarynx ist es jetzt unsere Aufgabe, einmal die genetischen Beziehungen der Kehlkopfverengerer zu den Pharynxmus- keln, andererseits ihre Beziehungen zu einander festzustellen. Für die letztere Frage handelt es sich vor Allem um die Feststellung des Verhältnisses des Sphineters zu den Mm. laryngei. Die Ontogenese verspricht uns hier Aufschlüsse zu geben, und so wenden wir uns nunmehr zur Behandlung der Entwicklung der Constrietoren des Kehlkopfs. Wir beginnen mit der Untersuchung von Siredonlarven. Das jüngste für unsere Zwecke verwerthbare Stadium stellte eine 9,5 mm lange Larve vor (vgl. auch Fig. 8, zu einer 10 mm langen Larve gehörig). Die Luftwege sind hier bereits in allen ihren Theilen wohl entwickelt. Man unterscheidet schon ihren unpaaren Abschnitt und die beiden langen in die Leibeshöhle hineinragenden Lungensäcke. Die vordersten Theile des Laryngo-trachealskelettes sind bereits angelegt; neben dem vordersten Theil der Luftwege finden sich auf dem Quer- 56 Ernst Göppert schnittsbild rundliche Anhäufurgen dotterreicher Elemente (Ar), die un- mittelbar unter dem Epithel liegen und unzweifelhaft die Anlagen von Knorpel darstellen. Das Knorpelgewebe der Kiemenbogen dagegen hat bereits hyaline Grundsubstanz (Br.IV‘) entwickelt, ist also den Laryngo-trachealknorpeln in der Entwicklung bedeutend voraus. Der M. hyo-pharyngeus (M.h-ph.) und Dorso-pharyngeus sind in typischer Weise entwickelt, zeigen jedoch in so fern noch embryo- nalen Charakter, als die Anzahl der Muskelkerne eine sehr große ist. Die Masse der Fasern, die übrigens bereits Querstreifung er- kennen lassen, tritt gegen die Kerne zurück. Ventral vom vordersten Abschnitt der Luftwege (Z) liegen den vom vierten Kiemenbogen (Br.IV) kommenden Muskelfasern des Hyo-pharyngeus (M.h-ph.) eine Anzahl spindelförmiger Elemente mit groBen ovalen Kernen unmittelbar auf (a), die ihrem ganzen Verhalten nach nur junge Muskelfasern vorstellen können. Die Längsrichtung der Zellen ist gleichgerichtet mit der der Hyo-pharyngeusfasern. Ihre Lage zum Hyo-pharyngeus ist derart, dass sie einen Theil des letz- teren bilden. Verbindungen derselben mit dem Dorso-pharyngeus bestehen noch nicht. Ein zweites Stadium der Entwicklung bot eine Larve von 1 cm Länge. Die Masse der jungen Muskelelemente hatte sich noch ver- mehrt, sie lag dem Hyo-pharyngeus noch unmittelbar auf und stand noch nicht in Verbindung mit dem Dorso-pharyngeus (Fig.8 Taf. Il). Ein anderes Bild boten die Verhältnisse bei einer 13,5 mm langen Siredonlarve (Fig. 9 Taf. I). Wir sehen hier zum ersten Mal den Laryngeus ventralis (M.lar.ventr.) entwickelt. Von den Enden der Fasern des Dorso-pharyngeus (M.d-l.) ziehen eine noch geringe An- zahl dünner Muskelfasern in schwachem Bogen ventral und median- wärts, sie legen sich an die medialen Theile der Hyo-pharyngeus- fasern (M.h-ph.) an, um mit ihnen zur Linea alba ventral von dem Luftweg (Z) zu ziehen. Wir sehen also, dass hier die jungen Muskelelemente, denen wir in den früheren Stadien begegneten (Fig.8 a), unter weitergehender histo- logischer Ausbildung eine Verbindung mit dem Dorso-laryngeus ge- wonnen haben, sie sind damit vom Hyo-pharyngeus bis zu einem gewissen Grade selbständig geworden. Ihre laterale Ansatzstelle liegt eine unbedeutende Strecke über dem Hyo-pharyngeus. Ein Sphincter besteht noch nicht. Untersuchen wir aber die uns augenblicklich beschäftigende Larve genauer, so nehmen wir an der dorsalen Seite des Laryngeus ventralis eine größere Anzahl junger Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 57 Muskelelemente wahr, die den Laryngeusfasern ganz eben so auf- lagern, wie wir vorher die jungen Elemente dem Hyo-pharyngeus aufliegend fanden (Fig. 9). Jetzt werden die jungen Muskelelemente durch die bereits ausgebildeten Fasern des Laryngeus ventralis vom Hyo-pharyngeus getrennt. | Schließlich untersuchen wir noch ‘eine ältere, 18 mm lange Larve. Der Laryngeus ventralis hat sich stärker entwickelt. Er ist ein ver- hältnismäßig mächtiger Muskel geworden, der im Großen und Ganzen den beim erwachsenen Thier beschriebenen Zustand aufweist, aber in seinem Ursprung ein noch einfacheres Verhalten zeigt. Die Fasern des Muskels befestigen sich am Ende der Dorso-pharyngeus- fasern, direkt an der Ansatzstelle der Endsehne der letzteren. Hier treffen wir nun auch auf den Sphincter. Von dem La- ryngeus ventralis zweigt sich nicht weit von seiner lateralen Ansatz- stelle ein kleines Biindel junger Muskelfasern ab, das leicht median gebogen hinter der Endsehne des Dorso-pharyngeus emporsteigt. Das Ende des Biindels weist medianwärts gegen die dorsale Mittel- linie des Kehlkopfs, trifft hier aber noch nicht mit dem anderseitigen zusammen. Wir finden in diesem, die Anlage des Sphincters dar- stellenden Muskelzug die jungen Elemente wieder, die wir im vorher beschriebenen Stadium dem Laryngeus ventralis aufgelagert fanden; wenn auch letztere zum Theil noch der Verstiirkung des ventralen Laryngeus dienten, so haben sie doch ganz unzweifelhaft auch den eben beschriebenen Sphincter geliefert. An diesen Zustand des Constrictorsystems schließt sich der des erwachsenen Siredon unmittelbar an. Abgesehen von der unwesent- lichen Komplikation in der Verbindungsweise von Dorso-pharyngeus und Laryngeus ventralis (vgl. pag. 51) hat nur eine allerdings mäch- tige Verstärkung des Sphineters und ein dorsaler Zusammenschluss der beiden Hälften desselben stattgefunden. Wir gehen nunmehr zur Untersuchung junger Tritonenlarven über, speciell in der Absicht, die Entwicklung des Laryngeus dor- salis festzustellen. Eine 9mm lange Larve von Triton alpestris zeigt den Musculus laryngeus ventralis bereits entwickelt. Er besteht aus zarten Muskelfasern und besitzt noch einen erheblichen Reichthum an Kernen. Die Fasern setzen am Ende der Dorso-pharyngeus- fasern an und ziehen, den hintersten Fasern des Hyo-pharyngeus dorsal aufgelagert, gleich diesen medianwärts und etwas nach vorn zur Mittellinie und treffen hier mit den anderseitigen in der Linea 58 Ernst Göppert alba des Hyo-pharyngeus zusammen. Von einem Sphineter ist noch nichts zu entdecken. Untersucht man nun die Schnitte, welche gerade hinter die In- sertionsstellen der Mm. dorso-pharyngei Fig. 10 Taf. II M.d-ph.) fallen, so findet man zwischen den hinteren Fasern dieser beiden Muskeln eine quer über die dorsale Cirkumferenz des Kehlkopfs (L) ausgespannte Brücke, bestehend aus dicht gedrängten Elementen mit großen läng- lich-ovalen Kernen. Ihr ganzes Aussehen kennzeichnet die Zellen als die Anlage von Muskelfasern. Mit ihrer Längsachse ziehen sie transversal, genau in der Fortsetzung der Dorso-pharyngeusfasern. Es handelt sich hier, wie die Untersuchung älterer Stadien zeigt, um die Anlage des Laryngeus dorsalis (M.lar.dors.). Dieselbe ist also ganz selbständig vom Laryngeus ventralis und vom Sphincter. Eine 10 mm lange Larve zeigt den Muskel weiter entwickelt. Man unterscheidet bereits deutlich feine Muskelfasern, die quer über die Dorsalseite der Arytänoidanlage gegen die Medianebene ziehen und hier mit den gleichen Fasern der anderen Seite zusammentreffen. Gleichzeitig begegnen wir hier zum ersten Mal der Anlage des Sphincter. Von der Dorsalseite des Laryngeus ventralis zweigt sich ein ganz kleines Bündel junger Muskelelemente ab, die, medianwärts gerichtet, sich zwischen Laryngeus dorsalis und die Arytänoidanlage einschieben, aber mit ihrem Ende noch weit von der Medianebene entfernt bleiben. Einen weiteren Fortschritt zeigen Larven von 12 mm Länge. Bei ihnen ist der Laryngeus dorsalis schon weit entwickelt. Man erkennt ihn zusammengesetzt aus verhältnismäßig starken Muskelfasern mit deutlich entwickelter Querstreifung. Ihm gegenüber ist der Sphineter in seiner Entwicklung noch im Rückstand. Er hat sich bereits weiter dorsalwärts zwischen Arytänoid und Laryngeus dorsalis vorgeschoben und erreicht fast die Medianebene. Er setzt sich ventral zusammen aus dünnen Fasern, die sich vom Laryngeus ventralis abzweigen. Sein dorsaler Theil lässt noch keine Fasern erkennen; er besteht aus dieht gedrängten Elementen mit spindelförmigen Kernen. Aus diesem Verhalten erkennt man hier die Hauptwachsthumszone des sich bildenden Muskels, deren Zunahme den Muskel mit seinem Ende der dorsalen Mittellinie zuführt. Damit sind die wesentlichen Vorgänge bei der ersten Ausbildung des Constrictorsystems erkannt. An älteren Larven findet man noch den Sphincter stärker entwickelt und durch den dorsalen Zusam- menschluss der beiden Hälften zu einem paarig gebauten Ring ver- vollständigt. Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 59 Uberblicken wir jetzt die Resultate, die durch die Untersuchung der Ontogenese des Constrietor laryngis gewonnen wurden, so er- kennen wir zunächst, dass der Laryngeus ventralis ein Differenzi- rungsprodukt des Hyo-pharyngeus ist und gleichzeitig den ontogene- tisch am frühesten ausgebildeten Bestandtheil des Constrietorensystems vorstellt. Als zweiter Muskel entstebt der Laryngeus dorsalis. Die Ent- wicklungsgeschichte giebt uns bei Triton keinen direkten Nachweis der Herkunft dieses Muskels. Wir sehen ihn aber in engster Be- ziehung zum Dorso-pharyngeus. Er verbindet die beiderseitigen Dorso-pharyngei gleich bei seinem Auftreten mit einander und ver- läuft dabei genau in der Verlängerung der Fasern dieser Muskeln. Berücksichtigt man dazu sein Verhalten bei Menobranchus, das ihn in direktem Zusammenhang mit Theilen des Dorso-pharyngeus zeigt, so kommt man zu der Überzeugung, dass der Laryngeus dorsalis phylogenetisch aus dem Dorso-pharyngeus entstanden ist. An dritter Stelle kommt schließlich der Sphincter hinzu. Er stellt auch ontogenetisch eine Abzweigung des Laryngeus ventralis vor'. Wir unterscheiden demgemäß in dem System der Kehl- kopfverengerer zunächst zwei Paare primärer Muskeln, die Laryngei, und einen paarigen sekundären Muskel, den Sphincter. Nach den obigen Ausführungen sehen wir bei Proteus und Menobranchus das ursprünglichere Verhalten der Mm. laryngei. Hier haben wir also auch den primitivsten Zu- stand der Schließmuskulatur des Larynx repräsentirt. Sie besteht aus einem dorsalen und einem ventralen Paar von Muskeln, die sich direkt von Pharynxmuskeln ableiten. Hieran schließt sich das Verhalten der übrigen unter- suchten Formen durch die Ausbildung des Sphincters von den Mm. laryngei ventrales aus und den Zusammentritt der Mm. laryngei mit dem Dorso-pharyngeus?. 1 Wir setzten oben aus einander, dass wir für die Mm. laryngei den bei Proteus angetroffenen Befund als Urzustand annehmen. Indem bei Siredon und Triton die Mm. laryngei ontogenetisch nicht mehr in Verbindung mit dem Ary- tänoid angetroffen werden, wie es dort der Fall war, liegt hier eine cänogenc- tische Abkürzung der Entwicklung vor. 2 J. HENLE (6) giebt nur ganz kurze Angaben über die Schließmuskeln. Er erwähnt, dass am oberen Theil der Stimmlade von Siredon kreisfürmig ver- laufende Querfasern vorkommen, die an der hinteren Fläche in einer Art weißer Linie zusammenstoßen. Solche kreisférmige Muskeln finden sich noch bei Tri- 60 Ernst Göppert E fragt sich nun, wie der Unterschied zwischen beiden Formen des Auftretens der Kehlkopfschließer zu beurtheilen ist. Wir sahen oben, dass den Musculi laryngei bei Proteus und Menobranchus gewissermaßen eine Zwitterstellung zukommt. Sie ton und Salamandra (vgl. Taf. I Fig. 17 n). Bei Coecilia dagegen soll sich nur an der hinteren Fläche der Gie8beckenknorpel ein Quermuskel zwischen jenen beiden als einziger Schließmuskel ausspannen. J. G. FISCHER (3) untersuchte bei keiner der uns vorliegenden Arten den Constrietor. Von seinen Angaben ist für uns von Interesse, dass bei Menopoma die Schließmuskulatur aus einem dorsalen und einem ventralen Quadranten be- steht, also sich ähnlich verhalten muss wie bei Proteus. Ferner bestehen vor- „ussichtlich wesentliche Übereinstimmungen zwischen Cryptobranchus und Triton. Ein vorderer Theil des Constrietors entspringt bei ersterem von der Ansatzstelle des Dorso-laryngeus an das Arytänoid. Er würde wohl dem La- ryngeus ventralis entsprechen. An ihn schließt sich ein wahrscheinlich mit un- serem Sphincter zu homologisirender Abschnitt an. Eve. Duzors (2) bringt eine kurze Übersicht über die Schließmuskulatur des Amphibienkehlkopfs, in welcher die Haupttypen derselben erwähnt werden. Er beschreibt damit, wesentlich auf Angaben anderer Autoren (WIEDERSHEIM, FiscHER, HENLE) gestützt, kurz unseren Sphincter und unsere Mm. laryngei, ohne ihre Beziehungen zu einander zu beurtheilen (vgl. Anm. 2 pag. 40). Kurze Angaben über den Constrietor von Siren, Amphiuma, Menopoma und den Salamandrinen giebt auch R. WIEDERSHEIM in seinem Lehrbuch der vergleichenden Anatomie (16). Er beschreibt einen aus zwei symmetrischen Hälften aufgebauten Schließmuskel. Schließlich haben wir uns noch mit der schon oft eitirten Arbeit von H. H. WILDer (18) zu beschäftigen. W. sagt pag. 575 von seinem »intrinsie system«: As typical form may be taken Siren or Menopoma, where the larynx is sur- rounded by a complete ring. The Arytenoids are partly enclosed by this ring, and partly lie in its substance at the sides, serving to more or less completely divide the ring into a dorsal and ventral half. In all except the lowest forms, this division is complete, thus forming a set of two antagonistic muscles, con- stant throughout the class. Es erhellt aus diesem Citat, dass W. die Aus- bildung der Schließmuskulatur gerade umgekehrt auffasst, als ich es oben unter eingehender Begründung meiner Anschauung gethan habe. Wenn W. gerade bei den höheren Formen einen M. periarytaenoideus dorsalis und ventralis, die durch das Arytänoid von einander getrennt sein sollen, annimmt, so widerspricht dies einfach den Thatsachen. Bei den Salamandrinen, bei Siredon, wird man vergebens nach derartigen Bildungen suchen. Ferner sieht W.in seinem Periarytaenoideus dorsalis, der z. B. bei Proteus unserem M. laryngeus dorsalis entsprechen wiirde, nicht etwa einen Constrictor, sondern einen Dilatator des Kehlkopfs (l.c. pag.576), und befindet sich damit im Gegensatz zu FISCHER, DUBOIS und mir. Nur der Periarytaenoideus ventralis soll einen Constrietor vorstellen. Der Periarytaenoideus dorsalis könnte nun aber doch nur als Dilatator wirken, wenn das Arytänoid einen zweiarmigen Hebel darstellte, an dessen äußerem Arm der Muskel ansetzte, während der innere dem Kehlkopf zugewandt wäre. Ferner würde eine gelenkige Verbindung dieses Hebels an seinem Drehpunkt mit dem Cricoid nothwendige Voraussetzung sein. Alles Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 61 sind nieht nur Larynxverengerer, sondern gleichzeitig Muskeln, die bei der Verengerung des Pharynx eine Rolle spielen. Sie wirken hier in der Zugrichtung des Dorso- und Hyo-pharyngeus. Nun sahen wir aber bereits eine Differenzirung im Laryngeus dorsalis eingetreten (bei dem allein genau untersuchten Proteus). Eine mediale Portion entsprang entfernt vom lateralen Rand des Arytänoids, nicht weit vom Lumen des Kehlkopfs, und bildete mit dem gleichen Theil der anderen Seite gewissermaßen die dorsale Hälfte eines Sphincters. Damit erkennen wir am Laryngeus dorsalis den Beginn einer Arbeits- theilung. Beide Theile des Muskels wirken als Constrictoren des Larynx. Die Bedeutung eines Constrictor pharyngis ist jedoch von der medialen Portion des Laryngeus dorsalis aufgegeben. Dieselbe ist ganz in den Dienst des Larynx gestellt. Kine Arbeitstheilung in gleichem Sinne sehen wir nun bei den übrigen zur Untersuchung gelangten Urodelen durchgeführt. Wäh- rend sich vom Laryngeus ventralis aus ein reiner Kehlkopfschließer, der Sphincter, entwickelte, trat der nicht modificirte Theil des La- ryngeus ventralis sowie der Laryngeus dorsalis vollständig in den _ Dienst des Schluckaktes, indem sie sich vom Arytänoid lösten und mit dem Dorso-pharyngeus zu einer funktionellen Einheit verbanden. Mit diesem Entwicklungsvorgang war eine Erhöhung der Leistung selbstverständlich verknüpft. Ich wage nicht genauer auf den Vorgang einzugehen, der eben in seiner Bedeutung charakterisirt wurde. Wie im Einzelnen in der phylogenetischen Entwicklung die Umbildung des Proteusstadiums der Constrictores laryngis in den z.B. von einer älteren Tritonlarve repräsen- tirten Zustand vor sich ging, entzieht sich vor der Hand der sicheren Beurtheilung. Als die wesentlichen Vorgänge dabei können wir nur die Entwicklung des Sphincters, die Verschmälerung der Arytänoide und den Zusammentritt der Mm. laryngei mit Theilen des Dorso- pharyngeus konstatiren. Wenn wir oben die beiden primitiven Paare von Kehlkopfmuskeln, die Laryngei, von Constrictoren des Pharynx ableiten konnten, so dieses fehlt nun. Dagegen ist der Laryngeus dorsalis (Periarytaenoideus dor- salis), wie ein Blick auf unsere Figuren lehrt, nur als ein Muskel aufzufassen, der den Laryngeus ventralis unterstiitzt und mit ihm zusammen als ein Con- strictor wirkt. Auf die W.’sche Ableitung des Intrinsic system von der glatten Muskulatur des Darmes brauche ich nach dem in der Einleitung Bemerkten hier ae noch einmal zuriickzukommen. 62 Ernst Göppert - müssen wir jetzt nach den Bedingungen suchen, unter welchen phylo- genetisch die Bildung der Muskeln zu Stande gekommen ist. Bei allen derartigen Fragen müssen wir uns hüten, einer teleo- logischen Denkweise Raum zu geben. Ein Muskel entwickelt sich phylogenetisch unter der Wirkung seiner Funktion und damit im Sinne derselben, nicht etwa zur zweckdienlichen Erzielung einer neuen Leistung. Ein Übergang zu einer dem Muskel früher nicht eigenen Leistung tritt vor Allem dann ein, wenn ein zur Unterstützung der ursprünglichen Funktion entstandener Muskelabschnitt durch seine Lagerung auch zu anderen Theilen Beziehung erhält, die dem primi- tiven Haupttheil des Muskels nicht unterworfen waren. Damit kann der Anstoß zur Übernahme neuer Wirkung und zur Ausbildung des betreffenden Muskelabschnitts in anderem Sinne gegeben sein. Wenn wir also von zwei Pharynxconstrietoren in letzter Linie die Schließmuskeln des Kehlkopfs sich entwickeln sahen, so müssen wir doch annehmen, dass die primitiven Muskeln, die Laryngei, von den Pharynxconstrictoren aus entstanden sind zunächst in Unter- stützung der letzteren, also als Pharynxverengerer. Indem sie an der Cartilago lateralis, dem primitiven fünften Kiemenbogen, Be- _ festigung fanden, traten sie gleich bei ihrer Entstehung im Sinne von Constrictoren in Beziehung zum vordersten Abschnitt der Luftwege, der ja zwischen jenen beiden Skelettheilen lag. Damit erhielten sie durch das Hinzukommen einer ihnen vorher fremden Leistung zur alten Funktion die Möglichkeit einer Anpassung an dieselbe und zu einer weiteren fortschreitenden Entwicklung im Dienst des neuen Organs. Der Gedanke liegt wohl nicht fern, dass die unter höherer Aus- bildung des Systems der Pharynxverengerer entstandenen Musculi laryngei erst durch ihre Aktion den ursprünglichen fünften Kiemen- bogen als Cartilago lateralis in den Dienst des Kehlkopfs gestellt haben, wie wir ja auch weiterhin der Muskulatur des Kehlkopfein- gangs einen erheblichen Einfluss auf die Differenzirung der Skelet- theile desselben zugestehen. Wir hätten damit ein aktives Moment gewonnen, das uns verständlich macht, wie ein Skeletstück in den Dienst der Luftwege gebracht werden konnte. Im vorhergehenden Abschnitt unserer Arbeit haben wir die Con- strietoren des Kehlkopfs von Urodelen und von Ichthyophis behandelt. Jetzt soll uns noch die Schließmuskulatur des Larynx bei den Anuren beschäftigen. —— N u Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 63 Die Kehlkopfmuskeln des Frosches sind in dem bekannten Ecker’schen Buch über die Anatomie des Frosches (1) genau dar- gestellt. Ich will daher nur die Punkte hervorheben, die für die Beurtheilung des Systems der Constrietores laryngis von Interesse sind, und verweise dabei auf die Ecker’schen Figuren. Man unterscheidet bei Rana esculenta jederseits drei hierher ge- hörige Muskeln. Der eine derselben entspringt von der Dorsalfliche des Processus postero-medialis (thyreoideus) des Zungenbeins, der gemeinschaftlich mit dem anderseitigen den Kehlkopf von vorn her rahmenartig umfasst. Der Muskel entspringt nun nicht weit vom freien Ende des genannten Fortsatzes, dicht vor dem Ursprung des Dilatators. Wir werden ihn kiinftighin als M. hyo-laryngeus unterscheiden. Der starke Muskel zieht annähernd in der Richtung des Pro- cessus postero-medialis nach vorn und vereinigt sich durch eine Zwischensehne mit dem anderseitigen in dem Winkel zwischen den vorderen Enden der Processus postero-mediales. Der Muskel hingt hier durch straffes sehniges Gewebe mit den den bezeichneten Winkel bildenden Zungenbeintheilen zusammen. Nach Ecker kommt ihm die Wirkung zu, die beiden hinteren Zungenbeinfortsätze einander zu nähern und damit den zwischen jenen gelegenen Larynx zu komprimiren. Die beiden anderen Schließmuskeln sind direkte Constrietoren. Präparirt man die den Kehlkopf deckende Schleimhaut des Pharynx ab, so trifft man zunächst auf einen derselben, der gemäß seiner Lage als Sphincter anterior bezeichnet werden soll. Er wird erst gut zur Anschauung gebracht, wenn man den ihn theilweise deeken- den Dilatator laryngis entfernt. Veutral befestigt sich der Sphincter anterior jederseits am medialen Rand des Processus postero-medialis, dicht an der Wurzel desselben. Von hier zieht er um die Arytänoide herum und tritt hinter den Kehlkopfeingang und damit gleichzeitig dorsal vom Kehlkopf mit dem anderseitigen in einer Linea alba in Verbindung. | Der dritte, als Sphineter posterior zu benennende Schließ- muskel zeigt etwas komplicirtere Verhältnisse. Zu ihrem Verständ- nis müssen wir kurz die Gestaltung der Arytänoide berücksichtigen. Die Arytänoide sind beim Frosch zwei gegen das Kehlkopflumen zu konkave Knorpelplatten von annähernd dreieckiger Form. Die Basis des Dreiecks ist gegen das Cricoid gerichtet, die beiden anderen Seiten begrenzen mit ihren größten Theilen den spaltförmigen -und 64 Ernst Göppert weiten Kehlkopfeingang. Von den beiden Ecken, an denen der basale Rand mit den Seitenrändern des dreieckigen Knorpels zusam- mentrifft, unterscheidet man nach ihrer Lagerung die eine als vordere und ventrale, die andere als hintere und dorsale. Beide Ecken eines Arytänoids werden nun jederseits durch den Sphineter posterior mit einander verbunden. Auch dieser Muskel ist also paarig gebaut. Seine beiden Hälften befestigen sich dorsal wie ventral dieht neben einander, ohne jedoch direkt mit einander in Verbindung zu stehen. Der hinterste Theil des Muskels hat nun aber außerdem Be- ziehungen zum Cricoid gewonnen. Wir sahen oben bereits (pag. 27), dass der Dilatator laryngis mit einem Theil vom Cricoid entspringt. Die Ursprungsstelle liegt jederseits annähernd in der Mitte der beiden Spangen, die den oval gestalteten Ring des Crieoids bilden. An ge- nau derselben Stelle befestigen sich nun, von der Dorsal- und von der Ventralseite kommend, Fasern des Sphineter posterior, d.h. der hinterste Theil dieses Muskels ist durch eine Befestigungsstelle am Cricoid seitlich unterbrochen'!. Vergleichen wir jetzt das Verhalten der geschilderten Muskulatur von Rana mit dem der Urodelen, so fällt uns zuerst der Hyo-laryn- geus als ein Muskel auf, der nicht ohne Weiteres auf Muskeln von Urodelen bezogen werden kann. Bei den beiden anderen Muskel- paaren erkennen wir dagegen sofort Übereinstimmungen mit dem Sphineter der Urodelen. Wie dieser bestehen auch die Sphineteren der Anuren aus zwei bilateral-symmetrisch angeordneten Theilen. Als abweichendes Verhalten beobachten wir aber die Befestigung derselben theils am Zungenbein, theils am Arytänoid. Ferner fällt die seitliche Unterbrechung des hintersten Theils des Sphincter posterior am Cricoid auf. Durch dieselbe erscheint der Muskel in seinem hintersten Abschnitt aus vier Quadranten zusammengesetzt. 1 ECKER erwähnt das letztere Verhalten nicht. Eine kurze Darstellung der Muskulatur des Anurenkehlkopfs giebt auch WILDER (18). Er unterscheidet auch hier einen Periarytaenoideus dorsalis und ventralis; der letztere ist mit unserem Hyo-laryngeus identisch (arising from the cartilaginous epiphyses of the posterior hyoid horns). Vom Periary- taenoideus dorsalis sagt W.: In Bufo it arises from the posterior cornua of the hyoid. In Rana it differentiates into two slips. With regard to the function of this muscle. I am not ready to speak definitely as yet, but it appears to act as a dilatator in all cases. Dieser Darstellung kann ich nur meine Schilderung der einschlägigen Ver- hältnisse entgegenstellen, die sich in völliger Übereinstimmung mit der ECKErR- schen Beschreibung und Beurtheilung der Muskeln befindet. Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 65 Es fragt sich, ob hier nicht Beziehungen vorliegen zu Mm. laryngei, die sonst bei der fertigen Rana gänzlich fehlen würden. Von Interesse muss nun hier die Untersuchung der Ontogenese der genannten Muskeln sein. Wir untersuchen zunächst eine 11mm lange Larve von Rana. Die Luftwege sind hier bereits in allen ihren Theilen entwickelt. Die Anlage des Laryngo-trachealskelettes be- schränkt sich auf Anhäufungen von Zellen seitlich vom vordersten Abschnitt des Luftweges, die gegen die Umgebung nicht scharf ab- gegrenzt sind und unzweifelhaft das erste Stadium der Entwicklung vom Knorpelgewebe darstellen. Das Verhalten des Dilatators in die- sem Stadium ist bereits geschildert. Ventral von dem, dem späteren Larynx entsprechenden Theil des Luftwegs beobachtet man nun jederseits einen quer verlaufenden kleinen Muskel mit fast horizontalem Verlauf. Der Muskel besteht aus jungen, dicht gedrängten Elementen. Von Querstreifung ist noch nichts zu bemerken. Er kommt, ohne Verbindung mit einem Skelet- theil zu besitzen, aus der medialen, von embryonalem Bindegewebe gebildeten Umgebung der sogenannten postbranchialen Körper, die sich als zwei Ausstülpungen des ventralen Schlundepithels, jeder- seits vom Luftweg, darstellen!. Der Muskel zieht von hier auf die ventrale Mittellinie der Kehlkopfanlage hin, ohne noch mit dem ander- seitigen in Verbindung zu stehen. Wir verfolgen den Muskel weiter in seiner Entwicklung. Bei älteren Kaulquappen trifft er mit dem anderseitigen unter dem vorder- sten: Theil des Kehlkopfs in einer Linea alba zusammen. Er ent- springt in diesem Stadium von der Bindegewebsschicht in der Um- gebung der ventralen Wand der Kiemenhöhle jederseits lateral vom Kehlkopf und medial vom hintersten Kiemenbogen. Seine ganze Lage, seine Verlaufsrichtung, seine Orientirung zum Kehlkopf cha- rakterisiren ihn als zugehörig zum Hyo-pharyngeus der Urodelen, welch letzterer Muskel jedoch in seiner typischen Ausbildung den Anuren fehlt. Bei der Metamorphose befestigt sich schließlich der Muskelursprung in der Nähe des caudalen Endes des Processus postero-medialis des Zungenbeins, d. h. er stellt nunmehr den Hyo-laryngeus vor. Kehren wir jetzt wieder zu der 11 mm langen Larve zurück, so finden wir von dem eben untersuchten Muskel eine Muskelanlage ! Vgl. F. MAURER, Schilddrüse, Thymus und Kiemenreste der Amphibien. Morphol. Jahrb. Bd. XIII. Morpholog, Jahrbuch. 22. 5 66 Ernst Göppert jederseits sich abzweigen, die dorsalwärts, dabei in medianwärts konkavem Bogen, zieht. Sie liegt dicht hinter dem Insertionsende des Dilatators. Unzweifelhaft handelt es sich hier um die Anlage des Sphincters. Der Sphincter umfasst aber noch nicht ganz die Kehlkopfanlage. Seine beiden dorsalen Enden sind noch ein Stück - von einander entfernt. Wir sehen also, dass der Sphineter im geschilderten Stadium die Anlage eines einfachen Ringmuskels darstellt, der von der Ventralseite heraufwächst und aus zwei symmetrisch angeordneten Hälften besteht. Beziehungen zum Zungenbein, Verbindungen mit dem Arytänoid, mit dem Cricoid, fehlen bei der mangelnden Aus- bildung dieser Theile vollständig. Der Muskel zeigt sich damit in diesem Stadium in wesentlicher Übereinstimmung mit frühen Ent- wicklungszuständen des Sphineters der Urodelen. Der geschilderten Muskelanlage entsprechen nun später die beiden Sphineteren. Beide gehen also aus einem aus zwei bilateralen Hälften bestehenden Muskel im Laufe des Larvenlebens hervor, in- dem Theile desselben am Arytänoid, andere am Hyoid und Cricoid Befestigung nehmen. Im Einzelnen wurde dieser Process nicht verfolgt. Vor Allem sehen wir aus dem eben Mitgetheilten, dass den Anuren Mm. laryngei auch in der Ontogenese vollkommen abgehen. Wenn wir nun beobachteten, wie die beiden Mm. laryngei bereits bei den landlebenden Formen der Urodelen in Rückbildung begriffen sind, so würde sich möglicherweise das völlige Fehlen der Mm. laryngei bei Rana direkt an den z. B. bei dem fertigen Salamander repräsentirten Zustand anschließen. Ferner sind die Anuren charakterisirt durch den Besitz eines M. hyo-laryngeus, der den Urodelen fehlt, aber jedenfalls vom M. hyo-pharyngeus derselben abzuleiten ist. Endlich scheinen sich die Anuren durch den Besitz von Sphinc- teren und das Verhalten derselben unmittelbar an die höheren Urodelen anzureihen. Nun finden wir aber, wie bereits betont, ontogenetisch bei den Anu- ren keine Spur von Mm. laryngei und damit auch keinerlei Beziehungen der Sphineteren zu solchen. Es könnte daher der Gedanke auftauchen, dass die Vorfahren der Anuren nie Mm. laryngei besessen haben und der Sphineter hier unabhängig von solchen, etwa von einem Hyo-pha- ryngeus aus, direkt entstanden ist. Damit würde dann ein wesent- licher Unterschied zwischen Anuren und Urodelen vorliegen. Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 67 Wir werden zu prüfen haben, ob eine derartige Auffassung Be- rechtigung hat. Zunächst ist bekannt, dass die Rückbildung eines Theiles im Organismus sich in der Ontogenese derart äußert, dass der betreffende Theil embryonal nicht mehr zur Anlage zu kommen braucht. In Verlust gerathene Organe, selbst von der ursprünglichen Bedeutung der Vorderextremität der Schlangen, der Zähne der Vorfahren der Vögel, der hintersten Kiemenbogen etc. ete., können in der indivi- duellen Entwicklung völlig unterdrückt werden. Derartige Vorkomm- nisse sind ja als Erscheinungen der Cänogenese allgemein bekannt. Fehlen also in der Ontogenese die Mm. laryngei, so spricht dies nicht gegen ihre frühere Existenz. Es kann nun aber fraglich erscheinen, ob man berechtigt ist, an die Ableitung des Sphincters von einem Laryngeus ventralis zu denken, trotzdem letzterer ontogenetisch nicht zum Vorschein kommt. Unsere Erfahrungen auf dem Gebiet der Ontogenese geben uns aber allerdings die Berechtigung hierzu. Die ontogenetische Entwicklung eines Organs, das phylogenetisch aus einem anderen sich bildete, kann jenen Ausgangszustand überspringen. Ein, wie mir scheint, treffendes Beispiel hierfür liefert die Ge- schichte der Glandula thyreoidea. Wir wissen, dass dieselbe phylo- genetisch aus der Hypobranchialrinne sich entwickelt hat, die bei den Tunicaten und bei Amphioxus als ein drüsiges Organ an der Ventralseite der Kiemenhöhle entlang zieht und, wenigstens bei den Tunieaten, in wichtiger Beziehung zur Nahrungsaufnahme steht. Nur bei Petromyzon können wir noch ontogenetisch die Entwicklung der Thyreoidea aus der Hypobranchialrinne beobachten. Bei den höheren Formen ist dies nicht mehr der Fall. Die Schilddrüse entsteht hier aus einem kleinen Divertikel der ventralen Schlundwand in der Ge- gend des zweiten Schlundbogens. Von einer Hypobranchialrinne ist hier nichts mehr zu bemerken. Der phylogenetische Ausgangszu- stand wird also in der Ontogenese übergangen. Die Zahl der Beispiele ließe sich beliebig vermehren. Nur eins will ich noch anführen, weil es den Kehlkopf selbst betrifft. Ich meine die Bildung des zweiten (hinteren) Bestandtheils der Cartilago thyreoidea. Bekanntlich hat die Gestaltung des letzteren Knorpels bei Monotremen, so wie auch einzelne Befunde bei den höheren Säu- gern (Foramen laterale) gezeigt, dass der Schildknorpel phylogene- tisch aus zwei Kiemenbogen herzuleiten ist (dem zweiten und dritten). In der Ontogenese entspricht jedoch nur der vordere Bestandtheil 5* 68 Ernst Göppert des Thyreoids wirklich einem embryonalen, und zwar dem letzten, Kiemenbogen. Der zweite Schildknorpelbestandtheil entsteht onto- genetisch ohne Beziehung zu einem Schlundbogen. Wieder ist also hier die primitive Bildung in der Ontogenese unterdrückt worden. Der phylogenetisch aus ihr hervorgegangene Theil tritt nunmehr scheinbar ganz selbständig auf. Die Kenntnis derartiger Abweichungen vom biogenetischen Grund- gesetz bringt uns dazu, trotz des Mangels positiver ontogenetischer Hinweise an der Möglichkeit festzuhalten, dass auch bei den Vor- fahren der Anuren der Sphincter aus einem ventralen Paar von Mm. laryngei entstanden ist. Die Vorfahren der Anuren sind aber doch unzweifelhaft urodele Amphibien gewesen. Wir werden ihnen daher einen Zustand der Pharynxmuskulatur zuschreiben miissen, wie wir ihn noch jetzt bei den primitiven Urodelen vorfinden. Bestimmte Anhaltspunkte hierfiir ergaben sich im Verlauf der Arbeit. Wir sahen einmal im Verhalten des Dilatator laryngis deutlich den Hinweis auf das frühere Bestehen eines Dorso-pharyngeus. Die ursprüngliche Existenz eines Hyo- pharyngeus wird aus dem Zustand des sogenannten Hyo-laryngeus bei der Larve erhärtet. Damit wird es wahrscheinlich, dass auch die Constrietoren des Kehlkopfs bei den Ahnen der Batrachier übereinstimmten mit denen der jetzt lebenden primitiven Urodelen, also aus Musculi laryngei bestanden. Es fragt sich nun, ob das Fehlen von Mm. laryngei, wie sie die Urodelen zeigten, bei den Anuren nicht aus allgemeineren Or- ganisationsverhältnissen verstanden werden kann. Aus den vorhergehenden Auseinandersetzungen ergiebt sich, dass der ursprüngliche Zustand der Mm. laryngei abhängt von dem Bestehen und der Wirksamkeit des M. hyo-pharyngeus und des M. dorso-pha- ryngeus. Nur daraus ist ihre Anordnung verständlich, dass sie jene . . beiden Muskeln in ihrer Wirkung auf den Pharynx unterstützen. Ge- nau das Gleiche gilt von den Mm. laryngei der höher entwickelten, d. h. mit einem Sphincter ausgestatteten Formen. Nun ist den jetzigen Anuren der Hyo-pharyngeus verloren ge- gangen. Der Dorso-pharyngeus giebt schon im frühesten Larven- leben seinen Einfluss auf den Pharynx auf und wird zu einem ausschließlichen Dilatator laryngis. Daraus ergiebt sich, dass die Museuli laryngei, wie wir sie bei den Urodelenlarven antrafen, bei den jetzigen Anuren schon im Larvenleben gar nicht bestehen Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 69 können. Gleichzeitig wird es nach dem oben Bemerkten verständ- lich, dass Mm. laryngei auch in der Ontogenese völlig fehlen. Wir müssen uns jetzt Dasjenige ins Gedächtnis zurückrufen, was oben über die Phylogenese der Schließmuskulatur der Urodelen gesagt wurde. Wir sahen dort, dass dem Bestehen eines Sphincters, d.h. eines ausschließlich im Dienst des Larynx stehenden Muskels ein Zu- stand vorausging, der die Kehlkopfverengerer gewissermaßen noch in der Mitte zwischen reinen Pharynx- und reinen Kehlkopfmuskeln zeigte; die primitiven Kehlkopfeonstrietoren besitzen Beziehungen zu den Con- strietores pharyngis, während sie gleichzeitig bereits den Kehlkopf- eingang beeinflussen. Der Nachweis solcher Ubergangsbildungen, wie sie die Mm. la- ryngei darstellen, macht uns das Auftreten eines ausschließlich dem Kehlkopf angehörigen Sphincters verständlich. Ein derartiges Ver- ständnis der Phylogenese des Sphincter laryngis gewährt uns aber die Ontogenese bei den Anuren nicht, indem sie uns den Muskel von vorn herein in specialisirtem Verhalten entgegenbringt. Daraus geht hervor, dass hier eine cänogenetische Abweichung der Onto- genese von der phyletischen Entwicklung des Muskels vorliegen muss. Fassen wir schließlich alle diese Erwägungen zusammen, so kommen wir zu der Überzeugung, dass auch die Vorfahren der Anuren Mm. laryngei als primitive Schließmuskulatur des Kehlkopfs besaßen, dass auch hier der Sphincter aus einem ventralen Paar dieser Muskeln hervorging. Der Sphincter übernahm die Wirksamkeit der Mm. laryngei, so weit sie sich auf den Larynx bezog. Eine Erhaltung der Laryngei auf Grund ihrer Leistung als Synergisten der primitiven Constrietores pharyngis, wie bei den Salamandrinen, war bei den Anuren ausgeschlossen, da hier die ursprüngliche Pharynxmuskulatur eine wesentliche Umgestaltung durch- machte. Die Mm. laryngei gingen damit gänzlich verloren. Die Folge hiervon ist ihr völliges Ausbleiben in der onto- genetischen Entwicklung. Dadurch ist auch die Phylo- genese des Sphincter laryngis der Anuren entwicklungs- geschichtlich nicht mehr festzustellen. Nur eine schwache Andeutung des wahren Verhaltens stellt der Umstand vor, dass der Muskel von der Ventralseite her den Larynx um- wächst. Wenn ich bei den letzten Ausführungen besonderen Nachdruck 70 Ernst Göppert auf die Abkürzung der phyletischen Entwicklung in der Ontogenese, also auf die Bedeutung der Cänogenese legen musste, so ist mir vollkommen klar, dass nur bei der Anerkennung der hier vertretenen Beurtheilung der Entwieklungsgeschichte auch die obige Beweis- führung anerkannt werden kann. Zu der, meiner Meinung nach, allein richtigen Würdigung des Werthes entwicklungsgeschichtlicher Thatsachen gelangen wir aber nur durch sorgfältigstes Vergleichen derselben mit den Ergebnissen vergleichend-anatomischer Forschung. Wie bei der Behandlung des Dilatator laryngis, so müssen wir auch hier noch einen kurzen Blick auf die Schließmuskulatur des Kehlkopfs bei den anderen Klassen der Wirbelthiere werfen. So weit das Verhalten des Kehlkopfverengerers bei den Sauropsiden bekannt geworden ist, begegnen wir bei ihm im Großen und Ganzen denselben Verhältnissen, wie beim Sphincter der Urodelen (vgl. J. Hexte), d. h. wir haben hier einen ringförmig den Kehlkopf umziehenden Muskel, der aus zwei symmetrischen Hälften aufgebaut ist, also dorsal und ventral vom Kehlkopf unterbrochen ist: der Muskel liegt unmittelbar hinter der Befestigungsstelle des Dila- tators. Besonderheiten ergeben sich namentlich in der Anheftungs- weise der beiden Muskelhälften. So sind dieselben z. B. häufig ventral am Körper des Zungenbeins befestigt oder gehen hier vom sogenannten Ligamentum hyo-thyreoideum aus, oder haben am Cri- coid, speciell am sogenannten Processus epiglotticus desselben, Be- festigung gewonnen. Dorsal kommen Anheftungen am Arytänoid und am Cricoid, speciell am Procricoid vor. Nach unseren Erfahrungen bei den Anuren werden wir diese Befunde als sekundäre Anpassungen zu beurtheilen haben und den Schließmuskel der Sauropsiden als ein Homologon des Sphincters der Urodelen auffassen müssen. Freilich wird sich auch hier entwicklungsgeschichtlich der Gang der Phylogenese des Muskels nicht mehr verfolgen lassen. Die Um- bildungen im Bereich des Visceralskelets und seiner Muskulatur, die Verlagerung des Larynx nach vorn sind zu eingreifend, als dass man noch in der embryonalen Entwicklung einen sicheren Hinweis auf die Phylogenese erwarten könnte. Auch hier gelten also die oben gegebenen Bemerkungen über das Verhalten der individuellen zur phyletischen Entwicklung. Naturgemäß finden wir die komplicirtesten Verhältnisse der Kehl- kopfschließmuskulatur bei den Säugern (vgl. vor Allem FÜRBRINGER, 4). Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 71 Es scheint, wenn wir der Anschauung Dusots’ (2) folgen wollen, als wenn hier im primitivsten Verhalten die Schließmuskulatur sich aus vier Quadranten zusammensetzt. Duso1s beschreibt jederseits bei den Aplacentaliern einen M. thyreo—ary-cricoideus und einen M. ary-erico— procricoideus, die aber hinter dem Arytänoid in einander übergehen. Bei den Placentaliern entsteht unter Rückbildung des Procricoids und der bei einer Anzahl von Formen an dessen Stelle gelegenen medianen Zwischensehne ein dorsaler unpaarer Muskel, der Inter- arytaenoideus, während sich als ventrale Segmente jederseits der Musculus thyreo-arytaenoideus und crico-arytaenoideus lateralis vor- finden. Oberflächliche Fasern der beiden letzteren Muskeln treten bei den höheren Formen (namentlich Mensch) mit solchen des Inter- arytaenoideus zu einem oberflächlichen Ringmuskel zusammen, der jedoch als sekundäre Bildung zu betrachten ist (FURBRINGER). © Wir sehen also, dass die Verhältnisse hier außerordentlich viel komplieirter liegen als bei den Sauropsiden. Wichtig erscheint hier besonders das ursprüngliche Bestehen von vier mehr oder weniger von einander geschiedenen Quadranten, zwischen denen sich seitlich die Insertion des Dilatators, am Processus muscularis des Arytänoids, einschiebt. Damit scheinen Verhiltnisse vorzuliegen, die von denen der Sauropsiden weitab liegen und scheinbar an den Zustand des Constrietors bei den primitiven Urodelen (Proteus) anknüpfen. Wir würden damit von diesem aus für die Kehlkopfschließer zwei diver- gente Entwicklungsreihen anzunehmen haben, von denen die eine di- rekt zu den Säugern, die andere über das bei den höheren Urodelen und den Anuren konstatirte Verhalten zu den Sauropsiden leitete. Vor der Hand scheint mir aber die damit berührte Frage noch nieht spruchreif zu sein. | Schluss. Nachdem wir nunmehr zu einem gewissen Abschluss in der Behandlung unseres Themas gelangt sind, wollen wir noch einmal kurz den Stand unserer Kenntnisse über die Phylogenie der Kehl- kopfmuskeln darlegen. Die Muskulatur des Kehlkopfs nahm ihre Entstehung aus zwei Pharynxmuskeln, aus dem Dorso-pharyngeus (Dorso-trachealis, FISCHER) einerseits, dem Hyo-pharyngeus (Hyo-trachealis, FiscHEr) andererseits. Der erstere, von der Nackenfaseie entspringend, ist als ein ursprüng- licher Levator des fünften, in die Cartilago lateralis übergegangenen 19 Ernst Göppert Kiemenbogens aufzufassen. Der Hyo-pharyngeus, der im primitiven Ver- halten seinen Ursprung vom vierten Arcus branchialis nimmt, gehört in das System der Constrictores arcuum visceralium (vgl. GEGENBAUR). Mit der Rückbildung des vierten Kiemenbogens, wie bei Proteus und Menobranchus, tritt der Hyo-pharyngeus mit dem Levator ar- cus IV in einer Inscription zusammen, während die Hauptmasse des Muskels ihren Ursprung auf den dritten Kiemenbogen verlegt (Pro- teus und Menobranchus). Letzterer fehlt bei den Salamandrinen nach der Metamorphose. Es entsteht hier aus Levator IV und Hyo-pha- ryngeus ein »Digastricus pharyngis«. Aus dem Dorso-pharyngeus entwickelte sich nun der Dilatator laryngis: Im primitivsten, bei den Amphibien repräsentirten Zu- stand wirkt der gesammte Dorso-pharyngeus, an der noch unzer- legten Cartilago lateralis befestigt, gleichzeitig als Constrietor pha- ryngis und als Öffner des Kehlkopfs (Proteus). Der primitive Dilatator laryngis hat also zwar Beziehungen zu den Luftwegen, steht jedoch gleichzeitig in ausgiebigster Weise noch im Dienste des Pharynx. In anderen Fällen tritt innerhalb des Muskels eine Sonderung ein. Nur der vorderste Abschnitt des Dorso-pharyngeus behält zunächst die eben charakterisirte Zwitterstellung bei. Er stellt damit den Dorso- Jaryngeus vor. Der hintere Theil des Muskels wird, indem er seine Befestigung an dem Skelet der Luftwege aufgiebt, zu einem reinen Constrietor pharyngis. Dieser hinterste Abschnitt fehlt bei den Anuren, zeigt andererseits bei Menobranchus Verhältnisse, die an den Zustand der Pharynxconstrietoren bei den Säugethieren erinnern. Die Sonderung im Dorso-pharyngeus wird weiter geführt, indem der Dorso-laryngeus allmählich seine Beziehungen zum Pharynx auf- giebt und ausschließlich als Dilatator in den Dienst des Kehlkopfs tritt. Dieses Ende des schrittweise sich vollziehenden Funktionswechsels kommt zu Stande durch eine Verlagerung des Ursprungs des Muskels, die endlich eine Einwirkung desselben auf den Pharynx ausschließt. Wir können diese Verlagerung verfolgen in der Ontogenese der Anuren und finden sie ferner annähernd vollzogen bei einer vor der Metamorphose stehenden Larve von Ichthyophis glutinosa. Bereits Proteus zeigt den Beginn der Verlagerung. Die in der Klasse der Amphibien gemachten Erfahrungen berech- tigen uns auch für den Dilatator der Sauropsiden und Mammalien einen entsprechenden Entwicklungsgang anzunehmen. Eine verwickeltere Geschichte hat die Schließmuskulatur des Kehlkopfs. Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 73 Den urspriinglichsten Bestandtheil derselben stellt der Museulus laryngeus ventralis vor. Derselbe entspringt jederseits vom Arytä- noid resp. vom vorderen Theil der Cartilago lateralis und zieht medianwärts zur Linea alba des Hyo-pharyngeus ventral vom Kehl- kopf. Er ist, wie sein Verhalten im fertigen Zustand sowie seine Ontogenese zeigen, ein Abkömmling des Hyo-pharyngeus. Zu diesem Muskelpaar gesellt sich ein zweites, das des Muscu- lus laryngeus dorsalis, welcher das Verhalten des Laryngeus ven- tralis dorsal vom Kehlkopf wiederholt. Wir leiteten diesen Muskel, gestützt auf Entwicklungsgeschichte und vergleichend-anatomische Erwägungen, vom Dorso-pharyngeus ab. Den primitivsten Zustand der Constrietoren des Larynx finden wir repräsentirt bei Proteus und Menobranchus. Wir finden hier eben nur die beiden Paare der Musculi laryngei vor. Ähnlich wie bei dem ursprünglichen Zustand des Dilatator la- ryngis erkennen wir auch die primitiven Schließmuskeln des Kehl- kopfs in zweifacher Beziehung. Einerseits sind sie allerdings Con- strietoren des Kehlkopfeingangs, weiter sind sie aber, wie ihre Anordnung zeigt, Synergisten der Pharynxconstrictoren, des Hyo- pharyngeus und Dorso-pharyngeus. Wir führten aus, dass wir die phylogenetische Entstehung dieser Musculi laryngei uns nur aus der letzteren Leistung erklären können. In der Stammesgeschichte entstanden sie aus den genannten Pharynx- muskeln als Verstärker der Leistung derselben. Die Lagerung des zur Cartilago lateralis der Luftwege später sich umbildenden Arcus branchialis V, der ihnen zur Befestigung diente, brachte die Muskeln in Beziehung zum Eingang des Luftweges. Damit trat zu ihrer ur- sprünglichen Leistung als Constrietoren des Pharynx sogleich die als Verengerer des Kehlkopfs hinzu. Man kann daran denken, dass möglicherweise die Wirkung die- ser Muskeln als ein aktives Moment erst den fünften Kiemenbogen in den Dienst des Luftwegs stellte. Innerhalb der primitiven Kehlkopfconstrictoren tritt nun eine Differenzirung ein, entsprechend den beiden Seiten ihrer Wirksamkeit. Vom Laryngeus ventralis aus entstand der Sphincter laryngis, der mit dem anderseitigen dorsal und ventral vom Kehlkopf zusammentreffend mit jenem einen aus zwei symmetrischen Hiilften sich aufbauenden Ringmuskel bildet. In Zusammenhang mit der Ausbildung dieses allein dem Kehl- kopf angehörigen Muskels verlor der Rest des Laryngeus ventralis 74 Ernst Göppert eben so wie der Laryngeus dorsalis ihre Wirksamkeit auf den Kehl- kopf. Indem sie ihre Befestigung an dem sich verschmälernden Arytänoid aufgaben und mit dem Dorso-pharyngeus zu einer physio- logischen Einheit zusammentraten, bildeten sie reine Pharynxcon- strietoren (Salamandrinenlarven, Siredon). | Mit der Rückbildung des Kiemenapparates musste auch ein Theil der Muskulatur schwinden, die eine Verengerung des Kopfdarmes vermittelte. Als Ausfluss dieser Rückbildung sehen wir auch die Musculi laryngei nach der Metamorphose mehr oder weniger der Rückbildung verfallen. Sie fehlen den Anuren nieht nur im ausgebildeten Zustand, sondern auch im Larvenzustand gänzlich. Wir konnten dieses Fehlen aus dem Verhalten der Muskulatur des Pharynx verständlich machen und nahmen auch für die Anuren das bei Proteus gefundene Ver- halten der Constrietoren als Urzustand an. Als Folge der Rückbildung der Museuli laryngei sehen wir die- selben bei den Anuren auch in der Ontogenese nicht mehr auftreten. Die phylogenetische Abstammung des Sphincters vom Musculus la- ryngeus ventralis ist damit ontogenetisch hier nicht mehr erkennbar. Dasselbe gilt voraussichtlich für die Sauropsiden. Auch hier besteht nur ein paariger Sphineter, der als dem der Urodelen homolog und damit als von gleicher Abstammung zu erachten ist. Das Ver- halten des Schließapparats des Sauropsidenlarynx knüpft direkt an den Zustand desselben bei den höheren Amphibien an. Das Verhalten der Constrietoren des Säugethierkehlkopfs lässt schließlich den Gedanken zu, dass es sich an den Zustand bei den niedersten Urodelen (Proteus) anschließt. Weitere Untersuchungen werden jedoch diese Frage erst zu entscheiden haben. Das Hauptresultat unserer Untersuchungen ist endlich in wenigen Worten zusammenzufassen: Die Kehlkopfmuskeln sind von zwei Pharynxmuskeln, dem Dorso-pharyngeus und dem Hyo-pharyngeus, abzuleiten. Wir konnten dabei zeigen, dass sowohl der Dilatator, wie der Constrietor laryngis in ihrem ursprünglichen Verhalten noch unzweideutige Be- ziehungen zur Pharynxmuskulatur zeigen. Sie beeinflussen hier nicht nur das Lumen des Kehlkopfs, sondern gleich- zeitig das des Pharynx, nehmen also eine Zwitterstellung zwischen Pharynx- und Kehlkopfmuskeln ein. Von diesem Zustand aus entwickelte sich erst eine Muskulatur, die dem Kehlkopf ausschließlich angehörte und damit gleichzeitig Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 75 zu höherer Leistung für das Organ befähigt war, als es bei dem primitiven Verhalten der Fall sein konnte. Für den Gang der phyletischen Entwicklung der Kehl- kopfmuskulatur hat sich also aus der vorliegenden Unter- suchung ergeben, dass ganz allmählich Theile der Schlund- mus kulatur ihre primitive Anordnung und Wirkungsweise aufgaben zu Gunsten einer neu erworbenen und sich weiter ausbildenden Beziehung zu den Luftwegen und dass auf diesem Wege schließlich reine Kehlkopfmuskeln aus Pha- rynxmuskeln sich entwickelten. Heidelberg, 22. Mai 1894. Litteraturverzeichnis. 1) A. Ecker, Die Anatomie des Frosches. Ein Handbuch für Physiologen, Arzte und Studirende. I. Abtheilung. 2. Aufl. Braunschweig 1887; und III. Abtheilung, bearbeitet von R. WIEDERSHEIM. Braunschweig 1882. 2) EuG. Dusois, Zur Morphologie des Larynx. Anat. Anz. Bd. I. Heft 7 u. 9. Jena 1886. . G. FiscHer, Anatomische Abhandlungen über die Perennibranchiaten und Derotremen. Hamburg 1864. 4) M. FÜRBRINGER, Beitrag zur Kenntnis der Kehlkopfmuskulatur. Jena 1875. . GEGENBAUR, Die Epiglottis. Vergleichend-anatomische Studie. Leipzig 1892. . HENLE, Vergleichend-anatomische Beschreibung des Kehlkopfs mit be- sonderer Berücksichtigung des Kehlkopfs der Reptilien. Leipzig 1839. . VAN DER HOEVEN, Ontleed- en dierkundige bijdragen tot de kennis van Menobranchus, den Proteus der meren van Noord-America. Leiden 1867. . K. HorrmMann, Amphibien. in: Bronn’s Klassen und Ordnungen des Thierreichs. Leipzig-Heidelberg 1873—78. 9) M. Rusconi, Histoire naturelle, développement et métamorphose de la Sala- mandre terrestre. Pavie 1854. 10) M. Rusconı e CONFIGLIACHI, Del Proteo anguineo di Laurenti monografia. 12) F. Pavia 1818. . und F. Sarasin, Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschungen auf Ceylon. Gymnophiona. 1890. E. Scuutze, Über die inneren Kiemen der Batrachierlarven. II. Mit- theilung. Aus den Abhandlungen der königl. preuß. Akademie der Wissenschaften zu Berlin vom Jahre 1892. Berlin 1892. : 76 Ernst Göppert 13) v. SIEBOLD und STANNIUS, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie. II. Theil: Wirbelthiere, von H. Srannius. Berlin 1846. 14) —— Handbuch der Zootomie. II. Theil: Die Wirbelthiere, von H. Stan- nius. 2. Aufl. Berlin 1856. 15) B. VETTER, Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Kiemen- und Kiefermuskeln der Fische. Jenaische Zeitschrift. Bd. VIII. N. F. I, 3. 16) R. WIEDERSHEIM, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere. 2. Aufl. Jena 1886. 17) H. H. WıLDer, A Contribution to the anatomy of Siren lacertina. Zoolog. Jahrbücher. Bd. IV. Jena 1889. 18) —— Studies in the phylogenesis of the larynx. Preliminary communication. Anat. Anz. Bd. VII. Nr. 18. Erklärung der Abbildungen. Tafel I und II. Für alle Figuren geltende Bezeichnungen: Ar Arytänoid, M.lar.ventr Musculus laryngeus ventra- Br knorplige Kiemenbogen, lis, Ch Chorda dorsalis, M.lev.I—IV Musculus levator arcus Hy Hyoidbogen, branchialis I—IV, K äußere Kiemen, M.st-ph Musculus sterno-pharyngeus, L Larynx, Med.spin Medulla spinalis, M.d-! Musculus dorso-laryngeus, Per Perikard resp. Perikardialsack, M.d-ph Musculus dorso-pharyngeus, Ph Pharynx resp. Pharynxwand, M.h-ph Musculus hyo-pharyngeus, Th Thymus, M.lar.dors Musculus laryngeus dorsalis, Z Zunge. In allen Figuren sind die knorpligen Theile blau gehalten. Tafel I. Fig.1. Salamandra maculosa. Aufsicht auf die ventrale Wand der Mund- höhle und des Pharynx, nach Spaltung des Schädels. 2/1. Die Schleim- haut des Pharynx ist zwischen den beiden Linien $ entfernt. J In- scription zwischen den beiden Bestandtheilen des M. digastricus pharyngis (M.dig.ph), dem früheren M. levator arcus IV (M.lev. IV) und Hyo- pharyngeus (M.h-ph) der Larve. Fig. 2. Siredon pisciformis. Muskulatur des Visceralskelets, von der rech- ten Seite gesehen. 2/1. Art.pulm Arteria pulmonalis. Cu Cucullaris. M.dors.se Musculus dorsalis scapulae. Sc knöcherner, Se! knorpliger Theil der Scapula. F Fascie der dorsalen Längsmuskulatur. M.v ven- trale Rumpfmuskulatur. M.dig Musculus digastricus (depressor maxil- lae inferioris). DMm.c.a Musculi constrictores arcuum branchialium. Fig. 3. Fig. 4. Fig. 6. Fig. 7. Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. 77 M.ert-hy.int Musculus cerato-hyoideus internus. Mm.add Musculi ad- ductores arcuum visceralium. « hinterste Portion des Musculus levator arcus IV, die an der langen Ursprungssehne am hinteren Rand des M. hyo-pharyngeus (M.h-pk) inserirt. Menobranchus lateralis. Hinterster Theil der visceralen Musku- latur, von der linken Seite gesehen. 1,5/1. J Inseriptio tendinea zwischen dem Musculus levator IV (M.lev.IV) und dem Hyo-pharyn- geus (M.h-ph). a.b.c Bandapparat zwischen dem dorsalen Ende des ersten, zweiten und dritten Kiemenbogens (Br. T—III) und dem cau- dalen Ende der Inscription (J). M.dig M. digastricus (M. depressor maxillae inferioris). M.d-ph! seitlich von der Pharynxwand entspringen- der Abschnitt des M. dorso-pharyngeus. M.st-ph Musculus sterno- pharyngeus, zum Theil entfernt. M.o-ph Musculus omo-pharyngeus; der Ursprung desselben von der Inscription (J) ist abgetragen. Cu Cu- eullaris. 7 Fascie der Nackenmuskulatur. Dasselbe Präparat wie in Fig. 3, nach Entfernung eines Stückes aus dem M. dorso-pharyngeus (M.d-ph). Damit übersieht man den ge- sammten seitlich vom Pharynx entspringenden Theil dieses Muskels (M.d-phi). Dieselben Bezeichnungen wie in Fig. 3. Menobranchus lateralis. Aufsicht auf den Boden der Mundhöhle und die ventrale Pharynxwand, nach medianer Spaltung des Schädels. 1,5/1. Die Schleimhaut ist zwischen den mit S bezeichneten Linien entfernt. Zungenbeinbogen (Hy) und Zungenbeinkörper schimmern durch die Schleimhaut durch. a Kehlkopfeingang. Hinter demselben sind die beiden Arytänoide (blau, nicht bezeichnet) sichtbar. Man erkennt, dass die vordersten Fasern des M. dorso-pharyngeus (M.d-ph) am Ary- tänoid inseriren. Unmittelbarer Anschluss des M. laryngeus dorsalis (M.lar.dors) an Theile des Dorso-pharyngeus. 5 Querschnitte der den Pharynx ringartig umgebenden Theile des Dorso-pharyngeus. M.st-hy Musculus sterno-hyoideus. ce Vertiefung zwischen Hyoid- und erstem Kiemenbogen (Br.Z). Proteus anguineus. Aufsicht auf den Boden der Mundhöhle und die ventrale Pharynxwand, nach medianer Spaltung des Schädels. 2,5/1. Zwischen den mit S bezeichneten Linien ist die Schleimhaut abpräparirt. a Kehlkopfeingang. Hinter demselben ist jederseits ein Theil der Cartilago lateralis (blau, nicht bezeichnet) sichtbar, an der der M. dorso-pharyngeus (M.d-ph) inserirt. J Inscriptio tendinea zwi- schen Levator IV (M.lev. IV) und dem hinteren Theil des M. hyo- pharyngeus (M.Ah-ph). Letzterer ist durch die Pharynxinsertionen des M. sterno-hyoideus in mehrere Züge zerlegt. Ein vorderes Bündel wird als M. protractor arcus ultimi unterschieden (M.p.a.w), der hin- terste Theil des Hyo-pharyngeus kommt am hinteren Rand des Dorso- pharyngeus zum Vorschein. 5 vorderer Abschnitt des Dorso-pharyn- geus (M.d-ph), entspringt von der Inscription (J) zwischen Levator IV und Hyo-pharyngeus. ce hinterer, von der Nackenfascie kommender Abschnitt des Dorsopharyngeus. Tafel II. Rana. 10 mm lange Kaulquappe. Querschnitt. 55/1. Der Schnitt liegt unmittelbar hinter der Verbindung zwischen Luftweg (Z) und Pharynx 78 Fig. 8. Fig. 9. Fig. 10. Ernst Göppert, Die Kehlkopfmuskulatur der Amphibien. (Ph). Dil Museulus dilatator laryngis. Es ist nur der Ursprungstheil des Muskels zu sehen. H Leber. M Rumpfmuskulatur. G Vagus- ganglion. Siredon pisciformis. 10 mm lange Larve. Querschnitt. 150/1. Erste Anlage der Schließmuskulatur des Kehlkopfs, a, in Zusammen- hang mit dem M. hyo-pharyngeus (M.h-ph). Ar Anlage des Arytä- noids. Überall noch Dotterbliittchen. Die Orientirung erleichtert ein Vergleich mit Fig. 9. Siredon pisciformis. 13,5 mm lange Larve. Querschnitt. 50/1. Ar Anlage des Arytiinoids. Dem bereits wohlentwickelten M. laryn- geus ventralis (M.lar.ventr) liegen junge Muskelelemente auf (Anlage des Sphincters). Rechts ist der unterste Abschnitt des M. dorso-la- ryngeus (M.d-!) zu sehen. K Kopfdarmhöhle. Jederseits sind die beiden letzten Kiemenspalten sichtbar. JZ Rumpfmuskeln. Triton alpestris. 9mm lange Larve. Querschnitt durch Pharynx (Ph) und Kehlkopf (Z). Ar Anlage des Arytänoids. M.lar.dors An- lage des M. laryngeus dorsalis; die Elemente derselben liegen mit ihren Längsachsen in der Verlängerung des M. dorso-pharyngeus (M.d-ph). ‘Taf. 1. re RT ae oe ee = —=-- 5 | \ (Es eee ees H----7---- i He a 2 = = -M.d-ph Se N - -Mh-ph \ Eau ee ey -M.o-ph Er SF M.dph ; as \ t \ 1 \ ' \ ‘ 1 a ‘ I \ 13 \ i ‘ pi se gs xi ee ee lee ! | \ Wy rm 7 Mst-ph . Lith, Ansi.v EA Funke. Leipzig M.d-ph' Br Miph Mst-ph J Fig. 4. Menobranchus +; a M.lar dovs..- | Md-l. $ Sph Mali ph M.st-hy fig.1. Sulamandra 4 Mp au IF U ----- - M.h-ph —- Mile. —I--— M lar dors. Milev IV Aa = Mie ie Art. pulın. F / Merl Miler I Milg a S c s M.d-ph b Fig. 5. Proteus 25/4 Br] Be se" yy Bet 6 er oy Br IF == Moorthy: int Mm add. Par Mr Mh-ph Mm oa fig.2. Siredon % Mist-hy = Fig 5. Menobranchus bad } 4 \ ae Hy “3 5 1 -Br “2 Brl Br 0 FT Mh pny - “= M.d-ph -——b | | 3 Mile I | Mdig, Mel, Bric BU 5 oa wir = | Th F | 2 -Mid-ph | Cu 5 Mh-ph | - Moph | + -Md-ph! K Verlag v Wilh. Engelmann in | vipeig rn a re Teningen 5 v par yey . > OS atin a 4 fies > OE. rhs | Morpholog.Je Hon lahrb. Bd XXI. 3 ___ Taf I. Ved. spin 4 aM [77 Mla N Mle dl Dil u 1 ‘ th EE i @ Brit Brill N ir Bri | MAT | 1 \ 5 | Allar vent = i Mh phe | E | / | Altar ventr. | Fig.7. Rana. Larve Omm | & q or 55 | Fig. 9. x . cf Siredon Larve 13,5nun A ee | 0, c Br m Milan dors i] . -< de ee _ og r * - gauue® x % 960 00955, 82800 50006089 e's N N %, : ! N “ Ph 3 | ACH, JEDE FR, 2 8 y Mid. ph, Ar Per Ar | — De Tu ® u ie x «ee | he iad Per \ .'Y Frg.10. Triton. Larve Inm Mhph N 200, Fig.8. Siredon. Larve lomm 150 7 | Wilh. Engelmann 9% Über die ventralen Urwirbelknospen in der Brustflosse der Teleostier. Von Dr. H. K. Corning. (Aus dem deutschen anatomischen Institute zu Prag.) Mit Tafel III und IV. In seiner Studie über die Brustflosse der Fische! hat GEGENBAUR als Erster das Flossenskelet der Teleostier mit demjenigen der Selachier und der Ganoiden verglichen und den Versuch gemacht, die einzelnen | Formerscheinungen in einen Zusammenhang zu bringen. Seine Schlüsse sind in den folgenden Sätzen wiedergegeben: »Wie wir das Flossen- _ skelet der Ganoiden als eine Reduktion von jenem der Selachier er- klären müssen, so ist das Brustflossenskelet der Teleostier eine Re- duktion von jenem der Ganoiden. Das Basale des Metapterygiums trägt bei letzteren immer noch Strahlen. Diese sind bei Teleostiern in jenem Verhalten nicht mehr erkennbar. Es bleibt nur jenes Basale als erstes Basalstück fortbestehen und als Strahlenrudimente finden sich nur kleine Knorpelstücke, die auch an den drei folgenden aus Radien hervorgegangenen Basalstücken vorhanden sind... Während nun bei den Ganoiden, am bestimmtesten bei Acipenser und Polyodon, der ungleichartige Werth der in die Flossenbasis eintretenden Theile | | 1 GEGENBAUR, Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbel- thiere. Zweites Heft. Schultergürtel der Wirbelthiere u. Brustflosse der Fische. 1865. pag, 157. ; 80 H. K. Corning sich in den ungleichen Formverhältnissen des primitiv verschiedenen — Theils aussprach, so dass es möglich war, zwei Stücke als Basalien — der Selachier gleich zu halten und drei Stücke bei Acipenser als in die Flossenbasis eingetretene Radien festzustellen, so sind bei den meisten Teleostiern jene Unterschiede verwischt und alle Basalstücke — treten als gleichartige Theile auf, an denen die Zeichen der Ab- stammung verloren gingen... Die an der Selachier- und Ganoiden- flosse nothwendigen Unterscheidungen sind (an der Teleostierflosse) nicht mehr durchfiihrbar.« ~~ { t Es wäre also nach GEGENBAUR die Teleostierflosse durch Reduk- | tion aus der Ganoidenflosse hervorgegangen und diese selbst aus der Selachierflosse entstanden (vgl. auch pag. 161 der eitirten Abhand- lung). Die Teleostierflosse stünde an dem einen Ende der Reihe, die Selachierflosse am anderen Ende, zwischen beiden als Verbindungs- glied die Ganoidenflosse. Auf entwicklungsgeschichtliche Daten nimmt GEGENBAUR bei seinen Schlussfolgerungen keine Rücksicht. Erst ge- raume Zeit später erschien die Inauguraldissertation von G. SwIRSKI »Über die Entwicklung des Schultergürtels und des Skelets der Brust- flosse des Hechtes«!, welche eine mit großem Fleiße ausgeführte © Untersuchung der einzelnen Bestandtheile der Brustflosse enthält. Zu einer Stellungnahme in Bezug auf die GEGENBAURr’sche Theorie ist SWIRSKI eigentlich nicht gekommen ; eine eingehende Besprechung seiner Resultate werden wir noch an geeigneter Stelle bringen. Auf die frühesten entwicklungsgeschichtlichen Vorgänge, die sich vor der Abgrenzung der Extremität als Flosse abspielen, ist Swirskr über- haupt nicht eingegangen. In dieser Hinsicht bietet eine Arbeit von E. R. Boyer? manche willkommene Ergänzung. BoYER untersuchte einen Cyprinodonten, Fundulus heteroclitus, und hat eine vollstän- dige und im Wesentlichen auch für die Forelle und für den Hecht zutreffende Beschreibung der ersten Vorgänge bei der Bildung der vorderen Extremität gegeben. In zwei Punkten ist jedoch seine Be- schreibung mangelhaft, erstens scheint er das Wesentliche an der Beziehung zwischen Urwirbeln und Extremität nieht gefunden zu haben, nämlich die Bildung von Muskelknospen, und zweitens ist die Angabe, welche er über die Zahl der an der Extremitätenbildung betheiligten Urwirbel giebt, eine unrichtige. Vielleicht ist daran der ! Inauguraldissertation. Dorpat 1880. 2 E. R. Boyer, The mesoderm in Teleosts, especially its share in the formation of the pectoral plate. Bull. of the Museum of comparative Zoology, Harvard College 1892. Über die ventralen Urwirbelknospen in der Brustflosse der Teleostier. s1 Umstand Schuld, dass er bloß an Schnittserien die Entwicklung stu- diren konnte; gerade bei diesem Material ist es jedoch unumgänglich nothwendig, an einer großen Anzahl von gut gefärbten Flächenprä- paraten die Schnittserien zu kontrolliren. Die Technik der Präpa- ration werde ich weiter unten eingehend schildern. Bei meiner Untersuchung galt es mir zunächst die beiden Punkte, welche von BoYER unaufgeklärt gelassen waren, festzustellen, und ich suchte zuerst nach dem Vorhandensein von Muskelknospen, die ich auf Schnittserien und erst später weit deutlicher auf Flächen- präparaten auffand. Ich gab mir die größte Mühe, durch Anferti- gung zahlreicher Schnittserien in querer, horizontaler und sagittaler Richtung Gewissheit über das Schicksal der Muskelknospen und über ihre Umwandlung zu erhalten. Leider musste ich einen Misserfolg aus später zu schildernden Gründen verzeichnen. Dagegen gelang es mir an Flächenpräparaten mit großer Genauigkeit die Zahl der Ur- wirbel festzustellen, welche sich durch Abgabe von Muskelknospen an dem Aufbau der Extremität betheiligen; sie entsprechen, um das gleich von vorn herein zu sagen, der Zahl der Basalstücke, welche in der späteren Extremität vorhanden sind. Für die Rajiden hat RaBL (Mesoderm II pag. 135) die Beziehungen zwischen der Zahl der Radien und der Zahl der zur Bildung der vorderen und der hinteren Extremität beitragenden Urwirbel in die Formel zusammen- gefasst: + +4=W, d.h. die Hälfte der Radienzahl und der vier ersten, der Muskelknospen entbehrenden Urwirbel ist gleich der Zahl der Rumpfwirbel. Seiner Anregung der Sache, auch Teleostiern nachzugehen, verdanke ich die Fragestellung meiner Arbeit und meine Ergebnisse sind wohl als eine Bestätigung der Ragr’schen Schlüsse aufzufassen. Beim Hecht wie bei der Forelle sind nach GEGENBAUR 5 Basalstücke vorhanden, eine Zahl, die bei Teleostiern die Regel bildet, was jedoch nicht ausschließt, dass in Folge weiter- gehender Reduktionsvorgänge die Zahl der Basalia auf vier und noch weniger herabsinkt (pag. 158 der GEGENnBAuURr’schen Abhandlung). Leider war mir kein entwieklungsgeschichtliches Material von Silu- roiden zugängig, so dass ich die Art und Weise dieser Reduktion genauer hätte studiren können. Im Folgenden gebe ich eine Schilderung der Befunde bei der Forelle und beim Hecht, welche sich auf Form, Lage und Zusam- mensetzung der Extremität in frühen Entwicklungsstadien beziehen. Daran reihen sich die Beobachtungen, die ich über die Betheiligüng Morpholog. Jahrbuch. 22. 6 82 H. K. Corning der Urwirbel an dem Aufbau der Extremität habe machen können, und schließlich die Besprechung des knorpligen Skelets, also der- jenigen Vorgänge, die auch Swırskı zum Vorwurf für seine Disser- tation gedient haben. Die Embryonen wurden nach den mir von Professor RABL mit- getheilten, im anatomischen Institut zu Prag gebräuchlichen Methoden konservirt. Die in der Eischale konservirten Embryonen wurden, nachdem sie 2—3 Stunden in der Konservationsflüssigkeit verweilt hatten, von der Eischale befreit, der Dotter wurde halbirt und die Embryonen nach kurzem Auswaschen in destillirtem Wasser in all- mählich verstärktem Alkohol gehärtet. Nach einer Woche ist der Dotter hart und der Embryo mit dem Entoderm lässt sich vermittels einer Nadel leicht und meistens ohne Schaden vom Dotter abheben. Hechtembryonen sind stark um den Dotter herumgekrümmt, es ist daher nöthig, den Embryo zu halbiren und die vordere Partie beim Einschließen in Kanadabalsam in eine geeignete Lage zu bringen, um die Muskelknospen zu sehen. Die früheren Stadien der Muskel- knospenbildung sind bei der Forelle wie beim Hecht gut zu sehen, die späteren Vorgänge beim Auswachsen der Muskelknospen habe ich dagegen bloß beim Hecht verfolgen können. Die früheste Anlage der Brustflosse bei der Forelle wird ganz ähnlich gebildet wie sie von Boyer für Fundulus heteroclitus ge- schildert worden ist. Sie besteht zunächst aus zwei scharf zu trennenden Bestandtheilen, einer Ektodermfalte und einer Ansamm- lung von Mesodermzellen, die aus der Somatopleura herstammen. Es ist das Verdienst von BOYER, nachgewiesen zu haben, dass die Verdickung der Somatopleura zuerst auftritt und dass die Differenzi- rung des darüberliegenden Ektoderms als Hautfalte erst geraume Zeit später stattfindet, eine Thatsache, die ich ebenfalls an meinen Schnittserien konstatirt habe und die, wie Boyer richtig bemerkt!, der Theorie von BALFOUR und DoHrN über die ursprüngliche An- lage der Extremitäten als Längsfalte des Ektoderms vollkommen den Boden entzieht. Boynr giebt an, dass die Ektodermfalte erst mehrere Tage nach dem Auftreten der von ihm als »Pectoralplatte« bezeich- neten Somatopleuraverdickung erscheint; bei der Forelle ist jeden- falls der zeitliche Unterschied in der Entwicklung dieser beiden Bestandtheile der Brustflosse sehr beträchtlich; eine Ektodermfalte lässt sich weder bei der Serie der Fig. 1 Taf. III, noch bei derjenigen 1 Boyer, loc. cit. pag.127. Über die ventralen Urwirbelknospen in der Brustflosse der Teleostier. 83 der Fig. 2 nachweisen, wo doch die Muskelknospen (M.kn) schon angelegt sind, wenngleich sie noch nicht in die Mesodermmasse der Pectoralplatte (P.pl) hineingewuchert sind. Erst bei Fig. 3, wo die Muskelknospen schon stark ausgewachsen sind, ist eine Differenzi- rung des Ektoderms in der Form von hohen eylindrischen Zellen, wie sie schon Swirskr! beschrieben hat, zu konstatiren (ect.f. Fig. 3). Die Verdickung der Somatopleura und das Auftreten der Ektoderm- falte entsprechen den Schilderungen Ragr’s für Selachier (Mesoderm II). Ras gebührt das Verdienst, zuerst die Entwicklung der Selachier- flosse in ihren Anfängen genau beschrieben zu haben, indem er unterschied: 1) Wucherung der Somatopleura, 2) Entstehung der Ektodermfalte und 3) das Hineinwachsen der Muskelknospen in den durch die Verdiekung der Somatopleura gebildeten Mesodermwulst. Über die früheste Entwicklung der Extremitäten bringt die Arbeit von MOLLIER? nichts Neues. Die Verdiekung der Somatopleura, welche als die erste Anlage der Brustflosse aufzufassen ist, findet sich in der Höhe der ersten Urwirbel, Boyer sagt der ersten vier Urwirbel, doch ist eine genaue Abgrenzung nicht möglich, indem die Zellmasse der Peetoralplatte nach vorn, nach hinten und lateralwärts allmählich an Stärke ver- liert, so dass weder auf Schnittserien, noch auf Flächenpräparaten eine genaue Grenze gegen die Somatopleura zu ziehen ist (vgl. Figg. 1—4 auf Taf. IV p.pl). Die dichteste Anhäufung von Zellen in der Pectoralplatte findet sich jedenfalls auf der Höhe des zweiten, dritten und vierten Urwirbels, doch erstreckt sich die Pectoralplatte, wie man auf Schnittserien nachweisen kann, bis zur Höhe des fünften und sechsten Urwirbels. Hier besteht sie bei Embryonen, die dem Stadium von Fig. 1 Taf. III entsprechen, nunmehr bloß aus einer doppelten Zellschicht. Ein frühes Stadium ist auf Taf. III Fig. 1 dargestellt, der abgebildete Schnitt geht durch die Region der Vor- niereneinstülpung (v) und ist in Folge der Krümmung des Embryo etwas schräg ausgefallen. Der Schnitt liegt weiter caudalwirts als der in Fig. 2 zur Abbildung gelangte Schnitt durch einen älteren Embryo. Dies geht hervor: 1) aus dem Vorhandensein der Vornierenanlage und 2) aus dem Umstande, dass die seit ÖELLACHER® so viel be- 1 SWIESKI,: loc. cit. 2 MOLLIER, Die paarigen Extremitäten der Wirbelthiere. I. Das Ichthyo- pterygium. Anatom. Hefte. 1892. pag. 10. 3 OELLACHER, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Knochenfische. Zeitschrift f. wiss. Zool. 22. Band. 6* 84 H. K. Corning sprochene intermediäre Zellmasse (Taf. II] Fig. 1 d./ und 2.7) ange- schnitten ist. Letztere steht, wie ich gleich in vollster Uberein- stimmung mit Boyer! bemerken möchte, in keiner Beziehung zu der Pectoralplatte. Diese ist im vorliegenden Stadium linkerseits durch eine Verdiekung der Somatopleura dargestellt, über welche das Ekto- derm gleichférmig hinwegzieht. Die Pectoralplatte hat sich noch nicht von der Somatopleura losgetrennt, sondern wird bloß durch das Auswachsen der ursprünglich mehr kubischen Somatopleurazellen zu hohen eylindrischen Zellen dargestellt. Eine sorgfältige Durch- sicht der Serie schützt vor dem lrthum, als ob hier durch einen Schiefschnitt die eylindrischen Zellen vorgetäuscht würden. Von einer Differenzirung des Ektoderms an dieser Stelle ist nichts zu bemerken. Beachtenswerth ist das Verhalten des Urwirbels an seinem unteren gegen die Anlage der Pectoralplatte gerichteten Ende (Fig.1 z). Der Urwirbel zeigt schon eine Differenzirung in Sklerotom (S%2), Myotom {My) und Cutislamelle (C./am). Der untere und laterale Winkel wird durch eine Zellmasse gebildet, welche eine kleine Höhle umschließt und nach außen ziemlich stark vorspringt. Die Zellen der Cutislamelle gehen ohne Weiteres auf diesen Abschnitt des Ur- wirbels über, dessen ventrale Wand eine Strecke weit der Splanchno- pleura medianwärts von der Pectoralplatte eng anliegt. Dass dieser Vorsprung des Urwirbels mit den später zu schildernden Vorgängen der Muskelknospenbildung in Zusammenhang steht, gewinnt an Wahr- scheinlichkeit, wenn wir einen caudalwiirts von der Peetoralplatten- anlage gelegenen Urwirbel mit dem eben geschilderten vergleichen. Bei caudalwiirts gelegenen Urwirbeln ist zwar ebenfalls eine der- artige Kante vorhanden, allein nicht in so mächtiger Ausdehnung und in ganz anderer Riehtung entwickelt. Sie geht nach abwärts, ventralwärts, nicht horizontal vom Urwirbel ab, wie es bei den ersten Urwirbeln der Fall ist. Die Fig. 2 der Taf. II stellt ein weiteres Entwicklungsstadium dar. Auch hier ist der Schnitt in Folge der Krümmung des Embryo schräg ausgefallen, doch ist beiderseits die Pectoralplatte angeschnitten (p.pl). Das über der Pectoralplatte gelagerte Ektoderm (ect.f) zeigt bereits eylindrische Zellen, also den Anfang der mit der Extremi- tätenentwicklung in Zusammenhang stehenden Ektodermdifferenzirung. Die Aorta liegt in mächtiger Ausdehnung ventralwärts von der Chorda 1 Boyer, loc. cit pag.116 Uber die ventralen Urwirbelknospen in der Brustilosse der Teleostier. 85 und zeigt durch einen leichten medianen Vorsprung die ursprüngliche Zusammensetzung aus zwei getrennten Gefäßen an. Auch die Venae -eardinales (v.card) sind ventralwärts vom Urwirbel schon angelegt und stoßen lateralwärts an die lateralen Kanten der Urwirbel. Der Darm besitzt schon ein Mesenterium. Die Pectoralplatte besteht aus einem Haufen von dichtgedräng- ten Zellen, die sich besonders deutlich vom Ektoderm abgrenzen. Gegen die Splanchnopleura hin finden sich einzelne Zellen (z.z), die zwischen der Splanchnopleura und der Peetoralplatte eingeschaltet zu sein scheinen und die sich lateralwärts von der allmählich ab- nehmenden Pectoralplatte noch eine Strecke weit fortsetzen. Die einzelnen Schichten des Urwirbels, die Cutislamelle, das Sklerotom und das Myotom treten noch deutlicher hervor als im Stadium der Fig. 1. Die lateralen Kanten der Urwirbel gehen wagerecht nach außen und lagern sich an das mediale Ende der Pectoralplatte an, ohne jedoch in die letztere einzudringen. Eine Höhlung vermissen wir in dieser Partie des Urwirbels. Fig. 3 ist einer Serie entnommen, an welcher ich zuerst mit Be- stimmtheit die Existenz von Muskelknospen nachweisen konnte. Wie ich später fand, gelingt dies an guten Flächenpräparaten viel besser, doch müssen letztere natürlich durch Quer- und Horizontalschnitt- serien kontrollirt werden. Fig. 3 von der Forelle entspricht annähernd einem Flächenbild, wie es die Fig. 1 Taf. IV (vom Hecht) darstellt. Da sich die Muskelknospen und später auch die Radien von vorn nach hinten entwickeln, so wird man je nach der Lage des Schnittes in der Serie verschiedene Bilder erhalten. Fig. 3 Taf. III stellt einen Schnitt durch den zweiten oder dritten Urwirbel dar, dessen Flächen- bild ungefähr durch den dritten Urwirbel der Fig. 1 Taf. IV wieder- gegeben wird. Im Allgemeinen trifft die Beschreibung der Fig. 2 Taf. II auch auf Fig. 3 zu. Die Pectoralplatte selbst ist mächtiger und ihre Zellen scheinen mir dichter zusammengedrängt zu sein als in der Fig. 2. Sie bildet eine bedeutende Prominenz und auch das Ektoderm zeigt in ihrem Bereich eine Umgestaltung, indem die Zellen eine entschieden eylindrische Form annehmen. Unsere Haupt- aufmerksamkeit hat sich der lateralen Kante des Urwirbels (M.in) zuzuwenden. Sie ist bedeutend in die Länge nach außen gewachsen und zeigt zugleich eine leichte Wendung dorsalwärts. Ihr laterales Ende ist zu einem Knopfe angeschwollen, welcher sich nicht bloß wie bei Fig. 2 an die Pectoralplatte anlegt, sondern bereits in das. Gewebe der Pectoralplatte hineinzuwachsen beginnt. Die Muskelknospe 86 H. K. Corning ist in vorliegendem Stadium gegen die Zellmasse der Pectoralplatte hin vollkommen scharf abgegrenzt, mit dem Urwirbel hängt sie noch durch eine Zellbrücke zusammen, die rechts schmäler ist als links. Ein Blick auf die Zeichnungen der Taf. IV lehrt übrigens, dass die Muskelknospen durchaus nicht immer die gleiche Form, auch an unter einander gleichen Urwirbeln, besitzen. So sind z. B. auf Fig. 1 der Taf. IV die Muskelknospen des zweiten und dritten Urwirbels rechts schon im Begriff sich abzulösen, während die Muskelknospen der entsprechenden Urwirbel der linken Seite noch keine Einschnü- rung zeigen. Die Kerne der Muskelknospen unterscheiden sich in dem Stadium der Fig. 3 an gefärbten Präparaten von den Kernen der Pectoralplatte durch ihre dunklere Farbe. Eine regelmäßige An- ordnung ist bei ihnen nicht zu erkennen. Leider verwischen sich die Unterschiede zwischen den Kernen der Muskelknospenzellen und jenen der Zellen der Pectoralplatte je mehr die Muskelknospen in die Länge wachsen; und kurz nach ihrer Loslösung von den Ur- wirbeln, ja zum Theil schon vorher, sind die Unterschiede ganz ver- wischt, so dass es nicht gelingt, die Muskelknospen auf späteren Stadien innerhalb der Pectoralplatte zu verfolgen. Zu einer gewissen Zeit der Entwicklung erscheint daher die Extremität sowohl auf Flächenpräparaten als auch auf Quer- und Flächenschnitten als eine homogene dichte Zellmasse, in welcher man keine Differenzirung von Muskelknospen bemerkt. Erst in einem Stadium, wo die Anlage des Knorpelskelets beginnt, kann wieder von einer Unterscheidung einzelner Bestandtheile in dieser Zellmasse die Rede sein, indem sich die Knorpelstrahlen zunächst als Ansammlungen von dichtem Vorknorpelgewebe zu erkennen geben. Ich muss also hier eine em- pfindliche Lücke in meiner Untersuchung verzeichnen, die ich haupt- sächlich auf Rechnung der Eigenart des Materials setzen möchte. Bei Teleostiern sind die Zellen so klein und so dicht zusammenge- drängt. dass Zellmassen, die man bei Selachiern leicht unterscheiden kann, wegen der größeren Dichtigkeit des Gewebes einfach verloren gehen. So habe ich auch die Theilung der Muskelknospen in Streck- und Beugeknospen nicht verfolgen können. Überhaupt lässt sich der Ort der Entstehung der Muskelknospen, ihre Zahl und ihre Form am besten an Flächenpräparaten studiren. Ich habe daher vier Totalansichten der ersten Urwirbel und der Pectoralplatte vom Hecht auf Taf. IV gegeben und außerdem auf Taf. II noch eine Anzahl verschiedener Muskelknospen, ebenfalls vom Hecht abgebildet. Der Beschreibung dieser Abbildungen möchte ut ee Über die ventralen Urwirbelknospen in der Brustflosse der Teleostier. 87 ich aber noch einige Worte über die vordersten Urwirbel und über das Kopfmesoderm vorausschicken. Schon vor dem Stadium, welchem die Fig. 1 Taf. IV entspricht, zeichnen sich diejenigen Urwirbel, welche durch Abgabe von Muskel- knospen zur Bildung der vorderen Extremität beitragen, dadurch aus, dass sie eine ganz ungewöhnliche Breite erlangen. Ich habe ein derartiges Präparat nicht abgebildet, weil es so ziemlich der Fig. 1 der Taf. IV entspricht, wenn man sich an letzterer die Muskelknospen abgetragen denkt. Am breitesten sind der dritte, vierte und fünfte Urwirbel, der sechste ist annähernd so breit wie der zweite, der siebente endlich besitzt ungefähr die Größe des ersten, oder ist um ‘ ein Weniges breiter. Natürlich trifft dies nicht für jedes Präparat ‘genau in der gleichen Weise zu, doch kann ich nach Durchsicht einer größeren Anzahl von Flächenpräparaten behaupten, dass diese An- gaben für die Mehrzahl der Fälle richtig sind. Auffallend ist die geringe Breitenausdehnung des ersten Urwirbels. Dies fiel mir aus einem besonderen Grunde auf, nämlich weil, wie ich später aus- führen werde, der erste Urwirbel keine Muskelknospe abgiebt, ein Umstand, der dessen geringe Ausdehnung hinreichend erklären würde. Diese Breitenausdehnung der ersten Urwirbel ist zu einer Zeit vor- handen, wo die Pectoralplatte entweder noch nicht angelegt ist, oder - wo sie sich erst, wie auf Fig. 1 der Taf. III, als Verdickung der Somatopleura kund giebt. Ich glaube im Hinblick auf die späteren Entwicklungsvorgänge annehmen zu dürfen, dass diese eigenthüm- liche Form der vordersten Urwirbel schon als erste Anlage der Muskelknospen aufgefasst werden muss, und dass sie, wenn nicht gleichzeitig mit der Pectoralplatte, so doch nur sehr kurze Zeit später entstehe. Was den zweiten Punkt dieser Vorbemerkung angeht, nämlich das Kopfmesoderm, so möchte ich hervorheben, dass ich der Ansicht von BoyEr!, nach welcher das Kopfmesoderm (4.m Fig. 1—4 auf Taf. IV) keinen Antheil an der Bildung der Extremitäten besitzt, vollkommen beipflichten kann. Nur die Somatopleura in der Gegend der ersten Urwirbel giebt Elemente an die Pectoralplatte ab. Die Figg. 1—3 Taf. IV geben Ansichten von der dorsalen Seite, Fig. 4 eine Ansicht von links. Das Kopfmesoderm (A. m) ist bei allen vier Embryonen stark entwickelt und zeigt eine deutliche Grenze nach außen hin. Die Gehörbläschen (a) liegen zu beiden Seiten des Hirn- rohres, dem letzteren dicht angeschlossen. Die obersten Partien der 1 Boyer, loc. cit. pag. 127. 88 H. K. Corning Urwirbel (w’) sind dunkler gehalten und schraffirt, die unteren sind heller; in diese sind die Kerne der Zellen mit den Kernkérperchen eingezeichnet (x). Wegen des schief nach hinten und ventralwärts gerichteten Verlaufes der Urwirbel sind scheinbar die oberen, dunkler gehaltenen Partien vor den unteren gelegen (vgl. besonders w und w auf Fig. 1!). Bei allen vier Embryonen sind die Pectoralplatten annähernd in gleicher Ausdehnung angelegt (p.p/) und reichen mit ihrer Hauptmasse vom zweiten bis fünften Urwirbel. Eine ganz ge- naue Abgrenzung ist, wie schon erwähnt, nicht möglich, da das Ge- webe der Pectoralplatte nach vorn, nach hinten und nach außen all- mählich abnimmt. Prüfen wir das Verhalten der Muskelknospen auf Fig. 1, so finden wir, dass bloß der zweite und der dritte Urwirbel scharf als solche abgegrenzte Muskelknospen aufweisen. Der vierte Urwirbel beiderseits ist an seinem lateralen Ende stark verdiekt und ist schon in das Gewebe der Pectoralplatte eingedrungen, der fünfte Urwirbel fällt mit seinem lateralen Rande schief nach hinten und medianwärts ab, der sechste Urwirbel ist kaum größer als der erste, zeigt aber zum Unterschied von diesem eine leichte Einkerbung seines lateralen Randes. Der siebente Urwirbel ist noch weniger in die Breite entwickelt als der sechste und die nach hinten darauf folgen- den schließen sich in dieser Beziehung dem siebenten Urwirbel an. Fig. 1 veranschaulicht die Regel, welche für Selachier und (von Boyer!) auch für Teleostier aufgestellt worden ist, dass die Entwick- lung der Extremität von vorn nach hinten fortschreitet. Die ersten Muskelknospen entstehen am zweiten Urwirbel, darauf folgt der dritte, vierte, fünfte und sechste Urwirbel. In gleicher Weise geht auch die Bildung des knorpligen Skelets zuerst in der vordersten Partie der Extremität vor sich. Es kann vorkommen, dass die vor- dersten Muskelknospen schon in die Pectoralplatte hineingewuchert und kaum noch zu erkennen sind, während die hinteren erst ange- legt werden, und so könnte der Irrthum entstehen, dass bloß hintere Muskelknospen, die eben in einem solchen Stadium sichtbar sind, mit der Pectoralplatte in Verbindung treten. Natürlich kann man auch bei der Betrachtung eines frühen Stadiums, wo z. B. bloß drei Urwirbel, der zweite, dritte und vierte, Muskelknospen abgeben, zur Ansicht gelangen, dass überhaupt nur diese Urwirbel durch den Be- sitz von Knospen ausgezeichnet sind. Ich vermuthe, dass BoYER durch Betrachtung derartiger Bilder zu seiner Behauptung verleitet 1 BOYER, loc. cit. pag. 125. Über die ventralen Urwirbelknospen in der Brustfiosse der Teleostier. 89 wurde, dass die drei ersten Urwirbel Knospen abgeben, während der vierte Urwirbel bloß einzelne Zellen in die Peetoralplatte ein- wuchern lässt. Vor derartigen Irrthümern schützt nur das Studium einer größeren Anzahl von Flächenpräparaten. Bei der Fig. 2 sind sämmtliche Muskelknospen entwickelt und befinden sich in einem Stadium, in welchem sie schon angefangen haben in die Länge auszuwachsen und sich in die Zellmasse der Pectoralplatte einzuschieben; jedoch ist ihre Zusammengehörigkeit zu den Urwirbeln noch zu erkennen. Die Muskelknospen wachsen mit breiter Basis aus den Urwirbeln hervor und sind mit ihren late- ralen Enden noch mehr als früher nach vorn gewachsen. Ursprüng- lich, in einem Stadium, welches vor demjenigen der Fig. 1 liegt, gehen die lateralen Enden der Urwirbel direkt nach der Seite, je weiter wir uns jedoch dem Stadium der Fig. 4 nähern, desto mehr gewinnen die Muskelknospen eine Richtung nach vorn und lateral- wärts. Die hintersten Muskelknospen, die den Urwirbeln 5 und 6 entstammen, besitzen einen noch schrägeren Verlauf als die aus den Urwirbeln 2, 3 und 4 abgegebenen, was mit dem Umstande zusam- menhängt, dass die Pectoralplatte in ihrer Hauptmasse auf der Höhe des zweiten, dritten und vierten Urwirbels entwickelt ist. Wie ich zum Schlusse noch genauer ausführen werde, halte ich es für wahr- scheinlich, dass dieser Verlauf der Muskelknospen auf eine Reduktion der Extremität von hinten nach vorn zurückzuführen ist, also von einem Zustand, in welchem die Pectoralplatte bedeutend weiter nach hinten reichte. Schon an dem Präparate, nach welchem die Fig. 1 Taf. IV gezeichnet wurde, tritt uns eine Thatsache vor die Augen, die ich auch an meinen anderen Präparaten bestätigt gefunden habe. Es ist dies die Nichtbetheiligung des ersten Urwirbels am Aufbau der Extremität bei der Forelle und beim Hecht. An keinem meiner Flächenpräparate, an denen man die Anlage der Muskelknospen im Stadium der Fig. 2 und der Fig. 3 mit größter Deutlichkeit sehen konnte, habe ich auch nur die geringste Spur einer von Urwirbel 1 ausgehenden Muskelknospe bemerken können. Diese Thatsache ist sehr auffallend. RABL giebt an!, dass bei einem Embryo von Tor- pedo marmorata von 12 mm Länge die erste Muskelknospe im fünften Segment auftrat, folglich die vier ersten Segmente keine Muskel- knospen bildeten. RasL’s Angabe ist allerdings von MoLLIER? be- ! Rasy, Theorie des Mesoderms. II. Morphol. Jahrb. XIX. pag. 120. , ? MOLLIER, loc. cit. pag. 151. 90 H. K. Corning stritten worden; nach ihm sollen auch die vier vordersten Urwirbel Muskelknospen abgeben, welche jedoch frühzeitig in Folge der Kon- centration der Extremität nach hinten rücken, so dass ihre Zuge- hörigkeit zu den vorderen Urwirbeln bei späteren Stadien nicht mehr zu erkennen ist. Für die beiden von mir untersuchten Formen, dem Hecht und der Forelle, kann ich bloß die Thatsache des Anschlusses des ersten Urwirbels von der Bildung der Brustflosse konstatiren. Der Embryo der Fig. 3 steht so ziemlich auf der gleichen Ent- wieklungsstufe wie derjenige der Fig. 2, ich habe ihn lediglich zur Veranschaulichung der verschiedenen Formen der Muskelknospen abgebildet. Es herrscht unter diesen eine recht große Mannigfaltig- keit; ich habe daher auch auf Taf. III noch einige Muskelknospen gezeichnet (Figg. 5—13) und zwar bei stärkerer Vergrößerung. Die Muskelknospen der Fig: 3 Taf. IV, besonders die beiden von dem sechsten Urwirbelpaar ausgehenden, sind nach hinten hin spitz aus- gezogen, eine Eigenthümlichkeit, der man oft begegnet. Die kleinen Figuren der Taf. III bedürfen wohl keiner eingehenden Erklärung. Bei Fig. 5, 6 und 13, vom fünften und sechsten Urwirbel stammend, ist die Muskelknospe stark ausgewachsen, nach hinten hin zeigt der Urwirbel einen zweiten kleineren Vorsprung, der durch eine Ein- kerbung von dem größeren getrennt ist. In Fig. 8 haben wir den allerersten Anfang einer Muskelknospe (m.kn) am sechsten Urwirbel, in Fig. 9 zwei spitz zulaufende Muskelknospen vom fünften und sechsten Urwirbel der Forelle, in Fig. 11 und 12 den vierten und fünften Urwirbel eines Hechtembryos mit stumpf lateralwärts und nach vorn auswachsenden Muskelknospen. In Fig. 12 ist hinter der Mus- kelknospe eine deutliche Einkerbung vorhanden, die wohl auf die beginnende Abschnürung der Knospe hinweist. In Fig. 10, von der Forelle, ist die Muskelknospe des vierten Urwirbels schon abge- schniirt, während die Muskelknospe des fünften Urwirbels noch keine Andeutung einer Trennung zeigt. Bei Fig. 7, vierter Urwirbel eines Hechtembryos, ist vorn und hinten ein Einschnitt vorhanden, die Muskelknospe ist im Begriff sich loszulösen. Überhaupt ist über die Form der Muskelknospen bei der Ablösung von den Urwirbeln nichts als Regel zu sagen, bald ist sie rund, bald mehr in die Länge ge- zogen, ja sie kann zu einer beträchtlichen Länge auswachsen, bevor sie sich von ihrem Mutterboden trennt. Auf dem letzten Stadium, in welchem ich die Muskelknospen noch auf Flächenpräparaten und auf Schnittserien nachweisen konnte, sind dieselben bedeutend in die Länge gewachsen, fünf an der Zahl, Über die ventralen Urwirbelknospen in der Brustflosse der Teleostier. 91 wie in den vorhergehenden Stadien. Die Zahl fünf wird niemals überschritten, auch gelang es mir nicht, an dem siebenten, achten oder den eaudalwärts folgenden Urwirbeln eine Spur von Abortiv- knospen aufzufinden, wie sie für die Selachier von verschiedenen Autoren angegeben werden. Es sind und bleiben bloß die fünf Ur- wirbel vom zweiten bis einschließlich zum sechsten an der Bildung der Extremität betheiligt. Bei Fig. 4 Taf. IV sehen wir die Muskel- knospen bedeutend in die Länge gewachsen, sie stellen dünne Zell- stränge dar, deren laterales Ende entweder wie beim Urwirbel 2 und 3, leicht kolbenförmig angeschwollen ist, oder sich auch, wie bei 4, 5 und 6, im dichten Gewebe der Pectoralplatte verliert. Schon auf diesem Stadium sind die Muskelknospen außerordentlich schwer zu verfolgen, auf noch späteren konnte ich sie überhaupt nicht mehr auffinden. Ihr Zusammenhang mit den Urwirbeln ist schon in vor- liegendem Stadium verloren gegangen. Dieses Verschwinden der Knospen auf dem Flächenbilde hängt nun mit zweierlei Umständen zusammen, erstens damit, dass der Unterschied zwischen den Zellen der Pectoralplatte und denjenigen der Muskelknospen zu gering ist, als dass man sie unterscheiden könnte, und zweitens mit dem nun- mehr beginnenden Auswachsen der Pectoralplatte und der Bildung einer eigentlichen Flosse. Letztere steht zunächst senkrecht auf der ursprünglichen Pectoralplatte, bald beginnt jedoch eine leichte Drehung der Basis derart, dass die Flosse in ihre spätere von der Körper- wand abstehende Lage gelangt. Zugleich wird die Basis der Flosse eingeengt, oder vielmehr der Basisabschnitt bleibt im Wachsthum zurück, während der übrige Theil der Flosse ein regeres Wachsthum zeigt. Über das Schicksal des medialen Theiles der auswachsenden Muskelknospe habe ich nichts feststellen können, der laterale Theil ist noch später, nachdem das Grundgewebe der Flosse lockerer ge- worden ist, als eine Ansammlung von dunkelkernigen Zellen am lateralen Ende der Strahlen auf Schnittserien nachzuweisen. Den stärker schrägen Verlauf der hinteren Muskelknospen habe ich schon oben hervorgehoben. Aus mehreren Horizontalschnitten durch einen Forellenembryo, annähernd aus dem Stadium der Fig. 4 Taf. IV, ist die Zeichnung Fig. 4 Taf. III kombinirt. Die beiden vordersten Muskelknospen konnten wohl in ihrer ganzen Länge verfolgt werden, die folgenden drei aber nur. eine kurze Strecke nach ihrem Abgang von den Ur- wirbeln. Der vorderste Urwirbel ist an der Abgabe der Knospen unbetheiligt, der zweite schickt eine lang ausgewachsene, aber mit 92 H. K. Corning dem Urwirbel noch in Zusammenhang stehende Knospe ab, der dritte Urwirbel verhält sich ähnlich. Die Richtung der folgenden Muskel- knospen wird, wie sich schon aus ihrem Anfangstheil ersehen lässt, eine immer schrägere, am meisten schräg verläuft die letzte, dem sechsten Urwirbel entstammende. Am siebenten Urwirbel ist noch eine kleine Zellmasse zu bemerken, über deren Bedeutung ich nicht ins Klare gekommen bin. Auf Flächenpräparaten habe ich, wie ge- sagt, niemals eine rudimentäre oder abortive Muskelknospe gefunden. Die lateralen Enden der Muskelknospen, wenigstens der beiden vor- deren, die auf ihrem ganzen Verlaufe getroffen zu sein scheinen, sind kolbenförmig angeschwollen, genau wie die zweite und dritte Muskelknospe auf Fig. 4 der Taf. IV. Die beiden ersten Muskel- knospen waren gleich auf dem ersten Schnitt getroffen, es gelang mir aber nicht, die darauf folgenden Knospen aus den Schnitten zu kombiniren. Eine empfindliche Lücke habe ich in meiner Untersuchung zu verzeichnen, indem es mir nicht gelang, die Muskelknospen bei ihren Theilungsvorgängen zu verfolgen. Bekanntlich hat zuerst Donrn! die Theilung der Muskelknospen bei Selachiern beobachtet und ange- geben, dass durch Theilung zuerst in horizontaler, ‘dann in vertikaler Richtung vier sekundäre Muskelknospen entstehen, die ein und dem- selben Urwirbel entstammen. Im zweiten Theile seiner Mesoderm- arbeit hat dann RABL gezeigt, auf welche Weise diese horizontale Trennung der Muskelknospen zu Stande kommt, nämlich dadurch, dass eine Muskelknospe zu einer flachen Scheibe mit einer vorderen und hinteren Fläche auswächst, dass dann diese Scheibe durchlichert wird, der untere ventrale Umfang derselben sich von seinem Zu- sammenhang mit dem Urwirbel loslöst und bloß noch lateralwärts mit dem oberen Theil der Muskelknospe zusammenhängt. Schließ- lich geht auch dieser Zusammenhang verloren und die Trennung einer Muskelknospe in eine dorsale und eine ventrale Hälfte ist vollendet. Es gelang mir nicht etwas derart bei Teleostiern zu sehen. Eben so wenig gelang es mir die Theilung der ursprünglichen Muskelknospe in eine vordere und eine hintere Hälfte zu sehen; ich konnte überhaupt die Muskelknospen erst dann wieder auffinden, als die Muskulatur der Strahlen schon zum größten Theil angelegt war und die Muskelknospen, oder vielmehr ihre lateralen Enden als 1 DoHRN, Studien zur Urgeschichte des Wirbelthierkörpers. VI. Mitthei- iungen aus der Zoologischen Station zu Neapel. Band V. 1884. Über die ventralen Urwirbelknospen in der Brustflosse der Teleostier. 93 kleine Haufen dunkelkerniger Zellen am lateralen Ende der Strahlen zu sehen waren. Es hat nun RABL nach genauer Zählung sowohl der Strahlen. als auch der Muskelknospen und der die letzteren abgebenden Ur- wirbel den Satz ausgesprochen, dass »die Zahl der Strahlen gleich ist der doppelten Anzahl der Urwirbel, die sich an der Bildung der Flossen betheiligen«!. Es musste mir daran liegen, die Richtigkeit dieses Satzes auch für die Teleostier zu prüfen. Für die vordere Extremität trifft er in einer modifieirten Form zu. Während bei den Selachiern die Zahl der Radien gleich ist der doppelten Zahl der Urwirbel, die sich an der Flossenbildung betheiligen, entspricht bei Teleostiern die Zahl der Basalia (oder Carpalia) genau der Zahl der an der Bildung der Extremität theilnehmenden Ur- wirbel. Auch an den Beckenflossen und an den unpaaren Flossen suchte ich nach Muskelknospen. Das Auffinden der letzteren gelang mir sehr leicht beim Hecht, es liegen hier die Muskelknospen der Rückenflosse sowie der Afterflosse sehr deutlich vor. Ich gebe darüber folgende Notizen: Bei einem Hechtembryo von 12 mm Länge sind 15 Muskelknospen in der Rückenflosse vorhanden, welche den Zusammenhang mit den Urwirbeln bereits aufgegeben haben. ‘Die © distalen Enden der Muskelknospen stellen rundliche Zellanhäufungen dar, die proximalen gegen die Urwirbel gerichteten Enden ziehen sich in feine Zellstränge aus, welche die Urwirbel fast erreichen. Die vordersten Muskelknospen verlaufen schräg von vorn nach hinten; die hintersten Muskelknospen dagegen nach vorm, doch ist der Winkel, den sie mit der Längsachse des Körpers bilden, nicht so spitz, wie derjenige, welcher zwischen der Längsachse und den _ yordersten Muskelknospen besteht. In der Afterflosse konnte ich 10 Muskelknospen nachweisen, ihr Verlauf ist derselbe wie bei den Muskelknospen der Rückenflosse; die vordersten verlaufen schräg nach hinten, die hintersten nach vorn.hin, während die mittleren Muskelknospen so ziemlich in rechtem Winkel auf die Körperachse abgehen. Bei einem Hechtembryo von 11'/; mm Länge zählte ich 13 Muskelknospen in der Rückenflosse und 9 in der Analflosse, auch hier stehen die Muskelknospen schon außer Zusammenhang mit den Urwirbeln. Bei einem Hechtembryo von 13 mm Länge konnte ich die Muskelknospen nicht mehr genau zählen. Die Muskelknospen, welche sich beim Hecht von 12 mm Länge als runde Zellhaufen mit einem 1 RagL, Mesoderm. II. Morphol. Jahrb. XIX. pag. 130. 94 H. K. Corning gegen die Urwirbel hinziehenden Zellstrang darstellten, haben sich dorsoventral abgeplattet und bilden eine kontinuirliche Reihe, an welcher ich keine genaue Abgrenzung bemerken konnte. Der proxi- male Theil der Muskelknospe, welcher sich gegen die Urwirbel hinzog, ist gänzlich verschwunden. Eine eigentliche Theilung der Muskel- knospen ist hier nicht vorhanden, vielmehr scheint es mir, als ob die Muskelknospen in diesem Stadium sich erst dorsoventral abplatten, um später eine Theilung in eine vordere und hintere Knospe einzu- gehen. Bei einem Hechtembryo von circa 14 mm Länge (ungefähr 4 Wochen nach dem Ausschlüpfen) scheint eine wirkliche Theilung der Muskelknospen eingetreten zu sein, die Muskelknospen bilden nicht mehr eine kontinuirliche Reihe, wie beim Embryo von 13 mm Länge, sondern es sind wieder einzelne dunkle Zellhaufen zu er- kennen, die zahlreicher sind als die ursprünglichen Muskelknospen beim Hecht von 12 mm Länge. Eine genaue Zählung dieser Zell- haufen war mir nicht möglich, da das Grundgewebe der Flosse schon zu dicht war, als dass ich die fraglichen Gebilde in der ganzen Ausdehnung der Flosse untersuchen konnte. Der Embryo von 14 mm Länge war der größte, den ich zu meiner Verfügung hatte. Über die spätere Entwicklung des Flossenskelets habe ich nichts gefunden, das wesentlich über die von SwiIrRsKI angeführten Thatsachen ‘hinausginge. Ich möchte bemerken, dass ich mich der Beurtheilung der Swirskrschen Angaben durch WIEDERSHEIM! nicht ansehließe und nach Durchsicht meiner Serienpräparate sagen kann, dass SWIRSKI in den wesentlichen Punkten seiner Darstellung Recht hat. (Ich beziehe mich bloß auf die Entwicklung der freien Extremität: die Entwicklung des Schultergürtels habe ich nicht in den Bereich meiner Untersuchung gezogen.) Swirskr geht von der längst be- | kannten Thatsache aus, dass die erste Anlage der Brustflosse bei Knochenfischen in der Bildung einer einheitlichen Platte von Knorpel- gewebe besteht, aus welcher sich erst spät die einzelnen Basalia dadurch herausbilden, dass der Knorpel der Extremitätenplatte an vier Stellen eine Einschmelzung erleidet, und dadurch eine Abgren- zung der Basalia zu Stande kommt. Aus dem distalen Ende der einheitlichen Knorpelplatte geht eine Anzahl von Knorpelstücken her- vor, die sich nach Swırskı im Laufe der Entwicklung in der Richtung vom Pro- zum Metapterygium hin verschieben. Diese Knorpelstück- chen bilden die Rudimente der Radien des primären Flossenskelets, ! WIEDERSHEIM, Das Gliedmaßenskelet der Wirbelthiere. Jena 1892. Über die ventralen Urwirbelknospen in der Brustflosse der Teleostier. 95 auf deren Bedeutung GEGENBAUR zuerst hingewiesen hat. Aus ihrer Entwicklung ist besonders ihre Anlage als eigene Knorpeleentra und ihre Verschiebung gegen das Metapterygium hin beachtenswerth. Leider muss meine Darstellung, wie die anderer Forscher eine Lücke aufweisen zwischen dem Stadium, wo die Muskelknospen in der Anlage der Brustflosse auf Sehnittserien, wie auf Flächenprä- paraten unsichtbar werden, und dem Stadium, wo die einheitliche Knorpelplatte der fünf Basalia im Zusammenhange mit dem Schulter- gürtel auftritt. Ich habe eine Anzahl von Embryonen und einzelnen Flossen aus diesen Stadien geschnitten, konnte aber die im dichten Gewebe der Flosse enthaltenen Muskelknospen nach dem Stadium der Fig. 4 Taf. III nicht mehr nachweisen. Die Flosse besteht in diesen Stadien aus einer dicht zusammengedrängten Masse von runden Zellen, die nicht deutlich von einander abgegrenzt sind. Dieses Gewebe ist auf den Stadien, die kurz vor der Anlage der knorp- ligen Extremitätenplatte stehen, am dichtesten in der Mitte der Flosse und unmittelbar unter dem Epithel; es beginnt eben schon die Bildung des Gewebes, welches man als Vorknorpel zu bezeichnen pflegt. Vergebens suchte ich an meinen Flächenschnittserien nach Bildern, wie sie MOLLIER auf Taf. I Fig. 12 und 13! von Torpedo gegeben hat; ich musste mich schließlich damit begnügen, die Muskelknospen auf früheren Stadien gefunden zu haben und über ihr weiteres Schicksal im Unklaren zu bleiben. WIEDERSHEIM ist in seiner großen Abhandlung über das Glied- maßenskelet der Wirbelthiere über die frühesten Entwicklungsstadien der Stör- und der Teleostierbrustflosse schnell hinweggegangen. Die Angaben, die er darüber macht, sind negativer Art. So sagt er pag. 176 Folgendes: »Ganz ähnlich wie bei Acipenser bildet sich (bei Teleostiern) zunächst eine senkrecht stehende, paarige, an ihrem freien Rande zugeschärfte und medianwärts eingebauchte Epidermis- falte, deren Inneres durch mesoblastisches, rundzelliges Gewebe aus- gefüllt wird. In letzterem differenzirt sich nach und nach eine aus ab- geplatteten Zellen bestehende, die äußere Form der Falte im Kleinen wiederholende, dunkle Platte, die bald die charakteristischen Eigen- schaften des Vorknorpels gewinnt . ... In dem betreffenden Ent- wicklungsstadium konnte ich eine eigentliche Proliferationszone am ventralen Abschnitt der erst in histologischer Differenzirung begriffenen Myotome nicht deutlich erkennen und jedenfalls ist eine eigentliche 1 MOLLIER, Die paarigen Extremitäten der Wirbelthiere. 1893. 96 H. K. Corning Knospenbildung fiir die Teleostier aus denselben mechanischen Griinden auszuschlieBen, wie ich dieselben bereits fiir Sturionen aus einander gesetzt habe.« Uber Sturionen sagt er pag. 163: »von ein- wuchernden, den Myotomen der Stammzone entsprossenden Muskel- knospen in der Weise, wie sie bei Selachiern zur Beobachtung kommen, ist bei der Störbrustflosse weder in diesem (Fig. 85 der WIEDERSHEIM’schen Abhandlung) noch in irgend einem späteren Ent- wicklungsstadium die Rede. Im Gegensatz dazu finden sie sich an der Basis der Rückenflosse und, wie bekannt, auch an der Bauch- flosse in typischer Anordnung«. Über die »mechanischen« Gründe, welche nach WIEDERSHEIM die »primitive Art der Muskelbildung in der Brustflosse (der Sturionen und der Teleostier) verwischen«, wird auf pag. 164 Rechenschaft gegeben. »Der Grund davon beruht auf der mächtigen Dotteransammlung in der vorderen Rumpfgegend, wodurch die zarten Rumpfwände einer ganz außerordentlichen Deh- nung und Spannung unterworfen sind ..... Dazu kommen noch die Lageverhältnisse der Vorniere, welche den Weg von den Ex- tremitäten zu den Myotomen gleichsam verlegt oder denselben auf jenen schmalen, zwischen Vorniere und Integument sich hinziehenden Spaltraum beschränkt.« (Fig. 85 der WIEDERSHEIM’schen Abhandlung.) Meine Antwort auf diese Bemerkungen kann kurz sein. Erstens zeigt das thatsächliche Vorhandensein von Muskelknospen bei den Teleostiern, wie gewagt es ist, sogenannte mechanische Momente zur Erklärung entwicklungsgeschichtlicher Vorgänge herbeizuziehen. Zweitens sind in den Stadien, auf welche sich WIEDERSHEIM bezieht (Fig. 96 vom Hecht), die Muskelknospen bereits unkenntlich, denn die Extremitätenplatte ist hier schon vollkommen als Vorknorpel an- gelegt. Was die Angaben von Boyer! über die Entstehung von Muskelknospen angeht, so möchte ich kurz Folgendes sagen. Nach Boyer sollen die vier ersten Urwirbel an der Bildung der Flossen- muskulatur betheiligt sein, die drei ersten durch Muskelknospen, der vierte durch die Abgabe von einzelnen Zellen von seinem ventralen Ende. Ich bestreite zunächst die Betheiligung des ersten Urwirbels an der Flossenbildung, sowie die Abgabe einzelner Zellen aus dem ventralen Abschnitt des vierten Urwirbels. Bei der Mannigfaltigkeit der Formen der. Teleostierflosse möchte ich, ohne Cyprinodonten unter- sucht zu haben, die Angabe, dass bloß vier Urwirbel Muskelelemente abgeben, nicht in Zweifel ziehen. Vielleicht entspricht der Reduktion 1 BoYER, loc. cit. pag. 125. Über die ventralen Urwirbelknospen in der Brustflosse der Teleostier. 97 der Basalia auch eine Reduktion in der Zahl der von den Urwirbeln abgegebenen Muskelknospen. Muskelknospen sind bis jetzt in den paarigen Flossen der Selachier durch Batrour!, bei Lepidosteus durch BEARD? und bei der Eidechse durch van BEMMELEN? nachgewiesen worden. Genauere Zählungen der Muskelknospen bei Selachiern liegen von RABL vor, aus denen hervorgeht, dass die Zahl der Radien gleich ist der doppelten Anzahl der an der Muskelbildung sich betheiligenden Ur- wirbel. BEARD, dessen Abhandlung ich nicht erlangen konnte, scheint nach dem Citat bei Boyer‘ keine Angaben über die Zahl der Muskelknospen gemacht zu haben. Nach van BEMMELEN gehen von acht Urwirbeln Muskelknospen in die Bildung der Extremität ein und zwar wachsen dieselben vom 6.—13. Urwirbel aus, indem die vordersten Muskelknospen schräg caudalwiirts und lateralwärts verlaufen. VAN BEMMELEN scheint es eben so wenig, wie mir, ge- lungen zu sein, die Muskelknospen in ihrer späteren Umgestaltung zu verfolgen »weil sehr bald nach ihrer Bildung die Knospen nicht mehr von den umliegenden Zellen zu unterscheiden sind«. Rudi- mentäre Muskelknospen zwischen der Anlage der vorderen und der hinteren Extremität hat van BEMMELEN nicht gefunden. Von seinen Angaben über die Muskelknospen in der vorderen Extremität möchte ich bloß anführen, dass seiner Ansicht nach5 von den acht in die ursprüngliche Anlage eingehenden Muskelknospen nur die fünf hin- tersten sich zu eigentlichen Gliedmaßenmuskeln ausbilden; er zieht diesen Schluss aus der Thatsache, dass von den acht Nerven, welche die Muskelknospen begleiten, bloß fünf in der späteren Extremitäten- anlage nachzuweisen seien, während die drei vorderen sich in der seitlichen Halsgegend verbreiten. Fassen wir noch kurz die Resultate der Untersuchung zusammen, so sind sie folgende: Die erste Anlage der Brustflosse besteht in einer Anhäufung von Mesodermgewebe, welches aus der Somato- pleura herstammt und die von BoyYEr sogenannte Pectoralplatte bildet. Diese erstreckt sich annähernd vom zweiten bis zum sechsten Urwirbel. Erst geraume Zeit nach dem Auftreten der Pectoralplatte 1 BALFOUR, A monograph on the development of Elasmobranch fishes. * BEARD, On the early development of Lepidosteus osseus. Preliminary Notice. Proceedings Roy. Soc. Londgn. Vol. 46. 3 vAn BEMMELEN, Uber die Herkunft der Extremitäten und Zungenmus- kulatur bei Eidechsen. Anat. Anzeiger. Band IV. 1889. 4 BOYER, loc. cit. pag. 101. 5 VAN BEMMELEN, loc. cit. pag. 246. Morpholog. Jahrbuch. 22. 7 98 H.K. Corning, Über d. ventr. Urwirbelknospen in d. Brustflosse d. Teleostier. beginnt eine Differenzirung des Ektoderms über derselben, die zu einer Faltenbildung des Ektoderms führt. Die Urwirbel sind in ganz. frühen Stadien, wo die Pectoralplatte sich erst als eine leichte Ver- diekung der Somatopleura kund giebt, breiter als die nach hinten von der Pectoralplatte liegenden Urwirbel, obgleich in diesem Stadium | eine eigentliche Knospung noch nicht nachzuweisen ist. Im Laufe der weiteren Entwicklung bilden sich an den lateralen Enden der Urwirbel Muskelknospen aus, welche in die Mesodermmasse der Pectoralplatte hineinwachsen. An der Bildung der Muskeln bethei- ligen sich der zweite, dritte, vierte, fünfte und sechste Urwirbel, der erste ist ausgeschlossen. Jeder Urwirbel giebt nur eine Muskel- knospe ab. Die Muskelknospen verlaufen schräg von hinten und innen nach vorn und außen. Am meisten schräg verlaufen die hintersten Muskelknospen; man könnte daraus den Schluss ziehen, dass eine »Koncentration« der Extremitätenanlage nach vorn hin stattgefunden hat. Rudimentäre Muskelknospen sind nicht nachzuweisen. Erklärung der Abbildungen. Tafel III. Fig. 1. Querschnitt durch einen Forellenembryo in der Gegend der Vornieren- einstiilpung. Fig. 2. Querschnitt durch einen Forellenembryo. Erste Anlage der Pectoral- platte. Fig. 3. Querschnitt durch einen Forellenembryo. Deutliche Anlage der Mus- kelknospen. Fig. 4. Forellenembryo. Aus vier Schnitten einer Horizontalschnittserie kom- binirte Zeichnung. Fiinf Muskelknospen. Fig. 5—8 und 11—13. Muskelknospen des Hechtes nach Flächenpräparaten. Fig. 9 und 10. Muskelknospen der Forelle nach Flächenpräparaten. Für alle Figuren der Taf. II gültige Bezeichnungen: c.lam Cutislamelle, ect Ektoderm, Sp.pl Splanchnopleura, skl Sklerotom, ect.f Ektodermfalte, mer Merocyten, my Myotom, ao Aorta, m.kn Muskelknospen, ch Chorda, x laterale Kante des Ur- ».card Venae cardinales, » Vornierengang, wirbels, zz Zellen zwischen der 2.7 intermediäreZellmasse, d Darm, Splanchnopleura und p.pl Pectoralplatte, So.pl Somatopleura, der Pectoralplatte. Tafel IV. Flächenansichten von Hechtembryonen, Fig. 4 von der Seite. a Gehörbläschen, « ventraler Theil des Ur- « dorsaler Theil des Ur- k.m Kopfmesoderm, wirbels mit der Muskel- wirbels, © knospe, p-p! Pectoralplatte. Taf, m. MARZ m.kn.d sy N is: Jith.Anst.v Werner &Winter, Frankfurt #M. Corn L Coming del, omkn. 11. EEE m.kn Verlag von Wilh Engebnann, Zeizeig - - un De =» eee Sith Anst.x Werner Winter, Frankfurt 346. ‘ r eovppl Verlag x Wilk Engelmann, Zeipzig. Sith Anstu Werner a Winter Frankfurt I. Zur Entwicklungsgeschichte des Bulbus cordis bei Vögeln und Säugethieren. Von Dr. A. Langer. Aus dem I. anatomischen Institut des Herrn Professors Dr. E. Zuckerkandl in Wien. Mit 11 Textfiguren. Es ist nicht meine Absicht, im Folgenden eine erschöpfende Darstellung der Entwicklung des Bulbus cordis bei Vögeln und Säugethieren zu geben — ein solches Unternehmen wäre, da durch- aus zutreffende Darstellungen dieses Gegenstandes! schon bestehen, überflüssig — ich möchte vielmehr nur auf gewisse Einzelthatsachen, die mir nach Prüfung der Entwicklung des Bulbus cordis bei Repti- lien vom morphologischen Standpunkt aus als beachtenswerth er- scheinen, das Augenmerk lenken?. Die dieser Arbeit beigegebenen Schnittbilder sind sämmtlich mit Ausnahme der Fig. 4 bei Harrnack Obj. 2 Oc. 2 gezeichnet, die Plattenmodelle bei der Vergrößerung Obj. 2 Oc. 3 angefertigt und im halben Maßstab gezeichnet. 1 Vgl. Born, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Säugethierherzens. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 33. 1889; Masıus, Quelques notes sur le développement du coeur chez le poulet. Arch. d. biologie T. IX. 1889, 2 Weil ich im Folgenden mehrfach genöthigt sein werde, mich auf die bei Amphibien und Reptilienembryonen bestehenden Verhältnisse zu beziehen, so möchte ich schon hier auf meine den Bulbus cordis bei Amphibien und Repti- lienembryonen behandelnde Arbeit (Morpholog. Jahrb. Bd. 21) verweisen, die ‘die Grundlage zu der vorliegenden bildet. 1* A. Langer Hühnchen. Stadium I. Das Hiihnchenherz der Entwicklungsstufe, die als Stadium I (92stündiger Embryo) bezeichnet sein mag, stellt (Fig. 1) noch sehr primitive Verhältnisse dar. Die primäre Vorhofscheidewand ist zwar schon vorhanden, von der Ventrikelscheidewand istjedoch noch nichts zu sehen. Der Bul- bus entspringt rechterseits aus dem Ventrikeltheil und zieht dann in einem Bogen, dessen Konvexität nach links vorn ge- richtet ist, zu seiner Austritts- stelle aus der Perikardialhöble.- Er erscheint demnach in Folge Herz eines Hühnchenembryo (Stadium I). Nach einem Seiner Abknickung vom Ven- Plattenmodell. L.Vh en Ve Ventrikel. trikeltheil sehon bei deräußeren Ansicht vom letzteren abgesetzt. Der Bulbus erinnert hier einigermaßen an den Bulbus des Repti- lienembryo, der sich in Form einer Schleife an die vordere Fläche des Herzens anlegt, um dann zur ventralen Aortenwurzel aufzusteigen. Nur ist beim Hühnchen der bogenförmige Verlauf nieht so ausge- prägt, auch fehlt die Aussackung, die beim Reptilienbulbus den Bogen noch markanter hervortreten lässt. Diese Ähnlichkeit in der äußeren Gestalt des Hiihnchenbulbus mit dem Reptilienbulbus ist der Grund, der mich veranlasst, auf dieses Stadium zurückzugreifen, denn in jedem der späteren Stadien erscheint der Hühnchenbulbus mehr als Fortsetzung des rechten Ventrikelschenkels, was ihn vom Bulbus der Reptilien entfernt. Stadium II!. Hier (Fig. 2) erscheint der Ansatz des Bulbus von der rechten Seite mehr gegen die Mitte der vorderen Ventrikelfläche gerückt, gleichzeitig können wir an diesem Stadium schon wahrnehmen, dass 1 Altersbestimmung und Maße dieses Embryo sind mir leider verloren gegangen. Zur Entwicklungsgeschichte des Bulbus cordis bei Vögeln ete. 101 die linke Seite des Bulbus nach abwärts in die Interventrikularfurche übergeht, ein Umstand, welcher dazu beiträgt, die Grenze zwischen Ventrikel und Bulbus zu verwischen. Deutlicher ist dieselbe im Innern ausgeprägt. Das Ostium bulbi öffnet sich nämlich nicht direkt nach abwärts, sondern nach hin- ten rechts in den Ventrikel, ein Verhalten, das die Ent- “4 Is, stehung des Bulbus aus dem abgeknickten Schlauch des früheren Stadiums noch einigermaßenerkennen lässt. Das Verhalten der das Innere des Bulbus ausklei- denden Bulbuswülste stellen die von Durchschnitten durch den Bulbus gewonnenen Schnittbilder der Fig. 3 dar. Herz eines Hühnchenembryo. (Stadium II.) Nach einem R., L.Vh Rechter, linker Vorhof. Ve B Bulbus. Die Ebenen der Schnitte von Fig. 3 sind eingezeichnet (J, JZ). Schnitt I ist etwa dem mittleren Theil des Bulbus entnommen; der Bulbuswulst 1 steht hier an der hinteren, der Bulbuswulst 3 an der Schnitte durch den Bulbus des in Fig.2 dargestellten Herzens. 1, 2, 3, 4 Bulbuswülste. a, b Ostiumwülste. 0Ost.b Ostium bulbi. Schnitt durch den Bulbus eines Lacerta- embryo. Z, 2 Bulbuswülste. a, b Ostium- wülste, Ost.b Ostium bulbi. vorderen Wand, oder anders ausgedrückt, die Bahn der Aorta be- findet sich rechts, die der Pulmonalis links. Die Bulbuswülste setzen sich (wie Schnitt II zeigt, der dem 102 A. Langer Bereiche des Ostium bulbi entnommen ist) nach abwärts bis gegen den Ursprung des Bulbus aus dem Ventrikel fort. Außerdem findet man den rechten Rand des Ostium bulbi besetzt mit einem massigen Endothelwulst (in der Zeichnung mit 4 bezeichnet), der vom Bulbus- wulst 3 deutlich durch eine Furche getrennt erscheint. An den darüber gelegenen Schnitten jedoch wird diese Furche seichter, so dass hier die genannten beiden Endothelwülste ihre scharfe Abgren- zung gegen einander verlieren. Wir werden sehen, dass das die erste Andeutung eines Verhältnisses ist, das in der Folge eine größere Bedeutung gewinnt. | Vergegenwärtigen wir uns die Verhältnisse, die bei den Reptilien bestehen, so werden wir eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Endothelialbildungen des Hühnerbulbus einerseits und denen des Reptilienbulbus andererseits nicht verkennen. Im distalen Abschnitt sind beim Hühnchen so wie bei Lacerta vier Bulbuswülste vorhan- den, von denen jedoch der vierte nur kurz ist, nicht das distale Bulbusende erreicht und auch sonst eine sehr geringe Entwieklung zeigt. Die Stelle, wo sich die Verwachsung zwischen Bulbuswulst 1 und Bulbuswulst 3 vollzieht, ist an beiden Bulbuswülsten durch Anhäufungen von Zellkernen gekennzeichnet (vgl. Fig. 3, Schnitt I), von denen die eine, die des Bw. 1, etwa in der Mitte dieses Bulbuswulstes gelegen ist, die andere, die des Bw. 3, den linken Seitentheil dieses Bulbuswulstes ein- nimmt. Ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich die Art, wie diese beiden Bulbuswülste mit einander verwachsen, als von den Reptilien überkommen ansehe, bei denen, wie ich in meiner eitirten Arbeit dargethan habe, der Bulbuswulst 1 ebenfalls mit dem an den Bulbuswulst 2 angrenzenden Rand- theil des Bulbuswulstes 3 verwächst. Was den proximalen Abschnitt anbetrifft, so verweise ich zum Vergleich mit dem durch diesen Theil geführten Schnitt II der Fig. 3 auf den in Fig. 4 abgebildeten Durchschnitt durch den Bulbus eines Lacertaembryo. An beiden Schnitten ist das Ostium bulbi getroffen, man sieht demnach an beiden Schnitten den Bulbus nach hinten zu mit dem Ventrikelhohlraum kommunieiren. Die Bulbuswülste 1 und 2 sind ohne Weiteres als den gleichnamigen des Lacertaembryo ent- sprechend zu erkennen. Außerdem sieht man beim Hühnchen die vordere Wand mit einem Endothellager besetzt, das sich nach oben in den Bulbuswulst 3 fortsetzt und wohl als cardial gerichtete Ver- längerung desselben aufzufassen ist. Der Ostiumwulst a, der schon bei Lacerta der hinteren Fläche des Bulbuswulstes 1 ansaß, hat hier seine Selbständigkeit ganz aufgegeben; die Stelle, an welcher er zu suchen wäre, ist in der Schnittzeichnung mit a bezeichnet. Es bleibt sonach nur der dem rechten Rande des Ostium bulbi aufsitzende Zur Entwicklungsgeschichte des Bulbus cordis bei Vögeln ete. 103 Endothelwulst übrig, der wohl kaum anders als als Ostiumwulst 5 zu deuten ist. Als Unterschied gegen Lacerta möchte ich jedoch hervorheben, dass sich der Ostiumwulst 5 nach oben zu weniger in den Bulbuswulst 4, als, wie schon früher erwähnt, in den Bulbus- wulst 3 fortsetzt. Stadium II. Ohne auf die Gestaltung des Bulbus dieses Stadiums (Kopflänge 7 mm) im Ganzen einzugehen, will ich nur das Verhalten der Endo- thelwülste beschreiben, da dieses mir zum Verständnis eines späteren Stadiums nothwendig erscheint. | Im oberen Theil des Bulbus finde ich schon die zwei Bulbus- wülste 1 und 3 mit einander verwachsen und dadurch das Bulbus- lumen in Aorta und Arteria pulmonalis getrennt. Schnitt I der Fig. 5 stellt einen Durchschnitt durch den Bulbus dar, der dem gleichbezeichneten des früheren Stadiums ungefähr entspricht. Man sieht an ihm die die Scheidung vollziehenden Bulbuswülste 1 und 3 zu mächtigerer Ent- wicklung gelangt, ihre Stellung etwas im Sinne einer Torsion von links nach vorn ge- ändert, ohne im Übrigen vom genannten Schnitte des früheren Stadiums wesentlich abzuweichen. Auch Schnitt II ist unschwer auf Schnitt II des vorigen Stadiums zurückzuführen. Wenn Schnitte äurch den Bulbus eines man aber die Schnittserie von Schnitt I bis ee ana Schnitt II durchmustert, so findet man, dass tiefer. 1, 2, 3 Bulbuswälste. sich der Bulbuswulst 3 des Schnittes I nicht mu ges mehr in das an der vorderen Wand gelegene Endothellager des Schnit- tes II fortsetzt, sondern in den auch an diesem Stadium deutlich her- vortretenden Ostiumwulst 4. Der Bulbuswulst 3, der schon im Vor- stadium eine Andeutung einer Verbindung mit dem Ostiumwulst 2 besaß, hat sich demnach unten mehr nach der Seite des letzteren entwickelt, während seine Verbindung mit dem an der vorderen Wand befindlichen Endothellager und dieses selbst (wie Schnitt I lehrt) schwächer wurde. Damit hat sich eine Torsion des oberen Bulbusabschnittes verbunden, der zufolge der Bulbuswulst 3 über den Ostiumwulst 5 gerückt ist; dies Alles bewirkt, dass nun der Ostium- wulst 5 die direkte Verlängerung des Bulbuswulstes 3 bildet. 104 A. Langer So befremdend diese Darstellung auch klingen mag, so konnte ich mich doch von der Richtigkeit derselben an einer Reihe von Hühnchenembryonen überzeugen. Stadium IV. Schien uns schon im Stadium II der Bulbus die Fortsetzung des rechten Ventrikelschenkels zu bilden, so hat er an diesem Stadium (sechstägiger Embryo), wie Fig. 6 zeigt, jede Ähnlichkeit mit dem vom Ventrikel abgeknickten, bogenförmig verlaufenden Bulbus des Stadium I eingebüßt. Der Ursprung des Bulbus ist in die Mitte der Bulbus cordis eines Hühnchenembryo. (Sta Durchschnitte durch den in Fig. 6 dium IV.) Nach einem Plattenmodell. Ao dargestellten Bulbus. Ao Aorta. Aorta. P Arteria pulmonalis. Die Ebenen P Arteria pulmonalis. 7, 2, 3, 4 der Schnitte von Fig.7 sind eingezeichnet Bulbuswülste. b Ostiumwulst. «+2 Wa: der aus dem Bulbuswulst 1 und dem Ostiumwulst « entstandene Endo- thelwulst. Ventrikelbasis gerückt, seine Krümmung hat sich ausgeglichen, so dass er sich in die gerade Fortsetzung der Ventrikelachse eingestellt hat und sich nun direkt nach abwärts in den Ventrikeltheil öffnet. An diesem Stadium hat die Theilung des Bulbus schon ‘weitere Fortschritte gemacht; es erscheinen demnach an Schnitt I (Fig. 7) die Bulbuswülste 1 und 3 schon mit einander verwachsen. Die Verwachsung erfolgt hier, wie Schnitt I der Fig. 7 lehrt, nicht mehr in jener an die Reptilien erinnernden Weise wie im höher gelegenen Abschnitt des Bulbus; es legen sich hier vielmehr die beiden Bulbuswülste mit ihren Mitteltheilen an einander, so dass auch der Bulbuswulst 3 eine Seite gegen das Pulmonalislumen kehrt. Zur Entwicklungsgeschichte des Bulbus cordis bei Vögeln ete. 105 Die Fortsetzungen der beiden Bulbuswülste nach abwärts erschei- nen an Schnitt II und sind hier, die eine mit «+/, die andere mit b bezeichnet; sie sind wohl mit den gleichbezeichneten Endothel- wülsten der früheren Stadien identisch. Was speciell den Ostium- wulst 5 anbelangt, so stellt er entsprechend dem, was wir schon bei dem früheren Stadium angegeben haben, hier vollständig mit dem Bulbuswulst 3 einen kontinuirlichen Wulst dar. Wir kommen sonach zum Schluss, dass sich im eigentlichen Bulbus die Theilung durch Verwachsung von Längswülsten vollzieht, die wir _ als Abkömmlinge der Bulbuswülste der Reptilien betrachten müssen, im Bereich des Ursprungs des Bulbus jedoch durch Verwachsung zweier Wülste, die wahrscheinlich von den Ostiumwiilsten der Rep- tilien abzuleiten sind. Während die Ostiumwülste, deren einer von vorn herein (so wie es bei den Reptilien der Fall ist) mit dem Bulbus- wulst 1 in Verbindung steht, deren anderer aber vom Bulbuswulst 3 noch ziemlich abgegrenzt ist, im Beginne der Entwicklung Rand- wiilste des Ostium bulbi darstellen, gestalten sie sich später so der Längsachse des Bulbus entsprechend um, dass sie — nachdem auch “ der Ostiumwulst 4 mit dem Bulbuswulst 3 verschmolzen ist — die kontinuirlichen Fortsetzungen der Bulbuswülste 1 und 3 bilden. Es drängt sich hier die Frage auf, ob die Ostiumwiilste nicht auch bei der Bildung der Klappen einen Antheil nehmen. Diese Frage lässt sich nicht ohne Weiteres beantworten, weil zur Zeit der Klappenentwicklung die Ostiumwiilste schon die Vereinigung mit den Bulbuswülsten eingegangen sind. Aber trotzdem lässt sich mit Berücksichtigung der ganzen Ausgestaltung des Bulbüs sagen, dass die Klappen eine erhebliche Strecke distal vom Ostium bulbi, an einer Stelle, die sicher außerhalb des Bereiches der ehemaligen Ostiumwiilste liegt (am Stadium IV entspricht ihr ungefähr Schnitt ]), entstehen, dass also die Klappen, so wie es bei den Reptilien der Fall ist, lediglich aus den Bulbuswülsten ihre Entstehung nehmen. Auf die Entwicklung der Klappen selbst, auf die Erklärung ihrer Vertheilung auf die beiden Gefäße gehe ich nicht ein, da diese Fragen schon vollständig klargestellt sind. Ich möchte nur auf Schnitt I der Fig. 7 verweisen und an das GEGENBAUR’sche Schema der Klappenentwicklung, in dessen Sinn jenes Schnittbild ohne Weiteres zu deuten ist, erinnern, um den Abschluss, den die Bulbus- entwicklung in der Entwicklung der Klappen findet, wenigstens an- zudeuten. 106 A. Langer Kaninchen. Was die Entwieklung der Gestalt des Bulbus im Großen und Ganzen betrifft, so bewegt sich dieselbe in durchaus ähnlichen Bahnen wie beim Hühnchen. Eben weil ich diesfalls zwischen dem Hühnchen und Kaninchen keine wesentlichen Verschiedenheiten zu konstatiren habe und weil andererseits die Born’sche Darstellung der Entwick- lung des Kaninchenbulbus! sowie die nach den Angaben dieses Autors verfertigten Wachsmodelle allgemein bekannt sind, so kann ich mich darauf beschränken, an einzelnen Stellen der Born’schen Beschreibung die Übereinstimmung mit der Bulbusentwicklung beim Hühnchen nachzuweisen. Den Bulbus eines Kaninchenembryos von der Kopflänge 0,95 mm beschreibt Born folgendermaßen: »Das obere Ende des rechten Ven- trikelschenkels geht ohne äußerliche Grenze in den Bulbus arteriosus über, und dieser biegt etwas über dem Niveau des oberen Endes des linken Ventrikelschenkels im rechten Winkel horizontal nach hinten und stark nach links ab.« »Während der Übergang beider Ventrikel- schenkel in einander an der hinteren und unteren Wand fast ohne Grenze stattfindet, springt an der oberen und vorderen Wand eine Leiste entsprechend der Einbiegung zwischen beiden Ventrikel- schenkeln in die Öffnung etwas vor.« Als weitere Veränderung am Bulbus beschreibt Born, dass der rechte Ventrikelschenkel und mit ihm der vertikale Anfang des Bulbus arteriosus nach vorn und links tritt, so dass der von ihm jetzt unter immer stumpferem Winkel nach hinten abbiegende Theil des arteriellen Abflussrohrs nur wenig von der medianen Richtung ab- weicht. Diese Darstellung könnte fast vollständig auf die Entwick- lung des Hühnchenbulbus übertragen werden. Was die das Innere des Bulbus auskleidenden endothelialen Bildungen betrifft, so sind sie beim Kaninchen sehr einfach gestaltet; sie werden hier von Anbeginn an so angelegt, wie sie später in dem Stadium, in dem sich die Theilung des Bulbus vollzieht, er- scheinen. Auffallende Umwandlungen kommen in der der Theilung vorhergehenden Entwicklung nicht vor. Es sind daher hier in den frühen Entwicklungsstadien Anklänge an die Reptilien, wie bei den Vögeln, nicht mehr zu finden. Wir können daher nur unter Be- rücksichtigung der Verhältnisse bei den Vögeln zu einem morpho- logischen Verständnis der hier bestehenden Verhältnisse gelangen. 1 Archiv f. mikroskop. Anatomie. Bd. 33. 1889. a ee re A. Se ee A eh el 9 u nn Cm ‘Zur Entwicklungsgeschichte des Bulbus cordis bei Vögeln ete. 107 Abgesehen von sehr frühen Stadien, an denen sich die Endo- thelauskleidung als völlig gleichmäßige, nicht differenzirte erweist, erinnert das Verhalten der Endothelwülste gleich von Beginn an an die Verhältnisse, wie sie beim Vogelembryo in späteren Stadien, z. B. unserem Stadium IV bestehen. Zum Er- weise dessen bilde ich nebenstehend (Fig. 8) einige Durchschnitte durch den Bulbus cordis eines Kaninchenembryo (Beginn des 13. Tages; Kopflänge 4 mm) ab. Man sieht hier den Bul- bus cordis durchzogen von zwei einander gegen- überstehenden Längswülsten, die bis in den Ventrikel hinabreichen. Von der Komplieirtheit in der Gestaltung derselben, wie sie bei Hühner- embryonen früher Stadien besteht, ist hier nichts zu sehen. Wenn wir demnach die gewonnenen Er- Schnitte durch den unteren Theil des Bulbus eines fahrungen von unserem Standpunkt aus AUS- kaninchenembryo. Die legen, so müssen wir sagen, dass beim Säuger- ar embryo die beiden Ostiumwiilste einerseits und bitaet. 7, 2 Bulbuswülste. die Bulbuswülste 1 und 3 andererseits ihre beim Vogelembryo noch angedeutete Sonderstellung vollkommen eingebüßt haben, indem sie hier — die Bulbuswülste mit den Ostiumwülsten verschmolzen — zwei einheitliche Längswülste darstellen. Schließlich möchte ich noch einen Punkt in der Entwicklung des Bulbus cordis bei Vögeln und Säugethieren, der bisher keine Beachtung gefunden hat, erörtern, nämlich die Art und Weise, wie die Theilung des Bulbus an seinem oberen Ende beginnt. Die Art, wie sich die Theilung des Bulbus vollzieht, ist von dem Theilungs- vorgang, den wir an peripheren Arterien beobachten können, wesent- lich verschieden. Denn wenn an einer Arterie die Theilung von der Abgangsstelle von Zweiggefäßen aus auf den Gefäßstamm nach rückwärts zu fortschreitet, so findet das so statt, dass der die Ur- sprünge der Zweiggefäße scheidende Sporn in das einfache Gefäß hinein vorwächst. Als Beispiel hierfür wäre die wahrscheinlich bei allen Amnioten während der embryonalen Entwicklung vor sich gehende Spaltung der dorsalen Aorta anzuführen!. Diese findet so 1 Vgl. HOCHSTETTER, Uber den Ursprung der Arteria subclavia der Vögel. Morpholog. Jahrb. Bd. 16. 1890. 108 | A. Langer statt, dass die Scheidung von der Zusammenflussstelle der beiden dorsalen Aortenwurzeln aus ein Stück eaudalwärts fortschreitet, ein Verhalten, das durch das scheinbare Hinaufrücken von Zweiggefäßen (der Arteriae subelaviae primitivae) von der Aorta auf die Aorten- wurzeln mit Sicherheit nachgewiesen ist. Im Bulbus dagegen vollzieht sich die Theilung so, dass zwei einander gegenüberstehende Längsleisten mit einander verschmelzen. Diese Verschiedenheit hat darin ihren Grund, dass der Bulbus ein Abschnitt des Herzens ist. Es fragt sich aber, ob die Theilung in Aorta und Arteria pulmonalis nicht auch im Beginne jenen Charakter an sich trägt, welcher den Theilungen peripherer Gefäße zukommt, eine Frage, die darin begründet ist, dass bei den amnionlosen Wirbelthieren sowohl als bei den Amnioten im embryonalen Stadium die Arterienbogen nieht direet aus dem Bulbus, sondern aus einem dem peripheren System angehörigen Gefäßstamm entspringen, den BoAs! bei den amnionlosen Wirbelthieren Truneus genannt hat und der in der Embryologie der Amnioten auch den Namen ventrale Aortenwurzel führt. Dieser Abschnitt müsste nun, da die Theilung vom Ursprung der Pulmonalisbogen ausgeht, zunächst getheilt werden, bevor dieselbe das distale Bulbusende erreicht. In der That sehen wir beim Frosch den bei Salamandra noch einheitlichen Truncus- raum durch ein Septum, das histologisch den Charakter der. Gefäß- wand an sich trägt, in einen Aorten- und einen Pulmonalisraum ge- schieden. Es fragt sich nun, ob bei den Amnioten nicht auch ein analoges Verhalten anzutreffen ist. Diese Lücke in unserer Kenntnis wird von Born? berührt, wenn er sagt: »Ob vor dem Erscheinen der äußeren Furche (an der ven- tralen Aortenwurzel und dem oberen Bulbusende) sich im Inneren der ventralen Aortenwurzel schon eine Scheidewand gebildet hatte, vermag ich nicht zu entscheiden.« Eben so HocHSTETTER?: »Der Herzbulbus und im Anschluss daran der Truneus arteriosus zerfallen in die beiden Arterienrohre, das der Arteria pulmonalis und das der Arteria aorta. Das sechste Aortenbogenpaar (oder die Pulmonalis- bogen) schließen sich an das Pulmonalisrohr an. Die Art und Weise, wie dies geschieht, bedarf noch der Aufklärung.« Ich vermag nun an einem Stadium der Kaninchenentwicklung, 1 Boas, Über den Conus arter. u. d. Arterienbogen d. Amphibien. Mor- pholog. Jahrb. Bd. 7. 2. 3 Entwicklungsg. d. Gefäßsystems in den Ergebnissen der Anatomie und Entwicklungsgeschichte von MERKEL und Bonner. I. Bd. 1891. 109 Zur Entwicklungsgeschichte des Bulbus cordis bei Vögeln ete. an dem die Theilung in Aorta und Pulmonalis eben einsetzt, im Bereich der Aortenwurzel ein Septum nachzuweisen, das durch Aus- wachsen des vom Pulmonalisbogenursprung in den Truncus hinein- ragenden Sporns entstanden ist, histologisch den Charakter der Gefäßwand an sich trägt, also dem Septum trunci des Frosches vollkommen entspricht. Bevor ich aber auf dieses Stadium eingehe muss ich zuvor auf ein jüngeres Stadium, an dem die Verhältnisse einfacher liegen, zurückgreifen. In Fig. 9 sind vier Querschnitte durch den Bulbus dieses Em- bryo (12tägig, Kopflänge 3,6 mm) abgebildet. Der Bulbus ist hier von zwei Bulbuswülsten durchzogen, die etwa in der Mitte des Rohrs ihre volle Differenzirung erreicht haben (Schnitt III), nach abwärts in eine mehr gleichmäßige endotheliale Ausklei- dung übergehen (Schnitt IV), nach oben zu kleiner werden, aber in allerdings geringer Ausbildung noch das distale Bulbusende errei- chen (Sehnitt I). In der Mitte des Bulbus steht der Bulbuswulst 1 an der hinteren, der Bul- buswulst 3 an der vorderen Wand: Nach oben zu tritt der erstere an die rechte, der letztere an die linke Wand. Sehnitt I ist dureh den Truneus ge- Fig. 10. Il III IV Schnitte durch den Bulbus eines Kaninchenembryo. Jüngeres Stadium. 7,3 Bul- führt, aus dem sym- metrisch rechts und links die Pulmcna- Schnitte durch den oberen Theil des Bulbus eines Kaninchenembryo. Al- teres Stadiam. Die Schnitte durch buswilste. den unteren Theil sind in Fig. 8 ab- lisbogen entsprin- gebildet. AR., L.6.Ab rechter, linker 6. Aortenbogen. gen. An dem späteren Stadium (Beginn des 13. Tages, Kopflänge 4 mm; die Schnitte durch den unteren Theil des Bulbus sind in Fig. 8, die Sehnitte durch den oberen Theil in Fig. 10 dargestellt) erscheint der Bulbus etwa von seinem mittleren Theil an nach aufwärts gegen das Vorstadium so gedreht, dass in der Mitte die beiden Bulbus- 110 A. Langer wülste (Schnitt III, Fig. 8) rechts und links stehen und sich nach oben zu an die hintere (Bulbuswulst 1) und an die vordere Wand (Bulbuswulst 3) begeben (Schnitt II, Fig. 10). Entsprechend der Torsion, die dieser Bulbustheil im vorangegangenen Entwicklungs- abschnitt durchgemacht hat, wurde auch der Ursprung der Pulmo- nalisbogen nach links verzogen, so dass die letzteren nunmehr aus der linken Hälfte des Rohrs entspringen (Schnitt I, Fig. 10). Nach dem Gesagten begreift man, dass das obere Ende des Bulbuswulstes 1 in die Verlängerung der hinteren, der Bulbuswulst 3 in die Ver- längerung der vorderen Begrenzung des Pulmonalisbogenursprungs fällt. An Schnitt I (Fig. 10) sieht man nun, wie sich vom hinteren Rand des Pulmonalisbogenursprungs zum Bulbuswulst 3 hin eine Brücke fasrigen Gewebes erstreckt. Diese Gewebsbrücke ist der Durchschnitt durch ein sagittal gestelltes Septum, das vom Rande des Pulmonalisbogenursprungs ausgehend das Truncuslumen in eine rechte Aorta und eine linke Arteria pulmonalis scheidet und mit einem Schenkel im Bulbuswulst 1, mit dem anderen im Bulbus- wulst 3 fußt. Dieses Septum erscheint im Innern des Truncus als Ausdruck jener Furche, die bei der äußeren Ansicht des Modells sichtbar ist, und die Born folgendermaßen beschreibt: »An der linken Seite des gemeinsamen Wurzelstücks der vierten und fünften Aorten- bogen (d. i. unseres Truncus arteriosus) beginnt nach rechts hin eine horizontale Furche einzuschneiden. Dieselbe trifft gerade zwischen - die Abgangsstellen der linken vierten und fünften Bogen. Nachdem die Furche etwa bis zur Mitte des Bulbusendes horizontal einge- drungen ist, biegt sie nach unten um und dreht sich zugleich so, dass ihre Fläche schräg von rechts vorn nach links und hinten steht. « Der Bulbus und Truneus des Kaninchens auf diesem Entwick- lungsstadium bringen demnach im großen Ganzen Verhältnisse zum Ausdruck, wie sie denen des Frosches entsprechen: ein ungetheilter Bulbus cordis, der von endothelialen Längswülsten durchzogen ist, und daran sich anschließend ein Truneus, der durch ein aus der Gefäßwand hervorgewachsenes Septum (Septum trunei) in eine Aorta und eine Arteria pulmonalis geschieden ist; nur steht dieses Septum beim Frosch frontal, während es beim Säugethierembryo entsprechend der Torsion, die der obere Bulbusabschnitt hier durchmacht, sagittal zu stehen kommt. Ist die Scheidung im Truncus in der beschriebenen Weise voll- endet, so nimmt sie im Bereich des Bulbus in der bekannten Weise durch Verwachsung der Bulbuswülste ihren Fortgang. Es —— u ce Zur Entwicklungsgeschichte des Bulbus cordis bei Vögeln ete. al Dass diese Art des Hergangs bei der Bulbustheilung nicht bloß für die Säugethiere, sondern auch für die Vögel gilt, brauche ich wohl kaum zu erwähnen. Ich habe den Vorgang am Kaninchen abgehandelt, weil er sich hier wegen der mächtigeren Entwicklung der Bulbuswülste besser an Schnittbildern demonstriren lässt, als bei den Vögeln. Ich füge aber hinzu, dass die Verhältnisse bei den letzteren selbst bis in das Detail an die Verhältnisse bei den Säuge- thieren erinnern. Mensch. Im Anschluss an das Vorstehende möchte ich an der Hand einer von einem menschlichen Embryo (27—28 Tage) gewonnenen Schnitt- serie (Fig. 11), die ich der Güte des Herrn Pro- fessors Dr. FERDINAND HOCHSTETTER verdanke, die Verhältnisse, die am Bulbus cordis des menschlichen Embryos bestehen, darlegen. Es wird sich hierbei zeigen, dass das über den Ka- ninchenbulbus Gesagte im Wesentlichen auch für den Menschen zutrifft. Was zunächst den unteren Abschnitt anbe- langt, so erhellt die Ähnlichkeit mit dem Ver- halten beim Kaninchen beim Vergleich des Schnittes V mit Schnitt IV (Fig. 8) von selbst. Was den oberen Abschnitt betrifft, so wäre ich mit Rücksicht auf das Verhältnis desselben zum oberen Abschnitt der Bulbi der oben beschrie- benen Kaninchenembryonen (Fig. 9 u. Fig. 8, 10) geneigt, den vorliegenden Embryo als der Ent- wicklung nach zwischen die erwähnten Ka- ninchenembryonen fallend anzusehen. Es scheint nämlich hier die Torsion des oberen Bulbus- abschnittes schon begonnen, aber noch nicht so weit gediehen zu sein wie beim zweiten Ka- ninchenstadium (Fig. 8, 10), daher die Bulbus- wülste ihrer Stellung nach ein zwischen jene Stadien fallendes Verhalten zeigen und daher auch der Ursprung der Pulmonalisbogen hier noch nicht so weit an die linke Seite des Bul- Schnitte durch den Bulbus bus gerückt ist wie beim älteren der beiden Embryo. nn e 4 wilste. Ao Aorta. P Arteria Kaninchenstadien. pulmonalis. 112 A. Langer, Zur Entwicklungsgeschichte d. Bulbus cordis bei Vögeln etc. Schnitt III ist für mich aus dem Grunde werthvoll, weil ich an keinem der früher beschriebenen Schnitte von Vogel- oder Säuger- embryonen das Vorhandensein von vier Bulbuswülsten in solcher Deutlichkeit aufzeigen konnte wie hier. Ich habe schon in meiner früheren Arbeit die Unkorrektheit der Unterscheidung von nur zwei Bulbuswülsten bei den höheren Wirbelthieren betont und habe auch in der vorliegenden Arbeit die Bulbuswülste im Einklang mit den Verhältnissen an den Reptilien als Bulbuswülste 1, 2, 3, 4 unter- schieden. Schnitte, wie der vorliegende, sind nun geeignet, die Be- rechtigung dieser Auffassung darzuthun. An Schnitt I ist das Septum trunei getroffen, das hier zum Unter- schied vom zweiten Kaninchenstadium und im Einklang mit dem, was früher über das Unvollendetsein der Torsion des Bulbus dieses Sta- diums vom Menschen gesagt wurde, einen schräg von rechts hinten nach links vorn ziehenden Verlauf nimmt. a Zur Bildung des Mesoderms bei der Paludina vivipara. Von R. y. Erlanger, Privatdocenten der Zoologie. Aus dem Zoologischen Institut zu Heidelberg. Mit Tafel V. In seinem Lehrbuch der vergleichenden Entwicklungsgeschichte der wirbellosen Thiere sagt KORSCHELT, nachdem er von der Bildung des Mesoderms bei den Gasteropoden einen Überblick gegeben hat, von meiner Darstellung desselben Vorgangs bei Paludina (5) Folgendes!: »Nach dem, was bis jetzt über die Mesodermbildung bekannt ist, können wir mit den von ERLANGER gewonnenen Re- sultaten nicht übereinstimmen und müssen dieselben so lange skep- tisch betrachten, bis sie besser gestützt, oder durch erneute Unter- suchungen (womöglich auch an anderen Formen) wirklich bestätigt werden.« Weiter ließ KoRSCHELT den Sachverhalt von einem seiner Schüler, Herrn T6nniGes, untersuchen und giebt in seinem Lehrbuch Abbil- dungen desselben wieder, welche beweisen sollen, dass meine Angaben ungerechtfertigt sind und man zu der früheren Ansicht BürscaLrs (1) zurückkehren müsse. Im Anschluss hieran will ich gleich bemerken, dass Professor BUTSCHLI meine Präparate gesehen hat und die Richtigkeit meiner Anschauungen bestätigt, nachdem er selbst schon früher bei Gelegen- heit einer erneuten Untersuchung der frühesten Embryonalstadien 1 Specieller Theil, drittes Heft, pag. 1004. Morpholog. Jahrbuch. 22. 8 114 R. v. Erlanger der Paludina an Totopräparaten, zu derselben Ansicht gelangt war, die ich vertreten habe. Er zeigte mir sogar einige Skizzen, welche meine Anschauungen stützten, hat aber nichts darüber publieirt. Weiter muss ich hervorheben, dass Herr TONNIGES gerade die wichtigen Stadien, auf welchen der Cölomsack sich bildet, überhaupt nicht gesehen hat, wie es seine Abbildungen, wenn man dieselben mit meinen früheren und mit der hier beigelegten Tafel vergleicht, zur Genüge beweisen. Übrigens ist es sehr schwer diese frühen Stadien, namentlich diejenigen, welche die Mesodermbildung zeigen, zu bekommen. Der Process scheint sich sehr rasch abzuspielen und sind daher solche Stadien in äußerst spärlicher Anzahl vorhanden. Ferner setzt ihre Kleinheit der Präparation und namentlich der An- fertigung von Schnittserien große Schwierigkeiten in den Weg. Tön- NIGES hätte bei der Gastrulation beginnen und sich alle Stadien bis zur Auflösung des Cölomsackes in Spindelzellen in möglichst großer An- zahl verschaffen sollen. Weiter sind einige seiner Abbildungen, welche KorscHELT, sie den meinigen vorziehend, seinem Lehrbuche einverleibt hat, offenbar nach stark gepressten und verunstalteten Embryonen entworfen (siehe Fig. 598 pag. 1016). Übrigens ist die diesbezügliche Arbeit von TOnnicEs, so viel ich weiß, noch immer nicht erschienen, so dass ich auf seine Angaben nicht weiter ein- gehen kann. Der Zweck dieser Arbeit soll nun der sein: erstens meine An- schauungen wie es KorscHELT wünscht, besser zu stützen, indem ich vier Stadien von der Gastrula, bis zur Auflösung des Cöloms auf Schnitten wiedergebe. Von jedem Schnitt ist ein Mikrophoto- gramm beigelegt, von einer dasselbe erläuternden Abbildung begleitet. Natürlich kann ein Photogramm niemals das ganze Präparat, nicht einmal einen Schnitt erschöpfend wiedergeben. So dünn der Schnitt auch geführt ist, enthält er doch verschiedene Ebenen, welche dem Beobachter durch das Spiel der Mikrometersehraube erst zugänglich werden. Ferner ist eine Zeichnung immer deutlicher, wenn auch derselben, oder vielleicht gerade desshalb, eine gewisse Subjektivität stets anhaften muss. Jedoch hoffe ich trotz alledem, dass die bei- gelegten Photogramme zeigen werden, dass meine Darstellung nicht ganz auf Phantasie beruat. Zweitens kann ich meinen früheren Beobachtungen in Bezug auf einen nicht unwichtigen Punkt Neues hinzufügen und glaube dadurch zeigen zu können, dass die Bildung des Mesoderms bei EU U eee Zur Bildung des Mesoderms bei der Paludina vivipara. 115 Paludina nicht so vereinzelt dasteht, wie es bis jetzt hätte er- scheinen können. Nur. das letzte der KorscHELr'schen Desiderata kann ich vorläufig nicht erfüllen. Obgleich ich bereits viele andere Gasteropoden daraufhin untersucht habe, ist es mir nicht gelungen bei denselben Cölomsäcke nachzuweisen. Vielleicht wird dies in Zukunft mir oder Anderen gelingen und glaube ich immer noch, dass die Heteropoden vielleicht doch Derartiges zeigen würden. Im Gegensatz zu KoRscHELr bin ich nicht der Ansicht, dass die eigen- thümliche Gestalt des Urdarmes bei diesen Prosobranchiern (wie sie Fou abgebildet hat) allein durch die Schalendrüse, welche nach innen vorspringt, bedingt wird. Kehren wir nun zu Paludina zurück, so weiß man durch die Untersuchungen von BürscaLı (1). RABL (4), BLOCHMAnN (2) und mir (5), dass die Furchung hier eine totale und nahezu äquale ist. welche schließlich zur Bildung einer Blastula mit sehr kleiner, d.h. spaltförmiger Furchungshöhle führt. Trotz der äqualen Theilung lassen sich die vier üblichen Makromeren am vegetativen Pol nach- weisen, ohne jedoch, dass es bei der Gastrula zur Bildung von Urmesodermzellen käme. Untersuchen wir eine ausgebildete Gastrula (Fig. 1 und 1°), so sehen wir keine Spur von Mesoderm auf diesem Stadium. Der ab- gebildete Schnitt ist senkrecht zum Blastoporus, etwa in der Mitte der Längsachse geführt und zeigt, dass sowohl das Ekto- (Ec), wie auch das Entoderm (Er) aus verhältnismäßig wenigen Zellen ge- bildet wird, welche auch annähernd dieselbe Größe besitzen, was ja daher kommt, dass die Furchung eine totale und nahezu äquale war. Der nicht sehr weite Blastoporus führt in eine deutliche, aber relativ kleine Urdarmhöhle (Ud), während die Furchungshöhle (F) sehr deutlich vorhanden ist. Ich besitze auch eine Schnittserie, welche durch dasselbe Sta- dium und zwar tangential zum Blastoporus geführt ist. Auch hier ist nichts von Mesodermzellen zu sehen, welche doch schon vorhanden sein müssten, schlösse sich Paludina an das allgemeine Gastero- podenschema an. Gehen wir zum folgenden, für unsere Zwecke am allerwichtig- sten Stadium über (Fig. 2 und 2%), so finden wir bereits das Cölom in Gestalt eines Sackes (C) angelegt. Der Schnitt ist etwa in der Mitte der Längsachse des Embryo senkrecht zu derselben gelegt und trifft den Urmund nicht, welcher ja auf die hintere Gegend des Embryo beschränkt ist und nur bis zum Velum reicht. Der Schnitt 8* 116 R. v. Erlanger ist gerade vor dem Velum geführt und sieht man links die Velar- zellen (Vz), welche größer als die Ektodermzellen der anderen Seite (Ec) sind und nur hier und da Kerne zeigen, während alle Kerne der übrigen Ektodermzellen (£c) getroffen sind. Umgeben vom Ekto- derm liegen zwei Höhlen: eine dorsale (Ud), welehe dem Urdarm entspricht, und eine ventrale (C), welche mit dem Urdarm in offener Verbindung steht und der Célomsack (C) ist. Eine andere Serie, welche ich leider nur noch auf Skizzen be- sitze und frontal geführt war, zeigte folgende merkwürdige Verhält- nisse, auf welche ich später noch zurückkommen muss. Der am hinteren Pol gelegene Urmund war getroffen, rechts und links von demselben lagen je eine Entodermzelle des Urdarmes, welche sich durch ihre Größe auszeichneten und in Theilung begriffen waren. Von diesen ging das Cölom aus, welches nach vorn in den Urdarm überging. Ich will gleich hervorheben, dass dieses Zellpaar den Ur- mesodermzellen, welche KowALEvskY bei Chiton (3) und Dentalium (3°) beschrieben hat, genau entspricht!. Diese Zellen sind aber bei Paludina nicht auf allen Präparaten immer deutlich. zu sehen. Nur wenn dieselben sich zur Theilung anschicken, lassen sie sich von den übrigen Zellen des Urdarmes unterscheiden. Bei der Gastrula habe ich sie nie unterscheiden können. Auf einem weiteren Stadium (Fig. 3 und 3%) hat sich der Cölomsack (C) bereits vom Urdarm (Ud) völlig abgeschnürt und ist von demselben vollständig getrennt, wie es der Querschnitt zeigt. Die Urdarmzellen (Ud) haben bereits nach innen Deutolocith aufge- speichert. Der Urmund darf jetzt als After betrachtet werden, läuft aber velarwärts noch immer in eine flache Rinne (7) aus. Hier muss ich bemerken, dass außer von Biscuit (1) und mir (5) noch von BLOCHMANN (2) in einer eigens zu diesem Zwecke veran- stalteten Untersuchung unzweifelhaft gegen RABL (4) nachgewiesen wurde, dass der Urmund bei Paludina sich nicht verschließt, sondern unmittelbar in den After übergeht. Ich würde diesen Punkt nicht weiter berührt haben, hätte nicht KoRSCHELT (6) im An- schluss an Rabu (4) BürscaLr's und meine Angaben diesbezüglich bezweifelt und BLocHmann’s Mittheilung mit Schweigen übergangen. Da ich den Urmund resp. After stets auf allen Toto- und Schnitt- präparaten offen fand, kann ich behaupten, dass unsere Ansicht ganz fest begründet dasteht. 1 Die diesbezüglichen Beobachtungen von KOoWALEVsKY sind neuerdings von CHITTENDEN bestätigt worden. Zur Bildung des Mesoderms bei der Paludina vivipara. £17 Das letzte hier abgebildete Stadium (4 und 4°) zeigt, dass der Cölomsack (C) eine mächtige Ausdehnung erlangt hat. Der frontale Schnitt lehrt, dass das Mesoderm bereits fast den ganzen Urdarm (Ud) umwachsen hat. Rechts ist die vordere Partie zur Urniere (Un) abgeschnürt. Das Cölom (C) ist sehr eng geworden und meistens nur noch in Gestalt eines Spaltes vorhanden. Es wird jetzt bald die Auflösung des ganzen Gebildes erfolgen, aber hier können wir ganz deutlich ein parietales und ein viscerales Blatt (pa und w) unterscheiden. Beide Blätter, welche, wie gesagt, meist nur durch den engen Cölomspalt getrennt sind, werden zwischen Ekto- und Entoderm eingezwängt. An der hintersten Stelle, also in der Gegend des Afters, welcher auf diesem Schnitt nicht getroffen ist, werden die Ektodermzellen sehr niedrig, während sie velarwärts ein Cy- linderepithel bilden. Rechts und links von der Afterstelle (a) sieht man die Urmesodermzellen (Uz) liegen, von denen die Mesoderm- zellen des Cölomsackes offenbar ausgegangen sind. Danach hätten wir bei Paludina sowohl Urmesodermzellen als auch einen Cölomsack. Die Urmesodermzellen sind die Initialen der Mesodermzellen, welche den Cölomsack bilden, der ursprünglich ein Theil der Urdarmwand und zwar der ventrale und hintere war. Vergleichen wir nun die eben geschilderten Verhältnisse der Paludina mit denjenigen der übrigen Gasteropoden, so finden wir in den allermeisten Fällen, dass die Urmesodermzellen bei den meisten Formen schon sehr frühzeitig angelegt sind und bereits vor der Gastrulation Mesodermstreifen gebildet haben, so z. B. Bythynia, Neritina, Crepidula, Planorbis, Umbrella ete. Anders verhalten sich Chiton und Dentalium (3 und 3%), wo nach KOWALEVSKY zwei Zellen der Urdarmwand, rechts und links vom Blastoporus ge- legen, die Urmesodermzellen repräsentiren. Somit wären Chiton und Dentalium in Bezug auf diesen Punkt Übergangsformen von Bythynia und anderen zu Paludina. Offenbar ist durch den Dottermangel der Keim von Paludina zu ursprünglicheren Verhältnissen zurückgekehrt, während Formen, welche reichlich mit Dotter beladen sind, einen ganz anderen Ent- wicklungsmodus einschlagen. Paludina, eine auch in sonstiger Hinsicht hoch interessante Form, zeigt nach allem Dem, was wir jetzt gesehen haben, etwas, was sonst bei keinem anderen Thier vorkommt, nämlich sowohl einen Urdarmdivertikel, als auch Urmesodermzellen. Früher wurde dies 118 R. v. Erlanger, Zur Bildung des Mesoderms bei der Paludina vivipara. auch von Amphioxus angegeben, aber die neuesten Untersuchungen haben gezeigt, dass es keine wirklichen Urmesodermzellen hier giebt. Ich glaube somit bewiesen zu haben, dass der Typus der Meso- dermbildung bei Paludina unter den Gasteropoden nicht so vereinzelt dasteht, wie es KORSCHELT und früher auch ich gemeint haben, und gebe zum Schluss der Hoffnung Ausdruck, dass auch bei anderen dotterarmen Formen Verhältnisse aufgefunden werden mögen, welche beweisen, dass auch die Mollusken echte Enterocoelia im vollsten Sinne des Wortes sind. Heidelberg, den 15. Juni 1894. Litteraturverzeichnis. 1) O. BürscHhLı, Entwicklungsgeschichtliche Beiträge über Paludina vivipara. Zeitschr. f. wiss. Zool. XXIX. 1877. 2) F. Blocumann, Beiträge zur Kenntnis der Entwicklung der Gasteropoden. Zeitschr. f. wiss. Zool. XXXVIII. 1883. 3) A. KowALEvsky, Embryogénie du Chiton Polii. Ann. Musée d’Hist. Nat. Marseille. I. No. 5. 1883. 3°) —— Etude sur l’Embryogenie du Dentale. Ebendaselbst. 4) C. Ragr, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Prosobranchier. Sitzber. der K. Akademie der Wissenschaften Wien. LXXXVI. Jahrg. 1883. 5) R.v. ERLANGER, Zur Entwicklung der Paludina vivipara. Morphol. Jahrb. 17. Bd. 1891. 6) E. KoRSCHELT und K. HEIDER, Lehrbuch der vergleichenden Entwicklungs- geschichte der wirbellosen Thiere. Specieller Theil. III. Heft. 1893. Erklärung der Abbildungen. Tafel V. Folgende Buchstaben gelten für alle Figuren. Ec Ektoderm, Vz Velarzellen, En Entoderm, Uz Urmesodermzellen, C Cölom, vi viscerales | Blatt des mittleren F Furchungshöhle, pa parietales Keimblattes, Ud Urdarm, Un Urniere. Fig. 1 und 12. Querschnitt durch die Mitte einer Gastrula. Fig. 2 und 2@.° Querschnitt durch die Mitte eines. Eies, wo der Cölomsack noch mit dem Urdarm in offener Verbindung steht. Fig. 3 und 34. Querschnitt durch die Mitte eines Eies, wo der Cölomsack sich bereits vom Urdarm abgeschnürt hat. Fig. 4 und 4a. Frontaler Schritt etwas ventral vom After. Der Cölomsack hat den Urdarm ganz umwachsen, das Mesoderm wird sich bald in Spindelzellen auflösen. Die Urniere ist bereits angelegt. Fv Erlanger phot + del, , Wilh Engelmann rita Uth Anite EA Funke, laioelg Das Flossenskelet der Crossopterygier und das Archipterygium der Fische. Von C. Gegenbaur. Mit 5 Figuren im Texte. Das Flossenskelet der von Huxtry 1861 in scharfsinniger Weise sroßentheils auf das Verhalten der paarigen Flossen gegründeten Ganoidenabtheilung der Crossopterygier ist von den paar lebenden Vertretern bis jetzt nur bei einem einzigen näher bekannt. Es ward jenes der Brustflosse zuerst durch Jou. MÜLLER genauer an Polypterus dargestellt, an dem ich dann später (1865) versuchte, die Eigen- thümlichkeit der Struktur mit jener bei anderen Fischen in Verglei- chung zu bringen. Es waren die Selachier, zu denen ich Beziehun- sen nachzuweisen versucht hatte, und bei welchen ich die vorhandenen Bestandtheile des Flossenskelets als Pro-, Meso- und Metapterygiun unterschied, welche Bezeichnungen von da ab allgemein auch bei Polypterus Anwendung fanden. Das später bekannt gewordene Glied- maßenskelet von Ceratodus hat in mir an der Richtigkeit meiner ersten Deutung längst Zweifel entstehen lassen, welche sich vermehrten mit der Inbetrachtnahme fossiler Crossopterygierbefunde. Die Ver- gleichung der übrigen Organisation von Polypterus mit Selachiern und Dipnoern wirkte ebenfalls nur in einer die Selachier entfernter stellenden Weise. Auch durch ZirtteL! wurde die Wahrscheinlich- keit näherer Beziehungen der Crossopterygier zu den Dipnoern aus- gesprochen. Ich werde zunächst das Flossenskelet der Crossopterygier vergleichend prüfen, um andere, das Flossenskelet der übrigen Fische betreffende Punkte in kritische Betrachtung zu ziehen. 1 Handb. der Paliiontologie. I. Bd. III. pag. 170. 120 C. Gegenbaur a. Vergleichung des Flossenskelets der Crossopterygier. Eine erneute Prüfung des Brustflossenskelets von Polypterus und die Untersuchung von Calamoichthys calabaricus wird zunächst die In- stanzen zu betrachten haben, welche die Vergleichung mit Selachiern ergiebt. Bezüglich des Calamoichthys bemerke ich, dass in den Haupt- punkten eine Übereinstimmung mit Polypterus waltet (vgl. Fig.1 u. 2). Nur die Zahl der Radien ist eine geringere als beiletzterem, und dadurch wird dem gesammten primären Flossenskelet eine gedrungenere Form. Auch die Radien des dermalen Skelets Fig. 1. finden sich in minderer Zahl, und sind dadurch von jenen des Polypterus ver- schieden, dass sie nur einfach gegliedert sind, während jene terminale Dichotomie besitzen. Ob darin für Calamoichthys ein niederer Zustand sich ausspricht, ist nicht sicher zu entscheiden. Jedenfalls würde jenes Verhalten keinen Anlass bieten, in dem durch den Verlust der Bauchflosse aus- gezeichneten Calamoichthys eine gegen den Polypterus im Ganzen niederer stehende Form zu erblicken. Nachdem ich bereits vor langer Zeit bei einer Vergleichung mit den Selachiern bei Polypterus Übereinstimmendes hervor- gehoben habe, hat nun die dort nur be- rührte, allein von mir damals nicht ge- nügend gewürdigte Verschiedenheit, das a ee as Pepe: gegenüber den Selachiern Fremdartige der Erb ofungedentat Organisation des Flossenskelets in Betracht zu kommen. Man könnte schon die Ossifikationen hierher rechnen, aber diese bilden an sich betrachtet nichts zum Typus des Baues Gehöriges, und dass Pro- und Metapterygium in ihren Basalia ossifieirt sind, indess das Mesopterygium größtentheils knorpelig bleibt, könnte auch aus der marginalen Lage der ersteren und der mehr centralen des letztgenannten Stückes verstanden werden. Wir wollen darauf erst eingehen, wenn wichtigere Verhältnisse der Prüfung gewonnen sind. Das Metapterygium (Fig. 1 #1) von Polypterus und Calamoichthys (Fig.2 2’) zeigt von jenem der Selachier bedeutende Differenzen. Beiden Das Flossenskelet der Crossopterygier etc. 121 letzteren ist sein vom Basale fortgesetzter Stamm, welchen ich später als den Stamm des Archipterygium deutete, immer mit Radien be- setzt. Wie Bunce gezeigt hat, ist dieser Besitz mit Knorpelradien immer biserial; Rochen wie Haie zeigen dieses Verhalten, in welchem somit etwas Fundamentales zu erkennen sein wird, wenn auch der Grad der Ausbildung sich in sehr verschiedenem Maße darstellt. Die alten Xenacanthinen bieten den biserialen Radienbesatz in sehr ausgesprochener Weise. Von einem solchen Radienbesatze ist bei den beiden Polypterinen im Metapterygium nichts zu finden; es lehnt sich zwar bei Polypterus einer der kurzen, dem Mesopterygium zugetheilten Strahlen an das Basale des supponirten Metapterygiums, allein eristeben so gut auch dem Mesopterygium verbunden, und es besteht kein zwin- sender Grund ihn jenem abzusprechen. Calamoichthys besitzt an dieser Stelle ein Knorpelstück, welches in dem gleichen Verhalten steht. Somit käme auf das ganze Metapterygium nur das ossifieirte Basale (R') und ein dieses fortsetzende Knorpelstück (r’), Verhältnisse, welche den Selachiern gänzlich fremd sind. Am Meso- pterygium von Polypterus und Calamoichthys ist der Ausschluss des Basale von der Articulation im Schultergelenke etwas Abweichendes. Wenn das Basale aus zum Schultergürtel gelangten Ra- R/ diengliedern hervorgegangen ist, wie sich manch- | mal, am deutlichsten bei Rochen, zeigt, so ist 74% der gegebene Ausschluss vom Schultergiirtel in & jener Beziehung als sekundärer Zustand zu er- i: Fig. 2. achten, dessen Existenz zwar nicht von vorn herein auszuschließen ist, der aber fiir die Deu- tung keinerlei entscheidenden Einfluss besitzt. Jedenfalls fehlt für die Annahme der Entstehung = if i\ {\ SUN CHS 4 ik Se Brustflosse von Cala- moichthys calaba- ricus ohne das dermale Flossenskelet. jenes Theiles aus verschmolzenen Radiengliedern "jede sichere Begründung. Wir können hier nicht die bei Selachiern gewonnenen Erfahrungen von vorn herein auch für die Polypterinen gelten lassen. Von Seite der vom fraglichen Basale des Mesoptery- giums getragenen Radien ist auch gar nichts zu Gunsten jener Auffas- sung anzuführen. Wenn sie auch terminale Glieder angefügt haben, so ergiebt sich doch nichts, wodurch sie als einmal ins Basale des Mesopterygiums fortgesetzt, dasselbe durch ihre Conerescenz grün- dend, sich erkennen ließen. Bei den Haien finden sich am Basale nicht selten einspringende Winkel mit anderen, die Fortsetzung. in Radien andeutenden Merkmalen, von welchen bei Polypterinen nichts 122 C. Gegenbaur erkennbar ist. Was das Propterygium angeht, so könnte dieses als Radius gedeutet und damit dem bei vielen Haien durch einen ein- zigen Radius repräsentirten Propterygium an die Seite gestellt wer- den. Aber darauf allein kann sich der Anschluss nicht stützen und vor Allem das Metapterygium ist einem solchen entgegen. Es müssen daher mindestens Zweifel sich erheben, ob im Flossen- skelet der Polypterinen eine nähere Verwandtschaft mit jenem der Haie bestehe. Dadurch wird die Aufforderung, ein anderes Ver- _ gleichungsobjekt zu suchen, und die fossilen Crossopterygier selbst bieten sich als die nächsten dar. Obwohl bei den meisten Objekten der Skeletbau der Flossen nicht erkennbar ist, zumal Schuppen den größten Theil der Flosse bedecken, so ist doch bei einer Coelacan- thinengattung (Undina) so viel deutlich, dass daraus eine Vorstellung des Flossenbaues abzuleiten ist. Es besteht eine größere Anzahl von knéchernen, aber dem Hautskelet zugehörigen Strahlen, die um einen mittleren nicht erhaltenen Theil angeordnet sind. Wir werden aus dem letzteren Umstande auf eine knorpelige Beschaffen- heit jenes mittleren Theiles schließen dürfen. Ein knorpeliges Stück trug also an seiner bogenförmigen Peripherie knöcherne Strahlen, die gegliederten Strahlen des dermalen Flossenskelets, die uns er- halten sind. Die Basalstiicke dieser Strahlen zeichnen sich durch Länge aus. Ob sie mit Knorpelstrahlen in Verbindung standen, wissen wir nicht, dürfen es aber annehmen, da wir sonst überall das dermale Flossenskelet durch die Vermittelung von Ra- dien des primären Flossenskelets dem letzteren angefügt sehen. Die Vergleichung führt also dazu, bei Undina die Verbin- dung des sekundären Flossenskelets mit dem primären in Radien zu suchen, die, wie das diese selbst tragende mittlere Stück, knorpelig waren und daher nicht erhalten sind!. Die Verbindung mit dem Schultergürtel konnte daher nur durch jenes nicht erhaltene Stück vermittelt sein. Vergleichen wir nun diesen Zustand mit den Poly- pterinen, so wird die postulirte Knorpelplatte von Undina in dem von mir früher als Basale des Mesopterygiums gedeuteten Theile zu erkennen sein. Es ist wenigstens dem größten Theile nach noch ‘ Ob die auffallende Verlängerung der Basalstiicke der dermalen Radien etwas mit den angenommenen Radien des Knorpelskelets zu thun hat, muss ich dahingestellt sein lassen. Man darf aber daran denken, dass die bei Poly- pterinen bestehende Ossifikation der primären Radien vom Dermalskelet aus erfolgte, so dass dieser Zustand bei Undina auf einen Beginn jenes Processes hinwiese. Das Flossenskelet der Crossopterygier etc. 123 knorpelig und trägt zahlreiche knöcherne Radien, in gleicher Art wie bei Undina die Radien des Dermalskelets aufgereiht. Aber es be- steht die beim ersten Blicke nicht geringe Verschiedenheit, dass jene Knorpelplatte nicht das Schultergelenk erreicht, indem sie von zwei bei Undina nicht vorhandenen marginalen Knochenstücken davon abgedrängt sich darstellt. Damit ist bei Polypterinen etwas Neues gegeben, doppelter Art: jene als Basalia eines Pro- und Metaptery- giums gedeuteten Knochen und der Ausschluss des mittleren Stückes. Fassen wir die ersteren näher ins Auge, so zeigen sie sich minder auffallend, denn man trifft an ihnen genau dasselbe Ver- halten wie an den Radien, nur in vergrößertem Maßstabe. Es sind in knorpelig gebliebene Enden übergehende stabförmige Knochen, welche distal ein reines Knorpelstück tragen, wie es auch die Radien thun. In dem Verhalten dieser beiden margi- nalen Theile der Flosse bildet nur das bedeutendere Volum und die basale Articulation einen Unterschied von den Radien. Wenn wir das größere Volum als etwas von einem indifferenteren, d.h. kleineren Anfangszustande aus Erlangtes betrachten, so können wir in beiderlei Gebilden nur verschiedene Volumsbefunde eines und desselben Organs sehen. Die beiden Marginalstücke, so mögen sie jetzt bezeichnet sein, stellen sich von diesem Gesichts- punkte aus als nichts Anderes dar, denn als größer gewordene Radien, Marginalradien, während die anderen als Binnenradien zu bezeichnen sind. Auch in der Gliederung stimmen sie damit voll- kommen überein. Ihr zweites Glied bleibt knorpelig, und seine längere Form bildet gleichfalls keinen wesentlichen Unterschied, da sie auch an den zweiten Gliedern als Binnenradien vorkommen kann. Ein solcher Befund ist von mir von der früher untersuchten Flosse dar- gestellt worden (vgl. Taf. VIII Fig. 6, Untersuchungen II). Dieser Befund — an dem ersten medialen Binnenradius — beweist zugleich, dass diese Knorpelstücke zu den Radien gehören, Glieder derselben sind, auch wenn sie, wie zumeist, eine etwas unregelmäßige Lage zu den Radienenden einnehmen, indem sie an diesen wie verschoben sind (vgl. die eitirte Figur, sowie Fig. 1 im Texte). Dieses Ver- - halten kann sogar bei Polypterus zu einer Theilung oder Auflösung _ einzelner dieser zweiten oder knorpeligen Glieder führen, so dass dann mehrere auf einen knöchernen Binnenradius treffen. Ich lasse dahingestellt sein, ob diese offenbare Vermehrung der Knorpelstücke in der zweiten Gliedreihe der Radien aus einer distalen Theilung primitiver Knorpelradien entstand. Genügen muss für meinen Zweck 124 C. Gegenbaur die Thatsache, dass jene kleinen Knorpelchen als Endglieder der Radien zu beurtheilen sind, und dass daraus die Vergleichung der Marginalstücke mit den Binnenradien eine fernere Stütze empfängt. Etwas einfacher in Bezug auf die Radien verhält sich Calamo- ichthys. Hier ist nicht nur eine geringere Radienzahl (9—10), son- dern auch deren zweite Glieder bieten keine Vermehrung. Man muss sich aber hüten, daraus auf einen niederen Zustand der Gat- tung zu schließen, die ja schon durch den Verlust der Bauchflosse von Polypterus sich entfernt hat. Geben sich aber die Marginalstücke nur als größer gewordene Radien kund, so ist daraus auch ihre basale Verbindung verständlich, denn diese hängt mit der Vergrößerung enge zu- sammen. Mit dem basalen Anschluss ist für jene Radien eine neue Beziehung erlangt, welche für die bedeutendere Ausbildung den An- stoß gegeben haben möchte. Aber auch für das mittlere Knorpel- stück wird durch jene Deutung Aufklärung. Die Artieulation mit dem Schultergiirtel ging verloren, nachdem die beiden marginalen Ra- dien jene Beziehung gewannen. Darin liegt ein Fortschritt in der Flossenbildung, denn jene dienen als ossifieirte Theile besser als Stützen für die gesammte Flosse, als die nur eine Ossifikation im Be- ginne zeigende mittlere Knorpelplatte des Polypterus, die bei Calamo- ichthys ohne Verknöcherung scheint. Ich glaube aber doch eine Andeutung davon in einer außerordentlich dünnen sklerosirten Schicht, welche der Knochenkörperchen entbehrt, beobachtet zu haben. Diese Knorpelplatte hat zu Gunsten jener beiden Radien den Schulteran- schluss aufgegeben und dient wesentlich nur der Insertion der indiffe- rent gebliebenen Binnenradien. Von dem gegebenen Gesichtspunkte aus tritt die Flosse der Polypterinen in engeren Zusammenhang mit der Flossenbildung von Coelacanthinen und auch der anderen Crossopterygier, in so fern wir aus dem äußeren Zustand der Flossen annehmen dürfen, dass dort ein ähnliches Verhalten eines inneren Skelets bestand. Es erübrigt aber noch für diese Befunde den Zusammenhang mit den anderen Flossenskelettypen nachzugehen. Dazu bedarf es der Erkenntnis des bei den Crossopterygiern bestehenden gemeinsamen Typus. Wenn wir die Erfahrungen von Polypterinen und die bei Undina aus dem Verhalten des sekundären Flossenskelets gefolgerten vergleichend zusammenfassen, so ergiebt sich für die Flosse ein gemeinsamer Stamm, welcher Radien trägt. Diese waren bei Undina wahr- scheinlich noch gleichartig, bei Polypterinen in so fern ungleichartig, Das Flossenskelet der Crassopterygier ete. 125 als zwei marginale Radien basale Verbindung gewannen und in mächtigerer Ausbildung den Flossenstamm von seinem ursprünglichen Anschlusse an den Schultergürtel abdrängten. Bei Undina bildete der Flossenstamm eine breite Knorpelplatte, wie aus dem Raume ersichtlich, um welchen die Radien sich reihen. Ähnlich verhalten sich die Polypterinen, nur dass an der Platte eine relativ unbedeu- tende Ossifikation besteht, die einen späteren Erwerb vorstellt. Der größere Theil erhält sich auch hier knorpelig. Dass an einem knorpelig bleibenden Flossenstamm knöcherne Radien sitzen, ist nichts Neues; ich habe einen solchen Zustand vor langer Zeit von Amia beschrieben. Aber hier saßen die Radien nur an einer Seite des Flossenstammes, während bei Polypterus und Undina andere Verhältnisse bestehen. Man könnte nun darauf verfallen, die bei Amia Radien tragende Seite in dem bogenförmig gekriimmten Rande des Flossenstammes von Polypterus zu sehen. Eine solche Auf- fassung wäre aber doppelt schwer begründbar, weil die beiden großen Radien der Polypterinen auf einen zweiseitigen Radienbesatz hinweisen, und weil die terminale Rundung der den Stamm vorstellenden Platte beiderseits basalwärts fortgesetzt ist. Aber auch bei diesem Deutungsversuche ergiebt sich, das mittlere Stück bei Polypterinen nicht dem Mesopterygium, sondern, indem es auch in jener Auffassung der Verhältnisse den Flossenstamm vor- stellen würde, dem Metapterygium gleichzusetzen. Nehmen wir von jenem Verfahren Umgang, weil es zu viele Änderungen zur Voraussetzung hat, so werden wir die Frage erwägen dürfen, ob nicht dem Flossenstamm ein biserialer Radienbesatz zukam, und ob nicht unter Verbreiterung dieses Stammes zu einer terminal abge- rundeten Platte die der einen wie der anderen Seite angehörigen Radien in eine einzige Bogenreihe zusammenschlossen. An dem Verhalten der Polypterinen ist diese Annahme nur schwer begründ- bar, wohl aber ergiebt sich aus der Vergleichung alter Crossoptery- gier ein wichtiger Anhaltspunkt. Die ältereren Crossopterygier be- saßen sehr in die Länge gestreckte Flossen, welche an beiden Rändern mit den Strahlen des dermalen Flossenskelets besetzt waren. Nachdem die Erfahrung gelehrt hat, dass das dermale Flossenskelet niemals direkt am Flossenstamme sitzt, darf aus jenem Verhalten der älteren Crossopterygier ein Schluss auf das primäre gezogen werden. Die Prämissen dieser Folgerung sind sicher be- gründet. Wir finden allgemein, dass nur die Radien des primären Skelets die sekundären Skeletbildungen tragen, seien es Hornfäden, 126 C. Gegenbaur wie bei Elasmobranchiern und Dipnoern, oder seien es knöcherne Strahlenbildungen wie bei Ganoiden und Teleostiern. Angesichts dieser Thatsachen muss bei jenen alten Crossopterygiern eine doppelte Reihe von Radien in der Flosse angenommen werden. Wie die Flosse selbst verlängert ist, muss aber auch der Träger jener Radien verlängert sein, der Stamm der Flosse. Wir gelangen so- mit aus der Beurtheilung der erhaltenen dermalen Skeletreste der Flosse zu einem Schlusse auf deren innere, nicht erhalten gebliebene Struktur. Ein mit Radien zweireihig besetzter Flossenstamm bildet das Ergebnis jener Folgerung. Ob und wie an einem solchen Stamme Gliederung bestand, .ist nicht zu erschließen, eben so wenig als es bei Undina sicher ist, ob eine einheitliche Stammplatte be- stand. Auch bei Polypterinen ist ungewiss, ob die Knorpelplatte aus einem kontinuirlichen Stamm- Fig. 3. knorpel entstand, oder aus Glied- uy B c stücken eines solchen durch Con- 201 4: erescenz hervorging, wie durch fi N N 8 8: IN EN en: un N EN einige kleine Löcher nahe am NEN b } Sn I AV In N seitlichen Rande angedeutet zu “egy “ZINN werden scheint (Polypterus). Die vorstehenden Figuren sollen die Phylogenese des Brustflossenskelets der Polypterinen versinn- lichen. A muthmaßliches Skelet von Coelacan- thinen. B, C hypothetische Übergangsformen zur Polypterinenform. Alle diese nicht begründbaren, nur bloßen Vermuthungen zugäng- lichen Fragen möchte ich in den Hintergrund stellen. Die Haupt- sache ist jedenfalls, dass das Flossenskelet von Polypterus mit jenem anderer Crosso- pterygier in Zusammenhang gebracht werden kann, sobald man die Volumdifferenzen der Radien als untergeordnete Punkte betrachtet, wie ja auch sonst bloße Größenunterschiede — immer in zweiter Reihe stehen, wo sie überhaupt beachtet zu wer- den brauchen. Mit dieser Auffassungsweise gelangen wir aber auch zu An- knüpfungen mit anderen Skeletstrukturen, indem die Form, aus ; welcher wir das Verhalten der Crossopterygier ableiteten, das bi- seriale Archipterygium ist, wie ich solches vor langer Zeit darstellte: Ein Stammtheil, welcher in ursprünglich biserialer Anordnung Ra dien trägt. Ob der Stamm einheitlich bestand, wie er es am uni- serialen Archipterygium von Amia bleibt, oder ob er gegliedert war, wie bei den Dipnoern, ist nicht sicher zu bestimmen, bildet aber Das Flossenskelet der Crossopterygier etc. 127 keinen wichtigen Fragepunkt. Die Hauptsache, die nicht übersehen werden darf, liegt in der Existenz eines Stammes und dessen Ra- dienbesatz. In der Ableitung von einer Archipterygiumbildung ergiebt sich aber noch ein Bedenken. Aus dem bei den Dipnoern ausgesproche- nen Archipterygium, auch jenem im Metapterygium der Selachier vorhandenen, ergiebt sich eine distale Produktion von Radien. Dort sehen wir in beiden Abtheilungen jüngere Radienzustände, als wir sie proximal finden. Was schon oben einen Theil der Gründe gegen die Metapterygiumbedeutung des einen marginalen Radius von Poly- pterinen darstellte, könnte hier der Vergleichung der knorpeligen Mittelplatte mit einem Archipterygiumstamm entgegengestellt werden. Wir sehen alle kleineren Radien ziemlich gleichartig, und für die Vorstellung, dass die Radien terminal dem Stamme entsprossten, wie die Selachier es begründen, giebt es bei Polypterinen keinen thatsächlichen Grund. Sie sind alle (bis auf die marginalen) ziem- lich gleich und deuten nur an, wo die Spitze des Archipterygium- stammes sich gefunden hätte, indem bei dem längeren Marginal- radius zuweilen eine Vermehrung der knorpligen Gliederreste von Strahlen zu beobachten ist, und hier an den Strahlen selbst man- cherlei Eigenthümlichkeiten vorkommen. So wird von WIEDERSHEIM von Polypterus ein distal getrennter Strahl an der fraglichen Örtlich- keit abgebildet; ich sehe bei einem Exemplare einen Radius zwischen zwei anderen erst in einiger Entfernung von der Knorpelplatte, und bei Calamoichthys finde ich an dem ähnlichen Orte einen noch knorpeligen Strahl (vgl. Fig. 2). Eine völlige Gleichartigkeit der kleineren Radien ist also nicht vorhanden; bringen wir damit in Zusammenhang, dass das Flossenskelet der Polypterinen schon in Vergleichung mit Undina sich als sehr modificirtes ergiebt und bei letzterer Gattung wieder den alten Crossopterygiern (Holopty- chius, Glyptolepis u. A.) gegenüber verändert ist, so wird man, die Entfernung würdigend, in welcher die lebenden, die Polypterinen, zu den alten Formen stehen, jene auf primitivere Verhältnisse deu- tenden Befunde nicht mehr erwarten wollen. Auch Zıtteu betrachtet die Polypterinen als Ausläufer des Crossopterygierstammes. Aber bei alledem ist auf dem von mir gezeigten Wege der Vergleichung der Zusammenhang der Polypterinenflosse mit jener der Dipnoer, wie es ZITTEL vermuthet hat, dargethan, und für beide bildet das Archipterygium den Ausgangspunkt. Da aber meine Archipterygiumtheorie bis in die neueste Zeit 128 C. Gegenbaur Angriffe erfahren hat, erwächst für mich die Nothwendigkeit, jene angeblichen »Thatsachen« zu betrachten, auf welche die Widersacher sich zu stützen versucht haben. Desshalb lasse ich hier eine Dar- stellung dieser Verhältnisse und deren Beziehungen zur Archipte- rygiumtheorie folgen. b. Die Ontogenese und die Phylogenese der Brusiflossen der Selachier. Die ersten ontogenetischen Untersuchungen über die Brustflosse der Selachier verdanken wir BALFOUR für Seyllium. Eine erste Andeutung für das Auftreten der Flosse spricht sich in einer Er- hebung des Integumentes aus, die nach der Länge des Körpers ge- richtet ist. Sie wird zuerst nur durch höheres Epithel dargestellt, und erst später ist das ganze Integument daran betheiligt. Mit der ferneren Erhebung dieser Hautfalte beginnt die Stammmuskulatur in sie zu treten, indem eine Anzahl von Myomeren in sie sprosst. Später erst erscheint dann die Skeletanlage in der breiter geworde- nen Flossenanlage, und dabei sondert sich das Basale des Metapte- rygiums in einer mit der Flossenbasis gleichen Richtung, während die Radien lateral davon abgehen. Die Flosse steht somit auf einer viel längeren Strecke mit dem Rumpfe in Verbindung als später, und an der Übergangsstelle legt sich das Basale des Metapterygiums an, welches BaAtrour als Basipterygium bezeichnete. Später gab DoHrn eine Darstellung von Torpedo. Außer der Verschiedenheit der Flossenform, die z. Th. durch die zahlreicheren Radien bedingt wird, kommt für die ersten Zustände nichts wesentlich Neues zum Vorscheine. Dagegen ist neu die Angabe, dass die Knorpelradien von außen nach innen zu sich sonderten, dass also, nachdem die — Myomeren ihre Sprossen nach der Radienzahl des Flossenskelets vertheilten, die Flosse nieht von einem Punkte aus entstanden sei. Darauf wird mit vielem Getöse und unqualificirbaren Angriffen gegen mich das Archipterygium »gestürzt« und eine neue Theorie verkündet. Auch Rıgr!, der in seiner sorgfältigen Untersuchung mehrere für unsere Zwecke im Ganzen untergeordnete Punkte der Dourn’schen Angaben verbessert, hält die phyletische Entstehung des Basiptery- giums aus Radien nicht für unwahrscheinlich. Auch WIEDERSHEIM, der die Donrn’schen Angaben meistens bestätigen zu können im Fall sich glaubt?, schließt sich dem an. Nach dieser Theorie ist ! Theorie des Mesoderms. II. Morphol. Jahrb. Bd. XVIII. 2 Das Gliedmaßenskelet der Wirbelthiere. Jena 1892. —_— Das Flossenskelet der Crossopterygier etc. 129 der Aufbau der Flossen ein metamerer, er geschieht durch von außen nach innen sick sondernde Knorpelstücke, aus deren basaler Verschmelzung nicht nur das Basipterygium, sondern schließlich so- gar der Schultergürtel entsteht. Die Angaben der beiden genannten Autoren, auf welche jene »Theorie«! sich stützen sollte, haben keine Bestätigung gefunden und in der nicht lange auf WIEDERSHEIM gefolgten Schrift MoLLIErR’s? wird jener von der Peripherie begin- nende Sonderungsvorgang der Radien entschieden in Abrede ge- stellt. Das ist die wichtigste Angabe in MoLLıer’s Abhandlung. Sie zerstört das Fundament der genannten »Theorie«: die Vorstellung von einem metameren Aufbau des Flossenskelets. Mit Recht weist MoLLIER auch auf das Auffallende hin, dass keiner der genannten Autoren jenen Vorgang in einer Abbildung darstellte, und ich möchte dazu noch bemerken, dass das um so nothwendiger gewesen wäre, als nicht nur auf diesem Vorgang ein ganzes Gebäude von Hypo- thesen errichtet wurde, sondern auch mit ihm ein Widerspruch mit zahlreichen, längst bekannten Thatsachen erhoben ward. Alle Son- derungen von Gliedmaßenanlagen beginnen proximal und schreiten distal weiter. Bei den Selachiern allein soll der Process den um- gekehrten Weg gehen! Von welcher Bedeutung wäre also auch nach dieser Seite eine sorgfältige Erläuterung jenes angeblichen Faktums gewesen! Was hat nun die Ontogenese, nachdem jene Entstehung der Radien von der Peripherie her und ihre Betheiligung am Aufbau des BALFour’schen Basipterygiums und des Schultergürtels sich als irrthümlich herausstellte, für das Flossenskelet erwiesen? Doch nichts Anderes, als dass die indifferenten Anlagen der später discreten Skelettheile mit einander zusammenhängen und dass sie aus dem ersten Sonderungszustande in allem Wesentlichen bereits so hervorgehen, wie sie im ausgebildeten erscheinen. Das Flossenskelet geht von einer einzigen Stelle aus, jener, 1 Sie wird als »BALFOUR-THACHER-MIVART-DOHrN’sche Theorie« aufge- führt. Was THACHER davon brachte, ist weit von jeder »Theorie« entfernt und ist vielmehr reine Spekulation, die man eher einen Einfall nennen könnte. Weil die unpaaren Flossen aus einer Hautfalte entstehen, in der Skelettheile auftreten, so müssen auch die paarigen aus einer solchen entstanden sein. Ähnlich ist auch Mıvarr's Meinung. In beiden werden Dinge zusammengeworfen, die nichts mit einander zu thun haben, und es wird mit »Annahmen« operirt, ohne deren Stichhaltigkeit zu prüfen. ‘ 2 Die paarigen Extr. der Wirbelthiere. Anatom. Hefte. Wiesbaden 1893. Morpholog. Jahrbuch. 22. 9 130 C. Gegenbaur welche die Verbindung mit dem Schultergürtel bezeichnet. Die Ontogenese soll der Phylogenese dienen. Hier hat sie in der Anlage des Flossenskelets eine wichtige, die aus der Vergleichung gewonnene Erfahrung vollkommen bestätigende Thatsache aufgedeckt. Aber anstatt aus dieser zu schließen, dass phylogenetisch kein meta- merer Aufbau bestehe, wird aller Logik zuwider doch wieder ein solcher postulirt. MoLLIER, der mit Recht zahlreiche Widersprüche WIEDERSHEIM’s aufgedeckt hat, ist selbst in einem solchen befangen. Da die Verschiedenheiten, wie sie z. B. zwischen Torpedo und Seyl- lium bestehen, ontogenetisch in gar keiner Weise verständlich wer- den, d. h. keine Erklärung finden, hat man auf dem von DOHRN betretenen, von WIEDERSHEIM weiter verfolgten Wege die Lücken auszufüllen gesucht und angenommen, dass für Brust- wie für Bauch- flosse ein kontinuirlicher Zusammenhang bestehe und eine Sonderung durch den Ausfall von Radien hervorgehe. Das Vorhandensein zahl- reicherer Radien in der Brustflosse der Rochen begründe einen nie- deren Zustand, der ja von Dourn auch am Kopfskelet, im vollen Gegensatze zu meiner Darstellung »nachgewiesen« worden war und auch eine Zeit lang von Anderen geglaubt wurde. Die Rochen wurden als die Ausgangszustände der Haie betrachtet! So gelangte die Lehre vom Gliedmaßenskelet auf völlig perverse Bahnen, die von einer falschen Angabe: der selbständigen Entstehung der Ra- dien und deren centripetalem Einwachsen ausgegangen sind. Wenn wir in der ontogenetischen Erscheinung des Flossenskelets in verschiedenen Gattungen die speciellen Befunde alsbald zur Aus- bildung gelangen sehen und etwas Allen Gemeinsames nur in dem Basipterygium finden, welches durch seinen Anschluss an den Rumpf eine an sich unverständliche Besonderheit darbietet, so werden wir nicht behaupten können, dass die Ontogenese einen Urzustand des Flossenskelets aufgedeckt habe. Die Ontogenese hat an den bis jetzt darauf geprüften Formen nichts Thatsächliches erwiesen, was einen niederen Zustand jenes Skelets erkennen ließe, Nichts, wodurch auch nur bei den Haien die so mannigfaltigen Befunde verknüpfbar wären. Die Anlage und ihre Sonderung erfolgt in der dem ausgebildeten Skelet entsprechen- den Form, und es ergeben sich an der einmal gegebenen Sonderung keine auf andere Zustände verweisende Befunde. Man darf dess- halb kaum erwarten, dass fernere ontogenetische Erfahrungen mehr leisten würden als die bisherigen. Suchen wir nun auf einem anderen Wege zu der Erkenntnis Das Flossenskelet ‘der Crossopterygier ete. 131 des niedersten Zustandes des Flossenskelets zu gelangen, so wird das durch die Vergleichung erreicht. Die Vergleichung wird zur Nothwendigkeit. Bleiben wir zunächst bei den Haien, so ist bei deren Flossenskelet festzustellen, worauf die so bedeutende Differenz der einzelnen Formen beruhe. Das wird geschehen können, wenn wir die weniger wechselnden Abschnitte von den variableren unter- scheiden. Von den von mir unterschiedenen drei Abschnit- ten jenes Skelets ergiebt sich das Metapterygium als der beständigste. Ich hatte daher schon längst in diesem Theile den ältesten Zustand des Archipterygiums erkannt. Sein Stamm ist das Basipterygium BALFOURr’s. Meso- und Propterygium sind in den ver- schiedensten Zuständen ausgeprägt. Das Mesopterygium zeigt seine Radien lateral an jene des Metapterygiums angeschlossen. Aber sie sind in der Regel durch ein gemeinsames Basalstück in Arti- kulation mit dem Schultergiirtel. Die Zahl der mesopterygialen Ra- dien ist außerordentlich verschieden. Ein sehr verbreiterter kommt bei Pristiurus vor, eine geringe Zahl bei Galeus, Carcharias, mehr bei den Notidaniden, auch bei Acanthias; ganz fehlt das Mesopte- rygium bei Scymnus und Laemargus (?). Welcher Befund ist als der niedere, welcher als der höhere zu beurtheilen? Der mit weniger oder gar keinen Radien, oder jener mit vielen? Es kann kein Zweifel daran sein, dass der letzterwähnte Zustand der einfachere ist. Dar- aus entsteht die Berechtigung ihn als den niederen gelten zu lassen, wenn auch nur einstweilen, bis begründet werden kann, auf welche Weise der höhere aus ihm entstand. In welchem Verhältnis steht aber das Basale des Mesopterygiums zu den Radien? Wo ihm deren zahlreiche ansitzen, bildet es eine Art Gegensatz zu den Radien. Wo das Mesopterygium nur durch Einen Radius dargestellt wird, ist das Basale nur das basale Glied des letzteren (Pristiurus). Wir erkennen also hier eine zweifellose Zusammengehörigkeit des Basale zum Radius. Wo das Basale aber mehrere Radien trägt, muss die Frage entstehen, ob nicht in diesem Basale die basalen Glieder mehrerer Radien mit einander verschmolzen seien. Bei den lebenden Haien ergiebt sich dafür nichts Sicheres. Es pflegt ein sehr speeifieirtes Knorpelstück vorzustellen. Zwar bieten sich genug Zustände der Concrescenz von Radiengliedern zu Platten, und jene Annahme für die Genese des Basale mesopterygii fände in diesen Fällen ausreichende Unterstützung. Wir wollen aber eine festere Begründung. Diese ergiebt sich bei den Rochen. Hier tritt eine größere Radienzahl im Mesopterygium zum Schultergürtel, theils 9* 132 C. Gegenbaur direkt, theils vermittels Basalia, an denen sogar noch Spuren einer Concrescenz (Raja) erkennbar sind. Daraus ist zu folgern, dass das Basale des Mesopterygiums aus Radien entstanden ist, wie es ja auch nur ein Theil eines Radius ist, wo ein solcher das ge- sammte Mesopterygium vorstellt. Hinsichtlich des Propterygiums bestehen in so fern einfachere Verhältnisse, als es immer nur wenige Radien besitzt. Wie erwähnt, fehlt es bei Seymnus und Laemargus (?). Bei Acanthias und Pri- stiurus wird es durch einen einzigen Radius vorgestellt, dessen Basal- glied bei ersterem bedeutend groß ist. Auch bei Seyllium, Galeus und Carcharias treffen wir einzelne Radien am Propterygium. Ob es bei den Notidaniden theilweise im Mesopterygium aufging und nur sein Basale zurückließ, kann nieht entschieden werden, ist auch für die ganze Frage ohne Bedeutung. Die Hauptsache bleibt, dass die im Propterygium vorhandenen Radien, wie sie sich auch um- bilden, mit ihren Gliedern zu Platten werdend, nichts von dem Meso- pterygium fundamental Verschiedenes vorstellen. Dagegen ergiebt sich ein Gegensatz zum Metapterygium. Sein Basale setzt sich in kleinere Stücke fort, welehe, wie es selbst, Radien tragen. Diese erscheinen gegen das Ende zu biserial angeordnet und lassen das Basale mit seiner Fortsetzung als Stamm erscheinen. Daraus erhellt, dass im Metapterygium _ ganz andere Verhältnisse als im Pro- und Mesopterygium bestehen. In diesen sind nur Radien vorhanden, oder Abkömmlinge von sol- chen: Plattenstücke der verschiedensten Art, die aus Radiengliedern durch Conerescenz oder Volumzunahme entstanden. Für solehe Con- erescenzen giebt es zahlreiche Beispiele. Wenn nun das Metapte- rygium durch seine Beständigkeit (bei Rochen und Haien) sich von dem Pro- und Mesopterygium auszeichnet, eben so wie durch den Typus seiner Struktur, so werden wir in ihm den ältesten Ab- schnitt des Flossenskelets sehen müssen, dem gegenüber sich Meso- und Propterygium als neuere, in verschiedenartiger Ausbildung erscheinende sich verhalten. Wie das Metapterygium entstand, diese Frage lassen wir vor- läufig unberührt, zunächst der Frage von der phyletischen Entstehung des Meso- und Propterygiums uns zuwendend. Die Berechtigung des Ausgangs vom Metapterygium liegt auch darin, dass es bei manchen Haien allein das Flossenskelet darstellt (Seymnus, Laemargus). Ich hatte früher (Untersuchungen II, pag. 142) diesen einfachen Zustand als einen durch Reduktion entstandenen aufgefasst, Das Flossenskelet der Crossopterygier ete. 133 einen Verlust des Pro- und Mesopterygiums angenommen, muss aber jetzt, durch ein mit der Kenntnis anderer Flossenskelette gewonnenes besseres Verstiindnis der Selachierflosse, von dieser ohnehin nicht sicher be- gründbaren Auffassung zurückkommen. Es scheint mir naturgemäßer in jenem Zustande einen dem primitiven sehr nahe stehenden zu sehen. Das Metapterygium zum Ausgangspunkte genommen zeigt durch das Verhalten seines Radienbesatzes die Bedingungen zu den von ihm abzuleitenden Veränderungen. Es ist der einzige Theil des Flossenskelets, an welchem wir kleinere Zustände von Radien antreffen. Ich verweise hierüber auf die zahlreichen Abbildungen, vor Allem jene von BunGeE (Jen. Zeitschr. Bd. VIII. pag. 293), aus welchen dieses hervorgeht. Hier erscheint die Lokalität, an welcher Radien entstehen. Ich sage nicht, dass da eine beständige Produk- tion von Radien Platz greife, aber dass sie hier statthatte, lehren die ebenda bestehenden Übergänge kleiner in größere Formen. Der Zustand des Metapterygiumendes lässt keine andere Deutung zu. Während nun an der medialen Seite des Metapterygiumstammes nur wenige Radien sitzen, sind an der lateralen stets deren zahlreiche vorhanden, welche einerseits an kleinere Radien sich anschließen, andererseits an größere, meist auch bedeutender differenzirte sich reihen. Da sich an diesen Radien eine Fortsetzung ins Mesopte- rygium ergiebt, darf eine Entstehung der letzteren vom Metaptery- gium abgelösten Radien als der Anfang einer Komplikation des Flossenskelets betrachtet werden. Für diesen Beginn und die weiteren Veränderungen ergiebt die Vergleichung die thatsächliche Unterlage, indem sie die. verschiede- nen Formen der einzelnen Stadien zeigt. Nehmen wir am Meta- pterygium den lateralen Radienbesatz bis zum Schultergürtel aus- gebildet, so muss eine basale Verkürzung des Metapterygiumstammes je nach ihrem Umfange einen oder mehrere Radien an den Schulter- gürtel gelangen lassen. Jene Verkürzung mag in einer Minderung des Wachsthums bestehen. Wächst die anfänglich noch etwa einen Radius tragende basale Strecke des Metapterygiums weniger als etwa der betreffende Radius an Stärke gewinnt, so gelangt derselbe all- mählich außer Verbindung mit dem Metapterygium und wird schließ- lich basal an den Schultergürtel abgegeben (Fig. 4 B, C pag. 134), während er seiner Länge nach wie vorher dem Metapterygium an- geschlossen bleibt. Die basale Beziehung zum Kriterium genommen, tritt er aber doch aus dem Metapterygium aus. So kann man diesen Process sich fortgesetzt vorstellen, ind 134 C. Gegenbaur durch ihn immer neue Radien aus dem Metapterygium zum Schulter- gürtel gelangen sehen, wie die nachstehende Figur es darstellt und ein- zelne Flossenskelette es in der That zeigen. Die zuerst abgetretenen kommen an dem lateralen Flossenrand zur Ausbildung des Propte- rygiums, dessen stärkere Radienglieder oder deren Umwandlung in massive Platten eine Anpassung an den bei den Bewegungen der Flosse hier ihr begegnenden Widerstand vorstellen. Je nachdem eine geringere oder eine größere Zahl von Radien auf dem genannten Wege zum Schultergürtel gelangt ist, wird das Mesopterygium ver- schieden reich gestaltet sein. Sein Basale, welches im einfachsten Verhalten nur Einen Radius trägt, oder vielmehr durch das Ba- salglied eines Radius vorgestellt ist (Pristiurus), trägt dann eine größere Summe von Radien (Fig. 4 E), aus deren verschmolzenen Basalgliedern es nach Ausweis des Verhaltens bei Rochen, besonders bei Raja noch deutlich Fig. 4. erkennbar, entstanden ist. Ob nach Entstehung eines ; solch’ größeren Basale des ef G s G s YY s Kh : Mesopterygiums noch neue TEL Y 4 YY ZN, Radien vom Metaptery- Y% ’ L ZN GM 704, aa In A Uj DK A AN gium in letzteres gelangen, lasse ich dahingestellt sein. Es ware das auch Schemata zur Phylogenese der Brustflosse der Haie. A erster d ; B Vv Zustand. B—E allmähliche Ausbildung des Pro- und Meso- em gro en Yorgange ge- pterygiums. geniiber eine ganz unter- geordnete Erscheinung. Dieser phylogenetische Process, wie er sich als Resultat der Vergleichung der mannigfaltigen Befunde bei den recenten Haien darstellt, ist auch auf die Rochen fortgesetzt zu erkennen. Aber es ergiebt sich hier die Modifikation, dass die aus dem Bestande des Metapterygiums getretenen Radien nur zum Theil an den Schulter- gürtel gelangen und hier ein Mesopterygium repräsentiren, zum Theil an den einmal ein Propterygium repräsentirenden Radius treten, der für sie dann ein Basalstück bildet. Mit diesem bilden sie zusam- men eine neue Art von Propterygium; sie haben sich nach vorn zu erstreckt. Dass schon innerhalb der Haie solche Gestaltungen des Flossenskelets bestanden, lehrt Squatina. Das Propterygium der Rochen ist somit eine vom Verhalten bei Haien abzuleitende Bildung, eine neue Einrichtung, die aber an die ältere der Haie anknüpft. Für die Hauptsache habe ich das schon längst gezeigt (Jen. Zeitschr. Das Flossenskelet der Crossopterygier etc. 135 Bd. V pag. 420). Man hat das zu ignoriren beliebt. Das hat dazu geführt, dass von denen, welche die Ontogenese des Flossenskelets untersuchten, die spätere Differenzirung des Propterygiums zwar beobachtet, aber von ihrem Standpunkte aus gar nicht verstanden werden konnte (MoLLIErR). Es ist jedoch ein nicht unwichtiges Faktum, denn es zeigt den späteren Erwerb auch in ontogenetischem Verhalten und ist das einzige bedeutendere Resultat der ontogeneti- schen Forschung im Bereiche des Flossenskelets der Selachier. Während die Ontogenese außer dem vorhin angeführten, aber unverstanden gebliebenen Faktum nichts den Aufbau des Flossen- skelets Erläuterndes geleistet hat, ist dasselbe aus der Vergleichung erklärbar. Es kann nicht bestritten werden, dass am Metapterygium eine Produktion von Radien stattfand, nirgends wo anders, und dass jene nicht mehr am Mesopterygium sitzenden Radien von diesem ausgegangen sind, ist eine nothwendige Folgerung. Es ist das aber nicht als ein grober Verschiebungsprocess aufzufassen, sondern als ein Wachsthumsvorgang, an welchem nicht bloß die Radien, sondern auch der Stamm des Metapterygiums sich betheiligen. Je nach der Anzahl der vor das Metapterygium gelangten Radien und den Ver- änderungen, welche sie theils in der Ausbildung des Propterygiums, theils in Concrescenzen ihrer Glieder erfuhren, ergeben sich die be- kannten Befunde des Flossenskelets in ihren Einzelheiten verschie- den, und auch das Metapterygium nimmt sowohl durch mannig- faches Verhalten seines Stammes, als auch durch die Verschieden- heit der Zahl und der Ausbildung der an ihm gebliebenen Radien Theil. Aber in dieser Verschiedenheit des Einzelnen ist das Gemein- same nicht untergegangen, welches allen Formzuständen des Flossen- skelets zu Grunde liegt. Es ist von großer Bedeutung, dass diese Gestaltung des Brustflossenskelets nicht nur den alten Selachierfor- men! zukam, sondern auch hier in einem primitiveren Verhalten sich darstellte. Ein Flossenstamm trägt biseriale Radien bei Or- thacanthus, Xenacanthus, Pleuracanthus. Der Flossenstamm ist aber reich gegliedert und jedes distale Glied trägt ein Radien- paar, während proximal nur an einer Seite Radien sitzen. Ob die basal befindlichen bei Allen nur dem Stamme zukamen, oder ob einige davon bereits auf den Schultergürtel trafen, muss zweifelhaft sein. Jedenfalls besteht noch kein ausgebildetes Pro- und Meso- 1 A. FrıtscH, Fauna der Gaskohle und des Kalksteins der Permformation Böhmens. Bd. II Heft IV. Bd. III Heft I. Prag 1889—1890. 136 C. Gegenbaur pterygium und der bei Weitem größte Theil des Flossenskelets wird durch das Metapterygium dargestellt, welches A. FRITSCH ganz rich- tig als Archipterygium auffasst. Das Verhalten der Xenacanthinen veranlasste auch Rast, das Archipterygium nicht geradezu abzu- weisen, allein er hält dabei auch noch andere Erklärungswege offen. In jenem Verhalten zeigt sich ein viel primitiverer Zustand, als bei den recenten Selachiern, deren massives Flossenskelet mit dem besonders terminal in schlankeren Verhältnissen sich dar- stellenden Flossenskelet jener fossilen Selachier zwar bedeutend kon- trastirt, aber doch den gleichen Typus vorstellt. An solche Be- funde sind jene der recenten Selachier nicht nur anzuknüpfen, sondern diese sind auch als Weiterbildungen (durch Entfaltung des Meso- und Propterygiums) davon ableitbar. Indem ich den Process der Phylogenese gegenüber der land- läufigen ontogenetischen Betrachtungsweise als einen sehr langsamen, mehr oder minder während vieler Generationen der bezüglichen Or- ganismen vor sich gehenden ansehen muss, der in weit zurück- liegenden Zuständen bei den Vorfahren der Lebenden seinen Anfang nahm, wird dieser am Flossenskelet gewonnene Gesichtspunkt an der Gesammtheit der Flosse zu prüfen sein, und dazu bedarf es eines Eingehens auf die bisherige ontogenetische Erfahrung. Erklärung der Ontogenese der Brustflosse. Alle bisherigen Untersucher der Ontogenese der Brustflosse, BALFOUR, DOHRN, RABL, WIEDERSHEIM und MOLLIER, machen für die ersten Zustände der Flosse in der Hauptsache übereinstimmende Angaben. Es liegt auch da nichts besonders Schwieriges für die Beschreibung vor. Eine erst nur durch eine Epithelialverdickung an- gedeutete, mit der Längsachse des Körpers parallele Hautfalte re- präsentirt den ersten Zustand, für dessen näheres Verhalten ich auf Ragr's genaue Angaben verweise. Wir wollen zu diesem Verhalten nur bemerken, dass das noch keine Flosse ist. Vielleicht darf noch hervorgehoben werden, dass für die Entstehung dieser Falte sich zunächst kein Kausalmoment erkennen lässt, wenn man es nicht in einer Vererbung sucht. Ob es Jemand einfallen wird, eine Haut- falte für einen Vorläufer der Flosse anzusehen, derart, dass die ganze Flosse einmal eine bloße Hautfalte war, weiß ich nicht, halte es aber bei dem Stande der Dinge nicht für ausgeschlossen, zumal man ja die unpaaren Flossen als aus Hautfalten entstanden betrachtet. Ich muss desshalb bemerken, dass zur Behauptung jener möglichen Das Flossenskelet der Crossopterygier ete. 137 Auffassung der Nachweis gehört, dass irgendwo nur aus der Haut gebildete paarige Flossen vorkämen. Wenn man aber sagt, dass jene Auffassung gar nicht existirt, so muss ich die Frage aufwerfen, was denn dann jene »Anlage« vorstelle. Wenn sie keine Flosse ist und auch nicht einen irgendwo realisirten Zustand vorstellt, so kann sie nur eine Cänogenese sein. Dass die Längsleistenform der Flossenanlage mit einem Urzu- stande der Flosse gar nichts zu thun hat, erweist sich aus dem Verhalten der Dipnoer. Diese in ihrer Organisation noch manche primitivere Zustände als die Selachier besitzenden Fische — ich erinnere nur an den Darmkanal — lassen, wie R. Semon! bei Cera- todus gezeigt hat, die Flossen als abgerundeten Höcker auftreten, aus dem in späteren Stadien eine vertikal gestellte Platte wird. Das ist ein sehr gewichtiges Zeugnis gegen die BALFOUR-THACHER- MIiVvArRT-DOHRN-WIEDERSHEIM’sche Annahme. Auch die Längsver- bindung der Brust- mit der Bauchflosse durch eine epitheliale Leiste fehlt nach Semon. Kurz, es tritt bei dieser gleichfalls sehr alten Form gar nichts von dem auf, was aus der Ontogenese der Selachier als Grundlage für die Phylogenese der Gliedmaßen der Wirbelthiere so laut verkündet wurde! In einem ferneren Stadium ereignet sich bei Selachiern ein überaus wichtiger Vorgang. Von den Körpermyomeren entstehen Fortsatzbildungen zu jener rein dermalen Flossenanlage, Sprosse der Myomeren, welche je nach den verschiedenen Gattungen ver- schieden an Zahl sind. Man könnte sagen, dass sie in letzterem Punkte nach der Zahl der im Flossenskelet vorhandenen Radien sich richten, wenn zur Zeit der Entstehung der Muskelsprosse über- haupt etwas vom Skelet schon gesondert wäre. Der Eintritt dieser Muskelsprosse in die vorher vorhandene Hautleiste geschieht in der ganzen Länge der letzteren und damit steht auch die nun erfolgende Volumentfaltung der Flossenanlage im Zusammenhang. Wir haben nun ein flossenähnliches Gebilde vor uns, welches breit mit den Rumpf- myomeren zusammenhängt. Wenn die Ontogenese ein getreues Ab- bild, eine vollständige Wiederholung der Phylogenese wäre, so müsste es Flossenbildungen geben oder gegeben haben, die nur Muskulatur enthielten, Muskulatur, die in breitem Strome sich in die vorherige Hautfalte ergossen hat. Solche Befunde kennen wir eben so wenig, 1 Zoologische Forschungsreisen in Australien und dem malayischen Ar- chipel. I. Jena 1893. 3 138 C. Gegenbaur als paarige Flossen in Gestalt bloßer Hautfalten, und es ist auch mit Bezug auf die Funktion eines solch monströsen Gebildes nicht anzunehmen, dass es einmal phylogenetisch realisirt war. Dass in dem auf einmal erfolgenden Einwachsen der Rumpfmyomeren in die »Anlage« ein cänogenetisches Moment geborgen, doch nein, klar ausgedrückt sein könnte, daran haben jene Forscher nicht gedacht, und auch die relativ späte Sonderung des Skelets wie etwas Selbst- verständliches hingenommen. Dass diese Flosse mit breiter Basis mit dem Rumpfe zusammenhängt und sich erst später nach der Sonderung des Skelets zum Theil ablöst, hat gleichfalls kein phylo- genetisches Vorbild, aber dieser Mangel ward durch die Konstruktion jenes »Flossenideals« ersetzt, in welchem die Radien von außen nach innen wachsen sollten! So weit die Ontogenese der Brustflosse, auf richtigen Beobachtun- gen beruhend, bekannt ist, kann sie jedoch eine Erklärung finden, sobald man nur nicht in der Fiktion, die Onto- genese sei allerwege eine zeitliche und räumliche Wieder- holung der Phylogenese, sich befangen hält. Wenn wir durch die Vergleichung am Skelet fanden, dass für dasselbe einfachere Zustände den Ausgangspunkt bilden und dass der Zuwachs von Radien suecessive geschieht, so ist es zu verstehen, dass mit der Vermehrung der Radien und der damit bekundeten Ausbildung auch die Muskulatur Zuwachs empfängt, der von der Stammesmuskulatur ausgeht. Diese Vermehrung der Muskulatur nimmt neue Myomere in Anspruch, die in den Bereich der Flosse getreten eine Zeit lang mit derselben in Kontinuität bleiben, bis all- mählich eine Trennung erfolgt. Diese Annahme hat in der That- sache, dass eine radienreichere Flosse eine größere Myomerenzahl zur Muskularisirung beansprucht, als eine radienärmere und damit minder umfängliche Flosse, einen festen Boden. Der allmählich am Auf- bau der Flosse erwiesene Process der Skelet- und Muskelzunahme, phylogenetisch in viele einzelne Stadien vertheilt, ist ontogenetisch zu- sammengezogen, zeitlich wie rüumlich. Der ganze, in unbestimmbar langem Zeitraume der Flosse gewordene Erwerb von Muskulatur aus dem Rumpfe kommt ontogenetisch fast mit einem Male zur Sonderung und giebt sich als jener breite Strom von Myomeren- sprossen zu erkennen, der in die Flosse tritt. Durch diesen cänogenetischen Vorgang wird aber auch das Ver- halten der ihm folgenden Skeletanlage aufgeklärt. In Anpassung an die breit von dem Rumpfe her tretende Muskulatur der Flosse legt Das Flossenskelet der Crossopterygier ete. 139 sich das Metapterygium parallel mit der Körperachse an und re- präsentirt mit seinem Stamme das »Basipterygium« BALFour’s. Man kann sagen, dass es durch die noch mit den Rumpfmyomeren zu- sammenhängenden, in die Flosse tretenden Sprosse am Körper ge- halten wird, so lange, bis die Ablösung der Sprosse von ihren Myomeren erfolgt. Die ontogenetische Gesammterscheinung muss phylogenetisch in Theilvorgänge zerlegt werden. Bei jedem Zuwachs der Flossenmuskulatur durch ein bisher nicht betheiligt gewesenes Rumpfmyomer, welches sich nach der Flosse fortsetzt, erfolgt ein, wenn auch nur auf kurzer Strecke bestehender Anschluss der Flosse an den Rumpf, und dieser Zustand besteht bis zur Ablösung des Sprosses. Dann mag alsbald derselbe Vorgang am nächsten Myomer wiederum aufgetreten sein. Aus der ontogenetischen Summi- rung dieser phylogenetischen Theilvorgänge entspringt die Verspätung der Sonderung des Flossenskelets, sowie die Anlage des Metapterygiums längs der Rumpfwand. Aber von diesem Process ist nichts mehr zu sehen! Die Onto- genese giebt ein ganz anderes Bild, und wenn jener Vorgang, wie ich ihn darstellte, der Weg der Muskularisirung der Flosse wäre, so müsste doch die Ontogenese etwas davon bewahrt haben. Etwas hat sie allerdings bewahrt, nämlich die Muskelsprosse, welche zei- gen, dass der Process von den Myomeren ausging. Aber selbst diese Sprosse sind bereits veränderte Zustände. Der Vorgang, dass ein noch gar nicht in kontraktile Theile gesonderter Fortsatz phylogene- tische Bedeutung für den Organismus gehabt hätte, dass also solche Dinge wie die Muskelsprosse einmal die Flosse mit gebildet hätten, ist völlig undenkbar. Was hätte die Flosse von einem solchen Ge- bilde, das noch kein Muskel ist, für Vortheile? Jene Sprosse ent- stehen aber ontogenetisch, weil sie einmal Theile von ausgebildeten Myomeren waren und als solche — nicht als indifferente Sprosse — in den Dienst der Flosse getreten sind. Und dieser wiederholte Vorgang liegt hier zeitlich zusammengezogen vor, wie es ontogene- tisch an zahllosen anderen Organen Jedem, der sich darum kümmern will, einleuchtet. Die zeitliche Verschiebung des Erscheinens der Skeletanlage er- greift aber auch den Schultergürtel nicht minder, als das Skelet der freien Gliedmaße. Durch den Schultergürtelknorpel nehmen die zur Muskulatur der freien Flosse tretenden Nerven ihren Weg, der durch bestimmte, von mir beschriebene Kanäle oder weitere Öffnun- gen geht. Wenn man nicht jene Nerven als »durch den Knorpel > 140 C. Gegenbaur gewachsen«, gewissermaßen hier einen Durchlass sich erzwingend, sich vorstellen will, so wird man das Verhalten jener Nerven als durch Umschließung von Seite des Knorpels entstanden beurtheilen müssen. Das ward auch ontogenetisch bezeugt (MoLLIER). Es ist also auch am Schultergürtel kein primitiver Zustand mehr vorhanden. Dieser wäre nur in einer noch keine Nerveneinschlüsse besitzenden Form gegeben, die aber nirgends bei Selachiern sich erhalten hat. Der auf dem Wege der Phylogenese aufgetretene Vorgang der Ner- venumschließung durch den Schultergürtel kann aber ontogenetisch erst nach einer Koncentrirung der von den Myomeren abgelösten und der Flosse zugekommenen Muskulatur stattfinden, wobei die betreffen- den Nerven in den Bereich der Anlage des Schultergürtels gelangen, und daraus entspringt die Verzögerung der Sonderung des Schulter- gürtels, sie erscheint wieder als Anpassung an die Vor- gänge in der Sonderung der Muskulatur. Die Ontogenese der Selachierflosse bietet somit den cänogene- tischen Vorgang in dreierlei verschiedenen Erscheinungen. Die erste bietet sich in der Hautfalte, welche die Muskelsprosse auf- zunehmen bestimmt ist. Sie ist nur eine Vorbereitung für die Muskularisirung und legt sich in der Länge an, welche der Breite der Masse in sie gelangender Myomerenabkömmlinge adäquat ist. 1 Da bei allen Haien die gleichen Kanäle bestehen, wie verschieden auch die Radienzahl der Flosse und damit in annäherndem Zusammenhange die be- theiligte Myomerenzahl sich darstellt, so ergiebt sich derselbe Process der Um- schließung für im Ganzen doch sehr mannigfaltige Flossenbefunde. Nachdem ich oben diese Mannigfaltigkeit aus successive aufgetretenen Veränderungen er- klärte, die aus der Vergleichung der anatomischen Befunde nachweisbar sind, so gewinnt es den Anschein, als ob jener Process der Nervenumschließung zum mindesten für die verschiedenen Hauptformen der Flossen selbständig aufge- treten sei. Er wäre dann erfolgt, nachdem die bezügliche Gestaltung der Flosse in Bezug auf ihr Skelet wie auf Muskulatur ihren Abschluss erreicht hatte, und bis dahin würde jene »Durehbohrung« des Schultergürtels noch nicht bestanden sein. Diese polyphyletische Auffassung der Nervenkanäle hat wenig Wahr- scheinlichkeit für sich, denn sie setzt einen Zustand der Flosse voraus, der nirgends realisirt ist. Viel eher dürfte anzunehmen sein, dass bei der ersten Gestaltung der typischen Selachierflosse jenes Umwachsenwerden der Nerven sich vollzog und dass der mit der ferneren Ausbildung der Flosse verbundene Zuwachs von Muskulatur deren Nerven auf dem Wege der Oftogenese dem be- reits vorhandenen Bestande angeschlossen worden seien. Diese Verhältnisse bedürfen noch sehr der genauen anatomischen Untersuchung. Bei Chimaera, die ja alle Hauptstücke der Flossenstruktur mit den Selachiern theilt, kommt ein Theil der Nerven sicher mit Umgehung des Schultergürtels zum Endbereiche, und bei Rochen sind gewisse Öffnungen zu zweien vorhanden. Das Flossenskelet der Crossopterygier etc. ; 141 Die zweite cänogenetische Erscheinung zeigt sich in der Musku- larisirung. Der phylogenetisch »parcellirte« und in einzelnen Sta- dien zu Stande gekommene Erwerb von Muskulatur aus dem Rumpfe ist »zusammengelegt« und tritt mit einem Male zur Flosse. Die zeit- weilige Kontinuität der Muskelsprosse mit den Myomeren lässt den Anschluss des Metapterygiums an den Rumpf entstehen und damit ist die dritte Erscheinung im Zusammenhange, welche das Flossenskelet ebenfalls in zusammengezogenem Zustande und nicht mehr in den seinem allmählichen Aufbau entsprechenden Einzelstadien darstellt. Die Erklärung des ontogenetischen Processes vom eänogenetischen Gesichtspunkte lässt keinen Theil im Dunkeln. Sie bedarf auch keiner vagen Hypothesen, wie sie die andere Auffassung von Anfang bis zu Ende nöthig hat, ohne dass auch nur eine begründbar wäre. MOLLIER, welcher als der Erste eine genaue Darstellung der Ontogenese des Flossenskelets gab und das Fehlen eines Stadiums, in welchem die Radien basal frei ausliefen, bei Torpedo sowohl als bei Mustelus konstatirte, hat sich trotzdem der unbegründeten Hypothese nicht entschlagen können, dass für die Phylogenese jenen Radien eine freie Existenz zukäme!, so dass die Radienreihe der Brustflosse bei Torpedo in jene der Bauchflosse sich fortsetzte! Wo ist dazu auch nur ein Schein von Begründung? MoLLIER befand sich zwei scheinbar im Widerstreit stehenden Thatsachen gegenüber: der Entstehung des Flossenskelets von einem einzigen Punkte aus, und der metameren Anlage der Flossenmusku- latur. Anstatt abzuwägen, auf welcher dieser Thatsachen das schwerere Gewicht sich fände, fingirt er der metameren Muskulatur zu Liebe auch eine Metamerie für das Skelet. Das war der erste Sehritt auf dem Irrwege. Die Vergleichung hätte ihm aber zeigen können, dass die einheitliche Entstehung des Flossenskelets einen festen Punkt darstellt, der unveränderlich ist, gegenüber dem Ver- halten der Myomeren, welche bei verschiedenen Gattungen in ver- schiedener Zahl theilnehmen. Diese Verschiedenheit musste bei 1 Den Widerspruch zwischen einheitlichem Flossenskelet und seiner meta- meren Muskulatur scheinen DOHRN und WIEDERSHEIM empfunden zu haben, daher sie eine Beobachtung gemacht zu haben angeben, deren Objekt — isolirt entstehende Radien — nicht existirt. MOLLIER, der die Nichtexistenz solch freier Radien nachgewiesen, erweist sich zwar als besserer Beobachter, allein er verfällt in die gleiche unbegründete Spekulation, indem er das, was die Obengenannten als ontogenetisches Verhalten angeben oder annehmen, als einen phylogenetischen Vorgang konstruirt. 142 C. Gegenbaur folgerichtigem Denken und bei dem Festhalten an der ontogenetischen Erfahrung bezüglich der Flossenskeletanlage dazu führen, in jener Myomerie das Sekundäre zu erblicken, woraus dann die Frage ent- stehen musste, ob jene Muskulatur den Flossen phylogenetisch nicht successive zugeführt worden sei. Wie die Polymerie des Flossenskelets gänzlich aus der Luft gegriffen ist, so ist es auch die darauf gestützte Vorstellung von dem primitiven Zustand der Rochen gegenüber den Haien! Das Erste bei jeder vergleichenden Untersuchung muss doch die Rück- sichtnahme auf die Stellung der bezüglichen Objekte sein. Wenn auch in höheren Formen sich Manches erhalten hat, was bei den nächst niederen nicht mehr besteht, so kann doch aus solch Einzel- nem nicht ohne Weiteres aufs Ganze geschlossen werden. Wo be- steht aber eine Thatsache, welche den Rochen ihre Stellung unter- halb der Haie begründete, aus der sich erwiese, dass die Haie aus Rochenzuständen hervorgegangene, jüngere Formen seien, als diese. Diese Thatsache, höre ich sagen, liegt eben in der Flossenbildung. Von der Rochenflosse ist die Haiflosse ableitbar! Jawohl, ableitbar, durch eine aller thatsächlichen Voraussetzungen entbehrende An- nahme, die somit ein reines Phantasiegebilde ist. Wo ist denn an der Haiflosse auch nur die Andeutung eines von der Rochenflosse stammenden Zustandes, der doch nur einer Reduktion entsprechen müsste? Auch die Ontogenese der Haiflosse ergiebt keine Spur da- von, während umgekehrt bei der Rochenflosse schon in dem anfäng- lich nicht vorhandenen Anschlusse des Propterygiums an den Kopf ein an die Haie erinnernder Zustand sich ausspricht, ein Zustand, der von jenem anderen Standpunkte aus phylogenetisch absolut un- verständlich ist. | Die zur Begründung der Phylogenese dienen sollende Ontogenese wird in dem gegebenen Falle verleugnet, indem gerade das, was durch sie mit Entschiedenheit zurückgewiesen ist, sofort wieder zum Ausgangspunkte einer phylogenetischen Spekulation genommen wird. Wahrlich, eine sonderbare Art der Forschung und eine noch sonder- barere Logik! Bei solehem Verfahren fällt es schwer zu begreifen, welchen Zweck eine ontogenetische Untersuchung haben soll. Das, was sie leistet, macht ja wieder das gerade Gegentheil zu einer Voraussetzung und hebt damit die gewonnene Erfahrung auf. Eine so verkehrte Behandlung der Ontogenese muss aber immer entstehen, wo die Cänogenie ignorirt wird; überall da, wo willkürlich bald jeder ontogenetischen Thatsache der gleiche phylogenetische Werth zuge- Das Flossenskelet der Crossopterygier etc. 143 schrieben wird, bald auch die eine oder die andere gar nicht zur Beachtung gelangt. Und doch haben sie alle Bedeutung und zeugen auch im eänogenetischen Gewande für den phylogenetischen Gang. c. Das Archipterygium in den Hauptformen des Flossenskelets. Mit der oben für das Flossenskelet der Crossopterygier gegebenen Erklärung gelangen dieselben in bestimmtere Beziehungen zu den übrigen Fischen. Liegt dem Skelet der Crossopterygier ein Archi- pterygium zu Grunde, so ist ein Anschluss an Selachier und Dipnoer unverkennbar, und in diesen drei Abtheilungen zeigt jede eine eigene Art der Modifikation eines primitiven, nicht mehr existirenden Zu- standes, für den Belege durch fossile Reste uns noch unbekannt sind. Jener Zustand ergiebt sich aber aus der Vergleichung, indem bei allen jenen Formen etwas Gemeinsames besteht, welches die dabei vorhandenen Verschiedenheiten als Modifikationen erkennen lässt. So wird das Bedeutsame vom Unwichtigen, das Primäre vom Se- kundären trennbar. Das Gemeinsame ist der Flossenstamm, als Stamm des Archipterygiums, eben so gemeinsam ist ein biserialer Radienbesatz. Veränderungen an beiderlei Theilen rufen Modifika- tionen am Ganzen hervor. Unter den Selachiern ist der biseriale Radienbesatz des Stam- mes bei den alten Xenacanthinen überaus klar (Frırsch), aber auf der medialen Seite ist er nicht mehr in der ganzen Länge vorhan- den und terminal besteht er auch bei den recenten Selachiern (BUNGE), wenn auch da nicht immer so ersichtlich wie bei den Xenacanthinen. Unregelmäßige Sonderungen solcher Radien geben diesem Theile den Charakter der Indifferenz. An diese Radien schließen sich aber la- teral ausgeprägtere Radiengebilde an, welche den Flossenstamm in seiner Länge besetzen. Indem sie bis zur Basis reichen, ist auch ein Übertritt an den Schultergürtel verständlich, der jedoch nicht allgemein sich vollzogen hat (Seymnus). Wo er eintritt, wie bei der sroßen Mehrzahl der Selachier, ruft er ein Propterygium hervor, welchem die Fortsetzung des Processes ein Mesopterygium folgen lässt. Der Rest des Archipterygiums geht dann im Metapterygium auf. Die bedeutende Mannigfaltigkeit dieser Flossenabschnitte bekundet eine große Divergenz, welche wieder für die einzelnen Zustände auf eine weite Entfernung vom ursprünglichen Ausgangspunkte schließen lässt. Auch die Ontogenese bestätigt das, denn wie wäre die Thatsache, dass die verschiedenartigen Skeletformen jeweils in einem dem: aus- 144 C. Gegenbaur gebildeten Zustande entsprechenden zur Anlage kommen, anders zu verstehen, als dass vom primitiven Zustand eine weite Entfernung besteht! Wenn man den fundamentalen Zusammenhang der im Flossenskelet wie im übrigen Organismus bestehenden Strukturen nicht gänzlich in Abrede stellen und damit auch jede Forschung aufgeben will, so muss auch jener Divergenz. Rechnung getragen werden. Dieser oder jener Zustand, wie er sich in einer solchen Formenreihe zeigt, kann daher nicht unbedingt als bloß primitiver gelten, wenn sich auch an ihm ein gewisses Maß primitiver Ver- hältnisse erhalten hat. Wie die Radien die Modifikation herbeiführen, so kommt diese auch an dem Flossenstamme zum Ausdruck. Die Mehrzahl der re- centen Selachier besitzt am Stamme nur eine spärliche Gliederung. Dem Basale des Metapterygiums folgen nur noch wenige und un- bedeutende Glieder, und mit Ausnahme der Notidaniden stellt es ein mächtiges einheitliches Knorpelstück vor. Bei den fossilen Xena- canthinen erscheint es in reicher Gliederung, häufig in der Art, dass derselben die Aufreihung der Radien entspricht, an der biserialen wie an der uniserialen Strecke des Flossenskelets. WIEDERSHEIM nahm dieses Verhalten als Stütze für seine Annahme der Entstehung des Flossenstammes aus einer Concrescenz der basalen Theile von Radien. Hier sollen diese Theile sich noch isolirt erhalten haben. Der biseriale Zustand ist nach demselben Autor aus einer Drehung, resp. einer Überwanderung der Radien von der einen Seite nach der anderen hervorgegangen. Wie die Annahme einer sekundären Entstehung des Flossenstammes allen Thatsachen widerspricht, so ist auch jene Wanderung nur eine Fiktion, die jeder Begründung entbehrt. Von Beidem hat ja die Ontogenese nicht das mindeste nachgewiesen und eben so wenig ergiebt die Vergleichung! Die An- nahme der Überwanderung der Radien von der einen nach der an- deren Seite involvirt zudem etwas ganz Widersinniges. Wenn Ra- dien von der einen Seite nach der anderen Seite gelangen sollen, so kann das doch nur so gedacht werden, dass auf einer Seite proxi- male Radien distal rücken, wobei sie einmal eine terminale Stellung bekämen, bevor sie auf die andere Seite gelangten! Da nun distale Radien stets kleiner sind als proximale, so müssten letztere, nach- dem sie in distale übergegangen wären, kleiner geworden sein, um nach der successive erlangten proximaleren Stellung auf der anderen Seite wieder größer zu werden! Es wird somit von diesen Wander- radien nicht wenig verlangt, aber die Hauptsache ist, dass keine Das Flossenskelet der Crossopterygier ete. 145 Beobachtung für jene Annahme spricht. Wie es sich dann verhielte, wenn der gegliederte Flossenstamm in größerer Ausdehnung biseriale Radien trägt (Xenacanthus), bleibt dunkel. Mit ein paar neuen »Hy- pothesen«, die eben so wenig als die anderen Boden haben, kann man freilich auch da nachhelfen, z. B. mit jener, der wir bei Cera- todus begegnen werden, aber mit der Forschung ist es bei solchem Verfahren längst vorbei! Von dem Flossenskelet der Selachier leitet sich jenes der Ga- noiden mit Ausschluss der Crossopterygier ab. Die Störe besitzen noch einen Theil des basalen Abschnittes, während der distale ver- loren ging, wie ich nachgewiesen und aus dem hier zu größerer Bedeutung gelangten dermalen Flossenskelet begründet habe (Unter- suchungen II, pag. 149; Grundzüge 2. Aufl. pag. 685). Auch Lepi- dosteus und Amia leiten ihre Skeletbefunde von den Selachiern ab. Wenn bei diesen allen nur ein uniseriales Metapterygium besteht, so ist das aus der terminalen Reduktion des Flossenskelets verständlich, bei welcher der den biserialen Radienbesatz tragende Abschnitt zum Wegfall kam. Direkt zum Schulter- gürtel gelangende Radien, die an jene vom Basale des Metaptery- giums getragenen sich anschließen, sind die Repräsentanten des Pro- _ und Mesopterygiums. Man vergleiche hierbei die von mir gegebenen Abbildungen (Untersuch. Il, Taf. 8). Diese Befunde bestätigen die für die Phylogenese der Selachierflosse oben gegebene Darstellung. Sie zeigen den Flossenstamm (besonders bei Lepidosteus deutlich) mit Radienbesatz und dazu einige an den Schultergürtel gelangte Radien. In einer weiteren Veränderung, welche die Befunde bei Teleostiern anbahnt, tritt das Flossenskelet von Amia auf. Somit führen die bei Selachiern ausgebildeten Einrichtungen durch partielle > Reduktionen zu den Teleostiern!. Zu dieser Vergleichung hat sich WIEDERSHEIM gleichfalls in Opposition gesetzt. Nach ihm besteht - der primitive Befund des Flossenskelets gar nicht in der Brustflosse, sondern in der Bauchflosse der Störe. Hier sind die Radien, von denen aus der Aufbau des Flossenskelets erfolgt, noch im ursprüng- licheren Zustande, d. h. diskret, ohne Flossenstamm, erhalten, und lassen hier mancherlei Dinge, auch einen Beckengürtel entstehen. es 1 Der phylogenetische Zusammenhang der Befunde am Flossenskelet der oben benannten Ganoiden mit jenen der recenten Selachier soll nicht derart aufgefasst sein, dass damit eine direkte Abstammung der ersteren von letz- teren begriindet wiire. Morpholog. Jahrbuch. 22. 10 146 C. Gegenbaur Die thatsächlichen Befunde, wie sie von v. DAVvIDOFF und von RAUTENFELD dargestellt wurden, zeigen nun nichts als Radien mit mancherlei Conereseenzerscheinungen, aber daraus folgt noch nicht, dass darin ein primitiver Zustand sich ausspricht, selbst wenn die Ontogenese jene Thatsache bestätigt. Denn es giebt eben keine »freien Radien« als Ausgangszustand der phyletischen Flossenent- wicklung, wie durch MoLLIER bei Selachiern nachgewiesen wurde, und wenn solche bei Stören in der Bauchflosse vorkommen, so liegt hier eine Rückbildung des Flossenstammes (resp. des Metapterygiums) vor. Diese Reduktion wird durch die Vergleichung mit der Bauch- flosse der Selachier völlig klargestellt. Hier ist der Flossenstamm der Träger eines an ihm distal durch Umbildung von Radien und manche andere Veränderungen zur Entfaltung gelangten mächtigen Begattungsapparates. Er kommt eben so den recenten Selachiern wie den fossilen zu, und verleiht dem Flossenstamme, mag dieser wenig oder bedeutend gegliedert (Xenacanthinen) sein, eine besondere Bedeutung!. Diese ist bei den Ganoiden verloren gegangen, und diese bedeutende Veränderung in der Funktion der Bauchflosse erklärt den Verlust des Stammes der Flosse, der auch von einem Schwinden des schon bei Selachiern unansehnlichen Beckengürtels begleitet ist. Es bleiben nur die Radien erhalten, theils durch ihre Beziehung zur Mus- kulatur, theils durch ihr Verhältnis zum Hautskelet der Flosse. Eine Reduktion des Bauchflossenskelets ist der Beginn fernerer Reduktionen, wie wir ihnen bei den Teleostiern begegnen und sie zum völligen Verluste dieser Flosse kommen sehen. Das Organ er- scheint damit bei den Fischen von den Stören an auf einer ab- steigenden Bahn und ist damit schon an dem Anfang bei den Stören nicht mehr geeignet, primitive Einrichtungen zu offenbaren. Die 1 Das Fehlen des Kopulationsapparates bei den weiblichen Thieren kann keinen Einwand abgeben gegen die von mir dargelegte Erklärung der Ver- änderung der Bauchflosse bei den Ganoiden, speciell bei den Stören. Der Stamm der Flosse erhält sich bei den Selachiern in beiden Geschlechtern, weil er bei dem einen eine bedeutsame Funktion besitzt, auf Grund einer Über- tragung, wie wir sie auch in zahlreichen sexuellen Einrichtungen bei anderen Wirbelthieren vorfinden. Ich erinnere hier nur au die Mammarorgane der Säuge- thiere. — Jener bei allen Elasmobranchiern vorhandene Kopulationsapparat erscheint als eine sehr alte Einrichtung. PETRI hat ihn mit einer lokomotori- schen Funktion in Beziehung gebracht und danach »Pterygopodium« genannt (Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXX). Ich halte diese Auffassung für ungerecht- fertigt und nenne jene Bildung in Betonung ihrer festgestellten Funktion Mixipterygium. Das Flossenskelet der Crossopterygier etc. 147 Richtung dieses Weges hiitte bei der Beurtheilung der Befunde bei Stören zu einem kritischeren Verhalten Anlass geben müssen, selbst wenn die Annahme »freier Radien« als eines primitiven Zustandes eben so eine feste Begründung erhalten hätte, als sie eine ent- schiedene Zurückweisung erfuhr!. Für die Dipnoer bildet der Flossenstamm den einzigen, zum Schultergürtel tretenden Skelettheil. Sein biserialer Radienbesatz er- streckt sich in gleicher Ausdehnung, wenn auch lateral und medial in differenter Mächtigkeit. Die reiche Gliederung des Stammes ist mit den Xenacanthinen in Übereinstimmung. Das Archipterygium ist am vollständigsten in diesen Befunden ausgedrückt. Aber es giebt sich dabei doch eine Entfernung von dem primitiven Zustande kund, indem das der Radien entbehrende Basalglied des Flossenstammes sich zu einem freier beweglichen Abschnitte gesondert hat. A. SCHNEI- DER hat ibn nicht mit Unreeht an der Brustflosse einem Humerus verglichen. Dass auch diesem Theile Radien zukamen, ist nicht unwahrscheinlich, zumal an der im Ganzen gleichgestalteten Bauch- flosse Andeutungen dafür bestehen (Howes). In dem Verhalten der Radien zeigt sich der distale Abschnitt in mehr gleichartigem Zustande, am proximalen walten bedeutendere Differenzirungen (vgl. Fig.5). Sie lassen sich als Theilungen und Sprossbildungen erkennen, welche in nicht geringen individuellen Verschiedenheiten sich darstellen. Auch am Flossenstamme der proximalen Strecke ist die Gliederung sehr variabel und zuweilen kommt auch eine Theilung der Glieder in der Längsrichtung des Flossenstammes vor. Aber alles Das sind sehr inkonstante Befunde. Um die biseriale Struktur des Archi- 1 Der von WIEDERSHEIM gegen den Reduktionszustand der Bauchflosse der Störe erhobene Einwand sucht seine Stütze in der Thatsache, dass bei den . Gliedmaßen die Reduktion immer nur von der Peripherie her beginne. Das ist im Allgemeinen richtig. Die Beziehungen der Gliedmaßen zur Außenwelt gaben in ihren Veränderungen nicht bloß den Anstoß zur Ausbildung, sondern auch zur Reduktion. Es sind physiologische Verhältnisse auch hier wirksam. Aber solche Einwirkungen können auch eben so am Becken der Störe stattge- funden haben wie am proximalen Theile der Gliedmaße, und a priori ist der Satz von der terminalen Reduktion nicht zu behaupten. Nachdem die Genese der Radien als der primitiven Theile des Flossenskelets sich nicht erwiesen hat, kann sie auch für die Auffassung des Bauchflossenskelets der Störe als eines primitiven Zustandes nicht als Stütze dienen. Von den Gliedmaßen der pentadactylen Wirbelthiere gewonnene Erfahrungen auf jene der Fische zu übertragen, ist namentlich in Betreff der Hinterglied- maße bedenklich, da derselben doch bei den meisten Fischen ein ganz anderer funktioneller Werth zukommt. 7 10* 148 C. Gegenbaur pterygiums in Abrede stellen zu können, bemüht sich WIEDERSHEIM, die am Flossenstamm in manchen Fällen stellenweise Längstheilung der Glieder, oder die »Spaltung des Mittelstrahls«, wie er es nennt, als einen primitiven Befund hinzustellen, aus welchem der einheit- liche Flossenstamm entstanden seit. Für eine solche »Spaltung« des Flossenstammes besteht aber thatsächlich keine Unterlage. Proximal und distal ist der Stamm immer einfach. Wenn es auch möglich ist, dass einige solcher am Stamme befindlicher Stücke, aus der Längstheilung einzelner Stammglie- der oder (vgl. die nebenstehende Figur) aus sprossenden Radien entstanden, dem Stamme zur Verbreiterung dienten, so ist doch daraus noch lange nicht auf eine ursprüngliche Duplieität .des Stammes zu schließen, wie es WIEDERSHEIM thut. Endlich lehren auch die vorläufigen Mittheilungen Semon’s (l. e.) über Ceratodus, dass in der Brustflosse ein einheitlicher Stamm entsteht, an dessen Seiten später die Radien auftreten. Warten wir ab, was die Bauchflosse bieten wird. Da wir an dieser im ausgebildeten Zustande nichts kennen, was auf eine andere Genese als jene der Brustflosse deutete, besteht für jetzt auch hier kein Grund zu jener Annahme. Wenn wir die von der Forschung er- mittelten Thatsachen aus dem sie umgeben- den Hypothesengespinnste befreien, so bieten Prasiflossenskelet von Cera- sie uns für die Dipnoer und die Selachier kein wesentlich verschiedenes Bild des Archi- pterygiums: einen Flossenstamm mit Radienbesatz. Bei allen Se- lachiern ist aber der letztere am proximalen Abschnitte des Stammes ' Es seien ursprünglich zwei Stücke gewesen. Er sagt: »Worauf es mir vor Allem ankam, war, meiner Überzeugung Ausdruck zu geben, dass wir es beim biserialen Archipterygium GEGENBAUR’s keineswegs mit einer primitiven, sondern mit einer auf großen Umwegen zu Stande gekommenen Bildung zu schaffen haben, die verhältnismäßig erst spät, nachdem die uniseriale Selachier- und Ganoidenflosse schon längst in der uns bekannten Form florirte, ihren Ab- schluss erreichte.« Das Flossenskelet der Crossopterygier ete. 149 medial nieht vorhanden, und bei den recenten vollzieht sich eine Kompensation durch Ausbildung lateraler Radien, die, zum Theil zum Sehultergürtel gelangend, das Pro- und Mesopterygium hervorgehen lassen. Diese Veränderung findet Erklärung aus der veränderten Stellung der Flosse. Bei Dipnoern (Ceratodus) nimmt sie eine vertikale Lage ein, bei Selachiern ist sie mehr in horizontaler Rich- tung, wenn auch nicht schon an der Basis ausgebreitet. Das onto- genetische Verhalten in beiden Abtheilungen bringt das zum vollen Ausdrucke. Jedenfalls ist an der Haiflosse ein mehr medialer Rand und ein mehr lateraler zu unterscheiden; der erstere birgt das Metapterygium, am anderen hat sich das Propterygium ausgebildet. Wenn auch diese beiden Ränder bei den verschiedenen Bewegungen der Flosse in ihrer Lage sich ändern, so ist doch der von mir als medial bezeichnete Rand der näher am Körper befindliche. In Folge dessen hat hier die Ausbildung von Radien einen minderen Spiel- raum als am anderen, und je mehr basalwärts, desto ungünstiger müssen sich die funktionellen Verhältnisse der Radien gestalten. Daraus ergiebt sich deren Minderung an diesem Abschnitte des Meta- pterygiums, wie es bereits bei den Xenacanthinen sich trifft. Noch ungünstiger sind die Bedingungen für die biseriale Radienentfaltung an der Bauchflosse der Selachier, bei der auch noch eine neue Funktion (s. oben) in Betracht kommt. In anderer Art als bei Selachiern und Dipnoern erscheint das Archipterygium der Crossopterygier, wie ich es oben durch die Ver- gleichung der recenten Formen mit den Resten der älteren darstellte. Der Flossenstamm erscheint bei den Polypterinen einheitlich und knüpft dadurch an jenen der Selachier an, in so fern die meisten derselben nur terminal eine Gliederung aufweisen. Ob darin ein niederer oder ein höherer Zustand zu erblicken ist, d. h. ob der Stamm des Archipterygiums ursprünglich einheitlich war und später sich gliederte, ist nicht sicher zu entscheiden. Aber es besteht für das Erstere die größere Wahrscheinlichkeit, worauf ich weiter unten zurückkomme. Das Stammesende trifft sich bei den Polypterinen, nach einer bereits bei älteren Formen (Undina) erschließbaren Ver- breiterung des gesammten Stammes, wie bei diesen mit Radien um- säumt, die aber in Binnenradien und Randradien differenzirt sind. Durch die Gleichartigkeit der Binnenradien im Volum ist eine Be- endigung der bei Selachiern noch erkennbaren Entstehung kleinerer Radien ausgedrückt und darin liegt zugleich eine Verschiedenheit von den Dipnoern. 150 C. Gegenbaur Wie bei den Dipnoern zeigt sich auch bei den alten Crosso- pterygiern eine Übereinstimmung der Brustflosse mit der Bauchflosse, wenigstens in der äußeren Form, und in den dureh das Hautskelet erkennbaren Verhältnissen. Dass auch das primäre Flossenskelet sich nicht wesentlich verschieden verhielt, ist mit großer Wahrschein- lichkeit anzunehmen. Dadurch ist auch für Polypterus die Folgerung, dass dem Skelet seiner Bauchflosse eine dem der Brustflosse gleich- artige Bildung zu Grunde lag, motivirt. Wir dürfen aber nur Reste jener Bildung erwarten. Das schmale, distal etwas verbreiterte Ba- salstück ist bekanntlich größtentheils ossifieirt und besitzt proximal wie distal knorpelige Epiphysen. Distal sitzt ihm eine geringe An- zahl von Radien an (vier), die sich den kleinen Radien der Brust- flosse ähnlich verhalten. Die beiden großen marginalen Radien der letzteren fehlen. Jenes Basalstück entspricht somit dem Stamme der Brustflosse, wie es bereits v. Davıporr dem Basale des Metaptery- giums verglichen hatte. Die vollständigere Ossifikation wird ver- standen durch den Mangel der marginalen Radien, die an der Brust- flosse die Hauptstütze der Flosse bildeten. Diese Leistung ging an der Bauchflosse auf den im Anschlusse an das Beckenrudiment er- haltenen Flossenstamm über. In letzterem Verhalten besteht einzig ein primitiver Zustand. Im Übrigen manifestirt sich ein re- gressiver Weg, der bei der anderen lebenden Polypterinengattung zu einem Verschwinden der Bauchflosse geführt hat. Das Fehlen der letzteren bei Calamoichthys ist daher von großer Bedeutung. Es lehrt die Bauchflosse von Polypterus richtig beurtheilen, indem es dieselbe durch die Vergleichung mit dem Verhalten anderer Crosso- pterygier in der Reduktion zeigt, und lässt auch das, was bei Poly- pterus als Becken erscheint, als Rudiment eines solchen verstehen!. ! Zu ganz entgegengesetzter Auffassung ist auch hier WIEDERSHEIM ge- langt. Das die Basalia der Flossen tragende Knorpelstück war nach WIEDERS- HEIM’s Angaben unter 11 untersuchten Exemplaren bei 3 einheitlich, bei einem fehlte es ganz und bei 7 war es paarig vorhanden (op. eit. pag. 76). »In jenem Falle, wo es sich um einen unpaaren Knorpel handelte, war die Apophyse der anderen Seite lang ausgezogen und an ihrer Außenseite mehr oder weniger tief eingeschnürt, als sollte es hier zu einer Abgliederung kommen. In einem an- deren Falle lag die Einkerbung am medialen Rande des sonst noch einheitlichen Knorpels, während auf der anderen Seite die Abschnürung der Beckenplatte vom Basale bereits durchgeführt war.« Das Becken entsteht also aus einer Abschnürung vom Basale der Flosse, oder streng genommen von der knorpeligen Epiphyse. Und weiter (pag. 77) heißt es: »So können wir also in dem uralten Geschlechte der Crossopterygier den ganzen Weg der Beckenphylogenese Etappe um Etappe verfolgen; ja der ganze Bildungsprocess spielt sich so zu sagen Das Flossenskelet der Crossopterygier ete. 151 d. Zusammenfassung und Schlussbetrachtungen. Der Überblick über die bei Selachiern, Crossopterygiern und Dipnoern im Skelet der Brustflosse herrschenden Einrichtungen bietet bei Allen einen biseriale Radien tragenden Flossenstamm. Ob dieser gar nicht oder wenig oder reich gegliedert ist, bildet eine gegen die Existenz eines solchen Stammes untergeordnete Frage. Die Gliederung erscheint schon durch ihre Mannigfaltigkeit als ein sekundärer Zustand. Dass auch bei Dipnoern (Ceratodus) das erste Auftreten des Flossenstammes noch keine Gliederung zeigt (SEMON), ist eine sehr beachtenswerthe Thatsache. Sie verknüpft Selachier mit Crossopterygiern. Die bei den Xenacanthinen ausgebildete, bei heute noch vor unseren Augen ab, indem wir ihn vom Stadium der Indifferenz an bis zur Differenzirung einer Anfangs paarigen und später unpaar werdenden Beckenplatte stufenweise fortschreiten sehen.« In Wirklichkeit ist aber das uralte Geschlecht der Crossopterygier an der WIEDERSHEIM’schen Deduction nur mit einer recenten Form betheiligt, mit einem Epigonen, in dessen Familie die Bauchflosse sogar völlig verloren geht! Indem wir bei den alten Crossopterygiern die Bauchflosse nicht nur nicht ver- kümmert, sondern nahezu in dem gleichen Umfange mit der Brustflosse an- treffen, in der bei den Dipnoern gegebenen Proportion, müssen wir daraus für den Beckengiirtel einen anderen Zustand annehmen, als ihn Polypterus in der That besitzt. All die verschiedenen Befunde, welche WIEDERSHEIM beschreibt und auch abbildet, auch die zuweilen vorkommende Concrescenz mit einem der Basalia, bezeugen die Rückbildung. Auch die Volumsdifferenzen der ein- zelnen Fälle sprechen dafür. Das Beckenrudiment, und ein solches liegt zweifellos vor, soll den Beginn der Beckenbildung vorstellen! Unser Autor glaubt den Anfang zu sehen, wo das Ende vorliegt; denn die ganze Stellung der Polypterinen zu den alten Crossopterygiern kümmert ihn nicht, eben so wenig als das bedeutungsvolle Fehlen der Bauchflosse bei Calamoichthys. Oder soll der letztere eine Form vorstellen, in der noch gar keine Bauchflosse be- standen hat? Weil das Becken klein ist, gilt es ihm als der Anfang eines Beckens. Und dieser Anfang kommt vom Basale der Flosse, denn es zeigt sich hin und wieder mit demselben in Zusammenhang. Als ob ein solcher Zu- sammenhang immer etwas Primitives ausdrückte! Da wo zwei Knorpelstücke das Becken vorstellen, ist die Theilung für WIEDERSHEIM der primitive Be- fund, und wo eine Concrescenz eines dieser Stücke mit der Epiphyse des Flossenstammes (WIEDERSHEIM’s Apophyse) vorhanden ist, da ist es wieder ein primitiver Zustand. Auf die Bauchflosse der Störe stützt WIEDERSHEIM seine Vorstellung von der Beckengenese. Dass wir es auch bei dieser mit einem in der Reduktion begriffenen Theile zu thun haben, ist oben aus dem Fehlen eines Flossen- stammes dargethan. Es giebt sich auch sonst noch zu erkennen, wie in der nicht geringen Variation. Polypterus giebt ein schönes Beispiel ab, wie das Becken auf dem regressiven Wege weiter fortschreiten kann, als die freie Gliedmaße. ‚ : 152 C. Gegenbaur recenten Selachiern spärliche Gliederung bekundet nur die Divergenz beider, indem die recenten Formen im Punkte des Flossenstammes einen primitiveren Zustand bewahrt haben, der bei Xenacanthinen fortgeschrittener ist. Jedenfalls kann aus dem schon innerhalb der recenten Selachier sehr verschiedenen Maße der Gliederung kein Grund entnommen werden, den Flossenstamm als ein in den ver- schiedenen Abtheilungen nicht homodynames Gebilde zu erachten. Der Flossenstamm ist somit bei Allen eine homodyname Bildung, die durch Gliederung sich mannigfach differenzirt. Ähnlich verhält es sich mit den Radien. Der mehr oder minder - gleichmäßige biseriale Radienbesatz, wie ihn Ceratodus besitzt und wie er auch den alten Crossopterygiern zugekommen sein muss, während er bei den alten Selachiern reicher, bei den recenten nicht mehr ganz allgemein proximal besteht, ist nur der Ausdruck einer auch hier waltenden Differenzirung, die den mehr gleichartigen Zu- stand zum Ausgange hat. Es drückt sich darin eben so eine Mo- difikation des mit den anderen Urfischen gemeinsam ererbten Typus aus, wie sie in dem Übertritte lateraler Radien an den Schulter- gürtel bei Selachiern sich kund giebt und zum Ausgangspunkte zahl- reicher neuer Modifikationen des Flossenskelets wird. Für die Bauchflosse führt die Vergleichung zur Erkenntnis ähn- licher Zustände. Ein Flossenstamm, wieder bald gegliedert, bald ungegliedert, trägt Radien, die bei Crossopterygiern höchst wahr- scheinlich, und bei Dipnoern (Ceratodus) zweifellos biserial sich er- weisen, bei Selachiern uniserial. Aus dieser Differenz erwächst aber kein triftiger Grund zur Aufstellung eines anderen Typus, sobald wir nur erwägen, dass ja schon an der Brustflosse die biseriale Form nur distal sich erhielt. Die recenten Selachier zeigen in diesem Punkte eine bedeutendere Minderung der medialen Radien als die älteren (Xenacanthinen), deren Brustflosse noch reichere mediale Ra- dien trägt. Eine zweite Erwägung muss durch die Stellung der Bauchflosse am Körper (s. oben) sowie durch die Beachtung des distalen Verhaltens derselben entstehen. Sie hat hier bei allen Se- lachiern mit der Entstehung des Mixipterygiums, dessen phylogenetisch erste Zustände uns unbekannt sind, eine andere Funktion gewonnen. Da damit auch das Fehlen medialer Radien zusammentrifft, wird es erlaubt sein, auch darin einen causalen Zusammenhang wenigstens zu vermuthen! Jedenfalls ist durch das Mixipterygium eine distale Veränderung des Flossenskelets konstatirbar. Daher kann aus dem Fehlen medialer Radien am Bauchflossenstamm der Selachier kein Das Flossenskelet der Crossopterygier etc. 153 Grund entnommen werden, in jenem Skelet etwas absolut Anderes als in der Brustflosse zu sehen. Das Verhalten der Weibchen dagegen ins Feld zu führen, habe ich schon oben zurückgewiesen. Bei der Prüfung der Frage von dem Verhalten der Hinterglied- maße zur vorderen fallen die Selachier somit minder ins Gewicht als Crossopterygier und Dipnoer, aber man muss zugestehen, dass die typische Gleichartigkeit beider Flossenskelette einen ge- meinsamen Ausgangspunkt gebildet haben wird. Bei den Selachiern ist das Gemeinsame nur zum Theil erhalten geblieben, aber die Hintergliedmaße übernahm noch eine besondere Leistung. Das muss jedenfalls zur Vorsicht mahnen, wenn man die Frage von der ursprünglichen Gleichartigkeit vorderer und hinterer Gliedmaßen behandeln will und die Selachier werden dabei aus dem Vordergrunde treten müssen. Das Gemeinsame, welches allen jenen Gliedmaßen, mit Ausnahme der Bauchflosse der Selachier, zukommt, ist ein Flossenstamm mit biserialen Radien. Diesen Zustand hatte ich als Archipterygium, als erste und älteste Form des Flossen- skelets aufgefasst; indem es sich in sonst sehr divergenten Abtheilun- gen verbreitet zeigt, von denen die anderen Abtheilungen ableitbar sind, stellt es eine Grundform vor. Ob diese von einer größeren oder geringeren Anzahl von Einzelstücken dargestellt wird, bildet eine ganz untergeordnete Frage. Die verschiedenen im Brustflossenskelet der Urfische ausge- sprochenen Zustände des Archipterygiums gebe ich in folgender Übersicht (s. pag. 154). Für die Hintergliedmaßen erhält sich der gleiche Befund mit der vorderen bei Dipnoern und den alten Crossopterygiern; bei Poly- pterinen ist er im Allgemeinen in Reduktion, in der aber noch die Abstammung von einem mit der Brustflosse übereinstimmenden Zu- stande zu erkennen ist. Den Selachiern bereitet die distale Um- wandlung der hinteren Gliedmaße zum Mixipterygium einen Verlust der medialen Radien, und durch dieses Mixipterygium ergeben sie sich weiter von den Crossopterygiern und Dipnoern entfernt, als diese unter sich erscheinen. Der Verlust des Mixipterygiums bei den übrigen Ganoiden wie bei allen Teleostiern geht mit einer bedeu- tenden Reduktion der Hintergliedmaße einher, die bis zum gänz- lichen Schwinden derselben führen kann. Aber wenn auch in diesen Reduktionen der Hintergliedmaße keine direkte Anknüpfung an die Selachier möglich ist, so ist diese doch durch die Vordergliedmaße ausführbar, für welche sich bei den Stören die Vermittelung hietet. 154 Selachier Dipnoer Crossopterygier are | oa 7 é I zen = (sees "ee ‘ees wo SS © o 8 En mM on A {eb} 3 2553 TB PES HT 3 > - | 2 815522 = 8 oo Hg © ~~ URN = = 5 =| rs ros = >= = = 580 rS o = on (om A SR SS = a © Bi _ m > |E & Shea S yt 2 o Ban a) © st zi 52 = Soe m™ 4 o> = & o A.) 275 + En i | Sy o 5 m ) 2 =) Fein =) 75 a © © Ay HM 5 on m = _ aS Sy =) er =) 2 a 2 Los © M oO [ [ nA ‘> _ oo ~ = © ._ > 2, = > = 3 So N © iy Ay aH) BIS: Ale zw! ee Sis ee See 05 8 a M et py ort g Er o = =I eae ye Sete ad = Pets 5 l ' 3 a o = 2 un 75 2 Fi fa o > = = re a 2. & (=) ee ap | an OF Ay iso) recente Se- Xenacanthi- lachier nen C. Gegenbaur Durch diese Verhältnisse muss die Frage entstehen , ob nicht den Crossoptery- giern eine eigene, außerhalb der übri- gen Ganoiden befindliche Stellung an- zuweisen sei, ähnlich wie dieses für die Dipnoer sich vollzog. Viele andere Besonderheiten der Organisation unter- stützen diese Auffassung. Jedenfalls stehen die Crossopterygier den Stören, Lepidosteinen und Amiaden viel ferner als den Dipnoern. Wenn wir aus der Vergleichung der mannigfaltigen, sehr differenten Ab- theilungen angehörigen Befunde das Archipterygium als den gemeinsamen Ausgangspunkt erkannt haben, als et- was allen gemeinsam Ererbtes, von welchem die Modifikation in der ver- schiedensten Art sich geltend macht, so wird die Frage nach dem Woher zu einer daran sich knüpfenden besonde- ren Aufgabe. Ich hatte dieses Problem schon vor vielen Jahren ins Auge gefasst. Da- von ausgehend, dass die Genese eines solchen Organs unverständlich bleibt, wenn sie nach dem gewöhnlichen onto- genetischen Gedankengange beurtheilt wird, hatte ich das Organ von anderen Bildungen abzuleiten, d. h. solche mit den Gliedmaßen in Zusammenhang zu bringen und dadurch zu erklären ver- sucht. Bevor ich nochmals darauf ein- gehe, verlangt der erst angeregte Punkt eine Besprechung. Die Genese jenes Skelets, dem ich auch den Gliedmaßen- gürtel zurechne, wird nicht erklärt, wenn wir nur erfahren, dass da oder dort Knorpelgewebe entsteht, welches schließlich jene Sonderungen hervor- Das Flossenskelet der Crossopterygier ete. 155 gehen lässt. Je nach der Art der Sonderung kann höchstens ge- folgert werden, dass da einmal etwas Einheitliches bestand. Doch das betrifft eine hier nicht zu erörternde Frage. Worauf es hier ankommt, ist das Auftreten einer Knorpelbildung zu be- gründen aus dem Causalmoment ihrer Entstehung, welches in einer Ererbung liegt. Die Ableitung von einem anderen Skelettheile liefert ein solches Causalmoment, in so fern sie die Existenz des Materials für das neue Organ in einer anderen, bereits bekannten Bildung nachweist. Alle, die sich bis jetzt mit der Gliedmafentheorie be- schaftigten, mochten sie Knorpelstücke als »Radien« von außen nach innen einwachsen lassen oder sonst wie die Entstehung des Glied- maßenskelets darstellen, haben sich mit der Frage, woher der Knor- pel komme, gar nicht beschäftigt. Dass da oder dort Knorpeltheile ontogenetisch auftreten, genügte. Der Knorpel ist da, wächst und sondert sich in verschiedene Bildungen. Dass mit dem Nachweise der Existenz nichts für die Herkunft geleistet ist, ist klar. Dass aber ein Knorpel, so wie er ontogenetisch sich differenzirt, mit einem Male in die Erscheinung trat, wird wohl Niemand behaupten wollen. Einfachere Anfänge, die bereits einen organologischen Werth besitzen, bilden eine nothwendige phylogenetische Voraussetzung. Solche, eine bestimmte, aber andere Funktion besitzende Skeletgebilde liegen in den Kiemenbogen vor. Von solchen leitete ich hypothetisch die erste Skeletbildung der Gliedmaßen ab; den letzteren muss eine Ein- richtung zu Grunde liegen, in welcher eine bestimmte Skeletbildung mit dem aktiven Bewegungsapparat in Verbindung trat. Diese Hypothese, die ich ausführlich begründet hatte!, ist nicht da- durch aufgehoben, dass der ontogenetische Weg keine Bestäti- gung liefert, d. h. dass da nicht zu sehen war, dass ein Kiemen- bogen sich in eine Gliedmaße umwandle. Wenn wir wissen, dass ältere Selachier wie die Xenacanthinen sieben Kiemenbogen besaßen 1 Ich darf hier wohl erwähnen, dass eine derartige Hypothese nur aufs Allgemeinste gerichtet sein kann. Ein Knorpeltheil, wie er im Kiemen- bogen besteht, entspricht dem Schultergürtel, ein von ihm sprossender Fort- satz lässt das Archipterygium entstehen. Da die erste Entstehung der Glied- maßen nicht in einer einzelnen Abtheilung der von mir oben als Urfische bezeichneten Formen stattgefunden haben kann, sondern in der diesen gemein- samen Stammform der Gnathostomen, können auch die Cyclostomen bei der Prüfung der Hypothese nicht ganz ausgeschlossen sein. Hier aber besitzen die Kiemenbogen mit ihren Fortsatzgebilden eine oberflächlichere Lagerung, welche die Hinfälligkeit der aus der Lage des Schultergürtels a Argumente gegen meine Hypothese beweist. 156 C. Gegenbaur (Frırsch), während bei den gegenwärtig lebenden nur eine einzige Gattung diese Zahl besitzt (Heptanchus), so dürfen wir daraus folgern, dass bei der mit nur fünf Kiemenbogen versehenen Mehrzahl der recen- ten Selachier eine Reduktion der Kiemenbogen stattfand, von der die Ontogenese kein Zeugnis mehr giebt. Die Ontogenese nimmt also von einem erst innerhalb des Selachierstammes eingetretenen Ereignis keine Notiz mehr. Soleher Beispiele giebt es zahlreiche. Um wie viel weniger darf von einer Einrichtung, welche bei den nieht bloß den Selachiern, sondern auch den Dipnoern und Crossopterygiern gemein- samen Vorfahren entstanden sein musste, eine ontogenetische Wieder- holung des ursprünglichen, zu jener Gliedmaßenbildung führenden Processes erwartet werden! Es zeugt von sehr geringem phylo- genetischen Urtheile, dass man für solche Probleme immer wieder ontogenetische Entscheidungen anruft und das Versagen der Onto- genese ohne Weiteres zu einer Widerlegung zu verwerthen versucht. Meiner Hypothese stellt man, wie man glaubt, »Thatsachen« ent- gegen, indem man das negative Ergebnis der Ontogenese als eine solehe betrachtet. Man sieht bei Selachiern z. B. keinen Kiemen- bogen in den Schultergürtel sich umgestalten, sondern diese Gebilde kommen gleich mehr oder minder in der ihnen zukommenden Ge- staltung zum Vorscheine. Das heißt doch nur so viel, dass bei den Selachiern der postulirte Vorgang nieht mehr besteht, das ist das ein- zige thatsiichliche Ergebnis. Daraus zu folgern, dass der Vorgang überhaupt nicht bestanden habe, ist eben so irrig, als wenn man aus der Beschränkung der Zahl der Kiemenbogen der Cranioten schließen wollte, dass auch in den diesen vorausgehenden Acraniern jene Be- schränkung bestanden habe und dass Amphioxus mit seinem reichen Kiemenapparate gar nichts mit den Cranioten zu thun habe. Dass aber außer dem Gliedmaßenskelet noch Muskulatur (Trapezius, Inter- scapularis) auf eine, die Vordergliedmaße auf eine andere als die spätere Örtlichkeit verweist, verfällt dabei der Ignorirung wie man- ches Andere. Wenn auch nicht in der Art, wie von WIEDERSHEIM einmal der »unumstößliche Beweis« für die Abkunft der Gliedmaßen von Kiemen geliefert worden war, jenes Problem wird gelöst werden können, so muss es doch als bestehend gelten, und wir können ihm vor- läufig nur durch die Hypothese näher treten. Die von mir aufgestellte gründet sich auf die Causalität. Diese wird dagegen völlig außer Acht gelassen durch die Annahme, dass den Gliedmaßen die spätere Funktion von vorn herein zukam; dass ihre ersten Anfänge, eine Knorpelbildung, für deren Auftreten örtlich und räumlich keine Das Flossenskelet der Crossopterygier etc. 157 Ursache erkennbar ist, sich teleologisch zum Gliedmaßenskelet ge- stalteten. Es kommt: hier eine fundamentale Verschiedenheit in der Auf- fassung der Entwicklungsvorgiinge zum Ausdrucke. Die eine sieht in denselben Erscheinungen, durch welche Organe erst später eine bestimmte Funktion erhalten, und stellt sich auch phylogenetisch die Organentstehung in dieser Weise vor. Das Organ entsteht zuerst noch indifferent auftretend, d.h. ohne noch ein bestimmtes Organ zu sein. Ein irgendwo entstehender Zellhaufen hat noch keine Funk- tion, jedenfalls nieht die, welche er, zum Organ ausgebildet, erhält. Der Zweck der Bildung liegt somit am Ende. Diese Auffassung der Organbildung ist eine teleologische, und die alte, auf metaphysi- scher Grundlage erwachsene Teleologie, der zufolge das Organ entsteht, um später eine bestimmte Leistung zu übernehmen, ist in der modernen » Embryologie« in jener Auffassung der Ontogenie wiedergekehrt und scheint sie fast vollständig zu beherrschen! Wer könnte das leugnen, wenn er sieht, wie z. B. jene Muskelsprosse in der Ontogenese der Selachierflosse phylogenetisch verwerthet wur- den? Eine Serie von Myomeren wächst gegen die Anlage der Flosse aus, von der noch kein Skelet vorhanden ist. Diese Sprosse sind doch erst wirksam, nachdem die Sonderung kontraktiler Elemente entstand und das Skelet sich gebildet hat. Wo liegt nun das Cau- salmoment für jene Vorgänge? Doch, nach jener Auffassung, nur in dem späteren Zustande, am Ende des ontogenetischen Weges. Ist das etwas Anderes als die alte Teleologie? Oder sollen jene Sprosse bereits eine Funktion besitzen? die spätere ist es sicher nicht. Was giebt aber den Anlass zu ihrer Entstehung, wenn es nicht die Funktion ist, die da waltet, woraus der Spross entstand und eben so seine Derivate. Die andere Auffassung verhält sich kritischer, indem sie in der Ontogenese die eänogenetischen Momente unterscheidet. Das Organ entsteht phylogenetisch nieht als ein erst später seine Funktion und damit seinen »Zweck« erlangendes Gebilde, es besitzt diese be- reits bei seinem Auftreten, mag es in dieser oder jener Art erschei- nen, denn nur durch seine Funktion, die es ererbt hat, gewinnt das Organ seine Gestaltung, und das physiologische Moment steht hier über dem morphologischen, welches von ersterem beherrscht wird. Wo für die Entstehung keine andere Ursache als die erst spä- ter erlangte Funktion erscheint, wo also nur die alte Teleologie zur Begründung der Genese gelten könnte, da ist die Ursache, wenn 158 C. Gegenbaur man jener Teleologie nicht verfallen will, in einem anderen Zustande zu suchen, d.h. das Organ ist von einem in anderer Bedeutung be- stehenden abzuleiten. Die Ontogenese pflegt aber jene Zustände nicht aufzudecken, sondern sie cänogenetisch zu verhüllen, indem sie die phylogenetisch auf langem Wege erworbene Einrichtung sogleich zur Anlage bringt. Die Ontogenese zeigt damit das Ergebnis der Phylogenese, aber nicht deren vollständigen Gang, der erst durch die Vergleichung erkannt wird. Wenden wir uns wieder zu dem vorhin gewählten Beispiele, an welchem die Ontogenese in den Muskelsprossen nur teleologisch zu erklärende Vorgänge zeigt. Wir versuchten diese phylogenetisch ab- zuleiten. Indem die erste, den einfachsten Zustand des Archiptery- giums besitzende Gliedmaßenform im Bereiche von Rumpfmyomeren Beziehungen zu letzteren erlangt hat, geht damit ein engerer An- schluss an die Gliedmaße hervor, und daraus entspringt die Wirk- samkeit eines oder einiger Myomere auf die Gliedmaße. Es ist noch kein Spross eines Myomers, sondern nur ein Abschnitt desselben, der nur durch eine neu erworbene, wohl durch Myosepten vermittelte Be- festigung in eine neue Funktion tritt und unter dieser Funktion für die Gliedmaße successive zur Selbständigkeit gelangt. Dieser nie- derste Zustand ist nicht mehr vorhanden, wie ja schon bei dem ein- fachsten Zustand der Selachierflosse eine bedeutende Komplikation gegeben ist, aber er ist zu folgern, da wir nach Abweisung der funktionellen Wirksamkeit bloßer »Anlagen« doch nur von »ausge- bildeter« Muskulatur unseren Ausgang nehmen können. Da nun das vom Archipterygium aus entstandene Flossenskelet das erstere als Grundlage zeigt, wird für den ersten Zustand desselben gleichfalls ein einfacherer Befund zur nothwendigen Voraussetzung, dem auch ein analoges Verhalten der Muskulatur entsprochen haben muss. Die Verschiedenheit der an der Muskularisirung der Flosse betheiligten Myomerenzahl weist zugleich auf einen Anfang zurück, in welchem nur eine geringe Myomerenzahl in Betheiligung getreten sein kann. Die auch später noch erhaltene Einheitlichkeit des Flossen- skelets, im Gegensatze zu der supponirten Polymerie derselben, giebt somit sicheren Anhaltepunkt für die Beurtheilung des Be- ginnes und der Fortsetzung der Muskularisirung, die mit der Aus- bildung des Skelets neue Metameren in Betheiligung zieht. Skelet und Muskulatur bedingen sich damit wechselseitig und das an beiden in langen Perioden Erworbene tritt dann in der Ontogenese ciino- genetisch vereint auf. Das Flossenskelet der Crossopterygier ete. 159 Wie Myomere sich dem Gliedmaßenskelet anschließen, davon ist ein Beispiel am Schultergürtel erhalten. Bei Haien geht von den hinter dem letzteren folgenden Rumpfmyomeren eine Befestigung an den scapularen Theil des Schultergürtels über, und diesem Myomer schließt sich hinterwärts noch eine Anzahl von Myomeren an. So zeigt sich ein Muskeltrakt theilweise aus dem Komplex der Rumpf- myomeren hervortretend, aber auch durch dieselben Septa getheilt. wie sie zwischen den betreffenden Myomeren bestehen. Der Muskel zeigt damit noch den Status nascens und lehrt die Art, wie Myo- meren mit dem Skelet, hier mit dem Schultergürtel, in Verbindung treten. Solche Zustände, welche in dem erwähnten Falle erst spät zur Erscheinung kommen, müssen auch für die Muskularisirung der Flosse selbst angenommen werden. Als phylogenetisch früh entstandene Be- funde werden sie bei der Ontogenese verdunkelt, indem unter zeit- licher Verschiebung ein genetisch früherer Zustand in der Muskel- anlage besteht. Wie für Alles muss auch für diese Cänogenese ein successiver Erwerb gelten. Das während des Lebens Erworbene kommt so allmählich in ontogenetischen Besitz. Die Cänogenese trübt zwar das phylogenetische Bild, aber sie zerstört es nicht. Dem kritischen Blicke giebt sie allerwege noch die Konturen der Palingenese zu erkennen. Nehmen wir die Ört- lichkeit der Brustflossenanlage, so zeigt sich diese dieht hinter den Kiemen, da wo die durch die Vergleichung mit Amphioxus auch für die frühesten Gnathostomen in ursprünglicher Mehrzahl anzunehmen- den verschwunden sind. Die Muskularisirung der Anlage erfolgt nicht völlig gleichzeitig, sondern die vorderen Sprosse kommen früher zur Ausbildung als die hinteren. Man kann sagen, dass das nur dem allgemeinen Entwicklungsgange entspräche und nichts für die Glied- maße Besonderes ergäbe. Aber jenes Allgemeine setzt sich aus dem Besonderen zusammen, und für die Gliedmaße zeigt sich die Palin- genese noch in jenem Stücke. Auch die an sich ganz unverständ- lichen , zwischen Brust- und Bauchflossenanlage an den Myomeren erscheinenden Sprosse (DoHrn’s Abortivknospen) gewinnen Bedeu- tung, wenn man sie als Zeugnisse der Wanderung der Hinterglied- maße gelten lässt. In jenen Sprossen sind Theile von Myomeren erhalten, welehe in vorausgegangenen Zuständen des Organismus der der Brustflosse mehr genäherten Bauchflosse die Muskulatur lieferten, und wenn ihr allgemeines Vorkommen nicht gesichert scheint, so ist 160 C. Gegenbaur, Das Flossenskelet der Crossopterygier ete. das doch nur der Thatsache zuzuschreiben, dass sie keine funktionell zur Geltung kommenden Bildungen sind. In der Sprossbildung selbst zeigt sich, dass das betreffende Myomer Beziehungen zur Flosse besaß, Hoyo! der auf die Flosse getretene Theil sich davon sonderte. Im Spross selbst tritt die Palin- genese dann gleichfalls successive hervor. Auch am Skelet finden sich die palingenetischen Verhältnisse. Dass das gesammte Gliedmaßenskelet, Schultergürtel und Flosse, aus einer zusammenhängenden Anlage sich sondert, drückt nichts Anderes aus, als dass hier, wenn auch weit zurückliegend, einmal ein einheitlicher Zustand bestand. Die ontogenetische Forschung geht an solehen Verhältnissen vorüber wie an etwas von selbst Ver- ständlichem, das keiner Erwägung bedarf. Auf Grund meiner Glied- maßen-Hypothese wird man in jener Einheitlichkeit des ersten Ma- terials nur einen palingenetischen Zustand erblicken können, jenen, welcher zwar nieht mehr formell, aber doch materiell einen Kiemen- bogen mit seinen Abkömmlingen darstellt. Man kann dann sagen, jene Anlage ist einheitlich, weil sie den frühesten Zustand des Gliedmaßenskelets wiederholt, der von Kiemenbogen sich ableitet. Auch an diesen ist der eigentliche knorpelige Bogen und die ihm zukommenden Radien nichts ursprünglich Gesondertes. Die Ra- dien sind Abkömmlinge des Bogens. Bei Cyelostomen (Petromyzon) ist der Zustand noch erhalten, in welchem Kiemenbogen Fortsätze aussenden. Stehen diese auch in anderen Beziehungen, gemäß der dem Bogen zugekommenen veränderten Lage, so kommt in ihnen doch die gleiche Erscheinung zum Ausdrucke: eine Sprossung vom Kiemenbogen. Aber auch fernerhin sind palingenetische - Processe erkennbar. Dass die Anlage des »Basipterygiums« zuerst auftritt, gründet sich auf dessen Homologie mit dem Stamme des Archipte- rygiums, und die ganze Sonderung der Radien zeigt einen Sprossungs- vorgang, für dessen Produkte die Abgliederung das letzte Ereignis bildet. Die Verzögerung dieser Vorgänge im Bereiche des Propte- rygiums ist wiederum nichts Anderes als eine Palingenese, das Propterygium stellt in Vergleichung mit dem Metapterygium einen neuen Flossenabschnitt vor, und dieser Gegensatz muss da zum leb- haftesten Ausdrucke gelangen, wo das Propterygium seine bedeutendste Entfaltung besitzt (Rochen). Die vergleichende Anatomie tritt damit in ihre vollen Rechte, und je mehr diese vernachlässigt wird, desto resultatloser sind die nur aus ontogenetischen Ergebnissen entsprungenen phylogenetischen Versuche. er Mer ii. nu eure A Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. — Der Gefälskanal im Adductor magnus. Eine anatomische Untersuchung. Von Georg Ruge. Mit 30 Figuren im Text. Die hier verwertheten Untersuehungen über Ursprungsvarietäten der großen Muskeläste der A. femoralis sind 1883 in Heidelberg be- gonnen und dort bis zum Jahre 1888 fortgeführt worden. Die Er- gebnisse aus diesem früher gesammelten Materiale weisen, wie ich meine, darauf hin, dass der wissenschaftliche Ausbau auf unserem Gebiete noch nicht vollendet ist. Abweichungen im Ursprunge und Verlaufe der A. circumflexa femoris lateralis sollen vor Allem hier besprochen werden; solche der A. profunda und der A. circumflexa femoris medialis können aber nicht außer Acht gelassen werden. Ist man doch darin übereingekommen, die beiden Aa. eircumflexae als Äste der A. pro- funda aufzufassen. Die Beobachtungen über die Astvarietäten der Schenkelarterie beim Menschen sind sehr zahlreiche. Zur Zeit, als chirurgische Interessen die anatomische Forschung beherrschten, wurden sie fleißig zusammengetragen. Neue Zustände lassen sich dennoch an bekannt gewordene Ab- weichungen im Gebiete der A. eircumfl. fem. lateralis angliedern, so- bald die Lage der Gefäße zu den benachbarten Nerven berücksichtigt wird. Die Äste des Nervus femoralis werden der Leitfaden bei der Morpholog. Jahrbuch. 22. 11 162 Georg Ruge Beurtheilung von verschiedenartig gelagerten, jedoch aus dem Grunde gleich zu benennenden Arterien, weil sie gleiche Endgebiete aufsuchen. Die Anwendung dieses einfachen, aber kaum irreleitenden Prineipes von gegenseitiger Lagerung hilft auch am Oberschenkel die Kennt- nis der Arterienvariationen erweitern. Der Nervus saphenus sowie der eine Strecke gemeinsam mit ihm verlaufende Nerv für den Musculus vastus medialis sind beim Menschen Nachbarn der Arteria femoralis geworden. Sie schmiegen sich der letzteren oft innigst an und kreuzen dabei die Ursprungs- strecken der A. circumfl. fem. lat. und der A. profunda. Die Art aber, in welcher .die Kreuzung sich vollzieht, wirft Licht auf das Wesen der oftmals variirenden Femoralisäste. Die Zweige des Nerv. femoralis, welche zu ventralen und late- ralen Gliedern der Extensorengruppe ziehen, halten sich abseits von der Schenkelarterie und sind als fixe Punkte für die Beurtheilung der Ursprungstheile der genannten Femoralisäste in der Regel nicht verwerthbar. Hingegen können diese Nerven bei der Schätzung der größeren Zweige der Arteria eircumflexa femoris lateralis Bedeutung gewinnen. Die innigen nachbarlichen Beziehungen zwischen den Nervi sa- phenus et vasti medialis und dem Hauptstamme der Schenkelarterie sind in der Primatenreihe, wie es scheint, noch nicht allgemein vor- handen. Sie haben sich erst bei höheren Formen eingestellt und finden beim Menschen prägnantesten Ausdruck. Die Beurtheilung der Arterienstimme wird ermöglicht, außer der Berücksiehtigung der allgemein bedeutenden Momente von Ur- sprung, Lage sowie der nachbarlichen Beziehungen zu den Nerven, zuweilen auch durch die Beachtung der Relation zu großen, normal gelegenen Venenstämmen. Der von T. ZAALJER (1894 Fig. 2) publi- eirte Fall einer zur Vena cruralis abnorm gelagerten Art. profunda femoris gehört in diese Kategorie. Das Ursprungsverhalten der in das Gebiet der Cireumflexa fem. lateralis gelangenden Arterie ist, wie ich auf Grund einiger Be- obachtungen annehme, ein einförmiges bei tiefer stehenden Primaten; es besteht in dieser Eigenschaft zweifellos im Vergleiche zu der un- endlich großen Mannigfaltigkeit menschlicher Einrichtungen. Zablreiche neue Bahnen werden in den Astgebieten der Art. femoralis angelegt und sind theilweise zur vollen Ausbildung gelangt. Der Varietätenreichthum im Ursprunge der Circumflexa fem. lateralis scheint, so weit sich dies bis jetzt übersehen lässt, ein dem Menschen Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 163 allein zukommender Besitz zu sein. Es ersteht die Aufgabe, die progressiven Formzustände beim Menschen auf Grund vergleichen- der Forschung genauer zu studiren. Es wird verlockend sein, den Ursachen nachzuspüren, welche die in vielfachen Variationen auf- tretenden Neubildungen im Gebiete der Schenkelarterien hervorge- bracht haben können. Dass die mit dem Erwerbe der aufrechten Körperhaltung vereinbarte Stellung der Gliedmaße zur Körperachse sowie die voluminöse Entfaltung aller Theile der Extremität, nament- lich aber deren Muskulatur, verantwortlich zu machen seien, wird kaum beanstandet werden können. Andere Momente können natür- lich auch noch eine Rolle dabei gespielt haben. Zunächst können nur einige Reihen morphologisch zusammen- gehöriger Variationen im Femoralisgebiete vorgeführt werden, die derartig geordnet sind, dass sie für eine weitere wissenschaftliche Behandlung vielleicht direkt verwendet werden können. Verglei- chend-anatomische Studien liegen in der Litteratur nicht vor, und auch die von mir gelegentlich angestellten Beobachtungen genügen nicht, um das Primitivere von dem sekundär Erworbenen unter- scheiden zu können. Dem entsprechend hat auch keine innere Ur- sache bei der Wahl einer Aufeinanderfolge der einzelnen Abschnitte maßgebend sein können. Eine Anzahl von Befunden gehört in eine natürliche Gruppe, in welcher ein jedes Glied durch gemeinsamen Ursprung der Circumfl. fem. lateralis und der Profunda gekennzeichnet ist. Die Entfernung der gemeinsamen Ursprungsstelle befindet sich etwa 4,5—5,5 em distalwärts von den Abgangsstellen der Art. epigastr. inf. und der Art. circumfl. ilium, wir dürfen sagen distalwiirts vom Leistenbande. Wir wollen hier davon absehen, dass die Gefäßursprünge nicht ge- nau in der Höhe des Leistenbandes gelegen sind. Letzteres entfernt sich z. B. nach G. JonssEL (1884) 1 em von beiden Gefäßen. Die betreffende Entfernung von 4,5—5,5 cm ist bei anderen Individuen um ein Weniges länger oder kürzer. Bestehende Schwan- kungen mögen wohl aus der wechselnden Körpergröße der Personen und aus der Verschiedenheit der Proportionen der Theile sich her- leiten. Andererseits ist zu bedenken, dass, sobald es bei sonst gleichartigen Vertheilungen um die z. B. mehrere Centimeter diffe- rirende Ursprungslage der Arterien verschiedener Individuen sich handelt, selbständige Bahnen betreten und ausgebildet sein kön- nen. Der betreffende Nachweis hierfür lässt sich da und dort er- bringen. Eine vollkommene Homologie von Gefäßstämmen lässt sich 11* 164 Georg Ruge indessen nicht gar häufig striete erweisen. Eine komplete Über- einstimmung von Arterienästen in solchen Distrikten, welche einer lebhaften Umbildung unterbreitet sind oder kurz zuvor unterbreitet gewesen sind, findet wahrscheinlich überhaupt nicht häufig statt. Komplete Homologie mag zwischen ältest und alt eingebürgerten Stämmen vorliegen, auf Aortenbögen, die Aorta der Vertebraten, auf den Stamm der Arteria femoralis beim Menschengeschlecht berechtigte Anwendung finden. Aber die Verhältnisse werden komplicirter, so- bald wir der Homologie distaler Abschnitte der A. femoralis der Primaten näher treten, in so fern deren alleinige Fortsetzung als Art. poplitea selbt nur eine Errungenschaft neueren Datums ist. Im stark umgestalteten Extensorengebiete des Oberschenkels aber, in welchem so äußerst zahlreiche Gefäßvariationen sich hervorheben, werden wahrscheinlich dem äußeren Anscheine nach übereinstim- mende Arterien oftmals einander nicht homolog sein. Verschieden- artige Arterienzweige entfalten sich in gleichen Distrikten gleich stattlich. Hier wird bei der Beurtheilung einschlägiger That- sachen Vorsicht nöthig, und Übertreibungen im Auffinden »völlig gleichartiger« Varietäten stellen der Erkenntnis eher Hindernisse in den Weg, als dass sie fördern. Allgemeiner wirksame Momente werden als Ursachen bei der parallel laufenden Entwicklung verschiedener Varietätenreihen zu gelten haben. Die Muskulatur der Unterextremität hat beim Menschen eine ganz bevorzugte Ausbildung gefunden. Anlagen neuer Gefäß- bahnen müssen mit der letzteren nothwendig gleichen Schritt gehalten haben. Augenscheinlich hat in der Anlage neuer Gefäßbahnen noch kein Stillstand, sicherlich hat noch keine Fixation bestimmter Bah- nen in den Astgebieten der A. femoralis stattgefunden. Der Stamm der Schenkelarterie zeigt beim Menschen, nament- lieh gegenüber den häufigeren Varietäten an der oberen Extremität (vgl. z. B. ZAALJER, 1865), erworbene Konstanz. Die großen Muskel- äste haben sich indessen nicht in gleichem Grade eingebürgert. A. Varietäten des Stammes der Art. femoralis. Ich beabsichtige, die Stammvarietäten der A. femoralis, so weit sie bekannt geworden sind, zu besprechen und dieselben kurz einer vergleichend- anatomischen Betrachtung zu unterbreiten. Letztere führt uns zur Darstellung der allmählichen Ausbildung des Gefäß- Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 165 kanals im Musculus adductor magnus, des sog. Adduktorschlitzes des Menschen. Die Darstellung basirt vor Allem auf den vor Jahren gesammelten Beobachtungen über diesen Gegenstand. Zu den seltenen Stammvarietäten der Arteria femoralis gehören vor Allem die folgenden Arten. Das Auftreten einer Art. ischiadica nimmt durch seine Bedeutung eine vornehme Stellung ein. Eine Art. ischiad. pflegt die Ausbreitung der Art. femoralis auf den Ober- schenkel (Extensorenfläche) zu beschränken. Man vgl. hierüber P. H. GREEN (1832), M. CAILLARD (1833), Ca. BELL (1836). DUBRUEIL (1847, pl. XI u. XII, pag. 346) macht uns genauer mit dem von CAILLARD beschriebenen Falle bekannt, in welchem die Art. femoralis als Profunda mit drei Aa. perforantes endigt, indessen im anderen Gebiete der A. femoralis nur ein Gefäß gefunden wird, welches auf dem M. vastus medialis bis zur Medianfläche des Kniegelenkes ver- läuft. Eine Art. ischiadica ist gleichzeitig entwickelt; sie ersetzt am Unterschenkel u. s. f. die A. femoralis. Das Kniegefäß entspricht der letzteren nicht in seiner ganzen Ausdehnung. Dusruet glaubte jedoch, dass es sich hier um eine rudimentäre A. femoralis handele, während es für mich fraglich bleibt, ob jene am Individuum je aus- gebildet gewesen sei. HyYRTL (Anat. des Menschen, 1881, pag. 1025) erwähnt eines hierher gehörigen Präparates, das im Musée Clamor zu Paris bewahrt wird. C. Rue (1863) beschrieb einen sehr genau beobachteten Fall einer Art. ischiadica unter Beifiigung guter bild- licher Darstellungen. Es bestand hier eine Anastomose zwischen Art. femoralis und A. poplitea durch den Adduktorenschlitz hindurch. Man vgl. W. Krause’'s Zusammenstellungen über die Art. ischiadica (1867, pag. 290). F. Hocusretrrer (1890) giebt Mittheilung über zwei neue Beobachtungen an einer Leiche. Links passirt die A. ischiadica einen Spalt des 1. Sacralnerven, rechts die Lücke zwischen 1. und 2. Sacralnerven. Die Art. femoralis endigt an der inneren Fläche der Knieregion mit einer Art. anastomotica magna und einer Art. musculo-articularis. Die Arteria ischiadica des Menschen ist mit dem normalen gleich- namigen Gefäße der Vögel in Parallele gestellt worden. ErLıs (1853) gab selbst dem Gedanken Ausdruck, dass die Ischiadica eine fötale Erscheinung bilden möchte. Da menschliche Einrichtungen mit denen bei Vögeln direkt keinerlei Beziehungen besitzen, so wird die That- sache von größter Bedeutung, dass eine A. ischiadica auch bei Am- phibien und Reptilien sich findet; denn von diesen tiefer stehenden Formen kann ein typischer Befund sich forterhalten haben.‘ Für 166 Georg Ruge ganze Abtheilungen der Wirbelthiere ist die Arteria ischiadiea die ursprüngliche Hauptschlagader der hinteren Gliedmafe. F. Hocn- STETTER (1890) hat das Verdienst, auch hier die Kenntnis über das Gefäßsystem vertieft zu haben, indem er den Nachweis führt, dass eine Art. ischiadiea bei Raub- und Nagethieren (Katze, Kaninchen) in frühen Entwicklungszeiten thatsächlich das Hauptgefäß darstellt. HOocHSTETTER hat auch für Säugethiere beim Kaninchen nachgewiesen (1891, pag. 30), dass die Hauptvenenbahn der hinteren Gliedmaße ähnlich wie die Art. ischiadica bei Säugethierembryonen Anfangs an den Nerv. ischiadieus sich halte, um später einem Wechsel zu unter- liegen, welcher demjenigen im Gebiete der Art. ischiadica und der A.femoralis entspricht. HOCHSTETTER bezeichnet die Art. ischiadica mit Fug und Recht als »ursprüngliche Hauptschlagader der hinteren | Gliedmaße der Säugethiere«; er ist geneigt, auch für die mensch- liche Ontogenie das zeitliche Auftreten einer Art. ischiadica anzu- nehmen. Das ist auch sehr wahrscheinlich. Der Nachweis einer menschlichen, fötalen Ischiadiea liegt jedoch nicht vor. Da ich es für möglich halte, dass bei der festen Einbürgerung der Art. femo- ralis in die menschliche Organisation ein ontogenetischer weiterer Rückgang, vielleicht gar der Regel nach ein gänzliches Verschwinden vorliege, so ist es nithig, dass hier direkte Wahrnehmungen an Stelle von Wahrscheinlichkeiten treten. WIEDERSHEIM (1893, pag. 156) greift, wie mir scheint, der Forschung vor, indem er annimmt, dass die Art. ischiadica bei Embryonen von Säugern so wie des Menschen beobachtet worden sei. HOocCHSTETTER fand die Arterie allein bei Katzen und Kaninchen. Ist die Art. ischiadica des Erwachsenen ein atavistisches Ge- bilde, was nach Hoc#sTETTER’s Untersuchungen nicht zu bestreiten ist, so kann es uns nicht Wunder nehmen, dass das Gefäß zuweilen unvollständig ausgebildet auftritt, nicht in seiner Vollständigkeit mehr in die Erscheinung tritt. Der von HyrrL (1864) beschriebene Fall darf, wie ich glaube, nach dieser Hinsicht Beurtheilung erfahren. Die Ischiadica ist verhältnismäßig schwach und endigt etwas distal der Fossa poplitea. Der im Auftreten einer menschlichen Ischiadica sich kund gebende Zustand von Rückschlag ruft die bei Primaten und niederen Säugethieren charakteristischen Gefäßeinrichtungen nieht nothwendig alle zurück, da jener atavistische Befund auf sehr viel weiter zurück- liegende phylogenetische Zeiten hindeutet. Eine Art. ischiadica be- sitzen ja auch die Säugethiere nicht mehr. Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 167 Am Femoralisstamme sind fernerhin Inselbildungen wahr- genommen worden (vgl. W. Krause 1867 und 1880, Gray 1869, JOESSEL 1884 pag. 193 ete.). Indem die Arterie nach Abgabe einer Profunda sich spaltet (A. femor. bifida), wird die Inselbildung ein- geleitet. In der distalen Hälfte des Oberschenkels können die Äste wieder zusammentreten und so die Inselform bewerkstelligen. Das innere Gefäß kann, in so fern es mit der Vena femoralis verläuft, der Art. femoralis entsprechen, während der äußere Strang höchst- wahrscheinlich aus einer A. circumflexa femoris lateralis sich herleitet. PorTAL hatte eine Inselbildung im Femoralisgebiete zweimal wahr- genommen (vgl. FRORIEP’s Notizen, 1832 pag.46). CH. BELL beschrieb 1836 einen Fall. Houston (1837) führte eine ähnliche Anomalie auf, und TYRELL beobachtete einen solchen bei einem Fötus. Quaım (1844 pl. 71 fig. 2) fand unter 1200 Fällen nur einmal eine Insel- bildung am Stamme der A. femoralis. Sobald die A. profunda selb- ständig aus letzterer hervorgeht, kann der eine Schenkel der Insel natürlich nicht aus der Profunda entstanden sein. Eine dritte Art von Stammvarietäten besteht darin, dass die beiden Äste, welche dort zur Insel wieder zusammentreten, hier selbständig zur Fossa poplitea eilen und von hier aus als A. tibialis antica und als Art. tibialis postica verfolgt werden können. Die beiden Äste der getheilten Art. femoralis sah Sanpirorr in die- sem Verhalten. HyrrL hält diese Angabe jedoch nicht für hin- länglich verbiirgt. PorraL (Dubl. Hospit. Reports, vol. 4 pag. 312, und ANDERSON’s Journal, Okt. 1829) beobachtete die Theilung der Art. eruralis unter dem Leistenbande, die Fortsetzung der Äste als Art. tibialis und als Art. peronea. Eine mehr untergeordnete Rolle spielt in morphologischer Hin- sicht die von DUBRUEIL (pl. XV) dargestellte Inselbildung im Femo- ralisgebiete, wo die Arterienschlinge zwischen der Art. femoralis comm. und der A. femor. superfieialis sich eingestellt hat. Durch die mediale Lagerung der Arterienschlinge wird man auf die Entstehung aus kollateralen Bahnen im Gebiete einer Art. pudenda externa hin- gewiesen. Eine morphologisch bedeutsame, beim Menschen nur selten vorkommende Anomalie der Arteria cruralis ist deren Fortsetzung als Arteria saphena. Diese mit der gleichnamigen Vene zum Malleolus tibialis, außerdem in das Gebiet der Aa. tibial. postica et antica ziehende Arterie ist bei Säugethieren, selbst noch bei Primaten ein normales Gefäß. Dasselbe tritt beim Menschen abnormerweise 168 Georg Ruge entweder als Ast der Art. eruralis (ZAGORSKY 1809) oder als Fort- setzung der letzteren auf (vgl. C. Rue 1865). In letzterem Falle wird gleichzeitig eine Art. ischiadica gefunden. Die Art. saphena ist bei niederen Abtheilungen der Säugethiere als konstantes Gefäß bekanüt, bei Affen oftmals beschrieben (vgl. Barkow, der sie beim Orang und Chimpanse als Art. tib. superfie. bezeichnet). PopowskY's vorläufige Mittheilung (1893) über die Gefäße der unteren Extremi- täten der Primaten führt uns das primitive Verhalten der A. femoralis dieser Formen vor Augen. Bei Arctopitheken, Platyrrhinen und Ca- tarrhinen setzt sich die A. femoralis in oberflächlichster Lage als Art. saphena auf den Unterschenkel fort, begleitet von der gleich- namigen Vene und dem N. saphenus. Die Art. saphena ist noch bei allen Anthropoiden eine normale Erscheinung. Sie ver- breitet sich beim Chimpanse als eine primitive Art. dorsalis pedis und lässt es noch nicht zur Entfaltung einer als A. dorsalis pedis fortgesetzten Tibialis antica kommen (vgl. GRATIOLET und ALIx 1866 pag. 224 Taf. VII, VIII, welche das Gefäß eine Art. tibial. superfie. nennen). CHAPMAN (1878) und Morron beschrieben die A. saphena des Gorilla. DENIKER fand die Art. saphena beim Gorilla- und Gibbonfötus (1886 pag. 199); er nannte sie eine Art. tibialis interna. EisLEr brachte genauere Mittheilungen, nach denen die A. saphena an beiden Körperseiten des Gorilla in sehr urspriinglicher Art bis zum Fuße, in die Gebiete der menschlichen Aa. tibiales, sich begab (1890, pag. 15). Die bei Harrmann (1883 pag. 196) sich findende Notiz über »eine nicht uninteressante Abweichung« der Schenkel- gefäße der Anthropoiden vom normalen menschlichen Typus besagt, dass eine von Venen und von einem kräftigen Nervenstamme be- gleitete Arterie von der Schenkelarterie am Schenkelbogen sich abzweige, um sich bis zum Fußrücken zu begeben. Diese Angabe beruht wohl kaum auf einer sorgfältigen und richtig gedeuteten Beobachtung. Sie erweckt die irrige Vorstellung, dass das von HARTMANN beschriebene Gefäß ein Ast der Arteria femoralis sei, während es dieselbe bis zum Adduktorschlitz doch thatsächlich selbst vorstellt, von wo aus es sich als Art. saphena bis zum Fuß- rücken fortsetzt (vgl. EIsLEr). Die Art. saphena ist beim Menschen durch die Art. poplitea, welche den Adduktorenschlitz passirt, ersetzt. Ihr proximales Stück hat sich jedoch als eine Kniearterie, Art. artic. genu suprema, er- halten (GEGENBAUR 1892 pag. 286). Die Art. ischiadica ist für die Säugethiere, die Art. saphena Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 169 ist erst für den Menschen ein fremdartiges Gefäß geworden. Das Auf- treten der einen oder der anderen hier oder dort birgt Anklänge an sehr verschiedene Entwicklungsperioden. Diese beziehen sich für die Ischiadica auf die Organisation der Promammalier; sie beziehen sich für die beim Menschen abnorm auftretende Saphena auf die- jenige der Primaten, also auf Epochen, welche an das phylogene- tische Zeitalter des Menschen sich unmittelbar anreihen. Die beim Menschen auftretenden Aa. ischiadica et saphena repräsentiren daher atavistische Variationen von sehr verschiedenem phylogenetischen Werthe. Die menschlichen Ischiadica- und Saphena-Variationen werden, je für sich gesammelt, vielleicht unschwer richtig zu be- urtheilen sein, wennschon meines Erachtens ein Abschluss selbst der wichtigsten Fragen bis jetzt nicht vorliegt. Unendlich schwie- iger gestalten sich die Verhältnisse, sobald es sich um das kom- binirte Auftreten beider atavistischer Varietäten an einem und dem- selben Individuum handelt. Wie sollen wir z. B. den beobachteten Fall beurtheilen, bei welchem die A. sapkena bis zum Fuße sich erstreckt, hier aber aus ihrem ursprünglichen Gebiete verdrängt ist, bei welchem gleichzeitig die Ischiadica als Poplitea sich fortsetzt und wie ein normales Gefäß in eine Arteria tibialis anterior und eine Arteria tibialis posterior sich theilt? Die Schwierigkeit einer richtigen Analyse besteht darin, dass der Mensch das Verhalten seiner normalen Arteria poplitea mit niedriger stehenden Primaten nicht theilt, dass die Ausbildung der menschlichen Arteria poplitea das Ende einer Gefäßentwicklungsreihe bezeichnet, dass also die altursprüngliche Arteria ischiadica mit einer ganz recenten Art. poplitea sich verbindet, und dass außerdem das Zwischenzeitalter durch eine Arteria saphena vergegenwärtigt wird. Bevor man in diesem Falle für die Annahme eines gleichzeitigen Auftretens dreier Arteriengenerationen an der unteren Extremität des Menschen sich erklärt, wird es rathsam sein, den dankbaren Stoff vergleichend- anatomisch kritisch noch weiter durchzuarbeiten. Die Art. poplitea und der Adduktorschlitz. Der Ausbau der»Arterien der unteren Gliedmaße hat bei den Primaten einen regen Fortgang genommen. Es ist hier die Über- leitung des Blutstromes aus der A. femoralis in die Art. poplitea bewerkstelligt worden. Bei Arctopitheken liegt das Endgebiet: der 170 Georg Ruge letzteren in der Muskulatur des Unterschenkels, indessen die Ver- sorgung des Fußes der A. saphena, der Fortsetzung der A. femoralis, anheimfällt. Bei Platyrrhinen gewinnt die Art. poplitea durch eine Anastomose mit der Art. saphena Beziehungen zu mehr distalen Distrikten. Bei Catarrhinen werden die gewonnenen Ausdehnungen der Poplitea ausgebaut und lassen sich bis zu den normalen mensch- lichen Einrichtungen verfolgen (vgl. Popowsky, 1893). Das Resultat aller Umformungen bei den Primaten besteht in der Ausbildung der Art. poplitea zur alleinigen Arterie des Unterschenkels und Fußes. Das Endziel ist bei den Anthropoiden noch keineswegs erreicht, da die Arteria saphena beim Chimpanse und Gorilla noch stets an- sehnliche Distrikte übernimmt, welche beim Menschen der Art. tibi- alis antica zufallen (vgl. GRATIOLET, CHAPMAN, EIsLER). Die Onto- genie lässt bei Säugethieren (Katze, Kaninchen), wie HocHSTETTER berichtet (1891 pag. 305 f.), eine Anastomose zwischen Art. femoralis und Art. ischiadica verhältnismäßig spät auftreten. Diese Anastomose wird unter Zunahme des Lumen zur Art. poplitea. Beim abnormen Auftreten einer menschlichen Ischiadiea so- wie einer als Art. saphena fortgesetzten Femoralis kann jene Anasto- mose, welche zur normalen Poplitea entfaltet ist, fehlen, oder sie kann als zarter Strang bestehen (Beobachtung von Rue, 1863). In letzterem Falle wird an Zustände bei Arctopitheken, Platyrrhinen erinnert. Die normale Art. femoralis des Menschen passirt beim Übergange in die A. poplitea den sogenannten Adduktorschlitz, der, wie bekannt, im Bereiche des Adductor magnus sich befindet. Der als Art. po- plitea fortgesetzte Ast der Femoralis passirt indessen bei den meisten Primaten nicht einen abgeschlossenen Kanal, der dem Muse. adductor magnus zugehört, sondern die Lücke zwischen zwei selbständigen Muskeln. Der eine dieser Muskeln ist ein M. adductor magnus, aber nur dem Theile des menschlichen Muskels homolog, welcher an der Linea aspera Befestigung findet. Der andere Muskel, welcher die Art. poplitea niederer Primaten begrenzt, liegt medial und nach hinten. Er ist ein Glied der Flexorengruppe. Er wird vom Plexus ischiadieus innervirt, indessen der Adductor magnus dem Nerv. obtu- ratorius zufällt. Die Poplitea erreicht also zwischen Adduktoren und Flexoren die Kniekehle. Am Sitzbeine berühren sich die Ursprungs- flächen beider Muskeln. Die Bäuche liegen am ganzen Oberschenkel an einander. Diese Nachbarschaft leitet die Verwachsung der Mus- keln ein, die stellenweise, namentlich proximal, nur eine innigste Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 171 Aneinanderlagerung genannt werden kann. In der proximalen Um- gebung der Art. poplitea wird die Verlöthung der Muskelendsehnen bei Catarrhinen eingeleitet. Bei Anthropoiden ist derjenige Theil des Flexor zur Endsehne umgestaltet, welcher die Art. poplitea be- grenzt, und zeigt Verhältnisse, wie sie vom Menschen bekannt sind. Der proximale Flexorentheil verschmilzt mehr und mehr mit dem Adductor magnus, und die Endsehne des ersteren zieht dann vom Adductor magnus--Bauche aus als ein integrirender Bestandtheil desselben zum Condylus medialis femoris. Beim Menschen kann der muskulöse Theil des Musculus flexor verschwinden; er kann aber auch erhalten sein, selbst als ein stattliches Gebilde, welches dann den vom N. ischiadicus versehenen, hinteren Theil des Adductor magnus vorstellt. In allen Fällen erhält sich beim Menschen die Endsehne des genannten Flexor in dem Sehnenstrange, welcher den Adduktorenschlitz medial abschließt und der normalen Art. poplitea eine durchaus geschützte Lagerung vindicirt. Ist die muskulöse Portio ischiadica des M. add. magnus erhalten. so ziehen ihre Bündel, anklingend an die Verhältnisse niederer Primaten, zur Adduktor- sehne. Der Adduktorschlitz des Menschen ist dem entsprechend kein Kanal in einem Adduktor, sondern fand seine Ausbildung aus einem solchen, welcher von einem Adduktor sowie von einem Flexor seine Wandung empfing. Der Adduktorschlitz ist auch beim Menschen ein Canalis adduct.-flexorius. Die Ausbildung der Art. poplitea zum alleinigen Unterschenkel- gefäß, die erwähnte Umformung des Flexor zu einem Bestandtheile des M. adductor magnus, die Ausbildung dessen Sehne zur medialen Wand des Kanals fiir die A. poplitea sind durch organische Processe zu Stande gekommen, welche, wo wir ihnen auch nachspüren, sich als gleichzeitige erweisen. Das Wesentlichste tritt darin zu Tage, dass für die verlegte Hauptblutbahn zugleich Schutzapparate aus einem | benachbarten Muskel sich herstellen, welcher durch seine Endsehne den Arterienkanal medial abschließt, indessen das Femur die late- rale Wandfläche darstellt. Der der A. poplitea benachbarte Flexor gelangt noch bei ver- schiedenen Catarrhinen ähnlich dem Muse. semitendinosus und Muse. semimembran. zum Unterschenkel. Es ist mir gelungen, alle wesent- lichen Zustände wahrzunehmen, welche zwischen einer Insertion an der Tibia und am Condylus medialis femoris bestehen können. Die Muskelendsehne zeigt demgemäß bei den Primaten eine in proximaler 172 Georg Ruge Richtung sich vollziehende Verschiebung, welche im menschlichen Verhalten einen Abschluss gefunden zu haben scheint. Die allgemeinen Ursachen für die proximale Verschiebung der Flexorsehne sind unschwer in der allmählichen Verschmelzung des Obturatorius- und des Ischiadicustheiles des Muse. adductor magnus sowie in der engen Anlagerung der Endsehne des Flexorkopfes an die Medianfläche des Kniegelenkes etc. zu erkennen. Die Anlage- rung der beiden Muskeln an einander sowie diejenige des Flexors an die Medialfläche des Kniees, des Condylus femoris, können durch die sich einleitende Streckung des Kniees nur gefördert worden sein. Eingehendere Untersuchungen über diesen Gegenstand haben mich mit anderen Entwicklungsvorgängen der Extremität bekannt gemacht, welche, da sie nur in lockerem Verbande mit diesem Thema stehen, an anderer Stelle mitzutheilen sind. Sie sind aber eben so wie die Ausbildung des menschlichen Adduktorschlitzes unter dem Einflusse der Streckung des Kniees, einer Theilerscheinung der aufrechten Haltung des Körpers zu Stande gekommen. Die Doppelnatur des menschlichen M. adductor magnus erhellt aus der bekannten Innervation durch Äste des Obturatorius und des Ischiadicus. In das Wesen der diploneuren Natur des menschlichen Muskels giebt aber die Struktur des Muskels noch Aufschluss. »Dem Ursprunge des Adductor magnus gehört eine sehr starke, an der hinteren Fläche des Muskels sichtbare, vom Tuber ischii schräg in den Muskelbauch eintretende Sehne an, von deren medialem Rande die zu dem Sehnenbogen herabtretende Portion des Muskelbauches hervorgeht« (vgl. GEGENBAUR, 1892, Band I, pag. 444). »Die am nächsten den Beugemuskeln entspringende Portion empfängt in der Regel vom N. ischiadieus Zweige« (pag. 445). »Der für den Muse. semimembranosus abgehende Zweig sendet sehr häufig einen Nerven zum Adductor magnus, und zwar zu der medialen Portion desselben, welche in die den Schlitz für die Schenkelarterie umgrenzende End- sehne übergeht« (vgl. GEGENBAUR, Bd. II, pag. 488). Diese Angaben illustriren auf das beste die vergleichend-anatomisch gewonnene Vor- stellung von der,Genese des Adduktorschlitzes beim Menschen. Dass zum Adduct. magnus des Menschen auch Aste des N. ischiadieus ge- langen, ist nicht neu (vgl. z. B. HENLE, 1871, pag. 532; CHAMPNEYS etc.). Die Thatsache an sich giebt natürlich keinerlei Aufschluss über die Beziehungen der verschieden innervirten Portionen zum Gefäßkanal im Muskel. Das diploneure Wesen des M. adductor magous beim Chimpanse Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 173 ist durch CHAMPNEYS (1872) festgestellt worden; es ist beim Gorilla- fötus durch DENIKER (1886) nachgewiesen (pag. 159) und ist beim Gorilla auch dem sorgfältigen Beobachter P. EisLER nicht ent- gangen (1890). EısLER nahm wahr, dass zu dem hintersten, läng- sten Muskelkopfe, welcher vom Vorderrande des Tuber ischii ent- sprang und zum Condylus medial. fem. zog, vom Nerv. ischiadieus Äste verliefen (l. ce. pag. 14 und 57). Hieraus lässt sich auf die Natur des Adduktorschlitzes als eines Canalis adductorio-flexorius zurück- schließen, wennschon EIsLER diesen Schluss nicht gezogen hat. Eine vollkommen zutreffende Darstellung und Beurtheilung des Sachverhaltes ist von KOHLBRÜGGE (1890) gegeben worden. Er unterscheidet am Adductor magnus der Hylobatiden eine Portio nervi obturatorii streng von einer P. nervi ischiadici. Da zwischen beiden Abschnitten die Art. femoralis hindurchtritt, wird die Portio nervi ischiad. mit der Endsehne des menschlichen Adductor magnus in Übereinstimmung gebracht. Während bei Hylob. agilis und syndactyl. beide Theile völlig selbständig auftreten, sind sie bei Leueiscus eng verwachsen gefunden (l. c. pag. 285 u. 293). Die Einsicht in die Zusammensetzung des Adductor magnus ist schrittweise errungen. GRATIOLET und ALIx (1866, pag. 183, pl. VII, VIII) gaben eine Darstellung des vom Os ischii zum Condyl. fem. medial. ziehenden, kräftigen Muskels des Chimpanse. Der Muskel, an dessen oberem fleischigen Rande die Art. poplitea aus der A. femo- ralis sich entwickelt, wird Adductor magnus geheißen. Die Nachbar- schaft dieses vermeintlichen Adductor magnus mit dem Semimem- branosus am Ursprunge vom Os ischii war den Autoren nicht entgangen. BiscHorr (1870) kannte die Selbständigkeit des vom Sitzbein zum Condylus femoris ziehenden Muskels bei Arctopitheken, Platyrrhinen , Catarrhinen, Gibbon , Chimpanse (l. ec. pag. 226). Er bezeichnete diesen Muskel als einen abgespaltenen Theil des Add. magnus und ließ Art. et vena cruralis zwischen Muskeltheilen des letzteren gelegen sein. In der 1879 erschienenen Arbeit über die Muskulatur des Gorilla ist kein Fortschritt der Erkenntnis zu ver- zeichnen. Testur (1884, pag. 623) nennt den durch A. MACALISTER (1873) beim Gorilla als Condyloideus adductor beschriebenen Muskel einen Ischio-condyleus (vgl. auch DENIKER) und unterscheidet ihn von den ischio-femoralen Bündeln des Adductor magnus. Auf die vorkommende Selbständigkeit des Ischio-condyloideus beim Menschen, welche übrigens auch schon HENLE beschreibt (1855, pag. 272), so- wie auf die Gleichartigkeit des auch von MECKEL, BISCHOFF, 174 Georg Ruge CHAMPNEYS, MACALISTER beschriebenen, selbständig bei Affen auf- tretenden Muskels specieller hingewiesen zu haben, ist ein Ver- dienst Testur’'s. Die volle Erkenntnis der Natur des Adductor magnus haben wir aber späteren Forschern zu verdanken. Es ist nur allmählich bekannt geworden, dass alle Anthropoiden die in- differenten Verhältnisse eines Ischio-condyloideus mit niederen Affen theilen. VROLIK, CHAMPNEYS und BıscHoFF konstatirten solches für den Chimpanse, MACALISTER für den Gorilla, Langer (1879) und Testur für Orang. Wohl bleibt die innige Verschmelzung des Ischio- condyloideus mit den ischio-femoralen Bündeln des Adduetor magnus ein dem Menschen zukommendes Besitzthum; aber nichtsdestowe- niger wird die Verschmelzung bei Affen bereits eingeleitet, und Du- VERNOY’s kurze Angabe (1853, pag. 85), wonach der Adductor magnus des Gorilla von dem des Menschen eigentlich nicht abweiche, deutet keineswegs auf eine falsche Beobachtung hin. Mit aller Bestimmt- heit ist ja von KOHLBRÜGGE angegeben worden, dass die beiden Abschnitte des Adductor magn. beim Hylob. leueiscus mit einander verschmolzen seien. B. Varietäten der Äste der Art. femoralis. Die Reichhaltigkeit der Varietäten in den Astgebieten der Art. femoralis steht, da diese Gefäße hauptsächlich Muskeläste sind, in enger Wechselbeziehung zur Muskulatur. Diese verdankt ihr Volum der bevorzugten Entfaltung der Unterextremitäten als alleinigem Lokomotionsorgan. Wie die eigenartige Entwicklung der Gesammt- muskulatur am Oberschenkel, so werden auch die in deren Gebieten auftretenden Arterienvarietäten mit dem Erwerbe der aufgerichteten Gangart in Verbindung gebracht werden dürfen. Die Veränderung der Stellung der Längsachse der unteren Glied- maße zur Körperachse brachte die sämmtlichen Weichtheile des Ober- schenkels beim Menschen in neue Bedingungen und wird mit dazu beigetragen haben, um neue Gefäßbahnen sich entwiekeln zu lassen. Die individuellen Verschiedenheiten der Astvertheilung im Be- zirke der A. eircumflexa fem. lateralis sind sehr mannigfaltige! Un- begrenzt sind sie nicht. Auch in ihnen ist wohl eine Ordnung zu erkennen, welche jedoch bisher wenig bekannt geworden ist. Der Ausbau unserer Diseiplin verlangt auch Aufschluss über die hier vor- liegenden Erscheinungen, deren wissenschaftlichen Werth ich zunächst darin sehe, dass sie uns Zeugnisse für die größeren Umgestaltungen Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 175 der Endgebiete der A. eircumflexa lateralis sind. Das die Muskula- tur umgestaltende Agens hat lebhafte Konkurrenz in deren Gefäßen, d. i. die Arterienvarietäten, hervorgerufen. Unter den großen Ästen der menschlichen Art. femoralis ist die Cireumflexa lateralis s. anterior ohne Frage am wenigsten zur Ruhe gekommen. Ihr sind die folgenden Zeilen hauptsächlich ge- weiht. Der A. profunda femoris mit deren perforirenden Ästen sowie der A. eireumfl. fem. medialis, welche eigentlich nichts Anderes als eine oft selbständige A. perforans suprema ist, sind von vorn herein sehr viel bestimmtere Wege als der Circumfl. fem. lat. vorgezeichnet. Beide Arterien schlagen, um zur hinteren Fläche des Oberschenkels zu gelangen, einen rückwärts gewendeten Weg ein und durchsetzen die Insertionen der Mm. adductores. Maßgebend für die Begriffsbestimmung einer jeden uns hier inter- essirenden Arterie bleibt für uns deren Endgebiet. Die zur Leber ziehenden Arterien z. B. sind Aa. hepaticae, mögen sie ihren Ursprung nehmen, wo es auch sei. Das Gebiet der A. circumflexa femoris lateralis ist ein sehr gut begrenztes. Es’ beherrscht Muskulatur und Haut der Vorderfläche des Oberschenkels. Das in proximo-distaler Richtung stark ausgedehnte Gefäßgebiet bedingt das regelmäßige Vorhandensein eines mehr ascendirenden und eines mehr descendiren- den Astes der A. circumfl. fem. lateralis. Der aufsteigende Ast versorgt Theilabschnitte des M. rectus fem. und der Mm. vasti sowie der Mm. ileo-psoas, sartorius, tensor fasciae latae et glutaei (med. et minim.). Der absteigende Ast erschöpft sich in der Extensorengruppe, welche herab bis zum Kniegelenke beherrscht werden. Das ausgedehnte Gebiet, welches der oft einheitlichen Arterie zugehört, darf als Ur- sache gelten, dass die in den proximalen und die in den distalen Bezirk sich begebenden Aste als selbständig entspringende Arterien sich gebildet haben, dass sie sogar, ähnlich wie die A. thoraeica longa oftmals in mehrere Arterien aufgelöst erscheint, durch eine Reihe von direkt aus dem Schenkelgefäß entspringenden Arterien ersetzt ist. Derartige Erscheinungen sind den Autoren natürlich nicht unbekannt geblieben. Eingehend sind sie jedoch nicht erörtert worden. Man beschränkt sich z. B. auf derartige Angaben, dass der auf- und der absteigende Ast selbständig aus der Profunda entstehen könne (vgl. z. B. BOURGERY). Es gilt als häufiges Vorkommnis, dass die A. circumfl. fem. lateralis gemeinsam mit der Art. profunda entspringe. Bei einer Gliederung der Arterie in zwei oder mehrere selbständige Gefäße 176 Georg Ruge kann der Ursprung des einen an die A. profunda, derjenige des an- deren an den Stamm der .A. femoralis gebunden sein. Wie sehr nun auch das eine oder das andere Gefäß an Volum zurückzutreten vermag, so behält es doch für uns Bedeutung durch seine Be- ziehung zum Distrikte einer oft einheitlichen Circumflexa fem. late- ralis. Sehr häufig entspringt die A. circumfl. fem. lat. oder ein Theil der- selben gemeinsam mit der A. profunda in einer Entfernung von etwa 4,5—5,5 cm vom Leistenbande. Diesen, wie auch bekannt, häufig vorkommenden Zustand wollen wir zum Ausgangspunkte der Er- örterungen wählen. Wir bemessen den Ursprungsort des die beiden Gefäße umfassenden Stammes nach den Abgangsstellen der Aa. epi- gastr. inf. et circumfl. ileum. Diese Stellen können allerdings als streng fixirte nicht gelten, weil die genannten Arterien selbst wieder im Ursprunge variiren, z. B. verdoppelt sein können. Wenn es dess- halb auch nicht statthaft ist, für die völlige Gleichwerthigkeit der Gefäßstämme einzutreten, so verlieren die Zustände im Zusammen- halten mit einander doch nicht an Bedeutung, da eine enge Zu- sammengehörigkeit aller in die eine Reihe gestellten Fälle wird zugegeben werden müssen. Gleiche Momente beherrschen diese Zu- stände jedenfalls. Die in Betracht kommenden Formzustände gliedern sich wieder in verschiedene Gruppen, welche reihenweise vorgeführt werden. I. Arteria eireumflexa femoris lateralis. a) Der gemeinsame Ursprungsstamm der Cireumfl. fem. lateralis und der Profunda liegt etwa 4,5—5,5 cm distal- wärts vom Leistenbande. Das auf der nebenstehenden Fig. 1 dargestellte Verhalten leitet die Schilderung der einen Formenreihe ein. Der gemeinsame Prof.- Cireumfl. lat.-Stamm befindet sich etwa 5,5 em distal von den Ur- sprungsstellen der Epigastr. inf. und Circumfl. ileum. Die Profunda femoris nimmt den Weg zu den Adduktoren. Die A. eircumfl. fem. lat. entsteht mit zwei etwa gleich starken Ästen, welehe die Haupt- zweige des Nervus femoralis zwischen sich fassen. Der Nervus sa- phenus und der Nerv für den Muse. vastus medialis liegen an der Gabelung der Arterie und schmiegen sich dabei der A. profunda enger an. Der dorsal von den zwei letztgenannten Nerven gelegene Arterienast ist ein Ram. ascendens, der ventrale Ast ist ein descen- Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 177 dirender. Der Musculus vastus lateralis wird vom dorsalen und vom ventralen Arterienaste versorgt. Durch die vikariirende Ausbildung von proximal- oder distal- wärts ziehenden Zweigen der ventral oder der dorsal von den Nerven liegenden Arterien stellen sich andere Kombinationen ein. Eine vollkommene Umlagerung der zwei großen Äste der Cir- cumflexa femoris lateralis scheint sich auf der Fig. 2 in dem Sinne eingestellt zu haben, dass das ventral von den Nerven befindliche Gefäß als ein Ram. ascendens, die dorsale Arterie im Wesentlichen aber als ein Ram. descendens uns entgegentritt. Wennschon ich Arteria und Nervus femor. einer rechten Extre- Art. und Nerv. femor. einer rechten Gliedmaße. mität. 2%. 2/5. geneigt bin, den Thatbestand der Fig. 2 in nähere Beziehung zu bringen mit demjenigen der Fig. 1, so sei doch auch auf die be- stehenden Verschiedenheiten hingewiesen. Die zwei großen Äste der Circumflexa femoris lateralis entspringen hier aus dem Stamme der Art. profunda, etwa 1 cm von deren Ursprunge aus der A. femo- ralis. Dort (Fig. 2) leitet sich der R. ascendens dicht neben der Pro- funda aus der Schenkelarterie her, indessen der R. descendens im Ursprunge mit der Profunda verbunden ist. Außerdem ist der Ur- sprungsort der letzteren 1 cm weniger weit als auf Fig. 1 vom Leisten- bande entfernt. Die genannten Verschiedenheiten lassen sich einerseits aus Wachs- Morpholog. Jahrbuch. 22. 12 175 Georg Ruge thumsvorgängen ableiten, sind andererseits aber durch die Annahme der Entwicklung ganz verschieden angelegter Gefäße erklärbar. Wie dem auch sein mag, es bleibt die Thatsache bestehen, dass die Doppeläste der Circumfl. fem. later. zu den Schenkelnerven gleich gelagert sind. Der Nerv. saphenus und der Nerv zum M. vastus medialis liegen hier und dort zwischen dem gegabelten Gefäße der Profunda, resp. der Femoralis eng an. Der Ram. posterior, welchem nicht alle aufsteigenden Zweige fehlen, überwiegt auf Fig. 2 im Kaliber nicht unbedeutend den Ram. ventralis ascendens. Und so leitet dies Verhalten zu jenen Zuständen hin, in welchen unter sonst entsprechenden Bedingungen der Ramus Fig. 3. Bens fL Fred, ne on y IF vasl ae dial N sdyph, Art. und Nerv. femor. einer linken Gliedmaße. Art. und Nerv. femor. einer rechten Gliedmaße 2/5. 2]s. ventralis bis auf schwache Zweige redueirt und schließlich sogar völlig eliminirt worden ist. Auf den Figg. 3 und 4 sind derartige Befunde dargestellt, welche trotz mancher Abweichungen von einander in die gleiche Gruppe wie die vorgenannten Fälle sich einfügen lassen. Der gemeinsame Pro- funda-Cireumfl.-lateralis-Stamm entsteht 5 und 5,5 em distalwärts von der A. epigastrica inferior. Der Nervus saphenus und der Nerv für den Muse. 'vast. medialis liegen der A. profunda eng an; sie werden ventral je von zwei kleinen, zum Sartorius ziehenden Arterien um- fasst. Diese sind in Anbetracht ihrer Lagerung zu den Nerven als stark im Volum verminderte Rr. ventrales einer Doppelarterie auf- Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 179 zufassen, wie sie auf der Fig. 1 erkennbar ist. Da die kleinen ventralen Gefäße in den vorstehend abgebildeten Fällen keinen ganz übereinstimmenden Ursprung nehmen, so wäre es auch hier über- trieben, auf die Annahme einer völligen Homologie der Gefäße an- zudringen. Beim strengeren Vergleiche beider Sartoriusiste der Fig. 4 mit dem R. ventralis der Fig. 1 dürfte keiner vor dem ande- ren eine größere Anwartschaft auf Übereinstimmung erheben können. Man würde diesbezüglich jedoch dem mehr proximal entspringenden Sartoriusaste vielleicht den Vorrang einräumen können. H. v. LuscuKa (1863) bildete auf Fig. 69 die Gefäße und Nerven eines linken Oberschenkels ab. Ihm hat ein Präparat vorgelegen, bei welchem die ventrale Lagerung des N. saphenus zur A. eireumfl. later. mit dem Verhalten un- serer Fig. 4 im Wesentlichen übereinstimmt. Der dorsal vom N. saphe- nus und N. vasti medialis be- findliche Ramus posterior ist in beiden Fällen zu einem statt- lichen Gefäße mit auf- und absteigenden Zweigen entfaltet. Er stellt nicht einen Haupt- stamm, sondern die alleinige Cireumflexa femoris lateralis vor, da alle anderen Muskel- arterien kein Anrecht auf ein höheres Prädikat als das von Rr. musculares erheben können. Das auf den Figg. 5 und 6 erkennbare Verhalten, welches in Bezug auf den Ursprungsort der Profunda-Circumfl. lateralis in die hier besprochene Reihe gehört, zeigt je ein feines, vom N. saphenus und Nerv. vasti medialis ventral befindliches Gefäß. Es gelangt zum Ileo-psoas und zum Sartorius. Im Vergleiche desselben mit dem Ram. ventralis der Fig. 2 scheint nichts gegen deren völlige Gleichwerthig- keit zu sprechen. Die Arterien enthalten in allen drei Zuständen Aste für den M. ileo-psoas und korrespondiren in Bezug auf die topographischen Momente. Das im Kaliber am stärksten beein- trächtigte Gefäß hat sich auf Fig. 6 nur als R. ileo-psoas erhalten. Gründe, an der Gleichartigkeit der in Betracht gezogenen Ge- fäße zu zweifeln, fehlen hier, und die Befunde fügen sich enger in 12* Aa, und Nn. femor. zweier rechter Extremitäten. 2/s. 180 Georg Ruge eine tadellose Reihe ein, in welcher ein Ram. ventralis der Cireum- flexa fem. lateralis in einem verschiedenen Ausbildungsgrade uns entgegentritt. Als Endstadien der Entwicklungsreihe haben die auf den folgen- den Figg. 7, 8, 10, 11 dargestellten Befunde zu gelten. Sie charak- terisiren sich dadurch, dass ventral vom N. saphenus und yom N. vasti medialis liegende Arterien vermisst werden. Die bei JoESSEL (1884) sich findende Fig. 42 zeigt Derartiges; sie stimmt etwa mit der nachstehenden Fig. 8 oder 10 überein. Die A. ceircumflexa fe- moris lateralis entspringt auf der Fig. 7 gemeinsam mit der A. pro- funda 5,6 cm distal vom Leistenbande. Sie lagert hier wie auf den Figg. 8, 10, 11, wo die Entfernungen 4,5— 4,7 cm bemessen, dorsalwärts von den bei- den medial befindlichen Ästen des Nervus femoralis. Die Circumfl. fem. lateralis wird demnach, eben wegen ihres gemeinsamen Ursprunges mit der Art. profunda an be- stimmter Stelle sowie wegen der Lagerung zu den Nerven, dem Ramus posterior der Figg. 1 und 2 entsprechen miissen. Die Verschiedenheiten in der Entfernung des Ge- fäßes vom Leistenbande beträgt nicht mehr als 1 cm, nicht mehr als bei allen anderen bisher in Betracht gezogenen Beobachtungen. Sie können auf die individuell verschiedenen Art. “ee Lea ag linken Proportionen der Theile bezogen und daher ER nicht als strikter Einwand gegen die postu- lirte Gleichwerthigkeit der Gefäße angeführt werden. Zieht man die Verästelung des Ram. posterior in Betracht, so sind die bisher vorgeführten Fälle in mehrere Unterabtheilungen zu ordnen. Die Befunde der Figg. 3 und 4 weichen in dem folgenden, nicht unwesentlichen Punkte von einander ab. Starke Äste des Ram. posterior der Circumflexa lateralis umfassen auf Fig. 3 wiederum von der dorsalen und ventralen Seite her diejenigen Äste des Nervus femoralis, welche dem Musculus vastus medius et lateralis zugetheilt sind. Eine ähnliche Kombination findet sich auf den Figg. 6 und 7 vor. Auf der Fig. 4 ist das Verhalten dahin abgeändert, dass ein ventralwärts von den Nn. vasti medii et lateralis befindlicher Ar- terienast allein zur Entwicklung gekommen ist. Diese dorsal vom N. saphenus, aber ventral von den anderen Ästen des N. femor. Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 181 gelegene Arterie ist auch mit stärkeren aufsteigenden Zweigen ver- sehen und ersetzt durch diese den dorsalwärts von den Nerven für Vastus medius und Vast. lateralis befindlichen Ast der Fig. 3. Erscheint es an und für sich nieht unwahrscheinlich, dass bei sonst gleicher Gefäßanlage der dorsal von den Nn. vasti medii et vasti later. lagernde Ast einmal zur alleinigen Ausbildung kommen könne, so ist ein solches Verhalten auf Fig. 5 in der That erkennbar. Hier dehnen sich die Hauptäste des Ram. dorsalis der Circumflexa fem. lateralis dorsal von den Nn. vasti medii et vasti lat. aus. Die gleiche Fig. 10. Fig. 8 y ff FR \ y J J KERNE 5 Yl fon ‘SAY ly ! y Omi f, YA Qe) ¢ — 2% Val} Aras- zT. wnt, f Vail medt iif Leal alıa snedliol Sapk: 33 Aa. und Nn, femor. dreier rechter -Extremitäten. 2/;. Die Figg. 9 und 19 geben die beiderseitigen Zustände desselben Individuums wieder, Lageverschiedenheit also, welche die ganze Art. circumfl. fem. later. zum N. saphenus und zum Nery fiir den M. vastus medialis eingeht, wiederholt sich an den Ästenides Ramus dorsalis der Cireumfl. fem. lat. zu denjenigen lateralen Asten des Nervus femoralis, welche den M. vastus medius und Vast. lateralis innerviren. Vermöge des vikariirenden Verhaltens der Zweige des Ram. dorsalis der Cireumflexa femoris lateralis zu den Nn. vasti medii et vasti lateralis scheiden sich die Befunde in solche, bei denen die genannten Nerven von’einem ventralen wie von einem dorsalen Ar- terienaste umfangen sind (man vgl. Fig. 8); zweitens in solche, bei 182 Georg Ruge denen die Nerven ventralwärts von allen Gefäßästen lagern. Dies zeigt uns die Fig. 9 deutlichst an. Schließlich haben wir solche Be- funde zu unterscheiden, in denen die Nerven für Vasti medius et later. dorsal von allen Gefäßästen des Ramus posterior der Cireumfl. fem. later. sich lagern. Diese Erscheinung tritt auf der Fig. 4 und Fig. 11 zu Tage. Zwischen diese typischen Zustände schalten sich andere ein, bei welchen sehr mannigfaltig entwickelte Arterienzweige das Typische zu verwischen drohen. So weist z. B. die Fig. 10 einen Fall auf, wo der N. saphenus und der N. vastus medialis ventralwärts vom gemeinsamen Stamme der Profunda-Circumflexa lateralis sich befinden, wo die Nerven für Vastus medius und Vast. lateralis Anfangs die Circumflexa lateralis und deren Äste ventral- wärts kreuzen, um weiter distalwärts auch zur dorsalen Wand größerer Äste sich zu begeben. Die Fig. 7 zeigt wieder andersartige Kom- binationen der Astlagerungen zu den Nerven für Vast. medius und Vast. later., so dass wohl mancherlei neue Unterabtheilungen auf- gestellt werden können, welche jedoch immer wieder eine recht enge Zusammengehörigkeit zu einer größeren Gruppe bekunden werden. Der Thatbestand, wie er auf der Fig. 14 sich uns entgegen- stellt, veranlasst zu einer schärferen Bestimmung der aus der A. profunda sich loslösenden Gefäße, welche ins Gebiet der Circum- flexa lateralis ziehen. Der Profunda-Circumflexa- Stamm liegt von der Epigastrica inferior 4,9 cm entfernt; er nimmt den N. saphenus und den N. vasti medialis an seine Ventralfläche. Durch beide In- stanzen gehört der Fall in die vorgeführte Varietätenreihe. Es liegt jedoch die Eigenthümlichkeit vor, dass an zwei verschiedenen Stellen eine Circumflexa femoris lateralis von der Profunda sich loslöst, von denen die mehr proximal gelegene als Ram. descendens ventralwärts, die andere aber dorsal von den Nerven für Vastus medius und V. lateralis sich lagern, dass beide Arterien daher die Nerven zwischen sich fassen. Es ist nun durchaus annehmbar, dass die beiden Gefäße sich hier und dort je”zu”der "alleinigen Circumflexa femoris lateralis entwickelt haben mögen und dass nach Maßgabe des Ursprunges aus der Art. profunda das mehr distale Gefäß der Fig. 14 gleich- werthig sei z. B. mit dem R. post. der Fig. 7, während das proxi- male Gefäß der Fig. 14 ‘gleichwerthig sich erweise etwa mit der dorsal von den Nn. vasti med. et lat. befindlichen Arterie der Fig. 4. Feine Unterscheidungen in dieser Hinsicht aufzustellen, wird er- schwert bleiben, so lange das eigentliche Wesen der Art. prof. fem. nicht klar gestellt ist. | Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 183 Die Figg. 3, 4 und 5 können herausgegriffen werden, um den Ausgangspunkt und die zwei Endstadien einer Unterabtheilung einer Entwicklungsreihe zu veranschaulichen. Im Indifferenzstadium sind die lateralen Äste des Nerv. femoralis ventral und dorsal durch eine Arterie überlagert (Fig. 3). Im Endstadium liegt ein Gefäß entweder allein ventral oder allein dorsal von den betreffenden Nerven (Fig.4 u.5). Wir hatten die Fig. 1 zum Ausgangspunkte der Betrachtung ge- wählt; hier. waren Nerv. saphenus und N. vasti medialis von etwa gleich starken Ästen der Cireumflexa femoris lateralis vorn und hin- ten umgriffen. Hatten wir zeigen können, dass der Ramus posterior oftmals zur alleinigen Ausbildung gelangte, so war zu erwarten, dass gleiche Schwankungen auch im Gebiete des Ram. ventralis sich würden darlegen lassen. Darin sah ich mich getäuscht; denn unter den sehr zahl- reichen Beobachtungen hatte ich nur einen einzel- nen Fall ausfindig machen können, in welchem eine einzige A. circumflexa fem. lateralis bestand, welche ventralwärts vom N. saphenus und vom N. vasti medialis gelagert war. Das einschlägige Verhalten wird auf der Fig. 11 zur Anschauung gebracht. Der gemeinsame Profunda-Circumflexa- Stamm löst sich 4 cm distalwärts vom Leisten- bande los. Zwischen die Circumfl. fem. lat. und die Profunda schieben sich sämmtliche tiefe Äste Arter. und Nerv. femor. des N. femoralis ein, von denen der N. saphenus °"* Wo und der N. vasti medialis der Gabelungsstelle der Gefäße eng benachbart sind. Die Circumflexa lateralis spaltet sich in einen auf- und einen stärkeren absteigenden Ast. Es kann wohl kaum einem Zweifel unterliegen, dass die Arterie mit dem. Ram. ventralis der Fig. 2 in nächster verwandtschaftlicher Beziehung sich befinde. Alle maßgebenden Momente sprechen dafür. Die Fig. 521 in Herrzmann’s Atlas kann in Übereinstimmung mit unserer Fig. 11 in so fern gebracht werden, als auch dort ein großer Ast der Art. femoralis vor den Zweigen des Nerven gelegen ist. Es bleibt bemerkenswerth, dass nach meinen Beobachtungen beim Menschen die dorsal vom N. saphenus und N. vasti medialis verlaufende A. eircumfl. lateralis sehr viel häufiger in die Erscheinung tritt als eine ventralwärts von den Nerven liegende Arterie. Diese Thatsache kann vielleicht einmal bei der Möglichkeit eines Ver- gleiches mit thierischen Einrichtungen an Bedeutung gewinnen. Fig. 11. 184 Georg Ruge In gleicher Weise, wie die Abbildungen 3, 4 und 5 herausge- griffen werden konnten, um das Ausgangsstadium und die zwei End- stadien verschiedener Lagerung der lateralen Nervenäste zu den Zweigen des Ram. dorsalis zu veranschaulichen, so weise ich auf die Figg. 2, 7 und 11 hin, um die drei vikariirenden Lagestätten des N. saphenus und N. vasti medialis zu dem Ram. ventralis und Ram. dorsalis der gemeinsam mit der A. profunda an gleicher Stelle ent- springenden Circumfl. fem. lateralis zu veranschaulichen. Die sechs Figuren sind Belegstücke für die genannten Variationen. N. saphenus und N. vasti medialis befinden sich allenthalben in engster Nach- barschaft zur Profunda oder zur Femoralis. Eine sehr auffallende Abweichung hiervon zeigt der Fall der Fig. 12, welcher in Bezug auf die Stätte der gemeinsamen Profunda-Cireumflexa lat. sehr innig an den Zustand der Fig. 11 sich anschließt. Was aber die A. circumfl. lat. anlangt, so spaltet sich dieselbe erst 1,5 em von der A. profunda entfernt in einen ventral und in einen dorsal von allen tiefen Nerven gelagerten Ast. Der Ram. ventralis ist bei Weitem der stärkere. Er könnte als ein Vorläufer des voll entfalteten der vor- hergehenden Figur gelten, wenn nicht die weit von der A. prof. fem. fern gehalte- nen Nerven darauf hinwiesen, dass hier eine andere Kombination gegenseitiger dow re bar Bry | A Lagerung von Nerven und Arterien vor- läge, als in allen anderen Befunden. Derjenige der Fig. 12 ist durchaus eigenartig. Der Fall lässt für seine Erklärung die Interpretation zu, dass der N. saphenus die Be- rührung mit der A. profunda niemals besessen habe, dass er von Anfang an in dieser Gefäßgabel festgehalten worden sei. Im dieser lateralen Lagerung der Nn. saphenus-vasti medialis möchte ich etwas Primitives erblicken. Ich halte es für wahrscheinlich, dass Befunden wie auf Fig. 12 ein ganz bestimmter wissenschaftlicher Rang einmal zugewiesen werde. Es ist möglich, dass die Fälle der Figg. 11 und 12 eigentlich nicht in die hier besprochene Reihe von Varietäten gehören, weil Varietäten im Gebiete der Ateria femoralis des Menschen. 185 der Ursprung von Profunda-Cireumflexa nur 4cm vom Leistenbande sich entfernt. Hiernach fügen sich die Befunde vielleicht mehr an die Reihe von Abweichungen an, welche weiter unten Besprechung finden. Bezüglich des kombinirten gemeinsamen Ursprunges aller drei Gefäße sowie der angegebenen Entfernung derselben vom Leisten- bande stimmt der von ZAALER (1864) mitgetheilte Fall mit den Zu- ständen der Figg. 11 und 12 überein. b) Selbständiger Ursprung einer Art. eircumflexa fe- moris lateralis etwa 4,5—5,5 cm distal vom Leistenbande. Alle hierher gehörenden Wahrnehmungen schließen sich eng an die vorhergehenden$Varietäten an und erhöhen die Reichhaltigkeit der letzteren dadurch, dass die Art. profunda Eder: an anderer Stelle ihren a bs Ursprung aus der Art. femoralis sich erwor- ben hat. Bei einer größeren Anzahl von Wahrneh- mungen, von welchen die Figg. 13 (@ und 3), 17, 18 und 20 Zeugnis ablegen, liegt an der namhaft gemachten Stelle der Art. femora- lis der Ursprung eines Gefäßes,welches durch 4 N N A Rs seine dorsale Lagerung N ; Art.!und Nerv. femoral., a. der linken, b. der rechten Extre- zum N. saphenus und mität desselben Individuums. 1/2. zum Nerv für den M. vastus medialis als gleichwerthig derjenigen A. eircumfl. lat. zu\be- urtheilen ist, welche auf den Figg. 6, 7, 8, 9, 10, 22 und 28 sich vorfindet. Eine derartige selbständige Cireumflexa lateralis ist bei einem und demselben Individuum oftmals nicht die einzige Circum- flexa lateralis, sondern empfängt eine Gefährtin in dem Aste einer mehr proximalwärts verpflanzten Profunda femoris. Das betreffende Gefäß wird, wie?die vorstehende Fig. 13 zeigt, an der linken Ex- tremität eines Erwachsenen als die alleinige A. circumflexa femoris 186 Georg Ruge lateralis wahrgenommen. Die entsprechende rechtsseitige Arterie ist schwicher entwickelt, dafiir aber durch einen Ast aus der proximal entspringenden Profunda kompensirt. Links entsteht die selbständige Cireumfl. lat. etwa 4,5, rechts 4,7 em distal vom Leistenbande. Bei- derseits liegen N. saphenus und N. vasti medialis ventral, die Nerven für den Vastus medius und V. lateralis indessen dorsal vom Stamme. Ein dem Verhalten auf Fig. 13« sehr entsprechender Zustand ist durch D. van HArREN Noman beobachtet und abgebildet und durch dessen Lehrer P. ZAAIJER beschrieben worden (1894 Fig. 1). Die bildliche Darstellung ist werthvoll; aus ihr entnehme ich, dass die Art. circumfl. femoris lateralis etwa 4cm vom Leistenbande ent- springe, dass die Profunda mit der Circumfl. fem. medialis aber als gemeinsames Gefäß die Vena saphena oberflächlich kreuzt und zu deren medialen Fläche gelangt. Profunda und Circumfl. fem. med. haben sich durch Ausbildung collateraler Bahnen aus der A. epigastr. inf. entfaltet und von der Circumfl. fem. lateralis sich losgetrennt. Entsprechende Verhältnisse sind auf den Figg. 17, 18 und 20 abgebildet, auf denen die Arterie je 4,5 cm, 5 und 6 cm distal vom Leistenbande entspringt. Die A. cireumfl. lat., welche auf Fig. 13 im Zustande größter Selbständigkeit eine dorsale Lage zum Nerv. saphenus und N. vasti medialis einnimmt, ist bezüglich der Lagerung zu diesen Nerven dem Ramus dorsalis der Fig. 1 und anderer Fälle gleichwerthig. In Berücksichtigung der Lagerung zu sämmtlichen tiefen Ästen des Nerv. femoralis stimmt aber die Arterie der Fig. 13 vollkommen mit dem Gefäß der Fig. 4 überein. Die aus der A. profunda entspringenden, vikariirenden Arterien, welche ins Gebiet der Circumfl. lateralis ziehen, überwiegen im Ka- liber das selbständige Gefäß der Figg. 17 und 20. Bei weiterer all- mählicher Reduktion wird schließlich an bestimmter Stelle der A. femoralis der Ursprung eines kleinen und kleinsten Gefäßes wahr- genommen werden müssen. Auf der Fig. 29 entsteht 4,9 em distal vom Leistenband eine Arterie, die als inguinale sich vertheilt; auf der Fig. 28 entsteht 5,2 em vom Leistenbande eine schlanke Art. muse. sartorii. Diese kleinen Arterien unterscheiden sich aber sehr wesentlich von der selbständigen Cireumfl. fem. lat. der Figg. 13, 17 und 20 dadurch, dass sie ventral von den Nerven sich befinden. Sie gehören in Folge dessen in Unterabtheilungen von Varietäten der Cireumfl. fem. lat., welche durch selbständigen Ursprung in be- stimmter Entfernung vom Leistenbande sowie durch eine ventrale Lagerung zum N. saphenus etc. gekennzeichnet sind. Andere hierher Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 187 gehörige Bildungszustände sind mir nicht bekannt geworden. Auch die Litteratur lässt uns im Stiche. Die für die Beurtheilung bedeutsamen Lageverhältnisse der Blutgefäße zu den Nerven sind, so weit ich übersehe, bisher nicht berücksichtigt worden. Wohl werden allenthalben die nachbarlichen Beziehungen des Nerv. saphenus zur Hauptarterie beschrieben, resp. abgebildet. CRUVEILHIER gab dem Nerven den Namen eines »Satellite de l’artöre fémorale a la cuisse« (1837 t. II pag. 364). Ich finde vielfach zutreffende Darstellungen, z. B. bei BOURGERY (1844, pl. 65 und pag. 279), DUBRUEIL (1847, pag. 341), v. LuscHkA (1863, pag. 283), HıRSCHFELD-LEVEILLE (1866, pl. 55 u. 56, pag. 294), FiLEs (1866, pag. 740), H. Gray (1869), bei Sappey (1868, pag. 660), bei Hyrtu (1881), bei PANscH (1881), JoESSEL (1884), GEGENBAUR (1892), Hetrzmann (1893, Fig. 521), HıLDEBrAnD (1894, pag. 273) u. A. Hyrrı (pag. 935) erwähnt nicht allein die feste Anlagerung des N. saphenus an die Scheide des Schenkelgefäßes, an deren vorderer Peripherie er schräg nach innen herabsteige, sondern giebt zugleich an, dass der Nerv für den Vastus medialis als der längste Muskel- ast des N. femoralis auf der Vagina vasorum distalwärts ziehe. Kurzen Angaben, z. B. dass der N. saphenus Anfangs der lateralen, später der vorderen Fläche der A. femoralis anliege, begegnet man nicht selten (vgl. z. B. RAUBER, 1894, pag. 548). Dieses Verhalten ist auch französischen Anatomen bekannt gewesen. CRUVEILHIER (1837, II, pag. 304) und BouURGERY heben sogar die feste Verbindung des N. saphen. mit dem N. vasti medialis zu einem gemeinsamen Strange hervor (1844, pag. 279). Die gleiche Beobachtung ist aber auch in noch älteren Lehrbüchern niedergelegt worden (vgl. HILDE- BRANDT, 1792, pag. 466). Oftmals, auch in neueren Lehrbüchern, sind die gegenseitigen Lagebeziehungen vernachlässigt. In Jos. v. GERLACH’s topographisch behandeltem Handbuche (1891) kann die Fig. 156 der Seite 854 irre führen, in so fern alle Nerven vor der Art. eireumfl. fem. later. sich befinden, im Texte aber nicht die nöthige Korrektion sich findet. Einem gleichen Übelstande begegne ich bei JoESSEL (1884, Fig. 42), welcher andererseits auf die enge Nachbarschaft des Nerven für den M. vastus medialis zum N. saphe- nus aufmerksam macht (1884, pag. 194). Letzteres Verhalten ist auch auf den Figg. 231 und 289 bei Gray (1869) wiedergegeben. Gelegentlich findet man auf bildlichen Darstellungen bestimmte Lage- beziehungen zwischen Arterien und Nerven. C. Bett (1819, pl. XI) zeichnet eine selbständig aus der A. femoral. entspringende Cireumfl. 188 Georg Ruge fem. lateral. in lateraler Lage zum Nerv. femoralis, einen aus der Profunda entstehenden Ast aber dorsal vom Nerven. DUBRUEIL (1847, Atlas, Taf. XIII) fand einst den unregelmäßigen Verlauf des N. eruralis zwischen der Art. und der Vena cruralis. Die Art. epi- gastrica inf. entsprang hierbei aus der Art. cruralis. Diese Nerven- lagerung deutet auf eine sehr abweichende, bereits im Becken stattgehabte Ausbildung einer Arteria circumflexa femoris lateralis zum Hauptstamme hin. Bestimmtes lässt sich indessen über den zu wenig genau beschriebenen Fall nicht aussagen (l. e. pag. 431). HILDEBRAND (1894, Fig. 74) zeichnet den Nerv. femor. in ventraler Lage zur Profunda. Fälle, wie sie durch die Figg. 17, 18 und 20 veranschaulicht sind, geben gute Vorstellung von dem, was man unter einer »ac- cessorischen« A. eircumfl. fem. lat. zu bezeichnen pflegt. Sie lassen aber auch keinen Zweifel übrig, wie solche accessorischen Gefäße in ihrer Stellung zu einer größeren Gruppe von Entwicklungsformen zu beurtheilen sind. Es liegen statistische Mittheilungen über die Häufigkeit von selb- ständigem Ursprunge der Circumfl. fem. lat. vor; diejenigen von SRB (1860) sind für unsere Zwecke nicht genugsam specialisirt, um ver- werthbar zu sein. Dass aber die A. circumfl. fem. lateralis überhaupt selbständig aus der A. femoralis entspringen könne, ist den Anato- men seit Alters her bekannt [vgl. z. B. SÖMMERING (1792), MECKEL (1817), BouRGERY (1835)], und dem zufolge fand die Thatsache in die Lehrbücher Eingang. Es wird dann mitgetheilt, dass die Cir- cumfl. later. nur selten aus der Femoralis direkt herkomme (vgl. von LuscHKkA, 1863 pag. 447; VON GERLACH; JOESSEL, 1884, pag. 192). Sie wird als eine accessorische Circumfl. fem. lat. aufgeführt, wenn die A. profunda femoris unter ihren Ästen auch eine »normale« A. eireumfl. fem. lat. befasst. DuBRuEIL nahm eine accessorische Cir- cumflexa fem. later. dreimal wahr. W. Krause weist auf das zeit- weilige Auftreten eines solchen Gefäßes hin. Wenn MEckKEL (1817) schreibt, dass der Ram. descendens der Art. eircumfl. fem. lateralis selbständig aus der Art. prof. oder aus der A. femoral. superfieialis entspringen könne, so handelt es sich um Fälle von accessorischen Gefäßen, welche der Schlüssel zum Verständnis der Ausbildung ganz selbständiger, eigenartiger, größerer Gefäße sind. Der selbständige Ursprung der Circumfl. fem. lat. aus der Femoralis liegt nach SOm- MERING (1792, pag. 314) distal vom Profunda-Ursprunge. Neue Varietätenreihen im Gebiete der Art. eircumfl, fem. later. Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 189 sind durch den Ursprung einer Arterie aus dem Stamme der Femo- ralis gekennzeichnet, welcher entweder mehr proximal oder mehr distal vom vorher besprochenen Ursprungsorte sich befindet. Je eine dieser Arten kann mit einem der vorgeführten Zustände vergesell- schaftet sein. Auf diese Weise kommt es zu mannigfaltigen Kom- binationen, deren viele beobachtet sind. e) Der Ursprung einer A. circumflexa femoris lateralis erfolgt etwa 7,5—8,5 cm distalwärts vom Leistenbande. Ein so weit distal verlagerter Ursprung scheint verhältnismäßig selten beim Menschen verwirklicht zu sein. Es liegen nichtsdesto- weniger Beob- achtungen von sehr verschiede- nen Ausbildungs- graden vor, wel- che wohl ohne Anstand als Glie- der einer ge- schlossenen Reihe anerkannt werden. Ein kleiner, für den Muse. vastus medius be- stimmter Zweig nimmt in einem us ised ha ica neti foreman and Me. ema coe gebildeten Falle seinen Ursprung 7,8 cm von der A. epigastr. inf. entfernt. Der N. saphenus und der Nerv für den Vastus medialis kreuzen die Arterie an deren Ventralwand. Zwei von der Profunda sich loslösende, starke kompensatorische Äste ziehen ins Gebiet der Cireumfl. later. Auf der Fig. 15 liegt ein Zustand vor, in welchem eine Doppel- arterie 8,8 cm distalwärts vom Leistenbande das Schenkelgefäß ver- lässt. Die Arterie ist kräftiger entfaltet als im vorigen Falle. Die Nervi saphenus et vasti medialis liegen wie auf Fig. 14 ventral vom Gefäße und sprechen sehr zu Gunsten größerer Übereinstimmung beider Gefäße. Die Arterie der vorstehenden Fig. 15 erschöpft sich im Vastus medialis und im V. medius. Sehr starke Arterien lösen 190 Georg Ruge sich von der A. profunda los, um ins Gebiet der Cireumfl. lat. sich zu begeben. Der gemeinsame Stamm der Profunda und Circumfl. ist auf Fig. 14 etwa 5, hier aber nur 1,5 cm vom Leistenbande ent- fernt. Der Unterschied von 1 em in der Ursprungsentfernung der distalen Gefäße beider Figuren kann beim Zusammentreffen anderer wichtiger Merkmale gegen die Gleichwerthigkeit wohl kaum ins Feld geführt werden. Der etwa 8 cm distal vom Areus cruralis entspringende Muskel- ast ist durch BourGERyY (1835) auf Taf. 41 bildlich dargestellt. Bour- GERY lässt die Arterie zum M. rectus und zum Vastus medius sich begeben. Einem sehr stattlichen Gefäße, welches das ganze Distalgebiet einer Circumfl. late- ralis versorgt, begegnen wir auf der Fig. 16. Die betreffende Arterie entsteht gemeinsam mit der A. profunda, 7,5 cm vom Leisten- bande entfernt. In Bezug auf den Ur- sprungsplatz stimmt das Gefäß mit dem- _ jenigen der Fig. 14 sehr eng überein. “Es übertrifft dieses hingegen an Kaliber. Bedeutsam wird die Gleichartigkeit mit den zwei vorigen Fällen durch die Lage- rung der Arterie zu dem N. saphenus und dem Nerven für den M. vastus medialis. Es liegt meiner Ansicht nach kein einziger Grund vor, um die Zugehörigkeit der letz- Art. und Nerv. femor. einer linken 5 ° ; Gliedmaße. 4s, ten drei Fälle zu einer und derselben Gruppe zu bezweifeln. Hat die Neigung vielleicht bisher noch bestehen können, die Cireumflexa lat. der Fig. 16 wegen des gemeinsamen Ursprunges mit der Arteria profunda zur erstbesprochenen Varietätenreihe zu zählen, so fallen alle Zweifel, diesen Fall an dieser Stelle unterzu- bringen, sobald man eben zugiebt, dass die Gefäße der Figg. 14 und 16 nach Lage und Ursprung übereinstimmen. Es besteht näm- lich auf Fig. 14 noch eine mehr proximale Circumfl. lateralis, welche ihrem ganzen Wesen nach (sie ist 4,9 cm vom Leistenbande entfernt) in die zuerst vorgeführte Varietätenreihe hat eingeschaltet werden müssen. Das Bestehen aber von zwei Circumfl. lat. in einem Indi- viduum beweist, dass nur eine Arterie mit derjenigen der Fig. 16 homolog sein könne. Es trifft das naturgemäß auf die distal gelegene Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 191 zu. Man wird jedenfalls stets Vorsicht walten lassen müssen und Verschiedenheiten der Ursprungsstellen gleich zu benennender Ge- fäße nicht ohne Weiteres durch Wachsthumsvorgänge erklären wollen. Es ist im Auge zu behalten, dass Blutgefäße an sehr verschiedenen Stellen zur Entfaltung kommen. Die wirklich übereinstimmenden Gefäße aber ausfindig zu machen, wird Aufgabe der Forschung bleiben. Die auf den Figg. 14—16 in der Entfernung von 7,5—8,8 cm vom Leistenbande entspringenden Arterien dürfen als gleichwerthige gelten; sie sind verschieden von den oben aufgeführten Gefäßen, deren extremste Entfernung vom Ligam. inguinale auf 5,5 cm be- messen gewesen ist. Auf der Fig. 18 entspringt eine Circumflexa fem. lat. 6 cm vom Schenkelbogen entfernt. Ob es sich hier um eine eigenartige oder um eine solehe Arterie handele, welche zur ersten oder zu der hier besprochenen Gruppe gestellt werden müsse, kann ich nicht ent- scheiden. Gleiche Verhältnisse treffen für die Fig. 9 zu; sie sind mit Unrecht an früherer Stelle herangezogen worden, falls es sich einmal herausstellt, dass das 6 em vom Leistenbande entspringende Gefäß in eine eigene Reihe gehöre. Wir zählten zu dieser Gruppe alle Gefäße, deren Ursprung durch die Entfernung von 7,5—8,8 em gekennzeichnet war. Vor der Hand ist es unmöglich anzugeben, ob die volle Entwicklung der Arterie beim Menschen den Beginn oder das Ende der Varietätenreihe bedeute. Auf den Figg. 2 und 11 entstehen kleine Arterien direkt aus der Femoralis: das eine Mal 8,7, das andere Mal 7,8 cm distal von der Rumpfgrenze. Sehr wahrscheinlich geht man nicht irre, wenn man diese Arterien mit den vorgeführten der Figg. 14—16 homolo- gisirt.. Dehnt man aber diese Identificirung auch auf Gefäße der Figg. 29, 30, 26, 4, 9 und 10 aus, wo die fraglichen Entfernungen 7—15 em betragen, so entfernt man sich mehr und mehr von den sicheren Wegen, die uns zum Ziele führen sollen. Weiter distal ent- stehende, selbständige Muskelarterien können einmal im Verbande mit an Ort und Stelle entwickelten Aa. circumfl. fem. lat. erkannt werden. d) Die Art. eireumflexa femoris lateralis entspringt weiter proximal als in den sub a aufgeführten Fällen. 1) Unter. 23 Wahrnehmungen, welche hauptsächlich für die sub a dargestellte Reihe verwendet wurden, befand sich der Gefäß- 192 Georg Ruge ursprung nur je zweimal 4 und 4,2 cm distal vom Leistenbande. Die Strecke betrug in der Regel zwischen 4,5 und 5,5 cm. Ich finde nun unter meinen Aufzeichnungen andererseits 23 Fälle, bei denen eine Circumflexa fem. lateralis weniger als 4 em von der Rumpf-Gliedmaßengrenze sich entfernt. Der Ursprungsort liegt in dem einen Extrem 3,5, im anderen aber nur 1 cm vom Leistenbande. Proximal, unmittelbar unter dem Arcus cruralis entspringende Aa. eircumfl. fem. later. sind schon von Monro (1825) und von SCHWEGEL des öftern wahrgenommen (vgl. W. Krause in HEntE’s Lehrbuch, pag. 300). Die von mir gemachten, vorhergenannten Beobachtungen müssen in neue, eigene Kategorien gebracht werden. Man wird jedoch, wie ja alle Ansichten einmal Vertretung zu finden pflegen, auch diejenige Meinung verfechten, dass die vielen Gefäße, wie sie sich ja thatsächlich durch gradatim mehr proximalwärts gelegene Ursprünge auszeichnen, auch genetisch an die sub a genannten Be- funde sich anschließen. Hiergegen sprechen indessen sehr gewich- tige Momente. Erstens befindet sich in der Mehrzahl der Fälle (13mal) der Gefäßursprung zwischen 2 und 3 cm distal vom Ligam. inguinale, und unter diesen 13 sind 11 Fälle zu verzeichnen, bei denen die genannte Strecke nur 2—2,5 cm beträgt. In 8 Fällen, also ein Drittel aller Beobachtungen, befindet sich die Ursprungsstätte selbst zwischen den engen Grenzen von 2 und 2,2 cm. Nur zweimal nähert sich die Circumfl. fem. lat. durch einen 3,5 cm langen Abstand vom Leistenbande in frappanter Weise der sub a charakterisirten Ur- sprungsstätte. Siebenmal hingegen entfernt sie sich von letzterer sehr erheblich, und zwar durch einen Abstand von nur 1—1,9 cm von der Rumpfgrenze. Aus diesen Angaben geht unzweifelhaft hervor, dass die Haupt- anzahl der Fälle dieser Gruppe nicht durch engen Anschluss an den Kern der sub a behandelten Reihe sich hervorthut, was doch statt- haben müsse, wenn nur eine natürliche Reihe vorliege. Es geht vielmehr aus den Thatsachen hervor, dass der Ursprung der Cir- cumfl. fem. later. unter 46 Fällen nach proximaler und nach distaler Richtung sich vertheilt. Es ist zuzugeben, dass die zwei Fälle, in welchen die Weite des Ursprunges von der Leiste 3,5 em beträgt, vielleicht eine engere Übereinkunft mit denjenigen vier Fällen sub a besitzen, wo die ent- sprechende Distanz 4 und 4,2 cm beträgt. Wir machen dies Zuge- ständnis, weil uns ein sicherer Anhaltepunkt für die Beurtheilung eines jeden Befundes vorläufig nieht an die Hand gegeben ist. Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 193 Weiter brauchen wir unsere Ansicht nicht einzuschränken, weil über dieses Maß hinaus die hier vertretene Varietäteneintheilung sich durch Wahrnehmungen begründen lässt, in welchen gleichzeitig je eine Cireumfl. fem. lat. der sub a und der hier genannten Reihe ausge- bildet auftritt. Es handelt sich in sieben unter 23 Fällen um eine proximale und distale Arterie. Diese Fälle sind uns der Ausgangs- punkt für die folgende Betrachtung. Die proximale Cireumflexa lateralis entspringt oft gemeinsam mit der A. profunda, mit der A. circumfl. medialis oder mit diesen beiden Gefäßen. Nur selten ist die Arterie selbständig im Ursprunge. In sieben Fällen von Doppelursprung liegt der proximale Stamm 1,2—2,5 cm, der distale 3,8—5,5 (resp. 6) em distalwärts vom Leistenbande. Hieraus glauben wir folgern zu dürfen, dass, wenn nur eine Circumflexa lateralis vorhanden ist und diese etwa 1,2—2,5 cm entfernt von der Rumpfgrenze entsteht, dieselbe allein mit einer proximalen Arterie des Doppelur- sprunges identificirt werden dürfe. In gleicher Weise fügen wir wohl mit Recht die Gefäße, welche je als alleinige Cir- cumflexa fem. lat. durch einen mehr dista- len Ursprung in Übereinstimmung mit dem distalen Gefäße beim Doppelursprunge sich befinden, in eine selbständige Gruppe ein. Ein jeder Thatbestand lässt sich auch 4 Be ACER hier im gleichen Sinne wie oben nach dem verschiedenen Lageverhältnis der Arterien zu den Ästen des N. fe- moralis näher beurtheilen. | Die proximale Art. circumfl. fem. lateralis der vorstehenden Fig. 17 entsteht aus einem Stamme, der ihr, der A. profunda und der A. circumfl. medialis gemeinsam ist. Er liegt 1,2cm von der A. epigastr. inf. entfernt. Die Arterie entsteht aus der Profunda mit zwei etwa gleichstarken Ästen, welche den N. saphenus, den Nerven für den Vast. medial. und die Nerven für die anderen Vasti zwischen sich fassen. Der dorsale Gefäßast überwiegt wohl den ventralen ; er ist mit einem Ram. ascendens und mit einem R. descendens ver- sehen. Eine proximalwärts ziehende Art. musc. sartorii verlässt den Profunda-Cireumflexa-Stamm selbständig. Die 5 cm vom Ligamente Morpholog. Jahrbuch. 22. 13 194 ! Georg Ruge entfernte, distale Art. eireumfl. lat. ist selbständigen Ursprunges, d. i. nicht mit Ästen, welche in andere Gebiete ziehen, vergesellschaftet. Die distale A. circumflexa fem. later. der Fig. 18 entspringt 6 em vom Leisten- bande entfernt. Sie besitzt zu dem Ner- vus saphenus gleiche Lagebeziehungen wie auf Fig. 17. Die proximale Arterie ist dem Ligam. inguin. etwa 4 cm näher gelegen. Auch das stimmt mit dem Falle der Fig. 17 überein. Der mit der A. pro- funda und A. eireumfl. fem. med. gemein- same Ursprung der proximalen Circumfl. later. entsteht 2,2 em von der Rumpf- grenze. Ich halte die Doppelgefäße der beiden letzten Fälle nach deren Ursprungs- verhalten für gleichwerthig. Sucht man Ye A ccvce sosnten die proximale Arterie der Fig. 18 bezüg- ; Guemadie, 1st lich der Herkunft aus der A. profunda zu beurtheilen, so kann man sie nicht der- jenigen des vorigen Falles gleich erachten; denn sie entsteht hier eigentlich neben der Profunda aus der Femoralis und umfasst mit eG. einem zarten Zweig fiir den Tensor fasciae latae die Nerven von vorn, mit einer starken Arterie von hinten. Die Zustinde liegen im vorigen Falle ganz anders. Es entstehen also nur an gleichen Orten gleiche Arterien, . deren Verästelung von Anfang an anders ist. Der auf Fig. 19 dargestellte Fall lehnt sich an den vorigen in so fern unmittelbar an, als die proximale Cireumflexa lateralis 2cm vom Leistenbande ihren Ursprung be- sitzt und dabei bis in Einzelheiten gleiche Vertheilung und gleiche Lagerungen zu den Ästen des N. femoralis aufweist. Das Ge- fäß hat dabei größte Selbständigkeit erwor- Veh: 2, fia tali ben, welche vielen Autoren von der Art. ken Seite. Die rechtsseitigen Circumfl. lat. fem. bekannt ist (vgl. Cru- Verhalinisse sing auf ie? VEILHIER, 1837, II, pag. 93 u. A.). Die Pro- wiedergegeben. ?/s. funda und Cireumfl. medialis entspringen auf Fig. 19 gemeinsam mit distalen Arterien, welche das Gebiet der Fig. 18. Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 195 Circumfl. lateralis aufsuchen. Dieser gemeinsame Stamm liegt etwa 3 cm vom proximalen Gefäße und etwa 5 cm vom Leistenbande ent- fernt; er kann demnach wohl mit der distalen Arterie der Figg. 17 und 18 verglichen werden. Es wird auch hier geltend zu machen sein, ob Gefäße, deren Ursprungsstellen 1,2 cm aus einander liegen, als einander entsprechende betrachtet werden dürfen. Die Äste des Nervus femoralis haben zwei schwache Arterien ventral, starke Ge- fäße dorsal von sich. Die Varietäten der A. circumfl. fem. lateralis mehren sich unter dem Wechsel der mit ihr vergesellschafteten Stämme. Der That- bestand der proximalen Circumfl. lat. auf Fig. 19 steht am Ende der Reihe, welche man nach dem Selbständigwerden dieser Arterie auf- stellt. Der Thatbestand leitet zugleich nach dem Ende einer Varietätenreihe hin, welche man auf Grund der Lage der Arterien- zweige zu den Nerven aufstellt. Zwei kleine Äste sind hier noch der Restbestand der ventral von den Nerven befindlichen Arterien. Auf der Fig. 13 (d) sowie auf Fig. 20 besitzt die proximale Circumflexa lateralis jedoch keinerlei ventrale Zweige mehr. Gut entfaltet ist der dorsale Ast, weleher hier und dort den Ursprung mit der Profunda und der Circumfl. medialis theilt. Hier entfernt sich der Stamm 1,5, dort 2,5 cm von der Rumpfgrenze. Psoas, Tensor f.1., Glut. med. und Vastus later. bilden je das Endgebiet der Circumfl. late- ralis. Die hier und auf der Fig. 13 (4) selbständige, distale A. cir- cumfl. later. entspringt 4,6 und 4,7 cm vom Leistenbande entfernt; sie begiebt sich zu den anderen Extensoren und lagert dabei dorsal vom N. saphenus und vom N. vasti medialis, aber ventral von den anderen Nervenzweigen. Der Abstand zwischen den Doppelgefäßen ist hier ca. 2,1, dort 3,2 em. Die Differenz von 1,1 cm Abstand kann die Meinung von einer Ungleichwerthigkeit der Gefäße aufkommen lassen. Kam es hier zur alleinigen Ausbildung eines Ram. dorsalis der proximalen Arterie, so zeugt die Fig. 21 von der Reduktion dieses Astes, zugleich aber von der vollen Entfaltung eines Ram. ventralis. Diese vor dem Nervus saphenus befindliche Arterie stimmt in «der 13* Art. und Nerv. femor. einer linken Extremität. 1/2. 196 Georg Ruge Ursprungsentfernung mit den früheren Fällen überein, zeichnet sich aber durch Selbständigkeit des Entstehungsortes aus. Auf der Fig. 3 findet man eine zu den Nerven gleich gelagerte kleine Arterie, für den Sartorius und den Ileo-psoas bestimmt. Sie ist ein Ast einer A. circumfl. medialis. Diese entspringt wie die selbständige Circumfl. later. der Fig. 21 etwa 2 cm vom Leistenbande. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass die hier und dort sehr verschieden entwickelten Gefäße homologer Natur seien. Die distale A. eireumfl. fem. later. entspringt auf Fig. 21 etwa 4cm, auf Fig. 3 ca.5 cm distalwärts vom Leistenbande. An der Gleichartigkeit der Ursprungsplätze zweifle ich nicht, ohne jedoch einem Einwande von anderer Seite entgegentreten zu können. Der Ram. ventralis der proximalen Ar- terie auf Fig. 21 übertrifft an Volum das Distal- gefiB; auf Fig. 3 liegt ein entgegengesetztes Verhalten vor. Der von C. Ber (1819, tab. XI) darge- stellte Fall, an welchem auch der N. femor. Berücksiehtigung gefunden hat, scheint mir am meisten mit demjenigen der Fig. 21 zusammen- zutreffen. Das proximale Gefäß war unter den Fällen von Verdoppelung der A. eircumfl. fem. later. : fünfmal an den gemeinschaftlichen Ursprung Art. und Nerv. femoral. einer mit der Profunda und der Circumflexa media- linken Gliedmaße. 1/2. 2 e 5 5 lis gebunden. Einmal entsprang die Arterie mit der Circumfl. medialis gemeinsam. Zweimal lag eine selbständige proximale Circumfl. later. vor. Welches Verhalten der Ausgangspunkt für die betreffenden anderen Befunde gewesen sei, ist aus mensch- lichen Einrichtungen allein nicht zu entscheiden. Handelt es sich um eine spätere Ausbildung der proximalen A. circumfl. fem. late- ralis, so gewinnen vielleicht die kleinen Arterien einmal an Werth, welche bei korrespondirenden Ursprungsstellen etwa ins Gebiet einer Circumfl. ileum superfie., einer Epigastr. superfic., der Aa. inguinales sich erstrecken. Derartige, sehr regelmäßige Zweige des Schenkel- sefäßes finden sich auf Fig. 9 etwa 2 cm, auf Fig. 5 ca. 1,7 cm, in einem anderen Falle ca. 1,4cm vom Leistenbande. Zieht man in Betracht, dass der Ursprung der kleinen genannten Arterien in der Nähe der Rumpfgrenze eine naturgemäße ist, so gewinnt es an Wahrscheinlichkeit, dass die für Psoas und Sartorius bestimmten Zweige der genannten kleinen Arterien Gelegenheit zur weiteren Fig. 21. Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 197 Ausbildung einer proximalen Circumfl. fem. lat. abgegeben haben. Man findet auf verschiedenen Figuren die hier in Betracht kommen- den selbständigen kleinen Arterien (vgl. z. B. Figg. 5, 12), auf an- deren Abbildungen solche Gefäße mit Muskelästen zum Sartorius, Psoas, Tens. fasciae latae ausgestattet (vgl. z. B. Fig. 9). In wiederum anderen Fällen erscheint die kleine Arterie, welche ihre Selbständig- keit aufgegeben hat, als ein Ast eines größeren Stammes, welcher die drei großen Femoralisäste oder einen derselben umfassen kann. Auf Fig. 24 entstehen die Epigastrica superfic., die A. inguinalis und die Art. sartorii aus der Profunda-Circumflexa, auf Fig. 25 entsteht die A. inguinalis aus dem gemeinsamen Stamme. Solche Fälle ent- halten vielleicht das letzte Entwicklungsstadium einer proximalen Cireumfl. lateralis. Sollten dieselben sich indessen als der Ausgangs- punkt einer Varietätenreihe erweisen, so sind in den selbständig an betreffender Stelle sich loslösenden kleinen Arterien die letzten Glie- der der Reihe zu sehen. . Ich bin nicht abgeneigt, anzunehmen, dass eine Art. epigastrica superficialis durch Ausdehnung des Verbreitungsgebietes zur typischen A. circumfl. fem. lateralis hier und dort sich habe umgestalten kénnen. In gleicher Weise kann eine Circumfl. femor. lateralis durch Aus- bildung kollateraler Bahnen ihren Ursprung aus der A. eircumfl. ilei ext. und int. herleiten (vgl. TIEDEMAnN). Der von DusBRuEIL be- schriebene (pag. 350) und abgebildete (pl. XIV) Fall, wo die Circumfl. fem. later., stark entwickelt, in der Höhe des Leistenbandes ent- springt, gehört hierher. Die in gleicher Höhe entstehende Art. muscular. superfic. (CRUVEILHIER, tom. II, pag. 725) lässt sich der Kategorie hoch entstehender Aa. eircumfl. fem. lat. einreihen. Der vergleichend-anatomischen Forschung bleibt es vorbehalten, alle jenen menschlichen Einrichtungen besser verstehen zu lernen. Ein Vergleich der vorgeführten Befunde mit denjenigen Zustän- den, in welchen ebenfalls eine doppelte A. eircumfl. lateralis, aber in mehr distaler Lage, angetroffen wird, sichert uns bestimmte An- schauungen. Man wähle zum Vergleiche den Thatbestand auf der Fig. 17 mit demjenigen der Fig. 14. Man wird erkennen, dass beiden aberranten Formzuständen je eine Arterie gemeinsam zu- kommt. Es ist das etwa 5 cm vom Ligamente entfernte Gefäß. Außer dieser Arterie aber besteht hier noch eine proximale, dort noch eine distale Circumfl. fem. lateralis. Wir haben es also in diesen beiden Fällen ohne Zweifel mit drei ganz verschiedenen Gefäßen zu thun. Es war vorauszusehen, dass an einem und 198 Georg Ruge demselben Individuum das mittlere Gefäß einmal nicht zur Ausbildung gelangte, während das proximale sowie das distale Gefäß bestanden. Diese Kombination findet sich auf den Figg. 15 und 16 verwirklicht. Die proximale Arterie entspringt hier 1,5, dort 2,8 cm, die distale Cireumfl. later. entsteht hier 8,8, dort 7,5 cm von dem Leistenbande entfernt. Für eine stringentere Schätzung solcher Wahrnehmungen wird die Berücksichtigung vieler anderer von Werth bleiben. Die Figg. 15 und 16 erweisen, dass beim Fehlen der mittleren Arterie die Profunda sowohl an eine proximale (Fig. 15) als auch an eine distale Circumfl. fem. later. gebunden sein kann. Die Pro- funda erhöht durch den Wechsel im Ursprunge wohl die Mannig- faltigkeit der Variationen, erscheint aber keineswegs ausschließlich als das leitende Motiv bei der Ursprungswahl einer Circumflexa lateralis. Sind mittlere und distale Cireumfl. later. nicht zur Entfaltung gekommen, so erscheint eine pröximale Arterie als einziges Gefäß mit einem entsprechend kräftigen Kaliber. Das Gefäß ist in der Regel an die Profunda und Cireumfl. medialis gebunden. Der ge- meinsame Ursprung wird etwa 2 cm distal vom Ligam. inguin. ge- funden. Stellen wir diese Befunde zu einer besonderen Gruppe zu- sammen, so denken wir uns diese doch im engsten Anschlusse an die kurz zuvor erwähnten Varietäten, da die selbständige Arterie mit dem proximalen Gefäße der Doppelbildung etwa den Figg. 3, 17 ete. gleichwerthig sein dürfe. Die auf den Figg. 22, 23, 24, 25 und 26 dargestellten Wahrnehmungen kommen hier in Betracht. An ihnen wiederholt sich dasselbe Schauspiel wie an anderen Varietäten, indem bestimmte Äste des N. femoralis bald von einem ventralen und einem dorsalen Arterienzweige umfasst sind, bald der ventrale, bald der dorsale Arterienzweig zur alleinigen Entfaltung gelangt ist. Die Strecke vom Leistenbande bis zum Ursprunge der Circum- flexa fem. later. variirt in den fünf Fällen zwischen 2 und 3,1 em. Diese Verschiedenheiten können auch hier aus den Schwankungen der Körpergröße der Individuen sich herleiten oder auf dem ver- schiedenen Wachsthume bestimmter Gefäßstrecken beruhen. Anderer- seits ist einzuräumen, dass es um mehrere, einander nicht homologe Arterien sich handeln könne, welche aber immerhin durch ein nach- barliches Verhalten im Ursprunge eine engere Zusammengehörigkeit bekunden. Das auf der Fig. 22 wiedergegebene Verhalten bildet den Aus- gangspunkt. Der für Profunda und beide Circumflexae gemeinsame Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 199 Stamm liegt 3cm von der Rumpfgrenze. Die laterale Circumflexa spaltet sich sofort in zwei etwa gleich stattliche Aste. Dieselben fassen von vorn und von hinten den N. saphenus und den Nerv fiir den Vastus medialis zwischen sich. Andere tiefere Aste des N. fe- moralis befinden sich weiter lateralwiirts in gleicher Lagerung. Der von den Nerven ventral liegende Ast ist descendirend; der dorsale Arterienzweig spaltet sich indessen in einen auf- und einen ab- steigenden Zweig. Auf der Fig. 23 liegen sehr ähnliche Verhältnisse vor. Die großen Gefäße verlassen die A. femoralis 3,1 cm von der Rumpf- grenze. Die A. eircumfl. later. entspringt dicht neben Profunda und Circumflexa medialis, indessen im vorhergehenden Falle die Arterie Mall. £ fl f PN, DL, Art. und Nerv. femor. feiner Art. und Nerv. fem. einer Arterie und Nerv einer rechten linken GliedmaBe, 2/s. linken Extremität. 2/5. Gliedmaße. 1/2. aus dem einheitlichen Stamme sich loslöst. Der Ramus post. s. dorsalis übertrifft an Volum den Ram. ventralis um ein Weniges. Zwischen beiden Zweigen lagern die Hauptäste des Nervus femo- ralis. Ich reihe die auf Fig. 24 wiedergegebene Beobachtung an. Der für Profunda und beide Circumflexae gemeinsame Stamm entfernt sich von der Art. epigastr. inf. etwa 2,4 cm. Zwei Aste werden ge- funden, welche ventralwärts vom Nervus femoralis liegen; sie sind sehr zart und kreuzen die Nerven in beinahe querer Richtung. Der proximale Ast entsprieht einer Art. epigastr. superfic. und- Art. in- guinalis. Sie dürfte nach Lage des Ursprunges und nach Lage zum 200 Georg Ruge Nerven dem Ram. ventralis der vorhergehenden Figur entsprechen. Eine dorsal von den Nerven verlaufende Arterie ist auf Fig. 24 zur alleinigen Circumflexa fem. lateralis entwickelt; sie ist dem zufolge mit einem starken auf- und einem starken absteigenden Aste aus- gestattet. Die dorsal von den Nerven befindlichen Gefäße der Figg. 22, 23 und 24 stimmen im Ursprunge aus der A. femoralis und in der Lage zu den Nerven, also in sehr wichtigen Merkmalen überein. Darauf dürfte man die Homologien dieser dorsalen Äste begründen. Allerdings muss man sich dann die Art. circumfl. fem. lateralis als Hauptast der A. femoralis und die Profunda sowie Circumfl. medialis aus der Cireumfl. lat. sich entwickelt denken. Ich wüsste die Gründe nieht anzugeben, welche eine solche Annahme völlig zurückweisen könnten. Nimmt man indessen die Aa. profundae der Figg. 22 u. 24 als die Hauptäste an, aus welchen sich die Art. eircumfl. lat. ent- faltet habe, so kann letzteres Gefäß der Fig. 22 nicht demjenigen der Fig. 24 homolog sein, da beide an ganz verschiedenen Plätzen aus der Art. profunda entstehen. Es würde sich darauf die Auf- stellung von Unterabtheilungen der hier genannten Varietätenreihe begründen lassen. Vor der Hand ist noch auszumachen, ob die Circumfl. lat. der Figg. 22 und 24 aus der Profunda, oder ob diese aus jener entspringe, resp. sich entwickelt habe. So lange dies nicht entschieden ist, diirfen wir den Fall Fig. 24 nur als Bei- spiel der Reduktion eines ventralen und der völligen Ausbildung eines dorsalen Astes der proximalen Art. eircumflexa femoris late- ralis angeben. Das auf Fig. 25 dargestellte Verhalten enthält in den Haupt- zügen sehr viel Übereinstimmendes mit dem vorigen und ist in gleicher Weise zu beurtheilen. Der für Profunda und beide Cir- eumflexae gemeinsame Stamm ist nur 2,2 cm von der Epigastr. inf. entfernt. Eine schlanke Arterie kreuzt den Nerv. femoralis in ven- traler querer Richtung; sie ist einer A. inguinalis und dem proxi- malen Ventralästchen des vorigen Falles ohne Frage homolog. Das zur Circumflexa lateralis ausgebildete Gefäß liegt auch hier dorsal vom N. saphenus und vom N. vasti medialis. Es verlässt die Pro- funda in gleicher Weise wie auf der vorigen Figur ca. 2,5 cm distal von deren Ursprungsstelle aus der Femoralis. Es stimmen also, so weit es sich beurtheilen lässt, die gemeinsamen Stämme für Pro- funda und Circumflexa lateralis hier und dort überein. Da die Ar- teria circumflexa femoris medialis auf Fig. 24 die Profunda proximal Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 201 vom Ursprunge der Circumflexa lateralis, auf Fig. 25 aber distal von diesem gleichartigen Platze verlässt, so sind die medialen Circumflexae als ungleichwerthige Arterien hier und dort zu be- urtheilen. Wir besitzen hier ein gutes Kriterium fiir das Naturell auch dieser Arterie. Der Fall der Fig. 25 lässt nun im Gegensatze zu denen der drei vorher- gehenden Abbildungen deutlichst die Ga- _ belung der dorsal vom N. saphenus ge- legenen Arterie in zwei Äste erkennen, welche von vorn und von hinten die lateralen tiefen Extensorennerven zwischen sich fassen. Durch ein derartiges Ver- halten fügen sich Unterabtheilungen an die hier vorgeführte Varietätenreihe an und kompliciren letztere in gleicher Weise, wie es im ersten Abschnitte genauer aus- geführt worden ist. Handelte es sich im Vorhergehenden Art. und Nerv. femor. einer linken um die alleinige Entfaltung einer dorsal von den Nerven gelegenen Circumflexa fem. latera- lis, während der Ventralast nur als zarte Inguinal- oder Sartoriusarterie sich erhielt, so birgt die Fig. 26 die Beobachtung eines ventral vom N. saphenus ete. befindlichen Gefäßes. Die Ursprungsstätte für Pro- funda und beide Circumflexae entfernt sich 2 em vom Leistenbande. Die Cireumfl. fem. lateralis verlässt die Profunda 3,5 cm vom Ursprunge dieser aus der Femoralis. In Bezug auf den Ursprungsort des ge- meinsamen Stammes aus der A. femoralis herrscht zweifellos Übereinstimmung mit den früheren Fällen; in Bezug auf die Entfernung der Spaltung in Pro- funda und Circumfl. lat. besteht eine Verschiedenheit von 1 cm. Wie diese nicht sehr erhebliche Differenz aufzufassen sei, bleibe unentschieden. Bedeutsam ist die gleiche Kombination der Verhältnisse, be- Gliedmaße. 2/s. Fig. 26. 1 Pe | a Art. und Nery. femor, einer rechten Glied- maße. 2/5. deutsam die Verschiedenheit der Lage der Circumflexa lateralis zu den Nerven auf Fig. 26 und auf früheren Abbildungen. Die Art. eircumfl. fem. med., welche proximal von der lateralen 202 Georg Ruge Circumflexa die Profunda verlässt, kann nur mit dem gleichnamigen Gefäß der Fig. 24 in Parallele gestellt werden. Sie ist eine ganz andere Arterie als die der Fig. 25. Im Wechsel der Erscheinungen, aus den Figg. 22—26 ablesbar, treten dreierlei Zustände markant hervor. Sie betreffen die Art. eircumfl. later., welche 3—2 cm distal vom Leistenbande die Schen- kelarterie verlässt, sich dann 1) mit gleich starken Ästen ventral sowie dorsal vom Nerv. sa- phenus und vom Nerv. vasti medialis ausbreitet, 2) als ein dorsal, und 3) als ein ventral von den genannten Nerven hinziehendes Ge- fäß sich kund giebt. Durch übereinstimmende Entfernung der Circumfl. later. von der Rumpfgrenze fügen sich die Befunde eng in eine Abtheilung ein. Aus topographisch verschiedenartigen Beziehungen der Äste der Circumfl, lat. zu den verschiedenen Nervenzweigen muss auf die Un- gleichartigkeit ersterer geschlossen werden. Morphologisch einander entsprechende Arterien ausfindig zu machen, begegnet oftmals Schwie- rigkeiten. Was den ventral von den Nerven verlaufenden Ast der Cireumfl. later. betrifft, so ist unter Anderem die Homologie der mit x bezeichneten, schwachen Äste der Figg. 24 und 25 nicht zu be- anstanden. Diese Arterien entstehen am Stammursprunge aus der Femoralis, gleich wie der ventrale Ast x der Fig. 23. Eine strenge Durchmusterung der Verhältnisse auf Fig. 21, 19, 18, 17, 15 ete. wird es gestatten, die mit x gekennzeichneten Arterien in eine gleiche Kategorie zu bringen, wie die vorigen. Das mit xx bezeichnete, ventrale Gefäß der Fig. 24 entsteht aus der Profunda etwa an der Stelle, wo das gleich bezeichnete Gefäß auf den Figg. 22, 17 und 16 entspringt. Das mit xxx bezeichnete ventrale Gefäß der Fig. 26 stimmt mit dem gleichbezeichneten der Fig. 19 in Lage zu den Nerven und in der Entfernung seines Ursprunges von der Schenkelarterie vollkommen überein. Es ist desshalb zutreffend, das auf Fig. 26 zur Profunda entfaltete Gefäß mit dem dorsalen Aste der Circumfl. lateralis der Fig. 19 in Parallele zu stellen. Was den dorsal von dem N. saphenus und Nerv. vasti medialis befindlichen Ast der Circumfl: fem. later. anlangt, so finde ich auch hier verschiedene Gefäßtypen. Die mit o bezeichnete Arterie der Figg. 23 und 20 gehört in die eine Gruppe. Das mit oo bezeichnete Gefäß der Figg. 24, 25 und 17 dürfte einer zweiten Gruppe zugehören, Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 203 wenn die Circumfl. lat. hier als Ast der Profunda und nicht das Um- gekehrte zu gelten hat. Wahrscheinlich wird einmal eine noch feinere Analyse der Gefäße möglich werden. Hier kann nur der Weg der Forschung angegeben werden, welche auf Grund der wenigen genauen Beobachtungen die große Reichhaltigkeit von Formzuständen lehrt. Letztere bietet Garantie für die Richtigkeit der Annahme, dass die Arterienbahnen im Gebiete der menschlichen Circumflexa fem. late- ralis noch keineswegs fixirt worden sind. 2) Wennschon die zuvor aufgeführten Arten einer proximalen Circumflexa femoris lateralis wegen ihrer korrespondirenden Ursprungs- stellen fiir gleichwerthig gehalten werden durften, so mahnen andere Fig. 27. Art. und Nerv. femoralis einer rechten (Fig. 27) und einer linken Gliedmaße (Fig. 28). 1/2. Wahrnehmungen vor voreiligem, allzu scharfem Formuliren; denn es ist verständlich, dass eine Distanz von 2 oder 3 cm, die selbst von einem nicht streng fixirten Punkte gemessen ist, über eine natür- liche Grenze nicht bestimmen könne. Es wird z. B. fraglich blei- ben, ob Gefäße, welche etwas mehr distalwärts vom Ligam. inguin. als ca. 2—3 em entstehen, nicht an die sub b genannten Varietäten angegliedert werden dürfen. Werden die auf den vorstehenden Ab- bildungen wahrnehmbaren Zustände zum Vergleiche herangezogen, so erheben sich erhebliche Schwierigkeiten gegen einen engeren Verband der 3,5 und 3,6 cm von der Rumpfgrenze entstehenden Ge- fäße mit denen der vorigen Fälle. Die für Profunda und Circumflexae 204 Georg Ruge gemeinsamen Stämme besitzen nämlich noch proximale Nachbarn in kleinen Arterien, welche auf Fig. 27 etwa 2 cm, auf Fig. 28 etwa 2,4 cm vom Leistenbande entfernt entspringen. Diese kleinen, ins Gebiet des Sartorius, Psoas, Tensor fasciae 1. und der A. inguinalis laufenden Gefäße verrathen aufs deutlichste ihre Verwandtschaft mit den sub e mit x bezeichneten Arterien. Dadurch darf es als aus- geschlossen gelten, dass die Gefäße mehr distalen Ursprunges der beiden Figuren mit den der vorigen Gruppe übereinstimmen. Sie könnten höchstens in die sub a besprochene Serie gestellt werden, wenn sich nicht 5 und 5,2 em vom Leistenbande kleine Arterienäste vorfänden, welche nach Lage des Ursprunges viel eher den Gefäßen sub a entsprächen, als die nächst proximalen Hauptäste. Derartige Befunde machen es wahrscheinlich, dass noch eine vierte A. cireumfl. lateralis beim Menschen zur Ausbildung gelangen könne, welche zwischen der proximalen (c) und der mittleren Arterie (sub a) ihre Ursprungsstätte besitzt. Die Ursprungsstätte einer solchen vierten Cireumflexa lateralis fiele auf der Fig. 20 etwa in die Mitte der beiden vorhandenen lateralen Gefäße. Die Beobachtung gleichzeiti- gen Auftretens von allen Arterien an den bestimmten Orten kann allein die vermuthete Existenz einer vierten Arterie über alle Zweifel erheben. So lange Maßverhältnisse allein Aufschluss geben sollen, werden bestimmte Fragen nicht erledigt werden; denn einerseits müssen Entfernungen von etwa 1 cm, welche die Ursprünge von Gefäßen verschiedener Individuen unterscheiden, als in den Breitegrad na- türlicher Schwankungen fallend angesehen werden. Dieselben können aber andererseits Bedeutung für das Unterbringen der Gefäße in ganz verschiedene Gruppen erhalten. Es ist ohne Weiteres zuzugestehen, dass alle Mühe strengen Vergleichens von Gefäßen oftmals vergeblich sein müsse, da letztere ja überall entstehen können. Man ist dann aber auch da angelangt, wo normale Einrichtungen sich noch nicht eingestellt haben, wo Schwankungen das Normale vergegenwärtigen. Niehtsdestoweniger wird es eine wichtige Aufgabe sein, genau die Plätze am Femoralisstamme zu markiren, an welchen Äste zu gut charakterisirten Arteriae eircumfl. fem. lat. sich ausbilden können. Die kleinen, an so vielen Stellen entstehenden Muskelzweige der Art. femoralis werden in dieser Beziehung als Ausgangs- oder als Endstadium wohl immer Bedeutung besitzen. Die Art. eireumfl. ileum interna kann Äste in das Gebiet der A. eireumfl. fem. lateralis entsenden und dann diese z. Th. ersetzen Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 905 (vgl. TIEDEMANN, pl. XXXIU, Fig. 2). Hier handelt es sich um strenger fixirte Ursprungsstätten, und die Wege, auf denen collate- rale Arterien sich ‘ausbildeten, sind leicht anzugeben. Verschiedenheiten im Ursprunge der A. eircumfl. fem. later. sind dem Fachmanne nicht unbekannt. Ein jedes Lehrbuch zeugt von traditionell gewordenen Angaben. Für die obigen Auseinander- setzungen war nicht vorgearbeitet worden. In der Regel findet man in den Lehrbüchern die Angabe, dass die A. eircumfl. lat. ein Ast der Art. profunda sei, dass sie aber auch selbständig aus der Aıt. femoralis entstehen könne, als eine Art accessorischer Arterie auf- tretend. Findet man nirgends eine strenge Gliederung der accesso- rischen Gefäße ete., so wird man andererseits oftmals darauf hin- gewiesen, dass das Vermögen zur Entwicklung verschiedenwerthiger accessorischer Cireumfl. later. bestehe. Ich schließe auf ein solches Vermögen aus der Angabe z. B., dass außer der Cireumfl. later. als Ast der Profunda noch eine kleine und eine große oberflächliche Muskelarterie als gewöhnliche Erscheinungen vorhanden. seien. Man vergleiche die zutreffenden Angaben von BouRGERY (1835, pag. 112), z. B. SAPPEY’s (1868, pag. 661, 663) und Testur's (1893) Lehrbücher. Angaben jedoch, dass die große oberflächliche Muskelarterie zuweilen aus der A. profunda entspringe, können leicht irre führen, da sie auf die Unterscheidung von Gleichwerthigem und Ungleichwerthigem nicht hinweisen. Die selbständige Behandlung der Varietäten im Gebiete der Cireumfl. lat. ist nicht resultatlos geblieben. Man kann nunmehr der Frage nicht ausweichen, in welchem Verhältnis die Schwankungen im Gebiete dieser Arterie zu denen der anderen großen Femoralis- äste sich befinden. Es handelt sich um die Art. profunda und um die A. circumfl. femoris medialis, welche so häufig mit der Circumfl. lateralis in engerem Verbande angetroffen werden. II. Die Arteria profunda femoris. Das Endgebiet der Art. profunda femoris liegt in der Ad- duktorengruppe und an der Beugeseite des Oberschenkels. In dieses Gebiet begeben sich neben anderen kürzeren Ästen die die Adduk- torensehnen perforirenden Gefäße. Die in das Endgebiet ziehen- den Arterien können aus einem Stamme entspringen oder durch mehrere, verschiedenen Ortes selbständig entspringende Gefäße vertreten sein. Letztere können sich je zu dem alleinigen ' Gefäß 206 Georg Ruge entwickeln und die Varietäten im Ursprunge einer einheitlichen Art. profunda auf diese Weise beleuchten helfen. Die Schwankungen im Ursprunge der Profunda sind an Zahl nicht geringfügig; sie wetteifern mit denen einer Circumflexa late- _ ralis. Die Variationen im Verlaufe der Profunda-Arten hingegen stehen, wie es scheint, an Reichhaltigkeit gegen diejenigen der Äste der Cireumfl. later. bedeutend zurück. Der Weg durch die Endsehnen der Adduktoren, welchen die Hauptäste der Profunda einzuschlagen gezwungen sind, darf als Ursache einer größeren Eintönigkeit des Verlaufes gelten. Durch den Umstand, dass der Stamm oder die Äste der Profunda zum Grunde der Fossa ileo-pectinea und des Hunter’schen Kanales ziehen, werden strengere Fixirungen ganz bestimmter Verlaufsverhältnisse haben statthaben müssen. Nichts- destoweniger sind sehr auffallende Abweichungen des Verlaufes be- kannt geworden. So kann die Profunda z. B. eine Strecke weit vor der Schenkelvene verlaufen, um dann an deren Medianseite in die Tiefe einzudringen. In diesem Falle kann es sich um die starke Ausbildung einer A. pudenda externa oder eines oberflächlichen Mus- kelastes für den Adductor longus ete. handeln. | Sehr oft fällt der Ursprung einer Profunda mit demjenigen einer Cireumfl. lateralis zusammen. Und an allen Stellen, an welchen letztere die Schenkelarterie verlassen kann, treffen wir auch die im Ursprunge variirende Profunda an. Wo beide Arterien gemeinsam entspringen, pflegt die Profunda ihre Partnerin an Kaliber zu über- treffen. Die Cireumflexa lateralis erscheint dann im Verhältnis zur Profunda wie ein Ast zum Stamme. Ein derartiges gegenseitiges Verhältnis wechselt bei den Gefäßen oft aus rein accessorischen ~~ Gründen und ist für unsere Betrachtung nebensächlich. Die etwa 2—3 cm vom Leistenbande gemeinsam mit der Cir- cumfl. fem. lat. entstehende Profunda wird unter Anderem auf Fig. 26 angetroffen. Etwa 3,6 cm von der Rumpfgrenze entfernt entspringt die Profunda, vereint mit der Circumfl. fem. lat., auf Fig. 28. In der etwaigen Entfernung von 4,5—5,5 em findet man den Entstehungs- ort beider Gefäße auf Fig. 1 ete. BouRGErY (1835) gab auf Taf. 41 und 43 die Entfernung der Profunda fem. von den Aa. epig. inf. et circumfl. ilei auf 6 cm an. Die Profunda entspringt, mit der Circumfl. fem. lat. vereint, auf der Fig. 16 etwa 7,5 cm distal vom Ligam. in- guinale. Die genannten vier verschieden langen Strecken, welche zwischen dem Leistenbande und der Cireumfl. lat. sich befanden, ließen auf eben so viele ganz heterogene Gefäße schließen. Wir - Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 207 werden daher auch eben so viele verschiedenartige Aa. profundae femoris unterscheiden müssen. Die A. circumfl. fem. later. ist nicht nothwendig an die A.profunda gebunden. Dies wird durch zahlreiche Zustände er- wiesen, welche ich aus der Litteratur (vgl. Srp 1860), sowie aus den eigenen Beobachtungen entnehme. Die Unabhängigkeit beider Arterien von einander tritt unter Anderem bei der Auflösung der Profunda in mehrere Aste zu Tage, welche dann als accessorische Gefäße beschrieben werden. ÜRUVEILHIER beobachtete eine Art. perforans inf. accessoria, welche den Ad- ductor magnus durchsetzte. W. KRAUSE erwähnt einer selbständigen Perforans III s. nutritia femoris magna. GEGENBAUR giebt an, dass eine Art. perforans nur sel- ten direkt aus der Femoralis entspringe. Die nebenstehende Fig. 29 veranschaulicht Vans einen solchen seltenen Befund. Etwa 4,5 cm Ne mec |, vom Leistenbande entfernt entspringt an Reo te 1A der nämlichen Stelle aus der A. femoralis i erstens die Circumflexa fem. lateralis ge- meinsam mit demjenigen Aste der Profunda, welcher als eine starke Art. perforans se- eunda die Adduktoren durchsetzt; zweitens entsteht dort die A. circumfl. medialis, wel- che außerdem die ins Profundagebiet zie- hende A. perforans prima entsendet. Dieser Ast der Profunda hat mit einer Circumfl. fem. later. nichts zw thun. In gleicher 4.4 femoralis einer rechten’ Ex- Weise ist die A. perforans tertia emanci- tremitat. 2/s. pirt von anderen Gefäßen; sie verlässt die Schenkelarterie ea. 9.7 em distalwärts vom Leistenbande. Von ihr zweigen sich vor dem Durchtritte durch die Adduktoren Gefäße zum M. vast. medialis ab. Dieser Fall weist nicht allein auf die Möglichkeit einer Unab- hängigkeit von Profunda und Cireumfl. fem. later. hin; er wird viel- mehr auch lehrreich für die nähere Beurtheilung anderer Beobachtun- gen und wird durch letztere selbst in helleres Licht gestellt. Man stelle sich vor, dass die an die Cireumfl. fem. medialis geknüpfte Perforans I sich zur alleinigen Profunda ausgebildet habe, dann er- hält man Zustände, wie die Fig. 23 sie uns z. B. versinnlicht: 208 Georg Ruge Profunda und Circumfl. medialis verlassen gemeinsam dicht neben der selbständigen Circumfl. fem. lateralis das Schenkelgefäß. Ist anderer- seits die an die Circumfl. later. geknüpfte Art. perforans II der Fig. 29 zur alleinigen Profunda entfaltet, so kommt die so häufig wahrge- nommene Kombination zu Stande, wie wir sie auf Fig.5 und 19 antreffen, wo die Circumfl. fem. medialis selbst an ihrem entsprechen- den Platze sich befindet. Diese Fälle sind aber vor- Allem dadurch gekennzeichnet, dass die Circumfl. fem. lat. sich unweit der Femo- ralis aus der Profunda loslöst. Solches tritt in ganz reiner Form vielfach uns entgegen (vgl. Figg. 1, 4, 7 etc.). Durch die Heranziehung des Falles der Fig. 29 wird es be- deutend unwahrscheinlicher, dass eine Circumfl. later., welche neben der Profunda entspringt (Fig. 11 ete.), einem Gefäße homolog sei, welches aus der Profunda direkten Ursprung nimmt (vgl. Figg. 1, 3, 4 ete.). Und so verliert die Erklärung von Gefäßvarietäten durch die Annahme von verschiedenartigen Wachsthumsvorgängen der Wandungen an Wahrscheinlichkeit, indessen die Annahme eines ver- schiedenen Ausbildungsgrades vieler, differenter Gefäße auf unserem Gebiete sich günstiger gestaltet. Der gelegentlichen Entwicklung der A. perforans III der Fig. 29 zur alleinigen Profunda stehen Hindernisse in dem ungünstigen, di- stalen Ursprunge im Wege, wie denn thatsächlich der Ursprung der Profunda in distaler Richtung seltener und seltener anzutreffen ist. Quain fand den Ursprung der Profunda unter 431 Fällen nur ein einziges Mal 11,6 cm vom Arcus eruralis und nur zwölfmal 6,3— 7,6 cm entfernt. Ist es gestattet, den Fall der Fig. 23 mit dem der Fig. 29 in gewissem Verbande sich vorzustellen, so ist die A. cireumfl. lat. des ersteren eine von der Profunda unabhängige Arterie zu heißen, wie sie ja auch eigentlich selbständig die Femoralis verlässt. Dass die Circumfl. lat. nicht an die Profunda gebunden zu sein braucht, lehren zweifellos die Fälle vollständigster Loslösung der Profunda von ersterer. Auf Fig. 13a findet man den Ursprung der Profunda dicht am Leistenbande, den der Cireumfl. lat. 4,5 em weiter distalwärts. Schließlich ist an die häufigen Vorkommnisse selb- ständig entspringender Aa. circumfl. lat. zu erinnern (vgl. Fig. 19 ete.), um deren Unabhängigkeit ins rechte Licht zu setzen. Die Varie- täten im Gebiete der Art. profunda (in der beschriebenen Deutung genommen) müssen zuerst eine besondere Behandlung erfahren, be- vor man eine gemeinsame Darstellung aller Abweichungen im Ast- Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 209 gebiete der A. femoralis vornehmen könne. Meine Beobachtungen reichen hierzu nicht aus und auch der Litteratur als alleinigen Quelle ist nicht zu vertrauen, da auf ganz andere Momente geachtet werden muss, als es bisher geschehen ist. Wenn es nämlich nur durch die Heranziehung eines ganz anderen Befundes (Fig. 29) hat wahrschein- lieh gemacht werden können, dass die Profunda der Fig. 5 nicht derjenigen der Fig. 6 entspricht, so werden eben die Kriterien sehr genau abgewogen werden müssen. Zu der Vierzahl von selbständigen Profundaarten, auf deren Existenz wir schlieBen diirfen, gesellen sich noch zwei andere Arten. Die Arteria profunda ist, wenn sie in der Höhe des Leistenbandes (Fig. 13 a).entspringt, sicherlich keiner der vier anderen Arten ho- molog. Sie kann dann, wie auf Fig. 13, an die A. epigastr. inf. gebunden sein. Derartige Befunde werden nicht häufig angetroffen, was Monro (1811) und MEckEL (1817) bekannt war. Burns (1809) beobachtete den Ursprung der Profunda aus der A. iliaca ext. drei- mal. MECKEL erwähnt den Ursprung der Profunda in der Höhe des Arcus cruralis; Orro nahm letzteren Zustand mehrmals wahr (1816, pag. 102). Man vgl. auch TiepEMANN, welcher 1822 (pl. 33) einen hierher gehörigen Fall abbildet. BoURGERY (1835) und CRUVEILHIER (1857) erwähnen den hohen Ursprung der Profunda (1835, pag. 111), und DuBruEiL (1847) geht des Näheren auf die seiner Zeit bekannt gewordenen Beobachtungen ein. DUBRUEIL weist darauf hin, dass die A. profunda zuweilen eine mediale Lage zur Art. fem. superfie. einnehmen und dann die Vene zwischen sich und die letztere auf- nehmen könne. Es war dem Autor auch bekannt, dass dann die Art. epigastrica inf. an die Profunda geknüpft zu sein vermochte. Ist dies nun der Fall und verläuft die A. profunda fem. medial von der Vena femor. in die Tiefe,+so handelt es sich wohl stets um die Ausbildung collateraler Aste, welche das Gebiet der Art. pudenda ext. passiren. MERCIER (1836) beobachtete den Ursprung der Pro- funda 12mm vom Ligam. inguinale entfernt. Dem Verlaufe nach ist das Gefäß vielleicht auch das Produkt einer Art. pud. externa, in gleicher Weise wie der von FRIEDLOWSkKy (1867) beschriebene Fall, in welchem die Profunda ca. 2,5 em unterhalb des Areus cruralis entstand, um die Vena crur. oberflächlich zu kreuzen. Die Beschreibung und Abbildung eines Ursprungs der Profunda in der Höhe des Leistenbandes verdanken wir ZAALIER (1865). Das Gefäß hält sich an der Außenseite der A. fem., entsendet die Art. epigastr. superfie., die A. pud. ext. sowie die Aa. inguinales; es kann sich Morpholog. Jahrbuch. 22. 14 210 Georg Ruge nur durch Ausbildung collateraler Bahnen im Gebiete dieser ge- wöhnlich kleinen Arterien mit den Muskelarterien entwickelt haben. Die neuerdings durch F. ZAALJER mitgetheilte, durch D. van HoREN Noman beobachtete und bildlich dargestellte Abweichung der Art. profunda gehört in diejenige Gruppe von Profundavarietäten, welche durch collaterale Bahnen aus der Art. epigastriea inf. sich eutfaltet haben (ZAAER, 1894, Fig. 1). Die Profunda verlässt demgemäß in der Höhe des Arcus cruralis den Femoralisstamm, kreuzt ober- flächlich die Vena cruralis, an deren medialer Fläche sie in die Tiefe dringt. Die Aa. epigastricae inf. et superficialis erscheinen als Äste der Profunda. Diese wird sich aus kleinen Muskelästen de Aa. epigastricae zum Pectineus ete. hervorgebildet haben. Es war ZAAWER indessen nicht gelungen, eine genetische Erklärung für den Zustand zu finden (l. e. pag. 508). Fres (1866) und Andere machten darauf aufmerksam, dass die Arteria obturatoria und Arteria epigastrica an die Arteria profunda ge- knüpft sein könnten, falls diese in der Höhe des Leistenbandes ent- stünde. Entsteht die Art. profunda in der Höhe des Leistenbandes aus der A: femoralis communis, so kann man mit Recht von einer Bifurcation der Arterie sprechen. Verlässt die Art. circumflexa fe- moris medialis in niichster Nihe der Profunda den Stamm der A. femor. superfic., so tritt eine Art von Trifureatio in die Erscheinung (vgl. CRUVEILHIER, DUBRUEIL, pag. 352). Entwickelten sich collaterale Bahnen aus der A. epigastr. inf. zur Profunda, so nimmt diese wohl immer eine mediale Lage zum Hauptstamme ein, eine laterale hingegen, wenn sich die Profunda aus der A. circumfi. ilei herleitet. Eine Uberkreuzung der Vena cru- ralis durch die Profunda wird auch dann zu Tage treten, wenn die Profunda aus Collateralen einer Arteria pudenda ext. sich herleitet. FRIEDLOWsKY’s und der neuerdings von A. ScHRuTz (1894) be- schriebene Fall gehören hierher. Die abnorme Profunda kreuzte die Vena cruralis nach Scururz’s Angaben »knapp auf der Einmündung der V. saph. magna«. Sie ließ die A. circumfl. medial. sowie eine A. pud. ext. ant. entstehen. Diese Profundavarietät unterscheidet sich wesentlich von der ZaatsER’s (1894, Fig. 1), erstens durch die ver- schiedene Entfernung von der Rumpfgrenze und zweitens dadurch, dass die A. epigastr. superficialis hier selbständig aus der A. femo- ralis entspringt und desshalb nieht der Ausgangspunkt für die ab- weichende Profunda gewesen sein kann. Es besteht demgemäß wohl eine Ähnlichkeit zwischen den Befunden von ZAAWER und SCHRUTZ, Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 311 aber nichtsdestoweniger auch eine nicht unwesentliche Verschiedenheit. Die Streitfrage, unter welchen Verhältnissen die Profunda an der Außen- und unter welchen an der Innenseite der Art. femoralis ent- springe (vgl. HyRTL, SB) erledigt sich z. Th. durch die genaue Kenntnisnahme der Ausgangspunkte der collateralen Bahnen. Dabei bleibt es immerhin noch möglich, dass eine Verschiebung der Ur- sprungsstellen nach innen oder außen stattgefunden habe. QuaAmm fand einen hohen proximalen Ursprung unter 431 Fällen nur 7mal, indessen 13 mal die Entfernung vom Arcus cruralis nicht mehr als 1,3 em betrug. Die auf der Fig. 29 etwa 10 cm distal von der Rumpfgrenze sich loslösende A. profunda, welche sich allerdings nur als Perforans Ill fortsetzt, ist ebenfalls mit keiner der anderen Arterienarten ver- gleichbar. Wir haben es somit mindestens mit sechs verschiedenen Gefäßen beim Menschen zu thun, welche sich ins Gebiet der A. profunda begeben, sich demgemäß durch Aa. perforantes auszeich- nen. Vier von diesen Profundaarten sind durch TIEDEMAnN bildlich dargestellt (1822, pl. 33). Auf Fig. 3 löst sich dort die Profunda aus der A. epig. inf. los, auf Fig. 2 entfernt sich die Arterie 4 cm, auf Fig. 4 aber 5 cm und auf Fig. 1 selbst 6 em vom Leistenbande. Aus EisLer’s Untersuchungen geht die Möglichkeit hervor, dass die A. profunda beim Gorilla Varietäten im Ursprunge unterliege, denn erstens entspringt die Cireumfl. femoris medialis beiderseits selbstän- dig aus der A. femoralis in der Höhe des Arcus erur. und kann vielleicht wie beim Menschen zur hohen Profunda sich ausbilden. Zweitens aber fand Eıster, dass unterhalb des Abganges der linken Profunda noch eine kräftige Arterie aus der Femoralis entsprang, welche durch das proximale Ende des Spaltes im Adductor magnus sich nach hinten wendete, um im M. semimembranosus zu endigen (1890, pag. 14). Auch dieser Femoralisast kann sich vielleicht zu- weilen beim Gorilla zum Profundastamme entwickeln. Es bleibt zu erforschen, ob noch andere Profundaarten beim Menschen bestehen. Die Angaben in der Litteratur lassen dies sehr möglich erscheinen. Quarn (1844) ordnete seine zahlreichen Beob- achtungen derartig, dass man an die Existenz von acht Gefäßen denken möchte. VIGUERIE hingegen brachte seine Wahrnehmungen in vier Gruppen unter. Sind die betreffenden Forschungen auch hauptsächlich unter praktischen Gesichtspunkten ausgeführt worden. so werden sie doch ihren Werth bei wissenschaftlichen Fragen nicht ganz einbiiBen. Aus Quatn’s Zusammenstellungen geht auf das 14* 212 Georg Ruge schlagendste hervor, dass der Ursprung der Art. profunda nur sel- ten sich dem Leistenbande nähert, sich aber eben so selten über eine gewisse Grenze von ihm entfernt. Weitaus am häufigsten wird die Entfernung der Profunda vom Ligam. inguin. 2,5—5 em gefunden, sehr häufig nur 1,3—2,5 em. Die genaue Vertheilung von 430 Fällen ist nach Quain die folgende: 7mal unter dem Arcus eruralis, 13mal vom Arcus cruralis entfernt —1,3 em, S6mal » » > » 1,3—2,5 » 183mal >» » » » 2,5—3,8 >» 109mal » » » » 3,8—5,1 » 19mal >» > » > 5126 a 12mal » > » » 6,3—7,6 em, imal >» > > » 11,6 cm. VIGUERIE (1837) theilt seine Bechackiundes nach rein prakti- schen Gesichtspunkten folgendermaßen ein. Unter 306 Fällen ent- sprang die Profunda je 26mal vom Leistenbande entfernt 2 cm, 134mal » > » 4 » 1 3 6mal » » » 6 » 10mal » » 8 >» Man vergleiche die ey hierüber in HENLE’s und in Testur's Handbiichern der systematischen Anatomie. VIGuUERIE’sS Angaben treffen mit denen Quain’s darin zusammen, dass je der weitest proximal und der weitest distal gelegene Ur- sprung der Profunda selten angetroffen wird. Quain’s Angaben sind genauer und besser verwerthbar für uns. DuBRvuEIL bestimmte aus 108 Fällen die mittlere Ursprungshöhe der Profunda auf die Entfernung von 3,2 cm vom Ligamente (pag. 364). Jos. v. GERLACH (1891) beobachtete bei 100 Leichen den Ur- sprung der A. profunda 76mal 3—4 em distalwärts vom Leistenbande, 16mal dem letzteren mehr genähert und Smal von ihm weiter ent- fernt (pag. 856). Altere Autoren bemessen die Entfernung auf ca. 2,5—5,5 em. Scarpa nahm an, dass die Profunda nie weiter distal entspränge, während BELL den Profundaursprung 10,8 cm vom Leistenbande ent- fernt wahrnahm. Andere Angaben über die Entfernung der Profunda vom Leisten- bande bringen nichts Neues. MECKEL, Burns bemessen die normale Entfernung des Ursprunges der Profunda vom Leistenbande auf 1 bis Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 213 2 Zoll. BOURGERY bereits giebt die Länge der Strecke, auf welcher der schwankende Ursprung der Profunda sich zu befinden vermag, auf 4 Daumen an. In dem einen Extrem entspringt das Gefäß einen Daumen oberhalb des Leistenbandes (1835, pag. 111). CRUVEILHIER (1837, II, pag. 93) schätzt die Entfernung auf 1!/,—2 Zoll, selten tiefer, des öftern höher liegend; er erwähnt des Ursprunges in der Höhe des Leistenbandes und aus der Art. iliaca. Die normale Ent- fernung wird von ZAAIJER (1894, pag. 506) auf 4—5 cm, von Fres (1866, pag. 587) auf 1,5—2” geschätzt. Fres erwähnt des seltenen Ursprunges aus der Art. iliaca, des mehr proximalen und distalen Ursprunges aus der Art. femoralis, als es die Norm ist. SAPPEY (1868, pag. 662) bemisst z. B. die betreffende Strecke auf 4—5 cm, HyrtTL (1881) auf 1—1!/, Zoll, PAnsch (1881) auf 0,5—4 cm. GEGENBAUR (1892) giebt die Entfernung des Ursprungsortes vom Leistenbande auf 2—5 cm an; v. Lancer-Toupr (1893) und Aue. RAUBER (1893) bemessen sie auf 3—4, HerrzMann (1893, pag. 469) auf 2,5—4 cm. JoESSEL (1884) und Hi~pEBRAND (1894) bemessen die Entfernung vom Leistenbande in der Regel auf ca. 3, von den Artt. cireumflexa ileum et epigastr. inferior. auf 4 cm. Im Übrigen bezieht sich JoESSEL auf VIGUERIE’s (1837) Angaben. DBRÖSIKE (1886, pag. 372) lehnt sich, wie es scheint, wieder an JOESSEL an, indem er die gewöhnliche Entfernung vom Leistenbande auf etwa 3 cm bemisst. In wie weit solchen Angaben eigene Wahrnehmungen zu Grunde gelegt sind, ist oft nicht zu ermessen. Altes ist wohl oftmals einfach übernommen worden. Gray (1869) schätzt die ge- nannte Entfernung in der Regel auf 1—2 Zoll; sie beträgt einige Male weniger als 1 Zoll; der Profunda-Ursprung wird nach Gray selten in der Höhe des Leistenbandes gefunden. Gray erwähnt das je einmal vorliegende Verhalten des Ursprunges oberhalb des Liga- ments sowie des mehr als 4 Zoll von letzterem entfernten Ursprunges der Profunda (pag. 401). Man vgl. auch W. Krause (1880, pag. 175). Nach H. v. LuschkA’s Angaben (1863) beträgt die Entfernung vom Leistenbande in der Regel 4,5 cm; sie kann aber zwischen 2 und 8 em schwanken. Die Profunda vermag auch proximal vom Leisten- bande zu entspringen (pag. 443). Bei 51 Individuen habe ich das Ursprungsverhalten der Profunda genauer aufgenommen. Die Entfernung vom Leistenbande betrug imal 1 cm, 4mal 1—2 >» 1lmal 2—3 » 214 Georg Ruge 15mal 3—4 em, 13mal 4—5 » 7mal 5—6 imal 7—8 {imal + 3957 Unter 50 Fällen war die Entfernung also 26mal 3—5 cm, 37mal aber betrug sie 2—5 cm, d.i. 74%. Nach Quain wird die Ent- fernung von 2,5—5,1 cm etwa 67 % gefunden. Die Resultate wider- streiten einander nicht. Die Profunda entstand 4 cm distal vom Leistenbande auch in dem von HocHsTETTER (1890, pag. 301) mit- getheilten Falle, bei welchem die primitive Hauptschlagader, die A. ischiadica, entwickelt war. Dieser Befund wird vielleicht bedeutungs- voll für die Beurtheilung der Ursprungsstätten gemäß deren Indiffe- renz. Vergleichend-anatomische Daten sind bis jetzt nicht mit Nutzen heranzuziehen. Bei den Varietäten der Art. circumfl. later. und der A. profunda handelte es sich zunächst um die Bestimmung der Homologien nach dem jeweiligen Höhenursprunge aus der Art. femoralis. Die Varie- täten der A. circumflexa lateralis ließen sich gruppenweise in Unter- abtheilungen nach der Lage der ganzen Arterie oder deren Äste zu den Nerven sondern. Bei der Art. profunda handelte es sich zunächst um die Sonderung der Varietäten nach der Ursprungshöhe, wie bei der Circumfl. fem. later. Es ist indessen nicht möglich gewesen, Profundavarietäten nach deren verschiedenem Verhalten zu Nerven des Plexus lumbalis zu gruppiren. Hingegen ist es geboten, einige Abweichungen im Verlaufe der Profunda strengstens zu scheiden von anderen. Einen Maßstab gewinnen wir in der Vena femoralis. Wenn es verständlich ist, dass Profundaarten, welche von einer A. epigastr. sup. oder einer oberflächlich verlaufenden A. pud. ext. sich herleiten und durch das Gebiet des Peetineus und Adduct. longus streichen, medial von der Vena cruralis in die Tiefe sich senken, so handelt es sich in einigen anderen Fällen um völlig Eigenartiges. Ich rechne hierher den jüngst von ZAatER (1894, Fig. 2) bildlich dargestellten Fall: Die Profunda entspringt gemeinsam mit beiden Circumflexae femoris 3,5 em distal vom Leistenbande; sie wendet sich zwischen Art. und Vena femoralis vor- und dann medianwärts von letzterer in die Tiefe. Es handelt sich hier nicht um eine besondere Variation des Ursprunges (dieser stimmt mit denjenigen unserer Figg. 11 und 12 überein), sondern um eine seltsame Abweichung im Verlaufe. Ob für die hier eingeschlagenen Collateralbahnen normale kleine Arte- Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 915 rien vorgebildet sind, ist fraglich. Die bisher bekannt gewordenen abnormen Aa. prof. femoris, welche die Vena cruralis in oberfliich- licher Lagerung und in medialer Richtung kreuzen, theile ich in drei Gruppen. In die eine Gruppe gehören diejenigen Gefäße, welche, aus einer Art. epigastr. superfic. hervorgegangen, in der Nähe des Leistenbandes die Vene kreuzen (vgl. ZAALJER, 1894, Fig. 1). Zur zweiten Gruppe sind diejenigen Befunde zu zählen, in denen die A. profunda, aus einer oberflächlich gelegenen Art. pudenda ext. ab- leitbar, die Vena cruralis einige Centimeter distal vom Leistenbande schneidet (vgl. z. B. A. Scururtz, 1894). In die dritte Gruppe gehört der von ZAAIJER (1894, Fig. 2) beschriebene Fall. Hier handelt es sich um ausgebildete collaterale Bahnen, welche ihren Ausgangspunkt von einer normal entspringenden A. prof. fem. genommen haben. Entspringt die Art. profunda proximal vom Leistenbande, wel- ches Verhalten verschiedenen Autoren bekannt gewesen ist, so han- delt es sich um eine ganz heterogene Varietät. Die mit einer solchen zusammentreffenden topographischen Einrichtungen sind nicht genau beschrieben. Dennoch vermuthe ich, dass es sich bei diesen Pro- fundavariationen um die weitere Ausbildung eines kleinen Gefäßes handelt, welche einen Nervus obturatorius accessorius bei Arctopi-. theken, Platyrrhinen und bei einigen Catarrhinen zu begleiten pflegt (man vgl. hierüber Popowsky, 1894, pag. 65 ete.). Beim Gruppiren der Profundavarietäten können die hervor- stechendsten Merkmale herangezogen werden; jene können dann in Ursprungs- und in Verlaufsvarietäten geschieden werden. Eine aus der Art. epig. inf. entstandene und medial von der Vena cruralis gelegene Profunda vergegenwärtigt eine Kombination von variiren- dem Ursprunge und Verlaufe. Die Art. profunda entspringt unter 50 Fällen 26mal gemeinsam sowohl mit der A. circumfl. medialis als auch mit der Cireumfl. lateralis oder mit Theilen der letzteren. Gemeinsam mit der A. cir- cumflexa later. allein oder Theilen dieser entspringt die Profunda 19mal; 4mal ist sie allein mit der A. circumfl. medialis verbunden. Nur einmal ist die Profunda ganz selbstiindig angetroffen worden. SRB (1860) hat an 200 Extremitäten 124mal die Aa. eircumflexae aus der Art. profunda entstehen sehen. Die A. profunda umfasst also häufig die drei großen Gefäße, die zwei Circumflexae und die eigentliche Profunda. Die Anschauung ist selbst die gangbare 8e> worden, dass die drei Gefäße, zu einem Stamme vereinigt, als Äste einer A. profunda femoris aufgeführt werden. Auf dieser oft wahr- 216 Georg Ruge nehmbaren Erscheinung beruht auch die seit Alters her vertretene Auffassung, dass eine Art. femoralis communis in eine Art. fem. superfic. und in eine Art. fem. profunda sich spalte (vgl. MecKEL, CRUVEILHIER, BOURGERY, GRAY ete.). HyrrL (1881) betrachtet in Anlehnung an Mecken (1817), ÜRUVEILHIER, BOURGERY etc. die Profunda gar als die eigentliche Oberschenkelarterie, in so fern das sich fortsetzende Gefäß keine nennenswerthen Zweige mehr zur Muskulatur des Femur entsende. Eine solche Betrachtungsweise widerspricht dem thatsächlichen Verhalten nicht direkt, trifft mit demselben selbst völlig zusammen, wenn eine Art. ischiadica ausge- bildet und als Art. poplitea fortgesetzt ist. Diese von GREEN (1832), CAILLIARD (1833) und C. Rua (1863) beschriebene Varietät wird viel- fach in den Lehrbüchern erwähnt (vgl. v. LuscHKA, W. Krause, Fres (1866). | Zweifellos besteht die Tendenz, den Ursprung aller drei großen Äste zu einem gemeinsamen Stamme zu vereinigen. Es ist indessen völlig unzutreffend, wenn diese Kombination als die allein vorkom- mende aufgeführt wird (vgl. Gray, 1869, pag. 403; RAUBER, 1893, pag. 155; Herrzmann, 1893, pag. 466). Es bleibt festzustellen, wie ein solches Stammgefäß in der Beleuchtung vergleichender Forschung sich verhalte. In der Verbindung der Circumflexae mit der A. profunda ist die laterale Circumflexa die bevorzugte, während die Circumfl. medial. öfter selbständigen Ursprunges ist. EIsLer’s genaue Beobachtungen über die Gefäße eines Gorilla lehren, dass die Art. eircumfl. fem. medialis beiderseits selbständig in der Nähe des Schenkelbogens entspringt, dass die Art. profunda femor. indessen je eine Art. cir- cumfl. later. hervorgehen lässt (1890, pag. 12—14). PopowskY stellt das Ursprungsverhalten der Art. circumfl. fem. medial. beim Orang in einem wiihrend der Korrektur dieses Druckbogens mir zugehenden Aufsatze in gleicher Weise dar, wie EısLEer es vom Gorilla schildert (Popowsky, 1894, pag. 74, Fig. 4). Es liegt hier eine nähere Über- einstimmung mit dem menschlichen Verhalten in so fern vor, als die mediale Arterie kein Ast der Profunda ist. Erscheinen die beiden Circumflexae femoris als die starken Aste der Art. profunda, so wird deren Lage und Verlauf in Hinsicht auf die Art. femoralis mannigfaltig beeinflusst. Die Profunda kann nach ihrem Ursprunge sofort nach hinten, aber auch median- oder lateral- wärts von der A. femoralis zu liegen kommen. Da die Circumflexa lateralis sehr oft allein von der Profunda entspringt, so erklärt sich Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 917 daraus für letztere wohl die Tendenz, lateral von der A. femoralis abzuweichen (vgl. BOURGERY, Srp [1860] und G. JorsseL [1884)). Entspringt die Profunda in der Nähe des Leistenbandes, so ist sie von der A. femoralis meistens durch eine tiefere und mehr laterale Lage unterschieden. Hierauf weist JOESSEL neuerdings wieder hin. (Man vgl. auch BrösIıKE, 1886, pag. 373.) CRUVEILHIER hatte an- genommen, dass die Profunda bei hohem Ursprunge stets das late- rale Gefäß wäre (l. c. pag. 724), während DuBruEıL (1847, pag. 372) dasselbe dreimal in medialer Lagerung antraf. Da, wo die hohe Profunda zugleich die A. epigastr. inferior. abgab, hatte sie sich wohl aus Ästen derselben entwickelt. Es ist verständlich, dass die meist lateral gelegene hohe Profunda ein anderes Gefäß sein müsse, als die medial hoch entstehende A. profunda. ZAAIJER, FRIEDLOWSKY (1867) und SCHRUTZ beobachteten, wie wir sahen, je eine medianwärts über die Vv. cruralis et saphena maior sich wendende A. profunda femoris, welche eben so wie die durch DuBRuEIL wahrgenommenen Gefäße etwa aus Aa. pud. ext. oder Aa. inguinales sich entwickelt haben mogen. III. Arteria circumflexa femoris medialis. Die A. circumflexa femoris medialis ist sehr häufig, nach SrB unter 200 Fällen 150mal, ein Ast der Profunda. Sie entspringt aber auch nicht ganz selten selbständig aus der A. femoralis, zu- weilen gar aus der A. iliaca (vgl. CRUVEILHIER). Srp hat dies 48mal unter 200, ich habe es 13mal unter 45 Fällen wahrgenommen. Beim Gorilla hat EısLer solches beobachtet. Circumfl. med. und Prof. formten nach meinen Beobachtungen viermal einen Stamm. Einmal entsprang die Circumfl. med. mit der Circumfl. later. gemeinsam. Srp hat diesen Zustand zweimal wahrgenommen. Entspringen alle drei großen Äste der Schenkelarterie aus einem gemeinsamen Stamme, aus einem Truncus profundo-circumflexus perfectus (Barkow, 1869, pag. CI), so wird dieser am häufigsten 3—4 cm von der Rumpfgrenze entfernt gefunden. Unter 27 Fällen nahm ich dies Verhalten 11mal wahr, während nur 7mal der Ur- sprung des einheitlichen Gefäßes nicht mehr als 2—3 cm vom Leisten- bande sich entfernte. Fünfmal befand sich der Ursprungsort 4—5 cm, dreimal 1—2 cm und einmal 5—6 em distal vom Leistenbande. Ab- gesehen von der Vertheilung der Häufigkeit der verschiedenen Zu- stinde geht aus ihnen hervor, dass das jeweilig als Art. circumfl. 318 Georg Ruge medialis anzusprechende Gefäß eben so häufig ein anderswerthiges sein müsse, als die Profunda und die Circumfl. fem. later. bei ge- meinsamem Ursprunge sich als heterogene Gebilde herausstellen. Nach den obigen Auseinandersetzungen handelt es sich um vier, vielleicht aber um fünf heterogene Gefäße. Die drei großen Gefäße können in gleicher Höhe aus der A. femoralis entspringen (vgl. FLEs). Die lang bekannte Thatsache (vgl. SÖMMERING, 1792, pag. 314), dass bald die Cireumfl. later., bald die Cireumfl. medial. höher als die andere aus der Art. profunda sich loslösen könne, wird aufs Neue durch meine Beobachtungen bestätigt. Murray bewährte gegen HALLER, dass die Circumfl. fem. later. oft als erster Ast der A. pro- funda auftrete. In den vier Fällen gemeinsamer Entstehung von Circumfl. me- dialis und Profunda entfernt sich der von Barkow als Tr. prof.- eircumfl. imperfeetus bezeichnete Stamm je 1,5, 2,7, 3 und 4,8 cm vom Ligam. inguinale. Decken sich die drei letzteren Zustände mit solchen der vorhergenannten Gruppe, so stempelt der Ursprung dicht unter dem Leistenbande (vgl. Fig. 13 a) die Cireumfl. med. zu einem andersartigen Gefäße, als die bereits bezeichneten vier oder fünf Gat- tungen differenter Gefäße es umfassen. Wir fügen es einer neuen Gattung ein. Ein Befund, wie die Fig. 13«@ ihn veranschaulicht, leitet hin zu der aus der Litteratur bekannten Wahrnehmung eines Ursprunges entweder der Circumfl. fem. med. oder aber der A. prof. aus der Epigastrica inf. (MECKEL, FıscHer 1827, BOURGERY 1835, MicHELET 1837, QuAaın 1844, DuBRUEIL 1847 ete.). Zweifelsohne handelt es sich um ein ganz anderes Gefäß, sobald dasselbe gemein- sam mit der Art. circumfl. ileum int. entspringt und dadurch an die laterale Fläche der Art. femoralis zu liegen kommt. So ist die Cir- cumfl. femoris medialis der Fig. 13 @ sicherlich ein anderes Gefäß, als dasjenige der Fig. 30. QuAın beobachtete je einmal den Ur- sprung der Circumfl. fem. med. an die Epigastr. und Cireumfl. ileum geknüpft. Es ist wahrgenommen worden, dass nicht allein die Art. prof. und Circumfl, fem. medialis, sondern auch die Art. eireumfl. fem. later. in der Höhe des Leistenbandes von der A. fem. superfie. sich trennen. Dann kann wieder eine Modifikation sich einstellen, die man als eine Trifurcatio des Schenkelgefäßes bezeichnet (vgl. DugruEıL, 1847, pl. XIV). Meine Beobachtungen völliger Selbständigkeit der Circumfl. me- dialis, welche nach MEcKEL häufiger gefunden wird als solche der Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 219 A. circumfl. lateralis, vertheilen sich derartig, dass das Gefäß je dreimal bis zu 1 cm und 1—2 cm, viermal 2—3, zweimal 3—4 und einmal 4,3 em sich vom Leistenbande entfernte. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass eins dieser Gefäße Anspruch auf Angehörig- keit zu einer ganz neuen Gattung erheben könne. Die Circumfl. medialis kann, wie die Beobachtungen in der Litteratur bewähren, auch in der Höhe oder proximal vom Leistenbande entspringen (vgl. MEckEL, 1817). TıepEemAnn bildete zwei Zustände selbständigen Ursprunges der A. eircumfl. fem. medialis ab. Die Entfernung von der Rumpfgrenze betrug das eine Mal 1,7, das andere Mal aber 4 cm (1822, pl. 33, Fig. 3 und 4). Das Gefäß verlässt auf nebenstehender Fig. 30 die Schenkelarterie direkt unter dem Leistenbande, neben der Art. circum- flexa ileum. Dieser Thatbestand ist zugleich dadurch lehrreich, dass Epigastr. infer. und Circumfl. ileum nicht in gleichem Niveau das Hauptgefäß verlassen und die Lage- bestimmung des Leistenbandes an der Zeich- nung nicht mehr zu geben ist. Wir ver- lieren dadurch den Maßstab strengerer Beurtheilung der Ursprungsstätten der Fe- moralisiste. Ein Gleiches gilt für die Be- funde, welche auf Figg. 14 und 17 wiedergegeben sind. Hier müsste erst festgestellt werden, ob die Epigastrica oder die Circumflexa ileum die normale wäre. Hierher gehörige Varietäten der A. eireumfl. ileum und der A. epigastr. inferior sind schon älteren Autoren bekannt gewesen. MECKEL (1817) bemisst die Variationsbreite der Ursprungsstelle der A. epigastrica auf 2 Zoll; er nimmt mit Bıcmar und Murray den normalen Ursprung oberhalb des Schenkelbogens an. W. Krause sagt, dass, wenn das Gefäß distal vom Arcus cruralis entstehe, Äste zum M. pectineus, Rr. inguinales oder eine Art. pudenda externa von ihm abgegeben werden können. Quam beobachtete den Ur- sprung einer A. epigastr. inf. aus der Art. femoralis 16mal unter 213 Fällen. Lassen jene Angaben auf die Art der Entstehung einer abnormen Circumfl. ileum andeutungsweise schließen, so deuten diese statistischen Notizen auf keinen Pfad der Erkenntnis. Vermag ich aus den eigenen Beobachtungen auf eine fünf- oder Fig. 30. Art. und Nerv. fem. einer rechten Extremität. 2/. 220 Georg Ruge sechsfache Ursprungsmöglichkeit der Circumfl. med. aus der A. fe- moralis zu schließen, so sind hiermit sicherlich nicht alle heterogenen Entwicklungszustände der Circumfl. med. angegeben. Im Falle ge- meinsamen Ursprunges mit der Profunda erscheint letztere als Ast derselben, und als Profundaast wird die Circumfl. medialis nicht immer an derselben Stelle gefunden. Um dies zu verdeutlichen, müssen wir die gleichartigen Fälle zusammenhalten. Die Gleich- artigkeit erhellt aber für uns aus Übereinstimmung der Ursprungs- entfernungen des gemeinsamen Stammes vom Leistenbande. Diese Entfernungen gaben ja die Veranlassung zur Aufstellung der Haupt- gruppen der Circumflexae mediales. Ich stelle hier einige That- sachen tabellarisch zusammen, um raschen Überblick zu gewähren. Entfernung des gemeinsamen | Entfernung des Ursprunges der Stammes für Profunda und Cir- | Circumfl. med. aus der Profunda cumfl. medial. vom Leistenbande. vom Femoralisstamme. lg, A SS ce he ee En Fig. 20. Th) OS ie RR EL. 10°22 Fig. 26. i Se [SOR 1,9: os Arie eens | Fig. 24. j 2 Mens ee ae eer 2.0, ul, au at eee Fig. 18. | 32. RA N 3,3 | 2 ee. ees Se aR 3,0 ale sem he . Fig. 25. a Cl Dh Se 0,0 | BD... ae ee rn. Figg. 22 und 28. ee... . eS opti Mid ne. Fig. 23. ae SOBER a Se. nena Gere 1,8 Bit). vil. she aan 260 Laake ddt 4 eee Fig. 27. i) N. 2,4 BeBe. 5. See ae O02. SSS eee Figg. 11, 12, 21. Kan iy os ial. aa eee 0,1 hart vate ee | Mrs. ail See Fig. 5. ANB) SA aie eae 0,4 Os ee 1,0 Die unter 1, 2 und 3 aufgeführten Kombinationen gehören je zu einer Gruppe, und zwar in Folge der gleichen Abstände des Profunda-Circumflexa-Stammes vom Leistenbande. Die Art. eircum- flexa medialis unterscheidet sich indessen in jedem Einzelfalle einer der drei Gruppen nicht unwesentlich von den anderen Fällen durch die verschiedene Strecke, welche zwischen dem Ursprunge des Stam- mes aus der Art. femoralis und demjenigen der Cireumfl. aus der Profunda sich befindet. | Varietäten im Gebiete der Arteria femoralis des Menschen. 321 In der Gruppe 1, charakterisirt durch die Entfernung des Stamm- ursprunges von 2—2,5 cm vom Leistenbande, handelt es sich sehr wahrscheinlich um drei oder vier verschiedene Aa. eircumfl. mediales. In der Gruppe 2, charakterisirt durch den 3,0—3,6 cm vom Leisten- bande entfernten Ursprung des gemeinsamen Stammes, sind sehr wahrscheinlich drei verschiedene ins Gebiet der A. circumfl. medialis ziehende Arterien zu unterscheiden. In der Gruppe 3 handelt es sich sicher um zwei, vielleicht aber um drei heterogene Gefäße. Die Anzahl verschiedenartiger Gefäße vermehrt sich bei genauerer Durchsicht. Es werden sich ohne Zweifel noch andere Aa. circumfl. mediales ausfindig machen lassen. Sie werden an Zahl nicht unbe- grenzt sein. Die Varietäten der A. circumflexa medialis treten in allen Ab- schattirungen zu Tage: vom Zustande größtmöglicher Selbständigkeit an sehen wir den Gefäßursprung an andere Arterien geknüpft. Am häufigsten ist sie an die A. prof. fem. gebunden und unterliegt als Ast derselben einer ganzen Reihe von Schwankungen. Man trifft unter ihnen auch solche an, wo die A. circumfl. medial. als ge- schlossenes Gefäß fehlt, in ihr Gebiet aber verschiedene kleinere Arterien und zwar von verschiedenen Seiten verfolgt werden können. Es taucht auch hier wieder die Frage vor uns auf, ob der aufgelöste oder der ausgebildete Zustand einer Arterie je für den Ausgangspunkt eines anderen Zustandes beim Menschen gedient habe. Litteraturverzeichnis. JoHn BARCLAY, A description of the arteries of the human body. Edinburgh 1812. H. C. L. 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Die Anuren blieben von den dortigen Ausführungen ganz ausgeschlossen, und zwar geschah dies aus dem einfachen Grunde, weil ich damals über die ersten Entwicklungsvorgänge der betreffenden Muskeln bei Anuren mich nicht genügend informiren konnte, um mit genügender Sicher- heit die hier bestehenden einfacheren Verhältnisse mit den kompli- eirten Befunden bei Urodelen in Einklang zu bringen. Bekanntlich besitzen die Anuren in ihrer seitlichen Bauchwand nur zwei Muskeln mit gekreuzt schrägem Faserverlauf; an dieselben schließt sich gegen die ventrale Mittellinie zu ein einfacher Rectus an. Die beiden seitlichen Bauchmuskeln wurden verschieden beur- theilt. Der oberflächliche ist wohl stets als Obliquus externus be- zeichnet worden, während man den tiefen bald als Obliquus inter- ‘nus, bald als transversus auffasste. Bei Urodelen bestehen in der seitlichen Bauchwand vier Muskeln, welche ich als Obliquus externus superficialis, profundus, Obliquus internus und transversus Morpholog. Jahrbuch. 22. 15 226 F. Maurer bezeichnet habe, und an diese schließt sich ventralwärts noch das System des Rectus an, welches ebenfalls komplicirte Verhältnisse darbietet. Wir konnten bei Urodelen diese gesammte ventrale Muskel- masse in zwei Gruppen eintheilen, was durch ihre Entwicklung und durch ihre gegenseitige Beziehungen vor und nach der Metamorphose begründet wurde. Ich bezeichnete die embryonal zuerst auftretende Muskulatur als die primäre. Dieselbe ist während des Larvenlebens der Cadueibranchiaten am mächtigsten entfaltet, wie sie bei Perenni- branchiaten zeitlebens als wesentliche Bauchmuskulatur besteht. Aus ihr heraus differenzirt sich bei Cadueibranchiaten gegen das Ende des Larvenlebens eine zweite Muskelgruppe, die ich als sekundäre bezeichnet habe. Dieselbe gelangt erst nach der Meta- morphose zu mächtiger Entfaltung, während dann die primäre Mus- kulatur eine verschiedengradige Rückbildung erfährt. Bei Perenni- branchiaten bildet sich die sekundäre Muskelgruppe ebenfalls aus, stellt aber zeitlebens nur sehr zarte Muskellagen dar, während die primäre Muskulatur dominirt. Die primäre Muskulatur ist durch den Obliquus externus pro- fundus, den Obliquus internus und den Rectus profundus dargestellt. Diese Muskelgruppe bildet sich durch kontinuirliches Auswachsen vom Myotom aus und bleibt mit letzterem stets in direkter Ver- bindung. Wie Obliq. ext. prof. und Obliq. int. dorsal in der ein- heitlichen Muskelmasse zusammentreffen, so hängen sie auch ventral im Rectus prof. zusammen. Auch dies war durch die Entwicklung begriindet. Der Obliquus internus ist der zuerst sich bildende Bauch- muskel, der aus der medialen Lamelle des ventralen Myotomfortsatzes hervorgeht. Sein ventrales Ende bildet die erste Anlage des pri- mären Rectus, und von dessen ventralem Ende, das zugleich die ventrale Kante des Myotomfortsatzes darstellt, bildet sich, an der lateralen Fläche des Obliquus internus emporwachsend, der primäre Obliquus externus aus. Indem diesem letzteren von der dorsalen Urwirbelkante aus eine gleiche laterale Muskellage, ventralwärts herunterwachsend, entgegenkommt, wird ein zweischichtiger Zustand der gesammten Rumpfmuskulatur hervorgebracht, welcher allerdings nur ventral durch Schichten verschiedenen Faserverlaufs deutlich bleibt, in der dorsalen Muskelmasse durch die gleiche Verlaufsrich- tung der tiefen und oberflächlichen Muskelfasern eine einheitliche Muskelmasse darstellt. Am ventralen Ende treffen Obliquus externus profundus und Obliquus internus im geraden Faserverlauf auch wieder zusammen und bilden die einheitliche Masse des primären Rectus. Die ventrale Rumpfmuskulatur der anuren Amphibien. 927 Auf dem Boden dieser primären Muskulatur bildet sich nun aus ihr heraus die sekundäre Muskulatur. Wie dies geschieht, habe ich in der früheren Arbeit ausführlich geschildert. Es handelt sich nach meinen Befunden nicht einfach um Appo- sition von jungen Muskelfasern, welche sich aus embryonalen Muskel- bildungszellen entwickeln, auf diese Weise entwickelt sich nur die primäre Muskulatur. Jetzt finden vielmehr Wucherungs- und Zer- fallsvorgänge an den Elementen der primären Muskulatur statt, wo- durch die ersten Muskelfasern allerdings zu Grunde gehen, zugleich aber das Material für die neu sich bildenden Muskelfasern liefern. In der dorsalen Muskelmasse bilden sich unter diesen Vorgängen zahlreiche einzelne Muskelbündel aus, deren Mannigfaltigkeit da- durch veranlasst wird, dass diese Bündel in verschiedener Weise zu dem nun schon gebildeten Achsenskelet in Beziehung treten, welches ihnen zum Theil Ursprungs- und Insertionspunkte darbietet. Zu ge- sonderten Schichten kommt es in dieser dorsalen Muskelhälfte nicht. Solche bilden sich aber ventral aus. Indem auch hier in eben an- gedeuteter Weise Degenerations- und Neubildungsvorgänge auftreten, bilden sich erstens an der Außen- und Innenfläche des primären Obliquus externus und internus, und zweitens als ventrale Fortsetzung und an der Außenfläche des primären Rectus neue Muskellagen aus, und zwar außen der Obliquus externus superfieialis, innen der trans- versus und ventral der Rectus superficialis. Diese bilden die sekun- dire Bauchmuskelgruppe. Durch ihre Bildung wird der primäre Obliq. ext. zum Obliq. ext. prof., der primäre Rectus zum Rectus profundus. Den Vorgang der Bildung dieser Muskelgruppe habe ich zum Theil als Delamination von den primären Muskeln aus geschil- dert. Ihre Entstehung wird verständlich, wenn man bedenkt, dass die Zeit ihrer stärkeren Entfaltung erst mit der Metamorphose ein- tritt, zur Zeit, wo der Übergang vom Wasser- zum Landleben sich vollzieht. Damit werden für die Bauchmuskulatur beträchtlich ver- änderte äußere Verhältnisse geschaffen, hierdurch die Anforderungen, welche an sie gestellt werden, verändert, und unter diesem Einfluss der Änderung der Leistung entstehen jene beiden Muskelschichten aus den primären Muskeln. Die primäre Muskulatur bleibt in ver- schiedenem Maße erhalten. Es erscheint mir aber unzweifelhaft, dass die Elemente der primären Rumpfmuskulatur nicht allein das Material für die Bildung der sekundären Muskeln liefern, sondern dass in ihnen nur ein Theil des im ventralen Myotomfortsatz herab- gewachsenen Myoblastenmaterials enthalten ist, ein Theil des letzteren 15* 228 F. Maurer wird erst später zu Muskelfasern herangebildet. Dass solche gleichsam längere Zeit in indifferentem Zustand bestehen bleibende Myoblasten- zellen bei Urodelen eine große Rolle spielen, halte ich nicht für wahrscheinlich, sie sind für die Ausbildung der dort später bestehen- den Muskeln sogar gar nicht nothwendig. Die Bildung der Anuren- muskulatur ist aber ohne solche Elemente überhaupt nicht verständ- lich. Ich weise desshalb hier bereits auf das mögliche Vorhandensein solcher Zellen in späteren Entwicklungsperioden hin und werde die Berechtigung ihrer Annahme bei der Besprechung der Anurenbefunde des Näheren begründen. In Betreff der Anordnung der sekundären Muskulatur bei Urodelen ist von Bedeutung erstens ihre Lagebeziehung zu den Spinalnerven, zweitens die Begrenzung ihrer Ausdehnung, und drittens ihr Verhältnis zur primären Muskulatur eben in Bezug auf ihre Ausdehnung. Der Verlauf der Spinalnerven ist derart, dass die primäre Muskulatur durchweg lateral von den ventralen Ästen der Spinalnerven liegt, während der Transversus medial von den- selben zur Ausbildung kommt. Es liegt dann also der besagte Nerv zwischen dem Muse. transversus und Oblig. internus. Ich habe aber in meiner früheren Arbeit darauf hingewiesen, wie dies Verhältnis zum Nerven nur in Larvenstadien bei Cadueibranchiaten und stets bei Perennibranchiaten konstant besteht, wie dagegen bei ersteren nach der Metamorphose der Transversus zum Theil auch lateral vom Nervenstamme liegt und wie der letztere den Muskel durchbohrt, und zwar beim gleichen Thier in verschiedenen Seg- menten an ganz ungleichen Punkten, um dann erst zwischen dem Transversus und Oblig. internus weiter zu verlaufen. Daraus ergab sich zugleich eine wesentliche Stütze für die Anschauung, dass der Transversus sich aus dem Oblig. internus herausbildet. Diese Ver- hältnisse habe ich durch zahlreiche Abbildungen (l. e. Taf. V) ver- anschaulicht. Weiter erscheint von Bedeutung, dass die sekundären Bauchmus- keln im Gegensatz zu den primären allenthalben scharf abgegrenzte Gebilde darstellen. Der primäre Obliq. externus und Obliq. internus sind nur an der Seite des Bauches selbständige Muskeln, dorsal wie ventral setzen sie sich kontinuirlich in einheitliche Muskelmassen fort und vereinigen sich in ihnen. Der Obliq. ext. superficialis und der Transversus entspringen mit selbstiindigen Zacken und inseriren in dünnen, flächenhaft ausgebreiteten Sehnen (vgl. 1. e. Taf. VI Fig. 13). Eben so wird der Rectus superficialis sehr frühzeitig ein scharf ab- gegrenzter Muskel (vgl. 1. c. Taf. VI Fig. 14). Die ventrale Rumpfmuskulatur der anuren Amphibien. 229 Ferner sahen wir dort, wie die sekundären Seitenbauchmuskeln sich dorsalwärts ausdehnen können. Besonders tritt dies am Oblig. externus superfic. hervor bei Perennibranchiaten (vgl. 1. c. Taf. IV Fig. 9, wo ich dies Verhalten bei Menobranchus darstellte, und Taf. VI Fig. 12, wo es von Siren abgebildet ist). Es überlagert der Obliq. externus superfic. mit seiner Insertionslinie auch den lateralen Rand des Rectus superficialis. Endlich ist noch das Verhalten der ventralen Rumpfmuskeln zur Körpermetamerie zu beachten. Die primäre Muskulatur ist immer genau der Körpermetamerie entspre- chend segmentirt, und dieser Zustand kommt auch als der ursprüng- liche den sekundären Bauchmuskeln zu. Bei letzteren zeigt sich aber, dass dieses Verhalten sich ändern kann und dass die sekun- dären Muskeln dann gleichmäßige unsegmentirte Muskellagen dar- stellen können, deren Fasern glatt über die Myosepten der darunter- liegenden Muskeln wegverlaufen. Der Obliq. externus superficialis zeigt dies bei Triton (vgl. 1. c. Taf. IV Fig. 5), der Transversus lässt dies Verhalten bei vielen Urodelen in verschiedener Ausbildung er- kennen (vgl. l.c. Taf. V Fig. 1—10). Für letzteren Muskel ergiebt sich, dass die Bildung des unsegmentirten Verhaltens von seinem ventralen Insertionsende aus entsteht, indem die Fasern hier ins davorgelegene Segment sich ausdehnen. Eben so können auch die Ursprünge in das dahinter gelegene Segment rückwärts übergreifen (Muskelwanderung) (vergleiche hierzu |. c. Taf. V Fig. 10 mit Fig. 8 und 9). Alle diese Verhältnisse sind zu berücksichtigen, wenn man die Zustände, wie sie uns die Bauchmuskeln der Anuren darbieten, ver- stehen und mit dem bei Urodelen entwicklungsgeschichtlich und ver- gleichend-anatomisch bekannt gewordenen Verhalten in Beziehung bringen will. Ich beginne mit der Schilderung der ersten Entwicklungsvor- gänge bei der Bildung der ventralen Rumpfmuskulatur und bringe die in der Litteratur darüber vorliegenden Angaben nachher im Zu- sammenhang vor. Die erste Entwicklung der ventralen Rumpfmuskulatur bei Anuren. Die erste Anlage der ventralen Rumpfmuskulatur beim Frosch ist noch nicht mit der wünschenswerthen Genauigkeit in Vergleichung mit der Anlage der gleichen Muskulatur bei Urodelen und Fischen geschildert und abgebildet worden. Die Angaben KAsrner’s ‘sind 230 F. Maurer nur allgemeiner Natur und seine Beurtheilung der ventralen Anu- renmuskulatur ist auch eine ganz andere wie die meinige. Ich unter- suchte jüngst Kaulquappen von Rana und Bufo und will von Rana temporaria die Verhältnisse genauer schildern. Am besten erkennt man die Bildungsweise der Muskulatur an Querschnittserien, und da zeigt sich, dass die erste Anlage der ven- tralen Rumpfmuskulatur schon sehr frühzeitig auftritt, in einer Periode, wo die mächtige Volumszunahme des Abdomen durch das enorme Längenwachsthum des Darmrohrs noch nicht eingetreten ist. Das Jüngste Stadium bieten uns Kaulquappen von 5 mm Gesammtlänge. Bei solchen sind die äußeren Kiemen gerade in Bildung begriffen. Sie stellen kurze, am ersten kiementragenden Bogen bereits terminal getheilte kurze stummelförmige Fortsätze dar. An Querschnitten erkennt man, dass das Medullarrohr noch nicht die Anlage der weißen Substanz entwickelt hat. Die Chordazellen zeigen schon Vacuolenbildung. Alle Zellen sind noch dicht mit Dotterblättchen erfüllt. Zur Schilderung der uns interessirenden Ver- hältnisse wähle ich einen Querschnitt, welcher durch das sechste Kör- persegment hinter dem Gehörorgan gelegt ist (Taf. VI Fig. 1). Unter Medullarrohr und Chorda liegen zwei Zellen, welche der Hypochorda angehören und noch einen Zusammenhang mit dem Darmrohr er- kennen lassen. Die Aorta ist noch nicht gebildet. Das Darmrohr ist mit großen dotterreichen Zellen dicht erfüllt. Das Mesoderm ist schon weitgehend differenzirt. Zwischen dem Urwirbelbezirk und den Parietalplatten hat sich die Vornierenanlage ausgebildet, welche lateral vom Hautfaserblatt in mehrfachen Querschnitten der Vor- nierenkanälchen nachweisbar ist. Die Parietalplatten selbst sind noch nicht weiter differenzirt, sie bestehen aus gleichartigen kubi- schen Zellen, deren Plasmakörper ebenfalls mit Dotterblattchen er- füllt sind. Betrachten wir den Urwirbeltheil des Mesoderms genauer, so erkennt man die Hauptmasse, dargestellt durch seine mediale La- melle, welche als Muskelblatt bekannt ist und hier aus Massen dicht zusammengelagerter Muskelbildungszellen besteht. In letzteren sind noch keine kontraktilen Fibrillen differenzirt. Medial von dem Muskel- blatt findet man die Elemente des Sklerotoms, welche nicht mehr mit dem ventralen Ende des Urwirbels in Verbindung stehen. An der dorsalen Kante des Urwirbels schlägt das Muskelblatt lateral- wärts in die laterale Lamelle des Urwirbels um und letztere stellt eine einfache Lage kubischer Zellen dar, die nur lose zusammenlagern. Die ventrale Rumpfmuskulatur der anuren Amphibien. 231 Betrachten wir die ventrale Urwirbelkante, so sehen wir, dass die- selbe zu einem Fortsatze ausgewachsen ist, welcher ventralwiirts über die Vorniere eine Strecke weit herabreicht. Er endigt mit leicht kolbig verdicktem Ende, während er durch einen leicht ver- dünnten Stiel mit dem Urwirbel zusammenhängt. Dieser Fortsatz besteht aus ganz gleichartigen, mit Dotterblättchen erfüllten Zellen, die leicht abgeplattet sind. Man kann zwei Zellenlagen unterscheiden, eine mediale und eine laterale. Wie die mediale mit dem Muskel- blatte des Urwirbels in kontinuirlicher Verbindung steht, so hängt die laterale Lamelle mit dem Cutisblatt direkt zusammen. Am ven- tralen Ende dieses Fortsatzes gehen beide Zellenlagen in einander über. An den drei vor dem abgebildeten Schnitt gelegenen Seg- menten besteht der geschilderte Fortsatz in gleicher Weise, er reicht etwas weiter ventralwärts herab. Nach hinten, dem Schwanz zu, wird derselbe kürzer und zeigt sich am zehnten Segment noch kaum angedeutet. Aus dieser Schilderung erhellt, dass wir hier den ventralen Myotomfortsatz der Anurenlarve vor uns haben, welcher sich genau eben so verhält, wie der von mir geschilderte und abgebildete Fort- _ satz bei Siredonlarven. Dass er die Anlage der ventralen Rumpf- muskulatur darstellt, schließe ich einerseits aus der Gleichartigkeit mit den Zuständen bei Urodelen, ferner aus dem kontinuirlichen Zu- sammenhang mit dem Urwirbel und drittens aus seinem späteren Verhalten. Das fernere Schicksal des ventralen Myotomfortsatzes lässt sich an Kaulquappen von 7 mm Gesammtlänge erkennen. Diesem Sta- dium ist Taf. VI Fig. 2 entnommen, die einen Querschnitt des neunten Körpersegmentes darstellt. Alle Organe zeigen sich etwas weiter ge- bildet wie im vorigen Stadium. Am Medullarrohr hat sich die weiße Substanz entwickelt, die Chordazellen besitzen große Vacuolen, die Aorta stellt ein mächtiges Gefäß dar. Am Mesoderm ist Urwirbel und Parietalplatte zu unterscheiden. Zwischen beiden erkennt man den Wourr’schen Gang und die Cardinalvene im Querschnitt. Am Urwirbel sieht man, dass die Masse des Muskelblattes nun aus Muskel- faseranlagen besteht, in so fern schon kontraktile Fibrillen ausge- bildet sind. Die Zellen des dorso-medialen Bindegewebes, das aus dem Sklerotom entstanden ist, haben sich vermehrt und weiter ausge- dehnt. Die Zellen des Cutisblattes sind aus einander gerückt, stellen verästelte Elemente dar, die keine geschlossene Lage mehr bilden, das Cutisblatt hat sich somit zu embryonalem Bindegewebe aufgelöst. 232 F. Maurer Der ventrale Myotomfortsatz ist noch in kontinuirlichem Zusam- menhange mit dem Urwirbel. Er ist in doppelter Beziehung weiter gebildet als im ersten Stadium. Erstens ist er ventralwärts weiter herabgewachsen und zweitens sind seine beiden Lamellen nach ver- schiedener Richtung differenzirt. Die mediale Lamelle ist eine ge- schlossene Zellenlage, welche dorsal kontinuirlich aus dem Muskel- blatt des Urwirbels hervorgeht. Die laterale Lamelle ist zu einzelnen Zellen aufgelöst, eben so wie das Cutisblatt am Urwirbel, mit dessen Elementen sich auch ein gewisser Zusammenhang erkennen lässt. Die kolbige Anschwellung des ventralen Endes vom ventralen Myo- tomfortsatze ist nicht mehr in dem Maße ausgebildet, wie im erst- gebildeten Stadium. Dies weist darauf hin, dass von jetzt an das Wachsthum dieser Lamelle kein sehr intensives sein wird, und das ergiebt sich auch aus den weiteren Stadien. Es ist hier wieder die verschiedene Bedeutung der medialen und lateralen Urwirbellamelle zu betonen, die sich nicht nur am Urwirbel selbst, sondern auch an dessen ventralem Fortsatz mit großer Deutlichkeit ausspricht. Die mediale Lamelle liefert zuerst Muskelelemente, die laterale löst sich zunächst zu verästelten Zellen auf, welche von embryonalen Binde- gewebszellen nicht zu unterscheiden sind. Gehen wir nun zum dritten Stadium über, so zeigt sich hier bei Kaulquappen von circa 1 cm Gesammtlänge der Beginn eines mächtigen Längenwachsthums am Darmrohr und damit nimmt das Abdomen der Kaulquappe enorm an Umfang zu. Dies beeinflusst naturgemäß auch die Theile, welehe die äußere Bauchwand zusam- mensetzen, dieselben werden mächtig ausgedehnt. Taf. VI Fig. 3 stellt einen Querschnitt durch das zehnte Segment einer Kaulquappe von 1 em Länge dar, diese Abbildung schließt sich somit unmittelbar an das in Fig. 2 gegebene Stadium an. Abgesehen von der Weiterentwicklung der Organanlagen fällt am meisten in die Augen die reichliche Ausbildung von embryonalem Bindegewebe, welches in Form sehr zahlreicher verästelter Zellen alle Organanlagen umgiebt. Die Parietalplatten des Mesoderms stellen nur sehr dünne Epithellagen dar. Die genauere Art und Weise der Entwicklung des Bindegewebes habe ich von Siredonlarven schon genau geschil- dert (Morphol. Jahrbuch. Bd. XVII). Die Vorgänge spielen sich bei Anuren in ganz gleicher Weise ab, ich brauche darauf hier nicht weiter einzugehen. Betrachten wir genauer das Schicksal des Urwirbels mit seinem ventralen Myotomfortsatze, so finden wir, dass die Muskelmasse des Die ventrale Rumpfmuskulatur der anuren Amphibien. 933 Urwirbels selbst aus fertig gebildeten Muskelfasern besteht, die in ihrer Anordnung jene von mir letzthin geschilderten Bandbezirke (Morphol. Jahrb. Bd. XXI) erkennen lässt, wie das auf Taf. VI Fig. 3 leicht an- gedeutet ist. Suchen wir nach dem ventralen Myotomfortsatze, so sehen wir, dass derselbe nicht mehr mit der Muskelmasse des Urwirbels in Zusammenhang steht, wie es im vorigen Stadium noch der Fall war. Derselbe ist aber auch nicht einfach als einheitliches Gebilde von dem Urwirbel abgelöst, sondern er erscheint mehrfach zertheilt, in eine srößere Anzahl von Stücke gleichsam zersprengt. Eine einheitliche stärker hervortretende Lamelle stellt nur das ventrale Ende des ur- sprünglichen Myotomfortsatzes dar (Fig. 3 v). Dorsalwärts lassen sich noch einige Zellenkomplexe erkennen, die in der übrigen Binde- gewebsmasse deutlich durch die Färbung und Gruppirung der Zellen hervortreten. Je mehr man sich dorsalwärts der Urwirbel-Muskel- masse nähert, um so spärlicher und weniger hervortretend werden diese Elemente. Es ergiebt sich daraus die wie mir scheint sehr wichtige Thatsache, dass unter dem Einfluss der Auftreibung des Abdomens durch die voluminöse Darmentfaltung und die dadurch verursachte Ausdehnung und Spannung der Bauchwand die im ventralen Myo- tomfortsatze bestehende Anlage der ventralen Rumpfmuskulatur nicht einfach als einheitlicher Streifen abgelöst wird, wie dies bei Uro- delen nach meinen früheren Schilderungen am Kopfende unter dem Einfluss der mächtig sich entwickelnden Kopfniere der Fall ist, son- dern dass hier eine mehrfache Zertheilung dieser ventralen Muskelanlage stattfindet, die naturgemäß auch die spätere Ausbildung der Bauchmuskulatur beeinflussen muss. Wie verhalten sich in diesem Stadium die mediale und laterale Lamelle des zertheilten Myotomfortsatzes zu einander? Aus Verglei- chung mit dem vorigen Stadium ergiebt sich, dass wir in den noch zusammengeschlossenen Zelllamellen des abgelösten und zertheilten Myotomfortsatzes nicht Theile der lateralen Lamelle dieses Fortsatzes mehr erblicken dürfen, denn diese Lamelle war schon im vorigen Stadium, wo noch ein kontinuirlicher Zusammenhang mit der Muskel- masse des Urwirbels bestand, in einzelne zerstreute Zellen aufgelöst. Man wird also nicht erwarten können, dass diese zerstreuten Ele- mente sich hier wieder zu geschlossenen Gruppen vereinigt haben. Vielmehr erblicke ich in jenen Gruppen nur Theile der medialen Lamelle des Myotomfortsatzes, während die Zellen von dessen late- raler Lamelle eben so in dem embryonalen Bindegewebe gegen die Epidermis zu vertheilt liegen, wie es die Zellen des Cutisblattes 234 F. Maurer weiter dorsal, lateral von der Urwirbel-Muskelmasse ebenfalls zeigen. Eine Vergleichung mit Fig. 2 wird die Berechtigung dieser Auffas- sung zweifellos ergeben. Zu bemerken ist noch, dass in den Elementen des zertheilten Myotomfortsatzes noch nirgends kontraktile Fibrillen differenzirt sind. Wenn ich, um mit diesem Stadium abzuschließen, noch einen Blick auf das Gesammtverhalten der Rumpfmuskulatur werfe, so zeigt sich, dass die dorsale Stammmuskulatur, welche sich aus dem Urwirbel entwickelt, vom Gehörbläschen bis zum Schwanzende gleich- mäßig ausgebildet ist. Vom vordersten Segment an bis zum After hin hat sich der ventrale Myotomfortsatz in der oben ausgeführten Weise völlig von dieser Muskelmasse abgelöst, an Querschnitten, welche durch das den Anus tragende Körpersegment gelegt sind, erkennt man aber, dass der nach vorn abgelöste Myotomfortsatz noch mit der dorsalen Muskelmasse in direktem Zusammenhang steht, wie dies in früheren Stadien (vgl. Fig. 1 und 2) auch an den. vorderen Rumpfsegmenten der Fall war. Weiter hinten am Schwanz ver- schwindet der ventrale Fortsatz des Myotoms. Am Kopfende treten die abgelösten ventralen Muskelzellenanlagen mit den sich gerade differenzirenden ventralen Theilen des Kiemenbogenapparates in Ver- bindung (vgl. Gorrre und KÄSTNER). Nehme ich nun das folgende Stadium zur Hand, so finde ich dies bei Kaulquappen von 13 mm Gesammtlänge, und einer solchen entstammt der Querschnitt Taf. VI Fig. 4. Derselbe ist dem neunten Segment hinter dem Gehörbläschen entnommen. In diesem Stadium haben sich innerhalb des embryonalen Bindegewebes unter der Haut weit ausgedehnte Lymphräume entwickelt. Sucht man nach der von der dorsalen Rumpfmuskelmasse abgelösten Anlage der ventralen Rumpf- muskulatur, so erkennt man, dass sich ein einziger Bauchmuskel ent- wickelt hat, der als nicht allzu breiter Streifen beiderseits medialwärts von dem erwähnten Lymphraum dem embryonalen Bindegewebe der Bauchwand eingelagert ist. Dieser Muskelstreifen ist von GOETTE und Anderen, zuletzt von KÄsrtnEr genauer beschrieben worden. In Bezug auf die Ausdehnung und die Deutung dieses primären ersten Bauchmuskels habe ich den Ausführungen KÄsrner’s nichts hinzuzufügen. Der Muskel stellt die erste Anlage eines Obliquus internus dar, wie sich aus dem Verlauf seiner am weitesten dorsal angeordneten Fasern ergiebt, die eine leicht schräge Anordnung im Sinne dieses Muskels bei Urodelen zeigen. Die am meisten ventral gelegenen Fasern haben einen geraden Verlauf und stellen einen Die ventrale Rumpfmuskulatur der anuren Amphibien. 235 primären Reetus dar, der den kompaktesten Theil des ganzen ven- tralen Rumpfmuskels bildet. Die Muskelfasern zeigen kontraktile Fibrillen excentrisch entwickelt, jede Muskelfaser besitzt einen oder zwei bis vier hinter einander gelagerte ovale Kerne, welche einer Seite der Fibrillengruppe angelagert sind. In diesem Stadium finden wir den gleichen Zustand, wie ich ihn von Urodelen (Siredon) früher geschildert habe (vgl. l..c. Taf. IV Fig. 14 und 15). Ein wesent- licher Unterschied beruht nur darin, dass hier dieser Muskel völlig und für immer von der dorsalen Rumpfmuskelmasse abgelöst ist, während er bei Siredon in dauernder Verbindung damit bleibt, nur am vordersten Ende löst er sich unter dem Einfluss der voluminösen Vorniere davon ab. Ein anderer Unterschied aber besteht noch bei Anuren gegenüber den Verhältnissen bei Urodelen, ein Unterschied, dem ich aber nur eänogenetische Bedeutung zuschreiben kann. Bei Urodelen schilderte ich, wie die Ausbildung der kontraktilen Fibrillen, also die Ausbildung von Muskelfasern dorsal beginnt und gleichmäßig ventralwärts fortschreitet, so dass von der dorsalen Muskelmasse aus kontinuirlich ventralwärts fortschreitend die Ausbreitung der Muskel- fasern erfolgt. Hier ist dies in so fern anders, als, wohl den Be- dürfnissen entsprechend, die am meisten ventral gelegenen Zellen zuerst zu Muskelfasern herangebildet werden. Von diesen Fasern aus breitet sich die Muskellage nicht nur ventralwärts weiter aus, indem das ventrale Ende hier wie bei Siredon ein Vegetationspunkt bleibt, sondern, und darauf muss ich den größten Werth legen, auch dorsalwärts findet eine weitere Ausdehnung statt. Es werden hierbei die dorsal von der am meisten ventral gelegenen Zellen- lamelle zerstreut angeordneten aus einander gesprengten Zellenkom- plexe in Anspruch genommen (vgl. auf Taf. VI Fig. 3). Es scheint mir von größter Bedeutung, dass es hier sicher nach- weisbar ist, wie zwischen dem ventralen Rand der Ur- wirbelmuskelmasse und dem dorsalen Rand des davon abgelösten ersten ventralen Muskelstreifens noch un- regelmäßigvertheiltabgelösteZellenkomplexeim Binde- gewebe sich befinden, die allmählich zur Muskelbildung herangezogen werden. Während des späteren Larvenlebens bleibt längere Zeit dieser vorher geschilderte einfache Muskel als einziger Bauchmuskel be- stehen. Er wurde schon von GOETTE in seiner Anordnung richtig erkannt und in dem Atlas zur Entwicklungsgeschichte der Unke auf Taf. XVIII Fig. 325 und 326 in Seitenansicht dargestellt. 236 F. Maurer Ich gebe im Totalquerschnitt Taf. VI Fig.5 den Befund der primären ventralen Rumpfmuskulatur einer Kaulquappe von Rana temporaria von 19 mm Gesammtlänge wieder. Bei Urodelen fand ich, dass in unmittelbarem Anschluss an den primären Obliquus internus und Rectus von letzterem aus, und zwar von seinem ventralen Ende aus an der lateralen Fläche desselben emporwachsend, sich der primäre Obliquus externus entwickelt. Dies trat bei Siredon schon in früher Larvenperiode ein. Bei Anuren finden wir nichts Derartiges. Die Weiterentwicklung der ventralen Rumpfmuskulatur vollzieht sich vielmehr anders. Sie tritt erst ein, wenn die Larve kräftige Extremitäten entwickelt zeigt und nahe vor der Metamorphose steht. In dem entsprechenden Stadium beginnt bei Urodelenlarven die Entwicklung der sekundären Bauchmusku- latur. Bei Anuren sehen wir, dass in der Bauchwand zwei neue Muskeln auftreten, welche beide ventral von der unteren Kante der dorsalen Muskelmasse beginnen, ohne indessen mit dieser Muskulatur in Verbindung zu stehen. Der eine dieser Muskeln liegt lateral vom primären Obliquus internus, der andere medial davon, so dass sie jenen zwischen sich fassen. Ventralwärts erstrecken sich diese Muskellagen nicht bis zum ventralen freien Rande des primären Rectus, sondern der letztere bleibt zum größten Theil unbedeckt von Muskeln, sowohl an seiner inneren wie äußeren Oberfläche, er stellt den einzigen Muskel seitlich von der ventralen Mittellinie dar. In Betreff der Bildungsweise der beiden gleichzeitig auftreten- den späteren Muskeln bei Anurenlarven ist zu erkennen, dass beide nicht von einem Punkte aus sich bilden und von diesem aus sich ausdehnen, sondern dass sie sofort als gleichartige dünne Muskel- lagen entstehen, welche von vorn herein die Ausdehnung zeigen, welche ihnen auch späterhin zukommt. Wo stammen diese Muskeln her? welchen Muskeln der Urodelen sind sie homolog? und wie sind sie zu bezeichnen? Um die Herkunft dieser Muskeln zu beurtheilen, ist zunächst die Thatsache festzuhalten, dass sie beide durchaus gleichzeitig und gleichartig entstehen. Ihre Elemente sind zuerst äußerst feine zarte, lang gestreckt spindelförmige Zellen, in deren Plasmakörper kon- traktile Fibrillen excentrisch auftreten. Ob mehrere Zellen zur Bil- dung einer späteren Muskelfaser sich zusammenlagern, wie das von mehreren Autoren, u. A. von GOETTE genauer ausgeführt wird, habe ich nicht untersucht, sehe aber keinen Grund, diese Thatsache von der Hand zu weisen. Die Herkunft dieser Muskelbildungszellen kann Die ventrale Rumpfmuskulatur der anuren Amphibien. 237 eine dreifache sein. Sie können erstens hervorgehen aus den Ele- menten des primären Bauchmuskels, die auch hier einen theilweisen Zerfall erleiden, nachdem ihre Kerne mächtig proliferirt haben. Zur Veranschaulichung dieser Möglichkeit bitte ich Taf. VI Figg. 5 und 6 zu vergleichen. Auf Fig. 5 erkennt man, dass der primäre Bauchmuskel an der seitlichen Bauchwand eine große Ausdehnung besitzt. Er hat sich in zwei Theile gesondert, einen ventralen und einen weiter dorsal angeordneten Theil. Ersterer ist der primäre Rectus, welcher aus jüngeren Muskelfasern besteht, in ihm findet eine intensive Weiter- vermehrung der Muskelfasern statt und er stellt eine kompakte ge- schlossene Muskelplatte dar. Von ihm gesondert und aus einzelnen zu zerstreuten Fasergruppen vereinigten sehr dieken Muskelfasern bestehend, erstreckt sich der dem Musculus obliquus internus der Urodelenlarven homologe Muskel weit dorsalwärts in der seitlichen Bauchwand empor, von z—zz. Alle diese Fasern, eben so wie der primäre Rectus, sind zwischen Pigmentzellen eingelagert, welche eine den ganzen Körper der Kaulquappe umgebende Schicht dar- stellen. Diese Pigmentschicht, welehe dorsalwärts über die dorsale Muskelmasse hinweg der Epidermis genähert hinzieht, ist schon von vielen Autoren beobachtet worden; ihre Beziehung zur Muskulatur, die mir bedeutungsvoll erscheint zur Beurtheilung der Muskelschichten, wurde aber noch nicht gewürdigt. Die dieken Muskelfasern, welche hier den Obliquus internus zusammensetzen, sind sehr voluminös und lassen vielfach Vermehrung der Kerne und zugleich eine Veränderung der kontraktilen Substanz nachweisen, die sich an Querschnitten als eine homogene glänzende Masse darstellt, während an isolirten Fa- sern eine Querstreifung nicht mehr zu erkennen ist. Diese Vorgänge sind somit degenerativer Natur für die alten Fasern selbst; allein die Zerfallsprodukte, d. h. zahlreiche Kerne, deren jeder mit spär- lichem Plasma umgeben ist, können sehr wohl Bildungsmaterial für neu entstehende Muskelfasern darstellen. Nun zeigt aber Fig. 6, dass die beiden nach außen und innen vom primären Obliquus in- ternus entstehenden Muskeln außerhalb resp. innerhalb der vorhin erwähnten Pigmentzellen liegen, es muss also, wenn eine Betheili- gung der Elemente des Obliquus internus am Aufbau jener beiden neuen Muskeln stattfinden soll, ein Hindurchtreten dieser Myoblasten- zellen durch die Pigmentzellenschicht nachweisbar sein. Die zweite Möglichkeit für die Bildung der beiden neuen Muskeln ist die, dass jene bei der Ablösung des ventralen Myotomfortsatzes 238 F. Maurer von der Urwirbelmasse zertheilten Zellgruppen seither in indifferentem Zustande verharrten und nunmehr, sich zu Muskelfasern heranbildend, das Material für diese jungen Muskeln liefern. Endlich die dritte Möglichkeit ist die, dass der ventrale Myotomfortsatz überhaupt nicht das Material für die beiden jungen Muskeln giebt, sondern dass die- selben von Elementen der Parietalplatten stammen. Die Entschei- dung dieser Fragen erscheint sehr schwierig, ja unmöglich, wenn man die Anurenlarven allein kennt. Nimmt man aber die Urodelen und die Amnioten zur Vergleichung heran, so kann man an der Hand der bei Anuren sich ergebenden Thatsachen doch zu einem Resultat gelangen. Dass die Parietalplatten das Material für die beiden jungen Muskeln liefern, ist von vorn herein von der Hand zu weisen. Es ergiebt sich dies aus der Vergleichung einerseits mit Urodelen, wo ich die Herkunft auch der sekundären Bauchmus- kulatur durch Delamination aus der primären Muskulatur nachge- wiesen habe. Eben so differenzirt sich die ganze geschichtete Bauch- muskulatur der Amnioten, wie dies von vielen Autoren im Allgemeinen angegeben wird (KOLLMANN, KASTNER u. A.), und wie ich an Ei- dechsen-, Hühnchen- und Kaninchenembryonen mit Sicherheit nach- weisen konnte, ebenfalls aus ventralwärts vom Myotom hervorwach- senden Zelllamellen. Es ist nicht anzunehmen, dass die Anuren in einer so wichtigen Organdifferenzirung eine Ausnahme machen sollten, und man hat sehr wohl das Recht, auch hier eine Differenzirung der späteren Bauchmuskulatur aus dem primären Myotomfortsatz vorauszusetzen. Zweifellos wird, wie ich schon angab, aus dem degenerirenden primären Obliquus internus Bildungsmaterial für neue Muskelfasern gebildet, es entsteht aber kein Obliquus internus mehr, sondern die neuen Muskeln liegen medial und lateral von ihm, und nur diese beiden Muskeln finden sich beim Frosch nach der Metamorphose. Dass der innere und äußere Muskel Material vom Obliq. internus beziehen, ist nach der Vergleichung mit Siredon nicht anzunehmen. Dort bildet sich nur der Transversus aus dem Obliq. internus durch Abspaltung, während der Obliq. externus sich selbständig entwickelt und durch Abspaltung den Obliq. ext. superfieialis hervorgehen lässt. So betrachte ich auch den medialwärts vom primären Obliquus internus entstehenden Muskel als ein Abspaltungsprodukt dieses Muskels. Man findet in der That an Kaulquappen, welche einem zwischen Fig. 5 und 6 stehenden Stadium entsprechen, Zustände, welche dies begründen. Man erkennt daran, dass die aus dem Die ventrale Rumpfmuskulatur der anuren Amphibien. 939 Zerfall der Obliquus internus-Fasern hervorgehenden kleinen Zellen zum Theil zwischen den alten dicken Fasern liegen, zum Theil an seiner medialen Fläche nachweisbar sind, dabei theilweise noch innerhalb der Pigmentzellenschicht liegen, theilweise medial von ihr auftreten, und hier bilden sie die Mutterzellen des inneren Muskels. Schwieriger ist die Herkunft dieser Muskelbildungszellen weiter dor- sal vom dorsalen Rande des Obliquus internus festzustellen und doch treten zweifellos auch hier, und zwar bis gegen die dorsale Muskelmasse hin, solche Zellen auf. Diese können nur von hier liegen gebliebenen noch indifferenten Zellen des ventralen Myotom- fortsatzes abgeleitet werden. Dass solche zertheilten Zellkomplexe hier thatsächlich blieben, habe ich oben ausgeführt (vgl. Fig. 3). Da diese Elemente dem Obliquus internus zweifellos angehören, so wird die Betheiligung dieser Elemente an dem Aufbau des medialen Muskels auch verständlich. Der lateral vom Obliquus internus entstehende Muskel erscheint in seiner Herkunft schwieriger erkennbar, und doch wird man auch hier zu einem Resultat kommen bei Vergleichung mit den Verhält- nissen der Urodelen. Bei letzteren bildete sich in früher Larven- periode lateral vom Obliquus internus, von dessen ventraler Kante aus heraufwachsend, der primäre Obliquus externus aus, und erst von diesem aus entstand durch Abspaltung kurz vor der Metamor- phose ein Obliquus abdominis externus superficialis. Hier kommt es nun überhaupt nicht zur Bildung eines Obliquus externus in früher Larvenzeit, sondern es entwickelt sich erst kurz vor der Metamor- phose ein einziger Obliquus externus ganz gleichzeitig mit dem medial vom Obliquus internus gelegenen Muskel. Dieser Muskel kann nur aus bis zu seiner Bildung indifferent gebliebenen Muskelbildungs- zellen entstehen, welche entweder ebenfalls bei dem Herabwachsen des ventralen Myotomfortsatzes hier zunächst indifferent liegen blieben oder aber vom ventralen Ende dieses Fortsatzes aus längs dessen lateraler Fläche in die Höhe rückten und dann in einer bestimmten Entwicklungsperiode sich zu Muskelfasern heranbildeten. Ich neige dieser letzten Auffassung zu, und zwar aus verschiedenen Gründen. Erstens sahen wir, wie die laterale Zellenlamelle des ventralen Myo- tomfortsatzes eben so wie die Cutislamelle am Urwirbel selbst sich auflöste und wie ihre Zellen sich in verästelte Bindegewebszellen weiterbildeten, eben so wie dies auch bei Urodelen der Fall ist. In solchen Zellen erblicke ich aber nicht die indifferenten Myoblasten- zellen. Ferner schließe ich diesen Bildungsmodus aus Vergleichung 9240 F. Maurer mit den Verhältnissen bei Urodelen, wo der primäre Obliquus ex- ternus in dieser Weise zur Ausbildung kommt; damit soll aber der hier bei Anuren sich bildende Muskel nicht mit jenem Urodelen- muskel fiir homolog erklirt sein. Endlich schlieBe ich es noch aus der ventralen Grenze des fraglichen Muskels. Von einer bestimmten Stelle aus, nachdem der ventrale Myotomfortsatz eine Strecke weit herabgewachsen ist, findet an seiner lateralen Fläche ein Empor- rücken von Myoblastenzellen statt; wächst dann von hier aus der Myotomfortsatz ventralwärts noch weiter herab, so bildet er eine ein- heitliche Masse, die nur zum Rectus wird. Die in einer bestimmten Entwicklungsperiode an seiner lateralen Fläche heraufgerückten Zellen haben sich selbständig gemacht und völlig vom primären Muskel abgelöst. Aus dieser ganzen Entwicklungsweise ergiebt sich nun, welchen Muskeln der Urodelen die beiden spät gebildeten seitlichen Bauchmus- keln der Anuren homolog sind. Der medial vom Obliq. internus ent- stehende Muskel ist dem Musculus transversus der Urodelen homolog und der lateral vom Obliquus internus sich ausbildende ist homolog dem Obliquus abdominis externus der Urodelen, und zwar nicht dem primären profundus, sondern dem sekundären superficialis. Ein pri- märer Oblig. ext. wird bei Anuren in früher Larvenperiode über- haupt nicht gebildet, sondern erst später in dem gleichen Stadium, in welchem bei Urodelen der Transversus und Obliq. ext. superficialis sich ausbilden, entwickelt sich mit dem Transversus bei Anuren der einzige Obliquus externus aus dem gleichen Material, welches bei Urodelen beide Obliqui externi hervorgehen lässt. Der hier sich bildende Muskel hat alle charakteristischen Eigenschaften, welche dem Obliquus externus superficialis der Urodelen zukommen. Dies wird durch sein Verhalten bei ausgebildeten Anuren noch weiter be- gründet. So sehen wir den Zustand sich herstellen, wie er im Querschnitt auf Fig. 6 dargestellt ist. Derselbe ist einer großen Kaulquappe von 2 cm Länge entnommen, die kurze Zeit vor der Metamorphose steht. Die Hinterextremitäten sind schon stark ausgebildet und die vorderen würden in 3—5 Tagen aus dem Kiemensack durchgebrochen sein. Die aus dem Urwirbel selbst hervorgegangene Muskelmasse hat sich in zwei Hälften, eine dorsale und eine ventrale, getheilt, welche durch die Anlagen der Rippen getrennt sind. Die mächtige ventrale Masse liegt der Seite der Chorda dorsalis an und dient wie die dor- sale Hälfte zum Aufbau der Muskulatur der Wirbelsäule. Ganz te Die ventrale Rumpfmuskulatur der anuren Amphibien. 941 abgelöst von dieser Stammmuskulatur ist die aus dem ventralen Myotomfortsatz entstandene Bauchmuskulatur, welche aus drei Mus- keln besteht: zwei seitlichen Bauchmuskeln, deren äußerer den Obliq. ext. darstellt, der innere ist der Transversus. Ein Obliq. int. besteht nicht mehr, nur sein ventrales Ende ist in dem lateralen Theile des dritten vorhandenen Muskels des Rect. abdom. (Fig. 6 a—d) erhalten. Vergleichung der Entwicklungsvorgänge bei der Bildung der Bauch- muskulatur von Urodelen und Anuren. Nach den seither gegebenen Schilderungen können wir nun eine Vergleichung der Entwicklungsvorgänge an der ventralen Rumpf- muskulatur der Anuren mit den gleichen Vorgängen bei Urodelen, wie ich sie früher schilderte, vornehmen. Bei beiden Formen entsteht, nach Ablösung des Urwirbels von den Parietalplatten des Mesoderms und nach Abstoßung des Sklero- toms von ersterem, von dem als Myotom bezeichneten übrigen Theil des Urwirbels ein ventralwärts zwischen Somatopleura und Ektoderm herabwachsender lamellöser Fortsatz, welcher eben so wie das Myo- tom zwei Lamellen unterscheiden lässt, eine mediale und eine late- rale, die am ventralen Ende in einander umbiegen. Die Zellen, welehe diesen Myotomfortsatz zusammensetzen, ver- halten sich in der medialen und lateralen Lamelle eben so bei Anuren wie bei Urodelen verschieden, in so fern die Zellen der medialen Lamelle eine geschlossene Lage darstellen, während die Elemente der lateralen Lamelle sich von einander trennen und zu verästelten embryonalen Bindegewebszellen werden. Diese Diffe- renzirung tritt schon ein, wenn der ventrale Myotomfortsatz erst eine kurze Strecke weit ventral heruntergewachsen ist und bei Anuren wie Urodelen noch mit dem Myotom in Zusammenhang steht. Bei Urodelen bleibt dieser Fortsatz im ganzen Rumpfbezirk mit dem Myotom stets in Verbindung, bei Anuren wird er unter dem Einfluss des enorm in die Länge wachsenden Darmes und der da- durch verursachten Auftreibung der Bauchwandung vom Myotom abgetrennt, wobei er in zahlreiche kleine Zellenkomplexe zertheilt wird, mithin nicht als einheitliche Masse sich ablöst. Dies ist spe- ciell für die mediale Lamelle von Bedeutung. Die Heranbildung der Zellen des Myotomfortsatzes zu Muskel- fasern beginnt bei beiden Formen an der medialen Lamelle. Be Urodelen nimmt dieser Vorgang vom ventralen Ende des Myotom Morpholog. Jahrbuch. 22. 16 242 F. Maurer seinen Anfang und schreitet ventralwärts fort, bei Anuren beginnt er nach Ablösung und Zertheilung des Fortsatzes an seinen mittleren Elementen und schreitet ventral- und dorsalwärts fort. Der so ent- stehende erste primäre Bauchmuskel ist der Obliquus internus bei beiden Formen. Sein ventrales Ende stellt die Anlage des primären Rectus abdominis bei beiden Formen dar. Während bis zu diesem Stadium die Entwicklungsvorgiinge bei Anuren und Urodelen im Wesentlichen gleich verliefen, nur durch die Ablösung und Zertheilung des ventralen Myotomfortsatzes von dem Myotom bei Anuren eine leicht verständliche Modifikation er- kennen ließen, sehen wir nunmehr bei Urodelen eine andere Weiter- entwicklung erfolgen als bei Anuren. Es entwickelt sich nämlich bei Urodelen in direkter Folge vom ventralen Ende des Myotomfort- satzes aus, längs der lateralen Fläche des Obliquus internus empor- wachsend, ein primärer Obliq. externus. Dessen Bildung unterbleibt bei Anuren. Es rücken aber von der gleichen Stelle aus bei letzteren zunächst noch indifferent bleibende Zellen empor, die wie der ganze Myotomfortsatz hier unregelmäßig vertheilt sind. In diesem Stadium haben wir bei beiden Formen die gesammte primäre Bauchmuskulatur vor uns, die etwa in der Mitte des Larven- lebens gebildet ist. Bei Urodelen besteht sie aus einem primären Obliq. internus und Obliq. externus und dem ventral abschließenden Rectus abdominis, in welchem beide sich vereinigen. Bei Anuren besteht sie nur aus einem Obliquus internus und dessen ventralem Ende, das einen primären Rectus darstellt. Ein primärer Obliquus externus kommt nicht als Muskel zur Ausbildung, er besteht nur in indifferenten zerstreuten Muskelbildungszellen, welche lateral vom Obliquus internus angeordnet sind. In Anschluss an die primäre Bauchmuskulatur entwickelt sich gegen das Ende des Larvenlebens bei beiden Formen eine sekundäre Bauchmuskulatur. Sie wird bei Urodelen dargestellt durch den Obliquus abdominis externus superfieialis, den Transversus und den Reetus superficialis, die sämmtlich aus der primären Muskulatur sich herausbilden. Unter der Ausbildung dieser sekundären Muskeln erleidet die primäre Muskulatur eine theilweise Rückbildung, die besonders hoch- gradig wird für den Obliquus externus profundus, der oft bis auf wenige Fasern verschwindet, d. h. ganz in den oberflächlichen Obliq. externus aufgeht. Diese stärkere Ausbildung der sekundären Mus- kulatur tritt erst nach der Metamorphose ein, mit dem Übergang zum Die ventrale Rumpfmuskulatur der anuren Amphibien. 343 Landleben. Ich habe gerade in dieser so eingreifenden Änderung der Lebensweise das Causalmoment für die Bildung der sekundären Muskulatur erblickt. Da nun die Anuren sämmtlich ebenfalls zum Landleben übergehen, so ist, wenn diese Auffassung der sekundären Muskulatur richtig ist, bei Anuren ebenfalls die Entwicklung einer sekundären Bauchmuskulatur zu erwarten. Diese bildet. sich denn auch thatsächlich aus. Dies möchte ich speciell KÄstnEr gegenüber betonen, der die Ansicht aussprach, die Anuren hätten bloß die primäre Muskulatur entwickelt. Wir sahen im Gegentheil, dass die primäre Muskulatur hier nur eine untergeordnete Rolle spielt und nur zum Theil zu fertiger Ausbildung gelangt. Aber auch hier liefert sie das Material für die Entwicklung der sekundären Musku- latur. Der Obliquus internus lässt den Transversus hervorgehen, sowie aus den lateral vom Obliquus internus gelegenen Muskelbil- dungszellen sofort ein Obliquus externus sich entwickelt, der alle Eigenthümlichkeiten des oberflächlichen sekundären Obliquus exter- nus der Urodelen zeigt, wie ich dies oben ausführte. Man hat sich natürlich die Frage vorzulegen, ob der Obliquus externus der Anuren nicht etwa homolog sei dem primären Obliquus externus der Urodelen, der nur etwas später sich ausbildet. Es sind bei dieser Frage sehr viele Verhältnisse zu berücksichtigen. Das ontogenetisch spätere Auftreten des Obliquus externus würde für sich nieht von großer Bedeutung sein, allein die Thatsache, dass der Obliquus externus der Anuren ganz gleichzeitig mit dem Trans- versus auftritt und sich mit diesem durchaus gleichartig weiter ent- wickelt, verleiht diesen zeitlichen Befunden desshalb eine Bedeutung, weil bei Urodelen ganz in der gleichen Weise ebenfalls am Ende der Larvenperiode der Transversus und Obliq. externus superficialis zusammen zur Anlage kommen und ebenfalls nach der Metamorphose ihre höhere Ausbildung erfahren. Die zweite Thatsache, welche für die Homologie des Obliquus externus der Anuren mit dem Obliquus externus superfieialis der Urodelen spricht, ist die Ausdehnung dieses Muskels. Es wandert der Ursprung des Obliq. externus der Anuren über die dorsale Muskelmasse dorsalwärts hinauf. Dies könnte nun der primäre Obliquus externus wohl ebenfalls thun. Bei Urodelen ist davon nichts zu erkennen, vielmehr hängt dieser Muskel dorsal- wärts stets mit der dorsalen Muskelmasse kontinuirlich zusammen. Es muss sich also dort ein Obliquus externus superficialis heraus- differenziren, der dann abgelöst von der übrigen Muskelmasse dieser auflagert. Wir sehen nun, dass unter der Entwicklung dieses Muskels 16* 244 F. Maurer der primäre Obliquus externus eine Reduktion erleidet. Bei Anuren bestehen in so fern andere Verhältnisse, als der ventrale Myotom- fortsatz sich frühzeitig von der dorsalen Muskelmasse ablöst, es könnte somit bei der dorsalwärts erfolgenden Ausbildung des Obliq. externus dieser sich einfach über die dorsale Muskelmasse weg- schieben und doch dem primären Obliquus externus der Urodelen homolog sein. Dann müsste aber dieser Muskel bei Anuren ventral- wärts mit dem Rectus in Zusammenhang stehen, denn dies war ja bei Urodelen ebenfalls der Fall und die Ablösung der ventralen Muskelmasse vom Myotom beeinflusst die am meisten ventral ge- legenen Theile dieser Muskulatur bei Anuren in keiner Weise. Wir sahen aber, dass der Obliquus externus mit seinem ventralen Ende sich über den lateralen Rand des Rectus eine kurze Strecke hinweg- schiebt, um dann in eine feine Aponeurose überzugehen, welche sich bis zur Linea alba erstreckt. Dieses Verhalten des Obliq. externus der Anuren an seinem ventralen Ende ist völlig gleich dem Verhalten des Obliq. externus superficialis bei Urodelen, und da der Befund des dorsalen Ursprungs dieser Muskeln sich ebenfalls in Übereinstimmung zeigt, so ergiebt sich auch hieraus ein schwerwiegender Grund, den Obliquus externus der Anuren dem sekundären und richt dem pri- mären Obliquus externus der Urodelen für homolog zu erklären. Eben so wie wir für den Obliquus externus der Anuren die Homologie mit dem primären Obliquus externus der Urodelen wider- legten, ist auch für den Transversus der Anuren noch auszuschließen, dass er dem Obliquus internus der Urodelen homolog sei, denn wenn dies der Fall wäre, so hätte Kästner Recht, wenn er behauptet, die Anuren besäßen nur die primäre Muskulatur der Urodelen. Für den Transversus ist dieser Nachweis, dass er wirklich dem Trans- versus der Urodelen homolog ist, leicht zu führen. Erstens besitzen die Anuren thatsächlich einen primären Obliquus internus, der wie bei Urodelen der zuerst sich differenzirende Bauchmuskel ist, und wir sehen, wie sich medial von ihm, aber aus seinen Elementen sich herausdifferenzirend, der Transversus entstand. Zweitens sehen wir, wie dieser Transversus synchron mit dem Obliquus externus der Anuren sich bildete, eben so wie dies bei Urodelen in Betreff des Transversus und Obliquus externus superfieialis stattfand. Von großer Bedeutung ist hier endlich die Beziehung des fraglichen Muskels zum ventralen Spinalnervenstamm, die aber zweckmäßig erst bei der Besprechung der Befunde am ausgewachsenen Frosch zu er- örtern ist. Die ventrale Rumpfmuskulatur der anuren Amphibien. 945 Die ventrale Rumpfmuskulatur ausgewachsener Anuren. Uber die Verhiltnisse der Bauchmuskulatur beim erwachsenen Frosch brauche ich nichts zu sagen, dieselben sind hinlänglich be- kannt und außerdem zeigt eine unmittelbar vor der Metamorphose stehende Kaulquappe, wie ich sie geschildert habe, schon die Anlage dieser ganzen Muskulatur. Die einzige Weiterbildung, welche sich einstellt, beruht auf starkem Diekenwachsthum der beiden seitlichen Bauchmuskeln, die ich als Obliquus externus und Transversus be- zeichnet habe, sowie einem reichlichen Wachsthum des Rectus. In Betreff des einfachen Rectus der Anuren bin ich der Ansicht, dass er dem primären plus dem sekundären Rectus der Urodelen ho- molog ist. Wir sahen, dass bei Urodelen der sekundäre Rectus vom primären aus sich bildete, indem einerseits an dessen ventralem Ende eine stärkere Wucherung eintrat, andererseits an der äußeren Ober- fläche des primären Rectus sich junge Fasern ablösten. Hier bildet dieser sekundäre Rectus einen selbständigen Muskel. Bei Anuren erkennt man ebenfalls am primären Rectus solche Vermehrungsvor- gänge der Fasern, einerseits an seinem ventralen Ende, andererseits an seiner äußeren Oberfläche. Diese jungen Muskelfasern treten am Ende des Larvenlebens auf, wenn die Musculi transversus und Obliquus externus sich bilden. Es kommt aber nicht zur Ablösung der jungen Rectusfasern, so dass wie bei Urodelen ein oberfläch- licher oder sekundärer und ein tiefer oder primärer Rectus bestünde, sondern diese Fasern bleiben zu einem einheitlichen Rectus vereinigt. Derselbe verhält sich in seinem Ursprung am Becken, wie in seiner Insertion am Brustbein und Zungenbeinapparat eben so wie die bei- den Recti der Urodelen zusammen. Darin ist eine weitere Stütze für die Gleichwerthigkeit des einfachen Rectus der Anuren mit den beiden Rectis der Urodelen nach der Metamorphose geboten. Eine weitere Veränderung der seitlichen Bauchmuskeln beim ausgebildeten Frosch betrifft den Ursprung des Obliquus externus. Derselbe ist über den lateralen Rand der Rückenmuskelmasse dor- salwärts gegen die dorsale Mittellinie emporgerückt und entspringt an einer Aponeurose, welche von den Spitzen der Wirbeldornfort- sätze ausgeht. Auch der Transversus schiebt sich etwas medial- wärts unter die Rückenmuskelmasse und die Wirbelquerfortsätze vor, auch er entspringt an einer Aponeurose, welche von den Wirbel- körpern ausgeht. Es erscheint von Bedeutung, dass die beiden seitlichen Bauchmuskeln des Frosches, sowohl der Obliquus externus 246 F. Maurer als der Transversus ganz unsegmentirt erscheinen. Dieser Zustand kommt ihnen von vorn herein zu. Der einzige segmentirte Bauch- muskel der Anuren ist der primäre Obliquus internus und der von diesem aus sich entwickelnde Rectus. Der Obliquus internus zeigt an seinen am weitesten dorsal gelegenen Fasern sehr deutlich, wie die Auftreibung der Bauchwand durch den verlängerten Darm die Segmentirung undeutlich macht. Dieselbe bleibt aber doch immer bestehen. Man erkennt an dem Verhalten der Muskulatur, dass diese Auftreibung hauptsiichlich die seitlichen Theile der Bauchwand betrifft, dass die ventrale Fliche dagegen weniger beeinflusst wird. Hier behält der Rectus stets seine ganz regelmäßige Segmentirung. Nun treten die Museuli transversus und Obliquus externus schon auf zu einer Zeit, wo der Darm noch eine bedeutende Länge besitzt und die seitliche Auftreibung der Bauchwand noch im höchsten Grade besteht. Dies mag zum Theil der Grund sein, dass die Segmentirung dieser neu entstehenden Muskeln nicht mehr deutlich ist. Anderer- seits müssen aber hier andere Gründe mitsprechen, denn wir sahen bei Urodelen, dass die sekundären seitlichen Bauchmuskeln, der Obliquus externus superficialis und der Transversus zwar bei vielen Formen, und zwar bei denjenigen, welche ich als die primitiven auffassen musste, vollkommen den primären Muskeln entsprechend segmentirt waren, bei anderen Formen aber wurde auf verschiedene Weise ein unsegmentirter Zustand herausgebildet, der zugleich einen leistungsfähigeren darstellt. Was bei Urodelen angebahnt und all- mählich erworben wurde, ist den Anuren von ihren Vorfahren als etwas Fertiges übertragen worden und so finden wir hier nirgends mehr eine Segmentirung der bleibenden seitlichen Bauchmuskeln, eine Thatsache, die ebenfalls die Homologie zwischen diesen Anuren- muskeln und den sekundären Bauchmuskeln der Urodelen erweist. Endlich ist das Verhalten der Nerven in Bezug auf ihren Ver- lauf zwischen den Bauchmuskeln von Bedeutung. Bekanntlich ver- läuft der Stamm der ventralen Spinalnervenäste bei den höheren Wirbelthieren zwischen Muse. transversus und Obliquus internus. Eben so sahen wir diesen Nerven bei Urodelenlarven sich verhalten. Erst zur Zeit der Metamorphose und nachher findet man, wie ich das früher ausführte, dass der Nerv den Transversus an verschie- denen Punkten durchsetzt, so dass die am weitesten dorsal, d.h. zunächst der Wirbelsäule gelegenen Fasern des Transversus nach außen vom Nerven liegen, welcher hier subperitoneal angeordnet ist. Der Transversus lässt sich dorsalwärts in den Subvertebralis ver- Die ventrale Rumpfmuskulatur der anuren Amphibien. 247 folgen. Ein subvertebraler Muskel ist bei Anuren nicht ausgebildet. Seitlich an die Wirbelsäule schließt sich unmittelbar der Trans- versus an, dessen Verhalten zu den ventralen Spinalnervenästen ich auf Fig. 8 dargestellt habe. Medial von den Austrittsstellen der Spinalnerven aus dem Foramen intervertebrale besteht kein Muskel. Vielmehr liegen Intertransversarii und Intercostales, welche hier Theile der einheitlich bleibenden Rumpfmuskelmasse darstellen, lateral vom Austritt der Nerven und letzterer verläuft auf ihrer ventralen Fläche herab. Dann beginnt der Ursprung des Transversus, und zwar ist dieser ein geradliniger. Auch über die am meisten dorsal gelegenen Fasern dieses Muskels verläuft der ventrale Nervenstamm noch her- ab, d. h. er liegt ventral von diesem Muskel, durchbohrt aber dann dessen Fasern, so dass er zwischen den beiden seitlichen Bauch- muskeln weiter verläuft. Dies sind die Verhältnisse des Nerven- verlaufs beim ausgewachsenen Frosch, die ich auf Fig. 8 dargestellt habe. Wenn man diese Abbildung mit den Figg. 3, 4 und 5 auf Taf. V meiner Urodelenarbeit vergleicht, so findet man eine große Übereinstimmung. Ein Unterschied besteht nur darin, dass bei Uro- delen ein Muse. subvertebralis entwickelt ist. Bei keinem Urodelen liegt der ventrale Spinalnerv nach außen vom Obliquus internus, sondern stets ventralwärts von diesem Muskel, dagegen nach außen von der am meisten ventral gelegenen Portion des Transversus, dessen weiter dorsal, d. h. gegen die Wirbelsäule zu gelegene Fa- sern aber ebenfalls nach außen vom Nerven angeordnet sind. Diese Beziehung des inneren Bauchmuskels der Anuren zum Verlauf des genannten Nerven erscheint mir sehr wichtig für die Beurtheilung dieses Muskels, den ich demnach für homolog dem Transversus der Urodelen halten muss. Schon von MEcKEL, Ducks und Srannivs sind die Verschieden- heiten in der Ausbildung der Bauchmuskeln bei Anuren beschrieben worden, worauf ich bei der Besprechung der Litteratur noch eingehen will. Es standen mir nun zwei Formen ausländischer Anuren zur Verfügung, welche gerade für die hier bestehenden Verschiedenheiten extreme Zustände darbieten und dadurch für die Beurtheilung dieser Ungleichheiten von großem Werthe erscheinen. Ich gebe in Folgen- dem noch eine kurze Beschreibung dieser Formen: Dactylethra und Ceratophrys. 248 F. Maurer Dactylethra. Dactylethra, von welcher mir ein ausgewachsenes Exemplar durch die Güte von Herrn Prof. v. KocH in Darmstadt zur Unter- suchung zur Verfügung stand, zeigt ein sehr eigenthümliches Ver- halten der ventralen Rumpfmuskulatur, doch lässt sich der Befund leicht auf die seither geschilderten Zustände beziehen. Wenn man die Haut von der ventralen Mittellinie her lateral- und dorsalwärts bis zur dorsalen Mittellinie abzieht, so erscheint zuerst ventral der wohl ausgebildete und sehr breite Rectus, der deutlich segmentirt ist. An dem vorliegenden Exemplar besteht er vom Becken bis zum Sternum aus fünf Segmenten. Sein lateraler Rand wird von Zacken überlagert, welche den Ursprung eines zur vorderen Extremität auf- steigenden Muskels bilden (Taf. VII Fig. 12 pm). Die Fasern dieses Muskels, der offenbar den Pect. major darstellt, verlaufen fast eben so gerade wie die Fasern des Rectus und bilden eine breite Muskel- platte, welche einen freien dorsalen Rand besitzt, der ungefähr die Ansatzstellen der Vorder- und Hinterextremität am Rumpfe gerad- linig verbindet (Taf. VII Fig. 10 pm). Dieser Muskel übergreift mit fünf Ursprungszacken den lateralen Rectusrand. Wie der Peet. major als breite Muskelplatte die ventrale Hälfte der seitlichen Bauchmus- keln überlagert, so findet man die dorsale Hälfte dieser Muskeln von einer eben so stark ausgebildeten Muskellage bedeckt, welche den Latissimus dorsi darstellt (Fig. 10 7d). Der letztere Muskel ent- springt mit platter dünner Sehne in der dorsalen Mittellinie des ganzen Rumpfes. Die Anfänge der Muskelfasern bilden eine dorsal- wärts leicht konvex gekrümmte Linie. Der Muskelbauch ist der Rückenmuskulatur aufgelagert und erstreckt sich mit seinem lateralen Rande bis dicht an den dorsalen Rand des Pectoralis major. Eine Strecke weit berühren sich die Ränder beider Muskeln unmittelbar, in der Achselhöhle aber, sowie nach hinten gegen das Hüftgelenk, wei- chen sie aus einander. Nach hinten entsteht ein langgezogenes, gleichschenkliges Dreieck, dessen sehr kurze Basis die Ansatzstelle der hinteren Extremität am Rumpfe bildet, während die gleichen Schenkel von den Rändern der beiden Muskeln gebildet werden. In der Achselhöhle sowie in dem so eben geschilderten Dreieck er- scheinen zwischen Pectoralis und Latissimus dorsi schräg von kopf- und dorsalwärts nach schwanz- und ventralwärts absteigende Muskel- fasern. Während die seitliche Bauchwand mit Ausnahme der bei- den zuletzt erwähnten Punkte durch fast genau längsverlaufende 4 Die ventrale Rumpfmuskulatur der anuren Amphibien. 949 Muskelfasern gedeckt wird, die der ganzen Oberfläche dieses Thieres nach Wegnahme der Haut ein von allen übrigen uns bekannt gewor- denen Anuren abweichendes Aussehen verleihen, finden sich, wenn man die beiden geschilderten Muskelplatten (Pect. major und Latis- simus dorsi) wegnimmt, darunter die beiden seitlichen Bauchmuskeln, eben so wie bei Rana, Bufo und den übrigen Anuren. Zunächst unter den Muskeln lagert der Obliquus abdominis externus. Diesem Muskel gehören auch die zwischen den Rändern des Latissimus dorsi und Pectoralis major zu Tage tretenden schräg absteigend ver- laufenden Fasern an. Auf Taf. VII Fig. 11 ist der Befund der seitlichen Bauchmuskeln von Dactylethra nach Wegnahme von Latissimus dorsi und Peetoralis major abgebildet. Hier erkennt man zunächst den Obliq. abdominis externus in seiner ganzen Ausdehnung. Er ist auch hier eine gänz- lich unsegmentirte, einheitliche Muskelplatte, welche vorn gerade hinter der vorderen Extremität und hinten vor der hinteren Extre- mität einen freien Rand besitzt. Alle Fasern entspringen dorsal von den Rippen von einer dünnen Aponeurose, welche von der dor- salen Mittellinie ausgeht und an den Rippen zum Theil festgeheftet ist. Der Ursprung dieses Muskels überlagert demnach die Rücken- muskelmasse. Ventral inserirt der Muskel, indem er den lateralen Reetusrand wenig überlagert und dann in eine feine Aponeurose übergeht, die sich bis zur ventralen Mittellinie erstreckt. Die Enden der Muskelfasern bilden eine ventralwärts leicht konvexe Linie, welche von der Ansatzstelle der vorderen zu der der hinteren Ex- tremität am Rumpfe verläuft. Um die angedeutete Beziehung des Ursprungs dieses Muskels zur dorsalen Rumpfmuskelmasse,. sowie das Verhältnis seiner Insertion um Rectus zu zeigen, und außerdem den unter dem Obliquus externus gelegenen Muskel eine Strecke weit zur Anschauung zu bringen, ist bei z ein kleiner Theil des Obliquus externus weggenommen. Der darunter zum Vorschein kom- mende tiefe seitliche Bauchmuskel ist mit ir bezeichnet und stellt den Transversus dar. Derselbe kommt auch hinter dem hinteren Rand des Obliquus externus gerade vor der hinteren Extremität noch zum Vorschein (vgl. auch Fig. 11). Daraus ergiebt sich, dass der Transversus hier mit seinem dorsalen Ursprunge eben so wie der Obliquus externus die dorsale Rumpfmuskulatur eine kurze Strecke weit überlagert. An seinem ventralen Ende verschwindet er unter dem lateralen Rectusrande und geht dann in einer der Insertions- linie des Obliquus externus entsprechenden Linie in seine ‘End- 250 F. Maurer sehne über, die unter dem Rectus bis zur ventralen Mittellinie ver- läuft. Weitere Muskeln besitzt Dactylethra in der Bauchwand nicht. Aus dieser Schilderung ergiebt sich, dass wir hier im Wesentlichen die gleichen Verhältnisse wie bei Rana haben, ein Unterschied liegt nur in der mächtigen Ausdehnung des Pectoralis major und Latissi- mus dorsi auf die ganze seitliche Bauchwand. Hierdurch erhalten diese beiden Muskeln naturgemäß Einfluss auf die Bewegungen der Bauchwand. Zu beachten ist noch, dass bei Dactylethra die vordere "Extremität im Verhältnis viel kleiner ausgebildet ist als die hintere, die eine enorme Größe besitzt. Die mächtige Entfaltung der beiden genannten Muskeln der vorderen Extremität findet demnach nicht ihre Erklärung etwa in einer stärkeren Ausbildung dieser Extre- mität. Ihre Bedeutung soll später bei Vergleichung der Befunde be- sprochen werden. Ceratophrys. Von Ceratophrys cornuta stand mir ein männliches ausgewach- senes Exemplar von 8 cm Körperlänge zur Verfügung. Auch hier bestehen die beiden seitlichen Bauchmuskeln gerade wie bei unseren einheimischen Anuren. Zwischen beiden verlaufen die ventralen Spinalnerveniste. Der Ursprung des Obliquus externus deckt den lateral-ventralen Rand der Rückenmuskeln, während der Transversus ventral unter diesem Rande hervorkommt, eben so wie es die sche- matische Fig. 7 für Rana darstellt. Auch die Insertion der beiden Muskeln verhält sich in gleicher Weise zum lateralen Rande des Rectus. Der Rectus selbst ist segmentirt, aber auf beiden Seiten ungleich. Er besteht jederseits aus vier Segmenten vom Becken bis zum Ursprung des Pectoralis major, der auch hier sich vom Rectus ablöst. Auf der rechten Seite besteht das zunächst vor dem Becken gelegene Segment aus viel längeren Muskelfasern wie links, dadurch werden links die drei davor gelegenen Segmente natur- gemäß etwas kürzer. Der Reetus schließt hier nicht mit ganz scharfem lateralen Rande ab, sondern seine lateralen Fasern sind vereinzelt unregelmäßig zwischen den ventralen Enden der beiden seitlichen Bauchmuskeln zerstreut angeordnet. Doch niemals reichen sie weiter dorsalwärts derart, dass man einen dritten seitlichen Bauchmuskel erkennen könnte, der zwischen den beiden anderen bestinde. Also auch hier ist kein stärker entwickelter Rest des primären Obliquus internus vorhanden, wenn auch das Verhalten des Die ventrale Rumpfmuskulatur der anuren Amphibien. 251 lateralen Rectusrandes noch darauf hinweist, dass er im Larvenleben wohl in gleicher Weise bestanden hat wie bei Rana. Auffallend erschien mir, dass der Pectoralis major hier sehr schwach ausge- bildet ist. Es ist hier merkwürdigerweise gerade das umgekehrte Verhalten wie bei Dactylethra. Ceratophrys besitzt einen sehr vo- luminös entwickelten Kopf und damit zeigt auch die vordere Extre- mität sich kräftig ausgebildet, während der Körper nach hinten beträchtlich schmächtiger wird. Die hinteren Extremitäten sind zwar ziemlich lang, besitzen aber keine sehr kräftig ausgebildete Musku- latur. Man sollte nun erwarten, dass die stärkere Ausbildung der vorderen Extremität auch eine mächtigere Entwicklung des Pectoralis und Latissimus dorsi verursacht. Das ist aber durchaus nicht der Fall. Im Gegentheil, es ist mir keine Anurenform bekannt, bei welcher diese Muskeln so schwach ausgebildet sind wie bei Cera- tophrys, die gerade in ihrer vorderen Körperhälfte im Übrigen so mächtig entwickelt ist. Es müssen hier demnach ganz andere Fak- toren mitsprechen; dies ist bei der Beurtheilung der Befunde auszu- führen. Bombinator igneus. Zum Schlusse möchte ich noch einen Befund von Bombinator igneus anführen, den ich auf Fig. 9 abgebildet habe. Hier zeigen sich auf der Oberfläche des Rectus abdominis gerade über seiner Insertion an der Schambein-Symphyse, vom medialen Rectusrande lateral und kopfwärts ausstrahlend, sehr zarte Faserzüge, welche eine dünne im Bindegewebe verlaufende Muskellage darstellen, die aber nicht leicht vom Rectus abpräparirt werden kann. Diesen Muskel fand ich bei keinem anderen Anuren. Worauf seine Diffe- renzirung beruht, vermag ich bis jetzt nicht anzugeben. Auf ein Os epipubis ist er nicht zu beziehen, da ein solches hier nicht besteht. Litteratur. In Betreff der Litteratur kann ich auf das verweisen, was ich in meiner Arbeit über die Urodelenmuskulatur angeführt habe. Die speciellen Verhältnisse bei Anuren sind schon von MECKEL genau geschildert worden, besonders die Punkte, in welchen bei diesen Formen Verschiedenheiten auftreten. Diese Verschiedenheiten sind in drei Richtungen vorhanden: 1) in Bezug auf das Verhältnis der Brustmuskulatur zu den ventralen Rumpfmuskeln, 2) in ‘der 252 F. Maurer Verschiedenheit der Stärke der beiden seitlichen Bauchmuskeln, 3) endlich hinsichtlich des Rectus, der nicht mehr immer als seg- mentirter Muskel besteht. Von den Brustmuskeln ist es besonders der Pectoralis major, welcher in verschiedenem Maße mit dem Rectus vereinigt ist und besonders bei Pipa bis zum Schambein herabreicht (MECKEL). Bei der letzteren Form sehen wir ferner, dass die beiden seitlichen Bauchmuskeln sehr schwach ausgebildet sind, bei Bufo sind sie am kräftigsten, Rana steht zwischen beiden in der Mitte. Der Rectus endlich ist bei Pipa und Hyla nicht segmentirt, sondern verläuft ohne Inscription vom Becken zum Sternum. Bei den übrigen Formen ist eine Segmentirung wie bei Rana erhalten. Alle diese Verschiedenheiten haben nur Interesse innerhalb der Gruppe der Anuren selbst, sie zeigen keine Unterschiede in Bezug auf den gesammten Plan im Aufbau der ventralen Rumpfmuskulatur. JOH. MÜLLER und Ducks fügen den MEcker'schen Beobachtungen speciell für Anuren nichts Neues hinzu, eben so geht HumpHurey auf die Verhältnisse bei Anuren nicht näher ein. Srannius bezeichnet wie MECKEL und Ducis den inneren der beiden seitlichen Bauch- muskeln der Anuren als Obliquus internus, den äußeren als Obliquus externus. Nun hören wir aber von MECKEL eben so wie von STANNIUS, dass der sogenannte Obliquus internus mit vorderen Fasern, die vom vierten Wirbel ausgehen, einen zwerchfellartigen Muskel bildet, wel- cher unter dem Perikard sich quer einschiebt und den Ösophagus umfasst. Es würde auffallend sein, wenn die genannten Forscher dieses Verhalten gerade, das mir sehr wichtig erscheint, nicht weiter zur Vergleichung mit den Zuständen bei Urodelen benutzt hätten, wenn nicht gerade die Zustände bei letzteren zu wenig genau be- kannt gewesen wären. Der als Obliq. internus bezeichnete Muskel der Anuren bietet in dem Verhalten seiner vorderen Fasern einen auffallend gleichen Befund wie der Transversus der Urodelen. Auf die Angaben, die SCHNEIDER macht, bleibt noch näher ein- zugehen. Er schildert die Unterschiede bei Anuren ähnlich wie MEckeL. Die Beurtheilung der Bedeutung der Muskeln ist sogar auch eine ähnliche, in so fern er ebenfalls die beiden seitlichen Muskeln als Obliquus externus und internus bezeichnet. SCHNEIDER bespricht seine Stellung zu der Auffassung von ECKER und GOETTE, deren Deutungen er verwirft. ECKER sieht bekanntlich im inneren Bauchmuskel der Anuren den vereinigten Obliquus internus und Transversus, während GOETTE ihn für den Transversus allein erklärt. Die ventrale Rumpfmuskulatur der apuren Amphibien. 253 Hiermit hätten wir also alle Möglichkeiten in der Beurtheilung dieses Muskels bei Anuren schon geboten und doch fehlt bei alledem die genaue Berücksichtigung der entwicklungsgeschichtlichen Vorgänge, die hier ohne Zweifel, in richtigem Maße verwendet, neben den Thatsachen der vergleichenden Anatomie der fertig gebildeten Zu- stände von großer Bedeutung sind. Es ergab sich dies am klarsten aus den Vorgängen bei der Entwicklung der Bauchmuskulatur der Urodelen, die ich früher von Siredon genau geschildert habe. Der Deutung, welche SCHNEIDER den Muskeln giebt, kann ich mich in keiner Weise anschließen, obgleich die Beobachtungen, die SCHNEIDER schildert, vollkommen richtig und meist viel vollständiger sind, als die seiner Vorgänger. Den inneren Bauchmuskel der Anuren halte ich nicht für homolog dem Obliq. internus der Urodelen. Wenn ferner SCHNEIDER sagt, dass der Obliq. internus und externus ganz ver- schiedene Dinge seien, dass der Obliq. internus den Rückenmuskeln zugerechnet werden müsse und etwa als Fortsetzung der Serrati betrachtet werden könne, so ist hierzu nur zu bemerken, dass auch die Serrati postici (denn diese allein kann SCHNEIDER meinen) zu den ventralen Rumpfmuskeln gehören, da sie von den ventralen Ästen der Spinalnerven versorgt werden. Scunerper berührt noch ein anderes Verhalten der seitlichen Bauchmuskeln der Anuren, nämlich die Beziehung ihres Ursprungs und ihrer Insertion einerseits zur Rückenmuskulatur, andererseits zum lateralen Rande des Rectus. Er lässt den Obliquus externus und internus nach außen von den. Rückenmuskeln entspringen, während der Transversus nach innen von denselben seinen Ursprung nimmt. Am ventralen Ende inserirt der Obliquus externus stets so, dass seine Aponeurose die Außenfläche des Rectus bedeckt, während der Obliquus internus und Transversus an der Innenfläche des Rectus in ihre Aponeurose über- gehen. Nach meinen Befunden sehe ich nun stets, dass der innere Anuren-Bauchmuskel nicht außerhalb, sondern innerhalb der Rücken- muskeln entspringt, er würde daher auch nach ScHNEIDER’s Auf- fassung als Transversus zu betrachten sein. Da an der Insertion Obliquus internus und Transversus in ihrer Beziehung zum Rectus übereinstimmen, so ist hier nach der SCHNEIDER'schen Auffassung eine Unterscheidung nicht möglich. Nun finde ich aber, dass der Obliquus internus bei Urodelen kontinuirlich in den primären Rectus übergeht, sich also wesentlich anders als der Transversus verhält, der thatsächlich nach innen vom Reetus inserirt. Hiernach ist so- mit Obliquus internus und Transversus bei Urodelen sehr wohl zu 254 ° F. Maurer unterscheiden. Es fragt sich, wie sich hierzu die Anuren verhalten. Im Ganzen schließt ScHNEIDER die Anuren zu unmittelbar an die Säugethiere an. Er trennt sie ganz von den Urodelen, an welche er die Sauropsiden anreiht. Wenn auch einige Ähnlichkeit zwischen Anuren und Säugethieren in Bezug auf die ventrale Rumpfmusku- latur besteht, so ist dieselbe doch nur sehr oberflächlich. Die Säuge- thiere besitzen in der seitlichen Bauchwand die bekannten drei Muskeln, während den Anuren nur zwei zukommen. Darin liegt schon ein tiefer Unterschied, auf den SCHNEIDER nicht genügend eingeht. Die Anuren stellen überhaupt eine vollkommen einseitig ausgebildete Gruppe dar, die in sich ganz abgeschlossen ist und in ihrem Grundbau eben so wie in ihrer larvalen Entwicklung eine große Gleichartigkeit erkennen lässt. Ich habe zum Schlusse noch einige Worte über die Arbeit von KÄSTNER zu sagen, in welcher ich wiederholt angegriffen werde. Zunächst zieht KÄstner meine Arbeit über die ventrale Rumpfmus- kulatur heran bei der Frage der Entwicklung der Extremitätenmus- kulatur und giebt an, ich sei hier nicht weiter gekommen. Hierzu bemerke ich zunächst, dass ich mir meine Aufgabe in der angeführten Arbeit ganz scharf abgegrenzt gestellt habe und auch wohl scharf präeisirt habe. Die Extremitätenmuskulatur war von den Unter- suchungen ganz ausgeschlossen. An einem Punkte führte ich an, diese Muskeln entwickelten sich zugleich mit der sekundären Rumpf- muskulatur. Nach dem Durchlesen der Käsrtxer’schen Arbeit sah ich aber, dass wir auch durch die dortigen Ausführungen keinen Schritt in der Beurtheilung dieser Extremitätenmuskeln weiterge- kommen sind. Die Thatsache, dass die Extremitätenmuskulatur gleichzeitig mit der sekundären Bauchmuskulatur sich entwickelt, erscheint mir aber in anderer Hinsicht von Bedeutung. Dass diese Muskelgruppe sich aus der ventralen Rumpfmuskulatur herausdiffe- renzirt, ist eine sicher stehende Thatsache. Dies ist bei niederen Wirbelthieren durch den Nachweis der in die Extremitätenanlagen einwachsenden Muskelknospen erwiesen. Wenn nun bei Thierformen mit ausschließlich primären ventralen Rumpfmuskeln (Selachiern) aus diesen primären Muskeln die Muskulatur der Flossen hervorgeht, während den Boden für die Extremitätenmuskeln der Urodelen die sekundäre Muskulatur darstellt, mit deren Ausbildung sie zeitlich zusammenfällt, so finde ich hierin auch eine vergleichend-entwick- lungsgeschichtliche Stütze für die Auffassung, dass die sekundäre Muskulatur sich aus der primären differenzirt. Wie jene ventrale Die ventrale Rumpfmuskulatur der anuren Amphibien. 255 Rumpfmuskulatur sich in Anpassung an das Landleben aus der pri- mären bildet, so wird von ihr auch die Ausbildung der Muskulatur für die dem Landleben angepassten Extremitäten übernommen. Dies hat nur Bezug auf die Amphibien und nicht etwa auch auf Amnioten. Es passt aber diese Auffassung vollkommen zu der späten Aus- bildung der Extremitäten und ihrer Muskulatur bei Urodelen und Anuren. In der oben angeführten Arbeit von Kästner wird weiterhin wiederholt darauf hingewiesen, dass ich den GoETTE'schen Angaben nicht genügend Rechnung getragen habe. Ich habe von einer ge- nauen Besprechung der GoETTE'schen Auffassungen direkt Abstand genommen und das wirft mir Kästner vor. Dieser Verzicht war aber meinerseits vollkommen begründet. Über Thatsachen ist natur- semäß nicht zu streiten und ich habe auch in dieser Beziehung GOETTE nicht angegriffen. Nach den vorstehenden Ausführungen ergiebt sich aber, dass die Anuren in einer vollkommen anderen Weise in Bezug auf die ventrale Rumpfmuskulatur mit den Urodelen zu vergleichen sind, als es Kästner thut, der im Anschluss an GOETTE und auf Grund eigener Beobachtungen zu dem Resultat kommt, die Anuren besäßen nur eine primäre Bauchmuskulatur. Dass die Verhältnisse hier viel komplieirter liegen, hatte ich schon früher erkannt und darum war ich auf die GoETTE’schen Aus- führungen nicht weiter eingegangen. Dass uns von GOETTE ein werthvolles Material von Thatsachen bekannt gemacht wurde, wird Niemand, und am wenigsten ich, bestreiten. Beurtheilung der Befunde. Während bei Urodelen zwar ein wohl zu übersehender gemein- samer Plan im Aufbau der ventralen Rumpfmuskulatur besteht, findet man im Einzelnen doch sehr verschiedenartige Zustände. Zunächst besteht eine Rivalität zwischen den primären und sekundären Mus- keln derart, dass letztere während des Larvenlebens gering ent- wickelt sind und eben so bei Perennibranchiaten es stets bleiben, während die sekundären Muskeln nach der Metamorphose an Stärke überwiegen. Werden schon hierdurch sehr verschiedenartige Be- funde verursacht, so zeigt sich andererseits in der Aufgabe der Seg- mentirung bei den sekundären Muskeln eine große Ungleichheit. Endlich sehen wir auch bei Caducibranchiaten die primäre Muskulatur nach der Metamorphose sich in sehr verschiedenem Grade reduciren, 256 F. Maurer so dass die Muskulatur sogar bei so nahe verwandten Formen wie Triton und Salamandra sich in wesentlich verschiedenem Verhalten darstellt. Im Gegensatz dazu sehen wir bei Anuren eine große Gleichartigkeit bestehen. Bei allen mir zu Gebote stehenden For- men zeigt die ventrale Rumpfmuskulatur einen durchaus gleichen Befund. Überall bestehen nur zwei seitliche Bauchmuskeln, welche mit ihren ventralen Enden eine kleine Strecke den dritten Bauch- muskel, den lateralen Rand des Rectus, zwischen sich nehmen. Der durchweg einheitliche Rectus bildet dann ventral den einzigen Muskel der Bauchwand. Aus Gründen, welche aus der Besprechung der Entwicklungs- vorgänge bei Anuren ersichtlich wurden, suchte ich besonders nach einem, zwischen den beiden seitlichen Bauchmuskeln befindlichen Rest eines dritten Muskels, der aber nirgends mit Sicherheit nach- weisbar war. Es ergab sich nämlich, dass bei Anurenlarven eben so wie bei jungen Urodelenlarven in der seitlichen Bauchwand nur ein Muskel bestand, dessen Fasern einen im Sinne des Obliquus internus schrägen Verlauf zeigten. Dieser von allen Bauchmuskeln zuerst angelegte Muskel bildete bei Urodelen den primären Obliquus internus und stellte eine einheitliche Muskelplatte dar, welche dorsal eben so kontinuirlich aus der dorsalen Muskelmasse hervorging, wie sie ventralwärts allmählich kontinuirlich in den primären Rectus überging. Die Fasern der dorsalen Muskelmasse haben einen ge- raden Verlauf. Dieser geht ganz allmählich in den schrägen des Obliquus internus über und ventralwärts nehmen die Fasern des letz- teren allmählich wieder den geraden Verlauf der Rectusfasern an. Bei Anuren löst sich der Obliquus internus im Gegensatz dazu frühzeitig von der dorsalen Muskelmasse ab und bildet keine ein- heitliche Muskelplatte, sondern besteht aus vielen gesonderten Muskel- faserkomplexen. Die am meisten ventral gelegenen Fasern, die in reichlicher Weiterbildung begriffen sind, stellen den Rectus dar, der auch schon früh eine gewisse Selbständigkeit erkennen lässt. Dieser Zustand ist erklärlich aus der durch das mächtige Längenwachs- thum des Darmes verursachten Auftreibung des Abdomens, wodurch die Bauchwand sich stark ausdehnt und die Muskelelemente, welche mit diesem raschen Wachsthum nicht gleichen Schritt halten, aus einander gedrängt werden. | Bei Urodelen bildet sich nach dem primären Obliquus internus sofort auch ein Obliq. externus, und diese beiden primären Muskeln vereinigen sich ventral im Rectus und stellen die Muskulatur der Die ventrale Rumpfmuskulatur der anuren Amphibien. 257 Larve dar. Erst gegen Ende der Larvenperiode treten sekundärer Obliquus externus, Transversus und ein sekundirer Rectus als Ab- spaltungsprodukte der primären Muskeln auf. Bei Anuren bleibt der oben geschilderte Zustand der zertheilten Muskelfasern, die dem Obliq. internus der Urodelen homolog sind, mit dem Rectus die einzige larvale Muskulatur und erst gegen Ende der Larvenzeit entwickelt sich eine Muskulatur, welche der sekundären Muskulatur der Urodelen homolog ist. Sie besteht aus einem Obliquus externus und Trans- versus, die ganz gleichzeitig auftreten. Ein sekundärer Rectus bildet sich nicht als selbständiger Muskel, sondern der primäre Rectus wuchert weiter und bleibt einheitlich, es kommt demnach nicht zur Abspaltung. Der Obliquus internus erleidet eine völlige Rückbil- dung, seine Elemente werden zum Aufbau des Transversus aufge- braucht, der zum Theil auch, eben so wie der Obliquus externus, aus noch indifferent gebliebenen Elementen des ventralen Myotom- fortsatzes sich entwickelt. So wird bei Anuren demnach eine sekun- däre Muskulatur gebildet, während die primäre nur rudimentär sich anlegt. Wir dürfen darin keinen Zustand von phylogenetischer Be- deutung erblicken, vielmehr beschränkt sich dieser ganze Entwick- lungsgang der Bauchmuskulatur auf die Gruppe der Anuren. Es wäre durchaus verfehlt, danach zu erwarten, dass auch bei den Sauropsiden und Mammaliern die Anlage der primären Bauchmus- kulatur eine rudimentäre sei und nur eine sekundäre zur vollen Ausbildung käme. Dies wird durch verschiedene Überlegungen ver- ständlich. Bei allen Anuren bestehen Larven mit voluminös ausge- bildetem Abdomen in Folge des starken Wachsthums des Darmrohrs. Hierdurch sind für die Larven sehr gleichartige und von den höheren Wirbelthieren eben so wie von den Urodelen abweichende Verhält- nisse geboten, die für die Ausbildung der Bauchmuskulatur von großer Bedeutung sind. Mit der mächtigen Ausbildung des Darm- rohrs und der Auftreibung der Bauchwand hält die Entwicklung der Bauchmuskulatur nicht gleichen Schritt. Eine Bauchpresse fehlt der jungen Kaulquappe, die ganzen Bewegungen der Intestina werden durch die glatte Muskulatur des Darmes geleistet. Zur Zeit, wenn eine kräftigere Muskelentwicklung in der Bauchwand einsetzt, steht die Metamorphose schon nahe bevor und damit wird eine für das Land- leben geeignete Muskulatur entwickelt. Bei der jungen Larve bildet sich wie bei niederen Wirbelthieren die mediale Lamelle des ven- tralen Myotomfortsatzes zuerst zu Muskelfasern heran und bildet das Homologon des Obliquus internus und primären Rectus der Fische Morpholog. Jahrbuch. 22. 17 258 F. Maurer und Urodelen. Hier macht die Entwicklung der primären Muskulatur bei Anuren Halt und vor der Metamorphose findet eine Weiterbil- dung statt, die eine den sekundären Bauchmuskeln der Urodelen homologe Muskelgruppe hervorgehen lässt. Diese für das Landleben bestimmte und durch dasselbe erst entwickelte Muskulatur zeigt, da sie schon bei der Larve zur Anlage kommt, wie das Wasserleben der Anurenlarven wohl nur ein sekundär erworbenes ist, dem ein Landleben schon einmal vorausging. Für Urodelen habe ich diese Auffassung schon früher begründet. Dass sie auch für Anuren gilt, ergiebt sich unter Anderem aus der Anlage der Lungen bei jungen Larven. Die Ausbildung von Lungen setzt das Bestehen eines Land- lebens voraus. Für die Anuren ist ferner die eigenthümliche Art der Extremitätenentwicklung bedeutsam, besonders die verdeckte Bildung der vorderen Extremität. Wir kennen keine Anurenform, welche im ausgebildeten Zustand in der seitlichen Bauchwand mehr Muskellagen als zwei erkennen ließe und diesen gesellt sich überall nur ein einheitlicher ventraler Rectus hinzu. Bei Urodelen bestanden im Gegensatz dazu äußerst mannigfaltige Zustände, die sich sehr leicht auf einander beziehen, von einander ableiten ließen. Eben so ist von den höheren Formen, besonders von Reptilien, die enorme Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit der Bauchmuskulatur bekannt. Auch bei Säugethieren besteht eine komplieirtere Bauchmuskulatur, die jedenfalls in keiner Weise mit den Anurenmuskeln vergleichbar ist, denn wir finden nirgends zwei, sondern stets mindestens drei Muskellagen, zu welchen sich aber in den Serrati postici noch Mus- keln gesellen, deren Ableitung von niederen Wirbelthieren noch nicht genauer feststeht, wenn es auch zweifellos ist, dass sie den ventralen Rumpfmuskeln zugehören. In Folge der komplieirteren Zustände bei höheren Wirbelthieren schließen sich diese somit viel mehr den Uro- delen als den anuren Amphibien an. Die Anuren stehen auch in dieser Beziehung, wie in so vielen anderen Verhältnissen, durchaus abseits, sie haben sich in ganz bestimmter Richtung einseitig aus- gebildet. Dabei sind ihre Zustände ganz fixirt und wenn Abwei- ehungen von den gewöhnlichen Befunden vorkommen, wie es von Anderen bei Pipa, von mir bei Dactylethra geschildert wurde, so werden diese Zustände nicht durch Veränderungen der Bauchmus- keln selbst, sondern durch ungewöhnliche Ausbildung von Muskeln der vorderen Extremitäten, speciell des Pectoralis major und Latissi- mus dorsi hervorgebracht. Dies erkennt man am besten, wenn man’ zwei extreme Formen, wie Ceratophrys und Daetylethra, mit einander Die ventrale Rumpfmuskulatur der anuren Amphibien. 959 und mit einem mittleren Befunde, wie ihn Rana und Bufo bieten, vergleicht. Während die letzteren Formen einen kräftigen, aber nicht allzuweit ausgebreiteten Pectoralis besitzen, ist bei Ceratophrys dieser Muskel sehr schwach entwickelt. Der Latissimus dorsi ent- spricht in seiner Stärke stets dem Pectoralis. Bei Dactylethra sind diese beiden Muskeln zu großen Platten, die sich bis zum Becken nach hinten erstrecken, ausgebildet. Dass ihre starke Ausbildung nieht durch mächtigere Entwicklung der vorderen Extremität ver- ursacht ist, zeigt sich deutlich an den beiden angeführten extremen Formen. Denn bei Ceratophrys, welche die beiden Muskeln so schwach entwickelt zeigt, ist gerade der Kopf und die vordere Extremitätt enorm ausgebildet und die hintere Extremität im Verhältnis dazu nur schwach entwickelt, während bei Dactylethra, welche diese beiden Muskeln in ihrer mächtigsten Entfaltung zeigt, Kopf und vordere Extremität nur schwach entwickelt ist, während die Hinterbeine eine sehr voluminöse Ausbildung zeigen. Die mächtige Entfaltung des Pectoralis und Latissimus dorsi kann demnach nicht durch die Aus- bildung der Vorderextremität verständlich werden. Sie muss durch ihre Beziehung zur Bauchwand Werth erhalten. Dass diese Muskeln auf die Bewegungen der Bauchwand von erheblichem Einfluss sind, ergiebt sich aus ihrer Anordnung. Man braucht nur einen Blick auf Fig. 10 zu werfen, um dies zuzugeben. Die starke Ausbildung der hinteren Extremität lässt darauf schließen, dass diese Thiere ent- weder mächtige Sprünge oder stark grabende oder Schwimmbewegun- gen ausführen, bei welchen eine straffe Anspannung der seitlichen Bauchwand nothwendig ist. Diese kann nur durch gestreckt verlau- fende Fasern genügend ausgeführt werden. Desshalb ist hier der Rectus sehr breit. Von den seitlichen Bauchmuskeln können in dem hier nothwendigen Sinne keine Fasern gebildet werden. Darum werden die Brust- und breiten Rückenmuskeln herangezogen, welche in mächtiger Entfaltung allen Anforderungen genügen. Dass die seitlichen Bauchmuskeln hierzu nicht mehr verwandt werden können, zeigt wieder, wie einseitig und fixirt sie bereits aus- gebildet sind. Sie sind weiterer Anpassungen nicht mehr fähig. Wenn die Lebensweise der Thiere bestimmte andere Zustände erfordert, so werden diese durch Heranziehung viel ferner stehender Muskeln aus- gebildet. Zugleich ergiebt sich daraus, dass man nicht berechtigt ist, höhere Wirbelthierformen, die Amnioten in dem Aufbau ihrer Bauch- muskulatur von Anurenzuständen abzuleiten. Der gemeinsame Aus- gangspunkt für Anuren, Urodelen und höhere Formen liegt viel tiefer 17* 260 F. Maurer und weiter zurück. Auch zwischen Anuren und Urodelen ist eine vollkommene Kluft, die sich doch wohl am prägnantesten in der Ver- schiedenheit des Larvenzustandes ausprägt. Es ist dabei aber inter- essant zu sehen, wie in einem frühen Stadium, in welchem bei der Larve der Urodelen- resp. Anurencharakter noch nicht scharf her- vortritt, sehr wohl vergleichbare Zustände auch für die erste Anlage der ventralen Rumpfmuskulatur nachweisbar sind, die aber sehr rasch divergiren, in dem Maße, wie eben der specielle Charakter der Larve sich ausbildet. In welcher Weise sich diese Divergenz ausbildet und wie die Zustände auf einander zu beziehen sind, darzulegen, war der Zweck dieser Arbeit. Zugleich ist dabei von meiner Seite wohl nicht vergessen worden, dass die Gestaltung stets die Folge der an die Organe gestellten Anforderungen ist, dass die Leistung somit das ursächliche Moment für den Bau darstellt. Heidelberg, Juni 1894. Nachtrag. Nach Abschluss vorliegender Arbeit erschien im Anatom. Anzeiger Bd. IX Nr. 23 (1. August 1894) ein Artikel von FieLp: Die Vornieren- kapsel, ventrale Muskulatur und Extremitätenanlagen der Amphibien. FIELD greift mich darin an und nimmt die von KAstTneR mir irrthümlich zugeschrie- bene »Entdeckung« des ventralen Myotomfortsatzes als Anlage der ventralen Muskulatur für sich in Anspruch. Hierzu muss ich bemerken, dass das Herab- wachsen des Myotoms in die ventrale Körperhälfte von allen Autoren, die sich mit der Differenzirung des mittleren Keimblattes beschäftigten, schon angegeben wurde (BALFOUR, GOETTE, v. WIJHE, RABL u. A.). Von mir stammt nur die Bezeichnung: »ventraler Myotomfortsatz«, die mir nothwendig schien, um die- sen Theil der embryonalen Muskelanlagen genau zu präcisiren. Der Zweck meiner früheren und der vorliegenden Arbeit ist nicht der Nachweis dieses Fortsatzes, sondern die Untersuchung und Erkenntnis der Bildung und weiteren Differenzirung der ventralen Rumpfmuskulatur. In Betreff der Vornierenkapsel sehe ich aus meinen Präparaten, dass FieLD Dinge in Verbindung bringt, die nichts mit einander zu thun haben; auf keinen Fall betheiligt sich der ventrale Myotomfortsatz an der Bildung der Vornierenkapsel. Hinsichtlich der Ablei- tung der Extremitätenmuskulatur vom Myotom stimme ich mit FIELD überein. Litteraturverzeichnis. (Vgl. auch das Verzeichnis meiner sub 9 eitirten Arbeit.) 1) MECKEL, System der vergleichenden Anatomie. III. Theil. Halle 1828. 2) Jon. MÜLLER, Vergleichende Anatomie der Myxinoiden, der Cyclostomen mit durchbohrtem Gaumen. I. Theil: Osteologie und Myologie. Ab- handlungen der königl. Akademie der Wissenschaften. Berlin 1834. Die ventrale Rumpfmuskulatur der anuren Amphibien. 261 3) Dug&s, Recherches sur l’ostéologie et la Myologie des Batraciens 4 leurs differens ages. Académie des Sciences, Sc. mathem. et phys. Tom. VI. Paris 1835. 5 4) Srannius, Handbuch der Anatomie der Wirbelthiere. Berlin 1854. 5) HUMPHREY, Observations in Myology. Journal of Anatomy and Physiology. Vol. VI. 1872. 6) Huxtey, Handbuch der Anatomie der Wirbelthiere. Deutsch von RATZEL. Breslau 1873. 7) GOETTE, Die Entwicklungsgeschichte der Unke. Leipzig 1875. 8) SCHNEIDER, Beiträge zur vergl. Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. Berlin 1879. 9) MAURER, Der Aufbau und die Entwicklung der ventralen Rumpfmuskulatur bei den urodelen Amphibien und deren Beziehung zu den gleichen Muskeln bei Selachiern u. Teleostiern. Morphol. Jahrbuch. Bd. XVIII. 10) KÄSTNER, Über die allgemeine Entwicklung der Rumpf- und Schwanzmus- kulatur bei Wirbelthieren, mit besonderer Berücksichtigung der Se- lachier. Archiv für Anatomie und Physiologie. Anatom. Abth. 1892. 11) —— Die Entwicklung der Extremitäten- u. Bauchmuskulatur bei den anuren Amphibien. Archiv für Anatomie u. Physiologie. Anatom. Abth. 1893. Erklärung der Abbildungen. Tafel VI und VII. Für alle Figuren gültige Bezeichnungen. m.sp Rückenmark, ch Chorda dorsalis, 4 Aorta, d. W WoLrr'scher Gang, i Darm. Fig. 1. Querschnitt durch die rechte Körperhälfte einer Kaulquappe von Rana temporaria von 5 mm Länge. Der Schnitt geht durch das sechste Körpersegment hinter dem Gehörbläschen. Erste Anlage der ven- tralen Rumpfmuskulatur als ventraler Myotomfortsatz (p.v). Cutis- lamelle (c), noch geschlossene Zellenlage. Fig. 2. Gleicher Querschnitt durch das neunte Körpersegment hinter dem Gehörbläschen einer Kaulquappe (Rana temporaria) von 7 mm Länge. Der ventrale Myotomfortsatz (p.v) weiter herabgewachsen; Auflösung der Cutislamelle (ce) zu embryonalem Bindegewebe. Fig. 3. Querschnitt durch das zehnte Körpersegment einer Kaulquappe von 1 cm Länge (rechte Kérperhilfte). Auflösung und Zertheilung des ventralen Myotomfortsatzes (p.v) resp. auch dessen medialer Lamelle (Muskellamelle) unter dem Einfluss des mächtig wachsenden Darm- rohrs. Fig. 4. Querschnitt durch das neunte Körpersegment einer Kaulquappe von 13 mm Länge. p.v.m die abgelöste ventrale Rumpfmuskulatur, die oberen Fasern (0.7) den Obliquus internus, die unteren (R) den nem abdominis darstellend. Vgl. nächste Figur. 962 F. Maurer, Die ventrale Rumpfmuskulatur der anuren Amphibien. Fig. 5. Fig. 6. Fig. 7 Fig. 8. Fig. 9. Fig. 10 Fig. 11 Fig. 12 A = Pi Querschnitt durch die rechte Körperhälfte einer Kaulquappe von Rana temporaria von 19 mm Länge. Der Schnitt entstammt der Rumpfmitte und stellt die primäre ventrale Rumpfmuskulatur auf der Höhe ihrer Entwicklung dar. o.. Obliquus internus, # primärer Rectus. Querschnitt durch die vordere Rumpfhälfte einer Kaulquappe von 2,5 cm Länge (Rana temporaria). Sekundäre ventrale Rumpfmusku- latur: o.e Muse. obliquus externus, Zr Musc. transversus abdominis. Von a—b (o.?) der Obliquus internus und AR Rectus abdominis, p.m Pectoralis major. Schematischer Querschnitt durch die linke Rumpfhälfte eines erwach- senen Anuren zur Demonstration der Körpermuskulatur. d.m Rücken- muskulatur, o.e Muse. obliquus externus abdominis, tr. Muse. trans- versus abdominis, # Musc. rectus abdominis, p.m Muse. pectoralis major. Die Bauchwand der rechten hinteren Rumpfhälfte einer erwachsenen Rana temporaria, von innen gesehen, nach Wegnahme des Peritoneum. Beziehung der ventralen Spinalnervenstämme (v.v) zum Muse. trans- versus (fr). A Rectus abdominis, o.e Muse. obliquus externus durch Wegnahme des Transversus sichtbar gemacht. Hintere Rumpfhälfte von Bombinator igneus. Bauchfläche von vorn gesehen nach Wegnahme der Haut. o.e Muse. obliquus externus. Auf der linken Rumpfhälfte ist der Obliquus externus weggenommen zur Demonstration des Musc. transversus abdominis (fr). R Rectus abdominis besitzt oberhalb der Symphyse oberflächlich angeordnete, fächerartig ausstrahlende Muskelfasern. Seitenansicht des Rumpfes von Dactylethra nach Wegnahme der Haut. !.d Latissimus dorsi, p.m Pectoralis major über die ganze Seitenfläche des Rumpfes ausgedehnt, o.e Obliquus externus nur hinter der vor- deren und vor der hinteren Extremität zu Tage tretend, tr Muse. transversus abdominis. Die gleiche Ansicht nach Wegnahme des Latissimus dorsi und Pec- toralis major, deren Insertionssehnen am Oberarm allein erhalten sind. o.e Musculus obliquus externus, bei x einige Fasern dieses Muskels entfernt zur Demonstration des Musc. transversus abdominis (fr), der auch vor der hinteren Extremität zu Tage tritt. Vorderansicht der Bauchfläche der linken Körperhälfte nach Weg- nahme der Haut von Dactylethra. P.m Pectoralis major in seiner Ausdehnung über die vordere und seitliche Rumpfwand. R Rectus abdominis. Die gleiche Ansicht von Ceratophrys cornuta. P.m Pectoralis major sehr schwach entwickelt, lässt die seitlichen Bauchmuskeln unbedeckt. R Rectus abdominis, o.e Muse. obliquus externus, Zr Muse. transversus abdominis. Tith Anst.x Werner &Winter, Frankfurt 7M. Verlag v With Engelmann, Leipzig. Taf: VI. \ x Dactpletmatä, 77 ld SS a ey Dactylethra “4 at Verlag wWilh Engelmann, leipzig. Sith. Anst.- Werner aWinter, Frankfurt 2M 5 Besprechung. Dr. R. S. Bergh, Vorlesungen über die Zelle und die einfachen Ge- webe des thierischen Körpers. Mit einem Anhang: Technische Anleitung zu einfachen histologischen Untersuchungen. Mit 138 Figuren im Text. — 17 Bogen, groß Oktay. Verlag von C. W. Kreidel, Wiesbaden 1894. Preis 7 #4. In diesem Werke liegt ein neues kurzes Lehrbuch über die Zelle und die einfachen Gewebe vor, welches die Elemente der Wirbellosen und der Wirbel- thiere umfasst. Der Stoff wird in zwei Büchern und einem Anhang behandelt. Das erste Buch: von der Zelle führt die verschiedenen Ansichten über den Bau des Protoplasma vor und darauf wird der Bau und die Form des Zellkerns besprochen. Ein weiterer Abschnitt behandelt die Lebensthätigkeit der Zelle. In dem Kapitel über die Vermehrung der Zellen werden die direkte und indirekte Theilung, sowie in Anschluss daran die Vorgänge bei der Be- fruchtung geschildert. Ferner werden die Einlagerungen in der Zellsubstanz, Zellmembran und Intercellularsubstanzen besonders abgehandelt. Den Schluss des ersten Buches bilden kurze geschichtliche Bemerkungen. Im zweiten, umfangreichsten Buch: von den einfachen Geweben werden nach kurzer Einleitung über Zusammensetzung der Gewebe, Organe und Organsysteme die Gewebe eingetheilt in 1) Epithelgewebe (inkl. Drüsengewebe), 2) Muskelgewebe, 3) Nervengewebe, 4) die Stütz- und Füllgewebe oder die bindegewebigen Substanzen. Das Epithelgewebe, phylogenetisch am ältesten, unterscheidet BERGH als ein- und mehrschichtiges ; die Berechtigung des Begriffs »Endothel« wird be- stritten. Bei der Besprechung des Drüsengewebes unterscheidet BERGH ein- und mehrzellige Drüsen, letztere werden in tubulöse und acinöse eingetheilt. Die Schilderung des Muskelgewebes geht aus von den kontraktilen Fibrillen der Infusorien und der Epithelmuskelzellen der Cölenteraten. Das eigentliche Muskelgewebe wird eingetheilt in 1) quergestreifte Muskulatur: die Muskelfaser ist eine in eigenthümlicher Weise ausgebildete vielkernige Zelle. Die anisotrope Substanz ist die aktiv kontraktile, während die isotrope Sub- stanz einen elastischen Apparat darstellt. Das Sarkoplasma hat ernährende Bedeutung. 2) die glatte Muskulatur: die kontraktile Substanz ist gleichartig anisotrop, zuweilen finden sich reichliche Mengen körnigen Plasmas im Zellkör- per (bei einigen Wirbellosen). Sarkolemm fehlt. Anhangsweise wird die Herz- muskulatur der Wirbelthiere besprochen. Das Nervengewebe beste} us Nervenzellen und Nervenfasern. Durch Schilderung der Verhältnisse bei asen wird die Herkunft des Nervensystems vom Ektoderm verständlich. BERGH beschreibt dann verschiedene Formen von Ganglienzellen. — Die Nervenfasern werden eingetheilt in markhaltige und marklose. Die Schwann’sche Scheide der ersteren besteht nach BERGH aus röhrenförmigen Bindegewebszellen. Die Neuroglia ist ektodermaler Herkunft. Die marklosen Fasern besitzen eine sehr feine Markscheide, aber ohne Unter- brechungen durch RaNvieErR’sche Einschnürungen (BoveRI). Bei Wirbellosen sind die Nervenfasern meist nackte Achsencylinder, außer den kolossalen Nerven- fasern im Bauchmark von Anneliden und Crustaceen. — Die Punktsubstanz des Bauchmarks Wirbelloser wird als feinstes Netzwerk nervöser Fasern geschildert, 264 Besprechung. darin finden sich auch der Glia der Wirbelthiere homologe Elemente. — Im Kapitel über Nervenendigungen vertritt BERGH die jetzt herrschende Auffas- sung der freien Endigung. Für Drüsen und sensible Endorgane wird dies aus- geführt. Auch die peripheren Enden der motorischen Fasern sollen freie sein. Die Nerven- und Sinnesepithelien werden im nächsten Kapitel als echte und unechte unterschieden. Erstere finden sich bei Wirbellosen und im Riech- epithel der Wirbelthiere: die Nervenfaser tritt hier zur Basis der Sinneszelle. Die unechten Sinnesepithelzellen werden von frei endigenden Nervenfasern nur umsponnen (Hautsinnesorgane niederer Wirbelthiere, Geschmacksknospen der Säuger). Auch die Sinnesepithelien des Gehör- und Sehorgans werden als un- echte betrachtet, ein direkter Zusammenhang zwischen Nervenfaser und Sinnes- zelle soll nicht bestehen. — Endlich wird die Anschauung vorgetragen, dass die Nervenfaser nicht Verbindungsfaser sei, sondern dass sie in gewisser Ent- fernung von der Ganglienzelle frei endige und die Leitung durch Kontakt statt- finde. Verf. vergisst, dass es in keiner Weise bewiesen ist, dass die auf die Gor6Tsche Methode dargestellten Nervenenden thatsächlich die letzten natür- lichen Enden der Fasern seien und sich die Reaktion nicht vielmehr auf ge- wisse Strecken der Nervenfaser beschränke. Das Stütz- und Füllgewebe. Nach kurzen Angaben über das Vor- kommen dieser Gewebe bei Wirbellosen theilt BERGH die Bindesubstanzen der Wirbelthiere folgendermaßen ein: Schleim- oder Gallertgewebe. Vorkommen hauptsächlich bei Wirbellosen und Wirbelthierembryonen, reichlicher bei niederen Wirbelthieren. BERGH sagt unverständlicherweise, bei Säugethierembryonen finde es sich nur im Schmelzorgan und im Nabelstrang der Embryonen. Das fibrilläre Bindegewebe wird unterschieden als festeres oder geformtes und lockeres oder formloses Bindegewebe. Im Anschluss an das Fettgewebe werden dje Hartgebilde der Echinodermen und Cölenteraten als intracelluläre Abschei- dungen besprochen. Es folgt die Schilderung von Knorpel und Knochenge- webe. Als Anhang der Stützsubstanzen wird Blut und Lymphe abgehandelt. Zum Abschluss des zweiten Buches giebt Verf. eine kurze Besprechung darüber, wie die Gewebe einzutheilen seien und spricht die Ansicht aus, die Eintheilung müsse sich auf physiologischem Grunde halten, es sei dies ge- sünder, als eine Eintheilung von rein morphologischem Standpunkt. Es muss Wunder nehmen, dass Verf. nicht selbst jenen Standpunkt verwerthet hat. Epithel- gewebe ist doch wohl ein rein morphologischer Begriff. Eine Funktion ist ohne anatomisches Substrat nicht denkbar und die Kenntnis des Baues dieses Substrates wird stets die Grundlage bilden, von der aus die Leistungen erst verständlich werden. Im dritten Theil des Buches (Anhang) giebt Verf. technische Anleitun- gen zu einfachen histologischen Untersuchungen, indem er zuerst in allge- meinen Bemerkungen die Methoden zur Untersuchung frischer Gewebe, dann die üblichen Fixirungs-, Härtungs-, Färbe-, Einbettungs- und Einschlussmethoden angiebt. Im Kapitel »specielle Technik« führt er zuletzt, dem Gange des ersten und zweiten Buches folgend, die jetzt gebräuchlichen Methoden an, um die Zelle in ihren verschiedenen Formen und die einfachen Gewebe zur Anschau- ung zu bringen. Der Anfänger findet hier eine praktische und leicht verständ- liche Belehrung. Heidelberg, Oktober 1894. F. Maurer. Über Umformungen an den Ineisiven der zweiten Zahngeneration des Menschen. Von Dr. Emil Rosenberg, Professor der Anatomie in Utrecht. Mit Tafel VII—XI und 1 Figur im Text. Das allgemeine Interesse, welches der Morphologie des Zahn- systems zukommt, ist so oft erörtert worden und spricht sich in den zahlreichen während der letzten Jahre in besonders rascher Aufein- anderfolge erschienenen Arbeiten über dieses Organsystem so deut- lich aus, dass es nicht erforderlich erscheint, dieses Interesse noch- mals darzulegen, um dadurch einen dieses System betreffenden Aufsatz zu motiviren. Die erwähnten Arbeiten haben zum Theil ausschließlich, zum Theil vorherrschend den Weg ontogenetischer Forschung betreten, oder es ist durch vergleichend - anatomische Untersuchung jetzt lebender sowie fossiler Formen danach gestrebt worden, die Entstehung der komplieirteren Gestaltungen der einzel- nen Zahnindividuen zu eruiren. Auf beiden Wegen ist reiche Aus- beute erlangt und die Aussicht auf weitere Erkenntnis eröffnet worden. Es bietet sich indess noch ein dritter Weg und auf diesem ver- sucht der vorliegende Aufsatz einen Beitrag zur Morphologie des menschlichen Zahnsystems zu gewinnen. Es erschien mir wünschens- werth, den, so viel mir bekannt, zuerst von HENSEL! zur Geltung gebrachten Gesichtspunkt anzuwenden, der es gestattet, aus den mannigfachen Befunden, die an einem gegebenen Organisationsver- 1 Über Hipparion mediterraneum. Abhandlungen der k. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. A.d. J. 1860. Berlin 1861. pag. 69—71. Morpholog. Jahrbuch. 22. 18 266 ; Emil Rosenberg hältnis bei einer und derselben Form im entwickelten Zustand der- selben sich darbieten, einen Theil der Geschichte dieses Organisations- verhältnisses festzustellen. Die Benutzung dieses Gesichtspunktes dem Zahnsystem gegenüber erscheint besonders gerechtfertigt, weil, wie schon mehrmals hervorgehoben worden, große, zur Zeit gar nicht zu überwindende Schwierigkeiten bestehen bei der Bestimmung der speciellen Homologie der Zähne, wenn auch nur einigermaßen ent- ferntere Formen für die Vergleichung benutzt werden — ein Um- stand, der nothwendigerweise das Ergebnis der Vergleichung um so mehr ungünstig beeinflussen muss, je weiter von einander abstehende Formen verglichen werden. Die Schwierigkeit der Bestimmung der Homologien macht sich sogar noch geltend, wenn zunächst bei einer einzelnen Form die individuellen Schwankungen untersucht werden, allein hier ist diese Schwierigkeit noch am ehesten zu überwinden und es ist klar, dass, wenn zunächst mit dem zur Zeit erreichbaren Grade von Sicherheit für jede Einzelform der in den Variationen sich bekundende Theil der Geschichte festgestellt ist, damit, außer der so gewonnenen Einsicht in einen Theil der Geschichte der Einzelform, auch die Möglichkeit sich ergiebt, die Vergleichung mit mehr Sicherheit fortzuführen und sie dann auch im Hinblick auf größere Gruppen von Formen derart anzustellen, dass die Fehler- quelle vermieden wird, die besteht, so lange dem Postulat, nur speciell homologe Bestandtheile durch Vergleichung mit einander zu verknüpfen, nicht genügt werden kann. Die Untersuchung der Einzelform erscheint als eine nothwendig zu erfüllende Vorbedingung für die Ausführung von Untersuchungen, die sich auf viele Formen erstrecken wollen. Ich stimme hiermit vollkommen den Äußerungen bei, in denen kürzlich Lecue' darauf hingewiesen, wie nothwendig es sei, bei Studien über das Zahnsystem vom »Individuum« auszu- gehen und allmählich erst, von Art zu Art fortschreitend, die For- schung auf größere Gruppen zu erstrecken. Wenn man mit solchen Erwägungen an die Betrachtung der menschlichen Zahnreihen geht, so erscheinen die Incisiven und das hintere Ende der Reihe der Molaren besonders beachtenswerth, weil diese Abschnitte relativ viel Verschiedenheiten darbieten. Indess auch die Prämolaren sind nicht immer in derselben Form und Anordnung anzutreffen. In Betreff der Molaren wie der Prämolaren sind meine Beobachtungen nicht voll- 1 Studien über die Entwicklung des Zahnsystems bei den Säugethieren. Morpholog. Jahrbuch. Bd. 19. 1892. pag. 504. Über Umformungen an den Incisiven der zweiten Zahngeneration etc. 267 vollständig genug, ich lasse dieselben also zunächst bei Seite und beschränke das Thema dieses Aufsatzes auf die Incisiven und zwar die der zweiten Zahngeneration!. Dieser Abschnitt des Zahnsystems des Menschen erschien mir nicht nur wegen der an ihm sich kund gebenden Umformung als soleher näherer Prüfung werth, es erschien mir derselbe auch als ein geeignetes Objekt für Untersuchungen, die in der Weise, wie ich es bei einer früheren Gelegenheit? angegeben habe, im Präparirsaal anzustellen wären. Im Hinblick hierauf war es besonders wünschens- werth, von den erkennbaren Stadien der Umformung eine möglichst große Zahl festzustellen und auch bildlich zu fixiren. Was nun die untersuchten Objekte anlangt, so hatte ich schon vor längerer Zeit, während meines Aufenthalts in Dorpat, angefangen, hierhergehörige Beobachtungen zu sammeln. ich hatte aber nur relativ wenige und weit aus einander liegende Stadien (darunter mehrere, die frühere Stufen repräsentiren) erhalten können. Nach meiner Übersiedelung nach Utrecht bemerkte ich, dass hier am Ort bei vielen Personen Zustände der Incisiven vorkommen, die höheren Entwicklungsstufen angehören. Allerdings konnte ich im Präparir- 1 Es ist ein wichtiges Ergebnis der neueren Arbeiten, dass die Beziehun- gen des »Milchgebisses« zum sogenannten bleibenden Gebiss näher eruirt worden sind. Wie mir scheint, muss man die Bezeichnung » Milchgebiss« fortan fallen lassen, und da das sogenannte bleibende Gebiss in so fern aus Zähnen ver- schiedenen Werthes besteht, als die Molaren mit den Zähnen des sogenannten Milchgebisses in eine Reihe gehören, so kann auch nicht wohl von einer blei- benden Zahnreihe geredet werden. Dieser Ausdruck lässt die Verschieden- artigkeit der zusammensetzenden Elemente nicht erkennen. Es erscheint mir am zweckmäßigsten, von den promiscue gebrauchten Ausdrücken »Dentition« und »Zahngeneration« den letzteren zu verwenden und von einer ersten und einer zweiten Zahngeneration zu reden. Ganz korrekt ist diese Bezeichnungs- weise allerdings auch nicht, da die erste Zahngeneration sicherlich auch eine Vorgängerin in einer noch früheren Zahngeneration gehabt hat; wenn man sich dieses Umstandes bewusst bleibt, können jedoch immerhin die Bezeichnungen erste und zweite Zahngeneration benutzt werden. 2 In meiner Antrittsvorlesung (vgl. Eine vergleichende Beurtheilung der verschiedenen Richtungen in der Anatomie des Menschen. Leipzig 1889. pag. 43—47) habe ich über Untersuchungen mich geäußert, bei denen Bestimmungen der Entwicklungsstufe, die von den im Präparirsaal zur Beobachtung gelangen- den Objekten erreicht worden, systematisch vorzunehmen wären, und habe die Bedeutung solcher Untersuchungen im Allgemeinen angedeutet. Bei den Dis- kussionen, die später über ähnliche im Präparirsaal vorzunehmende Unter- suchungen stattgehabt, sind meine Bemerkungen unberücksichtigt geblieben; ich beabsichtige in einem anderen Aufsatz auf diese Angelegenheit näher ein- zugehen. 18* 268 Emil Rosenberg saal, wegen der geringen Zahl von Leichen, die mir zur Verfügung stand, hierüber keine nennenswerthen Beobachtungen machen, allein da hierher gehörige Wahrnehmungen auch an Lebenden gemacht werden können, so konnte ich hoffen, hier am Ort namentlich in Bezug auf die höheren Entwicklungsstufen reichliche Beobachtungen zu sammeln. Ich wandte mich daher an den Direktor des zahnärzt- lichen Instituts der hiesigen Universität, Herrn Lector Dr. Tu. DENTZ, theilte ihm mein Interesse an dem Gegenstand mit und machte die Formen namhaft, welche vom morphologischen Gesichtspunkt aus mir für eine nähere Betrachtung besonders wiinschenswerth sein würden. Mit vollem Verständnis für den Gegenstand und größter Bereitwillig- keit hat mein verehrter Kollege sowohl die in seiner Klinik wie in der Privatpraxis sich darbietenden Fälle, sowie diejenigen, die mir auf anderem Wege, zum Theil durch freundliche Mitwirkung mehrerer meiner Zuhörer bekannt wurden, in seinem Laboratorium in sehr gelungener Weise in Gips abformen lassen. Diese Abgüsse sind der Sammlung des anatomischen Instituts einverleibt worden. Es ist mir ein Bedürfnis, auch an dieser Stelle Herrn Dr. Tu. DEnTz für das Interesse, welches er an der Angelegenheit genommen, und für seine unermüdliche Mitwirkung meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. Die Sammlung von Abdrücken, von denen die ersten aus dem Anfang des Jahres 1859 stammen, erhielt auch von anderer Seite her erwünschten Zuwachs, nachdem ich während eines Kon- gresses holländischer Zahnärzte, der 1891 in Utrecht tagte, Gelegen- heit gehabt hatte, die bereits gesammelten Objekte vorzulegen und die noch fehlenden Stadien zu bezeichnen. Nicht wenige Abdrücke von Belang habe ich darauf aus verschiedenen Städten Hollands zu- gesandt erhalten. Den Herren Dr. Becur im Haag, GLASER in Utrecht, HEERINGA in Zutphen, Dr. van DEN Hoek in Middelburg, Dr. NAGEL in Kleve und Dr. MAHLER in Rotterdam bin ich hierfür zu Dank verpflichtet. Es hat ein später noch näher zu berührendes Interesse, dass ich hier am Ort Fälle, die relativ frühe Stufen re- präsentiren, bisher, trotz jahrelanger Bemühungen, nicht erhalten konnte!. Den Wunsch, derartige Objekte in größerer Zahl aus eigener Anschauung kennen zu lernen, konnte ich bei einem Besuch des zahnärztlichen Instituts in Berlin erfüllen. Herr Prof. Busch, der Direktor dieser musterhaft verwalteten Anstalt, hatte die Güte, ! Erst nach Abschluss des Manuskripts ist mir ein Fall bekannt geworden, über den ich später berichten werde. Über Umformungen an den Incisiven der zweiten Zahngeneration etc. 269 mir zu gestatten, aus der sehr großen und werthvollen Sammlung von Abdrücken die mir wünschenswerthen näher zu untersuchen und für diesen Aufsatz zu verwenden. Hierfür, sowie für die Liberalität, mit welcher eine Benutzung der reichhaltigen Bibliothek des Insti- tuts mir gestattet wurde, sage ich Herrn Prof. BuscH auch an dieser Stelle meinen besten Dank. Ich bin somit in der günstigen Lage gewesen, ziemlich viel Objekte! benutzen zu können. Die im Utrechter anatomischen In- stitut befindliche Sammlung von Abdrücken repräsentirt jetzt etwas über 100 Objekte (meist sind beide Zahnreihen abgeformt) und es 1 Da das nähere Studium der meisten Fälle, die mir zugänglich wurden, am Gipsabdruck vorgenommen wurde und auch die Abbildungen (mit wenigen Ausnahmen) nach Gipsmodellen hergestellt sind, so ist es vielleicht nicht un- nütz, eine Bemerkung über die Zuverlässigkeit dieser Reproduktionen zu machen. Ich war Anfangs selbst im Zweifel darüber, ob die Nachbildung hin- reichend naturgetreu werden könne, da beim Ablösen der Masse, in welche die Zahnreihe hineingedrückt wird, Entstellungen dieser für den Gipsabguss zu benutzenden Form vorkommen können und auch bei der Befreiung des Gips- abdruckes selbst Entstellungen nicht von vorn herein ausgeschlossen sind. Dieselben kommen in der That vor; ich habe mich aber durch wiederholtes Vergleichen der abgeformten Zahnreihe mit dem Abguss davon überzeugt, dass bei guter Ausführung des Verfahrens der erforderliche Grad von Genauigkeit in der Nachbildung der Gestalt und des Reliefs der Zähne erreicht werden kann, und bei einiger Übung ist es auch möglich, einen Abguss als fehlerhaft zu erkennen, auch wenn das Original nicht verglichen werden kann. Es haben nur solehe Abgüsse Verwendung gefunden, die keinen Zweifel hinsichtlich ihrer Brauchbarkeit zuließen. Um nun aber bei der bildlichen Wiedergabe der be- obachteten Formen Fehler möglichst zu vermeiden, waren photographische Ab- bildungen erforderlich. Dieselben wurden im anatomischen Institut hergestellt. Ich habe es dem wohlwollenden Interesse der Herren Curatoren der hiesigen Universität zu verdanken, dass mir (im Jahre 1891) die Mittel bewilligt wurden, um einen photographischen Apparat anzuschaffen und die für die Verwendung desselben nöthigen Einrichtungen im Institut herstellen zu lassen. Für das gute Zustandekommen dieser Einrichtungen habe ich dem damaligen Assistenten am anatomischen Institut, Herrn Cand. med. B. Boxs, meinen Dank auszusprechen. Durch seine Vertrautheit mit der photographischen Technik war Herr Boks in der Lage, nicht nur im Hinblick auf die erwähnten Einrichtungen, sondern auch bei den Aufnahmen selbst den größten Theil der Anfangs nicht geringen Schwierigkeiten zu überwinden. Herr Boxs hat mich weiter auch dadurch sehr verpflichtet, dass er auf meine Bitte den für die Ausführung technischer Ar- beiten am Institut angestellten Beamten, Herrn IsseLs, in der photographischen Technik unterrichtet hat; nachdem Letzterer in diesen Arbeiten in anerkennens- werther Weise sich geübt, bin ich jetzt in der günstigen Lage, bei photogra- phischen Aufnahmen, die im Institut gemacht werden sollen, nur das Einstellen der Objekte selbst vorzunehmen, das weitere Verfahren kann ich dem erwähnten Beamten überlassen. 270 Emil Rosenberg fehlen in dieser Sammlung nur so wenige der vorauszusetzenden Formen, dass ich die vorliegenden für ausreichend halten durfte für eine Besprechung des Gegenstandes dieses Aufsatzes; ich gehe da- her nach diesen einleitenden Bemerkungen zum Thema über. A. Umformungen an den oberen Incisiven der zweiten Zahngeneration. Atavistische Befunde (Reihe I). Es ist eine nicht selten geäußerte Anschauung, dass die Zahl der Incisiven, die normal beim Menschen gefunden wird, aus einer größeren Zahl solcher Zähne durch Reduktion hervorgegangen ist. Man weist zur Begründung dieser Anschauung auf eine sogenannte »normale« oder »typische« oder »allgemeine Zahnformel« der Säuge- thiere hin, die A ges MS = — 44 lautet und für die Mehrzahl der — placentalen Er namentlich auch für die Primaten, in dem Sinne Geltung hat, dass sie das Verhalten einer alten Stammform derselben ausdrückt!. Über die Berechtigung, eine solehe Formel anzunehmen, kann man verschiedener Meinung sein?, sicher wird man aber die größere i Vgl. E. D. Cope, The method of creation of organic forms. Proceed. of the Americ. Philosoph. Soc. Vol. XII. 1871. pag. 234. ‚CH. S. Tomes, A manual of dental anatomy human and comp. 3. ed. 1889, pag. 304, 305. Busch, Die Überzahl und Unterzahl in den Zähnen des menschlichen Ge- bisses etc. Deutsche Monatsschr. f. Zahnheilkunde. Jahrg. IV. 1886. pag. 455, 456. Jahrg. V. 1887. pag. 68, 69. E. MÜHLREITER, Anatomie des menschlichen Gebisses. 2. Aufl. 1891. pag. 13. E. ZUCKERKANDL, Makroskopische Anatomie. Handbuch der Zahnheil- kunde von J. SCHEFF. Bd. I. 1891. pag. 107. J. SCHEFF, Retention, Rudimentärzähne etc. im eben alae Handbuch. Bd. I. pag. 549, 550. 2 R. BAUME (Odontologische Forschungen. Th. I. 1882. pag. 193, 194) sucht darzulegen, dass diese Zahnformel nicht diejenige der gemeinsamen Stammform der »jetzt herrschenden Placentalen« gewesen sein könne, da z. B. Otocyon 4 _,4 , ; : i ; Pr M7 besitzt; die sogenannte typische Formel sei in mehreren Gruppen bei divergenter Entwicklung unabhängig zu Stande gekommen. Das kann gewiss zugegeben werden, nur darf, wie mir scheint, dabei nicht außer Acht gelassen werden, dass Zahnformeln, welche über die Zahl der Zähne in den einzelnen Abtheilungen von Zahnreilien gleichlautende Angaben machen, desshalb noch nicht gleiche Bedeutung haben. Über Umformungen an den Incisiven der zweiten Zahngeneration ete. 271 Zahl von Zähnen in einer bestimmten Abtheilung einer zur Verglei- chung benutzten Zahnreihe als den Ausdruck primitiveren Verhaltens ansehen dürfen. Die Zähne sind bei ihrem ersten Auftreten bei relativ sehr primitiven Wirbelthieren gleich von vorn herein in großer ' Menge zur Differenzirung gelangt, und wenn man mit Berücksichti- gung dieses Umstandes durch eine Betrachtung der verschiedenen Befunde, die das Zahnsystem in den einzelnen Abtheilungen der Wirbelthiere darbietet, die Hauptmomente der Geschichte dieses Organsystems eruirt, so ist überall deutlich erkennbar, wie bei der Umgestaltung des Zahnsystems die Reduktion einen außerordentlich wirksamen (wenn auch natürlich nicht den einzigen) Faktor abgiebt. Anhaltspunkte für die Annahme einer im Laufe phylogenetischer Entwicklung geschehenen Neuentstehung von Zahnindividuen bei einigermaßen höher differenzirten Formen fehlen dagegen. Diese Betrachtungsweise im Verein mit der Annahme der Formel = für eine der Ahnenformen des Menschen giebt Beobachtungen ein Interesse, bei denen in der oberen Zahnreihe des Menschen (von dem hier zunächst die Rede ist) in der Region eines oder beider Zwischen- kiefer1 drei resp. sechs Ineisiven beobachtet worden sind. Uber solche Befunde liegen Angaben in der Litteratur vor, von denen einige hier erwähnt sein mögen? Zunächst sei hier ein Fall auf- 1 Diese Bezeichnung wird hier in der ihr gewöhnlich beigelegten Bedeu- tung gebraucht und bezeichnet somit das Gebilde, welches nach ALBRECHT’s noch nicht genügend erwiesener Auffassung aus innerem und äußerem Zwischen- kiefer durch Verschmelzung beider hervorgegangen wäre. 2 An dieser und an späteren Stellen, wo in der 'Litteratur enthaltene Mit- theilungen über die verschiedenen Befunde am Zahnsystem des Menschen zu eitiren sind, ist es nicht meine Absicht, alle einschlägigen Angaben zusammen- zustellen. Der hier zu berücksichtigende Theil der Litteratur ist sehr ausge- dehnt, und da nicht wenige Angaben in schwer zugängigen Zeitschriften oder selten gewordenen Publikationen enthalten sind, so ist es mir trotz vieler Be- mühungen nicht möglich gewesen, die ganze hierhergehörige Litteratur kennen zu lernen. Ich bin daher schon aus diesem Grunde nicht in der Lage, alle Mittheilungen, die angeführt werden könnten, zusammenzustellen. Ich halte aber auch eine solche Zusammenstellung in dem gegebenen Falle desshalb für unnütz, weil viele Angaben, wie auch schon von anderer Seite bemerkt worden (vgl. BuscH, Monatsschrift f. Zahnheilkunde. Jahrg. V. 1887. pag. 59, 60), ganz ungenügend sind. Dieselben betreffen oft nur die Existenz von Abweichungen ohne eine auch nur einigermaßen brauchbare Beschreibung, in anderen Fällen sind die Beschreibungen nicht genau genug und besonders macht sich der Mangel an guten Abbildungen geltend. Ich werde aus den mir bekannt ge- wordenen Mittheilungen nur diejenigen herausheben, welche die Befunde relativ 272 Emil Rosenberg geführt, der in dem durch Mernirz herausgegebenen Atlas von HEIDER und WeEDL! abgebildet und kurz beschrieben ist. Die Ab- bildung zeigt in dem Zwischenraum zwischen den Caninen sechs Incisiven, die, abgesehen von einer Achsendrehung des an den rechten Caninus grenzenden Schneidezahns, eine regelmäßige, bogenförmig gekriimmte Reihe formen. Evident ist das Verhalten der jedem Zwischenkiefer in diesem Fall zukommenden drei Ineisiven ein sym- metrisches; die an die Caninen stoßenden Ineisiven sind kleiner als die anderen und gleichen in der Form gewöhnlichen gut entwickelten lateralen Ineisiven; die beiden anderen jederseits vorhandenen Zähne haben die Form, die für einen medialen Incisivus die gewöhnliche ist; es ist aber zu bemerken, dass hier von den beiden in der Me- dianebene einander berührenden Zähnen der rechte deutlich (und in einer Andeutung auch der linke) schmäler erscheint als der Zahn, der lateralwärts in jedem Zwischenkiefer den genannten folgt. Die Thatsache der Existenz von sechs Schneidezähnen in beiden Zwischenkiefern ist ferner von ALBRECHT? in zwei Fällen beim Er- wachsenen und von TuRNER® in einem Fall im bleibenden Gebiss konstatirt worden, nähere Angaben fehlen jedoch. Auch BuscH* erwähnt die Existenz zweier Fälle, in denen »die doppelten über- zähligen Schneidezähne auf beide Seiten gleichmäßig vertheilt« waren. Weiter sind Fälle beobachtet worden, wo nur auf einer Seite drei Incisiven vorhanden waren und die andere Seite sich normal verhielt. BuscH5 zählt sechs Fälle aus seiner Sammlung auf, wo am besten schildern und dadurch es ermöglichen, in diesen Befunden Beiträge zur Charakterisirung von Entwicklungsstufen des Zahnsystems zu finden. Dass ich nicht die ganze, mir wünschenswerthe Litteratur habe erhalten können, be- dauere ich desshalb, weil mir so Mittheilungen haben entgehen können, die vorauszusetzende Entwicklungsstufen als durch die Beobachtung verifieirte hätten bezeichnen lassen. 1 Atlas zur Pathologie der Zähne von M. HEIDER und C. Wepr. Zweite Auflage, bearbeitet von J. v. Mernıtz. Lief. I. Leipzig 1889. pag. 3. Taf. I Fig. 11. Die Beschreibung bietet Folgendes: »(Fall, beobachtet von Dr. J. PICHLER in Wien.) Oberkiefer mit 4 mittleren Schneidezähnen im Zahnbogen, welch letzterer dadurch nur erweitert, nicht aber auffallend verschoben ist. Der rechte seitliche Schneidezahn ist um 90° um seine Achse gedreht.« 2 Vgl. Über die morphologische Bedeutung der Kiefer-, Lippen- und Ge- sichtsspalten. LANGENBECK’s Archiv. Bd. 31. pag. 20 des Separatabdruckes. 3 Vgl. The relation of the alveolar form of cleft palate to the incisor teeth etc. Journal of Anatomy and Phys. Vol. 19. 1885. pag. 207. 4 Vgl. 1. c. Deutsche Monatsschr. f. Zahnheilk. Jahrg. IV. 1886. pag. 451. 5 1.8. c. pag. 451. Über Umformungen an den Incisiven der zweiten Zahngeneration ete. 273 ein »überzähliger einfacher Schneidezahn« zwischen dem mittleren und seitlichen Schneidezahn sich finde (in drei Fällen an der rechten und in drei Fällen an der linken Seite) und in zwei von VircHow! mitgetheilten Fällen sind in dem einen rechts drei Schneidezähne vorhanden, von denen der mediale als der überzählige bezeichnet wird (er sei kleiner und erheblich kürzer); in dem anderen Falle handelt es sich um drei Zähne auf der linken Seite, wobei der am meisten medial gestellte aus der Reihe nach rechts und nach vorn hervortritt. Solche Befunde werden von den Autoren, welche auf die Frage nach einer Deutung eingehen, mit mehr oder weniger Bestimmtheit als atavistische Erscheinungen angesehen. Macrror? hält jeden supernumerären Zahn für einen atavistischen; BuscH* will diese Deutung nur für diejenigen Fälle zulassen, wo die supernumerären Zähne im Gebiet der Zwischenkiefer die Form normaler Schneide- zähne haben und höchstens zu zweien neben den normalen Zähnen vorhanden sind; Vircnow! sagt, die Überzahl habe »wahrscheinlich immer einen atavistischen Charakter, wenn ein oder mehr voll aus- gebildete Überzähne in der Linie vorhanden sind«. Die Deutung solcher Fälle, wie die oben eitirten, als atavisti- sche Erscheinungen dürfte somit wohl kaum auf einen Widerspruch stoßen und scheint auch mir die einzig mögliche zu sein. Damit ist indess den Anforderungen an eine Deutung, wie mir scheint, noch nicht Genüge gethan. Es wäre zu erörtern, welchem der Zähne einer aus drei Ineisiven bestehenden Reihe, die einer Stammform im oben erörterten Sinne angehört, ein beim Menschen ausnahmsweise auf- getretener Incisivus homolog ist, und diese Frage hängt eng zusam- men mit der Vorstellung, die man sich darüber machen will, welcher Zahn im Laufe phylogenetischer Umgestaltung aus einer Reihe von drei Ineisiven geschwunden, um die Zweizahl beim Menschen zu liefern. Es sind über diese letztere Frage drei verschiedene An- schauungen geäußert worden. HENsEL> leitet durch Vergleichung der 1 Vgl. Retention, Heterologie und Überzahl von Zähnen. Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte. Jhrg. 1886. pag. 393, 394. Fig. 5, 6. 2 Vgl. Lois de dentition in Dictionnaire de sciences anthropologiques. Paris 1884.. pag. 382. Vgl. auch von demselben Autor: Traité des anomalies du systeme dentaire. Paris 1877. pag. 90, 91. 3 1. c. Deutsche Monatsschr. f. Zahnh. Jhrg. IV. pag. 458. * 1. c. pag. 400. 5 Uber Homologien und Varianten in den Zahnformeln einiger Säugethiere. Morpholog. Jahrb. Bd. V. 1879. pag. 535. j 274 Emil Rosenberg Zustände bei einigen Säugern die Zweizahl beim Menschen daraus her, dass von einer drei Incisiven enthaltenden Reihe der am meisten lateral gestellte, d.h. J3, geschwunden sei, die beim Menschen normal vorhandenen seien allen als Ji und J2 2 anzusehen. Baume}, der sich gleichfalls auf einige vergleichend-anatomische Verhältnisse stützt, behauptet mit großer Bestimmtheit, dass der Ineisivus, wel- cher den Affen und dem Menschen an der typischen Zahl fehlt, »in der Mittellinie fortfiele.. Die beim Menschen vorhandenen Zähne wären demnach als J2 und J3 zu bezeichnen. Mit Berücksichtigung einiger Fälle von supernumerären Zähnen beim Menschen und auf den Umstand hinweisend, dass oft der Zwischenraum zwischen den beiden medialen Incisiven der Norm auffallend groß sei, äußert H. H. Epwarps? die Vermuthung, es seien die »original centrals« geschwunden; er ist also derselben Ansicht wie BAUME. Eine dritte Möglichkeit der Auffassung ist zuerst durch ALBRECHT vertreten worden. Von den Befunden ausgehend, die bei der Existenz von Kieferspalten hinsichtlich des Zahnsystems sich darbieten, ist ALBRECHT zu der Ansicht gelangt, dass von drei ursprünglichen In- cisiven dem Menschen unter normalen Verhältnissen der mittlere fehle, die vorhandenen also Ji und J3 seien. Dieser Auffassung stimmt Turner‘ bei und sie hat auch in A. Wınsox einen Vertreter gefunden; dieser letztere Autor weist zur Begründung derselben auf Fälle abnormerweise auftretender Zähne hin, in welchen diese Zähne zwischen den normalen Ineisiven der einen Seite oder mehr median- wärts gerückt sich fänden. Diese eben in Kürze dargelegten Anschauungen stehen unver- mittelt neben einander. H. Epwarps äußert nebenher, dass er der Ansicht von Wırson nicht beistimmen könne und Baume bemerkt, dass er die Annahme, es sei bei Primaten der dritte Ineisivus ge- schwunden, nicht berechtigt finde; diese Annahme sei nicht durch die Existenz des Diastems zwischen J2 und C zu begründen. Im Übrigen aber wird von den genannten Autoren nur für die eigene 1 Odontologische Forschungen. I. 1882. pag. 278. 2 Vgl. The missing incisors in man. Which are they? in The Journal of the British Dental Association. Vol. VI. 1885. pag. 735. 3 Sur les 4 os intermaxillaires, le bec-de-liévre et la valeur morphologique des dents incisives supérieurs de homme. Bruxelles 1883. pag. 18, 19. *].c. Journal of Anat. Phys. 1885. pag. 206, 207. 5 The missing incisors in man. The Journ. of the British Dental Assoc. Vol. VI. 1885. pag. 242, 243. Über Umformungen an den Incisiven der zweiten Zahngeneration etc. 275 Auffassung Beweismaterial angeführt und die anderen Möglichkeiten werden dabei gar nicht oder nicht genügend in Erwägung gezogen. Es ist also zu untersuchen, welche von diesen Auffassungen zu sta- tuiren sei und ob vielleicht mehrere Modi der Reduktion neben ein- ander wirksam gewesen. Das für eine solehe Untersuchung verwendbare Material ist wohl zunächst in den Fällen zu suchen, wo beim Menschen atavistischer- weise aufgetretene Ineisiven vorliegen, und es sind diejenigen Ob- jekte vorzuziehen, wo sonst normale! Verhältnisse vorliegen. Schon die vorhin eitirten Fälle bieten ein Verhalten, das in der zu erörternden Frage nicht ohne Belang scheint. In einem der von Vırcuow aufgeführten Objekte ist der am meisten medianwärts gestellte Ineisivus als der atavistische bezeichnet worden, während Buscu sechs Fälle mittheilt, bei denen der supernumeräre, d. h. der atavistischerweise aufgetretene Zahn zwischen den beiden nor- malen Ineisiven sich findet. Sind also in diesen Fällen die Zähne, welche als normale Ineisiven angesehen wurden, riehtig bestimmt, woran zu zweifeln kein Grund vorliegt, so sieht man, dass die ata- vistischen Zähne nieht in allen Fällen einander homolog sind und schon dieser Umstand weist darauf hin, dass bei der Umge- staltung einer Reihe von Ineisiven nicht nur an einer Stelle eine Reduktion stattgehabt haben kann. Für eine Beurtheilung dieser Angelegenheit stehen mir außer einigen in Dorpat gesammelten Fällen, die atavistische Erscheinun- sen darbieten, eine Anzahl Objekte zur Verfügung, die ich in der Sammlung des zahnärztlichen Instituts der Universität in Berlin näher kennen lernte. Die Gesammtzahl der mir vorliegenden Fälle ist zwar keine große, allein dieselben ergeben doch gewisse Anhalts- punkte und es lassen sich in der Litteratur enthaltene Angaben an diese Fälle in einer Weise anschließen, die, wie mir scheint, ein Urtheil in der vorliegenden Frage ermöglicht. Zu diesem Zwecke führe ich zunächst einen Fall vor, welcher der Berliner Sammlung angehört und einen Zustand von exquisitem Atavismus darbietet. 1 Die von ALBRECHT benutzten Fälle von Spaltbildungen haben zwar, in so fern es sich um Hemmungsbildungen handelt, ein Interesse, allein bei vielen derselben kombiniren sich mit der Hemmungsbildung sekundäre Ab- weichungen und pathologische Verhältnisse, die eine Beurtheilung außerordent- lich erschweren, desshalb und weil mir eigene hierhergehörige Beohapuinnzen fehlen, wird auf diese Fälle hier nicht eingegangen. 276 Emil Rosenberg Der Fall! ist Taf. VII Fig. 1 abgebildet?. Es ist an dem Gipsabguss zu ersehen, dass alle Zähne der oberen Reihe anwesend, groß und gut ausgebildet sind; M3 ist mit deutlichem Hypoconus ausgestattet. Zwischen den Caninen stehen , wie die eitirte Figur zeigt, evident sechs Incisiven, die eine gut geschlossene Reihe bilden; diese ist _nur in so fern etwas unregelmäßig, als der dritte der hier vor- handenen Ineisiven der rechten Seite um 90° um seine Achse ge- dreht ist. Die mittleren Zähne der Gesammtreihe der Ineisiven sind nur wenig nach vorn geneigt. Dass hier ein atavistisches Verhalten vorliegt und auf jeder Seite ein ausnahmsweise wieder aufgetretener Zahn neben dem normalen sich vorfindet, dürfte nach dem früher Gesagten nicht zweifelhaft sein, es wirft sich aber die Frage auf, welehe Zähne die beiden atavistischen sind. Betrachtet man den Fall nun näher, so sieht man, dass jederseits der Zahn, der am meisten der Medianebene genähert ist (der erste der jederseits vor- handenen Reihe) deutlich schaufelförmig gestaltet ist; diese beiden Zähne haben nahezu die gleiche Größe und diese steht der eines J1 der Norm nicht nach. Isolirt betrachtet würde man sie für die Zähne Ji der Norm halten können. Vergleicht man diese Zähne aber mit den lateral auf sie folgenden (den zweiten der jederseits ! Ich glaube nicht unterlassen zu müssen, zu den einzelnen, hier und in den folgenden Abschnitten zu besprechenden Fällen Angaben hinzuzufügen, aus denen ersehen werden kann, um welche konkreten Objekte es sich handelt. Es scheint mir das erforderlich, nicht allein um jeden Zweifel darüber auszu- schließen, dass ich auch bei den Angaben über nicht abgebildete Fälle auf ganz bestimmte Objekte mich beziehe, sondern auch um eine etwaige Nach- prüfung meiner Angaben zu ermöglichen. Ich werde bei den Objekten, die der Utrechter Sammlung angehören, die Bezeichnung, unter welcher das Objekt in den Katalog der Sammlung aufgenommen ist (die Jahreszahl und eine hinzu- gefügte Nummer) angeben und hinzufügen, wo der betreffende Fall zur Beob- achtung gekommen ist, resp. von wem derselbe der Sammlung übergeben wurde. Der oben eitirte, der Berliner Sammlung angehörige Fall ist sub Nr. 162 des Katalogs der Gipsabdrücke des zahnärztlichen Instituts in Berlin verzeich- net, dazu findet sich die Bemerkung: »Auffallend starker und großer Oberkiefer mit doppelten mittleren Schneidezähnen. Geschenk von Dr. von METNITZ in Wien 1887.« 2 Die Figur zeigt das Objekt in zwei Ansichten, in einer von der labialen Seite und gerade von vorn und in einer anderen von der lingualen Seite bei derart schräg gestelltem Objekt, dass der Blick möglichst senkrecht auf die linguale Fläche der Ineisiven fällt, diese also ohne perspektivische Verkürzung gesehen werden; erst durch Vergleichung beider Ansichten ist eine richtige Vorstellung über die Größe der Incisiven zu erlangen. Daher habe ich auch bei allen anderen Figuren, welche die obere Zahnreihe wiedergeben, dieselbe Darstellungsweise gewählt. Über Umformungen an den Incisiven der zweiten Zahngeneration etc. 277 vorhandenen Reihe), so sieht man, dass diese letzteren noch größer und stärker sind (namentlich in der Ansicht von der labialen Seite ist das deutlich), auch haben diese Zähne vollkommen die Gestalt von normalen Ji, während die den Caninen zunächststehenden in dem vorliegenden Fall eine Form zeigen, die sehr oft beim Zahn J2 der Norm beobachtet wird. Daran zu zweifeln, dass in diesem, auf jeder Körperseite an den Caninus stoßenden Zahn auch das Homologon eines J2 der Norm vorliegt, liegt gar kein Grund vor; nimmt man diese Homologie an, so könnte man den jederseits me- dianwärts folgenden Zahn (den mittleren der jederseits vorhandenen Reihe) für das Homologon eines Ji der Norm halten und dann würden in diesem Fall die der Medianebene am meisten genäherten Zähne als die beiden atavistischen anzusehen sein; diese hätten zwar noch sehr vollkommen die Form eines J1, aber durch die geringere Breitendimension weisen sie darauf hin, dass sie neben den benach- barten, in Übereinstimmung mit den anderen Elementen dieser Zahn- reihe besonders kräftig entfalteten und typisch geformten Zähnen doch wohl nur die ausnahmsweise wieder aufgetretenen sind!. Lässt man damit zu, dass diese Zähne auf früher normal in der Ineisiven- reihe bestanden habende Elemente hindeuten, so könnte man ver- sucht sein, diese Zähne nunmehr mit der Bezeichnung J1 zu belegen 1 Der soeben geschilderte Befund erinnert auffallend an den oben (pag. 272) erwähnten, nämlich den im Atlas von HEIDER und WenL Taf. I Fig. 11 abge- bildeten Fall, nur ist in der citirten Figur des Atlas das soeben im Text an- gegebene Größenverhältnis der Ineisiven, die der Medianebene zunächst stehen, zu den lateral folgenden nicht ganz das gleiche, wie es in meiner Fig. 1 sichtbar ist. Im Übrigen aber findet sich so viel Übereinstimmung, dass die Vermuthung nahe lag, es könne die Fig. 11 des HEIDERr’schen Atlas nach demselben Origi- nal gezeichnet sein, nach welchem auch der von mir benutzte Gipsabdruck, den Dr. v. Merxıtz der Berliner Sammlung geschenkt hat, hergestellt ist. Auf meine Bitte um Auskunft hierüber war Dr. v. METNITZ so freundlich, mir brief- lich mitzutheilen,. dass in der That Fig. 11 des Atlas sich auf denselben Fall bezieht, wie der erwähnte Gipsabguss, den ich für die oben gegebene Beschrei- bung und die Fig.1 der Taf. VIII des vorliegenden Aufsatzes benutzt habe. Da nun für die Deutung, die ich dem Befunde gegeben, es wesentlich ist, zu kon- statiren, dass jederseits der der Medianebene zunächststehende Ineisivus etwas kleiner ist als der ihm lateralwärts folgende, so könnte der Befund, wie er in der Fig. 11 des Heıper’schen Atlas sich darbietet, gegen meine Deutung gel- tend gemacht werden. Ich glaubte daher, die Mittheilung der obigen Data nicht unterlassen zu müssen, da nunmehr die Verschiedenheiten in beiden er- wähnten Abbildungen, die auf ein und dasselbe Objekt sich beziehen, dadurch sich interpretiren lassen, dass meine Figur, als Reproduktion einer Photogra- phie, den Befund genauer darstellt als die Fig. 11 des Atlas von HEIDER. 278 Emil Rosenberg und den beiden anderen (die den Zähnen Ji und J2 der Norm gleichgesetzt wurden) die Bezeichnungen J2 und J3 zu geben und dann diese letzteren Bezeichnungen auch "für die Zähne der Norm zu benutzen. Das wäre ausführbar, wenn es nicht Fälle gäbe, die, wie schon oben hervorgehoben wurde (pag. 275), drei Incisiven dar- bieten, bei denen nicht der der Medianebene zunächststehende Zahn, sondern ein zwischen den gewöhnlich vorkommenden Incisiven auf- getretener der atavistische ist. Wollte man auch hier die Zählung von der Medianebene aus festhalten, so würden die Bezeichnungen Ji und J2 bei nicht homologen Zähnen zur Verwendung kommen, was natürlich vermieden werden muss. Um diesen Übelstand zu beseitigen und um zugleich eine bequeme, die Beschreibungen er- leichternde Bezeichnungsweise zu erlangen, erscheint es mir zweck- mäßig, die Bezeichnungen J1 und J2 zunächst nur für diejenigen Zähne zu benutzen, die den so bezeichneten Zähnen der Norm in Fällen von a homolog sind, und für einen Zahn, der me- dianwärts von J1 atavistischerweise aufgetreten ist (wie in dem vor- liegenden Fall), eine andere Bezeichnung, etwa Ja, zu verwenden. Für einen Zahn, der zwischen den Zähnen J1 und J2 der Norm aufgetreten, könnte die Bezeichnung J gebraucht werden. Eine solche Bezeichnungsweise drückt dann kurz aus, was sonst nur in langer Umschreibung gesagt werden könnte, und sie ist auch für die Aufstellung einer Formel zu verwenden. Die Deutung des soeben besprochenen Falles als eines solchen, wo beiderseits Ja, J1 und J2 vorhanden sind, kann zunächst wenig begründet erscheinen; diese Deutung gewinnt aber an Sicherheit durch die Betrachtung anderer Fälle. Ich erwähne jetzt zunächst eine Beobachtung, die ich an einem in Dorpat gesammelten Schädel zu machen Gelegenheit hatte. In diesem Fall! (der kritische Ab- schnitt der oberen Zahnreihe ist in Fig. 1a Taf. IX abgebildet) liegt auch ein kräftiges Gebiss vor, dessen einzelne Zähne vollkommen gesund sind (nur P1? der rechten Seite ist, wie eine vorhandene Lücke ersehen lässt, eliminirt worden), M3 ist jederseits anwesend und nur wenig kleiner als M2. Im Zwischenkiefer sind auch in diesem Fall jederseits drei Zähne vorhanden, allein die sechs Inci- siven bilden nicht die fast tadellose Reihe, die im vorigen Fall 1 Aus dem Material des Dorpater Präparirsaals stammender Schädel (5), der sich in meiner Privatsammlung befindet. 2 Zählung nach HenseL. Vgl. Über Hipparion mediterraneum. Abhand- lungen der k. Akad. der Wissensch. zu Berlin. Aus d. Jahre 1860. pag. 78, 79. Über Umformungen an den Ineisiven der zweiten Zahngeneration etc. 279 sichtbar war, hier in diesem finden sich Unregelmäßigkeiten der Stellung bei den der Medianebene zunächststehenden Zähnen. Offen- bar normal geformt und normal situirt findet man hier die an die Caninen stoßenden Zähne J2, ihnen folgt medianwärts jederseits ein Zahn, der die breite, schaufelférmige Krone eines Ji hat, die in diesem Fall auch noch mit den leichten Erhebungen am schneiden- den Rande versehen ist. Es kann nicht zweifelhaft sein, dass in diesen Zähnen jederseits ein /1 vorliegt: der der linken Seite hat auch noch die normale Stellung. im Bogen, während der der rechten Seite etwas gedreht erscheint wegen der Anwesenheit des median- wärts von ihm sich befindenden Zahns. Dieser sowie sein Pendant der linken Seite sind in die Kategorie Ja zu stellen, wenn man in ihnen atavistische Incisiven erblickt. Die Alveole des Ja der rechten Seite findet sich am Ende der leicht gekrümmten Reihe der Alveolen der rechten Ineisiven und zeigt sich durchaus in diese Reihe hinein- gehörig, was auch von dem Zahn selbst gesagt werden kann. Links dagegen erscheint der Zahn Ja etwas zurückgedrängt und demge- mäß tritt auch die hintere Umgrenzung seiner Alveole aus der Reihe der Alveolen nach hinten hinaus; die vordere Wand dieser Alveole ist etwas dicker als die entsprechende Wand an der rechten Seite. Dieser Zahn hat eine deutlich abgeplattete Krone mit schneidendem Rande, die der Krone eines J ähnelt, während Ja rechts eine Krone von mehr cylindrischer Form hat. In diesem letzteren Umstand, sowie in der abweichenden Stellung des Ja der linken Seite könnten Gründe gesehen werden, die Deutung dieser Zähne als Ja, d.h. als atavistischer Gebilde zu beanstanden. VırcHow und Busch wollen, wie schon oben erwähnt, diese Deutung nur für diejenigen ausnahms- weise vorkommenden Zähne zulassen, welche innerhalb der Zahn- reihe (»in der Linie«) in beschränkter Anzahl und in einer solchen Form auftreten, die auch bei normalen Zähnen sich findet. Außer derartigen supernumerären Zähnen unterscheidet Busch! noch zwei Gruppen; in die eine gehören »Zapfenzähne mit konischer Krone und ‘eben solcher Wurzel« und in die andere »Höckerzähne mit höckeriger Krone und tütenförmiger Einsenkung der Oberfläche derselben«. Solche Zähne seien nicht als atavistische Erscheinungen anzusehen, sondern als »durch zufällige mechanische Einwirkungen abgespal- tene Keime der ersten Zahnanlage«. Diese Auffassung wird dann noch näher präeisirt durelr den Satz: »Der bekannte Process der i Deutsche Monatsschr. f. Zahnhikd. Jahrg. IV. 1886. pag. 449, 455, ‘457. 280 Emil Rosenberg Zerkliiftung des epithelialen Verbindungsstranges nach Ausbildung der Schmelzorgane bildet wahrscheinlich die Grundlage, aus welcher diese abgesprengten Keime hervorgehen.« Und bei VircHow' findet sich der Satz: »Sind dagegen die Überzähne rudimentär, eylindrisch oder konisch (Emboli), so ist wahrscheinlich nur ein kleiner Theil von ihnen als atavistisch anzusehen. Die Mehrzahl entsteht durch Abspaltung aus gewöhnlichen Zähnen, sei es in Folge von Prolife- ration, sei es in Folge von direkter Theilung.« Es fragt sich nun, ob eine derartige Auffassung auch fiir die beiden Zähne zu statuiren sei, die in dem vorliegenden Fall als Ja bezeichnet wurden. Das wäre zunächst im Hinblick auf den von VircHow statuirten Modus der Entstehung eines nicht als atavistisch anzusehenden Überzahns zu prüfen. Dieser Modus unterscheidet sich, wie ersichtlich, in einem nicht unwesentlichen Punkt von der Anschauung, die BuscH vertritt. Am leichtesten scheint mir die Annahme einer »direkten Theilung« eines gewöhnlichen Zahns einer Beurtheilung zugiingig. Da ein solcher Vorgang wohl nicht an einem ausgebildeten Zahn beginnen kann, so müsste man diesen Vorgang an der Anlage eines Zahnes zu Stande kommen lassen. Hier wäre der Vorgang an sich gewiss statuirbar innerhalb der Periode, die vor der Entstehung der Hart- gebilde liegt. Da aber das Schmelzorgan eines sich anlegenden Zahns einen bestimmenden Einfluss auf Größe und Gestalt des aus- gebildeten Zahns hat, so ist es wohl nicht denkbar, dass das Schmelzorgan eines sich entwickelnden Zahns aus irgend welcher Ursache eine »direkte Theilung« erfahren könne, ohne dass damit die Form des Zahns, der unter Mitwirkung des nunmehr verletzten Schmelzorgans gebildet wird, in um so erheblicherer Weise beein- flusst würde, je größer das abgespaltene Stück ist. Eine solche Folgerung wird unterstützt durch einen von VircHow? selbst mit- getheilten Fall, in welchem statt eines oberen M1 drei kleine, an- scheinend selbständige Zähne sich fanden. VırcHow deutet diesen Fall so, dass der M1 »in drei getrennte Zähne zerlegt worden ist«, und man könnte sich wohl denken, dass eine drei Theile liefernde Zerlegung das Schmelzorgan von M1 in dem erwähnten Fall aus nicht näher aufgeklärten Gründen betroffen; hier ist dann aber auch der Zahn M1 in seiner charakteristischen Form nicht mehr vor- handen, sondern statt seiner nur die Theilstücke, die aus der ein- mal oder mehrfach gespaltenen Anlage, hervorgegangen. In dem I l.c. pag. 400. 2]. c. pag. 395, 396. Fig. 7. Über Umformungen an den Ineisiven der zweiten Zahngeneration etc. 281 hier zu beurtheilenden Fall nun sind die mit Ja bezeichneten Zähne recht voluminöse Gebilde, und wollte man nun annehmen, dass die Schmelzorgane derselben oder überhaupt ihre Anlagen durch Theilung aus der Anlage eines anderen, gewöhnlichen Zahns entstanden seien, so könnte doch nur die Anlage des Zahns J1 in Betracht kommen. Dann aber müsste dieser Zahn erheblich in seiner Gestalt verändert sein und es wird, wie man sieht, bei der Annahme einer direkten Theilung unbegreiflich, wie die Zähne J1 in dem vorliegen- den Fall die völlig normale, ja schön ausgeprägte Form zeigen können. Diese Form spricht in diesem Fall entschieden gegen die Annahme einer Entstehung der als Ja bezeichneten Zähne durch Theilung der Anlagen von J1. Auch die Annahme, von diesen Anlagen aus seien die Zähne Ja durch »Proliferation« entstanden, erscheint mir nicht zulässig, da, wenn auf diesem Wege so volumi- nöse Zahngebilde, wie die hier vorliegenden Ja zu Stande gekommen wären, wohl ebenfalls darauf hinweisende Spuren an den Zähnen Ji zu erwarten wären. Es ist somit im vorliegenden Fall eine ge- sonderte Anlage der Zahnpapillen und eine selbständige Entstehung der Schmelzorgane der Ja anzunehmen. Dass diese Schmelzorgane aus dem primären Schmelzkeim oder der Zahnleiste (Röse) sich her- leiten müssen, ist dabei selbstverständlich. Indem so diese Anlagen von mir auf dasselbe Gebilde bezogen werden, welches Busch unter der Bezeichnung »epithelialer Verbindungsstrang« offenbar meint, ist damit aber noch nicht die Nothwendigkeit gegeben, diese Schmelz- organe im Sinne von Buscu als durch zufällige mechanische Ein- wirkungen abgesprengte Keime anzusehen. Es müssten. Gründe namhaft gemacht werden, die solche mechanische Einwirkungen verursachen können, und es müsste weiter nachgewiesen werden, dass derartig abgesprengte Theile sich zu Schmelzorganen umge- stalten können, bevor dieser Auffassung bei der Interpretation aus- nahmsweise auftretender Zähne einiges Gewicht beigelegt werden kann. Auch Busch selbst findet diese Auffassung nicht ganz be- friedigend. Und so darf es berechtigt erscheinen, dass ihr hier nicht der Vorzug gegeben wird gegenüber der noch übrigen Annahme, nämlich derjenigen, dass es sich bei der Entstehung der hier als Ja bezeichneten Zähne um Schmelzorgane oder überhaupt um Zahn- anlagen gehandelt hat, die als Anklang an früher in allen Fällen bestanden habende Zähne jetzt nur noch gelegentlich zur Entwick- lung kommen. Der Zahn Ja der linken Seite stimmt in der Form mit einem J noch ganz gut überein, er ist nur etwas nach hinten Morpholog. Jahrbuch. 22. 19 282 Emil Rosenberg dislocirt worden. Fände er sich ganz in der Reihe, so hätte von vorn herein kein Bedenken bestanden, ihn fiir einen atavistischen zu halten. Die für eine solche Deutung günstige Stellung in der Reihe kommt dem Ja der rechten Seite zu, dieser Zahn hat aber die abweichend geformte Krone, die ihn in eine der von Busch unterschiedenen Gruppen stellt, deren Glieder wegen ihrer Form nicht als atavistische Erscheinungen anzusehen seien. Es ist daher Jetzt zu erörtern, ob eine solehe Form der Krone die von mir ver- suchte Deutung ausschließt. Das muss ich bestreiten, da durch nichts bewiesen ist, dass atavistische Zähne immer nur vollkommene Ge- stalt haben müssen. Wenn, wie VırcHow und BuscH zulassen, völlig gut gebildete Zähne als atavistische auftreten können, dann muss, wie mir scheint, postulirt werden, dass gleichzeitig auch die redueirteren Formen vorkommen. Und hierin sehe ich ein Argument gegen die Richtigkeit der Annahme, dass nur die gut ausgebildeten Zähne als atavistische zu betrachten seien. Diese Form unterstützt ja allerdings eine solche Deutung, allein es ist, wenn man dieselbe nur auf die gut ausgebildeten Zähne beschränken will, wie mir scheint, nicht genügend berücksichtigt worden, dass Einrichtungen, die im Laufe phylogenetischer Entwicklung einem Schwund anheim- fallen, oder für die überwiegende Majorität der Individuen einer Species bereits geschwunden sind, nur relativ selten in vollkommener Form atavistisch wieder auftreten, dagegen meist in mehr oder we- niger reducirter Form angetroffen werden. Dafür ließen sich viele Beispiele anführen. Am 20. Wirbel des Menschen findet sich z. B. nur sehr selten ein 13. Rippenpaar in Gestalt gut ausgebildeter Rip- pen, die so groß sind, dass man sie in isolirtem Zustande für die Rippen des 19. Wirbels halten könnte; meist ist die Form des 13. Rippenpaars eine mehr oder weniger verkürzte, oft eine sehr stark reducirte und veränderte, aber desshalb hört ein solches Rippenpaar, oder die nur einseitig vorkommende Rippe, nicht auf, eine atavisti- sche Erscheinung zu sein. An dem Skelet der Extremitäten höher differenzirter Wirbelthiere lassen sich atavistischerweise aufgetretene Finger, Metacarpalia oder Metatarsalia wahrnehmen, die nicht selten hohe Grade der Reduktion zeigen und doch auf ihre ausgebildeten Homologa ohne Widerspruch zurückbezogen werden. Die veränderte Gestalt und besonders die reducirte Form können keinen Grund ab- geben gegen die Deutung eines Gebildes als einer atavistischen Er- scheinung. Diese Beurtheilungsweise hat, wie ich meine, auch den Zäbnen gegenüber Geltung und somit ist es nicht erforderlich, dem Über Umformungen an den Ineisiven der zweiten Zahngeneration ete. 233 hier besprochenen Zahn Ja der rechten Seite, seiner eylindrisch ge- stalteten Krone wegen, die Bedeutung eines atavistischen Gebildes abzusprechen. Lässt man diese Deutung für die beiden Zähne Ja zu, so sieht man, dass der soeben besprochene Fall sich an den ersten (Taf. VIII Fig. 1 abgebildeten) in dem Sinne anschließt, dass er eine der ersten zu erwartenden Reduktionsstufen der Zähne Ja. darstellt; dass dieselben, bei eben eingetretener Reduktion, zum Theil auch etwas aus der Stellung gekommen sind, erscheint nicht unverständ- lich. Neben der Reduktion der Zahnreihe macht sich, wie man in Betreff des Menschen voraussetzen darf, auch eine Reduktion des die Zähne tragenden Knochens geltend (welche Erscheinung die pri- märe ist, kann hier außer Betrachtung bleiben); es braucht nun aber keineswegs dieser Process der Reduktion stets in genau proportio- naler Weise am Kiefer und an der Zahnreihe vor sich zu gehen. Analoge Erscheinungen sind auch an anderen sich umgestaltenden Organisationsverhiltnissen zu konstatiren. Es hat sich im vorliegen- den Fall offenbar darum gehandelt, dass, trotz begonnener Reduktion der Ja, der Platz für ihr Auftreten relativ noch mehr beschränkt worden war; daher ist einer derselben in unregelmäßiger, etwas dis- locirter Stellung aufgetreten, während der andere (Jo der rechten Seite), der seinen Platz besser behauptet hat (aber seine Form mehr eingebüßt hat, indem die cylindrische Form der Krone eine Ver- schmälerung derselben bedeutet), den ihm benachbarten Zahn J1 etwas verdrängt hat. An den soeben erörterten Fall lassen sich, wenn dieselbe Art der Interpretation angewandt wird, nun noch andere Fälle als Illu- strationen zur Reduktion zweier Ja anschließen. Dieser Process muss, wenn er über die zuletzt betrachtete Stufe hinausgeht, zu- nächst die Kronen der Ja weiter in Angriff nehmen, sie verschmä- lern und verkürzen. Es ist desshalb zu erwarten, dass sich Fälle finden können, in denen zwischen den beiden J1 reducirte, sog. überzählige Zähne vorhanden sind. Auch hat Baume bereits darauf hingewiesen, dass das Auftreten überzähliger Zähne zwischen den beiden centralen Ineisiven für die von ihm vertretene Meinung spreche, ‘es sei für den Menschen aus der typischen Dreizahl von Incisiven der centrale derselben fortgefallen. Als einer der hierhergehörigen Fälle ist der in dem Atlas von HEIDER und Wen Taf. I Fig. 2! abgebildete anzusehen. Die Er- 1 Atlas zur Pathologie der Zähne. 2. Aufl. Bearb. v. J. von METNITZ. Lief. I. 1889. pag. 1. 19* 984 | Emil Rosenberg - klärung der Figur erwähnt, dass die mittleren Schneidezähne 8 mm von einander abstehen und dass in diesem Interstitium. zwei Zapfen- zähne sich finden. Bei der Betrachtung der Figur sieht man, dass beiderseits C, J2 und J1 sich ganz normal verhalten; von den zapfenförmig. gestalteten Ja ist der linke noch recht voluminös, er reicht aber mit seinem zugespitzten Ende nicht ganz bis zum Niveau der schneidenden Kante von Ji. Dieses Niveau wird erreicht von dem Ende des Ja der rechten Seite, dieser Zahn erscheint aber etwas mehr verschmälert als der entsprechende der linken Seite. Die Zähne Ja sind hier somit noch fast von normaler Länge, wenn- gleich in der Form schon deutlich in der zu postulirenden Weise verändert!. Dieser Fall zeichnet sich auch noch dadurch aus, dass die rudimentären Ja gut in eine Reihe mit den übrigen Zähnen gestellt sind. Es könnten aber auch solche Fälle hierher gerechnet werden, wo rudimentäre Zähne sich entweder zwischen und zugleich hinter den Jl oder nur hinter diesen (einander alsdann näherge- rückten) Zähnen sich finden. Solche Fälle sind sowohl in der älte- 1 Man könnte versucht sein, im Anschluss an diesen Fall den von CARA- BELLI (Systematisches Handbuch der Zahnheilkunde. Bd. 2. Anatomie des Mun- des. Wien 1844. Taf. 14 Fig. 1) abgebildeten, auf den BAUME hinweist, als eine weitere Umbildungsstufe zu betrachten, weil die Zapfenzähne in der eitir- ten Figur dieselbe Situation haben, nur auffällig kürzer sind. In der That war ich auch Anfangs der Meinung, dass die von CARABELLI publieirte Figur einen solchen Fall verbürge; jedoch bei einer näheren Vergleichung dieser Fi- gur mit der Abbildung, welche von dem oben besprochenen Fall der Atlas von HEIDER giebt (Taf. I Fig. 2), zeigte sich in gewissen Details eine Ähnlichkeit, die mich vermuthen ließ, es könnten beide Figuren auf dasselbe Objekt sich beziehen. Bei CARABELLI findet sich keine nähere Angabe über das von ihm benutzte Objekt und eine solche Angabe findet sich auch nicht in der Erklä- rung der Fig. 2 Taf. I des Heıper’schen Atlas. Auf meine Bitte um eine Notiz über das Original zu der letzteren Figur und eventuell über das zu der Figur CARABELLI's hat Herr Dr. J. v. Mernirz die Freundlichkeit gehabt, mir das Folgende zu schreiben: »Fig. 2 des Atlas ist nach einem Gipsabgusse der Sammlung des Vereins österreichischer Zahnärzte gezeichnet. Letztere wurde von CARABELLI angelegt, von HEIDER und STEINBERGER bereichert und be- findet sich seit mehreren Jahren unter meiner Obhut. Es kann ganz gut mög- lich sein, dass CARABELLT'S Taf. XIV Fig.1 dasselbe Objekt behandelt. Nur. wäre in diesem Fall die Zeichnung mit dem Originale nicht ganz übereinstim- mend.« Es ist also nicht sicher, dass die Figur bei CARABELLI ein anderes Objekt, als das im HEıDEr’schen Atlas Taf. I Fig. 2 dargestellte naturgetreu wiedergiebt; diese Abbildung kann somit nicht benutzt werden, so wahrschein- lich es auch ist, dass derartige Fälle sich würden finden können. Über Umformungen an den Ineisiven der zweiten Zahngeneration etc. 285 ren als der neueren Litteratur mitgetheilt. Fox! bildet einen Fall ab, von dem er sagt: »there were two supernumerary teeth, of the conical kind, which were placed together, and had come behind and between the central incisors«, und einen anderen Fall findet man z. B. in Fig. 3 der Taf. I des Herper’schen Atlas. Hier sind »zwei überzählige Zähne im Oberkiefer gaumenwärts von den mittleren Schneidezähnen« dargestellt. Diese Fälle, in denen außer den J1 die J2 und C zu konstatiren sind, könnten so gedeutet werden, dass es sich in dem ersteren um eine relativ geringe, in dem zweiten um eine hochgradigere Dislocation rudimentärer Ja handele. Den Beginn einer solchen Dislocation zeigte schon der auf pag. 278 be- handelte Fall und ich versuchte dieselbe dort zu interpretiren; die hier erwähnten Fälle wären aber wegen der hochgradigeren Re- duktion der Ju besonders bemerkenswerth. In der Litteratur finden sich nun noch einzelne Fälle erwähnt, die wahrscheinlicherweise sich den betrachteten würden anschließen lassen, allein es fehlen nähere Angaben, welche diese Beobachtun- gen benutzbar machen könnten?, und so ist jetzt nur noch ein Fall anzuführen, in welchem die Zäbne Ja eine sehr weitgehende Re- duktion erfahren haben. Dieser Fall ist von BaumE® beobachtet worden, welcher sagt: »Ich sah einmal in der Mittellinie eine breite Lücke von zwei sehr kleinen Zähnen besetzt. Es waren die klein- sten, mit Schmelz bedeckten Zähnchen, welche ich je gesehen habe.« Leider fehlt eine Abbildung dieses wichtigen Falles, der ein inter- essantes Belegstück für den Eintritt völligen Schwundes beider Ja bildet. Ein solcher Fall lässt es auch verstehen, dass Fälle vor- 1 The natural history and diseases of the human teeth. 2. ed. London 1814. pag. 70. Taf. XIII Fig. 6. 2 Es finden sich z.B. in dem Catalogue of the Museum of the Odonto- logieal Society of Great Britain. Sec. Ed. London 1882. pag. 26 sub Nr. 145, 146, 147, 152, 154 und in dem Supplementary Catalogue (1884) pag. 5 sub Nr. 246, 247 Fälle ganz kurz erwähnt, deren nähere Kenntnis hier erwünscht wäre; die Angaben dieses Katalogs sind fast durchweg unzureichende; derselbe lässt nur vermuthen, dass die umfangreiche Sammlung viele. morphologisch wichtige Objekte enthält, die verdienten, durch gute Beschreibungen und Abbildungen bekannt gemacht zu werden. 3 Odontologische Forschungen. Bd. I. pag. 279. 4 Ich muss hier bemerken, dass die Zahnrudimente, welche fiir die im Texte behandelten Fragen meiner Meinung nach ein Interesse haben, nicht zu verwechseln sind ‘mit den sogenannten schmelzlosen Zahnrudimenten des Men- schen. Seit diese durch BAUME entdeckt worden, haben sie zu vielen Dis- kussionen über ihre Bedeutung als Reste von Zähnen, die beim Menschen ver- 286 Emil Rosenberg kommen müssen, in denen die J1 durch eine relativ weite, nicht mehr von Zahnrudimenten eingenommene Lücke von einander ge- trennt sind. Baume hat einen solchen Fall abgebildet! und auch hervorgehoben, dass die Existenz einer solchen Lücke den Schwund eines »centralen Ineisivus« wahrscheinlich macht, und H. Epwarps? hat diese Lücke in demselben Sinne gedeutet. Die bisher erwähnten Fälle illustriren einen auf beiden Seiten gleichzeitig erfolgenden und daher symmetrische Formen liefernden Schwund der Ja. Allein nach Analogie anderer Erscheinungen muss schon a priori erwartet werden, dass die Reduktion auf beiden Seiten in verschiedener Intensität wirksam sein kann. Es werden sich da- her Fälle finden müssen, in denen nur auf einer Seite ein Ja noch vorhanden ist, an der anderen der Schwund sich völlig vollzogen hat. Auch hierbei werden Übergangsformen bestehen*, aber auch loren gegangen, Anlass gegeben. Auf diese Diskussionen hier einzugehen, liegt kein Grund vor, da diese Zahnrudimente jedenfalls nicht in die zweite Zahn- generation hineingehören, mit deren Umgestaltung der vorliegende Aufsatz sich beschäftigt. Rose, der die neuesten und umfassendsten Untersuchungen über dieselben angestellt hat (vgl. Über die schmelzlosen Zahnrudimente des Men- schen. Verhandlungen der deutschen odontologischen Gesellschaft. Bd. IV. 1891), spricht ihnen eine Bedeutung für die Phylogenie überhaupt ab, da er sie nur bei Objekten in relativ vorgerücktem Alter angetroffen hat. Wären diese Gebilde vorherrschend bei Embryonen oder ganz jugendlichen Individuen zur Beobachtung gelangt, so könnte man sich versucht fühlen, dieselben ähn- lich zu beurtheilen, wie die Dentinscherbchen, welche LEcHE (vgl. Nachträge zu »Studien über die Entwicklung des Zahnsystems bei den Säugethieren«. Mor- phol. Jahrbuch. Bd. 20. 1893. pag. 115—118) bei Myrmecobius entdeckt und, wie mir scheint, zutreffend als Reste einer der ersten Dentition vorangegange- nen Zahnreihe gedeutet hat. Bei dieser Auffassung hätten die sogenannten schmelzlosen Zahnrudimente des Menschen allerdings ein hohes Interesse in phylogenetischer Beziehung, sie würden aber doch bei den im Text zu be- sprechenden Fragen nicht in Betracht kommen. In einer soeben erschienenen Mittheilung von SCHWALBE (Uber Zahnent- wicklung und Zahnwechsel. Separatabdruck aus der »Deutschen Medicinischen Wochenschrift«. 1894. Nr. 3), die ich nach dem Niederschreiben der vorstehen- den Anmerkung durch die Freundlichkeit des Verfassers erhalten habe, spricht dieser Autor, auf die Beobachtungen von LECHE über Erinaceus und Didelphys sich beziehend, sich gleichfalls dafür aus, dass die sogenannten schmelzlosen Zahnrudimente des Menschen möglicherweise »einer der Milchzahngeneration vorausgehenden Dentitionsreihe angehören«. Es wäre sehr interessant, wenn diese Deutung sich näher begründen ließe. 1 ].c. pag. 278. Fig. 96. Ein exquisiter Fall dieser Art findet sich ferner bei CARABELLI (l. c. Taf. 14 Fig. 6) abgebildet. 2 |. e.. pag. 735. 3 Vielleicht ist eine solche Übergangsform in dem Objekt zu finden, wel- Über Umformungen an den Incisiven der zweiten Zahngeneration etc. 287 ohne dieselben sind auf Grundlage des Gesagten solche Befunde verständlich, wie sie in den von VircHow mitgetheilten beiden Fällen, die schon oben erwähnt wurden, vorliegen. In dem einen dieser Fälle! finden sich drei Schneidezähne auf der rechten Seite, wobei der mediale als der überzählige bezeichnet worden ist. Hier liegt also rechts ein Zahn Ja vor, der zwar schon kleiner und kürzer ist als J1, aber doch noch neben der Stellung auch die Form eines Schneidezahns hat. Vergleicht man nun damit einen von Maciror? abgebildeten Fall, so sieht man an derselben Stelle im rechten Zwischenkiefer einen zapfenförmigen Zahn, der, wie die eitirte Figur zeigt, zwischen den beiden normalen J1 gut innerhalb der Reihe steht. Dieser Zahn ist trotz der abweichenden Form doch noch in so fern primitiver als der homologe des vorigen Falles, als er mit seinem zugespitzten Ende in dem Niveau der schneidenden Kante der J1 steht, also die Verkürzung noch nicht erfahren hat. Die Formumgestaltung hat hier offenbar relativ früh begonnen, aber in- dem sie sich an einem Zahn zeigt, der durch Stellung und Länge als Ja sich bekundet, kann die abweichende Form (besonders wenn auch die früher [pag. 282] entwickelten allgemeinen Gründe in Be- tracht genommen werden) nicht hindern, in diesem Gebilde einen redueirten Zahn Ja zu sehen. Damit ergiebt sich auch bei einseitig vorkommenden Zapfenzähnen die Deutung derselben als redueirte Ja und diese Deutung kann jetzt auch für diejenigen Fälle festgehalten werden, wo ein relativ sehr kleiner Zapfenzahn zwischen den J1 sich findet. Ein solcher Fall ist z. B. der von Gervais? abgebildete, ches in dem Catal. of the Mus. of the Odontol. Soc. of G. Brit. Sec. Ed. 1882. pag. 26 sub Nr. 153 folgendermaßen bezeichnet ist: »Upper model; two super- numeraries, one conical and other of ineisor form, between centrals, right central driven outside lateral« Aus dieser Beschreibung könnte entnommen werden, dass hier Ja der einen Seite schon stark reducirt worden, während auf der anderen Seite Ja noch die ursprüngliche Form behalten; dann brauchte nur angenommen zu werden, dass in anderen Fällen die eingeleitete Reduktion bis zum völligen Schwund führt und so nur auf der einen Seite einen Zahn J« vor- finden lässt. i ].c. pag. 393. © Schädel des pathol. Inst. Nr. 1317. 2 Traité des anomalies du systeme dentaire. Paris 1877. Pl. IV Fig. 1. In der Erklärung der Figur heißt es: Dent surnumeraire centrale, de forme conoide, & la machoire supérieure d’un crane frangais contemporain. Man er- sieht indess aus der Figur, dass der Zahn der rechten Seite angehört. 3°Zoologie et Paléontologie générales. Nouvelles recherches sur les ani- maux vertebrés ete. Deuxieme Série. Paris 1876. pag. 7. Pl. IV Fig. 4. Be- obachtung an dem Kopfe eines Tasmaniers. 288 Emil Rosenberg wo in dem rechten Zwischenkiefer nur ein kleiner, die schneidende Kante des Ji lange nicht erreichender Zapfenzahn steht. Einen ähnlichen Fall hat AmMADEr! beobachtet. Es fehlt auch nicht an Beobachtungen, welche als Dokumente einer allmählichen, auf der linken Seite sich abspielenden Reduktion von Ja aufgefasst werden können. An den zweiten der von VIRCHOW mitgetheilten Fälle? kann hier angeknüpft werden. Der überzählige, als Jo anzusehende Zahn, der links neben der Medianebene sich findet, hat, wie die Abbildung zeigt, noch recht vollkommen eine Gestalt, die auch den benachbarten gut geformten J1 zukommt, allein er ist beträchtlich schmäler und zugleich etwas dislocirt, so dass er ‘ mit seiner Krone vor die Zahnreihe tritt. Eine in der schon be- sprochenen Weise eintretende Reduktion eines solchen Zahns muss im Volum verkleinerte und endlich zapfenförmige Zähne verschiede- ner Größe liefern. Nur wenig an Volum verringert, aber gegen das Ende schon leicht zugespitzt zeigt sich ein auf der linken Seite neben der Medianebene vorkommender, überzähliger Zahn in einem von H. Epwarps* abgebildeten Fall. Dieser offenbar als Ja zu bezeich- nende Zahn steht gut in der Reihe; zu beiden Seiten neben ihm gut geformte Ji, denen die anderen normal geformten Zähne folgen. Hier ist also eine der ersten zu erwartenden Reduktionsstufen wahr- nehmbar. Ein anderer hierhergehöriger Fall, in welchem der linke Jo. die Form eines Zapfens hat, ist auf Taf. IX Fig.Id abgebildet. Ich habe ihn an einem Schädel beobachtet‘, an welchem die obere Zahnreihe gut und kräftig entwickelt ist und wo, wie die Figur zeigt, rechts das Verhalten der Schneidezähne das völlig normale ist. Auch links finden sich in normaler Gestaltung und Stellung J2 und Ji, dann aber, in die Reihe gut hineingestellt, das zapfenförmige Rudiment des linken Ja. Die Form dieses Rudiments steht relativ weit von der Gestalt des Zahns im Epwarp’schen Fall ab, das spricht indess nicht gegen die Deutung, da mit Recht angenommen werden kann, dass die zu postulirenden Übergangsformen sich würden finden lassen. Es sind zahlreiche Fälle von Zapfenzähnen sehr verschie- dener Größe, die zwischen den Ji vorkommen, in der Litteratur ! Anomalie numeriche del sistema dentale nell’ uomo. Archivio per I!’ An- tropologia et l’Etnologia. Vol. XI. Fasc. I. pag. 14. Oss. V. 2]. c. pag. 393. Fig. 5, 6. 3 ].c. pag. 727. Case 2. Male aged 16. 4 Aus dem Material des Dorpater Präparirsaals stammender Schädel (Q), der sich in meiner Privatsammlung befindet. Über Umformungen an den Ineisiven der zweiten Zahngeneration etc. 289 mitgetheilt, allein es lässt sich nicht bestimmen, welcher Körper- seite dieselben angehören, da die meisten Fälle am Lebenden be- obachtet worden sind, oder da auf die Zugehörigkeit zu einer be- stimmten Seite nicht geachtet wurde. Daher können diese Fälle nicht sicher auf einander bezogen werden, sie unterstützen nur im Allgemei- nen die erwähnte Voraussetzung. Eine vielleicht noch mehr redueirte Gestalt als in dem von mir beobachteten Falle hat der Zapfenzahn der linken Seite, den AMADEI! gesehen und kurz beschrieben hat. Auch diese zuletzt mitgetheilten vier Beobachtungen stützen die schon aus den früheren Fällen hergeleitete Deutung der in Rede stehenden Zapfenzähne als redueirte Ja, und fordern desshalb dazu auf, die von Busch und Anderen vertretene Deutung, diese Gebilde seien abgesprengte Keime, zu verlassen. Diese letztere Auffassung kann der Gesammtheit der Erscheinungen, die hier besprochen wurde, nicht gerecht werden. Dagegen ist es, wenn man auf Alles, was über die zwischen den J! vorkommenden Zahngebilde gesagt wurde, zurückblickt, wie mir scheint, nicht zu leugnen, dass in diesen mannigfachen Befunden die Spuren dafür zu finden sind, dass jeder- seits medianwärts vom jetzigen Zahn J1 in weiter zurückliegenden phylogenetischen Entwicklungsstufen ein Schneidezahn sich befunden habe, dessen Elimination für die Majorität der Individuen des Genus Homo sich vollzogen hat. Es wäre aber, wie ich schon früher andeutete, nicht gerecht- fertigt, mit der eben statuirten Auffassung die Frage nach einer etwaigen Reduktion im Gebiet der Incisiven des Menschen für er- ledigt zu halten. Auch wenn man die von ALBRECHT beriicksich- tigten Objekte mit Spaltbildungen bei Seite lässt, finden sich Fälle, denen ein Hinweis darauf entnommen werden kann, dass auch inner- halb der jeder Körperseite angehörigen Reihe von Ineisiven eine Reduktion stattgehabt. Auf diese Vermuthung führte mich zunächst die Beobachtung eines Falles, der allerdings nur auf Grundlage des Befundes an den Alveolen zu beurtheilen ist, da die Incisiven selbst an dem Objekt? nicht erhalten waren. Die kritische Partie ist Taf. IX Fig. Ile abgebildet; man sieht in der Figur jederseits ein Stück der Krone von P1, dann jederseits die leeren Alveolen von P2 und C, die offenbar ganz normal sind, links folgen dann eben- 1 l.c. pag. 14. Oss. IV. 2 Aus dem Material des Dorpater Präparirsaals stammender Schädel (9), der in meiner Privatsammlung sich befindet. 290 Emil Rosenberg falls normal situirte und das gewöhnliche Größenverhältnis zeigende Alveolen für J2 und Ji. Rechts dagegen findet sich zwischen der großen Alveole, die dem Ji angehört, und der Alveole für den In- cisivus, der sich an den linken Caninus anschließt, noch eine Alveole, deren Durchmesser etwas kleiner ist als derjenige der zunächst late- ral gelegenen Alveole. Diese mittlere Alveole ragt aber eben so tief in den Zwischenkiefer hinein, als die Alveole des am meisten lateral gestellten Ineisivus. Diese etwas kleinere, aber mit den beiden anderen eine regelmäßige Reihe bildende Alveole hat offenbar einen gut entwickelten, einwurzeligen Zahn getragen, den als ein patho- logisches Erzeugnis ohne tieferen morphologischen Werth zu beschauen zunächst keine Veranlassung vorliegt. Eher kommt man zu der Meinung, dass ein zwischen einem J1 und J2 der Norm früher vor- handen gewesener Zahn hier atavistischerweise noch einmal aufge- treten ist. Für diese Auffassung sprechen nun aber auch die schon früher erwähnten sechs Fälle, in denen BuscH bald auf der einen, bald auf der anderen Körperseite zwischen dem Ji und J2 einen überzähligen Zahn angetroffen hat. Drei in der Berliner Sammlung enthaltene Fälle kenne ich aus eigener Anschauung. Von diesen ist einer! in Taf. VIII Fig. 2a, 26 abgebildet. Betrachtet man (vgl. Fig. 25) die Incisiven der rech- ten Seite, so trifft man einen völlig normalen Befund. Auch links findet sich ein normaler Ji, der dem ihm homotypen Zahn völlig gleicht und mit diesem in der Medianebene sich berührt. Derjenige Ineisivus, der in diesem Fall links als dritter in der Reihe an den Caninus stößt, gleicht vollkommen in Gestalt und Größe, auch wenn man ihn mit dem entsprechenden Zahn der anderen Seite vergleicht, einem J2 der Norm und ist offenbar auch das Homologon eines sol- chen. Zwischen diesen beiden Zähnen steht nun gut in die Reihe hineingefügt ein vollkommen intakter Zahn von der Form eines In- cisivus, nur ist dieser Zahn viel schmäler als Ji und selbst schmäler als J2. (Letzteres ist aus dem unteren Theil der Fig. 2¢@ einigermaßen zu ersehen, aus dem oberen Theil dieser Figur da- gegen nicht, weil hier für J2 perspektivische Verkürzung sich gel- tend macht; desshalb ist die Zahnreihe nochmals in Fig. 2a@ in der Ansicht mehr von der linken Seite her abgebildet, so dass jetzt das ! Nr. 296 des Katalogs der Sammlung von Gipsabdrücken des zahnärzt- lichen Instituts der Univ. Berlin. »Oberkiefer mit überzähligem lateralen Schneide- zahn auf der linken Seite. Geschenk vom Zahnarzt ERWIN RICHTER.« Über Umformungen an den Ineisiven der zweiten Zahngeneration ete. 291 angegebene Breitenverhältnis des Zahns zwischen J1 und J2 zu dem letzteren konstatirt werden kann.) Obgleich nun aber der hier aus- nahmsweise vorhandene Ineisivus schmäler ist als seine Nachbarn, ist er doch eben so lang wie diese, da er mit seiner schneidenden Kante in eine Linie fällt, die auch dieselben Kanten der benachbarten Zähne trifft. So weit aus dem Abdruck geurtheilt werden kann, handelt es sich in diesem Fall um einen vollkommen gesunden, gut gebil- deten Zahn, den man für einen atavistischen halten darf; auf Grund- lage des früher (pag. 278) Gesagten kann man den Zahn mit der Bezeichnung JB belegen. In nahezu eben so vollkommener Gestalt finden sich als JB zu bezeichnende Zähne auf beiden Körperseiten in einem durch einen anderen Abguss! der Berliner Sammlung repräsentirten Fall. Die Zähne J1 sind groß und normal, und die an die Caninen stoßenden Zähne müssen für normale J2 gehalten werden. Von den beiden als Jß aufgefassten Zähnen ist der linke evident schmäler als J2, rechts besteht dieses Verhältnis zu J2 in minderem Maße. Auf beiden Sei- ten sind die Jß ein wenig nach vorn aus der Reihe gedrängt. Uber die Länge derselben kann leider nicht sicher geurtheilt werden, die Enden reichen nicht in das Niveau der schneidenden Kante der J1; es ist aber an dem Abguss zu ersehen, dass links das Ende von JB unregelmäßig abgeschliffen ist, rechts scheint dieses Ende durch Ca- ries affieirt gewesen zu sein?. Dieser Fall erscheint werthvoll, weil er das doppelseitige symmetrische Auftreten des hier in Rede stehen- den atavistischen Zahns dokumentirt. Der dritte der mir vorliegenden hierhergehörigen Abgüsse® giebt eine gut entwickelte Zahnreihe zu erkennen; M3 ist im Durchtreten begriffen. Rechts sind J1 und J2 völlig normal, links findet man an den Caninus grenzend einen Zahn, der dem J2 der rechten Seite in Form und Stellung völlig gleieht, also für J2 zu halten ist, auch J1 der linken Seite ist leicht als in übereinstimmendem Verhalten mit dem gleichnamigen Zahn der anderen Seite festzustellen. Zwischen Ji und J2 der linken Seite findet sich ein Zahn, der zwar seine 1 Nr. 44 des eben citirten Katalogs. Dazu die Bemerkung: »Oberkiefer mit 6 Schneidezähnen «, 2 Wegen dieser Defekte ist es unterblieben, eine Abbildung des Abgusses zu geben. 3 Nr. 64 des Katalogs der Sammlung der Gipsabgüsse des zahnärztlichen Instituts der Univ. Berlin. »Oberkiefer mit einem überzähligen Schneidezahn auf der linken Seite.« ‘ 292 Emil Rosenberg Stellung in der Reihe hat, aber um seine Längsachse gedreht er- scheint; die Krone erinnert in der Form an die eines Ineisiven, ist aber doch etwas unregelmäßig gestaltet. Der Zahn ist nur wenig kleiner als J1, und wenn, wie mir scheint, dieser Zahn als JB zu deuten ist, so ist er nicht minder stark entfaltet als der gleichnamige Zahn in den beiden vorhergehenden Fällen. Die Deutung des diese Fälle auszeichnenden ungewöhnlichen Zahns als eine Andeutung an ein im Laufe phylogenetischer Ent- wicklung aus der Reihe der Ineisiven eliminirtes Glied könnte da- durch unterstützt werden, dass im Anschluss an die bisher erwähnten Fälle, in denen Jß offenbar in noch kaum reducirter Gestalt ge- legentlich wieder aufgetreten, solche Fälle aufgezeigt würden, welche die allmähliche bis zum Schwunde führende Reduktion in ähnlicher Weise dokumentiren, wie das bei den Zähnen Ja ersichtlich war. Das Studium der Litteratur ergiebt in dieser Beziehung relativ wenig. Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass WıLson, wel- cher, wie erwähnt, der Meinung ist, dass von den »typischen drei Ineisiven« der zweite beim Menschen fortgefallen, die Bemerkung macht!, seine Ansicht sei »very materially strengthened if we include, as incisors, these abnormally formed teeth, which so frequently show themselves in the intermaxillary portion of the maxillary bones. These almost invariably take up a position either between the nor- mal lateral and the central incisor, or in the mesial line, most fre- quently within the dental arch«. Von solchen Befunden kénnen, wie mir scheint, wohl nur diejenigen hier in Betracht kommen, welche zwischen den beiden normalen Incisiven sich findende, wenn auch entstellte Zähne betreffen. Wu.son eitirt nicht specielle Fälle; es sind mir jedoch beim Durchmustern der Mittheilungen in der Litte- ratur und der dazugehörigen Abbildungen einige Beobachtungen be- kannt geworden, die wohl auf Fälle von mehr oder weniger redu- eirten und zugleich dislocirten Jß bezogen werden können. So findet sich z. B. in den von Magıror publieirten Abbildun- gen? ein Fall, in welchem links /1 und J2, die normal geformt sind, nahe, wenn auch nicht dicht bei einander stehen. Lingualwärts von diesen beiden Zähnen und sich eng an dieselben anschließend, da- bei dem Zwischenraum zwischen denselben entsprechend, findet sich ein Zahn, dessen Krone der eines Incisiven ähnelt, wenn sie auch 1]. ce. pag. 242. 2 Traité des anomalies du systeme dentaire. pl. III fig. 10. Über Umformungen an den Incisiven der zweiten Zahngeneration etc. 293 etwas entstellt ist. Der Zahn ist ziemlich groß. Er macht den Eindruck, als sei der Zahn aus der Reihe lingualwärts herausge- drängt. Ein zweiter von Macrror abgebildeter Fall! verdient gleich- falls erwähnt zu werden, weil hier bei im Prineip übereinstimmender Situation wie in dem vorigen Fall der als Jß zu deutende Zahn klein ist, also ziemlich stark redueirt erscheint. Zwei interessante hierhergehörige Fälle, die noch aufgeführt werden müssen, finde ich bei J. Fox. In dem einen dieser Fälle? sind, wie die Abbildung zeigt, beiderseits die J1 in normaler Größe und Stellung vorhanden; rechts schließt sich an den Caninus ein normaler Zahn J2, dieser ist aber durch einen ziemlich großen Zwischenraum von J1 getrennt. Partiell noch in diesem Zwischen- raum, aber doch lingualwärts aus der Reihe tretend, findet sich ein Zahn, der die Form eines Ineisivus hat und kleiner als J2 erscheint. Dieses Verhalten fordert zu der Deutung auf, dass es sich hier um einen Zahn Jß handelt, der erst relativ wenig (auch noch weniger als in dem ersten der Macrror’schen Fälle) dislocirt ist. Besonders in- teressant erscheint mir der zweite der von Fox abgebildeten Fälle>; derselbe schließt sich eng an an den Befund, der in meiner Fig. 2a abgebildet ist. Die beiden J1 sind groß und gut gebildet und stehen dicht an einander, eben so auf der linken Seite (die allein voll- ständig abgebildet ist) J2 und ©. Zwischen J1 und J2 findet sich ein Zahn, der ein wenig höher als J1 und J 2 aus dem Zahnfleisch hervortritt, er zeichnet sich dadurch aus, dass er die genannten Zähne nicht in ihrer ganzen Länge von einander trennt, er ist gegen sein Ende verjüngt und erreicht die schneidende Kante der normalen In- eisiven nicht, was nicht allein darauf zu beziehen ist, dass der Zahn gleichsam in die Höhe gerückt erscheint; der Zahn ist merklich kürzer als J2. Hier liegt somit ein Fall eines ziemlich redueirten und zugleich wenig disloeirten Jß vor. Eine solche Dislocation, die auch bei den anderen Fällen statuirt wurde, kann, wie mir scheint, ıl.e. pl. III fig. 12. Die Erklärung zu dieser Figur wie die zu der Fig. 10 konstatirt nur die Existenz von une incisive supplémentaire de forme ir- reguliere. 2 Vgl. Josern Fox, The natural history and diseases of the human teeth. 2. edit. London 1814. Pl. XIII fig. 8. Die Erklärung dieser Figur lautet: »a case of two lateral incisors on the same side«. Im Text wird der Fall nicht besonders besprochen. 31.c. pl. XII fig.5. »a supernumerary tooth growing above the central and the lateral incisor«. ‘ 294 Emil Rosenberg nicht gegen die gegebene Deutung geltend gemacht werden. Wenn atavistische Zähne, d. h. Glieder einer früher ausgedehnteren Zahn- reihe, gelegentlich wieder auftreten auf einem Terrain, das auch seinerseits eine Einschränkung erfahren, so erscheint es verständlich, dass solche Zähne eher in unregelmäßiger Stellung als in normaler Position sich finden. Die Auffassung, dass zwischen J1 und J2 der Norm ein Zahn geschwunden, kann ich auch durch einen Befund stützen, den ein in meinem Besitz befindlicher Schädel von Cebus fatuellus (9) bietet. Das bleibende Gebiss an diesem Schädel ist vollständig entwickelt, es sind alle Zähne gut erhalten und gesund. Es finden sich, wie die beistehende Figur zeigt, links J1 und J2 in normalem Verhalten; rechts sieht man zunächst der Medianebene einen normalen Zahn J1; derjenige Zahn der rechten Seite, welcher nach der Stellung zum Caninus dem Zahn J2 der linken Seite entspricht, hat nieht ganz die gleiche Form, er tritt mit seiner Spitze, die etwas länger aus- gezogen erscheint, mehr nach abwärts als der homotype Zahn. Diese leichte Formabweichung! kann indess nicht hindern, in diesem Zahn das Homologon eines J2 der Norm zu sehen. Zwischen diesen beiden Zähnen nun findet sich ein kleiner zapfenförmiger Zahn, der gut in die Reihe gestellt ist und dessen Krone auch hinsichtlich des Überzuges mit Schmelz normal gebildet ist. Dieser Zahn kann nur ein Rudiment bedeuten eines in weiter zurückliegenden Zuständen ausgebildeten Zahns, der zwischen den jetzigen J1 und J2 sich be- fand, er ist ein Rudiment von JB, dessen Anwesenheit, wie mir scheint, in der hier behandelten Angelegenheit von Belang ist. Ich kann die Besprechung des eben erörterten Gegenstandes nicht beenden, ohne noch auf eine Angabe Copr’s hinzuweisen. In der kurzen Beschreibung, die Cops von Indrodon malaris, einer zu der Familie der Anaptomorphiden gehörigen Form aus der Puerco- Fig. I. 1 An der Figur ist dieselbe etwas zu prononeirt angegeben. Über Umformungen an den Incisiven der zweiten Zahngeneration ete. 295 Formation, giebt, wird als Unterschied gegenüber Anaptomorphus aufgeführt, dass Indrodon J 3 habe. (Die Zahnformel von Anapto- morphus ist ig cz Pm, Ms und die von Indrodon, so weit sie A a1 ial a bekannt ist, J- C-Pm—M—.) In Betreff Indrodons sagt Cope dann weiter?: The superior incisors are well developed, and display no tendency towards the rodent type. The first and the third superior incisors are a little larger than the second. Diese letztere Angabe scheint mir in der hier behandelten Frage wichtig zu sein. Wenn, was zunächst nicht bezweifelt werden kann, J1 bei Indrodon homo- log ist J1 bei Anaptomorphus und J1 bei den jetzt lebenden Primaten und dem Menschen, so findet sich h nach dieser Angabe Cope’s über das Breitenverhältnis der drei vorhandenen Ineisiven zu einander bei Indrodon, einer alttertiären Form, derjenige Zustand, den wir aus- nahmsweise beim Menschen auftreten sehen, wenn ein noch kaum redueirter, gut in der Reihe stehender Zahn JB vorliegt. Und es scheint mir dieses Verhalten bei Indrodon um so bedeutsamer, als diese Form Anaptomorphus nahe verwandt ist: dieses letztere Genus wird aber von Core? als ein solches beurtheilt, welches (so weit das nach den bekannt gewordenen Bruchstücken zu beurtheilen möglich ist) den höheren Affen und dem Menschen morphologisch näher steht, als irgend eine andere zu den Lemuriden gehörige Form. Es erübrigt jetzt noch, die dritte Stelle ins Auge zu fassen, an welcher das Schwinden eines Incisivus stattgehabt haben kann. HENSEL hat, wie erwähnt, die Annahme gemacht, dass von einer Reihe von drei Ineisiven der dem Caninus zunächststehende für den Menschen geschwunden sei. Diese Meinung ist nicht näher geprüft worden, für dieselbe lässt sich jedoch anführen, dass beim Menschen zwischen dem J2 der Norm und dem Caninus gelegentlich ein Zahn sich finden kann, der in der gleichen Weise wie die an anderer Stelle innerhalb der Reihe der Incisiven vorkommenden Zähne (Ja, J?) als atavistische Erscheinung gedeutet werden kann. 1 Vgl. E. D. Cope, On Lemurine reversion in human dentition. American Naturalist. Vol. 20. 1886. pag. 942. 2 Vgl. Second addition to the knowledge of the Puerco-epoch. Proceed- ings of the American Philosophical Society h. a. Philadelphia. Vol. XXI. 1884. pag. 319. 3 Vgl. Report of the United States geological survey of the territories. Vol. II. Washington 1884. The vertebrata of the tertiary formations of the west. By E. D. Cops. pag. 247. 296 Emil Rosenberg Unter den Objekten der Sammlung des Berliner zahnärztlichen Instituts findet sich ein Abguss!, der, wie ich meine, das angegebene Verhalten ersehen lässt. Derselbe ist Taf. VIII Fig. 3 abgebildet. Wie die Figur zeigt, sind links J! und J2 völlig normal. Rechts findet man zunächst der Medianebene einen Zahn, der offenbar J1 ist, und auf diesen lateralwärts folgend einen Zahn, der so voll- ständig, auch in dem hier deutlich ausgeprägten Relief an der lin- gualen Fläche, dem J2 der linken Seite gleicht, dass man nicht umhin kann, diesen Zahn für /2 zu halten; alsdann findet sich aber zwischen ihm und dem Caninus ein Zahn, der nicht etwa als ein in diesem Fall stehen gebliebener Caninus des Milchgebisses gedeutet werden kann, sondern wegen der Form seiner Krone als ein Schneide- zahn angesehen werden muss, der atavistischerweise aufgetreten ist; nach Analogie mit den bereits besprochenen atavistischen Ineisiven kann er mit Jy bezeichnet werden. In diesem Fall ist es relativ leicht zu entscheiden, welcher von den drei vorhandenen Ineisiven der ungewöhnliche ist, allein es giebt Fälle, und in Taf. VIII Fig. 4 ist ein solcher abgebildet”, wo es mir in der That nicht möglich scheint, zu bestimmen, ob der an den Caninus stoßende Schneidezahn oder der nächstfolgende der »überzählige« ist. Hier sind beide Zähne kleiner als J2 der normalen Seite und sind in Form und Größe ein- ander sehr ähnlich. Solche Fälle würden der Beurtheilung vielleicht zugängig werden, wenn eine größere Zahl von Objekten genau untersucht werden könnte. Die Existenz von Fällen mit einem »supernumerären« Zahn zwischen J2 und C lässt sich aus gewissen Angaben in der Litteratur konstatiren; es scheint der Zahn auch in verschiedener Größe vorzukommen?, allein es fehlen in fast allen 1 Vgl. Nr. 14 des Katalogs der Gipsabgüsse, bezeichnet als: »Oberkiefer eines 21jährigen Mannes mit überzähligem lateralen Schneidezahn auf der rechten Seite «. 2 Nach dem sub Nr. 115 des Katalogs der Gipsabgiisse der Sammlung des zahnärztlichen Instituts der Univ. Berlin verzeichneten Objekt Es findet sich dabei die Bemerkung: »Oberkiefer eines 16 jährigen jungen Mannes, mit zwei vollkommen ausgebildeten seitlichen Schneidezähnen auf der rechten Seite. Ge- schenk von Dr. KLARE in Leipzig.« 3 In dem Catalogue of the Museum of the Odontol. Soc. of G. B. Sec. Ed. 1882 finden sich mehrere hierhergehörige Objekte aufgeführt; pag. 30 Nr. 207: Upper model; supernumerary (tooth present) between left lateral and canine. Ähnlich pag. 32. Nr. 244. pag. 27. Nr. 167: Superior maxillary arch; conical supernumerary between left lateral and canine. Ähnlich pag. 25. Nr. 138. In diesen beiden letzteren Objekten liegen vielleicht interessante Reduktionsstufen von Jy vor. Vielleicht gehört hierher auch der von AMADEI (l.c. pag. 13. Oss. I) Über Umformungen an den Incisiven der zweiten Zahngeneration etc. 297 Fällen die nöthigen näheren Beschreibungen und Abbildungen. Nur eine Mittheilung ist mir bekannt geworden, die hier direkt verwend- bar ist. Es handelt sich um den Fall, den NesseL! kurz beschreibt und abbildet. Aus der Abbildung kann ersehen werden, dass an der im Übrigen normalen, gut geformten Zahnreihe rechts zwischen J2 und C ein Zahn sich findet, welcher im Vergleich zu dem Fall, den meine Fig. 3 zeigt, so gedeutet werden darf, dass er eine der zu postulirenden Reduktionsstufen von Jy repräsentirt. Der Zahn ist in dem von NessEL mitgetheilten Fall schon deutlich verkürzt und sein Ende zugespitzt. Die vorstehenden Erörterungen zeigen, wie mir scheint, dass nicht eine einzelne der über den Schwund von Inei- siven beim Menschen geäußerten Anschauungen die allein richtige ist; es darf angenommen werden, dass an allen drei näher bezeichneten Stellen die Reduktion eines Inci- sivus stattgehabt hat. Damit wird ersichtlich, dass die Annahme von drei Ineisiven als Bestandtheile eines sogenannten typischen Säugethiergebisses nicht ausreicht für die Herleitung des Verhaltens beim Menschen. Die »typische Formel« zu modifieiren, kann unterbleiben, da es, wie mir scheint, keinen besonderen Werth hat, eine solehe Formel zu statuiren. Wollte man dieselbe für alle Säuger konstruiren, so hätte das nur dann einen Werth, wenn man sicher wüsste, dass die Säuge- thiere in monophyletischer Abstammung von einer wahrscheinlich reptilienartigen Stammform sich ableiten; das ist aber keineswegs bewiesen. Für größere Abtheilungen von Säugethieren aber etwa 3 a zuzulassen, scheint mir auch nicht thunlich zu sein, da die beim Menschen sich findenden, soeben erörterten Verhältnisse wohl zu der Anschauung berechtigen, dass die gleiche Zahl von Zähnen in einem bestimmten Abschnitt von Zahnreihen keineswegs auch die gleiche Bedeutung dieser Zähne beweist. Schon HeEnseL? hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass es nicht im Sinne von BauME die Zahnformel J 0= 2 M. : als eine typische erwähnte Fall, in welchem von drei in regelmäßiger Reihe stehenden Incisiven der dem Caninus benachbarte der kleinste ist. 1 Vgl. Einige Fälle von Zahn- und Gebiss-Anomalien. Österreichisch-un- garische Vierteljahrschrift für Zahnheilkunde. Jahrg. II. 1886. pag. 342. Fig. 3. Abbildung des Gipsmodells der oberen Zahnreihe eines 14jährigen Mädchens mit einem »überzähligen seitlichen Schneidezahn«. ' 2 Morphol. Jahrbuch. Bd. V. 1879. pag. 535. Morpholog. Jahrbuch. 22. 20 298 Emil Rosenberg wohl ausfiihrbar ist, fiir etwas weiter von einander stehende Formen die specielle Homologie der Ziihne zu bestimmen; ohne den Nach- weis dieser Homologie hat aber eine für eine größere Summe von Formen statuirte typische Zahnformel keinen Werth. Aus den hier erörterten Verhältnissen ist zu folgern, dass neben Zähnen, die den jetzt gewöhnlich vorhandenen Ineisiven des Men- schen homolog sind, bei phylogenetisch älteren Formen jederseits noch drei andere Incisiven bestanden haben; es muss also ange- nommen werden, dass die Umbildung von einer auf jeder Körper- seite vorhandenen Reihe von fünf Incisiven aus begonnen habe. Diese Anschauung erscheint schon desshalb nicht völlig unzulässig, weil z. B. unter den jetzt lebenden Beutelthieren Didelphys fünf In- eisiven in jedem Zwischenkiefer besitzt. Wollte man aber einen Hinweis auf diese Form hier desshalb nicht für zulässig halten, weil, wie durch KÜKENTHAL und LECHE erwiesen, diese bei Didelphys bleibenden Zähne den Zähnen der ersten Zahngeneration entsprechen, also nicht speciell homolog sind den fünf für den Menschen voraus- zusetzenden, die natürlich Elemente einer zweiten Zahngeneration gewesen sein müssen, so kann doch darauf hingewiesen werden, dass die Zahl der Incisiven in der ersten und der zweiten Zahngeneration derselben Form in der Regel bei Säugethieren die gleiche ist, und es lässt sich für die Annahme einer Zahl von fünf ursprünglichen Ineisiven noch Anderes geltend machen. Natürlich läge es am nächsten in Betreff der vorliegenden Frage vor Allem die meso- zoischen Säugethiere ins Auge zu fassen. Allein die oberen Zahn- reihen derselben sind noch nicht genügend bekannt!. Es erscheint daher um so wichtiger, dass bei noch primitiveren Formen sich ein Hinweis auf die Existenz von fünf Ineisiven auf jeder Körperseite ergiebt. Das Bestehen näherer genealogischer Beziehungen der Säugethiere zu den Reptilien ist oft hervorgehoben worden, und dess- halb ist es hier besonders belangreich, dass unter den fossilen Reptilien in einer Gruppe derselben, die der Trias angehört und die Owen im Hinblick auf das Zahnsystem, welches einzelne auf Säuge- thiere hinweisende Züge darbietet, Theriodontia genannt hat, eine Form vorkommt, nämlich Cynodracodon?, die jederseits fünf Incisiven 1 Einige Befunde an den Ineisiven der unteren Zahnreihe lassen vermuthen, dass einzelne dieser alten Formen in der oberen Zahnreihe fünf Ineisiven auf jeder Seite gehabt haben. 2 Vgl. R. Owen, Descriptive and illustrated Catalogue of the fossil Rep- Über Umformungen an den Ineisiven der zweiten Zahngeneration etc. 299 in der oberen Zahnreihe besitzt. Diese Zahl erscheint also an sich als eine durchaus mögliche und für die Ableitung der Verhältnisse von Säugern benutzbare; ich will aber natürlich damit nicht behaupten, dass die fünf Incisiven von Cynodracodon die speciellen Homologa der beim Menschen vorhandenen und der vorauszusetzenden Schneidezähne seien; dazu wäre der Nachweis nöthig, dass. Zähne der gleichen Zahngeneration, d.h. Zähne einer der zweiten Zahngeneration des Menschen homologen Zahnreihe vor- liegen. Dieser Nachweis kann zur Zeit nicht geliefert werden. Es kann auch, wie mir scheint, der Einwand nicht zugelassen werden, es sei, selbst wenn eine so große Zahl von Ineisiven bei sehr primi- tiven Säugethieren sich fand, doch nicht wahrscheinlich, dass beim Menschen Anklänge an so weit zurückliegende Zustände sich finden könnten. Ein solcher Einwand wäre zu entkräften durch einen Hin- weis darauf, dass das Zahnsystem des Menschen (wie auch manche andere Organisationsverhältnisse desselben) keineswegs zu den diffe- renzirtesten oder am meisten umgestalteten Formen gehört, die unter Säugethieren angetroffen werden können, und dass es desshalb nicht undenkbar erscheint, dass atavistische Vorkommnisse an demselben noch recht primitive Zustände wiedergeben. Im Hinblick auf das Gesagte dürfte es zulässig erscheinen, von einer Reihe von fünf Ineisiven auszugehen, und wollte man die ein- zelnen Zähne einer solchen Reihe in der üblichen Weise von der Medianebene aus zählen, so muss man sagen, dass die Zähne J1, J3 und J5 bei dem Umgestaltungsprocess, der das jetzt normale Verhalten des Menschen hervorgebracht hat, fort- gefallen sind; die vorhandenen Ineisiven des Menschen sind somit als J2 und J4 zu deuten und die mit Ja, JB und Jy bezeichneten, ausnahmsweise auftretenden Zähne sind auf die ursprünglichen J1, resp. J3, resp. J5 zu beziehen. Die Elimination dieser Zähne u man sich natürlich als eine all- mähliche, nicht alle drei zu gleicher Zeit betroffen habende vorstellen müssen und es erhebt sich dann die Frage, in welcher Reihenfolge dieselben geschwunden sind. Es scheint mir zur Zeit nicht möglich, diese Frage sicher zu beantworten, vielleicht könnte aber in dem Verhalten von Indrodon ein Hinweis darauf erblickt werden, dass der ursprüngliche Zahn J3 später geschwunden ist als J1 oder J5. tilia of South Africa in the Collection of the British Museum. London 1876. 4°, pag. VIII pag. 17, 18, 75, 76. Pl. XVII Fig. 4. : 20” 300 Emil Rosenberg Der letztere ist vielleicht am frühesten fortgefallen, worauf der Um- stand hindeuten könnte, dass beim Menschen zwischen seinem jetzigen J2 und dem Caninus relativ am seltensten ein atavistischer Zahn aufzutreten scheint. Aber wie man sich auch die Reihenfolge der Elimination denkt, man wird, wenn in der erörterten Weise die geschwundenen Zähne ihre Homologa in Zähnen einer ursprünglich fünf Incisiven enthalten- den Reihe besitzen, zu der Erwartung berechtigt sein, dass beim Menschen in von der Norm abweichenden Fällen gelegentlich auf einer und derselben Seite in der Region der Ineisiven auch mehr als drei Zähne wahrnehmbar sind. Und in der That finden sich in der Litteratur Angaben über solche Vorkommnisse. AMADEI! hat einen Fall beobachtet, in welehem »due ineisivi sopranumerari« auf der linken Seite sich fanden, so dass auf dieser Seite vier Ineisiven und auf der rechten zwei vorhanden waren. Die kurze Beschreibung dieses Falles erscheint mir aber nicht ausreichend für eine Deutung. Auch eine Mittheilung von Busch ist hier zu eitiren?. Von den »doppelten überzähligen Schneidezähnen« sprechend, sagt Busch, dass in einem seiner Fälle beide der linken Seite angehören, während die rechte normal ist, »doch zeigt nur der eine dieser Zähne deutlichen Schneidezahntypus, während der zweite einem Zapfenzahn gleicht«. Wegen dieses letzteren Umstandes sei hier eigentlich nur ein überzähliger Schneidezahn vorhanden, wesshalb dieser Fall kei- nen Einwand abgebe gegen die Auffassung, die drei gut ausgebildete auf einer Seite existirende Schneidezähne als eine Erscheinung von Atavismus ansieht. Dieser Beurtheilung des Falles, welche den Ein- fluss der Annahme von drei Zähnen als »Normalzahl der Schneide- zähne in der allgemeinen Zahnformel der Säugethiere« deutlich be- kundet, kann ich nicht beistimmen; es reichen aber auch hier die Angaben nicht aus für eine speciellere Deutung®. Desshalb ist diesen 1 ].c. pag. 15. Oss. VII. 2 Vgl. Deutsche Monatsschr. f. Zahnhlkd. Jahrg. IV. 1886. pag. 451, 458, 459. 3 In den beiden erwähnten Fällen handelt es sich um im Ganzen sechs Ineisiven in der kritischen Region, es ließen sich aber, wenn man davon aus- geht, dass in dieser Region ursprünglich zehn Ineisiven bestanden haben, auch Fälle erwarten, in denen mehr als sechs Ineisiven vorliegen ; in der That führt Macıtor (Traité des anomalies du systeme dentaire. pag. 90, 91. pl. IV fig. 3) einen Fall an, bei welchem in der Region der Incisiven im Ganzen neun Zähne sich finden; allein die Angaben und die Abbildung reichen meines Erachtens nicht aus, den Fall sicher zu deuten; es scheinen sich gleichzeitig pathologische Verhältnisse geltend gemacht zu haben und sicherlich gilt das von den beiden Über Umformungen an den Incisiven der zweiten Zahngeneration ete. 301 Fällen auch kein Aufschluss zu entnehmen hinsichtlich der Frage nach der Succession, in welcher die geschwundenen Incisiven sich zurückgebildet haben. Es wäre wichtig, wenn diese offenbar sehr seltenen Fälle sich darbieten, dieselben genau und von dem hier vertretenen Gesichtspunkt aus zu untersuchen, dadurch würde die Lösung der erwähnten Frage gefördert werden können. Zunächst erscheint es mir aber nicht ohne Belang, zu konstatiren, dass die Existenz solcher Fälle von dem Standpunkt, der drei ursprüngliche Ineisiven annimmt, nicht genügend interpretirt werden kann, während diese Fälle bei der Anschauung, zu der die vorstehenden Erörterun- gen geführt haben, postulirt werden können, und das spricht zu Gunsten dieser Anschauung. ' B. Umformungen, die von dem zur Zeit normalen Verhalten der oberen Incisiven ausgehen. Es hat schon seit langer Zeit die Aufmerksamkeit erregt, dass von den oberen Schneidezähnen des Menschen der laterale (J2) ein besonderes Verhalten darbietet. Schon CARABELLI! erwähnt das ge- legentliche Fehlen beider dieser Zähne, »in welchem Falle dann die Nasenzähne an der Seite der mittleren großen Schneidezähne stehen«. Spätere Autoren gehen genauer auf das Verhalten des lateralen Schneidezahns ein. Macrror? konstatirt gleichfalls, dass dieser Zahn auf beiden Seiten oder auf einer fehlen könne und weist darauf hin, dass der Zahn häufig ein geringes Volumen, eine »forme conoide« zeige. BAUME? unterscheidet vier Formen, bei der häufigsten habe die »Schneidefläche« die Form eines unteren Caninus und durch Über- gänge vermittelt komme nicht selten eine Form vor, bei welcher die Zuspitzung der Krone so stark sei, dass der Zahn das Aussehen eines oberen Caninus erhalte; dann wird noch eine Form erwähnt, die durch ein besonderes Relief an der lingualen Seite sich aus- Fällen, die MaGıToT nach den Angaben von TomES und TELLANDER erwähnt, in denen Gruppen von 14 resp. 24 Zähnen verschiedener Form in der »region incisive« sich gefunden hätten. Eine nähere Erörterung dieser Fälle kann hier unterbleiben. 1 Vgl. Systematisches Handbuch der Zahnheilkunde. Bd. 2. Wien 1844. pag. 97. Unter »Nasenzähnen« versteht CARABELLI die Canini. 2 Vgl. Traité des anomalies du syst&me dentaire etc. Paris 1877. pag. 47, 48, 60, 61, 77. Uber die unrichtige Deutung, die Maciror der forme conoide giebt, vgl. weiter unten pag. 309 der vorliegenden Abhandlung, Anm. 1. 3 Odontologische Forschungen. Th. I. Leipzig 1882. pag. 200, 201. 302 Emil Rosenberg zeichnet. MÜHLREITER! unterscheidet ebenfalls vier Formen, die aber nicht mit den von Baume bezeichneten übereinstimmen; er führt unter diesen Formen eine auf, in welcher der Zahn an Wurzel und Krone reducirt »nur mehr einen rundlichen, zugespitzten, mehr oder minder formlosen Zapfen« darstellt. Von anderen Autoren ist auch ohne Feststellung besonderer Formen konstatirt worden, dass Schwankun- gen in Form und Größe des Zahns J2 zu beobachten seien, dass er in rudimentärer Form vorkommen und ganz fehlen könne. WıLson?, BuscH?, ZUCKERKANDL!, WIEDERSHEIM® haben hierauf bezügliche kurze Bemerkungen gemacht. Es ist ferner das Fehlen der oberen lateralen Ineisiven in zwei bis drei Generationen als eine auf dem Wege der Vererbung über- tragene Erscheinung zur Beobachtung gekommen. Dieses Verhalten ist, so viel mir bekannt, zuerst von Copr® auf Grundlage eigener Wahrnehmungen und Erhebungen festgestellt worden und es ist be- sonders hervorzuheben, dass Core zuerst dieser Erscheinung eine Deutung gegeben, indem er in diesem Mangel eine Fortsetzung des Processes der Reduktion gesehen, welcher, von drei Ineisiven aus- gehend, zunächst zwei solcher Zähne unter normalen Verhältnissen beim Menschen hervorgehen lässt und dann bei weiterem Fortschreiten auch die zweiten Ineisiven zum Schwund bringt. Das sei, wie COPE 1 Anatomie des menschlichen Gebisses. 2. Aufl. Leipzig 1891. pag. 24,25. 2 Vgl. The missing Ineisors in Man. Journal of the British Dental Asso- ciation. Vol. VI. 1885. pag. 242. 3 Vgl. Die Überzahl und Unterzahl in den Zähnen des menschlichen Ge- bisses etc. Deutsche Monatsschrift f. Zahnheilkunde. Jahrg. V. 1887. pag.8,9. * Vgl. Makroskopische Anatomie‘; in: Handbuch der Zahnheilkunde von J. SCHEFF. Bd. I. Wien 1891. pag. 38, 39, 105. 5 Der Bau des Menschen als Zeugnis fiir seine Vergangenheit. 2. Aufl. 1893. pag. 136. 6 The method of creation of organic forms. Proceedings of the American Philosophical Society. Vol. XII. Dec. 1871. pag. 234. Cops erwähnt hier, dass er zwei Familien kenne, in welchen das Fehlen der J2 gewöhnlich sei. In einer späteren Arbeit (On the genera of Felidae and Canidae. Proceedings of the Academy of Natural Sciences of Philadelphia. 1879) erwähnt Corn, es sei ihm durch Dr. C. N. Prerce Mittheilung gemacht worden über 28 Familien, bei denen die 72 fehlen, und er selbst habe bei vier Familien diese Beobachtung gemacht. Andere hierhergehörige interessante Fälle sind erwähnt worden von MaAGIToT (Anom. du syst. dent. pag. 33, 76, 77), HEnseL (Homologien und Va- rianten in den Zahnformeln einiger Säugethiere. Morphol. Jahrb. Bd. V. 1879. pag. 536), SCHAAFHAUSEN (Über das menschliche Gebiss. Verhandlungen des naturhist. Vereins der preußischen Rheinlande und Westfalens. Jahrg. 43. 1886. pag. 90) und Busch (1. e. pag. 10). Über Umformungen an den Incisiven der zweiten Zahngeneration etc. 303 bemerkt, von Bedeutung in systematischer Hinsicht, und wenn der Schwund der zweiten Incisiven konstant geworden sei »in any of the species of the genus Homo«, so würde diese damit den Rang eines neuen Genus erlangen. Diese Bemerkungen hat Corr später weiter ausgeführt; er sagt, die Reduktion der lateralen oberen In- eisiven (und der dritten Molaren) sei sehr häufig in den Vereinigten Staaten Nordamerikas und vielleicht auch sonst unter eivilisirten Nationen, eine Statistik dieser Verhältnisse fehle jedoch. Es sei er- sichtlich, dass hier Charaktere vorliegen, die, wenn sie stabil würden, zwei oder drei Genera von Hominidae unterscheiden ließen, die zu dem Genus Homo hinzukämen, und es sei anzunehmen, dass in irgend welcher zukünftigen Zeit diese Eigenthümlichkeiten des Zahnsystems stabil werden würden. Da die Reduktion der Zahl der Zähne eng verbunden sei mit Orthognathie, so könne man annehmen, dass die Reduktion die Folge sei von einer Verkleinerung des Kiefers, und diese bringt Core in Verbindung mit der durch Vergrößerung des Gehirns bedingten stärkeren Ausbildung des oberen Theils des Schä- dels. Die Reduktion der oberen Zahnreihe denkt Core sich nicht derart, dass es wahrscheinlich sei, dass sich ein Schwund der oberen lateralen Ineisiven mit dem der oberen dritten Molaren zu- sammen einstellen werde. Die Reduktion der unteren Zahnreihe sei geringfiigiger, er kenne kein Beispiel, in welchem die unteren late- ralen Ineisiven geschwunden seien, während der Verlust der dritten unteren Molaren recht häufig sei. Auf Grundlage dieser Erwägungen kommt Core zu der Annahme, dass die Zahnformel, die jetzt das Genus Homo charakterisirt, bei niederen Rassen fortbestehen werde, diese repräsentiren dann das Genus Homo, während Formen mit der Formel J n m Pm> Ms ein Genus Metanthropos darstellen würden und die Zahnformel 2 at Pm> Me ein Genus Epanthropos cha- rakterisiren wiirde'. 1 Vgl. Corz, On the genera of Felidae and Canidae. Proceedings of the Academy of Natural Sciences of Philadelphia. 1879. pag. 26 u. 27 des Separat- abdrucks. Die in dieser Arbeit enthaltene Stelle, die hier interessirt, habe ich ausfiihrlich wiedergegeben; sie ist wenig beriicksichtigt worden. Ich finde die- selbe nur in einer Rede von HoERNES (Die Herkunft des Menschengeschlechts. Graz 1891. pag. 10) berührt, ohne Anführung der Arbeit selbst (auch für ein dort erwähntes Referat über diese Arbeit von Branco fehlt das Citat), und dann lässt eine Stelle in dem Referat über ScHLOSSER’s Monographie: Die 304 Emil Rosenberg Die Vermuthung, dass 72 schwinden werde, ist auch von ande- ren Autoren geäußert worden. HENsEL! folgert aus den von ihm in eine Reihe gebrachten Formeln der Ineisiven verschiedener Säuge- thiere, dass nach Reduktion des dritten oberen und des dritten unteren Ineisivus nunmehr der zweite obere als der »erste am Verschwinden « zu betrachten sei. Wegen des häufigen Vorkommens rudimentärer Formen von J2 und wegen seines Fehlens sei, wie Wınson? gelegentlich bemerkt, zu schließen, es werde beim Menschen im Laufe der Zeit nur der centrale Schneidezahn übrig bleiben. Buscu stellt den J2 mit M3 in eine Gruppe, die bei den jetzt lebenden Kulturvölkern Zeichen der Rückbildung erkennen lasse, und ähnlich äußert sich Röse?, wobei er Nichtgebrauch als Grund für die Reduktion anführt. Auch GEGENBAUR> weist darauf hin, dass der obere laterale Ineisivus zuweilen nicht zum Durchbruch, vielleicht auch nicht zur Ausbildung gelange, es zeige sich darin eine progressive Reduktion des menschlichen Gebisses. ZUCKERKANDL® sagt, der obere Seitenschneidezahn befinde sich Affen, Lemuren etc. (Archiv für Anthropologie. Bd. 17. 1888. pag. 287) ver- muthen, dass außer der Abhandlung von Corre aus dem Jahre 1871 noch eine andere hierhergehörige existirt; es fehlt aber auch hier das Citat. Ich ver- danke es der Güte des Herrn Prof. CopE, dass mir diese Arbeit zugängig wurde; auf meine Bitte hatte Herr Prof. CopeE die Freundlichkeit, mir dieselbe zu sen- den. Die eben erwähnte Stelle in dem Referat über SCHLOSSER’s Monographie lautet: »E. D. Core hat in einer früheren Publikation darauf aufmerksam ge- macht, dass das Gebiss des Menschen einer augenscheinlichen Reduktion unter- worfen sei und zwar hinsichtlich der Zahnzahl. Es würde sich das Gebiss nur bei den wilden Rassen intakt erhalten, also die normale Zahnformel 37 Te Pr a aufweisen, bei den Kulturmenschen werde dieselbe aber auf 2 3 = 1°5 —Pr git oder sogar auf = pe =i 2 Pr sm anlangen.« Ich vermuthe, eae die Hei über die letztere Pi: tp einem Irrthum beruht, sie steht wenigstens in einem Widerspruch mit dem Inhalt der beiden Arbeiten Copk's, über die ich im Text referirt habe, und eine dritte hierhergehörige Äußerung von Core habe ich nicht finden können, wobei ich jedoch bemerken muss, dass ich von den hier in Betracht kommenden Publikationen die Abhandlung » Origin of the fittest« nicht habe erhalten können. ı l.c. pag. 535. 2 1. c. pag. 242. 3 1c. pag. 16. 4 Vgl. Uber die schmelzlosen Zahnrudimente. Verh. der deutschen odon- tolog. Gesellsch. Bd. IV. 1891. pag. 119. 5 Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 3. Aufl. 1888. pag. 462. 6 lc. pag. 106. Über Umformungen an den Incisiven der zweiten Zahngeneration etc. 305 »am besten Wege« rudimentär zu werden, und im Wesentlichen die- selbe Anschauung findet sich bei WIEDERSHEIM!. Von den eben genannten Autoren, welche die zuerst von CoPE statuirte Anschauung über das voraussichtlich eintretende Schwinden des J2 berühren, bezieht sich keiner direkt auf die gleiche, schon von einem früheren Autor geäußerte Meinung; es ist also die er- wähnte Anschauung sicherlich mehrmals in selbständiger Weise entstan- den, und auch ich hatte mir dieselbe gebildet, bevor ich die erwähnten Angaben in der Litteratur kennen gelernt. Diese Anschauung ist in der That auch eine sehr naheliegende, aber doch wird sie nicht all- gemein getheilt oder in gleicher Weise beurtheilt. So sagt BRocA?, der den Variationen und dem Fehlen von M3 großes Interesse zu- spricht und ausführlich auf diesen Gegenstand eingeht, dass die analoge Erscheinung bei anderen Zähnen, also auch bei J2, viel weniger Interesse darbiete. In dem vorhin (pag. 303 Anm. 1) eitirten Referat sagt der Autor desselben (es ist wohl SCHLOSSER selbst), im Anschluss an die Mit- theilung über die Veränderung der Zahnformel, welche nach Corr angenommen werden dürfe, er »wage weder zu bejahen noch zu ver- neinen«, ob das Fehlen von J2 und M3 »nicht doch etwa bloß als eine individuelle Eigenschaft betrachtet werden« müsse. Mit mehr Bestimmtheit äußert sich J. ScHEFF?. Man könne nicht annehmen, dass an dem Lateralschneidezahn, der sehr oft die Gestalt eines zugespitzten Griffels oder eine andere vom Normalen abweichende Form besitze, »wegen dieser hier und da vorkommenden Spielart der Natur« die stufenweise Reduktion bis zum Rudimentiir- werden auftreten werde. Röse?, der, wie schon oben erwähnt, den Zahn J2 zusammen mit dem Weisheitszahn als Gebilde betrachtet, die »heut zu Tage einer allmählichen Reduktion unterliegen«, sagt nichtsdestoweniger, es sei »eine müßige Frage, über die zu streiten nicht lohnt«, ob der Zahn M3 beim Menschen verschwinden werde, und dasselbe Urtheil !l.c. pag. 136. Hier findet sich auch eine Figur (101), welche ein »mensch- liches Gebiss mit unterdrückter Ausbildung der oberen seitlichen Schneidezähne « darstellt. 2 Instructions générales pour les recherches anthropologiques 4 faire sur le vivant. 2. édit. Paris 1879. pag. 248. 3 Uber rudimentäre (schmelzlose) Zähne. Deutsche Monatsschr. f. Zahnheil- kunde. Jahrg. VI. 1888. pag. 53, 54. 4]. c. pag. 119. 306 Emil Rosenberg wird damit natürlich auch im Hinblick auf die Frage nach dem Schicksal der J2 ausgesprochen. Diese zuletzt erwähnten Äußerungen können die von den früher eitirten Autoren vertretene Anschauung, wie mir scheint, wohl kaum entkräften, man darf diese Äußerungen wohl nur als einen Beleg dafür ansehen, dass die Begründung der Anschauung, gegen welche sie sich richten, keine genügende ist. In der That haben die oben citirten übereinstimmenden, die Umformung der J2 betreffenden Aus- sprüche der Autoren mehr den Charakter gelegentlicher Äußerungen und erscheinen nicht als Ergebnis einer irgend eingehenderen Unter- suchung, welche die Frage nach der Existenz eines an den oberen lateralen Ineisiven stattfindenden Umformungsprocesses von phylo- genetischer Bedeutung zum Gegenstand genommen hätte. Eine solche Untersuchung ist, so viel mir bekannt, nicht publieirt worden und die in der Litteratur zerstreut sich vorfindenden Angaben über Be- funde an den J2 reichen nicht aus, den Process in seinen einzelnen vorauszusetzenden Entwicklungsstufen zu übersehen. Desshalb kann es gerechtfertigt erscheinen, wenn die Frage nach der Umformung der J2 auf Grundlage der Beobachtung einer größeren Anzahl von Objekten erörtert wird, wobei dann auch nicht nur das Verhalten allein der Zähne J2, sondern auch die Beziehungen derselben zu den Nachbarzähnen Berücksichtigung zu finden haben. Über diese Ver- hältnisse ergeben die vorherrschend in Utrecht gesammelten Fälle, die mir vorliegen, einen ziemlich vollständigen Einblick, und es wird sich zeigen, dass der Vorgang nicht ganz so einfach sich gestaltet, wie das a priori gedacht werden könnte. Der Umformungsprocess erscheint in einer Form, die es wünschenswerth macht, eine ge- sonderte Schilderung der einzelnen Modi der Umformung zu ent- werfen, diese zusammen ergeben das Gesammtbild desselben. Allmähliche, auf beiden Seiten symmetrisch erfolgende Reduktion der oberen J2 (Reihe I). Wird eine größere Zahl von gesunden Gebissen, welche das bleibende Zahnsystem aufweisen und bei denen die Zahl der Inci- siven die normale ist, aufmerksam betrachtet, so kann man die ein- zelnen Fälle in eine Reihe ordnen, bei deren Gliedern die beider- seitigen J2 successive, sowohl was die absolute Größe als die in Relation zu J1 bestehende anlangt, gleichmäßig verkleinert erschei- nen. Die Betrachtung einer solchen Reihe lässt die Vorstellung einer Über Umformungen an den Ineisiven der zweiten Zahngeneration ete. 307 gleichzeitigen allmählichen Reduktion der lateralen Incisiven ent- stehen. Das soll hier durch die Vorführung einer Anzahl Fälle illustrirt werden. Als Ausgangspunkt nehme ich die Beobachtung eines schön ent- wiekelten, vollkommen gesunden und normalen Gebisses'. Es sind hier (vgl. Taf. IX Fig. 17) die J2 beiderseits breit und mit der Schneide fast so tief reichend als die J1. Die Breite der J2 verhält sich zu der der J1 wie 3:4. Die Caninen haben in diesem Fall noch eine leicht atavistische Form, indem sie über die Gesammtreihe der Zähne nach abwärts etwas hervortreten. Hieran schließt sich der Fig. 12 abgebildete Fall?. Die J2 sind beiderseits relativ etwas verschmälert. Die Breite derselben verhält sich zu der der J1 wie 5:8. Dabei läuft das untere Ende der J2 nicht in eine nahezu geradlinige Schneide aus, sondern er- scheint mehr zugespitzt, reicht aber doch noch fast so tief hinab, wie im Fall 117. Die gleiche Beschaffenheit zeigen noch zwei andere Falle3. Wird hiermit der in Fig. II3 abgebildete Fall* verglichen, so erscheinen die J2 jederseits deutlich verkürzt. Die Breite im Ver- hältnis zu der von J1 ist jedoch nahezu dieselbe wie im vorigen Fall. Dasselbe Verhalten zeigen noch zwei andere Fälle>. Nun folgen Fälle, in denen die Reduktion der J2 sich durch die kegelförmig zugespitzte Form zu erkennen giebt, die dieser Zahn 1 Katalog der Sammlung des anatomischen Instituts. 1892. Nr. 2. Stud. med., 23 Jahr. Utrecht. Abguss Geschenk des Herrn GLASER. 2 Kat. 1891. Nr.2. Mädchen, 21 Jahr. Utrecht. Klinik Dr. DENTZz. 3 Kat. 1892. Nr. 3. Soldat, 20 J. Utrecht. Abg. Gesch. d. Hn. GLASER. Kat. 1892. Nr. 4. Soldat, 20 J. Utrecht. Abg. Gesch. d. Hn. GLASER. Wie schon hier ersichtlich ist, kann der gleiche Befund sowohl beim männlichen als beim weiblichen Geschlecht konstatirt werden, ich habe das auch für alle anderen Befunde (abgesehen von den wenigen Fällen, die mir zur Zeit nur in einem Objekt vorliegen) bestätigt gefunden; ich habe daher davon abgesehen, für die Schilderung des Processes selbst die Objekte nach den Geschlechtern getrennt vorzuführen. Das erscheint auch desshalb berechtigt, weil die ge- nauen, durch MÜHLREITER (vgl. Anatomie des menschlichen Gebisses. 2. Aufl. 1891. pag. 125—127) angestellten Messungen an den hier in Rede stehenden Zähnen so geringfügige Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern er- geben haben, dass dieselben bei der vorliegenden Betrachtung vernachlässigt werden können. 4 Kat. 1890. Nr. 1. Mann, 26 J. Utrecht. Abg. Gesch. v. Dr. Dextz. 5 Kat. 1892. Nr.5. Mädchen, 26 J. Utrecht. Abg. Gesch. d. Hn. GLASER. Kat. 1890. Nr. 2. Mädchen, 17 J. Zeist. Abg. Gesch. v. Dr. DENTZz. 308 Emil Rosenberg angenommen hat. In dem Fig. II 4 abgebildeten Abguss! ist diese Kegelform der J2 sehr deutlich ausgesprochen, der Zahn ist jedoch selbst noch ziemlich voluminös?. Dagegen zeigt der folgende, Fig. 115 abgebildete Fall? die J2 in der Längenausdehnung deutlich verringert und auch im Verhältnis zu den J1 etwas mehr verkleinert. Dasselbe Verhalten war auch noch in einem anderen Fall4 zu beobachten. Eine nächste Reduktionsstufe repräsentirt der Fall, welchem die Fig. 116 entnommen’. Hier ist die Kegelform der in Rede stehenden Zähne sehr evident, eben so die Verkürzung derselben. Es ist mir von Belang, hervorzuheben, dass ein solcher Befund nicht nur ver- einzelt angetroffen wird. , Unter den mir vorliegenden Objekten findet sich diese Reduktionsstufe der J2 noch dreimal beiderseits vertreten ®. Damit wird jedoch das Ende der Reihe nicht erreicht. In einem wei- teren Fall”, von dem ich leider keine Abbildung hinzufügen kann, da er mir erst nach Fertigstellung der Tafel zuging, handelt es sich um ein vollkommen gesundes, schönes Gebiss, in welchem die J2 jederseits ganz symmetrisch gestaltet sind, dabei spitzkegelförmig und deutlich noch stärker verkürzt als im Fall 116, und obgleich diese hier vorliegenden /2 auch etwas schmäler erscheinen, füllen sie doch den Zwischenraum zwischen C und J1 aus und haben sich den J1 seitlich eng angeschlossen, es erscheint damit auch der Zahn C dem J1 etwas mehr genähert. Uberblickt man die soeben vorgeführte Reihe, so kann wohl nicht in Abrede genommen werden, dass dieselbe der Vorstellung einer 1 Kat. 1892. Nr. 6. + 30jährige Dame. Abd. Gesch. v. Dr. DENTZ. 2 Zwischen den Fall der Fig. 114 und den Fig. ı 3 abgebildeten lassen sich drei Gebisse der Sammlung stellen, bei denen J2 auf der einen Seite noch ab- geplattet und mit einer Schneide versehen, aber doch deutlich verkürzt, auf der anderen Seite kegelförmig ist; dabei ist der kegelförmig gestaltete J2 ab- solut größer als im Fall ır 4, jedoch relativ etwa eben so groß wie bei u 4, weil bei den in Rede stehenden Gebissen die J1 auffallend stark sind. Es sind die Fälle: Kat. 1892. Nr. 2. © 63 J. Abd. Gesch. v. Dr. Dentz; Kat. 1890. Nr. 7. Frau, + 40 J. Abd. Gesch. v. Dr. Dentz; Kat. 1889. Nr. 3. Mann, 38 J. Klin. Dr. DENTZz. 3 Kat. 1890. Nr. 8. Mann, 20 J. Klin. Dr. DENTZ. 4 Kat. 1889. Nr. 4. Frau, + 30 J. Abd. Gesch. v. Dr. DENTz. 5 Kat. 1891. Nr. 8. Mädchen, 17 J. Utrecht. Klin. Dr. DENTZz. 6 Kat. 1892. Nr. 7. Mädchen, 12 J. Utrecht. Abd. Gesch. v. Dr. DENTz. Kat. 1889. Nr.5. Mädchen. Utrecht. Abd. Gesch. v. Dr. Deutz. Kat. 1890. Nr. 9. Mädchen, 12 J. Utrecht. Klin. Dr. DENTzZ. 7 Kat. 1892. Nr. 9. Mädchen, 24 J. Klin. Dr. Dentz. Abd. Gesch. d. Hn. GLASER. Über Umformungen an den Incisiven der zweiten Zahngeneration etc. 309 allmählich sich vollziehenden Reduktion der J2 eine Begründung giebt!. In Bezug auf das Detail dieses Vorganges könnte den Fällen IZ bis I 3 die Ansicht entnommen werden, dass diese Reduktion sich zunächst in einer Verkürzung der J2 ausspricht; es verdient, daher erwähnt zu werden, dass sich neben diesen Theil der Reihe andere Fälle (sechs in der mir vorliegenden Sammlung?) stellen lassen, bei welchen die Verschmälerung der J2 sich früher und stärker gel- tend gemacht hat, als die Verkürzung. Hierauf wäre bei der Unter- suchung eines größeren Materials zu achten. Auch darf wohl erwartet werden, dass die Durchmusterung einer großen Zahl von Fällen noch solche ergeben wird, in denen auf beiden Seiten J2 noch stärker re- dueirt erscheint, als in dem Fall, den ich an das Ende der oben vorgeführten Reihe gestellt habe. Solche Fälle müssen erwartet werden, da die Reduktion der J2 schon jetzt eine vollständige sein kann, und die erwähnte Erwartung darf ich mit um so größerer Sicherheit aussprechen, als ich einen später zu erwähnenden Fall aufführen kann, wo wenigstens eine dieser vorauszusetzenden Formen von J2 auf der einen Körperseite vorliegt. Es muss jedoch auch a priori als wahrscheinlich hingestellt werden, dass die Reduktion der J2 sich nicht in allen Fällen auf beiden Körperseiten in ganz oder nahezu gleichmäßiger Weise vollziehen werde. Wo es sich um paarig im Körper angeordnete Organe handelt, die einer Reduktion unter- 1 Besonders die hier vorliegenden kegelförmigen Exemplare von /2 sprechen so deutlich für die eintretende Reduktion und diese Auffassung ist so sehr in Übereinstimmung mit derjenigen der früher eitirten Autoren, dass es wohl nur nebenher bemerkt zu werden verdient, dass MAcırtor's (Traité des anomalies etc. pag. 47, 48 u. Erklärung zu Pl. I Fig. 7) Ansicht, die »forme conoide« von J2 sei »un phénoméne de reversion au type fondamental«, nicht richtig ist; es kann dieser Ansicht auch nicht beigestimmt werden, selbst wenn man die Kegel- form wirklich als die Urform aller Zähne betrachten wollte. 2 Es sind die folgenden Fälle, die sich in der Aufeinanderfolge, in welcher sie aufgezählt sind, an einanderreihen lassen: Kat. 1890. Nr. 5. Frau, + 45 J. Abd. Gesch. v. Dr. Denrz; Kat. 1890. Nr. 3. Frau, + 34 J. Abd. Gesch. v. Dr. Dentz; Kat. 1891. Nr. 3. Stud. med., + 22 J. Utrecht. Abd. Gesch. v. Dr. DEnTz; Kat. 1890. Nr. 6. Mann, + 24 J. Abd. Gesch. v. Dr. Denrz; Kat. 1890. Nr. 4. Mann. Utrecht. Abd. Gesch. v. Dr. Dentz; Kat. 1891. Nr. 4. Mann, 32 J. Abd. Gesch. v. Dr. Deutz. Von diesen Fällen zeigt der zuerst aufgeführte J2, die, was die Stellung der schneidenden Endfläche zu der der J1 anlangt, normal genannt werden können, vergleicht man dieselben aber mit den lateralen Inci- siven, die im Fall 11 abgebildet sind, so fällt die verringerte Breite im Ver- hältnis zu der Breite der J1 auf. Der zuletzt erwähnte Fall (Kat. 1891. Nr. 4) hat J2, die nahezu eben so weit verkürzt sind, wie beim Fall II 3. 310 Emil Rosenberg liegen, ist es eine nicht selten zu konstatirende Erscheinung, dass diese Reduktion nicht die gleiche ist auf jeder Körperseite. Diese Erfahrung lässt sich auch bei der Reduktion der J2 leicht bestätigen, was durch die nächsten Reihen begründet werden soll. Allmähliche Reduktion von J2 im linken Zwischenkiefer, bei nahezu unverändertem Verhalten von J2 der rechten Seite (Reihe III a). Diese Reihe ist nur durch drei Fälle repräsentirt. An dem Ab- guss, der Fig. IIIa/ abgebildet ist', sieht man, dass J2 der rechten Seite noch die normale Form eines zweiten Ineisiven hat, er erscheint jedoch etwas verkürzt; dagegen ist J2 der linken Seite in der kegel- förmigen Form anwesend. Im folgenden Fall? (vgl. Fig. IIIa2) hat J2 rechts nahezu die gleiche Größe wie im vorhergehenden, dagegen ist J2 links schon mehr redueirt: obgleich er noch eine Andeutung an eine dreiseitig prismatische Form zeigt, ist er doch relativ mehr verkürzt als im Fall IIa/, auch füllt der Zahn den Zwischenraum zwischen C’ und J1 minder vollständig. Im dritten Fall? (vgl. Fig. ITa3 kann J2 der rechten Seite als normal beschaut werden; J2 der linken Seite liegt jedoch in der exquisit spitzkegelförmigen Gestalt vor, die bei reducirten Formen von J2 auch in der vorigen Reihe angetroffen wurde. Aber obgleich dieser Zahn absolut noch etwas länger ist, als sein Homologon in Fig. IIfa2, so ist er doch im Verhältnis zu seinem Nachbar J/1 relativ kleiner als im oben eitirten Fall, daher ist dieser Befund auch an das Ende der Reihe gestellt worden. Es lässt sich erwarten, dass weiter fortgesetzte Beobachtung noch Fälle aufdecken werde, die sich dieser leider nur kurzen Reihe im er- örterten Sinne würden anschließen lassen. Indess ist auch schon der eben besprochene Fall einigermaßen geeignet, um an ihn die sogleich vorzuführende Reihe anzuknüpfen. Erwägt man, dass eine so weit vorgeschrittene Reduktion von J2 der linken Seite, wie sie hier vorliegt, sich kombinirt zeigt mit intaktem Verhalten von J2 der anderen Seite, so kann wohl vorausgesetzt werden, dass es Fälle geben werde, wo diese Reduktion auf der einen Seite sich vollständig 1 Kat. 1890. Nr. 10. Mann, 20 J. Utrecht. Klin. Dr. DENTZz. 2 Kat. 1891. Nr. 9. Mädchen, 17 J. Utrecht. Abd. Gesch. vy. Dr. DEnTz. 3 Kat. 1892. Nr. 10. Frau aus Middelburg, + 40 J. Abd. Gesch. v. Dr. C. J. VAN DER HOECK in Middelburg. Über Umformungen an den Ineisiven der zweiten Zahngeneration ete. 311 vollzogen hat, die andere aber noch intakt geblieben ist. Dass eine solche Voraussetzung nicht ganz unbegründet ist, lässt sich durch den Anfang der nächsten Reihe zeigen. J2 im linken Zwischenkiefer geschwunden, allmähliche Reduktion von J2 des rechten Zwischenkiefers (Reihe II b). Indem ich als Anfang dieser Reihe den Fig. III57 abgebildeten Fall! vorführe, bin ich mir dessen wohl bewusst, dass hier ein Fall vorliegt, der, isolirt betrachtet, zu starken Zweifeln hinsichtlich seiner Verwendbarkeit Anlass geben könnte. Der Befund an der rechten Seite ist offenbar der normale, links dagegen findet sich zwischen J! und dem Caninus eine Lücke, die den Eindruck macht, als wäre hier ein vorhanden gewesener Zahn J2 durch Extraktion oder auf eine andere gewaltsame Weise eingebüßt worden. Ich habe mich jedoch dazu entschlossen, diesen Fall als einen benutzbaren beizu- behalten, weil derselbe, wie aus den Bemerkungen am Ende des vorigen Abschnittes hervorgeht, sich postuliren lässt und weil der- selbe von einem Sachverständigen, der die Bedeutsamkeit anamnesti- scher Erhebungen für den Zweck der vorliegenden Untersuchung zu würdigen weiß, eingesandt worden; die Anamnese hat hier die Even- tualität einer Extraktion oder sonstigen gewaltsamen Entfernung nicht ergeben. Nun kann gewiss eine Anamnese nicht immer den ganzen Sachverhalt sicher feststellen und so könnte doch hier ein zweifel- hafter Fall vorliegen, allein das wird wenig wahrscheinlich, wenn man die nächsten Glieder der Reihe betrachtet. So glaube ich den als Ausgangspunkt benutzten Fall der Fig. III5/ doch so interpreti- ren zu dürfen, dass auf der rechten Seite der normale Befund be- wahrt geblieben, während auf der linken J2 völlig auf dem Wege der Reduktion (die aber natürlich nicht als beim Individuum einge- treten gedacht werden darf) geschwunden, so dass eine Lücke zwi- schen J1 und C übrig geblieben ist. In dem jetzt zu erwähnenden Fall?, der sehr vertrauenerweckende anamnestische Erhebungen zuließ, findet sich auf der rechten Seite derselbe Befund wie im vorhergehenden, links jedoch, wo J2 fehlt, 1 Kat. 1891. Nr. 10. Mädchen, 19 J. Zutphen. Von Herrn Zahnarzt HEE- RINGA in Zutphen beobachtet und im Abguss für die Sammlung des anatomi- schen Instituts eingesandt. 2 Kat. 1890. Nr. 12. Stud. med. Utrecht. Abd. Gesch. v. Dr. DENTZ. 312 Emil Rosenberg ist der Caninus dem Zahn J1 näher gerückt, so dass die im vorigen Fall noch auffällig große Lücke hier kleiner ist, dabei erscheint aber der Caninus vom Zahn P2 etwas abgerückt. Eng hieran schließt sich ein weiterer Fall!, wo, bei gleichem Verhalten auf der rechten Seite, links J2 ebenfalls nicht zur Entwicklung gekommen, der Ca- ninus aber noch näher an J1 herangetreten ist, er hat sich offenbar in die durch die Reduktion von J2 bedingte Lücke hineingestellt und desshalb ist auch hier ein kleiner Zwischenraum zwischen ihm und P2 entstanden. Diese Fälle vermitteln in, wie mir scheint, befrie- digender Weise den Befund, den der Fig. 1112 abgebildete Abguss ? darbietet. Man sieht, dass auf der linken Seite der Caninus mit der Basis seines aus dem Zahnfleisch hervortretenden Theils die Basis des Zahns J1 berührt. Die Lücke, die früher bestand, erscheint so- mit ausgefüllt, auch besteht zwischen C und P2 keine ungewöhnliche Lücke mehr. Auf der rechten Seite hat J2 noch die Meißelform, ist aber deutlich verkürzt gegenüber dem Verhalten in Fig. II 5 7. Dieser Befund wurde nach einem anderen Fall? konstatirt. Leicht reiht sich hieran die Beschaffenheit des Fig. II53 abge- bildeten Falles. Auf der linken Seite ist der Caninus noch mehr J1 genähert und rechts zeigt der J2 die Kegelform und ist auch im Verhältnis zu J1 kleiner als im Fall 1142. (Die Lücke, die auf den Caninus der rechten Seite folgt, ist durch Extraktion von P2 bedingt.) Auch dieser Fall ist noch durch eine zweite Beobachtung vertreten’. Noch mehr redueirt ist /2 der rechten Seite in Fig. IId4®. Dieser Fall, der in dieser Hinsicht ein weiteres Entwicklungsstadium darbietet, zeigt im Übrigen das gleiche Verhalten wie der vorher- gehende. Ein besonderes Interesse beansprucht die Beobachtung des in die letzte Stelle dieser Reihe gestellten Falles? (vgl. Fig. II 55). Es handelt sich um das Gebiss eines 13jährigen Knaben, bei welchem 1 Kat. 1892. Nr. 11. + 35jährige Frau im Haag. Beobachtung des Herrn Dr. Becut im Haag, der den Abdruck der Sammlung geschenkt hat. 2 Kat. 1892. Nr. 12. Mädchen, 20 J. Heusden. Klin. Dr. DENTz. 3 Kat. 1892. Nr. 13. Mädchen, 15 J. Utrecht. Abd. Gesch. v. Hn. GLASER. 4 Kat. 1892. Nr. 14. Frau, & 35 J. Utrecht. Abd. Gesch. v. Dr. DENTZ. 5 Kat. 1890. Nr. 13. Mädchen, 14 J. Utrecht. Klin. Dr. DENTZ. 6 Kat. 1892. Nr. 15. Mädchen, 12 J. Klin. Dr. Dentz. Derselbe Befund auch bei Kat. 1892. Nr. 16. Mädchen, 17 J. Haag. Abd. Gesch. v. Dr. BECHT. 7 Kat. 1892. Nr. 17. Knabe, + 13 J. Utrecht. Beobachtung von Dr. DEnTz, dem die Sammlung den betreffenden Abdruck verdankt. Über Umformungen an den Incisiven der zweiten Zahngeneration ete. 313 M1 beiderseits aufgetreten ist, beiderseits sind auch P2 und die bleibenden Caninen hervorgekommen; Pd1 ist links noch in situ, während dieser Zahn rechts bereits fortgefallen ist. Die vorhandenen Zähne sind sämmtlich gesund. Was nun die Ineisiven betrifft, so sind die bleibenden J1 groß und kräftig entwickelt und auf der rechten Seite tritt, wie man aus der Figur ersieht, in dem Zwischen- raum zwischen J1 und C ein Zahn J2 nur in Gestalt eines winzigen Hügelchens aus dem Zahnfleisch hervor. Bei der Inspektion des Gebisses des in Rede stehenden Knaben, die ich mehrmals vorge- nommen habe, zeigte dieses kleine Zähnchen nichts Pathologisches, die hervortretende kleine Kuppe erschien mit normalem Schmelz überzogen. Dieser Zahn J2 zeigt die weitgehendste Reduktion, die mir aus eigener Anschauung bekannt geworden!, auch finde ich in der Litteratur keinen Fall eines so sehr redueirten J2 erwähnt. Es ist dies eine derjenigen Formen, die, wie ich früher (pag. 309) sagte, für J2 postulirt werden muss, und es lässt sich erwarten, dass der Befund, wie er sich hier auf einer Seite darbietet, auch als beider- seits bestehend werde gefunden werden können. An der linken Seite findet sich zwischen dem J1 und dem Caninus eine Lücke, die hier leicht verständlich ist; eine solche Lücke wäre auch auf der rechten Seite vorhanden, wenn der Zahn J2 bei noch weiter gegangener Re- duktion im Zahnfleisch geblieben wäre. Dann wäre eine ähnliche Lücke vorhanden, wie in dem Fall der Fig. 11147, wo diese Lücke suspect erscheinen musste; der hier beschriebene Fall und die an 1 Da es sich um einen 13jährigen Knaben handelt, so könnte daran ge- dacht werden, dass die geringe Größe des hier beschriebenen J2 der rechten Seite darauf beruht, dass ein kegelfirmig gestalteter, aber sonst noch ziemlich großer Zahn 72 eine starke Retardation in seinem Auftreten erfahren habe, und diese Annahme liegt um so näher, als die C, wie die Abbildung zeigt, offenbar noch nicht ganz hervorgetreten sind. Eine solche Retardation wäre auch als ein Symptom der Reduktion zu betrachten, aber die Form des vorliegenden Zahns würde dann nicht dazu berechtigen, den Fall an das Ende der hier betrachteten Reihe zu stellen. Ich habe daher auch später noch den Knaben inspieirt. Der abgebildete Abguss stammt aus dem Juni 1892; im Oktober 1893 zeigten sich die C mehr hervorgetreten, links war die Lücke verkleinert, die Basis von C berührt jedoch J1 nicht, von einem 72 der linken Seite ist in dieser Lücke nichts wahrnehmbar. Pi ist rechts und links hervorgetreten. J2 der rechten Seite erscheint um ein Minimales vergrößert, und so finde ich den Zustand auch bei der letzten Besichtigung im März 1894, die C sind vollständig hervorgetreten; ein jetzt angefertigter Abdruck zeigt bei der Vergleichung mit dem aus dem Jahre 1892 stammenden deutlich, dass der Zahn ‚72 der rechten Seite in diesem Fall so beurtheilt werden darf, wie das im Text geschehen. Morpholog. Jahrbuch. 22. 21 314 Emil Rosenberg ihn geknüpften Bemerkungen geben aber jetzt wohl der oben für den Fall 1167 statuirten Interpretation mehr Sicherheit. Es wäre gewiss möglich, dass in der Lücke zwischen J1 der linken Seite und dem Caninus in diesem Fall unter dem Zahnfleisch ein reducirter 72 sich befände, durch Palpation war darüber keine Auskunft zu erlangen ; sollte sich ein solcher Fall aber unter Umständen, wo die anatomische Untersuchung ausführbar ist, darbieten, so wäre es erforderlich, die betreffende Partie im Hinblick auf die erwähnte Eventualität zu unter- suchen. Wegen dieser Lücke auf der linken Seite erscheint der vor- liegende Fall etwas weniger umgeformt, als die drei ihm in der Reihe vorhergehenden (wo die durch den Schwund von J2 bedingte Lücke durch Heranrücken des Caninus eliminirt war), aber der Befund auf der rechten Seite weist dem soeben besprochenen Fall die Stelle am Ende der vorgeführten Reihe an. — Überbliekt man nun diese Reihe und die Reihe III a noch einmal, so lehrt die letztere (allerdings durch eine leider nur geringe Zahl von Fällen), dass J2 der linken Seite sich redueiren kann bei nahezu intaktem Verhalten des gleichen Zahns der anderen (rechten) Seite. Das ließ die Existenz von Fällen verstehen, wo J2 auf dieser selben (linken) Seite geschwunden war, auf der anderen Seite aber noch intakt bestand. Hieran aber ließen sich in recht fein abgestufter Aufeinanderfolge eine Anzahl Fälle schließen (deren jeder meist nicht als Einzelbeobachtung vorliegt), an welchen eine ganz allmähliche Reduktion des Zahns J2 nun auch auf der rechten Seite ersehen werden konnte, während gleichzeitig die Lücke, die durch den früher stattgehabten Schwund von J2 auf der linken Seite bedingt war, beseitigt wird durch Annäherung des Caninus an J1, und so kamen wir schließlich zu einem Fall, wo nur eine ganz wenig weitergehende Reduktion der rechten J2 hätte statthaben müssen, um die beiden zweiten Ineisiven aus dem Gebiss eliminirt erscheinen zu lassen. Es wäre nun aber sicherlich vorschnell geurtheilt, wenn man annehmen wollte, dass eine auf beiden Seiten für jeden Einzelfall nicht in gleicher Weise sich vollziehende Reduktion des zweiten In- eisivus immer den aus den beiden eben besprochenen Reihen ersicht- lichen Weg verfolgen müsse. Es ließe sich eben so gut denken, dass der Beginn der Erscheinung auf der rechten Seite sich geltend machen könne und dann analoge Processe, aber auf der entgegen- gesetzten Seite wie bei den beiden soeben besprochenen Reihen, sich ergeben würden. Das ist faktisch der Fall, wie aus den beiden Jetzt zu erörternden Reihen hervorgeht. Uber Umformungen an den Ineisiven der zweiten Zahngeneration etc. 315 Allmihliche Reduktion von J2 im rechten Zwischenkiefer bei nahezu unverändertem normalem Verhalten von J2 der linken Seite (Reihe IV a). An den Anfang dieser Reihe kann ein Fall! gestellt werden, bei welchem die Incisiven der linken Seite die normale Beschaffen- heit haben; /2 der rechten Seite ragt mit seinem Ende auch noch fast in das Niveau der schneidenden Kante von J1, zeigt aber durch die schmale Form die beginnende Reduktion an. Und vergleicht man nun im Anschluss hieran die Taf. X Figg. IVa/, IVa2, IVa3 abge- bildeten Objekte?, so sieht man die Ineisiven der linken Seite in allen Fällen in nahezu gleichem, normalem Verhalten, während in dem Fall IVa/ J2 der rechten Seite sich der Kegelform nähert; diese Form ist erreicht und J2 der rechten Seite deutlich redueirt im Fall IV@2 und noch evidenter ist dieses Verhältnis im letzten Fall dieser Reihe. Aber auch hier ist der Befund ein derartiger, dass (vgl. das über die Reihe III a Gesagte) Beobachtungen erwartet wer- den können, durch welche, bei unverändertem Verhalten der linken Seite, eine Reihe weiterer Reduktionsstufen von J2 der rechten auf- gedeckt würden. Jedoch auch ohne den Nachweis soleher Formen giebt die eben erörterte Reihe die Möglichkeit, den Beginn der fol- genden zu verstehen. Ist die Deutung der Reihe IV a richtig, so müssen Fälle vorkommen, in denen bei intaktem Verhalten der In- eisiven der linken Seite der Zahn J2 auf der rechten Seite schon völlig geschwunden ist. Und in der That charakterisirt sich hier- durch das erste Glied der jetzt zu besprechenden Reihe. J2 im rechten Zwischenkiefer geschwunden, allmähliche Reduktion von J2 der linken Seite (Reihe IV b). Nach dem soeben Bemerkten bedarf der Anfang dieser Reihe (Taf. XI Fig. 1V 67%) keiner. näheren Beschreibung. Man sieht, dass es sich um eine völlige Elimination von J2 der rechten Seite handelt 1 Kat. 1890. Nr. 14. Frau, 28 J. Utrecht. Klin. Dr. DENTZ. 2 Kat. 1892. Nr. 18. Mädchen, 22 J. Utrecht. Abd. Gesch. v. Dr. DENTz. Original zu Fig. IVaı. Kat. 1892. Nr. 19. Mädchen. Utrecht. Abd. Gesch. v. Dr. DENTzZ. Original zu Fig. IVa2. Kat. 1891. Nr. 11. Frau, 34 J. Utrecht. Klin. Dr. DEntz. Original zu Fig. IVa3. Die gleiche Beobachtung an: Kat. 1891. Nr. 12. Frau, = 30 J. Utrecht. Abd. Gesch. v. Dr. DENTZ. 3 Kat. 1892, Nr. 20. Frau, 24 J. Utrecht. Abd. Gesch. v. Hn. GLASER. 21* 316 Emil Rosenberg (so weit eine Anamnese Sicherheit geben kann, lief sich eine statt- gehabte Extraktion ausschließen), der Caninus ist sogar dicht an 71 herangetreten und zwischen ihm und P2 findet sich keine irgend bemerkenswerthe Lücke, und im Wesentlichen ist dies auch der Be- fund an der rechten Seite bei den anderen hierhergehörigen Objekten (vgl. Figg. IV52—4). Mit diesem im Princip identischen Verhalten der rechten Seite kontrastirt das Verhalten der linken. In dem Fig. IV 57 abgebildeten Fall ist links /2 vollkommen normal. Daran schließen sich zwei (nicht abgebildete) Fälle!, in denen J2 links dreiseitig prismatisch und am Ende etwas zugespitzt erscheint. In exquisiter Weise ist das ersichtlich am J2 der linken Seite in dem Fig. IV52 abgebildeten Gebiss?. Und in zwei weiteren Fallen? zeigt sich der in Rede stehende Zahn auch noch etwas mehr verkürzt. Noch etwas weiter geht diese Verkürzung im Fall, der durch Fig. IV53 illustrirt wird®. In diesem Fall konnte die Anamnese hinsichtlich des Befundes an der rechten Seite wegen des Bildungsgrades der betreffenden Persönlichkeit mit besonderer Sicherheit festgestellt wer- den; J2 der rechten Seite ist im bleibenden Gebiss hier sicher nie sichtbar gewesen; J2 der linken Seite hat von vorn herein die ver- kümmerte Form gehabt. Noch weiter geht die Reduktion dieses Zahns im zuletzt abgebildeten Fall (vgl. Fig. IV545); der Zahn ist spitzkegelföürmig geworden und schmiegt sich an J1 an. An diesen Fall könnte noch ein folgender® angeschlossen werden, bei dem aber eine Anomalie vorliegt. Rechts ist der Befund wie in den übrigen Fällen dieser Reihe, aber links steht der Caninus gleichfalls neben dem Zahn J1 und dem Caninus angelagert, zwischen ihm und P2 findet sich ein spitzkegelförmiger Zahn, dessen Basis viel weniger breit ist als in der Fig. IV54. Es kann dieser Befund wohl so ge- deutet werden, dass hier ein noch stärker redueirter Zahn J2 vorliegt, 1 Kat. 1891. Nr. 13. Mann, 20 J. Utrecht. Klin. Dr. Dentz. Kat. 1892. Nr. 21. Mann, 22 J. Utrecht. Klin. Dr. DEnTz. ? Aus dem Material des Dorpater Priiparirsaals stammender Schädel, der sich in meiner Privatsammlung befindet. 3 Kat. 1891. Nr. 14. Frau, + 40J. Utrecht. Abd. Gesch. von Dr. DENTz. Kat. 1891. Nr. 15. Frau, & 32 J. Hoorn. Abd. Gesch. v. Dr. DENTZ. 4 Kat. 1590. Nr. 15. Dr. med., + 48 J. Utrecht. Abd. Gesch. v. Dr. DENTz. Derselbe Befund ist auch noch an zwei weiteren Fällen zu machen: Kat. 1890. Nr. 16. Mädchen, 25 J. Utrecht. Abd. Gesch. v. Dr. Denrz; Kat. 1892. Nr. 22. Stud. med. Utrecht. Abd. Gesch. v. Hn. GLÄSER. > Kat. 1892. Nr. 25. Stud. med. Utrecht. Abd. Gesch. v. Hn. GLASER. 6 Kat. 1892. Nr. 24. Mädchen, + 35 J. Haag. Abd. Gesch. v. Dr. Becut. Über Umformungen an den Ineisiven der zweiten Zahngeneration etc. 317 der durch den Caninus aus seiner Stelle gedrängt und gegen den Zahn P2 hin dislocirt worden ist. Auch wenn diese Deutung zuge- seben wird, muss bemerkt werden, dass dieser Reihe, so gut ab- gestuft dieselbe auch sonst erscheint, ein so weit umgeformtes End- glied fehlt, wie es bei der analogen Reihe III b zu konstatiren war. Eine solehe oder eine ähnliche Form müsste noch gefunden werden können. Auch muss ich noch im Anschluss an die vorgeführten Fälle bemerken, dass mir die Abdrücke von vier Gebissen vorliegen, bei welehen in allen Fällen J2 rechts vollkommen geschwunden ist und der Caninus dieser Seite sich dicht an J1 angelagert hat, zwischen ihm und dem Zahn P2 findet sich aber, gut in die Reihe hinein- gefügt, der Caninus des transitorischen Gebisses (in einem Fall war dieser Zahn nachträglich extrahirt worden). Hier handelt es sich also um einen Anachronismus, dessen Entstehen dadurch erleichtert sein könnte, dass nach völliger Reduktion von J2 der bleibende Ca- ninus sich in dessen Stelle hinein einwickeln konnte und so weniger Veranlassung gegeben war, den transitorischen Caninus zu eliminiren. Der erwähnte Befund verbietet somit nicht, diese Fälle der besproche- nen Reihe anzuschließen, und was die Ausbildungsstufe von J2 der linken Seite anlangt, so steht das eine Gebiss! auf der Stufe von dem der Fig. IV57; von den drei anderen lässt sich sagen, dass J2 in einem Falle? zwischen den Formen des J2 der Figg. IVd2 und IV53 steht, in dem zweiten? wie bei Fig. IV53 gestaltet ist und in dem dritten® sich noch etwas mehr reducirt zeigt, wie im Fall IV53. Diese letzteren Angaben erhöhen die Berechtigung, die erwähnten Fälle in die vorliegende Reihe einzurangiren, und sie lassen dieselbe noch feiner abgestuft erscheinen. Der Gesammteindruck, den die Betrachtung dieser Reihe macht, kann aber nur der sein, dass die Glieder derselben, sowie die der Reihe 1V a, in analoger Weise wie bei den Reihen III a und III b den Schwund zuerst des einen J2 und dann den des J2 der anderen Seite illustriren. Die beiden soeben besprochenen Reihen führen somit gleichfalls zu Zuständen des Ge- bisses, die sich durch die Elimination beider J2 auszeichnen; diese Formen bilden die nächste Reihe. 1 Kat. 1889. Nr. 16. Mädchen. Utrecht. Klin. Dr. Dentz. 2 Kat. 1889. Nr. 17. Mann, 46 J. Haag. (Nachträgliche Extraktion des tran- sitorischen Caninus der rechten Seite.) Abd. Gesch. v. Dr. BEcHT. 3 Kat. 1891. Nr. 25. N. N. Abd. Gesch. d. Hn. Zahnarztes NAGEL in Cleve. 4 Kat. 1889. Nr. 18. N. N. Utrecht. Abd. Gesch. v. Dr. DEnTZ. 315 Emil Rosenberg J2 in beiden Zwischenkiefern geschwunden, Aneinander- rücken von J1 und © (Reihe V). Es liegt mir ein recht reichliches Material vor von hierherge- hörigen Fällen, die an Erwachsenen zur Beobachtung gekommen !, 1 Man findet in der Litteratur gelegentlich die Bemerkung, dass der Mangel der oberen lateralen Incisiven der ersten Zahngeneration sehr selten sei. Dieser Umstand veranlasst mich, hier drei solcher Fälle mitzutheilen, von denen namentlich zwei, wegen der sicheren anamnestischen Erhebungen, Be- deutung haben. Der eine dieser Fälle (Kat. 1891. Nr. 16. Knabe, 5 J. Utrecht. Abd. Gesch. v. Dr. Dentz) — er ist in Taf. X Fig. Vm.g abgebildet — kam an einem fünfjährigen Knaben zur Beobachtung. Die vorhandenen Zähne der ersten Zahngeneration sind alle gut entwickelt, allein, wie man aus der Figur ersieht, es fehlen die beiden lateralen Incisiven vollständig und es findet sich eine Lücke dort, wo dieselben normalerweise stehen sollten. Hier ist nun bei den häufig vorgenommenen Inspektionen durch Dr. Denrz, dem ich diesen Fall verdanke, mit völliger Sicherheit festgestellt, dass diese Incisiven nie hervorgetreten sind. Noch einen zweiten, ganz ähnlichen Fall (Kat. 1889. Nr. 7. Knabe, 4J. Abd. Gesch. v. Dr. Becur; zweiter Abdruck: Kat. 1892. Nr. 26) kann ich aufführen. Derselbe ist mir durch Herrn Zahnarzt Dr. Becur bekannt geworden und ist in der Familie dieses Herrn, der ihn kontrollirt hat, zur Beobachtung gekom- men. Es handelt sich um einen vierjährigen Knaben, bei dem gleichfalls J2 jederseits im transitorischen Gebiss fehlt, im Übrigen sind die Zähne dieses Gebisses schön und regelmäßig entwickelt. Von diesem Gebiss liegt mir noch ein zweiter Abdruck vor, der zwei Jahre später hergestellt worden; die Inci- siven der Zwischenkiefer zeigen noch dasselbe Verhalten, im Unterkiefer, wo die normale Zahl der transitorischen Incisiven vorhanden war, beginnen jetzt die Zähne Jl der zweiten Zahngeneration hervorzutreten. In einem dritten Fall (Kat. 1890. Nr. 17. Mädchen, 5 J. Utrecht. Klin. Dr. DexTtz), in dem jedoch die Anamnese nicht so sicher zu erheben war, ist am Abdruck gleichfalls das Fehlen der transitorischen J2 im Zwischenkiefer zu konstatiren. BuscH (Deutsche Mo- natsschr. f. Zahnhikde. Bd.V. 1887. pag. 71, 72) bezeichnet es als eine nicht so einfach zu beantwortende Frage, ob bei Defekten im Milchgebiss die entsprechen- den bleibenden Zähne hervortreten würden, er selbst habe solche Fälle nicht beobachtet, es scheine ihm aber (auf Grundlage zweier Angaben im Katalog des Museum of the Odontolog. Soc. of G. Brit.) doch, dass der Mangel eines Milchzahns mit großer Wahrscheinlichkeit, wenn auch vielleicht nicht mit voller Gewissheit, den Mangel des entsprechenden Ersatzzahns nach sich ziehe. Die relative Unabhängigkeit der Anlage des bleibenden Zahns gegenüber der An- lage des gleichnamigen im transitorischen Gebiss ist durch die neueren Unter- suchungen von Rose (Über die Entwicklung der Zähne des Menschen. Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. 38. 1891. pag. 447 f.) und LEcHE (Studien über die Entwicklung des Zahnsystems bei den Säugethieren. Morphol. Jahrb. Bd. 19. 1892. pag. 502 f.) festgestellt worden, es könnte also wohl der bleibende Zahn zur Entwicklung kommen, auch wenn der gleichnamige im Milchgebiss gefehlt hat. Im Hinblick auf die erwähnte Frage wird es von Interesse sein, die Beobachtung bei den beiden ersten der hier mitgetheilten Fälle fortzusetzen. Über Umformungen an den Incisiven der zweiten Zahngeneration ete. 319 und das setzt mich in die günstige Lage, jede der zu unterscheiden- den Etappen der Umformung durch mehrere gleichwerthige Beob- achtungen zu begründen. Es zeigte sich bei der Betrachtung der Reihe IIIb, dass der Schwund eines lateralen Ineisivus auch in der Weise sich vollziehen kann, dass, nach Reduktion dieses Zahns, eine Lücke auf die frühere Existenz desselben noch hinweist. Das ist ein Verhalten, welches auch an beiden Seiten gleichzeitig zu Stande kommen kann, und besonders der Fall 11145 macht dieses Verhalten leicht verständlich. Solche Befunde bieten sich nun nicht selten und Taf. XI Fig. V/! ist ein Fall abgebildet, der diesen Befund deutlich darbietet. Er kann als erstes Glied der Reihe beschaut werden, und mir liegen außer dem abgebildeten Objekt, an welchem die Lücken zwischen J1 und C ersichtlich sind, noch vier andere, Dasselbe zei- gende Fälle vor?. Eine zweite Etappe repräsentirt die in Fig. V 2 wiedergegebene Beobachtung’. Man sieht, die Caninen sind schon näher an die Zähne Ji herangestellt, ohne diese jedoch auch nur mit der Basis ihres hervortretenden Theils zu tangiren, dabei ist das Verhalten etwas asymmetrisch, was jedoch offenbar bedeutungslos ist; zugleich aber ist es nicht zu übersehen, dass hier zwischen den Caninen und den Zähnen P2 eine Lücke sich findet, die größere Dimension hat als gewöhnlich. Einer analogen Erscheinung begegneten wir auch schon in der Reihe HIb. Die einzig übrig gebliebenen Ineisiven sind besonders stark und breit und es macht fast den Eindruck, als sei durch diese starke Entfaltung eine Kompensation gegeben für den 1 Kat. 1892. Nr. 27. Mädchen, 14 J. Utrecht. Abd. Gesch. d. Hn. GLASER. 2 Kat. 1891. Nr. 17. Knabe, 14J. Utrecht. Klin. Dr. Denrz. Kat. 1889. Nr. 8. Mann, 17J. Utrecht. Klin. Dr. Denrz. Kat. 1891. Nr. 18. Mann, 19 J. Utrecht. Klin. Dr. Dentz. Kat. 1892. Nr. 28. Knabe, 15 J. Abd. Gesch. v. Dr. Dentz. Dieser Fall ist besonders interessant, weil es sich hier um das Gebiss des Bruders des Knaben handelt, dessen Zähne in Fig. III55 abgebildet sind; man sieht, dass die Bemerkung, die oben an das Verhalten dieses letzteren Ge- bisses geknüpft wurde, durch das Verhalten des Gebisses des Bruders sich be- stätigt findet. 3 Kat.1892. Nr. 19. Mädchen, 16 J. Rotterdam. Abd. Gesch. d. Herrn Zahn- arztes Dr. C, H. Mauer. Im Princip die gleiche Beobachtung lässt sich noch an folgenden sechs Abdrücken machen: Kat. 1889. Nr. 9. Knabe, 14 J. Utrecht. Klin. Dr. Dentz. Kat. 1890. ‘Nr. 18. Mann, 17 J. Utrecht. Klin. Dr. Denrz. Kat. 1891. Nr. 19. Mädchen, 21 J. Utrecht. Klin. Dr. Dextz. Kat. 1889. Nr. 10. Mann, 18J. Utrecht. Klin. Dr. Deutz. Kat. 1889. Nr. 11. Cand. theol., 25 J. Utrecht. Abd. Gesch. v. Dr. Dpnrz. Kat. 1891. Nr.20. Mädehen, = 28J. Utrecht. Abd. Gesch. v. Dr. Denrz. ‘ 320 Emil Rosenberg Verlust der J2. Die Reduktion dieser Zähne hat den J1 größeren Spielraum gegeben und vielleicht hängt es damit zusammen, dass bei Gebissen dieser Form, wie man auch in dem voraufgehenden und dem folgenden Gliede der Reihe sieht, nicht selten die beiden einzig übriggebliebenen Ineisiven sich etwas von der Medianebene entfernen!. In der dritten Stufe (vgl. Fig. V 32) findet man die Caninen an ihrer Basis schon im Kontakt mit den J1, aber es ist immer noch eine deutliche, gegen die Endfläche der Zahnreihe sich verbreiternde Lücke zwischen den einander zugekehrten Rändern der in Rede stehen- den Zähne zu bemerken; auch ist der Zwischenraum zwischen den Caninen und den P2 immer noch etwas auffällig. In der nächsten Stufe, welche der Fig. V4 abgebildete Fall? repräsentiren möge, zeigen die Caninen in ihrer Stellung zu den P2 nichts mehr, was vom Nor- malen abwiche, und es ist hier deutlich zu sehen, wie die Caninen sich besser als in dem vorhergehenden Befund an die J1 angeschlossen haben; es bedarf schon aufmerksamer Beobachtung, um noch den Rest der früher relativ großen Lücke zu bemerken. Diese Spuren einer sich vollziehenden Umbildung sind in dem letzten Glied der vorliegen- den Reihe (vgl. Fig. V5*) nicht mehr zu bemerken und in tadellos geschlossener Reihe und gut geformtem Bogen präsentiren sich die einzig übriggebliebenen Ineisiven, die sich ihnen eng anlagernden Ca- ninen und weiter die anderen Zähne, die sämmtlich (bis auf die 73, welche Reduktionsstufen darbieten) in dem vorliegenden Fall gut und kräftig entwickelt sind und nicht das geringste Pathologische auf- 1 Das braucht jedoch nicht immer der Fall zu sein, wie an mir vorliegen- den Abdrücken und eben so auch an der (pag. 305 eitirten) Figur zu sehen ist, die von WIEDERSHEIM publicirt worden ist; das von ihm abgebildete Gebiss zeigt die beiden J1 an einander gestellt und die Lücken zwischen den Caninen und den J1 entsprechen an Größe denjenigen, die für die eben besprochene Stufe charakteristisch sind. WIEDERSHEIM sagt zwar in der Erklärung der Figur, dass die Eckzähne »direkt an die oberen inneren Schneidezähne grenzen «, dieser An- gabe wißersppieht jedoch die Figur. 2 Kat. 1891. Nr. 21. Stud. med., 24 J. Utrecht. Abd. Gesch. d. Hn. GLASER. Im Princip die gleiche Beobachtung noch in folgenden Fällen: Kat. 1890. Nr. 19. Frau, & 32 J. Maarsen. Abd. Gesch. v. Dr. DENTz. Kat. 1891. Nr.22. Mann, 30J. Utrecht. Klin. Dr. Denrz. Kat. 1589. Nr. 12. Mann. Baarn. Abd. Gesch. v. Dr. DeENTZ. 3 Kat. 1891. Nr. 23. Mädchen, 21 J. Cleve. Beobachtung von Dr. NAGEL, der den Abdruck für die Sammlung eingesandt hat. Im Prineip identisch sind: Kat. 1889. Nr. 13. Mädchen. Abd. Gesch. v. Dr. DEntz. Kat. 1889. Nr. 14. Frau, + 50J. Abd. Gesch. v. Dr. DENTz. 4 Kat. 1890. Nr. 20. Frau, 39 J. Utrecht. Abd. Gesch. v. Dr. Denrz. Über Umformungen an den Ineisiven der zweiten Zahngeneration ete. 321 weisen. Die Zahnreihe ist so gut geschlossen, dass man bei dem ersten Blick es übersehen könnte, dass hier die J2 völlig fehlen und statt ihrer die Caninen die Nachbarzähne der J1 geworden sind. — Wie nun aber schon aus einer früheren Reihe (IV b) ersichtlich war, dass, wenn der Caninus einseitig, nach völliger Reduktion des be- treffenden J2, sich an den Zahn J1 angelagert hat, der diesem Cani- nus im transitorischen Gebiss entspr ‚prechende Zahn zwischen dem blei- benden Caninus und dem Zahn P2 angetroffen werden kann (vgl. pag. 317), so darf es nicht auffallen, dass Ähnliches auch bei Ge- bissformen, die dieser Reihe im Prineip angehören, gesehen werden kann. Fünf mir vorliegende Abdrücke gehören hierher. Dreimal ist an der linken Seite der Milchcaninus am angegebenen Ort stehen geblieben und dabei ist die Stellung der bleibenden Caninen zu den J1 in einem Falle! wie in Fig. V3, in einem zweiten? wie in Fig. V4 und im dritten? wie in Fig. V5. Einmal* finde ich den Milcheaninus an der rechten Seite, während die Stellung der Caninen zu den J1 wie bei Fig. V5 ist. Und endlich ist noch ein Fall? zu erwähnen, bei welchem in ganz symmetrischer Weise auf beiden Seiten der transitorische Caninus zwischen C und P2 stehen geblieben, das Ver- halten der Caninen zu den J1 ist dabei das der Fig. V5. Diese Fälle lassen sich also im Prineip in die vorliegende Reihe gut hineinfügen. Und iiberblickt man diese Reihe jetzt nochmals und erwägt, dass jedes der Glieder derselben durch mehrere Beobachtungen repräsen- tirt ist, dass ferner es sich in allen Fällen um eine entweder in toto oder doch, was die verglichenen Abschnitte des Gebisses anlangt, vollkommen gesunde Bezahnung handelt, ja, wie in den beiden letzten Gliedern der Reihe, schön geformte Zahnreihen relativ junger Indi- viduen vorliegen, so wird man nicht umhin können, den Gedanken abzuweisen, dass die Verschiedenheiten, die sich hier — und das Gleiche gilt von den früher betrachteten Reihen — darbieten, auf lauter Zufälligkeiten beruhen oder unbedeutende Abweichungen von der Norm darstellen. Alle die betrachteten Formen lassen sich in ungezwungener Weise zu Reihen zusammenordnen, denen zunächst der Werth von morphologischen Reihen zugesprochen werden muss, 1 Kat. 1892. Nr. 30. N.N. 25 J, Utrecht. Abd. Gesch. v. Hn. GLASER. 2 Kat. 1891. Nr. 24. Frau, 25 J. Utrecht. Abd. Gesch. v. Dr. DENTZ. 3 Kat. 1890. Nr. 21. Mann, 45 J. Utrecht. Abd. Gesch. v. Dr. DENTz. * Kat. 1889. Nr. 15. Mann. Utrecht. Klin. Dr. DENTZ. 5 Kat. 1893, Nr. 35. Mann, 21 J. Middelburg. Beobachtung von Dr. oe J. VAN DER HoER, dem die Sammlung den Abdruck verdankt. 339 Emil Rosenberg d. h. sie dokumentiren die Möglichkeit einer Aufeinanderfolge der in die Reihen gestellten Formen im Laufe phylogenetischer Entwicklung. Und so entsteht die Überzeugung, es seien alle die aufgeführten Verschiedenheiten aufzufassen als an verschiedenen Indi- ‚viduen gleichzeitig bestehende, einzelne Etappen des an der Gesammtheit der Individuen sich abspielenden Um- formungsprocesses, und auf Grundlage dieser Auffassung wird man in der Endform der zuletzt vorgeführten Reihe, die im Hinblick auf die Gesammtheit der Formen eine noch relativ seltene Erscheinung ist, die Zukunftsform erblicken müssen, auf welche die anderen Formen hinstreben und hinter welcher sie mehr oder weniger, je nach ihrer Stellung in der Reihe, noch zurückstehen. . Der Abstand zwischen den äußersten zur Zeit vorliegenden For- men ist recht beträchtlich. Die primitivste, direkt noch wahrnehm- bare Form zeigt in dem Zwischenraum zwischen den beiden Caninen sechs Ineisiven, während bei der zur Zeit erkennbaren Endform nur zwei solcher Zähne in dem gleichen Raum sich befinden, und dazwischen liegen alle anderen Formen, deren Zahl (allein 31 sind auf den bei- liegenden Tafeln bildlich fixirt) keine geringe ist. Das betrachtete Organisationsverhältnis lässt somit eine Menge von »Varietäten« er- kennen, und es scheint mir nicht unbelangreich, darauf hinzuweisen, dass alle diese Varietäten zwar Abweichungen von der »Norm« sind, aber solche von ganz bestimmter Eigenartigkeit darstellen. Es handelt sich hier um Varietäten, die sich nicht in beliebigen und von einander ganz verschiedenen Richtungen von der Norm entfernen und als regel- lose Schwankungen eines Organisationsverhältnisses um einen ge- gebenen, die »Norm« darstellenden Zustand aufzufassen wären. Man kann daher auch nicht die geläufige Vorstellung hier bestätigt finden, es vollziehe sich das Fortschreiten einer Umgestaltung derart, dass von zahlreichen Variationen eines Organisationsverhältnisses einzelne derselben, etwa auf dem Wege einer durch natürliche Zuchtwahl ge- troffenen Auslese, zu weiterer Entfaltung und Umgestaltung gelangen, andere dagegen als nicht weiter ausbildbar bei Seite bleiben. Keine der bei dem behandelten Organisationsverhältnis festgestellten Formen erscheint als eine entschieden aberrante, gleichsam in eine zukunfts- lose Richtung sich verlierende; die Formen schließen sich vielmehr leicht zu Reihen und stellen sich dar als Variationen, die eine und dieselbe, ganz bestimmte Richtung einhalten. So bestimmt das zu erkennen ist, so wenig scheint mir zur Zeit eine Über Umformungen an den Incisiven der zweiten Zahngeneration etc. 323 Möglichkeit zu bestehen, die Gründe zu finden, welche die Umformung veranlassen und ihr die erkennbare, bestimmte Richtung vorzeichnen. Dieser letztere Umstand schmälert aber nicht das Recht, die betrachte- ten Variationen in dem erörterten Sinne als Ausdruck stattfindender Umformung aufzufassen, dieser Auffassung geben, wie mir scheint, neben dem früher Dargelegten auch die eben gemachten Bemer- kungen über die Eigenartigkeit der betrachteten Variationen eine Stütze. Umformungen an den unteren Incisiven der zweiten Zahngeneration. Es liegt sehr nahe, wenn man Umformungserscheinungen im Gebiet der oberen Incisiven begegnet, die Frage zu untersuchen, wie sich die beim Mepschen doch funktionell in engem Verbande mit den genannten Zähnen befindlichen Ineisiven der Unterkiefer verhalten. Man könnte erwarten, dass ähnliche Umformungserscheinungen sich auch hier zeigen und vielleicht Hand in Hand gehen mit den Erscheinungen, die an der oberen Zahnreihe konstatirt wurden. Letztere Erwartung darf jedoch nicht mit Bestimmtheit gehegt werden; ein Blick auf die Zahnformen anderer Säuger ist genügend, um darüber zu belehren, dass Reduktionen im Gebiete der Zähne der Zwischenkiefer, ja völliger Schwund derselben vorkommen können, ohne die Ineisiven der Unterkiefer zu beeinflussen. Jetzt lebende Prosimier und Artio- dactylen liefern hierfür Beispiele. Desshalb ist indess die Frage nach etwaigen Umformungen im Gebiet der unteren Ineisiven nicht außer Acht zu lassen; eine solche Umformung könnte unabhängig von den Erscheinungen an den oberen Ineisiven sich geltend machen. Auch hier ist, wie bei den Incisiven der oberen Zahnreihe, von den individuellen Verschiedenheiten aus- zugehen. Ein Theil derselben kann Momente aus einer früheren Ge- schichte dieser Zähne ergeben und ein anderer kann Anhaltspunkte bieten für die Beurtheilung der Frage nach einem etwaigen über das jetzt normale Verhalten hinausgehenden Umformungsprocess. Diese Angelegenheit verdient um so mehr Aufmerksamkeit, als sie relativ selten und nur nebenher Berücksichtigung gefunden. Nach beiden genannten Richtungen hin ergeben sich bestimmte Anhaltspunkte für eine Beurtheilung. 394 Emil Rosenberg a. Atavistische Befunde an den unteren Ineisiven der zweiten Zahngeneration. Nach Analogie der Erscheinungen an der oberen Zahnreihe be- steht eine große Wahrscheinlichkeit, dass die beiden in jedem Unter- kiefer enthaltenen Ineisiven des Menschen auch nur die übrig ge- bliebenen Glieder einer ursprünglich mehr Zähne führenden Reihe sind. So viel mir bekannt, berührt nur HenseL! die Frage nach dem Schwunde eines unteren Incisivus; er stellt in Übereinstimmung mit seinen Anschauungen über das Verhalten der oberen Ineisiven die Ansicht auf, dass von einer auf jeder Körperseite vorhandenen Reihe von drei Ineisiven aus durch Schwund des am meisten lateral gelegenen die zwei jetzt vorhandenen Schneidezähne des Menschen hervorgegangen. Diese Anschauung würde die Aufmerksamkeit bei Beobachtung von Fällen von Überzahl, die als atayistische angesehen werden könnten, in erster Linie auf die Stelle zwischen dem Caninus und dem jetzigen lateralen unteren Schneidezahn (J2) hinlenken. Allein das Verhalten der oberen Incisiven muss wenigstens an die Möglichkeit denken lassen, dass auch bei den unteren Ineisiven zwischen den jetzigen sich befunden habende Zähne zum Schwund gekommen sein könnten. Bei der Untersuchung dieser Fragen macht sich zunächst der Umstand geltend, dass an der unteren Zahnreihe viel seltener als an der oberen Fälle von Überzahl vorkommen?. Schon desshalb sind . in der Litteratur relativ wenig Angaben zu finden und die vorhande- nen sind wegen ihrer Kürze meist nicht verwendbar. Einen sehr exquisiten Fall von Atavismus an den unteren Ineisiven habe ich Gelegenheit gehabt in der Sammlung des Berliner zahnärztlichen In- stituts kennen zu lernen. Die kritische Partie des Gipsabdruckes ist Taf. VII Fig. 5 von der lingualen Seite abgebildet. In diesem Fall’, der auch im Übrigen gesunde und gut gebildete Zähne zeigt (nur M1 der rechten Seite ist entfernt worden), sind, wie die Figur 1 Morphol. Jahrb. Bd.V. 1879. pag. 535. 2 Busch (Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde. Jahrg. IV. pag. 452) giebt an, dass unter 90 von ihm untersuchten Fällen »die überzähligen Zähne 84mal im Oberkiefer ihren Sitz hatten gegen nur sechsmal im Unterkiefer «. Andere hierhergehörige Angaben finden sich in derselben Arbeit. 3 Derselbe ist sub Nr. 228 in dem Katalog der Gipsabgüsse verzeichnet mit der Bemerkung: »Oberkiefer und Unterkiefer eines Mannes im Anfange der Dreißiger, welcher im Unterkiefer sechs gut ausgebildete Schneidezähne, regelmäßig im Bogen aufgestellt, trägt«. Über Umformungen an den Ineisiven der zweiten Zahngeneration ete. 325 erkennen lässt, die zwischen den Caninen vorhandenen sechs Schneide- zähne in so regelmäßigem schönem Bogen aufgestellt und die Zähne selbst sind so gut nach dem Typus normaler Schneidezähne geformt, dass auch bei sehr skeptischer Betrachtung der Gedanke an eine zufällige Bildungsabweichung oder an Erzeugnisse aus abgesprengten Keimen nicht wohl festgehalten werden könnte. Man kann in dem vorliegenden Fall nur eine ungewöhnlich vollständige und gute Re- kapitulation eines phylogenetisch früheren Zustandes erblicken. Be- trachtet man die einzelnen Zähne etwas näher, so kann bemerkt werden, dass die jederseits der Medianebene zunächstgestellten ein- ander in Form und Größe gleichen; diese Zähne werden an Größe (namentlich in der Breitendimension) etwas übertroffen von dem Zahn, der lateralwärts jedem derselben folgt. Daher besteht zwischen den erwähnten Zähnen dasjenige Größenverhältnis, welches für die unteren Ji und J2 als das normale angesehen wird, und dieser Umstand könnte zunächst dazu leiten, diese vier Zähne als jederseits bestehende Ji und J2 zu deuten. Dann wäre in diesem Fall der dem Caninus zunächststehende Schneidezahn jederseits der atavistische. Eine Unterstützung für diese Auffassung könnte man darin finden, dass die an die Caninen stoßenden Endglieder der hier vorliegenden Reihe von Sehneidezähnen einander nicht gleich sind; der Zahn der linken Seite ist evident kleiner, er erscheint gegen die schneidende Kante hin schmäler und dünner (ohne dass dieses auf eine Verletzung be- zogen werden könnte) und durch diese etwas abweichende Form könnte er darauf hinweisen, dass er doch keine ganz vollständige Reproduktion seines entwickelten, bei einer phylogenetisch früheren Säugethierform vorauszusetzenden Homologon wäre, sondern bereits in etwas redueirter Gestalt zur gelegentlichen Wiedererzeugung ge- kommen ist, während der ihm homotype Zahn in vollständiger Form vorläge. Es könnten hier somit, in Übereinstimmung mit der Be- zeichnungsweise, die für die oberen Ineisiven benutzt wurde, diese an die Caninen stoßenden Zähne, oder wenigstens der der linken Seite als Jy bestimmt werden. 1 Der hier erörterte Fall bietet noch ein anderes Interesse, welches ich nebenher berühren möchte. Es liegt auch die obere Zahnreihe im Abguss vor. Alle Zähne sind gut gebildet, aber einen Fall von Atavismus bietet diese Zahn- reihe nicht. Die J1 und J2 sind stark entwickelt und gegen einander, sowie die J2 gegenüber ‘den C durch kleine Lücken getrennt. Es hat also nieht an Platz. gemangelt für das Auftreten atavistischer J, dieses ist aber unterblieben. Schon dieser eine Fall zeigt, dass die Umgestaltungen an den oberen und 326 Emil Rosenberg Dass in der That auch bei den unteren Ineisiven die in den verschiedenen Fällen vorhandenen überzähligen Zähne nicht stets einander homolog seien, derartige Unterscheidungen, wie sie bei den oberen Ineisiven gemacht wurden, also auch hier nothwendig werden, dafür spricht im Vergleich zu dem eben erörterten Fall der jetzt zu erwähnende. Es ist der einzige aus der Litteratur mir bekannt ge- wordene Fall von sechs Schneidezähnen in der unteren Zahnreihe, von dem eine gute Abbildung nebst Beschreibung und Deutung vor- liegt. Er findet sich in dem Atlas zur Pathologie der Zähne von M. Heer und Wepu!. Das Folgende ist über ihn mitgetheilt: »Bei einer Dame mittleren Alters erscheint die Zahl der Schneide- zähne im Unterkiefer um zwei vermehrt. Vier Schneidezähne stehen vollkommen schön im Zahnbogen eingereiht. Die zwei am meisten lateral stehenden, welche ebenfalls die typische Schneidezahnform einhalten, sind gegen die Zunge zu aus der Reihe gedrängt. Trotz dieser abnormen Stellung der letztgenannten zwei Zähne können wir nicht mit Sicherheit dieselben als die überzähligen bezeichnen. Sie gleichen nämlich ihrer Gestalt nach am meisten seitlichen unteren Schneidezähnen, von denen wir wissen, dass sie, im Gegensatze zum Oberkiefer, breitere Kronen haben als die mittleren. Die vier im Zahnbogen stehenden Zähne in unserem Falle aber gleichen sich unter einander sehr. Es können die überzähligen Zähne ganz gut unteren Ineisiven nicht in gleichem Tempo zu erfolgen brauchen oder nicht in einem nothwendigen Zusammenhang stehen, sonst müssten atavistische Erschei- nungen der einen Reihe wohl auch von Atavismen der anderen begleitet werden. Dieser Mangel eines nothwendigen Zusammenhanges ist übrigens auch aus den Befunden an den früher besprochenen Reihen der Ineisiven der Zwischen- kiefer leicht zu ersehen, wenn das Verhalten der unteren Ineisiven dabei be- rücksichtigt wird. Es war z.B. (vgl. pag. 319) die erste Stufe der Reihe V, welche sich durch den völligen Schwund der J2 auszeichnet, durch fünf Gebisse repräsentirt, die Ineisiven der Unterkiefer verhalten sich in allen diesen Fällen normal. Ähnliches zeigen auch die Fälle, welche die zweite Stufe der Reihe V bilden. Es gehören hierher sieben Exemplare; von dreien fehlt mir ein Abguss der Zähne der Unterkiefer, die vier übrigen zeigen aber an diesen Zähnen den normalen Befund. Auch in den drei Fällen (vgl. pag. 318), in denen die late- ralen Incisiven des transitorischen Gebisses in den Zwischenkiefern fehlen, sind in den Unterkiefern alle vier Incisiven in gewöhnlicher Anordnung vorhanden. Schon diese wenigen Beispiele zeigen, dass man nicht annehmen darf, es müsse die Umformung an der oberen Zahnreihe stets von der gleichen an der unteren begleitet sein. Gelegentliche Koineidenzen der Umformungen werden an einer anderen Stelle erwähnt werden. N 1 Vgl. 2. Aufl., bearbeitet von J. v. Mernıtrz. Lief. I. Taf. I Fig. 3. pag. 3, 4. Uber Umformungen an den Incisiven der zweiten Zahngeneration etc. 327 den unteren mittleren Schneidezähnen recht ähnlich und die zweiaus dem Zahnbogen gedrängten eben so gut die normalen seitlichen Schneide- zähne sein.« Diese Deutung erscheint mir um so mehr überzeugend, als bei Betrachtung der Abbildung sich erkennen lässt, dass die beiden Zähne, die in der Medianebene einander berühren, entschieden kleiner sind, als die ihnen lateral benachbarten. Diese letzteren könnte man mit Wahrscheinlichkeit für die Homologa von /1 halten, wenn man, wie in dem eitirten Texte geschieht, die disloeirten Zähne für die Homologa von J2 nimmt. Bei dieser Auffassung liegen hier somit medianwärts von J1 aufgetretene atavistische Zähne vor, es wäre also die Existenz von Ja in diesem Fall anzunehmen. Im Anschluss an diese Fälle von doppelseitigen atavistischen Ineisiven seien noch zwei erwähnt, in denen nur auf einer Seite drei Incisiven sich finden. Diese Fälle sind Taf. VIII Figg. 6 u. 7 abgebildet nach Abgüssen, die der Sammlung des Berliner zahnärzt- lichen Instituts angehören!. Es lässt sich an den Abgüssen bei der Betrachtung von der lingualen Seite, wenn man dem Verlauf der niedrigen Leiste folgt, welche die Fortsetzung des Frenulum linguae darstellt, die Stelle finden, an welcher die nicht immer mit der Me- dianebene zusammenfallende Grenze zwischen der rechten und der linken Hälfte der Zahnreihe liegt. Man sieht so, dass in dem in Fig. 6 abgebildeten Fall rechts drei Ineisiven vorliegen, während die Fig. 7 die andere Möglichkeit, die Existenz dreier Incisiven auf der linken Seite, illustrirt. In Fig. 6 ist noch ein Theil der Krone von Mi zu sehen, dann folgen rechts und links ?1 und P2 und rechts ein C, dessen Ende einigermaßen zugespitzt ist, während derselbe Zahn der anderen Seite mehr die Form hat, die als charakteristisch für einen C im weiblichen Geschlecht angesehen wird?. Den beiden auf der linken Seite vorhandenen normalen Zähnen J1 und J2 gleichen auf der rechten Seite die beiden Zähne, die dem C medianwärts folgen, so dass als der überzählige Zahn derjenige angesehen werden 1 Fig. 6 entspricht dem sub Nr. 249 des Katalogs der Gipsabdriicke re- gistrirten Objekt. Dasselbe ist bezeichnet: »Unterkiefer einer 23jährigen Dame, in welchem fünf gut ausgebildete, regelmäßig gestellte Schneidezähne vorhanden sind. Geschenk von*Zahnarzt Max in Tilsit.« Fig. 7 entspricht der Nr. 311 des genannten Katalogs. Über den Abdruck wird in dem Katalog bemerkt: »Unterkiefer mit fünf regelmäßig ausgebildeten Schneidezähnen.« 2 Vgl. E. MÜHLREITER, Anatomie des menschlichen Gebisses. 1891. pag. 130, 131. i 328 Emil Rosenberg kann, welcher der Medianebene zunächst steht; dieser Zahn ist auch etwas schmäler als der Zahn J1 der linken Seite, an welchen er sich anlehnt. Man könnte somit auch hier einen Fall von Ja an- nehmen. An dem Objekt der Fig. 7 dürfte es noch schwieriger sein, den atavistischen Zahn zu bestimmen. Wenn man berücksichtigt, dass die beiden in der Medianebene (d. h. auf der Grenze zwischen rechter und linker Hälfte der Zahnreihe) sich berührenden Zähne einander sehr ähnlich sind und eben so die beiden an die Caninen jederseits stoßenden einander wenigstens in der Größe gleich sind, auf der rechten Seite hier aber das normale Verhalten vorliegt, so wären links J1 und J2 durch den atavistischen Zahn getrennt, dieser Zahn würde also den Fall eines /$ repräsentiren. ‘So bestimmt diese Fälle auch für Atavismus sprechen, so ist doch nicht zu verkennen, dass die speciellere Deutung der atavisti- schen Zähne nicht so sicher festzustellen ist, wie bei den oberen Ineisiven. Da indess ziemlich bestimmte Hinweise auf die Existenz wenigstens zweier verschiedener atavistischer Ineisiven (Ja, Jy) sich ergeben, so muss im Hinblick auf die unteren Ineisiven angenommen werden, dass eine mehr als drei und zwar mindestens vier Zähne enthaltende Reihe von Incisiven in einer der phylogenetischen Ent- wicklungsstufen sich befunden hat, die für die unteren Ineisiven des Menschen zu durchlaufen waren. Diese Voraussetzung ist gut zu begründen durch einen Hinweis auf das Verhalten der mesozoischen Säugethiere, wobei hinsichtlich der Frage nach der speciellen Homo- logie der Zahngeneration auf das über die obere Zahnreihe (pag. 299) Gesagte zu verweisen ist. Aus der wichtigen Abhandlung, die OsBoRN über diese Formen veröffentlicht hat!,ist ersichtlich, dass die Existenz von vier unteren Ineisiven nicht selten ist?, und es verdient hier besonders hervor- gehoben zu werden, dass unter fünf Gattungen, die dem unteren Jura angehören, die also relativ alt sind, bei dreien (Amphilestes, Phas- colotherium und Amphitylus) mit Sicherheit vier untere Ineisiven nachgewiesen sind. Und betrachtet man an den von OsBORN ge- gebenen Abbildungen das nähere Verhalten dieser Ineisiven, so darf ı Vgl. H. F. Osporn, On the structure and classification of the mesozoic mammalia. Journal of the Academy of natural sciences of Philadelphia. Sec. Ser. Vol. IX. P. 2. 1888. passim. 2 Sie finden sich z. B. bei Amblotherium, Phascolestes, Dryolestes, Styla- codon, Asthenodon u. A. Über Umformungen an den Ineisiven der zweiten Zahngeneration ete. 329 es auffallen, dass bei einzelnen dieser mit vier Ineisiven ausgestatte- ten Formen, besonders deutlich bei Phascolotherium und Amblothe- rium!, die Incisiven durch weite Zwischenräume von einander ge- trennt im Kiefer aufgestellt sind, wodurch der Eindruck entsteht, es könnten auch hier zwischen den bestehenden Zähnen andere, früher existirt habende ausgefallen sein, oder es wird wenigstens die An- nahme hervorgerufen, dass solche aus vier Ineisiven bestehende Reihen sich aus einer größeren Zahl von Ineisiven hergeleitet haben. Indem diese Verhältnisse der Annahme der Entstehung der In- cisiven des Menschen aus einer Mehrzahl soleher Zähne (mindestens vier, wahrscheinlich aber fünf) gleichfalls eine Stütze bieten, ergiebt sich so ein Anlass mehr, bei der Betrachtung atavistischer Fälle sorgfältig auf die Natur der ausnahmsweise aufgetretenen Incisiven zu achten. Dabei dürften sich dann wohl auch Beobachtungen er- geben, die eine allmähliche Reduktion dieser atavistischen Zähne in ähnlicher Weise dokumentiren, wie das bei den oberen Ineisiven er- sichtlich war; dann würde es auch möglich sein, ähnlich wie bei den Incisiven der oberen Reihe, eine speciellere Deutung der beiden jetzt in der Norm vorhandenen Ineisiven zu geben; diese muss, weil die nöthigen Beobachtungen noch fehlen, zunächst unterlassen werden. b. Umformungen, die sich an das zur Zeit normale Ver- halten der unteren Incisiven anschließen. Die Besprechung der hiergehörigen Befunde muss naturgemäß dieselben mit dem normalen Verhalten vergleichen. Für diese Ver- gleichung hätte ich die Abbildung eines normalen Falles entweder unterlassen oder für die bildliche Darstellung einen solchen Fall wählen können, in welchem die Zähne etwas regelmäßiger gestellt sind als bei dem Objekt, welches Taf. XI Fig. Via sichtbar ist und das normale Verhalten repräsentirt. Ich habe jedoch dieses Objekt ge- wählt, weil ich so die schon früher (vgl. pag. 326) gemachte Bemer- kung, es müsse nicht nothwendig mit bestimmten Umbildungsstufen der oberen Ineisiven die gleiche Umformung an den unteren sich kombiniren, durch eine Abbildung illustriren kann. Die Fig. Via zeigt in der Ansicht von der lingualen Seite die unteren Incisiven nebst den Caninen und Prämolaren von demselben Gebiss, welches in der Reihe V die letzte Stelle einnimmt (vgl. Fig. V5) und eine spurlose ıl.ec. P. 8 Fig.3 und P. 9 Fig. 11. Morpholog. Jahrbuch. 22. 39 330 Emil Rosenberg Elimination der lateralen Ineisiven der Zwischenkiefer darbietet, und nichtsdestoweniger sind, wie Fig. Via zeigt, alle vier unteren Inci- siven anwesend und kräftig entfaltet. An dieses normale Verhalten der unteren Ineisiven lassen sich jetzt Fälle anschließen, welche einen sich geltend machenden Reduktionsprocess erkennen lassen. Einer dieser Fälle ist in Fig. VId! abgebildet (in der gleichen Ansicht wie das Objekt der Fig. Via und die der beiden folgenden Figuren); man ersieht aus der Figur deutlich, dass J1 des rechten Unterkiefers kürzer und schmäler ist als sein Pendant, zugleich ist der Zahn etwas verkrümmt, sonst aber nicht pathologisch afficirt, auch erscheint er nicht so fest eingefiigt als die anderen. Bei einer später (nach Verlauf von zwei Jahren) vorgenommenen Inspektion fehlte dieser Zahn und die betreffende Persönlichkeit gab an, es sei der Zahn ohne wahrnehmbare äußere Veranlassung ausgefallen. Die Ineisiven der Zwischenkiefer sind hier sämmtlich vorhanden und durch kleine Lücken gegen einander separirt. In einem zweiten hierhergehörigen Fall? (vgl. Fig. Vic) sind im Ganzen nur drei Incisiven in dem Zwischenraum zwischen den beiden Caninen vorhanden. Die Anamnese ergiebt hier mit Sicherheit, dass kein bleibender Ineisivus extrahirt worden oder in Folge eines patho- logischen Processes verloren gegangen. Bei Betrachtung der vor- handenen Incisiven erscheint es zweifellos, dass die beiden an die Caninen sich anschließenden jederseits den Zahn J2 repräsentiren, unsicher ist aber die Deutung des in der Mitte sich befindenden Zahns. Dieser ist offenbar kleiner als ein normaler J1, er erscheint verkürzt und verschmälert und somit etwas redueirt, es ist mir jedoch nicht möglich, sicher zu bestimmen, ob dieser Zahn als J1 der rechten oder der linken Seite angesehen werden muss. Der Zahn steht fast genau in der Mitte und neigt nur ganz wenig zur linken Seite hinüber. In einem solchen Fall kann die Inspektion am Lebenden keine sichere Auskunft geben, während, wenn ein solcher Fall zur anatomischen Untersuchung gelangte, sowohl durch die Stellung der Alveole als besonders mit Berücksichtigung der zum Zahn tretenden Nerven die Entscheidung getroffen werden könnte. Aber auch trotz dieser Un- sicherheit lehrt der vorliegende Fall, dass einer der Zähne J1 ganz 1 Kat. 1890. Nr. 22. Mädchen, 21 J. Baarn. Abd. Gesch. v. Dr. Dentz. Er- neuter Abdruck: Kat. 1892. No. 31. 2 Kat. 1889. Nr. 19. Stud. med. Utrecht. Abd. Gesch. v. Dr. Dentz. Ob in diesem Fall auch im transitorischen Gebiss schon ein Ineisivus gefehlt habe, konnte nicht mit Sicherheit eruirt werden. Über Umformungen an den Ineisiven der zweiten Zahngeneration ete. 331 geschwunden und der andere schon in etwas reducirtem Verhalten vorgefunden werden kann bei intaktem Verhalten von J2 auf beiden Seiten. Die hier interessirende Partie der zugehörigen oberen Zahn- reihe steht auf der Stufe, die durch Fig. IV53 dargestellt wird, in diesem Fall koineidirt also der Umformungsprocess an den unteren Ineisiven mit dem an den Zähnen der Zwischenkiefer. Auch ist der eben erwähnte Fall in so fern von Interesse, als er das Verhalten des zuletzt zu erwähnenden verständlich macht. Am Ende dieser Reihe steht ein Fall!, in welchem (vgl. Fig. VId) nur noch zwei In- eisiven in dem Zwischenraum zwischen den beiden Caninen übrig geblieben sind; eine Extraktion hat nicht stattgehabt. Auf Grund- lage der vorangestellten Beobachtung darf dieser Fall wohl so ge- deutet werden, dass hier auf beiden Seiten die Zähne J1 durch Re- duktion geschwunden sind, so dass jederseits nur der Zahn J2 übrig geblieben. Dieselben sind an einander gerückt und auch gegenüber den Caninen nicht durch eine Lücke separirt; der Caninus der linken Seite schließt sich dicht an den Zahn P2 an, während auf der rechten Seite eine relativ große Lücke zwischen C und P2 sich findet, die eben so wie in den früher besprochenen Fällen als eine noch nicht verwischte Spur der Umformung gedeutet werden kann. Bei diesem Gebiss fehlt im linken Zwischenkiefer J2 und ist hier auch nicht ex- trahirt worden, auf der anderen Seite ist J2 vor längerer Zeit ent- fernt worden, es konnte daher nicht mehr bestimmt werden, welcher der in der Reihe IIIb unterschiedenen Stufen dieser Fall zuzu- zählen sei. Diese Reihe weist leider nur wenige Fälle auf, dieselben bieten aber doch im Prineip — auch was den Abstand anlangt, in welchem die äußersten Glieder der Reihe von einander stehen — dieselbe Erscheinung, wie sie an der oberen Zahnreihe wahrgenommen wurde und desshalb ist, wie ich meine, mit Bestimmtheit aus den ange- führten Fällen zu schließen, dass ein die Ineisiven der Unter- kiefer betreffender Reduktionsprocess stattfindet, welcher in einzelnen Fällen schon bis zur Elimination beider Zähne Ji führen kann. Wenige derartiger Fälle finden sich auch in der Litteratur angegeben; zwei Beobachtungen von Busch über den »Mangel beider unterer mittlerer Schneidezähne« sind hier zu er- wähnen. In diesen Fällen war zugleich ein Fehlen der oberen late- ralen Schneidezähne zu konstatiren und einer dieser Fälle bietet noch 1 Kat. 1890. Nr. 23. Frau, 55 J. Utrecht. Abd. Gesch. von Dr. DEn'iZ. DD" 332 Emil Rosenberg dadurch ein besonderes Interesse, dass die Person, bei welcher dieser Befund sich darbot, mit Bestimmtheit die Erblichkeit dieses Mangels in ihrer Familie behauptet hat. Busch weist, auf diese Fälle Bezug nehmend, darauf hin, dass hier eine Verknüpfung des Mangels oberer und unterer Zähne vorliege, die keine rein zufällige sein könne, für welche aber die Ursache nicht nachweisbar sei; und an einer anderen Stelle betont BuscH, dass ein solches Zusammentreffen bisweilen stattfinde. Letzteres bestätigen die von mir oben mitgetheilten Be- funde, in denen eine Koincidenz der Reduktion oberer und unterer Ineisiven vorlag, ich meine aber, dass eine Ursache für das seltene Zusammentreffen dieser Reduktionen an ein und demselben Indivi- duum wohl angegeben werden kann. Es kommt hierbei darauf an, wie man das Fehlen unterer Ineisiven auffasst. Busch knüpft an die Mittheilung seiner Fälle die Bemerkung, es sei »der Mangel der mittleren unteren Schneidezähne zu selten, als dass man sie in der Rückbildung begriffen betrachten könnte«!. Diese Folgerung scheint mir nun nicht mit Nothwendigkeit aus der Seltenheit des hier in Rede stehenden Befundes hervorzugehen, da dieses seltene Vorkommen auch anders und zwar in Übereinstimmung mit der Anschauung ge- deutet werden kann, die ich oben als Ergebnis der Betrachtung meiner Fälle mitgetheilt habe. Das seltene Fehlen der J1 kann, wie ich meine, als ein Ausdruck dafür aufgefasst werden, dass der Process der Reduktion dieser Zähne für die Ge- sammtheit der Nation, zu der die einzelnen Individuen ge- hören, die das Fehlen zeigen, sich eben erst einzuleiten beginnt, daher die überwiegende Mehrzahl der Individuen noch das »normale« Verhalten darbietet und nur erst sehr sporadische (deren Zahl übrigens durch eine rationelle statistische Untersuchung noch festzustellen wäre) die Reduktion erkennen lassen. Auf die stattfindende Reduktion weisen die von mir mitgetheilten, dem Schwunde vorhergehenden verkümmerten Formen von J1 (solche Formen scheinen BuscH nicht vorgelegen zu haben) in unzweideu- tiger Weise hin, die Reduktion selbst kann also nicht gut bezweifelt werden, und hält man sie in dem oben angegebenen Sinne für eine ~ erst kürzlich begonnene, so bietet sich auch eine Möglichkeit, den schon früher erwähnten Umstand, dass an oberen und unteren Inci- siven eines und desselben Individuums nicht die gleichen Umbildungs- stufen zusammentreffen, sowie die nur bisweilen stattfindende Koinei- ! Deutsche Monatsschr. f. Zahnheilk. Jahrg. V. 1857. pag. 8, 10, 12, 16. Über Umformungen an den Ineisiven der zweiten Zahngeneration ete. 333 denz des völligen Mangels unterer /1 und oberer lateraler Schneide- zähne zu interpretiren. Wenn man die Reduktion an den unteren Ineisiven als eine erst kürzlich eingeleitete betrachtet, so ist es das Nächstliegende, die Umformung an den oberen Ineisiven als eine schon früher begonnene anzusehen; dafür spricht auch, dass im Be- reich der letzteren Zähne relativ viel Übergangsformen angetroffen werden, die sich leicht zu Reihen formen lassen, welche den Process bekunden. Hat aber der Process an den oberen Zähnen früher be- gonnen und ist er somit dem an den unteren Ineisiven stattfindenden Umformungsprocess auch hinsichtlich des Effektes vorausgeeilt, so erscheint der Mangel stets gleichzeitig vorkommender gleicher Um- bildungsstufen bei einem und demselben Individuum sehr natürlich. Eine Koineidenz kann sich selbstverständlich nur dort finden, wo auch bei den unteren Zähnen die Umbildung sich schon eingeleitet hat. Zu derselben Auffassung müsste man auch kommen, wenn man annehmen wollte, dass der Umformungsprocess an beiden Zahnreihen zwar gleichzeitig begonnen, aber an der oberen Zahnreihe mit größerer Intensität wirksam sei. — Sollte die Umformung fernerhin an den oberen Zähnen langsamer fortschreiten oder an den unteren sich be- schleunigen, oder aber Beides zugleich stattfinden, so würden die Fälle der Koineidenz natürlich sehr zunehmen. Aber immerhin würde es wahrscheinlich sein, dass der Verlust der oberen J2 für die Men- schengruppe, der die untersuchten Individuen angehören, sich früher vollzogen haben wird als der Verlust der unteren J1. Wenn die Umformung an den oberen Zähnen nicht weiter gehen sollte, als das aus der jetzt höchst differenzirten, in relativ wenigen Fällen wahr- nehmbaren Form zu ersehen ist, so muss natürlich beim Fortschreiten der Umformung an den unteren Zähnen ein Zeitpunkt eintreten, wo die jetzt so äußerst seltene Koineidenz der höchsten, durch den Mangel oberer J2 und unterer J1 charakterisirten Umbildungsstufen sich für die Majorität und später für alle Individuen ergiebt; die zur Zeit so seltene Ausnahme würde damit zur ausnahmslosen Regel werden. Diese Betrachtung führt zu einem Ergebnis, welches nicht ganz im Einklang ist mit den Anschauungen Copr’s. Corr! sagt, er kenne kein Beispiel des Fehlens der »external incisors« der unteren Zahn- reihe und er giebt in der Formel beider Genera, die durch ver- schiedene Umgestaltung des Zahnsystems in Zukunft nach seiner ! On the genera of Felidae and Canidae. Proceed. Acad. Nat. Sc. Phila- delphia. 1879. pag. 27 des Separatabdrucks. ‘ 334 Emil Rosenberg Meinung sich herausbilden würden, zwei untere Incisiven an. Corr hat dabei, wie mir scheint, daran gedacht, dass die lateralen unteren Ineisiven, nach Analogie des Vorganges an der oberen Zahn- reihe, wohl zuerst schwinden würden und die Möglichkeit, dass die medialen unteren Schneidezähne (J1) die einer Reduktion anheim- fallenden sein könnten, hat er nicht statuirt, offenbar weil er das Fehlen dieses Zahnes oder eine rudimentäre Beschaffenheit desselben nicht beobachtet hat. Der beginnende Schwund dieser letzteren Zähne (J1) kann aber im Hinblick auf die oben von mir mitgetheilten Fälle wohl konstatirt werden und es ergiebt sich damit, dass eine Formel en wie Cope dieselbe für Metanthropos aufstellt, an den von mir beobachteten Objekten nur in den Fällen, wo eine Koineidenz der Umformung an der oberen und unteren Zahnreihe noch nicht ein- getreten ist, sich zeigen kann, hier ist dieselbe aber nur als eine temporäre Durchgangsbildung zu beurtheilen, die sich ergiebt bei einem Gange der Umformung, dessen Ziel vorläufig durch die Formel is oder genauer ausgedriiekt: "5 Beobachtungen ergeben auch keine Bestätigung fiir das von CoPE bezeichnet werden kann. Meine : ; 2 statuirte Genus Epanthropos, da für dieses Genus J 3 yon CoPpE an- gegeben wird. Es unterscheidet sich dasselbe von dem zur Zeit normalen Verhalten nur durch den Mangel beider M3, es ist also 2 6 in die betreffende Formel die Bezeichnung Ms aufgenommen. Weiter auf dieses Genus einzugehen, könnte unterbleiben, da der vorliegende Aufsatz die Molaren nicht zum Gegenstand hat; da jedoch bei der Aufstellung des Genus auf die Ineisiven in gewissem Sinne Bezug genommen ist, so möchte ich die betreffende Auffassung CopE’s kurz berühren. Cope sagt: »As the loss of a tooth from each side has so far been sufficient to accomodate the dentition to the space which it is to occupy, it is not likely that the absence of both J2, and M3 will become established.« Gegen diese Anschauung lässt sich an- führen, dass wenigstens in der oberen Zahnreihe das Zusammen- treffen einer Reduktion von J2 und M3 möglich erscheint. Ich kann das zunächst durch den in Fig. V4 abgebildeten Fall illustriren. Hier ist J2 völlig geschwanden und es sind nur M1 und M2 vor- handen; M1 hat die typische vierhöckerige Form der Krone, M2 da- gegen hat nur drei Höcker (es ist der Hypoconus geschwunden) und Über Umformungen an den Incisiven der zweiten Zahngeneration ete. 335 M3 fehlt. Das könnte nun noch so aufgefasst werden, dass hier, da es sich um ein Gebiss einer 21 Jahre alten Dame handelt, M3 später noch in voller Gestalt hervortreten würde, obgleich das wegen der bereits reducirten Form von M2 nicht wahrscheinlich ist. Dess- halb ist es von Interesse, dass die hier nur wahrscheinlich zu machende gleichzeitige Reduktion von M3 und /2 in einem zweiten Fall evi- denter vorliegt. Bei dem Objekt der Fig. V5 (39jährige Frau) sind die J2 spurlos geschwunden und rechts ist 173 auffallend kleiner als M2, bei welchem Zahn der Hypoconus nur schwach angedeutet ist, links aber ist M3 nur durch ein kleines kolbenförmiges Zähnchen repräsentirt, bietet sich also in einer sehr redueirten, bei M M3 schon mehrfach beobachteten Form dar, die den bevorstehenden v völligen Schwund ankündigt. Es lässt sich also sehr wohl denken, dass in einer und derselben Zahnreihe J2 und M3 zum Schwund kommen werden. Sl Wenn ich nun auch auf Grundlage meiner Beobachtungen und im Hinblick auf die soeben gemachten Bemerkungen die Anschau- ungen Cope’s über die Beschaffenheit zukünftig sich herausbildender Zahnreihen nicht bestätigen kann, so möchte ich die von Corr auf- gestellten Formeln doch nicht als unmögliche bezeichnen. Es wäre sehr ungerechtfertigt, anzunehmen, die Umformung müsse bei allen Nationen oder größeren und kleineren Menschengruppen dieselbe sein; es wäre sehr wohl denkbar, dass auf dem Wege divergenter Ent- wicklung verschiedene und darunter auch die von Core aufgestellten Formen der Zahnreihen sich ergeben werden, allein ich muss be- haupten, dass zur Zeit die Nachweise dafür noch fehlen. Es wäre aber nicht schwierig, Anhaltspunkte für die Beurthei- jung der Frage, in welchem Sinne Umformungen der Ineisiven oder anderer Elemente der Zahnreihe bei verschiedenen Nationen oder Menschengruppen sich anbahnen, zu erlangen, wenn man in der Weise, wie es in dem vorliegenden Aufsatz zunächst für ein kleines Gebiet versucht worden ist, die individuellen Variationen innerhalb der verschiedenen Menschengruppen konstatiren wollte. Dazu würden sowohl systematisch durchgeführte Beobachtungen im Präparirsaal als auch am Lebenden angestellte Wahrnehmungen die nöthigen Data liefern können. So werthvoll solehe Erhebungen aber auch wären, man würde sie doch überschätzen, wenn man annähme, dass damit alles Erstrebenswerthe für die Beurtheilung der Frage geleistet wäre. Eine befriedigendere und gesichertere Vorstellung über die etwaigen Umformungsprocesse sowie Anhaltspunkte für eine Er- 336 Emil Rosenberg kenntnis der Ursachen! derselben könnten nur langdauernde, durch Reihen von Generationen fortgesetzte Beobachtungen gewähren, zu denen auch noch von einer anderen Seite her eine Aufforderung sich ergiebt. So sehr ich es für berechtigt halte, die individuellen Variationen als den Ausdruck ganz langsam stattfindender Umformung aufzu- fassen, so muss doch nicht außer Acht gelassen werden, dass diese Auffassung noch einer näheren Präeisirung bedarf. Man kann über- zeugt sein, dass die Umformung für die Gesammtheit der Individuen eine nur ganz allmählich fortschreitende ist, aber es wäre, wie ich meine, unrichtig, nun auch sofort anzunehmen, dass auch für die einzelnen Individuen als Glieder ihrer Generationenkette die gleiche nur in kleinen Schritten fortschreitende Umformung stattfände. Mit anderen Worten, es entsteht die Frage, ob man wohl sich vorstellen dürfe, dass alle die in eine Reihe gestellten, nur durch kleine Diffe- renzen von einander verschiedenen Umformungsstufen, die wir zunächst als Glieder einer morphologischen Reihe betrachten dürfen, sich faktisch aus einander hervorbilden, d.h., auch im Sinne einer Descen- denzreihe sich an einander schließen. Es wäre also zu untersuchen, ob, wenn bei den beiden Eltern eines bestimmten Individuums die gleiche Entwicklungsstufe in Betreff der untersuchten Zähne vorliegt, nun die Kinder entweder noch die gleiche oder die in der betreffen- den morphologischen Reihe nächstfolgende Stufe einnehmen und die nächsten Descendenten dann wieder mit der folgenden Stufe der morphologischen Reihe sich ausgestattet zeigten. Es liegt auf der Hand, dass für die Beantwortung dieser Frage die nöthigen Daten sich nur langsam werden sammeln lassen. ! Die Momente, welche Corps (vgl. pag. 303 dies. Auf.) als ursächliche anführt, scheinen mir die Reduktion der Zähne nicht genügend zu motiviren. Die Annahmen — die Reduktion sei bedingt durch eine Verkleinerung der Kiefer und diese wieder sei abhängig von einer Vergrößerung des Gehirns und einem Mehrver- brauch von Knochensubstanz für die Bildung der das Gehirn umschließenden Kap- sel — sind in Bezug auf den Menschen nicht näher begründet und scheinen mir auch gegenüber dem Verhalten mancher Säuger eine befriedigende Interpretation nicht zu bieten. So scheint mir z. B. das Fehlen der oberen Ineisiven bei Artiodaetylen nicht wohl durch die genannten Annahmen erklärt werden zu können. Auch weisen manche Details in dem beim Menschen erkennbaren Re- duktionsprocess der Ineisiven — ich erinnere an die Lücken, die nach Schwund der Zähne in mehr oder weniger deutlicher Weise erkennbar sind und erst all- mählich sich schließen — darauf hin, dass wohl nicht immer die Reduktion des Kiefers gegenüber der des Zahns die primäre Erscheinung ist. Es handelt sich hier um Verhältnisse, die noch zu wenig einer Beurtheilung zugängig sind. Über Umformungen an den Ineisiven der zweiten Zahngeneration ete. 337 Unter den Fällen, die mir bekannt geworden, ist einer für die in Rede stehende Frage von Interesse. In Fig. III 55 habe ich die recht hoch differenzirten Incisiven eines Knaben abgebildet, dessen Eltern ich hinsichtlich ihrer Ineisiven zu untersuchen Gelegenheit hatte. Ich habe dabei konstatirt, dass diese Zähne bei beiden Eltern auf der Stufe, die zur Zeit als normal gilt (entsprechend Fig. II /) sich befinden. Diese Wahrnehmung erscheint um so bemerkens- werther, als der Bruder des erwähnten Knaben in noch höherem Grade als letzterer umgeformte Incisiven zeigt (vgl. pag. 319 Anm. 2), es sind hier beide J2 geschwunden. Schon diese eine Beobachtung lehrt, dass es unrichtig wäre, zu erwarten, die Umformung, die an der Gesammtheit sich bekundet, werde auch in den einzelnen Ge- nerationenreihen, aus deren gleichzeitig vorhandenen Gliedern je- weilen die Gesammtheit besteht, in allen Einzelheiten sich wieder- finden lassen. Von einer Generation zur anderen können offenbar, das lehrt der hier erwähnte Fall, ziemlich weit aus einander stehende Formen der morphologischen Reihe direkt auf einander folgen und zwar im Sinne fortschreitender Umgestaltung. Ob das aber immer der Fall ist und wie weit solche in den einzelnen Generationenketten auf einander folgende Entwicklungsstufen (auch wenn man von den atavistischen Erscheinungen hierbei zunächst absieht) von einander entfernt sein können, sowohl in Bezug auf ihre Stellung in der mor- phologischen Reihe als auch in Bezug auf die Zahl der Generationen, die dem Eintreten der Umänderung vorhergeht, ob überhaupt alle denkbaren Übergangsstufen auch bei der Gesammtheit wirklich reali- sirt werden und in welcher Succession die Entwicklungsstufen in den einzelnen Reihen von Generationen einander folgen, ob hierbei Perioden rascherer Umgestaltung mit solchen von relativ langsamem Gange abwechseln und in welcher Weise und bei welchen Phasen des Processes die atavistischen Erscheinungen sich in dem Gang der Umformung wieder geltend machen — das sind Fragen, die zu ent- scheiden nur einer Beobachtung möglich wäre, die dem Vorgang der Umgestaltung von Generation zu Generation folgt. Utrecht, 9. Juli 1894. 338 Emil Rosenberg Erklärung der Abbildungen. Die Figuren sind nach photographischen Aufnahmen (vgl. Text pag. 269 Anm.) der Objekte hergestellt. Für die Aufnahme wurde eine Camera benutzt, welche eine Größe des Negativs von 24>< 30 cm gestattet und mit einem STEIN- HEIL’schen Aplanaten für Landschaft und Reproduktion versehen ist; die Linse hat 60,9 mm Öffnung und einen Fokalabstand von 44 mm. Meist wurde das kleinste Diaphragma benutzt. Es wurden die Objekte zunächst in natürlicher Größe aufgenommen, die Abgüsse der oberen Zahnreihe in zwei Ansichten (vgl. pag. 276 des Textes), von der lingualen und der labialen Seite, die untere Zahn- reihe nur in der Ansicht von der lingualen Seite. Durch Reflektoren aus ver- schiedenartigem Papier wurde eine möglichst günstige Beleuchtung hergestellt. Nachdem von den so gewonnenen Negativen Abdrücke (Celloidinpapier) an- gefertigt waren, wurde aus den Abdrücken die hier interessirende Partie herausgeschnitten und die je auf ein Objekt sich beziehenden Ausschnitte der- art auf Karton geklebt, dass die in den beiden verschiedenen Ansichten ein- ander entsprechenden Partien genau einander gegenüber gestellt wurden. Diese Photographien wurden dann in der Anordnung, welche die Tafeln ersehen lassen, für jede Tafel auf einen Karton aufgeklebt und nun das ganze Blatt noch ein- mal verkleinert (annähernd im Verhältnis von 11:9) aufgenommen, um eine Tafel von dem in diesem Jahrbuch üblichen Format zu erhalten. Die für jede Tafel hergestellten Negative sind dann für die durch Heliogravüre ausgeführten Tafeln benutzt worden. Da im Texte jede der Figuren ausreichend beschrieben worden, folgen hier nur wenige Angaben über dieselben. Tafel VIII. Atavistische Formen der oberen Ineisiven. Fig. 1. Jo beiderseits vorhanden (vgl. pag. 276). Fig. 2. JB links (vgl. pag. 290). Fig. 3. Jy rechts (vgl. pag. 296). Fig. 4. vgl. pag. 296. Atavistische Formen der unteren Ineisiven. Fig. 5. Beiderseits drei Ineisiven Fig. 6. Rechts drei Ineisiven (vgl. pag. 324—28). Fig. 7. Links drei Incisiven Tafel IX. Fig. Ia. Ja beiderseits vorhanden (pag. 278). Fig. Ib. Ja links (pag. 288). Fig. Ic. JB rechts (pag. 289). Fig. Vm.g. Erste Zahngeneration. J2 fehlt beiderseits (pag. 318 Anm.). Fig. I ı—Il 6. Allmähliche, auf beiden Seiten symmetrisch erfolgende Reduk- tion von J2 (pag. 306—10). ET + y . ' ¥ 4 ae os ber eye + pe haa J re , Ls : . Ee het)’, i) ae ah . ied * ro Poll | Paty ee k a em j ae he ‘ any >. . 5 : ‘ 2) u Ppa sr h ’ 4 ‘ i < t > r d % 3 4 Aa y ar - : ox j 2 ” . * 4 ‘ ‘ j f ne | + + ‘ j r # x e a acer N fi ek a vholog. Jahrb. BA XXL. Tat. IX “u 34 BE Back Heh a ee EN 2, u N Morpholog Jahrb, Bd XX, Taf. X. Über Umformungen an den Incisiven der zweiten Zahngeneration etc. 339 Tafel X. Fig. HI«aı—Illa3. Allmähliche Reduktion von J2 im linken Zwischenkiefer bei Fig Fig Fig Fig . HId1—Illb5. . IVaı—IVa3. . 1Vbi—IVb4. ie. V 1—V 5. . VIa—Vla. nahezu unveriindertem Verhalten von J2 der rechten Seite (pag. 310). ng J2 im linken Zwischenkiefer geschwunden, allmähliche Re- duktion von J2 der rechten Seite (pag. 311—14). Allmähliche Reduktion von J2 im rechten Zwischenkiefer, bei nahezu unverändertem normalem Verhalten von J2 der linken Seite (pag. 315). a Tafel XI. J2 im rechten Zwischenkiefer geschwunden, allmähliche Re- duktion von J2 der linken Seite (pag. 315—17). J2 in beiden Zwischenkiefern geschwunden, Aneinanderriicken von JI und C (pag. 318—21). Allmähliche, von dem zur Zeit normalen Verhalten ausgehende Reduktion der unteren Incisiven (pag. 329—31). Bemerkungen über die Entwicklung der Wirbel- säule bei den Amphibien; nebst Schilderung eines abnormen Wirbelsegmentes. Von Dr. Herbert Haviland Field, z. Z. in Paris. Mit Tafel XII u. XIII. Im Laufe einiger embryologischen Studien über das Exkretions- system der Amphibien, habe ich mich wiederholt veranlasst gefunden gewisse andere gleichzeitig ablaufende Mesodermdifferenzirungen ziemlich eingehend zu untersuchen, um dadurch eine breitere Basis für allgemeine Betrachtungen zu gewinnen. Was die Entwicklung der Wirbelsäule betrifft, so fand ich meine Beobachtungen in so genauer Übereinstimmung mit den Angaben von Hasse (92), dass ich vorläufig von der Veröffentlichung meiner Befunde gänzlich absah. Da ich aber neuerdings zum Zwecke einer exakten Aufzählung der Körpersomite ein abweichendes Wirbelsegment genau untersuchen musste, habe ich mich entschlossen einige Resultate in Zusammen- hang zu veröffentlichen, zumal mir, außer den von Hasse. unter- suchten Gattungen, verschiedene andere Urodelen und Anuren zu. Gebote standen. Die Embryonen von Amphiuma means verdanke ich der Güte des Herrn Prof. Dr. J. S. KınasLey an der Tuft’s College, Staat Massachusetts. 1 Die hier angewendete Art der Litteraturanführung beruht auf dem Prineip, dass die auf die Bibliographie verweisende Ziffer immer zugleich das Jahr der Publikation in abgekürzter Form darstellt, so dass der mit der spe- ciellen Litteratur vertraute Leser die betreffende Arbeit sofort, ohne besonders nachzuschlagen, erkennt. Siehe Biol. Centralbl. Bd. 13, pag. 753—758, 1893. Bemerkungen über die Entwicklung der Wirbelsäule etc. 341 Die frühe Entwicklung der Chorda habe ich bei Amblystoma, Rana und Bufo vollständig verfolgt, und noch dazu auch neulich einige Untersuchungen an Triton, Salamandra, Alytes und Bombi- nator angestellt. Daraus hat sich im Allgemeinen eine Bestätigung der Herrwig’schen Angaben ergeben. Die Chorda ist unbedingt als ‚ein dorsales Abspaltungsprodukt des inneren Keimblattes anzusehen. Sie entsteht an Ort und Stelle aus der angrenzenden Entoblastschicht, wobei Andeutungen einer Faltenbildung mehr oder minder deutlich zu erkennen sind!. Bei Triton scheint mir die Existenz eines der- artigen Vorganges am evidentesten; allein auch bei den Anuren ist er keineswegs verschwunden, wie dies namentlich ein Fund bei einem äußerst dotterarmen Bufoembryo zeigte. Bei dieser Larve, die ich wegen ihrer auffallenden Kleinheit untersuchte, fand ich nämlich die Chordaleiste auf einer beträchtlichen Strecke in Form einer offenen Rinne in der dorsalen Urdarmwand vor. Ein derartiger Zustand ist offenbar kein normaler; denn gerade bei Formen wie Bufo ist der Faltungsprocess im höchsten Grade verwischt. Immer- hin lässt sich das Vorhandensein dieser offenen Entoblastrinne am leichtesten dadurch erklären, dass wir sagen: Die ursprüngliche Bildungsweise, die wir bei Triton haben erkennen können, geht bei gewissen Amphibien in Folge des großen Dotterreichthums und ähn- licher störender Momente fast vollständig verloren, kann aber dann wieder auftreten, wenn anormalerweise die hemmenden Bedingungen aufgehoben werden. Bei Rana sylvatica zeigt gewöhnlich die Anordnung der Zellen, dass die Chordaleiste in potentia eine Falte ist (Fig. 11); übrigens sieht man hier und da Andeutungen einer Fortsetzung des Urdarmes in die Anlage hinein (Fig. 4) — bald als getrennte Lumina, bald als enge Spalten,. wie bereits für Rana temporaria von ROBINSON and AssHETON (91) hervorgehoben. Bei Amblystoma ist der entoblastische Ursprung der Chorda unbestreitbar. Damit ist aber natürlich nicht gesagt, dass sie nach der völligen Ausbildung der Urwirbelplatten aus einer Falte der Urdarmwand hervorgeht. Im Gegentheil, längere Zeit hindurch bleibt die Chordaleiste in die dorsale Darmwand einfach eingeschaltet, ohne dass dabei eine weitere Wucherung erfolgt. Auf einem früheren Sta- dium ist ferner die Chordaanlage rechts und links mit den beiden 1 Auf die abweichende Lworr’sche Auffassung dieser Schicht kann ich hier nicht eingehen. Sie scheint mir auch nach Lektüre einer seiner letzten Schrift (94) eine sehr gezwungene Interpretation. 342 Herbert Haviland Field Mesodermmassen in innigster Berührung, und doch sehe ich darin keinen Grund die Chorda vom Mesoblast abzuleiten. Will man das mediale Abspaltungsprodukt des Entoblastes den beiden lateralen gleichsetzen und Alles schlechthin zum Mesoblast rechnen, so lässt sich gegen dieses Verfahren wohl nichts einwenden. Falsch wäre es aber, die Chorda als ein Erzeugnis des Mesoblastes zu bezeichnen. Auf einem Stadium, in welchem die Chordaanlage noch in inniger Berührung mit dem Mesoblast ist, haben ihre Elemente fast genau dasselbe histologische Aussehen wie die Zellen des mittleren Keim- blattes, was sehr leicht zu einer Täuschung führen kann. Diese Ähnlichkeit, welche hauptsächlich von der gleichen Größe der Dotterkiigelchen herrührt, lässt sich aber durchaus nicht im vor- liegenden Fall als Beweis für die Herkunft der Chordaelemente aus dem Mesoblast verwenden. Wären die Dotterkugeln der Chorda- anlage bedeutend größer als diejenigen des Entoblastes, und dabei etwa von den gleichen Dimensionen wie die mesoblastischen, so wäre allerdings daraus der Schluss zu ziehen, dass die Chorda nicht aus dem Entoblast, sondern vielmehr aus dem Mesoblast entstanden sei; denn es gilt ja als allgemeine Regel, dass die Dotterelemente in Folge der Differenzirung beständig verbraucht werden, niemals aber an Zahl und Michtigkeit zunehmen'. Allein in der That sind sie kleiner im Mesoblast und in der Chorda als im gemeinsamen Mutterboden, dem Entoblast. In Bezug auf die früheste Entwicklung der Chorda sei nur noch erwähnt, dass ich eine Verwachsung der inneren und äußeren Keim- blätter außer in unmittelbarer Nähe des Urmundes niemals habe nachweisen können. Ein Primitivstreif im Sinne Jomnson’s existirt, meiner Meinung nach, bei den Amphibien nicht. Hierüber, wie in mancher anderer Beziehung stimmen meine Beobachtungen mit den- jenigen ScHwink’s (89) und JorpDAN’s (93) überein. Nachdem die Chorda sich definitiv abgeschnürt hat, bemerkt man bereits in der Vornierengegend eine zweite entodermale Längs- leiste sich erheben, welche die Anlage des subchordalen Stranges darstellt. Die Bildung desselben schreitet nun von hier aus nach vorn und hinten weiter, so dass man bei etwas älteren Larven im vorderen Körpergebiet einen schwach gebogenen runden Stab vor- ! Dem zufolge lässt sich die Herkunft der Urdarmwandung an der Hand der Dotterkugeln mit relativer Sicherheit bestimmen. Eine Reihe von Messungen haben mir nämlich die Überzeugung gebracht, dass eine mächtige dorsale Ein- stülpung, so wie SCHULTZE (89) sich sie denkt, kaum möglich ist. Ich neige mich vielmehr den Angaben Houssay’s (90) zu. Bemerkungen über die Entw. der Wirbelsäule bei den Amphibien etc. 343 findet, welcher in beiden Richtungen in die allgemeine Darmwand ausläuft, wodurch man unwillkürlich an den Nebendarm der Borsten- würmer (EHLERS) erinnert wird. Später wird die Trennung eıne vollständige und der subchordale Strang heftet sich in ganzer Länge eng an dem ventralen Rande der Chorda an, während unter ihm nunmehr die Aorta verläuft. Ich werde gleich hier erwähnen, dass die erste Anlage des subchordalen Stranges bei Amblystoma alternirend Einschnürungen und Erweiterungen seines Kontours zeigt, dass sogar ein vorderes im unmittelbar hinter dem Ohrblischen gelegenen Segment befind- liches Stück zuweilen ganz abgetrennt vom übrigen Strange angelegt wird. Genannte Einschnürungen sind im Großen und Ganzen unregel- mäßig; allein dann und wann glaubte ich doch eine gewisse Ab- hängigkeit von der Körpermetamerie bemerken zu können. Indessen möchte ich kaum von einer metameren Anlage im Sinne Houssay’s (90) sprechen. Vielmehr bin ich geneigt, dieses Verhalten auf einen von den angrenzenden metameren Organen ausgehenden mechanischen Einfluss zurückzuführen. Bei einer verhältnismäßig alten Larve von Amblystoma habe ich den subchordalen Strang auf eine Strecke von etwa 40 u, und zwar im Gebiete des zweiten Rumpfsegmentes !, immer noch in enger Verbindung mit dem Entoblast gefunden, obwohl in seinem übrigen Verlauf bereits längst völlig abgetrennt. Die Aorta war schon in ganzer Länge ausgebildet, so dass dieselbe an der betreffenden Stelle in zwei parallele Stämme sich theilen musste, oder mit anderen Worten, die paarig angelegten Aorten haben sich hier nicht mit ein- ander vereinigen können. Bei Amblystoma ist ein deutlicher Schwanzdarm vorhanden. Es ist zu bemerken, dass der subchordale Strang ebenfalls in dieser Gegend vorkommt. Er stellt nämlich eine Reihe dotterreicher Zellen dar, die sich dem ventralen Rande der Chorda entlang, bis zu deren caudalen Spitze fortsetzt, auch da wo dieser Theil der Chorda bereits zu degeneriren angefangen hat. In der Kopfgegend hingegen hört der subchordale Strang weit hinter dem Vorderende der Chorda, und zwar gewöhnlich im Gebiete des Gehörbläschens, plötzlich auf. Als erste histologische Differenzirung der Chordazellen darf man wohl die Bildung der Cuticula Chordae (Figg. 5—9 cut.ch) oder 1 Nach der früher von mir gebrauchten Aufzählung der Somite wäre dieses als Körpersomit IV zu bezeichnen, wobei das I. unmittelbar hinter dem Ganglion nodosum liegt. 344 Herbert Haviland Field Elastica interna der Autoren bezeichnen. Sie bildet zuerst eine äußerst dünne Lamelle, die sich aber bald von den fast un- sichtbaren Zellenwänden scharf unterscheidet. Bei Rana sieht man zuweilen diese Membran zu einer Zeit, wo die Chorda nur unvoll- ständig vom Entoblast abgespalten ist; eigentlich bedingt sie ge- wissermaßen durch ihr Auftreten jene Trennung. Auf diesem Stadium nimmt die Chorda eine auf Querschnitten runde Form an, so dass die angrenzenden mehr oder minder festen Zellenmassen (Urwirbel, Nervenrohr) sie keineswegs an der ganzen Peripherie berühren. Dieser Umstand nämlich, dass die Cuticula Chordae sich zu einer Zeit anlegt, wo die Chorda gewissermaßen frei liegt, — denn die skelettbildende Hülle tritt erst später auf — beweist schon zur Ge- nüge, dass dieselbe ein Produkt der Chordazellen ist, und nicht etwa von außen herstammt. Bei älteren Stadien lässt sich diese Entstehungsweise an der genauen Anpassung der äußeren Chordazellen an die Unregelmäßigkeiten der Membran erkennen, wie bereits von Hasse (92, pag. 10) hervorgehoben. Letzterer Grund ist wohl kein zwingender; allein in Bezug auf die frühe Entwicklung kann absolut kein Zweifel herrschen. In Betreff der Umbildung der Chordazellen besteht wohl die erste Veränderung darin, dass die Elemente sich rasch theilen und die Form von recht dünnen Täfelchen (Figg. 10 u. 14) annehmen, die sich dann senkrecht zur Längsachse orientiren und dadurch der Chorda auf Tangentialschnitten den Anschein einer förmlichen Ring- faserung verleihen. Bei Amblystoma, wo die Chordazellen ursprüng- lich keine regelmäßige Anordnung zeigen, treten nun Vacuolen ganz regellos, zum Theil intra- aber auch intercellulär auf!. Der Durch- messer der Chorda kommt zu dieser Zeit ungefähr der Breite von 3—4 Chordazellen gleich, so dass man auf fast jedem Schnitt Zellen sieht, die nicht zur Oberfläche gelangen. Bei Rana und Bufo, wie auch bei Triton, findet man hin- gegen nur gelegentlich centrale Zellen. In der Achse sieht man öfters, namentlich aber bei Bufo, einen kleinen stark pigmentirten Bezirk (Fig. 13), so dass die ganze Chorda fast den Anschein einer Röhre hat. Bei den nämlichen Gattungen treten an dieser Stelle 1 Ich bin davon überzeugt, dass diese ersten Umbildungen nicht lediglich auf einen einfachen Process der Vacuolisirung, wie sie Lworr (87) sich denkt. beruht, sondern dass hier die Bildung von Lakunen zwischen den ein- zelnen Zellen ebenfalls im Spiel ist. Wie die ausgebildete Chorda sich verhält, kann ich nieht angeben. Bemerkungen über die Entw. der Wirbelsäule bei den Amphibien ete. 345 die ersten Vacuolen auf, ich bin desswegen geneigt, diese zum Theil von den früher besprochenen Urdarmspalten abzuleiten. Die Vacuolisirung der Chorda, zusammen mit der regen Wuche- rung ihrer Zellen — ein Vorgang, welchen wieder der rasche Ver- brauch der Dotterkugeln dokumentirt — hat nun zur unmittelbaren Folge eine bedeutende Spannung der elastischen Chordamembran, wodurch einerseits eine plötzliche Erweiterung der Chorda — bei Rana sylvatica im Verhältnis von 2,5 zu 3,0 — bewirkt, anderer- seits ein Druck auf den Chordainhalt ausgeübt wird. Letzterer Um- stand mag wohl der Grund für die Abplattung der Elemente und die Bildung des »Chordaepithels« sein (Fig. 19). In einer früheren ausführlichen Abhandlung bin ich bereits (91, pag. 224—226, 245, 255, 256) auf die ersten Differenzirungen der Urwirbel eingegangen, desswegen werde ich jetzt bloß die allge- meinen Resultate, und zwar zunächst für Rana, kurz besprechen. Die Urwirbelhöhle verharrt während der ganzen Entwicklung eng an der oberen lateralen Wand der Urwirbel (Fig. 1), so dass das somatische Blatt (som) aus einer einzigen Schicht Zellen besteht. Dasselbe liefert, außer dem zwischen Myotomen und Haut gelagerten Bindegewebe resp. glatter Muskulatur, ebenfalls, und zwar vermittels einer herabwachsenden Falte 1) die Vornierenkapsel und 2) die gestreifte Muskulatur des Bauches und der Extremitäten !. Der Kern der Urwirbel, welcher hauptsächlich zur Stammmuskulatur — im Kopf liefert er auch vielfach Mesenchym — verwandelt wird, ist demnach zum splanchnischen Blatt zu rechnen. Bei der Umbildung dieses Urwirbeltheiles in Muskelelemente bleibt immer eine dünne mediale Randschicht bestehen, welche zusammen mit dem redueirten somatischen Blatt eine vollständige Hülle um die Urwirbelplatte herum bildet. Am unteren lateralen Winkel des Myotoms, in unmittelbarer Nähe des früheren »Verbindungskanales« (Mittelplattenspalte), beginnt nun. diese Schicht sich vom Myotom selber abzuheben und bildet die erste Anlage des Sklerotomdivertikels (sc/-tm). Dasselbe | wächst dem ventralen Rande des Myotoms entlang bis in die un- mittelbare Nähe der Chorda hinein. Hier findet nun eine ausge- sprochene Wucherung dieser Deckschicht statt, deren Hauptrichtung dorsalwärts um die Chorda gelegen ist. Zu der auf diese Weise entstehenden Zellenmasse gesellen sich ferner ohne Zweifel Zellen, ı Siehe FıELD (94). Morpholog. Jahrbuch. 22. 23 346 Herbert Haviland Field die von der angrenzenden Somatopleura abstammen. Beim Zerfall der Urwirbelplatte in einzelne Urwirbel schiebt sich endlich ein Theil der erwähnten Urwirbelhülle zwischen die Theilstücke hinein (Fig. 12 u. 17). Diese eingestülpte Lage liefert außer der Mem- brana intermuscularis auch gewisse Bestandtheile der Wirbel, wovon weiter unten die Rede sein wird. Bei Amblystoma ist das Verhalten der Urwirbel in so fern ein anderes, als die Urwirbelplatte viel dünner ist als bei Rana und in Folge dessen bis zum Stadium des metamere Spalten ent- haltenden Vornierenwulstes, aus einer mächtigen einschichtigen Lage von gleichmäßiger Dicke besteht. Erst später bemerkt man eine rege Wucherung, an welcher lediglich der dem Rückenmark nächst- liegende Abschnitt des gemeinsamen Urwirbelblattes Theil nimmt. Wenn wir die oberen der Ganglienleiste am nächsten gelegenen Kanten der Urwirbel zur Abgrenzung des somatischen vom splanchni- schen Mesoderm verwenden, so ist es klar, dass das aus genannter Einwucherung hervorgehende Myotom lediglich zum letzteren gehört. In Folge der späten Ausbildung des Urwirbelkernes fällt dieser Vor- gang gewissermaßen mit dem Auswachsen des Sklerotomdivertikels zu- sammen; oder, mit anderen Worten, es vereinigt sich die einwuchernde Zellenmasse niemals an dieser Stelle mit der ventralen Randsehicht des Urwirbels, sondern lässt beim Vorwachsen einen engen keilförmigen Spaltraum offen, welcher das proximale Anfangsstück des Sklerotom- divertikels darstellt. Sonst geht die Entwicklung fast genau wie bei Rana vor sich. Die erste Modifikation in der hauptsächlich aus den Urwirbeln entstandenen skeletogenen Schicht besteht in der Bildung einer zweiten cuticulären Membran im Umkreise der Chorda. Diese Mem- bran stellt die Cuticula sceleti Hasse’s dar. Zuweilen habe:ich ein ziemlich weites Intervall zwischen ihr und der Chorda gesehen %allein es war mir unmöglich, bestimmt zu erschließen, ob der beobachtete Zustand beim nichtkonseryirten Thier ebenfalls obwaltet. Wenn dem jedoch so ist, so ist es sehr wohl möglich, dass gewisse Zellen schon von Anfang an zwischen denWyeiden Membranen vorkommen. Wie dem auch sein mag, so gelangen bei den Urodelen eine Anzahl Zellen über kurz oder lang zwischen die Cuticula chordae und C. sceleti hinein. Hier bilden sie in jedem Intervertebralgebiet einen deut- lichen Ringwulst (Fig. 16 cart. int-vert), die Anlage des Zwischen- wirbelknorpels, welcher nun die Cuticula sceleti (cwt. sc) an den betreffenden Stellen ziemlich weit von der Chorda abhebt und sie Bemerkungen über die Entw. der Wirbelsäule bei den Amphibien ete. 347 endlich in eine Reihe den definitiven Wirbeln entsprechender Ab- schnitte theilt. Jedes Segment der Cuticula sceleti bildet von jetzt an einen stundenglasférmigen Doppelkegel, dessen Einschnürung der Mitte des künftigen Wirbels entspricht. Der bei den Anuren beobachtete Vorgang unterscheidet sich vom oben geschilderten zunächst und vorzugsweise dadurch, dass die Cuticula sceleti, wenn auch wohl immer vorhanden, doch im hohen Grade rudimentär bleibt. Ferner kommen keine getrennten Zwischenwirbelanlagen zur Ausbildung. In wie weit dies als eine Folge des theilweisen Ausfalls der Cutieula sceleti aufzufassen ist, muss ich vollständig hingestellt lassen. Wir haben bereits gesehen, wie die Membrana intermuseularis der zwischen den Myotomen eingestülpten Urwirbelhülle ihren Ur- sprung verdankt. Längere Zeit hindurch bilden diese eingewanderten Zellen eine fast unsichtbare Lage, deren Existenz jedoch durch das Vorkommen einer Reihe nicht zu den Muskelzellen gehörigen Kerne nachzuweisen ist. Im uns zunächst interessirenden Stadium aber fängt diese Schicht an, in einem bestimmten Bezirk zu wuchern. Diese intermuskulären Wucherungen verbinden sich medialwärts mit der in entsprechende metamere Ringe sich auflösenden Skeletogen- schicht, wovon jeder den Rückenmarkskanal umschließt und die An- lage eines Wirbelbogens darstellt. Die Verknorpelung geht von einzelnen Zellen oder Zellengruppen aus. Bei den Urodelen erstreckt sie sich auch auf die Zwischen- wirbelwülste, die aber den angrenzenden Wirbeln entsprechend, in zwei Abschnitte zerfallen. Bei Amphiuma,, die ich neulich auf diesen Punkt besonders untersuchte, sprechen die Befunde unstreitig dafür, dass die Chordazellen, und zwar speciell diejenigen des Chorda-Epithels, die Elemente für den Knorpel liefern. Dieser Satz, obwohl er die große Autorität GEGENBAUR’S (62) für sich hat, lässt sich kaum als die herrschende Ansicht bezeichnen. Als Hauptgegner des »chordalen Ursprungs« des Knorpels dürfte man wohl Lworr betrachten, für welchen ferner das Chordagewebe als wahres Epithel von einem Bindegewebe, wie der Knorpel, himmelweit verschieden sein soll. Lworr schreibt (87, pag. 313): »Der Knorpel, welcher innerhalb der Chorda vorkommt, entsteht nicht aus den Elementen der Chorda (wie dies GEGENBAUR und GOETTE meinen) sondern, vom perichordalen Gewebe auswachsend, verdrängt er und zerstört die Chorda im Gebiete eines jeden Wirbels. Auf der Oberfläche der Chorda befinden sich die Zellen des Chorda- 23* 348 Herbert Haviland Field Epithels, die von anderen Autoren beschrieben worden sind. Seine Zellen ragen beim Axolotl mit dem einen Ende in die Intervalle zwischen den vakuolisirten Zellen hinein. Einen euticularen Saum auf den Zellen des Chorda-Epithels habe ich hier nicht vorgefunden.« ZYKOFF (93) hat neuerdings diese Ansicht von Lworr bestätigt und eine massenhafte Einwucherung von Zellen aus den Zwischen- wirbelknorpeln beschrieben. Ein derartiger Vorgang ist nicht bei Amphiuma zu sehen. Im Gegentheil lässt sich die Chordascheide nach Anfang des Verknorpelns noch mit aller Klarheit verfolgen. Sie bildet eine vollständige Hülle um die Chorda herum und zeigt nirgends die von ZYKOFF beschriebenen Unterbrechungen. Man ist also ge- zwungen, entweder die Verwandlung der Chordazellen in Knorpel- elemente, oder aber das Eindringen einzelner mesenchymatischer Zellen durch jene Scheidewand in das Innere der Chorda hinein zu postuliren. Derartige diffuse Durchwachsungen erheben allerdings einige theoretische Bedenken, und doch sind sie offenbar einer solchen Natur, dass sie sich nothwendigerweise der direkten Beobachtung an todten Objekten sehr leicht entziehen. Gegen eine solche Annahme kenne ich keinen zwingenden Beweis, doch will es mir recht sonderbar er- scheinen, dass solche fremdartigen Elemente sich Anfangs in nichts von den gewöhnlichen Chordazellen resp. Kernen unterscheiden. Auch habe ich die skeletbildenden Zellen niemals eindringen sehen. Das sind nun wenigstens »Wahrscheinlichkeitsbeweise. Man mag übrigens was immer für eine Vorstellung von dem ersten Ursprunge ‘der Knorpelelemente haben, so muss man wenigstens die Gültigkeit folgenden Satzes anerkennen: Der Chordalknorpel bildet sich bei Amphiuma im Gebiete der Chorda selber. Seine Um- wandlung beruht auf »einem innerhalb der Chordascheide verlaufenden Process« (GEGENBAUR 62) 1. Die Wucherung, welche den intrachordalen Knorpel erzeugt, geht wohl hauptsächlich vom Chorda-Epithel aus, sie bildet aber eine deutliche Platte, welche die ganze Chorda durchsetzt. Ein »Funieulus« besteht also bei Amphiuma nicht. Die Verknöcherung der knorpeligen Wirbelsäule habe ich bis jetzt nur flüchtig untersucht. Der Knorpel wird von einem deutlichen ! Ich finde im neulich erschienenen Aufsatz von V. SCHMIDT einen in dieser Hinsicht sehr wichtigen Befund. Der Chordastab, welcher das Schwanzende der Chorda bildet, geht bei Amblystoma wie auch bei anderen Wirbelthieren in einen wahren Knorpel über. Die Zugehörigkeit dieses Stabes zur Chorda glaubt ScHMmipT außer Zweifel zu setzen (93, pag. 367—369). Bemerkungen über die Entw. der Wirbelsäule bei den Amphibien ete. 349 Perichondrium umgeben, welches als ein Überbleibsel der äußersten Zellen der häutigen Anlage zu betrachten ist. Beim intrachor- dalen Knorpel scheint diese Schicht zu fehlen, was wiederum wohl mit der eigenartigen Entstehungsweise dieses Gewebes zu- sammenhängt. Die ersten Osteoblasten fand ich im Perichondrium. Während der Ausbildung der häutigen Wirbelanlage verschwin- det nach und nach der subchordale Strang. Er verlässt seine ur- sprüngliche Lage an der ventralen Fläche der Chorda und wird allseitig vom skeletbildenden Gewebe umflossen. Von diesem Augen- blick fällt er in unverkennbarer Weise der Degeneration anheim. Ich glaube nicht, dass er irgend welchen Antheil im Aufbau des Körpers nimmt. Man sollte in der That nicht vergessen, dass er sich sehr frühzeitig durch eine, der Cuticula Chordae ähnliche, zellenlose Scheide vom übrigen Gewebe bereits abgekapselt hat (Figg. 2 und 3). Man könnte mir wohl den Vorwurf machen, dass ich mich nur unbestimmt über die Frage der »Neugliederung« der Wirbelsäule im Sinne v. EBneEr’s (89) ausgesprochen habe. Dies ist aber absichtlich geschehen, denn die ganze Frage scheint mir unwesentlich, oder gar — hier habe ich lediglich Nachfolger v. EBnEr's im Sinne — verfüh- rerisch. Die wichtige Frage bleibt nach wie vor die Herkunft der skeletogenen Elemente. Für diejenigen, die für dieselben einen Ur- wirbel-Ursprung annehmen, versteht sich folgender Satz von selber: Die Metamerie der Wirbelsäule entspricht derjenigen ucr Urwirbel nicht; folglich muss eine gewisse Neugliederung des aus den letzteren ent- standenen Skeletgewebes stattfinden. Diese höchst elementare That- sache enthält nun alles Wesentliche, was wir darüber zu wissen brauchen. Damit ist einerseits keineswegs gesagt, dass sämmtliche aus den Urwirbeln austretenden Zellen jede Spur einer metamerischen Anordnung aufgeben, um die neue Gliederung anzunehmen, noch andererseits, dass jeder Wirbel durch die Conerescenz zweier Ur- wirbelhälften als entstanden zu denken ist. In der Darstellung der Entstehungsweise der Wirbelbögen habe ich gezeigt, wie ein Theil der Scheidewand zwischen den einzelnen Myotomen die Querfortsätze dureh direkte Wucherung liefert. Will man desswegen eine Über- tragung der Myotomenmetamerie auf die Wirbelsäule behaupten? Freilich müsste man sehr wenig Sinn für die Beurtheilung embryo- logischer Vorgänge haben, wollte man nur dann eine Unabhängig- keit von der ursprünglichen Metamerie annehmen, wenn sämmtliche zwischen den Myotomen gelagerten Zellen nach der medialen un- segmentirten Zone hin auswanderten, um dann, als unsegmentirte Ele- 350 Herbert Haviland Field mente umgetauft, wieder zwischen die Muskelmassen einzudringen. Dann wäre allerdings die ursprüngliche Metamerie gründlich ver- wischt! Andererseits muss man sich gegen eine Deutung dieser That- sache, sowie der von v. Esner entdeckten Intervertebralspalten im Sinne einer Verwachsungstheorie der Wirbel verwahren. Es würde, meine ich, kaum lohnen, die außerordentlich reiche Litteratur der verschiedenen in diesem Aufsatz berührten Fragen eingehend zu besprechen. Ich werde mich hauptsächlich darauf beschränken, einige Unterschiede zwischen meinen Angaben und denjenigen HAsse’s zu erwähnen. Über die frühesten Entwicklungsstufen stand Hasse kein Material zur Verfügung. Sonst hätte er sicherlich mit noch größerer Bestimmt- heit seine Annahme einer von der Chorda selber abgeschiedenen Cutieula geltend gemacht. Ich bestätige vollkommen die Angabe Hasse’s und mache dabei auf die frühe Entwicklung aufmerksam, worüber kein Zweifel bestehen kann!. Der Mangel an jungen Entwicklungsstadien mag ferner der Grund dafür sein, dass Hasse die Entwicklungsweise der skelettbildenden Schicht zum Theil falsch gedeutet hat. Hasse schrieb (92%, pag. 260): »Sie [nämlich die skeletogenen Zellen] erstrecken sich ventral über die ganze Wirbelsäule und sind neben der Aorta und dem subehordalen Zellstrang am stärksten angehäuft. Dasselbe ist in der dorsalen Mittel- linie der Fall. An dem ventralen Theil der Seitenfläche des Rücken- markes sind sie aber in den Zwischenräumen zwischen den Meso- dermsegmenten in größerer Anzahl vorhanden und beginnen sich von hier aus dorsal über die Chorda, zwischen ihr und das Rückenmark zu schieben. Dasselbe geschieht an den Seitenflächen der Rücken- saite. Auch hier wachsen sie, aber sowohl von der dorsalen, wie von der ventralen Seite her, den Räumen zwischen den Mesoderm- segmenten entsprechend, um die Chorda herum, lassen aber anfänglich den Theil der Seitenfläche der Chorda, welcher der Mitte eines Meso- dermsegmentes entspricht, frei, denn man sieht hier das Mesoderm- segment der Rückensaite unmittelbar anliegen. Daraus geht klar hervor, dass die in der dorsalen und ventralen Mittellinie zusammen- hängend von vorn nach hinten sich ausdehnende Masse der skelet- ! Nachdem ich diese Zeilen bereits geschrieben, kam mir die interessante Abhandlung V. Scamipr's (93) zu Händen. Scumipr liefert ebenfalls an der Hand ganz früher Stadien den Beweis, dass die innere Scheide der Autoren bei Amblystoma »ein Abscheidungsprodukt der Chordazellen ist« pag. 355). ” Bemerkungen über die Entw. der Wirbelsäule bei den Amphibien etc. 351 bildenden Schicht seitlich ursprünglich vollkommen metamer, den Zwischenräumen der Mesodermsegmente entsprechend, gegliedert ist und sich von hier aus kontinuirlich um das Rückenmark und um die Chorda herum ausbreitet. « Das Alles klingt nun wie eine exakte Schilderung. Auch die Figuren Hasse’s scheinen auf den ersten Blick in vollem Einklang mit seiner Beschreibung. Indessen kann ich mich damit weder in Betreff der Herkunft noch der ursprünglichen Anordnung des skele- togenen Gewebes einverstanden erklären. Hasse neigt sich ferner der Ansicht zu, dass die betreffenden Elemente vermittels der Blut- bahnen herbeigeschleppt werden. Zur Stütze dieser Hypothese lässt sich wohl kaum ein anderer Grund anführen als die ganz allgemeine Ähnlichkeit, die zwischen den Blutzellen und den skeletogenen Ele- menten existirt. Allein dagegen kommen nicht nur a priori Bedenken in Betracht, sondern wird die Ansicht durch direkte Beobachtungen bei verschiedenen Klassen unwahrscheinlich gemacht, wenn auch nicht vielleicht absolut widerlegt. Weder die Gefäßstämme noch der subehordale Strang hat etwas damit zu schaffen. Diesen Schluss gebe ich hier ziemlich apodiktischer Form. Da ich mich aber auf die direkte Beobachtung berufe, so liegt es mir ob, zu zeigen, wie HassE bei seiner Interpretirung fehlgeschlossen hat. Die Sachlage ist folgende: auf dem Niveau der Chorda entsteht das erste skeletbildende Gewebe aus der medialen Rindenschicht der einzelnen Urwirbel. Als nun diese Schicht anfängt sich in dasselbe aufzulösen, so ist es klar, dass der Vorgang in den intersegmentalen Gebieten sich früher vollziehen würde als in der Mitte eines Somits. In letzterer Gegend liegt die skeletogene Schicht im ohnehin engen Raum zwischen den Urwirbelkernen und den axialen Organen — Chorda und Rückenmark. Daraus erhellt, dass diese Anlage hier einen epithelartigen Bestandtheil des Myotomes in ausgeprägter Weise vortäuschen muss, noch lange nachdem ihre übrigen Zellen vom epithe- lialen Verbande bereits ausgetreten sind. Aus den Figuren Hasse’s lässt sich schon vermuthen, dass er jenen Theil der Rindenschicht in der That als zum Myotom gehörig betrachtet. Wenn man nun diesem Umstand bei der Lektüre seiner Beschreibung Rechnung trägt, so stimmen unsere diesbezüglichen Beobachtungen in allen wesentlichen Punkten genau mit einander überein. Nach Hasse soll bei den Anuren überhaupt keine Cuticula sceleti existiren. In seiner zweiten Abhandlung heißt es (92°, pag. 262): »So- mit muss ich behaupten, dass diese Schicht [ein eng an der Cutieula 332 Herbert Haviland Field chordae verlaufender Streifen], welche wohl den Autoren als Elastica externa vorgeschwebt hat, nichts weiter ist als eine verdichtete Lage der Cuticula chordae ohne irgend welche Beziehungen zur skeletbil- denden Schicht. Dafür spricht auch unter Anderem ihr spätes Auftreten, während die Cuticula sceleti stets frühzeitig gebildet wird.« Was die beobachteten Thatsachen anbelangt, so bin ich auch hier voll- kommen mit Hasse einig, allein seiner Deutung derselben kann ich wieder nicht ganz beipflichten. Es unterliegt zunächst keinem Zweifel, dass die Cuticula sceleti, wenn überhaupt bei den Anuren vorhanden, doch höchst rudimentär ist und dass sie so gut wie ganz ohne Be- deutung für die weitere Entwicklung bleibt. Es fragt sich denn ein- fach danach, ob jener äußerste euticuläre Streifen nicht vielleicht vom umgebenden Gewebe herstammt. Die entgültige Lösung dieser Frage ist offenbar ganz außerordentlich schwierig. Allein darüber scheint mir der Lauf der Entwicklung gewissermaßen Aufschluss zu geben. Hasse scheint nicht gewusst zu haben, dass die Cuticula chordae bei den Amphibien ungemein früh entsteht. Sie ist schon — ich möchte fast sagen — beim ersten Auftreten der Chorda unter günstigen Bedingungen leicht nachweisbar. Im Laufe der Entwicklung nimmt nun dieser cuticuliire Saum beständig zu, wobei selbstverständlich die neuen Ausscheidungen auf die innere Oberfläche der früheren abgelagert werden. Bis in recht späte Stadien hinein sieht nun die Chordascheide ganz homogen aus. Erst nachdem sie eine bedeutende Dicke erreicht hat, tritt dann plötzlich »die scheinbare Elastica« auf. Wenn sie von außen her stammt, so bietet ihr spätes Auftreten nichts Sonderbares. Wie sollen wir aber erklären, dass dieser zuerst ab- gelagerte Grenzsaum anders geschaffen war wie die innere Zone, ohne dass man in früheren Stadien etwas davon bemerken könnte? Meines Erachtens legt gerade sein »spätes Auftreten« davon Zeugnis ab, dass er doch als Cuticula sceleti aufzufassen ist. Die Beziehungen, die ich zwischen den Urwirbelscheidewänden und den Wirbelbögen aufzufinden glaube, sind, so weit ich weiß, bis- herigen Beobachtern entgangen. Zum Schluss sei hier noch einmal betont, dass die Chorda wenig- stens bei Amphiuma, keineswegs von den skeletbildenden Massen so verdrängt wird, wie nach den landläufigen Ansiehten angenommen, sondern die Chorda-Elemente, und zwar insbesondere diejenigen des Chorda-Epithels, werden aller Wahrscheinlichkeit nach zu Knorpel- zellen umgebildet. Die Cuticula chordae zieht kontinuirlich über sie hinweg, umhüllt sie und bildet nach wie vor die eigentliche Grenze der Bemerkungen über die Entw. der Wirbelsäule bei den Amphibien etc. 353 Chorda nach außen. Daraus erklärt sich die sonst sonderbare Thatsache, dass der Chordaknorpel ohne scharfe Grenze in das unveränderte Chordagewebe übergeht, während er gegen die ebenfalls knorpeligen Bögenanlagen sehr deutlich durch eine innere und eine äußere Cuticula abgesetzt wird}. Die allgemeine Form der knorpeligen Wirbelsäule bei Amphi- uma werde ich an der Hand einer Rekonstruktion darstellen (Figg. 20, 21). Der rekonstruirte Theil des Systems umfasst etwa zwei mehr oder minder abnorme und einen normalen Wirbel. Denjenigen, dessen Mitte etwa im Querschnitt Nr. 1485 gelegen ist, können wir als vollkommen normal bezeichnen, nur ist hier die Symmetrie durch den überzähligen Wirbelbogen des nächsten Segments etwas gestört. Der Wirbelkörper ist blau gezeichnet, wie die bereits knorpeligen Theile überhaupt. Derselbe besteht aus einem durch Umwandlung gewisser Chordazellen entstandenen Kerne und aus den Cuticular- membranen (Fig. 18). Der Wirbelbogen stellt einen Hauptschild etwa in Form eines gewöhnlichen verschiebbaren Wagenverdeckes dar. Sein oberer caudaler Kamm wird auf kurzer Strecke yon der Kuppe des nächstfolgenden Wirbels dachziegelartig überdeckt, während ein nach vorn gerichteter Fortsatz der lateralen Wand beiderseits eine direkte Verbindung mit dem vorhergehenden Bogen vermittelt. Neben dem chordalen Ursprunge des Bogens geht ein Fortsatz in der Quer- richtung zwischen die Muskelmassen ab. Der Umfang der Chorda bleibt ungefähr derselbe in seinem ganzen Verlauf; denn die geringe Einschnürung, die sie im Niveau der Wirbelbögen erfährt, beträgt bei der für die Rekonstruktion ge- brauchten Vergrößerung kaum mehr als anderthalb Millimeter. Die großen Anschwellungen, die man alternirend zwischen den Bogen- ursprüngen bemerkt, liegen also ganz und gar außerhalb der Chorda resp. ihrer inneren Scheide. Sie stellen die bereits erwähnten noch nicht völlig verknorpelten Zwischenwirbelknorpelanlagen dar. Wenn wir nun von diesem Segment ausgehen, so erreichen wir erst nach 46 Schnitten den darauf folgenden Wirbelkörper, während sonst in der ganzen Serie das Intervall nur 30, oder höchstens 36 Schnitte beträgt. Dieser zweite Wirbelkörper zeichnet sich nur da- ! Siehe ferner den abnormen Zustand, welcher im folgenden Theil dieses Aufsatzes beschrieben wird. 354 Herbert Haviland Field durch aus, dass der Knorpel eine kleine Fortsetzung — eine Zunge — der ventralen Chordafläche entlang nach vorn treibt. Zwischen den beiden Wirbelkörpern ist sonst im Inneren der Chorda keine Spur von Knorpel nachzuweisen; allein das mächtige Zwischenwirbelpolster zeigt auf der linken Seite eine tiefe Delle, aus welcher nun die linke Hälfte eines Wirbelbogens emporsteigt. Auf der anderen Seite aber ist absolut nichts, was als Wirbelbogen zu deuten wäre, vor- handen, sondern der linke Bogen geht etwas oberhalb der bereits erwähnten Artieulation in den nächstfolgenden über (s. Fig. 20 u. 21). Der Querfortsatz ist eben so gut entwickelt wie auf jedem anderen Bogen und in der That zeigt diese Bogenhälfte sonst überhaupt nichts Abnormes. Für die allgemeine Auffassung der Entwicklung der Wirbel- säule hat nun dieses eigenthümliche Segment wohl keine sehr große Bedeutung. Indessen schien es mir angemessen, hier über eine solche Sonderheit kurz zu berichten, zumal sie nur mit Hilfe einer sehr umständlichen Rekonstruktion zu konstatiren war. Derartige Angaben über frühe Stadien existiren desshalb einfach nicht. Für das jetzige Problem hat dieser Fall mindestens in so fern eine ge- wisse Bedeutung, dass er die Unabhängigkeit des chordalen vom extrachordalen Verknorpelungsvorgang uns vor Augen führt. Paris, Lab. de M. A. MıLne-EpwArpvs au Muséum, 3. August 1894, Litteraturverzeichnis, EBNER, VICTOR VON. 89. Urwirbel und Neugliederung der Wirbelsäule. Sitz.-Ber. Akad. Wien Bd. 97. 3. Abth. pag. 194—306, 2 T. FIELD, HERBERT HAVILAND. 91. The Development of the Pronephros and Segmental Duct in Amphibia Bull. Mus. Comp. Zool. Harv. Coll. Vol. 21, pag. 201—340, 8 Pl. 94. Die Vornierenkapsel, ventrale Muskulatur und Extremitätenanlagen bei den Amphibien. 5 Abbildgn. Anat. Anzeig. Bd. 9. No. 23, pag. 713—724. GEGENBAUR, CARL. 62. Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule der Amphibien und Reptilien. 72 pag. 4 Taf. HASSE, CARL. 92. Die Entwicklung der Wirbelsäule von Triton taeniatus. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 53, Suppl. pag. 1—20, Taf. 1—3. Bemerkungen über die Entw. der Wirbelsäule bei den Amphibieu etc. 355 922, Die Entwicklung der Wirbelsäule der ungeschwänzten Amphibien. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 55, pag. 252—264. Taf. 12. Houssay, FREDERIC. 90. Etudes d’embryologie sur les Vertebrés. I—III. Arch. Zool. Exper. (2), Tome 8, pag. 143—244, Pl. 10—14. JORDAN, E. 0. 93. The Habits and Development of the Newt(Diemyctylis viridescens). Journ. Morph. Vol. 8, pag. 269—366, Pl. 14—18. Lworr, B. 87. CpaBuureibHo-anaTomuyeckoe USCAbAOBaHie XOpAbI U O60A10YEH XOpALI y ps16%. Bull. Soc. Natural. Moscou (2), Tome 1, pag. 227—342, Pl. 4—6. [Vergleich.-anatom. Unters. über die Chorda und die Chordascheide bei den Fischen. — Auszug. ibid. pag. 442—482.] 94. Die Bildung der primären Keimblätter und die Entstehung der Chorda und des Mesoderma bei den Wirbelthieren. ibid. Tome 8, pag. 57—137, 160—256. 3 Fig. Taf. i—6. Rosinson, ARTH. and RıcH. ASSHETON. 91. The Formation and Fate of the Primitive Streak, with Observations on the Archenteron and Germinal Layers of Rana temporaria. Quart. Journ. micr. Sc. (2) Vol. 32, pag. 451—504, Pl. 34, 35. ScHMIDT, VICTOR. 93. Das Schwanzende der Chorda dorsalis bei den Wirbelthieren. Anat. Hefte Bd. 2; pag. 335—388, Taf. 16—18. SCHULTZE, OSCAR. 89. Uber die Entwicklung der Medullarplatte des Froscheies. Verh. physik- med. Ges. Wiirzb. (2) Bd. 23, pag. 1—23, Taf. 1, 2. SCHWINK, F. 89. Uber die Entwicklung des mittleren Keimblattes und der Chorda dorsalis der Amphibien. 54 pag. 2 Taf. München. ZYKOFF, W. 93. Uber das Verhiltnis des Knorpels zur Chorda bei Siredon pisci- formis. Bull. Soc. Natural. Moscou (2), Tome 7, pag. 30—36, Pl. 2. Erklärung der Abbildungen. Tafel XII. Fig. 1. Querschnitt durch eine Larve von Rana sylvatica im Stadium der ersten Vornierendivertikel. Fig. 2. Querschnitt durch die sich vacuolisirende Chorda nebst subchordalem Strang einer Larve von Rana sylvatica. Fig. 3. Chordaquerschnitt aus der gleichen Larve. Etwas weiter nach vorn. Fig. 4, Querschnitt durch die Chordaanlage eines Rana-Embryos mit weit offener Medullarplatte. Figg. 5—9. Querschnitte durch die Chorda einer Larve von Bufo americanus. Fig. 5 ist etwas vor der Aftergegend genommen; Fig. 6 stammt aus 356 Herbert Haviland Field, Bemerkgn. über die Entw. der Wirbelsäule etc. der Mitte des Rumpfes; Fig. 7 ist im Niveau der Vorniere; Fig. 8 trifft das Ohrbläschen; Fig. 9 stellt die vordere Chordaspitze dar. Der im Ei Fig. 10. Frontalschnitt durch die Chordaanlage eines Froschembryos mit offener Medullarplatte. Fig. 11. Querschnitt durch die dorsale Partie einer Larve von Rana syl- vatica im gleichen Stadium der Entwicklung. Fig. 12. Frontalschnitt durch das 3. u. 4. Myotom einer Larve von Rana sylvatica mit 7 Urwirbeln. Fig. 13. Querschnitt eines Embryo von Bufo americanus im Niveau der Vorniere. Etwa 6 Urwirbel sind bereits angelegt. Fig. 14. Frontalschnitt durch die Chorda eines Embryos von Rana Red ative mit soeben geschlossener Medullarröhre. Fig. 15. Querschnitt durch den dorsalen Theil eines Embryos von Rana sylvatica mit ausgesprochener Medullarrinne. Tafel XIII. Fig. 16. Längsschnitt eines Embryos von Amphiuma mcans. stark aufgerollte Embryo ist hier beinahe in der Sagittalebene ge- troffen; allein eine leichte Drehung desselben auf der Längsachse hat es mit sich gebracht, dass der Ursprungstheil der Wirbelbögen auf der einen Seite zu Gesicht kommt. Fig. 17. Frontalschnitt durch die Chorda einer Larve von Rana sylvatica mit bereits angelegter hinterer Extremitätsknospe. Fig. 18. Querschnitt durch den axialen Theil einer ausgeschlüpften Amphiuma- larve. Die Figur stellt den 1530. Schnitt der Serie dar, von welcher die Rekonstruktionen 20 und 21 stammen. Fig. 19. Der 1537. Schnitt derselben Serie. Figg. 20 u. 21. Rekonstruktion der 46 bis 48 Wirbel einer ausgeschlüpften Larve von Amphiuma means. Fig. 20 von der linken Seite, Fig. 21 von unten gesehen. Allgemein gültige Bezeichnungen: ao Aorta, ect Ektoderm, arc.sup-num überzähliger halber Wir- ent Entoderm, belbogen, ggl.sp Spinalganglion, are.vert Wirbelbogen, arc.vert caudaler Fortsatz des halben Wirbelbogens, cart.int-vert Zwischenwirbelknorpelan- lage, caud caudal, cd.sp Rückenmark, ch Rückensaite, coel Leibeshöhle, corp.vert Wirbelkörper, eran eranial, cut.ch Cutieula chordae, cut.sb-ch Cuticula des Stranges, cut.sc Cuticula sceleti, subchordalen in Darm, lam.med Medullarplatte, lig.int-muse Zwischenmyotomfaser- schicht, mes Mesenchym, ms-dm Mesoderm, my-tm Myotom, pr-nph Vorniere, pr-vert Urwirbel, sb-ch subchordaler Strang, scl-tm Sklerotom, som somatisches Mesoderm, spl splanchnisches Mesoderm, vs.aud Gehörbläschen. Taf. X11. > ~ IAS LG)CU sy AGS) ots = nn UN ch. ON EL _pr-vert, \ lith Anstv. EA Funke Leipzig. Morpholog. Jahrb. Bd. XXI. | Fig.t. Taf All. Tu heit ch. a | P. } SS; ch D =. .prwvert, my-tm. = i 2 > RD its EBD Cp Aes o ch. ent. mes. e 777 Spl Tent. Verlag v Wilh. Engelmann in Leipaug ThAnte arias, lieg Taf. XM. Morpholog HEF. del Morpholog. Jahrb. Bd. AXII. Fig 16 care vert ql sp. i 5 = . = = . > my=lm Ba‘ =. As z os = ® 2 = we - o> - = 5 — En 1 > unse wu ENT TRE! FF nt u “ a, y ch a k % wa “8 ; B el 5 se 23 y w > cul elt scl-tm Sate 7 > BER . - SSS = ae = or — aaa VFS bar => 3 - - x f ERS { WE Sy = = - - * = eee REE Er eee lig inEmusc mytin t t. ‘ t i: x arevert. ! I MT TUR RE | | Wi 1 7 Wilh. Engelmann ı Taf XII. Rekonstruktion der Segmentirung der Gliedmafsen- muskulatur, dargelegt an den Muskeln des Ober- schenkels und des Schultergürtels. Von L. Bolk. (Aus dem anatomischen Laboratorium zu Amsterdam.) Mit 15 Figuren im Text. In dem Aufsatz »Bezieh. zwischen Skelet, ete.« (Morphol. Jahrb. Bd. XXI) hatte ich mir die Aufgabe gestellt, das gegenseitige Ver- halten zwischen den Abkömmlingen der einzelnen Myomere und dem Beckengürtel des Menschen eingehender zu behandeln. Es konnte dargethan werden, dass sehr innige Beziehungen zwischen dem Skelet und dem indifferenten Muskelsystem bestehen. Ich bezeichnete dort diejenigen gürtelförmigen Flächen am Beckengürtel als Sklerozonen, welche zur Festheftung der Elemente der verschiedenen, je auf ein- ander folgenden Myomeren dienen. Betreffs der diesbezüglichen eingehenden Auseinandersetzungen muss auf den erwähnten Aufsatz verwiesen werden, da dort gegebene Besprechungen auch hier ihre volle Gültigkeit empfangen; denn es ist meine Absicht, im Folgenden den Verlauf der Sklerozonen am menschlichen Femur sowie am Schultergürtel zu beschreiben. Es handelt. sich aber hier um eine direkte Fortsetzung früherer Dar- stellungen. Aus diesem Grunde kommen eben alle allgemeinen Be- trachtungen, welche über den Beckengürtel früher angestellt worden sind, hier wieder zur Geltung. 358 L. Bolk 1. Die Sklerozonen am menschlichen Oberschenkel. Zum Ausgangspunkt der Bestimmung der Sklerozonen am Femur dient uns die Kenntnis der metameren Anlage aller Muskeln, welche an jenem Skelettheile ihre Festheftung finden. Da die Sklerozonen Kunde geben von der frühesten Verbindung des indifferenten Muskelsystems mit dem Skelette, so ist es ganz irrelevant, ob die an Femur festgehefteten Muskeln an diesem entspringen oder in- serirt sind. Die metamere Anlage der am Femur festsitzenden Muskeln ist aus der folgenden Tabelle zu entnehmen. Es ist auf letzterer zugleich angegeben, ob die betreffenden in Anmerkung kommenden Muskeln aus dem ventralen oder dem dorsalen Abschnitte des Plexus lumbo-sacralis versorgt werden. Diese Zustände empfangen ihre Bedeutung. Innervation aus dem folgen- Innervation durch den thoraco- lumbo- sacralen| ventrale | dorsale Spinalnerven Plexusbestandtheile M. ileo-psoas 14. 15. 16. d. M. vast. medial. 14: 15, d. M. femoralis 15, 16, d. M. vast. later. 15.16: -d. M. pectineus 14. 15. v. (d.) M. adduct. long. 14. 15. v. M. adduct. brev. 14,15. 16; Vv. M. adduct. magn. 15. 16. v. M. obturat. extern. 15. 16. v. Portio isch. m. adduct. magni 16. 17. v. M. gracilis 15. 16. v. M. quadrat. fem. + gemellus infer. 16. 17. Vv. M. obturat. int. + gemellus super. 16. 17. 18. ve M. semimembran. 16.41; v. M. semitendin. prox. 12.718, v. M. semitendin. dist. 16. 1%; v. M. biceps (Cap. long.) 18. v. M. biceps (Cap. brev.) 17. 38} d. M. tensor fasciae |. 16. (17. ?) d. M. glutaeus min. 16,17, d. M. glut. med. 16. 17. 18. d. M. glut. max. 17. 18. d. M. piriformis 18. d. Rekonstruktion der Segmentirung der Gliedmaßenmuskulatur ete. 359 Die in der Tabelle wiedergegebenen Daten beziehen sich auf die genauen Untersuchungen auf ein einzelnes Individuum. Die vielfachen Innervations-Variationen, welche aus der längs des Achsenskelettes proximalwärts sich vollziehenden Verschiebung des Gliedmaßengürtels sich ableiten lassen, werden der Einfachheit wegen hier nicht herangezogen, da aus ihnen keinerlei Einfluss auf unsere Auseinandersetzung sich herleiten lässt. Da ich die genaue metamere Anlage der M. gastrocnemius, M. popliteus, M. plantaris nicht festgestellt habe, bleibt obenstehende Tabelle lückenhaft. Es war mir daher auch nicht möglich, den Verlauf der Sklerozonen über den distalen Abschnitt des Femur zu konstruiren. Auf die Angaben, in der Tabelle aufgeführt, wird allenthalben hinzuweisen sein. Einige bekannt gewordene embryologische Erscheinungen sind im Stande, uns in unser Thema einzuführen. Ich möchte vor Allem auf die durch KoLLmAnn! beschriebenen Vorgänge hinweisen, welche sich auf die Art beziehen, wie bestimmte Myotome des menschlichen Körpers in die Extremitätenleiste hineinwachsen. Nach diesem Autor verhalten sich die Myotome, welche Beziehung zur Extre- mitätenleiste erlangen, noch sehr primitiv zu einer Zeit, in der die letztere aus einfachem mesenchymatösen Gewebe besteht. Die Myotome besitzen noch ein geschlossenes Myocöl. Von den Myotomen beginnen die lateralen Lamellen über die dorsalwärts sehende Fläche der Extremitätenleiste auszuwachsen, um auch die ventrale Fläche der Leiste allmählich ganz zu bedecken. Die Ex- tremitätenleiste wird auf diese Weise mantelförmig durch die ausge- wachsenen Myotome umfasst. Diese umschließen das mesenchymatöse Material; sie bestehen in der Extremitätenleiste noch in segmentaler Anordnung. Das »axiale Blastem« StRasser’s verbindet sich bald darauf innigst mit den Myotomsprossen. Es ist für unsere Betrach- tung von größter Bedeutung, dass es, diesen Vorgängen entsprechend, einem jeden in die Extremität eingewucherten Myotom ermöglicht wird, an je zwei, ursprünglich linear einander gegenüberliegenden Zonen des axialen Blastems sich festzuheften. Diese Zonen liegen je an der dorsalen und an der ventralen Fläche des Blastems. Ent- wickelt sieh nun ein Theil des axialen Blastems, z. B. zum Femur 1 KoLLmAmm, Die Rumpfsegmente menschlicher Embryonen von 13 bis 35 Urwirbeln. Archiv für Anatomie und Entwicklungsgeschichte. 1891. ' 360 L. Bolk oder zu einem Bestandtheile desselben, so wird ein jedes, mit ihm in Verband getretenes Myotom Anheftungsflächen bewahren müssen, welche als dorsales und ventrales Sklerozon zu bezeichnen sind. Es muss also ein jedes Sklerozon der freien Gliedmaße in einen dorsalen und in einen ventralen Abschnitt zu trennen sein. Da nun aus dem indifferenten Myotom je an der Ventral- und der Dorsalseite der Extremitätenleiste diejenigen Muskeln sich entwickeln, welche je aus ventralen oder aus dorsalen Ästen des Nervengeflechtes inner- virt werden, so besitzen wir in der Innervation ein sicheres Mittel zur Bestimmung, wo am Skelette der ventrale und wo der dorsale Abschnitt der einzelnen Sklerozone zu treffen sind. Die ventralen Abschnitte der Sklerozone werden sich da befinden müssen, wo die dureh ventrale Äste des Plexus innervirten Muskeln festgeheftet sind. In gleicher Weise sind die dorsalen Sklerozonen - Abschnitte angegeben worden. Die nebenstehende schematische Fig. 1 soll veranschaulichen, wie ein Sklerozon, das der Anheftung für die Elemente eines Myotoms dient, eine kontinuirliche Ausdehnung vom Beckengiirtel zur freien Gliedmaße nimmt. Die vom Myotom in Anspruch Schematische Darstellung der Anlage von „enommenen Flächen des Sklerozon Skelet und Muskulatur der Extremitätenleiste im Quorschnitte; a, axiales Blastem der lassen sich dorsal vom Becken zur freien Gliedmaße; B, Anlage des Glied- Morgalfläiche der freien Gliedmaße maßengürtels; beide werden umhüllt von einem, in der Pfeilrichtung ausgewachsenen in der Richtung des Pfeiles bis zum ATA Es nd a „venta Ende der letzteren und darauf zur Ventralfläche der freien Gliedmaße verfolgen. In proximaler Richtung setzen sich die Myotomtheile wieder auf das Becken fort, dessen Ventraltheile sie bis zur Median- linie wieder in Anspruch nehmen. Hat man am entwickelten Skelet der freien GliedmaBe erst einmal die einzelnen Sklerozonen bestimmt, so lassen sich unter Zu- hilfenahme der Innervationsverhältnisse Rückschlüsse auf die ursprüng- liche Lage der dorsalen und der ventralen Hauptflächen in Bezug auf den Rumpf. machen. Gleichwie das »axiale Blastem« anfänglich die primitiv dorsale Muskulatur von der ventralen scheidet, so bewahren auch die Deri- vate des ersteren diese Eigenschaften. Es trifft dies für das fertige Rekonstruktion der Segmentirung der Gliedmaßenmuskulatur ete. 361 Skelet, die Membranae interosseae und für die Membr. intermuseulares zu. Die letzteren dehnen sich stets zwischen solchen Muskeln aus, welche einerseits ventrale Nerven, andererseits dorsale Äste des Gliedmaßengeflechtes empfangen. Durch dies Verhalten zeigen sich die Membr. intermuscul. in einer innigen Beziehung zum »axialen Blastem«; sie stellen sich diesbezüglich auf gleiche Stufe, auf der das Skelet und die Membr. interosseae sich befinden. Man darf die betreffenden Zwischenmuskelbänder desshalb auch mit demselben Rechte dem Skelette zurechnen, als man die Membranae interosseae ihm zuzählt. Es ist ein primitiver Zustand, dass Muskeln an den Membr. intermusculariae entspringen oder inserirt sind. Wir werden daher auch das Gesammt-Sklerozon nicht am festen Skelette der freien Extremität allein auffinden können. Am axialen Blasteme im noch nicht differenzirten Verhalten müssen die Sklerozonen in kontinuirlichen Flächen und in segmentaler Aufeinanderfolge sich befinden. Am fertigen Skelette hingegen können wir nur diejenigen Theile der Sklerozonen wiederfinden, welche eben aus dem indifferenten axialen Blastem die Ossifikation durchlaufen haben, indessen die anderen Sklerozonabschnitte an den Membr. inter- osseae et intermusculariae gesucht werden müssen. Ich werde mich im Folgenden auf die Darstellung der Sklerozonen am festen Skelet beschränken. Die Grenze zwischen den dorsalen und den ventralen Abschnitten der Sklerozone zieht vom Epicondylus femoris medialis aus längs der medialen Begrenzungslinie der Kniekehle und in proximaler Richtung weiter zwischen Ursprungsfläche des Vastus medialis und den Insertionslinien der Adductoren. Darauf biegt die Grenze distal vom Troch. minor lateralwärts um, schneidet die Linea intertrochant., verläuft über den Schenkelhals gegen die Fovea capitis, dann weiter- hin über den Schenkelkopf und wiederum längs des Collum femoris zur Fossa trochanterica. Die Grenze umfasst den Insertionsplatz des Obturator internus, schneidet nochmals die Linea intertrochant. zwischen den Insertionen des Muse. quadrat. femor. und des Glut. medius; dann zieht sie distalwiirts in medialer Richtung von der Tuberosit. glut. und weiter lings des Labium laterale der Linea aspera zum Epicond. lateral. femoris. Die angegebene Grenzlinie bestimmt zugleich in uns verständlicher Weise die Anheftungsstellen der Membrana intermuscularis. Eine starke Membran heftet sich an den lateralen Abschnitt der Grenzlinie bei niederen Primaten fest, Morpholog. Jahrbuch. 22. 24 362 L. Bolk bei denen eine selbständige Anheftung an das Femur des Glut. Fig. 2. ETI Sane ES —_—_ a ay TS afinvamawee Zaren = Zt oie ed: a LaLa z 22 13.d.\ AN Anheftungsflächen der Muskeln an der dorsalen Fläche des Femur. Die starke längs verlaufende Linie be- zeichnet die Grenze zwischen dem dorsalen (d) (rechts) und dem ven- tralen (links gelegenen) Sklerozonen- Verlauf der Grenzen der Sklerozonen, welche dem 15.— 19. th.-l.-sacr. Seg- mente angehören. J.ps. M. ileo- psoas; O.e Obturator extern. ; Gl.me Glutaeus medius etc. maxim. vermisst wird. Die einzelnen Sklerozone verhalten sich in der folgenden Weise: Das zum 14. thor.-lumb. Myomere gehörende Sklerozon. Das 14. thor.-lumb. Myomer ist das erste, an welchem sowohl dorsale als auch ventrale Elemente in Oberschenkelmuskeln normal sich wiederfinden. Ventrale Ele- mente sind im Pectineus, Add. long. und Add. brevis anfgegangen, dorsale im Ileo- psoas und Vastus medialis. Das Skle- rozon umfasst daher einen Theil der An- heftungsflichen genannter Muskeln. Diese Flächen können indessen nicht ganz in das Bereich dieses einen Sklerozons fallen, wenigstens nicht in dem zum Ausgangs- punkt der Betrachtungen gewählten in- dividuellen Zustande (cf. Tabelle der Seite 358), da alle in Betracht kommenden Muskeln dimer resp. polymer sind. Die Figuren 2 u. 3 versinnlichen die Ausdeh- nungsart der Sklerozone über das Femur. Sie erstrecken sich im gegebenen Falle nicht über die ganze Femurlänge. Vor- ausgesetzt, dass die Extremität eine mehr proximale Anlage erfahre und dadurch der Vastus later., der V. medius, Add. magn. und der Obtur. extern. ebenfalls Material vom 14. th.-1. Myomere ent- lehnen, so muss auch das Sklerozon sich nach beiden Richtungen ausgebreitet haben und Theile der Anheftungsflächen dieser Muskeln in sich fassen, während diejenigen vom Pectineus und Add. longus vollkommen in dies Sklerozon fallen müssen. Das zum 15. thor.-lumb. Myomere gehörende Sklerozon. Der Dorsaltheil schließt sich unmittelbar an den des vorigen Rekonstruktion der Segmentirung der Gliedmaßenmuskulatur ete. 363 Sklerozons an; er befasst in sich den restirenden Abschnitt der Flächen des Vastus medialis, einen Theil der Anheftungsflächen des Tleo-psoas, Vastus medius und Vast. lateralis (vgl. Fig. 3). Der ventrale Theil des 15. Sklerozons enthält den restirenden Abschnitt des Peetineus und Add. long., einen Theil der vom Add. brev., Add. magn. und Obtur. ext. eingenommenen Flächen. Auch hier liegt ein unmittelbarer Anschluss an das 14. Sklerozon vor. Der Ventral- theil des 15. Sklerozon erstreckt sich bis zur Fossa trochant., dann über das Fig. 3. Caput femoris und geht dann in den dorsalen Theil über. Ein Theil vom Col- lum und Caput femoris liegt also in dem Bereich des 15. Sklerozons. Dies stimmt mit der Thatsache überein, dass auch ein Theil des Acetabulum dem zum 15. thor.-lumb. Myomere gehörigen Sklerozon anheimfallt. Die Articulatio coxae legte sich demgemäß theilweise im genannten Myomere an .(l. c. Fig. 2.). Der Verlauf der ventralen Grenz- linie des 15. Sklerozons ist auf Fig. 2, sein besonderes Verhalten zum Caput femoris ist besser auf Fig. 4 erkennbar. Das zum 16. thor.-lumb. Myo- mere gehörende Sklerozon. Sein Ventralabschnitt befasst den Rest der Flächen für Add. brev., Add. unsicht des Femur von vorn. Die punk- magn., Obtur. ext., einen Theil der An- titten Flächen deuten die Anheftungs- heftungsflächen des Quadratus fem. und Di Me ee mh Obtur. internus; denn alle diese Muskeln dem 14.—17. dorsalen Sklerozone. Die Mm. vasti liegen im Gebiet des 14.—16. enthalten Material vom 16. thor.-lumb. Sklerozons. Die Lage der übrigen Myomere. — Der dorsale Abschnitt des epee? crate Tan Sklerozons befasst den Rest der Flachen für Vastus later., Vast. medius und Ileo-psoas, einen Theil derjenigen vom Glutaeus med. und Glut. minimus. Der Ventraltheil des Sklerozons nimmt seinen Verlauf vom Planum popliteum an, begreift den distalen Insertionstheil des Add. magn. und Add. brev. in sich, ferner vom Quadrat. fem. den an den Add. magn. grenzenden Insertionstheil. Darauf zieht das Skle- rozon zur Fossa trochanter., wo es den Rest der Insertionsfläche des 24* 364 Obturator Ansicht der proximalen, hinteren Fläche des Femur. Die beiden vom Caput über Coll. und Körper verlaufenden starken Linien begrenzen das von den ventralen Sklerozonen eingenommene Feld. (v) Grenzlinien scheiden das 14.—19. ventrale Sklerozon, von denen das 19. und 18. v. auf die Fossa trochant. beschränkt sind, das 14. Sklerozon hingegen erst in der Höhe des Troch. minor beginnt. Rechts und links vom ventralen Felde breitet sich dasjenige der dorsalen Sklerozonen aus, von welchen nur das 14. und 15. im Bereiche des M. ileo-psoas (J. ps.) und des Vastus medialis (V. medial.) ange- geben sind. @. f. Musc. quadratus fe- moris; Pir. M. piriform. Ob£.i, e. M. ob- turator int. et externus. extern. aufnimmt, gerichteten Insertionstheil des Obtur. int. zur Außenfläche vom Trochanter major, -in sich auf. L. Bolk sowie einen gegen den Schenkelhals Die Grenzlinie begiebt sich wo der Übergang in den dorsalen Theil sich befindet. Am Tro- chanter nimmt das Sklerozon einen Theil des Glut. medius und Gl. minim. Die vom Trochanter aus distalwärts sich erstreckende Grenzlinie befindet sich zwischen den Anheftungs- flichen, einerseits fiir den Glut. maxim. und das Cap. breve des Biceps femoris, andererseits fiir den Vast. lateralis be- stimmt. Aus diesem Verlaufe geht hervor, dass Caput et collum femoris dem 16. Sklerozon ihre proximalen Abschnitte verdanken. Diese Thatsache gestattet, sobald man die vorher er- wähnte mit in Betracht zieht, Riick- schliisse auf die Achsendrehung des Femurkopfes, die von dessen Anlage bis zur Ausbildung hin stattgefunden - haben. Das zum 17. thor.-lumb. Myo- mere gehörende Sklerozon erstreckt sich wie die folgenden Sklerozone nicht mehr über das ganze Femur. Die Ventralabschnitte zeigen hauptsächlich eine Reduktion der Muskeln, welche aus dem 17., 18. und 19. thor.-lumb. Myomere sich auf- bauen, finden sich an der oberen Epi- physe und an den Condylen des Femur, während die Diaphyse von ihnen nicht in Anspruch genommen wird. - Ventrale- Elemente des 17. Myomers finden sich im Quadratus fem. und im Obturat. int. Der Ventraltheil des zu- gehörigen Sklerozon umfasst demgemäß den Rest der Anheftungsfläche des Quadratus fem. und einen Theil derjenigen des Obturator int.; er beschränkt sich auf den Außen- 365 Rekonstruktion der Segmentirung der Gliedmaßenmuskulatur ete. theil der Linea intertroch. und einen Theil der Fossa trochant. Von hier pflanzt er sich auf den Dorsalabschnitt fort, worüber die Fig. 4 orientiren mag. In der Dorsalzone dieses Sklerozons liegen die An- heftungsflächen des Restes vom Glut. minim., eines Theiles vom Glut. med. und Glut. maxim., sowie vom Cap. breve des Biceps fem. Hieraus geht hervor, dass die Dorsalzone sich weiter distal über den Oberschenkel erstreckt als der Ventral- theil des Sklerozons. Die Verlaufsart ist näher aus der Fig. 2 (B) und Fig.5 er- kennbar. Das zum 18. thor.-lumbo-sacralen Myomere gehörende Sklerozon erlitt in seinem Ventraltheile eine noch größere Einbuße als das vorige. Der Obturator internus ist das einzige Gebilde, welches als ventraler Muskel aus dem betr. Myomere Bausteine empfing. Ein kleiner Theil der Fossa trochant. bringt uns dem entsprechend den Ventraltheil des Sklerozons zur Anschauung. Der Dorsaltheil enthält einen Theil der Inser- tionsfläche des Piriformis, den Rest der- jenigen des Glut. med. und einen Theil der vom Cap. breve des Biceps femoris und vom Glut. maxim. besetzten Femurflächen. Die Fig. 5 giebt die Art der Ausdehnung des Sklerozons an. Das zum 19. thor.-lumbo-sacralen Myomer gehörende Sklerozon. Aus dem 19. Myomere empfingen der ventrale Obtur. internus und die dorsalen Piriformis und Glut. maxim. Material. Das Sklerozon, diesem letzten an der Dif- ferenzirung der Extremitäten-Muskulatur betheiligten Myomer zugehörend, besitzt 79 fi, hye a. Ansicht der lateralen Fläche des Ober- schenkels. Uber dem Troch. major er- hebt sich der zurückliegende Gelenk- kopf. Die punktirten Flächen stellen die Anheftungsstellen für die ange- gebenen Muskeln vor. Die starke Linie vergegenwärtigt die Grenze zwischen dem rechts befindl. dorsalen und dem ventralen (v) Sklerozonfelde; 19. — 16. d. bedeuten die durch Pfeile an- gezeichneten dorsalen Sklerozonen, welche dem 19.—16. thor.-lumbo- saeral. Myomere zugehören. nur eine sehr geringe Ausbreitung am Oberschenkel. Es befasst, wie die Fig. 4 lehrt, den Rest der einander berührenden Insertionstheile des Obtur. int. und Piriformis sowie einen Theil der Flächen, welche für den Glut. maxim. bestimmt und abgetrennt sind von den vorigen Muskeln. Zwischen Obtur.-Piriformis und dem Glut. 366 L. Bolk maxim. kommen keine Muskeln zur Insertion, welche dem 19. Myo- mere zugehören. Findet die Anlage der Extremität abnorm proximalwärts statt, so fügt es sich, dass das ganze 19. Myomer an der Bildung der Ober- schenkelmuskeln ausgeschlossen ist. Handelt es sich indessen um eine abnorm distale Extremitätenanlage, so nimmt das 19. Myomer noch am Aufbau des Glut. med. Antheil. In diesem letzten Falle werden die beiden, auf Fig. 5 abgetrennten Sklerozontheile zusammenhängen müssen, und zwar durch eine Brücke, welche dem Insertionsgebiete des Glut. medius zufällt. Die Verlaufsart der einzelnen Sklerozone über das Distalende des Femur hatte nicht angegeben werden können, da die nöthigen anatomischen Grundlagen dazu fehlten. Der beschriebene Verlauf der Sklerozone über das Femur basirt auf denselben Principien wie die seiner Zeit konstruirte Verlaufsart der Beckensklerozone, welche auf eine ziemlich große Genauigkeit Anspruch erhebt. Der Sklerozonen- verlauf ist am Femur komplieirter als der am Becken. Die Ursache hierfür liegt in der Cylinderform des ausgebildeten Oberschenkels, an welcher der Sklerozontheil nicht aller Segmente in gleichem Maße beigetragen hat. Im Gegentheile finden wir die Sklerotome der ver- schiedenen Segmente, welche an der Bildung der Gliedmaße be- theiligt sind, in äußerst verschiedener Ausdehnung wieder. In diesem Auffinden werden wir wie früher durch die Annahme geleitet, dass der Abschnitt eines Skelettheils, über welchen das zu einem Myomere gehörende Sklerozon sich ausbreitet, aus dem Sklerotom desjenigen Segmentes entwickelt hat, zu welchem das Myomer gehört. Die Fig. 6 diene zur näheren Erläuterung der Angaben; sie führt uns fünf Querschnitte vom Femur vor (I—V). Die Höhe, aus der die einzelnen Querschnitte entnommen sind, sind auf dem Flächen- bilde (links) angegeben. Auf einer jeden Durchschnittsfigur findet man die Grenzen zwischen den einzelnen Sklerozonen (15—19) eingezeichnet. Die auf einer jeden Figur erkennbaren fetten Grenzlinien bedeuten die Grenzen der ventralen und dorsalen Sklerozongebiete. Man er- kennt, dass die Ausdehnung der Ventraltheile der Sklerozone über die Diaphyse (Fig. 6 Iu. II) sehr gegen die Dorsalabschnitte zurücktritt. Das Dorsalstück des 15. und 16. Sklerozons breitet sich hauptsäch- lich über die Diaphyse aus; es bleibt nur je eine beschränkte Strecke für den Ventralabschnitt dieser Sklerozone sowie den Dorsalabschnitt des 17. und 18. Sklerozon übrig. Etwas weiter proximal gesellt Rekonstruktion der Segmentirung der Gliedmaßenmuskulatur ete. 367 sich noch der Antheil eines dorsalen Stückes des zum 14. Myomere gehörigen Sklerozons hinzu. Die Diaphyse des Femur ist größtentheils als das Produkt des zum 15. und 16. thor.-lumb. Rumpfsegmentes zugehörigen Sklerotom zu betrachten. Kopf und Hals des Oberschenkels sind, wie wir gesehen haben, ebenfalls Produkte der genannten zwei Sklerotome. Der Trochanter major giebt sich als das Produkt der zum 16.—19. thor.-lumbo-sacralen Körpersegmente gehörenden Sklerotome zu erkennen. Man vergl. die Fig. 6 V. An fünf Durchschnitten durch das Femur, deren Lagen an dem ganzen Skelettheile links durch die Linien I—V angegeben sind, sind erstens durch je zwei dieke Linien die Abgren- zungen der ventralen (v) und dorsalen (d) Sklerozonenflächen eingetragen. Die ventrale Fläche (v) ist schraffirt gehalten. Zweitens sind durch feinere Linien an den Querschnitten I-V die Abgrenzungen der ventralen und dorsalen Sklerozonen angegeben, welche den 14.—19. thor.-lumbo-sacralen Myomeren zugehören. Ich sehe hier von weiteren Schlussfolgerungen und Betrachtungen über die Genese des Femur ete. ab und begnüge mich, darauf auf- merksam gemacht zu haben, dass eine fundamentale Übereinstimmung betreffs der engen Korrelation zwischen Muskulatur und Skelet für das Femur in gleicher Weise wie für den Beckengürtel hat erwiesen werden können. In den Sklerozonen besteht noch der Ausdruck des 368 L. Bolk primitiven Zustandekommens der Verbindung der Muskeln und Knochen, wobei der ursprüngliche, segmentirte Zustand der Muskulatur nicht ganz verwischt worden ist. In den Sklerozonen spricht sich hier zugleich die große Beständigkeit der einmal eingegangenen festen Verbindungen zwischen beiden Organsystemen aus; denn an den An- heftungsflächen der Muskelindividuen ist die segmentale Anordnung nicht aufgegeben. Diese schließt aber jegliche gröbere Dislokationen der Muskelinsertionen in ungeordneter Weise vollkommen aus. Es kommt eben nicht vor, dass ein Muskel, dessen Bausteine z. B. aus Querschnitt durch die untere Gliedmaße in der Höhe des Schenkelhalses (nach Panscn). Die punktirten Flächen bedeuten Qnerschnitte der Muskeln. In sie sind die Bezeichnungen eingefügt. Durch die starke, mehrfach gekrümmte Linie sind die Muskeln in die rechts liegenden, durch dorsale Nerven des Lendengeflechtes innervirten (d) und in links gelegene Gebilde getheilt, welche durch ventrale Nerven versorgt sind. Vom Femur sowohl als auch von der dorso-ventralen Muskelgrenzlinie gehen zarter gehaltene Linien aus, welche dorsal und ventral je das 14.—19. thor.- lumbo-sacrale Sklerozon abgrenzen. Die großen Nerven und Blutgefäße liegen in der Nähe der dorso-ventralen Scheidungslinie. Je das 14. u. 19. ventrale und dorsale Sklerozon liegen bei einander. dem 14. Myomere entnommen seien, seine Insertionsflächen zwischen Muskeln besitzt, welche etwa aus dem 19. thor.-lumbo-sacr. Myomere herstammen. Es ist eine strenge segmentale Ordnung erhalten ge- blieben. Dass eine solche sich nothwendig auch an der Lagerung der Muskelbäuche zu einander erhalten habe, ist einleuchtend. Die Richtigkeit dieser gewonnenen Anschauungen springt ganz evident aus den nebenstehenden Figg. 7, 8, 9 und 10 in die Augen. Die Figuren geben uns Bilder von Durchsehnitten des Oberschenkels Rekonstruktion der Segmentirung der Gliedmaßenmuskulatur ete. 369 in verschiedenen Höhen; sie lehnen sich an PANScn’s Sägeschnittmodelle an. Fig. 7 führt uns das Bild eines meist proximalwärts, Fig. 10 das eines meist distal ge- legenen Querschnittes vor. Zunächst ist auf den Figuren durch eine starke Linie die Scheidung zwischen den durch ventrale und durch dorsale Nerven des Plexus lumbo-sacralis ver- sorgten Muskeln ange- geben. Diese Grenz- linien verlaufen durch Theile, welche aus Nee . Querschnitt vom Oberschenkel in der Höhe der Tuberositas glut. dem primitiven AaXI- (nach Panscn). Alle Bezeichnungen und Linien bedeuten Gleiches alen Blastem hervor- wie in Fig. 7. gegangen sind; denn auch dieses trennt die ventrale von der dorsalen Muskulatur (vgl. Fig. 1). Fig. 9. Fig. 9. Querschnitt vom Oberschenkel in dessen Mitte. Fig. 10. Ein Querschnitt vom Oberschenkel unmittelbar proximal von der Fossa poplitea (nach Panscn). Bezeichnungen und Bedeutung der starken und schwächeren Linien wie auf Fig. 7. Auf Fig. 9 fehlt das 18. und 19. dorsale Sklerozon, so dass das 17. dorsale an das 19. ventrale Sklerozon sich anschließt. Auf Fig. 10 fehlen das 14. ventrale Sklerozon, das 19. dorsale. — Durch den Vergleich der vier Querschnittsbilder in verschie- dener Höhe gewinnt man den Überblick über die Ausdehnung der dorsalen und ventralen Gebiete in verschiedener Höhe des Oberschenkels. Ein primitives. Merkmal tritt auf allen Figuren darin hervor, dass je die ventrale und dorsale Gesammtmuskulatur eine Gruppe ‘formt. 370 L. Bolk Nirgends liegen ventrale Muskeln zwischen dorsalen zerstreut, selbst nicht in der Regio coxae der Figur, wo die Muskeln aus der größten Anzahl von Myomeren sich formten. Stellen wir uns einen Querschnitt durch eine Extremitätenleiste zu einer Zeit vor, in welcher alle Myomeren um das axiale Blastem herumgewachsen sind und Stellung genommen haben, so erhalten wir etwa einen Zustand, wie er auf der Figur 11 schematisch dar- gestellt ist. Central finden wir die Blastemmasse; es scheidet die ventralen von den dorsalen Abschnitten der in Betracht kommenden Myomere :(14.—19.). Das meist proximale und das meist distale Myomer grenzen je mit dem ventralen und dorsalen Theile unmittel- bar an einander. Die Ligg. intermuscularia erstrecken sich ventral und dorsal vom axialen Big, 11. Blastem aus zwischen die U. einzelnen Myomerentheile. Dieser hypothetisch noth- wendig vorauszusetzende a Zustand lässt sich nun auch am ausgebildeten Körper noch erkennen. Auf Figg. 7 v. bis 10 ist das axiale Blastem Schematisches Querschnittsbild von der hinteren Ex- als Scheidungslinie zwischen tremitatenleiste. Der Schnitt muss der Länge des Kör- ventraler und dorsaler Mus- pers folgend gedacht werden. d und v bezeichnen die dorsale und ventrale Körperseite. a Axiales Blastem, kulatur anzutreffen. Die aus welchem Skelet und Membranae intermusculares her- vorgehen. Zwischen a und Oberfläche liegen sechs in Lagerung der Produkte der die Extremitätenleiste hineingewachsene Myomere, welche . s ess 5 als 14. und 19. thor.-lumbo-sacrales den oralen (0) und Myomeren ist ım pemıtıvei aboralen (a) Leistenrand einnehmen. Während dorsale Weise eine segmentale "er und ventrale Portionen dieser beiden Myomeren zusammen- : > hängen, sind die betreffenden Portionen des 15.—18. Seg- blieben. Die ventralen Pro- mentes durch das axiale Plastem von einander getrennt. dukte des 14. thor.- lumb. Myomers finden wir im Pectineus, Add. long. und Add. brevis wieder. Wollen wir auf der Figur 7 die Lage dieser Elemente angeben, dann kann das nur durch eine Linie geschehen, welche bei der dorso-ventralen Grenz- linie beginnt, und von hier aus die genannten Muskeln durchzieht. Die dorsalen Produkte des 14. Myomers werden durch eine Linie abgegrenzt, welche durch die Querschnittsflächen eines Vastus medialis und eines Sartorius zieht. Diese beiden Hilfslinien entsprechen ven- tral und dorsal je der Lage eines primitiven Ligg. intermuseul., welches auf Fig. 11 die Produkte des 15. thor.-lumb. Myomers von denen des 14. abgrenzt. In gleicher Weise gewinnen wir aus der 76. LZ Cabal aa, LE] Nm» mga Rekonstruktion der Segmentirung der Gliedmaßenmuskulatur ete. 371 Kenntnis der segmentalen Innervation der Muskeln die Handhabe, die Scheidungslinie zwischen den Produkten des 15. und 16. thor.-lumb. Myomers zu rekonstruiren. Diese Linie muss den Obtur. ext., Add. magn., Add. brevis und Gracilis in der Ventralzone schneiden, in dem Dorsaltheile indessen die Mm. ileo-psoas et rectus femoris. Dies zeigt die Fig. 7 an. Die den urspriinglichen Ligg. intermuscul. entsprechen- den Grenzlinien zwischen den Produkten der verschiedenen Myomeren werden in gleicher Weise in die Querschnittsbilder eingetragen werden müssen, um eine vollständige Übersicht über die verschiedenartige An- ordnung der Myomerenprodukte in den verschiedenen Höhen zu em- pfangen, wie Figg. 7—10 es vergegenwärtigen. Aus allen Figuren spricht zunächst die bewahrte, primitive Lagerung der Glieder so hoch- sradig differenzirten Muskulatur zu einander. Es ist die Metamerie der Muskeln keineswegs aufgegeben. Diese Erscheinung muss als die nothwendige Folge der sehr frühe eingegangenen strengen Verbindung zwischen Muskulatur und Skelet angesehen werden. Weiterhin geht aus den Konstruktionsbildern (Figg. 7—10) hervor, dass die fetten Linien, welehe mit dem primitiven axialen Blastem zusammenfallen, und demgemäß die Grenzscheiden zwischen dorsaler und ventraler Muskulatur ete. vorstellen, im Allgemeinen die Plätze für die großen Gefäße und die großen Nervenstiimme angeben. Gefäße und Nerven verlaufen also zwischen ventralen und dorsalen Gliedern der Extre- mitäten-Muskulatur. Was die angegebene Lagerung der großen Blutgefäße betrifft, so dient es zur Erläuterung, dass sie in dem primitiven Mesenchym, welches das axiale Blastem formt, ihre Entwicklung genommen haben, dass sie also noch Andeutungen an einen primitiven Lagerungszu- stand erkennen lassen. Die Anordnung der großen Nervenstämme wird in Ubereinstim- mung mit der durch Korımann dargethanen Thatsache gefunden, nach welcher die Nerven in jenen frühen in Betracht kommenden Entwicklungsepochen bis in das axiale Blastem zu verfolgen sind. Eine andere Frage bezieht sich darauf, ob Spuren von den primitiven Ligg. intermuscularia auch noch an der differenzirten Muskulatur des Oberschenkels aufgefunden werden können. Hierauf ist vor der Hand noch keine bestimmte Antwort zu geben. Es ist jedoch mit Sicherheit anzunehmen, dass solche Ligamente in proximo-distaler Richtung sich ausdehnen müssen. Zieht man die Figur 7 in Betracht, so sieht man, dass die Grenze zwischen dem Dorsaltheile des 15. und 16. thor.-lumb. Myomers den Muse. reetus femoris durchzieht, 372 L. Bolk die Grenze zwischen 16. und 17. Myomere längs der Lateralfläche des Vastus later. gelegen ist. Dieses Factum weckt die Vermuthung, dass die den Rectus femoris durchsetzende Sehne das zu bedeutender Ausbildung gekommene Lig. intermusculare zwischen dem 15. und 16. Myomere sei; dass fernerhin die Sehne, welche sich längs der lateralen Fliiche des Vastus lateralis erstreckt, ein Theil des Lig. intermuscul. sei, welches zwischen dem 16. und 17. thor.-lumb. Rumpf- myomere sich befunden haben muss. 2. Die Sklerozonen am menschlichen Schultergiirtel. Die Sklerozonen am menschlichen Schultergiirtel erstrecken sich, wie wir sehen werden, kontinuirlich über die Clavicula ‘und von dieser über die Scapula. Die Grundlage aller Betrachtungen ist auch hier der genaue Befund von der metameren Zusammensetzung der den Schultergiirtel umlagernden Muskulatur. Die beifolgende Tabelle enthält die gewonnenen Thatsachen, die auf ein einzelnes Individuum sich beziehen. In Klammern findet man indessen einige Angaben von Variation der Innervation der Muskeln. Solche Schwan- kungen in der Innervation bilden die Unterlage für die Annahme, dass auch am Schultergürtel die Ausdehnung der Sklerozone gesetz- mäßigen Verschiebungen, bedingt durch die verschiedene Höhen- Anlage der oberen Extremität, unterbreitet ist. Ich habe gefunden, dass Variationen der Innervation der Muskeln durch Äste des Plexus brachialis ziemlich häufig sich einstellen. Wenn schon die Lagerung des Plexus brachialis zum Rumpfskelet konstanter ist als diejenige des Plexus lumbo-sacralis zu letzterem, so sind nichtsdestoweniger die Variationen betreffs der Herkunft der Nerven im Übergangsge- biete von Plexus cervicalis und Plexus brachialis äußerst zahlreich. Zugehörigkeit zu - Muskeln des Schultergürtels und |ventralen (v), zu [anervation aus den folgen- Oberarmes dorsalen (d) Ge- den cervico-thoracalen Spi- bieten nalnerven M. subelavius Vv. 5. (4., a) M. pectoralis major v. 5:, 6., 7. (GH tease M. - minor v. 7., 8.9 9A(03 T85) M. supraspinatus d. D., 6.1455 M. infraspinatus d. 5506. M. teres minor d. 6. (5., 6.) M. teres major d. Ds) Wie M. serratus anticus d. G2 TH M. rhomboides d. eels s752) M. levator scapulae d. A> ,(5.) M. deltoides d. 536: -(5.5 Gi, Wa M. coraco-brachialis V. | 6.7.10) M. biceps (caput breve) v. 17 BENG, M. - (eaput longum) v. 5., 6. M. anconeus longus d. T., 8. (ie, 890 Rekonstruktion der Segmentirung der Gliedmaßenmuskulatur ete. 373 Die Zugehörigkeit der Muskeln zu .der ventralen (v) oder dor- salen (d) Gruppe der Gliedmaße ist auch hier aus der Innervation durch ventrale oder dorsale Nerven des Plexus brachialis entnommen. Der M. trapezius und M. sterno-cleido-mastoideus empfingen einige Male noch Äste des 4. Cervicalnerven. Wir unterscheiden bei unserer Darstellung eben so wie früher am Becken so auch am Schultergürtel einen gesonderten Verlauf der Sklerozone über die Parietal- und über die Visceralfläche. Verlauf des zum 4. Cervicalmyomer gehörigen Sklero- zons. Das 4. cervicale Myomer trägt nicht immer zum Aufbaue der Muskeln des Schultergürtels als solcher bei. Aus der Tabelle ist zu ersehen, dass solches allein auf den Levator sapulae sich beziehe, als Ausnahme jedoch auf den Sub- elavius, Rhomboides und Supraspi- natus Anwendung finde. Der größte Antheil des betreffenden Myomers wird wiedergefunden in der das Kiemenskelet umgebenden Musku- latur, welche, so weit sie am Schulter- gürtel sich anheften, im Trapezius, Sterno - cleido - mastoideus und ver- muthlich auch im unteren Bauche des Omo-hyoideus, im Sterno-thy- 7, reoideus und Sterno-hyoides wieder- — ojere Fläche der Clavicula, Dorsalflache der gefunden wird. Aus dem 4. Oer- amt mi ten au Ann sent Ma vicalmyomere wurde außerdem Ma- Flächen der Skelettheile. Am Schlüsselbein terial für das Diaphragma entlehnt. teint a5 4. 3» Du am Sehatlerhlate Es sei erwähnt, dass EisLer! die Innervation des Levator scapulae eines Gorilla durch den 3. cervicalen Spinalnerven hat wahrnehmen können. Die proximale (craniale) Grenze des 4. cervicalen Sklerozons ist nicht wie die distale Grenze mit voller Sicherheit anzugeben. Die distale Grenze giebt zugleich die Scheidung der Anheftungsflächen der aus dem 4. und 5. cervicalen Myomere hervorgegangenen Muskeln an. Der Verlauf der Distalgrenze ist auf Fig. 12 erkennbar. Die- Fig. 12. 1 P. EISLER, Das Gefäß- und periphere Nervensystem des Gorilla. 1890. 374 L. Bolk selbe beginnt an der Extrem. sterno-clavicular. distal vom Befestigungs- platze des Cleido-mastoideus und Trapezius, erreicht das Acromialende zwischen dem letzteren und dem Ursprung des M. deltoides. Weiter- hin verläuft die Grenzlinie über die Scapula zwischen den Flächen fiir Omo-hyoideus und Supraspinatus, und schneidet darauf einen Proximaltheil des Levator scapulae ab. Bezieht der Rhomboides Material aus dem 4. cervicalen Myomere, so muss die Grenzlinie, dorsal umbiegend, einen Theil der Anheftungsfliche dieses Muskels in sich aufnehmen. Der Rhomboides gehört in der That oftmals in seinem proximalen Theil einem anderen Myomere zu als der distale Muskelabschnitt. Ersuer (l. e. pag. 41) fand die Innervation des proximalen Viertels des Muskels beim Gorilla aus dem 4., des zweiten Vier- tels aus dem 5. und die Versorgung der distalen Muskelhälfte gar aus dem 6. (u. 3.2) cerviealen Spinal- nerven zu Stande gekommen. Ich zweifle allerdings an der Richtig- keit der EısLer’schen Angabe, dass auch der 3. Spinalnervy zum Distal- theile des Rhomboides sich begeben habe. An der Unterfläche der Clavicula verläuft die Grenzlinie distal von der Anheftungszone des Sterno-hyoideus (Fig. 13). Das zum 5. Cervicalmyomere Untere Fläche der Clavic., Vorderfläche der geh örige Sklerozon. Scapula mit den an ihnen Augeheftefen Das betreffende Myomer geht, Muskeln. Verlauf der Sklerozonen über beide Skelettheile. Dem 4.—6.Halsmyomere Abgesehen vom Zwerchfelle, ganz in ser a an RE a = die Muskulatur des Schultergürtels Sklerozon in die Erscheinung. auf. Clavieula, Scapula mit dem Coraeoid bieten für das Produkt dieses Myomers die Befestigungspunkte. Dem Coracoid kommt ein Sklero- zonensystem zu, welches mit demjenigen der Scapula nicht vollkommen zusammenhängt. Die an der Außenfläche der Scapula und Clavicula festgehefteten, dem 5. Cervicalmyomere verwandten Muskeln sind: Pectoralis major, Deltoides, Supra- und Infraspinatus, Rhomboides und Levator scapulae. Rekonstruktion der Segmentirung der Gliedmaßenmuskulatur ete. 375 Die Muskeln der Visceral- (Innen-)fläche sind: Serratus anticus, Sub- scapularis, Caput longum des Biceps, Subelavius. Je ein Theil der Anheftungsflächen aller genannten Muskeln muss innerhalb des dem 5. Cervicalmyomer zugehörenden Sklerozons sich befinden. Die distale Grenzlinie des Sklerozons ist zu verfolgen auf der Außenfläche des Schultergürtels von der Extrem. sterno-clavicularis. Hier schneidet sie in parallelem Richtungsverlaufe mit der vorher be- schriebenen Grenzlinie die Flächen des Pectoralis major (Fig. 12), ‘des Deltoides; sie erreicht so das Akromion, um von hier zur Fossa infraspinata umbiegend über die Flächen für den M. infraspinatus zu verlaufen. Die Grenzlinie zieht beim Verlassen der Außenfläche der Scapula zwischen den Flächen für Rhomboides und Teres major. An der Inrenfläche schneidet die Linie zunächst einen Proximaltheil des Serratus anticus ab, streicht durch die Fossa subseapul. der Tuberos. supraglen. zu, kreuzt die Ursprungs- fläche des Biceps brachii, biegt hier um und erreicht die Fossa supraspin. (vgl. Fig. 13), wo die Linie über die Fläche für Supraspinatus hin zur Un- terfliche des Akromion sich begiebt (vgl. Fig. 14). Vom Akromion aus erreicht die Grenzlinie wieder das % Schlüsselbein, wo sie die Flächen für Coracoid, von hinten und oben gesehen, den Deltoides, Pectoralis major be- Minor, des Corace-trachiatis und des kurzen streicht, und zwar so, dass die Sub- Kopfes des Biceps brachii. Verlauf der . 5 . < dem 5.—9. cervico-thorac. Myomere zu- clavius-Fliche proximal von ihr zu velionines, Sbldlanet liegen kommt und dem zufolge ganz dem in Betracht kommenden Sklerozon zufällt. Das zum 6. Cervicalmyomere gehörende Sklerozon um- fasst an der Außenfläche des Schultergürtels den Restbestand der Anheftung des Peetoralis majer, Deltoides, Supra- und Infraspinatus, die Gesammtfläche des Teres minor und einen Flächentheil des Teres major. An der Innenseite fällt in das Sklerozon der Mitteltheil der Serratus anticus-Fläche, der Restbestand des Subscapularis und langen Bicepskopfes. Der Verlauf des Sklerozons erhellt aus den Figg. 12 und 13 ohne Weiteres. Was die Anheftungsfläche des M. serratus anticus anlangt (cf. Fig. 13), so wird sie durch die Sklerozongruppe so ge- theilt, dass der proximale Abschnitt dem zum 5. cervicalen Myomere 376 L. Bolk gehörenden Sklerozon,: der distale Abschnitt dem 6. und 7. Sklerozon zufällt. Dieses Verhalten begründet sich auf der Thatsache, dass die proximalen Zacken Äste des 5., die mittleren Zacken Äste des 6., die distalen Zacken Äste des 7. Cervicalnerven empfangen. Was den Pectoralis major betrifft, so ist er gemäß der Tabelle aus dem 5., 6. und 7. cervicalen Myomere aufgebaut, und dennoch sind seine Clavicula-Befestigungen nur in das 5. und 6. Sklerozon verlegt worden. Dies hat seinen Grund in der Erscheinung, dass die Portio clavieul. keinerlei Material aus dem 7. cervicalen Myomere entlehnt hat, letzteres vielmehr in der Portio sterno-costalis gefunden wird. Dies geht unter Anderem auch aus der EninGer’schen Tabelle hervor'. Das zum 7. Cervicalmyomere gehörende Sklerozon bleibt auf die Scapula beschränkt. An der Außenfläche der letzteren kommen in Betracht der Teres major, an der Innenseite der Serratus antieus und Anconaeus longus. Das betreffende Sklerozon schließt in sich den Restbestand der Flächen für Teres major und Serratus anticus, einen Theil derjenigen für den Anconaeus longus. Der andere Theil des letzteren gehört dem zum 8. Cervicalmyomere gehörenden Sklerozon zu. Der Sklerozonverlauf über das Coracoid ist auf Fig. 14 dargestellt. Von der Spitze desselben folgen dieselben in regelmäßigen Abständen auf einander, ohne Besonderheiten in ihrer Verbreitung zu zeigen. Auf Grund der früher von mir gegebenen Deutung der Sklero- zonen ist es von vorn herein anzunehmen gewesen, dass solche auch am Schultergürtel bestehen werden. Die vorhergehende Beschreibung des Verlaufes dieser Sklerozone hat mich einleitender Bemerkungen enthoben. Die Eigenschaften der Sklerozonen stimmen am Schulter- gürtel mit denen am Becken überein. In regelmäßiger Aufeinander- folge heften sich hier und dort die Myomeren-Elemente ans Skelet fest. Am Schultergürtel lässt sich wiederum der Abdruck primitiver, segmentaler Muskelanordnung erkennen. Am deutlichsten vergegen- wärtigt uns die Fig. 15 eine Segmentirung. Sie stellt das Durch- schnittsbild einer Scapula dar. Der Schnitt traf die Tuber. infraglen. und die Dorsalgrenze der Incis. scapulae. Die Sklerozonengrenzen sind eingezeichnet worden. Es liegt in der korrespondirenden Lage 1 EDINGER, Vorlesungen über den Bau der nervösen . Centralorgane des Menschen und der Thiere. IV. Aufl. pag. 145 u. 146. Rekonstruktion der Segmentirung der Gliedmaßenmuskulatur ete. 377 der Sklerozonengrenzen an der Parietal- und Visceralfläche eine be- deutungsvolle Erscheinung. Sie trat am Beckengürtel nicht zu Tage. Die Richtigkeit des angegebenen Sklerozonenverlaufes lässt sich auf Grund individueller Varietäten, die die Tabelle birgt, prüfen. Hat die Extremität eine mehr proximale Anlage als normal gefunden, so verschieben sich die Sklerozonengrenzen in distaler Richtung und gelangen in den Bereich der Muskelanheftungen, welche mehr distal von jenen normalen Grenzen gelegen gewesen sind. Man hat sich. die Tabellenangaben über die variablen Muskelinnervationen nur in bildliche Darstellung umzusetzen, so wird dies deutlicher. Indi- viduelle Variationen in der metameren Muskelanlage stehen in direkter Wechselbeziehung zu der Verlaufsart der Sklerozonengrenzen. Form, Lage und Bewegungserschei- nungen der primitiven Beckenform waren nach Maßgabe des Verhaltens der Sklerozonen am Beckengürtel erschlos- sen worden. Auch für den Schulter- gürtel lassen sich einige, diesbezügliche Anhaltepunkte finden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Schulter- gürtel aus Sklerotomtheilen des 4.—8. Cervicalsegmentes sich anlegte. Die Schnittrichtung durch die Scapla, welcher behufs Herstellung der Fig. 15 ile ee hn eevee gefolgt worden ist, entspricht der fraglenoid. zum medialen Bande der Kr. 5 Incisura scapulae. Man erkennt in den primitiven Langenachse des Skelet- den Fossae subscapul., supra et infra- theiles, welche in craniocaudaler Rich- ‘79° enfspeehenden | Kandera die age der Sklerozonengrenzen. tung verläuft. Die Entwicklung der Seapulaform ist aus der Entfaltungsart der einzelnen Sklerozonen direkt abzulesen. Letztere sind nämlich in sehr ungleichem Maße bei der Flächenentwicklung der Scapula bethätigt gewesen, eben so wie beim Hüftbein und Femur. Gemäß der Anlage des Schulter- blattes im 4.—8. Halsmyomere, gemäß der Lage beim Erwachsenen ergiebt sich aufs Neue, dass die Seapula in caudaler Richtung sich verlagerte. Der Beckengürtel unterliegt einer embryonalen Drehung um eine, die Artic. sacro-iliaca schneidende Achse. Der Ventral- abschnitt wird so caudalwärts verschoben. Der Schultergürtel unter- liegt einer embryonalen Drehung um die festgelegte Artie. sterno- elavie., und hierdurch wird die Scapula in caudaler Richtung ver- Morpholog. Jahrbuch. 22. 25 378 L. Bolk schoben. Zu Gunsten solcher embryonalen Verschiebung sprechen die bildlichen Darstellungen, die wir Hıs! verdanken. An die Scapula heften sich nur Muskeln fest, welche dorsale Äste aus dem Armgeflechte beziehen, an das Coracoid indessen Mus- keln, welche den ventralen Nerven zugehören. Die Scapula fand ihre Anlage im’ Dorsal-, das Coracoid im Ventraltheile der Myo- meren. Das Coracoid wird durch eine Linie abgegrenzt, welche durch die Ineisura scapulae und den oberen Pfannenrand verläuft, derartig, dass die Tuberos. supraglen. dem Skelettheile zufällt. Es besteht Übereinstimmung an der oberen und unteren Extremität be- züglich der Lagerung des ventralen und dorsalen Theiles der Gelenk- pfanne, welche hier und dort auf der Grenze zwischen dem dorsalen und ventralen Theil der Myomeren sich befindet. Beim Beckengürtel kommt diese Beziehung deutlicher zum Ausdrucke; denn der Ven- tralabschnitt der Sklerozonen grenzt nur noch an die Gelenkfläche des Schultergürtels, nimmt an deren Bildung selbst nicht Antheil. Am Coracoid werden diejenigen Sklerozonen gefunden, welche dem 5.—8. Cervicalmyomere sowie dem 1. thorakalen Segmente zu- gehören. Hieraus folgern wir, dass die primitive Anlage des Coracoids in den genannten fünf Körpersegmenten stattgefunden habe, dass das Coracoid selbst Material aus jenen letzteren betreffs seines Aufbaues werde entnommen haben. Die geringe Ausbildung des menschlichen Coracoids stimmt keineswegs mit jener über weitere Gebiete reichenden Anlage überein. Der Skelettheil zeigt auch diesbezüglich starke Reduktionen, wie sie den Mammaliern zukommen. Aus den vorgeführten, gesetzmäßigen Erscheinungen an der Muskulatur der Gliedmaße leuchtet deren innige Beziehung zum Skelet hervor. Die regelmäßige, segmentale, die primitive Anordnung der selbst sehr differenzirten Muskulatur führt uns auch hier zur Annahme zurück, dass die festen Verbindungen zwischen beiden Organsystemen sehr frühzeitig erworben sein müssen, um von einem solchen In- differenzstadium an auch erhalten zu sein. Die Beziehungen der Gliedmaßenmuskeln zum Skelet des Rumpfes, wie sie an der oberen Extremität so oft in den Vordergrund der Betrachtung sich schieben, haben eine ganz andere Bedeutung als die Korrelationen zwischen dem Skelet der Gliedmaße und den diesem zugehörigen Muskeln. Meist handelt es sich um Lageveränderungen der Gliedmaßenmuskeln längs des Rumpfskelets. Am Pectoralis ı W. His, Anatomie menschlicher Embryonen. Leipzig 1889. Rekonstruktion der Segmentirung der Gliedmaßenmuskulatur ete. 379 major z. B., welcher Elemente vom 7. cervicalen Myomere befasst und dennoch weit über den Thorax sich ausdehnt, äußert sich Fremd- artiges, Erworbenes. Die ursprüngliche Beziehung der Muskeln zum Gliedmaßenskelet kam durch deren frühzeitige Befestigung an dasselbe zu Stande. Einzelne Symptome des sekundären Verhaltens der Gliedmaßenmuskeln zum Rumpfskelet geben sich uns kund. So wird z. B. die proximale Portion eines weit über den Rumpf ausge- dehnten Muskels durch Äste von mehr eranialwärts gelegenen Spinal- nerven versorgt, während distale Portionen weiter caudalwärts zu- gekehrten Nerven zufallen. Das Myomerenmaterial ist, wie wir gesehen haben, im Levator scap., Rhomb., Serr. ant. und im Pectoralis major derartig angeordnet, dass diese Muskeln als Belege für diese Gesetzmäßigkeit dienen dürfen. Letztere hat ihre Anwendung auf die Portionen der einzelnen Muskeln, indessen sie für verschiedene Muskeln unter einander keine Geltung gewinnt. Der Pectoralis minor z. B., welcher Äste aus mehr caudalwärts gelegenen Spinal- nerven bezieht, entspringt mehr proximal als die distale Portion des Pectoralis major, welcher von mehr proximalen Spinalnerven versorgt wird. Es kommt also keineswegs jedes Product eines ganz bestimm- ten Cervicalmyomeres zur Anheftung an je eine Rippe; aber wohl gehören die vom Rumpf entspringenden Gliedmaßenmuskeln mit ihren proximalen Abschnitten zu höher gelegenen Myomeren und haben mit den distalen Portionen Material aus tiefer gelegenen Hals- segmenten entnommen. Diese Erscheinung ist durch HERRINGHAM (Proc. Royal Soc. London 1886, Nr. 243) in zutreffender Weise dar- gestellt worden. Morphologisch-biologische Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. ji Von Dr. Theodor List. Mit Taf. XIV—XVIII und 3 Figuren im Texte. |. Theil: Astacus fluviatilis. Preisgekrönte Beantwortung einer für das Jahr 1894 von der mathemat.-naturw. Abtheilung der Großh. techn. Hochschule in Darmstadt gestellten Aufgabe. Einleitung. »Es soll die Artikulation der Füße des Flusskrebses im Allge- meinen beschrieben und wenigstens für ein Paar Füße möglichst genau angegeben werden, welche Winkel die Ebenen mit einander bilden, in denen die einzelnen Stücke zu einander sich bewegen. Daran ist die Schilderung bestimmter Wege, die von der Spitze des Endgliedes ausgeführt werden, bei feststehendem Basalgliede mög- lichst auf Naturbeobachtung gegründet, anzureihen.« Dies war der Wortlaut der Aufgabe. Im Laufe der Bearbeitung ergab sich, dass unsere Kenntnisse in Bezug auf die Gelenkmechanik der niederen Thiere überhaupt noch so gering sind, dass die Aufgabe von vorn herein erweitert werden musste, indem der ganze Bewegungsapparat zur Untersuchung gelangte. Ausgangspunkt der Bearbeitung bildete die Morphologie; es wurden zuerst die einzelnen Gelenke im Speciellen und dann im Allgemeinen betrachtet, sodann reihte sich als zweite Frage die nach der Lage der Gelenkachsen an. Diese Frage wurde mit außerordentlich einfachen Methoden gelöst, mit Hilfe einer dar- stellend-geometrischen und einer analytisch - geometrischen, beide Methoden sind zum ersten Male praktisch für die Erklärung organi- Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 381 scher Formverhältnisse gebraucht worden, die leichte Anwendung und vollkommene Sicherheit wird ihnen vielleicht einen dauernden Platz in der Morphologie sichern. Im zweiten Haupttheile wurde die Biologie als Ausgangspunkt genommen, es wurde der Gang genau analysirt und die sich daraus ergebenden Gesetze aufgestellt. Daran knüpfen sich dann Untersuchungen über die Anatomie, die Muskulatur, es wurde der enge Konnex aller behandelten Fragen erörtert, die sämmtlich nöthig waren, um die Morphologie selbst zu erklären. Die Schlussworte sind dem Verkehrsraum und der Beweglichkeit gewidmet. Das Verständnis dieser zum Theile schwierig darzu- stellenden Verhältnisse wurde durch ein aus den Gelenkachsen eines Gehfußes in fünffacher Größe konstruirtes Modell erleichtert. Leider stand mir während der Ausführung dieses ersten Theiles meiner Arbeit nur wenig Litteratur zur Verfügung, und ich bitte daher um gütige Nachsicht; in dem II., die Dekapoden behandeln- den Theile werde ich genau alle früheren Autoren berücksichtigen, jedoch glücklicherweise sind in Betreff des Flusskrebses fast alle Untersuchungen neu. Außerdem will ich betonen, dass es mir bis jetzt schon gelungen ist in der Abtheilung der Dekapoden eine voll- kommen natürlich-phylogenetische Reihe bezüglich der Morphologie und Mechanik des Bewegungsapparates zu finden, so dass durch diese Untersuchungen von einem neuen Gesichtspunkte aus unsere Kenntnisse nach mancher Richtung hin verbreitert und vertieft werden. I. Haupttheil. I. Kap. Die Artikulation der Gehfiifse beim Flusskrebse. Der Flusskrebs (Astacus fluviatilis) gehört unter den höheren Krebsen, den Malakostraken, der Ordnung der Dekapoden, der zehnfüßigen Krebse an. Die vorderen drei Brust- oder Thorakal- füße sind als Kieferfüße in den Dienst der Kauthätigkeit getreten. Die 5 übrigen Brustfußpaare werden im Allgemeinen als Gehfüße bezeichnet, daher der Name Dekapoden. Von diesen Füßen sind die 3 ersten Paare mit Scheren ausgerüstet. Das erste Gehfußpaar, das sich vor allen anderen schon durch seine Größe auszeichnet, nennt man allgemein den »Scherenfuß«. Die übrigen Füße wollen wir immer mit 1.—4. Gehfuß bezeichnen. Alle 5 Brustgliedmaßen sind ihrer äußeren Gestalt nach sehr ähnlich gebaut. Sie sind siebengliedrig mit Ausnahme des sechsgliedrigen Scherenfußes. Die sieben Skeletstiicke haben von M. Epwarps folgende Namen erhalten: 382 Theodor List Coxopodit, Basipodit, Ischiopodit, Meropodit, Carpopodit, Propodit und Dactylopodit. Coxopodit und Basipodit bilden den Stamm: Protopodit, während die 5 übrigen Glieder dem Endopoditen ange- hören, der hier eine direkte Fortsetzung des Basipoditen bildet. Der Exopodit tritt nur noch beim unentwickelten Thiere auf. Die einzelnen Glieder können wir auch der Reihe nach Coxopodit bis Dactylopodit der Kürze halber als 1.—7. Glied bezeichnen. Von diesen 7 Gliedern steht das 1. Glied (Coxopodit) in gelenkiger Ver- bindung mit dem Thorax. Der Thorax wird von einem äußeren Panzer eingeschlossen, dem sogenannten Schilde, der zu gleicher Zeit auch den vorderen Theil des Körpers bedeckt, wesshalb man von einem Cephalothorax, einem Kopfbruststück, spricht, an dem man keine Gliederung wahr- nehmen kann. Außer diesem sehr einfach gebauten Skeletstücke besitzt der Krebs noch ein sehr komplieirt gebautes, inneres Skelet, das auf der Bauchseite sichtbar wird, das »Endophragmalsystem «. Es zeigt noch deutlich die Spuren einer Gliederung und besteht aus einer Menge von Skeletstücken, die die inneren Organe schützen und besonders als Stütz- und Ansatzpunkte der Muskeln von großer Be- deutung sind. Dieses Skelet ist wie der Schild ein Cutieularskelet und wird bei der Häutung abgeworfen. Die einzelnen Skeletstücke sind nur Einfaltungen der Cuticula, sogenannte »Apodemen«. »Zwischen je zwei Somiten (der centrale Theil eines Gliedes oder Segmentes) ent- wickeln sich vier Apodemen und da jedes Apodem eine Falte der Cutieula ist, so gehört die Vorderwand eines jeden dem davor, die Hinterwand dem dahinter gelegenen Somit an. Alle vier Apodemen liegen an der ventralen Hälfte des Somits und bilden eine einzige Querreihe: folglich stehen zwei, die Endosterniten, näher an der Mittellinie, und zwei, die Endopleuriten weiter von dieser ab« (HUXLEY). Das so gebildete Endophragmalsystem steht in gelenkiger Verbindung mit dem 1. Gliede der Füße. Die äußere und zugleich vordere Ge- lenkverbindung liegt im Bereiche der Endopleuriten, während die Endosterniten, die mit dem Sternum (dem in der Mittellinie der Bauchseite verlaufenden Stücke des Endophragmalskeletes) in nächster Verbindung stehen, die inneren Gelenkverbindungen tragen. Im Folgenden wollen wir zunächst die Einrichtung und den Bau der Gelenkverbindungen der Reihe nach bei den einzelnen Füßen zu beschreiben versuchen. Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 383 a) Specieller Theil. (Vgl. hierzu Taf. XIV.) Bei dem 7- (6-) gliedrigen Gehfuße haben wir 14 (12) Drehpunkte der 7 (6) Drehungs- oder Gelenkachsen zu unterscheiden. Bei der wei- teren Beschreibung wollen wir uns an die Figg. 1—5, Taf. XVII halten, welche die Beine in einer ganz bestimmten, später näher zu besprechenden Lage darstellen. Wir bezeichnen die Drehpunkte der Drehachsen der beiden zusammengehörigen ersten Glieder mit (a, b) und (c, d), und die der übrigen 5 Glieder mit (1, 2), (3, 4) — (9, 10); bei unserer angenommenen Beinlage bezeichnen wir den inneren Drehpunkt der 1. Gelenkachse mit a. Legen wir das Bein so hin, dass der Punkt «a links vom Beschauer liegt, so liegen auch die Punkte 1, 3 und 7 links, 5, 2, 4 und 8 rechts, d, 6 und 10 oben, c, 5 und 9 unten. 1) Das Körpergelenk (a, d). (Taf. XIV Fig. 1, Fig. 7.) Beginnen wir mit dessen Beschreibung beim Scherenfuße. Die Harttheile berühren sich nur in zwei Punkten, den Gelenkpunkten, im Übrigen wird die Verbindung von Körper und Fuß durch zarte Häute, die Gelenkhäute vermittelt. Die innere Gelenkverbindung a wird hergestellt durch eine kleine Pfanne, die in der Sternal- region des X: Körpersegmentes liegt, in die ein Zapfen des 1. Gliedes passt. Da Zapfen und Pfanne scharf ausgeprägt sind, ist die Ver- bindung sehr sicher und fest. Der zweite äußere Theil der Gelenk- verbindung ist gerade umgekehrt zusammengesetzt wie der innere: hier besitzt das 1. Glied eine kleine Pfanne, in Form einer konkaven Einbuchtung, während am Körper selbst sich eine konvexe Fläche vorfindet. Der andere Bestandtheil der Gelenkverbindung, die Gelenkhaut, das Bindeglied zwischen dem Skelet des Thorax -und dem des Coxopoditen, ist mäßig entwickelt, was natürlich eine ge- ringe Bewegung um die Achse zur Folge hat. Auf die Angabe der Größe des Beugungswinkels gehen wir später genauer ein. Der Bau des Körpergelenkes der drei ersten Gehfüße stimmt fast vollständig mit dem des Scherenfußes überein. Anders verhält es sich mit dem 4. Gehfube; um gleich bei dem letzten Punkte anzuknüpfen, ist zu erwähnen, dass der eigentliche Skeletkörper hier am kleinsten geworden ist und dass die Gelenk- haut sehr an Ausdehnung zugenommen hat. Die innere Verbindung 334 Theodor List wird hergestellt durch ein kleines, glatt polirtes Höckerchen, das der Sternalregion des Thorax angehört, auf ihm gleitet eine glatte Fläche des Coxopoditen. Die äußere Verbindung kommt zu Stande durch einen halb- kreisförmigen Einschnitt des Körperskelets und eine ähnliche Aus- buchtung des Coxopoditen, jedoch bewegt sich dieser zapfenförmige Vorsprung nicht in einem Lager, wie bei der inneren Gelenk- verbindung der übrigen Gehfüße. 2) Das zweite Gelenk (ec, d). (Taf. XIV Fig. 2a, 26 und Fig. 8.) Beginnen wir wieder mit dem Scherenfuße und betrachten zu- nächst den Drehpunkt d des Gelenkes. Diese Verbindung ist der zuletzt beim 4. Gehfuße besprochenen ähnlich. Das 1. Glied bildet eine Falte, die nach außen in einem spitzen Winkel vorspringt. In diese Falte hinein ragt ein mit einer feinen Spitze endigender Vor- sprung des 2. Gliedes, der die Form eines glatt gedrehten Zapfens besitzt. Dadurch, dass der Faltenwinkel spitz ist, wird die Sicher- heit der Gelenkverbindung bedeutend erhöht. — Bei Drehpunkt ce ist folgende Einrichtung: Das 1. Glied schickt gegenüber von d einen ziemlich großen Fortsatz aus, der eine kleine Ausbuchtung besitzt, so dass man von einem Faltenwinkel kaum reden kann; das 2. Glied sen- det einen abgerundeten (nicht in eine Spitze ausgedrehten) Zapfen aus, der in der kleinen Bucht des 1. Gliedes befestigt ist. — Die drei ersten Gehfüße stimmen fast vollständig im Baue des 2. Gelenkes mit dem des Scherenfußes überein. Die Gelenkverbindung bei d ist genau dieselbe und bei e ist zu erwähnen, dass der Zapfen kleiner geworden und der Faltenwinkel vollständig verschwunden ist, so dass der Zapfen mehr dem 1. Gliede aufliegt. Eine viel größere Abweichung finden wir bezüglich dieses Gelenkpunktes beim 4. Geh- fuße. Der Zapfen des 2. Gliedes ist hier ein sehr kräftiger und sroßer Fortsatz, der nicht nur auf dem 1. Gliede liegt, sondern noch darüber hinausragt; ferner geht die Drehachse nicht durch die Spitze des Zapfens, weil sie bei der Drehung eine kleine Lageveränderung erfährt, indem sie sich mitbewegt. Das erste Glied besitzt einen kleinen spitzwinkligen Einschnitt und in diesen legt sich der Zapfen des 2. Gliedes bei der Beugelage, während er in der Strecklage ganz außerhalb liegt. Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 385 3) Das dritte Gelenk (1, 2). (Taf. XIV Fig. 9.) Dieses Gelenk fehlt beim Scherenfuß und ist nur noch durch eine Naht angedeutet; bei den Gehfüßen hat es einen fast überein- stimmenden Bau, der äußerst einfach ist. Bei dem Gelenkpunkte 1 giebt das 2. Glied einen kleinen, zierlichen Fortsatz ab, der genau in eine eben solche Bucht des folgenden (3.) Gliedes hineinpasst, ohne den geringsten Spielraum zu lassen. Diesem Punkte 1 liegt 2 nicht diametral gegenüber, da er ganz auf die andere Seite gerückt ist, so dass, wenn wir den einen Abstand der Punkte von einander gleich 1 setzen, der andere mindestens doppelt so groß ist. Die Gelenkver- bindung bei 2 ist ähnlich der bei 1. (Das 2. Glied besitzt einen Einschnitt, in den genau ein eben so geformter Fortsatz des 3. Gliedes passt.) 4) Das vierte Gelenk (3, 4). (Taf. XIV Figg. 3a, 45, 10a und 105.) Dieses Gelenk ist beim Scherenfuß und den 4 Gehfüßen von ganz ähnlichem Baue und ist ebenfalls sehr einfach. Das 3. Glied, das eine abgeplattete Röhre darstellt, verbreitert sich gegen das 4. Glied etwas und endet mit zwei in der Richtung der Gelenk- achse (3, 4) ausgezogenen Skeletfalten; in diese Falten passen genau zwei andere, die vom 4. Gliede kommen, hinein, so dass die Spitzen dieser Falten zugleich die Drehpunkte der 4. Gelenkachse sind. 5) Das fünfte Gelenk (5, 6). (Taf. XIV Figg. 4a, 45, 11a und 115.) Auch der Bau dieses Gelenkes zeigt bei den verschiedenen Füßen eine ähnliche Übereinstimmung wie das vorige Gelenk. Das 4. Glied, das an der Basis plattgedrückt ist, erweitert sich gegen das 5. Glied hin und bekommt einen sehr voluminösen Querschnitt. In der Richtung der Drehachse besitzt es zwei vorspringende, ansehn- liche Skeletfalten, die zwei vom 5. Gliede kommende Zapfen auf- nehmen, jedoch so, dass sich die Spitzen der Falten und der Zapfen gegenüber stehen; eine wirkliche Berührung der Skelettheile findet nicht einmal mit den Drehpunkten 5, 6 statt. Während die beiden vorigen Gelenke einfach durch Kniekung der abgeplatteten Röhre entstanden sind, ist hier bei der rundlichen Röhre die Bewegungs- fähigkeit durch Skeletausschnitte, die in der Richtung des Beu- gungswinkels sich vorfinden, ermöglicht worden. 386 Theodor List 6) Das sechste Gelenk (7, 8). (Taf. XIV Figg. 5a, 55, 12a und 125.) Bei der Betrachtung dieses Gelenkes müssen wir den Scheren- fuß wieder für sich vornehmen. Das 5. (resp. 4.) Glied trägt die kräftige Schere und ist von kurzem, gedrungenem Baue. An dem dem Seherengliede zugekehrten Rande finden wir zwei glatt polierte konvexe Flächen, die nicht ganz gleich gebaut sind. Die Fläche bei Punkt 7 liegt auf einem kleinen Fortsatze, das Negativ, die konkave Fläche besitzt das 6. Glied, beide bewegen sich auf ein- ander. Bei Punkt 8 bildet das 5. Glied keinen besonderen Fortsatz, sondern die betreffende Stelle des Randes bietet einfach eine glatt po- lierte Gelenkfläche dar, während umgekehrt von Seiten des 6. Gliedes ein Fortsatz ausgeht, der die konkave Gelenkfläche trägt. Wir haben also hier ein Gelenk mit vollständiger Flächenführung vor uns. Da die Gelenkflächen gerade dieses Gelenkes nicht ganz genau auf ein- ander passen, wäre die Sicherheit der Führung keine große, wenn nicht durch ein anderes mechanisches Hilfsmittel die Sicherheit der Drehachse erhöht würde: bei der Zerlegung des Gelenkes treffen wir nämlich einen Stab an, der vom Punkte 8 aus als eine Skelet- falte ein Stück Wegs der Drehachse entlang verläuft. Dieser axiale »Balken« (LANGER) trägt unzweifelhaft sehr zur Festigkeit der Gelenk- verbindung bei. Bei den 4 Gehfüßen hat dieses Gelenk folgenden Bau: Auch hier haben wir eine Flächenführung. Das 5. Glied verbreitet sich nach dem 6. hin und läuft mit zwei Fortsätzen aus, die beide eine glatte Gelenkfliche tragen. Bei dem Punkte 7 ist die Fläche sehr schmal und kurz gebogen, bei 8 ist es eine breite, sanft gebogene Fläche. Auf diesen Flächen gleiten zwei entsprechende Flächen des 6. Gliedes, die jedoch kaum gewölbt sind, so dass die Führung sehr mangel- haft wäre, wenn auch hier nicht ein Balken vorhanden wäre, der vom Punkte 8 aus in der Richtung der Gelenkachse so weit verlaufen würde, dass die Gelenköffnung in zwei Theile getheilt wird; die Länge dieses Balkens beträgt ungefähr 5/, der ganzen Länge der Gelenkachse, so dass nur ein ganz kleiner Spalt offen bleibt. 7) Das siebente Gelenk (9, 10). (Taf. XIV Figg. 6a, 65, 13a und 135.) Es bleibt nunmehr noch die Beschreibung des 7. Gelenkes übrig, das bei allen Füßen in derselben Form wiederkehrt und Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 387 dessen Bau am deutlichsten beim Scherenfuße zu verfolgen ist. Schon die äußere Betrachtung lehrt uns, dass die Drehachse hier nicht offen liegt, sondern eingeschlossen von zwei seitlichen Falten des 6. Gliedes. Eine Zergliederung des Gelenkes zeigt uns, dass die seitlichen Wülste die Zapfen des 7. Gliedes einschließen, und dass in der Richtung der Drehachse Balken verlaufen, die mit den Ge- lenkzapfen verbunden sind. Im Prineipe gleich, jedoch in den Ein- zelheiten einfacher, ist diese Gelenkverbindung bei den übrigen Geh- füßen. b) Allgemeiner Theil. Nachdem wir die einzelnen Gelenkverbindungen des Flusskrebses der Reihe nach beschrieben haben, wollen wir die allgemeinen Ge- setze und Bedingungen, welche den Gelenkformen zu Grunde liegen, festzustellen versuchen. Zu diesem Zwecke stellen wir eine Reihe auf, die ihren Ausgangspunkt von der denkbar einfachsten Gelenkverbindung nimmt und mit einer hoch entwickelten ab- schließt. Im Allgemeinen können wir sagen, dass der Krebsfuß eine Röhre darstellt, die auf der einen Seite sehr stark abgeplattet ist. Wenn wir uns nun die Frage vorlegen, wie kann aüf die einfachste Art aus einer solchen ungegliederten Röhre eine gegliederte entstehen, so ist die Antwort die, wir knicken die Röhre nach der abgeplatteten Seite hin ein. Ist die Röhre nicht aus zu sprödem Materiale bereitet, so wird sie sich, wenn wir die Drehbewegung mehrmals wieder- holen, auf der gewölbten Seite etwas ausdehnen müssen, diese Ver- gréBerung der Oberfläche erscheint dann bei der Streckung in Form von Falten; auf der anderen abgeplatteten Seite wird sich nur ein Einsehnitt in der Röhre vorfinden. Wir können uns denken, dass in der Natur auf eine ähnliche Weise Gelenke einfachster Art zu Stande gekommen sind oder sogar noch entstehen. Ich glaube im Folgenden diese Vermuthung durch die Thatsache beweisen zu können. Wenn wir das 3. Glied der vier Gehfüße eines Flusskrebses näher ansehen, so werden wir finden, dass dort überall in der Gegend des unteren Dritttheils dieses Gliedes ein Einschnitt in das Skelet sich vorfindet, der in manchen Fällen nur schwach angedeutet (vgl. Taf. XVII, Figg. 6—12) ist, jedoch niemals ganz fehlt. Sind nur wenige Spuren dieser Naht vorhanden, so sind sie sicher auf der gewölbten Seite anzutreffen, oft geht diese Naht um das ganze Glied herum. Bei dem Scherenfuße ‚sieht man zwei solcher Nähte über 388 Theodor List einander, von denen die untere als die Verwachsungsnaht des ver- schmolzenen 2. und 3. Gliedes anzusehen ist, während die obere, weniger deutliche der sicher entspricht, die wir bei den anderen Füßen soeben erwähnt haben. Bei den 4 Gehfüßen wurde das Auf- treten dieser Naht genauer verfolgt und gefunden, dass an dieser Stelle ganz überraschend häufig sich eine bewegliche Gelenkver- bindung vorfindet, wie aus der Tabelle I hervorgeht. Die Tabelle stellt die Resultate dar, die gefunden wurden bei der Durchsicht der Krebse, die überhaupt zur vorliegenden Arbeit benutzt wurden und nicht etwa ein Verzeichnis einzelner Vertreter, die gerade eben jene bewegliche Gelenkverbindung besaßen. Aus der Tabelle geht ferner direkt hervor, dass der 4. Gehfuß regelmäßig jenes Gelenk besitzt, häufig der 2. und 3. Gehfuß und am seltensten der 1. Gehfuß. I. Tabelle: Vorkommen einer beweglichen Gelenkverbindung zwischen der III. und IV. Drehachse. Astac. R I. Gehfuß. II. Gehfuß. III. Gehfuß. | IV. Gehfuß. fluv. ©) 1 | rechts | links | rechts | links | rechts | links | rechts | links 1. 1 N 1 ei 1 alte na 2; 1 | 1 1 1 Se | 1 1 1 1 4. 1 IS FE 1 1 9. 1 1 1 1 1 1 6. 1 1 | 1 1 1 ik, 1 1 1 1 1 1 1 8. 1 1 1 1 1 2. 1 1 1 1 1 1 1 10. 1 1 1 1 1 1 Lf 1 1 11. 1 1 1 1 12: 1 1 1 1 1 1 13.210801 1 1 1 1 14. | 1 | 1 1 1 15. 1 1 1 1 1 1 16. 1 1 1 il 1 7 1 1 1 1 1 1 1 18. 1 1 1 1 1 1 19. 1 1 1 1 1 1 20. 1 1 1 1 1 1 21: 1 1 1 PR 1 ek 1 23. 1 1 1 1 1 24. 1 | 1 1 29, 1 1 1 1 1 1 1 1 a Na 1 1 1 | 1 1 27. 1 1 1 28. 1 1 1 1 1 1 29. 1 1 1 | 1 1 Sehen wir uns den Bau eines solchen gut ausgebildeten Gelenkes etwas näher an, so finden wir, dass sich auf der abgeplatteten Bein- Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 389 seite gerade nur ein Einschnitt vorfindet, während auf der ent- gegengesetzten Seite außer einem Einschnitte eine wenn auch ganz schmale Gelenkhaut wahrzunehmen ist. Wir finden alle Übergänge auf der gewölbten Beinseite von den kleinsten Spuren einer einfachen Naht bis zur Bildung einer wirklichen Gelenkhaut. Von wesentlicher Bedeutung ist noch der Punkt, dass selbst in den Fällen, bei denen das Gelenk nur angedeutet ist durch eine Naht, sich auf der gewölbten linken Seite des Fußes ein kleines Höckerchen befindet. Es versieht bei dem beweglichen Gelenke die Funktion eines Drehpunktes und passt in ein kleines Grübchen des anstoßenden Theiles des 3. Gliedes, so dass also hiermit der erste Anfang zu einem echten Scharnier- gelenke gemacht ist. Ja in ganz wenigen Fällen wurde sogar noch ein zweites Höckerchen auf der diametral entgegengesetzten Seite gefunden, so dass hiermit alle Bedingungen für ein echtes Scharnier- gelenk erfüllt sind, indem zwei bewegliche Stücke des 3. Gliedes an 2 Punkten fixirt sind, welche die Lage der Drehungsachse be- zeichnen. Nach den bisher angeführten Eigenschaften müssten wir also dieses Gelenk den übrigen gleichsetzen und sagen, die Gehfüße des Flusskrebses sind sieben- oder achtgliedrig. Zu diesem Schlusse zwingt uns der äußere Bau des Gelenkes. Zergliedern wir aber das betreffende Gelenk, so bemerken wir den vollständigen Mangel der Muskulatur; wäre sie wirklich vorhanden, so hätte sie doch kaum irgend welche Bedeutung, da dieses neue Gelenk nur 1—2 mm über dem 3. Gelenke liegt und mit jenem nahezu parallel läuft; es wäre also innerhalb des dazwischenliegenden Gliedes gar kein Raum für Muskeln vorhanden. Auf alle Fälle ist dieses Gelenk ein passives und so den übrigen nicht gleichzusetzen. Ferner sind die Befunde beim Scherenfuße sehr interessant; so gut wir als ganz sichere Thatsache aussprechen, dass das 2. Glied des Scherenfußes aus der Verwachsung des 2. und 3. Gliedes eines ursprünchlichen Gehfußes hervorgegangen ist, eben so sicher können wir auch jetzt sagen, das 2. Glied des Scherenfußes entspricht dem verwachsenen zweiten, neuen und 3. Gliede; beide Gelenke sind jetzt nur noch durch Nähte angedeutet. Über die Gelenkflächen, die bei einem Gelenke vorkommen, ist zu sagen, dass immer nur solehe anwendbar sind, bei denen die eine auf ihrem Abdruck ohne Klaffen schleift. Solche Flächen bieten die Schraubenflächen, von denen eine besondere Art die »Rotations-Flächen« sind, charakterisirt dadurch, dass die Gänghöhe 390 Theodor List der Schraube sehr klein oder Null ist, und diese allein kommen bei den Scharniergelenken vor. Für jedes Scharniergelenk gilt fol- gendes Gesetz: Jeder Punkt des beweglichen Gliedes be- schreibt bei der Bewegung einen Kreis. Ferner ist jedem Punkt bei der Bewegung eine ganz bestimmte Bahn vorgeschrieben, wesshalb man auch passend diese Scharniergelenke als »zwangsläufige Gelenke« bezeichnet. Ganz eng an das zuletzt besprochene neue oder passive Ge- lenk schließt sich das 3. Gelenk (1, 2) an, sowohl im Baue als auch in seiner Wirkung. Da die Drehachsen, wie wir vorhin schon an- deuteten, parallel sind, so ist die Wirkung dieselbe und summirt sich einfach. Auf der abgeplatteten Beinseite ist auch hier nur ein ein- facher Einschnitt bemerkbar, dagegen ist die Gelenkhaut auf der ge- wölbten Seite etwas stärker entwickelt als beim passiven Gelenke. Da wir es mit einem typischen Scharnirgelenke zu thun haben, finden wir regelmäßig die beiden fixirten Achsenpunkte vor, die hier, wie früher erwähnt, nicht diametral gegenüber liegen. Ganz eng an das 3. Gelenk schließt sich das 4. an. Auch hier erblicken wir auf der abgeplatteten Beinseite nur einen Einschnitt, während die Gelenkhaut auf der entgegengesetzten Seite noch mehr zugenommen hat. Die Endpunkte der Drehachse liegen sich dia- metral gegenüber und um die Sicherheit der Führung zu vermehren hat das Skelet in der Richtung der Drehachse nach außen zwei spitzwinklige Falten gebildet, an die sich die Gelenkhaut ansetzt und beide Glieder straff mit einander verbindet. Die drei besprochenen Gelenke gehören einer Gruppe von Gelenk- formen an, die wohl für das abgeplattete Bein die ursprünglichste und einfachste ist. Wir konnten deren Bau von dem ersten Auf- treten einer einfachen Knickung bis zu einem ausgebildeten Gelenke genau verfolgen. Eine andere Art der Gelenkbildung ist folgende: Denken wir uns eine elastische Röhre, die nicht abgeplattet ist, sondern von mehr oder weniger kreisförmigem Querschnitte, und nehmen auf der einen Seite ein Stück des Skelettes heraus, so können wir auch diese Röhre leicht biegen. Solche rundliche oder keilförmige Ausschnitte bemerken wir bei dem 5. Gelenke in typischer Ausbildung. Es ist natürlich, dass je größer der Ausschnitt, desto größer auch der Ex- kursionswinkel um das betreffende Gelenk ist. Innerhalb des Aus- schnittes ist die Gelenkhaut straff ausgespannt. Auch auf der Streck- seite werden das 4. und 5. Glied durch eine Gelenkhaut verbunden. Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 391 Diese Gelenkverbindung ist an und für sich eine viel vollkommenere als die zuerst besprochene, weil der Exkursionswinkel jede beliebige Größe annehmen kann, ohne dass die Sicherheit des Gelenkes dabei leidet, während bei der vorigen Gelenkform nur kleine Exkursions- winkel erreicht werden können. Außerdem treten hier noch wohl aus- gebildete Zapfen auf, durch deren fixirte Spitzen die Drehachse geht. Zu dieser zweiten Gruppe von Gelenken gehört auch das 6. Ge- lenk, um dessen Achse eine Bewegung nach rechts und links mög- lich ist, was durch Ausschnitte, die sich auf den betreffenden Seiten vorfinden, ermöglicht wird. Die etwas unsichere beiderseitige Flächen- führung wird, wie schon erwähnt, durch den Balken, der vom Dreh- punkte 8 ausgeht und in der Richtung der Drehachse verläuft, sehr befestigt. An das 5. Gelenk schließt sich das 2. seinem Baue nach an. In den Faltenwinkel des 1. Gliedes ragt ein zugespitzter Zapfen des 2. Gliedes auf der einen Seite, auf der anderen Seite haben wir, wenigstens beim Scherenfuße, noch die letzte Spur einer ähnlicheu Verbindung, während bei den Gehfüßen der Faltenwinkel ganz fehlt und den Zapfen ein kleines an dem 1. Gliede fixirtes Knötchen vertritt. Ferner schließt sich das Körpergelenk des 4. Gehfußes dieser Gruppe von Gelenkverbindungen an. Einerseits haben wir einen abgerundeten Zapfen, der in eine halbkreisförmige Bucht tritt und dort fixirt ist, andererseits eine Flächenführung. Alle Gelenkfortsätze, die wir seither als Zapfen bezeichneten, waren keine echten Zapfen, weil sie nur einseitig geschlossen waren und sich nicht in einer Pfanne bewegten. Diese Bedingungen sehen wir jedoch bei dem Körpergelenk des Scherenfußes und der 3 ersten Gehfüße erfüllt, das wir demnach als echtes Zapfen -Scharniergelenk aufzufassen hätten. Es bleibt nun noch des 7. Gelenk, das eigentliche Scheren- gelenk übrig, das wir seinem Baue nach als das vollkommenste Gelenk bezeichnen müssen. Es sind hier alle Vorzüge, die zur Sicherheit und Vollkommenheit eines Scharniergelenkes gehören, ver- eint. Die Zapfen des 7. Gliedes sind in Skeletfalten des vorletzten Gliedes befestigt, in der Richtung der Drehachse verlaufen Balken, die zugleich mit den Zapfen verwachsen sind, außerdem sind die seitlichen Falten nach außen hin geschlossen, so dass die Drehpunkte selbst eingeschlossen sind. In C. E. Hasse’s Dissertation.: Observationes de sceleto Astaci 392 Theodor List fluviatilis et marini Lipsiae 1833, finden wir die erste Schilderung der Artikulation im Allgemeinen,: sowie einige Untersuchungen und Abbildungen der Gelenke des Scherenfußes. ll. Kap. Die Lage der Gelenkachsen. Aus der Beschreibung der Gelenke im vorigen Kapitel geht hervor, dass wir an den Füßen des Flusskrebses durchweg einachsige Gelenke vorfinden, Scharniergelenke, bei denen alle Wege, die um ein einzelnes Gelenk beschrieben werden können, in einer einzigen Ebene liegen. Wenn wir jedoch einen Krebs beobachten, so be- merken wir, dass die Richtung und der Umfang der Bewegungen so mannigfaltig ist, als ob wir Kugelgelenke vor uns hätten. Es bleibt desshalb als einzige Erklärung nur die übrig, dass die ein- zelnen Gelenke verschieden angeordnet sind, so dass ihre Drehachsen nicht einander parallel sind und nicht in einer, sondern in ver- schiedenen Ebenen liegen. Die Frage nach der Lage oder Situation der Drehungsachsen ist bis jetzt nur berührt, aber noch nicht gelöst worden. Die Litte- raturangaben beschränken sich daher auf nur wenige Bemerkungen: So schreibt LANGER pag. 39: »Bei positiver und negativer Exkursion, po- sitiver und negativer Windung der Achsen wird die Beweglichkeit eines Beines noch vergrößert durch die größere Zahl der Gelenke und dadurch, dass die Achsenlagerungen möglichst vielen Raumrichtungen entsprechen.« Huxtey sagt in seiner klassischen Monographie über den Fluss- krebs Folgendes: »Wären die Achsen aller dieser Gelenke parallel, so müssten offenbar, wenn auch die Gliedmaße als Ganzes einen beträchtlichen Bogen beschreiben und in verschiedenem Grade ge- krümmt werden könnte, doch alle ihre Bewegungen auf eine Ebene beschränkt sein. Nun aber stehen in Wirklichkeit die Achsen der auf einander folgenden Gelenke fast unter rechten Winkeln zu ein- anders « Ferner giebt Virus GRABER in seinem Buche über die. äußeren mechanischen Werkzeuge der wirbellosen Thiere pag. 179 an, dass »die Drehungsachsen der einzelnen Scharniergelenke eines Arthropoden- beines in der Regel eine verschiedene Lage haben«.. Auch er giebt für die Lage zweier Achsen beim Hummerfuße einen rechten Winkel an. Auch Boas (Studier over Decapodernes Slägtskabsforhold) macht nur einige ganz allgemeine Bemerkungen über die Lage der Dreh- achsen. Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 393 Gemeinsam ist allen bisherigen Angaben, dass es nur Schätzun- gen und keine Berechnungen sind, die hier allein zum Ziele führen. Wenn wir uns irgend einen Gehfuß näher ansehen und die Lage der Drehachsen zu einander näher ins Auge fassen, so werden wir nur von der Lage der Gelenkachsen (1, 2) und (3, 4) zu einander sagen können, dass sie annähernd wohl in einer Ebene liegen werden. Betrachten wir das Bein von der abgeplatteten Seite, so können wir die 4 Gelenkpunkte (1, 2, 3, 4) direkt sehen und zu einem Vierecke mit einander verbinden. Die Lage der übrigen Drehachsen gegen einander ist so, dass der 4. Drehpunkt außerhalb der Ebene liegt, im Raume, so dass wir, wenn wir jetzt die vier Punkte mit einan- der verbinden, ein Tetraeder erhalten. Auf diese Weise können wir uns immer je 2 auf einander folgende Gelenkachsen als Kanten eines Tetraeders vorstellen. Unsere erste Aufgabe wird also sein, das Ausmessen der ver- schiedenen Tetraeder, dem eine genaue Orientirung über den Bau der Gelenke vorausgehen muss, denn ein kleiner Fehler beim Messen führt zu einem falschen Resultat. Beim Flusskrebs sind die Dreh- . punkte der Achsen leicht erreichbar und scharf markirt mit Aus- nahme des 6. Gelenkes (7, 8) mit der Flächenführung. Die mit dem Zirkel abgegriffenen Entfernungen liest man auf einem Transversal- maßstab (1:100) ab, damit man die Maße bis 0,1 mm vollständig genau bekommt. Mit Hilfe der hergestellten Tabelle kann man zur Darstellung der Tetraeder gehen. Nehmen wir z. B. das erste Tetraeder des 3. Gehfußes mit den Maßzahlen in mm: a5 —=9; a,e=8,5; a,d=7,4; b,c=7,9; bd=5,6; cd=5,9. Geometrisch ausgedrückt lautet jetzt unsere Aufgabe: Kine dreiseitige Pyramide (Tetraeder) aus ihren sechs Kanten im Grund- und Aufriss darzustellen. Hierzu vgl. Fig. 1A und B im Texte. NB. Wir wollen die Pyramide im Maßstabe 5:1 darstellen, da die wirk- lichen Maße zu klein sind, und leicht zu Ungenauigkeiten führen. Man wähle zunächst einen der vier Eckpunkte als Spitze der Pyramide aus, z. B. d, dann ergiebt sich von selbst als Basis a, 3, e. Dieses Dreieck a, 6,c konstruirt man zunächst aus den gegebenen Maßen. Zur Bestimmung der Spitze kann man folgende Methode anwenden: Die Spitze d hat von a, 5 und ce gegebene Abstände. Der geometrische Ort des Punktes, der von a den gegebenen Ab- stand a d hat, ist die von « aus mit dem Radius ad beschriebene Kugel, der Ort in Bezug auf 5 eine Kugel von 5 aus, der in Bezug aufc eine Kugel von ce aus. Die gleichzeitige Erfüllung der drei Be- Morpholog. Jahrbuch. 22. 26 Theodor List 394 --- 44 t-e = nn nn) Henn ----4 \ ‘ i} \ iH \ \ \ 7 ' on \ | _ \ ‘ fy \ H \ r I \ N \ i) \ \ \ N \ N \ \ ‘ i \ \ ra IS ie _— u 1 \ n \ 1 \ i 1 \ 1 = \ ! De) ! f ie \ ne Ir; ly WY, Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 395 dingungen bestimmt d als jeden der beiden gemeinschaftlichen Punkte der drei Kugeln. «a 5 e liegt in der Grundrisstafel P’. Die von a, b und e aus beschriebenen Kugeln schneiden die Grundrissebene in größten Kreisen, die um «dc mit dem gegebenen Radius ad, dd und cd beschrieben werden. Die beiden Kugeln aus a und 5 schneiden sich in einem Kreise, dessen Ebene auf ad (und der Grund- rissebene) senkrecht steht und sich als die gemeinschaftliche Sehne ef beider größter Kreise projieirt. Eben so besitzen die Kreise von b und ce aus die gemeinschaftliche Sehne g A, die aus a und e die Sehne 74. Die Sehnen ef und g% schneiden sich in dem Punkte d, welcher die Projektion der beiden Schnittkreise d, d* der in die Sehnen projieirten Schnittkreise je zweier Kugeln ist; diese schneiden sich, weil beide Kreise auf derselben Kugel von 5 aus liegen; und weil die durch d’ gehende Projieirende diese Kugel nur in zwei Punkten trifft. Diese Punkte gehören dann jedem Punkte der beiden Kreise, daher auch jeder der drei Kugeln und dem Schnittkreise 74 der Kugel aus « und ce an. Verbindet man nun «’b’c’ mit d’, so ist ab’c'd' der gesuchte Grundriss. Um den dazu gehörigen Aufriss konstruiren zu können, müssen wir erst die Höhe bestimmen, die nicht gegeben ist. Wenn der Fall vorkommt, dass die drei Kreise sich in einem Punkte schneiden, der dann zugleich der 4. Punkt d ist, so ist die Höhe gleich 0, d. h. die vier Punkte bilden überhaupt kein Tetraeder, sondern liegen in einer Ebene. Im anderen Falle verfährt man so: man legt irgend einen der Schnittkreise in die Grundrissebene um, z. B. den vom Durchmesser g%, der auf g/ senk- rechte Abstand d’d’ ist dann die wahre Höhe der Pyramide abed. Alsdann kann man ohne Weiteres den Aufriss konstruiren. Durch beide Projektionen ist jetzt das Tetraeder vollkommen bestimmt. Aus dem konstruirten Grund- und Aufriss lässt sich jetzt der Winkel, den zwei Kanten des Tetraeders mit einander bilden, kon- struiren. Die Kanten, um die es sich handelt, sind ad und cd (unsere Gelenkachsen). Die zweite geometrische Aufgabe ist also die: Den Winkel zweier windschiefen durch ihre Projektionen ge- gebenen Geraden ab und cd zu bestimmen, von denen eine ab der Grundrissebene parallel läuft. Hierzu vgl. Fig. 14, B und C im Texte. Die Projektionen der Geraden sind «’5’ und c’d’ resp. a’ 6” und ed"; wir drehen cd um ab bis es in die Grundrissebene fällt; pro- jiciren c’d’ auf eine zu ab’ senkrechte Ebene MN; :d’ beschreibt da- bei einen Kreis um 5’ (Ad” = Bd die Höhe). d'’ bringen wir jetzt wieder zurück, d’ bewegt sich senkrecht zu «@’b’ im Grundriss; 20" 396 Theodor List projieiren e aus d’d, dann ist d der gedrehte Punkt und ’a’d die wahre Größe des Winkels, den wir ganz genau bestimmen können, wenn wir die Schenkel zu Seiten eines rechtwinkligen Dreiecks ergänzen und dann « als irgend eine Funktion, z. B. Tangente bestimmen. In unserem Falle bekommen wir z. B. folgendes Resultat: Iq 38,8 = 1,58883 lg 5,7 = 0,75587 19 38,8 — Ig 5,7 = 0,83296 19 tga 0,83296 = 81° 38’ 30” Diesen Winkel haben wir von 180° abzuziehen, da der Supplement- winkel unser konstruirter Winkel ist: 179° 5360° 81° 38" 30” 9. == "98" 21 720 Das wäre also eine Methode, die uns zum Ziele führen würde, die Lage der Drehachsen gegen einander zu bestimmen, die reine Kon- struktions- oder Projektionsmethode. Wir können aber auch die Gestalt und Lageverhältnisse jener Pyramide durch reine algebraische Operationen bestimmen, wie sie uns die analytische Geometrie an die Hand giebt. Zu diesem Zwecke be- ziehen wir unsere Pyramide, die wieder a, 4, c, d heißen möge, mit den Drehachsen ab und cd, auf ein räumliches rechtwinkliges Koordinatensystem. Eine praktische Lage des Tetraeders wird die sein, wenn wir z. B. ab durch den Koordinatenursprung gehen lassen und cd mit dem Punkte d durch die X-Achse. Unsere Aufgabe zerfällt nun in zwei Abschnitte: 1) Die Bestimmung der Koordinaten der Eckpunkte des Tetraeders und 2) die Bestimmung des Winkels, den ad und ed, zwei Kanten des Tetraeders, mit einander bilden. Hierzu vgl. Fig. 2 im Texte. I. Aufgabe: Gegeben ist ein Tetraeder mit seinen Stücken ab, ac, ad, be, bd und ed, es soll die Lage der Eckpunkte im Raume vom Koor- dinatenanfange durch die Koordinaten z, y, z ausgedrückt werden. Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 397 Die Basis des Tetraeders ist Fig. 2. acd und liegt in der Ebene. Die Spitze 5 dagegen ist im Raume liegend zu denken. Es sind: a ee Pa ee = 0: tq=ad; y¥a=0; zg=0. 2.==8: Für die Lage von ac und ad (in der Ebene) bestehen die YF Gleichungen: Zt Ye? = ac? D (da — 20)? + (Ya—yo)? = ed? (M) Da yg=0 so: x SE — 22.294 Ye? = ad? (Li) I — II ergiebt: rg? 22 Mrz Hy — ze —ye@=ed — ae? er a +24 — cd? ae 277 C Aus I ergiebt sich direkt: BE Ye Yae — Py Zo = 0. Für die Lage von ad und ad vr er bestehen die Gleichungen: ty + 22= 4 a b> (I) (za — 2)* + (ya — yo)? ana) = bd? (Il) ya 95 a= 05 2 = 0. (% — 26)? + (yp — Yo)? + (9 — 2,)? = be? (N) Man erhält aus I— II: + — 2 ++ — xy? — yp? — 25? = bd? — ab: ab?+ 2,2 — bd? 274 Ly = Eben so geht aus I— III hervor: %p? — 292 — yp? — 29° + 2.2 — Daya, — 2ypYo + 20? — be? — ab? Rn Pe Fe ae ee Yo 27, Aus I erhält man direkt: 2, =Vabe— (zp? ++ yp?) 398 Theodor List Die Koordinaten für a, d, c, d sind also: =; Ya=9,; ty=ad; Ya = 9; ac? + 2? — cd? —- — to 22; ) Yo = Vac? — 2,23 : ab +24? — ba? ; al +22 +y2— ber 22,2, bb 22, Yun 2y, Fee 2q—0; z c=); ey =Val?— (22 +43) II. Aufgabe: Bestimmung des Winkels, den die Drehachsen A (a4) und B (cd) mit einander bilden. Zu diesem Zwecke bestimmen wir zuerst den Winkel, den A und B mit dem Koordinaten-System bildet und erhalten für 4: cos (Az) =; cos (Ay) =; cos a a a a eben so fiir B: cos (Ba) = le; cos(By) = it; cos (Bz) =0; ca c 5 Alsdann erhält man für den Winkel » den A und B mit einander bilden, nach dem Satze: Der Cosinus des Winkels, welchen zwei beliebige Strecken im Raume mit einander bilden, ist gleich der Summe aus den drei Pro- dukten, deren jedes aus dem Cosinus der beiden Winkel besteht, die je eine Koordinatenachse mit den beiden Strecken bildet: cos mw = cos (Ar). cos(Bz)+ cos(Ay). cos(By). Zahlen-Beispiel : Nehmen wir dasselbe Tetraeder, fiir das wir vorhin mit dem reinen Konstruktionsverfahren die Lage der Drehachsen bestimmt haben. Seine Maße waren in mm: ab[cd]=9; ac[ad)=8,5; ad[bd| == TAS bc acl —4.3, balbe]| = 5,0. eo an: (Die [ ] enthalten die entsprechenden Seiten des vorhergehenden allgemeinen Falles.) : Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 399 Da beim Konstruktions-Verfahren d die Spitze des Tetraeders war, müssen wir hier für [aJ=c; (6) =d; [e)=b; (d) =a setzen und erhalten dann: 4 | ae HER FE 8 yes eh __ 7,42-+ 8,52 — 5,9? = = = J 42; ‘3 2-8,5 : y=V 7,42 — 5,422 = 5,05; 2 = 0; 2 2 8,57 7 97 ' METIS ELGG NIM = 5,34; 92 + 5,42? + 5,052 — 5,6? —2-5,34-5,42 ae, me 2-5,05 pete zq = V92 — (5,342 + 4,622) = 5,58. cos (4 2) = = = 0,5933 ; cos (Ay) = = — 0,5133. 85—542 _. — 5,05 Au — 9.59903: ia alsa. 2 tr, cos (B z) 5,9 0,52203; cos (By) 5,9 0,85593 cos w = 0,5933 - 0,52203 — 0,5133 - 0,85593 = — 0,1318 lg 0,1318 = 9,11992 — 10 w = 82° 25’ 34” Da jedoch — cosa = cos (180 — a) ist 179° 59’ 60” 82° 25’ 34” wo =. 97° 34’ 26" Vergleichen wir diesen auf analytischem Wege gefundenen Winkel w = 97°34’ 26” mit dem mittels des Konstruktionsverfahrens erhaltenen « — 98°21’30”, so ergiebt sich eine Differenz von 0°47’ 4", also ein Unterschied, der in Wirklichkeit gar nicht in Betracht kom- men kann. Daraus ergiebt sich, dass beide Methoden zu einem sicheren und genauen Resultate führen. Es können desshalb nur rein praktische Gründe sein, die uns veranlassen, der einen Methode vor der andern den Vorzug zu geben. Im Allgemeinen führt die analy- tische Methode rascher zum Ziele und vielleicht zu einem relativ sicheren Resultate. | Nehmen wir an, dass wir beim Messen einen kleinen Fehler gemacht haben und wählen die Projektionsmethode, bei der wir die 400 Theodor List III. Tabelle: Tetraeder a,b—e,d |x,= 5,5/2, = 38|y,= 9,9 2, = 4. jy,= 1,2), 6,3 a= 9918, = S e,d—1,2 | a, = 2,9 z= 3,1 UG 40|2,=- 4,7 )y,=— 2,8] 2, 2,9 At 3,7] x, = 4 ee) 1234 je,= Male 4,2|y,= 3,5 x, = 0,22 pee 3,7 | 2, = 1,3 x, = 8,7|2,- 4 ©} 34-56 | = 150|2,- 14,6]y = 38|2,--048|y, = 1,9/2,- 43]|2, = 16,7\2 = 16 "1506-78 |2 = 9alz,= T4ly = 322, =: 111y,=00,86|2,=, 3,62 = 107) 2 - 7,8—9,10 | x, = 9,9] a, = 9,5 Pe 19/2 = -1,5/y, = 0,62 | z, = 3,4 x 11,1] 2, = 11 a,b—ed |x,= 58|2,= 5,7/y,= 6,0 @,= 9,2/y, = 1,2) 2,= 66 t= 5,9)" = @ | ed—1,2 a, = 3,0] 2, = 4119, - 3,7 t= AAly, == 3, Bee = oe a= 39|8 = =|12-34 |z,- 80|2,-= 4,2/y¥,= 30|z, =- 0,8/y,-— 36|2,= 122 = 93/2, = 2134-56 |e = ı73|2,- 175|9,= 42|2- 02|9,- 20)2,- 472 = 194|2,= 1 = 56—7,8 |z,= 11aj2,= 941%, = 31lz,= 05)y,=— 0,9) 2, = 3,4 a= 13,7|2,= 1 78—9,10|2,= 150)2,= 15,3)y¥,- 17|2,= 13|9,= 0,8) % = 30a = 15,6|2,= 1 ab—ed \a,= 54|2,= 52|y,- 58|2,= 55|9,- 10|2, = "Alz,- 5,9)@, = = c,d—1,2 a= 3,0) 2, = 32|y,= 38)2x, 3,7) Y= — 22 | Fa= 3,8 t= 3,8) 2, = 3/1234 |z,= 7,8|2,= 33]y,= 237|2,=- 01|9,-- 36/2 = 1212= Otle, = E 3,4—5,6 |z,= 15,0|2,= 15,3) y, = 39|2,= 13}y,= 3,0) 2, = 4,0 w= 17,0} 2, = 5 |5,6—7,8 |2 = 95|2,= 7419,= 30|2,= 1,2/y, =—0,06) 2, = 3,6] 2 = 10,9) 2. = 78—910}a = 13,1)2,= 13,2} y, = 2,3 By 0.157 = 0) | 2, ee a= 14,1], = ab—ed |x,= 60|2,= 50|9,= 46|2,= 5Aly,= 2,7) = 62) 2,= 6,7)", = | ed—1,2 |x = 39|2,= 48|y= 34|2,= 3,6/y¥,=— 0,7) 22= 30) e = 44] 2, = 2 12—34 |z,= 55|2,- 24/y,= 252,- 0,2)y,=— 3,0] % = i z,= 6,2| 2, = ~ 34—5,6 |x = 13,6|2,- 134|y,= 36|2,= 1,0/y,= 2.1/4, = Silz = 14,2} 2, = 156-78 |e = R272 = 6,7 1y) = 2,9)! Tidy, = ~1,0) 4 = 31le = 5,9|2, = 7,8—9,10) 2 = 14,1|2,= 141|y,= 15|2,= 06|9,- 0,1) 4, = S12 = 14,5), = u a,b—e,d |x,= 60|2,= 55|9,= 82|2,= 48|9,= 24/%= S 4a - 6,92, = B | od—34 | a= (9,7) e.=)68|y. =.) 8,7 |2,=- 1,7|9, = 0,6) 29> 5 SMa asalz = 2 34-586 |2,= 169|2,- 180|9,= 10,4/2,--0,6/y¥,- 43|2,= Slla = 20,412, = 3 5,6—7,8 |z,= 125|2 = 67|y= 86|2,= 2,91%, °- 18|2,= 98 a= 1i1lz, = 7,8—9,10|2, = 19,5|2,= 17,0|y,= 5,2|2,- 6,7|y,=- 74]4,= 25]. 30,5], = Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 401 aten-Verzeichnis. a = 6.6 || = - b % 5 oF 5.6 x = 2,8 97 = 1,2 T, = 4,9 Y, 2,8 of eo "S,5 = id R B41 | 2, -- 0,2/y, -- 43 enge steals CER REG LC AER 48 rau 03 h ‘ ti 2 5 a uh bad “bb = 4,3 whe = 4,1 x, = 0,1 y, ai 3,8 | 4 „= «82a, = 16, Aal re yare-obilias? 5 w= 162|y,= 48|2,-- 06|y,- 2,6 ß ) 6 ’ Ge 0,1 en 4.6 = 10.3 x = 75 7 2 37 4 Bo|z = 1,9/y, =) 0,15} 2-1 3,9 sank abi hahha er 8 8 10 el a 10,5 u 2,9 r= 29 y,= 0.6 oie = 6,1 = 5 7 \ b Y 2,5|2, = 3) 5.5 . \ u a b ä > b i Ly 5,9 |, = 44 y= 6,9 zu EEE i d >1Ya 3,1 aa 3.8.2 = 023er SE Auk : , 2 -- 01|y,-- 0412 - 09 pt ff 1 ur ME 5|t,= 5,0 Zr oF Bele - ogly,- 1,9\z, - 55 | 2, ne ia iB You a pet wee 4 4 ? Sud = b Bu [ = x BOl2- 129 -- 1712 - iho 130 | % Ti y= ABl = Oly = 2,3 6 ar 4 ’ = er = = 25|2= 08 y= 0,4 SD a, eae > Ye ie nn are 8 8 10 ’ a, = 5,2 Y, = 4.6 x. = 1,6 Y, = 0,7 oz 29°73) yi = 202-907 R b Y z= 7,9 u = as gie $; v4 57 )e,= 5,2)y = 67 la,= 62)y = 1,6 ’ d ’ Ya 2,8 a) 3.7|x = dee 37 b ig = REGAL v= 42)a,= 51|y,=- 3,0 2 A (DGTP es O0ll2 = 83|2, = 35|y = 32 \ a B2lz = 42ly = 1 26|%- 43lc - 168|2, 2: 168 ck ; > i 2 Fi oo eae yi 149 » iis 8 3,7Ix = 18|y =- & = nem. nz ıy,= 2,6 6 8|y =- 03|2,- 46|2,= 101|2,= 79|y = 3 : a I, = ee ’ = 1,2 RS = 3.6 és = 14. : x a7 5 ” eer 1,2 ur = 0,07 8 , 8 5) 10 Al) Er = 14,0 Y, = 2.0 x. a 9 1 Y, 2 1,1 5,6 fit 6.1 = = - b Migs (alec Tale =) Balz = 48] y= 5 aaa E 2 “ md e Sly = 53|2,= 55|9,= 0,8 2 d ? Ya 0,6 3,6 4 Stal 45 ie = hi © b a d ? ‘ ‚2 4,6|y = 3,8 = 2,9 He 0,4 Y =— 3.0 ee 2.6 = = 5.8 Pi a 26 4; ? so 4,4 oa 0,7 alc = 08 , ip TS ö 5 ie i N 3° FR Hr 2,6 Ly = 0,2 y, =~ 3,3 4 4 - ee = ie Fi ge By | 2G f fir 4 6 5,0%, Oe 4,2 z= O9\g = 24 Ei” Oly,= 16|2= 372 = 85)e,= T2ly = 3 = hes 23|y,= 1,0|y = 0,05|2,- 3,6 wf ii ia ae Ya) IS Sale y] wa = = 10,1 a 9 U = ara cle 1,0 [202 ie a2, SRH a= = b ’ Y, Man |lrzer= 92|x.= 6:1 | 2; = 5.7 10,0|2,=— 0,1 ei / Kan d £ rf oo 9,4 x, = 4,9 |y, = 13,6 d 11%,° 3,2 27° 96x, = 15917, = 12,1 u & b 14,5 CS 0.6 Yy = 73 7 ; = Y¥, = 2 ty i,3 N os 1,1 N; 4 a 4 ’ + a 10,8 i = 18,5 T, = 19,4 Yy.= 13,9 x —0,07 Y 5.0 ? i= 4 =— 5 ae 2 2 6 ? y Sonat ste 3-5 = = 7 4 ’ 8,0 ies 9.7 an 9 6 b] ur 15,5 u 1,2 Ya: 10,5 Pig = 4,8 Y ze 32 8 ? UR =—10,1| 2 = 53|x2 = 25.9 - 22 5 6 2 8 ’ » 39 | Lg = ‚3 ¥, = 6,4 t= 8,9 y,=7 6,5 402 Theodor List wirklichen Maße mindestens fünffach nehmen müssen, so machen wir den anfänglichen Fehler bedeutend größer, während wir bei dem analytischen Verfahren das wirkliche Maß beibehalten und dem- gemäß einen nur sehr kleinen Fehler machen. Das analytische Ver- fahren führt uns rascher zum Ziele, denn um den Winkel, den die Drehachsen bei dem Scherenfuße und den 4 Gehfüßen mit einander bilden, zu bestimmen, müssen wir über 90 Konstruktionsaufgaben lösen, was ungleich mehr Zeit erfordert, als wenn wir 29mal. die analytische Methode anwenden, wobei uns eine gute Rechentafel sehr viel mechanische Arbeit erspart. Mit Hilfe der analytischen Methode wurde der Winkel, den je zwei Gelenkachsen des Scherenfußes und der 4 Gehfüße mit ein- ander bilden, an drei verschieden großen Krebsen durchgeführt. Betrachten wir zunächst die zu dieser Winkeltabelle (Tabelle IV) gehörige Koordinatentabelle (Tabelle III). Wenn wir uns ein recht- winkliges Koordinatensystem hinlegen, so können wir direkt die in der Tabelle verzeichneten Maßzahlen darauf abtragen und erhalten ohne Weiteres Grund- und Aufriss der einzelnen Tetraeder. Jedoch ohne Konstruktion geht unmittelbar aus der Tabelle hervor: Dass bei allen Füßen je zwei auf einander folgende Drehachsen in verschiedenen Ebenen liegen, eine Ausnahme kommt bei den 4 Gehfüßen nur bei der 3. und 4. Gelenkachse vor; wir sehen, dass die Höhen (Z)-Koordinate des betreffenden Tetraeders in einigen Fällen Null oder fast Null beträgt, oder doch in allen Fällen den kleinsten Werth besitzt. Aus der Winkeltabelle (Tabelle IV) selbst geht hervor: Dass die Gelenkachsen sehr verschieden große Winkel mit ein- ander bilden; dass die Gelenkachsen (1, 2) und (3, 4) den klein- sten und (3, 4) und (5, 6) den größten Winkel mit einander bilden. Auf die Bedeutung dieser Thatsachen, sowie auf die abweichen- den Verhältnisse, die der 4. Gehfuß und der Scherenfuß den anderen Gehfüßen gegenüber aufweist, werden wir im physiologischen Theile unserer Arbeit näher eingehen. Sehr wichtig ist noch die Frage, unter welchen Winkeln die Beine am Körper selbst eingelenkt sind. Eine Angabe über diesen Punkt finden wir bei LAnGEr (pag. 8): »Bekanntlich bildet das Trabe- cularskelet des Thorax bei den Dekapoden nach unten zwischen den einzelnen Leibesringen fünf Öffnungen zur Aufnahme des ersten Gliedes der Beine; die schief unter 45° gegen die Symmetrieebene Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 403 des Leibes gestellten Durchmesser entsprechen den Drehungsachsen der Sebarniere.« Diese Angaben sind zum Theile ungenau oder gar falsch, besonders bezüglich des 4. Gehfußes, dessen Körpergelenkachse auch in ihrer Lage eben so von der der übrigen Füße abweicht, wie in ihrem Baue. Um die Lage der Körpergelenkachsen vollständig genau bestimmen zu können, verfahren wir so: Wir legen die Symmetrie- ebene fest durch 3 Punkte, die ein Dreieck zusammen bilden, z. B. die Spitze des Rostrums und 2 Punkte der Sternalregion. Mit diesen drei Punkten bildet jeder der 10 Drehpunkte der fünf Gelenkachsen ein Tetraeder. Nennen wir die 3 Punkte der Symmetrieebene a, J, c und die Drehpunkte d, und dp. Nachdem alle Maße ge- vr nommen sind, berechnen wir x zunächst die Koordinaten oder Eckpunkte des Tetraeders a, b, ec, d,, sodann die von abed,. Da uns ferner die Entfernung d, d, bekannt ist, können wir direkt den Winkel, den die Gelenkachse, z. B. mit der Z-Achse, macht, be- \ dh pias stimmen nach der Formel REAP E : Zdy — Zd sine = ee) Auf ähnliche Weise können wir F die Lage zur X- oder Y-Achse finden. Noch einfacher und praktischer ist die photographische Methode. Wir machen uns ein Präparat von dem inneren Skelet mit den Gelenkpunkten der Füße und nehmen dieses Präparat auf. Die Fig. 13 auf Tafel XVII stellt ein solches Bild dar, bei dem nur genau die Lage der Gelenkpunkte wiedergegeben wird, alle Einzelheiten der photographischen Aufnahme wurden weggelassen. Bei Fig. 14 derselben Tafel stellt 5’ S” die Symmetrieebene dar, auf welche die Lage der Körpergelenkachsen bezogen wurde. Hiernach bilden der Scherenfuß einen Winkel von 64°, der 1. Gehfuß von 52°, der 2. Geh- fuß von 37°, der 3. Gehfuß von 36° und der 4. Gehfuß von 83° mit der Symmetrieebene. Wir sehen, dass sich also auch hierin der 4. Gehfuß ganz wesentlich von den übrigen Füßen unterscheidet. 404 Theodor List II. Tabelle: Wirkliche Maße. 3 = || 1. Genfus III. Gehfuß IV. Gehfuß Scherenfuß 25 C A B Cc A BANC A B C 3 un mm mm mm mm mm mm mm mm mm mm a,b 8,7 9,3111 10,2 8,6| 9,7 9,3] 10 |12,1|10,8 a,c 7,8 | 7,8] 8,7] 8,5] 6,81 7,01 aoe 10 11,711 a,d 5,6 5,4| 5,9| 5,71 6 | 6,7| 6,4 6 | 6,9| 6,1 b,c 8,3 8,8| 9,6| 9,5 6,7| 8,6] 8,7 © |10,2}10,9|10,6 bd 1.2 7,5| 83| 8,1] 6,7| 7,5| 7,5 8,8110,2| 9,7 c,d 7,8 5,8| 6,8| 6,7|| 4,8] 5,8] 5,6 8,3|10,2| 9,5 cl 6,2 5 | 6,2| 5,6 5,9| 6,3] 6 0,2 3,5 3 | 3,8] 3,5] 3,9] 44] 4,2 d,1 8,2 7,2| 8,4| 8 | 5,4] 5,9] 5,7 d,2 5,3 4,5| 4,s| 4,6) 3,1! 3,6] 3,4 1,3 4,5 3,8| 4,6| 4,2] 3,5| 4 | 3,8 1,3 6 4,3| 4,9| 4,8|| 3,5) 3,9| 3,7] ¢,2 |11,1)11,1/16,5 1,4 8,2 7,8| 9,1| 8,3) 5,5| 6,2] 5,8] «4 | 9,7117,1)15,9 2,3 9,3 7,3| 8,5| 8,1 6,2| 6,8] 6,5] d,3 |15 |13,4[12,7 2,4 9,2 8,8110,1| 9,5|| 6,3] 7 | 6,6] d,4 |14 |16,9|10,5 3,4 5,5) 5,2| 5,2| 5,7 3,9] 4,5) 4,1 9,2| 13,1) 11,8 3,5 16,9 15,8 |17,5)17,5|13,9| 14,6 | 15,3] 20,8 | 26,6 | 23,9 3,6 7| 16,3 15 117 |16,8|/13,6| 14,2] 15 16,9| 20,4} 18,5 4,5 17,6 14,6| 16,3) 15,9//12,8 | 13,9 | 14,2 21,2| 26,4 | 23,9 4,6 17,8 14,5 | 16,5 |15,9)/13,1 | 14,3 | 14,6 19,8} 24,8 |22 5,6 4,6 3,8] 5 | 4,611 3,6] 4,2] 4,2 10,4|14,5|13,2 5,7 8,4 8 | 9,3] 8,6] 7,3| 7,8] 7,8 10,9| 13,7 | 12,8 5,8 10,3 9,5/10,9|10,1| 8,2] §,9| 8,5 12,5] 17,1|15,5 6,7 8,9 7,8| 9,1] 8,7|| 6,7| 72] 7 14,8\19,6 118,3 6,8 9,9 9 |10,2| 9,9] 7,8] 8,8| 8 13,8| 16,8 |16,3 7,8 4,5 3,5] 4,4] 4 || 3,2] .3,8| 3,2 10,3115 |13,7 7,9 10,9 13,4 |14,4|14,2114,2)14,4|14,8 17 127,7123,7 7,10 10,6 13,1114,1|14 |14,1|14,5|14,9 19,5 | 30,5 | 25,9 8,9 9,4 12,2|12,7|12,6|13,9|13,8] 14,2 16,5 |25,3[21,5 8,10 9,2 12 |12,6/12,513,8|13,9]14,2 15 |23,7|19,9 9,10 2,5 14) 281 Bas 2,11 ee 6 | 88| 71 9,11 9,4 6,5| 7,6| 7,91 6 | 7 | 7,5] 128,8140,7|36,7 9,12 9,3 28,4|41,5 [37,5 10,11 9,9 6,2| 7,5| 8,1 6,1] 7,3| 7,2 29 |41,7|37,3 10,12 10 a 29,6 |42,4|38 Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 405 IV. Tabelle: Winkel-Verzeichnis. | Ber | A B Cc Mittelwerthe | a,b—ce,d | 89° 12/ 92°° 58’. 30” |:ı 95°; 49°. 30” | 92° 407 Pee te te GE cae ae | 740 Ont SI" 760 AG! ae | 74° 16% Bor Qe. eas A > ou Oe oe TSP Oe) 510° AT oe Be ore | tla) rani Mann pet ge) pple Fra OHR Bra | 1159 sone EPEAT, BUSES rg. 10 re 7635| it » 35%. 50% 1,8—9,10| 94° 42° 54” | 92° 44 | 1.960 4.37.40” 949%) 17. ZW | ab—e,d |: 93° 57 257) 97° 247 5”) 94° 52’ 15”| 95° 24 35" | ed—1,2 | 69° 14 35”| 74° 5’ 40”) 68° 32! 35” | 73° 57’ 36" Ste 3 As) 650 4907 Ag” | ‚su a5 now | 620, Ase 207) 61° 117, 56" 5 | 3,4—5,6 | 115° 30, P12 347547 | 115° 10° | 114° 27" 38” Bene gio A 10". 4 63° 99. BOP 700328 am ED. tere ai” 7,8—9,10| 107° 28’ 10” | 100° 41’ 5” | 104° 15’ 53”) 104° 8” 22” BB cd | 95% 41" Abe 97° 53751" | 96" 48" 96°" "47 “527 Si ed—1,2 | 70° gr 157 | 68° 26" 40”| 65° 11" 15%) 67° 557 43” = |11,2=3;4|9.63° 4! 307 | 56°) 52’ 50” | 63°) 12/20") 61° 27,13” PAE nl 4949 ber O90 247.40” | 118%, 20° 25" | 121°. £7) BY mR GEA Da 41 (15) THe BE 45) = 82" 16" 15" a BT ae 19:10) 110°° 29" 24" oa 47" 50" | OR TP aa 106% a8 8” _|a,b—ed | 97° 25 S725 347 30" | Gar. 20° 30” | 1900. 70 erat G | ed—1,2 | 91° 52’ Sea <6" gf Ar. Oh Ge. bu" eae | 1,2—3,4 | 53° 10’ 50” | 57° 377 20”) 50° 51’ 40”) 53° 53” 16” GNM Gig WDB! GA" (1996919! 0740” n424™ 49435 | 1239 SSS vw 5 | 5,6—7,8| 96° 16’ 50”| 102° 18’ 45”| 98° 20’ 15”) 98° 58’ 36” ee 8-910: b 919: 541! Be 27 | 99° 197 25" |. 93° 107 ‚487 oi | ab—ed | 102° 117 33” | 106° 50° 45” | 107° 47” 105° 36’ 26” = | cd—3,4 | 89° 46’ 76° 45° 40”| 81° 57’ 50”| 82° 497 50” 34.56 | 117° Be 5 Sa: aa Ti Sal P14 ba! U ae dr ka 19" ee 78 | 73° oe a DEST ir SIP 26) TI 37” a | 78-—-9,10| 28° 43° IP gan atl som hI08 86! y 50% Ill. Kapitel. Die Darstellung der Gelenkachsen der Fülse. Vegi. Tafel XV. Um ein anschauliches Bild von der Gestalt der einzelnen den Fuß zusammensetzenden Tetraeder und der Lage der Drehachsen zu einander zu bekommen, ist es nothwendig, dass wir den Gesammt- Grund- und Aufriss der vier Gehfüße und des Scherenfußes der- selben Körperseite eines Krebses entwerfen. Zwei Wege führen wiederum zum Ziele. Entweder wir setzen die einzelnen schon bei der Bestimmung der Winkel der Gelenk- achsen im Grund- und Aufriss konstruirten Tetraeder zusammen, 406 Theodor List oder wir wählen die analytische Methode. Bei der konstruktiven Methode haben wir eine Menge von Konstruktionsaufgaben zu lösen, denn wir haben ja immer so verfahren, dass bei jedem Tetraeder ein Dreieck als Basis in die Grundrissebene zu liegen kam; wenn wir nun z. B. das erste Tetraeder mit dem zweiten verbinden wollen, so sehen wir, dass die zweite Gelenkachse (c, d) bei dem ersten Tetraeder im Raume liegt, während dieselbe Achse beim 2. Tetra- eder in der Grundrissebene liegt, da sie hier eine Seite des Basal- dreieckes ist, wir müssen also das 2. Tetraeder (c, d, 1, 2) so lange drehen bis c, d des 2. Tetraeders in die Lage c, d beim 1. Tetra- eder kommt. Alle die Konstruktionen müssen wir in ähnlicher Weise bei allen Tetraedern ausführen. Die Lage, die dann das ganze Bein bekommt, ist irgend eine von den vielen natürlichen Lagen, die dies Bein einnehmen kann, aber keine, von der wir sagen können, auf diese oder jene Weise müssen wir die einzelnen Gelenke drehen, um eine jener Konstruktionslage gleiche Lage zu bekommen. Da- gegen können wir mit der analytischen Methode jede von vorn herein bestimmte Lage berechnen und dann aufzeichnen. Dies hat, was sofort einleuchtet, einen sehr großen praktischen Werth, zumal bei einer Arbeit, in der Füße von verschiedenen Vertretern mit einander verglichen werden sollen, haben wir z. B. dem Beine des ersten Vertreters die extreme Strecklage gegeben, so können wir jederzeit jedem andern Fuße die gleiche Lage geben und so die Zeichnungen direkt mit einander vergleichen. Außerdem können wir die natürlichen Maße beibehalten. Die Tafel XV stellt die 4 Gehfüße und den Scherenfuß der rech- ten Seite des Krebses B im Grund- und Aufriss dar. Alle Glieder der verschiedenen Beine wurden in die Streckstellung gebracht, mit Ausnahme des vorletzten (6.) Gliedes bei den 4 Gehfüßen, das in eine mittlere Lage gebracht wurde, so dass das 5. und 6. Glied eine gerade Linie mit einander bilden. In dieser Lage wurden die Ent- fernungen aller Drehpunkte von drei zur Basis ausgewählten Dreh- punkten aus a, 6 und d abgegriffen. Mit jedem dieser Punkte bildet jeder andere Drehpunkt ein Tetraeder, dessen Koordinaten wiederum auf die früher erwähnte Art berechnet und dann auf einem recht- winkligen Koordinatensystem abgetragen wurden. Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 407 V. Tabelle. VI. Tabelle. Wirkliche Maße in mm zu Tafel XV Koordinaten-Verzeichnis zu Tafel XV EEE ME: SP RE BB ER jroBio| oSeki)tag PHBE UR, ete oe PP | Was = = > 3 N = = 5 3 a,b op | 119.9 Kine 19,0 1d ay Sheva 3 hoped a,c Baal BZ Te ET eat a Aid ol 5 A 5,1 5,8 a,d sg aos) 501 67, 69: 9 Zu Tan OD be 88! 90] 96) 86] 10,9 . a, 62) Gt gs Gl 6,5 Ba 69") TS eee Tu 102 ~My, Pe eal ee el aes ed 7,6 7.6 6,8 5,8 | 10,2 7 6.6 1,9 7.9 1,3 9,2 al .}. 10,4 |} 9,6 | 10,9 | ‚4,7 x G0) Aal BO) 24 eats. 2) 1383| 1421| 117 Yi |— 2,9 |— 4,2 |— 6,1|— 7,3 d,l 851786. |-84]- 5,9 2 7.9 7 5.7 |— 6,0 a,2 8,1 8,1 8,5 6,7 x 6,3 6,2 | 9,1 b2 | 86| 9,6] 10,1] 10,0 ya 07-03 1,6 4419 d,2 5,0 Be. AL ee: 22 5,0) 53) 43/— 94 mee tee.) 154 | 154s) 9-41) 91.7 | ae SO 2 a 9.8) 1) 13 #108 2 al 187 | 179+) 158 | 208 ys |\—-43J— 70 Polo of Bea 1a | ao ri | IS) te ol) are a4 | 17,7 | 18,1] 183] 110] 208 |] 11,4] 98] 120| 49| 141 BA |16,6 | 18,9] 17,3 | 169] 133. y | 1,0\— 26l— 11l-140| 11,2 Be | 15,0, | 15,1, | 70,0 | 169° ee} 18.5) 14.9 |) 13:7 9,9» 104 a,5 | 33,3 | 34,9 | 33,0 | 21,8] 458. 25 | 14,4] 11,0] 20,0 |— 2,0| 27,6 6,5 | 34,9 | 38,2 | 33,3 | 30,0 | 396 ys |—10,5|—17,4|—11,2|—30,9| 17,0 Ge 802) 33,5) 208 | 23.4) 420 = | 281] 981) 2971-91,9| 323 a6 | 328 | 34,0 | 32,5 | 212 | 40,7 2 | 17,3| 136|-124/— 1,2| 331 6,6 | 34,1 | 37,6 | 32,8 | 29,6 | 36,1 .y6 |—10,6|—201] 20,8|—31,8| 5,1 6) 30,1 |:32,1 | 239 | 22.6 | 35,3 2% | 25,7)|693,81- 24,6 23,71, 23,1 a,7 | 40,7 | 44,2 | 395 | 274 | 564 = | 183] 10,3/—19,7|— 4,8| 38,7 6,7 | 429 | 489 | 41,0] 356 | 51,9 y7 |—17,6|—30,1] 26,5 |—41,7| 8,6 d,7 | 38,4 | 43,2 | 36,6 | 299 | 519 = | 31,8| 37,4] 254|-29,8| 401 as | 432 | arı | 23| 295 | 57,6 | 20,01 155/—17 |— 68| 50,9 b8 | 44,8] 50,9 | 428] 38,5 | 51,5 ys |—15,7/-28,8| 20,2 |-38,3 | 10,8 d,s | 40,8 | 45,5 | 38,9 | 31,6 | 51,6 = | 34,9| 33,8| 289{/—27,8| 24,7 a9 | 51,9 | 604 | 544 | 109 | 777 a | 22,7} 1201-285 |-16,2| 63,1 69 | 541 | 65,3 | 55,9 | 50,2 | 734 yo |—23,4 |-43,0| 36,2|-55,7| 2,6 d,9 | 496 | 595 | 51,5 | 44,0 | 722 = | 40,3| 40,6| 26,8 41,1) 45,2 al 212 1600| 5536| 41,3 | 799 „zueim21.6| 13. |—29.1\—14,4| 692 5,10| 53,6 | 64,9 | 55,4 | 50,6 | 74,8 yo |—23,4/—10,7| 361/— 58) 60 d,10| 49,1 | 59,0 | 50,9 | 44,1 | 740 zo} 40,2| 421] 297 /—43,1| 39,4 a,11.|u51,4 |, 65,3) 59,8 | 46,5 117,0. 24.11.28,0.|1.8,41-37,3 1—17,5.|- 912 6,11} 60,5 | 71,0 | 62,1 | 56,0 11134 yy |—32,6|—51,6| 36,0|-60,0| 4,5 d,11| 55,3 | 648 | 57,1 | 496 [1117 24 | 41,2| 39,1 41,6 | gael a,12| 56,8 | 64,8 Mee Meee 2s 88,4 b,12| 59,8 | 70,3 113,9 yıa |—31,3 |—50,0 2,8 d,12| 54,7 | 64,2 112,4. gol AE Gil 04 | wth 408 Theodor List IV. Kapitel. Die Längenverhältnisse des Scherenfulses und der Gehfiifse. A. Vergleichende Betrachtung der Gesammtlänge der Füße. Genaue Resultate für die Gesammtlänge eines Fußes können wir nicht durch die direkte Messung bekommen, dagegen annähernd genaue mittels unserer Tabelle: Wirkliche Maße (IH. Tabelle). Wir haben einfach das arithmetische Mittel der Abstände zweier ac+b,d c1+d,2 ara Ve ete. Wenn wir die Zahlenwerthe der sieben arithmetischen Mittel addiren, so bekommen wir z. B. für die beiden Krebse B und ©: VI. Tabelle. entsprechender Achsenpunkte zu berechnen, z. B. B Cc mm mm I. Gehfuß | 68,6 | 66,8 II. GehfuB 79,1 | 76,2 II. Gehfuß | 69,2 | 67,8 IV. Gehfuß | 61,7 | 61,7 Scherenfuß | 132,7 | 120 Hieraus sehen wir, dass in der Größe der 4 Gehfüße kein sehr großer Unterschied besteht, dass der 2. Gehfuß immer der größte und der 4. Gehfuß der kleinste ist, dazwischen liegen der 1. und 3. Gehfuß, die fast gleich groß sind. Der 4. Gehfuß ist ungefähr halb so groß als der Scherenfuß. Wenn wir die genaueren Werthe nach oben oder unten abrunden, so können wir sagen, dass bei einem ausgewachsenen alten Fluss- krebse sich der 1., 2., 3., 4. Gehfuß und .der Scherenfuß verhalten wie 7, 8, 7, 6 und 12. Bei kleineren, jüngeren Thieren zeigt sich eine Abweichung bezüglich des 4. Gehfußes, wie folgende Tabelle VIII von dem Krebse A und 4’ zeigt: VIII Tabelle. I. Gehfuß | 59,4 | 59,8 II. Gehfuß | 69,4 | 70,2 II. Gehfuß | 61,4 | 61,5 VI. Gehfuß Dei.) 561 Scherenfuß 994 | 107,1 Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 409 Aus dem Vergleiche der beiden Tabellen ergiebt sich, dass bei der Größenzunahme. der Beine der 4. Gehfuß hinter den anderen zurückbleibt, und dass besonders der Scherenfuß an Größe und Stärke zunimmt. B. Vergleichende Betrachtung der Längen der einzelnen Fußglieder. Interessante Resultate bekommen wir, wenn wir die Längenver- hältnisse der einzelnen Fußglieder bei einem Thiere näher betrach- ten. Die beifolgende Tabelle IX ist aus der Tabelle »wirkliche Maße« auf die oben erwähnte Art erhalten worden. IX. Tabelle. A i B iat | [4 3 ı | ' 3 \ S2lı | u|lm|w| 8.18 ı u [mw 8.8 | || ıv Da E Gehfuß ar = Gehfuß 3“ 2 GehfuB = 1| 6,8| 7,5] 7,61 6,7] 9,4 1] 7,7] 8,2) 8,5] 7,5] 10,9] 1 | 7,5| 7,7) 8,3| 7,3) 10,3 2} 4,7) 4,9] 4,7 4,5] yo 5) 2] 5,7) 5.8) 5,5) 4,911, |) 2 | 5,7) 54) 5,1 le 3| 7,1) 7,4] 6,5) 4,9) 3| 81] 8,1] 7,5] 5,4) 3 | 7,6| 8 | 7,1] 510% 4 |15,6/17,9|15,1/13,5) 20,3) 4 |17,6[20 17 |14,4] 25,7] 4 |17,3/19,8)16,7/14,9) 22,9 5| 8,5110,6| 8,5| 7,5 12,3) 5| 9,8l12,7| 9,7| 8,3] 15,21 5 9,1)11,5| 9,21 7,91 14,5 6| 9,3/14,7/12,7/14. | 16 | 6 |10,6(16,1/13,5/14,1| 25,7) 6 10 l15,2113,3l14,5| 21,8 7| 7,4| 6,4] 6,3) 6 | 29,9] 7 | 9,1] 8,2] 7,5] 7,1| a1,a| 7 | 9,6] 8,6] 8,1] 7,3| 37 Ziehen wir zu unserer Betrachtung die Gliederverhältnisse z. B. von dem Krebse B heran, so ergiebt sich Folgendes: Das kleinste Glied ist bei allen Füßen das 2.; dann folgt das 3. In der Länge dieser beiden Glieder weichen die beiden ersten Gehfüße nicht viel von einander ab. Dagegen sind beim 4. Gehfuße diese Glieder zu- sammen um 3mm kleiner als die der 3 anderen Gehfüße. Sehr in- teressant ist, dass die entsprechenden verwachsenen Glieder beim Scherenfuß kaum etwas (0,2 mm als der 1. Gehfuß) länger sind als bei den 3 übrigen Gehfüßen. Das 1. Glied ist am größten beim 3. Gehfuße, was mit der tiefen Lage des äußeren Gelenkpunktes 5 dieses Gliedes zusammenhängt. Dieser Punkt liegt am höchsten beim 1. Gehfuße, weniger hoch beim 2. und am tiefsten beim 3. Gehfuße, daher die steigernde Länge des 1. Gliedes bei den 3 Gehfüßen. Das 7. Glied ist das größte Glied des Scherenfußes und im Durchschnitt fünfmal größer als das entsprechende Glied des 4. Gehfußes. Von den übrigen Gliedern ist das 5. das kürzeste, es folgt dann das 6. und das 4. Diese drei letztgenannten Glieder sind am längsten beim Morpholog. Jahrbuch, 22. 27 410 Theodor List 2. Gehfuße. Das 4. Glied ist beim 4. Gehfuße wesentlich kürzer als bei den übrigen Gehfüßen, während im Gegensatze hierzu das 6. Glied bedeutend länger ist, als bei dem 1. und 2. Gehfuße. Besonders gilt dies bei den kleineren Thieren, wie aus der Tabelle für Krebs C und A deutlich hervorgeht; ja hier erreicht dieses Glied fast die Länge von dem des 2. Gehfußes (Differenz 0,7 mm). Bezüglich des Scherenfußes lässt sich allgemein nur noch sagen, dass vom 4., 5. und 6. Gliede, das 5. kürzer als die beiden übrigen und besonders bei kleineren Thieren, nicht viel länger, als das ent- sprechende Glied der übrigen Füße ist. Das 4. und 6. Glied ist sehr verschieden groß, je nach dem Alter der betreffenden Thiere, und zu diesem interessanten Vergleiche desselben Gliedes bei verschieden sroßen und alten Thieren wollen wir nunmehr übergehen. X. Tabelle. Ss I. Gehfuß || II. Gehfuß || IIT. Gehfuß IV. Gehfuß Scherenfuß = a oe 4| Ble TR Me alijew aes |: Ae Be 1. || G58) 7,0 97,59) °7,5 - 8,2) 17,011 7,61% 8.5) Sian 6,2 70108 9,4/10,9} 10,3 2. || 4,7) 5,7] 5,7] 4,9) 5,8) 5,4) 4,7) 5,5) 5,1]) 4,5] 4,9) 4,7 3. | 7,1] 8,1] 7,6] 7,4) 81) 8 | 651 7517,11 4,9] 5,4) Balt 135/12 118,5 4. 15,6) 17,6)17,3)17,9)20 |19,8[115,1/17 [/16,7113,5|14,4/14,9|| 20,3)25,7| 22,9 5. | 8,5) 9,8] 9,1110,6/12,7/11,5|| 85) 9,7) 9,2] 7,5) 83) 7,9) 12,3|15,2)14,5 6. || 9,38)10,6/10 14,7) 16,1) 15,2))12,7) 13,5) 13,314 [|14,1/14,5| 16 |25,7|21,8 7. || 7,4] 9,1| 9,6]! 6,4] 8,2! 8,6ll 6,31 7,51 8,11] 6 7,1! 7,3]] 28,9141,2!137 Aus den friiheren Tabellen VII und VIII ergab sich fiir die Gesammtlänge des 1. Gehfußes beim Krebs A 59,4 mm und bei B 68,8 mm, also ein Unterschied von 9,2 mm, da wir im Ganzen sieben Glieder haben, so miisste, wenn die Zunahme der Glieder eine gleich- mäßige wäre, jedes Glied um 1,3 mm zugenommen haben. In Wirk- lichkeit finden wir jedoch, dass das 1. Glied nur um 0,9 mm, das 2. und 3. Glied je um 1 mm gewachsen sind. Das 5. und 6. Glied haben gerade um 1,3 mm zugenommen, das 7. um 1,7 mm und das 4. Glied endlich um 2 mm. Ähnliche Resultate bekommen wir beim 3. Gehfuße. Größere Abweichungen treten beim 2. Gehfuße auf. Jedes Glied sollte bei gleichmäßigem Wachsthume um 1,4 mm ungefähr bei B größer sein als bei A. Statt dessen sehen wir, dass die 3 ersten Glieder nur um 0,7 resp. 0,9 mm zugenommen haben, wäh- rend das 6. und 7. Glied um 1,4 und 1,8 mm und das 4. und 5. Glied sogar um 2,1 mm größer geworden sind. Über den 4. Gehfuß konnten wir schon früher berichten, dass Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 411 er bei der allgemeinen Größenzunahme viel weniger betheiligt ist, als die übrigen Füße, wir können jetzt noch hinzufügen, dass die Zunahme wächst mit der Größe des betreffenden Gliedes, so dass das größte Glied am meisten zunimmt (ausgenommen das 6. Glied). Viel bedeutender als bei den Gehfüßen ist die Größenzunahme des Scherenfußes bei steigendem Wachsthume. Der Scherenfuß bei 4A ist um 33,3 mm kleiner als der von B. Wie schon erwähnt, nehmen die 4 ersten Glieder nur unbedeutenden Antheil an der Wachsthums- zunahme, dagegen die Schere selbst ist bei B um 22 mm länger als bei A, also gerade ?/, der Gesammtlängenzunahme Dazu kommt noch eine: bedeutende Breitenzunahme. Auf die physiologische Bedeutung dieser morphologischen That- sachen werden wir später noch zu sprechen kommen. V. Kapitel. Die Gröfse des Ausschlagwinkels (Exkursionswinkel) um die einzelnen Gelenkachsen. Die Resultate lassen sich nur durch direkte Messungen erzielen. Am praktischsten verfährt man so: man befestigt einen auf dem Rücken liegenden Krebs hinreichend, sodann nimmt man einen Fuß vor und legt alle Glieder bis auf eines fest, so dass nur um dieses Gelenk das Bein drehbar ist. Während der Bewegung um dieses Gelenk beschreibt das Endglied einen Kreisbogen, diesen Kreisbogen projieirt man auf eine parallele Tafel; den dazu gehörigen Radius erhält man sofort aus der Summe der Längen der bewegten Glieder. Auf diese Weise ist die nachfolgende Tabelle XI entstanden; sie ist nicht das Ergebnis der bei einem Krebse gemachten Beobachtungen, sondern vielmehr aus dem Vergleiche der bei mehreren Thieren ge- fundenen Resultate hervorgegangen. "XI. Tabelle. Gelenk- | | gehfus | IT. Gehfuß har: Gehfuß Ir: Gehfuß | Scherenfuß Achsen | ab | 45° | 55° | 62° 76° 5u0 c,d 92° 108° 108° 150° 90° 1,2 14° gon 1% 40° — 3,4 34° | . 44° 54 | (46° | 35° = ra = 120° i 5,6 120° 120° 120° 120° 85° 7,8 40° 50° 40° 60° 75° ang 20° 20° 30° a 9,10. 50° 50° 60° | 60° 40° 412 Theodor List Aus der Tabelle geht hervor, dass das 3. Gelenk (1, 2) den kleinsten Winkel besitzt und so an der Bewegung den geringsten Antheil nimmt, im Gegensatze hierzu besitzt ganz allgemein das 5. Gelenk (5, 6) den größten Exkursionswinkel (ausgenommen beim 4. Gehfuße). Nach der Winkelgröße folgt dann das 2. Gelenk, das beim 4. Gehfuße einen ganz besonders großen Bewegungsumfang auf- weist und dann das 1. Gelenk, das vom 1. bis 4. Gehfuße einen wachsenden Exkursionswinkel hat; dasselbe gilt vom 4. Gelenke, von dem noch bezüglich des 4. Gehfußes gilt, dass es nach positiver und negativer Richtung hin einen Ausschlag giebt. Letzteres gilt auch ganz allgemein vom 6. Gelenke bei den 4 Gehfüßen. Auf die speciellen Abweichungen des Scherenfußes und des 4. Gehfußes, die bedingt sind durch ihre Funktion, werden wir im folgenden Kapitel näher eingehen. II. Haupttheil. Biologie und Physiologie des Bewegungsapparates. Der Krebs ist ein Bewohner unserer Bäche und kleineren Flüsse. - Gehen wir an einem Frühlingstage an die Ufer eines Baches, so finden wir ihn sicher, wenn wir die Steine des flachen Bachbettes etwas näher ansehen. Ganz besonders gern hält er sich in der Nähe einer Brücke auf, weil sich ihm dort gewöhnlich eine Menge von Schlupfwinkeln darbietet, und er zugleich von dem hellen Tages- licht, das er meidet, geschützt wird. Zwischen den Spalten der Steine sehen nur die Scherenglieder heraus, so gestellt, dass sie jeden Augenblick im Stande sind, die Beute zu ergreifen. Versucht man nun einen Krebs zu fangen, so wird man gewahr, dass das Abdomen, das er mehrmals schnell nach einander nach vorn einschlägt, ein ganz vorzüglicher Lokomotionsapparat ist. Sonst ist er am Tage ein sehr fauler Geselle. Sobald die Dunkelheit hereingebrochen ist, ver- lässt er sein Versteck und geht nach Beute aus. Die Scherenfüße nach vorn gestreckt, mit den großen Antennen überall hin tastend, die letzten Kieferfüße in pendeinder Bewegung, die Schwanzflosse ganz ausgebreitet, so schreitet er vorwärts. Ist er an einem größeren Steine angekommen, so werden die großen Scherenfüße zu Hilfe genommen, deren rauhe und höckerige Oberfläche dabei von großem Nutzen ist, und bald ist auch dies Hindernis genommen. Wenn ihm ein Aas in den Weg kommt, so ist es ihm sehr willkommen und es ist ja eine für die Krebsfänger bekannte Thatsache, dass er auf Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 413 weite Strecken hin dasselbe wittert. Jedoch nicht das Fleisch allein bildet seine Nahrung, auch die zarten Pflanzen unserer Bäche sind ihm sehr willkommen; unter diesen werden von ihm ganz besonders die Charaarten (Armleuchter) bevorzugt, meines Erachtens wohl desshalb, weil jene Pflanzen sehr kalkhaltig (die Asche enthält 55°, Kaleium) und für ihn darum von großer Wichtigkeit sind wegen der Skeletbildung. Aus diesem Grunde werden Bäche, die gar keinen oder nur sehr wenigen Kalkgehalt besitzen, vollständig gemieden. Auf seinen Wanderungen geht er gleich gewandt vor- wärts, wie rückwärts. Ja, wenn wir genau Acht geben, können wir ihn auch seitwärts gehend beobachten. Die Beute wird gewöhnlich mit dem Scherenfuße ergriffen und dann den zwei ersten Gehfußpaaren übergeben, die sie in kleine Stücke zerreißen, und dann der äußerst komplieirten Fressmaschine überliefern. Die Wanderungen des Krebses sind nun keineswegs auf das Wasser beschränkt, gelegentlich verlässt er das nasse Element und stattet dem Bachufer und der nahen Wiese mit ihren saftigen Kräutern einen Besuch ab. Solche Landspaziergänge konnte ich leider an Ort und Stelle nie beobachten, dagegen ließ ich meine eigenen Krebse öfter solche Übungen machen. Ein solcher auf dem Lande gehender Krebs macht einen sehr unbeholfenen Eindruck, und er wäre wohl schlimm daran, wenn er im Wasser nicht besser vorwärts käme. Besonders die größeren Thiere müssen sich sehr anstrengen, um vor- wärts zu kommen, wobei die Scherenfüße eine ganz vortreffliche Unterstützung darbieten. Das Rückwärtsgehen geht auf dem Lande entschieden besser als das Vorwärtsgehen, weil die glatte Fläche des dabei umgeklappten Abdomens der Fortbewegung sehr zu statten kommt. Die Beweglichkeit des Krebses müssen wir desshalb nach seinem Verhalten im Wasser beurtheilen, denn dort wird er um so viel leichter als das Gewicht der von ihm verdrängten Wassermasse beträgt und das ist zumal bei einem großen Thiere ein sehr beträcht- liches. Wie geht der Krebs im Wasser vorwärts? Bei der Vorwärtsbewegung ist der ganze Körper des Krebses in einer nahezu horizontalen Lage. Die beiden Scherenfüße werden schwebend zu beiden Seiten des Kopfes getragen, das Abdomen ist fast vollständig gestreckt, und die Schwanzflosse vollkommen aus- gebreitet. Bei der schwebenden Lage des Scherenfußes sind dessen Gelenke ungefähr so in Thätigkeit: das 1. und 2. + 3. Glied sind in Beugestellung, so dass der Fuß sich steil zu beiden Seiten des 414 Theodor List Körpers erhebt, was den bei dem Gehen darunter hergreifenden zwei Gehfüßen sehr zu statten kommt, das 4. Glied ist nur wenig gegen das 2. + 3. gebeugt, dagegen sind das 5. und 6. in halber Beuge- stellung, so dass die Scheren beiderseits schräg vorm Kopfe liegen. Die Schere selbst ist immer mehr oder weniger geöffnet. — Ein fliichtiger Blick lehrt schon, dass die drei ersten Gehfüße, die nach vorn gerichtet sind, eine ähnliche Funktion haben. Verfolgen wir die Bewegungen des 1. Gehfußes, so finden wir, dass vor Allem das Bein bestrebt ist, einen möglichst fernen Punkt zu erreichen, was durch die Thätigkeit der beiden ersten Gelenke zu Stande kommt, die das ganze Bein nach vorwärts drehen, so dass es mit dem Körper einen spitzen Winkel bildet. Das 3. und 4. Glied sind gestreckt, während die übrigen fast gestreckten Glieder um das 5. Gelenk (5, 6) ein wenig gebeugt sind, und so einen stumpfen Winkel mit dem unteren Beinabschnitte bilden. Unbedeutend ist das 6. Glied um das 6. Gelenk nach innen (dem Körper hin) gebeugt. Auf diese Weise bildet das aufgesetzte Bein mit der Unterlage einen sehr spitzen Winkel. Dem mit der Spitze des Endgliedes erreichten Punkte wird durch die Kontraktion der Muskeln des 1., 2. und 4. Gliedes der ganze Körper genähert, so dass das anfänglich mit dem Körper einen spitzen Winkel bildende Bein in einem rechten Winkel dazu steht, und aus dem stumpfen Winkel bei dem fünften Gelenke ein spitzer wird. In dem Augenblicke, in dem sich der 1. Gehfuß erheben will, kommt der 2. Gehfuß, greift über ihn hinaus und setzt ein Stück schräg vor ihm auf. Vermöge der Länge des Fußes kann das End- glied zugleich den äußersten und weitesten Punkt erreichen. Außer der Länge der Glieder wird dieser Fuß auch noch durch den größeren Exkursionswinkel um das 1. und 2. Gelenk unterstützt. Im Übrigen nehmen wir beim 2. Gehfuße fast dieselben Vorgänge wie beim 1. wahr. Ein kleines Stückchen hinter dem 2. setzt der 3. Gehfuß ein. Ähnlich wie der 2. Gehfuß sucht auch er den äußersten und weitesten Punkt zu erreichen. Obwohl er durchschnittlich fast 10 mm kleiner ist als der 2. Gehfuß, erlangt er nicht nur die äußeren Bahn- punkte dieses Fußes, sondern greift noch darüber hinaus. Das letzte Glied ist für die Vorwärtspewegung sehr wichtig. Es ist um einen kleinen Winkel gedreht und hakt bei dem Gehen in die Unterlage fest ein und gewährt so dem Körper eine ganz besondere Stütze. Die Endglieder der übrigen Gehfüße können diese Stütze nicht ge- währen, da sie mit dem 7. Gliede überhaupt nicht aufsetzen, sondern Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 415 mit dem unbeweglichen Fortsatze des 6. Gliedes, mit dem kein beson- derer Druck auf die Unterlage ausgeübt werden kann. Im Großen und Ganzen sind die Bewegungserscheinungen der drei ersten Gehfüße sehr ähnlich: sie sind alle drei nach vorn gerichtet und suchen die weitesten Bahnpunkte zu erreichen: Ihre Kraft wirkt als Zug. Ganz anders verhält sich der 4. Gehfuß, der schon bei ober- flächlicher Betrachtung durch seine den übrigen Füßen gerade ent- gegengesetzte Stellung auffällt. Interessant ist es, wie gerade dieses so charakteristische und wichtige Merkmal so wenig bei der Ab- bildung von Flusskrebsen beachtet worden ist, selbst in der klassi- schen Monographie von Huxrey stellt das Titelbild den Krebs in einer Stellung dar, die, wenn sie überhaupt vorkommt, eine ganz gezwungene ist. . Bei Beginn der Vorwärtsbewegung steht der untere Theil des 4. Fußes mit dem Körper in einem Winkel von ungefähr 80°, der andere Theil ist um das 5. Gelenk um einen spitzen Winkel gebeugt und nach hinten gerichtet. Das siebente Glied ist gerade umgekehrt gerichtet, wie bei den drei ersten Gehfüßen. Aus der ganzen Stellung geht schon hervor, dass die Wirkung dieses Fußes eine ganz andere sein muss, als die der drei übrigen Gehfüße: Er versieht die Rolle eines Schiebers und keines Ziehers. Dureh ihn werden gleichsam die errungenen Vortheile der drei ersten Gehfüße gesichert. Die in der Anfangsstellung stark gegen einander gebeugten Glieder des 4. Gehfußes .werden möglichst ge- streckt, wodurch ein Druck auf die Unterlage ausgeübt und der Körper nach vorwärts geschoben wird. Es ist wohl ohne allen Zweifel, dass die ausgebreitete Schwanz- flosse, bestehend aus dem letzten Gliede (dem Telson) und den letzten Abdominalanhängen, dem Krebse bei, der Vorwärtsbewegung im Wasser von großem Nutzen ist. Sie bietet schon an und für sich eine sehr günstige Fläche dar, um von dem Wasser getragen zu werden; von der Strömung des fließenden Wassers wird sie wie eine elastische Platte in fortwährende, um eine horizontale Ebene schwin- gende Bewegung versetzt, wodurch der ganze Körper gleichsam ins Schweben gebracht und so. sein Gewicht zum Theile ausgeglichen wird, was eine sehr rasche Bewegung ermöglicht. Die Beobachtung lehrt, dass der Krebs jederzeit seinen Gang wechseln kann, er schlägt nur das Abdomen ein, weil, wie wir sahen, die gestreckte Schwanzflosse gerade die entgegengesetzte Wirkung hervorbringt. Den »Krebsgang« beginnt der vierte Gehfuß, der weit nach hinten greift und mit dem Endgliede fest einhakt; hier- 416 Theodor List bei kommt ihm die große Beweglichkeit um das Körpergelenk, und die positive und negative Exkursion des vierten Gelenkes sehr zu statten; bei dieser Anfangsstellung nimmt der 4. Gehfuß gerade die- selbe Stellung ein, wie vorhin die drei ersten Gehfüße beim Vorwärts- sehen, wir brauchen uns nur Kopf und Schwanz vertauscht zu denken. Durch Kontraktion der Muskeln werden die einzelnen Glieder ähnlich wie vorhin gegen einander gebeugt, und dadurch der Körper dem Ansatzpunkte des Endgliedes genähert, d. h. rückwärts gezogen. Gerade wie der 4. Gehfuß haben auch die drei ersten Gehfüße ihre Rollen vertauscht, sie sind jetzt keine Zieher, sondern Schieber. Die Endstellung beim Vorwärtsgang wird jetzt Anfangsstellung, daher auch der so leicht mögliche Wechsel der Gangarten. Aus der Beuge- stellung (Endstellung des Vorwärtsganges) wird durch die Streckung der Glieder gegen einander die Streckstellung erreicht, wodurch der Körper möglichst weit vom Ansatzpunkte des Endgliedes entfernt und damit zuriickgeschoben wird, genau dieselbe Arbeit, die vorhin der 4. Gehfuß beim Vorwärtsgang leistete. Seltener, jedoch auch gewandt, geht der Krebs nach der Seite. Will er z. B. nach rechts gehen, so dienen die Gehfüße der rechten Seite als Zieher und die der linken als Schieber. Bei dieser Gang- art tritt der große funktionelle Unterschied. zwischen den drei ersten Gehfüßen und dem 4. Gehfuße am wenigsten zu Tage. Alle Geh- füße der rechten Seite suchen einen möglichst weiten Punkt auf der rechten Seite zu erhalten, was dadurch erreicht wird, dass das Bein senkrecht zum Körper (dessen Symmetrie-Ebene) gestellt wird und durch einen möglichst stumpfen Winkel bei dem 5. Gelenke. Durch die Beugung der Glieder wird der Körper nach rechts gezogen, unterstützt durch die schiebenden Füße der linken Seite. Von allen diesen Bewegungsarten macht aber der Krebs keinen Gebrauch, wenn er sich in Gefahr befindet, in einem solchen Falle gebraucht er immer seine Schwanzflosse, die ihn mit wenigen Ruder- schlägen in Sicherheit bringt, so dass der Schwanz immer noch ein Hauptwerkzeug seiner Ortsbewegung ist. Wir haben schon früher gesehen, dass der Schwanz oder richtiger gesagt Hinterleib (Abdomen), aus sieben gegen einander beweglichen Gliedern besteht, die durch Scharniergelenke mit einander verbunden sind. Eine plötzliche Kon- traktion der sie versehenden Muskeln schlägt das Abdomen gegen die Unterseite des Körpers ein, wodurch der ganze Körper nach hinten geschnellt wird. Rings um das Telson und die letzten Abdominalfüße Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 417 stehen kräftige Borsten, welche beim Ruderschlag passiv gestellt wer- den, und so die Fläche des Ruders vergrößern, wodurch die Kraft des Schlages natürlich verstärkt wird. — Da die Schwanzflosse vollständig zusammengeklappt werden kann, so kann auch während des Schwim- mens die Richtung jederzeit geändert werden durch die verschiedene Einstellung der Flossentheile. Während des Schwimmens streckt der Krebs seine Scheren ganz nach vorn aus, um eine möglichst schlanke Gestalt zu bekommen. _ Wenn wir jetzt den Krebs aus dem Wasser herausnehmen, um seine Ortsbewegung auf dem Lande zu studiren, so wissen wir, dass wir ihn hiermit einer ganzen Reihe von Vortheilen berauben. Denn außer der beträchtlichen Gewichtszunahme kommt noch eine Reihe anderer Faktoren in Betracht, die alle seinen im Ganzen als äußerst schwerfällig zu bezeichnenden Gang hinreichend begründen, vor Allem gilt dies natürlich von großen, ausgewachsenen Thieren. Bei jeder Gangart bedient er sich desshalb auf dem Lande seiner Scherenfüße, mit denen er seinen ganzen Körper etwas in die Höhe hebt. Wenn auch die jüngeren Thiere den Körper noch schwebend tragen können, so finden wir bei den älteren Thieren, dass das Abdomen immer auf der Unterlage schleift, was beim Vorwärts- und Rückwärtsgehen von verschiedenem Vortheile ist. Beim Vorwärtsgehen wird fast regelmäßig das Abdomen ausgestreckt, die Schwanzflosse aber nur zum Theile, indem das äußere Glied (Exopodit) des letzten Abdominalanhanges unter das innere Glied (Endopodit) geschoben wird. Das ganze Abdomen steht in einer geneigten Stellung gegen die Unterlage und funktionirt so als brauchbares Stützorgan, wobei auch die Stacheln der Schwanzflosse zur Wirkung gelangen. — Sobald dagegen der Krebs die entgegengesetzte Richtung einschlägt, wird das Abdomen sofort eingeklappt, wodurch seine glatte gewölbte Fläche in Berührung mit der Unterlage kommt und so auf dieser ruhend wird der Krebskörper nach rückwärts gezogen und geschoben. — Besonders die Thätigkeit der letzten Glieder des Fußes wird bei der Landbewegung in sehr erhöhtem Maße in Anspruch genommen. So sehen wir besonders das 6. Gelenk in starker Thätigkeit, es beugt, wie wir früher sahen, beim Vorwärtsgang das 6. Glied etwas nach innen, welche Beugung am Ende der Bewegung einfach aus- geglichen wird, indem das 5. und 6. Glied in eine gerade Linie zu liegen kommen, hier jedoch ist die Last des Körpers so groß, dass die vorhandene Kraft nicht ganz ausreicht und das 6. Glied am Ende der Bewegung um einen Winkel nach außen gebeugt'wird. 418 Theodor List Ferner ist das Endglied des 3. und 4. Gehfußes nicht mehr stark genug, um den Körper tragen zu können, es knickt meist ganz um, so dass das 6. Glied in direkte Berührung mit dem Boden kommt, und demgemäß gerade die früher erwähnte wichtige Funktion der Endglieder nicht mehr zur Wirkung gelangt. — Sicher ist, dass die langen Endglieder der Gehfüße sehr. unpraktisch für das Tragen von Lasten auf dem Lande sind, und in der That finden wir, dass die Endglieder der Extremitäten der Landthiere sämmtlich kurzgliedrig sind, betrachten wir nur den Fuß eines Käfers oder einer Katze. Der Krebs kann sich auf dem Lande fortbewegen aber nur vorübergehend, seine Lokomotionsorgane sind vielmehr vorzüglich dem Leben in unseren seichten Gewässern angepasst. Um eine möglichst vollständige Analyse der Gehbewegungen zu geben, bleiben noch zwei Fragen zur Beantwortung übrig: In welcher Reihenfolge kommen die einzelnen Füße in Thätig- keit, und welche Bahnen beschreiben sie bei der Bewegung, oder welches ist der Rhythmus und der Gang der Füße? Die erste Frage ergiebt sich direkt aus der Beobachtung, so dass das erste Gesetz lautet: Die Reihenfolge der Gehfüße einer Seite bei dem Vorwärtsgang ist folgende: 1. 3. 2., 4. Gehfuß (die umgekehrte Reihenfolge findet beim Rück- wärtsgang statt). Das zweite Gesetz heißt dann: Mit dem 1. Gehfuße der rechten Seite tritt gleich- zeitig der 3. der linken in Funktion, in gleicher Weise „der 3. mit dem 1., der 2) mit/dem’Ar and der 4. mit dem 2. Gehfuße. Daraus folgt als drittes Gesetz: Während der Bewegung ruht der Krebskörper immer auf 6 Füßen, die in einem verschiedenen Stadium ihrer Wirkung sind. Um ein genaues Urtheil über die Gangart des Krebses zu be- kommen, ist es am besten, wenn wir ihn selbst seinen Gang auf- zeichnen lassen. Im Wasser dürfte dieses Experiment wohl schwer auszuführen sein, desto leichter gelingt es auf dem Lande. Wir wählen uns einen Krebs von geringer Größe aus, so dass die Ge- wichtszunahme auf dem Lande eine möglichst geringe und die Geh- bewegung nur wenig beeinflusst, befestigen an den Endgliedern der Füße kleine Stückchen eines Badeschwammes, die mit verschiedenen Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 419 Farben getränkt sind. Lassen wir jetzt den Krebs gehen, so be- kommen wir eine eigen-füßig geschriebene Urkunde, aus der wir alle Gesetze ablesen können. Betrachten wir zunächst das Autogramm des Vorwärtsganges, wobei alle Füße in Thätigkeit sind, so geht daraus hervor (vgl. Tafel XVI): I. Dass die äußere Verkehrsbahn von dem 2. und 3. Gehfuße beschrieben wird (auf dem Lande liegt gewöhnlich die Bahn des 3. Gehfußes zu äußerst, im Wasser umgekehrt). II. Dass die innere Verkehrsbahn der 1. und 4. Geh- fuß beschreibt. III. Dass bei jedem Zeitmoment ein Punkt derinneren und ein Punktderäußeren Bahn gleichzeitig fixirt werden. IV. Dass die in den beiden ersten Zeitmomenten fixirten Punkte des 1. und 3. Gehfußes der Bahn in den beiden folgenden Zeitmomenten von denen des 2. und 4. Gehfußes erreicht bezw. überholt werden. V. Dass ein Scherenfuß alle vier Bewegungsmomente der 8 Gehfüße durch Heben des Körpers unter- stützt. Das Autogramm des »Krebs-« (Riickwiirts-)Ganges ist dem des Vorwärtsganges sehr ähnlich, nur der 4. Gehfuß hat, bedingt durch seine Funktion, seine Bahn geändert: sie ist weiter nach außen gerückt, weil die Strecke, um die der Körper nach rückwärts gezogen wird, eine um so größere ist, je weiter der Angriffspunkt des Endgliedes liegt, während beim Vorwärtsgange die Sache gerade umgekehrt liegt, denn die Wirkung des Druckes und die Strecke, um die der Körper nach vorwärts gedrückt wird, ist um so größer, je näher der Angriffs- punkt der wirkenden Kraft liegt. Die Frage nun, ob eine Vorwärtsbewegung ohne den 4. Gehfuß möglich ist, ist zu bejahen, denn ein Krebs, dem dieses Beinpaar auf den Rücken gebunden wird, kommt noch ganz gut vorwärts. Aus dem Autogramm, das dieser Krebs mit dem fehlenden vierten Beinpaare schrieb, geht hervor (vgl. Tafel XVI): I. Dass die Strecke, um die der Körper nach Ablauf der vier Bewegungsmomente vorwärts gebracht wird, kleiner geworden ist. II. Dass die Verkehrsbahn des 3. Gehfußes viel weiter 420 Theodor List nach außen gerückt ist, um durch die weiter ge- legenen inte größere re zu erzielen. Aus einer Reihe von Gehversuchen ergab sich, dass der Vor- wärtsgang auch möglich ist, wenn irgend eines der anderen Gehfuß- paare ausgeschaltet ist. Eine ähnliche Reihe von Gehversuchen wurde N beim Krebsgange, woraus sich ergab: dass bei der Ausschaltung des vierten Gehfuß- paares dieser Gang nicht mehr möglich ist (wohl noch im Wasser); dass dagegen jedes sini die Gehfußpaar ausge- schaltet werden kann, ohne die Fortbewegung wesentlich zu beeintrachtigen, wobei besonders bei der Ausschaltung des ersten Gehfußpaares keine Verinderung der Verkehrsbahnen eintritt, außer dem größeren Gebrauche der ScherenfiiBe. Aus allen bisherigen Schilderungen aus dem Leben des Krebses geht hervor, dass die Aufgaben der Füße sehr verschieden sind: Der Scherenfuß dient als Greiforgan (Angriff und Vertheidigung) und Bewegungsorgan (beim Klettern über Hindernisse im Wasser und beim Gehen auf dem Lande). Die zwei ersten Gehfüße sind neben ihrer Hauptfunktion beim Gehen noch als Greiforgane im Dienste der Erhaltung und Ernährung thitig. Nur Fortbewegungs- organe sind die beiden letzten Gehfüße, jedoch in sehr verschiedener Art und Weise. Zunächst haben wir also zu untersuchen, wodurch sich die ein- . zelnen Füße auszeichnen und dann zu zeigen, dass diese Abwei- chungen im Baue entstanden sind durch Anpassungen an die ver- schiedene Funktion. Als Ausgangspunkt für unsere Betrachtung wählen wir den dritten Gehfuß als typischen Vertreter eines Gehapparates beim Krebse: Er ist ein sieben- (acht-) gliedriger Stab, . dessen einzelne Glieder ver- schieden lang und gegen einander durch Scharniergelenke beweglich verbunden sind, und zwar so, dass alle Drehachsen in verschiedenen Ebenen liegen, also Kanten von Tetraedern sind und bestimmte Winkel mit einander bilden. Daraus ist ersichtlich, dass die Art der Be- weglichkeit abhängig ist: von der Länge der einzelnen Glieder, der Zahl und dem Baue der sie verbindenden Gelenke, von der Lage der Drehungsachsen gegen einander und schließlich von der. Größe Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 491 und Richtung des Winkels, den die einzelnen Glieder mıt einander bilden. Sonach ergiebt sich aus den Tabellen der früheren Kapitel für den dritten Gehfuß folgende Charakteristik: Die Länge der einzelnen Glieder des siebengliedrigen Fußes ist eine sehr verschiedene und zwar verhält sie sich im Anschluss an unser Exemplar B so: dass das 1. Glied 8,5, das 2.—=5,5, das 3.— 1,5, das 4.—=17,0,..das 5. = 9,7, das 6. = 13,5 und: das 7. —= 7,5 mm lang ist. Allgemein ausgedrückt kann man sagen, dass das 2. Glied immer das kürzeste und das 4. das längste Glied ist, an das 4. schließt sich der Länge nach das 6. an, während die übrigen vier Glieder ungefähr halb so lang als das 4. sind. Die sieben Glieder dieses Fußes sind unter sich und mit dem Körper durch sieben Scharniergelenke in Verbindung, die je nach ihrer Funktion und Bedeutung verschieden gebaut sind. So finden wir, dass die beiden ersten Gelenke ihrer hohen Bedeutung zufolge sehr gut eingerichtet sind: das Körpergelenk kommt zu Stande durch einen Zapfen, der in einer Pfanne sich bewegt auf der Innenseite und auf der Außenseite durch das Aufeinander-Gleiten zweier glatt polirter Flächen. Das zweite Gelenk besitzt einerseits einen Zapfen, der in einem Faltenwinkel sich bewegt und andererseits eine im Wesentlichen ähnliche Verbindung. Die beiden folgenden Gelenke dagegen, die bei der Fortbewegung eine nur untergeordnete Bedeu- tung haben, sind so einfach als möglich gebaut: Bei dem 3. Gelenke stellen zwei kleine Fortsätze jederseits die Verbindung her, charak- teristisch für dieses Gelenk ist jedoch die Verlegung des Gelenk- punktes zwei auf die abgeplattete Beinseite hin, so dass keine gleichmäßige Biegung des Beines, sondern eine Drehung zu Stande kommt. Zwischen dem dritten und vierten Gelenke kann sich ein Zwischengelenk einschieben, durch einfache Knickung des abge- platteten Beines, bei dem jedoch nur auf der einen Seite ein Ge- lenkknopf entwickelt ist. Das vierte Gelenk ist ebenfalls ein einfach gebautes, bei dem kleine Zapfen des 4. Gliedes sich in kleinen Buchten des 3. Gliedes bewegen. Ganz anders, wie die zuletzt be- sprochenen, durch einfache Knickung des abgeplatteten Beines ent- standenen Gelenke, verhalten sich die folgenden, durch Skeletaus- schnitte entstandenen Gelenke, von denen das 5. wieder ein für die Fortbewegung äußerst wichtiges Gelenk ist, mit zwei wohlentwickelten Zapfen, die fest mit dem 4. Gliede verbunden sind. Bei dem 6. Gliede kommt eine Flächenführung zu Stande, deren Sicherheit durch 422 Theodor List die Bildung eines »Balkens« erhöht wird. Letztere Einrichtung finden wir auch bei der siebenten Gelenkverbindung, bei der zwei kleine Zapfen des letzten Gliedes sich in zwei Skeletwülsten des 6. Gliedes bewegen. Die Lage der anhkactnen des 3. Gehfußes ist dergestalt, dass nie je zwei Achsen einander parallel sind und in einer Ebene liegen, so dass man je zwei Achsen immer als Seiten eines Tetraeders auf- zufassen hat. (Nur bei dem 3. und 4. Gelenke kann es vorkommen, dass die vier Gelenkpunkte in einer Ebene liegen.) Die Winkel der Drehachsen unseres Exemplares B verhalten sich z. B. so: ab — cd = 97? cd—12 = 65° 1,2 — 3,4 = 56° 3,4 — 5,6 = 120° 5,6—78 = 75° 7,8 — 9,10 = 104° Außerdem ist der 3. Gehfuß am Körper in einem spitzen Winkel zur Symmetrieebene befestigt. Die Maximalbeweglichkeit der Glieder gegen einander ist ungefähr so, um die Gelenkachse: a,2:—.622 c,d = 108° 1,2 = 17° 3,4 — 50° 5.6—=,120% = set 60° Dabei ist die Richtung der Bewegung immer nach einer Seite hin, nur bei dem 6. Gelenke finden sich auf zwei Seiten Ausschnitte, wovon der größere mit dem größeren Winkel nach der Körperseite hin liegt. Die für die Fortbewegung als die wichtigsten schon früher kennen gelernten Gelenke a,b, c,d und 5,6 (erstes, zweites und fünftes) besitzen immer den größten Bewegungsumfang. Der erste und zweite Gehfuß, die ihrer Hauptfunktion nach ebenfalls Bewegungsorgane sind, stimmen desshalb in den meisten Punkten mit dem 3. Gehfuß überein. Nur kleine Unterschiede sind durch die Nebenfunktion als Greiforgane eingetreten, indem das vor- letzte Glied auf der Beugeseite in einen unbeweglichen Fortsatz Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 423 auswuchs und so mit dem einfachen beweglichen Endgliede zu einer Schere wurde. Der vierte Gehfuß, der, wie wir sahen, bei der Gehbewegung eine ganz besondere Stellung einnimmt, weicht auch in seinem Baue in sehr vielen Dingen von dem dritten Gehfuße ab. Aus dem Vergleiche der Längenverhältnisse der einzelnen Glieder der beiden Gehfüße, die sich so verhalten: III. Gehfuß IV. Gehfuß 1. Glied 8,5 mm 7,5 mm vB 55 - AQ. = it = DaB A A 170. & ce co ene 9.7 0+ #3 Br ee 144. = Tune Rakin Bin Alle Glieder 69,2 mm 61,7 mm ergiebt sich, dass bei einem großen Krebse der 4. Gehfuß um 7—8 mm kleiner ist, als der 3. Gehfuß. Dabei sind fast alle Glieder des 4. Gehfußes in ähnlichem Verhältnis kleiner, nur das 6. Glied ist größer. Die Stärke gerade dieses Gliedes hängt mit seiner Funktion beim Rückwärtsgang zusammen. Wir haben ja gesehen, dass bei dieser Gangart der 4. Gehfuß die Hauptarbeit zu leisten hat, fast dieselbe, die bei der umgekehrten Gangart die drei ersten Gehfüße zusammen zu leisten haben, hierbei wird besonders dem letzten Gliede, das sich bestrebt möglichst fest in die Unterlage ein- zuhaken, viel Arbeit zugemuthet, wozu viel Kraft nothwendig ist, die von den Muskeln des 6. Gliedes geliefert wird, je größer also das Glied ist, desto mehr Muskelkraft kann es liefern. Ganz prineipielle Unterschiede weist der Gelenkbau auf. Ist doch sehon die Verbindung des Fußes mit dem Körper eine ganz andere. Die Gelenkachsen aller Füße liegen fest, weil die dazu gehörigen Segmente mit einander verschmolzen sind, das Segment des 4. Gehfußes, das XIV., ist jedoch beweglich mit dem Körper- stamm verbunden. Hierdurch wird von selbst der Bewegungsumfang des Fußes vergrößert. So zeigt ferner das Körpergelenk einen ganz anderen Bau, indem weder die äußere noch die innere Gelenkver- bindung dieselbe ist. Statt des Zapfens, der in einer Pfanne liegt, haben wir ein kleines Höckerchen, auf dem eine Fläche gleitet, und , 424 Theodor List an der Stelle der äußeren Flächenführung einen Zapfen, der in einer Bucht sich bewegt. Auf alle die anderen kleineren Abweichungen rail wir nicht besonders eingehen, sondern uns vielmehr die Lage der Drehachsen ansehen, wodurch die verschiedene Funktion des Fußes sich allein schon erklären lässt: III. Gehfuß IV. Gehfuß Gelenkachse: a,b — c,d of 87° - c,d — 1,2 68° 85° = {2234 56° 57° - 3,4 — 5,6 120° 126° a 5,6 — 7,8 75° 102° £ 7,8 9,10 104° 88° Fiigen wir zu dieser Tabelle noch die Thatsache hinzu, dass der 4. Gehfuß nahezu rechtwinklig mit dem Körper (zur Symmetrie- Ebene) verbunden ist, während alle anderen Füße spitze Winkel mit der Symmetrie-Ebene bilden, so brauchen wir wohl kaum den obigen Zahlenwerthen noch beweiskräftige Worte hinzuzufügen, denn hier beweisen die Zahlen. Wird schon die Lage des unteren Bein- abschnittes eine ganz andere durch die Lage des Körpergelenkes, so wird die entgegengesetzte Richtung des oberen Beinabschnittes durch die verschiedene Lage der Gelenkachsen 5,6 — 7,8 und 7,8 — 9,10 zu einander bei beiden Füßen vollkommen bewiesen. Die Beobachtung allein lehrt uns schon, dass die Beweglichkeit des 4. Gehfußes eine sehr große ist. Aus dem Vergleiche mit dem 3. Gehfuße ergiebt sich, dass es gerade die ersten Gelenke sind, die einen größeren Exkursionswinkel besitzen, wodurch der Bewegungs- umfang des ganzen Beines bedeutend zunimmt. „ Selbst das bei den übrigen Füßen ganz unwichtige 3. Gelenk (mit kaum 17°) hat hier einen 2—3fachen Bewegungsumfang. Ferner ist geradezu regel- mäßig beim 4. Gehfuße das »neue« Gelenk wirklich entwickelt und thitig. Zur Erhöhung der Gelenkigkeit des Beines trägt noch das 4. Gelenk bei, bei dem außer einer Gelenkhaut auf der gewölbten Seite noch eine auf der abgeplatteten Seite entwickelt ist, so dass das Bein einen positiven und einen negativen Exkursionswinkel besitzt. Ganz wesentliche Unterschiede treffen wir naturgemäß beim Scherenfuße an, bedingt durch dessen Funktion. Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 425 Zunächst ergeben die Längenverhältnisse, wie aus dem Ver- gleiche mit dem 3. Gehfuße bei B hervorgeht, folgendes Resultat: Ill. GebfuB IV. Gehfuß 1. Glied 8,5 mm 10,9 mm Biss et —— 15 13,0 mm 14,0 - 4. - 17,0 mm 25,7 - 5. - 97 - 15,2 - Bir? = 13,5 - 23,1 = x are 1,5 - 41,2 - Alle Glieder 69,2 mm 132,7 mm Der Scherenfuß ist also im Ganzen fast doppelt so groß als der 3. Gehfuß. Dabei ist das zweite Glied des Scherenfußes (entstanden aus der Verwachsung des 2. und 3. Gliedes eines Gehfußes) nur ganz wenig (1 mm) größer, als die betreffenden Glieder des 3. Geh- fußes; unbedeutend ist ferner der Größenunterschied des 1., 4. und 5. Gliedes, so dass der Wachsthumsprocess fast die beiden letzten Glieder (die Schere) allein trifft: Es ist das 6. Glied fast doppelt und das Endglied nahezu sechsmal so groß, als die betreffenden Glieder des 3. Gehfußes. Bei den jüngeren Thieren ist dieser Größenunterschied bei Weitem nicht so scharf ausgesprochen (wie wir früher sahen), es nimmt vielmehr der Größenunterschied des Scherengliedes bei stei- gendem Wachsthum immer mehr zu, was natürlich in direktem Zu- sammenhange steht mit den erhöhten Lebensbedürfnissen des Thieres, mit anderen Worten durch seine Funktion als Greiffuß. Durch die Verwachsung des 2. mit dem 3. Gliede ist der Scheren- fuß sechsgliedrig geworden, damit ist das dritte Gelenk verloren gegangen, das bei den drei Gehfüßen eine unbedeutende Rolle spielte, es drehte das Bein um 17°. Durch Nicht-Gebrauch ist dieses Gelenk rückgebildet worden. Besonders günstig waren dabei folgende Verhältnisse: dass beide Glieder die kleinsten sind bei allen Füßen, dass ihre Gelenkachsen 1, 2 und 3, 4 immer den kleinsten Winkel mit einander bilden, dass feıner die Gelenkachsen in einer Ebene liegen oder Seiten eines Tetraeders von nur ganz geringer Höhe sind. Die Situation der Drehachsen ist bei dem 3. Gehfuße und dem Scherenfuße bei B folgende: Morpholog. Jahrbuch. 22. 28 426 Theodor List III. Gehfuß Scherenfuß Gelenkachse: a,b — c,d 972 106° 5 c,d — 1,2 68° - 1,2 — 3,4 56° c,d — 3,4 76° - 3,4 — 5,6 120° 122° - 5,6 — 7,8 75° 62° u 7.8. 910). 5 4028 37° Daraus geht wieder direkt hervor, dass nur Gelenke, die mit dem Scherengliede in direkter Verbindung stehen, eine Lagever- änderung erfahren haben, die also durch die veränderte Funktion zu erklären ist. Die Lage der ersten Gelenke ist bei beiden Füßen eine ähnliche, nur das 4. Glied des Scherenfußes hat eine Drehung erfahren, um dem ansetzenden Scherengliede eine für seine Funktion geeignete Stellung zu geben. Durch den wenigen Gebrauch der Gelenke bei der Fortbewegung musste natürlich eine Rückbildung der Beweglichkeit der Glieder gegen einander, besonders der Hauptgehgelenke eintreten, wie der folgende Vergleich beweist. III. Gehfuß Scherenfuß Gelenkachse a,d 62° 50° - c,d 108° 90° - 1,2 19° - 3,4 54° 35° - 5,6 120° 85° - 7,8 nn 60° 715° Wir sehen, dass nur der Bewegungsumfang des 6. Gelenkes zuge- nommen hat, um dem Scherengliede einen möglichst großen Ver- kehrsraum zu geben. | Ill. Haupttheil. Die Muskulatur des Bewegungsapparates. Hierzu Tafel XVII Fig. 15—27. Jede Bewegung, jede Ortsveränderung wird verursacht durch die Kontraktion von Muskeln. Die Muskeln selbst sind wieder zusammen- gesetzt aus Muskelfasern, und zwar beim Krebse aus quergestreiften, die überall da vorkommen, wo viel energische Arbeit zu leisten ist. Sie sind die Träger der bewegenden Kraft, durch ihre Eigenschaft Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 427 sich zusammenziehen zu können. Alle Bewegungserscheinungen sind desshalb durch die verschiedene Anordnung dieser Muskeln bedingt. Wie wir sahen, schwimmt der Krebs mit Hilfe seines Abdomens, indem er es einfach energisch nach unten krümmt und so einen kräftigen Schlag ausführt, wobei er durch den Rückstoß des Wassers nach hinten getrieben wird. Zu dieser Bewegungserscheinung sind zwei verschieden wirkende Muskeln nöthig, einer, der die Beugung ermöglicht, und ein zweiter, der die Strecklage wieder herbeiführt. Wir sehen desshalb das Abdomen von einem dorsalen und von einem ventralen Muskel durchzogen, jener ein Strecker und dieser ein Beuger, beide geben an jedes Segment ein Muskelbündel ab, so dass bei der Kontraktion der betreffenden Muskeln eine allgemeine Streckung resp. Beugung erfolgt. Hier sind also die Verhältnisse von Ursache und Wirkung sehr klar und einfach. Bei der Gehbewegung jedoch wird die ganze Sache durch die gegliederten Füße, jene aus einer Reihe von Hebeln zusammenge- setzten Gehmaschinen viel verwickelter. Da die Anordnung der Muskulatur der Füße des Flusskrebses bis jetzt nicht genauer unter- sucht wurde, will ich als Beispiel die des 3. Gehfußes etwas näher aus einander setzen: 1) Das Basalglied ist durch das Gelenk a, 5 mit dem Körper be- weglich verbunden und macht um diese Gelenkachse eine Bewegung nach vorn und hinten, wie wir ganz allgemein sagen können. Die Kraft, die hierbei zur Wirkung kommt, wird von zwei Muskelgruppen gestellt, von denen die eine auf der Vorderseite, die andere auf der Hinter- seite ansetzt und nach ihrer Funktion als Strecker und Beuger, resp. An- und Abzieher, wirken. Die Gruppe der Beuger (Taf. XVII Fig. 15) besteht aus zwei Muskelzügen, die von dem äußerst kom- plieirt gebauten inneren System von Harttheilen, dem Endophragmal- system, ihren Ursprung nehmen, und zwar so, dass der eine kürzere, dickere Muskel vom Endopleuritenfortsatz und der andere längere und schmälere von der Epimeralwand (gebildet von den seitlichen Fortsätzen des inneren Skelets) kommt. Beide inseriren ganz nahe neben einander. Charakteristisch ist für alle Insertionen der Mus- keln am Fuße, dass sie nicht an dem Skeletkörper des betreffenden Gliedes selbst inseriren, sondern an einem dem Skeletkörper sehr nahe gelegenen Punkte der Gelenkhaut, der fast immer ver- kalkt ist. Diese Einrichtung ist für die Gelenkhaut selbst, beson- ders bei Gelenken mit großer Exkursionsfähigkeit, von ganz beson- derem Vortheile, weil nämlich die Gelenkhaut bei der Kontraktion 28* 428 Theodor List des betreffenden Muskels nach innen gezogen und so geschiitzt wird, auBerdem wird den Falten der Gelenkhaut hierdurch eine ganz be- stimmte Richtung gegeben, was die Sicherheit des Gelenkes nur er- höht. Charakteristisch ist ferner, dass jeder Muskel mit einer Sehne inserirt, die mindestens ein Drittel, ja oft gerade so lang als der Muskel selbst ist. Eine mäßig lange, aber ziemlich breite Sehne besitzt auch der besprochene Beuger. Der Strecker (Fig. 16) verhält sich ähnlich wie der Beuger, auch er besteht im Wesentlichen aus zwei Muskelbün- deln, von denen das eine vom Endopleuritenfortsatz, und das andere. das meist einen kürzeren und einen längeren Kopf besitzt, von der Epimeralwand kommt. Die beiden Hauptmuskeln sind an der In- sertionsstelle fast ganz verwachsen, Fasern des einen gehen in die des anderen über; die Sehne gehört dem von der Epimeralwand kom- menden Hauptzuge an. Die Lage der Insertionspunkte ist so, dass die Streckerinsertion direkt unter dem Gelenkpunkte ¢ und die Beu- gerinsertion unter dem Gelenkpunkte d liegt, d. h. die Verbindungs- linie der Insertionspunkte bildet mit der Gelenkachse (a, 5) einen nahezu rechten Winkel. 2) Bei dem zweiten Gliede treffen wir Beuger und Strecker (Fig. 17 und 18) in ähnlicher Weise wie beim Basalgliede. Auch hier haben wir nicht einen einzigen Beugemuskel, sondern zwei Muskeln. Der stärkere, längere kommt vom Endopleuritenfortsatz, und der andere kürzere von der inneren Wand des Basalglie- des. Die Insertion ist hier getrennt, indem beide Muskeln mit ihren Sehnen dicht neben einander mit getrennten verkalkten Insertions- punkten ansetzen. Ganz ähnlich verhalten sich die Strecker, die sehr stark entwickelt sind und von drei verschiedenen Muskelzügen ge- bildet werden. Die Hauptmuskelzüge kommen vom Endosterniten- fortsatz und vom ersten Gliede, und der dritte von der Epimeral- wand. Gewöhnlich haben die von dem Endosterniten und von der Epimeralwand kommenden Züge eine gemeinsame Sehne, während dieht daneben die Sehne des vom ersten Gliede kommenden Zuges liegt. 3) Entsprechend der geringen Exkursionsfähigkeit des dritten Gelenkes (/, 2) finden wir auch die Muskulatur äußerst gering ent- wickelt. Nur ein kleiner Streckmuskel (Fig. 19) entspringt mit zwei im ersten Verlaufe etwas getrennten Partien von der Wand des zweiten Gliedes und inserirt mit einer Sehne direkt am dritten Gliede auf der Streck- oder gewölbten Seite des Beines zwischen den Drehpunkten 7 und 23 Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 429 Der Ursprung des Streckmuskels liegt immer über dem wirk- lich entwickelten und nur durch einen Einschnitt angedeuteten neuen achten Gelenke. Von diesem Gliede ab (dritten) gilt für alle auftretenden Muskeln, dass sie immer von den harten Wandungen eines Gliedes ent- springen und an der Gelenkhaut des folgenden inseriren, also alle eingelenkig sind. 4) Eine dem vorigen Gliede ähnliche Muskulatur besitzt das folgende vierte Glied. Statt eines Streckmuskels haben wir hier immer zwei Streckmuskeln (Fig. 20 und 21), ein stärkerer und ein schwächerer, die beide auf der Streckseite getrennt inseriren. Der stärkere, selbstverständlich immer auf der längeren konvex gebogenen Seite des dritten Gliedes liegende Muskel inserirt mit einer kräftigen Sehne zwischen zwei kleinen Skeletfortsätzen des vierten Gliedes, zwischen denen eine Gelenkhaut ausgespannt ist. Direkt an dem einen Skeletfortsatze inserirt die Sehne des kleinen Streckers. Beide Sehnen sind fast eben so lang wie die der zugehörigen Muskeln (Fig. 21). 5) Das folgende Gelenk (5, 6) zeichnet sich durch eine sehr große Exkursionsfähigkeit aus, demgemäß finden wir auch eine sehr gut entwickelte Muskulatur (Fig. 22 und 23). Auf der gewölbten Seite des Beines liegt ein Beuger und auf der anderen ein Strecker. Beiden Muskeln ist charakteristisch, dass sie gefiedert sind, d. h. an eine lange Sehne setzen sich von links, rechts und oben kommende Muskelfasern an, so dass der ziemlich lange Muskel aus einer großen Anzahl von kleinen Muskelfasern besteht. Der Beuger inserirt zwi- schen zwei kleinen Skeletfortsätzen des fünften Gliedes, so dass der Insertionspunkt ungefähr die Mitte zwischen den Drehpunkten 5 und 6 einhält. Diesem gegenüber liegt der des Streckers. 6) Ähnliche Verhältnisse finden wir auch beim folgenden, sech- sten Gelenke wieder. Wie vorher sind Strecker und Beuger (Fig. 24 und 25) gefiedest, jedoch lange nicht so regelmäßig. Ferner ist der Strecker viel stärker entwickelt als der Beuger. Die Sehne des ersteren ist eben so lang wie der Muskel, bei dem letzteren nur halb so lang. 7) Schließlich bleibt noch das letzte Gelenk übrig, zwischen dessen Angelpunkten 9 und 70, vorn und hinten, zwei Muskeln an- setzen (Fig. 26 und 27), die sehr verschieden stark entwickelt sind. Der vordere, sehr starke, ist der Beuger, ein gefiederter Muskel, der hintere, sehr schmale Muskel ist der Strecker, der meist aus Längs- 430 Theodor List fasern besteht. So lang wie die Muskeln selbst sind ihre Sehnen; die des Beugers ist ziemlich breit, die des Streckers fadendünn. Aus dem Vergleiche der Muskulatur des dritten Gehfußes mit der der anderen Gehfüße und des Scherenfußes ergeben sich folgende Abweichungen: Die Muskulatur des ersten Gelenkes: Beim vierten Gehfuße haben beide Streckmuskeln getrennte In- sertionen. Bei den Beugern sind die Angriffspunkte auch getrennt, aber doch nahe bei einander gelegen. Bei dem zweiten Gehfuße und dem Scherenfuße sind dagegen die Insertionspunkte noch mehr wie beim dritten Fuße zusammengeriickt. Die Muskulatur des zweiten Gelenkes: Den Streckern des vierten Gehfußes fehlt die Partie, die von der Epimeralwand entspringt, dagegen kommen vier Gruppen vom Endo- pleuritenfortsatz und vom ersten Gliede, die mit einer größeren und kleineren Sehne inseriren. Als Beugemuskeln sind zwei gleich starke Muskeln vorhanden, die vom Endopleuritenfortsatze und dem ersten Gliede kommen und getrennt ansetzen. Bei den Streckern des zweiten Gehfußes kommt der schwächere vom Endosternitenfort- satze, die stärkeren Muskeln entspringen von der Epimeralwand und am ersten Gliede. Die Beuger sind ähnlich wie beim dritten Geh- fuBe. Sehr mächtig sind die Strecker des Scherenfußes entwickelt. An eine große Sehne kommen Muskelzüge vom Endopleuriten-, En- dosternitenfortsatze und von der Epimeralwand. An eine schwächere Sehne setzen die vom ersten Gliede kommenden Fasern an. An den nahe zusammen gelegenen Insertionsstellen beider Sehnen gehen die Muskelfasern der beiden Hauptstämme in einander über. Die Muskulatur des dritten und vierten Gelenkes: Bei dem Scherenfuß, bei dem das zweite und dritte Glied ver- wachsen ist, sind nur die beiden Streckmuskeln des vierten Ge- lenkes vorhanden, die erst über der Naht des neuen Gelenkes ent- springen, im Übrigen genau so wie beim dritten Gehfuße ansetzen. In dem ganzen unteren Theile des zweiten + dritten Gliedes, also im ursprünglichen zweiten Gliede, fehlt die Muskulatur vollständig. Die Muskulatur des sechsten Gelenkes: Das sechste Gelenk besitzt beim Scherenfuße zwei Strecker, die mit zwei Insertionspunkten ansetzen und nicht gefiedert sind. Die Muskulatur des siebenten Gelenkes: Die immer als Paradigma der Krebsmuskulatur hingestellten Muskeln des siebenten Gelenkes beim Scherenfuße zeigen gar keine Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 431 weitere Eigenthümlichkeit wie die des dritten Gehfußes, es ist nur der Unterschied von Strecker und Beuger ein noch viel bedeutenderer geworden als bei den Gehfüßen, einzig und allein bedingt durch die Funktion. Wenn wir in einem früheren Kapitel zeigten, dass die Bewe- gungsfähigkeit um die Gelenkachsen eine sehr verschiedene ist bei den einzelnen Gelenken der Gehfüße und des Scherenfußes, so haben wir jetzt dieselben Verschiedenheiten in der Anordnung der Musku- latur beweisen können, d. h. wir haben die Wirkungen durch ihre Ursachen erklärt. Aus der Beobachtung des sich bewegenden Thieres haben wir erfahren, dass die verschiedenen Gelenke zu sehr ver- schiedenen Funktionen gebraucht werden, als Hauptbewegungsgelenke haben wir das erste, zweite und fünfte Gelenk kennen gelernt. Wir haben uns jetzt überzeugt, dass an diesen Gelenken die stärksten Muskeln thätig sind. Auch haben wir gelegentlich der Betrachtung der Muskulatur des ersten Gliedes wahrgenommen, dass die Muskeln in einem nahezu rechten Winkel zur Gelenkachse ansetzen, und dass ihre Insertionspunkte ungefähr in gleichen Abständen von der Ge- lenkachse liegen; eine Maschine, die im Wesentlichen aus einer fixirten, um einen Punkt drehbaren Achse besteht und zwei senk- recht zu dieser stehenden, gleichlangen Balken, an deren Ende je eine Kraft wirksam ist, ist die Wage: die Wagebalken sind zwei gleichlange Hebelarme und somit können wir auch sagen, die be- treffenden Glieder und Gelenke sind gleicharmige Hebel. Die Kräfte, d. h. die Muskeln, die an den Hebelarmen wirksam sind, sind jedoch sehr verschieden. Wir haben gesehen, dass bei den Geh- füßen die beiden ersten Gelenke die größte Arbeit zu leisten haben, wir finden auch hier die stärksten Muskeln vor, die ihrer Struktur nach als parallelfaserig aufzufassen sind. Da nun diese beiden ersten Gelenke hesonders bei der Fortbewegung thätig sind, so werden ihre Muskeln je mehr leisten, desto größer ihre Dehnbarkeit ist, denn »die Dehnung eines Muskels ist proportional seiner Länge«. Wir können desshalb direkt aus der Länge der Glieder schon auf die Wichtigkeit bei der Fortbewegung, wie auf ihre Stellung überhaupt schließen. Die längsten Glieder sind funktionell die wich- tigsten für die Gebbewegung. Dem wiederspricht scheinbar die Länge des ersten Gliedes, wir haben aber gesehen, dass die Muskein des wichtigen, zweiten Gelenkes nur zum allerkleinsten Theile vom ersten Gliede kommen, im Übrigen vom inneren Skelet, dem Endo- phragmalsystem, so dass die Fasern eine bedeutende Länge erreichen. 432 Theodor List Bei allen übrigen Gliedern findet der Satz direkte Anwendung. Ferner wirkt an den Angriffspunkten der Muskeln nicht eine einzige Kraft, sondern immer zwei oder mehr, so dass das Parallelogramm der Kräfte zur Wirkung kommt; die Winkel zwischen den Kräften sind so spitz, dass die Resultirende gewöhnlich nicht viel von der Richtung des Hauptmuskelzuges abweicht. Außerdem besteht ja das Bestreben der kleinen Muskelzüge mit den größeren zu ver- schmelzen, wovon wir uns besonders beim Scherenfuße überzeugen konnten. Während die Dehnung des Muskels proportional der Länge der Fasern ist, ist der Hub proportional der Anzahl der Fasern, d. h. dem Querschnitte des Muskels bei parallelfaserigen und bei gefiederten dem physiologischen Querschnitte, d. h. dem, der alle Fasern enthält. Aus dem Verhältnis von Querschnitt und Länge eines Muskels können wir ganz genau auf seine Funktion schließen. Den besten Beweis liefert der Strecker und der Beuger des Scherengliedes. Beides sind fast gleichlange Muskeln, jedoch von sehr verschiedenem Quersehnitte. Der Strecker genügt, um das siebente Glied zu öffnen (strecken), d. h. die Dehnung der einzelnen Fasern genügt zu dieser Funktion vollkommen, wenn es sich also darum handelte dieses Glied nur wieder zu beugen, so würde ein dem Strecker gleich starker Muskel vollkommen ausreichen, da aber mit der Dehnungsfunktion noch eine Hub-Funktion in Verbindung tritt, muss die Zahl der Fasern ver- mehrt werden, und so sehen wir auch, dass mit dem Wachsthume des Thieres die Anzahl der Fasern gerade dieses Gliedes zunimmt, weil das Nahrungsbedürfnis ein größeres geworden ist, und so der Beuger gezwungen wird, größere Arbeit zu leisten. Der erste und zweite Gehfuß verhalten sich natürlich ganz ähnlich in dieser Hinsicht wie der Scherenfuß; aber auch beim 3. und 4. Gehfuße können wir einen ähnlichen Unterschied von Strecker und Beuger des letzten Gliedes wahrnehmen, weil, wie wir ja erfahren haben, das Endglied dieser Füße nicht nur zu beugen ist, sondern auch einen starken Druck auf die Unterlage, während des Gehens, auszuüben hat. IV. Haupttheil. Die Beweglichkeit und der Verkehrsraum. Die Beweglichkeit und der Verkehrsraum der Füße stehen in ganz direkter Beziehung zu einander. Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 433 Wir haben gesehen, dass der Krebs Bewegungen ausführen kann, wie sie andere Thiere in ähnlicher Weise nur mit Hilfe von Kugelgelenken zu Stande bringen, und haben gezeigt und bewiesen dass diese Art der Beweglichkeit ermöglicht wird durch die ver- schiedene Länge der einzelnen Beinglieder, die Zahl und Lage der sie verbindenden Scharniergelenke (Achsen), ferner die Größe und Richtung des Ausschlagwinkels zweier auf einander folgender Glieder. Wir können uns also gleich der zweiten Frage über die Größe des Verkehrsraumes zuwenden. Jedes Bewegungsorgan hat eine Verkehrsgrenze, über die hinaus kein Punkt mehr erreicht werden kann, alle Punkte, die innerhalb dieser Grenze liegen, gehören dem Verkehrsraum (Verkehrsfläche) an. Eine Gliedmaße ist erst dann als eine vollkommen frei be- wegliche zu bezeichnen, wenn ihr Endglied (eigentlich ein be- stimmter Punkt) mit dem Radius, der gebildet ist aus der Summe der Längen der einzelnen Glieder, eine Kugel beschreiben kann. Dies ist nur bei dem Kugelgelenk der Fall. Fiir-unseren Fall können wir sagen, je mehr das Endglied den Verkehrsraum beherrscht, desto größer ist seine Beweglichkeit, so dass die Größe und Beherrschung des Verkehrsraumes der Maßstab für die Beweglichkeit des Beines ist. Bevor wir die Bewegung des Endgliedes des Beines verfolgen, müssen wir die Bewegung des Endpunktes eines einzelnen sich be- wegenden Gliedes kennen. Da wissen wir von früher, dass der Endpunkt eines um ein Scharniergelenk sich bewegenden Gliedes einen Kreisbogen beschreibt. Der einfachste Fall eines mehrgelenkigen Beines ist der, wenn alle seine Glieder durch Seharniergelenke verbunden sind, deren Ge- lenkachsen in einer Ebene (parallel z. B. der Horizontalebene) liegen und parallel sind, bei gleichgerichtetem Ausschlagwinkel. Diese Bedingungen einer Gelenkkombination werden ungefähr von dem Ab- domen des Flusskrebses erfüllt. Die Gelenke der Abdominalglieder liegen alle in der Horizontalebene, so das alle Bewegungen in eine Ebene, die Vertikalebene, zusammenfallen. Wenn wir das Abdomen so beugen, dass einmal die einzelnen Gelenke von vorn nach hinten und ein anderes Mal in umgekehrter Richtung der Reihe nach thätig sind, so erhalten wir zwei Kurven, von denen die eine den größten Verkehrsweg und. die andere den kleinsten Verkehrsweg des Be- wegungsumfanges des Abdomens darstellt. Anfangs- und Endpunkt beider Kurven sind natürlich dieselben und die Fläche zwischen den beiden Kurven stellt die Verkehrsfliiche des Abdomens dar.‘ Die 434 Theodor List Größe der Verkehrsfläche ist also abhängig von der Länge des Ab- domens und seiner einzelnen Glieder, von der Größe und Richtung des Ausschlagwinkels zweier benachbarter Glieder. Im Allgemeinen wird also die Variabilität der Größe der Verkehrsfläche keine sehr große sein, da ja alle Bewegungen in einer Ebene liegen. Diese wird verlassen, sobald nur die Lage einer Gelenkachse sich verändert und mit der vorhergehenden nicht mehr parallel ist, sondern einen Winkel bildet, die anderen Bedingungen, hauptsäch- lich die der parallelen Lagerung der Gelenkachsen zur Horizontal- ebene, bleiben bestehen. Von diesem Augenblicke an beschreibt der Endpunkt des Beines keine ebene, sondern eine räumliche Kurve. Wenn wir jetzt wieder die Verkehrslinien bestimmen, so schließen jene Kurven nicht mehr eine krumme Fläche ein, wie früher, son- dern einen Raum, der von gekrümmten Linien begrenzt wird. Außer den früher erwähnten Bedingungen für die Größe der Verkehrsfläche ist für den Raum noch die verschiedene Lage der Gelenkachsen von größter Wichtigkeit. Je mehr die Gelenkachsen gegen einander in der Horizontalebene verschoben sind, desto größer ist der Ver- kehrsraum. In dem Verkehrsraume können von dem Endgliede ge- radlinige Bewegungen und Kurven der mannigfachsten Art be- schrieben werden, selbst Kreise und Kugeln, jedoch werden letztere nur dann vollkommen ausgeführt werden können, wenn die Gelenk- achsen in möglichst entgegengesetztem Sinne zu einander liegen, z. B. senkrecht. Einen weiteren Schritt zur Vergrößerung der Beweglichkeit und daher des Verkehrsraumes wird gethan, wenn die Gelenkachsen die Horizontalebene verlassen und in verschiedenen Ebenen zu einander liegen, wenn mit anderen Worten ihre Lage windschief wird. Mit dieser Bedingung genügt unser angenommener Fall der Definition des Krebsbeines, die wir kurz so fassen können: Der Fuß des Flusskrebses (Geh- oder Scherenfuß) be- steht aus 7 (oder 6) ungleich langen, durch Charnirge- lenke verbundenen Gliedern; die Lage der Drehungsach- sen der Gelenke ist meist windschief, so dass je zwei auf einander folgende Drehachsen Kanten eines Tetraeders sind; die Richtung und Größe des Ausschlagwinkels um diese Achsen ist bei den einzelnen Gliedern sehr ver- schieden. Wir können also schon a priori schließen, dass die Beweglich- keit und der Verkehrsraum um so größer werden, je mehr Richtun- Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 435 gen des Raumes die Gelenkachsen angehören, dazu kommen noch die Bedingungen des vorigen Falles. Versuchen wir z. B. für den dritten Gehfuß die Größe des Ver- kehrsraumes festzustellen. Geben wir zunächst dem Beine die Strecklage, die wir genauer schon früher bei der Messmethode im Einzelnen aus einander setzten, und bringen dann das erste Gelenk in die größte nach vorn ge- richtete Beugelage. Wenn wir den Endpunkt des Endgliedes in dieser Stellung mit a bezeichnen, so können wir mit Hilfe des ersten Gelenkes einen Bogen «5 beschreiben (von vorn unten nach hinten unten). Legen wir jetzt das erste Gelenk fest (in dieser Strecklage und lösen das zweite Gelenk, so beschreibt der Endpunkt einen Bo- gen bc (von hinten unten nach hinten oben), nun fixiren wir wieder diese Lage und lösen das erste Gelenk, so erhalten wir einen Bo- gen cd (von hinten oben nach vorn oben), und schließlich bei aber- maligem Wechsel der thätigen Gelenke einen Bogen da (von vorn oben nach vorn unten). Die Peripherie dieser Kreisbögen umfasst die entferntesten Punkte, die überhaupt erreicht werden können, weil der dazu gehörige Radius aus der Länge der Summe der gestreckten (oder nahezu gestreckten) Glieder gebildet wurde. Jedoch nach außerhalb dieser von den vier Kreisbögen einge- schlossenen Flächen liegen noch eine Reihe von Verkehrsbahnen: die äußersten Bahnen, wie wir sie im Gegensatz zu den entfern- testen Bahnen bezeichnen wollen. Wenn wir die äußerste Verkehrs- bahn umschreiben wollen, so müssen wir folgendermaßen die ein- zelnen Gelenke wirken lassen: Wir bringen das Bein in dieselbe Stellung und Lage wie vor- hin, beugen es dann um das fünfte Gelenk vollständig und beschreiben mit Hilfe des ersten Gelenkes mit dem Endpunkt des Endgliedes einen Bogen, wenn wir am Schlusse dieser Drehung noch das sechste Gelenk sich beugen lassen, so haben wir den äußersten Punkt nach unten und hinten erreicht; von diesem Punkte wird das Bein in derselben Beugestellung mit Hilfe des zweiten Gelenkes nach oben gedreht; dann bringen wir das fünfte und sechste Gelenk wieder in die Streckstellung und beugen nunmehr das Bein um das dritte, vierte und sechste Gelenk. Die Kurve, die nun der Endpunkt des Endgliedes in dieser Beugestellung beschreibt mit Hilfe des ersten und zweiten Gelenkes, trifft mit ihrem Endpunkte wieder mit dem Anfangspunkte des ersten Bogens zusammen. Die so entstandene, zusammengesetzte Kurve stellt die äußerste Verkehrsgrenze dar, die den Verkehrsraum 436 Theodor List einschließt, in dem alle nur denkbaren geraden und gekrümmten Linien mit dem Endgliede beschrieben werden können, so dass er in seinen Grenzen vollkommen beherrscht wird, jedoch die äußerste Verkehrslinie selbst beweist, dass sich mit dem Radius des gestreckten Beines keine Kugel beschreiben lässt, durch welche Bedingung erst das Bein zu einem frei-beweglichen wird. Der erste und zweite Gehfuß verhalten sich ganz ähnlich wie der dritte Gehfuß. Der vierte Gehfuß, bei dem ja bekanntlich die Lage der Ge- lenkachsen noch mehr gegen einander verschoben ist, und die Exkur- sionswinkel der einzelnen Gelenke noch größer sind, mithin die Be- weglichkeit im Ganzen eine viel bedeutendere ist, besitzt natürlich auch einen größeren Verkehrsraum. Hauptsächlich ist die Verkehrs- grenze nach hinten sehr viel größer, was durch die Funktion dieses Fußes bedingt wird. Ferner dadurch, dass die ersten Glieder kleiner sind als bei den übrigen Füßen, sind auch die Gelenkachsen näher zu einander gerückt, so dass bei einer Beugung der betreffenden Glieder die Länge des Gesammtradius sich nur wenig verändert. Hierdurch kommt eben der vierte Gehfuß der Bedingung am näch- sten, dass das Endglied des gestreckten Fußes eine Kugel beschreiben kann. Zu den früheren Bedingungen für die Beweglichkeit des Krebs- beines kommt also noch die: je kürzer die Anfangsglieder eines Beines sind und demgemäß je näher seine Gelenkachsen bei einander liegen, desto freier beweglich ist das Bein. Wir müssen also bei Krebsen, die einen höheren Grad der Be- weglichkeit als unser Flusskrebs besitzen, diese Bedingung erfüllt finden. Wir haben früher gesehen, dass das dritte und vierte Gelenk in morphologischer und physiologischer Hinsicht den übrigen Gelenken nicht gleichgesetzt werden dürfen, und dass sie bei der Fortbewegung von nur untergeordneter Bedeutung besonders bei den drei ersten Gehfüßen sind. Ein richtiges Verständnis für ihre wirkliche Bedeu- tung können wir erst jetzt bekommen, wenn wir wahrnehmen, dass gerade durch ihre Thätigkeit dem Endgliede (des ersten und zweiten Gehfußes) ermöglicht wird, den Mund zu erreichen oder die Mittellinie des Cephalothorax, letztere Fähigkeit ist vielleicht weniger für unseren Flusskrebs, aber sicher für seine Verwandten von großer Bedeutung, die sich Thiere der verschiedensten Gruppen auf die Rückenseite pflanzen, so dass wir allgemein sagen können, diese Gelenke zweiter Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 437 Ordnung oder Nebengelenke sind für die Nebenfunktionen der Füße von großer Wichtigkeit. Der Scherenfuß hat durch seine Länge vor den anderen Geh- füßen voraus, dass er entferntere Punkte erreichen kann, sonst je- doch können wir a priori schon schließen, dass der Verkehrsraum kleiner sein muss als bei den übrigen Füßen, weil, wie wir früher kennen gelernt haben, die sämmtlichen Exkursionswinkel um die einzelnen Gelenke bedeutend kleiner sind als bei den übrigen Geh- füßen. Dazu kommt noch der Verlust des dritten Gelenkes, so dass aus zwei kleineren beweglichen Gliedern ein größeres wenig beweg- liches wurde. Alle diese Rückbildungen sind jedoch eingetreten durch die Anpassung an die fast ausschließliche Funktion als Greif-Fuß. Für diese Funktion ist der Verkehrsraum vor dem Auge am wich- tigsten und dieser wird auch ganz beherrscht. Unmöglich für den Scherenfuß ist die Berührung des Cephalothorax und des Mundes; bei der Nahrung, die er diesem zuführen will, unter- stützen ihn, wie wir wissen, die beiden ersten Gehfüße. Nach Allem, was wir über die Beweglichkeit jetzt erfahren haben, kommen wir zu dem Schlusse, dass ein bestimmter Punkt des Verkehrsraumes auf sehr verschiedene Art und Weise erreicht werden kann, und sich desshalb hierfür keine bestimmten Wege auf- stellen lassen. Dagegen wollen wir noch die Wege zu schildern versuchen, die das Endglied eines Beines bei der Vorwärtsbewegung zurücklegt und angeben, in welcher Weise die einzelnen Gelenke bei dieser Bewegung mitwirken. Wählen wir zu unserer Beobachtung z. B. den zweiten Gehfuß. Die natürliche Ruhelage dieses Fußes ist meist so: Das erste Glied, das an dem Körper in einem spitzen Winkel zu seiner Symmetrie- Ebene eingelenkt ist, und dadurch das ganze Bein in einen spit- zen Winkel zum vorderen Körperabschnitte bringt, ist nach vorn gebeugt; das erste Gelenk selbst dreht das Bein von hinten nach vorn. Das zweite Glied ist um das zweite Gelenk immer nahezu ganz gebeugt, wodurch das Bein seitlich am Körper in die Höhe ge- streekt würde, wenn nicht um das fünfte Gelenk der distale Beinab- schnitt gegen den proximalen gebeugt wäre. Das zweite Gelenk liegt, wie wir wissen, nahezu in einem rechten Winkel zum ersten, so dass es das Bein im Gegensatze zum ersten Gelenke von oben nach unten bewegen muss. Alle übrigen Glieder befinden sich nahezu in der Strecklage. Beginnt jetzt der Krebs nach vorwärts zu gehen, so erhebt er das Endglied von der Unterlage mit Hilfe des zweiten 438 Theodor List Gelenkes, dann wird das ganze Bein um das fünfte Gelenk gestreckt und mittels des zweiten Gelenkes gesenkt, so dass das Endglied einen möglichst fernen Punkt erreichen kann. Nach diesem fixirten Punkte wird der Körper dadurch, wie wir wissen, gezogen, dass der Beuger des fünften Gelenkes dem distalen Beinabschnitt den proximalen nähert, das zweite Gelenk das Bein hebt und das erste Gelenk nach hinten dreht. Jetzt wird mit dem zweiten Gelenke das Bein wieder gehoben, mit dem ersten Gelenke nach vorn gedreht und um das fünfte Gelenk gestreckt. Aus diesen drei Hauptbewegungserscheinungen, die in positivem und negativem Sinne zur Ausübung gelangen und gleichzeitig statt- finden, setzt sich der Weg des Endgliedes zusammen. Der Weg selbst stellt bei der Vorwärtsbewegung im Wasser eine räumliche Kurve dar, die durch. die gleichzeitige Thätigkeit der erwähnten drei Gelenke zu Stande kommt. Um nun die Wirkungsweise der einzelnen Gelenke, die bei der Beschreibung dieser Kurve theilnehmen, kennen zu lernen, ist es nothwendig, dass man das eine oder das andere Gelenk außer Thätigkeit setzt. Schon früher haben wir gesehen, dass jedes Bein ganz bestimmte Verkehrsbahnen während der Be- wegung einhält, dass z. B. der zweite Gehfuß die äußere Bahn ein- hält und immer ein Stück vor der Spur des ersten Gehfußes einsetzt. Sobald nun eines der Hauptgehgelenke, z. B. das erste, aufser Thätigkeit gesetzt wird, muss sich der Weg, den das Endglied zu- rücklegt, verändern. Die Beobachtung lehrte uns, dass an Stelle des ersten Gelenkes das dritte, vierte und sechste Gelenk, die sich sonst nur ganz wenig bei der Vorwärtsbewegung betheiligten, in inten- sive Thätigkeit traten und das Bein von hinten nach vorn drehten. Das während dieses Ganges ausgefertigte Autograph zeigt uns, dass die Spuren des zweiten Gehfußes jetzt hinter denen des ersten Geh- fußes liegen und noch weiter nach außen gerückt sind, d. h. die Nebengelenke konnten doch nicht ganz das Hauptgelenk ersetzen: die zurückgelegten Wege sind kleiner geworden (vgl. Taf. XVIII). Voll- ständig unentbehrlich für die Vorwärtsbewegung sind das zweite und fünfte Gelenk, da keines der übrigen Gelenke für sie eintreten kann. Zum Schlusse möchte ich noch meinen hochverehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. G. v. Koch, der die Aufgabe stellte und mich wäh- rend der Bearbeitung in jeder Weise unterstützte, meinen aufrichtigsten Dank auch an dieser Stelle aussprechen. Neapel, Zoologische Station im September 1894. Morphol.-biol. Studien über den Bewegungsapparat der Arthropoden. I. 439 Litteraturverzeichnis. C. E. Hasse, Observationes de sceletto Astaci fluviatilis et marini. Dissert. Lipsiae. 1833. K. LANGER, Über den Gelenksbau bei den Arthrozoen. Denkschr. der kaiserl. Akad. d. Wiss. XVIII. Bd. 1860. V. GRABER, Die Insekten. München 1877. Naturkräfte XXI. Bd. —— Die äußeren mechanischen Werkzeuge der Thiere. Wissen d. Gegenwart XLIV. Bd. T. H. Huxıey, Der Krebs. Eine Einleitung in das Studium der Zoologie. Leipzig 1881. J. E. V. Boas, Studier over Decapodernes Slaegtskabsforhold. Kobenhavn 1880. —— Studien über die Verwandtschaftsbeziehungen der Malakostraken. Morph. Jahrb. VIII. Bd. 1883. Erklärung der Abbildungen. Tafel XIV (vgl. im Text pag. 383—92). Die Gelenkverbindungen eines Scherenfußes und eines zweiten Gehfußes. (Alle Zeichnungen sind nach Photographien angefertigt worden, welche von den Präparaten in 31/, facher Größe gemacht wurden.) Fig. 1. Erstes Glied mit der Gelenkverbindung a, b des Scherenfußes. Fig. 2a. Erstes Glied mit der Gelenkverbindung c, d des Scherenfußes. Fig. 26. : Auer und drittes Glied mit der Gelenkverbindung c,d des Scheren- ußes. Fig. 3a. ; zu und drittes Glied mit der Gelenkverbindung 3, 4 des Scheren- ußes. Fig. 35. Viertes Glied mit der Gelenkverbindung 3, 4 des Scherenfußes. Fig. 4a. Viertes Glied mit der Gelenkverbindung 5, 6 des Scherenfußes. Fig. 4b. Fünftes Glied mit der Gelenkverbindung 5, 6 des Scherenfußes. Fig. 5a. Fünftes Glied mit der Gelenkverbindung 7, 8 des Scherenfußes. Fig. 55. Sechstes Glied mit der Gelenkverbindung 7, 8 des Scherenfußes. Fig. 6a. Sechstes Glied mit der Gelenkverbindung 9, 10 des Scherenfußes. Fig. 65. Siebentes Glied mit der Gelenkverbindung 9, 10 des Scherenfußes. Fig. 7. Erstes Glied mit der Gelenkverbindung a, 6 des 2. GehfuBes. Fig. 8. Zweites Glied mit der Gelenkverbindung ec, d des 2. Gehfußes. Fig. 9. Drittes Glied mit der Gelenkverbindung 1, 2 des 2. GehfuBes. Fig. 10a. Drittes Glied mit der Gelenkverbindung 3, 4 des 2. Gehfußes. Fig. 105. Viertes Glied mit der Gelenkverbindung 3, 4 des 2. GehfuBes. Fig. 11a. Viertes Glied mit der Gelenkverbindnng 5, 6 des 2. Gehfußes. Fig. 118. Fünftes Glied mit der Gelenkverbindung 5, 6 des 2. Gehfußes. Fig. 12a. Fünftes Glied mit der Gelenkverbindung 7, 8 des 2. GehfuBes. Fig. 125. Sechstes Glied mit der Gelenkverbindung 7, 8 des 2. Gehfußes. Fig. 13a. Sechstes Glied mit der Gelenkverbindung 9, 10 des 2. GehfuBes. Fig. 135. Siebentes Glied mit der Gelenkverbindung 9, 10 des 2. Gehfußes. Tafel XV. Auf- und Grundriss der Gelenkachsen des Scherenfußes und der vier Gehfüße der rechten Seite eines Flusskrebses in natürlicher Größe. (Die Grundrisse der vier Gehfüße wurden um 180° gedreht.) Alle Gelenk- achsen sind punktirt. S= Scherenfuß. T- IV=1.—IV. Gehfuß. a,b, c, d, 1, 2—-10 = Drehpunkte der Gelenkachsen. Vergl. im Texte pag. 405—407. 440 Th. List, Morphol.-biol. Studien über d. Bewegungsapparat d. Arthropoden. I. Tafel XVI. Gehbahnen vom Flusskrebse. Vorwärts- und Rückwärtsgang mit allen Füßen, Vorwärtsgang ohne den 4. Gehfuß und Rückwärtsgang ohne den 1. Gehfuß. Tafel XVII. Alle Figuren außer Fig. 15—27 wurden nach Photographien angefertigt, welche nach den Präparaten mit verschiedener Vergrößerung gemacht wurden. Fig. 1. Der Scherenfuß Fig. 2. Der 1. Gehfuß | der rechten Seite eines Flusskrebses in der Streck- Fig. 3. Der 2. - stellung. Exemplar B. Ein wenig über natürliche Fig, 4 “Der dee Größe. Fig. 5. Der 4. - Fig. 6—12. Darstellung der beweglichen Gelenkverbindung beim 3. Gliede (zwi- schen 3. und 4. Gelenkachse) in verschiedenen Stadien seiner Ausbildung. Fig. 6a u. b. 2. und 3. Glied eines 1. Gehfußes mit unbeweglicher Verbindung. Fig. Ta u.b. 2. und 3. Glied eines 2. Gehfußes mit unbeweglicher Ver- bindung. Fig. 8. 2. und 3. Glied eines 3. Gehfußes mit unbeweglicher Verbindung. Fig. 9—12. 2. und 3. Glied der vier Gehfüße der rechten Seite eines Krebses mit beweglicher Verbindung. Fig. 13. Das innere Skelet (Endophragmalsystem) mit den Gelenkpunkten des Scherenfußes und der vier Gehfüße. Die Zeichnung soll nur die Lage der Gelenkpunkte zeigen. S = Scherenfuß. I.G., II.@., III.@., IV.G. = 1.—IV. Gehfuß. a, b= erste Gelenkachse. Ge = Gelenkhaut. Fig. 14. Stellt nur die Gelenkpunkte Sa und Sd des Scherenfußes, Za und Ib bis IVa und IVé des L.—IV. GehfuBes dar und zeigt, welchen Winkel die betreffenden Gelenkachsen mit der Symmetrie-Ebene 8’ S” bilden. Fig. 15—27. Die Muskulatur eines III. Gehfußes. Fig. 15. Beuger des 1. Gliedes. I. Beuger vom Endopleuriten-Fortsatz (End) kommend. II. Beuger von der Epimeralwand (Ep) kommend. a, b erste Gelenkachse. 1., 2., 3. erstes bis drittes Glied. Fig. 16. Strecker des 1. Gliedes (7). I. Strecker vom Endopleuriten-Fortsatz (Znd) kommend. IIa ıf. 5 Strecker von der Epimeralwand (Zp) kommend. Fig. 17. Beuger des 2. Gliedes (2). I. Beuger vom Endopleuriten-Fortsatz kommend (End). II. Beuger vom ersten Gliede kommend (7). Fig. 18. Streker des 2. Gliedes (2). I. Strecker vom Endosterniten-Fortsatz (Endost) kommend. II. Strecker vom ersten Gliede kommend (7). ITT. Strecker von der Epimeralwand (Zp) kommend. Fig. 19. Strecker des 3. Gliedes (3). Fig. 20. Strecker I und II des 4. Gliedes (4). Fig. 21. Sehnen der Strecker des 4. Gliedes (4.) Fig. 22. Beuger des 5. Gliedes (5). Fig. 23. Strecker des 5. Gliedes (5). Fig. 24. Strecker des 6. Gliedes (6). Fig. 25. Beuger des 6. Gliedes (6). Fig. 26. Beuger a und Strecker 5 des 7. Gliedes (7). Fig. 27. Sehnen des Beugers und Streckers des 7. Gliedes (7). Tafel XVIII. Gehbahnen des 1. und 2. Gehfußes. a) während des normalen Ganges. b) bei festgelegtem 1. Gelenke des 2. Gehfußes. Eth.Anstv.EA Funke, Leipzig. Monpholog. Jahrb. Bd. XXII. Fig. 28 ey Br Fig. 1 Fig. 108 Fig 9. <<) J A Verlag vWilh. Engelmann in Leupzur Taf AV. 0. fig 006 " (ME # 3 Fig 118 Fig. 38 Beh arse EA Fort leute. Tat XV. Ich Pret EA Funke, Leikne- < Taf XV Morpholog Jahrb. Bd. XH. Verlag» Wilh, Engelmann Se 227 \ 1" + - Taf XV Morpholog. Jahrb. BLXXM — — __ = — — — - — - - - — = . = : ” 4 . u. Be tes Vorwärts-Gang mil allen Füssen. See Rie les ärls- en mit alle iissen Richtung: Po» © IlGehfuss Richtung: > > 8 Ntehfuss Scherenfüss R es © ei ee? os ; e e2 os 5% 3 e2 2: o,° @2 3 en e/ 37.7) / ©; P © Ay ö ’ e/ es et 05 f E ae 84 6 @6 = ;, BI as 5 at a #2 a | An »5 eh | 4 . »1 - C77 @2 oh Ag e6 eo BF Be a2 8 Ey e5 ay ®2 e3 BY \ @2 oe By eo e2 es 05 * ee 2 © oF e” e5 2 a e2 F 5 | = E77 ®6 Pr es Si os En ol eb 6 [7 | es Vorwarts- Genie ohne den N Gehluss. Rückwärts-Gang ohne den |. be huss. Richtung: >>> —- Richtung: >>> o! 0 e | 9 e3 An . Hy: ® os “ on ee | a ou Pr i e% 07 | [7 A) ke ‘ P : sl © 9, 5, - Bs Cp ee | © ae 63 ; > CH 2 Bt »5 Ei #2 ®3 2, 62 Er bY - ® 8 86 - j 0 e2 4 #3 a | fY er CH | u } Bu Tr = 5 en A e: on ep o7 a ez Lil es — >, J e = 2 Bi ei eo eo oe: oF eo; en | e; ; 7 — ‘Verlag vWilh Engelmann in Layo a. = = == = : pers = £ N Lith Ansty EAfunbe pa | ——— TEL XV. Lith.Anst.v.EA.Funke, Leipzig, . ER E “ rae : Morpholog. Jahrb. Bd. XAll. Fig 5. These, Fig.21. Fig £2. Fig A. fig. 23. Verlag y Wilhlingelmann © Lexpesy Tal XVII. Fig10. Fig. Fig. a LithAnsun EA, Funke, Lo Morpholo Tat AN. inges = 86 66 86 oF 4 TIEREN Lith Aneta EA Funke, Leipzig. or @e2 eo @2 @7 ee ®7 ® © 82 e7 Ot ©, et es Ot er b) bei festgelegtem I.Gelenke des IL. Gehfusses © © © 2 es @2 ®+ ®4 a et os oo es eo 85 er er Zur Kenntnis der Amphibienrippen. Vorläufige Mittheilung. Von Dr. med. Ernst Göppert, Assistent am anatomischen Institut zu Heidelberg Mit 5 Figuren im Text. Es kann als eine sicher feststehende Thatsache angesehen wer- den, dass die Rippen der Selachier homolog sind den Rippen der Amphibien und Amnioten. Beiderlei Bildungen finden sich in iden- tischer Lagerung, und zwar an den Schnittstellen des horizontalen und der transversalen Myosepten. Dennoch besteht zwischen Amphibien- und Selachierrippe eine Verschiedenheit, die nicht übersehen werden darf. Die Rippen der Selachier sind mit den sogenannten Basalstümpfen verbunden, die dem ventralen Bogensystem angehören. Die Rippen der Amphibien stehen im primordialen Zustand des Skelets ausschließlich mit den Neuralbögen in Verbindung. Bei den Squaliden finden wir die Rippen angeheftet an ziem- lich lange, hornartige Basalstümpfe, die, mit breiter Basis vom Wirbelkörper ausgehend, fast horizontal nach außen ragen, um in der Nähe der Seitenrumpfmuskulatur sich mit der ihnen zugehörigen Rippe zu verbinden. Ventral von der Chorda liegt zwischen den Basen der Basalstümpfe die Aorta. Verfolgt man das Verhalten der Basalstiimpfe gegen den Schwanz zu, so sieht man, dass sie all- mählich in die geschlossenen Hämalbögen der Schwanzwirbelsäule übergehen. Eine Betheiligung der Rippen findet an dieser Bogen- bildung nicht statt. Die Rippen werden caudalwärts allmählich rudi- mentär, um im Anfangstheil des Schwanzes gänzlich zu verschwinden. Morpholog. Jahrbuch. 22. 99 442 Ernst Göppert Bei vielen Formen tragen aber noch die bereits ventral verlängerten Basalstümpfe Rippenrudimente, oder die Stelle früherer Rippenbil- dung markirt sich durch einen gegen das horizontale Septum ragen- den Vorsprung an der Außenseite des Hämalbogens. Es ist nun eine längst bekannte Thatsache, dass den urodelen Amphibien eben so wie vielen Amnioten dem primordialen Skelet angehörige untere Bogenbildungen zukommen, die denen der Sela- chier homolog zu setzen sind. Bisher sind sie nur an der Schwanz- wirbelsäule angetroffen worden. Ihnen fehlt aber jede Verbindung mit den Rippen, obwohl sie an Wirbeln vorkommen, die noch Rippen tragen. Letztere sind stets Theilen der oberen Bögen angefügt. Untersuchen wir den hinteren Rumpftheil einer neugeborenen Larve von Salamandra maculosa Laur. (vgl. Fig. 1), so finden wir OA ® JONES ) (eos Si 2 Aorta Ch Arey. Salamandra maculosa. Neugeborene Larve. Querschnitt durch einen Wirbel der hinteren Rumpf- hälfte. 72:1. A 'Rippenträger. Art.v Arteria vertebralis. Ch Chorda dorsalis. M Rickenmark. N Neuralbogen. R Rippe. die Rippen (AR) in Verbindung mit einem Fortsatz (A), der jederseits von der Außenfläche der Neuralbögen (N) ausgeht und annähernd genau senkrecht bis zur Höhe des horizontalen Myoseptums herabsteigt. Zur Kenntnis der Amphibienrippen. 443 Dieser Rippenträger erreicht mit seinem distalen Ende etwa das Niveau der Mitte des dorso-ventralen Chordadurchmessers. Unter- sucht man weiter die Träger der vorderen Rippen, so beobachtet man an ihnen eine Ausdehnung in dorsaler Richtung längs der Außenseite der Neuralbögen. Sie erreichen fast die Mitte der Höhe derselben. Der Rippenträger vergrößert auf diese Weise sein Vo- lum und seine Haftfläche. Dies ist der Ausdruck der erheblicheren Stärke der vorderen Rippen. Vom ventralen Ende jedes Rippenträgers ragt ein kurzer Fort- satz nach vorn, dessen Ende mit dem bereits angelegten knö- chernen Wirbelkörper durch eine dünne Knochenspange verbunden ist. Diese bietet dem ganzen Apparat einen zweiten Stützpunkt!. Endlich ist noch zu erwähnen, dass zwischen dem Rippenträger (A) und der Chorda dorsalis (Ch) die Arteria vertebralis (Art.v) ihren Weg nimmt. Untersuchen wir weiter die Larven anderer Urodelen, so finden wir im Großen und Ganzen analoge Verhältnisse wie bei Salaman- dra. Verschiedenheiten beruhen ‘aber auf der Stellung des horizon- talen Septums und der von ihr abhängigen Höhenlage des Rippen- trigerendes. Das gilt bereits für Larven von Triton. In ganz besonderem Maße aber für eine Larve von Pleurodeles Waltli von 35 mm Länge. Hier ragten die distalen Enden der Rippenträger nicht gerade ventralwärts, sondern genau horizontal nach außen. Das horizontale Septum lag somit etwa in der Höhe des Bodens des Riickgratkanals. Wir beobachten also innerhalb der Urodelen eine dorsale Verlagerung des horizontalen Septums. Es ist nun eine nicht ganz unwichtige morphologische Aufgabe, den Unterschied im Verhalten der Rippenbefestigung bei den Sela- chiern einerseits, den Urodelen andererseits aufzuklären. Die Wahrscheinlichkeit, noch innerhalb der Amphibienklasse ursprünglichere Zustände anzutreffen, wuchs durch einen Befund bei einer neugeborenen Salamanderlarve (Fig.2). Es ist oben gesagt wor- den, dass man untere knorplige Bögen bisher nur an der Schwanz- ! Die knöcherne Spange, die von morphologischer Bedeutung ist, beschreibt bereits GOETTE in seiner Entwicklungsgeschichte der Unke und in »Beiträge zur vergleichenden Morphologie des Skeletsystems der Wirbelthiere. II. Die Wir- belsäule und ihre Anhinge«. 6) Die Rippen der Urodelen. Zeitschrift für mikr. Anatomie. Bd. XVI. Bonn 1879. 1 298 444 Ernst Göppert wirbelsäule angetroffen hat. Die eben bezeichnete Larve zeigte nun aber fast an sämmtlichen Wirbeln des Rumpfes mit wenigen Ausnahmen Reste ventraler Bo- Fig. 2. gentheile oder von Basalstümpfen in Form von kleinen hyalin - knorpligen Höckern (B’). Mei- stens fand sich nur einer an einem Wirbelkörper vor, stets unmittelbar rechts oder links von der Aorta ge- legen. Gelegent- lich aber zeigten sie sich in dem in = = pm mu UNS en Salamandra maculosa. Neugeborene Larve. Querschnitt durch den Fi 9 A d is zweiten Rumpfwirbel. 90:1. B’ Rudimente von Basalstümpfen. Sonst 18. wıederge- Bezeichnungen wie in Fig.1. gebenen Verhal- ten. Weiter hinten gegen die Caudalwirbelsäule nehmen sie etwas an Länge zu. Am Schwanz endlich fanden sich an ihrer Stelle in genau gleicher Lage die bekannten geschlossenen unteren Bögen vor. Primitivere Verhältnisse konnten nur bei Larven perennibran- chiater Urodelen erwartet werden. Der Güte des Herrn Professor Hans VırcHow verdanke ich die Möglichkeit, Larven von Meno- branchus lateralis Say. zu untersuchen. Ich spreche Herrn Professor VircHow hierfür an dieser Stelle meinen aufrichtigen Dank aus. An den hinteren Rumpfwirbeln einer 22 mm langen Larve von Menobranchus fanden sich nun der Ventralseite der Chorda dorsalis angelagerte Knorpelstücke vor, die in ihrem ganzen Verhalten voll- kommen den Basalstiimpfen der Selachier glichen (Fig. 3 B). Sie ragten gegen den medialen Rand des horizontalen Septums vor und setzten sich in die aus dicht gedrängten Zellen bestehenden kurzen Rippenanlagen fort. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die beschrie- benen Knorpelstücke den Basalstümpfen der Selachier homolog sind. Vom größten Interesse ist, dass sie, nicht die oberen Bögen, die Rippen tragen, dass also hierin der Selachierzustand sich bei dem Urodel wiederfindet. Hervorzuheben ist, dass aber bereits Beziehungen des Basal- Zur Kenntnis der Amphibienrippen. 445 stumpfes zu den oberen Bögen bestehen, die bei Selachiern fehlen. Von der Außenseite der Neuralbögen zieht ein Zellstrang zum Ende des Basalstumpfes (Z). Zellenanhäufungen in der Fortsetzung dieses Stranges verbinden übrigens auch Rippenanlagen mit oberem Bogen. Diese Einrichtungen stehen unzweifelhaft in Zusammenhang mit der Fig. 3. ne NE Ki I re S OBR N 809, I 1 { | I ! ' i) ' ‘ ' ‘ ! 1 ! ' Aorta Ch B Menobranchus lateralis. Larve von 22mm Länge. Querschnitt durch einen hinteren Rumpf- wirbel. 60:1. B Basalstumpf. C Nerv der Seitenlinie, D dorsale Seitenrumpfmuskulatur. V ven- trale Seitenrumpfmuskulatur, JZ Zellstrang. Sonst Bezeichnungen wie in Fig. 1, etwas höheren Stellung des Rippenanfangs bei Menobranchus im Ver- gleich zu dem Verhalten bei den Squaliden. Andererseits finden wir den Rippenanfang bei der Menobranchuslarve in dem hinteren Rumpf- theil niedriger stehend als bei den Salamandrinen. Verfolgen wir das Verhalten der Basalstümpfe bei unserer Larve weiter caudalwärts, so sehen wir aus ihnen genau wie bei den Sela- chiern die Hämalbögen der Schwanzwirbelsäule hervorgehen (Fig. 4 Z). Die Übereinstimmung zwischen Menobranchus und den Selachiern ist eine geradezu überraschende. Die Stellen, an denen die Befestigung der hier zurückgebildeten Rippen gesucht werden müssten, springen am vorderen Schwanzwirbel bei der Menobranchuslarve genau wie bei 446 Ernst Göppert manchen Selachiern als deutliche Höcker gegen das horizontale Sep- tum vor!. Auch hier fand sich der oben beschriebene bandartige Zellstrang (Z). Fig. 4. Menobranchus lateralis. Larve von 22mm Länge. Querschnitt durch den ersten Schwanz- wirbel. 40:1. B Hämalbogen; der ventrale Schluss des Bogens fällt in die folgenden Schnitte. V.caud Caudalvene. Sonst Bezeichnungen wie in Fig. 1 und 3. | Eine wichtige Modifikation des eben dargelegten Verhaltens weisen die vorderen Rumpfwirbel der gleichen Larve auf (Fig. 5). Zunächst liegt hier der mediale Rand des horizontalen Septums etwas 1 Man vergleiche: F. M. Batrour, Handbuch der vergleichenden Embryo- logie. Bd. II. Übersetzt von VETTER. Jena 1881. Fig. 317 pag. 490. Zur Kenntnis der Amphibienrippen. 447 höher als hinten, annähernd in derselben Höhe, wie bei der oben ge- schilderten Larve von Salamandra maculosa (vgl. Fig. 1). Das Ende des Basalstumpfes (B) ist damit dem oberen Bogen (N) erheblich näher gerückt als weiter hinten. Das die Rippen tragende Basal- stumpfende hing nun durch eine Brücke von hyalinem Knorpel (A) Menobranchus lateralis. Larve von 22 mm Länge. Querschnitt durch einen vorderen Rumpf- wirbel. 90:1. A Knorpelbrücke zwischen Basalstumpf B und Neuralbogen N. Vgl. den Rippenträger von Salamandra maculosa (Fig. 1A). Sonst Bezeichnungen wie in Fig. 1. mit dem Knorpel des oberen Bogens kontinuirlich zusammen. In dem vom Basalstumpf und der neu hinzugekommenen Knorpel- brücke gebildeten Winkel findet sich die Arteria vertebralis (Art.v). Mit dem Auftreten der geschilderten sekundären Verbindung nimmt naturgemäß der alte, Basalstumpf an Volum ab und zeigt durch Verdünnung, wie sie Fig. 5 darstellt, die Tendenz zur Rückbildung. Denken wir uns diese Rückbildung vollzogen, so wird der Meno- branchuszustand direkt übergeführt in den bei der Salamanderlarve konstatirten Befund, denn ein Blick auf Fig. 1 und 5 zeigt, dass die sekundäre Knorpelbrücke (A) sammt dem distalen Ende des Basal- stumpfes (B) bei der Menobranchuslarve in jeder Beziehung dem 448 Ernst Göppert, Zur Kenntnis der Amphibienrippen. knorpligen Rippenträger der Salamandrinen entspricht (Fig. 1A). Dem sich rückbildenden (proximalen) Theil des Basalstumpfknorpels ent- spricht aber bei den Salamandrinen die oben (pag. 443) erwähnte, von GOETTE zuerst beschriebene Knochenspange zwischen Rippenträger und Wirbelkörper. Nach dem eben Mitgetheilten liegt uns also eine völlig lücken- lose Reihe von Befunden vor, die den Selachierzustand der Rippen verknüpft mit den Befunden bei den höheren Urodelen. Wir können die Überführung der Rippenbefestigung von den Basalstiimpfen auf die Rippenträger der Urodelen und damit die Genese der letzteren bis ins Einzelne mit vollster Sicherheit verfolgen. In nächster Zeit wird eine ausführlichere Darlegung der hier nur kurz behandelten Verhältnisse folgen. Heidelberg, den 30. November 1894. Über Variationen der Spinalnerven und der Wirbelsäule anurer Amphibien. IT. (Pelobates fuscus Wagl. und Rana esculenta L.) Von Dr. med. Hermann Adolphi, Prosektor am anatomischen Institut der Universitat Jurjew (Dorpat). Mit Taf. XIX und 4 Figuren im Text. Pelobates fuscus Wagl. Die Wirbelsiule von Pelobates fuscus zeigt in der Regel fol- gendes Verhalten: die acht ersten Wirbel sind frei, Wirbel IX ist Sacralwirbel und mit den distal folgenden Elementen des Achsen- skeletes, die bei den meisten Anuren ein freies Urostyl bilden, zu einer einheitlichen Knochenmasse verwachsen. Die Körper der Wirbel I—VUI haben hinten einen Gelenkkopf, der mit einer Pfanne vorn am Körper des folgenden Wirbels artikulirt. Die Bögen der Wirbel I—IX sind durch Gelenkfortsätze mit einander verbunden, wobei jedes Mal die hinteren Gelenkfortsätze eines Wirbels die vorderen Gelenkfortsätze des folgenden dachziegelförmig überlagern. Das mit dem Kreuzbeine verschmolzene Urostyl, auf dessen dorsaler Fläche der Wirbelkanal frei endet, ist relativ kurz, sehr viel kürzer als bei Bufo und Rana, bei welchen das Urostyl erst dicht über dem Anus endet. Die Wirbel II—IX haben je ein Paar Querfortsätze, die an ihrem lateralen Ende stets eine knorplige Apophyse tragen. Die Querfortsätze des Wirbel IX dienen zur Artikulation mit den Darm- beinen, sie sind groß, flächenhaft ausgebreitet und von dreieckiger Gestalt. Der laterale Rand ist der längste, er verläuft geradlinig und 1 Siehe dieses Jahrbuch. Bd. XIX. pag. 313. Morpholog. Jahrbuch. 22. 30 450 Hermann Adolphi der Medianebene parallel. Der vordere und der hintere Rand sind ein wenig ausgeschweift. Dabei läuft der vordere Rand horizontal, der laterale und der hintere Rand jedoch sind geneigt, so dass der hintere Winkel des Kreuzbeinflügels das. untere Niveau des übrigen Kreuzbeines ventralwärts erheblich überschreitet. Die Darmbeine artikuliren mit der ventralen Fläche der Kreuzbeinflügel, nnd zwar entlang dem ganzen lateralen Rande derselben. Die Querfortsätze der Wirbel VIII—V sind klein und stabförmig, sie laufen dem vor- deren Rande der Kreuzbeinflügel parallel, schräg nach außen und vorn. Die Querfortsätze der Wirbel IV—II sind wiederum größer. Die des Wirbel IV sind winklig abgebogen und verlaufen zunächst schräg nach vorn und unten, darauf nach hinten und oben. Die Querfortsätze des Wirbel III sind nächst denen des Sacralwirbels die größten und stärksten, in lateraler Richtung dehnen sie sich am allerweitesten aus. Sie verlaufen zunächst schräg nach vorn und unten, darauf schräg nach hinten, wobei der vordere Rand seine ventrale Neigung beibehält, der hintere Rand jedoch nahezu hori- zontal verläuft. Dort wo der Querfortsatz seine Richtung ändert, findet sich auf der dorsalen Fläche desselben stets eine quergestellte Erhabenheit, die meist nach hinten und oben in einen stärkeren Dorn, nach vorn dagegen in ein kleines Knochenspitzchen ausläuft. Die vordere laterale Ecke des Querfortsatzes ist der am tiefsten gelegene Punkt der ganzen Wirbelsäule. Pig. 1. Von hier aus steigt die knorpe- lige Apophyse schräg nach hin- ten zu auf. Die Querfortsätze des Wirbel II verlaufen schräg nach vorn und ventralwärts, sie sind am Ende schaufelförmig verbreitert. Der Schultergürtel geht sehr nahe Beziehungen zur Wirbel- säule ein. Der hintere Rand des Suprascapulare stützt sich auf das obere verbreiterte Ende der Apophyse des Querfortsatzes von Wirbel III und auf den proxi- malen Theil der Apophyse des Querfortsatzes von Wirbel IV. Die obenstehende Figur, welche die vier ersten Wirbel und den Schulter- gürtel in der Norma lateralis wiedergiebt, verdeutlicht dieses Verhalten. Über Variationen der Spinalnerven u. der Wirbelsäule anurer Amphibien. II. 451 Die Stellen, an denen das Suprascapulare den Apophysen aufliegt, sind schwarz gehalten, im Übrigen sind die Apophysen schräg ge- strichelt. Das Verhalten der Spinalnerven ist bei Pelobates fuseus und Bufo variabilis ein so ähnliches, dass ich mich hier darauf be- schränken kann hauptsächlich auf die Unterschiede zwischen beiden aufmerksam zu machen'. Nerv II, der sogenannte Nervus hypoglossus, welcher die Zungenbeinmuskeln versorgt, ist ein wenig dicker als bei Bufo var. Ich habe auch hier nicht untersucht, ob der Nervus hypoglossus konstant einen Faden zum Plexus brachialis sendet, gelegentlich habe ich aber ein solches Verbindungsfädchen bemerkt. Nerv III ist auch hier der stärkste aller Spinalnerven und zieht als Nervus brachialis longus in den Arm, er hat aber kein ganz so großes Übergewicht im Plexus brachialis wie bei Bufo variabilis, da Nerv IV hier dicker ist wie dort und sich konstant mit dem Plexus verbindet. Nerv V läuft in nach vorn gekrümmtem Bogen über die ven- trale Fläche des Querfortsatzes von Wirbel IV hinweg und nahe an Nerv IV heran. Meist versorgt er, gleich den beiden folgenden sehr dünnen Nerven VI und VII, nur die Leibeswand, zuweilen schickt er aber auch einen mehr oder minder starken Verbindungsfaden zum Plexus brachialis. Die Nerven VIII—X vereinigen sich, wie auch bei Bufo var. zum Plexus sacralis und geben den Nervus ileohypogastricus, eruralis und ischiadieus ab. Als Unterschied ist hervorzuheben, dass Nerv IX und X nicht so sehr im Plexus dominiren wie bei Bufo var., da auch Nerv VIII meist eine ansehnliche Dicke hat. Nerv XI ist stets vorhanden und nicht selten ein ansehnlicher Nerv, der dann an der Bildung des Nervus ischiadieus Theil nimmt. Einen Nerv XII habe ich nur ganz ausnahmsweise bemerkt. Pelobates fuscus, die Knoblauchkröte, kommt in ganz Livland vor, ist aber nirgends häufig. Ich habe im Ganzen 65 erwachsene Exemplare untersucht, 22 davon waren Männchen und 43 Weibchen. Bekanntlich überwiegt nun bei den Anuren die Zahl der Männchen bedeutend, und wenn ich von Pelobates fuscus trotzdem doppelt so viel Weibchen wie Männchen gefangen, so wolle Niemand daraus ! Vergleiche den ersten Theil dieser Arbeit im Morpholog. Jahrbuch. Bd. XIX. 1892. pag. 313 ff. 30* 452 Hermann Adolphi den Schluss ziehen, dieses sei die natürliche Vertheilung der Ge- schlechter. Der Zusammenhang ist ein anderer. Mein Material ent- stammt hauptsächlich einem Teiche, in welchem Rana temp. und Pelobates fuscus gleichzeitig laichten. Das Froschmännchen befindet sich während der Laichzeit in einer sinnlosen geschlechtlichen Er- regung. Es ergreift, wie schon van BAMBERE! das beschrieben, auch die Weibchen von Pelobates, umklammert. mit seinen gewaltigen Armen deren Brust und drückt diese kleinen, zierlichen Thiere, die gewohnt sind vom Männchen in der Weiche gefasst zu werden, in brutalster Weise zu Tode. Ich habe viele dieser unglücklichen Thiere aus den Armen der Frösche gelöst. Ein Theil derselben war bereits todt, ein anderer sterbend. Mehr als die Hälfte meines Ma- terials erlangte ich so, indem ich aufhob was die Froschmännchen gefangen. Daher überwiegen bei mir die weiblichen Exemplare von Pelobates fuscus. Ganz wie bei Bufo var. habe ich auch hier die Dicken der Spinalnerven für jedes Exemplar notirt. Dabei dienten mir wieder Nerv VI der linken Seite (als Dieke 4) und der diekste Nerv der beiden Plexus sacrales (Dicke 9) als Anhaltspunkte. Von den 65 untersuchten Exemplaren hatten 50 normale Wirbel- säulen, darunter waren 18 Männchen und 32 Weibehen. Die übrigen 15 Exemplare zeigten theils Verschmelzungen von Wirbeln, theils abnorm zusammengesetzte Kreuzbeinflügel. Die Befunde an den Spinalnerven der 50 Exemplare mit nor- maler Wirbelsäule habe ieh zunächst zusammengestellt. In Tabelle A gebe ich eine Übersicht aller Dicken, welche bei jedem einzelnen Nerven gefunden wurden. Da für jeden Nerv genau 100 Beobach- tungen vorliegen, so giebt bei jeder einzelnen Dicke die Anzahl der Beobachtungen zugleich die Häufigkeit dieser Dicke in % an. Vor- angestellt ist hier und in allen folgenden Tabellen immer die Dicke eines jeden Nerven, die für die primitivste gehalten werden muss. Die Dicke des Nerven XI variirt stark, von 8 bis 1. Die Mehrzahl der Fälle, je ein Drittel, kommt auf die beiden Dicken 4 und 5. Die höheren Dieken kommen nur vereinzelt vor, die ge- ringeren etwas häufiger. 1 vAn BAMBEKE, Recherches sur le développement du Pélobate brun. Gand 1867. pag. 12. Separatabzug aus: Mémoires couronnés et Mémoires des savants étrangers, publiés par !Academie royale des sciences, des lettres et des beaux-arts de Belgique. 1868. Il. 453 ıen. 1 mn RL nn | Inerven u. der Wirbelsäule anurer Amph ina tionen der Sp Uber Varia | 00T auwung | | Ee Sfr OT 6 | | 007 Pwmns 007 BAUER 61 8 001 Sintng VG ie aes: g I 8 001 uung &$ ¥ 001 uuns 6L él oF | 9 1G L 001 sung G 9 GE q I [A 6 ILL 9T | L 007 Yung LY 9 | 78 6 el LZ G 9 pL 9 L OT 8 16 r 87 g cT 8 LY 8 g L | G% g ¢ ope 6 ea 6 g £ 1.10% L 8¢ 6 I 8 pes =I — m. je 23 = — | = % ur Yo u fies ur %/o u %/o ur Jo WL | %/o ur % ur qoysyuyy qoysyuey ploysyuey poysyneH yogsyneH yONSWeH ONSgneH poysyneH TOepsnz eyoq || yoropsuz oyorc || yorepsuz | oyorq || yoroysnz eyo qorrsnz | exorq || qoreysnz eyorq || yoreysnz eyorq || woretsnz “qoogq A9p “qoog op “qoog Joep “qooq «Top *“qoeq rep “qooq top “qooq Joep “qooq top Iqezuy Iqezuy Iqezuy Iqezuvy Iqezuy Iyezuy Igezuy Iyezuy II AION TIT AION AJ AION A AION TILA AION XI AION X Alon TX AION ‘V OIPARL 454 Hermann Adolphi Nerv X. Dicke 9 bis 6 kommt vor. Nahezu die Hälfte aller Fälle kommt auf Dicke 8, mehr als ein Drittel auf Dicke 9. Dicke 6 wurde nur äußerst selten angetroffen. Nerv IX. Dicke 7 bis 9 kommt vor. Die größte Mehrzahl der Fälle, 82%, kommt auf Dicke 9. Dicke 7 wurde nur äußerst selten angetroffen. Nerv VIII. Dicke 4 bis 8 kommt vor. Nahezu die Hälfte der Fälle vereinigt Dicke 6 auf sich. Nächstdem kommen Dieke 5 und 7 am häufigsten vor, während Dicke 4 und 8 nur äußerst selten an- getroffen wurden. Nerv V. Dicke 5 und 4 kommen vor, erstere aber nur in 9% der Fälle. Nerv IV. Dicke 9 bis 5 kommt vor. Dicke 6 vereinigt nahe- zu die Hälfte der Fälle auf sich, Dieke 5 etwa ein Viertel. Dicke 9 wurde nur äußerst selten angetroffen. Ich will hier schon erwähnen, dass ich bei Thieren mit abnormer Wirbelsäule auch extreme Dicken, 12 und 4, angetroffen. Die Dicke dieses Nerven IV variirt somit in sehr weiten Grenzen. Nerv II. Dicke 9 bis 12 kommt vor. Die größte Mehrzahl der Fälle, 79%, vereinigt Dicke 12 auf sich. Die geringeren Dicken kommen dem entsprechend selten vor, Dicke 9 am seltensten. Bei Exemplaren mit abnormer Wirbelsäule habe ich auch noch die Dicken 8 und 7 angetroffen. Somit variirt auch die Dicke dieses Nerven recht bedeutend. Nerv II. Dicke 5 bis 7 kommt vor. Dicke 6 vereinigt etwa drei Viertel der Fälle auf sich, Dicke 5 ein Viertel. Dicke 7 habe ich nur einmal angetroffen. Die folgende Tabelle B1—28 giebt eine Zusammenstelllung aller vorgefundenen Dickenkombinationen je zweier Nerven derselben Körperseite. Angegeben ist die Anzahl der beobachteten Fälle; die procentische Vertheilung der Fälle innerhalb jeder Horizontalreihe ist in Klammern nebenbei gesetzt. Alle einzelnen Theile der Ta- belle B des Genaueren zu besprechen, dürfte zu weit führen. Der Leser möge sie zur Kontrolle des nachstehend Gesagten durchsehen und dabei berücksichtigen, dass überall dort, wo die absoluten Zahlen sehr klein werden, ein regelmäßiger Gang der Procentzahlen nicht mehr erwartet werden kann. Widerspruchslos geht aus Tabelle B hervor, dass enger zusam- mengehörig sind: einerseits die größeren Dicken von Nerv XI, X, V und IV und die geringeren Dicken von Nerv IX, VIII und III; Über Variationen der Spinalnerven u. der Wirbelsäule anurer Amphibien. II. 455 Tabelle B. ik ' Dicke des Nerven X 9 8 7 6 Anzahl Anzahl | Arend | | Anzahl | der %, der Oy der | % | der Beob Beob Beob. | Beob. | HOMO ame es 6 Me fe tote OO eee nels wome| | | | {Summe | 38 (3801 47 (47,0){ 13 (13, er Beob. | ns - Ww on =) bo Dicke des Nerven IX 8 9 seh Anzahl | %, der % der | 0/9 Beob. | Beob | 120001 — 0! 1 (—) 5 (100.0) 0) =. wey 5 (—) 1 (50,0) 1 (0,0)1 2 (9,4) 6 (iS S)b sı23 ATEDNL-32 (—) 2 io) Bt (Sasi 33 (+) = (—)| 13 (100,0)}) 13 | —- (4 10 (100,0) 10 | — (4 4 (100,0)| 4 (3,0) 15 (15,0) 82 (82,0)| 100 N Dicke des Nerven VIII Dicke 2 8 des 4 6 4“ ce Nerven]! Anzahl Anzahl | Anzahl Anzahl Anzahl | Dal | der | der / der | der | | Beob. | eat worwr | 8 7 6 5 4 3 2 1 No oo 456 a i Hermann Adolphi ket DO CO He Ot CD Ze 5) Dicke des Nerven IV Dicke | a 9 8 7 6 5 Nerven | Anzahl | ‘ ees = ai ‘aoe Anzahl Anzahl Summe KT. si), der 9/g der 0% der 9/5 der % der % der | Beob. | Beob Beob Beob. Beob. Beob. s | —ey| = | = Seo) ee ee (| 1 (20,0) 3 (60,0) 1 (20,0) — (—)| — (—) 5 6 — (—) | — —) 1 (50,0) (Dee (—) 1 (50,0) | 2 5 1 3,1) | 5 (15,6) 6 (18,8) | 13 (40,6) 7 (21,9) 32 4 = —) | 4 412,1) 1. 6 (18,2) | 16 © asp) era 3 — — — (— 1 (7,7) 9 (69,2) 3 (23,1) 13 9 — _— — —)| 1 10,0) 6 (60,0) 3 (30,0) 10 il _— —) | — —) | — (—) 1 (25,0) 3 (75,0) 4 16 46 6,0) 4,0) Dicke des Nerven III Dicke data PR er 10 hs 11 12 ae! Nerven) Anzahi | Anzahl | Anzahl Anzahl Summe XI || der Fy der 9, der Oy der 0 der | Beob Beob. Beob Beob. Beob. s fa | — u | aaa 7 4.480,06) | — u) | — oe 6 — | -1 (50,0) | — | 0.0@ Sa 5 1 31 4 1235) | 2'653) | 25 As) eee er 2.02 | 5 64 1 © (24:2) ) arena $ Te a —) | o— ES eS eee a — | — (—) | — (—ja ae 1000) 10 1. de —) | u nz) | i—) (Sa A acemme| 5 0) [7 (7,0) | 9 80 | 79. (79,0)}) 200 Über Variationen der Spinalnerven u. der Wirbelsäule anurer Amphibien. II. 457 LE Dick | Dicke des Nerven II | 1cKe des D 6 7 Nerven! Anzahl Anzahl Anzahl Summe XI der % der 9/9 der 0%, der Beob. Beob. Beob. Beob 8 = nies 7 (tio), = (Ne i 2 (40,0) 3 (60,0) — —) 5 6 — (—) 2 (100,0) (—) 2 5 5 (15,6) 26 (81,3) 1 (3,1) 32 4 8 24a] 25. (75,8) (| 33 3 4 (30,8) 9 (69,2) —_ (—) 11a) | 2 4 (40,0) 6 (60,0)) — (—)/ 10 | 1 2 (50,0) 2 (50,0) — (—) 4 Bun. 25 (25,0) | 74 (74,0) 1 (1,0) || 100 8. Dick Dicke des Nerven IX icke 4 8 - des % || der Dicke des Nerven VIII 4 D 6 7 8 Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl Summe der % der %% der % der 0% der % der | Beob. Beob. Beob. | Beob. Beob. Beob. 3 (7,9)|. 19. (0,0) 13 Mr 3 ua — Bu GTO). Br. 1h pee. — J) ES yy Bie Oe 1 ae 1 SOO! et — 3 (3,0)| 28 (28,0)| 47 (47,0)| 21 Mol 4 458 Hermann Adolphi 10. Dicke des Nerven V 5 4 | Anzahl Anzahl | She | der 9/5 der oF, der | Beob. Beob. | | Beob 6 (15,8) 32 (84,2) 38 3 (6,4) 44 (93,6) 47 ek fi) 13 (100,0) 13 I io pa 2 (100,0)|| 2. 91,0) || 100 le i | Dicke des Nerven IV Dicke 9 8 - 6 5 Mes (|. ei | Er on : Nerven) Anzahl Anzahl | Anzahl | Anzahl Anzahl (me Xi der 0/, der %, der %p der % der 9g der Beob. Beob. | Beob. | Beob. Beob. Beob 9 2 (5,3) 7 (18,4) | 5 (13,2) 17 (44,7) 7 (18,4))) 38 8 he Fela lens A”. (8,5)|- 10 (21,3)| 23 5448) ei Bra 7 — a 1 (7,7) | 1 (7,7) 5. (38,5) 6 (46,2) 13 6 at pts eR a=). ea LES) 1 (50,0) (50,0) Lares 2 (2,0) 12 12,0) 16 (16,0) 46 (46,0) 24 (24,0) | 100 12. Dicke des Nerven III Dicke des | 2 — i ————— Br a= 2 Nerven|| Anzahl Anzahl | Anzahl Anzahl Summe x der % der | 9/9 | der %, der 0/g der | Beob. Beob | Beob. Beob. Beob. 5 13,2 2 (3,3) 26 (68,4) 38 2 4,3 6 (12,8 39 (83,0)|| 47 — “(Kho 1 Gah Bea = Ss). — (—) 2 (100,0) 2 (70) 9 (90)| 79 (79,0) 100 | Über Variationen der Spinalnerven u. der Wirbelsäule anurer Amphibien. II. 459 Dicke des Nerven II Dicke 5 6 £ des ite : Nerven! Anzahl | | Anzahl | | Anzahl | || Summe X der 9/9 der | % der | %%J der | Beob. | Beob. Beob. | Beob. a (23a) | = 8 vn 6 71) ee SE) Bas Bl 28 Ghai) bet (gee Sor Got Ms SRO |= Be) 25 (25,0}| 74 ap) 1 14. Dicke des Nerven VIII 4 5 6 7 8 Nerven|| Anzahl | | Anzahl | Anzahl | Anzahl | | ashi | Summe EX. der 0/5 der | % | der 0%/ | der Ylder—| %y || der ji Beob. | | Beob. | Beob. | Beob. | | Beob. | Beob. Dies: 1°. a 19 39) — Al =) 3 8 2 13,3) | gl: Aue! — (Jin —)|| 15 9 = EN 18. 722,0) 243.1..491,2. 21... -85,6).1.1 (1,2) 82 rl a (3,0), 28 (28,0) ar zog 21 ao be 1,0) | 100 der Beob. 3 (100,0)| 80,0)| 15 (92,7) 82 (91,0) | 460 Hermann Adolphi 16. Dick i Dicke des Nerven IV 1CKe 2 des 9 8 ae oe en aa a 6 Nerven || Anzahl Anzahl | | Anzahl | Anzahl | Anzahl IX der 0%, der 0%, der | 0% der 9/9 der Beob. | Beob. Beob. | Beob. | Beob. NN es (+)| 2 Wiebe (33,3) | 2 dsa| "3 oa (8,5)| 14 (17,1)| 4 (60,0)| 19 16 17 Dicke des Nerven III 9 10 11 12 i | a i ee Z — Anzahl Anzahl | | Anzahl | Anzahl Summe der | Jy der 9 | der | 0%, der 0% der Beob. | Beob. | | Beob. | Beob. Beob. a ~+| — Blaze | | | 4 (26,7)| 3 20,0) | = (—)| 8 633) 15 eed (1,2)} 4 (4,9)| 9 (11,0)| 68 (823,9) 82 9,0) | 79 (79,0) . 18. N Dicke des Nerven I Dicke : : . des é en 3 Nerven || Anzahl Anzahl Anzahl Summe Dicke des Vill Nerven Über Variationen der Spinalnerven u. der Wirbelsäule anurer Amphibien. II. 461 20. DAR om | Dicke des Nerven III icke 2 des 9 10 11 12 Nerven| Anzahl | Anzahl | Anzahl | | Anzahl VIII der %p | der % | der- | % | der %y Beob. | Beob | Beob. | Beob. | Babe 4 2 (66,7); — | — (—) 1 (33,3) 5 S Ss (1Ch (avai Ga lao? (71)) 20 (14) 6 4 (&5,| 68 2,8, armer 7 1 (4,8)| 20 (95,2) 8 | JE Fr 1 7,0) | 9 (9,0)| 79 (79,0)| 100 2 Dieke des Nerven II > 6 7 Anzahl Anzahl | Anzahl | onan der % der | %, der | % der Beob. Beob. | Beob. | | Beob Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl | Summe der %, der Oy der | 9/9 der | %, der % | der Beob. Beob. | Beob. | Beob Beob. | | Beob eat erlernt —)| 1 833) 93 2 (7,1) 5 (17,9) 3 (10,7) i0 (35,7) 8 (28,6) 28 as (—) 4 (8,5) 8 (17,0) 27 (57,5) 5 (17,0) 47 = —) 1 (4,8) 5 (23,8) 8 (38,1) 7 (33,3) 21 - Ol- ol=. ol 1 wol— wl 1 0) 0) (46,0) 24,0) 462 Hermann Adolphi 23% Dick Dicke des Nerven IV icke dan, pe Er ‘TE EB Nerven Anzahl | Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl Summe V der 0% | der Jy der Jy der 9% der of, der || Beob. | Beob | Beob Beob. Beob. Beob. 5 | 4 di) 2.0 128.9) 3 (33,8)| 048) Base go 4 ı am 10 (41,0){ 13 (44,3)} 3 (47,8)| 24 (26,4)|| 91 2,0)| 12 12,0) | 16 24 (24,0) | 100 24, Dicke des Nerven III 9 10 hl 12 An | Anzanı | Anzahl Anzahl PR Summe der 9% | der | Of der 9/9 der 0/9 der Beob. | | Beob. | Beob. Beob. Beob. | Sie | 6. (66,7 4 | 3 9) | 73 (80,2) 91 les 5 90| 79 (19,0) | 100 Dieke | 25. Dicke des Nerven II | 5 6 7 Nerven] Anzahl | Anzahl | Anzahl | Summe V | der ee der | % der 9/9 | der | Beob. | | Beob. | Beob. | Beob. T = ie | 8 (889)| | Fa | 4 24 2364| 66 (72,5 1 (ya Bl Summe | der Beob. Dicke des Nerven III 9 10 11 || Anzahl | Anzahl | | an Anzahl Summe der | % | der 9/9 der 0%, der 0%, der Beob. | Beob. | Beob. Beob Beob = (—) 2 3 (25,0) 10 (62,5) 42 (91,3) (100,0) (79,0) | 100 Über Variationen der Spinalnerven u. der Wirbelsäule anurer Amphibien. II. 463 a. Dicke des Nerven II 3 6 | Anzahl Anzahl Anzahl der 0/, der 0%, der Beob. Beob. Beob. 1 (50,0) 1 (50,0) _ 3 _ (25,0) 9 (75,0) — 3 (18,8) 155 (81,2) — 8 (17,4) 38 (82,6) — 10 (41,7) 13 (54,2) 1 25 (25,0) 74 (74,0) 1 28. —— 0 N Dicke des Nerven II Dice : fs | des - . = Nerven Anzahl | Anzahl Anzahl Summe III der % | der 0%, der % || der Beob. | | Beob. Beob. || Beob 4 2 (40,0) 3 (60,0) | — (—) 5 10 2 (28,6) 5 (71,4) _ (—), 7 ES gil. oD 22,2) 7 77,8) | = —)|| 9 12 19 (24,1) 59 (74,7) 1 (1,3) 79 mm | 25 (25,0)| 74 (740)| 1 (1,0)]| 100 andererseits die geringeren Dicken von Nerv XI, X, V und IV und die größeren Dicken von Nerv IX, VII und III. Dabei reicht der Einfluss des Nerven XI, wie Tabelle B6 zeigt, direkt bis Nerv III. Da nun die größten Dicken von Nerv XI und X als die primitiv- sten zur Zeit noch vorkommenden Erscheinungsformen dieser beiden Nerven aufgefasst werden müssen ', so ist auch bei Nerv V und IV die größere Dicke als die primitivere Erscheinungsform zu betrachten, während bei Nerv IX, VIII und III die größte Dicke als die höchste zur Zeit erreichte Entwickelung dieser Nerven gelten muss. Mit anderen Worten: es befinden sich zur Zeit Nerv XI, X, Vund IV in einem Zustande der Reduktion ihrer Dicke, Nerv IX, VIII und III dagegen in einem Zustande der Dickenzunahme. 1 Vergleiche Morpholog. Jahrbuch. Bd. XIX. 1892. pag. 322 Anm. 1 335 und 336. N 464 Hermann Adolphi Hieraus ergiebt sich, dass bei Pelobates fuscus ganz so wie bei Bufo var. die beiden für die Extremitäten bestimmten Plexus, der Plexus sacralis und der Plexus brachialis, be- strebt sind, ihren Schwerpunkt nach dem Kopfe zu zu ver- legen. Die Dieke des Nerven II variirt überhaupt wenig. Tabelle B 7, 13, 18, 22, 25, 27 und 28 zeigt die Unabhängigkeit der Dicke des Nerven II von der Dicke der übrigen Nerven. Es lässt sich somit nicht mit Bestimmtheit sagen, ob die Dicke des Nerven II zu- oder abnimmt. Die Beziehungen des Nerven VIII zum Plexus sacralis sind nicht allemal die gleichen. Bei den Thieren mit normaler Wirbelsäule fanden sich dieselben Formen y, 0, e und ¢, die ich für Bufo var. Theil I pag. 342 abgebildet und beschrieben. Tabelle C giebt auch Tabelle C. Dick Form der Beziehungen des Nerven VIII zum Plexus sacralis | icke f . | des are 10 9 : E Nerven|| Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl | VIII der | % der 0/9 der 9/9 der 9/9 Beob. | Beob Beob. | Beob. 4 2 (6607| — Be (3 a e Biel? ee) 2 (7,1) | 3 (464) Mi (3, 6 15 (31,9) 6 (12,8)| 23 (48,9)|. 3 (6, 7 = 7479,12 a ee I|- oo 1 (1009) — qm 29. (28,0)| 12 _(12,0))..50 (50/0) Busse hier Aufschluss über die Umwandlung des Plexus saeralis. Form y ist die primitivere Form, die bei den geringeren Dieken des Ner- ven VIII häufig ist, bei den größeren Dicken dagegen gar nicht mehr angetroffen wird. Form £ ist die am weitesten fortgeschrittene, sie kommt im Ganzen ziemlich selten (9% aller Fälle) vor, bei höherer Dicke (Dicke 7) des Nerven VIII ist sie jedoch relativ häufig. Die Formen 6 und « bilden den Übergang von y zu £. Form « kommt dabei am häufigsten vor, sie vereinigt die Hälfte aller Fälle auf sich. Dass Nerv VIII sich gar nicht an der Bildung des Plexus sacralis betheiligt (Form a), habe ich bei Pelobates fuseus nicht be- obachtet. Wohl aber traf ich bei einem Exemplar mit abnormer Wirbelsäule (Exemplar 8) doppelseitig Form #. Nerv VIII hatte Über Variationen der Spinalnerven u. der Wirbelsäule anurer Amphibien. II. 465 hier, wie zu erwarten, beiderseits eine geringe Dicke. Es gilt also auch für Pelobates fuseus, dass Nerv VIII, während er dicker wird, seine Beziehungen zum Plexus sacralis ändert und sich immer in- tensiver an der Versorgung des Beines betheiligt. Der primitivste Plexus brachialis, den ich bei Pelobates fuscus gefunden, ist in Taf. XIX Fig. 1 abgebildet. Er gehört einem Exem- plare mit abnormer Wirbelsäule an (Ex. 4 pag. 468). Nerv V—II betheiligen sich hier an der Bildung des Plexus. Nerv V vereinigt die größere Menge seiner Fasern mit Nerv IV, der Rest geht in einen Nervus thoracicus inferior über. Nerv IV ist der Hauptnerv des Plexus brachialis. Nachdem er sich mit Nerv V vereinigt, giebt er zwei Nervi thoracici inferiores ab, nimmt dann noch einen ziem- lich dünnen Ast des Nerven III in sich auf und geht schließlich in den Nervus brachialis longus über. Dieser Nervus brachialis longus, der in der Regel nach Richtung und Stärke die direkte Fortsetzung des Nerven III bildet, steht also hier in gleicher Beziehung zu Nerv IV, der Schwerpunkt des Plexus liegt demnach hier um ein ganzes Seg- ment weiter nach hinten als in der Norm. Bei den 50 Exemplaren mit normaler Wirbelsäule fand ich Nerv V im Ganzen 9mal an der Bildung des Plexus brachialis betheiligt. Hierbei schiekte er 3mal den größeren Theil seiner Fasern zum Nerven IV, 6mal nur einen dünnen Faden. Auf die verschie- denen Dicken des Nerven V vertheilen sich diese 9 Fälle so, dass auf Dicke 5, die 9mal angetroffen wurde, 3 Fälle kommen, während auf Dicke 4, die 91mal angetroffen wurde, nur 6 Fälle kommen. Der engere Zusammenhang zwischen primitiver Dicke und primitiver Form ist also auch hier deutlich. In den Beziehungen des Nerven IV zum Plexus brachialis kommen bei Pelobates fuscus alle die Formen vor, die ich für Bufo var. Theil I pag. 346 beschrieben und abgebildet, mit alleiniger Aus- nahme der am weitesten fortgeschrittenen Form §, bei welcher Nerv IV sich aus dem Plexus gelöst hat; dieser Nerv gehört also bei Pelobates fuscus immer zum Plexus. Form : traf ich 89mal, in den allermeisten Fällen vereinigt demnach Nerv IV den größten Theil seiner Fasern mit Nerv II, nachdem er zuvor einen Nervus thoracicus inferior zur Leibeswand abgegeben. Die übrigen Formen kamen, bis auf Form A, nur vereinzelt vor: Form x imal, Form 4 Tmal, Form w 2mal und Form vy imal. Bei dieser relativen Ein- förmigkeit lässt sich über die Einzelheiten bei der Änderung der Beziehungen des Nerven IV zum Plexus brachialis wenig sagen. Morpholog. Jahrbuch. 22. 31 466 Hermann Adolphi Nerv IV ist ursprünglich der Hauptnerv des Plexus gewesen, doch ist er jetzt in den allermeisten Fällen zu einer Größe zweiten Ranges herabgesunken. In den äußersten Fällen ist seine Verbindung mit dem Plexus bereits ziemlich unansehnlich, aber doch immer noch vorhanden. Im Ganzen lässt das Verhalten der Nerven V und IV den Plexus brachialis von Pelobates fuscus als das primitivere Ge- bilde erscheinen, den Plexus brachialis von Bufo var. als das weiter fortgeschrittene. Variationen der Wirbelsäule fand ich bei Pelobates fuscus bei 15 Exemplaren; 4 davon waren Männchen, 11 waren Weibchen. Wirbel I und II waren Smal synostosirt, Wirbel II und III einmal, Wirbel III und IV einmal, Wirbel IV und V einmal. Das Kreuzbein zeigte siebenmal eine abnorme Zusammensetzung. Dreimal kamen zwei Abnormitäten gleichzeitig an einer Wirbelsäule vor. Bei Beschreibung der einzelnen Wirbelsäulen stelle ich jedes Mal die auf der Zählkarte notirten Dicken von Nerv IL—V und VIII—XI voraus und gebe zugleich an, welche Beziehungen die Nerven IV und V zum Plexus brachialis und Nerv VIII zum Ple- xus sacralis hatten. Bei Nerv V habe ich im gleichen Sinne die gleichen Bezeichnungen gebraucht wie bei Nerv IV, doch habe ich dort, wo sich Nerv V an der Bildung des Plexus nicht be- theiligt, also Form & vorliegt, jede Bezeichnung weggelassen, um so die Betheiligung und Nichtbetheiligung augenfälliger zu unter- scheiden. Pelobates fuscus, Exemplar 1, © (Taf. XIX Fig. 2 und 3). Wirbel I und II sind verwachsen, die beiden Kreuzbeinflügel sind abnorm. Wirbel I und II sind in #2. 12 der Richtung von vorn nach hinten ein klein wenig N 64 verkürzt. Wirbel II hat jederseits einen Querfortsatz ; tf +? der rechte ist abnormer Weise etwas nach vorn ge- In HE krümmt. An der ventralen Seite findet sich als Grenze 5 5 « zwischen den Körpern der Wirbel I und II rechts wie 8 8 links ein kurzer, querer Knochenwall, der vom Inter- i i vertebralloche aus nach der Medianebene hinzieht, die- selbe aber nicht erreicht. Aus der Tiefe dieser Wälle schimmert eine dunklere Linie hervor (Reste der Intervertebral- knorpel). In der Medianebene fehlt eine kurze Strecke lang jede Grenze zwischen beiden Wirbelkérpern, Die Bögen beider Wirbel Über Variationen der Spinalnerven u. der Wirbelsäule anurer Amphibien. II. 467 sind, unter Freilassung der Intervertebrallöcher, in ganzer Ausdeh- nung mit einander verwachsen, doch ist die Grenze überall als Reliefzeichnung sichtbar. Die queren Erhabenheiten auf den dorsalen Flächen beider Quer- fortsätze von Wirbel III laufen vorn und hinten in eine annähernd gleich starke Spitze aus. Die Kreuzbeinflügel bestehen im Wedentichen aus den Quer- fortsätzen des Wirbel X. Die Querfortsätze des Wirbel IX gehören zwar auch zum Kreuzbeinflügel, sie erreichen aber nicht deren la- teralen Rand und artikuliren nicht mit den Darmbeinen. Die Quer- fortsätze des Wirbel X haben jene dreieckige Gestalt, welche sonst den Querfortsätzen des Wirbel IX zukommt. Die Querfortsätze des Wirbel IX dagegen unterscheiden sich von den Querfortsätzen der Wirbel VIII—V nicht dureh ihre Gestalt, sondern nur durch ihre etwas ‚größeren Dimensionen. Dabei liegen sie dem vorderen Rande der Querfortsätze von Wirbel X parallel. Beide Querfortsätze sind rechts im ganzen Verlaufe durch einen feinen Spalt von einander getrennt. Links ist die Trennung keine so vollständige. Hier ist die ein wenig verbreiterte knorpelige Apophyse des Querfortsatzes von Wirbel IX mit der Apophyse des Querfortsatzes von Wirbel X verwachsen, dessgleichen sind die knöchernen Theile beider Quer- fortsätze in ihrer medialen Hälfte mit einander verwachsen und nur in ihrer lateralen Hälfte durch einen Spalt getrennt. An den ver- wachsenen Partien bleibt übrigens die Grenze beider Querfortsätze als Reliefzeichnung sichtbar. Zwischen den Körpern der Wirbel X und IX ist bei ventraler Ansicht keine Grenze erkennbar. Die Bögen beider Wirbel sind deutlicher gegen einander abgegrenzt als normal. Rechts ist zwischen den Gelenkfortsätzen noch der Rest eines Gelenkspaltes bemerkbar. Pelobates fuscus, Exemplar 2, © (Taf. XIX Fig. 4). Wirbel I und II sind verwachsen, beide Kreuzbein- fliigel sind abnorm. Wirbel I und II sind in der Rich- tung von vorn nach hinten verkürzt. Wirbel II hat jederseits einen normalen Querfortsatz. Die Verwach- sung und Abgrenzung beider Wirbel entspricht genau dem Verhalten des Exemplars 1. Die Kreuzbeinflügel haben nahezu symmetrische Umrisse und bestehen beide aus den Querfortsätzen der Wirbel IX und X, trotzdem ist ihre Zusammensetzung eine sehr verschiedene. Rechts hat der Querfortsatz des Wirbel X diejenige 31* Ex. 2. _ no” I ne isp] Po wa wt 468 Hermann Adolphi Gestalt, welehe sonst dem Querfortsatze des Wirbel IX zukommt. Mit ihm allein artikulirt das Darmbein. Der Querfortsatz des Wir- bel IX gleicht vollständig dem Querfortsatze des Wirbel VIII. Den lateralen Rand des Kreuzbeinflügels erreicht er nicht, von dem Quer- fortsatze des Wirbel X ist er in ganzer Ausdehnung durch einen feinen Spalt geschieden. Der linke Kreuzbeinflügel wird in seinem vorderen Theile (etwa 3/;) von dem Querfortsatze des Wirbel IX, in seinem hinteren Theile (etwa ?/;) von dem. Querfortsatze des Wir- bel X gebildet. Von dem Intervertebralloche aus zieht als Grenze zwischen beiden Querfortsätzen ein feiner Spalt schräg zur Seite und nach hinten. Der hintere Rand des Querfortsatzes von Wirbel IX deckt den vorderen Rand des Querfortsatzes von Wirbel X dach- ziegelartig. Die Knorpelsäume beider Querfortsätze gehen ohne Unterbrechung in einander über. Zwischen den Körpern der Wirbel X und IX ist bei ventraler Ansicht keine Grenze bemerkbar. Die Gelenkfortsätze des Wirbel. IX sind deutlich abgegrenzt, doch ist von den Gelenkspalten keine Spur zu sehen. Wirbel III —VIH sind normal. Pelobates fuscus, Exemplar 3, 9. Wirbel I und H sind mit einander verwachsen und in der Richtung von vorn nach hinten verkürzt. Wirbel II trägt jederseits einen normalen u nee Querfortsatz. Als Grenze zwischen den Körpern beider 6 6 Wirbel findet sich linkerseits ein kurzer querer Kno- he ” , ehenwall, der vom Intervertebralloche aus der Median- 4 4 ebene zustrebt, dieselbe aber nicht erreicht. Rechts BT findet sich ein eben solcher Knochenwall, der aber 07 6£ noch flacher ist als der linksseitige und die Median- 3 x ebene gleichfalls nicht erreicht; hier verschwindet die 4 4 Grenze zwischen beiden Wirbelkörpern vollständig. Die Ex. 4. Bögen beider Wirbel sind unter Freilassung der Inter- R. L vertebrallöcher in ganzer Ausdehnung mit einander ver- 5 3 wachsen, doch ist die Grenze überall als Reliefzeich- 49 12. nung sichtbar. Die übrigen Theile der Wirbelsäule As > ° sind normal. u Pelobates fuscus, Exemplar 4, Q. Wirbel I und II 8 8 sind mit einander verwachsen und in der Richtung von 3 : vorn nach hinten verkürzt. Wirbel II hat jederseits einen normalen Querfortsatz. Eine Grenze zwischen den Körpern der Wirbel I und II ist an der ventralen Fläche nicht sichtbar. Die Bögen beider Wirbel sind bis auf die Intervertebral- Über Variationen der Spinalnerven u. der Wirbelsäule anurer Amphibien. II. 469 löcher in ganzer Ausdehnung mit einander verwachsen, doch ist die Grenze überall als Reliefzeichnung bemerkbar. der Wirbelsäule sind normal. . Pelobates fuscus, Exemplar 5, 91. Wirbel I und I sind mit einander verwachsen und in der Richtung von vorn nach hinten verkürzt. Wirbel II hat jederseits einen Querfortsatz von normaler Gestalt und Größe. Die vor denselben liegenden Intervertebrallécher haben die Form schmaler senkrecht stehender Spalten. An der ventralen Seite ist keine Grenze zwischen den Körpern beider Wirbel sichtbar. Die Bögen sind in der Gegend der Gelenkfortsätze und der Dornfortsätze mit einander verwachsen. Dazwischen, im Bereiche der Laminae arcus findet sich jederseits ein feiner Spalt, der in den Wirbelkanal führt. Die übrigen Theile der Wirbelsäule sind normal. Pelobates fuseus, Exemplar 6, ©. Wirbel I und I sind mit einander verwachsen, in der Richtung von vorn nach hinten jedoch nicht verkürzt. Wirbel IL hat jederseits einen normalen Querfortsatz. An der ven- tralen Fläche ist die Grenze zwischen den Körpern der beiden ersten Wirbel in ganzer Ausdehnung als querer Knochenwall sichtbar, aus dessen Tiefe eine dunklere Linie hervorschimmert. Die Bögen beider Wirbel sind unter Freilassung der Intervertebrallöcher in ganzer Ausdehnung mit einander verwachsen, doch ist die Grenze überall als Reliefzeichnung sichtbar. Die übri- sen Theile der Wirbelsäule sind normal. Pelobates fuscus, Exemplar 7, g'. Wirbel I und II sind mit einander verwachsen, in der Richtung von vorn nach hinten jedoch nicht verkürzt. Es liegen hier in jeder Beziehung die gleichen Verhältnisse vor wie bei Exemplar 6. Pelobates fuscus, Exemplar 8, ©. Wirbel I und Il sind mit einander verwachsen, dessgleichen Wirbel III und IV. Die Körper der beiden ersten Wirbel sind in der Richtung von vorn nach hinten verkürzt. In querer Richtung sind die Körper aller vier ersten Wirbel verbreitert. Die übrigen Theile Ex. 5. ie L. 6 5 12 12 «8 7% 4 4 Goll 6Y 9 9 8 8 5 4 Ex. 6. Re L. 6 6 12 12 ı 6 (Or 4 Av y 5 4e 8 8 9 9 7 6 Ex, 7. R. L. 6 6 12 12 | 66 4 4 e 7 68 9 9 8 8 4 4 Ex. 8. R. L. 5 5 10 11 N! 64 4 4 853 5 ß 9 9 8 8 4 4 Wirbel II ist gegen Wirbel III nur minim beweglich. An der ventralen Seite ist zwischen den Körpern der Wirbel I 470 Hermann Adolphi und II keine Grenze sichtbar. Zwischen den Körpern der Wirbel III und IV findet sich ein querer Knochenwall, hier schimmert aus der Tiefe eine dunkele Linie hervor. . An den Bögen der Wirbel I und II lässt sich die Grenze. an einer feinen Reliefzeichnung er- kennen. Die Bögen der Wirbel III und IV sind gar nicht mit ein- ander verwachsen. Die quere Erhabenheit auf der dorsalen Fläche des linken Quer- fortsatzes von Wirbel III läuft nach vorn und oben zu in einen starken Dorn aus, nach hinten zu dagegen nur in ein kleines Spitzchen. Rechterseits findet sich, wie das in der Regel der Fall ist, hinten ein Dorn und vorn läuft die quere Erhabenheit nur in ein kleines Spitzchen aus. Die Querfortsätze der Wirbel II und IV sind normal, dessgleichen alle hinter Wirbel IV gelegenen Theile der Wirbelsäule. Pelobates fuscus, Exemplar 9, Q (Taf. XIX Fig. 5). Wirbel II und III sind mit einander verwachsen und in der Richtung von vorn nach hinten ein wenig ver- kürzt. Als Grenze zwischen den Körpern beider Wirbel findet sich ein -quergestellter ganz flacher Knochenwall. Die Bögen beider Wirbel sind rechts mit einander ver- wachsen, links dagegen durch einen feinen Spalt von einander getrennt. Die Querfortsätze beider Wirbel wenden sich rechts stärker nach vorn als normal, sie sind in weiter Ausdehnung mit-einander verwachsen, und bilden eine breite, nahezu horizontal stehende Platte. Die knorpeligen Apophysen und die Wurzeltheile beider Querfort- sätze bleiben getrennt. : Letztere umschließen eine ovale Öffnung. Man gelangt hier mit Leichtigkeit sowohl von der ventralen, wie auch von der dorsalen Seite -aus an das Intervertebralloch. Der linke Querfortsatz von Wirbel II besitzt an seinem hinteren Rande einen dreieckigen Vorsprung, der dem Querfortsatze von Wirbel III ziemlich nahe kommt. Dieser linke Querfortsatz von Wirbel III ist von normaler Gestalt und Größe und auch normalerweise stark ventralwärts geneigt. Wirbel I, IV und alle distal folgenden Theile der Wirbelsäule sind normal. Pelobates fuseus, Exemplar 10, ©. Wirbel IV und V sind ver- wachsen und in der Richtung von vorn nach hinten verkürzt. Beide Wirbel tragen Querfortsätze von normaler Gestalt und Größe. An der ventralen Seite ist keine Grenze zwischen den Körpern beider Wirbel siehtbar. Die Bögen beider Wirbel sind in weiter Aus- ~ 1s] IPanror, r Ne} lpanal ~ (u) “iz © a! mm =O oy | ry wm Über Variationen der Spinalnerven u. der Wirbelsäule anurer Amphibien. II. 471 dehnung mit einander verwachsen, doch ist die Grenze als Relief- zeichnung sichtbar. Nicht verwachsen sind die rechtsseitigen Ge- lenkfortsätze und die Dornfortsätze. Zwischen letzteren findet sich eine kleine Öffnung, die in den Wirbelkanal 5 führt. Die iibrigen Theile der Wirbelsäule sind normal. 6 Pelobates fuscus, Exemplar 11, © (Taf. XIX Fig. 6). a Beide Kreuzbeinflügel sind abnorm. Sie bestehen im 4 Wesentlichen aus den Querfortsätzen des Wirbel X. = Die Querfortsätze des Wirbel IX gehören zwar auch «7 zum Kreuzbeinfliigel, sie erreichen aber deren lateralen : Rand nicht und artikuliren nicht mit den Darmbeinen. 4 Sie unterscheiden sich von den Querfortsätzen der un- my Soret | | ue coor ae > Ex. 11. mittelbar vorhergehenden Wirbel nur durch ihre ein Reo Dh. wenig größeren Dimensionen. Dabei liegen sie dem A N vorderen Rande der Querfortsätze des Wirbel X parallel. . 6 6 Die knorpeligen Apophysen der Querfortsätze beider is Re Wirbel sind durch einen Spalt von einander getrennt, == dessgleichen die knöchernen Theile derselben in ihren 7 ° ao lateralen Hälften. In ihren medialen Hälften dagegen : : sind die Querfortsätze beiderseits durch Synostose mit einander verbunden. Eine Grenze zwischen den Körpern der Wirbel IX und X ist nicht sichtbar. Die übrigen Theile der Wirbelsäule sind normal. Pelobates fuscus, Exemplar 12, © (Taf. XIX Fig. 7). Der rechte Kreuzbeinflügel ist abnorm. Er wird gebildet von den Querfortsätzen der Wirbel X und IX. Der Querfortsatz des Wirbel X hat. dabei diejenige Gestalt, die sonst dem Querfortsatze . des Wirbel IX zukommt. Mit ihm allein artikulirt das PR 2 Darmbein. Der Querfortsatz des Wirbel IX gleicht vollständig dem Querfortsatze des Wirbel VIII. Den la- teralen Rand des Kreuzbeinfliigels erreicht er nicht, von dem Querfortsatze des Wirbel X ist er in ganzer Aus- dehnung durch einen feinen Spalt geschieden. Der linke Kreuzbeinfliigel zeigt normale Verhältnisse. Er ragt weiter nach vorn und weniger weit nach hinten als der rechte. Zwischen den Körpern der Wirbel X und IX ist-bei ventraler Ansicht keine Grenze bemerkbar. Der rechte hintere Gelenkfortsatz des Wirbel IX grenzt sich außerordentlich deutlich gegen seine Umgebung: ab. Die übrigen Theile der Wirbel- säule sind normal. x» (Sie oe oor) = % @ © on | | isp) own | | orm © D m N 472 Hermann Adolphi Pelobates fuscus, Exemplar 13, g'. Der linke Kreuzbeinflügel ist abnorm. Das Kreuzbein ist in jeder Beziehung ein genaues Spiegelbild des Kreuzbeines von Exemplar 12. Was u ai sich dort rechts findet, findet sich hier links, und um- 5 5 gekehrt. Auch darin gleichen sich beide Kreuzbeine, I: z , dass der normale Flügel, hier der rechte, dort der 4 4 linke, weiter nach vorn und weniger weit nach hinten ar ragt als der abnorme. Die übrigen Theile der Wirbel- e 5 5: säule sind normal. : Pelobates fuscus, Exemplar 14, ©. Das Kreuz- 5 5 bein ist abnorm. Es zeigt dieselbe Zusammensetzung Hy 14. wie das Kreuzbein von Exemplar 2. Der rechte Flügel R. L besteht aus dem grofien dreieckigen Querfortsatze des 1 13 Wirbel X und dem kleinen stabförmigen Querfortsatze us 7+ des Wirbel IX, der weder den Rand des Kreuzbein- Em. # fliigels erreicht, noch mit dem Darmbeine artikulirt. Zur Beide Querfortsätze sind in ihrer medialen Hälfte durch ed 5 € ? s - er 8 8 Synostose mit einander verbunden, in ihrer lateralen 4 : Hälfte dagegen durch einen Spalt getrennt. Der linke Kreuzbeinflügel wird in seinen vorderen 3/, vom Quer- fortsatze des Wirbel IX, in seinen hinteren 2/; vom Querfortsatze des Wirbel X gebildet. Die Grenze zwischen beiden Querfortsätzen ist dorsal sowohl wie auch ventral sehr deutlich als Reliefzeichnung sichtbar, ein trennender Spalt fehlt jedoch. Der linke Kreuzbein- flügel ragt weiter nach vorn und weniger weit nach hinten als der rechte. Eine Grenze zwischen den Körpern der Wirbel IX und X ist nicht sichtbar. Die quere Erhabenheit auf der dorsalen Fläche des linken Quer- fortsatzes von Wirbel III hat die Gestalt einer hohen Leiste, die hinten und vorn in einen gleich starken Dorn aus- R. a läuft. Im Übrigen sind Wirbel I—VIII normal. = ie Pelobates fuscus, Exemplar 15, © (Taf. XIX Fig. 8). as 6. Der linke Kreuzbeinflügel ist abnorm. Er wird ge- 4+ 4* pildet von den Querfortsätzen der Wirbel IX und X. ee Der linke Querfortsatz des Wirbel IX hat nahezu nor- Z : * male Gestalt und Größe, nur nach hinten zu dehnt er 5 : sich nicht ganz so weit aus wie der rechte. Er allein bildet den äußeren Rand des Kreuzbeinfliigels und artikulirt allein mit dem Darmbeine. Der Querfortsatz des Wirbel X ist ein schmaler Knochenstreif, der dem hinteren Rande des Quer- Über Variationen der Spinalnerven u. der Wirbelsäule anurer Amphibien. II. 473 fortsatzes von Wirbel IX sich anschließend, schräg nach hinten zieht; hierbei verbreitert er sich ein wenig. An seinem Ende trägt er eine knorplige Apophyse. Beide Querfortsätze sind fast in ganzer Ausdehnung mit einander verwachsen, doch ist die Grenze nicht nur am Umrisse sichtbar, sondern auch an der ventralen und dor- salen Fläche im knöchernen und knorpligen Theile als Reliefzeich- nung deutlich zu erkennen. Im Anschluss an das Intervertebralloch sind beide Querfortsätze eine ganz kurze Strecke durch einen feinen Spalt geschieden. Die übrigen Theile der Wirbelsäule sind normal. Zunächst ist die Häufigkeit der Verschmelzung von Wirbel I und II zu beachten; bei 65 untersuchten Exemplaren wurde sie im Ganzen 8mal angetroffen, also in 12,3% aller Fälle!. Die Spinal- nerven verhalten sich bei diesen acht Exemplaren im Allgemeinen primitiver als in der Norm. Nerv III hatte die Dicken 7, 8, 10 und 11 je einmal, Dicke 12 zwölfmal. Nerv IV hatte die Dicken 12, 9 und 8 je einmal, Dicke 7 fünfmal, Dicke 6 sechsmal und Dicke 5 und 4 wieder je einmal. Vergleicht man dieses mit Tabelle A, so ergiebt sich, dass bei den Exemplaren 1—S Nerv III im Allgemeinen dünner, Nerv IV im Allgemeinen dicker ist als in der Norm, beide Nerven verhalten sich also primitiver. Nerv V ist nicht gerade dicker, dafür aber verbindet er sich sehr viel häufiger mit dem Plexus brachialis. In der Norm kommt diese Verbindung bei 9% der Fälle vor, hier dagegen fünfmal unter 16 Fällen, d. i. bei 31,3. Bei den Nerven VIII—XI herrschen wiederum die primitiven Dicken vor. Dieses primitive Verhalten des Nervensystems berechtigt zu der. Annahme, dass auch die Verschmelzung der Wirbel I und II einen primitiven Zustand repräsentire, ja es ist nicht unwahrscheinlich, dass bei den Vorfahren unseres heute lebenden Pelobates Wirbel I 1 In Bronn’s Klassen und Ordnungen des Thierreichs wird eine Verwach- sung der beider ersten Wirbel von Pelobates gar nicht erwähnt. Wenn G. B. Howes (Notes on variation and development of the vertebral and limb-skeleton of the Amphibia. Proceedings of the Zoological Society of London. 1894. pag. 271), auf dieses Werk Bezug nehmend, von »the more regular if not diagnostie an- kylosis of the first two vertebrae of the living Pipa, Xenopus, Pelobates (cf. HOFFMANN in: Bronn’s Klassen und Ordnungen des Thierreichs. Amphibien. Bd. VI. pag. 57), and others, and of the extinct Palaeobatrachus« spricht, so hat er die von ihm selbst angefiihrte Stelle offenbar missverstanden; dieselbe lautet: »Durch die Verwachsung des 9. Wirbels mit dem 10. bei Pipa, Dactyletra und Pelobates und durch die Verwachsung des 1. mit dem 2. bei den beiden erst- genannten beträgt die Wirbelzahl bei Pelobates 9, bei Pipa und Dactyletra nur 8 Wirbel.« \ ATA - Hermann Adolphi und II konstant verschmolzen waren. Ob diese Wirbelverschmelzung auch bei Pelobates fuscus den Rest eines ehemaligen komplicirten Sacrum brachiale vorstelle, lässt sich aus dem vorliegenden Materiale nicht entscheiden. Für eine solche Auffassung spricht allenfalls der Befund bei Exemplar >, denn hier sind nicht nur Wirbel I und I mit einander verschmolzen, sondern gleichzeitig auch Wirbel III und IV, die beiden Wirbel, auf deren Querfortsätze sich das Suprascapulare bei Pelobates fuscus stützt. Ferner sind beide Wirbelkomplexe gegen einander nur minim beweglich. Es ist also der: ganze von dem Schultergiirtel überlagerte Theil der Wirbelsäule außerordentlich viel starrer als in der Norm. Bei Exemplar 9 ist Wirbel II mit Wirbel III verschmolzen und dadurch zum Sacrum brachiale hinzugezogen. Die Querfortsätze der Wirbel II und II sind wenigstens einseitig mit einander verwachsen, wie das bei mehreren jugendlichen Exemplaren von Bufo var. der Fall war. Die zugehörigen Plexus brachiales sind nicht besonders primitiv; die Dicke der Nerven entspricht dem häufigsten Befunde bei Thieren mit normaler Wirbelsäule. Es ist hier vielleicht der Ort, eine Bemerkung über das Ver- halten der queren Erhabenheit auf der dorsalen Fläche des Quer- fortsatzes von Wirbel III zu machen. Dass diese quere Erhabenheit nach vorn und oben zu in einen starken Dorn ausläuft (wie bei Exemplar 8 auf der linken Seite), ist eine Seltenheit. Ich habe dieses Verhalten im Ganzen nur viermal angetroffen, die quere Er- habenheit lief dabei hinten in eine kleine Knochenspitze aus. Etwas häufiger (16 Fälle) besaß die quere Erhabenheit vorn und hinten einen annähernd gleich starken Dorn. Bei Weitem am häufigsten (109 Fälle) gab es dagegen nur einen nach hinten und oben ragen- den Dorn, während das vordere Ende der queren Erhabenheit ent- weder in ein kleines Spitzchen oder ganz flach auslief. Hierzu kommt noch der eine Fall des rechten Querfortsatzes bei Exemplar 9, wo eine quere Erhabenheit auf der dorsalen Fläche fehlt, dafür aber der vordere Rand des Querfortsatzes dort, wo ein vorderer Dorn zu erwarten wäre, in weiter Ausdehnung mit dem Querfortsatze des ‚Wirbel II verschmolzen ist. Ich habe das Verhalten der Spinalnerven bei den drei verschiedenen Formen der queren Erhabenheit zusam- mengestellt. Es ergab sich aus dieser Zusammenstellung sehr deut- lich, dass der vordere Dorn den primitiven Zustand vorstellt, der hintere Dorn den fortgeschrittenen, während ein gleich starker Dorn vorn und hinten einen Übergangszustand bezeichnet. Der nach vorn Über Variationen der Spinalnerven u. der Wirbelsäule anurer Amphibien. II. 475 ragende Dorn ist auch bei Bufo var. eine primitive Einrichtung. Er ist bestimmt eine Verbindung der Querfortsätze von Wirbel III und II zu ermöglichen. Ob dem vorderen Dorne bei Pelobates fuseus ur- sprünglich die gleiche Bestimmung zukommt, müsste eine entwick- lungsgeschichtliche Untersuchung klarzustellen versuchen. Die Synostose der Wirbel IV und V bei Exemplar 10 bietet wegen ihres ganz vereinzelten Vorkommens keine sicheren Anhalts- punkte zu einer Beurtheilung. Das Nervensystem zeigte ein fort- geschrittenes Verhalten. Abnorme Kreuzbeine haben die Exemplare 1, 2 und 11—15. Die Abnormität besteht allemal in einer mehr oder minder intensiven Betheiligung des Querfortsatzes von Wirbel X an der Bildung des Kreuzbeinfliigels. Viermal war die Abnormität doppelseitig, dreimal einseitig vorhanden. Die zu diesen elf abnormen Kreuzbeinflügeln gehörigen Plexus sacrales waren im Allgemeinen weit primitiver als in der Norm. Das Verhalten des Plexus sacralis beurtheilt man am einfachsten danach, ob Nerv X dicker, gleich diek oder dünner ist als Nerv IX; ersterer Fall stellt den primitiven, letzterer den fort- geschrittenen Zustand vor. Aus Tabelle BS ist ersichtlich, dass bei den 50 Exemplaren mit normaler Wirbelsäule Nerv X dicker ist als Nerv IX 17mal, gleich dick 21mal, dünner 62 mal. Bei den 11 Plexus, welche zu den abnormen Kreuzbeinflügeln gehörten, fand ich das ‚entsprechende Verhalten der Nerven X und IX: achtmal, einmal und zweimal. Die primitiven Zustände waren also hier weit häufiger, die fortgeschrittenen weit seltener als in der Norm. Es tritt hier ein ganzer Abschnitt aus der Geschichte des Kreuz- beines klar zu Tage. Wirbel X ist der frühere Sacralwirbel; Wirbel IX, ehemals der letzte Lendenwirbel, hat sich mit ihm vereinigt, Körper, Bögen und Gelenkfortsätze sind verschmolzen!, und nur die Querfortsätze bewahren noch lange ihre alte stabförmige Gestalt und bleiben von der Artikulation mit dem Darmbeine ausgeschlossen. Der Kreuzbeinflügel besteht dabei zunächst aus zwei direkten Theilen (Ex. 1 rechts, Ex. 2r., Ex. 12r. und Ex. 13 links), erst später be- ginnt der beide Querfortsätze trennende Spalt vom medialen Ende aus zu schwinden (Ex. 11 r. und l., Ex. 14 r. und Ex. 1 l.), zuweilen verschmelzen gleichzeitig die knorpeligen Apophysen beider Quer- fortsätze (Ex. 11.). Die weitere Umwandlung des Kreuzbeines hat 1 Bei größerem Materiale dürfte es gelingen, Wirbel IX auch als freien Lendenwirbel anzutreffen. 476 Hermann Adolphi sich dann verhätnismäßig rasch vollzogen, denn die hierher gehörigen Zwischenformen (Ex, 21., Ex. 141. und Ex. 151.) sind relativ selten. Während der Querfortsatz von Wirbel IX immer breiter wird, wird - der Querfortsatz von Wirbel X immer schmäler. Bei Exemplar 15 hat letzterer die Artikulation mit dem Darmbeine bereits aufgegeben. Schließlich scheidet der Querfortsatz des Wirbel X vollständig aus dem Bestande des Kreuzbeinflügels aus. Ein Fortschreiten des Sacrum über Wirbel IX hinaus nach vorn, das bei anderen Anuren gelegentlich vorkommt, habe ich bei Pelobates fuscus nie beobachtet. Rana esculenta L. Mit der allgemeinen Beschreibung der Wirbelsäule und der Spinalnerven von Rana esculenta brauche ich mich nicht aufzuhalten. Ecker! hat dem Frosche ein eigenes Buch gewidmet. Ich will mich darauf beschrinken auf einige Unterschiede zwischen dem griinen Wasserfrosche Deutschlands und Livlands aufmerksam zu machen. Rana esculenta kommt im siidlichen Theile des Gouvernement Livland häufig vor, im nördlichen dagegen ist das Thier schon außer- ordentlich selten. Dabei ist unser Wasserfrosch kleiner als der Deutschlands. So große Exemplare wie RöseL? sie (in natürlicher Größe) abbildet, habe ich hier nie gesehen. Ferner sagt EckErR 3, der grüne Wasserfrosch erreiche im Allgemeinen eine bedeutendere Größe als die andere Art. Bei uns aber ist der Wasserfrosch durch- gängig bedeutend kleiner als der Grasfrosch. Zum Vergleiche der Größe des hiesigen und des deutschen Wasserfrosches möchte ich folgende Zahlen anführen: an den Wirbelsäulen der zehn größten Weibchen, die ich gefangen, hatten Wirbel I-IX an der Ventral- seite in der Medianebene gemessen eine Länge von 25—21 mm, die zehn größten Männchen maßen entsprechend 23—20 mm, während die von ECKER auf pag. 22 und 23 abgebildete Wirbelsäule ent- sprechend 33 mm ergiebt, also erheblich größer ist. Dabei hat der hiesige Wasserfrosch sehr gracile und verhältnismäßig längere Quer- fortsätze als der deutsche. Ein Vergleich meiner Figuren 10 und 114 1 A. EcKER, Die Anatomie des Frosches. Braunschweig 1864 und 1888. 2? A. E. Röser, Die natürliche Historie der Frösche hiesiges Landes. Nürnberg 1753. Taf. XIII Fig. 2 und Taf. XVI Fig. 1. 3 1. c. pag. 5. 4 Dieselben geben freilich eine abnorme Wirbelsäule wieder, doch sind Länge und Breite der Querfortsätze normal, nur die Querfortsätze des Wirbel IX machen eine Ausnahme, sie sind etwas kürzer als in der Norm. Über Variationen der Spinalnerven u. der Wirbelsäule anurer Amphibien. II. 477 auf Tafel XIX mit den angeführten Abbildungen EckEr’s zeigt dieses sehr deutlich. : FÜRBRINGER macht über das Verhalten des Schultergiirtels zur Wirbelsäule keine Angaben; aus seinen Abbildungen! aber könnte man schließen, dass sich das Suprascapulare nicht nur auf den Quer- fortsatz von Wirbel III stützt, sondern auch- auf den proximalen Theil der Apophyse des Querfortsatzes von Wirbel IV. Ein solches Ver- halten kann ich, wenigstens für den hier vorkommenden grünen Wasserfrosch, nicht bestätigen. Ich habe ihn-nicht nur makroskopisch, sondern auch mikroskopisch auf Horizontalschnitt- und Querschnitt- serien untersucht. Der hintere Rand des Suprascapulare steht alle- mal ein wenig von dem vorderen Rande der Apophyse des Quer- fortsatzes von Wirbel IV ab. Wohl aber stützt sich der hintere Rand des Suprascapulare auf den äußeren Rand der Apophyse des Quer- fortsatzes von Wirbel III. Die untenstehenden Figuren - geben über die Einzelheiten dieses Verhaltens Auskunft. Fig. 2 ist eine Norma lateralis der vier ersten Wirbel und des Schultergiirtels. Die Apo- physen der Querfortsätze sind gestrichelt. Die Stelle, an welcher Schultergiirtel und Wirbelsäule sich berühren, ist durch einen diekeren Strich angedeutet. Fig. 3 ist ein schematischer Querschnitt durch den Schultergürtel und Wirbel IL. Der sacrale Charakter des Wirbel III tritt in dieser Zeichnung sehr deutlich hervor; ein unbe- fangener Beschauer dürfte zunächst glauben, er habe die Abbildung eines Beckenquerschnittes vor sich. , 1 M. FÜRBRINGER, Zur vergleichenden Anatomie der Schultermuskeln. I. Jenaische Zeitschrift. Bd. VII. 1873. Taf. XVII Figg. 24—27. 478 Hermann Adolphi Von Rana esculenta habe ich 117 Exemplare untersucht. 62 Exemplare waren Männchen, 55 Weibchen !. Wie bei Bufo var. und Pelobates fuscus, so wechselt auch bei Rana esculenta die relative Dicke derjenigen Spinalnerven, welche sich an der Versorgung der Extremitäten betheiligen, jedoch nicht in eben so weiten Grenzen. Bei Rana esculenta ist also das Nerven- system in dieser Hinsicht einförmiger. Nerv V—VII, die für die Leibeswaud bestimmt sind, sind stets dünn, und zwar sind Nerv V und VI stets gleich dünn. Nerv VII ist meist eben so dünn, und nur ganz selten ein wenig dieker. In allen solchen Fällen ist Nerv VIII besonders dick, und der Schwerpunkt des ganzen Plexus sacralis, zu dem freilich Nerv VII noch nicht gehört, stark nach vorn ver- legt. Den Nerven VI der linken Seite nahm ich wieder als Maß für die Dicke 4. Der diekste Nerv im Plexum sacralis gab das Maß für die Dicke 9. Tabelle D giebt eine Zusammenstellung der Dickenbefunde an den Nerven XII— VIII und IV—II bei den 114 von 117 untersuchten Exemplaren, bei welchen die neun ersten Wirbel diskret waren. Nerv XII kommt zwar vor, aber äußerst selten. Er ist immer nur ein ganz dünnes Fädchen. Die Dicke des Nerven XI variirt sehr stark, von 7 bis 1, doch sind die größeren Dicken äußerst selten. Am häufigsten finden sich Dicke 2 und 3. Nerv X und IX sind fast immer dicke Nerven, es sind die Hauptnerven des Plexus sacralis. Nerv IX ist im Allgemeinen etwas dicker als Nerv X. Nerv VII ist zwar dünner als Nerv IX, aber meist doch von ganz ansehnlicher Dicke. Ganz selten nur hat er die Dicke 4. Die Dicke des Nerven IV variirt stark, von 9 bis 4, doch finden sich die größeren Dicken äußerst selten. In den allermeisten Fällen ist Nerv IV ‘dünn. Nerv III ist stets ein dicker Nerv und stets der Hauptnerv des Plexus brachialis. Mit sehr seltenen Ausnahmen ist er zugleich der dickste Nerv des Körpers. Nerv II, der sogenannte Nervus hypoglossus, hat meist Dicke 5, seltener Dicke 6. 1 Ich habe auch hier verhältnismäßig viel Weibchen, denn ich bemühte mich möglichst große Thiere einzufangen, und das Froschweibchen ist bekannt- lich größer als das, Männchen. 877 mung En (sn er | t es) O61 | F gzz dung gzz euung (ee) 8 rg rel IS I ET 78 0) + | @ lvodor | 8 Wo eee | et lice) e 9 |(cr) ce |g Eu eng © 9 Ka 5 DER 7A | F SUR mie, (0) z men € L (E79) rl | 9 ss) For “6. |(z6) 12 L (60) 7 ) & bo Fig. 7. Pelobates fuscus. ©. Kreuzbein, bestehend aus Wirbel IX, X und Urostyl. Ventrale Ansicht. Größenverhältnis 2/1 (Exemplar 12 pag. 471). Fig. 8. Pelobates fuscus. ©. Kreuzbein, bestehend aus Wirbel IX, X und Urostyl. Ventrale Ansicht. Größenverhältnis 2/1 (Exemplar 15 pag. 472). Fig. 9. Rana esculenta. 5. Spiegelbild eines rechten Plexus brachialis. Ventrale Ansicht. Größenverhältnis 4/1. Bezeichnungen wie bei Fig. 1 (pag. 485). Fig. 10. Rana esculenta. ©. Ganze Wirbelsäule. Dorsale Ansicht. Größen- verhältnis 2/1 (Exemplar 2 pag 485). Fig. 11. Dasselbe Objekt. Ventrale Ansicht. hee | Morpholog. Jahrb. Bd. XXII Tak XIX. Verlag v Wilh. Engelmann in Leipzig. Lith Anst.v.E.A Funke,Lenpzig. Beiträge zur Morphologie der Tardigraden. I. Zur Embryologie eines Tardigraden: Macrobiotus macronyx Dujardin. Von R. v. Erlanger, Privatdocent der Zoologie in Heidelberg. (Aus dem zoologischen Institut zu Heidelberg.) Mit Tafel XX—XXI und zwei Figuren im Text. Einleitung. Während die Anatomie der Bärenthierchen seit DoyERE wieder- holt der Gegenstand eingehender Untersuchungen gewesen ist, be- sitzen wir über die Embryologie der Tardigraden nur die einzige Arbeit von KAUFFMANN, welche jetzt vor mehr als 40 Jahren erschien. Wenn man nun bedenkt, wie unvollkommen die damaligen Unter- suchungsmethoden waren und dass die Kenntnis der Keimblätter- bildung bei den Wirbelthieren erst im Entstehen begriffen und von derjenigen der Wirbellosen so gut wie gar nichts bekannt war, so wird es einleuchten, dass KAurmann’s Arbeit kaum Aufschluss über die Entwicklung dieser so interessanten Gruppe geben konnte. Ja, das Wenige, was er uns mitgetheilt hat, ist eher dazu geeignet ganz falsche Vorstellungen über den wirklichen Thatsachenbestand zu erwecken. Es war mir daher sehr erwünscht, die Frage von Neuem in Angriff nehmen zu können und schon im Jahre 1892 wurde meine Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand durch das Auffinden einiger Eiersäcke von Macrobiotus macronyx durch meinen Freund, Herrn Dr. N. v. ApELung, gelenkt. Aber erst im Anfang des Winter- semesters 1892/93 erhielt ich größere Mengen Materials durch die 492 R. v. Erlanger Güte meines Freundes Herrn R. LAUTERBORN, welcher sich seit meh- reren Jahren mit der Erforschung der Fauna und Flora der Umgebung von Ludwigshafen beschäftigt. Ich begann die Entwicklung am lebenden Objekt zu unter- suchen, gewann aber bald die Überzeugung, dass dasselbe nur zum Studium der Furehung geeignet ist. Ich versuchte nun verschie- dene Konservirungsmethoden, von welchen einige, wie später erwähnt werden soll, befriedigende Resultate lieferten. Bald darauf reiste ich auf längere Zeit nach Neapel, um dort Material und Beobachtungen für die Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Mollusken zu sammeln und musste daher die Untersuchung unterbrechen, welche ich erst im Sommersemester 1894 wieder vornehmen konnte. Herr LAUTERBORN hatte unterdessen die Freundlichkeit ein höchst reich- haltiges Material für mich zu sammeln, welches er nach meinen An- gaben sehr gut konservirte. Ich benutze mit Freude die Gelegen- heit ihm meinen Dank für seine Bemühungen hier auszusprechen. Das Material und sein Vorkommen. Uber das Vorkommen von Macrobiotus theilt mir Herr R. Laurer- BORN, welchem ich mein sämmtliches Material verdanke, Folgen- des mit. »Macrobiotus macronyx ist eine häufige Erscheinung in allen von mir untersuchten Gewässern der Rheinebene und findet sich ganz besonders zahlreich in den ausgedehnten Diatomeenrasen, welehe an mehreren Stellen des Rheines, sowie in dessen Altwassern, den Grund oft weithin bedecken; im Gewirr der submersen Wasser- pflanzen traf ich das Thier nur vereinzelt. Das gesammte, der vor- liegenden Untersuchung zu Grund liegende Material stammt aus Tümpeln des Flosshafens bei Mannheim, wo ich am 8. April 1893 Macrobiotus besonders häufig antraf. An der genannten Lokalität hatten sich beim Fallen des Stromes eine Anzahl kleine Wasser- becken gebildet, auf derem sandigen Grunde zahllose Diatomeen in üppigster Fülle vegetirten. In diesen olivenbraunen, von zahlreichen Oscillarien durchzogenen schlüpfrigen Rasen fand sich in Gesellschaft zahlreicher Flagellaten (Euglena, Phacus ete.) und Rotatorien (Rotifer, Hydatina etc.) Macrobiotus in so gewaltiger Individuen- menge vor, dass ich mit Leichtigkeit Tausende von eiertragenden Weibchen hätte erbeuten können. In meinen Kulturgefäßen zu.Hause sammelte. die Mehrzahl der Thiere sich an der dem Licht zuge- Beiträge zur Morphologie der Tardigraden. I. 493 kehrten Seite an; ein einziger Tropfen hier entnommen zeigte oft mehr als ein Dutzend unbehilflich durch einander krabbelnder Bären- thierchen. Alle weiblichen Thiere, die mir zu Gesicht kamen (es waren deren viele Hunderte!), schleppten die abgestreifte Körperhaut, in die sie ihre Eier abgesetzt hatten, mit sich herum.« Methodik. Die Eier und Thiere wurden theils in FLemming’scher Flüssig- keit (Chromosmiumessigsäure), theils in KLEINENBERG’scher Flüssigkeit (Pikrinschwefelsäure), welcher ein Tropfen 1 %iger Osmiumsäure auf einen Kubikeentimeter zugefügt worden war, theils in koncentrirtem Sublimat unter Zusatz von !/, Eisessig konservirt. Die beiden ersteren Methoden gaben im großen Ganzen die besten Resultate, jedoch war das Material fast kohlschwarz durch die Osmiumsäure geworden Es war also unumgänglich nothwendig, die Osmiumsäure wieder zu entfernen. Da ich nun aus eigener Erfahrung wusste, dass Chlor- präparate die Gewebe sehr rasch angreifen, falls die Zeit der Ein- wirkung nicht haarscharf geregelt wird, vermied ich ganz den Ge- brauch von Eau de Javelle und benutzte Wasserstoffsuperoxyd. Ich erhielt ein sehr reines Präparat durch die Güte meines Freundes Herrn J. Locke, stud. chem. Das zu entfiirbende Material wurde in kleine Reagensréhrchen mit flachem Boden gebracht und zum Wasser, in welehem die Objekte lagen, !/, H,O, gegeben und auf den Wärme- kasten gestellt. Innerhalb zwei Minuten war gewöhnlich die Osmium- säure ganz entfernt, ohne dass die Gewebe im geringsten geschädigt worden wären. Die Konseivirung erwies sich im Allgemeinen als eine vorzügliche, da die Zellgrenzen überall sehr deutlich hervortraten. Dagegen zeigte sich die Färbung des entwicklungsgeschicht- lichen Materials als eine sehr schwierige. Während es mir mit Leichtigkeit gelang die erwachsenen Thiere mit den gewöhnlichen Tinktionsmitteln zu färben, war es mir unmöglich eine gute Kern- färbung bei den Eiern und Embryonen zu erzielen. Zuerst glaubte ich, dass die chitinöse Eihülle daran Schuld sei. Wenn sie auch dem Durehdringen der Färbeflüssigkeit bedeutende Schwierigkeiten in den Weg legt, so konnte ich mich doch bald überzeugen, dass dies doch nicht der eigentliche Grund sei. Beim Herauspräpariren der Eier aus der Chitinhaut des Mutterthieres passirt es oft, dass einige wenige Eier von ihrer besonderen Eihülle befreit wurden. Derartige Eier färbten sich dann sehr rasch, aber diffus und die 494 R. v. Erlanger Kerne traten niemals deutlich hervor. Dasselbe gilt auch von Eiern und Embryonen, welche auf Schnittserien nachgefärbt wurden. Die Eier und Embryonen der Tardigraden scheinen mir sehr chro- matinarm zu sein, was auch die Beobachtung des reifen Eies und die Bildung der ersten Richtungsspindel bestätigt. Meine Beobachtungen wurden hauptsächlich an ganzen Eiern und Embryonen angestellt. Diese waren in der schon erwähnten Weise konservirt und in verdünntes Glycerin gebracht worden, wel- ches durch Stehenlassen an der Luft allmählich koncentrirter wurde. Da die Eier sehr klein sind (sie behalten bis zum Ausschlüpfen des Embryo dieselben Dimensionen bei, weil derselbe nur durch Ein- krümmung in der höchst resistenten Eihaut wachsen kann) und auf die beschriebene Weise ganz aufgehellt werden können, so lässt sich schon Alles an ganzen Eiern und Embryonen beobachten. Die Längs- achse misst durchschnittlich 40 u, die Querachse etwa 30 p. Die Eier wurden in Glycerin unter ein Deckglas gebracht, welches mit Wachsfüßchen versehen war und zwei sehr dünne Glasfäden unter- gelegt. Auf diese Weise gelingt es leicht die Eier durch Wälzen des Deckglases in jede beliebige Lage zu bringen, so dass ich optische Quer-, Längs- und Frontalschnitte erhalten konnte. Auch wurden ge- färbte Eier in Dammarlack untersucht, was für manche Verhältnisse von Vortheil ist. Endlich wurden zur Kontrolle Schnittserien angefertigt. Zu diesem Zwecke wurden ganze Eierballen nach der gewöhnlichen Methode in Paraffin geschnitten und die Schnitte auf dem Objektträger nach- gefärbt. | Da jeder Eihaufen 12—30 Eier enthält, welche ganz unregel- mäßig gelagert sind, gelingt es leicht, immer einige Schnittserien durch gut orientirte Eier oder Embryonen zu erhalten. Ganze Thiere ließen sich in toto gut färben, auch war die Anfertigung von Schnitt- serien mit wenig Schwierigkeit verbunden und wurden Doppelfär- bungen durch nachträgliches Färben auf dem Objektträger erzielt. Überblick über die Anatomie. Ehe ich an die Beschreibung der Entwicklung gehe, halte ich es für zweckmäßig einen kurzen Überbliek von der Anatomie des ausgewachsenen Thieres zu geben. Die Gestalt des Macrobiotus macronyx ist im Vergleich zu derjenigen der anderen Tardigraden als eine gedrungenere zu bezeichnen. Die Größe schwankt von Beiträge zur Morphologie der Tardigraden. I. 495 0,3—1 mm und misst durchschnittlich 0,5 mm. Das Hinterende, d. h. der letzte Rumpfabschnitt mit dem vierten Beinpaar, welches rechts und links vom After und scheinbar hinter demselben liegt, ist Fig. 1. Fig. 2. gewöhnlich etwas eingekrümmt (Textfigur 2 c!)!. Die Cuticula ist ziemlich derb und geringelt, ohne dass diese Ringelung der wirk- lichen Segmentzahl entspriiche. Auf die Histologie des äußeren Epithels und auf die Muskulatur kann an dieser Stelle nicht einge- gangen werden. Den vier Beinpaaren, von denen drei vor dem After sich be- finden, entsprechen vier Ganglienpaare des Bauchmarks. Jedes Gan- glienpaar liegt etwas oralwärts vom dazugehörigen Beinpaar (Text- figur 1 und 2 gi—g‘). Der Schlundring wird von einem unteren Sehlundganglion (wg Textfigur 1 und 2) und dem oberen Schlundgan- glion oder Gehirn gebildet. Dieses zerfällt in das eigentliche Gehirn und die Ganglia optiea (Textfigur 1 und 2 op), von welchen der Seh- nery zu dem Auge zieht, welches paarig ist und eine Linse besitzt. Der Darm beginnt mit der Mundöffnung (m), welche auf einem kurzen Zapfen (mz) liegt und führt in den Schlund, welcher mit einem gut ausgebildeten Zahnpaar ausgerüstet ist. Rechts und links münden paarige Speicheldrüsen (spd) gleich hinter dem Mundzapfen in den Schlund ein. Etwa in der Mitte seines Verlaufes erweitert sich der Schlund zu einem stark muskulösen Schlundkopf oder Saug- magen (s), welcher sehr an die entsprechende Bildung bei Nematoden ! Bei konservirtem Material. 496 R. v. Erlanger erinnert. Aus diesem Saugmagen führt die zweite Hälfte des Schlun- des (oe) in den eigentlichen Magen (ma). Dieser ist sehr ansehnlich und besitzt die Gestalt eines länglichen Schlauches oder Sackes, dessen Wandungen aus großen kubischen Zellen besteht. Der Ma- gen mündet durch einen kurzen Enddarm () nach außen. Der After (a) liegt beinahe terminal, da das letzte Beinpaar scheinbar hinter demselben, in Wirklichkeit rechts und links steht. An der Grenze zwischen Magen und Enddarm münden in den- selben rechts und links paarige Drüsenschläuche (md) ein, welche PLATE (5) als Maupient’sche Drüsen deutet, ich dagegen kurzweg als Mitteldarmdrüsen bezeichnen will. Ferner münden in den Enddarm noch die unpaare Gonade (go), welche einen langen, dorsal vom Darm liegenden Schlauch bildet, und eine weitere unpaare Drüse (d), welche ich als Anhangsdrüse des Geschlechtsapparates auffasse. Endlich ist jede Extremität an ihrem freien Ende über der Ansatzstelle der Klauen mit einer rund- lichen mehrzelligen Drüse versehen, welche ich als Extremitätendrüse bezeichnen will (exd). Charakteristisch für Macrobiotus maeronyx sind die vier lan- sen Klauen an jeder Extremität, durch welche diese Form sich von anderen Macrobioten auszeichnet. Bei dieser Untersuchung haben sich eine Reihe von interessanten und neuen Thatsachen in der Anatomie von Maerobiotus macro- nyx herausgestellt, welche entweder Greer und PLATE entgangen, oder speciell für die hier behandelte Art eharakteristisch sind. Da dieser Theil nur die Entwicklungsgeschichte betrifft, werde ich erst später darüber berichten, da zumal meine Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind. Diese Beobachtungen betreffen besonders das Auge und die Extremitätendrüsen. Auch die Histologie im All- gemeinen soll ausführlicher behandelt werden, als dies von PLATE geschehen ist. Beschreibender Theil. Was die Eireifung, Ausstoßung der Richtungskörper, Befruch- tung und Furchung anbelangt, so werde ich erst in einer spä- teren Arbeit darauf eingehen können, obgleich mir schon in Bezug auf manche dieser Punkte Beobachtungen vorliegen. Ich will jetzt nur ganz kurz so viel erwähnen, als zum Verständnis der embryo- nalen Entwicklung nothwendig ist. Die Eireifung vollzieht sich im Ovarium und konnte ich die Beiträge zur Morphologie der Tardigraden. I. 497 Bildung der ersten Richtungsspindel darin konstatiren. Die Aus- stoBung der beiden Richtungskörperchen scheint sich erst nach der Eiablage zu vollziehen. Das Ei hat dann eine länglich ovale Ge- stalt und die beiden Richtungskörper liegen dem einen Pol eng an. Die Furchung ist eine totale und äquale, was mit dem Dotter- mangel zusammenzuhängen scheint. Dieser Furchungsmodus bedingt weiter, dass der Verlauf der Furehung an konservirten Eiern sehr schwierig zu verfolgen ist. Daher behalte ich mir vor, dieselbe nach Untersuchung lebender Eier ausführlicher zu behandeln. Das Endresultat der Furchung ist eine länglich ovale Blastula (Taf. XX Fig. 1 A). Die geräumige Furchungshöhle (f) liegt dem hinteren spitzeren Pol genähert, daher sind auch die Zellen des vor- deren stumpferen Poles etwa zweimal so hoch als diejenigen des hinteren. Eine Oberfliichenansicht ergiebt, dass die Blastula aus sehr zahl- reichen, im Durchmesser gleichen, prismatischen Zellen besteht, deren Zahl nicht mehr festgestellt werden kann. Bald darauf stülpen sich die Zellen der vegetativen Hälfte ein und bilden eine Invaginationsgastrula. Eine derartige Gastrula ist in Fig. 2 (6) Taf. XX vom Rücken dargestellt. Die allgemeine Gestalt ist dieselbe wie bei der Blastula, nur sieht man auf dem optischen Frontalschnitt die Furchungshöhle f von fünf Entoderm- zellen (ent) nahezu ausgefüllt, welche eine weitere Höhle (wd), den Urdarm, umgeben. Ferner bemerkt man, dass die vorderen Urdarm- zellen den hinteren an Größe überlegen sind, da der Urdarm auch eigentlich dem hinteren Pol genähert ist. Dasselbe Stadium (2) ist in seitlicher Ansicht (von der rechten Seite in Fig. S Taf. XX) dargestellt. In dieser Ansicht tritt die excentrische Lage des Urdarmes sowie der Größenunterschied zwischen den vorderen und hinteren Zellen des Ekto- und Entoderms sehr deutlich hervor. Die Furchungshöhle (f) ist auf einen Spalt redu- eirt. Ein verhältnismäßig sehr kurzer ovaler Urmund (57) führt in den nicht sehr ansehnlichen Urdarm (wd). Auf dem nächstfolgenden Stadium C (Taf. XX Fig. 3 und 9) beginnt der Embryo etwas in der Längsrichtung auszuwachsen. Der hintere Pol hat sich abgeflacht (Fig. 3). Die Ektodermzellen haben an Zahl und an Größe abgenommen. Eben so verhalten sich die Entodermzellen, da der Urdarm (ud) sehr beträchtlich an Länge zugenommen und sein Lumen sich auch stark vergrößert hat. Da das Bild von der Bauchfläche entworfen worden ist, bemerkt .man, Morpholog. Jahrbuch, 22. 33 498 R. v. Erlanger dem hinteren Pole stark genähert, den engen und sehr kurzen Bla- stoporus (07). Fig. 9 veranschaulicht das eben besprochene Stadium C von der linken Seite. Man bemerkt immer noch einen Größenunterschied zwischen den Zellen des vorderen und hinteren Poles, sowohl beim Ekto- als beim Entoderm. Die Furchungshöhle (f) ist immer noch deutlich erhalten. Das Urdarmlumen erstreckt sich jetzt von vorn nach hinten, während sein größter Durchmesser bei der Gastrula dorsoventral gelagert war. Das nächste Stadium (D) zeigt bereits die beginnende ventrale Einkrümmung des Embryo (Fig. 10) und die Sonderung des Urdarmes in zwei Abschnitte. Fig. 10 veranschaulicht die ventralwärts erfol- sende Einkrümmung, welche durch stärkeres Längenwachsthum des Embryo in der resistenten Eihülle verursacht wird. Die Zahl der Ektodermzellen hat beträchtlich zu- und ihre Größe in entsprechen- der Weise abgenommen. Man bemerkt ferner, dass dieselben im ventralen Theile des vorderen Poles und vor dem Blastoporus am höchsten sind. Diese beiden Verdiekungen repräsentiren erstens die Anlage des Gehirns und Auges, zweitens (”/) die Anlage des Bauch- markes. Auch der Urdarm (wd) ist stark in die Länge ausgewachsen und in entsprechender Weise eingekrümmt. Der Zerfall desselben in zwei Abschnitte lässt sich am besten in frontaler Ansicht beob- achten (Fig. 4). Dureh eine etwa in der Mitte der Längsachse ge- legene Einsehnürung lässt sich ein vorderer Abschnitt (vd) und ein hinterer Abschnitt (a) unterscheiden. Der vordere stellt die Anlage des Schlundes sammt Saugmagen, der hintere die Anlage des eigent- lichen Magens (ma) vor. An diese beiden Abschnitte schließt sich ein dritter dorsoventral verlaufender an (Fig. 10 2), welcher den End- darm vorstellt und durch den noch offenen Blastoporus (47) nach außen mündet. Der Urmund ist aber auf dem nächstfolgenden Stadium Z (Fig. 11) bereits geschlossen, und es wird noch eine geraume Zeit dauern,. bis an derselben Stelle der After durehbricht. Das Stadium (EZ) zeigt jetzt auch in seitlicher Ansicht sehr deutlich die Sonderung des Urdarmes in Vorderdarm und Magen mit Enddarm. Die ventralen Zellen des Urdarmes sind ansehnlicher als die dorsalen, was bereits auf dem vorhergehenden Stadium, beson- ders an einem optischen Querschnitt (Fig. 7), deutlich zu bemerken war. Auf diesem optischen Querschnitt, welcher etwa durch die Mitte der Längsachse geführt ist, sieht man deutlich, dass die Beiträge zur Morphologie der Tardigraden. 1. 499 Ektodermzellen der Bauchseite weit höher als diejenigen des Rückens sind. Dies erklärt sich dadurch, dass der Schnitt durch die Anlage des Bauchmarkes gelegt ist. Während Fig. 11 das Stadium Z von der rechten Seite darstellt, wird dasselbe Stadium in Fig. 5 von der Bauchseite gesehen. In dieser Ansicht bemerkt man, dass die seitlichen Wandungen des Urdarmes stärker verdickt sind und sieht die optischen Querschnitte des eingekrümmten Vorder- und Enddarmes (vd und 7), während die Liingsachse des mittleren Theiles oder Magens (ma) horizontal ver- liuft. Ferner tritt jetzt auch bei frontaler Ansicht die Einkriimmung des Embryo deutlich hervor, wie ich es in der Figur zu veranschau- lichen versucht habe. Bis zum eben besprochenen Stadium E sind nur zwei Keim- blätter am Embryo nachzuweisen, nämlich das äußere und das innere. Jetzt entsteht das Mesoderm in Gestalt von paarigen Ausstülpungen des Urdarmes, und zwar zuerst in der hintersten Gegend des Embryo (Fig. 6, 12 und 13 et). Diese Cölomsäcke repräsentiren die Anlage des vierten Beinpaares. Sehr bald darauf bemerkt man am entgegengesetzten Ende des Embryo, nämlich am Vorderende, ein neues Paar von Cölomsäcken (ke) (Stadium F Fig. 6 und 12). Im späteren Verlaufe der Entwick- lung zerfällt dieses, der Lagerung nach erste Paar von Cölomsäcken, in zwei Theile, von denen der dorsale das Kopfeölom, der ventrale die Anlage des ersten Beinpaares bildet. Schon auf Fig. 6 lässt sich konstatiren, dass das erste Paar von Cölomsäcken an Größe dem vor ihm angelegten vierten vorauseilt. Noch deutlicher tritt dies auf einer seitlichen Ansicht desselben Stadiums 7 hervor (Fig. 12). Man sieht nämlich, dass das erste Paar von Cölomsäcken (kc) bereits eine viel betriichtlichere dorsoventrale Ausdehnung besitzt als das vierte, was aus dem Umstand zu erklären ist, dass das erste Cölompaar nicht nur die Anlage der ersten Extremität, sondern auch diejenige des Kopfeöloms abgeben muss. Während auf Stadium F die Differenzirung des Darmes im Ver- gleich zum vorhergehenden Stadium E nicht weiter gediehen ist, hat sich die Gestalt des Darmes auf dem nächstfolgenden Stadium @ schon beträchtlich weiter verändert. Dasselbe ist in Fig. 13 von der rechten Seite abgebildet, und zwar, der Deutlichkeit halber, unter Weglassen des ersten Cilompaares. Man erkennt, dass die Vorder- darmanlage sich in drei Theile gesondert hat, von denen der erste rückwärts gelegene den Pharynx, der zweite mittlere Abschnitt den 33* 500 R. v. Erlanger Saugmagen und der dritte den Theil des Ösophagus bilden wird, welcher vom Saugmagen in den eigentlichen Magen führt. Ferner tritt die Einkrümmung des Embryo bereits viel deutlicher hervor und ist die Ektodermverdickung (»/), welche die Anlage des Bauch- markes vorstellt, weit schärfer ausgeprägt. Bald darauf entstehen die beiden weiteren Cölomausstülpungen, welche die Anlagen der weiteren zwei Extremitätenpaare sind, und zwar von vorn nach hinten so, dass das zweite Cölompaar zuerst, das dritte erst etwas später gebildet wird. Ein derartiges Stadium (H) ist in Taf. XXI (Fig. 14, 15, 20—23) in verschiedenen Lagen ab- gebildet. Ein Übersichtsbild ergiebt sich aus Fig. 14, wo das be- treffende Stadium, vom Rücken gesehen, abgebildet ist. Sehr deut- lich treten in dieser Ansicht die weiteren Differenzirungsprodukte des Vorder- und Mitteldarmes auf, welche, wie schon betont wurde, rein entodermaler Natur sind. Oralwärts und ganz ventral liegt der Pharynx oder das Mundrohr (mr, darauf folgt der dorsal gelegene Saug- magen (s), weiter der noch recht kurze eigentliche Ösophagus (oe), schließlich der Magen (ma); der Enddarm ist der Einfachheit halber nieht angegeben. Endlich ist auch aus Fig. 14 der Zusammenhang des dritten Cölompaares (c?) mit dem Mitteldarm (ma) ersichtlich. Fig. 15, eine halbfrontale Ansicht (vom Kopfe gesehen) desselben Stadiums H, erläutert die jetzt eingetretene weitere Differenzirung des ersten Cölompaares, welche bereits auf dem vorhergehenden F und G (vergleiche Taf. XX Fig. 12) angedeutet war. Man be- merkt, dass sie oralwärts bedeutend ausgewachsen und ein Paar von langen, medianwärts konkaven Säcken (ke) gebildet haben, welche analwärts und ventral die Extremitätenanlage in Gestalt eines rund- lichen Säckchens (e!) abgeschnürt haben. Demnach hat sich jeder- seits der ursprünglich einheitliche erste Cölomsack in zwei Theile: erstens in das größere dorsal- und oralwärts gelegene Kopfeölom, und zweitens in die kleinere ventral- und analwärts situirte Anlage der ersten Extremität gesondert. Fig. 20—22 sind drei optische Querschnitte von demselben hoch- wichtigen Stadium #7, welche die Bildung der Cölomsäcke veran- schaulichen. Fig. 20 erläutert weiter den Zusammenhang der beiden Theile des ersten Cölompaares, welche weit weniger deutlich bei dieser Ansicht zu unterscheiden sind, ist aber wegen der Ektoderm- verhältnisse von Wichtigkeit. Man bemerkt nämlich jederseits eine dorsale und eine ventrale Verdiekung des äußeren Keimblattes. Die dorsale (cg) stellt die Anlage des Gehirns oder des oberen, die ventrale Beiträge zur Morphologie der Tardigraden. I. 501 diejenige des unteren Schlundganglions vor. In Fig. 22 ist ein op- tischer Querschnitt durch die Gegend des dritten Cölompaares wieder- gegeben, welches noch ganz deutlich mit dem Mitteldarm in offener Kommunikation steht und einige Zeit noch so bleibt, während das zweite Cölompaar, welches auf dem Stadium 4 noch mit dem Ur- darm kommunicirt, im darauf folgenden Stadium J (vgl. Fig. 17) be- reits abgeschnürt ist. Dagegen ist schon auf Stadium Z// das letzte, d.h. das vierte Cölompaar, im Anschluss daran, dass es vor allen anderen angelegt wurde, auch schon abgetrennt, wie Fig. 21 zeigt, und haben die Extremitätenanlagen jederseits ventralwärts das Ekto- derm aufgetrieben. Endlich ist das Stadium AH noch in Fig. 23 in seitlicher Lage (von der rechten Seite) wiedergegeben. In dieser Lage tritt eine wichtige Thatsache klar hervor, nämlich dass der Embryo jetzt äußerlich ganz deutlich in fünf Segmente zerfällt: in das Kopfseg- ment / und in vier Rumpfsegmente: erstes, zweites, drittes und viertes. Die Cölomsäcke sind hier der Deutlichkeit halber bis auf das letzte Paar weggelassen, um einen besseren Überblick von dem Darmtraetus zu geben. Ferner lässt sich konstatiren, dass die Nervenleiste (z/) oder Anlage des Bauchmarkes die Andeutung eines Zerfalles in ein- zelne Ganglien erkennen lässt. ‚Nachdem nun der Embryo deutlich eine Gliederung in fünf Seg- mente äußerlich und innerlich erkennen lässt, treten rasch die An- lagen weiterer wichtiger Organe auf. Schon auf dem nächstfolgenden Stadium J zeigt sich die Anlage der Gonade (go). Die allgemeine Gestalt dieses Stadiums (Fig. 16 und 17) ist als eine gestrecktere zu bezeichnen, was besonders in ventraler Ansicht (Fig. 16) hervortritt. Alle im vorhergehenden Sta- dium H vorhandene Anlagen sind deutlicher geworden, namentlich diejenigen der drei vorderen Extremitätenpaare, wie eine seitliche Ansicht (Fig. 24) lehrt. Dasselbe gilt von der Bauchkettenanlage, welche jetzt schon sehr deutlich in vier Ganglienpaare zerfallen ist. Auch die Gehirnanlage lässt sich in drei Anschwellungen zerlegen, von welchen die ventralste (c) der eigentlichen Anlage des oberen Schlundganglions, die mittlere derjenigen des Ganglion opticum (op), die dorsalste der Augenanlage (ua) entspricht. Dasselbe ist auf fron- talen Ansichten sowohl bei Bauch- (Fig. 16) als auch bei Rückenan- sicht (/) zu konstatiren. Außerlich tritt bei Bauchansicht auf dem Stadium J eine weitere, sehr interessante Bildung ganz am Hinterende, hinter dem After, auf, 502 R. v. Erlanger nämlich eine Art Schwanzplatte (sp Fig. 16). Dieselbe ist eine nahe- zu quadratische Platte, welche hinten mit drei Zacken oder Spitzen versehen ist. Dieses Organ erhält sich noch einige Zeit, bildet sich aber, sobald die Klauen angelegt werden, zurück, so dass beim aus- gewachsenen Thier, wie Textfigur I zeigt, keine Spur mehr davon zu sehen ist. Ich glaube diese Bildung als ein Postabdomen oder einen Schwanz auffassen zu können. Der entodermale Vorderdarm ist jetzt sehr deutlich in drei Abschnitte gesondert, von denen der vorderste (oralwärts) die Mundröhre (mr), der mittlere den Saugmagen, der hinterste den Ösophagus vorstellt. Der Mitteldarm oder Magen (ma) zeigt eine starke ventrale Einkrümmung. Sein hinterster Theil wird den sehr kurzen Enddarm geben, welcher viel später, wenn der After durchgebrochen sein wird, nach außen durch denselben ausmündet. Auf dem Stadium J stößt das Darmende zwischen und etwas hinter dem vierten Bauchganglienpaar unmittelbar auf das Entoderm. Auf der Grenze zwischen dem zweiten und dritten Rumpfseg- ment hat sich eine dorsale Ausstülpung der Mitteldarmwand gebildet, ganz in der Art der schon beschriebenen vier Cölomaussackungen. Diese Bildung ist in dorsaler Ansicht (Fig. 17) am besten zu beob- achten, da sie sich analwärts früher abschnürt, wie Fig. 16 zeigt. Diese Ausstülpung (go) entspricht der Anlage der Gonade. Da der Geschlechtsapparat, wie schon durch PLare bekannt geworden ist, bei beiden Geschlechtern ganz gleichartig gebaut ist und daher die früheren Beobachter zu der irrigen Auffassung führte, dass die Tar- digraden Zwitter seien, ist es auch ganz natürlich, dass die Bildung dieses Organsystems bei beiden Geschlechtern in der nämlichen Weise erfolgt. Während auf dem eben besprochenen Stadium J die Gonaden- anlage auf der Grenze zwischen dem zweiten und dritten Segment gelagert ist, rückt sie im darauffolgenden Stadium A ganz in das Bereich des zweiten Rumpfsegmentes, wie eine seitliche Ansicht (Fig. 25) zeigt. Hier erkennt man ferner die Anlage eines weiteren zam Gesehlechtsapparat gehörigen Organs, nämlich der unpaaren Anhangsdrüse (d), welche ebenfalls als eine Ausstülpung des Mittel- darmes auf der Grenze zwischen Magen (ma) und Enddarm (7) ge- bildet wird. Somit wäre der Geschlechtsapparat auf dem Stadium X bereits vollständig angelegt. Auf demselben Stadium kommt es ai noch zur Bildung eines weiteren wichtigen Organpaares, nämlich zu derjenigen der beiden Beiträge zur Morphologie der Tardigraden. I. 503 Mitteldarmdrüsen (md), dessen Bedeutung schon in der Einleitung be- sprochen wurde. Die Mitteldarmdrüsen entstehen wieder als paarige Ausstülpungen des Mitteldarmes und zwar, wie die unpaare Anhangs- drüse des Geschlechtsapparates, auf der Grenze zwischen Magen und Enddarm zwischen dem zweiten und dritten Rumpfsegment. Am deutlichsten lässt sich ihre Bildung bei einer ventralen Ansicht (Fig. 19) erkennen. Man erblickt sie am Hinterende, oralwärts von der Gonade (go), als seitliche Ausstülpungen (md) des Mitteldarmes, welchen man im Querschnitt sieht. Bei dieser Ansicht liegt der Enddarm (7) oralwärts von den eben besprochenen Bildungen. Die spätere Durchbruchsstelle des Afters ist mit « bezeichnet und liegt un- unmittelbar der Schwanzplatte (sp) an, welche sich schon verkleinert hat. Was nun den Darmtractus auf Stadium ZA anbelangt, so hat sich dieser noch weiter differenzirt. Das anale Ende des Enddarmes (¢) hat sich bereits in das immer mehr sich abflachende Ektoderm eingesenkt, wie eine seitliche Ansicht (Fig. 25) lehrt. Auf derselben bemerkt man ferner eine weitere, ektodermale Anlage, diejenige der Speicheldrüsen (spd)! Dieselben entstehen als ektodermale Einstül- pungen im Kopfsegment. Gleichzeitig legt sich der Mundzapfen in Gestalt einer ektodermalen Verdickung des Kopfsegmentes ventral- wärts vom Gehirnganglion und zwischen diesem und dem unteren Schlundganglion (wg) an. Im Allgemeinen erkennt man ferner, dass der Embryo wieder stark in die Länge gewachsen ist, da die ventrale Einkrümmung noch schärfer als auf dem Stadium J ausgeprägt ist. Auch treten die Extremitätenanlagen viel schärfer hervor und bilden buckelför- mige seitliche Vorsprünge, wie horizontale und besonders dorsale (Fig. 18) Ansichten zeigen. Endlich stellt Fig. 26 das älteste, in dem ersten Theil dieser Arbeit zu besprechende Stadium Z vor. Dasselbe unterscheidet sich von dem zum Ausschlüpfen fertigen jungen Bärenthierchen wesent- lieh dadurch, dass die mesodermalen Partien, welche die Extremi- tätenanlagen ausfüllen, noch undifferenzirt sind. Ferner sind die Klauen noch nieht einmal angedeutet (mit Ausnahme von denen des vierten Beinpaares), eben so wenig die Zahnanlagen, wodurch bewiesen wird, dass die Zähne höchst wahrscheinlich sehr spät erworbene ! Wie ich jetzt glaube, ist nur der ausführende Theil der Speicheldrüsen ektodermaler Natur, ich bin iiber die Herkunft der Speicheldrüsen selbst noch nicht ganz im Klaren. 504 R. v. Erlanger Bildungen sind. Im Übrigen sind die Ganglien sämmtlich von ihrem Mutterboden, dem äußeren Keimblatt, abgelöst, befinden sich aber noch unmittelbar unter dem bereits stark abgeflachten Ektoderm. Auch die Speicheldrüsen (spd) sind stark angewachsen. Auf die Bildung der Muskeln, Nerven, des Blutes und die Um- bildung der Célomsiickchen in den Extremitäten soll erst, wie schon erwähnt wurde, in einer weiteren Arbeit, welche die Histiogenese, Histologie und einige Punkte der Anatomie behandeln wird, näher eingegangen werden. Historischer und vergleichender Theil. Ehe ich die verschiedenen Ansichten der modernen Autoren über die systematische Stellung der Tardigraden bespreche, von den älteren will ich hier absehen, sowie die Schlüsse, welche man aus den jetzt vorliegenden embryologischen Befunden ziehen darf, möchte ich ein Paar Worte über die einzige ältere Arbeit, welche die Ent- wicklungsgeschichte der Tardigraden behandelt. nämlich die von KAUFMANN (3), welche aus dem Jahre 1851 stammt, vorausschicken. KAUFMANN hat vor allen Dingen festgestellt, dass die Furchung eine totale und äquale ist. Ferner erkannte er ganz richtig, dass die Einkrümmung des Embryo ventralwärts erfolgt. Die vermeintliche Keimscheibe, welche er beschreibt, ist, wie schon BürscHLı (1) mit Recht vermuthet hatte, nichts Anderes als das Ektoderm. Weiter stellte er fest, dass das diekere Ende des Embryo dem Kopfende entspricht, was meine Abbildungen auch bestätigen. Ganz falsch ist seine Angabe, dass das hinterste oder vierte Beinpaar zuletzt ent- steht. Wir haben vielmehr gesehen, dass es sich früher als alle anderen anlegt, eine Thatsache, welche, meiner Meinung nach, von großer Bedeutung ist. Erwähnt man noch, dass er beobachtet hat, wie der Zahnapparat erst sehr spät sich bildet und nichts mit Extremi- täten gemein hat, so hat man auch alle brauchbaren Beobachtungen KAaurmann’s aufgezählt. Die übrigen sind entweder, wie schon zum Theil gesagt wurde, thatsächlich falsch oder wenigstens falsch ge- deutet, was man ihm ja bei dem damaligen Stande der Embryologie nicht übel nehmen darf. Aus diesem Grunde und wegen der da- maligen unentwickelten Technik übersah er das mittlere Keimblatt ganz und konnte die Bildung des Urdarmes durch Einstülpung nicht erkennen. Fassen wir nun die in der vorliegenden Arbeit erzielten Resul- Beiträge zur Morphologie der Tardigraden. I. 505 tate zusammen, so ergiebt sich zunächst, dass die Entwicklung der Tardigraden eine höchst einfache und primitive ist. Eine in selbem Maße totale und äquale Furchung dürfte wohl kaum anderswo bei den Arthropoden vorkommen. Ferner giebt es hier eine typische Blastula und embolische Gastrula. Das ganze Mesoderm entsteht aus paarigen Ausstülpungen des Urdarmes in Gestalt von Cölomsäckchen. Die Gonade, ihre unpaare Anhangsdrüse und die paarigen Mittel- darmdrüsen entstehen ebenfalls als Aussackungen des Urdarmes. Das gesammte Nervensystem und die Augen bilden sich als Wucherungen des Ektoderms. Es liegt also von Seite der Entwicklungsgeschichte absolut kein Grund vor, um hier auf Rückbildungen zu schließen, mit einziger Ausnahme von der ausführlich besprochenen Schwanzplatte. Be- kanntlich ist v. KenNEL (4) der Vertreter der Rückbildungstheorie in Bezug auf unsere Bärenthierchen gewesen. Er zieht zwischen ihnen und einigen stark zurückgebildeten Dipterenlarven eine Pa- rallele, welche beweisen soll, dass die Tardigraden: » Arthropoden auf dem Larvenstadium, ohne Kopf, mit einem in der Segmentzahl reducirten Rumpf, der einige (sekundäre) Fußstummel trägt«, sind. Prüfen wir nun die Argumente, welche v. KENNEL zur Stütze seiner Theorie in das Feld führt. Zunächst ist für ihn die kleine Zahl der hier vorhandenen Seg- mente ein Grund, um die Tardigraden, in ihrer Ähnlichkeit mit den Anneliden, den Onychophoren hintenanzusetzen. Ob die Arthro- poden wirklich von annelidenartigen Formen abzuleiten sind, darf wohl vor der Hand als noch sehr fraglich bezeichnet werden, wahr- scheinlicher ist es, dass sie aus derselben Stammform hervorgingen, aber schon weit am Grund von einander abzweigten. Sicherlich je- doch sind gegliederte Formen aus ungegliederten hervorgegangen, und dürften die primitivsten Formen gegliederter Thiere eine gerin- gere Anzahl von Segmenten besitzen, da die Zahl von Metameren im Anfang erst nach und nach zugenommen haben wird. Die Frage, ob die Tardigraden Segmentalorgane oder Nephridien besitzen, muss ich vor der Hand noch offen lassen, neige aber, aus später zu erklärenden Gründen, dazu, die Extremitätendrüsen als solche aufzufassen. Jedenfalls ist v. Kenner’s Einwand, die Tardi- graden hätten keine Segmentalorgane, wohl aber Marrıcarsche Drüsen, schon desshalb nicht stichhaltig, weil die Mitteldarmdrüsen nicht, wie die Marrısurschen Drüsen, ektodermaler Natur sind; da- her auch diesen nicht entsprechen können. 506 R. v. Erlanger Die Beschaffenheit der Muskulatur kann ebenfalls nicht als ein Beweis für eine Rückbildung angeführt werden. Zunächst lege ich dem Umstand, dass sie nicht quergestreift sind, einen viel höheren Werth bei als v. Kenner. Alle Tracheaten besitzen ja quergestreifte Muskeln und sind sogar bei Peripatus wenigstens die Kiefermuskeln quergestreift. Allerdings entspricht die Anordnung der Muskulatur nicht der bei den Anneliden üblichen, aber es handelt sich hier, wie gesagt, nicht um eine Ableitung der Arthropoden von den Anne- liden. Übrigens erinnert auch die Muskulatur der Tardigraden an diejenige der Rotatorien, welche von vielen Forschern als die Stamm- form der Anneliden und anderer Phylen betraehtet wird. Wir kommen nun zur schwachen Ausbildung des Kopfsegmentes, der geringen Zahl von Extremitätenpaaren und dem Fehlen von Mundwerkzeugen, welche ebenfalls von Kennen als Beweisgründe für die Rückbildung der Bärenthierchen angeführt werden. Vor allen Dingen ist ein wirkliches und gut ausgebildetes Kopfsegment vorhanden. Wir haben gesehen, dass ein Kopfeölom als Theil des ersten Rumpfeölompaares zur Ausbildung gelangt. Vielleicht dürfte sich aus diesem bei den höher stehenden Arthropoden die Anlagen der Antennen entwickelt haben. Auch ist der Schlundring, welcher aus Gehirn und unterem Schlundganglion besteht, gut ausgebildet, eben so auch die Ganglia optica und die Augen, welehe durchaus nicht einfache Pigmentflecke sind und daher auch nicht als rudi- mentäre, in Rückbildung begriffene Organe aufgefasst werden können. Die geringe Zahl der Extremitäten geht natürlich mit der ge- ringen Segmentzahl Hand in Hand. Da nur wenige Extremitäten- paare vorhanden sind, ist es auch begreiflich, dass sie sämmtlich nur zur Lokomotion gebraucht werden und nicht in den Dienst der Nahrungsaufnahme getreten sind. Die stetig zunehmende Segment- und Extremitätenzahl hat es bei höher stehenden Arthropoden er- möglicht, dass einige von den zahlreichen Beinpaaren bei der Lo- komotion entbehrt werden konnten und nach und nach in den Dienst der Nahrungsaufnahme getreten sind. Einige Arthropoden zeigen ja sehr schön, man denke an Limulus, wie dies erst nach und nach geschehen ist, indem zunächst ein kleiner Theil gewisser Extremitätenpaare zu Kauladen umgebildet wurde. Hätten die Bärenthierchen in dieser Beziehung wirklich Rück- bildungen erfahren, so müsste man auch erwarten, rudimentäre Ex- tremitäten vorübergehend im Laufe der Entwicklung zu treffen, was Beiträge zur Morphologie der Tardigraden. I. 507 ja nieht der Fall ist. An Stelle der typischen Mundwerkzeuge (umgebildete Extremitäten) der übrigen Arthropoden besitzen die Tardigraden die paarigen Zähne, welche nichts mit Extremitäten zu thun haben, da sie von dem Mundzapfen ausgeschieden werden und viel später als die Extremitäten erst vor dem Ausschlüpfen angelegt werden. Wir erblicken darin selbständig erworbene Bildungen. Übrigens sind die Fliegenlarven nicht die einzigen Thiere, welche derartige stilettförmige Mundwerkzeuge besitzen. Chitinöse Kiefer, Zähne, Stacheln und Stilette, welche nichts mit Extremitäten gemein haben, sind ja im Thierreiche außerordentlich verbreitet, namentlich bei den Platt- und Ringelwürmern. Eben so kommt ein Bohrzahn bei Nematoden, ein Stilett bei Nemertinen ete., paarige chitinöse, im Schlund liegende Kiefer bei-Rotatorien und Chätognathen vor. Was jetzt die Geschlechtsorgane anbelangt, so wäre zunächst zu bemerken, dass die Gonade als Ausstülpung des Urdarmes ent- steht, daher auch ihre Wand, aus welcher die Geschlechtsprodukte entstehen, als ein Theil der Leibeshöhlenwand aufgefasst werden kann. Jedenfalls ein sehr primitives Verhalten, was nicht gegen eine Annelidenähnliehkeit sprechen würde, wenn es mir überhaupt darauf ankäme, eine solche stützen zu wollen. Die Unpaarheit der Gonade betreffend könnte man vielleicht mit v. KENNEL annehmen, dass die unpaare Anhangsdrüse einer rückgebildeten zweiten Gonade entsprechen dürfte. Dafür spricht auch, dass sie ganz ähnlich ent- steht wie die Gonade selbst. Da sie aber nicht neben, sondern hinter dieser entsteht, würde man darin ein ähnliches Verhalten wie bei den meisten Nematoden erblicken, wo die paarigen weiblichen Sehläuche nieht neben, sondern hinter einander gelagert sind. Dass der Ausführgang der Gonade keinem Nephridium ent- sprieht und in den Enddarm mündet, dürfte auch kein Beweis für Rückbildung sein. Treffen wir doch ähnliche Verhältnisse bei Ne- matoden, Rotatorien ete. Eben so steht es mit dem Fehlen von Tracheen. Wären die Tardigraden rückgebildete Tracheaten, so müsste man erwarten, etwas von solehen wenigstens in der Anlage zu sehen, was auch nicht der Fall ist. v. KENNEL beruft sich endlich auf einen Aus- spruch yon Ray LANkESTER, dass man bei sehr kleinen, aber relativ komplieirt gebauten Thieren zunächst an Degeneration und Reduktion aus höheren Thieren denken müsse. Ich glaube nun, dass im Allge- meinen gar zu viel mit Degeneration und Reduktion umgegangen wird. Zulässig ist dies nur, wenn die Entwicklungsgeschichte oder ver- 508 R. v. Erlanger gleichende Anatomie wirklich dafür Handhaben bietet, was hier nicht zutrifft. Wären die Tardigraden Parasiten, so hätte man einen guten Grund zu dieser Annahme, aber sie leben meistens unter denselben Verhältnissen wie die Rotatorien und viele kleine Krebse. Gerade die Rotatorien sind auch relativ sehr klein und nicht weniger kom- plieirt gebaut wie die Tardigraden, auf welche dieses Kenner’sche Epitheton mir nicht recht sonderlich zu passen scheint, und trotzdem werden sie von den meisten als sehr primitive, der wichtigen Tro- chophora nahestehende Formen betrachtet. Meines Erachtens ver- halten sich die Tardigraden zu den Arthropoden gerade so, wie die Rotatorien zu den Anneliden und Mollusken. Natürlich kann man Niemandem die Annahme verwehren, dass die Entwieklung der Tardigraden sekundär starke Modifikationen erlitten habe. Jedenfalls scheint mir das, was ich darüber mitgetheilt habe, ganz im entgegengesetzten Sinne zu sprechen. Ich muss daher PLATE zustimmen, wenn er die Bärenthierchen für sehr primitive Arthropoden hält, jedoch kann ich ihm nicht folgen, wenn er dieselben als die niedrigsten aller luftathmenden Arthropoden bezeichnet und sie an den Anfang der Tracheaten setzt. Puate’s (5) einziges Argument für die Tracheatennatur der Bärenthierchen ist das von ihm behauptete Vorhandensein MALPIGHI- scher Drüsen. Ich habe schon aus einander gesetzt, dass die Mittel- darmdrüsen wegen ihrer Entstehung derartigen Bildungen nicht ent- sprechen können. Sind aber die Tardigraden wirklich luftathmende Thiere? Vor allen Dingen ist es die hier untersuchte Form, Macrobiotus ma- cronyx, keineswegs, da dieselben immer im Wasser und sogar einer ziemlichen Tiefe leben, also dem Austrocknen niemals ausgesetzt ist. Ferner ist auch eine marine Form bekannt: Echiniscus Sigismundi Max Schultze, und werden wahrscheinlich mit der Zeit noch an- dere, im Meere lebende Tardigradenarten gefunden werden!. Auch halten sich die terrestren Formen durchweg an feuchten Orten, im Moos, in Dachrinnen ete. auf. Sie können erst dann wirklich leben, wenn sie sich in einem feuchten Medium befinden, ist ihr Aufenthaltsort ausgetrocknet, so trocknen sie auch selbst zu einem unscheinbaren Staubklümpehen zusammen. Wegen ihrer Kleinheit besitzen sie keine Athmungsorgane und entbehren ja auch ein Herz und Blutgefäße. ! Die von Dusarvın als Lydella beschriebene, ebenfalls marine Form, ist sehr ungenügend erforscht. Beiträge zur Morphologie der Tardigraden. I. 509 Ich bin nun der Ansicht, dass man auch desswegen nicht an Rück- bildung zu denken braucht, jedenfalls ist aber nicht der geringste Anhaltspunkt geboten, sie an die luftathmenden Arthropoden, die Tracheaten, anzuschließen. Nach alledem, was ich eben erwähnt habe, bin ich viel eher zu der Annahme geneigt, dass die Tardi- graden sich, wie fast alle anderen Thiere, aus marinen Formen ent- wickelt haben. Auch das Vorhandensein von mit Klauen bewaffneten Extremi- täten spricht keineswegs gegen diese Annahme. Gerade die marinen Anneliden besitzen Parapodien und viele marine und wasserlebende Krebse haben gut ausgebildete Krallen. Manche Archianneliden zeigen äußerlich eine frappante Ähnlichkeit mit der Gestalt unserer Tardigraden. Ganz einverstanden bin ich mit PLATE, wenn er unsere Gruppe an keine Abtheilung der Würmer und Arthropoden anschließen kann und dieselbe für isolirt dastehend hält, weil sie sich sehr früh vom Stammbaum der Arthropoden (nicht der Tracheaten’ abgespalten hat. Eben so halte ich dieselben auch für viel einfacher gebaut als die Onychophoren, wie PLATE ausführlicher motivirt. Ich bin daher geneigt, sie mit Bürscnti (1) an den Anfang der Arthropoden überhaupt zu setzen und in ihnen einen Übergang zu den Räderthieren, Nematoden und seinen Nematorhynchen zu er- blicken. Anhaltspunkte dafür bieten: der nematodenartige Schlund, die dorsale Einmündung der Gonade in den Enddarm, die Muskulatur- verhältnisse, das gespaltene vierte Rumpfsegment und die Zähne sammt dem Mundkegel, welcher an homologe, bei den Echinoderen existirende Bildungen erinnert. Der Mangel an jeglicher Flimmerung ist den Nematoden und den Arthropoden gemeinsam, eben so auch die wiederholten Häu- tungen, welche übrigens auch nach LeucKarr die Hirudineen durch- machen sollen. Für die Arthropodennatur spricht die Segmentirung, welche we- nigstens in der Entwicklung auch äußerlich sehr scharf ausgesprochen ist, und das Vorhandensein von vier Extremitiitenpaaren. Über die geringe Anzahl der Segmente habe ich mich schon ausgesprochen, möchte aber daran erinnern, dass viele Krebslarven ebenfalls eine sehr geringe Zahl von Metameren besitzen und ver- muthe, dass die Tardigraden vielleicht auf einem entsprechenden tiefen Stadium stehen geblieben sind. 510 R. v. Erlanger Während sich meine bisherigen theoretischen Erörterungen mehr auf vergleichend-anatomische Thatsachen stützten, will ich noch kurz einige vergleichende Bemerkungen zur Entwicklungsgeschichte der Tardigraden hinzufügen. Wie wir gesehen haben, ist der ganze Ent- wicklungsgang ein äußerst einfacher und primitiver, ohne dass wir desshalb an Rückbildungen zu denken hätten, da wir für eine solche Annahme keine Anbaltspunkte finden. Ein so einfacher Entwick- lungsgang ist auch nicht ohne Parallele bei den Arthropoden. BROOKS hat für einen Krebs, Lucifer, eine Invaginationsgastrula nach totaler und annähernd äqualer Furchung beschrieben, während die meisten Arthropoden sich durch eine meroblastische centrolecithale Furehung auszeichnen. Die weiteren Vorgänge lassen sich mit dem, was man von der Embryologie der Arthropoden weiß, unschwer in Einklang bringen, wenn man bedenkt, dass die Arthropodeneier meist schwer mit Dotter beladen sind, während die Tardigradeneier eine höchst seringe Dottermenge besitzen. An die Nematodenentwicklung erinnert die ventrale Einkrüm- mung des Embryo und die Entstehung des gesammten Darmes, ab- gesehen von einem sehr kurzen ektodermalen Stomodäum aus dem Entoderm. Das frühe Auftreten des letzten nach hinten ver- schobenen Beinpaares, welche eine Gabelung des Hinterendes ver- anlasst, ist ebenfalls ein Charakter, welchen die Bärenthiere mit den Archianneliden, den Räderthieren, Nematoden und Nematorhyn- chen gemein haben. In dem Auftreten typischer paariger Cölomsäckchen erblicken wir auch ein sehr primitives Verhalten. Natürlich muss die Bildung der Bauchganglienkette mit dem Auftreten einer wirklichen Meta- merie in Verbindung gebracht werden, ein Charakter, durch wel- chen die Bärenthierchen sich von den anderen hier aufgezählten Gruppen wesentlich unterscheiden und der sie mit den Arthropoden in innigere Berührung bringt. Nachdem den Tardigraden von den verschiedensten Forschern die verschiedensten Plätze im System zugewiesen worden sind, möchte ich zum Schluss der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass dasjenige, was ich von ihrer Entwicklungsgeschichte mitgetheilt habe, genügen wird, um ihnen einen etwas dauerhafteren Platz am Grunde des Arthropodenstammes zu verleihen. Damit soll keineswegs behauptet werden, dass sie etwa die Stammform der Arthropoden repräsentiren, eben so wenig wie die Onychophoren es für die Tracheaten sein dürften. Unsere Bärenthierchen haben sich eben frühzeitig ganz am Beiträge zur Morphologie der Tardigraden. 1. 511 Grunde des Stammes der Arthropoden abgezweigt und in mancher Beziehung einseitig entwickelt, dabei aber viele primitive Charaktere beibehalten, welehe sie in mancher Hinsicht als Übergangsformen zu anderen Phylen bezeichnen lassen dürften. Heidelberg, den 7. November 1894. Litteraturverzeichnis. 1) ©. BürscHLı, Untersuchungen über freilebende Nematoden und die Gattung Chaetonotus. Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie. Bd. XXVI. 1876. 2) Greer, Über das Nervensystem der Bärenthierchen. in: Archiv für mikro- skopische Anatomie. Bd. I. 1865. pag. 161. —— Untersuchungen über den Bau und die Naturgeschichte der Biirenthierchen. I. Die Macrobioten. Dieselbe Zeitschrift. Bd. II. 1866. pag. 102. 3) J. KAUFMANN, Über die Entwicklung und systematische Stellung der Tar- digraden. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Bd. IH. 1851. 4) v. Kenner, Die Verwandtschaftsbeziehungen und die Abstammung der Tar- digraden. Separat-Abzug aus den Sitzungsberichten der Dorpater Naturforschergesellschaft. Jahrgang 1891. 5) L. PLATE, Beiträge zur Naturgeschichte der Tardigraden. Zoologische Jahr- bücher. Abtheilung für Anatomie und Ontogenie. Bd. III. 1888. Erklärung der in den Tafeln und Textfiguren gebrauchten Abkürzungen. a After, k Kopfsegment, au Auge, ke Kopfeölom, aua Augenanlage, bl Blastoporus, e Cerebralganglion, d unpaare Anhangsdriise des Ge- schlechtsapparates, e Extremität, e!, e?, e?, et erste, zweite, dritte, vierte Extremität, ect Ektoderm, ent Entoderm, ext Extremitiitendriise, JF Furchungshöhle, g Ganglion des Bauchmarkes, g', 9?, 9°, g4 erstes, zweites, drittes, viertes Gan- glion des Bauchmarkes, go Gonade, Enddarm, m Mund, ma Magen, md Mitteldarmdrise, mp Mundplatte, mr Mundrohr, mz Mundzapfen, n Nervenleiste, oe Osophagus, op Ganglion opticum, s Saugmagen, sp Schwanzplatte, spd Speicheldriise, ud Urdarm, ug unteres Schlundganglion, vd Vorderdarm, x Zahnanlage. R. v. Erlanger Erklärung der Abbildungen. (Stadium A). (Stadium 2). (Stadium €). (Stadium D). Tafel XX. Frontale Ansicht einer Blastula, dorsale Ansicht. Frontale Ansicht einer Gastrula, dorsale Ansicht. Frontale Ansicht einer älteren Gastrula, ventrale Ansicht. Frontale Ansicht eines Embryo, bei welchem der Darm eine mediane Einschnürung zeigt, dorsale Ansicht. 5 (Stadium 2). Frontale Ansicht eines Embryo mit beginnender ventraler Einschnürung, Ansicht von der Bauchfläche. 6 (Stadium F). derste und gelegt ist. (Stadium D). | Frontale Ansicht eines Embryo, bei welchem das vor- hinterste (erstes und viertes) Paar von Cölomsäcken an- Ansicht von der Bauchfläche. Optischer Querschnitt durch die Mitte der Längsachse von Stadium D vom Kopfende aus. 8 (Stadium 2). 9 (Stadium C). Stadium @). . 14 (Stadium #7). ( (Stadium D). g. 11 (Stadium #). (Stadium 7). ( Gastrula in seitlicher Ansicht, von der rechten Seite. Seitliche Ansicht des Stadiums C, von der linken Seite. Seitliche Ansicht des Stadiums D, von der rechten Seite. Seitliche Ansicht des Stadiums EZ, von der rechten Seite. Seitliche Ansicht des Stadiums F, von der linken Seite. Seitliche Ansicht des Stadiums G, von der rechten Seite. Tafel XXI. Frontale Ansicht eines Embryo, bei welchem die vier Cölompaare angelegt sind, dorsale Ansicht. jean 5 (Stadium 77) Halb quere, halb frontale Ansicht des Vorderendes des- selben Stadiums, zeigt die Differenzirung des ersten Paares von Cö- lomsäcken in Kopf und Extremitäten (erste), Cölom. . 16 (Stadium 7). sich anlegt, . 17 (Stadium J). Frontale Ansicht eines Embryo, bei welchem die Gonade ventrale Ansicht zur Demonstration der Schwanzplatte. Frontale und dorsale Ansicht desselben Stadiums, hier ist das Kopfeölom eingetragen, welches der Ubersichtlichkeit halber in der ventralen Ansicht weggelassen wurde. . 18 (Stadium X). . 19 (Stadium K). Frontale Ansicht (dorsal) vom Stadium X. Frontale Ansicht (ventral) vom Stadium XK zur Bildung der Mitteldarmdrüsen, das Kopfeölom ist in Fig. 18 und 19 weggelassen. ~ _ 20 (Stadium 7). Optischer Querschnitt durch die Grenze von Kopf- und erstem Rumpfsegment des Stadium 77. Man sieht den Zusammenhang zwischen Kopfeölom und dem Cölom der ersten Extremitätenanlage. . 21 (Stadium #7). Optischer Querschnitt durch das vierte Rumpfsegment. Die Cölomsäcke sind bereits vom Urdarm abgeschnürt. Morpholog. Jahrbuch. Bd.XM. Morpholog. | Autor ad nat. del. Taf. XM. Morpholog. Jahrbuch Bd.XX. , n With Engelmann, Jepzia Verlag vo tor ad nat dei inst y Werner Winter, Frankfurt 4 Beiträge zur Morphologie der Tardigraden. 513 Fig. 22 (Stadium H). Optischer Querschnitt durch das dritte Rumpfsegment. Die Cölomsäcke stehen noch im offenen Zusammenhang mit dem Urdarm. ig. 23 (Stadium #H). Seitliche Ansicht (von der rechten Seite) eines Embryo, bei welchem die vier Paar Cölomsäcke angelegt sind. Die äußere Segmentirung ist scharf ausgeprägt (Kopfeölom und Cölom der ersten zwei Rumpfsegmente weggelassen). Fig. 24 (Stadium JZ). Seitliche Ansicht (von der rechten Seite) eines Embryo, bei welchem sich die Gonade anlegt (Kopfeölom weggelassen). Fig. 25 (Stadium X). Seitliche Ansicht (von der rechten Seite) eines Embryo, bei welchem die Mitteldarmdrüsen sich bilden (Kopfeölom wegge- lassen). Fig. 26 (Stadium Z). Nahezu reifer Embryo von der rechten Seite. _ = © Alle Figuren sind mit der ApBe’schen Camera bei Immersion Apochromat 2 mm Kompensationsoc. 6 gezeichnet. Die Farben sind schematisch. Ektoderm gelb, Mesoderm und Ausstülpungen des Urdarmes blau, Entoderm roth und bloß der Ubersichtlichkeit halber so gewählt. Morpholog. Jahrbuch. 22, 34 Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. III. Zur Phylogenese der Chordascheiden und zur Geschichte der Umwandlungen der Chordastruktur. Von Dr. Hermann Klaatsch, Privatdocent und Assistent am anatomischen Institut zu Heidelberg. Mit Tafel XXII und XXIII. Bei der Fortführung meiner Untersuchungen über die Morpho- logie der Wirbelsäule ‘werde ich durch Gründe verschiedener Art bestimmt, mich den frühesten Phasen in der Geschichte des Achsen- skelettes zuzuwenden. Ein längerer Aufenthalt am Meere gab mir die Gelegenheit, mich neben der Beschäftigung mit zahlreichen anderen die Vorge- schichte der Chordaten betreffenden Fragen, iiber die Zustände der Chorda bei Tunicaten und Amphioxus zu orientiren. Namentlich die Untersuchung zahlreicher Entwicklungsstadien des letzteren modifi- cirte meine früheren Anschauungen über die morphologische Bedeu- tung der Chordascheide des Amphioxus, dessen Achsenskelet ich vorher nur an unvollkommenem Material erwachsener Thiere hatte untersuchen können. Von diesen niedersten Zuständen aus eine erneute Prüfung der Chordascheiden der Wirbelthiere vorzunehmen, wurde ich durch die neuen Untersuchungen von CLAus veranlasst, welcher in der Sitzung der Wiener Akademie vom 4. Mai v. J. »über die Herkunft der die Chordascheide der Haie begrenzenden äußeren Elastiea« be- richtet hat. Herr Prof. CLaus hatte die Freundlichkeit, mir schon Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. III. 515 vorher brieflich mitzutheilen, dass er bezüglich der Elastica zu einem von meinen Anschauungen abweichenden Resultat gelangt sei. Wäh- rend er in allen übrigen Punkten, namentlich hinsichtlich der Ein- wanderung der Knorpelzellen von den Bögen aus in die Chorda- scheide, sich meinen Ausführungen vollkommen anschließt, kann er meiner Vermuthung — denn nur um eine solche handelte es sich —, dass die Elastica vom perichordalen Gewebe stamme, nicht bei- stimmen, er findet vielmehr, dass sie direkt von den Chordazellen als primäre Abscheidung derselben entstehe, zu einer Zeit, wo noch _ kein Chordaepithel gebildet ist. Die beim Amphioxus allein vor- handene Hülle vergleicht er der Elastica und erklärt das frühe Selachierstadium für eine Wiederholung des Amphioxuszustandes. Wie ich Herrn Prof. CLaus sogleich erwiederte, hatte seine neue Auffassung für mich etwas sehr Bestechendes und alsbald konnte ich mich aus eigener Anschauung vollkommen von der Richtigkeit derselben überzeugen. Die Aufgabe der folgenden Zeilen wird es sein, diesen meinen Anschluss an die neue Anschauungsweise und das Verlassen meines alten Standpunktes ausführlich zu begründen und das Craus’sche Resultat in seiner ganz allgemeinen Gültigkeit für alle Wirbelthiere — hier zunächst für die Fische — darzuthun. Mit der einfachen Thatsache jedoch, dass die Chorda zwei physi- kalisch und chemisch verschiedene, nach einander von derselben Matrix aus gebildete Hüllen besitzt, konnte ich mich nicht begnügen. Hatte ich doch früher meine Gründe gehabt, mich skeptisch einer solehen Annahme gegenüber zu verhalten. Ich konnte mir eine solche plötzlich auftretende Modifikation des Chordaproduktes nicht erklären. Seitdem ich die Tunicaten {und den Amphioxus) näher kenne, sind diese Schwierigkeiten für mich geschwunden, da ich nun einen ganz neuen Einblick in die Geschichte der Chorda ge- wann, welcher mir die »Elastica« und das »Elasticastadium« der höheren Formen phylogenetisch verständlich machte. Was ich als den Urzustand der Fischwirbelsäule in meiner ersten Mittheilung hingestellt habe, zeigt bereits — wie ich schon damals hervorhob — ein relativ hoch entwickeltes festes und doch nachgiebiges Stiitzorgan. Dieser Zustand muss eben auch schon zahlreiche Vorstufen gehabt haben, und einige derselben will ich in diesem Aufsatz darlegen. Das neue Resultat möglichst allseitig zu begründen, war auch desshalb geboten, weil sich dasselbe in einer ganz neuen Richtung als äußerst werthvoll erwies. Von dem neuen Standpunkte aus 34* 516 Hermann Klaatsch gelang es mir ohne Mühe, den Anschluss der Amphibienwirbelsäule an diejenige der Fische zu finden und so endlich ein Problem zu lösen, an welchem bisher vergeblich von verschiedenen Seiten her gearbeitet worden war. Ich gelangte hierin zu Resultaten, welche von den Angaben Hasse’s über die Wirbelsäule der Urodelen abweichen. Die neuesten Publikationen desselben Autors über die Fisch- wirbelsäule bilden für mich einen weiteren Grund, die Chordaschei- den der Cyclostomen, Ganoiden, Teleostier und Selachier aufs Neue zu beleuchten. Von Thatsachen ausgehend, deren Richtigkeit als solehe ich durchaus bestätigen kann, ist HAsse zu Deutungen der Chordascheiden gelangt, welchen ich mich nicht anschließen kann. Den Cyelostomen, Ganoiden und Dipnoern spricht er neuerdings eine »Elastica« gänzlich ab. Sie sollen einen ganz anderen »Typus« der Wirbelsiulenentwicklung vertreten, als die Elasmobranchier und Uro- delen. Nur diese beiden besitzen eine HAsse’sche »Cuticula sceleti«. Was man bei den ersteren dreien dafür gehalten, soll die »Cuticula chordae« sein und die darunterliegende, von mir und Anderen als Chordascheide beschriebene Bildung soll eine diesen dreien im Unter- schied von Elasmobranchiern und Urodelen zukommende eigenartige Neubildung, eine »Faserschicht« sein. Eine sogenannte Hasse’sche »Intercuticularschicht« soll bei den Elasmobranchiern und Urodelen durch eine »Cuticula sceletic, bei den Dipnoern aber durch eine »Cutieula chordae« hindurchwuchern. Wenn diese neuen Angaben Hasse’s richtig sind, so ist jeg- licher einheitlichen Auffassung der Chordascheiden bei Fischen der Boden entzogen. Alle meine Versuche, die Verschiedenheiten bei Fischen aufzuklären, das Gemeinsame zu begründen, sind dann ver- fehlt. Von Neuem breitet sich tiefes Dunkel über ein viel durch- arbeitetes Gebiet aus, wo eben Alles aufs schönste sich neuen, ein- heitlichen Gesichtspunkten unterzuordnen schien. Dass hierin für mich Grund genug liegt, wenigstens den Versuch zu machen, das bisher Gewonnene vor Hasse’s Angriffen zu retten, ergiebt sich von selbst. Ich würde dies auch dann gethan haben, wenn HASSE we- niger aggressiv gegen mich sich verhalten hätte. Da es ihm jedoch »wünschenswerth erscheint, gegen KLAatscu Öffentlich vorzugehen, um zu verhindern, dass seine Ansichten mehr Verbreitung finden als sie verdienen«, so ist dadurch für mich noch ein weiterer Grund gegeben, dasjenige auszusprechen, was ich gegen Hasse’s Auffas- sungen einzuwenden habe. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. III. 517 T. Tunicaten. Seitdem KowALEvskY die Homologie der Tunicatenchorda mit derjenigen der Wirbelthiere! gezeigt hat, ist die erstere häufig unter- sucht worden und fast jede Tunicatenarbeit enthält Notizen oder auch ausführliche Angaben über dieselbe. Die ersten Stadien der Chorda, sowie ihre Bedeutung für die Keimblätterlehre bleiben natur- gemäß hier ganz außerhalb der Betrachtung, da es mir hier nur darauf ankommt, einige für die Vergleichung der Chorda mit der- jenigen höherer Formen wichtige Punkte hervorzuheben. Es liegt daher auch gar nicht in meinem Plan, eine umfassende Darstellung der Chorda bei Tunicaten zu geben, und die hier in Betracht kom- menden überaus zahlreichen Litteraturangaben zu berücksichtigen. Es mag genügen, auf die Arbeiten von KOWALEVSKY, KUPFFER, FOL, 1 Über diesen Punkt dürfte jetzt wohl kein Zwiespalt mehr bestehen. Der letzte Versuch, die Homologie der Chorda anzuzweifeln, ist, so viel ich weiß, derjenige von. DELLA VALLE, auf welchen ich mit einigen Worten eingehen will, da dieser Autor eine sehr ausführliche Bearbeitung des Gegenstandes {zu- gleich eine gute Litteraturübersicht) gegeben hat. DELLA VALLE gelangte zu dem Resultat, dass »il eilindro assile della coda nelle larve di Ascidie (per le meno della Distaplia) e quello della coda delle Appendicularie non & fatto di sostanza solida, ma in vece & simplice- mente un canale vuoto, la cui parete interna, €, come nei canali laterali del postaddome degli Aplidii, continuazione del sacco peritoneale. Questo pro- lungamento tubulare & circondato da un eguale prolungamento dell’ ectoderma, oltroché del mantello di cellulosa. I validi fascie muscolari che si sviluppano fra queste due membrane trasformano tale tubo in un valido organo di nuoto«. Diese eigenthiimliche Auffassung, wonach die Chorda jenen entodermalen Kanälen entspräche, welche im Postabdomen der zusammengesetzten Ascidien sich finden und bei der Knospung die wichtigste Rolle spielen, entbehrt jeder Begriindung. Von einem Zusammenhang des Chordalumens mit dem Kiemen- sack, wie ihn DELLA VALLE auf seiner Taf. III Fig. 24 von Distaplia abbildet, habe ich niemals etwas gesehen, eben so wenig wie SALENSKY, der in seiner zweiten im Morpholog. Jahrbuch erschienenen Tunicatenarbeit das blind geschlossene vordere Ende der Chorda von Distaplia mehrfach zeichnet (man vergleiche seine Fig. 7,18, 18a u.a.). Abgesehen ferner davon, dass die Ent- wicklung beider Gebilde eine total verschiedene ist und die Ähnlichkeit der- selben als eine rein äußerliche darthut, kann man zum Überfluss die Verschie- denheit derselben leicht an den einfachen Ascidien zeigen. Ascidia mammillata und mentula besitzen ja ein Homologon jener Postabdomenkanäle der zusam- mengesetzten Ascidien in den sogenannten Mantelgefäßen. Dieselben beginnen sich erst dann auszubilden, wenn die Metamorphose begonnen und die Chorda einer Rückbildung verfallen ist. 518 Hermann Klaatsch DELLA VALLE, VAN BENEDEN, SALENSKY, SEELIGER, DAVIDOFF, LA- HILLE, GIARD u. A. hinzuweisen. Ich selbst habe die betreffenden Verhältnisse an zahlreichen Formen (Larven der einfachen Ascidien, ferner Clavellina, zusammengesetzte Ascidien, Fragarium, Distaplia u. a., von Appendicularien Oikopleura und Fritillaria) sowohl im lebenden als im konservirten Zustande untersucht!. Die Entwicklung der Chorda habe ich bei Ascidia mammillata und mentula, sowie theilweise bei Ciona verfolgt. Gehen wir von dem Stadium aus, wo die Schwanzanlage sich deutlich vom übrigen Körper absetzt, so finden wir die Chorda als einen Strang, welcher auf dem Querschnitt von mehreren Zellen gebildet wird, ein Zustand, der für die Vergleichung mit höheren Formen wichtig ist. Weicht er doch bei Ascidien einem anderen, wo die Chorda aus einer einfachen Zellenreihe zusammengesetzt ist. Jener frühe Zustand, wo die Chordazellen sich mit breiter Basis von der Peripherie der Chorda abheben und mit spitzen Enden ven- tralwärts zwischen einander einschieben (Taf. XXIII Fig. 1), ist wichtig für den Anschluss des Amphioxus an die Tunicaten. Die letzteren bieten jetzt noch ganz den Befund dar, welcher für junge Amphi- oxusembryonen von HATscHER erkannt wurde. Während aber bei Amphioxus dieser Zustand erhalten bleibt, geht bei den Aseidien die Verschiebung der einzelnen Zellen so weit, dass sie schließlich in eine einfache Reihe zu liegen kommen. Einen solehen Zustand hatte KOowALEVSKY in seiner ersten Mittheilung fälschlich als den von vorn herein gegebenen angenommen. In seiner zweiten Arbeit korrigirte er dies und gab eine ganz zutreffende Schilderung, mit welcher auch Kuprrer’s Angaben harmoniren. KOwALEysky lässt die beiden Zellreihen neben einander liegen, Kuprrer bildet sie auf Profilbildern über einander gelagert ab. Auch auf dem von mir ge- gebenen Sagittalschnitt (Taf. XXIII Fig. 1), welcher wenigstens eine Strecke weit ziemlich genau die Mitte der Schwanzanlage getroffen hat, sieht man die Zellen von der dorsalen und ventralen Seite her sich zwischen einander einschieben. Es dürfte sich hier eben so wenig wie bei Amphioxus zunächst eine ganz regelmäßige Lagerung der Zellen finden, wie ja auch die einzelnen Zellen keineswegs in Größe und Form einander gleichen. Die Hauptsache ist, dass erst 1 Mit Tunicaten beschäftigte ich mich während eines viermonatlichen Aufenthalts auf der Zoolog. Station in Neapel. Der Direktion und den Ange- stellten der Station spreche ich hiermit für ihr freundliches Entgegenkommen meinen Dank aus. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. III. 519 aus der Doppelreihe die einfache »Zellensäule«, wie wir wohl sagen dürfen, sich hervorbildet. Dieser Vorgang ist wichtig für die Längenzunahme der Chorda und des Schwanzes überhaupt. Letztere erfolgt kurz vor dem Ausschlüpfen der Embryonen sehr rasch; es ist daher begreiflich, dass neben der Zelltheilung hier die Zellverschiebung eine Rolle spielt. Wie ich an lebenden Embryonen von Ascidia mammillata sah, kommt an beiden Enden der Chorda die einfache Zellreihe am frühesten zu Stande, während der mittlere Theil noch die Einkeilung der Zellen zeigt. Dazu kommt nun auch noch eine Formveränderung der Zellen. Wie KOWALEVSKY ganz richtig zeichnet, haben dieselben zuerst eine eylindrische Form. Die Überführung derselben in eine kubische, wobei der zur Chordaachse senkrechte Durchmesser sich verkleinert, führt zu einer bedeutenden Verschmälerung und zugleich Verlängerung des ganzen Gebildes. Mit dem Stadium der einfachen Zellensäule ist eine gewisse Ruhe- pause erreicht. Bei manchen Ascidien (z. B. Clavellina) bleibt dieser Zustand bis zur Metamorphose erhalten, in den meisten Fällen jedoch tritt an seine Stelle das Stadium der vacuolisirten Chorda, wobei diese einen hohlen mit Flüssigkeit gefüllten Schlauch darstellt, dessen Wandung von den Chordazellen wie von einem Epithel ausgekleidet wird. Die Frage nach der Entstehung dieser Achsensubstanz hat die Autoren mehrfach beschäftigt. KowaALEvsky ließ dieselbe intercellulär entstehen und die Zellen allmählich verdrängen. KuUPFFER hingegen ist mehr geneigt, eine Bildung der Chordavacuolen in den Zellen selbst anzunehmen, eine Anschauungsweise, welche ich nach meinen Wahrnehmungen für die richtige halte. Auf Längsschnitten des Larvenschwanzes sieht man größere und kleinere Vacuolen im Protoplasma der Zellen neben dem Kern auf- treten und diese verschmelzen allmählich mit einander, indem der Rest des Protoplasmas mit den Kernen sich an die Wand zurück- zieht. Dieser Process bietet somit eine vollkommene Parallele zur Vacuolisirung der Wirbelthierchorda dar. Während jedoch in der letzteren die einzelnen Chordazellen an ihrer ganzen Peripherie eine Verdichtung ihres Protoplasmas zu einer membranartigen Bildung aufweisen, ist dies bei den Ascidien nur an der Peripherie der Chorda selbst der Fall. Hier liefern sie eine zuerst sehr zarte Cuticular- bildung, welche allen Zellen gemeinsam zur Anlagerung dient und die Erhaltung der Chorda in ihrer Form sichert. So entsteht hier die erste dünne Umhüllung der Chorda, eine ganz primitive 520 Hermann Klaatsch 4 Chordascheide. Die physiologische Bedeutung dieser Bildung darf trotz ihrer Zartheit nicht unterschätzt werden. Nur mit ihrer Hilfe wird die Aufgabe, einen festen und doch nachgiebigen Achsen- stab zu liefern, hier zum ersten Male in der Chordatenreihe gelöst!. Wenn wir uns die mechanischen Bedingungen dieser Ascidienchorda vergegenwärtigen wollen, so müssen wir die außerordentliche Klein- heit und Zartheit ihrer Träger im Auge behalten. Angesichts dieser wird auch bereits eine ganz geringe Menge fester Substanz einen wichtigen Theil des betreffenden Organs darstellen müssen. So sichert die dünne Scheide den Zusammenhalt der Theile und dient als Widerlager für den zarten Inhalt, welchen die Chordasubstanz repräsentirt und welche durch die Muskelaktion des Schwanzes nach verschiedenen Richtungen verschoben werden kann. Auch für die Muskulatur selbst spielt die dünne Chordascheide die Rolle einer Unterlage, auf welcher dieselbe ihre Aktionen ausführt. Zur Festig- keit des Ganzen werden selbst die Chordazellen, wie reducirt sie auch sein mögen, Einiges beitragen. Dass nun in der That auch diese so überaus zarten Zellplatten unter bestimmten mechanischen Einflüssen stehen, ergiebt sich aus der Gesetzmäßigkeit, mit welcher sich dieselben innerhalb des Chordarohres anordnen. Wenn nämlich die Vacuolisirung der Chorda einen gewissen Grad erreicht hat, ziehen sich diese Zellen in ganz gesetzmäßiger Weise nach der Pe- ripherie zurück, sich hier so anordnend, dass auf dem Sagittalschnitt, oder auch auf dem Profilbild gesehen, dieselben mit einander alter- niren. Dies tritt an den meisten Ascidienlarven, wo die Elemente auBerordentlich niedrig werden, nicht sehr deutlich hervor; es ge- lang mir jedoch, ein Objekt zu finden, welches in dieser Hinsicht sehr giinstige Bedingungen darbietet. Larven von Fragarium areolatum (Taf. XXIII Fig. 2), welche ich aus den Thieren einer Kolonie entfernte — sie entwickeln sich, wie SALENSKY gefunden hat, im Inneren des miitterlichen Organis- mus mit Hilfe einer Art von »Placentarbildung« —, zeigen in zahl- reichen Zellen einen intensiv gelbroth gefärbten Farbstoff, welcher in kleinen Kügelehen das Protoplasma erfüllt. Solche zeichnen auch die Elemente in der Chorda aus und lassen dieselben schon bei ! In seiner zusammenfassenden Bearbeitung des Amphioxus und der Asci- dien erwähnt WırLey auch die Bildung der Chordavacuolen, die er mit Ko- WALEVSKY intercellulär entstehen lässt. Für die späteren Stadien ist diese intercelluläre Entfaltung ja vorhanden, aber die ersten Anfänge spielen sich nach meinen Beobachtungen intracellulär, unweit des Kernes ab. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. III. 521 schwacher Vergrößerung sehr deutlich hervortreten. Da sieht man nun ohne Weiteres, dass die Zellen in etwa sichel- oder halbmond- förmiger Gestalt die Peripherie der Chorda in der Weise einnehmen, dass sie immer mit einander alterniren; die Zipfel des einen ragen genau gegen die Mitte des Zwischenraumes zweier gegenüberliegen- der Zellen vor. Ein Blick auf Fig. 2 Taf. XXIII wird dies veran- schaulichen. Es ist von großem Interesse zu sehen, wie schon in diesen niederen Zuständen der Chorda keine Willkür herrscht, wie viel- mehr schon hier bis in die feinsten Theile hinein Alles nach ganz bestimmten mechanischen Prineipien aufgebaut ist. Denn offenbar haben wir hier die denkbar günstigste Art der Anordnung der Zellen vor uns, die bei allen Verschiebungen der nachgiebigen Achse keine Alteration ihrer Lage erleiden sollen. Wir begegnen hier schon einer ähnlichen Gesetzmäßigkeit, wie sie in unendlich viel höheren Zuständen die Form der festen Theile am Achsenskelet beherrscht, welche die Chorda an gewissen Theilen persistiren lässt, welche bikonkave Wirbelkörper hervorgehen lässt und so fort. Schon bei den Aseidien können wir von einer regelmäßigen Aufeinanderfolge, von einer Art Metamerie der Theile des Achsenskelettes sprechen, aber diese stellen keine Wirbelkörper oder Ähnliches dar, es sind lediglich die Elemente der Chorda selbst, um die es sich hier handelt. Dass die Nachgiebigkeit der Chorda im Ganzen nicht nur auf Rechnung der Achsensubstanz zu setzen ist, sondern dass auch die zarte Hülle derselben (Fig. 2 Taf. XXIII 2) einen hohen Grad von Elastieität besitzen muss, liegt auf der Hand. Ist sie es doch, welche zunächst mit der Muskulatur in Beziehung steht und wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir annehmen, dass nach jeder Muskelaktion durch die Elastieität der Chorda eine Rückkehr der Cauda in den vorher bestehenden Zustand gegeben ist. Nur so können wir uns die unge- heuer schnelle und lebhafte Bewegung dieser kleinen Lebewesen erklären. Bei der Zartheit des Gebildes hat der direkte chemisch- physikalische Nachweis der Elastieität der Chordascheide etwas Missliches, doch bietet uns der Entwicklungsgang der Ascidien selbst Hinweise auf dieselbe. Bei der Metamorphose offenbart sich die Elastieität der Chordascheide dadurch, dass die Stücke, in welche die Chorda zerfällt, in eigenthümlicher Weise zusammenschnurren. Viel deutlicher liegen nun gerade bezüglich der Chordaseheide die Verhältnisse bei den Appendicularien. Den ausgezeichneten Untersuchungen For’s über diese Gruppe 522 Hermann Klaatsch kann ich bezüglich der Chorda nichts Neues hinzufügen. Wir finden hier die Wandung des hohlen Chordastranges von einer viel dicke- ren Membran als bei den Ascidien gebildet. Dass wir diese Chordascheide hier als eine Elastica aufzufassen haben, ergiebt sich aus der Funktion der Cauda, welche Fou mit Recht darin er- blickt, »de redresser la queue par son elastieit& aprés chaque contrac- tion musculaire«. Dass an diesen elastischen Fähigkeiten die Chorda- scheide einen sehr wichtigen Antheil besitzt, können wir aus ihrem optischen und chemischen Verhalten schließen. Durch ihr starkes Lichtbreehungsvermögen am lebenden Objekt erinnert sie an die elastischen Membranen der höheren Chordaten, und wie diese er- weist sie sich gegen Essigsäure äußerst resistent, wie ich beim Zu- satz derselben zu lebenden Oikopleuren konstatiren konnte. Die Chordazellen liegen wie bei den Ascidienlarven ganz wand- ständig. Sie scheinen nicht ganz so regelmäßig wie bei letzteren angeordnet zu sein. Es hängt dies z. Th. damit zusammen, dass sie, wie ich in Übereinstimmung mit Fou bei Oikopleura eophocerca finde (vgl. dessen Taf. I Fig. 6), in relativ größerer Zahl als bei Aseidien vorhanden sind. For bildet manche Besonderheiten dieser Zellen ab, die mir nicht aus eigener Anschauung bekannt wurden. So ist die auf Taf. IX Fig. 2 und 4 von Fritillaria urticans abge- bildete Form der Zellen bemerkenswerth, wo sie als Elemente mit langen verzweigten Fortsätzen erscheinen. Für die Mechanik der Tunicatencauda sind noch manche andere Punkte von Bedeutung. Bei Ascidienlarven kann der Mantel eigen- thümliche Modifikationen im Bereich der Cauda eingehen. Bei Di- staplia bildet er platte flügelartige Ausbreitungen des Schwanzes, wie schon DELLA VALLE beschrieb; in diesen zeigt sich, wie ich aus eigener Anschauung bestätigen kann, eine schräge Streifung, welche die Ähnlichkeit mit flossenartigen Bildungen noch vergrößert. Bei Appendicularien finden sich bisweilen in der ektodermalen Hülle eigenartig differenzirte Elemente — Fou hält sie für einzellige Drüsen —, welche durch ihre regelmäßige Anordnung und relativ bedeutende Größe (vgl. For, Taf. VI Fig. 1 und 3) eine mechanische Rolle (etwa für die Erhaltung des Gleichgewichtes) spielen dürften. Im Ganzen betrachtet, bietet uns der Schwanzanhang der Tuni- caten keine so überaus einfachen mechanischen Verhältnisse dar, als bei seiner Kleinheit vielleicht erwartet würde. Die uns hier speciell interessirende Chorda schlägt von einer mit höheren Chordaten ge- meinsamen Basis eine eigenartige Entwicklungsrichtung ein. Bei a ne a u un ne Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. III. 523 ihrer Funktion kommt neben der Festigkeit die Elasticitit in her- vorragender Weise zur Geltung. Der zähflüssige, von den Zel- len gelieferte Inhalt wird von einer primitiven, ebenfalls von den abgeplatteten und wandständig gelagerten Ele- menten gebildeten Chordascheide — einer Elastica — um- schlossen. II. Amphioxus. Wie in der Einleitung betont, haben sich meine Anschauungen über die Amphioxuschorda bezüglich der »Chordascheide« auf Grund neuerer Untersuchungen modifieirt. Ich war früher, unabhängig von Lworr, dessen Arbeit mir entgangen war, zu einem ganz ähnlichen Resultat wie dieser Autor gelangt. Die von koncentrischen Fasern gebildete, ziemlich dicke Umhüllung der Chorda hatte ich der Chorda- scheide der höheren Wirbelthiere gleichgesetzt. Ganz ähnlich sagt Lworr: »Die Chorda des Amphioxus hat also die nämliche fibrilläre bindegewebige Scheide, wie die Chorda der übrigen Wirbelthiere.« Der oben erwähnte glückliche Gedanke von Cuaus über die Chordascheide des Amphioxus erfuhr durch meine neuen Unter- suchungen eine vollkommene Bestätigung. Anderweitige morphologische Beurtheilungen der Amphioxus- Chordascheide sind mir nicht bekannt geworden, HATSCHEK und KOWALEVSKY tragen zu dieser Frage nichts bei. Hingegen sind ihre Untersuchungen, eben so wie die von Lworr, werthvoll für die histiologische Beurtheilung der Chorda — ein Punkt, der bei unserer Betrachtung nicht übergangen werden kann'. Wie bei den Tunicaten, nehme ich die Besprechung der Chorda erst mit dem Stadium auf, wo das Organ als rundlicher Strang voll- ständig vom Entoderm gesondert ist. Die früheren Zustände sollen anderen Orts erörtert werden. Querschnittserien vom Stadium der zehn Ursegmente boten mir im Ganzen Bilder dar, welche mit den von HATscHEkX auf Taf. IX Fig. 120—128 gegebenen übereinstimmen. In diesem Stadium bietet sich die Anknüpfung an die Ascidienverhiiltnisse dar. Wie bei letz- 1 Erst nach Abschluss dieser Arbeit kam mir das neue Werk WILLEY’s über Amphioxus in die Hände. Er referirt bezüglich der Chorda nur die An- gaben von HATSCHEK und Lworr. Die Auffassungen WıLrey’s über die Be- ziehungen des Amphioxus zu Wirbellosen werden mich an anderer Stelle: be- schäftigen. Sie stimmen z. Th. in ausgezeichneter Weise mit den Vorstellungen, die ich mir unabhängig von ihm gebildet habe. 524 Hermann Klaatsch teren, so auch beim Amphioxus schieben sich auf dem Querschnitt mehrere Zellen keilförmig zwischen einander ein. Gewöhnlich sind vier bis fünf derselben gleichzeitig auf dem Querschnitt sichtbar. HATSCHER hat die Lagerung dieser Elemente treffend geschildert, indem er eine dorsale und ventrale einzellige, sowie eine mittlere mehrzellige Lage unterscheidet. Dies zeigt sich auch auf dem von mir abgebildeten Querschnitt Fig. 1 Taf. XXII. Die Chorda (Ch) ist zwar vollständig vom Darm (D) gesondert, drängt sich aber noch stark gegen das Lumen des letzteren vor. Das Nervensystem (R) zeigt, wo es der Chorda anlagert, eine leichte Einziehung. (Der Schnitt geht durch eines der vorderen Ursegmente, dessen Mitte links getroffen ist, während rechts — vermöge der Asymmetrie — die Nähe einer Segmentgrenze sich anzeigt.) In einem Punkte muss ich nun von HATSCHEK abweichen, und zwar bezüglich der Chordascheide. KOwALEVSKY hatte von einer solchen gesprochen, aber HATSCHEK will nichts davon wissen; er sagt, eine solche sei nicht vorhanden, »vielleicht war es die dorsale und ventrale Zellreihe der Chorda, die KOwALEVSKY zu diesem Irr- thum führte«. Ich will diese Deutung HaArtscHer’s nicht bestreiten und ich weiß nicht, ob KowALEvskY das Richtige gemeint hat, aber thatsächlich hat er mit seiner Behauptung Recht. Ich finde schon in diesem frühen Stadium die Chorda von einer deutlichen Membran (E) umgeben, welche durch ihr starkes Lichtbrechungsvermégen sich als eine zwar dünne, aber doch sehr deutliche elastische Membran dokumentirt. Sie scheint mir von zahlreichen feinen Poren durch- setzt zu sein, doch will ich dies nicht als ganz sicher hinstellen. Wesentlich ist nur, dass sehr frühzeitig die Amphioxus- chorda eine primitive Scheide erhält, die von den Chorda- zellen selbst gebildet wird und als eine Elastica aufge- fasst werden muss. Wollte Jemand in diesem Stadium die Sache noch nicht als ganz sicher gelten lassen, so bedürfte es nur der Betrachtung ein wenig älterer Zustände, um jeden Zweifel zu be- seitigen. In der That lässt sich über das weitere Schicksal dieser Chordascheide nichts weiter sagen, als dass sie allmählich an Dicke zunimmt, ohne ihr optisches Verhalten zu ändern, und dass sie über- geht in jenen Theil der Chordascheide, welchen Lworr und ich früher für das Homologon der Chordascheide der höheren Thiere gehalten haben. Wie sich nunmehr die Beziehung zu letzteren stellt, werde ich unten zeigen. Vergleichen wir aber den vor- liegenden Zustand mit dem oben geschilderten der Tunicaten, so Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. II. 525 ist offenbar, dass wir in der Amphioxus-Chordascheide dieselbe Bildung vor uns haben, wie in der Elastica der Ascidien und der Appendicularien. Namentlich in frühen Stadien des Amphioxus ist diese Übereinstimmung deutlich. Später erreicht die betreffende Bildung bei Amphioxus eine Dicke, wie sie bei den Tunieaten nie- mals sich findet. Auf Fig. 2 Taf. XXII habe ich den Querschnitt einer Amphioxuschorda vom 5 mm langen Thier abgebildet, um das frühere Stadium zu verknüpfen mit dem erwachsenen Zustande, den ich in meiner ersten Mittheilung (Fig. 1) gegeben hatte. Auf letztere Abbildung kann ich auch heute noch bezüglich des Thatsächlichen verweisen. Namentlich habe ich mich auch neuer- dings wieder von der starken koncentrischen Streifung der Chorda- scheide überzeugen können, welche auf einem fibrillären Zerfall be- ruht. Der einzige Unterschied der neuerdings von besser konservirtem Material herrührenden Bilder gegen jene früheren ist, dass sich die Chordascheide viel stärker durch ihr Lichtbrechungsvermögen von den cuticularen Bogenbildungen abhebt, als ich das früher konstatiren konnte!. Dass auch in dem fertigen Zustande die ganze Scheide als eine Elastica bezeichnet werden muss, scheint mir aus ihrer Wider- standsfähigkeit gegen Säuren und Alkalien hervorzugehen, und ich kann daher den Ausdruck »bindegewebig« nicht als gerechtfertigt an- erkennen. Zweifellos liegt aber in dem fibrillären Zerfall etwas Neues aus- geprägt, eine Modifikation der Chordascheide, die trotz aller An- knüpfung an die Tunicatenzustände hier doch schon als eine auf höhere Stufe gehobene Bildung sich uns entgegenstellt. Dies spricht sich auch in der Struktur der Chorda selbst aus. Die Übereinstimmung derselben mit derjenigen bei Tunicaten er- streckt sich nur auf die frühesten Stadien. Während alsdann bei den letzteren die Vacuolisirung der Elemente zur Bildung eines Hohl- raums in der Chorda führt, schlägt Amphioxus eine Entwicklungs- richtung ein, welehe ihn den höheren Chordaten nähert. Bis vor Kurzem galt die Amphioxuschorda als in ihrem Bau sehr von der der höheren Formen verschieden. Lworr’s Verdienst ist es, die hier bestehende Schranke durchbrochen und gezeigt zu haben, dass die früher als eine Art Element betrachteten Chorda- 1 An meinen neuen Objekten sehe ich auch die feinfaserige Struktur der Bogenbildungen viel schöner, als an dem älteren Material. Auch die in neterer Zeit mehrfach besprochenen Fäden zwischen Chorda und Nervensystem kenne ich wohl, werde aber bei anderer Gelegenheit auf diese Dinge eingehen. 526 Hermann Klaatsch platten lediglich durch die Präparation bedingte Erscheinungen sind. Indem ich auf Lworr's ausführliche Arbeit, auch hinsichtlich der Litteratur verweise, schließe ich mich seinen Ausführungen in den wesentlichen Punkten an und möchte nur einiges für das vorliegende Thema Wichtiges hervorheben. Die ersten Stadien der histologischen Differenzirung der Chorda sind bereits von HATSCHER zutreffend geschildert worden. Die Thatsache der Vacuolisirung der Chordazellen bezeichnet eine allen Chordaten gemeinsame Erscheinung. Bei Amphioxus treten eben so wie bei den anderen Chordaten zuerst zahlreiche kleine Vacuolen auf (Taf. XXII Fig. 1Va). Sie verschmelzen zum Theil mit einander und gewinnen in der mittleren Zellenreihe be- deutendere Dimensionen. HATSCHER hat, wie oben erwähnt, in diesen frühen Stadien eine dorsale (Fig. 1 dz), mittlere und eine ventrale (on) Zellenreihe unterschieden. Indem nun die Elemente dieser mitt- leren Reihe sich so zwischen einander einschieben, dass eine einfache Zellensäule resultirt, und indem diese Elemente eine scheibenförmige Gestalt annehmen, gewinnt die Amphioxuschorda das charakteristische Aussehen, welches sie bis zum erwachsenen Zustande beibehält. Zwei Punkte müssen nun hervorgehoben werden, durch welche sich die Amphioxuschorda vor allen anderen Bildungen dieser Art auszeichnet. Der eine betrifft die membranbildende Thätigkeit der Zellen. Hierin unterscheidet sich Amphioxus ganz bedeutend von den nie- deren Formen. Der einzige Ausdruck einer solchen Thätigkeit bei Tunicaten war gegeben in der Ausbildung jener dünnen Membran, welche allen Zellen gemeinsam an der Peripherie die Chordascheide bildet. Bei Amphioxus liefern die Zellen allseitig solche Differen- zirungen häutiger Art, welche bei der scheibenähnlichen Gestaltung der Zellen (Taf. XXIII Fig. 3 und 4) nothwendigerweise als eine Art von Septen sich darstellen müssen, um so mehr, als die an einander gelagerten membranösen Produkte zweier Zellen mit einander so vollständig verschmelzen, dass man später — wie schon HATSCHEK betont hat — nicht mehr die Zellengrenzen nachweisen kann. Durch diese Ausbildung der Zellmembranen wird die Veran- lassung zur künstlichen Herstellung der Chordaplatten gegeben, wie Lworr überzeugend dargethan hat. Wie nun bezüglich dieser Mem- branen die Amphioxuschorda sich zu den höheren Formen verhält, kann erst bei den letzteren recht gewürdigt werden. Es muss je- doch schon hier darauf hingewiesen werden, dass zwar die scheinbar Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. IIT. 527 große Verschiedenheit der Amphioxus- und der Vertebratenchorda nicht thatsächlich besteht, sondern durch Entwicklungsstufen der letzteren vermittelt wird, dass aber andererseits Amphioxus durch die enorme Entfaltung der Zellmembranen weit über Alles hinausgeht, was uns bei höheren Formen darin begegnet. Diese Erscheinung steht mit der in ganz ähnlicher Weise excessiven Ausbildung der Chordahülle oder Elastica in Beziehung, wie denn beim erwachsenen Thier Zellmembranen der Chorda und Chordascheide eine große Übereinstimmung im Bau zeigen. Beide bieten einen fibrillären Zer- fall dar, wie man leicht durch Zerzupfung von Schnitten und in Glycerin nachweisen kann, eine Erscheinung, die früheren Unter- suchern nicht geringe Schwierigkeiten der Deutung der Chordastruk- tur in den Weg legte. Der zweite Punkt, welcher für die Amphioxuschorda charakte- ristisch ist, beruht in der Entfaltung jenes kleinzelligen Gewebes am dorsalen und ventralen Rande der Chorda, auf welches W. MÜLLER zuerst die Aufmerksamkeit gelenkt hat. Lworr hat mit Recht diese Zellmassen auf jene dorsale und ventrale Zellenreihe zurückgeführt, welche schon in frühen Stadien etwas Besonderes darstellen, indem sie nicht an der Vacuolisirung lebhaften Antheil nehmen (vergleiche Taf. XXIII Fig. 1 und 2 dz und vn). Diese Elemente repräsentiren gleichsam ein Reservematerial, von welchem aus, wie ich vermuthe, die mittlere Zellenreihe (cn) neuen Zuwachs empfängt. Eine solche mittlere Zellenreihe bleibt aber beim Amphioxus lange Zeit hindurch in ziemlich reiner Form ausgeprägt. Da diese Zustände bisher nicht genügend beachtet und auch von Lworr nicht ganz richtig wieder- gegeben worden sind, so bilde ich einen Horizontal- und einen Sa- gittalschnitt von jungen Amphioxus ab. Der erstere (Taf. XXIII Fig. 3) ist in mehrfacher Beziehung interessant. Er erinnert an jenes Stadium der Chordaentwicklung bei Tunieaten, wo die Elemente noch eylindrisch geformt, eine einfache Zellensäule liefern. Während Amphioxus in diesem mittleren Niveau der Chorda an niedere Zustände anknüpft, leitet er gleichzeitig an den dorsalen und ventralen Partien seiner Chorda zu höheren Formen über, denn jenes kleinzellige »MüLLer’sche« Gewebe erinnert mehr als alle übrigen Theile der Chorda an die histiologische Beschaffenheit der Chorda bei höheren Formen. Da aber gerade diese Elemente gleichsam auf einer embryonalen Stufe verharren, so sieht man hier wie so oft, im Organismus die späteren, höheren Zustände an embryonale der nie- deren sich anschließen. 528 Hermann Klaatsch Unter Lworr’s Abbildungen vermisse ich gute Horizontalschnitte. Auf dem vom 20 mm langen Amphioxus (seine Fig. 12) sind die Zell- kerne nicht zu sehen. Ich möchte desshalb auf meine Abbildung verweisen. Der betreffende Schnitt zeigt die Kerne in sämmtlichen Zellen als nicht so sehr abgeplattete Gebilde, und zwar stets fast genau in der Mitte jeder Zelle gelegen. Die Zellen sind bald mehr, bald weniger abgeflacht, Unterschiede, die vielleicht keine vitale Bedeutung besitzen. Sie machen aber den Zerfall in »Chorda- platten« ganz verständlich. Die »Chordasepten«, wie ich die mit einander vereinigten Zellmembranen nennen möchte, sind in diesem Stadium noch relativ dünn. Sie erscheinen auf dem Horizontalschnitt ziemlich gerade verlaufend und quer durch die Chorda ausgespannt. Ein ganz anderes Bild hingegen bieten sie auf dem Sagittalschnitt dar, welcher einem etwas älteren Stadium entnommen ist. Die Figur ist so orientirt, dass der untere Theil eranialwärts gerichtet ist; links würde das Nervensystem, rechts der Darmkanal anschließen. Hier sieht man die Septen nun keineswegs gerade verlaufen, son- dern höchst unregelmäßig gekrümmt und geknickt von der dorsalen Seite zur ventralen ziehen. Nur hier und da zeigt sich eine leichte caudale Konvexkrümmung an einer größeren Zahl von Elementen ausgeprägt. Man erkennt ferner auf dieser Figur die dicke Elastica, ihren innigen Zusammenhang mit den Chordasepten; sodann sieht man die Kerne der dorsalen und ventralen Chordazellen deutlich ausgeprägt. Dieselben sind klein und rundlich, während die cen- tralen Chordazellkerne größer und in der schon bezeichneten Rich- tung abgeflacht erscheinen. Während auf dem Horizontalschnitt nur eine einfache Reihe derselben sich zeigte, sieht man nun hier, dass sie in größerer Zahl vorhanden sind. Manchmal findet man auch die von Lworr erwähnten gleichsam eingemauerten, d. h. zwischen die Septen eingedrängten ganz platten Kerne. Eine Vergleichung der drei von mir abgebildeten Schnitte wird ein vollständiges Bild vom Bau der Amphioxuschorda geben. Die Faltungen und Schattirungen auf dem mittleren Theil des Chorda- querschnittes rühren von dem gekrümmten Verlauf der Septen her. Der erwachsene Zustand schließt sich im Wesentlichen direkt an den geschilderten jugendlichen an, nur dass hier die Septen auf dem Sagittalschnitt mehr gestreckt erscheinen, und die Unterschiede vom Horizontalschnitt geringer werden. Auch nehmen die Septen an Dicke zu und machen die Bilder weit weniger übersichtlich. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. III. 529 Ferner finde ich, dass das kleinzellige MüLtLer'sche Gewebe bei alten Thieren ziemlich weit die Peripherie umgreift. Lworr hat einige Medianschnitte von ähnlichen Stadien wie ich abgebildet, aber ich weiß nicht, warum er so wenige Kerne auf den- selben zeichnet. In einem Punkte muss ich von Lworr abweichen. Er behauptet nämlich, stets die Zellgrenzen innerhalb der Chorda deutlich wahr- nehmen zu können. Mir ist das nicht-möglich gewesen; meine Ob- jekte wurden mit einem Sublimat-Essigsäuregemisch fixirt und gaben in jeder Hinsicht gute histologische Bilder, aber die Grenzen zwi- schen den einzelnen Chordazellen konnte ich nicht nachweisen. Den positiven Angaben Lworr’s will ich nicht direkt widersprechen, aber ich möchte darauf hinweisen, dass man auf seinen Abbildungen ver- geblich nach deutlichen Zellgrenzen sucht. Ich neige daher zu der Annahme, dass Amphioxus sich in diesem Punkte ganz so wie die höheren Chordaten verhält, bei welchen ja auch die einzelnen Chorda- zellen sich nicht so scharf von einander sondern lassen. — Auf ein eigenthümliches Verhalten der Chordascheide am Hori- zontalschnitt möchte ich noch die Aufmerksamkeit lenken. Sie ver- läuft nicht wie auf dem Sagittalschnitt ganz gerade, sondern zeigt ganz regelmäßig der Anheftung der (asymmetrischen) Myosepten entsprechend leichte Ausbiegungen. Schon hier also beginnt die Beeinflussung der Chorda durch die umgebenden Weichtheile sich in metamerer Ausprägung zu äußern, ein Punkt, auf den bisher bei Amphioxus noch nicht geachtet wurde. Bei den Tunicaten: ergaben sich leicht die Beziehungen des Chordabaues zur Bewegungsweise des ganzen Organismus, speciell der Cauda. Auch beim Amphioxus werden wir zu derartigen Be- trachtungen angeregt. Wer den lebenden Amphioxus bei seinen Bewegungen beobachtet hat, wird erstaunt sein über die enorme Leistungsfähigkeit des Thieres in allen Punkten, wo es sich um die Elastieität des Körpers handelt. Die Gewandtheit, mit welcher dieses Thier sich in sein sandiges Lager vergräbt, oder aus ihm aufge- scheucht, emporschnellt, ist höchst merkwürdig. Namentlich auf eine feste glatte Unterlage gebracht, leistet der Amphioxus durch die schnellenden Bewegungen seines Körpers viel mehr, als etwa ein Fisch unter gleichen Bedingungen. Die Bewegungsweise des Amphioxus beim Schwimmen erinnert sehr an das Schlagen des Tunicatenschwanzes. Diese mechanischen Leistungen setzen natürlich eine enorme Elasticitiit des Skelets, und Morpholog. Jahrbuch. 22. 35 5} 530 Hermann Klaatsch zwar in erster Linie des Achsenskelets, voraus; da darf denn wohl die Ausbildung .der dieken Elastica nicht Wunder nehmen. Man könnte sagen, dass beim Amphioxus der Versuch vorliegt, mit den gleichen Mitteln, wie sie in der Tunicatencauda sich finden, einem größeren und komplieirteren Organismus ein festes und doch sehr nachgiebiges Skelet zu liefern. Damit ist schon ausgedrückt, dass bezüglich der Festigkeit viel höhere Anforderungen gestellt werden, als bei den niederen Formen. Diesen wird entsprochen durch die Ausbildung der Zellmembranen; auch die Scheibenform der Elemente mag hier in Betracht kommen. Die Zellmembranen stehen alle senkrecht zur Längsachse des Thieres, und in der Richtung dieser läuft die Bewegung wie eine Welle über das Thier hin. Noch ein anderer Punkt des Chordabaues wird vielleicht mit den vitalen Er- scheinungen in Beziehung zu bringen sein, nämlich die Besonderheit der Chorda an ihrem dorsalen und ventralen Theil. Niemals finden dorsale oder ventrale Exkursionen statt, sondern stets ist die Be- wegungsrichtung eine seitliche. Die Bewegungsweise der pelagischen Larven ist eine ähnliche wie diejenige der erwachsenen Thiere, nur vollziehen sich die Lo- komotionserscheinungen bei den jungen Thieren noch viel lebhafter als später. Bei ganz jungen Larven (mit einer Kiemenspalte) fiel mir eine Eigenthümlichkeit der von HATscHEK beschriebenen rein epithelialen Caudalflosse auf, die bisher nicht beachtet worden ist. Sie erstreckt sich nicht in der Längsachse des Thieres, sondern ist mit dem terminalen Ende dorsal angehoben, so dass man geradezu von einer Art Heterocerkie sprechen kann. Offenbar dient dieser Theil als eine Art Steuerorgan bei den Bewegungen — eine inter- essante Analogie mit höheren Zuständen darbietend. Überblicken wir im Ganzen die Verhältnisse des Amphioxus, so gelangen wir zu folgendem Resultat. Bei Amphioxus besteht nur eine Chordascheide, welche derjenigen der Tunicaten homolog ist und als Elastica be- zeichnet werden muss. Sie unterscheidet sich von der glei- chen Bildung niederer Chordaten durch ihre bedeutende Dieke. Welcher Bildung bei höheren Chordaten diese Amphioxus- Elastica entspricht und in welcher Weise mein Ergebnis zu Gunsten der von Criaus geäußerten Vermuthung bezüglich des Amphioxus spricht, werde ich weiter unten zeigen. Hinsichtlich der Chordastruktur schlägt Amphioxus von einer mit den Tunicaten gemeinsamen Basis aus eine Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. III. 531 eigenartige Entwicklung ein, charakterisirt durch die Schei- benform der centralen Elemente, durch die enorme Mem- branbildung derselben und durch die Persistenz kleinerer Chordazellen am dorsalen und ventralen Rand. II. Cyclostomen. Von Cyclostomen kannte ich bisher nur die späteren Zustände. Erst neuerdings wurde es mir möglich, frühe Entwicklungsstadien von Petromyzon auf die hier in Frage kommenden Punkte zu unter- suchen und so zum Theil eine Lücke auszufüllen, die ich selbst wohl empfand und die mir Hasse mit Rücksicht darauf vorhält, dass »diese Thiere nicht allein in morphologischer, sondern auch in stammesgeschichtlicher Beziehung überaus wichtig sind« Ich gebe ihm hierin vollkommen Recht. Auch erkenne .ich gern an, dass meine Wahrnehmungen mit dem Thatsächlichen der Mittheilungen Hasse’s über die Wirbelsäulen-Entwicklung der Cyclostomen in allen wesentlichen Punkten übereinstimmen. Wir verdanken Hasse die erste ausführliche Behandlung dieses Gegenstandes und seine An- gaben sind für mich desshalb ganz besonders werthvoll, weil sie die meinigen ergänzen und mir über spätere, mir leider nicht zugäng- liche Stadien den erwünschten Aufschluss geben. Was die Deutung der Thatsachen betrifft, so kann ich mit Hasse nicht in Allem über- einstimmen. Zunächst will ich meine eigenen Befunde an frühen Stadien mittheilen und alsdann Hasse’s Angaben besprechen. Die jüngsten Stadien von Petromyzon, welche ich untersuchte, stellen 2 mm lange Embryonen mit noch stark entwickeltem Dotter- sack dar. Die auf dem Querschnitt (Fig. 3 Taf. XXII) kreisrunde Chorda (Ch) stößt dicht an die Nachbarorgane an. Das Rückenmark (R) bildet eine leichte Furche, in welche sich die Chorda bettet. Indem die mediale Lamelle (M) des Urwirbels unmittelbar an die Chorda stößt, ergiebt sich jener primitive Zustand, welcher unmittel- bar an das Querschnittsbild der Ascidienlarven und Amphioxus- embryonen Anschluss gestattet. In der Chorda hat die Vacuolisirung bereits begonnen. Das Protoplasma ist eben so wie in den meisten anderen Organen ‚noch dicht mit Dotterpartikelchen erfüllt, welehe die Zellgrenzen undeut- lich machen. Die Elemente der Chorda lassen zwar keine bestimmte 35* 552 ’ Hermann Klaatsch Anordnung wahrnehmen, doch findet sich im Centrum der Chorda meist ein besonders großer Kern (Ch), und die peripher gelagerten Kerne zeigen auf manchen Schnitten eine ventrale (vm), hier und da auch eine dorsale Anhäufung — Thatsachen, die mir mit Rücksicht auf den Amphioxusbefund nicht ganz unwesentlich erscheinen. Der hy- pochordale Strang wird von wenigen Zellen gebildet. Zwischen der Chorda und den Nachbarorganen bleiben natur- gemäß dreieckige Lücken, die mit einer hellen Substanz gefüllt sind. Das Wesen dieser letzteren hat mich schon früher einmal gelegentlich eines frühen Stadiums von Torpedo (II. Mittheilung, pag. 166) beschäftigt, und auch jetzt wieder gewinne ich den Eindruck, als ob hier bereits die Anfänge jener cuticularen Bogenbildungen vorlägen, welche später von den Elementen der skeletoblastischen Schieht occupirt werden. Zunächst fehlen diese Elemente in der Umgebung .der Chorda noch gänzlich, das Sklerotom hat die Chorda noch nicht erreicht. Auf diesen Punkt kommt es hier ganz beson- ders an, wie das Folgende ergiebt. Bereits in diesem frühen Stadium ist nämlich die Chorda von einem feinen, überall gleich dicken Saum (EZ) umgeben. Ich nenne diese Bildung fortan die primäre Chordascheide. Bei dem Fehlen perichordaler Elemente kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die Hülle von der Chorda selbst geliefert wird (Fig. 3 Taf. XXII)‘. Diese primäre Chordascheide offenbart sich schon jetzt durch ihr starkes Lichtbrechungsvermögen als eine elastische Membran. Sie zeigt vielfach einen leicht welligen Verlauf. An dieses Bild können wir direkt den Zustand anschließen, welcher sich am Schwanztheil älterer Stadien — von 6 mm Länge — erhalten hat. Mit der beträchtlichen Ausdehnung in die Länge, welche der ganze Körper erfahren hat, hat die Chorda an Durch- messer verloren (Fig. 4 Taf. XXII). Sie bewahrt sich namentlich caudal noch ganz embryonale Charaktere. Das Dottermaterial ist allerdings geschwunden, aber die Vacuolisirung ist erst im Beginn. Auch werden noch Elemente im Bereich der Bogenbildungen ver- misst. Die primäre Chordascheide (E) ist nun sehr deutlich ge- worden und erlangt am Caudaltheil eine nicht unbeträchtliche Dicke (ca. 1—2 u). Schon bei mittlerer Vergrößerung tritt sie als eine 1 Nachträglich sehe ich, dass KUPFFER offenbar dasselbe beobachtet hat, ohne jedoch die Bedeutung der betreffenden Hülle weiter zu eruiren. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. III. 533 Elastica deutlich hervor. Auch scheinen hier und da feine Kanäle dieselbe zu durchsetzen. Weiter cranialwirts sehen wir die Theile weiter entwickelt. Die Chorda — hier von bedeutend größerem Durchmesser — zeigt jetzt eine ausgedehnte Vacuolisirung. Nur an .der Peripherie der Chorda besteht eine dickere Zone von Protoplasma, welche nament- lich dorsal und ventral bedeutender entwickelt ist. Das Chromatin der Kerne bietet auffallende Verschiedenheit dar. Manche relativ sroße Kerne erscheinen blass tingirt, andere meist kleinere färben sich intensiv. Die primäre Chordascheide ist sehr deutlich ausgeprägt. Sie ist dieker als in vorigen Stadien, aber nicht so mächtig wie am caudalen Theil. Die perichordalen Partien zeigen wichtige Verände- rungen. Von der ventralen Seite her haben sich Elemente um die Chorda herum vorgeschoben und durchsetzen die cuticularen Bogen- bildungen, in welchen nunmehr eine fibrilläre Struktur sich auszu- prägen beginnt. Ältere Stadien von 7 cm Länge zeigen keine wichtige Verände- rung; auch hier besteht die primäre Chordascheide noch als einzige Hüllenbildung. Die Untersuchung von Längsschnitten 5 mm und 6 mm langer Stadien belehrte mich über die Beschaffenheit der Chordazellen, namentlich über ihre Anordnung, welche sich regelmäßiger darstellt, als ich erwartet hatte (Fig. 5 Taf. XXIII). Im Ganzen kann man centrale (cz) und periphere (pf) Elemente unterscheiden. Die ersteren sind größer, haben relativ große Kerne und sind stark vacuolisirt, die letzteren haben kleine Kerne und unverändertes Protoplasma. Zellgrenzen kann ich auf den Längsschnitten eben so wenig wie auf den Querschnitten deutlich erkennen. In Analogie mit niederen Zuständen möchte ich in den zwischen den Vacuolen persistirenden Scheidewinden die membranartig modifieirten Randtheile zweier be- nachbarter Zellen erkennen, welche sich mit einander derart ver- einigt haben, dass der Antheil der einzelnen Zellen nicht mehr deut- lich unterschieden werden kann. Diese »Septen« stehen naturgemäß stellenweise mit der primären Chordascheide in Zusammenhang und erinnern in manchen Punkten an die Beschaffenheit der letzteren. Sie verlaufen vielfach wellig und machen den Eindruck elastischer Bildungen, wenn sie auch niemals ein so starkes Lichtbreehungsver- mögen wie die Chordascheide besitzen. Auf die Anordnung der Chordazellen in solchen frühen Entwick- 534 Hermann Klaatsch lungsstadien ist bisher nur wenig geachtet worden, obwohl dieser Punkt sowohl für mechanische als auch für phylogenetische Be- trachtungen Aufmerksamkeit verdient'. Namentlich ein horizontaler Längsschnitt des 6 mm langen Stadiums zeigte beachtenswerthe Punkte (Fig. 5 Taf. XXIII). Abgesehen von den leicht welligen Biegungen, laufen die Chorda- septen von der einen Seite der Chorda ziemlich genau quer zur ander- seitigen hinüber, in geringen Abständen von einander. Schon hier will ich betonen, dass so eine regelmäßige Aufeinanderfolge abgeplatteter Elemente sich ausprägt, welche, wie Kuprrer mit Recht betont, an den Amphioxuszustand erinnert. Die Anordnung im Einzelnen kann man leicht erkennen, wenn man die zufälligen Momente, die Biegungen der Septa etc. eliminirt und sich das Ganze schematisch vergegen- wärtigt. Die schmale Basis der ein annähernd gleichschenkliges Dreieck vorstellenden peripheren Zellen wird von der primären Chordascheide gebildet, welche auf dem Längsschnitt sich als ziem- lich dieke elastische Membran (E) zeigt. Die Spitze des Dreiecks ragt annähernd gegen die Mitte des Zwischenraumes zwischen zwei gegenüberliegenden Elementen ein und setzt sich fort in die Septa der vollständig vacuolisirten centralen Zellen. Diese sind auf dem horizontalen Längsschnitt in zwei einander symmetrisch entsprechen- den Reihen vorhanden, deren einzelne Glieder keilförmig in einander greifen. Die Kerne dieser Mittelzellen liegen stets central, so dass in der Mitte der Chorda sich eine fortlaufende Reihe von Kernen zeigt. Sagittalschnitte liefern ähnliche Bilder. Leider hatte ich kein älteres Material zur Verfügung. Es wäre mir von Interesse gewesen zu sehen, wie diese Anordnung der Chordazellen allmählich in den fertigen Zustand übergeführt wird und wie sich der Chordastrang ausbildet. Bezüglich der Chordascheiden kann ich bei dem Mangel eigener Untersuchungen nur die Angaben Hasse’s verwerthen, der gerade die älteren Stadien genau geschildert hat. Von jüngeren Stadien beschreibt Hasse solche von 4 und 6,5 mm Länge. Seine Wahrnehmungen über dieselben weichen nur in unterge- ordneten Punkten von den meinigen ab. Vor Allem ist wichtig, dass Hasse über die Entstehung der primären Chordascheide zum glei- chen Resultat wie ich gelangte. Er nennt dieselbe Cuticula chordae. ! Ich finde nur bei KUPFFER derartige Angaben, auch über die ersten Verlagerungen der Chordazellen. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. II. 535 Es unterliegt keinem Zweifel, dass wir dieselbe Bildung vor Augen haben. Im Stadium von 4 mm findet Hasse seine Cuticula chordae als eine rings die Chorda umziehende »feine Cuticularmembranc. »Sie ist so dünn und zart, dass sie eigentlich nur als ein ungemein feiner, aber das Licht stark brechender Saum erscheint.« Wir gelangen nun zu den Stadien, die mir nicht mehr zugäng- lich gewesen sind. »Die wichtigsten Veränderungen bieten die Thiere mit einer Körperlänge von 1 cm dar.« Es »erfolgt die Bildung einer Faser- scheide der Chorda«. In der skeletogenen Schicht treten nunmehr die ersten Spuren von Knorpel auf. Die Cuticula chordae ist beträchtlich dieker ge- worden. »Das Bedeutsamste ist nun aber das Auftreten einer feinen Schicht an der Innenseite der Cuticula chordae, zwischen ihr und dem Chordaepithel. Dieselbe geht in gleicher Dicke rings um das Chordaepithel, färbt sich stark in Hämatoxylin und hebt sich deut- lich von der glänzenden Cuticula chordae ab.« Obwohl »die Zellen des Chordaepithels« sich leicht von der Faserscheide abheben, so ist doch, wie Hasse mit vollem Recht be- tont, »keine andere Annahme möglich, als dass sie wie die Cuticula chordae von den Zellen desselben gebildet ist«. Diese Schicht nimmt nun fernerhin an Dicke zu, bis sie der »Cuticula chordae« gleichkommt. Dann überholt sie die letztere und gewinnt bei noch bedeutenderer Dieke eine faserige Struktur. Aus diesem Grunde führt auch Hasse den Namen »Faserschicht der Chorda« oder »Faser- scheide« für dies Gebilde ein. Auf die Einzelheiten dieser fibrillären Differenzirung brauche ich hier nicht einzugehen. Es genügt für mich, auf Grund der Hasse- schen Beobachtungen die Anknüpfung zwischen den von mir unter- suchten frühen Stadien und dem erwachsenen Zustande gewonnen zu haben. Dass die Hasse’sche Faserscheide diejenige Bildung darstellt, welche ich in meinen früheren Arbeiten als »Chordascheide« be- zeichnet habe, liegt auf der Hand, und eben so ist es klar, dass Hasse’s Cuticula chordae jener anderen Chordaumhüllung entspricht, welche frühere Autoren und ich im Anschluss an dieselben Elastica genannt habe. Der Zusatz »externa« ergab sich als überflüssig, da ich keine interna anerkenne. Da nun Hasse einen ganz neuen Namen für die »Ohordascheide« einführt, und da er geneigt ist, in derselben »eine neue Bildung des 536 Hermann Klaatsch Chordaepithels« zu erblicken, so will auch ich fortan eine neue Be- zeichnung anwenden. Ich unterscheide die als zweite entstehende Bildung von der ersten oder primären als sekundäre Chordascheide. Wenn es auch auf den ersten Blick bedenklich erscheinen könnte, die schon so reichhaltige Nomenklatur der Chordaumhüllungen um zwei neue Namen zu bereichern, so wird es sich doch zeigen, dass nur durch die konsequente Durchführung meiner neuen, indifferenten, nichts über die Eigenthümlichkeiten der betreffenden Bildungen vor- weg nehmenden Ausdrücke: »primäre und sekundäre Chordascheide«, eine Verständigung über die Homologie der Chordascheide möglich wird. Das Resultat, zu welchem ich nunmehr bezüglich der Cyelo- stomen gelange, lautet: Dieselben besitzen eine primäre und eine sekundäre Chordascheide, welche beide von der Chorda gebildet werden. Das perichordale Gewebe hat gar keinen Antheil an der Bildung derselben. Die primäre Chorda- scheide entsteht sehr frühzeitig als ein zarter Saum, als eine Art Basalmembran der Chordazellen. Während einer sehr langen Zeit der Entwicklung existirt die primäre Chordascheide allein. Die später nach innen von der pri- mären auftretende sekundäre Chordascheide nimmt ganz allmählich an Dieke zu und gewinnt fibrilläre Differen- zirung. Die primäre Chordascheide offenbart von Anfang an die Eigenschaften einer elastischen Membran. Vergleichen wir dies Resultat mit dem an niederen Chordaten, Tunicaten und Amphioxus gewonnenen, so ergiebt sich leicht, wie wir die Chordahüllen bei diesen Thiergruppen zu klassificiren haben. Die primäre Chordascheide entspricht offenbar der bei den niederen allein bestehenden Elastica. Durch ihr frühes Auftreten und ihre lange Zeit hindurch bestehende Herrschaft doku- mentirt sich die primäre Chordascheide als eine alte Bildung. Die Cyelostomen durchlaufen bezüglich ihrer Wirbelsäule ein Amphioxusstadium. Dasselbe prägt sich nicht nur in der Be- schaffenheit der Chordascheide, sondern auch in Einzelheiten des Zellmaterials aus. In diesem Sinne sind die oben angeführten Daten wichtig, die scheibenähnliche Gestaltung der Elemente, die Unterscheidung cen- traler und peripherer Zellen, ja sogar noch die dorsale und ventrale Anhäufung der letzteren sind in Spuren ausgeprägt. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. III. 537 Ich verlasse mit diesen Ergebnissen meine frühere Ansicht, wo- nach ich die Elastica vom perichordalen Gewebe herleite, und stelle mich — zunächst für die Cyclostomen — auf den von CLAUS ein- genommenen Standpunkt, wonach die Elastica ein Produkt der Chorda ist. Da Hasse in allen Einzelheiten dasselbe gefunden hat wie ich, so sollte man erwarten, dass er auch zu dem gleichen Schluss ge- langen würde. Dies ist jedoch nicht der Fall. Er hält, wie ich vermuthe, daran fest, dass eine Elastica oder »Cutieula sceleti«, wie er sagt, stets vom perichordalen Gewebe gebildet werden müsse. Ist dies bei einer Membran nicht der Fall, so darf sie auch nicht als Hasse’sche »Cuticula sceletic aufgefasst werden. Nur durch einen solehen Gedankengang wird es erklärlich, dass Hasse zu dem Resultat geführt wird: »Der Wirbelsäule der Cyclostomen fehlt nicht allein eine Intereutieularschicht, sondern auch eine Cuticula sceleti (Elastica externa aut.).« Was Hasse gelegentlich der Cyclostomen über ihre Stellung zu Elasmobranchiern, Urodelen, Ganoiden und Dipnoern sagt, kann erst bei Besprechung dieser Formen erörtert werden. Hier will ich nur bezüglich der Cyclostomen das Hasse'sche Ergebnis als solches fixiren. Ich erhebe gegen dasselbe Einspruch desshalb, weil der Name der Elastica ja gerade von Formen, wie die Cyclo- stomen, entlehnt worden ist. Hasse nennt nunmehr die bis- herige Elastica »Cutieula chordae«, d. h. in meiner früheren Nomen- klatur »Chordascheide«, und was ich Chordascheide nenne, soll eine ganz eigenartige Bildung sein, die sonst nur noch bei Ganoiden und vielleicht bei Dipnoern vorkommt. Dass etwa der alte Name der Elastica mit Unrecht gewählt sei, begründet Hasse mit keinem Wort. Er verschiebt nur die ganze Nomenklatur und Auffassung der Chorda- scheiden. Da darf wohl erwartet werden, dass irgendwo bei einer anderen Thierform ein sicherer Halt, eine sichere Basis zur Beur- theilung dieser scheinbar so schwierigen Verhältnisse geboten wird. Wir werden sehen, ob dies der Fall ist. — IV. Teleostier und Ganoiden. Da die Ganoiden sich im fertigen Zustande ihrer Chordascheiden an die Cyelostomen anschließen lassen, und da wiederum die Teleostier in diesen Punkten mit den Ganoiden harmoniren, so ist es von vorn 538 Hermann Klaatsch herein sehr wahrscheinlich, dass die Entstehungsweise ihrer Chorda- scheiden dieselbe wie bei Petromyzon sein wird. Für die Teleostier kann ich die Richtigkeit dieser Ansicht aus eigener Anschauung konstatiren. Bei Salmo fand ich, dass eben so wie bei Petromyzon die Elastica sehr frühzeitig entsteht und lange Zeit hindurch allein vorhanden bleibt. Erst gegen die Zeit des Ausschlüpfens hin .gesellt sich die zuerst ganz dünne sekundäre Chordascheide hinzu. Dasselbe Ergebnis gewann ich auf Quer- schnitten der Embryonen von Gobius ophiocephalus, welche ich aus den Eikapseln entfernte. Dieselben besaßen noch einen ziemlich großen Dottersack. Ihre Chorda war nur von der primären Scheide umgeben. Auch bei pelagischen Teleostierembryonen, wie sie im Auftrieb sich zahlreich finden, achtete ich auf diese Verhältnisse und sah auch hier (im lebenden Zustand) die sehr deutliche Elastica. An eben diesen Objekten, deren Speciesbestimmung mir nicht mög- lich war, fand ich weitere Zeugnisse dafür, dass die Teleostier nicht nur bezüglich der Chordascheide, sondern auch hinsichtlich des Baues der Chorda ein Amphioxusstadium durchlaufen. Die Zellen der Chorda zeigten am lebenden Objekt im Profil- bild eine cylinderférmige Gestalt. In diesen Zellenscheiben. treten central schmale, von vorn nach hinten komprimirte Vacuolen auf. Ein ganz ähnliches Bild hat Lworr von einem Labraxembryo ge- geben und bereits die Beziehung zum Amphioxusbefund erkannt. Neuerdings ist über die Entwicklung der Teleostierwirbelsäule eine Arbeit von ©. SCHEEL erschienen. Auf Fig. 1 ist ein Längsschnitt der Chorda vom 4 mm langen Rhodeus abgebildet, welche das typische Amphioxusstadium zeigt. Auch über die Entwicklung der Chordaschei- den finden sich beim genannten Autor Angaben. Für die Elastica sind dieselben jedoch nicht ausreichend. Auffallend ist, dass SCHEEL das Vorhandensein derselben bei 3—5,5 mm langen Rhodeus bestreitet, »bei 7 mm langen Thieren trat sie als unmessbar feine Grenzlinie hervor«. Da ich das bezügliche Objekt nicht kenne, so kann ich mir kein Urtheil über diese Darstellung erlauben; es erscheint mir aber wenig wahrscheinlich, dass Rhodeus ein so exceptionelles Ver- halten darbieten sollte. Über das Vacuolengerüst der Chorda macht ScHEEL die wichtige Mittheilung, dass sich dasselbe »gegen Säuren und Alkalien äußerst widerstandsfähig, in demselben Maße wie elastisches Gewebe«, ver- hält. »Essigsäure 5—30 %ige, Salzsäure 5—10%ige, Salpetersäure 5—20%ige vermögen, letzteres Macerationsmittel selbst nach 6—10- Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. III. 539 tägiger Einwirkung, die Vacuolenwände nicht zu zerstören.« Ferner ist bemerkenswerth, dass es ihm nicht gelang, die Zellen von ein- ander zu isoliren. Dies spricht für meine Ansicht, dass das Vacuolengeriist aus den mit einander verschmolzenen membranösen Außenschichten der Elemente besteht. — Ich wende mich nun zu den Knorpelganoiden. Mir stand von diesen nur ein Entwicklungsstadium zur Verfügung, ein 9 mm langer Stör, über dessen Wirbelsäule ich schon früher beiläufig einige Be- merkungen gemacht habe. Ganz neuerdings sind nun von HassE ausführlichere Angaben über diesen Gegenstand gemacht worden und das Wenige, was ich selbst beobachten konnte, stimmt voll- kommen mit seinen Angaben überein. Sowohl bezüglich der That- sachen als hinsichtlich der Auffassung, dass die Cyclostomen und die Knorpelganoiden in ihren Chordascheiden einander gleichen, be- finde ich mich also mit Hasse in schönster Übereinstimmung. Was zunächst mein Objekt betrifft, so zeigt es die Chorda über- all als einen Strang, dessen Umriss nicht streng kreisförmig,- sondern ein wenig unregelmäßig erscheint (Taf. XXI Fig. 5 und 6). Die Vacuolisirung der Chorda ist weit vorgeschritten; an der Peripherie derselben hat sich ein sehr regelmäßiges, ganz typisches Chorda- epithel (che) gesondert. Außerhalb der Chorda ist bereits das ske- letoblastische Gewebe. (sk) zu einem vollständigen Überzug derselben geworden und die Bogenbildungen (Nd, Hb) sind von Zellen durch- setzt. Diese perichordalen Zellmassen würden wohl eine genauere Bearbeitung verdienen, zu welcher mir jedoch vorläufig das nöthige Material fehlt. ; Auffallend ist die auch von Hasse auf seiner Fig. 2 treffend wiedergegebene regelmäßige Anordnung der innersten perichordalen Elemente, auffallend ferner ihr (ebenfalls von Hasse bemerkter) enger Anschluss an den hypochordalen Strang (Hych), welcher, aus drei bis vier Zellen auf dem Querschnitt gebildet, zwischen Aorta und Chorda in dorsoventraler Richtung abgeplattet erscheint. Auch für die erste Differenzirung des Knorpelgewebes dürften sich hier An- haltspunkte ergeben. Neben dem eranialen Theil der Chorda be- merkte ich Elemente, die eben durch das Auftreten von Grundsub- stanz sich als Knorpelzellen dokumentirten. Viele von ihnen enthielten zwei Kerne, und solche — jedoch noch nicht als Knorpelzellen er- kennbare — spindelförmige Elemente mit doppeltem Kern treffe ich 540 Hermann Klaatsch auch weiter caudal in den Bogenbildungen (Fig. 6 Nd). Auch fiel mir das Auftreten von Vacuolen in den jungen Knorpelzellen auf. Doch dies sind Dinge, welche mit dem speciellen. Thema nichts zu thun haben und auf welche ich hier nur gelegentlich die glücklichen Besitzer eines reicheren Störmaterials hinweisen möchte. — Mir kommt es hier vor Allem auf die Chordascheide an, welche gerade an meinem Objekt ein wichtiges Stadium erreicht hat. Sie besteht aus zwei Lamellen von annähernd gleicher Dicke. Die äußere offenbart sich sofort durch ihren starken Glanz als die Elastica (E) oder die primäre Chordascheide. Die innere (Sch), noch ganz homogen, sondert sich eben erst vom Protoplasma der Chordazellen. Beziehen wir dies Stadium auf die oben gegebene Schilderung von Petromyzon, so haben wir dasselbe offenbar dort anzureihen, wo meine Beobachtungsreihe des letzten Thieres endete. Wir haben den ersten Beginn der sekundären Chordascheide vor uns. Da ist es denn sehr wichtig zu konstatiren, dass das Auftreten dieser Scheide zusammenfällt mit der Ausbildung des Chordaepi- thels (che, eine Thatsache, die zweifellos von allgemeiner Bedeu- tung ist. Finden wir doch stets bei Formen und Stadien mit sekun- därer Chordascheide auch ein solches Chordaepithel wohl entwickelt. Was den feineren Vorgang der Bildung dieser Scheide betrifft, so kann ich nur konstatiren, dass es sich um eine allmähliche Son- derung der neuen Materie vom Protoplasma nach Art cuticularer Abscheidungen zu handeln scheint (Fig. 6 Taf. XXII); ob dabei die Chordazellen Fortsätze aussenden, konnte ich an meinem Objekt nieht konstatiren; ich habe auch bei anderen Formen noch nichts Derartiges gesehen, womit ich jedoch die Möglichkeit eines solchen Vorkommnisses nicht abstreiten will. ’ Wenden wir uns nun zu Hasse’s Mittheilungen. In seiner An- gabe über das früheste, auf seiner Fig. 1 abgebildete Stadium — »Rings um die Chorda ist eine vollkommen gleichmäßige, zarte Cuti- cula chordae abgesondert« — erblicke ich eine Bestätigung der Richtigkeit meiner Vermuthung, dass die Elastica oder primäre Chordascheide bei den Knorpelganoiden eben so wie bei den Cyclo- stomen von der Chorda selbst geliefert wird. Weiterhin beschreibt Hasse die Sonderung des Chordaepithels. Die »Cuticula chordae« (i. e. primäre Chordascheide) gewinnt ein stärkeres Lichtbrechungs- vermögen und nimmt an Dicke zu. Dann zeigt sich veine Sonderung an oder in derselben, welche die höchste Aufmerksamkeit in An- spruch nimmt. Es erscheint in derselben eine undeutlich ausge- Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. III. 541 prägte Trennungslinie, welche eine Zusammensetzung der cuticularen Hülle aus einer inneren und einer äußeren Lage andeutet.« Hasse kommt nun in der folgenden genaueren Ausführung zu dem Resultat, dass die innere »Lage später als die äußere gebildet wurde«, womit ich natürlich vollkommen einverstanden bin. In vortrefflicher Weise zeigt Hasse, dass die innere Lage (die »Neubildung«) zu der zellen- losen Faserschicht der Knorpelganoiden wird. Auch gegen jene Einzelheiten, welche das Auftreten von Fäden an den Chordaepithel- zellen und deren Beziehungen zum beginnenden fibrillären Zerfall der Scheide betreffen, habe ich nicht das Geringste einzuwenden. Ob es sich dabei um Zellfortsätze handelt oder um Fasern, die nur beim Abheben der Zellen von ihrem Produkt an den ersteren haften blieben, muss nach meiner Ansicht dahingestellt bleiben. Aber dies Alles scheint mir nicht von sehr großer Bedeutung. Hasse meint, dass ich seiner Parallele zwischen Chordascheide und Zahn- bein nur desshalb entgegengetreten sei, weil es mir »nicht gelang, Fortsätze an den Chordazellen zu sehen« Dies ist jedoch keines- wegs der Fall. Allerdings hatte ich das Vorkommen derselben be- stritten, und kenne sie auch jetzt noch nicht, aber angenommen, dies wäre in einem solchen Maße der Fall, wie es Hasse nur irgend wünschen könnte, so würde ich doch noch längst nicht an eine Be- ziehung zwischen Zahnbein und Chordascheide glauben. Gründe ganz anderer Art bestimmten mich und bestimmen mich noch heute, jegliche Parallele zwischen diesen beiden Bildungen auf das Ent- schiedenste abzuweisen. Hasse sagt neuerdings von den erwähnten, an den Chordazellen haftenden Fäden: »Diese Fibrillen sind also als eutieulare Umbil- dungen von Zellfortsätzen des Chordaepithels anzusehen, und als solche beschrieb ich sie ja bereits früher, und damit liegt denn auch der Vergleich mit den Zahnbeinfasern durchaus nicht so weit vom Wege ab, wie KLAATSCH es meint.« Also »die cuticulare Umbildung von Zellfortsätzen« soll das Tertium comparationis bei Vergleichung von Chordascheide und Zahn- bein darstellen. Die Odontoblasten besitzen allerdings Zellfortsätze, aber dass dieselben eine cuticulare Umbildung erführen, ist mir nicht bekannt. Im Gegentheil! Gerade diese Fortsätze bleiben ja in ihrer ursprünglichen protoplasmatischen Beschaffenheit erhalten und zwischen ihnen erfährt das Zellmaterial eine cuticulare Um- bildung. Also gerade in dem von Hasse betonten Punkte besteht die größte Differenz zwischen beiden Gewebsarten. Abgesehen hier- 542 Hermann Klaatsch von aber erscheint es mir gänzlich unstatthaft, Chordaepithel und Odontoblasten irgendwie mit einander in Beziehung zu bringen. Wie ich schon früher betonte, ist die einzige, gänzlich oberflächliche Ähnlichkeit beider Bildungen gegeben durch die Absonderung einer Substanz, welche keine Zellen enthält. Wollte man das Wesen dieser Substanz, die chemische und physikalische Beschaffenheit der- selben, ihren Bildungsmodus u. a. ignorirend, auf solche gleichgültigen Kriterien hin Chordascheide und Zahnbein in eine Rubrik bringen, so würde man mit den Grundlagen histologischer Klassifikation in bedenklichen Konflikt gerathen. Wie eine Übersicht der Hasse’schen und meiner Angaben zeigt, liegen die Verhältnisse bei den Knorpelganoiden sehr einfach und eine Vergleichung derselben mit den Befunden bei Cyclostomen be- reitet nicht die geringste Schwierigkeit. Die Ontogenese liefert den klarsten Beweis, dass die bei den erwachsenen Vertretern bestehen- den gleichen Verhältnisse bei beiden Gruppen sich auch in der ent- sprechenden Weise heranbilden und Alles, was oben für die Cyelo- stomen als Resultat aufgestellt wurde, hat auch für die Knorpelganoiden (wie für die Teleostier) Gültigkeit. Zuerst entsteht die Elastica (primäre Chordascheide), und zwar von der Chorda selbst aus, sodann die früher kurzweg als Chordascheide (sekun- däre Chordascheide) bezeichnete faserige Hülle. Man sollte erwarten, dass auch Hasse zu diesem Resultat ge- langt sei, aber wie bei den Cyclostomen, so zieht er auch bei den Knorpelganoiden aus seinen Beobachtungen gänzlich andere Schlüsse als ich, ja als er selbst noch kurz vorher gezogen hatte. Dies ist um so auffallender, als er selbst sich folgendermaßen gelegentlich jenes Stadiums, wo die sekundäre Chordascheide zuerst auftritt, äußert: »Es liegt ja außerordentlich nahe anzunehmen, dass die innere Lage die ursprüngliche Cuticula chordae, die äußere dagegen die der skeletbildenden Schicht angehörende Elastiea sceleti ist, dass wir es also mit Bildungen zu thun haben, welche den gleichen Bil- dungen der Elasmobranchier, Dipnoi und Urodelen homolog sind, und so habe ich sie in meinen allgemeinen Bemerkungen vorläufig aufgefasst. .... « In der That muss man sich wundern, warum Hasse diese seine Ansicht nun wieder aufgiebt und sich »für die Zukunft eine wesentliche Änderung« seiner »vor Kurzem veröffent- liehten Anschauungen über die Stammesgeschichte der Wirbelsäule« Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. III. 543 vorbehält. Woher nun dieser Umschwung? Ich suchte mir denselben dadurch zu erklären, dass Hasse durch die Entstehung der Elastica stutzig geworden sei und daran festhielt, eine echte Elastica oder »Cuticula sceleti«, wie er sagt, müsse vom perichordalen Gewebe herstammen. Für diese meine Vermuthung finde ich jedoch bei Hasse, keine Stütze. Er selbst giebt Folgendes als den eigentlichen Grund an: ...., »allein was mich immer wieder stutzig machte, das war der Umstand, dass es mir an keinem Schnitte gelingen wollte, eine vollkommene Trennung derselben « (d. i. der beiden Lagen der Chordascheide) »zu bewirken, wie das bei den Urodelen so leicht möglich ist, trotzdem an dem mir zur Verfügung gestellten Schnitte Verbiegungen und scharfe Knickungen der Cuticularmembranen reich- lich vorhanden waren und unter solchen Verhältnissen die Trennung sonst leicht gelingt.« — Was diese Verschiedenheit vom Urodelenbefund betrifft, so kann nach meiner Ansicht dieselbe keine Bedeutung beanspruchen; denn wenn es Hasse bei letzteren möglich war, die Cuticula sceleti so leicht zu isoliren, so lag dies nur daran, dass er bei den Urodelen eine Bildung für die Cutieula sceleti oder Elastica gehalten hat, welche nach meiner Ansicht nichts mit einer solchen zu thun hat. Wie schon oben bemerkt, werde ich demnächst zeigen, dass Hasse die Verhältnisse bei Urodelen nicht richtig erkannt und eine Bildung für die Elastica gehalten hat, welche in Wahrheit etwas ganz Anderes bedeutet, und dass er die wahre ganz wie bei Cyclostomen und Ga- noiden sich verhaltende Elastica nicht erkannt hat. Fällt aber diese Schwierigkeit fort, so liegt auch kein Grund mehr vor, warum nicht das, was man bisher bei Ganoiden Elastica genannt hat, auch ferner diesen Namen behalte, und da auch Hasse Cyclostomen und Ganoiden einheitlich beurtheilt wissen will, so ver- muthe ich, dass er sich der Rückkehr zu seiner eigenen früheren Auffassung für beide Gruppen nicht verschließen wird. Für mich wenigstens liegt keine Schwierigkeit in diesem Gebiete vor, und durch die Anwendung der Namen primäre und sekundäre Chorda- scheide scheint mir jegliche Unklarheit ausgeschlossen. In seiner Arbeit über die Ganoidenwirbelsäule tritt Hasse in zahlreichen Punkten meinen Angaben und Auffassungen entgegen. Nur ungern entschließe ich mich, diese Angriffe zu beantworten, zu- mal dieselben nur in losem Zusammenhange mit meinem jetzigen 544 Hermann Klaatsch Thema stehen. Durch die Art und Weise jedoch, in welcher Hasse mir entgegentritt, nöthigt er mich zur Erwiederung. Ich unterziehe mich derselben in der Hoffnung, dadurch zu einer Verständigung zwischen unseren z. Th. nicht allzu sehr differirenden Ansichten beizutragen. — Ich hatte bei der Darstellung der Entstehung chordaler Knorpel- wirbel bei Fischen aus einander gesetzt, wie sich allmählich Be- ziehungen zwischen den perichordalen Knorpelbögen und der Chorda- scheide anbahnen, wie die ersteren sich den letzteren unmittelbar anlagern und dass dies nicht ohne mechanischen Einfluss auf die Chordascheide bleiben kann. Im Zusammenhang damit hatte ich gewisse faserige Bildungen im Bogenknorpel als elastische Fasern gedeutet. Zu illustriren suchte ich diese Dinge durch den Hinweis auf ein, einem jungen 12 cm langen Aceipenser ruthenus entnommenes Querschnittsbild. An dieser Auseinandersetzung, die HAsseE als meine »Auflösungstheorie« (der Elastica) bezeichnet, hat dieser Forscher nun großen Anstoß genommen. Es soll nicht richtig sein, dass die Knorpelbogen beim Stör direkt an die Elastica stoßen. HaAssE war sogar in der Lage, an einem gleichen Objekt meine »mangelhaften Beobachtungen aufzudecken «. »Diese erste Entwicklung der knorpeligen Bogenstücke erfolgt niemals, weder bei den Stören noch bei den übrigen Fischen, un- mittelbar an der Cutieularscheide der Rückenseite, wie es KLAATSCH in der Fig. 1... zeichnet,« sondern »zwischen den knorpeligen Bogenbasen und der cuticularen Chordahülle« befindet sich »ein perichondrales Gewebe«. Aus Hasse’s Beobachtungen »geht klar hervor, dass die Entwieklung der knorpeligen Bogen nicht in der inneren, sondern in der äußeren Zellschicht des skeletogenen Ge- webes erfolgte. Alle diese Schlüsse Hasse’s unterschreibe ich sehr gern; ich weiß nicht einmal, was er damit gegen mich vorbringen will. Ich habe ja in der betreffenden Arbeit gar nicht von der Entstehung der Knorpelbögen gesprochen und die Fig. 1 vom 12 cm langen Accipenser stellt ja doch nicht das erste Auftreten der- selben dar. Also trifft mich ja kein einziges von Hasse’s Worten. Dass ich eben so wie Hasse die erste Entwicklung der Knorpelbögen nicht in die unmittelbare Nähe der Chordascheide verlege, geht ganz klar aus meinen Worten hervor (pag. 147): »Die knorpeligen Bogen- bildungen haben sich der Elastica bedeutend genähert; nur an wenigen Stellen findet sich noch eine dünne Bindegewebslage zwischen beiden.« Damit ist auch zugleich ausgedrückt, dass der Knorpel weder von Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. III. 545 vorn herein, noch später überall an die Elastica direkt anstößt. Dass aber diese direkte Anlagerung später eintreten kann, gesteht Hasse selbst zu, und dass sie bereits bei meinem Objekte, namentlich an den unteren Bogen, in großer Ausdehnung eingetreten ist, davon habe ich mich durch erneute Untersuchung auf das Bestimmteste über- zeugen können. Damit sind’ja aber die nöthigen Vorbedingungen für meine »Auflösungstheorie« gegeben und ich weiß nicht, warum HAssE so gegen die Thatsachen ankämpft. Sogar auf dem Bild, welches er selbst giebt (Fig. 7), erkennt man vortrefflich die ganz dichte Anlagerung des Knorpels an die Elastica, obwohl dies Bild gegen mich zeugen soll. Das thut es recht schlecht, denn die mit »äußerer« und »innerer Zelllage der skeletogenen Schicht« bezeich- neten Partien stellen nichts Anderes als die innersten Theile des Knorpels dar, wie wohl jeder unbefangene Beurtheiler des HassE- schen Bildes mir zugeben wird. Aber ein anderer Punkt soll meiner » Auflösungstheorie« gefähr- lich werden. »Es ist ein eigen Ding mit Hypothesen, wenn sich dieselben nicht auf unzweifelhafte und genau beobachtete und ein- gehend in ihrem Entstehen verfolgte Thatsachen stützen.« Es ist HassE gelungen, »eine weitere auf mangelhafter Beobachtung be- ruhende Behauptung von KraAtscH« aufzudecken. Es handelt sich um die oben erwähnten, von mir für elastische Fasern gehaltenen Gebilde im Knorpel. Hasse hat gefunden, dass ich mich in ihrer Deu- tung geirrt habe. Das von mir beschriebene Bild soll auf Folgen- dem beruhen: »Es sind in der Knorpelgrundsubstanz ausgesparte, von langen und verzweigten Fortsätzen der jugendlichen Knorpelzellen eingenommene Räume ete. Leider kann ich auch in diesem Punkte Hasse nicht nachgeben. Ich habe mein Objekt noch einmal ge- prüft, aber ich habe keinen Zusammenhang meiner Fasern mit Knor- pelzellen gesehen, auch von jugendlichen Charakteren (lebhafte Thei- lung und Jugendlichkeit halte ich in diesem Falle nicht für gleich- bedeutend) der Knorpelzellen habe ich nichts gesehen. Vielmehr hatte ich wieder den bestimmten Eindruck, dass es sich um Fasern handelt, die von außen her in die Knorpelgrundsubstanz eindringen, in ähnlicher Weise wie das ja auch beim elastischen Knorpel der Säugethiere der Fall ist. An einigen Stellen glaube ich die betref- fende Faser noch eine Strecke weit außerhalb des Knorpels verfolgen zu können. Für ihre elastische Beschaffenheit spricht ihr starkes Liehtbrechungsvermögen. Auf meiner früheren Abbildung hatte ich sie etwas zu blass angegeben. — Morpholog. Jahrbuch. 22. 36 546 Hermann Klaatsch Aber angenommen auch, Hasse hätte in diesem letzteren Punkt vollkommen Recht, um die Auflösungstheorie käme er damit doch nicht herum. Wenn Hasse glaubt, dass sich dieselbe lediglich auf den Störbefund stützt, so trifft das nicht zu. Angenommen, wir kennten gar keine vermittelnden Zustände, so würden doch Formen wie Chimaera und die Dipnoer deutlich genug zeigen, was für Mo- difikationen die Chordascheide erleiden musste, um ein Eindringen von Knorpelmaterial in die Chordascheide zu gestatten. Die »Auf- lösungshypothese« wäre ein theoretisches Postulat. Ich habe somit keinen Anlass, meinen früheren Standpunkt darin zu verlassen. Ein neues Vorstadium der Elasticadurchbrechungen im Bereich der Bogen- basen ist mir kürzlich an der Teleostierwirbelsäule begegnet, ein Punkt, den ich früher nicht beachtet habe. An Querschnitten junger Forellen (ca. 2 cm) sah ich die undurchbrochene Elastica gerade im Bereiche der Bogenbildungen auffallend verdünnt. Auf die Einwanderung der Knorpelzellen in die Chordascheide werde ich bezüglich der Hasse’schen Angriffe im nächsten Kapitel zurückkommen. Einige Bemerkungen über die Knochenganoiden möchte ich hier anschließen, wenn es mir auch eben so wenig wie HAssE vergönnt war, ontogenetisches Material derselben zu untersuchen. Immerhin hatte ich Gelegenheit, ein junges Exemplar von Calamoichthys zu prüfen, und bei der Wichtigkeit und relativen Seltenheit dieser Form dürfte eine Vergleichung meines Befundes mit dem von HassE ge- gebenen nicht unerwünscht sein. Ich stimme mit Hasse vollkommen überein darin, dass ein enger Anschluss der Knochenganoiden an die Knorpelganoiden besteht und dass auch der Entwicklungsgang bei beiden ein ganz ähnlicher sein wird. Natürlich wäre es dennoch sehr angenehm, wenn die that- sächlichen Verhältnisse genauer bekannt würden. BALFOUR und PARKER’s Angaben genügen für Lepidosteus nicht. Man kann aus denselben kein klares Bild von der Entstehung der Elastica ge- winnen, Neuerdings dürfen wir ja wohl begründete Hoffnung haben, dass Amia und Lepidosteus auf die hier berührten Fragen hin unter- sucht werden, nachdem es gelungen ist, vollständige Entwicklungs- reihen der beiden werthvollen Formen nach Deutschland zu bringen. Bei Lepidosteus darf man namentlich auf die Untersuchung des fadenförmigen Anhanges der Chorda am Schwanze gespannt sein, Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. III. 547 welcher, wie ich kürzlich am lebenden Objekt sah, noch ganz in einer an Tunicaten und Amphioxus erinnernden Weise schlägt. Mög- lich, dass hier ein primitiverer Bau sich erhält. Wichtiger noch als diese Formen scheint mir die Prüfung der Ontogenese bei den Crossopterygiern. Rückt doch diese Ganoiden- abtheilung durch mehr als einen Punkt neuerdings mehr und mehr in den Vordergrund des Interesses, und was speciell die Wirbelsäule anbetrifft, so bringen mich Hasse’s Abbildungen von Polypterus auf Vermuthungen, deren Richtigkeit nachzusehen sich verlohnen würde. Polypterus besitzt offenbar eine sehr dicke Chordascheide. Die- selbe wird von einer » cutieularen Scheide « (Elastica mihi!) umgeben, welche »ohne dass eine regelrechte Einwanderung von Zellen unter dieselbe stattfindet, an den Bogenbasen Lücken« aufweist. Hasse's Fig. 11 legt die Vermuthung nahe, dass hier doch eine regelrechte Einwanderung sich abspielt. Hasse zeichnet ein Stück Chorda, darüber eine breite Zone, die nach außen durch einen, der inneren Peripherie genau parallelen deutlich doppelt-kontourirten Saum abgeschlossen wird. Diese ganze Zone erscheint streifig, bietet aber einen äußeren und einen inneren Theil dar. Der äußere zeigt in die streifige Grundsubstanz eingestreut zahlreiche ovale bis spin- delförmige Zellen, der innere ist zellenfrei. Ein zarter Grenzsaum zwischen beiden wird von Hasse mit ¢ bezeichnet, d. h. er soll »die äußere Lage der cuticularen Scheide« oder in meiner Nomenklatur die Elastica (primäre Chordascheide) darstellen. Die darüber lie- genden Theile werden von HassE gar nicht bezeichnet. Ich würde dies Bild ganz anders deuten, würde die ganze streifige Zone als Chordascheide ansprechen und den erwähnten, offenbar auf dem Querschnitt kreisförmig verlaufenden doppelt kontourirten Saum für die Elastica halten. Thut man dies nicht, so ergiebt sich ein Wider- spruch zwischen Hasse’s Fig. 11 und 10. Letztere zeigt nach außen von der (hier in meinem Sinne und richtig bezeichneten) Elastica Knochengewebe. Auch bei Calamoichthys hat Hasse die Verhält- nisse ganz in einer zu meiner Ansicht passenden Weise bezeichnet. Unklar bleibt also nur Fig. 11 und es müsste jedenfalls angegeben werden, was jene offenbar ringförmige, zellendurchsetzte streifige Masse und der starke Saum daran bedeuten sollen, wenn meine Deutung nicht richtig ist. Ist sie dies aber, so. ergiebt sich eine interessante Parallele zwischen den Crossopterygiern und Dipnoern. Polypterus würde den Störzustand mit dem von Ceratodus vermitteln, in so fern bei Polypterus die Zelleneinwanderung in die Chordascheide 36* 548 Hermann Klaatsch in einem, wenn auch nicht bedeutenden Maße stattfinden würde, und zwar lokal, da sie (cf. Fig. 10 Hasse’s) an anderen Stellen fast ganz unterbleibt. Ich hoffte für diese Dinge bei Calamoichthys Aufschlüsse ge- winnen zu können, aber vergeblich. Möglich, dass mein (12 cm langes) Exemplar noch zu wenig weit entwickelt ist. Auf Fig. 7 Taf. XXII habe ich einen Querschnitt meines Objekts aus der mitt- leren Rumpfgegend abgebildet, und zwar an einer Stelle, wo die Chordascheide noch relativ wenig durch die perichordalen Theile komprimirt ist. Eine Vergleichung mit Hasse’s Abbildung (Fig. 12) ergiebt die weitgehende Übereinstimmung unserer Befunde. Das Chordagewebe zeigt an dieser Stelle eigenthümliches Verhalten. Es geht offenbar bei unserer Form lokal jene Veränderungen ein, die man unter dem Namen der Chordaverknorpelung zusammenfasst, ein histologisch eben so interessanter wie schwieriger Gegenstand. Die Chordascheide zeigt ganz das Verhalten der Cyclostomen und Knorpelganoiden. Die Elastica (EZ) ist sehr schön entwickelt und zeigt im Bereich der Bogenbasen einige größere Durchbrechungen (A), aber zu einer Einwanderung von Zellen kommt es nicht. An anderen Stellen hatte es den Anschein, als ob wenigstens einige Zellen sich unter die Elastica schöben, aber nach gründlichster Prüfung musste ich doch wieder zu einem negativen Resultat ge- langen. Neue Untersuchungen, namentlich anderer Stadien, sind drin- gend geboten. Über anderweitige Punkte der Wirbelsäule werde ich bei einer späteren Gelegenheit berichten. V. Selachier. An Selachiern stellte CLaus seine Beobachtungen an, welche fiir mich der Anlass zur vorliegenden Arbeit wurden. An 5 mm langen Acanthiasembryonen fand er das frühzeitige Auftreten der Elastica zu einer Zeit, wo noch kein perichordales Gewebe vorhanden ist. So lieferte er den Beweis, dass die Chorda selbst die Elastica bildet, und spricht mit vollem Recht von einem Amphioxusstadium der Se- lachierwirbelsäule. Da ich vermuthe, dass CLaus noch eine ausführ- liche Schilderung und Abbildung seiner Befunde geben wird, so fasse ich mich bezüglich meiner Erfahrungen, die an Torpedo und Pri- stiurus gemacht wurden, kurz, und will nur meine vollkommene Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. III. 549 Zustimmung zu CLAus’ Resultaten betonen. Ich muss bekennen, dass ich schon früher zu diesem Ergebnis hätte gelangen können, denn die erneute . Prüfung eines 7 mm langen Torpedo, den ich schon früher kannte und erwähnte, zeigt die hierfür nöthigen Stadien. Mein Urtheil war damals noch befangen und ich hielt an der peri- . ehordalen Quelle der Elastica fest. Ich glaubte auch bereits Spuren der (sekundären) Chordascheide an dem betreffenden Objekt wahr- nehmen zu können, was ich jetzt nicht mehr aufrecht erhalten kann. Ich finde den Zustand dieses Torpedoembryo vollkommen mit Craus’ Schilderung übereinstimmend. Die erste Andeutung der pri- mären Chordascheide oder Elastica sehe ich bereits an den Schnitten, auf denen die Chorda noch nicht ganz vom Entoderm sich isolirt hat, so dass sie hier direkt in den sehr zarten Basalsaum des letz- teren sich verfolgen lässt. Weiter vorn, wo die Chorda selbständig geworden ist, zeigt die junge Elastica starkes Lichtbrechungsver- mögen. Wir-finden nun ganz ähnliche Verhältnisse, wie ich sie auf Fig. 4 Taf. XXII von Petromyzon dargestellt habe. Dass dieses Stadium der allein bestehenden Elastica ziemlich lange andauert und dass auch im Bau der Chorda Anklänge an Amphioxus sich nachweisen lassen, möchte ich durch den Hinweis auf die Verhältnisse von 6—8 mm langen Pristinrusembryonen illu- striren, denen die Fig. 8 Taf. XXII und Fig. 6 Taf. XXIII entnom- men sind. Die Querschnittserie eines solchen Objektes zeigt alle Stadien der Zellenausbreitung in der Umgebung der Chorda. Wie die dem hinteren Rumpftheil entlehnte Abbildung Fig. 8 zeigt, ist hier die Chorda (Ch) bereits fast ganz von einem perichordalen Gewebe (sh) umhüllt, welches auch die Stellen der Bogenbildungen einnimmt. In der Chorda hat die Vacuolisirung der Zellen bereits Fort- schritte gemacht. Als Hülle besteht auch jetzt noch ausschließlich die Elastica (Z), die, wenn auch ziemlich dünn, doch durch ihr starkes Lichtbrechungsvermögen sehr deutlich hervortritt. Ein Chorda- epithel fehlt noch. Von Pristiurus standen mir nur wenige Stadien zu Gebote, nicht genug, um alle Einzelheiten des perichordalen Gewebes hinreichend klarzustellen. Doch scheinen mir, wie ich schon oben beim Stor hervorhob, manche wichtige Punkte noch die genauere Untersuchung zu lohnen. So dürfte vor Allem das Schicksal des hypochordalen Stranges genauerer Feststellung bedürfen und ich möchte hier nur die Frage aufwerfen, ob seine Elemente nicht vielleicht dem peri- 550 Hermann Klaatsch chordalen Gewebe sich beimischen dürften. Wie Hassr, so werde auch ich immer wieder zur Vermuthung solcher Beziehung der Hypo- chorda zum perichordalen Gewebe gedrängt (cf. Fig. 8). Man wird vielleicht einwenden, dass ja die Quelle dieses Gewebes im Sklerotom vorliege. Dem gegenüber würde ich die Möglichkeit einer doppelten Quelle betonen. Gegen eine solche sprieht das spätere Schicksal dieser Theile nicht; sehen wir doch verschiedene histologische Be- standtheile in der Umgebung der Chorda sich sondern und im Binde- gewebe später den Knorpel auftreten. Letzteren einfach für modi- fieirtes Bindegewebe zu halten, kann ich mich vorläufig nicht ent- schließen und halte wenigstens die Fragestellung für berechtigt, ob er nicht aus einer anderen Quelle als das perichordale Bindege- webe herstammt. Möchte doch diesen Fragen die Aufmerksamkeit anderer Forscher, die über ein reicheres Material verfügen, sich zu- wenden! Sagittalschnitte eines ganz ähnlichen Stadiums (Fig. 6 Taf. XXIII ist der vorderen Rumpfgegend entnommen) zeigen bezüglich der Chordazellenanordnung ein sehr interessantes Faktum. Dieselbe ist total verschieden von dem Bilde, welches man auf Längsschnitten älterer Embryonen erhält. Die Eigenart dieses frühen Zustandes kann durch nichts Anderes so treffend erläutert werden, als durch den Hinweis auf die scheibenartige Anordnung der Chordazellen beim Amphioxus. Eine Vergleichung des Bildes (Fig. 6. mit Fig. 4 Taf. XXIII) mit dem Sagittalschnitt eines jungen Amphioxus enthebt mich wohl einer genaueren Ausführung und zeigt, dass wir hier in der That das Amphioxusstadium der Selachier vor uns haben, wie ich es in ähnlicher Weise von Cyelostomen und Te- leostiern nachweisen konnte. Die Kerne sind alle oval und stehen mit ihrer Längsachse annähernd senkrecht zu derjenigen der Chorda. Auffallend ist, dass wenige Kerne an der Peripherie der Chorda liegen. In allen Punkten kann natürlich solche Vergleichung nicht durchgeführt werden. So konnte ich hier bisher keine dorsale und ventrale Anhäufung von Kernen auffinden. Aber die Art und Weise, wie die Zellwände sich von der primären Chordascheide abheben und unter leichten Biegungen und Knickungen zur gegenüberliegen- den Partie der Scheide verlaufen, wie die Zellen alle in der Rich- tung der Längsachse der Chorda komprimirt sind, wie die Kerne sich den Wandungen anlegen — bisweilen erscheinen sie gerade so wie bei Amphioxus enorm komprimirt und zwischen die Wandungen eingekeilt — dies Alles darf wohl als ein untrügliches Zeugnis dafür Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. III. 551 angenommen werden, dass wir es hier mit der Rekapitulation eines wichtigen Vorfahrenstadiums der Selachier zu thun haben. Die allmähliche Ausbildung der sekundären Chordascheide und des Chordaepithels hat CLaus an seinem Material verfolgen können. Ich traf entsprechende Stadien bei 2,5 em langem Acanthias. Hier fiel mir die Dicke und Mehrschichtigkeit des Chordaepithels in dieser Periode auf. Damit knüpfe ich an jene Stadien, die mich früher beschäftigt haben. Da Cuaus für diese die Richtigkeit meiner An- gaben anerkennt, brauche ich nicht weiter auf diese einzugehen. Darauf, ob schon frühzeitig eine Andeutung fibrillären Zerfalls in der Chordascheide eintritt, wie ich glaubte annehmen zu müssen, will ich den negativen Angaben von ULAaus gegenüber kein großes Gewicht legen. Auch bezüglich der Selachier sehe ich mich leider genöthigt, mich über einige Punkte mit Hasse aus einander zu setzen. Der- selbe greift meine Darstellung von der Einwanderung der Knorpel- zellen in die Chordascheide an. Zunächst will er nichts davon wissen, dass es Knorpelzellen sind, welche durch die Elasticaliicken eindringen, wenigstens zuerst sollen es andere Elemente — »die Zellen der ursprünglichen skeleto- genen Schicht« — sein. Da nun Hasse aber für »später« die Be- theiligung von Zellen der knorpeligen Bogenbasen an der intercuti- eularen Einwanderung zugesteht, so trübt er selbst die Einheitlichkeit seiner Auffassung. Man müsste doch, wenn Hasse Recht hat, zwei verschiedene Arten von Elementen in der Chordascheide sehen, was mir nie gelungen ist. Ich muss vielmehr an meiner Ansicht fest- halten, dass es von vorn herein Knorpelzellen sind, welche die Ein- wanderung besorgen. Wenn die Einwanderung bei Mustelus beginnt, stößt der Knorpel direkt an die Elastica und da ist kein »skeleto- genes« Gewebe mehr dazwischen. Die wiederholte und genaue Prü- fung meiner Objekte berechtigt mich zum entschiedensten Widerspruch. Unrecht habe ich nur in dem einen Punkte: ich hatte geglaubt, dass Hasse das Richtige erkannt und es nur nicht scharf genug ausgedrückt habe. Hierin habe ich geirrt, wie ich durch seine Er- klärung erfahre. Der zweite Punkt betrifft das Material, in welches hinein die Knorpelzellen wandern. Nach meiner Ansicht, an welcher ich auch nicht das Geringste zu ändern habe, ist es die (sekundäre) Chorda- 552: d Hermann Klaatsch scheide, in welcher sich die Zellen verbreiten, mag dieselbe nun bereits fibrillar differenzirt sein oder nicht. Den Beweis hierfiir bin ich keineswegs schuldig geblieben, wie Hasse meint. Dazu bedarf es nicht früher Entwicklungsstadien der Dipnoer. Die Selachier zeigen ja die Verhältnisse ganz klar: Die Chordascheide hat vor dem Eintritt der ersten Zellen dieselbe Dicke wie unmittelbar nachher. Man kann direkt beobachten, wie sich Eindringlinge in der Substanz der Scheide verbreiten. Welche Schwierigkeit besteht also hier noch? Wenn Hasse von mir den Beweis dafür verlangt, dass vor der Einwanderung »eine Substanz zwischen den beiden Cuticulae vorhanden war«, so scheint er meine ganze Anschauungsweise missverstanden zu ‚haben, da ich ja doch stets eine innige Aneinanderlagerung der beiden »Cuticulae« annehme. Solche »Massen« zwischen den »Cuticulae« habe ich eben so wenig wie HAssE je gesehen. Ich habe aber auch nie gesehen, dass eine ganze Gewebsschicht durch die Lücken der Elastica einwuchert, und aus diesem Grunde kann ich den Begriff der Hasse’schen Inter- eutieularschicht durchaus nicht acceptiren. Durch meine Untersuchungen angeregt, ist Hasse bezüglich der Dipnoer zu einer Änderung seiner Anschauungen gelangt, die ich nicht erwartet hatte und durch welche Hasse’s Auffassung vom Sy- stem der Wirbelsäule eine neue Komplikation erfährt. In seiner vierten Abhandlung hatte er die Elastica der Dipnoer als eine echte »Cutieula sceletic erkannt. Nun wird er daran zweifelhaft und findet es »durchaus nicht unwahrscheinlich«, dass die Dipnoer gar keine Cuticula sceleti haben, sondern dass die dafür gehaltene Bil- dung eine »Cuticula chordae« sei! Aber bei den Elasmobranchiern besteht eine Cutieula sceleti für Hasse auch jetzt noch. Da er nun die offenbare Ähnlichkeit zwi- schen Selachiern und Dipnoern nicht ignoriren kann — hatte er doch beiden eine »Intercuticularschicht« zugeschrieben —, so gelangt er zu folgendem merkwürdigen Vergleichungsmodus beider Gruppen: Die Dipnoer »sind dann von den Cyclostomen und Ganoiden durch den Besitz einer Intereutieularschicht unterschieden, durch eine Schicht, welche wie bei den Elasmobranchiern und Urodelen der skeletbilden- den Schicht entstammt, aber nicht wie bei diesen durch eine von ihr gebildete Cuticula sceleti, sondern durch die ursprüngliche Cuticula chordae wucherte«. Dieser Schlussfolgerung kann ich nicht folgen. -Wir können den Kernpunkt der Frage, um den es sich hier Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. III. 553 handelt, nämlich die Homologie der Chordascheiden, von einer an- deren Seite her beleuchten. Wir müssen uns fragen: Wo besteht denn nun nach Hasse noch eine wirkliche echte Cuticula sceleti? Offenbar bleiben von der stattlichen Reihe von Formen, denen er einst dieselbe zuschrieb, nur noch die Elasmobranchier und Uro- delen übrig. Die letzteren können wir eliminiren, da deren Ver- hältnisse von Hasse unrichtig beurtheilt worden sind. Und die Elasmobranchier? Ich bin begierig zu erfahren, wie HassE sich jetzt nach den von CLAus und mir erzielten Resultaten ihnen gegen- überstellen wird. Wenn er einigermaßen konsequent verfährt, so bleibt ihm nur der folgende Weg: Nach der Erkenntnis, dass die Elastica der Selachier von der Chorda selbst geliefert wird, darf dieselbe nicht mehr als »Cuticula sceleti« aufgefasst werden. Offen- bar wird Hasse sie nun für die Cuticula chordae erklären, die Elasmobranchier stimmen alsdann aufs schönste mit den Dipnoern, Cyelostomen und Ganoiden überein. Die bisher als Chordascheide bezeichnete Partie ist der »Faserhülle« der letzteren homolog, und nach der Hasse’schen Nomenklatur gehören die »Elasmobranchier« nun nicht mehr zu den »Elasmobranchiern«, sondern zu den »Tecto- branchiern«! Damit sind wir denn glücklich zum Ausgangspunkt zurückgelangt: Eine Cuticula sceleti existirt überhaupt nicht. Was bisher Elastica hieß, soll Cuticula chordae sein, und Chordascheide soll Faserhülle heißen. Das ganze Resultat ist also nur ein Namensaustausch! So führt das ganze künstliche, stets sich verändernde System der Hasse’schen Wirbelsäulenklassifikation sich durch seine Konse- quenzen selbst ad absurdum. Ich fürchte daher nicht, dass seine Ansichten die Sinne und einheitliche Auffassung, die ich. in dieser Arbeit zu begründen suchte, ernstlich gefährden oder gar verdrängen werden. Bin ich aber auch dessen ganz sicher, dass meine »Ansichten die Verbreitung finden werden, die sie verdienen«, so würde es mich doch am meisten er- freuen, wenn es mir gelingen sollte, meinen Gegner selbst zu der von mir vertretenen Anschauungsweise zu bewegen. Ich bedauere es sehr, dass immer größere Differenzen sich da entwickeln, wo einer schönen und für den Fortgang des Ganzen förderlichen Über- einstimmung durch die thatsächlichen Verhältnisse keine Schwierig- . keiten in den Weg gelegt werden, und ich gebe der Hoffnung Aus- druck, dass auf dem vorliegenden Gebiete bald eine Verständigung erzielt werden möge. 554 Hermann Klaatsch Allgemeines und Ergebnisse. Die Resultate der vorliegenden Untersuchung gestatten eine end- gültige Feststellung der Homologie der Chordascheiden bei Fischen. Was Craus an Selachiern erkannt hatte, suchte ich in seiner all- gemeinen Geltung darzuthun. Ich glaube zugleich diejenigen Ge- sichtspunkte gefunden zu haben, von denen aus die Geschichte der Chordascheiden betrachtet werden muss — eine Ansehauungsweise, bei welcher die Umwandlungen des Achsenskelettes in Vorfahren- perioden der jetzt lebenden Chordaten sich als ganz natürliche und leicht verständliche ergeben. Dies betrifft nicht nur die Chorda- scheiden, sondern auch die Anordnung und Beschaffenheit der Chorda- zellen. Als Ausgangspunkt wähle ich eine Vorfahrenform der Chordaten, welehe mit Vertretern der Tunicatengruppe manches Gemeinsame gehabt haben mag. Ohne die übrige Organisation zu erörtern, glaube ich annehmen zu dürfen, dass die Chorda nicht in der ganzen Länge des Körpers, sondern in einem schwanzartigen Anhange zu- erst eine größere Rolle für den Gesammtorganismus zu spielen be- gann. Durch viele Punkte veranlasst, neige ich der Anschauung zu, dass in der Chordatenreihe Formen anzunehmen sind, welche aus einem, den späteren Kopf und Rumpf gemeinsam umfassenden Theil und einem Schwanzanhang bestanden, und dass erst allmählich eine fischähnliche Körperform daraus hervorging. Die Gründe dieser Anschauung hängen zu innig mit der Frage der Phylogenese der Chorda überhaupt zusammen, als dass ich hier darauf eingehen könnte. Letztere Frage, die zu den schwersten in der ganzen Moı- phologie gehört, hat mich schon oft beschäftigt, aber ich bin noch zu keinem einwurfsfreien Ergebnis gelangt. Nehmen wir also eine den Aseidienlarven ähnliche Körperform als Ausgangspunkt und stellen wir uns die Chorda als eine einfache Zellreihe vor. Dieses Achsenskelet wird, wie uns Ascidien und Appendicularien zeigen, durch seine Elastieität als ein Hilfsapparat der Muskulatur dienen, wie ich das oben aus einander gesetzt habe. Die Erzeu- gung einer dünnen Hülle, einer Art Basalmembran, entspricht dieser Aufgabe, Von diesem Zustande aus stellt die bei den jetzt lebenden Tuni- caten eingeschlagene Bahn eine einseitige Entwicklungsrichtung dar. Die Absonderung zäher Inhaltsmassen darf wohl als ein der Chorda von Entoderm her mitgegebenes Erbtheil angesehen werden. Ganz Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. II. 555 einseitige Ausbildung dieser vacuolenbildenden Fähigkeit charakteri- sirt die Tunicatenchorda, deren Elemente zum Wandbeleg der dünnen Grenzmembran herabsenken. Eine zweite Entwicklungsbahn führt uns zu Amphioxus. Hier hat jene Vermischung des Kopf-, Rumpf- und Schwanztheiles stattgefunden, auf die ich hinwies. Die Chorda ist ein Organ des ganzen Körpers geworden und neue Aufgaben fallen ihr zu. Immer noch ist es die Elastieität, worin hauptsächlich ihre Bedeutung be- ruht, wenn auch naturgemäß die Rolle eines Stützorgans für die benachbarten Theile nicht damit herabgemindert werden soll. Aber bei der Bewegungsweise ist die Elastieität die besonders hervor- tretende Erscheinung. Wie man auch über die Vorfahrenformen des Amphioxus denken mag, jedenfalls wird man annehmen müssen, dass die Chorda sich sekundär gegen das vordere Körperende hin verlängert hat, und gerade in diesem Umstande liegt die Eigenart der Form und Bewegungsweise des Amphioxus!. Nicht an jetzt lebende Tunicaten, sondern an längst untergegangene Formen muss man ihn anschließen. Dies zeigt sich auch an der Chorda. Wir können nur gewisse, mit den Tunicaten gemeinsame Punkte auf- stellen — die membranbildende und vacnolenbildende Fähigkeit der Zellen — die Verwerthung dieser geschieht von vorn herein in ganz anderem Sinne. Die zarte Grenzmembran der Tunicaten tritt uns nun als eine sehr mächtige Elastica entgegen. Die Chordazellen liefern ferner an ihren Berührungsflächen dieke Membranen, die gleichsam wie Scheidewände den Strang durehsetzen. Die Ab- flachung der mittleren Zellen in einer zur Längsachse senkrechten Richtung lässt die typische scheibenähnliche Form der Chordazellen hervorgehen. An der dorsalen und ventralen Seite der Chorda sehen wir nun aber neue Dinge sich anbahnen, Indem die Zellen auf embryonaler Stufe sich erhalten, liefern sie eine nun scheinbar als etwas Neues uns entgegentretende Gewebsform, ein dünnwandiges kleinzelliges Chordagewebe im Unterschied vom cen- tralen großzelligen. Möglich, dass hier mechanische Momente gerade an diesen Partien eine Rolle spielen und die Modifikation des Chorda- gewebes begünstigen. : Eine dritte Bahn führt uns zu den Fischen. Wenn ich auch den Amphioxus als einseitig entwiekelt betrachte, so kann 1 Auch Wırrey betont neuerdings die sekundäre Ausdehnung der Chorda nach vorn und die biologische Bedeutung dieses Faktums für Amphioxus. 556 Hermann Klaatsch doch nieht verkannt werden, dass diese zu den höheren Chordaten führende Entwicklungsriehtung viel Gemeinsames mit der zweiten hat, und da ist denn wohl der Ausdruck »Amphioxusstadium« als Durchgangsstufe für die höheren berechtigt. Ich habe gezeigt, dass bei vielen Fischen sich dieses Amphi- oxusstadium nachweisen lässt. In ausgezeichneter Weise lässt uns hier die Ontogenese die Rekapitulation von Vorfahren- stufen erkennen. Die Elastica tritt auf wie bei Amphioxus, die Zellen ordnen sich in derselben Weise an. Darauf aber folgt eine neue Periode und die Amphioxuscharaktere werden überwunden, in den Hintergrund gedrängt. Welche Faktoren sind nun für diese Umwandlungen maßgebend? Dies lässt sich ‚schwerlich in Kürze sagen. Wir können nur darauf hinweisen, dass mit der Erhebung des Organismus auf eine neue Stufe, die durch vollkommenere Ent- faltung aller übrigen Organsysteme sich auszeichnet, auch das Achsen- skelet, neuen Ansprüchen nachkommend, eine Komplieirung und Ver- vollkommnung erfahren muss. Dass dabei die perichordalen Theile eine wichtige Rolle spielen werden, liegt auf. der Hand. Die ge- webliche Komplikation der Bogenbildungen, vielleicht die aus unbe- kannter Quelle erfolgende Entfaltung des Knorpels in der Umgebung der Chorda ändert die Bedeutung der letzteren. Es kommt nicht mehr so sehr auf die Elastieität derselben an, als darauf, dass sie den umgebenden Theilen eine feste und doch nach- giebige Unterlage gewähren. Was beim Amphioxus nur an beschränkter Stelle der Fall war, gewinnt jetzt allgemeine Geltung. Das kleinzellige Chorda- sewebe dehnt sich fast über den ganzen Querschnitt der immer voluminöser sich entfaltenden Chorda aus. Das groß- zellige diekwandige Gewebe hat seine Hauptrolle ausgespielt. Es erhält sich jedoch noch in Resten. Als solche betrachte ich alle jene Verdichtungen des Chordagewebes, die als Chordastrang ete. bekannt sind. Ihre centrale Lage entspricht derjenigen des betref- fenden Gewebes beim Amphioxus und entspricht zugleich der Lo- kalität, an welcher dies Gewebe noch am längsten eine mechanische Rolle zu spielen geeignet ist. Für sehr möglich halte ich es auch, dass jene interessanten Modifikationen des Chordagewebes, die als Chordaknorpel zusammengefasst werden, an diese diekwandige Ge- websform sich werden anknüpfen lassen, ein Punkt, auf den ich bei den Amphibien einzugehen gedenke. Mit diesen Veränderungen der Chordastruktur gehen die der u TE Me es Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. III. 557 Chordascheide Hand in Hand. Auch die Elastica muss ihrer Herrschaft entsagen. Ein neues Gebilde übernimmt an ihrer Stelle die Hauptrolle. Jenes kleinzellige Chordagewebe sahen wir durch den Besitz viel dünnerer Membranen vom älteren großzelligen unter- schieden. Es macht den Eindruck, als ob die membranbildende Thätigkeit der jüngeren Generation sich in einer ganz neuen Richtung bethätigen sollte im Dienste des ganzen Achsenskelettes. Nicht zwischen den einzelnen Zellen, sondern an der Pe- ripherie setzen die sich nun regelmäßiger — zum soge- nannten Chordaepithel anordnenden peripheren Chorda- zellen ihr Produkt ab, welches zunächst homogen, später einen fibrillären Zerfall eingeht und welches der elasti- schen Fähigkeiten der älteren Hülle entbehrt. So gesellt sich zur primären Chordascheide oder Elastica die sekundäre oder eigentliche Chordascheide. Den Übergang des einen Zustandes in den anderen dürfen wir uns freilich nicht plötzlich denken, aber wir kennen keine Formen, welche im er- wachsenen Zustande eine Vermittelung zeigten. Höchstens könnte man daran denken, bei Amphioxus selbst Spuren eines solchen Ver- haltens annehmen zu können. Die Chordascheide des jungen Thieres ist eine reine, ganz homogene Elastica, aber die des erwachsenen zeigte den Beginn eines fibrillären Zerfalls und einer koncentrischen Schichtung. Da wäre vielleicht ein beginnender Übergang zum neuen Zustande anzunehmen. So sehen wir, wie nach einander zwei verschiedene Hül- len von der Chorda aus gebildet werden. Ihre Verschieden- heit und ihre Aufeinanderfolge drücken zwei verschiedene Perioden aus, welche der Wirbelthierorganismus durch- laufen hat. Die primäre Chordascheide oder Elastica ist eine altererbte Bildung aus jener Zeit, wo noch die Ela- stieität des Achsenskelettes die Hauptrolle spielte. Die sekundäre Chordascheide ist eine neue Errungenschaft der höheren Chordaten. 558 Hermann Klaatsch Litteraturverzeichnis. (Vergleiche auch die Verzeichnisse der früheren Mittheilungen:. Morphol. Jahrbuch. Bd. XIX. pag. 679 und Bd. XX. pag. 184.) C. CLAus, Uber die Herkunft der die Chordascheide der Haie begrenzenden äuße- ren Elastica. Kaiserl. Akademie der Wissenschaften. Jahrgang 1894. Nr. XII. Sitzung der math.-naturw. Klasse. 4. Mai 1894. DELLA VALLE, Nuove contribuzione alle Storia naturale delle Aseidie composte del Golfo di Napoli. Atti della R. academia dei Lincei. 1880—1881. Vol. X. H. For, Etudes sur les Appendiculaires du detroit de Messine. Mémoires de la Société de physique et d’histoire naturelle de Genéve. Tome XXI. 2me partie. Geneve 1872. C. GEGENBAUR, Bemerkungen iiber die Organisation der Appendicularien. Zeitschrift für wiss. Zoologie. Bd. VI. 1855. (©. Hasse, 1) Allgemeine Bemerkungen über die Entwicklung und die Stammes- geschichte der Wirbelsäule. Anatom. Anzeiger. VIII. Jahrgang. 1892. 2) Das natürliche System der Elasmobranchier auf Grundlage des Baues und der Entwicklung ihrer Wirbelsäule. Jena 1879 und 1882. 3) Beiträge zur allgemeinen Stammesgeschichte der Wirbelthiere. Jena 1883. 4) Die Entwicklung der Wirbelsäule von Triton taeniatus. Zeit- schrift für wiss. Zoologie. LIII. Suppl. 1892. 5) Die Entwicklung der Wirbelsäule der ungeschwänzten Amphi- bien. Ebenda. LV, 2. 1892. 6) Die Entwicklung der Wirbelsäule der Elasmobranchier. Ebenda. LV, 3. 1892. 7) Die Entwicklung der Wirbelsäule der Dipnoi. Ebenda. LV, 4. 1893. 8) Die Entwicklung und der Bau der Wirbelsäule der Ganoiden Ebenda. LVII, 1. 1893. 9) Die Entwicklung der Wirbelsäule der Cyclostomen. Ebenda. LVII, 2. 1893. B. HATSCHEK, Studien über Entwicklung des Amphioxus. Arbeiten aus dem zoolog. Institut der Universität Wien. Bd. IV. Heft 1. Wien 1881. H. KLAATSCH, 1) Uber den Urzustand der Fischwirbelsiule. Morphol. Jahrb. XIX, 4, 1893. 2) Uber die Bildung knorpeliger Wirbelkörper bei Fischen. Ebenda. XX, 2. 1893. 3) Über die Wirbelsäule der Dipnoer. Verhandlungen der anatom. Gesellschaft in Göttingen. 1893. KOWALEVSKY, 1) Entwicklungsgeschichte der einfachen Ascidien. 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Die Chorda zeigt einen zarten, aber sehr deutlichen stark licht- brechenden Saum (EZ), die Anlage der primären Chordascheide oder Elastica. Sonderung der Chordazellen in dorsale, ventrale und mittlere. In denselben beginnen die Vacuolen aufzutreten. Vergr. 800/1. Amphioxus, Jung; 5 mm lang. Querschnitt der vorderen Rumpf- region. Muskulatur und cuticulares Skelet entsprechen bereits dem fertigen Zustand. Die Chorda ist von der ziemlich dieken primären Scheide oder Elastica umgeben, welche gegen die Bogenbildungen sich deutlich absetzt. Dorsale, ventrale und centrale Chordazellen deutlich geschieden. Kerne der letzteren am größten. Vergr. 800/1. Fig. 3. Petromyzon. Embryo. 2 mm lang. Querschnitt der Körpermitte. Nervensystem, Darm, Muskulatur der Chorda unmittelbar angelagert. Dreieckige Lücken dazwischen. Die Chorda ist bereits z. Th. vacuo- lisirt. Dorsale, centrale und ventrale Kerne wie bei Amphioxus. An- häufung der letzteren erinnert besonders an Amphioxuszustände Um die Chorda tritt die zunächst noch zarte primäre Chordascheide (Ela- stica) auf. Im Protoplasma der Chorda zahlreiche Dotterpartikelchen. Vergr. 800/1. Fig. 4. Petromyzon. Embryo, 6 mm. Cauda. Querschnitt. Perichordale Ele- mente fehlen noch gänzlich. Dennoch ist die Elastica vollständig ent- wickelt, sogar in ziemlich bedeutender Dicke, sie wird also zweifellos von der Chorda selbst geliefert. Vergr. 600/1. Fig. 5. Accipenser sturio. 9 mm. Hintere Rumpfregion. Querschnitt. Bogen- bildungen vollständig von Elementen der skeletoblastischen Schicht durchsetzt. Gleichzeitig mit der Ausbildung eines Chordaepithels (che) hat sich die sekundäre Chordascheide zu bilden begonnen. Vergr. 200/1. Fig. 6. Theil von Fig. 5 bei stärkerer Vergrößerung, um die dünne sekundäre Chordascheide deutlicher zu zeigen. Vergr. 500/1. tN Fig. 560 H. Klaatsch, Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule. III. Fig. 7. Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4. Calamoichthys calabaricus. 12 cm lang. Theil eines Querschnittes aus der Körpermitte. Stelle zwischen zwei Wirbelkörpern, wo die se- kundäre Chordascheide mächtig entwickelt ist. Die Elastica zeigt am Bogenknorpel größere Lücken (4), aber die sekundäre Chordascheide bleibt gänzlich frei von Zellen. os Knochen der Bogen. Vergr. 450/1. Pristiurus. Embryo, 8 mm lang. Querschnitt der hinteren Rumpf- region. Vacuolisirung der Chorda. Die primäre Chordascheide (Ela- stica) allein vorhanden. Vollständige Umhüllung derselben durch Ele- mente der skeletoblastischen Schicht, welche auch dicht an die Hypo- chorda heranreichen. Vergr. 450/1. Tafel XXIII. Ciona intestinalis. Embryo. Sagittalschnitt der Cauda. Die Chorda besteht aus großen, sich mit spitzen Enden zwischen einander einkeilen- den Elementen. Es fehlt noch jede Vacuolisation. Links und abwärts würde der vordere Theil des Körpers anschließen. Rechts von der Chorda sieht man das Centralnervensystem, dessen Lumen z. Th. ge- troffen ist. Links von der Chorda ist der entodermale (ent) Zellstrang des Schwanzes sichtbar. ect Ektoderm. Vergr. 800/1. Larve von Fragarium areolatum (Ascidiae compositae). Profilbild der Chorda, nach dem lebenden Objekt entworfen, um die regelmäßige Anordnung der Chordazellen zu zeigen. Das Protoplasma derselben ist mit gelbrothen Körnchen durchsetzt, die auf der Figur mit brauner Farbe wiedergegeben wurden. Kerne hell. Vergr. ca. 500/1. Amphioxus, jung, 3,5 mm. Horizontalschnitt des Körpers (mittlerer Theil). Die Chorda zeigt ihre regelmäßigen scheibenähnlichen Elemente mit centralen Kernen. Periphere Kerne naturgemäß hier nicht sichtbar, da dieselben nur dorsal und ventral sich finden. Dicke (primäre) Chordascheide. Asymmetrische Anheftung der Myosepta (m). Anpas- sung der Chorda an dieselben. N Nervenquerschnitte. Vergr. 500/1. Amphioxus, jung, 6 mm lang. Medianer Sagittalschnitt der Chorda. Links würde das Nervensystem, rechts der Darm anschließen. Kopf- ende abwärts gekehrt. Dicke Elastica. Scharfe Sonderung der dor- salen, ventralen und centralen Kerne. Dorsal und ventral das klein- zellige (MULLER’sche) Gewebe. Abgeplattete Form der centralen Kerne. Verlauf der Septen anders als auf dem Horizontalschnitt, mehr unregel- mäßig, gekrümmt und geknickt. Vergr. 500/1. Petromyzon. 6mm. Horizontalschnitt der Chorda, um die relativ regelmäßige Anordnung der Chordazellen zu zeigen. Dicke Elastica. Periphere und centrale Chordazellen. Vergr. 600/1. Pristiurus. 6 mm. Medianer Sagittalschnitt der Chorda. Vordere Rumpfregion. Anordnung der Chordazellen gänzlich vom späteren Zu- stand verschieden und an Amphioxuszustände erinnernd. Elastica allein vorhanden. Vergr, 450/1. Back Me En ae pe ee TER FAN. . Lith Aqst.wEA Funke, Leipzia, Taf XXil. Morpholog. Jahrb. Ba XXU. | u h : R Br M Be u -- Nb \ 7 ) we v / Rede y if {48 . Hi \ Bi sk \\e J A ee! Zu fan Asch wey 7 Ay ’ i r Hb Fig. 2 Fig 7 = E = = — os K dn MS Nb m | | i| th r, E an Hb m Er) Elıstsch dal \ Wilh. Engelmann Taf XXMI. EA Funke, Leipzig, {2 = < a aa eihTirinimpeg wares. Über wissenschaftliche Verwerthung der Arbeit im Präparirsaal. - Von Dr. Emil Rosenberg, Professor der Anatomie in Utrecht. Es ist seit einigen Jahren an verschiedenen Orten und fast gleichzeitig das Bestreben zu Tage getreten, eine wissenschaftliche Verwerthung der Arbeit im Präparirsaal zu erreichen. Durch D. J. CUNNINGHAM und A. MACALISTER ist eine Anzahl anatomischer In- stitute Englands dazu angeregt worden und im Straßburger anato- mischen Institut haben G. SCHWALBE und W. PFITZxER hierauf sich beziehende Untersuchungen unternommen. Mir war beim Antritt der anatomischen Professur in Utrecht die Gelegenheit gegeben, über diese Angelegenheit, die in der Litteratur damals noch nicht be- sprochen war, mich zu äußern und ich beabsichtige, in dem vor- liegenden Aufsatz meine früher publieirten Erörterungen weiter aus- zuführen. Bei Allen, die sich an diesen Bestrebungen betheiligt haben, ist der Gedanke, es könne die Arbeit im Präparirsaal über das bekannte, ihr gewöhnlich gesteckte Ziel hinaus verwerthet wer- den, der gleiche, aber in anderer Hinsicht machen sich Verschieden- heiten der Auffassung geltend; sie betreffen besonders die Methode und die Aufgabe der zu besprechenden Untersuchungen. Diese Seite der Angelegenheit ist sicherlich eine sehr wesentliche, da hierauf sich beziehende Verschiedenheiten der Auffassung den Charakter der Arbeit und somit auch ihr Ergebnis entscheidend beeinflussen. Dess- halb dürfte es berechtigt erscheinen, die Frage nach der Methode und dem Ziel der Arbeit zum Gegenstand eines Aufsatzes! zu machen. 1 Ein kurzer Auszug aus dem vorliegenden Aufsatz ist in Basel bei der neunten Versammlung der anatomischen Gesellschaft von mir (20. April 1895) vorgetragen worden. Morpholog. Jahrbuch. 22. al 562 Emil Rosenberg Es erscheint mir zweckmäßig, zuvörderst in kurzen Zügen die bisherigen Bestrebungen zu charakterisiren. CUNNINGHAN!, der zuerst einen Bericht über Ergebnisse der in Rede stehenden Benutzung des Präparirsaales veröffentlicht und da- bei sein Verfahren mitgetheilt hat, ist zu demselben veranlasst wor- den durch die ausgezeichneten Resultate, welche gemeinsam unter- nommene Forschung bei der Aufklärung von Krankheitsfällen gehabt. Er habe daher den Versuch gemacht, eine ähnliche Methode auf anatomischem Gebiet zur Anwendung zu bringen und zu diesem Zweck ein aus Studirenden gebildetes Comité veranlasst, während des Winters 1888—89 in der anatomischen Anstalt des Trinity College (Dublin) eine Anzahl (6) Fragen an einer jeden im 'Präparirsaal zur Verfügung stehenden Leiche zu untersuchen. Dabei wurden in der Litteratur vorhandene Angaben zum Ausgangspunkt genommen und es war der Zweck der Untersuchungen, zu einer genaueren Fest- stellung des Thatbestandes zu gelangen. Im Bericht über die Er- gebnisse wird in dieser Hinsicht eine Verwerthung der Befunde mit Berücksichtigung der Litteratur vorgenommen und bei einzelnen Fragen wird auch eine Verwerthung in vergleichend-anatomischer Hinsicht angestrebt. Hier ist also der meist für Untersuchungen benutzte Plan festgehalten, jedoch mit der Modifikation, dass unter CunninGHAm’s Leitung die Ausführung Studirenden übertragen wurde, was, wie CuNNINGHAM hervorhebt, einen sehr günstigen Einfluss auf dieselben geübt hat. CunnrycHam’s Vorschlag, sein Arbeitsschema auch für andere anatomische Anstalten Irlands maßgebend zu machen, ist nicht ausgeführt worden, offenbar in Folge des Umstandes, dass fast gleichzeitig ein ähnliches Unternehmen durch MACALISTER? an- geregt worden war. Der genannte Forscher hat die Anatomical Society of Great Britain and Ireland veranlasst, die Angelegenheit gemeinsamer Untersuchungen einer Kommission zur Ausführung zu übergeben. Diese Kommission hat vom September 1889 ab allen anatomischen Anstalten Englands kurz formulirte Fragen zur Unter- suchung empfohlen. Charakteristisch für das Verfahren der Kom- mission ist dabei, dass jährlich eine kleine Zahl von Fragen aufge- 1 89. a. Die Bedeutung der hier und in den folgenden Citaten angeführten Ziffern ist in der Bemerkung am Anfang des Litteraturverzeichnisses angegeben. Auch in einer anderen, fast ein halbes Jahr später erschienenen Publikation hat CUNNInGHAM (89. b) über die Ergebnisse seines Unternehmens berichtet. Dieser Bericht enthält einige Zusätze zu dem früheren. 2 89. Eine Motivirung des Vorschlags fehlt in dem kurzen Bericht. Über wissenschaftliche Verwerthung der Arbeit im Präparirsaal. 563 stellt wird, die für jedes Jahr auf andere Themaia sich beziehen, von welchen ein jedes nur ein Jahr lang behandelt wird. Bestimmte Gesichtspunkte, welche die Wahl der Untersuchungsobjekte bestimmt hätten, sind nicht erwähnt worden. Im Ganzen waren bis jetzt 21 Fragen Gegenstand der Untersuchungen, deren Ergebnisse A. THOMSON in jährlichen Berichten zusammengefasst hat!. In diesen werden die Ergebnisse, d. h. die in den Einzelfällen beobachteten Verschiedenheiten der untersuchten Organisationsverhiltnisse meist 1 A. THomson, 90; 91; 93a; 93b; 94. Diese Berichte enthalten auch die Ergebnisse, welche in der anatomischen Anstalt des Trinity College, Dublin, hinsichtlich der von der englischen Kommission aufgestellten Fragen erlangt worden sind. CUNNINGHAM hat, wie bereits im Text bemerkt wurde, gegen- über dem auf breiterer Basis begonnenen Unternehmen der englischen Kom- mission die von ihm organisirte Arbeit aufgegeben und in seiner Anstalt eine rege Betheiligung an den Untersuchungen veranlasst, welche die englische Kom- mission durch ihre Fragen anregt. Über die Ergebnisse in der anatomischen Anstalt des Trinity College, Dublin, sind zum Theil aber auch separate Publi- kationen erschienen, die nicht identisch sind mit den Beiträgen zu den eng- lischen Berichten. Einmal ist auch eine andere Anstalt Dublins (the anatomical department of the Catholie University Medical School) an den separaten Publi- kationen mit betheiligt. Dieser Umstand mag es gerechtfertigt erscheinen lassen, diese Publikationen hier zu citiren. Es handelt sich um die Berichte von W. H. THompson (90), A. BIRMINGHAM und W. H. THomeson (91) und dann finden sich noch über einige der Fragen, die im Jahre 1891—92 untersucht werden sollten, ohne Angabe des Berichterstatters, einige Notizen als: Report of Collective Investigation in the anatomical department of the Catholic Uni- versity Medical School in den Transactions of the Royal Acad. of Medicine in Ireland. Vol. X. Dublin 1892. pag. 455 seq. Die Kiirze dieser letzteren Mit- theilung scheint ein Unterbleiben weiterer separater Publikation in Aussicht zu stellen. Vielleicht ist es durch diesen Modus separater Publikation bedingt, dass beim Citiren von CUNNINGHAM’s Mittheilung ein Irrthum sich geltend ge- macht hat. SCHWALBE und PFITZNER sprechen in ihrer zweiten Mittheilung (91, pag. 584) von dem Unternehmen CUNNINGHAM’s und eitiren dabei: »Report of the Committee of Investigation in the anatomical Department of Trinity College Dublin, Session 1888—89. Transactions of the Royal Academy of Me- dieine in Ireland. 1890.« Unter diesem Titel ist wohl der Bericht gemeint, den CUNNINGHAM im Jahrgang 1889 (Vol. VII) der genannten Zeitschrift über sein Unternehmen gegeben hat. In dem von SCHWALBE und PFITZNER eitirten Jahrgang 1890 (Vol. VIII der genannten Zeitschrift) hat CUNNINGHAM unter dem genannten Titel (jedoch ohne den Zusatz »Session 1858—89«) über seine Er- gebnisse hinsichtlich der im ersten Jahr von der englischen Kommission gestellten Fragen separatim berichtet. Die Mittheilung CUNNINGHAM’, die SCHWALBE und PFITZNER, wie es scheint, gemeint haben, ist am Ende des Jahres 1889 erschienen und die genannten Autoren haben übersehen, dass schon im August 1889, also drei Monate vor dem Erscheinen ihrer ersten Mittheilung (SCHWALBE und PFITZNER 89), im Augustheft des Dublin Journal von Cun- NINGHAM über sein Unternehmen berichtet war. 377 564 Emil Rosenberg dureh Tabellen und auch mit Benutzung skizzenhafter graphischer Darstellungen übermittelt und dann wird das procentische Verhältnis der verschiedenen vorgefundenen Formen zu der Gesammtzahl der Einzelbeobachtungen sowohl im Hinblick auf die Zahl der unter- suchten Leichen als mit Berücksichtigung des Vorkommens auf bei- den Körperseiten oder bei beiden Geschlechtern berechnet. Besonders sind diese Berichte aber dadurch charakterisirt, dass eine Bezug- nahme auf die Litteratur und eine eigene weitergehende Verwerthung ausgeschlossen ist, wie folgender Satz zeigt: »It has been decided, not to attempt to analyse the results, or compare them with previous observations. The Committee, being of opinion that this may best be left to those interested in such work, eontent themselves with publishing what they have reason to believe is a valuable series of reliable statisties!.« Dieses Verfahren darf somit wohl als ein rein descriptives be- zeichnet werden, dessen Zweck es ist, Materialien zu sammeln, die von Anderen zu benutzen wären. Das Verfahren von SCHWALBE und PFITZNER unterscheidet sich von dem eben geschilderten sowohl was den Ausgangspunkt als die Methode und das Ziel anlangt. Beide Forscher sind zu ihren Unter- suchungen durch die Wahrnehmung veranlasst worden, dass dieselben anatomischen Varietäten in den Präparirsälen verschiedener Orte Deutschlands in verschiedener Häufigkeit zur Beobachtung gelangen. Dieses Verhalten hat ihnen den Gedanken nahe gelegt, dass es auf Stammesunterschiede der Individuen zurückzuführen sei, also ethno- graphische Verschiedenheiten des untersuchten Materials anzeige?. SCHWALBE und PrirzNeR haben nun 20 variable Verhältnisse zur näheren Prüfung ausgewählt, wobei für die Auswahl bevorzugt wur- den 1) leieht zu kontrollirende Varietäten, 2) solche, die »möglichst wenig durch Übergänge mit dem als normal bezeichneten Verhalten verbunden sind«, und 3) solche, die häufiger vorkommen, weil bei solehen » schon in kürzerer Zeit konstante Durchschnittszahlen« sich ergeben würden. Eine Karte, auf welcher die Varietäten namhaft gemacht sind, wird für jede Leiche ausgefüllt, wobei die Bejahung oder Verneinung der Anwesenheit der Varietät durch einen senk- rechten resp. horizontalen Strich ausgedrückt wird; in Betreff der auf der Karte bezeichneten Frage nach der Theilungsstelle der Aorta 1 A. Tuomson, 90. pag. 100. 2 PFITZNER, 89. a. pag. 505, 506. SCHWALBE u. PFITZNER, 89. pag. 705, 707. Über wissenschaftliche Verwerthung der Arbeit im Präparirsaal. 565 wird ein Wirbel notirt. Die Angaben dieser Zählkarten, deren Ver- vollständigung als wiinschenswerth bezeichnet wird; dienen dazu, die absolute und die relative Häufigkeit der Abweichungen festzu- stellen an den dem Straßburger anatomischen Institut zugehenden Leichen!. Dabei gehen SCHWALBE und PFITZXER von der Voraus- setzung aus, dass sich für jede untersuchte Varietät bei Beobachtung einer großen Zahl von Objekten (also nach längerer Zeit, etwa in einigen Jahrzehnten) konstante oder hinreichend konstante Procent- sätze würden feststellen lassen. Durch Vergleichung der in Straß- burg gefundenen Werthe mit denen, die für andere Orte, nach Aus- weis der in der Litteratur darüber vorhandenen Angaben, berechnet werden können, würden sich charakteristische. Unterschiede heraus- stellen. Dieses Verfahren, bei welchem auch kartographische Där- stellungen der procentuellen Verhältnisse der untersuchten Varietäten in Aussicht genommen worden, hat somit das Ziel, bei Benutzung des Verhaltens der Varietäten in anthropologischer Hinsicht Rassen- unterschiede durch Procentzahlen der Varietäten auszudrücken 2. Die Möglichkeit, welehe mir vorgeschwebt hat, bei der Arbeit im Präparirsaal neben dem allgemein anerkannten Zweck noch ein anderes Ziel zu erreichen, ergab sich bei der Überlegung des Ein- flusses, den die morphologische Richtung in der Anatomie des Men- schen möglicherweise auf den Unterricht in dieser Disciplin haben könne und ich benutzte die schon früher erwähnte mir gebotene Gelegenheit, um darzulegen, dass, wenn bei genetischer Betrachtungs- 1 Unterelsass ist das engere, Südwestdeutschland das weitere Gebiet, aus dem die Leichen stammen. 2 In ihrer letzten Publikation theilen SCHWALBE und PFITZNER (94, pag. 483 — 86, pag. 489) mit, dass es ihnen gelungen sei, in Bezug auf vier Varietäten ihr Ziel zu erreichen und für dieselben »große und bleibende Differenzen in der Häufigkeit« des Vorkommens in Straßburg und je einem anderen Orte [für eine Varietät im Vergleich zu mehreren Orten] festzustellen. Es handelt sich dabei um das Fehlen des M. pyramidalis, des M. palmaris longus und des M. psoas minor, ferner um die Theilungsform der Carotis communis. Der Ein- wand, den kürzlich DwIGHT [94, pag. 213—15] in Bezug auf das den Pyrami- dalis betreffende Ergebnis gemacht hat, kann als berechtigt anerkannt werden; es würde alsdann hinsichtlich des Fehlens dieses Muskels noch kein sicherer Unterschied im Sinne SCHWALBE’s und PFITZnEr’s festgestellt sein; das Princip der Untersuchungen ist damit, wie auch DwıGHT andeutet, nicht berührt, wohl aber ist durch Dwicur eine Fehlerquelle aufgedeckt worden. 3 89, pag. 42-47. Dieser Theil meiner Antrittsvorlesung giebt, wenn: auch in Umrissen, so doch, wie mir scheint, hinreichend deutlich meinen Plan für eine wissenschaftliche Verwerthung der Arbeit im Präparirsaal an und die 566 Emil Rosenberg weise des Körperbaues den Studirenden, bevor diese die Präparir- saalthätigkeit beginnen, diejenigen Organisationsverhältnisse bekannt geworden seien, an denen sich das Gewordensein und das fernere Werden am deutlichsten ausspricht, bei den Zerlegungen im Präparir- saal unter Mitwirkung der Studirenden einer Anzahl solcher Organi- sationsverhältnisse eine besondere Aufmerksamkeit zugewandt werden könnte. Das hätte in dem Sinne zu geschehen, dass nach rationeller Auswahl immer dieselben Organisationsverhältnisse Gegenstand fort- dauernder Beobachtung blieben und die Verschiedenheiten, die sich an ihnen bei jeder einzelnen Leiche feststellen ließen, benutzt wür- den, um allmählich Materialien zu sammeln für eine Lösung der Frage, ob resp. wie eine Umwandlung des menschlichen Körperbaues geschieht. Damit wäre dem Präparirsaal die Eigen- schaft einer wissenschaftlichen Beobachtungsstation gegeben. Und wenn das gleiche Verfahren in allen Präparirsälen aller Länder ausgeübt würde, so wäre die Möglichkeit gegeben, Materialien zu erlangen, um den jeweiligen Stand der Organisation des Menschen für jeden Beobachtungsort oder jede Nation zu ermitteln. Ich dachte mir dabei, vorausgesetzt, dass die Beobachtungen eine Erkenntnis der Umwandlung der untersuchten Organisationsverhältnisse gestatten würden, dass der jeweilige Stand der Organisation des Menschen in jedem von den einzelnen Beobachtungsstationen beherrschten Bezirke entweder in Verschiedenheiten der Entwicklungsrichtung sich doku- mentiren würde, oder aber darin seinen Ausdruck fände, dass bei gleicher Entwicklungsrichtung für verschiedene Bezirke verschiedene Wegstrecken des an sich gleichen Entwicklungsganges festzustellen wären. Bevor ich diesen Bemerkungen Anderes hinzufüge, sei es ge- stattet, zuerst die im Vorhergehenden skizzirten Auffassungen näher zu betrachten. Dabei ist zunächst hervorzuheben, dass in Bezug auf das Verfahren der englischen Kommission SCHWALBE und eitirte Stelle lässt wohl auch die Bedeutung der bezeichneten Arbeit im Präparir- saal genugsam erkennen. Trotzdessen sind diese Äußerungen bisher seitens der anderen Autoren, die an der hier in Rede stehenden Angelegenheit be- theiligt sind, unbeachtet geblieben. Zu erwähnen babe ich aber, dass E. MEHNERT (90, pag. 130) ein Referat über meine Antrittsvorlesung gegeben hat, welches in dem Jahresbericht für 1889 von L. HERMANN und G. SCHWALBE erschienen ist. In diesem Referat ist die betreffende Stelle kurz, aber doch derart berührt worden, dass dieses Referat dem Herausgeber des anatomischen Theils des Jahresberichts es hätte nahelegen können, meine Äußerungen im Hinblick auf die von ihm und PFITZNER veranstaltete Varietätenstatistik zu berücksichtigen. Über wissenschaftliche Verwerthung der Arbeit im Priiparirsaal. 567 PFITZNER! überzeugend dargelegt haben, dass es zu Bedenken An- lass giebt, eine zu untersuchende Frage nur für ein Jahr ins Pro- gramm aufzunehmen und dass die englischen Berichte eine Ver- werthung in anthropologischer Hinsicht nicht gestatten, da die Untersuchungsobjekte nicht in der erforderlichen Weise nach ihrer Herkunft gesondert sind. Endlich ist auch (und wie mir scheint mit Recht) hinsichtlich einiger Varietäten die Zuverlässigkeit der Beobachtungen bezweifelt worden (entweder weil die Methode der Präparation keine genügende gewesen, oder manche der aufgewor- fenen Fragen mehr Zeit und Mühe für eine sichere Beantwortung erforderten, als unter den gegebenen Verhältnissen dafür verwandt werden konnte); die englische Sammelforschung sei somit in anthro- pologischer Hinsicht nieht benutzbar, bringe aber werthvolles Mate- rial zur Lehre von der Variabilität des menschlichen Körpers ?. Im Anschluss hieran möchte ich meinerseits bemerken, dass der Werth der englischen Berichte auch noch in anderen Punkten als den von SCHWALBE und PrirzNER hervorgehobenen, bei näherer Prüfung dadurch sieh verringert, dass die Fragestellung, wie mir scheint, nicht immer hinreichend kritisch vorbereitet ist. Ein Beispiel hierfür bietet die (für das Jahr 1890 —91 gestellte) Aufgabe: To note in each subjeet the distance of the lower margin of the kidney on each side from the iliac crest®. Es ist hier für die Messungen die Crista iliaca als feststehender Punkt angenommen worden. Ich meine nun bei einer früheren Gelegenheit! ausreichend nachgewiesen zu haben, dass die Stellung des Ilium oder des Os pelvis eine verschiedene sein kann, je nachdem die Verlagerung des Beckengürtels weniger oder weiter fortgeschritten ist. Dabei kann das Ilium in den primitivsten, als atavistische Erscheinungen zu betrachtenden Fällen mit dem 26. bis 28. Wirbel im Kontakt sein, oder das Ilium liegt (was als normal beschaut wird) dem 25. bis 27. Wirbel an, oder aber, wenn auch der 24. Wirbel ins Sacrum aufgenommen ist, kann das Ilium den 24. bis 26. Wirbel tangiren’. 1 91. pag, 586—90. 2 Diese Beurtheilung bezieht sieh nicht auf die von CUNNINGHAM in eigener Initiative veranlasste Arbeit. Was diese anlangt, so ist, wie mir scheint, nicht zu bezweifeln, dass die von CUNNINGHAM in seiner Anstalt während einer Ar- beitsperiode geleiteten Untersuchungen qualitativ höher stehen als die von der englischen Kommission angeregten. 3 A. THOMSON, 91. pag. 76. 475. pag. 86—147. 5 75. pag. 118, 119. 568 Emil Rosenberg Dabei nimmt die Crista iliaca, indem die Form des Ilium die gleiche bleibt, suecessiv ein anderes Niveau ein. Da diese Verhältnisse bei der Fragestellung (und auch in den Berichten über die Ergebnisse) nicht berücksichtigt sind und da selbstverständlich gar kein Grund besteht, anzunehmen, dass die Niere gleichzeitig und in absolut übereinstimmender Weise mit der Verlagerung des Beckengürtels eine höhere Lage erhalten werde, so ist ein unsicherer Ausgangs- punkt für die Messungen gewählt; diese zahlreichen Messungen (an 228 Leichen von Erwachsenen, dazu kommen 40 von HERBERT R. SPENCER! benutzte Leichen von Neugebornen) können also kein ganz zuverlässiges Resultat gegeben haben. Es kann hiergegen auch nicht eingewandt werden, dass in der Mehrzahl der Fälle das Ilium den als normal betrachteten Stand gehabt haben werde; es war die Aufgabe, in jedem Fall die Messung zu verrichten und da es zweifellos ist, dass bei der benutzten großen Zahl von Leichen auch solche vorhanden gewesen sein werden, wo das [lium entweder in primitiverer Stellung sich fand, oder aber eine Lage eingenommen hat, die gegenüber dem normalen Verhalten eine höhere Entwick- lungsstufe bezeichnet, so kann jetzt nicht ermittelt werden, welche von den Messungen als zweifellos fehlerhaft von der Gesammtzahl in Abzug gebracht werden müssen. Ähnliches macht sich auch bei einigen anderen Fragen geltend, wo Bestandtheile untersucht sind, deren Lagerungsverhältnis zu Theilen der Wirbelsäule bestimmt werden sollte?. In den Berichten über diese Fragen werden die Ergebnisse registrirt mit Benutzung einer Skizze, in welcher auf einander folgende breitere und schmälere Felder die Wirbel und die Intervertebralscheiben repräsentiren, für die größeren Felder werden auf einander folgend die Bezeichnungen: 12. Brustwirbel, 1., 2., 3. Lendenwirbel oder 4., 5. Lendenwirbel, 1. Saeralwirbel benutzt und die beobachteten Fälle sind in verschiede- nem Niveau neben den Feldern notirt worden. Das ist ein Verfahren, welches eine Unsicherheit einschließt, falls die von mir dargelegten Anschauungen über die Umformung der Wirbelsäule zutreffend sind. 1 A. THomson, 91. pag. 87, 88. 2 A. Tuomson, 90. pag. 87. Question IV: The order of union of the three great trunes which form the vena portae and the levels of their junction. Er- gebnisse. pag. 99—101. Ferner A. THomson, 94. pag. 46—60.. Question III: To note the point on the spinal canal to which the spinal cord descends in different subjects and different sexes. Question IV: To note the level of the bifurcation of the common iliac arteries. Über wissenschaftliche Verwerthung der Arbeit im Präparirsaal. 569 Ich übersehe nicht, dass dieselben bezweifelt worden sind, anderer- seits haben sie aber auch so oft Bestätigung gefunden, dass die Möglichkeit einer Umformung der Wirbelsäule hätte erwogen werden können. Wird diese zugegeben, so sind die benutzten Bezeichnungen (auch abgesehen davon, dass in den Skizzen z. B. für einen 13. Brustwirbel kein Platz ist) nicht mehr präcise genug. da z. B. die Bezeichnung »4. Lendenwirbel« außer dem 23. Wirbel der Gesammt- reihe (der normale Fall) auch dem 24. Wirbel zukommt, falls der 20. Wirbel noch Dorsalwirbel ist; oder die Bezeichnung »4. Lenden- wirbel« bedeutet den 22. Wirbel, falls am 19. Wirbel das Rippen- paar geschwunden ist. Interessant ist in Bezug hierauf eine Stelle in dem Bericht über die Situation des unteren Endes des Rücken- markes. Ein von TENNANT mitgetheilter Fall ist im Niveau der Band- scheibe zwischen dem »2. und 3. Lendenwirbel« notirt, obgleich der Bericht selbst sagt, der Fall hätte »perhaps with more propriety« bei der nächst höheren Zwischenwirbelscheibe notirt werden müssen; es seien in diesem Falle der 2. und 3. Lendenwirbel das 20. und 21. Segment der Wirbelsäule, da TENNANT mitgetheilt habe, dass nur 11 Rippenpaare vorhanden gewesen seien!. Trotzdessen hat aber die erwähnte Notirung stattgehabt und hinsichtlich der Unwahr- scheinlichkeit, dass alle Fälle das als normal anzusehende Ver- halten der Wirbelsäule dargeboten, ist auf das oben (pag. 568) Ge- sagte zu verweisen. Die vorstehenden Erörterungen lassen, wie mir scheint, erken- nen, dass bei den Ergebnissen der englischen Sammelforschung der nieht zu vermeidende ungünstige Einfluss eines rein deskriptiven Verfahrens in mancher Hinsicht sich geltend macht. In Bezug auf die Kenntnis des Körperbaues scheint mir der Werth dieser Sammelfor- ! Aus dieser Angabe allein kann das meiner Meinung nach nicht gefolgert werden. ” Diese Bemerkung wird durch den Bericht selbst bewahrheitet. In Question II sind neben dem Verhalten von bestimmten Nerven auch »any va- rieties in the form and connections of the V. lumbar and I sacral vertebrae« der Untersuchung empfohlen worden und der Bericht giebt an, dass von 79 untersuchten Leichen 71 normal und 8 (fast 10%) innormal waren! Der Deutung, die einzelne dieser Fälle gefunden, kann ich nicht beistimmen, unter- lasse es aber, auf diesen Gegenstand hier näher einzugehen und will nur be- merken, dass die im Bericht enthaltenen Angaben für eine Untersuchung über die Umformung der Wirbelsäule nicht zu benutzen wären, da nicht auch gleich- zeitig auf den distalen Theil des Sacrum geachtet worden ist. Bei der Fragen- stellung hat der Gesichtspunkt gefehlt, von dem aus eine Mitberücksichtigung auch anderer Theile der Wirbelsäule als unerlässlich sich ergiebt. 570 Emil Rosenberg schung, zumal sie in raschem Wechsel viele Körperstellen untersucht, darin zu liegen, dass sie einige Orientirung darüber geben kann, welche Theile des Körpers besonders variabel sind und damit kön- nen Anknüpfungspunkte aufgedeckt werden für besondere, die Varia- bilität betreffende Untersuchungen, welche aber die Arbeit der Feststellung der anzutreffenden Verschiedenheiten auch ihrerseits zu verrichten hätten. In anderer Hinsicht hat die englische Kommission einen, wie mir scheint, hervorragenden Erfolg zu verzeichnen, denn indem sie es erreicht hat, in fünf auf einander folgenden Jahren 13 bis 20 anatomische Anstalten für die Arbeit zu interessiren, hat sie damit den gewiss belangreichen Beweis dafür geliefert, dass bei der- artigen Unternehmungen die Mitwirkung auch ‘einer größeren Zahl von Fachmännern erreicht werden könne. Bei dem Verfahren von SCHWALBE und PrirzNer können mei- ner Meinung nach bei allen denjenigen Fragen (fast die Hälfte), wo es sich um die Anwesenheit oder Abwesenheit eines Gebildes (z. B. gewisser Muskeln) handelt, in so fern Resultate von Werth erzielt werden, als es sicherlich ein Interesse hat, zu wissen, wie groß der Procentsatz der Fälle ist, bei denen bestimmte Muskeln fehlen und es ist auch gewiss zuzugeben, dass, wenn an verschiedenen Orten nach Untersuchung großer Mengen von Fällen merkliche Unterschiede in diesen Procentzahlen sich ergeben, hierdurch anthropologische Merk- male aufgedeckt sind. Nur ist es meiner Meinung nach zweifellos, dass die von den genannten Forschern wiederholt betonte Konstanz dieser Zahlenwerthe nicht wohl als eine absolute angesehen werden kann, man müsste denn in Bezug auf den Menschen die doch sonst allgemein verlassene Annahme einer Konstanz der Species machen. Bei der Beantwortung der Frage nach dem Vorhandensein oder dem Fehlen bestimmter Körperbestandtheile ist es durch das von SCHWALBE und PrirzNeR benutzte Verfahren nothwendig bedingt, dass alle die Fälle, in denen die Anwesenheit des betreffenden, untersuchten Ge- bildes konstatirt ist, in eine Kategorie zusammengefasst werden. Die Befunde an dem untersuchten Objekt sind aber, namentlich wenn es sich um rudimentär werdende Bestandtheile handelt, nicht in allen Fällen die gleichen und es treten bei dem von SCHWALBE und PrrrzNER benutzten Verfahren Verschiedenheiten der Befunde nicht hervor, die zu kennen man ein Interesse haben könnte. Darin scheint mir eine Unvollkommenheit der Methode zu liegen. Auch in anderer Hinsicht können gegen das aufgestellte Fragenschema und seine Benutzung Bedenken erhoben werden. In das Schema ist Über wissenschaftliche Verwerthung der Arbeit im Präparirsaal. 571 die Frage nach der Lagebeziehung der Theilungsstelle der Aorta zu Lumbalwirbeln aufgenommen und bei der Mittheilung der Ergebnisse macht sich hinsichtlich der Bezeichnung der Wirbel dieselbe Unsicher- heit geltend, die ich schon oben erörtert habe. SCHWALBE und PrirzNeR empfehlen! dieses Lagerungsverhältnis ganz besonders zur Untersuchung, weil schon circa 100 Fälle konstante Mittelwerthe er- gäben und daran wird die Bemerkung geknüpft, dass mit geringer Mühe, z. B. in pathologischen Instituten, wenn bei Sektionen die Theilungshöhe notirt wird, ein reiches Material für diese Frage sich zusammenbringen ließe. Ich muss es in Abrede nehmen, dass es möglich sei, bei dem Modus der Eröffnung der Leiche, der zu kli- nischen Zwecken bei der Sektion befolgt zu werden pflegt, eine korrekte Bestimmung des Wirbels zu machen, in dessen Niveau die Theilung der Aorta in den einzelnen Fällen stattfindet. Die erwähnte Äußerung lässt vermuthen, dass SchwAaLse und Prirzner bei der Bestimmung der Wirbel nicht die Anforderungen stellen, die meines Erachtens erfüllt werden müssen, um eine sichere Bestimmung der einzelnen Wirbel auszuführen 2. In dem Fragenschema der Straßburger Varietätenstatistik ist auch. der »hohe Ursprung« der Art. radialis und Art. ulnaris notirt worden, allein es ist nicht angegeben, was darunter verstanden wer- den soll, daher ist es auch hier unvermeidlich, dass ungleichwerthige Fälle bei der Zählung zusammengefasst werden; es wäre erforder- lich gewesen, mit Benutzung der Arbeiten von RugE? und Bayer? näher zu definiren, welche Form des sog. hohen Ursprungs unter- sucht wird, um den erwähnten Übelstand zu vermeiden, der hier durch die Art der Fragestellung bedingt ist. 1 94. pag. 490. 2 Das Gesagte bezieht sich auch auf DwisHTr's (94. pag. 212) Mittheilungen über die Theilungshöhe der Aorta, bei denen ebenfalls die Wirbel in derselben ungenauen Weise bezeichnet worden sind. Es liegt somit zwar eine Veran- lassung mehr vor, die Frage, wie die Wirbel sicher zu bestimmen seien, hier zu diskutiren, ich unterlasse das aber, da eine nähere Darlegung meiner Auf- fassung mehr Raum beanspruchen würde, als ihr hier gegeben werden kann. Ich bemerke nur, dass mit Bezugnahme auf eine Anzahl Fälle, die in der Litte- ratur mitgetheilt worden sind, es sich zeigen ließe, dass es nothwendig ist, in jedem Fall die Zählung der Wirbel vom Atlas aus vorzunehmen und einen Wirbel mit der Ziffer zu bezeichnen, die seiner Stelle in der Gesammtreihe ent- spricht, zugleich aber durch eine hinzugefügte Bezeichnung die Stellung inner- halb eines bestimmten Abschnittes der Wirbelsäule zu markiren. 3 84, 4.92, 572 Emil Rosenberg Bei einer anderen Frage, der nach dem Ursprung der Art. ob- turatoria, macht sich dagegen eine mehr willkürliche Zusammen- fassung der Befunde geltend. Nach Mittheilung der Beobachtungs- ergebnisse über die verschiedenen Modi des Ursprungs sagt PFITZNER!: »Um die Zusammenstellung und Vergleichung zu erleichtern, wird es wünschenswerth sein, die im Vorhergehenden aufgeführte Mannig- faltigkeit der Erscheinungsformen zu vereinfachen. Zuerst wird es wohl erlaubt sein, die rudimentäre A. obtur. (in den Tabellen durch Einklammerung bezeichnet), die neben einer eigentlichen A. obtur. besteht, gänzlich fortzulassen. Dann dürfte es auch wohl erlaubt sein, den Ursprung aus der A. epig. inf. und den aus der A. iliaca ext. direkt in eine Kategorie zusammenzufassen, da ja in der Länge des gemeinschaftlichen Ursprungsstämmehen die größten Verschieden- heiten vorkommen.« Dazu die Anmerkung: »Ob letzterer mehr oder weniger weit oberhalb oder gar unterhalb des Lig. Poupartii ent- springt, ist hier natürlich ebenfalls gleichgiiltig.« Diese Sätze dürfen um so weniger unberücksichtigt bleiben, als die Untersuchung über die A. obturatoria als Beispiel dafür von SCHWALBE und PFITZNER? hingestellt wird, wie die von ihnen betriebene Untersuchung der Varietäten zu geschehen habe. Eine solche Elimination von Beob- achtungsergebnissen, von denen manche Werth haben können, muss nun schon an sich zu Bedenken Veranlassung geben und es hätte eine derartige Zusammenfassung der Beobachtungen unterlassen wer- den müssen von dem Augenblick, wo bestimmte Anhaltspunkte dafür gegeben waren, dass in den Verschiedenheiten des Ursprungs des Gefäßes Erscheinungen vorliegen, welche den phylogenetischen Ent- wicklungsmodus desselben bekunden. Solche Anhaltspunkte sind durch GEGENBAUR? gegeben worden, indem er in der fünften Auf- lage seines Lehrbuchs der Anatomie darauf hinweist, dass die Epi- gastrica bei Säugethieren oft die Obturatoria abgebe und dass dieses Verhalten auch bei Affen als Regel gelten dürfe, wenn auch bei manchen der andere Ursprung sich angebahnt habe; die Anastomose des Ramus pubicus der Epigastrica mit dem Ramus pubicus der Obturatoria sei ein Rest des bei Affen verbreiteten Ursprungs der Obturatoria aus der Epigastrica. Bei Benutzung dieser Hinweise hätte die Untersuchung der Ursprungsverhältnisse der A. obturatoria ein sehr interessantes Thema abgeben können und unter Anderem wäre das Verhalten einer rudimentären A. obturatoria dabei naturgemäß 189. b. pag.528. 289. pag. 708. 392. Bd. II. pag. 279; 282. Über wissenschaftliche Verwerthung der Arbeit im Präparirsaal. 573 ein Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit geworden. SCHWALBE und PrivzNeR haben diese Anknüpfungspunkte bei der Fortsetzung ihrer Untersuchungen über die Obturatoria unberücksichtigt gelassen und dass sich bei ihrem Verfahren eine Nöthigung ergeben konnte, in der durch PrirzNer geschilderten Weise die Untersuchungsergeb- nisse mit Elimination wichtiger Befunde zusammenzufassen, muss ein Bedenken erwecken gegen den Standpunkt, von dem aus die Unter- suchung unternommen ist. Dieser Standpunkt ist im Grunde der einer descriptiven Behandlung von Organisationsverhiltnissen und dieser Umstand hätte schon a priori es nahe legen können, den Standpunkt nicht für ausreichend zu halten, um die »Mannigfaltig- keit der Erscheinungsformen« gebührend aufzufassen. Ein Verfahren, welches, ohne zu ähnlichen Bedenken Veran- lassung zu geben, dasjenige gleichfalls (und wohl auch noch mehr) leistet, was bei dem eben besprochenen Standpunkt, auf welchem die Varietätenstatistik von SCHWALBE und PFITZNER steht, gewonnen werden kann, lässt sich, wie ich meine, angeben, wenn man von der Überzeugung ausgeht, dass auch bei der hier zu erör- ternden Angelegenheit von vorn herein der Standpunkt ge- netischer Betrachtungsweise festzuhalten sei. Ich gehe damit über zu einer näheren Darlegung meiner schon oben (pag. 566) kurz angegebenen Auffassung der hier zu bespre- chenden Arbeit im Präparirsaal. Geht man von der zur Zeit wohl nicht mehr zu beanstandenden Voraussetzung aus, dass an dem menschlichen Körperbau eine Um- wandlung als Ausdruck phylogenetischer Entwicklung sich vollzieht und stellt man die Aufgabe, durch die Zerlegungen im Präparirsaal systematisch Materialien zu sammeln, die es gestatten könnten, zu- nächst diesen Umwandlungsprocess näher zu erkennen und ihn als- dann auch in anthropologischer Beziehung zu verwerthen, so ergeben sich für die Auswahl der Organisationsverhiltnisse, die Gegenstand fortdauernder Beobachtung werden sollen, die folgenden Gesichts- punkte: 1) Es sind zu. bevorzugen diejenigen Organisationsver- hältnisse, an denen sich Einrichtungen zeigen, welche der Ausdruck relativ neuer phylogenetischer Ereignisse sind. In Betreff soleher Organisationsverhältnisse darf angenommen wer- den, dass der Ausgangspunkt, bei welchem sie anheben, noch gut gekannt ist, was die Sicherheit der Beurtheilung der Veränderungen günstig beeinflussen muss. Solche Organisationsverhältnisse sind als 574 Emil Rosenberg in vollem Werden befindlich anzusehen, es könnten, wie man er- warten darf, viel Variationen sich finden und das würde das Ein- sammeln brauchbarer Materialien erleichtern. 2) Im Gegensatz hierzu müssten auch solche Organisationsver- hältnisse berücksichtigt werden, die als relativ sehr alte Ein- richtungen, als seit langer Zeit zu Stande gekommene Produkte phylogenetischer Entwicklung zu betrachten sind. Das Studium der- selben würde die noch erhaltenen letzten Spuren phylogenetisch über- wundener Einrichtungen für die Feststellung eines relativ weit zu- rückliegenden Theiles der Geschichte unseres Organismus verwerth- bar machen. 3) Nicht minder belangreich wäre es, einzelne solcher Organe zu wählen, welche bei ihrer Umformung einen großen Ein- fluss auf benachbarte Organe haben, oder aber den Einfluss von Umformungsvorgängen benachbarter Organe am besten markiren. Damit muss die Beurtheilung wichtiger Einrichtungen sehr gefördert werden. Es würde nun aber nach getroffener Auswahl nicht genügen, diese Organisationsverhältnisse einfach zu nennen und zur Beobach- tung zu empfehlen. Es erscheint mir durchaus erforderlich, im Hin- blick auf die gewählten Organisationsverhältnisse zunächst sorg- fältig bearbeitete Beobachtungshilfsmittel vorzubereiten. Das könnte dadurch geschehen, dass möglichst viele zur Zeit bereits erkennbare Formverschiedenheiten eines und desselben Organisations- verhältnisses gesammelt und bildlich (aber nicht durch Schemata, sondern ganz genau) fixirt werden, woran eine kurze Charakterisi- rung in Worten sich anzuschließen hätte. Beim Ordnen einer solchen Sammlung von Variationen wird es sich zeigen, da diese Formverschiedenheiten als Ausdruck einer bei verschiedenen Individuen verschieden vorgeschrittenen Entwick- lung, somit als beim Erwachsenen wahrnehmbare Entwicklungsstufen aufzufassen sind, dass sich dieselben entweder in toto in eine in allen Theilen dieselbe Richtung einhaltende Reihe von Entwicklungs- stufen bringen lassen, oder partiell Nebenreihen bilden, die sich der Hauptreihe von so festgestellten Entwicklungsstufen wieder an- schließen, oder aber Abzweigungen, eine beginnende Divergenz der Entwicklungsrichtung bekundend, darstellen. Ich habe zwei Organisationsverhältnisse in diesem Sinne in Angriff genommen, wobei ich in der Auswahl auch durch den Umstand beein- flusst war. dass im Utrechter Präparirsaal nur rel. wenig Leichen (bisher Uber wissenschaftliche Verwerthung der Arbeit im Präparirsaal. 575 maxime 15 im Jahr) zur Verfügung stehen. Trotzdessen habe ich, in- dem ich von dem dritten der oben genannten Gesichtspunkte aus die Wirbelsäule wählte, in Bezug auf diese schon eine nicht unbelang- reiche Zahl von Entwicklungsstufen feststellen können. Diese Zahl ist für die Verwendung aber doch noch zu gering. Das andere von mir in Angriff genommene Organisationsverhältnis wählte ich von dem ersten der bezeichneten Gesichtspunkte aus und bevorzugte unter den hier in Betracht kommenden Organisationsverhiltnissen die Incisiven der zweiten Zahngeneration, weil in Betreff derselben auch an Lebenden angestellte Beobachtungen verwandt werden konnten. Aber obgleich ich dabei rel. günstig situirt war, ist es doch erst im Laufe von sechs Jahren möglich geworden, eine zunächst ausreichend erscheinende Zahl von Stadien festzustellen. Ich habe über das Ergebnis dieser Beobach- tungen in einem kürzlich publieirten Aufsatz! berichtet, so weit der Umformungsprocess als solcher in Betracht kommt. Aber auch in Bezug auf die hier zu besprechende Angelegenheit erschien es mir nothwendig, zuerst zu untersuchen, ob sich die Verschiedenheiten dieses Organisationsverhältnisses wirklich in dem oben erörterten Sinn als eine Reihe von Entwicklungsstufen darstellen. Das darf ich, wie .mir scheint, auf Grundlage der erwähnten Arbeit als erwiesen betrachten. In Betreff der Incisiven der unteren Reihe habe ich allerdings zunächst nur sieben Stufen feststellen können, die aber doch in einer Reihe liegen, wobei die primitivste Form sechs Ineisiven in dem Raum zwischen den C zeigt und die Form, die das obere Ende der Reihe darstellt, in dem gleichen Raum nur zwei Ineisiven noch aufweist. Bei der oberen Zahnreihe ist die primitivste Stufe gleichfalls durch die Anwesenheit von sechs Incisiven bezeichnet und die oberste zeigt nur noch zwei Ineisiven, dazwischen liegen aber 31 Stufen, die in dem die atavistischen Formen enthaltenden Theile der Reihe noch durch ziemlich weite Lücken getrennt sind, in an- deren Theilen der Reihe aber nahe bei einander liegen; im Ganzen sind 40 Stufen fixirt?. Bevor ich nun sage, wie meiner Auffassung nach eine solche Reihe von Entwicklungsstufen in der hier zu behandeln- den Angelegenheit würde benutzt werden können, muss ich bemer- ken, dass ich in den von SCHWALBE neben der Varietätenstatistik veranstalteten Beobachtungen über anthropologische Merkmale der 195. 2 Die betreffenden Formen (mit einer Ausnahme) sind in den Ta- feln zu meinem Aufsatz (95) wiedergegeben. Ich besitze auch Objekte, die mir kürzlich zugegangen sind und es gestatten werden, die noch vorhandenen Lücken zu verkleinern. 576 Emil Rosenberg im Straßburger Institut verfügbaren Leichen in einer Hinsicht Be- rührungspunkte finde, die mir im Hinblick auf die Verschiedenheiten der Methode der Varietätenstatistik von SCHWALBE und PFITZNER und des von mir zu befürwortenden Verfahrens belangreich erscheinen, indem sie die Möglichkeit eines Ausgleichs dieser Verschiedenbeiten eröffnen. SCHWALBE! ist bei seinen Untersuchungen über das Ohr zu der Aufstellung von 5 resp. 6 Formen gelangt, die für das Gebiet der Ohrmuschel als sich an einander schließende Reduktions- stufen anzusehen sind und hat diese dazu benutzt?, bei einer Anzahl Leichen. die Zahl der Individuen festzustellen, welche auf jede der sechs unterschiedenen Formen entfällt; damit. ist ein Ver- fahren befolgt worden, welches übereinstimmt mit demjenigen, zu dem ich von den von mir benutzten Gesichtspunkten aus gelangt war und ich stimme demselben in Bezug auf das eben Erwähnte bei. SCHWALBE verwendet aber dann die für jede Ohrform gefundenen Zahlen zur Berechnung eines »Durchschnitts-Formwerthes« des Ohres, der durch eine Ziffer ausgedrückt wird; dieser Theil des von SCHWALBE benutzten Verfahrens weicht von meiner Auffassung ab und ich kann ihm nicht beistimmen *. Ich bin von der Meinung ausgegangen, eine gut festgestellte Reihe von Entwicklungsstufen könne als ein Messappa- rat betrachtet werden, mit Hilfe welches in Bezug auf ein gewähltes Organisationsverhältnis für eine jede kleinere oder größere Menschengruppe, oder, bei Anwen- dung an verschiedenen Orten, für die einzelnen Nationen die bereits erreichte Entwicklungsstufe und zugleich auch 189. pag. 241—53. 91. pag. 95—107. 2 91. pag. 106—13. : 3 Bei der Berechnung eines » Durchschnitts-Formwerthes« ist es gar nicht zu vermeiden, dass manches Charakteristische an den der Berechnung zu Grunde gelegten Zahlen verloren geht und schon desshalb ist dieses Verfahren zu be- anstanden, auch wenn man den Modus der Berechnung für zulässig halten sollte. Aber auch der Begriff eines » Durchschnitts-Formwerthes« selbst ist meiner Mei- nung nach nicht zu statuiren, da er eine sachlich nicht zu motivirende Zusam- menfassung von Beobachtungsergebnissen involvirt und sicherlich ist der Be- griff nicht auf alle Organisationsverhältnisse anzuwenden. Was könnte man sich z. B. unter dem Durchschnitts-Formwerth der Wirbelsäule oder der Ver- ästelungen eines Gefäßes denken? Indem ScuhwALee’s Verfahren in der Be- rechnung eines Durchschnitts-Formwerthes gipfelt und dieser Werth für Ver- gleichungen benutzt wird (nicht aber die für die Berechnung verwandten Zahlen), hat SCHWALBE einen brauchbaren Anfang eines Verfahrens selbst wieder ver- lassen und damit den Werth des Verfahrens fast völlig beseitigt. Über wissenschaftliche Verwerthung der Arbeit im Präparirsaal. 577 die Art und Weise bestimmt werden könnte, wie die Entwieklung sich vollzogen hat und weiter sich anbahnt. Das muss um so sicherer gelingen, je feiner abgestuft die be- nutzte Reihe ist. Daher die Nothwendigkeit, zunächst eine mög- lichst große Zahl von Entwicklungsstufen zu sammeln. Um nun diese Reihe für Beobachtungen im Präparirsaal benutzbar zu machen, habe ich für eine jede Stufe auf einem besonderen Bogen zunächst die photographische, in natürlicher Größe aufgenommene Abbildung. der betreffenden Form der Incisiven befestigt und dann durch einige kurz gefasste Angaben die Stelle der Stufe in der Reihe und ihre morphologische Eigenthümlichkeit hervorgehoben. Die einzelnen Bo- gen sind nach der Reihenfolge der Stufen geordnet!. Auch für ein jedes andere der gewählten Organisationsverhiltnisse muss eine solche Sammlung zusammengestellt werden ?. Werden dann die an jeder Leiche beobachteten Formzustände der gewählten Organe konfrontirt mit den in der betreffenden Samm- lung enthaltenen Entwicklungsstufen, so kann es der Fall sein, dass eine Anzahl Beobachtungen mit bereits fixirten Stufen übereinstimmt, — diese können dann bei den betreffenden Stufen notirt werden. Zeigen sich aber Formen, die sich nicht zwanglos einer Stufe zuzählen lassen (und das wird namentlich Anfangs nicht selten vor- kommen), so wird entweder der Fall vorliegen, dass eine bisher noch nicht beobachtete und fixirte Entwicklungsstufe aufgedeckt ist, diese wäre dann eben so zu behandeln wie die in der Sammlung be- reits befindlichen und an der entsprechenden Stelle einzureihen; oder aber es könnte der Fall sein, dass eine Formerscheinung vor- liegt, die sich nicht in die bereits vorliegende Reihe einfügen lässt, sondern eine Abweichung von dem aus dieser Reihe erkennbaren Umformungsprocess darstellt. Auch für eine solche Form wäre so- gleich in der angegebenen Weise in Bild und Wort eine Charakte- ristik zu geben und der neue Bogen der Sammlung an der Stelle bei- 1 Diese Sammlung wurde der anatomischen Gesellschaft bei meinem Vor- trage in Basel vorgelegt. 2 Da, wie später erörtert werden soll, es wünschenswerth ist, auch kom- plieirtere Organisationsverhältnisse in der angegebenen Weise zu behandeln, so liegt es auf der Hand, dass viel Zeit nöthig sein wird, um die erforderlichen Sammlungen von Entwicklungsstufen verschiedener Organe zusammenzubringen. Dieser Umstand bedingt aber keine principielle Schwierigkeit, auch muss ich bemerken, dass es mir viel wichtiger erscheint, zunächst in der angegebenen Weise die Untersuchungen sorgfältig vorzubereiten, als dieselben möglichst rasch, aber in ungenügender Weise, zu unternehmen. Morpholog. Jahrbuch. 22. 38 578 Emil Rosenberg zulegen, an welche die gemachte Beobachtung sich noch am ehesten anschließt. Es ist anzunehmen, dass derart alle Einzelbeobachtungen, besonders bei Hinzufügung von Bemerkungen, die kleinere Unter- schiede berücksichtigen, würden registrirt werden können und zwar in einer Weise, die, was ich besonders betonen möchte, den Beobach- tungen selbst keinen Zwang anthut und nichts von ihren bemer- kenswerthen morphologischen Eigenthümlichkeiten verwischt!. Für den Erfolg des Verfahrens wäre es selbstverständlich äußerst belangreich, dass mehrere Organisationsverhältnisse neben einander beobachtet würden. Dabei würde es für die Notirung der Beobach- tungen unerlässlich werden, für jede Leiche eine Karte zu besitzen, auf welcher neben den Personalien der Leiche die untersuchten Orga- nisationsverhältnisse namhaft gemacht wären, damit neben jedem kurz vermerkt würde, auf welcher Stufe das betreffende Organ an der ge- gebenen Leiche angetroffen worden; es wäre also eine Art doppelter Buchung nöthig. In den Sammlungen von Entwicklungsstufen wür- den für jedes Organ bei den einzelnen Stufen die gleichartigen Fälle zusammengetragen sich vorfinden, während die Leichenkarte ein Mittel abgäbe, zu erkennen, ob eine gewisse Gleichmäßigkeit in 1 Ich habe versuchsweise die Stufenreihe der oberen Incisiven benutzt, indem ich eine Anzahl (168) Soldaten ohne Auswahl der Individuen hinsichtlich ihrer Ineisiven prüfte. Alle Befunde, bis auf 12, ließen sich sogleich registri- ren und es zeigte sich, dass die große Mehrzahl (119 Fälle) auf der Stufe sich fand, die ich in meinem Aufsatz über die Ineisiven mit II. 3 bezeichnet habe; vereinzelte Individuen nahmen höhere Stufen ein (bis Stufe V. 3), wenige stan- den auf der Stufe II. 1 (sog. normales Verhalten der J). Von den 12 übrigen Fällen stand je einer auf einer Stufe zwischen den Stufen II. 1 und II. 2 resp. zwischen den Stufen IV. a. 2 und IV. a. 3; drei fanden sich auf einer Stufe zwi- schen II. 2 und II. 3 und sieben Fälle nahmen eine Stellung ein zwischen den Stufen II. 3 und II. 4. In diesen 12 Fällen konnte, besonders da in dem be- treffenden Theil der Gesammtreihe die einzelnen fixirten Stufen sehr dicht bei einander stehen (cf. die Abbildungen auf Taf. IX meines Aufsatzes über die In- eisiven), die Notirung so geschehen, dass der Einzelfall bei derjenigen Stufe verzeichnet wurde, der er näher stand, mit einem Hinweis darauf, dass nicht völlige Identität besteht, sondern dass der Fall zwischen zwei Stufen der Sammlung hineingehört. Stehen diese Stufen einander nicht sehr nahe, so wäre auf Grundlage der betreffenden Beobachtungen eine neue Stufe in der im Text angegebenen Weise zu fixiren. Die geringe Zahl der hier erwähnten Beobach- tungen besagt natürlich nichts über den Entwicklungsgang an der bezüglichen Menschengruppe, es war nur ein Versuch hinsichtlich der Brauchbarkeit der Stufenreihe und es muss auch als ein Zufall bezeichnet werden, dass die be- treffenden Individuen (die in dem Alter zwischen 20 und 30 Jahren standen) Ineisiven besaßen, die entweder gar nicht oder nur in unwesentlichen Dingen pathologisch affieirt waren. Über wissenschaftliche Verwerthung der Arbeit im Präparirsaal. 579 der Umformung der untersuchten Organe an einem und demselben Individuum zu finden ist oder ob, was sehr wohl möglich ist, das eine Organ auf höheren Stufen seiner Entwicklungsreihe sich findet als das andere in Bezug auf die diesen zukommende Reihe, dem letzteren also in der Entwicklung vorauseilt; damit könnten sich mehr Anhaltspunkte, als zur Zeit bestehen, ergeben für die Er- kenntnis einer ungleich schnellen Umbildung an den Einzelorganen desselben Organismus. Man sieht, dass bei diesem Verfahren näch Beobachtung be- stimmter Mengen von Individuen die Zahl derselben, bei denen ein untersuchtes Organ auf beiden Seiten oder rechts oder links fehlt, mit genau derselben Sicherheit sich feststellen lässt, wie es bei der Varietätenstatistik von SCHWALBE und PFITZNER geschehen kann. Auch würde sich das procentuelle Verhältnis des Fehlens natürlich eben so berechnen lassen und in so fern leisten beide Methoden das Gleiche. Aber man wird bei dem von mir befürworteten Verfahren nachdrücklich darauf hingewiesen, dass die für das Fehlen eines Organs berechnete Procentzahl, auch wenn größere Mengen von Individuen beobachtet worden, nicht als eine konstante Größe betrachtet werden kann. Das Fehlen eines-Organs bedeutet die in höheren Stufen der Entwicklung eingetretene Reduktion desselben und die Zahl dieser Fälle muss wachsen beim Fortschrei- ten des Umformungsprocesses. Von dem Bestreben der Straß- burger Varietätenstatistik, konstante Procentzahlen zu finden, muss desshalb gesagt werden, dass es von einer unrichtigen Voraus- setzung ausgeht. Es giebt keine absolute Stabilität der Organisa- tionsverhältnisse; Alles befindet sich in einem wenn auch lang- samen, dafür aber unaufhaltsamen Fluss. Und wenn SCHWALBE und PFITZNER in Bezug auf einige von ihnen untersuchte Organe (ef. pag. 565 Anmerkung 2) ihr Ziel bereits erreicht zu haben meinen, so muss bemerkt werden, dass die von ihnen gefundene Konstanz eben nur eine scheinbare ist und es-hätte auch gar nicht als Ziel der Arbeit eine zu findende Konstanz der Procentzahlen angesehen werden sollen. Das ist a priori klar für Jeden, der auf dem Stand- punkt der Descendenzlehre steht; es hätte aber auch das Bestreben, konstante Zahlenwerthe für Organisationsverhältnisse zu finden, als aussichtslos erkannt werden können, nachdem schon vor langer Zeit HENSEL' in trefflichen, gedankenvollen Erörterungen dargelegt hat, 1 61. pag. 66, 69, 70, 71. 38* 580 Emil Rosenberg wie bei der Reduktion eines Organs im Lauf der Geschichte der Species zunächst nur einzelne Individuen diese Reduktion zeigen (diese erscheinen dann als abnorme) und dass, wenn die Zahl der- selben sich vergrößert, der Begriff der Abnormität schwinden und ein Indifferenzpunkt eintreten kann und dass endlich, wenn die Majorität der Individuen das früher als abnorm bezeichnete Verhal- ten darbietet, dieses nunmehr zum normalen Verhalten und zu einem systematischen Charakter geworden ist. Weiter wäre hier daran zu erinnern, dass, wie schon oben (pag. 570) bemerkt wurde, bei der Methode der Varietätenstatistik von SCHWALBE und PFITZNER es unvermeidlich ist, bei allen alter- nativ gestellten Fragen der Straßburger Zählkarte, wenn diese Fra- gen bejaht werden, alle durch die Anwesenheit des untersuchten Organs ausgezeichneten Fälle in eine Kategorie zusammenzufassen mit Vernachlässigung ihrer morphologischen Verschiedenheit, wäh- rend bei dem von mir vorgeschlagenen Verfahren eine solehe Zu- sammenfassung ausgeschlossen ist und die Fälle klassifieirt werden, nachdem jeder einzelne Fall eine sorgfältige Be- urtheilung hinsichtlich seiner morphologischen Beschaffen- heit erfahren hat. Das ist, wie mir scheint, kein geringer Vorzug des letzteren Verfahrens. Würde nun dieses Verfahren acceptirt und im Präparirsaal geübt, so meine ich nicht zu irren, wenn ich annehme, dass für dasselbe das Interesse der Studirenden zu gewinnen wäre. Schon bei einer frü- heren Gelegenheit habe ich die Erwartung ausgesprochen!, es wür- den sich die Studirenden freudig der Mühe unterziehen, unter Lei- tung des Professors an den Beobachtungen thätigen Antheil zu nehmen und es ist mir belangreich, eine Bestätigung hierfür zu finden in der Erfahrung, die CunninGHAMm gemacht hat; er hebt aus- drücklich hervor, die Arbeit habe sich erwiesen als »useful in train- ing the students in the methods of investigation and giving them an enthusiasm for the work «2. Der Nutzen für die Studirenden muss wachsen, wenn auch komplieirtere Organisationsverhältnisse Gegenstand der Beobachtung würden, denn beim Erwägen des Für und Wider zum Zwecke der Entscheidung der Frage, ob resp. welcher der bereits festgestellten Entwicklungsstufen eine gegebene Beobachtung zuzuzählen sei, be- 1 89. pag. 44, 47. 2 89. a. pag. 155. 89. b. pag. 337. Über wissenschaftliche Verwerthung der Arbeit im Präparirsaal. 581 stände die beste Gelegenheit, die Studirenden in der Beurtheilung morphologischer Fragen zu üben und ihnen darin eine Schulung zu geben; diese würde ihnen nach einer Richtung, die ich schon früher angedeutet habe, zu Gute kommen und zugleich ist hier zu betonen, dass im Hinblick auf die Ausbildung der Studirenden solche Unter- suchungen täglich Nutzen bringen können und schon desshalb ge- rechtfertigt wären. In Betreff der Frage, wann in dieser Weise angestellte Beob- achtungen etwa abzuschließen wären, dürfte, wie mir scheint, ein Zeitraum gar nicht bestimmt oder (etwa nach Jahrzehnten ! berechnet) mit Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden. Es könnte (abgesehen von etwaigen Schwierigkeiten rein praktischer Natur) a priori daran gedacht werden, dass das Interesse an diesen Untersuchungen all- mählich schwinden würde; es könnte aber auch sein, dass es an- dauert, so lange das Interesse an der Descendenzlehre besteht. Diese hat zwar eine lange Vergangenheit hinter sich, aber vielleicht eine noch längere und reichere Zukunft vor sich. Ein etwaiger Ein- wand, dass so ein Endresultat gar nicht abzusehen sei, kann kein Bedenken erregen; jede wissenschaftliche Unternehmung hat einen Antheil an dem allgemeinen Charakter der Wissenschaft und ist so- mit »endlos in ihrer Aufgabe und unerreichbar in ihrem Ziel«. Diese Anschauung schließt nicht aus, dass, außer der oben be- rührten Verwerthung der Arbeit für die Schulung der Studirenden, in gewissen Zeitintervallen, die nicht zu kurz zu bemessen wären, eine Verwerthung der gesammelten Beobachtungen im Hinblick auf die Frage nach der Umformung der untersuchten Organisationsver- hältnisse versucht würde. Hierbei wäre die Darstellung der Ergeb- nisse durch Kurven zu bevorzugen. Die Reihe der erkannten Entwicklungsstufen ist die Wegstrecke, die wir zu über- blicken vermögen und giebt die Abscisse, welche nach Maßgabe nicht nur der Zahl der Stufen, sondern zugleich nach dem Werth ihres morphologischen Abstandes von einander zu theilen wäre?; die für jede Stufe festgestellte 1 Cf. SCHWALBE und PFITZNER, 91, pag. 588. 2 Dabei könnten hinsichtlich der Taxation der Abstände Schwierigkeiten entstehen, die sich verringern würden mit der Zahl der festgestellten Stufen; man sieht hier wieder, wie nothwendig es ist, diese Zahl groß werden zu lassen. In dem Anfangstheil der Abscisse, der die Fälle von Atavismus betrifft, werden die Schwierigkeiten wohl immer größer sein, als an dem anderen Ende, der die uns ja viel leichter erreichbaren, die Zukunft anbahnenden Fälle enthält. Die 582 Emil Rosenberg Zahl der Beobachtungen bestimmt natürlich die Form der Kurve. Diese könnte eine sehr charakteristische sein! und würde mit einem Blick übersehen lassen, wie hinsichtlich des untersuchten Organs die Summe der Individuen auf dem Wege, den die Entwicklung nimmt, sich vertheilt. Die Stufe, über welcher der Gipfel der Kurve (oder ihr höchster Gipfel) steht, würde dabei das normale Verhalten darstellen, jedoch nur in dem Sinne, dass dieses normale Verhalten in phylogenetischer Beziehung als ein nur temporäres zu bezeichnen wäre. Aber es wäre lehrreich, dasselbe zu konstatiren, denn es darf wohl angenommen werden, dass wir noch nicht genügend dar- über unterrichtet sind, welches Verhalten eines Organs das zur Zeit »normale« ist. Die Individuengruppen, die sich auf Stufen befinden, welche, vom Gipfel der Kurve aus gerechnet, gegen den Anfang der Abseisse liegen, sind die rel. konservativen und stellen um so mehr Nachzügler in der Entwicklung vor, je näher ihre Stufe zu dem Anfangspunkt der Abseisse liegt. Und umgekehrt wären diejenigen Individuengruppen oder Einzelindividuen, deren Stufen gegen das andere Ende der Abseisse gelegen sind, als solche zu betrachten, welche es zeigen, wie der weitere Fortschritt des Umformungspro- cesses also die Zukunft sich anbahnt. Das Gesagte gilt in erster Linie für solche Variationen eines Organisationsverhiltnisses, die in dem früher erörterten Sinne als Entwicklungsstufen sich auffassen lassen und »bestimmt gerichtet« sind. Ergeben sich aber derartige Befunde, die als Abweichungen von der Hauptbahn (nach einer oder mehreren Richtungen) zu be- trachten sind, so würde das die Konstruktion der Kurve zwar kom- plieiren, ihr aber auch einen neuen und vielleicht charakteristischen und brauchbaren Zug verleihen. angedeuteten Schwierigkeiten sind nicht prineipielle und verringern sich in ihrem Einfluss dadurch, dass bei Benutzung derselben Reihe an verschiedenen Orten der Mangel derselbe bleibt, also das Resultat nicht verschiedenartig be- einflusst wird. 1 Es ist mir nicht wahrscheinlich, dass diese Kurven oft die Form der QUETELET’schen Kurve (cf. 70, pag. 260) zeigen würden; das wäre nur dann zu erwarten, wenn sich Formverschiedenheiten, die an einem Organ beobachtet werden, wie Oscillationen um ein gegebenes, die Norm darstellendes Mittel verhalten. Es liegen Anhaltspunkte vor, vorauszusetzen, dass vielleicht häufig die Variationen als »bestimmt gerichtete« sich erweisen werden. In solchen Fällen könnten ähnliche Kurven erwartet werden, wie sie HUGO DE VRIES (94, Taf. X Fig. 4) bei der Umwandlung seiner »halben Galton-Kurven« in »ganze Galton-Kurven« gesehen hat, wobei aber nicht nothwendig die Deutung, die DE Vries der Erscheinung gegeben, zu acceptiren wäre, Über wissenschaftliche Verwerthung der Arbeit im Präparirsaal. 583 Wenn dieses Verfahren an mehreren oder vielen Orten geübt würde, so dass verschiedene Bevölkerungsbezirke oder Nationen die Beobachtungsobjekte abgeben, so könnte schon die Vergleichung der für ein einzelnes Organ gefundenen Kurven die vorauszusetzen- den Verschiedenheiten — und so möchte ich in anthropologischer Beziehung die Aufgabe der Arbeit formuliren — ausdrücken lassen in Verschiedenheiten des Maßes und der Art des Umfor- mungsprocesses, mit einem Worte des Entwicklungsganges'. Die Sicherheit des Ergebnisses der Arbeit würde sehr wachsen, wenn (was eigentlich unerlässlich wäre) in jeder Beobachtungsstation mehrere und natürlich die gleichen Organisationsverhältnisse Gegen- stand anhaltender Aufmerksamkeit wären. Dann würden sich die Ergebnisse der Vergleichung in einer Weise ergänzen, die den schäd- lichen Einfluss einer etwaigen Identität einzelner Kurven ausschließen könnte. - Hier ist jedoch noch eine Bemerkung über den Werth und den Er- folg der Arbeit zu machen. Im Hinblick auf die zu erstrebende Er- kenntnis eines am menschlichen Körperbau sich vollziehenden Umfor- mungsprocesses wäre es sicherlich sehr belangreich, dass die erörterte Arbeit möglichst in allen Präparirsälen aufgenommen würde, denn dann würden sich relativ rasch Beobachtungen häufen, die in Bezug auf die allgemeinere Frage, ob resp. wie eine Umwandlung als Ausdruck einer phylogenetischen Entwicklung des Menschen geschieht, verwerthet werden könnten; die Beantwortung dieser Frage könnte auch schon angestrebt werden, wenn in allen Präparirsälen einer kleineren Zahl von Ländern mit relativ gleichférmiger Bevölkerung die Arbeit aus- geführt würde und diese Arbeit hätte dann vorherrschend in Bezug auf die eben erwähnte allgemeinere Frage ihren Werth. In Bezug auf die speciellere Frage aber, welche Verschiedenheit des Um- formungsprocesses etwa bei verschiedenen Nationen zu konstatiren wäre, wird es, wie mir scheint, kaum erwartet werden können, dass sichere Resultate zu erlangen wären, wenn die Untersuchungen z. B. nur in Westeuropa ausgeführt würden. Im Hinblick auf die erwähnte speciellere Frage wäre es dringend geboten, die Beobach- tungsstationen so zu situiren, dass die Beebachtungsobjekte möglichst 1 Schon jetzt giebt es Anhaltspunkte zu der Annahme einer solchen Ver- schiedenheit des Entwicklungsganges. Ich erinnere an die Außerungen CoPpE's über die Genera Metanthropos und Epanthropos und an das hierauf bezüg- liche Ergebnis des von mir beobachteten Verhaltens der Incisiven (95,pag. 333, 334. 584 Emil Rosenberg verschiedenen, weit von einander getrennten Menschenrassen ent- nommen würden. Hierbei erhält aber der Umstand ein Gewicht, dass in den Ländern, die hauptsächlich bewohnt werden von den auf niederer Kulturstufe stehenden Naturvölkern, deren Studium für die anzustellende Vergleichung besonders belangreich wäre, der Wissen- schaft, wie ich es an einer anderen Stelle ausgedrückt habe, Heim- stätten noch nicht bereitet sind. Ich glaube aber, dass man nicht warten müsse, bis das geschieht und ich habe daher schon bei einer früheren Gelegenheit die Hoffnung ausgesprochen, es werde der Staat (als einzelner oder im Verein mit anderen) seinen Einfluss in solchen Ländern dazu benutzen, um den Anatomen das Studium des Baues der auf niederer Kulturstufe stehenden Naturvölker zu ermög- lichen. Von dem eben erwähnten Gesichtspunkte aus wäre es ge- boten, einen stetigen Transport von Untersuchungsobjekten in die Präparirsäle zu organisiren!, damit möglichst frühzeitig, wenn auch zunächst nur einzelne, besonders interessante derjenigen Bevölkerungs- gruppen zur Untersuchung gelangen könnten, welche Ländern ange- hören, die noch keine Universitäten haben. Hinsichtlich dieser Unter- suchungsobjekte wären in den Präparirsälen die Ergebnisse natürlich so zu notiren, dass Verwechselungen und ungehörigen Vermischungen ! $n dieser Richtung habe ich schon vor längerer Zeit einen Versuch ge- macht, den mir die günstige Situation Utrechts nahe legte. Ich wandte mich in einem Schreiben vom 29. März 1889 an die in Holland bestehende Commissie ter bevordering van het Natuurkundig Onderzoek der Nederlandsche Kolonien und suchte darzulegen, dass es belangreich wäre, aus außereuropäischen Län- dern die Leichen von Angehörigen der diesen Ländern eigenthümlichen Men- schenstämme zur Untersuchung zu erhalten. Da Holland große und in natur- historischer Beziehung sehr interessante Kolonien besitzt, so. dürfe gehofft werden, dass besonders in Holland die Möglichkeit zu solchen Untersuchungen sich ergeben könne. Ich äußerte daher die Bitte, die Kommission wolle in Berathung nehmen, ob durch ihren Einfluss für das Utrechter anatomische In- stitut aus Ostindien Leichen von Eingeborenen zu erlangen wären. Zu weiterer Befürwortung meiner Bitte sprach ich die Überzeugung aus, dass es vielleicht nur eine kurze Reihe von Jahren dauern würde, bis diese durch die Gesichts- punkte der modernen Morphologie geforderten Untersuchungen in den Präparir- sälen Europas unternommen würden. Die Kommission zeigte sich geneigt, auf meinen Plan einzugehen und mein Gesuch zu erfüllen. Allein es ergab sich später, dass der Durchführung des Unternehmens zur Zeit noch nicht zu bewältigende Schwierigkeiten administrativer, zum Theil auch politischer und endlich finanzieller Natur entgegenstehen. Ich gebe indess die Hoffnung nicht auf, dass es gelingen könnte, Leichen in an- thropologischer Beziehung möglichst gut bestimmter Angehöriger indischer Naturvölker für den Utrechter Präparirsaal kontinuirlich zugesandt zu erhalten. Über wissenschaftliche Verwerthung der Arbeit im Präparirsaal. 585 der Beobachtungen vorgebeugt wäre und das ließe sich mit Benut- zung der Leichenkarten leicht durchführen. Berichte über Ergebnisse solcher Untersuchungen würden, da sie nur in längeren Zeitintervallen veröffentlicht werden könnten, in so fern eine gewisse günstige Beeinflussung des Zustandes der Litteratur bedingen, als die verstreute Publikation von Einzelbeobachtungen da- mit eingeschränkt würde und da diese Berichte über einen Theil unserer Geschichte Mittheilungen zu bringen hätten, würden sie wohl auch lesbarer sein als Zusammenstellungen noch nicht verwertheter Thatsachen. Das den Berichten zu Grunde liegende Beobachtungsmaterial scheint mir aber auch die Möglichkeit zu bieten, es auch nach einer anderen Richtung als der bisher erörterten zu verwerthen. Ich meine hier einzelne Fragen, die sich aufdrängen, wenn man an die allgemeinsten Erscheinungen des Umformungsprocesses denkt, der die Gesammtheit betrifft. Ob die Umformung allmählich oder sprung- weise sich vollzieht, ist eine Frage, die dabei im Vordergrunde steht; dieselbe ist noch kürzlich von DoLLo'!, und in gewissem Sinne auch von Hugo DE Vries? dahin beantwortet worden, dass die Umformung sprungweise erfolge. Lässt sich nun aber in den Präparirsälen fest- stellen, dass an einem gegebenen Organ sehr fein abgestufte Reihen von Formerscheinungen sich darbieten, so würde das ein Gewicht haben in der erwähnten Frage, wenigstens in so fern der Umfor- mungsprocess an der Gesammtheit? zum Gegenstand der Reflexion gemacht wird. Und auch in einer anderen Richtung könnte die hier erörterte Arbeit im Präparirsaal eine Anregung zu Untersuchungen gewähren. 1 93. pag. 165. 2 94, 3 Dass der Umformungsprocess, der hinsichtlich der Gesammtheit sich zu erkennen giebt, nicht absolut identisch zu sein braucht mit dem in den Einzel- reihen von Generationen sich abspielenden, habe ich an einer anderen Stelle 95, pag. 336, 337) angedeutet. Im Hinblick auf diese letzteren Vorgänge könnte durch die Studien in den Präparirsälen nur unter Bedingungen, die wohl kaum zu erfüllen wären, belangreiches Material sich ergeben. Für die Bearbeitung der hier in Betracht kommenden Fragen sind andere Gebiete viel günstiger situirt als die Anatomie des Menschen. Das empfindet man lebhaft z. B. An- gesichts der kürzlich bekannt gewordenen, höchst interessanten Versuche von Huco DE VRIES. Solche Fragen könnten allerdings in anthropologischen In- stituten in Angriff genommen werden, aber in jedem Fall wäre die Untersuchung von Organismen, bei denen relativ rasch eine Anzahl von Generationen zur Beobachtung gelangen kann, sehr im Vortheil gegenüber Untersuchungen am Menschen. 586 Emil Rosenberg Wird der Gedanke, in der dargelegten Weise systematisch Un- tersuchungen über die Umwandlungsfähigkeit des Menschen auszu- führen, zugelassen, so liegt es nahe, derartige Untersuchungen nicht nur auf den Präparirsaal zu beschränken, sondern dieselben auch auf ein anderes Gebiet, ich meine die Ontogenie des Menschen, aus- zudehnen. Schon seit längerer Zeit finden sich in der Litteratur Anhaltspunkte dafür, dass, z. B. bei rudimentär werdenden Körper- bestandtheilen, wenn diese im erwachsenen Zustand des Individuums nicht mehr konstant angetroffen werden, sie beim Embryo entweder noch in allen Fällen oder auch nicht mehr in allen Fällen gefunden werden. Es muss aber erwartet werden, dass Reduktionen von Kör- perbestandtheilen, oder andere Umformungserscheinungen, die sich beim Erwachsenen anbahnen, auch das Verhalten des Embryo all- mählich beeinflussen werden und es könnte ein großes Interesse haben, zu untersuchen, wie eine bestimmte Einrichtung, die beim Erwachsenen sich umgestaltet, nun auch beim Embryo umgewandelt wird, resp. aus den Vorgängen des embryonalen Entwicklungsganges sich ausschaltet und dadurch den Entwicklungsgang verkürzt. Es ließe sich annehmen, dass bei präcis formulirten, diese Angelegen- heit betreffenden Fragen größere, für eine Verwerthung in statisti- scher Beziehung ausreichende Mengen von menschlichen Embryonen in rel. nicht zu langer Zeit bei Anwendung der ausgebildeten moder- nen Technik und bei Vertheilung der Arbeit auf die anatomischen Laboratorien eines nicht zu eng zu begrenzenden Bezirks im Hin- blick auf solehe Fragen würden untersucht werden . können. Die Ergebnisse schon einer solchen Untersuchung könnten bereits ein gewisses Interesse haben; wenn die Untersuchung aber in demselben Bezirk und an Embryonen, die den Bewohnern dieses Bezirks ent- stammen, in langen Zeitintervallen wiederholt würde, so könnte die Frage nach einer Umwandlung der embryonalen Entwicklungsvor- gänge, speciell die Frage nach dem Modus der Verkürzung der Entwicklungsvorgänge ihrer Lösung näher gebracht werden. Es wäre nicht unpassend, die letzten Jahre eines zu Ende gehenden Jahrhunderts zu einer solehen Untersuchung zu benutzen und es dann den letzten Jahren eines jeden der folgenden Jahrhunderte zu über- lassen, die Untersuchung in Betreff derselben Fragen zu wieder- holen. Das Ergebnis könnte sehr interessant sein. — So ergeben sich Ausblicke, die, wie mir scheint, der erörterten Arbeit im Präparirsaal einigen Erfolg verheißen. Einzelnes wäre noch hinzuzufügen; ich möchte aber zum Schluss Über wissenschaftliche Verwerthung der Arbeit im Priiparirsaal. 587 nur noch die Frage berühren, ob es zeitgemäß sei, die Arbeit im Präparirsaal in der angedeuteten Weise vorzubereiten und aufzu- nehmen. Ich habe keinen Zweifel darüber, dass diese Frage be- jahend zu beantworten sei, denn im Grunde ist das hier befürwortete Verfahren doch nichts Anderes als eine Anwendung der schon oft bewährten Prineipien der Descendenzlehre auf ein Gebiet, welches dem Einfluss derselben bisher völlig oder fast ganz entzogen war, unter diesem Einfluss aber auch in wissenschaftlicher "Beziehung fruchtbringend zu werden verspricht. Utrecht, 10. April 1895. Verzeichnis der eitirten Litteratur. Für die Anordnung desselben sowie für die Citate im Text habe ich das sehr zweckmäßige Verfahren MARK’s acceptirt, über welches H. H. FreELD im XIII. Bande des Biologischen Centralblattes (1893), pag. 753—778, beachtenswerthe Mittheilungen gemacht hat. Die Anordnung ist demnach eine chronologische, und die für die Citate benutzten Ziffern geben in verkürzter Form die Jahres- zahl des Erscheinens der betreffenden Arbeit an. Auch im Verzeichnis selbst scheint mir diese Verkürzung verwendbar; die erste Abhandlung des Verzeich- nisses ist mit der voll ausgeschriebenen Jahreszahl versehen, um damit auf die Bedeutung der folgenden, links neben den Autornamen stehenden Ziffern hin- zuweisen. Auch bei einem kleinen Litteraturverzeichnis empfindet man schon die Zeitersparnis, die durch die MArK’sche Methode bedingt ist. 1861. R. HExsEL, Uber Hipparion mediterraneum. Abhandlungen der königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. A.d.J. 1860. pag. 1. 70. Ap. QUETELET, Anthropometrie. Bruxelles 1870. 75. E. ROSENBERG, Über die Entwicklung der Wirbelsäule und das Centrale carpi des Menschen. Morpholog. Jahrbuch von GEGENBAUR. Bd. I. pag. 83—197. 84. G. Ruge, Beiträge zur Gefäßlehre des Menschen. Morpholog. Jahrbuch von GEGENBAUR. Bd. IX. pag. 329—388. 89. E. ROSENBERG, Eine. vergleichende Beurtheilung der verschiedenen Rich- tungen in der Anatomie des Menschen.. Antrittsvorlesung, gehalten 28. September 1888. Leipzig 1889 (Anfang Januar erschienen). 89. a. D. J. Cunnincuam, Original Anatomical Investigation; proposed Coo- perative Investigation. The Dublin Journal of Medical Science. Vol. LXXXVIII. July to Dec. 1889. Part IV. Medical Miscellany. Royal Academy of Medicine in Ireland; Section of Anatomy and Physiology. March 15. 1889. pag. 150—156 (im Heft vom August 1889 publicirt). 89 89. a. W. Prirzner, Uber die Ursprungsverhältnisse der Arteria obturatoria. 89. 89. 89. 90. 90. 90. ON: 9% 91 91. 92: Emil Rosenberg . b. D. J. CunnincHam, Report of the Committee of Investigation in the W. anatomical department of Trinity College, session 1888—1889. Trans- actions of the Royal Academy of Medieine in Ireland. Vol. VII. Dublin 1889. pag. 378—387. . MACALISTER, cf. 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Med eqn? mt eda al Sa Owe m oral Saiyan 7 7 r ala c d D. ig : . Hirsy ice Did oa { e J < x a . - \ | 4 r 4 3 r } _ Its rn) sme ay (Ihe ska Bit at ET .. VER ‘ Ay, f > + j rir, ¥ Oke “34 Pe hat | beeed’ & Erika Hal esol AA 4 Wath. ks pe Ar Te: apy VIER see a a). to ea? Ont” iG cr IR A 2 ch tt UH. but st 13T 908 45% ie 5 eNO ayes af tha me ee dodotoG Eine” TPA tee ‘oe sqoulio A Dis x j Witney aA REP ee ban jor y 2 A aya ert ered TZ ytostanlodqiaitrs ‘ened LOHAST AES 4 Ru: Bes Jen eit 6.78. Pee . +43 a of ¢ fr z ic. > 45> i } VOI 15% / fed OC i TSO eee , a% \ bi spr ertae at A ah mo). ia i a CIO Zr ay Ch .yeq 7 i ‘ 74 a * ite ‘ Min.x J5 7 } ’ - i «kas of ; : deg sete si iy a ee ie. Rp BAM A Abe) ol ; ena. «72080 \ of Boa Kr CL wear Att ia af ob Tee lta dU Aa end. lab M. _ OE Druck von Breitkopf & Hartel in Teipaig. 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