lao i<£) Finkel scherer, Israel Mose Maimimis Stelliing zum Aberglauben und zur I^stik ;C0 Digitized by the Internet Archive in 2010 with funding from University of Toronto http://www.archive.org/details/mosemaimunisstelOOfink MOSE MAIMUNIS STELLUNG ZUM ABERGLAUBEN UND ZUR MYSTIK. IMTJ&UE AL -DISSERTATION ZUR ERLANGUNG DER PHILOSOPHISCHEN DOKTORWÜRDE DER HOHEN PHILOSOPHISCHEN FAKULTÄT DER UNIVERSITÄT JENA VORGELEGT VON ISRAEL FINKELSCHERER AUS BRODY. v 4 1960 -ANSTALT BRESLAU. II ,.,j DRUCK DER SCHLESISGHEN BUCHDRÜGKEREI, KUNST- MD VEltLAGki! V. S. SGHOTTLAENDER. V C^y, 1894. xTif^^ffSlTY OF "^^^ SK. HOCHWOHLGEBOREN HERM HEINRICH NIRENSTEIN IN WIEN SEINEM VEREHRTEN GÖNNER IN DANKBARKEIT ZUGEEIGNET. ^ HOV 9 1972 < . EinleituDg. ^eit den ältesten Zeiten sehen wir bei allen Völkern in ihren religiösen Anschauungen neben dem reinen Glauben den Aberglauben einhergehen. Eng an den Glauben sich anschmiegend, trägt gerade der Aberglaube, scheinbar ein höher potenzierter Glaube, doch wie kaum ein anderes Moment zur Yerminderung der Innigkeit des Glaubens und zur Abschwächung des religiösen Gefühls bei. Fragen wir uns, was eigentlich Aberglaube ist, wo das Gebiet des Glaubens aufhört und das des Aberglaubens beginnt, so ist eine Antwort auf diese Frage nicht leicht zu geben. Die Grenzen fliessen so in- einander, dass im Leben eine präcise Scheidung schwer möglich ist. Es sind denn auch thatsächlich die Definitionen des Begriffes „Aberglauben" mannigfach und verschieden, J) zumal die Stellung und subjektive Anschauung dessen, der die Definition aufstellt, gerade bei diesem Begriffe einen wesentlichen Faktor bilden mussten und wirklich bildeten. Die herrschende Anschauung der Zeit ist bei der Bestimmung dessen, was Aberglaube ist, von besonderem Einflüsse. Während die eine Zeit den Glauben an Teufel und Hexen für Religion erklärt, fasst eine andere selbst die erhabensten Satzungen der Religion als Aberglaube auf. 2) Wir wollen uns daher hier auf die Anführung der Kantischen Definition des Aber- glaubens beschränken: „Der Aberglaube ist das Vorurteil, sich die Natur so vorzustellen, als sei sie den Regeln nicht unterworfen, 1) Vgl. die Definitionen in Herzog und Plitt, Eeal-Encyklopädie für protest. Theologie. Leipzig 1877, I. Art. Aberglaube; Wetzier und Weite, Kirchenlexion, Freiburg i. Br. 1882. I. S. 55; ferner bei Simar, Der Aberglaube, Köln. 1878, Pfleiderer, Theorie des Aberglaubens. Berlin, 1872. S. 6. 2) Vergl. z. B. Philosophische Geschichte des Aberglaubens, hrsg. von dem Verfasser des Hierokles. Colin 1796 und S. H. Keuter, D;is mächtige doch umschränkte Eeich des Teufels. Lemgo 1715. die der Verstand ihr als sein eignes wesentliches Gesetz zu Grunde legt." 1) Das Verhältnis des Glaubens zum Aberglauben bildet nament- lich in den Epochen regerer innerer Entwickelung, in denen Keligion und Philosophie sich begegnen und auf einander einwirken, den Gegenstand lebhafter Erörterung. In der religionsphilosophischen Litteratur des Mittelalters tritt diese Erscheinung besonders zu Tage. Die Keligionsphilosophie erblickt ihre höchste Aufgabe in dem Nach- weise der Übereinstimmung zwischen Glauben und "Wissen und sucht ihr Endziel in der Vereinigung des religiös Überlieferten mit dem philosophisch Erkannten. 2) Damit ist ihr ein Doppeltes zur Pflicht gemacht. Sie hat erstens zu zeigen, was wissenschaftliche Überzeugung in Bezug auf religiöse Überlieferung lehrt, und zweitens abzuwehren, was dieser Überzeugung widerspricht als Aberglauben oder Unglauben. Die Aufgabe der Eeligionsphilosophie besteht demnach nach der positiven Seite hin in Bildung eines organischen Systems, 3) das die Vereinigung der Philosophie und Keligion als Endziel aufzuweisen hat; nach der negativen hin in dem kritischen Bestreben des Ausscheidens und Abwehrens des- jenigen, was dieser Übereinstimmung zuwiderläuft, als Aberglauben oder Unglauben. In wie weit die letztere Aufgabe von Maimuni^), dem bedeutendsten jüdischen Keligionsphilosophen des ]\Iittelalters gelöst worden ist, soll im Folgenden dargestellt werden. Moses b. Maimun aus Cordova (1135 — 1204) stellte sich in seinem religionsphilosophischen Werke „Führer der Irrenden'' (Dalälat al Häiriu, More Nebuchim) diese doppelte Aufgabe. Dass Theologie und Wissenschaft für ihn identisch sind, ergiebt sich aus seiner Definition des Glaubens, welche lautet: „Nicht die blosse Be- hauptung, sondern die mit der Erkenntnis in der Seele verbundene Überzeugung, dass es sich auch so verhalte, wie man etwas sich vor- stellt, macht das Wesen des Glaubens aus ... In Wahrheit kann von Glauben nur nach vorhergegangener Erwägung die Rede sein, 1) Kritik der Urteilskraft S. 158. 2) cfr. Stöckl, Gesch. d. Philos. d. Mittelalt. (Mainz 1864), B. I, S. 9. 3) Über Systembildung in der mittelalt. Philos. vgl. Stöckl, das. S. 7; Eitter, die christlich. Philos., Göttingen, 1858, B. I., S. 173 ff. 186 ff. 4) Über ihn vgl. Graetz, Gesch. d. Jud., VI., S. 310—387 und die dazu gehörigen Noten; Abr. Geiger, Moses b. Maimon, Kosenberg 1850: Eosin, die Ethik d. Maimonides; Überweg, Grundriss d. Gesch. d. Philos. II. 7. Aufl. bearb. v. Heinze. Leipzig 1886, S. 208 u. 217 ff. denn erst die Überzeugung, dass das, was der Verstand denkt, auch ausser ihm in der Wirklichkeit sich so verhält, wie er es sich ge- dacht, macht das Wesen des Glaubens aus. Den Namen Wahrheit verdient aber der Glaube nicht eher, als bis das klare Bewusstsein sich mit ihm verbindet, dass sein Gegenteil schlechthin unmöglich ist, eine Widerlegung desselben von Seiten des Verstandes über- haupt nicht vorhanden sein, ja auch nur die Möglichkeit seines Gegenteils vernünftigerweise nicht angenommen, werden kann/' ^) Mit dieser Definition erklärt Maimuni, dass es einen religiösen Glauben aus nicht zureichenden Gründen nicht gebe, dass Glauben und wissenschaftliche Überzeugung identisch sind. Es ist offenbar, dass diese Definition nicht zutrifft. Religiöser Glaube ist etwas ganz Anderes als durch philosophische Reflexion übermittelte Über- zeugung und die Aufgaben beider-), die neben einander bestehen 3), verschieden. Wenn aber auch sachlich Maimunis Definition nicht richtig ist, so ist sie doch im hohen Masse belehrend für seine Stellung zum Aberglauben. Denn sie zeigt uns, dass nach ihm, jede religiöse Meinung, die nicht vor dem Richterstuhle des strengen wissenschaftlichen Denkens bestehen kann, jede Vorstellung auf religiösem Gebiete, deren Gegenteil auch nur denkbar ist, Aberglaube oder falscher Glaube sein wird. Wie für ihn richtiger Glaube wissenschaftliche Evidenz (Überzeugung) ist, so ist ihm Aberglaube Thorheit und Unwissenheit, mit welchem Aus- druck er auch den Aberglauben bezeichnet. *) 1) More Nebuchim p. I. c. 50; Muuk, Le Guide des egares p. 179, 181 cfr. Kaufmann, Gesch. d. Attributenlehre in der jüd. Religionsphilos. d Mittelalters von Saadja bis Maimuni. Gotha 1877, S. 372 ff. 2) Cfr. Kitter, 1. c. 28 ff. 3) Vgl. Herbert Spencer, System der Philosophie. Band I. Grund- lagen der Philosophie, deutsch v. Vetter, Stuttgart 1875, S. 17. *) Cfr. More I, Einleitung, I, 62; II, 25. 29. 30.; III, 29; Le Guide, I 15, 278. II, 197. 213, 248; III, 223, 228. u. v. a. St. Maimunis Ansichten über Aberglauben. Entstehung, Ursache und Verbreitung des Aberglaubens. IVJ-aimuni nennt drei Quellen, aus denen unsere Erkenntnis tliesst; nur was sich unter diese drei Kategorien unterbringen lässt sei glaubwürdig. Die erste Kategorie umfasst alles, wofür sich ein exacter Vernunftbeweis führen lässt (nV^H "'iÖÖ), wie es in der Arithmetik, Geometrie und Astronomie der Fall ist. Der zweiten Kategorie gehören diejenigen Dinge an, deren Kenntnis uns die fünf Sinne vermitteln (nsTinnn ''wSÖ); zu dieser Kategorie gehören alle Empfindungen und Wahrnehmungen. Die dritte Kategorie bilden jene Dinge, von denen eine beglaubigte und wahrhafte Überlieferung vorhanden ist (nS^pH ^220), wie dies bei all dem der Eall ist, was uns fromme Männer und Propheten verkünden. Wer aber an etwas glaubt, was nicht diesen drei Klassen angehört, auf den kann das Schriftwort 1) Anwendung finden: Der Thor glaubt jegliches. Es seien aber über Dinge, die diesen drei Klassen nicht angehören, eine Unmasse Bücher geschrieben, in denen ihnen, die nur Thorheit sind, das Gepräge hoher Weisheit und tiefer Erkenntnis gegeben wird, und viele, die sich weise dünkten, beschäftigten sich mit solchen Werken und vermeinten in den Besitz höchster Weisheit gelangt zu sein. Die grosse Menge, die von der verderblichen Krankheit befallen ist, alles zu glauben und für wahr zu halten, was niedergeschrieben ist, nahm das in solchen Schriften Verkündete um so mehr als höchste Weisheit hin, als sich diese Schriften für uralt ausgaben und sich mit ihnen Männer beschäftigten, die als weise galten. Der wirkliche Inhalt dieser Schriften ist jedoch eitel Götzendienst. 2) Auf die Krage, wie die Menschheit äberhaupt auf 1) Proverbia 14, 15. nll bsb \^r2ü'' TiB. 2) Sendschreiben nach Marseille, abgedruckt in Igg'roth, Venedig 1544 p. 11 ff. und in Kobez T'schuboth ed. Lichtenberg. Leipzig, 1859. IL p. 25a, col. 1. 9 solche Abwege geratheii konnte, giebt Maimuni in seinen beiden Hauptwerken die Antwort: Zur Zeit des Enosch i) beging die Menschheit einen folgenschweren Irrthum. -) Sie ging von der Ansicht aus, da Gott die Welt geschaffen habe und Sphären und Sterne (D'^bjT'^l C^D31D), die die Welt leiten und lenken, da er diesen hohe Ehren dadurch zu teil werden Hess, dass sie seine nächsten un- mittelbaren Diener seien, so — Avar der falsche Schluss, der der Menschheit solches Unheil brachte — sei es nur geziemend, sie ebenfalls zu verehren. Sie begann in der Absicht, des allerhöchsten Gottes Gunst und Wohlwollen zu erringen, seinen Geschöpfen gött- liche Ehren zu erweisen und ihnen Tempel zu erbauen. Hiermit w^ar durch die Verwechslimg des Geschöpfes mit dem Schöpfer die Grundlage für den Götzendienst gegeben. Später verkündeten falsche Propheten, dass Gott befohlen habe, einen bestimmten Stern in be- stimmter Weise zu verehren, und dies auch in seiner Abbildung und Darstellung. Es geschah allmählich, dass die wahre Gottesver- ehrung, zu der die Anbetung der Gestirne hinleiten sollte, ganz schwand, und auch an Stelle der letzteren die sie symbolisierenden Nachbildungen traten, von denen allein man Schutz und Heil er- wartete. Namentlich waren die Ssabier^) der Meinung, dass es ausser den Sternen keinen Gott gebe*), dass die Welt ewig sei, Adam, ein Gesandter des Mondes, über den Landbau Werke verfasst habe; dergleichen seltsam Fabelhaftes wussten sie noch mehr von ihm zu erzählen. Entsprechend ihrer Anschauung errichteten sie den Planeten Statuen »), goldene für die Sonne, silberne für den Mond, und teilten den Sternen die Metalle und Klimate zu, indem sie 1) Sefer ha-Madda: Hilchoth Akkum, c. 1.; D. Vossius, R. Mosis Maimonidae, De Idolatria, über. Amsterdami 1641. p. 1, 2) Maimuni kommt zu dieser unhistorischen -Anschauung über Götzen- dienst und Aberglauben durch den Enfiuss der rabbinischen Tradition cfr. Ber. rabba, c. 23, 27 u. ö.; cfr. Voss, De Idolatria p. 2. n. 3) Nach Chwolson, Die Ssabier und der Ssabismus. Petersburg 1856. B. I. S. 689 — 716 sind unter Ssabiern bei Maimuni nicht die Harranier zu verstehen, sondern nach dem damaligen Sprachgebrauch der Araber Heiden überhaupt. Vgl, auch Munk, Le Guide des egares T. III. p. 217 n. 1. 4) More Nebuchim III. c. 29, ed. Scheyer (Frankfurt a. M. 1838) S. 195 f. Le Guide III, 222 ff. Die More -Übersetzung des Al-Charizi (ed. Schlossberg. London 1879.) III, p. 45. Vgl. ferner Muhamed asch - Schahrastäni, Eeligionsparteien und Philosophen schulen. Übersetzt von Th. Haarbrücker. Halle 1850—51. I. 273 ff; H, 66. 73. 5j More, III, 29. ed. Scheyer p. 197; Le Guide III, 226 ff. 10 meinten, class jeder einzelne Planet der Gott eines bestimmten Klimas sei. Sie erbauten Tempel i), in die sie die Bildsäulen hineinstellten, in der Meinung, dass die Kräfte der Planeten sich auf diese ergiessen, so dass sie Einsicht und Yernunft erlangen und ihrerseits den Menschen die Gabe der Prophetie verleihen und heilsamen Kat er- teilen. In ein gleiches Yerhältnis setzen sie auch Bäume zu den Planeten. Wenn nämlich ein Baum einem Planeten geweiht wird, insofern er im Namen und zu Ehren des letzteren gepflanzt und in der ihm zukommenden Weise behandelt wird, so ergiesst sich die geistige Kraft des Planeten auf den Baum, der dann Menschen zu inspirieren vermag. In solcher Weise, fährt Maimuni fort, ver- breitete sich Thorheit und Wahnwitz, die Verkehrtheit zog immer weitere Kreise. Es entwickelten sich aus diesen Anschauungen bei der allgemeinen Unwissenheit noch weitere falsche Yorstellungen, Avie der Glaube an Wolkendeuter, SchlangenbescliAvörer, Zauberer, Geisterbanner , Gespensterbefrager, Zeichendeuter und Todtenbe- schwörer. Das berühmteste Buch über diese Gegenstände 2) ist die „Agricultur der Nabathäer" 3)^ übersetzt von Ibn Wa'hschija*). Dieses Buch ist voll von heidnischem Unsinn und von Märchen, an denen nur der Sinn des ungebildeten Volkes Geschmack finden kann. Es 1) Chwolson (Die Ssabier II, 380 S,) giebt eine Beschreibung der Tempel der Ssabier aus Schems-ed-Din Dimeschqi, wo auf die Beschreibung des Tempels „der ersten Ursache", des „der ersten Vernunft", des ,,der Weltordnung", des i,der Notwendigkeit" und des, „der Seele", die Beschreibung der den einzelnen Planeten geweihten Tempel folgt. Es wird dabei genau das Metall, woraus sie gefertigt, und ihre Form angegeben. „Zu den Tempeln der Ssabier gehört ferner der Tempelder Sonne. Dieser Tempel ist quadratförmig, goldfarbig mit gelb angestrichenen Wänden, und mit gelben, vergoldeten, seidenen Vorhängen behangen. Mitten im Tempel ist ein Sitz auf 6 Stufen, auf dem ein goldenes Götzenbild mit Perlen behangen und mit einer Königskrone auf dem Haupte sich befindet." (S. 390) .... „Zu den Tempeln der Ssabier gehört auch der Tempel des Mondes. Dieser hat eine fünfeckige Form ; die spitzauslaufende Wand ist reich an goldenen und silbernen Inschriften, deren Tafelwerk und die Übertünchung überhaupt aus Silber ist. Mitten im Tempel steht ein Thronsessel auf drei Stufen, auf dem ein Götzenbild aus reinem Silber sich befindet." (S. 396.) 2) More III, 29; ed. Scheyer 201; Le Guide III, 231. 3) Über die Nabathäer s. Chwolson a. a. 0. I., 697 ff. Über die Grund- sätze der Agricultur das. 709 ff.; Le Guide III, 231 n. 2. •i) Über Ibn Wa'hschija s. Chwolson, 1. c. I. 697, 705, 821; n. 607. Jedoch wird Chwolsons Meinung bekämpft und widerlegt von AI. v. Gut- schmidt, Die Nabatäische Landwirtschaft und ihre Geschwister, ZDMG XV, 1—161; Le Guide III, 231, n. 2. 11 spricht von der Anfertigung von Talismanen, von Geisterbeschwörung Zauberei, von Dämonen und Gulen. Es enthält überhaupt viele Thorheiten, die nur den Spott des Vernünftigen verdienen ij. Maimuni bringt, wie wir sehen, jegliche Art des Aberglaubens mit Götzendienst in Verbindung; indem er jenen auf diesen zurück- führt, iudentificiert er sie geradezu. Er lässt beide in der ältesten Zeit entstehen, wohl schon in so früher Zeit, da die Menschen über- haupt über Gott und Glauben noch nicht nachzudenken begonnen. Die Ursache ihrer Entstelnmg ist einerseits ein falscher, zumeist unbewusst vollzogener Denkprozess, andererseits das Gefühl der Schwäche der eigenen menschlichen Kraft und das Streben, diese Schwäche zu überwinden. Hierzu tritt die Meinung — die, an sich richtig, zu falschen Folgerungen benutzt wurde — dass die einzelnen Teile der Welt, anders als nach Naturgesetzen, auf einander wirken, was insbesondere bei den Gestirnen gegenüber den Geschöpfen der Erde der Fall sein müsse. Die Gestirne erscheinen nämlich dem Naturmenschen durch ihre ihm unerklärlichen Eigenschaften, von denen er aber merkt, dass sie für sein Bestehen notwendig sind, von Anbeginn an als etwas Höheres, in ihrem Wesen und Zweck Un- fassbares, daher Mystisches. Als diesem geheimen Einflüsse ausge- setzt sind die Menschen besonders da sich zu betrachten geneigt, wo die Erfüllung ihrer Wünsche und Hoffnungen der eigenen Machtvollkommenheit und Wirksamkeit entrückt ist, wie dies nament- lich beim Ackerbau der Fall ist, wo der Ertrag der Aussaat von den klimatischen Verhältnissen abhängt. Der Ackerbautreibende ist 1) Dämoneuglauben und Zauberei ist etwas, was den Spott jedes Ver- nünftigen hervorrufen sollte und doch wurden diese Dinge noch mehrere Jahrhunderte nach Maimuni als Ausfluss hoher Weisheit angesehen, und selbst nicht unbedeutende Geister, Juden wie Christen, erkannten ihre Realität an. Es sei an dieser Stelle bloss des Zeugnisses des grossen Lehrers der Scholastik Erwähnung gethan, Thomas von Aquino, der, gleich Maimuni Aristotelikor, sich über diesen Gegenstand im Gegensatz zu letzterem in folgender Weise äussert: De maleficiis autem sciendum est, quod quidam dixerunt, quod male- ficium nihil est, et quod hoc proveniebat ex infidelitate: quia volebant, quod daemones nihil sunt, nisi imaginationes hominum, in quantum scilicet homines imaginabantur eos et ex illa imaginatione territi laedebantur. Fides vero catholica vult, quod daemones sint aliquid et possint nocere suis operationibus et impedire carnalem copulam." Quaestiones quodlibetales: Quastio XI. art. 10 (p. 84 ed. Patavii 1698.) — „Conslderandum est, quod necesse est confiteri, quod deo permittente daemones possunt turbatioues aeris inducere, ventos con- citare et facere, ut ignis de coelo cadat." Commentarius in Job, c. 1. 12 in seiner bangen Erwartung am leichtesten solcher Anschauung zu- gänglich, sie wird in ihm naturgemäss erzeugt, er hält sie auch am längsten fest. Dabei spielt eben der Umstand eine grosse Eolle, dass er mit der ihn umgebenden Natur und mit ihren heilsamen, wäe schädlichen Wirkungen unmittelbar am meisten im Contacte bleibt. Diese Momente hebt Maimuni noch ganz besonders hervor. Wenn man jedoch, schreibt er^), diese alten, grundlosen und falschen An- schauungen (des Götzendienstes und Aberglaubens) näher betrachtet, so erkennt man, dass die Meinung yerbreitet war, dass die Sterne den grössten Einfluss ausüben auf die Entwickelung des Menschen- geschlechts und seiner Verhältnisse, dass somit bei der Yerehrung derselben der Boden fruchtbar und das Land volkreich werde. Ton diesem Gedanken ausgehend mid in dieser Überzeugung unterwiesen die frommen und tugendhaften Weisen jener alten Zeit die Menschen in der Verehrung der Gestirne. Die Priester suchten die in den Tempeln versammelten Menschen zu belehren, dass nur infolge der Verehrung der Sterne der Eegen herabfalle, die Bäume Früchte tragen, die Gefilde ergiebig und fruchtbar werden, dass aber bei Ungehorsam die Sterne Städte und Länder verwüsten und zerstören. So wird in den Büchern der JSTabathäer^) erzählt, dass einst der Planet Jupiter 3) über die ehemaligen Einwohner der jetzigen Wüsten und Steppen gezürnt, denselben deshalb Wasser und Bäume ent- zogen und so das Land zur Wohnstätte der Gulen gemacht habe. Die Agrikultur der Nabathäer setzt überhaupt auf die genaue Be- folgung der die gedeihliche Entwickelung des Landbaues bezweken- den Ceremonien hohen Lohn, wie langes Leben, Befreiung von Krankheiten, Bewahrung von schweren, gefährlichen Leibesfehlern und reichen Erntesegen. In der Absicht, schliesst Maimuni diese Erörterung, solchen irrigen Anschauungen entgegenzutreten, verbieten die Lehren des Judentums sie nicht allein, sondern setzen auch auf die Ausübung der mit ihnen verbundenen Gebräuche alles das als 1) More III, 30. ed. Scheyer 207. Al-Charisi lü, p. 47—48. Le Guide III. 243 ff. 2) Die Schriften der Nabathäer und Ssabier sind, wie es Gutschmidt be- wiesen, ganz jungen Ursprunges, und hat auch Maimuni schon geahnt, (s. More III, 29. Le Guide III, 238), dass sie jünger sind, als wie sie sich ausgaben, nichts desto weniger musste auch er sie, entsprechend der allge- meinen Ansicht, doch für sehr alt halten. 3) „Jupiter," so Munk 1. c. 244, n. 2 nach dem arabischen ■'-irUTö'^i« ebenso Al-Charisi pnit 2313, hingegen hat die Tibbonsche Übersetzung „Mars" D^HKa» wohl übereinstimmend, mit der versengenden Eigenschaft, die dem Mars zugeschrieben wird. 18 Strafe, dessen Abwehr die geübten Handlungen bezweckten, so Regen- mangel und Unfruchtbarkeit, böse Krankheit und frühzeitigen Tod. Alle diese Dinge nämlich, schreibt Maimuni an einer andern Stelle i), durch welche die Götzendiener von ihren Priestern bethört und irre geführt wurden, sind eitel Lug und Trug, und es ziemt nicht dem weisen Israel, solcher Thorheit nachzugehen, oder etwa gar zu glauben, dass solche Übungen wirklichen Nutzen schaffen. ,,Wer dergleichen glaubt 2), wer wähnt, dass diese Dinge wahr und vernünftig sind, und dass nur das göttliche Gesetz sie ohne Grund verpönt habe, ist den unverständigen Thoren beizuzählen, und gleicht den Frauen und unmündigen Kindern, deren Erkenntnis mangelhaft ist. Mämier aber von Vernunft und Einsicht erfassen es in evidenter "Weise, dass, was die göttliche Lehre verboten hat, nichts Weises, sondern Eitles und Nichtiges ist, das nur Schwachköpfige befolgen können, die jegliche Wahrheit verkennen und ausser acht lassen." ,,Dass diese Lehren in ihrer Gesammtheit, wie in ihren einzelnen Teilen und Gruppen nichtig sind," schreibt Mamiuui nach Marseille 3), „dafür habe ich triftige Gründe, und stehen mir unumstössliche Be- weise zur Widerlegung jener Meinungen zu Gebote. Es haben auch nie die Philosophen Griechenlands sich mit diesen Gegenständen be- schäftigt; nur die Chasdäer, Chaldäer'^), Ägypter und Kanaaniter haben sie gepflegt, denn hierin bestand ihr damaliger Glaube und religiöser Brauch. Die Weisen Griechenlands hingegen, d. i. die Philosophen, die sich mit den Gegenständen wahrer Weisheit beschäftigt haben, widerlegen durch ihre klaren Yerstandesbeweise die Meinungen jeher völlig." Maimuni sucht den Ursprung der superstitiösen Anschauungen, welche schon früh im besonderen den rein monotheistischen Gedanken des Judentums mit seinen Folgelehren trübten, bei den Chaldäern und dürfte hiermit, entsprechend den neuern Forschungen, auch das Richtige getrojffen haben. Gewisse abergläubische Yorstellungen und 1) Hilchot Akkum c. 11, § Iß.; Voss, 1. c. p. 159—162. c. 11, § § 17—18. .na'btr jni;"i i'xtr D^stapm o^irjn '?'?d2'i nmn ncpitti D^baon iia vhü \yü ]mDX ü'.'H, ,-nin moKtt^ onznn ^bü batr m-inr nvtnn iut nnn "ö'öm riKi'Drtn ^bv:2 ba« .noKn o-n ^^'^i^ nmn non ]n3 i3tya:u' bnm inn xb« nü^n nm Voss, ibid. 3) Sendschreiben, Kobez, II, 25 a. col. 2; Ig'groth, 12 a. ff, *) über diese Unterscheidung zwischen Chasdäer und Chaldäer vgl. Le Guide III, 239 n. 2; ferner Steinschneider, Zur pseudepigraphischen Litte- ratur (Wissenschaftliche Blätter aus der Veitel Heine Ephraim'schen Lehr- anstalt Berlin 1862) S. 4. n. 3. 14 Handlungen sind allerdings bei allen, nicht allein bei den ackerbau- treibenden Völkern aus gleicher — wie oben ausgeführt wurde — Ursache in ähnlicher Weise entstanden i), doch Ägypten, und ganz besonders eben die Ebene zwischen Euphrat und Tigris waren die eigentliche Wiege hierfür. Da gedieh diese angebliche Weisheit aufs üppigste, wie sich dies in den auf uns gekommenen Überresten der Aufzeichnungen aus der Zeit der Akkader zeigt 2), welche einen so regelrecht ausgebildeten Codex für abergläubische Yorschriften hatten, dass er kaum einen Vergleich zu scheuen hat mit den von der ausschweifendsten Phantasie des Mittelalters erzeugten Teufels- und Hexenglaubenssätzen. Dass Maimmii den Griechen keine mysti- schen und magischen Schriften zuschreibt, hat seinen Grund darin, dass er es nicht fassen kann, dass ein Volk, das einen Aristoteles 3) erzeugt hat, solchem Widersinn zugänglich wäre, aber noch mehr darin, dass ihm die eigentliche griechische Volkspoesie sowie der griechische Volksglaube unbekannt blieb. Die Tendenz der neuplatonischen Schriften verwirft er*), die mystischen Anschauungen derselben mochte er als etwas aus der Fremde Eingedrungenes betrachten. Schon aus dieser knappen Darstellung der Ursachen und des Ursprunges des Aberglaubens, wie sie Maimuni angiebt, ersehen wir dass er ein entschiedener Gegner desselben ist. Diese seine Stellung- nahme zum Aberglauben ist durch seine ganze philosophische Welt- anschauung bedingt, auf die wir somit noch zurückkommen müssen. Die Anschauung Maimunis ist eine mechanische, wie die der Peri- patetiker überhaupt. Alles geht vom ersten ewigen Beweger aus und wirkt in unendlicher Verkettung von Ursachen und Wirkungen. An Stelle des sich selbst denkenden Nus als erster Ursache, tritt bei 1) Vgl. W. Mannhardt, Wald- und Feldculte, I. B. Berlin 1875; auch Soldan, Gesch. d. flexenprozesse, bearb. von H. Heppe. Stuttgart 1830 ß. I. S. 11 — 13 nimmt für alle alten Völker wenigstens an, dass bei ihnen der Aber- glaube unabhängig von einander entstanden sei. Bei den neuern wird man wohl neben selbständigen Neuschöpf iingen auch Überkommenes annehmen können, 2) Vgl. F. Lenormant, Die Geheimwissenschaften Asiens. Die Magie und Wahrsagekunst der Chaldäer. .Jena 1878. 3) Der Zumutung, dass Aristoteles selbst solche mystische Werke, wie ihm das Mittelalter zugeschrieben, verfasst habe, tritt Maimuni aufs schärfste entgegen; s. More IE, 29; Le Guide III, 239: „das Buch Stomachos" (nach Steinschneider, Zur pseudepigraph. Litteratur S. 38 von oToiysfwii.« Zodiak und azo{.y(s.ii)i\3.oiv.v.6': Nativitätsteller abzuleiten), „wird fälschlich dem Aristoteles zu- geschrieben, es ist jedoch durchaus ausgeschlossen, dass er es verfasst habe." *) S. Kobez, II, 28 b. col. 2. 15 Maimiiiiii), der Wille des persönlichen Gottes, die Naturgesetze er- klärt er erst für die geschaffene Welt giltig 2). Diese Gesetze sind von der Weisheit Gottes eingesetzt und unabänderlich und haben ihren letzten Grund nur in Gottes Willen, ohne dass wir einen Zweck für die Schöpfung ausserhalb desselben zu erkennen vermögen 3). Der Mensch ist keineswegs letzter Zweck der Schöpfung 4), wenn er auch in ihr dadurch eine hervorragende Stellung einnimmt, dass er durch sein Denken Erkenntnis von Gott sich zu erwerben und so über die vergängliche Materie sich zu erheben vermag. Dadurch bringt er es zu einer Verbindung mit Gott und erfreut sich infolge der- selben in höherem Grade der göttlichen Providenz^). Diese er- streckt sich, wenn auch graduell verschieden, auf alles; in einer Weise jedoch, dass das Wissen Gottes beim Menschen die vollständige Freiheit seiner Handlungen nicht beeinträchtigt 6). Die Übel in der Welt sind die Folge der Materie, die nur zum Teil geeignet ist, das Gute anzunehmen, in sich aber die Ursache der Privation trägt 7). Dass aber Gott die Materie hervorgebracht hat, hat ebenso seinen Grund im höchsten Willen mid in der höchsten Weisheit, da er die vollkommenste aller möglichen Welten ins Dasein gerufen hat. Diese kurze Skizze der Hauptpmikte des philosophischen Systems Maimunis macht es bereits klar, dass er notwendig ein Gegner alles Abergläubischen sein musste. Kami alles in der Welt nur nach den von Gott eingesetzten, unabänderlichen und unver- rückbaren Gesetzen vor sich gehen; sind alle Erscheinungen und Vorkommnisse bedingt durch die undurchb rechbare Aufein- anderfolge von Ursache und Wirkung, so ist jegliche Zauberei, jegliche magische Einwirkung ausgeschlossen und undenkbar, die ja eine Aufliebung dieser gesetzmässigen Ordnung zur Voraussetzung fordert. Gehören die Übel mit in die von Gott geschaffene Welt hinein und sind sie mit ihr aufs engste verknüpft, so ist die Annahme von Dämonen zur Er- klärung derselben unnötig; diese sind als nicht den herrschenden 1) More I, 68—69; n, 48. Le Guide I, 301—323; II, 361 ff. 2) More II, 17; Le Guide II, 129-137. Vgl. M. Joel, Die Eeligions- philosophie des Moses ben Maimon. Breslau, 1876, S. 34. 3) More III, 18; Le Guide HI, 82—98. *) More das; Le Guide das. 95. 5) More das. c. 17 Ende, c. 18; Le Guide das. 124—136, 136—141. 6) More das. cc. 19—21, 22—23; Le Guide das. 141—159, 159—187 7) More III, 8. 10. 12; Le Guide III, 44—46, 58—64, 66—82. 16 Gesetzen unterworfene geschaffene Wesen undenkbar, daher nicht vorhanden. Steht der Mensch nicht im Mittelpunkte der Welt als Zweck derselben, so ist es nicht ersichtlich, aus welchem Grunde alles auf sein Geschick hinweisen soll. Es ist somit auch nicht richtig, dass die höheren und ausgezeichnetem Himmelskörper die Aufgabe haben, ihm sein Schicksal zu verkünden. Sind ferner des Menschen Handlungen frei, und selbst durch Gottes Vorauswissen nicht determiniert, so können und dürfen sie um so weniger von der Sterne Lauf in irgend einer Weise bestimmt und ab- hängig sein. Gott als erste Ursache alles Seins und als Hervor- bringer aller Form kann endlich keine Form und Gestalt haben, da diese bloss dem Geschaffenen und Entstandenen beigelegt wird, nicht aber dem über alle Vorstellung erhabenen Hervorbringer der Krea- turen, dessen Wesen in kein Verhältnis zu dem ihrigen gesetzt werden kann. Gegen diese Punkte richtet sich die Polemik Maimunis. Damit haben wir zugleich für unsere Abhandlung den Weg vorge- zeichnet. Die Erörterung der Stellungnahme Maimunis zu den einzelnen Gattungen der superstitiösen Anschauungen, wie sie diesen Punkten entprechen, sei deren Aufgabe. Anthropomorphismen. Die grobe Versinulichung der Gottheit führt nur zu leicht zur Annahme, dass sie den einzelnen sichtbaren materiellen Teilen des Universums gleichgesetzt werden könne. Die Bibel gebraucht zwar in ihrer Schilderung von Gott dieselben Ausdrücke, welcher sie sich bei der Erwähnung menschlicher Eigenschaften, Zustände und Thätig- keiten zu bedienen pflegt. Gott denkt, spricht, berät sich, zürnt, bereut, sieht, geht, steigt herab u. s.w.; die edlen Jünglinge Israels schauen Gott, und unter seioen Füssen glänzt es wie Saphirstein i). Der Prophet Jesaias (c. 6) sieht Gott, umgeben von geflügelten Seraphim, sitzen auf hohem Throne, und die Schleppe seines Ge- wandes erfüllt den Tempel. Die Verbildlichung Gottes nimmt immer festere, bestimmtere Formen an, so dass wir Daniel Gott gar als ehrwürdige Greisengestalt schildern hören. Dieser biblische Sprach- gebrauch der Vermenschlichung im allgemeinen, noch mehr die von den Propheten angewandte Verbildlichung im besonderen, gaben 1) n. M. 24, 10. 17 Veranlassung zu niannigfachei' Kontroverse betreffs deren AufFassu)]g. Wurde einerseits mit richtigem Gefühle herausgefunden, dass sich die Bibel dieser Ausdrücke nur bediente in Ermangelung anderer, ge- eigneterer, über die die menschliche Sprache, die selbst doch sinn- lich körperlicher Natur ist, nicht verfügt, und dass sie ferner dies nur that, um ,,sich dem menschlichen Ohre anzupassen" i) und verständlicher zu macheu, wie ja auch der Grundsatz demgemäss auf- gestellt wurde: ,,die Thora gebraucht die unter den Menschen übliche Sprechweise" 2), welchem Satze sich namentlich die ältesten Bibelüber- setzer auch insofern angeschlossen, als sie hei der Übertragung das anstössig Grobsinnliche durch vergeistigende Ausdrücke umschrieben; glaubte man auf der anderen Seite, die Erzählmigen und Schil- derungen wörtlich auffassen zu müssen. So finden wir schon in den ältesten nachbiblischen Schriften, in Talmud und Midrasch, besonders in Anlehnung an die Visionen Ezechiels, nicht nur eine Beschreibung des göttlichen Hofstaates 3) und Thrones, sondern auch eine Er- wähnung des Ortes, den Gott zu seinem alleinigen, von den Engeln gesonderten (1131271 '^nriKÖ), Aufenthalt sich erkoren, eine Anschauung, die sich mit der biblischen Lehre von der Allgegenwart Gottes nur schlecht verträgt. Man wurde sich in dieser Zeit des Wider- spruches nicht bewusst, und dies kann auch umso weniger be- fremden, als solche Anschauungen in talmudischer Zeit wahrschein- lich vorgetragen wurden von Predigern^), die bei ilu-er Belehrung und Erbauung des Volkes sich versinnlichender imd verkörper- licheuder Ausdrücke von Gott in ähnlicher Weise, wie früher die Propheten, bedient und zum Teil keineswegs eine wörtliche Auf- fassung, sondern vielmehr vielleicht eine bildlich allegorische ge- wünscht haben mochten. Jedoch lag da schon eine grössere Ge- fahr, missverstanden zu werden, vor, dazumal gnostische Einflüsse 0 .Clöiy'? rh^y K\-ik? na |riKn 'pVfb. So Mechiltha zu Jithro, c. 4 und Tanchoma, das., C.13. In späteren Citaten wird auch nstt;'? angeführt. Es ist dies die eigentliche Bezeichnung für Anthropomorphismen und Anthropopathien, 2) .niK 'iZ ]Whz rrnn man Talm. b. Berachoth 31 h, Kidduschin 17 b. Gittin 41 b. und sonst öfters, jedoch stets in etwas modifizierter Anwendung. In dieser ausschliesslichen Bedeutung wird der Satz erst von den Keligions- philosophen gebraucht. Vgl. A. Ueiger, Wissenschaftl. Zeitschrift f. jüd. Theol. V. S. 78 ff. 3) Talm. b. Chagiga 13 a, 14 b ; Talm. jer. das. II, 1. 77 a, ed. Krotoschin *) So zeigt sich dies ganz deutlich T. b. Chagiga 5 b, wo die anthropo- morphistische Anschauung sich an die homiletische Erklärung von Jer. 13, 17. anlehnt. 18 unter den Kabbinen bereits sich geltend gemacht hatten 5), Nachdem in dieser Weise der Keim für die grobsinnliche Auffassung Gottes gelegt war, so bedurfte es nur noch eines Anstosses, dass sie sich allgemeiner verbreite, und diesen gaben die neuen Ideen, welche unter dem Einflüsse des Islams entstanden. In weit ausgedehnterem Masse als in der Bibel finden sich im Koran die Ausdrücke und Bilder, die auf eine Körperlichkeit Gottes gedeutet werden können, und die, will man nicht den gesamten Inhalt verflüchtigen, nicht symbolisiert und allegorisiert werden dürfen, sondern im eigentlichen Sinne genommen werden müssen. Da nun bei der Mu tazila ^), jener Sekte des Islams, die als den einzigen Ausweg, der Verkörperlichung Gottes zu entgehen, die Allegorisierung gefunden, sich bald besagter Mangel der zu weit gehenden Vergeistigung herausstellte, so konnte man es als eine Eeaktion gegen sie betrachten, dass Sekten'^), die ausgesprochenen, anthropomorphistischen Anschauungen huldigten, entstanden. Wie immer, so war es auch in diesem Falle: den gleichen Ursachen entsprachen gleiche Wirkungen. Im Judentume, das zwar der Allegorisierung einigen Spielraum lässt, aber bei deren Fortsetzung, bei übertriebener Symbolisierung, wie in der unnatür- 1) S. Grätz, Gnosticismus und Judentum. Krotoschin. 1846. 2) S. Schahras täni-Haarbrueker I. S. 43 „Sie (die Mu'taziliten) leugnen ferner einstimmig das Schauen Gottes mit den Augen an dem Orte des dauernden Aufenthaltes (des Paradieses) und leugnen einstimmig, dass man in irgend einer Beziehung eine Vergleichung seiner (Gottes) anstellen könne, was Eichtung, Ort, Gestalt, Körper, Einnehmen eines Kaumes, Versetztwerden, Aufhören, Veränderuntren und Erleiden eines Eindruckes anbetrifft. Sie er- klären die allegorische Deutung der Koranverse, in welchen solche Vergleichungen vorkommen, für notwendig und nennen diese Art und Weise des Verfahrens das Einheitsbekenntnis." 3) Das. S. 95. „Seitdem aber die Mu'/'azila die Attribute leugneten und die Anhänger der alten Lehre sie behaupteten, . . . gingen aber einige Anhänger der alten Lehre bei der Behauptung der Eigenschaften bis zu dem Punkte der Vergleichung mit den Eigenschaften der in der Zeit entstandenen Dinge foxt. . . Dann ging aber eine Anzahl der späteren weiter als dasjenige, was die Bekenner der alten Lehre behaupten; sie sagten nämlich, es sei notwendig, jene Ausdrücke nach ihrem augenfälligen Sinne zu nehmen, und ihre wört- liche Erklärung zu behaupten, wie sie sich vorfinden, ohne sich zur allegori- schen Erklärung zu wenden, und ohne beim augenfälligen Sinne stehen zu bleiben, so dass sie in eine reine Verähnlichung (Gottes mit dem Geschöpf) verfielen." Wie wait sie aber in dieser Verähnlichung gingen, ist bei Schahra- stäni nachzulesen: über die Muschabbiha unter den Haschwija p. 115, über die Ghälija p. 199, über die Mughirija p. 203 ff. Auf diese drei Sekten kommen wir noch später zurück. 19 liehen Exegese der alexandrinischen Schule, die Gefahr der Ver- flüchtigung biblischer Geschichte und Noniokanonik fürchten musste, fand dieses Verfahren bald Nachahmung. Wie vorauszusetzen war^ trat solche dort ein, wo die Notwendigkeit vorlag, unter allen Um- ständen an dem Buchstaben festzuhalten, nämlich bei den Karäern i). Sie mögen nun diejenigen gewesen sein, welche die Verähnlichung und Verkörperlichung Gottes, und was damit zusammenhängt, aus dem Islam herübergenommen und zuerst innerhalb jüdischer Gedanken- kreise behandelt haben; später erst schlössen sich auch Rabbaniten hierin ihnen an. Letztere verfuhren hierbei in der Weise, dass sie diese Materie in die aus der talmudischen Zeit stammenden Agada- aussprüche hineindeuteten, sie dann weiter ausführten, und so dem Ganzen das Ansehen gaben, als ob es Erzeugnis des Talmuds gewesen wäre. Die Karäer, die unterdessen vergessen hatten, dass sie diese An- schauungen in das Judentum verpflanzt, griffen jetzt in heftiger Polemik das so scheinbar ganz aus dem Talmud fliessende Verfahren der Rabbaniten an-). Ein vollkommen ausgebildetes System der Anthropomorphismen aus den Kreisen der Rabbaniten stammend, finden wir niedergelegt in den ,, grossen" und „kleinen Hechaloth", dem ,,Henochbuche" und dem ,,Buchstabenmidrasch des R. Akiba" 3). Den Hintergrund für die Darstellung in einzehien dieser Schriften bildet die Hadria- nische Verfolgung. R. Isniael, ein Märtyrer derselben, berichtet nach eigenem Augenschein. Er erhebt sich mittelst der Wunderkraft des Gottesnamens in den Himmel*). Hier wird er gewürdigt, die Herr- lichkeit der Hallen daselbst zu schauen, die er dann seinen Ge- nossen R. Nechunja b. Hakana •^) und R. Simon b. Gamaliel be- schreibt. Der Fürst der Engel, Metatron, empfängt ihn am Eingange 1) Das. p. 96 „Die Verähnlichung fand sich aber bereits rein und klar bei den Juden, nicht bei allen, sondern bei den Karäern unter ihnen." Vgl. auch Grätz, Die mystische Litteratur der gaonäischen Epoche (Monats- schrift VIII. p. 115). 2) Ben Jerucham; s. Grätz, a. a. 0. p. 109; Luzzato in Pollaks aip ms"''?."? p. 69. — . 3) Über die Abfassungszeit dieser Pseudepigraphien vgl. Graetz, das.; ferner Zunz, Gottesdienstliche Vorträge d. Juden. 2. Auü. Frankfurt, a. M. 1891. § 9. *) msb» ':m msrü n^r» abgedruckt bei Jellinek, Beth ha-Midrasch, VI, p. 21 und p. 3l. 5) Nach anderen Berichten (Hechaloth rabati, Beth ha-Midrasch, III, 94, V. 169, war es R. Nechunja b. Hakana, der schon früher dem E, Ismael die Hallen, gleichsam zur Orientirung, beschrieben hatte. 2* 20 der ersten Halle, geleitet ihn durch alle folgenden, erklärt ihm das Aussehen derselben und die Funktionen der daselbst weilenden Engel. In der letzten Halle i) erklärt er ihm die Namen der Engel, die Erschaffung Adams, dessen Glück und Sünde , ferner wie er, Metatron selbst, von den Menschen weg unter die Engel versetzt und über sie erhöht worden sei. In dieser Halle wird von den Ophanim und Cherubim dreimal täglich die Herrlichkeit Gottes ge- priesen, wobei die höchsten Engel erbeben und zitternd nieder- stürzen. Zur selben Zeit wirft sich auch der Thron der Ehre nieder und spricht 2): ., Zeige dich in deiner Würde und lass dich auf mich nieder, o erhabener König, denn angenehm ist mir deine Last." Alle diese Ehre und all dieser Preis geziemt dem Herrn der Welt 3), der alles überragt, den Thron sogar um hundert und achtzigtausend Myriaden Parsoth in der Höhe, und in einer Breite von siebzigtausend Myriaden. Das Mass der Gotteserscheinung (UrDT h'^S 1S13) selbst ■*), beträgt zwei hundert sechs und dreissig tausend Myriaden Parsoth, hundert und achtzehn tausend Myriaden von den Lenden aufwärts, und ebensoviel abwärts. Diese Parsoth gleichen aber nicht den unsrigen, denn die seinige umfasst tausend mal tausend Ellen, von denen jede vier Spannweiten und eine Handbreite misst. Seine Spannweite aber reicht von einem Ende der Welt bis zum andern 5). Noch krasser und in der Massbestimmung der einzelnen Teile bis ins Detail fortschreitend und darin sogar das islamitische Vorbild 6) 1) Hechaloth sive über Chanoch, Beth ha-Midrascb, V. 170. 2) Beth ha-Midrasch, III, 85. 3) Hechaloth rabathi, cap. 10. Beth ha-Midrascb, III, 91. 4) xr'pi: •'Sm Kn''3 KB'tn ir-nis (Otbioth d' R. Akiba), Beth ha-Midrasch, 111,29. &) Dass die Gott betreffenden Masse nicht den unsrigen gleich zu setzen seien, ist auch die Ansicht der Hischämija. „Auch wird von ihm (Hischäm ibn al-Hakam) überliefert, dass er gesagt habe, er (Gott) sei sieben Spannen lang nach seiner eigenen Spanne." Schahrastäni-Haarbrücker, I, 212. 6) Die Muschabbiha und andere Sekten der Verähnlichung. Däüd al- Dschawari behauptete: „der von ihm Angebetete sei ein Körper und Fleisch und B)ut, und habe Glieder und Teile, nämlich Hand, Fuss, Kopf, Zunge, zwei Augen und zwei Ohren, dennoch aber sei er ein Körper, nicht wie andere Körper, und Fleisch nicht wie anderes Fleisch, und Blut nicht wie anderes Blut: dasselbe gelte von den anderen Attributen, und er gleiche keinem ge- schaffenen Dinge, und nichts gleiche ihm; ferner, dass er von seinem Scheitel bis zu seiner Brust hohl, im TJebrigen aber voll sei, schwarze Haare und krauses Kopfhaar habe; was aber in der Offenbarung vom Sitzen auf dem Throne, den beiden Händen, dem Angesicht, den Seiten, dem Gehen, dem Kommen, dem Obensein u, dergl. vorkomme, sei in seinem augenfälligen 21 — wenn wir ein solches, wie es uns doch yorliegt, anzunehmen berechtigt sind — übertreffend, ist der eigentliche Bericht von den Massbestimraungeu, der uns nur im kleinen Rasielbuche i) erhalten ist, und hier sind die Zahlen, wie die ganze Darstellung, noch grotesker und gehen bis ins Ungeheuerliche. Wir haben das System der Anthropomorphismen, wie es in der gaonäischen Zeit in den Pseudepigraphien zum Ausdruck kommt, aus- führlicher behandelt, um zu zeigen, wieweit, wahrscheinlich unter dem Einflüsse der Sekten des Islams, in jüdischen Kreisen die für uns schon geradezu blasphemische Beschreibung der Gestalt Gottes ausschreiten konnte. Die Agada in dem talmudischen Schrifttum weist davon eigentlich nur schwache Spuren auf. In der ganzen talmudi- schen Behandlungsweise dieser Materie zeigt sich nämlich ein Streben, dieses Thema möglichst wenig zu berühren, woraus geradezu das Verbot, sich mit demselben zu beschäftigen, floss -). Doch trotz des Verbotes erfolgte unter dem starken äusseren EinÜuss diese Entartung. Es konnte nicht ausbleiben, dass eine derartige sinnliche Ausmalung des göttlichen Hofstaates und eine solche Verkörperlichuug Gottes, die durchaus der reinen, geläuterten Vorstellung, welche das Judentum von seinem Gotte hat, widersprachen, bei den Einsichtsvollen Anstoss erregen und Widerspruch hervorrufen mussten. Schon der Gaon Saadja (892 — 942) trat mit Entschiedenheit gegen die Verkö*perlichung Gottes auf -5), nicht so entschieden jedoch gegen die sie behandelnde Litteratur. Das Übel an der Wurzel anzugreifen und die Litteratur selbst als Pseudepigraphien, als Fälschmigen, geradezu zu bezeichnen, und sie Sinne zu nehmen, nämlich was man verstehe, wenn man im allgemeinen von Körpern spreche; und ebenso was in den Überlieferungen von der Gestalt vorkomme." Scharastäni-Haarbriicker, I. 155 ff. Ferner d a s. 1. 203 ff. : „Er (Mughira) war der Ansicht, dass Gott Gestalt und Körper habe mit Gliedern gleich den Buchstaben des Alphabets, seine Gestalt sei die Gestalt eines Mannes von Licht, auf dessem Haupte eine Krone von Licht sich befinde, und er habe ein Herz, aus welchem die Weisheit hervorquelle." Ueber Gottes Ver- hältnis zum Throne s. das. I. 120. Ueber die Kronen in der jiid. Mystik, vrgl. Beth ha-Midrasch, L 59, III. 91. 1) Sefer Easiel ed. Amsterdam 1701. p. 37b und 38a. 2) T. b. Chagiga 14a und 14b. Das Verbot das. 13a lautet: hii "^aö K'?B'löa •-npnn b^ *]aia noiaam ?rmn 3) Emunot we-Deot, Abschn. II. ed. Krakau p. 66fF.; dagegen weniger entschieden in der Form in den von Juda b. Barsilai in seinem Jeziraheommentare angeführten Fragmenten abgedruckt von Luzzatto in PoUaks aip ma"''?."! (Amster- dam 1847) p. 69 ff. s. auch den: Coramentar zum Sepher Jezirah von R. Jehuda b. Barsilai ed. Halberstamm. Berlin 1885 p. 21. 22 so ihres autoritativen Charakters zu entkleiden, scheute man sich; so fanden deren Anschauungen unter dem Yolke doch Verbreitung, wozu auch die Poetanim, die synagogalen Dichter, beitrugen. Diese gefielen sich besonders in der Behandlung des nicht ganz unpoeti- schen, mystisch -dunkeln, sinnbestrickenden, theosophisch ange- hauchten Stoffes, der aus den ,,Hechaloth" geschöpft wurde. Gegen alle diese Anschauungen trat nun aufs energischeste und entschiedenste Maimuni auf und rückte diesen Auswüchsen so unnachsichtig zu Leibe, dass ihm dies von gegnerischer Seite sogar harten Tadel einbrachte i) ; ja eben dieses Auftreten gegen jeglichen Anthropomorphismus war zum grossen Teil Yeranlassung zu dem heftigen Kampfe, der nach seinem Tode gegen seine Schriften geführt wurde'-). Er erklärte direkt, ohne Umschweife das Scliiur-Koma. das "Werk von den Massbestimmungen Gottes, als eine Pseudepi- graphie von antijüdischem Charakter : ,,Ich sehe nicht ein"-!), lautet seine Antwort auf eine an ihn gerichtete Anfrage, ob Sch'iur- Koma karaitischen Ursprunges, oder ob es vielleicht Einkleidung für tiefe und geheime Lehre sei. ..wie dieser Bericht von den Weisen 1) So erhebt R. Abraham b. David aus Posquieres zur Bemerkung Maimuui's (Sefer Madda, Hichoth T'schuba cap. III, 67), dass derjenige, der sich Gott als Gestalt und Körper vorstelle, ein Ungläubiger sei, den Einwand. „Weswegen soll denn ein solcher als ungläubig bezeichnet werden? Es haben bessere und bedeutendere Männer (als Maimuni) dieser Anschauung gehuldigt, weil sie solches sich ergeben sahen aus dem Schriftworte und noch mehr aus der agada'schen Erklärung." Vgl. jedoch auch die Glosse Josef Karos das. 2) Dass dieser Streit zum grossen Teil hierin seine Ursache hatte und über die betreffenden Belege cfr. Kaufmann, Geschichte der Attributenlehre in der jüdischen Keligionsphilosophie des Mittelalters von Saadja bis Maimuni, Gotha, 1877. S. 487 ff. 3) Sendschreiben abgedruckt bei Heilberg D'DDy: "üBI Breslau 1847. hebr. Teil p. 17. Die Ansicht, dass das Sch'iur-Koma bloss Einkleidung tiefer Weis- heit bilde, scheint damals, wie auch später, der Ausweg gewesen zu sein für alle, die das Anstössige desselben erkannt, aber nicht den Mut hatten, es dem ehrwürdigen alten Lehrer, R. Ismael, abzusprechen und seine Wahrheit zu bestreiten. Zu diesen gehören die Gaonim R. Scherira, und R. Hai (969—1038) s. T'schubot ha -Gaonim No. 29 ed. Lyck 1864 p. 12 a; ferner R. Nissim (cca. 1000), der das Sch'iur-Koma als Sinnbild der geheimen Welten- schöpfung bezeichnet, cfr. cnno rh^ir^ bei Heilberg 1. c. p. 17. Die Stellung der oben genannten Gaonim Scherira und Hai zur älteren Kabbala ist jedoch insofern noch umstritten, als manche die ihnen zugeschriebenen diesbezüg- lichen Responsen als unecht, erklären s. auch D. .Joel, der Aberglaube und die Stellung des Judentums zu demselben. (Programmarbeit des jüd.-theol. Seminars zu Breslau.) Breslau 1883. II. Heft p. 36 ff. 23 stammen kö)ine, da es fernliegend ist, dass etwas Derartiges ihnen angehöre; vielmehr ist es zweifellos das Machwerk eines abendländi- schen Predigers, Die ganzliche Vernichtung dieses Werkes, dass kein Andenken an dasselbe zurückbliebe, wäre ein höchst verdienst- volles, gottgefälliges Werk, wie dies uns durch das Verbot: «den Namen fremder Götter sollt ihr nicht erwähnen» (V. M. 23, 12) ans Herz gelegt wii-d. Ein Wesen aber, dem Massbestimmungen zuge- schrieben werden, ist durchaus ein Götze."' Ein solches Vorgehen ist von Maimuni zu erwarten, wenn man bedenkt, wie streng er die Einheit des Gottesbegriffes durchgeführt und alle positiven Attribute ausgeschlossen wissen will, sobald diese auch nur im entferntesten eine Vielheit bezeichnen könnten i). In seinem religionsphilosophischen Hauptwerke bildet daher auch den Ausgangspunkt die Erklärung der Anthropomorphismen, der ver- schiedenen Ausdrücke, die von der ursprünglichen Bezeichnung menschlicher Thätigkeiten und Eigenschaften auf die Gottheit über- tragen werden, und er setzt auseinander, in welchem Sinne dies geschieht, nämlich in ihrer höhern, so zu sagen geistigen Bedeutung, wie dies sich schon aus den alten Bibelübersetzungen nachweisen lasse. Die Ursache 2) aber, dass die Bibel sich überhaupt von Gott solcher nur bei sinnlichen Wesen geltenden Ausdrücke bedient habe, liegt darin, dass sich die Menschen nichts Unkörperliches als wirklich existierend vorstellen können. Die göttliche Lehre, welche dieses berücksichtigte und die reale Existenz Gottes zu verkünden hatte, musste zu den Menschen, wie dies die Rabbinen schon er- kannt habend), in deren Sprache reden, d. i. in einer für deren Vorstellungsgabe fasslichen Weise, die nur in der Körperlichkeit reales Sein erkennt. Die Thora bedient sich also des Menschlichen bei der Bezeichnung göttlicher Eigenschaft und Thätigkeit einzig und allein zu dem Behufe, um dem menschlichen Verstände Gottes Existenz und Realität so evident und fasslich zu machen, wie ihm Körper und die an denselben haftenden Eigenschaften sind. Aus demselben Grunde werden Gott auch jene Eigenschaften beigelegt, 1) So verwirft er (More I, 53; La Guide I, 209) auch die Wesensattribute *?13% Dan, ^n, die der Gaon Saadja (Emunot, II, S, 57, ed. Krakau) in Über- einstimmung mit der M'utazila (Sehahr astäni-Haarbrücker, I, 42) ange- nommen, (vgl. Kaufmann, 1. c. p. 32) mit Rücksicht auf Gott selbst, und will sie ihm nur in Beziehung auf die Geschöpfe beigelegt wissen. 2) More I, 26; Le Guide I, 88ff, 3) Vgl. unsere Ausführung S. 16 ff. 24 die, wie Leben, Bewegung, Denken, Wille, Macht beim Menschen Vollkommenheiten bezeichnen. Diese, wie auch die beigelegten körperlichen Thätigkeite]i, Avie sehen, hören, sprechen, gehen, herab- steigen, und Formen, wie Angesicht, Auge, Ohr, Mund, Hand, sollen nur bezeichnen, dass Grott alles das vermag, Avas jene Thätigkeiten ausdrücken, und wozu diese Werkzeuge dem Menschen dienen, nicht aber, dass sie als solche ihm zukämen i). Denn der Begriff der Körper- lichkeit muss von Grott als seinem Begriffe widersprechend ausgeschlossen werden, da Körperlichkeit immer Zusammensetzung voraussetzt, und diese nur bei geschaffenen Dingen, nicht aber bei dem Schöpfer vorkommen kann. Aber auch die Attribute dürfen Gott nicht in affirmativem Sinne beigelegt werden 2), sondern nur- in dem Sinne, dass wir mit der Behauptung derselben ihr Gegentheil aus- geschlossen wissen wollen. Die einzig möglichen und zulässigen Attribute sind die, Avelche die Wirkungen, die ausserhalb des göttlichen Wesens liegen und von ihm ausgehen, bezeichnen; jedoch muss dabei stets beachtet werden, dass die Verschiedenheit dieser Wirkungen nicht eine Verschiedenheit im Wesen Gottes bedingt, dass vielmehr alle Wirkungen blos verschiedene Ausflüsse eines und des- selben durchaus einfachen Wesens sind. Alle Attribute, die die Bibel von Gott gebraucht, sind als Thätigkeitsattribute anzu- sehen 3). wenn sie nicht der Kategorie der bereits besprochenen Aus- drücke augehören, mit denen die Propheten Gott unsere menschlichen Vollkommenheiten beilegen, nur um eine bessere Vorstellung von seiner Vollkommenheit in uns zu erwecken -i). Als Bilder zur An- leitung u n d B e 1 e h r u n g des Volkes gebrauchten •'') sie diejenigen Aus- drücke, die bei den Menschen den höchsten Grad einer Vollkommenheit bezeichnen, aber es galt ihnen als völlig ausgeschlossen, dass etwa die gebrauchten Bilder in ihrem Wortsinne gefasst würden. Die- selbe Anschauimg, meint Maimuni, teilten die Rabbinen *'), wo sie mit ihren Aussprüchen in Talmud und Midrasch dem Sprachgebrauche der Propheten folgten, denn sie waren sicher, dass niemand den Irrtum begehen würde, solche Aussprüche wörtlich aufzufassen. 1) More das. 46; Le Guide I, 156—163. ^) More I, 52; Le Guide I, 189—205. 3) More I, 53; Le Guide I, 215—216. 4) Kaufmann a. a. 0. S. 402. 5) More I, 46; Le Guide I, 166—167; AI - Charisische Übersetzung I, p. 44. 6) S. oben S. 17. 25 Die Bilder und Redewendungen der Propheten fassten Einzelne ge- wiss so auf, das beweist u. a. der Ausspruch^): „Gross ist das Wagnis der Propheten, dass sie den Schöpfer dem Geschöpfe ver- gleichen, wie es heisst (Ezechiel 1, 26): Und auf dem Bilde des Thrones war ein Bild in Gestalt eines Menschen." Damit wollen die Rabhinen sagen, dass die anthropomorphistischen Bilder, die die Propheten in ihren Visionen zur Versinnbildlichung Gottes ge- brauchen, von den" geschaffenen "Wesen hergenommen und auf den Schöpfer übertragen worden sind, denn die Vorstellung einer jeglichen Gestalt, die in der Seele auftaucht, ist die eines geschaffenen Wesens^). Damit, dass sie sagten, das Wagnis der Propheten wäre ein grosses gewesen, wollten sie ferner andeuten, dass die Propheten gezwungen waren, den Schöpfer durch Geschaffenes zu bezeichnen. Damit bezeugten einzelne Rabbinen zugleich, dass sie selbst vom Glauben an Anthropomorphismen wohl frei seien, da ja die Bilder in den prophetischen Visionen nur übertragen seien. Wer nach alle dem, urteilt Maimimi, sie noch solch falscher Anschauung beschuldigen (DDIS l'^vh) wollte, der thäte dies nur infolge seines eigenen schlechten Charakters, und die Schuld träfe nicht jene 3). Diese Fassung des Gottesbegriffs in seiner strengsten Einheit und die Entfernung aller Anthropomorphismen und Anthropopathien sucht Maimimi auch in den Worten der Bibel und in den Aus- sprüchen der Talmudlehrer wiederzufinden. Wenn das im allge- meinen zugegeben werden muss, so kann man doch nicht leugnen, dass, wie wir es am Anfange dieses Abschnittes 4) gezeigt haben, mancher Talmudlehrer thatsächlich die Anthropomorphismen min- destens nahe gestreift hat. Dies will Maimuni eben mit den letzten Worten nicht zugeben, im Gegenteil denen begegnen, die auf die Worte der Rabbinen sich berufen wollten. Seine Opposition den alten Lehrern gegenüber ist eine unbewusste, insofern er glaubt, dass seine Anschauung über diesen Gegenstand sich mit der ihrigen deckt; sie wird zu einer bewussten und beabsichtigten seinen Anthropomorphismen lehrenden Zeitgenossen gegenüber. Seine philo- sophische Gesinnung, wie wir sie im Vorstehenden auseinanderge- setzt haben, bemühte er sich auch mit aller Macht unter seineu 1) Bereschit rabba c. 27: nil2£ D'a-IätT d^K'Di bTl^ ins Snj pl"' "> "^^^ .rhvühü vbü an« nN-iös mai «Dan mön hm naKriT .-n^tvS 2) Le Guide I, p. 166 n. 4. 3) Al-Charisi'sche More-Übersetzung I, c. 45, p. 44. 1) S. oben S. 17. 26 Glaubensgenossen Geltung zu verschaffen. Wir haben gesehen, mit welcher Entschiedenheit er das Sch'iur-Koma als geradezu götzen- dienerisch verdammt hat. Die Ursache für eine solche entschiedene Sprache i) ist in dem Umstände zu suchen, dass Maimuni die An- nahme von Anthropomorphismen weit verbreitet mid tief ins Be- wusstsein der Zeitgenossen eingedrungen wusste. So erzählt er 2), dass er einen Mann gekannt, der zu den Weisen Israels gezählt wurde, imd der nach seiner eigenen Ansicht die Lehre, mit der er sich von Jugend auf beschäftigt, genau kannte, und dabei ungewiss war, ob Gott ein Körper sei mit Augen, Händen und Leib, wie dies aus manchen Schriftversen zu entnehmen sei, oder nicht. Ja, anderen war dies nicht einmal zweifelhaft, und sie erklärten jeden für einen Gottesleugner, der die Körperlichkeit verneinte. Diese Leute, so äussert sich Maimuni in der Einleitung zum 10. Abschnitte des Tractats Sanhedrin^), fassen die Aussprüche unserer Weisen wörtlich, und wollen unter keiner Bedingung sie anders erklären. 1) Die Entschiedenheit der Sprache, die auf kein Paktiren sich einlässt, ist an Maimunis Auftreten charakteristisch. Saadja, der ebenfalls die An- thropomorphismen verpönt, ist jedoch auch geneigt, wenn es sein miisste, selbst das Sch'iur-Koma zu vertheidigen. Gegen Ben Jerucham meint er zuerst, dass keine Veranlassung vorhanden sei, dieses Werk anzuerkennen; „denn da es weder in der Mischna noch im Talmud vorkomme, so bringe es nicht die Ansicht aller Weisen zum Ausdrucke, es könne auch nicht nachge- wiesen werden, ob es wirklich von R. Ismael herstamme, und nicht wie so manches Buch untergeschoben sei." b'D ""n^n ISSpDD xb naip nlü'Sr "'S lölKI •'-an Kin an na 13S -narTtr i-n ^:h tki nia'rna vh^ n:tt'öa in3 p-it«3 carrn nnai .onir a-'Knp: nm rmo'n 'bj'^is tinh "siu? drna ij^'i ,D'3Nba .m-nD3 ^rers Kinir Tixn trsnn3 üsn; pii:3 D'*vr3bn.^ i'^kt ,mm-i n-s-ipsn am ?|J331 bip3 meiun "T "^ü mTnyn m'^a OT^yr bian '-iri. Ähnliche Ein- teilungen und Beschreibungen bei den Neuplatonikern ofr. Zeller, a. a, 0. S. 570, 669. 1) Sowohl in vor- wie nachmaimunischer Zeit waren selbst hochbe- gabte und einsichtsvolle Männer dem Dämonenglauben zugethan. Abgesehen von Jehuda ha-Levi, der deren Sein im allgemeinen anerkennt (Kusari II, 62; III, 73 und besonders V, 14). dazu wohl veranlasst durch seine ganze Richtung die in der Hochhaltung des traditionell überlieferten Glaubens gipfelt, während er sich nicht darauf einlässt, ihre Realität zu beweisen oder zu verteidigen — da ja auch in seinem Dialog der Bekenner des Christentums, wie der des Islams und nicht minder der neuplatonische Philosoph dieselbe zugiebt — treten für das Vorhandensein der bösen Geister selbst in nachmaimunischer Zeit bedeutende Männer ein. Es seien unter anderen an dieser Stelle genannt: Salomon ben Aderet, Responsum No. 413, Isak ben Scheschet, Resp. No. 92, Chasdai Crescas, Or Adonai IV, 6;Abr. SchalominN'weSchalom II, 1. Dass Menasse ben Israel, der gleich seinen Zeitgenossen dem Hexen- glauben ergeben war, die Realität von Geistern eingehend nachzuweisen gesucht (Nischmat Chaim III, 12), braucht nicht erst gesagt zuwenden. Ebenso er- klärlich ist es, dass der reaktionäre Bekämpfer der Philosophie Seh em tob, das Vorhandensein böser, unreiner Geister annimmt und Maimuni gegenüber ver- teidigt, so dass er ein Eraanationssystem für dieselben, analog dem für die Engel aufstellt (Emunot V, 1—2, p, 47b — 53a). Zur Charakterisierung der Art, wie sich die jüdischen Denker Dämonen vorstellten, seien die Worte Nachmanis (Bibelkomm, zu Leviticus 17, 7) angeführt, zumal sie trotz der Vermischung mit philosophischen Erklärungsversuchen auch Elemente aus der Volksan- schauuDg enthalten: „Die Dämonen werden wahrscheinlich deswegen ,,Seirira" (Böcke) genannt, weil sie in Bocksgestalt den Besessenen erscheinen, und „Schedim" von ihrem Anfenthalt gewöhnlich in verlassenen, öden und wüsten Gegenden. Ihre eigentlichen Heimstätten sind die äussersten Grenzgebiete der Erde, weil diese, wie der Norden infolge der hohen Kälte, verödet sind. Es ist zu bemerken, dass wie bei der Schöpfung die Bildung des menschlichen Körpers und des der Tiere, der Pflanzen und Mineralien aus den vier Elementen er- folgte, indem alle vier durch die göttliche Kraft sich zu einem dichten, den fünf Sinnen wahrnehmbaren Körper vereinigten, so auch eine Bildung bloss aus zwei Elementen, aus Feuer und Luft zustande kam, in einem Körper, der nicht fühlbar und für die Sinne nicht wahrnehmbar ist, gleich der Tierseele, die ebenfalls infolge ihrer Feinheit sinnlich nicht wahrnehmbar ist. Dieser 45 Um die Betrachtung der rationalistischen Erklärungsweise Mai- munis fortzusetzen, sei noch auf die Erklärung des iii der Mischna oft gebrauchten Ausdruckes ITi?"! m"l (Ruach ra'ah) böser Geist hin- gewiesen. Ihn erklärt Maimuni an einer Stelle •), als die allgemeine Be- zeichnung für die Art von Krankheiten, die arabisch Melanhülia heissen. Sie äussern sich darin, dass der Kranke die Gesellschaft flieht und beim Anblicke des Lichtes die ruhige Besinnung verliert, sich aber im Dunkehl und in der Einsamkeit beruhigt und zu sich kommt. Wir haben hier eine den bedeutenden Naturforscher und Arzt kennzeich- nende nüchterne Auffassung jener Geisteskrankheit, die das Mittel- Körper ist geistiger Art und schwebt wegen seiner Feinheit und Leichtigkeit im Feuer und in der Luft. Wie nun aber bei den vier Elemeuten die Zu- sammensetzung Ursache des Entstehens und Vergehens der Dinge ist, so ist dies auch der Fall bei der Zusammensetzung aus zwei Elementen. So lange dieselbe währt, lebt der Körper, er stirbt jedoch, wenn sie aufhört. Aus diesem Grunde äussern sich die Eabbinen (s. T. b, Chapiga 16a): Sechs Dinge gelten von der Natur der Dämonen: in dreien gleichen sie den Engeln und in dreien den Menschen. Sie haben Flügel, schweben umher und wissen, d. h. erfahren das Zukünftige im voraus, wie die Engel; nehmen Nahrung auf, pflanzen sich fort und sterlen wie die Menschen. Ursache des Todes ist wie bei allen Zu- sammensetzungen die Auflösung, Ursache des Schwebens die Leichtigkeit der Bestandteile, wie wir dies schon bei den Vögeln sehen. Sie fliegen beim Überwiegen der feurigen und luftigen Bestandteile, um so leichter können die Dämonen, denen die schweren Bestandteile gänzlich fehlen, ohne zu ermüden, umherschweben. Ihre fcptise besteht darin, dass sie aus dem Feuer und Wasser Gerüche und Dämpfe autsaugen, in der Weise, wie Feuer AVasser aufleckt. Dies ist der Grund, weswegen die Nekromanten den Dämonen Eäucherungen darbringen. Sie bedürfen der Nahrung, weil das atmosphärische Feuer ihren Leib austrocknet, in gleicher Weise, wie die JUenscheu müssen sie die ver- lorenen Stoffe durch Speise ersetzen. Die Zukunft erfahren sie bei ihrem Umherschweben im Äther von den daselbst befindlichen Fürsten der Planeten d. i. von den Vorgesetzten des Tali (Drachen). Von dort aus verkünden sie durch die Vögel die Zukunft, wie es durch Zauberei erprobt ist. Jedoch kennen sie nicht die späte Zukunft, sondern nur die nächste. So behält das Schrift- wort Eecht, dass sie keinen Nutzen gewähren, denn sie sind nicht imstande, den bevorstehenden Schaden abzuhalten, noch vermögen sie die ferne Zukunft voraus zu verkünden, so dass der Mensch, wenn er sie wüsste, sich in acht nehmen könnte." Ähnlich wie Nachmani beschreibt Obadja Sforno (Bibel- komm, das.) die Natur der Dämonen. 1) Mischnakonimentar zu Sabbat II, 5: i^'ipT] ]'"i m« '':3 du -irnn-cn ik -nxn hk-i-' -itrxa miaöiritt?."!- Es ist also eine bei Melancholikern bis zum Wahnsinn sich steigernde Trübsinnerscheinung. Das in unseren Drucken befindliche K""2lpbö ist verstümmelt aus dem arab. X'^blbD'^O. 46 alter fürchtete, und für die es keine andere Erklärung als das un- mittelbare Eingreifen des Teufels Avusste, Dieser mittelalterlichen An- schauung tragen die anderenMischnaerklärer 5). auch wirklich Eechnimg. In noch allgemeinerem Sinne fasst Maimuni an einer anderen Stelle'^), auch hier im Gegensatze zu den anderen Kommentatoren 3), diesen Ausdruck Ruach Ra'ah auf als eine Bezeichnung für jeglichen Schaden, welche seine Yeranlassung auch immer sein mag, sofern nur kein Mensch dessen Ursache ist. Aber nicht bloss mit den anderen Kommentatoren, sondern auch direkt mit der von Lehrern des Talmuds gehegten Meinung befindet sich Maimuni im Wider- spruch mit seiner Erklärung von Kardiakos^). ,,Es ist dies, meint er, eine Krankheit, die in Folge der Überfüllung der Gehirnkammern mit Säften entsteht, imd stellen sich bei ihr Wahnsinnserscheinungen ein; diese Krankheit gehört zur Klasse der epileptischen^) Krank- heiten." Krankheit also mid sonstige zufällige, jedoch natür- liche Schäden sind lediglich alle dem Menschen zustossende Leiden, auch wenn sie in aussergewöhnlicher Form auftreten. Diese wenigen, aber charakteristischen Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, wie Maimuni in seinem Bestreben, alles Abergläubische und Dämonische zu beseitigen, der Mischna. selbst gegen den Wortlaut der Gemara, einen rationalistischen Sinn zu geben sucht. Er thut dies mit dem voUen Bewusstsein, dass er sich in einen solchen Widerspruch setzt; er giebt auch mit offenem Freimut den Grund an, welcher ihn ver- 1) So Obadja Bertinoro: vby n^rrn nül nn "330. Eä ruht ein Dämon auf den Kranken. 2) Mischnakomm. Erubin IV. 1 : nnKH Ta K2 irXU? pm hdr» TKIIp ni"n HIT .n^'^nc^ rcD m*s*ö 3) So schon Raschi: inui nBltADI nc? 1D Di23tr. Ein Dämon ist in den Menschen gefahren, und infolgre dessen ist sein Verstand wirr. •i) Mischnakomm. Gittin VIII, 1: n'an mn ^iboss nnnö "bin Dp'"'nTlp t'B'iJrT 'h'in ■'raia i'ö «in^ "p 'jsa nuin b^h:ir\ü\ Da-^ejreu fas.st schon der Talmud (b. Gitiin 67 b) Kardiakos als Namen eines We'ndämons auf. Der Vertreter dieser Meinung ist Samuel. Sie haben die Kurainentatoren zu der ihrigen gemacht; so Raschi %Ti)a n^'^\T^ p nmi^U^D nTtt' CD Kardiakos ist der Name jenes weiblichen Dämons, in dessen Gewalt man gelangt, wenn man vielen Wein direkt aus der Kelter trinkt; ebenso Obadja Bertinoro: h:ib^r\i V\H i'vnnmn bü to'^ltyn nv nana ini;"I. Er ist verwirrten Sinnes durch den Dämon, der seine Macht über denjenigen hat, welcher jungen Wein getrunken. 5) Also auch die Epilepsie ist eine natürliche Krankheit, Man erwäge, dass der Talmud sie als Aeusserung der Besessenheit ansieht (nty iNSatt' ""ö), und dass man im Altertum und Mittelalter allgemein die gleiche Anschauung von dieser ,, heiligen" Krankheit hatte. 47^ anlasst, bei Aussprüchen des Talmuds, die solcher abergläubischen Vorstellung Rechnung tragen, denselben nicht zu folgen. Er meint, dieselben seien entweder hagadischen Inhalts oder die vereinzelte Ansicht eines Lehrers i), in beiden Fällen weder massgebend noch bindend. Es ist oft der Fall, dass die Späteren, veranlasst durch die Autorität des Berichterstatters auf anderen Gebieten auch in Bezug auf Dämonenglauben seine Anschauung für massgebend halten und sie beachten. Hiermit thun sie Unrecht. Wer daher seine Meinungen, die sich auf Wissen imd Einsicht stützen, mit Argumenten, die aus dem Traditionsschrifttum hergeholt sind, bekämpfen will, der hintergeht und täuscht sich selbst 2). Diesem Grundsatze gemäss verfährt Maimuni in seinem halachi- schen Werke, Alle Bestimmungen, die in derartigen superstitiösen Vorstellungen begründet sind, übergeht er entweder ganz mit Still- schweigen, oder sucht für sie einen rationellen Grund aufzufinden 3). 1) S. Kobez U, 26a col 2; Igg'roth 17a. 2) Vgl. Kobez I, 34 b col. 1: -"\^D'' hv D^JD DHU? ijiK'rtr' Dnm n':ön "tst h'i D'r.wn p nmn ix a'U^ma-t p trmaD ix nnjnn p m;nn tr^snci i'^im obiu lOSü ns«ü x"?« irs* n;irm nun nni nnir irna-i bv ns rsy rnx nhrz K::ia'tr ii? 3) So Übergeht er u. A. talmudische Bestimmungen, die später von E. Jakob ben Ascher und R. Josef Karo in Tur und Schulchan-Aruch als bindend aufgenommen wurden, trotzdem ihre Voraussetzungen dem Dämonenglauben ent- nommen sind, z. B. Berachot 51a — OrachChaim c. 4, Pesachim 112a — Or. Chaim das., Sabbat 12b — Or. Chaim c. 101, Jebamot 122a — Eben ha- Eserc. 16, Gittin 66a — Ebenha-Eser c. 141, oanhedrin 101a — Jore- Dea c. 179, ebenso Megilla 3a, Sanhederin 44a u. v. a. St, Wo im Talmud für eine Bestimmung mehrere Gründe angegeben sind, führt Maimuni nach Hinweg- lassung des superstitiösen bloss'die anderen an, so führt er Hilchot Tefillah VI 5 und Hilch. Rozeach XII, 6 für die Bestimmung in Berachot 3a als einzige Begründung Lebensgefahr an, wogegen E. Josef Karo in Or. Chaim c. ÜO als weitere Begründung Dämonengefahr angiebt; in gleicher Weise lässt M. in Hilch. Sabbat I, 7, den Grund nu~i Hin 'DSa, welcher ja auch nach seiner Er- klärung (Mischnakomm. zu Sabbat II, 1, vgl. oben S. 45) mit n'^in.l b^^tt^a zu- sammenfällt, ganz weg im Gegensatze zu Or. Chaim c. 278, u. s. w. Vgl. hier- über auch J. H. Weiss in Bet- Talmud I, p. 228. In besonderer Weise sucht M. in der Begründung der biblischen Gesetze, welcher er einen grossen Teil seines More (III c. 29 — 50) widmet, jeden Schein eines abergläubischen Grundes von denselben fernzuhalten. Als Beispiel einer verständigen Begründung kann angesehen werden die für das Schofarblasen am Neujahrstage. An diese Vor- schrift knüpfen sich schon im Talmud (b. Eosch ha-Schana 16a und 16 b) ver- schiedene mystische Bemerkungen, so meint u. a. E. Jizchak, die Schofar- klänge dienen dazu, den anklagenden Satan zu verwirren, daher komme es, dass in Jahren, in denen am Neujahrstage der Schofar nicht ertönt, derselbe infolge 48 Nui' wenige Gesetzesbestimmimgeu, deren Verbindlichkeit er aner- kennt, für welche er aber einen rationellen Grund nicht anzugeben vesmag, führt er olme jegliche Bemerkung an, gleichsam in der stillen Voraussetzung, dass wohl ein solcher vorhanden sein müsse, wenn er ihn auch nicht kenne. Zur Yervollständigung der Ansichten Maimunis über Dämonen- glauben sei hier noch ein wichtiger Punkt besprochen. AYohl äussern sich au verschiedenen Stelleu, meint Maimuni, die Rabbiuen im Talmud über die bösen Geister als über wirklich existierende Wesen, nicht aber als ob dies ihre Meinung wäre, sondern sie sprechen da im Sinne der Nichtisraeliten. In solcher Weise beschäftigt sich schon die Bibel mit dem Dämonenglauben, der mit Götzendienst und astrologischem Wahne zusammenhängt. Das zur Zeit i) Moses weit ver- breitete Volk derSsabier pflegte nämlich den Glauben 2) an böse, schädi- gende Geister, an die die Wüste bewohnenden Gulen, und gegen diese Anschauung wendet sich das göttliche Gesetz. Jene Heiden glaubten, dass die Einöden, Wälder und Wüsten bewohnenden Geister in Ge- stalt von Böcken erscheinen •^), und bezeichneten sie daher mit dem Namen „Seirim" („Böcke''). Sie wünschten von ihnen die Zukunft zu erfahren und suchten zu diesem Behüte mit ihnen in Berührimg zu treten. Sie verfuhren, um diese Absicht zu verwirklichen, in folgender Weise *). Da die Nahrmig der Dämonen in Blut bestehen soll -5), so assen auch sie, obgleich es ihnen für unrein galt, solches, von Not uüil Unglück geblasen werden muss; diese Ansicht ist Or. Chaim c. 58.') aufgenommen. Dagegen lautet die schöne Erklärung Maimunis: „Obschon das Schofarblasen am Neujahrstage eine biblische Satzung ist, so ist in demselben doch etwa folgender Sinn enthalten. Erwachet Schlafende, aus eurem Schlafe, und ihr Sclilummernden ermuntert euch, sehet mit betrachtendem, prüfendem Blick auf eure Handlungen und geht in euch in Busse, so ihr eures Schöpfers gedenket. Diejenigen, welche das Wahre um zeitlichen Nutzens willen ver- gessen, das ganze Jahr hindurch mit Eitlem und Nichtigem, das weder nützt noch frommt, zubringen, sie mögen auf ihre Seele bedacht sein, Weg und Handlungen bessern : es lasse jeder von seinem bösen Wandel und seine schlechte Gesinnung." Hilch. T'schuba III, 4. 1) More III, 29; Le Guide III, 233. 2) Über den Glauben an Dämonen und deren Verehrung bei den Ssabiern 8, das erste Kapitel des neunten Buches aus l'ihrist-el-U'lün des Muhamed ben Ish'äq en-Nedira, angeführt bei Chwolson, Die Ssabier IL S. 24, 27, 31, 36. 3) More III, 46; Le Guide IH, 862. Über Bocksgestalten vgl. Chwolson das. IL S. 733, Anm. 120; ferner Mannhardt, Wald- und Feldkulte I, 138. 4) More das.; Le Guide IH, 371 ff. 5) Warum die Nahiung der Geister in Blut besteht, erklärt uns Ob ad ja Sforno (Bibelkomm, zu HI M. 17, 7) in folgender Weise: „Betreffs der Dämonen, 49 um durch die gemeinsame Nahrung eine Verbindung zwischen sich und jenen herzustellen J). Andere, denen der Blutgenuss zuwider war, da ja der Mensch natürliche Abneigung gegen dies empfindet, fingen das Blut des geschlachteten Tieres in einem Gefäss oder in einer Grube auf und verzehrten das Fleisch, um das Blut herum- sitzend. Sie verbanden mit dieser Handlung die Vorstellung, dass, während sie das Fleisch essen, die Dämonen das Blut verzehren deren Erschaffung nicht in der Bibel erwähnt ist, ist zu bemerken: Unsere Weisen nennen sie schädigende (Jeister und berichten, dass sie essen und trinken, sich fortpflanzen und sterben, selbst sehen, aber nicht gesehen werden. Dies kann nur zutrefi"en, wenn sie aus sehr feinem Stoffe bestehen. (Vgl. oben. S. 44. Anm. 1, die Ansicht Nachmanis.) Da sie Nahrung auf- nehmen, muss diese aus einem sehr fein zusammengesetzten Stoff bestehen, damit sie sich in den zu ernährenden Körper umwandeln könne. Nun giebt . es unter den zusammengesetzten Stoffen nichts Feineres als den Blutdunst, aus dem der die Lebenskraft tragende Odem besteht, und er bildet die Nahrung der Dämonen. Da sie aber diese sich nicht selbst verschaffen können, weil sie über Gewogenes, Gezähltes, Verschlossenes und Versiegeltes keine Macht haben, so erwirbt sich derjenige, welcher ihnen Blut, worin dieser Stoff enthalten ist, darbringt, ihre Freundschaft, und wer selbst Blut geniesst, erlangt eine der ihrigen ähnliche Natur, und sie lieben seine Gesellschaft. 1) Auch bei den Arabern war der Glaube verbreitet, dass man vermittelst des Blutes sich die Geister gewogen machen kann. So erzählt uns Krem er, Culturgeschichte des Orients II, 263, auf welche Weise die Adepten der Zauberkunst solche zu erlangen suchen; dabei spielt Blut eine wichtige Rolle, „Als eine solche Stätte der Zauberei und Geisterbeschwörung galt auch eine Höhle in Südarabien, die Haud-Kowrir hiess. Man glaubte, dass man sich dort die Zauberei aneignen könne. Zu diesem Behufe musste man eine schwarze Ziege schlachten und in sieben Teile zerlegen, die man in die Höhle trug; dann nahm man die Eingeweide, bestrich sich damit, bedeckte sich mit dem um- gekehrten Fell und begab sich nächtlicher Weile in die Höhle. Vorbedingung war, dass der Zauberlehrling elternlos war. In der Höhle legte er sich nieder und schlief ein, indem er vorher in seinem Geiste den Wunsch, den er hatte, feststellte. Fand er bei dem Erwachen, dass sein Leib von aller Unreinigkeit befreit war, so bedeutete dies, dass sein Begehren erfüllt war. Er verlieas dann die Höhle, musste aber noch drei Tage in unverbrüchlichem Schweigen verharren. Nach Ablauf dieser Frist war er ein Zauberer." Auch in dem abendländischen Dämonenglauben galten Bock und Blut viel. Schon Homer lässt Odysseus (Odyss. XI, 31 — 36) einen schwarzen Bock schlachten, damit die Geister der Abgeschiedenen vom Blute trinken und ihm die Zukunft ver- künden. Nach dem mittelalterlichen Hexenglauben erfolgt die Teufelsver- schreibung vermittelst blutigen Chirographs; der Teufel hat Bocksgestalt und Bockshörner; auf dem Bocke fahren die Hexen zum Sabbat. Cfr. H. L. Strack, Der Blutaberglaube in der Menschheit, Blutmorde und Blutritus. 4. Aufl. München 1892, bes. die Capitel III, V, X— XIII. 4 50 und, da sie mit ihnen sich gleichsam an derselben Tafel befänden, Liebe, Freundschaft und vertrauter Umgang zwischen ihnen ent- stünde, worauf ihnen im Traume die Zukunft verkündet würde. Dieser Ansicht hing man in der damaligen Zeit mit dem grössten Eifer an und niemand bezweifelte ihre Wahrheit. Um diesem Wahne zu steuern, verbot die Bibel den Genuss des Blutes und das Opfer für die Bocksgestalten; sie betonte ausdrücklich deren Nichtigkeit: Sie opfern Dämonen, bei denen kein Nutzen ist (V. M. 32, 17). Daran anknüpfend bemerken die Eabbineni): Sie hörten nicht auf^ wirklich existierenden Dingen (Sonne, Mond und Sterne) zu dienen, bis sie zuletzt auch eingebildeten dienten. Hierin hat das Yerbot der Mischna^) seine Begründung, nicht das Blut des geschlachteten Tieres ins klare Wasser rinnen zu lassen, damit es nicht erscheine, als ob man dem Dämon des Wassers opfere oder dem gestaltgeben- den Prinzipe, nach der Ansicht derjenigen, die zwei Prinzipien an- nehmen 3). Diese falsche und irrige Ansicht zu bekämpfen, und sie aus dem Herzen und Sinne des Israeliten zu verdrängen, bezweckt das heilige Gesetzbuch durch viele darauf bezügliche Yerordnungen und Gebote; die Beseitigung des Dämonenglaubens, der nichts anderes als Götzendienst ist, ist geradezu ein Hauptzweck der Gotteslehre *). Das Falsche dieser Ansicht kann nicht genug hervorgehoben und es kann nicht genug eingeschärft werden, dass den Dämonen keinerlei Eealität zukomme. ,,Ich sage dies,'' meint Maimuni 5), „weil ich weiss, dass sehr viele Leute die irrige Ansicht haben, dass diese Dinge wahr sind. Dies geht so weit, dass selbst sehr fromme Israe- liten glauben ß), dass solche Dinge wirklich sind, nur dass die Thora 1) Vgl. Sifre zu V. M. 32, 17. 2) Mischnakommentar zu ChuUin II, 9. 3) Gemeint sind wohl unter den D"';^a.1 ri3 nitp die Manichäer. Vgl. dazu Schahrastäni-Haarbrücker, Religionsparteien, I, 285 ff., 288 über die Mänawijä. *) S. More III, 29 gegen Ende; Le Guide HI, 242-243. 5) Mischnakommentar zu Aboda-zara IV, 7. 6) Wie sehr Maimuni hierin Eecht hat, lehrt Nachmanis Erörterung des Gebotes von dem am Versöhnungstage wegzuschickenden Bocke (Bibelkomm, zu III, 16, 8). Da Nachmanides die Existenz der Dämonen anerkennt, wird er sich dessen gar nicht bewusst, wie seine Erklärung dem Geiste des Juden- tums widerspricht. Maimuni selbst schliesst sich der rationalistischen Er- klärung des Gaon Saadja an, die auch im Talmud ihre Stütze findet. Weil der weggeschickte Sündenbock sinnbildlich mehr Schuld als jedes andere Sühn- opfer sühnen sollte, wurde er von den Menschen entfernt und in ein ödes Land geschickt. More III, 46; Le Guide IH, 383. 51 sie verboten habe. Sie sehen nicht ein, dass der ganze Dämonen- glaube an sich eitel und trügerisch ist und dass ihn die Thora eben deshalb verboten hat, wie sie überhaupt alles Falsche verbietet. Gegen Geister und Zauberglauben zieht die heilige Lehre zu Felde, um sie auszurotten, weil sie Folgen des Götzendienstes sind." Das Kesultat obiger Untersuchung, betreffend die Anschauungen Maimunis über die Mittelwesen, lässt sich dahin zusammenfassen, dass er entsprechend den Grundlagen seines philosophi- schen Systems Engel bloss als die getrennten Intelligenzen gelten lässt, dass er die Annahme von Dämonen aber ent- schieden verwirft. Damit er sich jedoch nicht im Widerspruche mit manchen Bibelversen oder Aussprüchen der Rabbinen befinde, sucht er solchen durch Umdeutung und Allegorisierung einen andern Sinn zu geben. Dieses Yerfahren hält er für notwendig, damit der wahre Sinn des göttlichen Wortes erfasst und richtig verstanden werde, damit man sich frei mache von der nicht religiösen Annahme von Wesen, die nicht Gott geschaffen hati). Maimunis Bekämpfung des praktischen Aberglaubens. Die wunderwirkende Kraft der Gottesnamen. JM achdem im Vorangegangen gezeigt wurde, wie die theoretische Seite des Aberglaubens einen entschiedenen Gegner in Maimuni ge- funden, soll im Folgenden dasselbe bezüglich der praktischen Ver- wertung des Aberglaubens nachgewiesen werden. An die irrige Auffassung und Vorstellung von Gott, die bis zur Verkörperlichung gelangte, hatte sich eine eben so falsche betreffs der Namen Gottes angeschlossen, und man meinte, dass man sich derselben zu mystischen Zwecken bedienen könne. Zur Theosophie gesellte sich die Theurgie. Nach der Lehre der Bibel ist Gott Herr der gesamten Natur. Er ist Schöpfer und Erhalter, Leiter und Lenker derselben; er hat sie aus dem Nichts hervorgebracht, und in seiner Macht liegt es, sie zu ändern oder sie wieder zu ver- 1) More II, 47; Le Guide II, 360: ms'^stö |va-i» bssn p DJ r:rnnn riKim 4* 52 nichten. Von dieser seiner Macht macht Gott auch Gebrauch beim Hervorbringen der Wunder i), insofern er dann nach seinem Willen und weisen Katschluss die Gesetze der Natur zeitweise ändert, um seine Herrlichkeit den Menschen zu verkünden, aber auch um denen, die auf ihn vertrauen, beizustehen und sie zu beschützen. So er- hebend der Gedanke ist, Alles von Gottes Allmacht zu erhoffen und ihm allein zu vertrauen, so bemächtigte sich doch der Aberglaube auch seiner und übertrug Anschauungen, die er im Bezug auf den Yerkehr mit den von ihm selbst geschaffenen Mächten hatte, auf den Yerkehr mit Gott. War es ein von der Keligion verbotenes Be- ginnen, mit Hilfe von Dämonen die Natur verändern zu wollen, so suchte der Anhänger der Religion mit Hilfe Gottes auf sie zu wirken; während man mit Hilfe von Dämonen bloss zaubern konnte, wollte man im letzteren Falle Wunder vollführen. — Schon im Talmud imd Midrasch finden wir die Ansicht vertreten dass die Gottlosen zwar mit Hilfe von Dämonen die Naturgesetze aufheben können, dass aber die Frommen und Gottesfürchtigen dies in einem noch höheren Masse mit Zustimmung Gottes vermögen. Dabei werden die von Moses vollbrachten Wunder den Künsten der Chartumim gegenübergestellt und wird Bileam als Prototyp der- jenigen hingestellt 2), welche gegen Gottes Willen die Schranken der Naturgesetze zu durchbrechen sich vermessen. Während nun letztere, weil sie sich gegen Gottes Willen auflehnen, verdammenswerte Handlungen vollbringen, ist das Wunderwirken der Frommen, weil mit göttlichem Beistand vollzogen, gestattet^). Die Mittel, deren 1) Es ist zu bemerken, dass die Kabbinen und besonders später Maimuni die biblischen Wunder nicht als eine Aufhebung der Naturgesetze betrachteten, sondern vielmehr als die vollkommene Ausführung der in die Schöpfung hin- eingelegten göttlichen Willensbestimmung. Vgl. Pirke Abot V. 8; noch deutlicher ist dies ausgedrückt Bereschit rabba c. 5, ny"pn njnn j"'K3n isnv T'K n:nn na'ra n^n cu ah -i^u^k p n^öi^ t'k . . . bx-iu^-' ':sh y-ip: K,Tty d'h di; 'W n-'tr-in ^ö"' nru'r x-is;^' na hs cv iöa r\ypn ähnl. Schemot rabba c. 21 Dieser Anschauung schliesst sich auchMaimuni bei derErklärung der Wunder an. Mischnacomm. Abot V, 8; More II, 29; Le Guide II, 224 fif. Über den Zweck der Wunder vgl. insbes. Saadj a, Emunot we-Deot III: (p. 84 ff. ed. Krakau), wo auch erklärt wird, warum die Wunder nur für die Zeit der Bibel bestimmt waren. 2) Über Bileam ist zu vergleichen Bamidbar rabba cc. 14, 20 und 21, Talm. b. Sanhedrin 105 ff.; ferner „Chronik des Moses" in Jellinek's Bet ha-Midrasch. II, p. 5. 3) Die Rabbinen unterscheiden die von den Frommen als Wunder und die von den Gottlosen als Zauber hervorgebrachten Dinge nicht in der Sache (die Ansicht einzelner, dass beim Zaubern bloss Täuschung Q^y]} rwnü statt- 53 sich die einen, wie die andern hauptsächlich bedienen, sind Worte und Namen, nur mit dem Unterschiede, dass die Frommen reine i), die Grottlosen unreine 2) gebrauchen. Diese Namen sind die hebräi- schen Bezeichnungen der Dinge, M^elche, weil sie deren ureigenstes "Wesen angeben, von solchem Einflüsse auf sie sein müssen, dass schon ihr Aussprechen genügt, die Dinge hervorzubringen 3). Diese Namen waren den Engeln unbekannt, und die Weisheit Adams be- findet, ist gegenüber vielen wirklich vorgebrachten Zauberkünsten, deren That- sächlichkeit angenommen werden müsste, nicht massgebend), sondern nur in der Art der Hervorbringung. Sie nehmen jedoch keinen Anstoss daran, dass die von Gott eingesetzten Naturgesetze verrückt würden, falls es nur ad maiorem dei gloriam geschieht. Diesen Anschauungen schliessen sich auch die Decisoren an, so Jore-Dea. c. 179: nma D'trnpn vm^r ^"y m'^vv ms bs n^ut:" 'n nna D'^ntr ^"U «"^K -liDN rxi ra"pn "7^? iminr inbli: Kl^tr. Dieselbe Erscheinung sehen wir auch im christlichen Mittelalter, wo zwischen der schwarzen und weissen Magie und dem Wunder kein sachlicherunterschied gemachtwurd© und es nur darauf ankam, in wessen Namen und Dienst die Handlung ausge- tührt wurde. ,,Ein wesentlicher Unterschied zwischen Wunder und Zauber existiert nicht. Wunder und Zauber sind Wirkungen einer Kraft, welche über die Kräfte der Natur gebietet; der Unterschied liegt nur in der Anschauungsweise • • * Die Kirche glaubte sich zu dem Verkehr mit der Geisterwelt allein berechtigt; das Wunder nahm sie für sich allein in Anspruch ; alles, was ausserhalb der Kirche geschah, war nicht mehr göttlich, es war diabolisch: sie kannte keinen Unterschied zwischen göttlicher und diabolischer, weisser und schwarzer Magie, alle Magie war straffällig; nur für sie und durch sie existierte das Wunder . . . Ebenso quälte sich die Philosophie der Kirchenväter und des Mittelalters viel darüber ab, den Unterschied des wahren Wunders von dem Wirken einer engl'ischen Magie, den Unterschied des Wunders von dem Zauber festzustellen, wobei man vergeblich die sich entwickelnden Widersprüche zu lösen versuchte." Schindler, Der Aberglaube des Mittelalters. Breslau 1858. S. 60 — 61. 1) mnto av, n-nts nn Talm. b. Sanhedrin 65b, 95b; Sukka 53a, Gittin 68 u. ö. 2) riKmta av Talm. b. Sanhedrin 91 a. 3) Es ist dies auch die Anschauung der nichtjüdiscben Mystiker des Mittelalters und der Eenaissancezeit. So äussert sichAgrippavonNettesheim (angeführt bei Schindler, 1. c. S. 98 Anm.), „Die Namen sind Symbola und Vehikel der göttlichen Allmacht, die nicht von den Menschen, auch nicht von den Engeln, sondern von dem höchsten Gotte selbst auf eine bestimmte Weise nach der unveränderlichen Zahl und Figur ihrer Charaktere für immer festgestellt und geheiligt sind und die Harmonie der Gottheit ausdrücken. Daher fürchten die Obern sie und die Untern zittern vor ihnen; den Engeln sind sie ein Gegenstand der Verehrung und den Teufeln des Schreckens, und jede Kreatur, jede Religion hält sie heilig. Ihre religiöse Beobachtung und andachtsvolle Anrufung unter Furcht und Zittern verleihen uns eine grosse, göttliche Kraft und die Macht, selbst übernatürliche Wunderwerke und Wirkungen zu vollbringen. 54 stand darin, dass er jedem Dinge den ihm zukommenden d. h. sein Wesen ausdrückenden Namen gab; infolge dessen hatte er über sie imbeschränkte Gewalt i). Aber nur die hebräische Sprache enthält diese Namen, denn durch sie hat Gott die Welt geschaffen 2). Aus den Wörtern und Sätzen der Bibel lassen sich die Wunder wirkenden Namen bilden. An diese, wie es scheint, sehr alte Anschauung knüpften die beiden als „Otiot d' Kabbi Akiba" bekannten Midra- schim an 3), und ebenso das „Jezirahbuch," das die phonetische Seite der Buchstaben zum Ausgangspunkt für metaphysische Be- trachtungen nimmt-i). Auf das letztere stützt sich nun, indem man es mit dem im Talmud (b. Sanhedrin 67 b) erwähnten Buche „Hilchot Jezirah", vermittelst dessen selbst Schöpfungen vorgenommen werden konnten, identifizierte, die bei den Kabbalisten so in Schwung ge- wesene Theorie von der wunderbaren Kraft der Buchstaben. Zur Charakteristik dieser Anschauung sei hier ein Passus aus Jehuda ha-Levis Erörterung dieses Themas angeführt''). „So wird die Schrift eine göttliche genannt, weil die Gestalt der Buchstaben nichts Inhaltloses, Zufälliges ist, sondern in angemessenem Zusammenhang mit dem von jedem Buchstaben zu Bezeichnenden steht. Yon diesem Gesichtspunkte aus hat es nichts Befremdliches, dass Namen und dergleichen eine Wirkung üben, eben von Seiten des Wortes und der Schrift, voran die Berechnung, d. h. der Gedanke einer reinen den Engeln gleichen Seele; da vereinigen sich die drei Sefarim: Sefar, Sippur und Sefer (Gedanke Wort und Schrift) zur Einheit, und das Berechnete wird, sowie es die lautere Seele berechnet, ge- sprochen, geschrieben hat. Also sagt jenes Buch (Jezirahbuch) von Gott, dass er seine Welt durch die drei Sefarim: Sefar, Sippur, Sefer geschaffen, die in seinem Wesen zur Einheit wurden." Wohnt 1) Pirke d' Rabbi Elieser c. 13. 2) Cfr. Talm. b. Beracbot 55 a: ep:ih bxbia n\1 W^ ::i "lÄX mi.T T'K 3) Jellinek, Bet ha-Midrasch III, p. 12—45. 50—64. *) Über die Metaphysik des Jezirahbuches s. Graetz, Gnosticismus und Judentum. S. 102-131. 5) Kusari VI. 25 ed. Cassel. 2. Aufl. S. 342. Noch deutlicher giebt diesen Gedanken wieder die daselbst angeführte Übersetzung des Jehuda ben Isak ben Kardinal. Vgl. auch Abraham Schalom in N'we Schalem V, 4 und 5. Auf den Vorzug der hebräischen Sprache, weil nur sie das ureigne Wesen der Dinge bezeichnet, ist auch zurückzuführen die Bestimmung, dass Bittgebete nur hebräisch gesprochen werden sollen, da die Engel kein Aramäisch ver- stehen. Cfr. Talm. b. Sabbat 12b, Orach-Chaim c. 101. 55 also den hebräischen Bezeichnungen der Dinge überhaupt solche Kraft inue, so muss dies doch noch in viel höherem Masse der Fall sein bei denjenigen Worten, die das Allerhöcliste, Aller mächtigste bezeichnen, bei den Namen Gottes, die ja nach dieser Theorie sein Wesen bezeichnen und somit auch auf ihn wirken müssten. Die heilige Scheu, die man vor dem Aussprechen des göttlichen Namens hegte, der schon zur Zeit des Tempels nur am Versöhnungstage vom Hohepriester voll ausgesprochen wurde'), bestärkte die Ansicht, dass dieser Name, unter dem man ursprünglich nur den vierbuch- stabigen verstand, mit geheimnisvoller Macht auf die Natur zu wirken vermöge. In späterer Zeit, da man nicht mehr wusste, wie dieser vierbuchstabige Gottesnamen auszusprechen sei, gewann letztere Ansicht immer mehr an Ausdehnung, und man schrieb der richtigen Aussprache dieses Namens, die nur den Eingeweihten "-) bekannt war, die mächtigsten Wirkungen zu 3). Aber nicht bloss der vierbuch- stabige vollbrachte solches, sondern auch andere Gottesnamen, deren es unendlich viele geben soll, unter denen 70 die bekannten 4), und unter diesen die drei, die aus vier, zweiundvierzig und zweiund- siebzig Buchstaben bestehen, die gewaltigsten sind. Dass man fast unzählige Gottesnamen annahm, ergiebt sich daraus, dass der ganze Pentateuch aus lauter Gottesnamen bestehend gedacht wurde, deren Zusammenstellung ein eigenes Studium bildete-'^). Der Talmud jedoch kennt ausser dem aus aus vier Buchstaben bestehenden, nur noch die aus zwölf und zweiundvierzig Buchstaben'^). Die anderen sind wohl aus nachtalmudischer, wenn auch aus alter Zeit; dies gilt 1) Über den Schem-Hamphorasch vgl. ausser Munk, Le Guide I, 267, n. 3. und Gas sei, Kusari (ed. 2) S. 298. Anm., die Aufsätze von Oppenheim in Grätz, Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 1859. S. 545 und 1870. S. 326; von Cassel, das. 1870. S. 73 und 270; und von Bacher, das. 1871. S. 382; ferner Low, Die Aussprache des vierbuchstabigen Gottesnamens, Gesammelte Schriften I. S. 187 ff.; und die neueste Litteratur Sidon inKevue des Etud. juiv. XVII, 238; Bacher, ib. XVIII, 290u.Für8t ib. XXIV, 285. 2) Talm. b. Kidd. 71a, Sendschreiben desHai Gaon in Ta'am Sekenim p. 57. 3) Wajikra rabba c. 32. Talm. b. Gittin 68a, Sukka 53a, Sanhedrin 95a. ^) D,T7 TKi -ipn ürh ]^k tt^i-i^aa vh'S! -iKin t"n'Eia nyprh i'? i^' mö^; D^urnr "iBDia Liber Chanoch in Bet ha-Midrasch II, 114. 5) Nachmani Dissertation ed. Jellinek p. 30. K-ipJn sm -|BD niSpon ^'^ «SV -j^xm n3aa s*arn aurm pö nnx h^ tyinir, nvu^iea u^neatr nmn vin^ 'matt? on ii)nn -ibdis mnsr naa nnvsr rh^p ih u?"' bax na i^tt^antrö i^Km n:aa mött> rh'D b^-w^ ba Tub tu n-'trK-oia rb:2 mmn b^ 6) Talm. b. Kidduschin 71a. 56 auch von dem zweiundsiebzigbiichstabigen, der bei jüdischen i) und nichtjüdischen 2) Mystikern als „grosser Name" xat' iioyy)v gilt. Es ist nun leicht erklärlich , dass bei dieser Rolle, welche die Gottes- namen spielten, auch die Eeligionsphilosophen einer Erörterung über die Natur der Gottesnamen und der sie bildenden Buchstaben nicht aus dem Wege gehen konnten. Wir finden eine solche bei Jehuda ha- LeviS), Ibn Esra-^) und anderen. Die Erklärungen, die sie gaben, waren nur dazu geeignet, dem mystischen Gebrauch Vorschub zu leisten. Erst Maimuni blieb es vorbehalten, auch hierin gründlich von seinen Vorgängern abzuweichen. Da die Annahme einer Wirkung vermittelst der Gottesnamen ein Durchbrechen der Naturgesetze voraussetzt, so muss Maimuni eine solche, die seiner Weltanschauung widerspricht, a limine zurück- weisen. Zugleich steht sie im Widerspruche mit seiner Lehre von den Attributen. Dürfen wir Gott keine positiven Attribute beilegen, weil diese eine Vielheit in seinem Wesen bezeichnen, so können wir um so weniger gleichsam h yp o stasier te Namen Gottes aner- kennen. Maimuni lässt sich daher auf eine ausführliche Erörterung dieser Materie ein, um die falschen Vorstellungen, die betreffs der Gottesnamen vorhanden waren, und den an dieselben sich knüpfen- den Aberglauben zu zerstören. — Alle Gottesnamen sind, so erklärt er 5), wie die Attribute, die wir ihm nur beilegen dürfen nach den 1) So ist der Name von 72 Buchstaben von Bedeutung im Buche „Bahir" (ed. Amsterdam S. 5 und 6), bei Schemtob, Emunot, IV, 7, S. 32b; 18 S. 44b. Cfr. Nachmani, Dissert. p. 31: Dtt? X^T' UD""! plDSö '3 cai'? UIU nsni pinib ^nh nvnn'7 n^an'7 bx-itr^ n^on |^t:>önu>ö isc nrniK crn^'t D^yiii:^ hv? riö^bl minb Dnnb n^nKn*?. Vgl. auch Schorr, Hechaluz VIII. p. 66. 2) Cfr. Schindler, 1. c. S. 89 ff.; Eeuchlin, De Arte Cabbalistica libri tres, Frankfurt a. M. 1672, giebt im 3. Bande S. 723 die wichtigsten Gottes- namen an und führt den „grossen Namen" ganz an. Auch bei den Arabern spielten die Namen eine Eolle. So behauptete al-Mughira, dass Gott, nachdem er sich zur Schöpfung der Welt entschlossen, den grössten Namen aus- gesprochen, welcher herbeigeeilt sei und auf sein Haupt eine Krone gesetzt habe. Schahrastäni-Haarbrücker, Eeligionsparteien, I, 203. Vgl. auch Kremer, Culturgeschichte II, S. 264. 3) Ausser Kusari IV, 25 auch IV, 1. 3. Über die religionsphilosophische Bedeutung dieser Erörterung vgl. Kaufmann, Gesch. d. Attributenlehre S. 141—195. ^) Er hat ausser einzelnen Bemerkungen in seinen Bibelkommentaren mehrere Abschnitte des „Jesod Mora" und des „Sepher Zachot" insbesondere das „Sepher Haschern" diesem Gegenstande gewidmet. 5) More I, 61; Le Guide I, 267 ff. 57 Handlungen, die Gott in der Schöpfung vollbringt, abgeleitet, und be- zeichnen so wie diese die Äusserungen seines Wirkens. Anders ver- hält es sich mit dem Gottesnamen, welcher aus den vier Buchstaben jod, he, waw, he besteht, den die alten Lehrer als Schem-Hamphorasch bezeichnen. Dieser kommt Gott eigentlich zu und bezeichnet sein ureigenstes Wesen. Die Bedeutung dieses Namens können wir jetzt, da wir nur geringe Kenntnis des Hebräischen haben, nicht mehr genau feststellen i), aber bei der grossen Ehrerbietung, mit der er seit den ältesten Zeiten umgeben wurde, ist jedenfalls anzunehmen, dass sie eine solche war, dass sie nur Gott allein beigelegt werden kann; vielleicht drückte der Name die notwendige Existenz aus. Da er so im Unterschied von den anderen, die vom Wirken Gottes abgeleitet sind, dessen Wesen bezeichnet, so konnte mit Recht die Ansicht aufgestellt werden 2), dass vor der Weltschöpfung dem einig-einzigen Gott nur dieser eine Name zukam. — An diese Er- klärung des Schem-Hamphorasch knüpft Maimmii eine Polemik gegen den abergläubischen Missbrauch der Gottesnamen, und erklärt, dass es ausser diesem Namen keinen unabgeleiteten Gottesnamen mehr gebe. „Mögest du," schreibt er 3), „den Wahn der Amuletten- schreiber nicht berücksichtigen; denn die verschiedenen von ihnen fabrizierten Namen, welche du von ihnen hörst oder in ihren Büchern liest, bezeichnen gar nichts, obschon sie solche für Gottes- namen, die Wunder bewirken sollen, ausgeben und für deren An- wendung die grösste Heiligung und Reinheit verlangen. Solches Geschwätz ziemt einem vollkommenen Menschen nicht anzuhören, geschweige denn daran zu glauben." — Wenn nun aber der Schem- Hamphorasch die Bezeichnung für den vierbuchstabigen Gottesnamen ist und ihm keine mystische Bedeutung zukommt, warum berichtet der Talmud, dass er dunkel und geheim geblieben war? Ist doch 1) Maimuni behauptet nur, dass bei der jetzigen mangelhaften Kenntnis des Hebräischen die Etymologie des vierbuchstabigen Gottesnamens dunkel ist; aber nur jetzt, und für diesen allein (vgl. übrigens M. Joel, Beiträge, S. 74), nicht für die anderen; dagegen behauptet Jehuda ha-Levi dessen gänzliche TJnableitbarkeit als von Gott geradezu beabsichtigt: „Durch die Nennung dieses Namens wollte Gott von dem Grübeln über sein wahres Wesen, dessen Erkenntnis unmöglich ist, abhalten." Kusari IV. 3. ed. 2, Cassel S. 304. Vgl. auch Kaufmann, Gesch. d. Attributenlehre, S. 171, Anm. 125, S. 175. Anm. 130 und S. 468, Anm. 153. 2) Pirke d'Kabbi Elieser c. 3. 3) More ib., Le Guide I, 271—272. 58 der Name in der Bibel jedem zugänglich, und trotzdem wird be- richtet, dass er unter den grössten Kautelen nur besonders würdigen Männern überliefert wurde. Spricht dieses nicht dafür, dass die- jenigen Recht haben, die eine geheime, mystische Bedeutung an- nehmen, dazumal im Talmud noch von anderen Gottesnamen die Rede ist, die in gleich geheimnisvoller Weise überliefert zu werden pflegten. Solchen Einwürfen begegnet Maimuni in einem weiteren Abschnitte i), indem er auseinandersetzt, warum eine solche ge- heimnisvolle Überlieferung nötig war, und wie man die anderen geheimen Gottesnamen aufzufassen habe. Die Thora, führt er aus, bestimmt, dass beim Priestersegen der vierbuchstabige Gottesname, der Schem-Hamphorasch, wie er in der Bibel geschrieben ist, aus- gesprochen werde. Es war aber nicht jedem bekannt, wie dies ge- schehe, d. h. wie die einzelnen Buchstaben vokalisiert würden, und ob sie hart oder weich zu sprechen seien. Darüber gaben die Ge- lehrten Auskunft. Der talmudische Bericht 2), dass die Weisen wöchentlich einmal ihre Söhne und Schüler über den Gottesnamen belehrten, sei dahin zu verstehen, dass dieser Unterricht sich nicht auf die Aussprache allein beschränkte, sondern damit die Unter- weisung darin verbunden war, welche Idee dieser Namen ausdrückt, um derentwillen er Gott beigelegt wird: dieses hehre Geheinniis ist mit ihm verbunden 3). Dem Tetragrammaton zunächst stand ein zwölf buchstabiger Name, dessen man sich in Yertretung jenes be- diente. Dieser wird wohl nicht ein Wort gewesen sein, sondern aus zwei oder drei Worten bestanden haben, deren Buchstabenzahl zwölf war. Dieser Name gab eine Anleitung über das Wesen Gottes, die eine speciellere war, als sie der bei uns gebräuchliche Name Adonai gewährt, und wurde ursprünglich jedem Lernbegierigen mitgeteilt. Später ist auch dieser geheim gehalten worden, weil es sich gezeigt, dass dessen Mitteilung an unwürdige und wenig ge- 1) More I, 62; Le Guide I, 273—285. 2) Talm. b. Kidduschin 71a. 3) „In der genauen Kenntnis des Tetragrammaton steckt tiefe meta- physisclie Erkenntnis, denn es weist darauf hin, dass Gott notwendige Existenz ist, actueller Nus, ohne jede Potenz, unveränderlich, in keiner Eelation zu den Dingen, von sich selbst und von den Dingen durch das eigene Selbstbewusst- sein Erkenntnis empfangend. Die tiefen, metaphysischen Geheimnisse sollten mit Recht nicht jedem mitgeteilt und offenbart werden, da man nur in Rein- heit und Heiligkeit mit ihnen umgehen darf." Schemtobin seinem Morekomm. zur Stelle. 59 eignete Leute zur Schädigung des Glaubens führte i); eine Erscheinung die stets eintritt, so oft wenig vorbereitete, unvollkommene Leute erfahren, dass etwas nicht so ist, wie sie früher glaubten. — Die Alten kannten auch einen Namen von 42 Buchstaben. Es ist aber Jedem Einsichtigen klar, dass es unmöglich ist, dass ein hebräisches "Wort aus 42 Buchstaben bestehe ; es ist dies nur die Buchstaben- zahl mehrerer Worte, die zweifelsohne auf gewisse Ideen hindeuten, die einer wahren Auffassung des göttlichen Wesens näher bringen. Die Eabbinen haben für die vielen Worte den Ausdruck Name ge- wählt, weil sie eben nur das, was für gewöhnlich Eigennamen aus- drücken, die bestimmte Bezeichnung der Sache, enthalten. Es werden viele einen Namen bildende Worte gebraucht, damit die Sache möglichst klar werde. Es bestand also die Belehrung nicht in der Überlieferung blosser Buchstaben ohne weiteren Sinn, sondern in der Einfülirung in metaphysische Untersuchungen, die die beiden zuletzt behandelten Namen enthielten. Ein Beweis dafür, dass es sich bei dem aus 42 Buchstaben bestehenden Namen um meta- physische Erkenntnis handelt, ist die für seine Überlieferung auf- gestellte talmudische-) YerhaltungsmassregeL die von dem Schüler hohe sittliche Tugenden und grosse intellektuelle Yorbereitung ver- langt, was als Vorstufe für die Erfassung jener metaphysischen Themen, die das eigentliche Geheimnis der Lehre bilden, notwendig ist. Nur auf metaphysisches Wissen kann sich lediglich dasjenige beziehen, was als Wirkung der Kenntnis des 42 buchstabigen Namens angegeben wird, dass, wer sie erlangt, geliebt wird (im Himmel) oben und theuer ist hier (auf der Erde) unten und ange- sehen bei den Menschen, sein erworbenes Wissen behält, des dies- seitigen und künftigen Lebens teilhaftig wird 3). Da die Yernunft 1) cfr. Le Guide I, 274 n. 3. Leute, die nicht gut vorbereitet, mit den in diesen Namen enthaltenen, metaphysischen Geheimnissen vertraut gemacht werden, werden im Glauben irre und gelangen zu falschen Vorstellungen. 2) Talm. b. Kidduschin ibid. 3) Es hängt dies mit Maimunis Grundanschauung zusammen, dass nur diejenigen des ewigen Lebens teilhaftig werden, die einen hohen Grad meta- physischer Erkenntnis sich erworben (More II, 27; Le Guide II, 205). Denn die Seele, die nach dem Tode zurückbleibt, ist nicht die potentielle des Ent- stehens; es bleibt daher nur diejenige unsterblich, welche bis zum „aktuellen Intellekt" gelangt ist (More I, 70; Le Guide I, 328 und das. n. 2, 4). Vergl. auch Einleitung zum 11. Abschn. von Sanhedrin; Hilch. Jesode ha-Thora c. IV. 8—9; Hilch. T'schuba c. VIII, 3. An letzterer Stelle bezeichnet Maim. die fortlebende Seele als das von Gott erlangte Wissen. (S. auch M. Wolf, 60 des Menschen bei Aneignung metaphysischer Erkenntnis sich iu den „thätigen Intellekt" umwandelt i), ist es klar, dass es nie bei ihm in Vergessenheit geraten könne-)." Nachdem Maimuni in dieser Weise das Wesen der Gottesnamen erklärt und gezeigt hat, dass deren Geheimhaltung begründet war, dass man doch Ergebnisse metaphysischer Spekulationen nicht jeg- lichem ohne jede Yorbereituug mitteilen konnte, und nicht weil sie zu geheimnisvollem Wirken hätten gebraucht werden können, setzt er seine Polemik gegen den praktischen abergläubischen Missbrauch derselben mit einer für gewöhnlich bei ihm nicht anzutreffenden Schärfe und Heftigkeit fort. „Unendlich weit vom Sinne des Talmuds ist jene grosse Menge entfernt, die unter den Namen nichts weiter als leere, zusammenhangslose Buchstaben verstanden wissen will, und ver- mittelst derselben zu Erhabenem gelangen zu können vermeint. Die Veranlassung zu solch unsinnigem Glauben gaben unwissende und dabei böse Menschen, die die talmudische Überlieferung als weites Feld für die Verbreitung von Lügen betrachteten. Diese stellten die Be- hauptung auf, dass die Zusammenstellung von beliebigen Buchstaben schon einen Gottesnamen bilde, der alsdann, in bestimmter Weise geschrieben oder ausgesprochen, aussergewöhnliche AVirkung schaffe. Schriften solch böswilliger Ignoranten kamen in den Besitz frommer, jedoch schwachsinniger und kritikloser Männer, die sie aufbewahrten, Eschatologische Gedanken des Müsa ben Maimun mit einem Worte der Er- innerung an Fleischer. Lejden 1890.) Diese durch einen solchen weitgehenden Intellektualismus ausgesprochene Beschränkung der individuellen Unsterblich- keit, die auch noch in mehreren anderen wesentlichen Punkten zum Ausdrucke kommt, — mehr Ausfiuss seiner philosophischen als religiösen Anschauung — gab Veranlassung zu direkten Anfragen an Maimuni (cfr. DTlori n^nn löKO) und zu polemischen Angriffen des Abraham ben David aus Posquieres in seinen Glossen zuHilch. T'schuba VIII, 2, oder wie später zu den des Schemtob Emunot I, 1. S. 5a ff. I, 4. S. 10b. ff.; hingegen versucht Nach- mani in seinem b'.öJn lütt' (p. 13 a ff. ed. Ferraro 1557) Maimunis Anschauung als rechtgläubig zu verteidigen. 1) cfr. Le Guide I, 274. n. 3. 2) ,,Das Vergessen tritt bei materiellen Dingen ein, bei denen der Auf- fassende und das Aufgefasste verschieden sind und bleiben, so dass der In- tellekt zur Reproduktion der Phantasie bedarf, die dem Menschen zuweilen auch den Dienst versagen kann; dagegen ist ein Gegenstand, der nicht bloss Vor- stellung ist, im Intellekt einfach, und bei ihm ist Auffassen, Auffassendes und Aufgefasste dasselbe, so dass das Auffassen immer in gleicher Weise wirksam sein kann, da Wissender, Gewusster und Wissen identisch sind, somit trifft bei dem in aktiven Intellekt verwandelten Wissen kein Vergessen zu." Schem- tob ben Josef, Morekomm. I. 62. 61 und die Menge, die solche Schriften in deren Nachlass fand, hielt den Inhalt für lautere Wahrheit. Ich war veranlasst", schliesst Maimuni diese Auseinandersetzung, „diesen puren AVahnsinn i) zu widerlegen, obschon er als solcher sich jedem Denkenden offenbart, wegen der grossen Verbreitung, die diese Thorheit unter dem Yolke gefunden." Wir haben hier Maimunis Auseinandersetzung ihrem ganzen Inhalte nach angeführt, da wir sonst bei keinem anderen jüdischen Keligionsphilosophen eine solche Entschiedenheit in der Verurteilung des Missbrauchs der vermeintlich geheimnisvollen Gottesnamen finden. Auffallend ist es, dass Maimuni den Gottesnamen von 72 Buchstaben nicht erwähnt. Eine Erklärung hierfür können wir zwar darin finden, dass hierzu keine Veranlassung für ihn vorlag, da derselbe im Talmud nicht erwähnt wird, und für seine Erwähnung in der älteren Midraschlitteratur 2) eine analoge Erklärimg, wie für den aus 42 Buchstaben, ausreicht, jedoch möchten wir uns der Meinung zuneigen, dass Maimuni ihn der Gruppe der willkürlichen „Schemoth" beizählen dürfte. — Entsprechend der hier entwickelten Ansicht verurteilt Maimuni an anderen Stellen auch die Anwendung von Bibelversen zu mystischen Zwecken =^). Er betrachtet einen solchen Gebrauch als dem Geiste des Judentums widersprechend und sieht ihn geradezu als Sünde an, die des ewigen Lebens ver- lustig macht. „Diejenigen'*), welche auf die Mesusa Engelnamen oder 1) Gleich harter Ausdrücke bedient sich Maimuni betreffs dieser Leute Mischnakomm. zu Sota, VII, 6: 'in'3 12 i'''72nöu? no:: -insm» niDn Ski m um 2) Cfr. Schorr im Hechaluz VIII, 6a, wo die älteren Midraschstellen an- geführt -werden, so Ber. rabba c. 44, Wajikra rabba c. 13 u. s. w. 3^ Vgl. die Sendschreiben in Kobez I, 3a col. 2, 3b col. 1; II, 15a col. 2. *) Hilch. Mesusa c. V. § 4. Maimuni tritt hier nur gegen den Missbrauch auf, die Mesusa durch Hinzufügen von sog. Namen in ein Amulet umzu- wandeln, was jedoch der talmudischen Auffassung, dass das strikte Befolgen der Gesetze vor Unglück bewahrt, nicht widerspricht. In diesem allgemeinen Sinne könnte die Verteidigung R. Josef Karos (Kesef Mischna zur Stelle) und sein Streben, Maimuni nicht in Gegensatz zum Talmud zu bringen, aufrecht erhalten werden. Von einem specieUen Schutz gegen Dämonen (Talm. b. Menachot 33b und Easchi das., T. b. Aboda-zarah IIa) kann jedoch nach Maimuni bei der Mesusa schon aus dem einfachen Grunde nicht gut die Eede sein, da er die Existenz von Dämonen (vgl, oben) doch leugnet. Die schöne Erzählung von Artaban und Eab (Talm. jer. Pea I, 1, 15 d ed. Krotoschin bringt, wie wir glauben, bloss die allgemeine Anschauung von der schützenden Kraft der Befolgung der göttlichen Gesetze, wie dies auch der dort citierte Vers (Prov. 6, 22) andeutet, zum Ausdruck. Cfr. Schorr, Hechaluz, VIII, p. 56. 62 sog. heilige Namen, ja nur Bibelverse schreiben, haben keinen Anteil am ewigen Leben. Diese Thoren halten nicht nur nicht das gött- liche Gesetz, sondern würdigen auch ein so erhabenes Gebot, wie die Anerkennung der Einheit Gottes, die Liebe zu ihm und seine Yerehrung, welche die Mesusabestimmung zum Ausdrucke bringt, herab zu einem Amiüet, das ihnen nach ihrer thörichten Vorstellung nützen soll." — Wie ernst aber auch Maimonides den Kampf gegen diesen Zweig des Aberglaubens aufgenommen, und wie entschieden er ihn geführt hat; wie sehr er auch von dem reinen jüdischen Gottesbewusstsein und den Ergebnissen klarer Forschung erfüllt war: seine Bemühungen hatten nicht den gewünschten Erfolg. Gegen Mystik und Kabbala, die auf der Theorie der Gottesnamen einen gar gewaltigen Bau errichtet, liess sich durch klare Vernunftgründe schwer ankämpfen. Das luftige Gebäude der Phantasie wurde später noch mehr ausgeschmückt: es ist bis auf den heutigen Tag nicht ganz zerstört i). Das Geheimois des augeblichen Wunder- wirkens und Gewährens von Schutz gegen Gefahren verliert nicht so leicht seine Herrschaft über hypergläubige Gemüter besonders in der ungebildeten Menge. Astrologie. Unter den abergläubischen Verirrungen des denkenden Menschen- geistes ist die vornehmste die Astrologie, sowohl in Ansehung der Veranlassung, als der Art ihrer Kundgebung und Bethätigung. Der Sternenhimmel ist von jeher geeignet gewesen, den stärksten Eindruck auf das Menschengemüt zu machen. Das tiefblaue Firmament des Südens, gleich einer unermes suchen Kuppel über dem Haupte sich wölbend, wirkte wie magisch, mochte die Sonne ihr goldig 1) Mit ungeschwächtem Eiaflass erhielt sich der Glaube an die wunder- bare Wirkung von Wörtern und Figuren, die solche sog. Gottesnamen versinn- bildlichen, das ganze Mittelalter hindurch und feierte scheinbare Triumphe am Anfange der Neuzeit, wo dieses vermeintliche Wissen als das Höchste aller Weisheit angesehen wurde. Die ältere und jüngere Kabbala pflegte als be- sonderes Lieblingsstudium diese geheimste der Geheimlehren. Erzeugnisse dieser Eichtung wie die „Easielbiicher" wiederholen in unendlicher Fülle und Mannig- faltigkeit die in regellosen Permutationen gebildeten Namen, und die noch heutzutage allgemein in den östlichen Ländern zun Schutze der Wöchnerinnen gebrauchten Tafeln zeugen von dem Einfluss, welchen diese Anschauung aus- übte. Doch s. Güdemann, Gesch. des Erziebungswesen und der Kultur der Juden in Frankreich und Deutschland I, (Wien 1880) S. 218 ff. 63 strahlendes Lichtraeer blendend ergiessen oder die bleiche Silber- schale des Mondes zwischen dem Glänze ungezählter Sterne schimmern. Die Sinne waren wie trunken von all dieser Herrlichkeit, was seine Rückwirkung auf die Verstandesthätigkeit gewiss nicht verfehlte. Schon frühzeitig merkte der Mensch, dass die Sonne gar hohe Be- deutung für das Gedeihen alles Lebens habe; dass auch Mond und Sterne von nicht geringerer Wichtigkeit sein dürften, folgerte er aus dem Einflüsse, den sie, besonders der Mond mit seinen Phasen, auf ihn und seine Umgebung ausübten i). Die überwältigende un- vergleichliche Schönheit dieser Himmelskörper, ihre scheinbare oder wirkliche Bewegungen in unermesslichen Bahnen, ihre Unveränder- lichkeit liess ihn sie zu höheren, vollkommeneren Wesen machen, die über die niedrigeren, die Menschen, Gewalt und Herrschaft aus- üben und über ihr Leben und Geschick bestimmen. Der Sonnen- lauf, der Stand der Fixsterne bedingt nicht bloss die Jahreszeit, sondern auch alles, was auf der Erde geschieht. Veränderungen in Natur- und Menschenleben hängen vom Stande der Sonne, vom Wechsel des Mondes, von dem Auf- und Niedergange der Sterne ab; dadurch ist die Yerwirklichung von Plänen, das Gelingen oder Misslingen von Unternehmungen gewiss von ihnen beeinflusst. Diese Meinung herrschte allgemein im Altertume. Yon Babylonien bis Jonien, von Indien bis Arabien war sie verbreitet. Obschou mit dem Kultus dieser heidnischen Völker eng verbunden und zum Teil von ihren religiösen Anschauungen mit erzeugt, beschränkte sie sich nicht auf die alte Zeit, sondern rettete sich sogar nach Ab- schluss der letzteren ins Mittelalter hinüber, mn recht kräftig in der christlichen Welt sich zu entwickeln, ja sogar bis in unsere Tage 1) „Der Grundgedanke, von dem die Astrologie ausgeht, ist nicht ganz unwahr. Es kann keinem Anstände unterliegen, dass die Himmelskörper auf die Erde und die auf ihr befindlichen körperlichen Gebilde einen Einfluss aus- üben. Dieser Einfluss beschränkt sich sicher nicht bloss auf das von ihnen ausgehende Licht, sondern macht sich auch in einer Weise geltend, die der gewöhnlichen Sinnemvahrnehmung entrückt ist und nur durch das Gemein- gefühl empfunden wird. Wenigstens macht man die Erfahrung, dsss die mit einem gesteigerten Empfindungsvermögen ausgerüsteten Personen, welche man Mondsichtige, Ekstatische, Sensitive u. s. w. nennt, durch astralischen Ein- fluss berührt werden, während andere nichts davon verspüren«'. (Wetz 1er und Weites Kirchenlexikon, Art. Astrologie). Entschieden für den Ein- fluss der Gestirne auf den Menschen sprechen sich neuere Pathologen aus. VgL u. a. bei Lombroso, Genie und Irrsinn, die Abschnitte : Einfluss der Meteore auf geniale Menschen und auf Geisteskranke, sowie Einfluss der Ge- stirne auf die Geburt genialer Menschen. 64 hinein, wenn auch nur als schwacher Abglanz einstiger Herrlichkeit, in gewissen abergläubischen Vorstellungen fort zu leben. Noch heute sieht die Menge mit Angst und Bangen die Zeichen am Himmel und weiss der Kometen Erscheinen nicht anders denn als Yorzeichen nahenden Unglücks aufzufassen. Hatte auch die Bibel gegen diesen Zweig des Aberglaubens ebenso wie gegen jeden andern Stellung genommen, so war er doch bei dem mächtigen Einflüsse der Nachbarvölker nie ganz geschwunden i) und gelangte während des babylonischen Exils 2) zu neuer, unge- ahnter Blüte, Diese dauerte dann fort, bis die Astrologie in der talmudischen Epoche unter erneuertem babylonischen Einfluss trotz des Widerstrebens 3) einzehier Lehrer immer siegreicher auftrat und sich den Schein wissenschaftlicher Berechtigung zu geben suchte. Während die einen unter den Kabbinen zaghaft gegen sie auftraten, sie zwar nicht für nichtig erklärten — denn eine solche Behauptung wäre damals als etwas Ungeheuerliches angesehen worden — so doch deren Gesetze als für Israel nicht geltend hin- stellten, da der Einfluss der Gestirne sich lediglich nach dem Willen Gottes richten müsse, erkannten andere astrologische Behauptungen ohne jeglichen Yorbehalt als wahr an, wovon viele Aussprüche und Verhaltuugsmassregeln Kmide geben 'i). Hatte also die Astrologie die Autorität des Talmuds für sich, so musste sie immer mächtiger auftreten, was auch bei den Gelehrten der arabisch-spanischen Schule 1) II. Kön. 17, 16; 21, 3—5; 23, 11—12; Jesaias 65, 11; Jeremias 7, 18; 8, 2; Zephan. 1, 5; Arnos 5, 25 u. v. a. St. Mit dem an diesen Stellen ge- rügten Sterndienst muss jedenfalls auch Astrologie Terbunden gewesen sein; cfr. Scholz, Gottesdienst und Zauberwesen bei den alten Hebräern und den benachbarten Völkern. Eegensburg 1877 § 36, S. 409 ff. § 37, S. 412. 2) Vgl. S. Koskoff, Gesch. d. Teufels I.. S. 93: „Wie überhaupt im Alter- tum war die Astronomie auch bei den Babyloniern mit Astrologie versetzt" . . Das. S. 96 „Das Wesen der religiösen Anschauung des Chaldäers besteht in einer verständigen Berechnung aller Erscheinungen und deren Beziehung auf sich. Er stellt die Sternenmächte als geistig beseelte Wesen vor, von welchen Natur und Menschenleben abhängt, und schaut in den Bahnen der Himmels- körper das Gesetz aUes Lebens, also auch des eigenen, an, somit hat das relig. Bewusstsein des Chaldäers eine Ahnung von der Einheit, die im Leben waltet und es beherrscht." — Vgl. Mensinga, Über alte und neuere Astrologie Berlin, 1871. S. 13 S. 3) Talm. b. Pesachim 113 b ,Tnn a*an -iDKjtt? cn'rK yhH'v j'Ktr pa ♦TP*?« "i DU *) über Astrologie im Talmud s. D. Joel, Der Aberglaube, Heft L S. 93 ff. Brecher, Das Transcendentale etc. S. 148 ff. 65 fast durchgehend s der Fall war ^). Die Araber haben ihre eigenen 2) astrologischen Anschauungen mit denen der Chaldäer vereinigt und so jenes feste System für die Astrologie geschaffen, das herrschend und massgebend geblieben, so lange die Astrologie als eine Wissen- schaft bestand. Die jüdischen Gelehrten, von dieser Strömung be- einflusst, konnten sich um so rückhaltloser derselben hingeben, als eben auch der Talmud nur ein schwaches Veto dagegen einlegt, das oft wie Zustimmung klingt. Salomon ihn Gebirol entwickelt in seinem schwungvollen Gebete „Königskrone" die astrologische Be- deutung sämtlicher Planeten, stellt sie jedoch in den hehren Dienst Gottes'^). Abraham ihn Esra, sonst ein Feind des Aberglaubens, wirft sich dem der Sterne ganz in die Arme"*). Jehuda ha-Levi 1) Cfr. A. Schmiedl, Studien über die jüd. iasbes. jüd-arab. Keligions- philosophie. Wien, 1869 p. 289 £F. 2) ,,Die ursprünglichen Formen des religiösen Glaubens der Beduinen sind zwar durch Sabäismus, Judentum, Christentum und Islam verdrängt oder alteriert worden, es wird aber angenommen, dass schon früh Gestirnkultus ge- herrscht habe, wo die Gestirne nicht bloss als Zeitmesser, sondern als die Sitze höherer Wesen betrachtet worden seien, daher die Personifikation der Gestirne." Roskoff, 1. c. p.44. Über die astrologische Wissenschaft der späteren Araber s. Kremer, a. a, 0. II. S. 448 — 449: „Unter dem Einflüsse der den Arabern bald bekannt gewordenen Schriften der früheren asiatischen Kultur- völker begannen sie eine Theorie der Einwirkung der Gestirne auf die Erde und die Schicksale der Menschen auszubilden, und die allgemein herrschende Ansicht war bald die, dass die Ereignisse des menschlichen Lebens alle unter dem Einflüsse der Gestirne und ihrer Konjunktionen stünden; so brachte man die Eeligions Wechsel mit den ungefähr alle tausend Jahre stattfindenden so- genannten grossen Konjunktionen in Zusammenhang, die Dynastie Wechsel mit den alle 240 Jahre beiläufig eintretenden, die Personenwechsel der Herrscher mit den alle zwanzig Jahre wiederkehrenden Gestirnverbindungen. Aber auch das Schicksal der Menschen werde durch die Gestalt des Sternenhimmels und die Stellung der Planeten im Augenblicke der Geburt im voraus bestimmt. Und selbst die Gebildeten wurden von solchen Ideen beherrscht." Über das System der Araber vgl. Otto Loth, Al-Kindi als Astrolog in „Morgen- ländische Forschungen", Festschrift zu Ehren Fleischers. Leipzig, 1875- S. 263 £f. Über das Alter der Astrologie bei den Arabern cfr. Stein- schneiders Abhandlungen in ZDMG. bes. „Über die Mondstationen )Naxatra) und das Buch Arcandum", das. XVIII, 1864; dagegen spricht sich für ein viel höheres Alter aus Fritz Hommel, „Über den Ursprung und das Alter der arabischen Sternnamen und insbesondere der Monds tationen", das. XLV, 1891, S. 592—619. 3) Siehe dessen „Königskrone (Kether Malkuth)". *) So in seinem Komm, zu II. M. 32, 52: bv^ wbh^^^ hv niTUl bs "'S D-aw ma-iuan an D^ts-ien V. M. 4, 19: ini" aaa dui dö b:2b «?■> "3 «in noiia-ian 5 66 macht wohl Miene, die Astrologie zu bekämpfen, indem er sie als blosses Nachäffen der Prophetie hinstellt i) und ihre Nichtigkeit be- tont 2), giebt jedoch zu, dass der Mensch zu schwach sei, sich dem Glauben an ihren Einfluss ganz zu entziehen 3) ; einen gewissen Ein- fluss höherer Kräfte giebt er zu mit dem Yorbehalt, dass die Kenntnis desselben Gott allein zukomme. Er erklärt sich sogar bereit, das Richtige der Astrologie anzunehmen, wenn es dazu diene, die Aussprüche der Rabbinen zu stützen'^). Während so die Rück- sicht auf die Autorität der talmudischen Lehrer Jehuda ha-Levi da- hin führte, der Astrologie eine gewisse Berechtigung zu lassen, nimmt Maimuni, solchem Schwanken fern, in dieser Frage eine feste Stellung ein. Bedingt ist dieselbe durch seine Anschauung über Tel eologie, das Yerhältnis des Menschen zur Schöpfung und die Provi- denz. Sowohl ä) nach denen, welche die Ewigkeit der Welt an- nehmen, als auch nach denen, welche eine Schöpfung anerkennen, ist die Frage nach dem Endzweck der Dinge eine müssige. Nach ersteren kann von einem solchen nicht die Rede sein und nach letzteren wäre er im Willen Gottes zu finden. Wohl haben die Dinge alle einen ihnen innewohnenden, einen immanenten Zweck, den aufzufinden Sache der Naturforschung ist, aber der transcen- dente Zweck eines jeden Dinges ist allein im Willen Gottes zu suchen. Falsch ist daher die Annahme, dass der Mensch Zweck der /' n^ül TU h^h vr jdi "^im ferner V. M. IS. 10; 32, 8; Jesod More c. 9 und 10 u. s. w Vgl. Kerem, Chemed IV. p. 135. 1) Kusari I, 97; III, 63. 2) Das. IV, 23. 3) Das. V, 2. 4) Das. IV. 9 Cassel ed. 2 S. 322: „Wir leugnen ja auch nicht den Ein- fluss der höheren Kräfte auf irdische Ereignisse; wir räumen ein, das der Wechsel von Werden und Vergehen von der Sphäre abhänge. Aber die Ge- staltung kommt von dem, der sie leitet und führt, der sie zu Werkzeugen zur Vollführung alles dessen, was er über die Dinge bestimmt, gemacht hat, ohne dass wir die Verteilung kennen. Der Sterndeuter behauptet, diese zu kennen und zu verstehen, und darin eben widersprechen wir ihm und sagen, daes kein Sterblicher derartiges zu fassen vermag; findet sich übrigens in dieser Wissenschaft etwas der göttlichen, von unserer Lehre bezeichneten Weisheit Nahekommendes, so nehmen wir es gerne an und sind daher über das, was über Sterndeutung in den Schriften unserer Weisen vorkommt, beruhigt, weil wir des Glaubens sind, dass es eine Überlieferung von göttlicher Kraft her, und also wahr ist." 5) More, III, 13; Le Guide III, 82—98; Joel, Die Keligionsphilosophie etc. S. 42. 67 Schöpfung sei; es ist vielmehr jedes der Naturdinge um seiner selbst willen vorhanden. Denn wenn auch zugegeben werden kann, dass einige Dinge um anderer willen, wie die Pflanzen um der Menschen willen, da sind, so ist es doch ungereimt, das unermessliche All als für den Menschen allein geschaffen, anzunehmen. Ist nämlich der Mensch das höchste, vollkommenste Produkt des Stoffes, so wäre höchstens alles, was in der sublunarischen Welt sich findet, seinet- wegen da, insofern alles zur Erreichung der höchsten Vollkommen- heit hinstrebt. Der Mensch steht i) aber in gar keinem Verhältnis zu den Sphären und Intelligenzen, was Grösse und noch mehr was Wesensvollkommenheit anbelangt. Daher ist es ein innerer Widerspruch anzunehmen, dass diese ausgezeichneten Himmelskörper nur für den Menschen da sind. Der Nutzen 2), der den niederen Geschöpfen von ihnen zukommt — da ja die ganze sublunarische Welt durch die Bewegung der Sphären erhalten wird — ist nicht von diesen beabsichtigt, sondern nur Folge der Emanation ihrer Vollkommenheit 3). Betreffs der Providenz ist Maimunis Anschauung*), dass der Mensch frei und Gott gerecht ist. Alles Gute, das dem Menschen begegnet, ist Lohn und alles Böse Strafe. Der Grad der Providenz, die dem Individuum zuteil wird, richtet sich nach dem Grade seiner Erkenntnis Gottes. Sie erstreckt sich daher in der sublunarischen Welt nur auf die Menschen, da es diesen allein möglich ist, sich durch Denkthätigkeit einen unsterb- lichen Geist zu erringen und dadurch mit dem absoluten Geiste Gottes in Verbindung zu treten ä). Das Walten der göttlichen Vor- sehung ist also graduell verschieden, je nach der Führung des Einzelnen. Aber obschon Gottes Vorsehung sich auf alle erstreckt, und Gott alles voraus weiss ^), ist der Mensch dennoch in seinem Thun nicht determiniert. Das Wissen Gottes, wie das jetzt Mög- liche sich künftig gestalten wird, entzieht keineswegs dieses Mög- liche dem Bereiche der Möglichkeit. Diese Anschauung Maimunis machte es ihm unmöglich, die Astrologie, etwa wie Abraham ihn Esra, trotzdem er mit ihm die 1) More III, 14; Le Guide III, 101—102. 2) More III, 13; Le Guide III, 94. 3) More II, 11; Le Guide II, 95. 4) More III, 17; Le Guide III, 124 ff. s. Joel, Die Eeligionsphilosophie S. 46. 5) More III, 17 Ende, 18; Le Guide III, 135—136, 136—141. 6) More III, 20; Le Guide III, 151-152. 5* 68 herrschende Vorstellung von der Beseeltheit der Sphären teilt, anzu- erkennen. Er kann die Prinzipien einer astrologischen Wissenschaft nicht billigen, da dieselbe ein anthropocentrisches System und einen konsequenten Determinismus fordert. Beides schliesst Maimuni aus. Ist auf diese Weise seine Gegnerschaft begründet, so soll im Folgenden seine Darlegung näher beleuchtet werden, um zu sehen, mit welchen Mitteln er die Astrologie bekämpft. Er erklärt sie zunächt für nichtigen Schein, ja für beabsichtigte Täuschung und Fälschung. „Wisset,'' äussert er sich in einem Sendschreiben 1), „dass alle Behauptungen der Astrologen, sei es, dass sie die Zukunft vorhersagen, sei es, dass sie das Geschick des Einzelnen aus dessen Nativität bestimmen, keine Spur von Yerstand enthalten und durchaus Thorheit sind. Es stehen mir unwiderlegliche Be- weise gegen die Prinzipien dieser Afterwissenschaft zu Gebote. Es haben sich mit diesem Gegenstande auch keine griechischen Weisen, sondern nur Chaldäer und Ägypter beschäftigt und den Irrtum zum Range einer Wisssenschaft erhoben, weil in ihm ihre Eeligion und ihr Glauben bestand." Mit klarem Blick hat Maimuni erkannt, was auch die neueren Forschungen -) ergeben haben, dass die Astrologie das Produkt des Sternendienstes Mesopotamiens war, und hat es mehrfach betont, dass sie eine Fortsetzung des heidnischen Stern- kultus bildet). Die Ursachen des Sternendienstes, die wir nach Maimuni oben 4) entwickelt, haben in weiterer Folge auch für die Astrologie Geltung bewahrt. Die Vorstellung, dass die Sterne günstigen oder ungünstigen Einfluss ausüben, war geblieben, auch nachdem der Sternenkult aufgehört hatte, der zu dieser Vorstellung nur noch den Versuch hinzugefügt hatte, durch Opfer den Einfluss zu ändern. Maimuni ist somit nach seiner geschichtlichen Anschauung im Rechte wenn er auch die Astrologie auf die Völker, die er als Hauptver- treter des Sterndienstes ansieht, auf die Ssabier, zurückführt. Sie ») Kobez, II, 25a col. 2. 2) Vgl. Mensinga, Über alte und neuere Astrologie S. 13 ff., S. 19 ff. 3) „Im Sternendienst, dieser uralten Eeligionsform, wird dem Menschen der Gedanke der Naturnotwendigkeit gegenständlich, indem er in dem ewig Wandelnden ein ewig Bleibendes, d. h. das Gesetz ahnt, auf dem die unabänderliche Ordnung des Daseienden beruht. Im Sternendienst wird das Gesetz, die Konstellation, das Verhältnis der Sterne zu einander göttlich verehrt. Die Sterne verkünden das Ungeheure, Geheimnisvolle, Ewige, an welches der Mensch sein vergäng- liches Leben und sein Geschick geknüpft glaubt und zu knüpfen sucht.'' Roskoff, 1. c. I. S. 93. 4) S. oben Seite 19 ff. 69 haben, meint eri), die Sterne verehrt und ihnen Wirkungen zuge- schrieben , die sie nicht ausüben. Allein eine rieht ige astronomische Kennt- nis widerlegt die Voraussetzungen der Astrologie, die sich alle auf zwei zurückführen lassen '-). Die erste ist die Behauptung, dass es Glücks- und Unglücks Sterne gebe, die zweite, dass die Stellung desselben Sternes an dem einen Punkte eine günstige, an einem andern aber eine ungünstige sei 3). Beide Behauptungen erweisen sich als falsch, da die Beschaffenheit der Sphären überall die gleiche ist. Die Hauptbeweise für seine "Widerlegung hat Maimuni aber dem Gebiete der Theologie und Philosophie entnommen. Die Astro- logen behaupten*), dass die Geschicke des Menschen von den Sternen unabänderlich bestimmt seien. "Wäre dieses wahr, so wäre die ganze göttliche Gesetzgebung unnötig, überflüssig und unaus- führbar. Denn ist es einmal durch den Stand der Sterne ent- schieden, dass der eine reich, angesehen, glücklich, kinderreich, der andere arm, kinderlos, verachtet und unglücklich werde, w^as hilft diesem die genaue Befolgung der göttlichen Gebote, da ihm doch Gott gegen die Bestimmung der Sterne keinen Lohn gewähren kann, oder was schadet jenem jegliche Übertretung, da ihn keine Strafe zu ereilen vermag. Es wird auf diese Weise Gottes Macht durch die der Sterne aufgehoben. Ja, das Falsche der astrologischen An- schauungen ergiebt sich auch noch daraus, dass Gott überhaupt keine Gesetze hätte geben können, da der eine, je nach dem Zwange der Sterne, sie erfüllen und ebenso der andere sie übertreten müsste, während doch jede Gesetzgebung, mit der Strafe und Lohn ver- bunden ist, die Freiheit des Handelns voraussetzt. Alle Gebote und Yerbote müssten aufhören^), wenn der Mensch keine freie Wahl hätte, denn es wäre ungerecht, etwa einen Mörder für seine Mord- that zu bestrafen, wenn die Sterne es bewirkt, dass er der Mörder und jener der Getödtete sei; ebenso würden sich sonst noch die grössten Ungereimtheiten ergeben, wenn die Astrologie wahr wäre, und könnte dies nur zur Auflösung der menschlichen Gesellschaft fähren. Nach den Lehren der Astrologen bestimmt die Konstellation der Geburtszeit über YoUkommenheit oder Unvollkommenheit und 1) Mischnakomm. Adoda-zarah, IV, 7; vgl. More III, 29, 37, 46. 2) Mischnakomm. das. 3) Über Konjunktion und Opposition, so wie über die Einteilung der Häuser und deren Bezeichnung vgl. Mensinga, a. a. 0. S. 21 ff., Roskoff , 1. c. I, 94 ff.; Loth, Al-Kindi, die Noten zu S. 283 ff. 4) Kobez, IL 26a, col. 1 und 2. 5) Einleitung zu den „Sprüchen der Väter", Abschn.VIII; Pococke, p.235. 70 prädestiniert alle Handlungen des ganzen Lebens. Dass dieses falsch ist, darin stimmt die göttliche Lehre mit der griechischen " Philo- sophie überein, und beide beweisen mit wahren Gründen, dass der Mensch bei allen seinen Handlungen freie Wahl hat, dass ihn nichts zwingt, sich zur Tugend oder zum Laster zu neigen, ausser dass ihm infolge seines Temperaments die eine Handlung leichter, die andere schwerer, keine aber unmöglich wird. Aber auch schon aus folgender Betrachtung i) leuchtet das Falsche der Astrologie ein. Ist nämlich der Mensch zu allem nach unabänderlichen Gesetzen genötigt, so ist alles Lehren und Lernen, jegliche Unterweisung in Kunst und Wissenschaft eitles, vergebliches Bemühen, da es ja bei solcher Voraussetzung ganz unmöglich ist, dass nicht der Mensch auch ohne sein Hinzuthun, vermöge jener Macht diese für ihn bestimmte Wissenschaft kenne und jene Kunst ausübe, sowie diese Gemütsart annehme auch ohne jegliche Er- ziehung. Ein ebenso thörichtes Unterfangen wären in einem solchen Falle alle Yorbereitungen der Menschen, die die Sicherheit oder Be- quemlichkeit bezwecken, wie das Häuserbauen, Geldansammeln oder die Vorsichtsmassregeln gegen Gefahren und die Flucht vor ihnen, wenn das einmal Bestimmte nicht ausbleiben kann. Es sind aber die astrologischen Behauptungen gänzlich falsch und im Wider- spruche mit der Erfahrung, der Vernunft und dem göttlichen Ge- setze. Zweifellos und wahr ist dagegen, dass der Mensch in seinem Verhalten vollkommen frei ist, ohne jede Beschränkung seitens der Sterne. — In solcher Art zeigt Maimuni das Unrichtige der Astro- logie, indem er ihre Konsequenzen zieht, die im Widerspruche mit der Vernunft und den thatsächlichen Verhältnissen stehen. Als weiteren Beweis gegen die Astrologie führt Maimuni an, dass ihre Vorherbestimmungen nicht eintreffen und nicht eintreffen können. Die Astrologen behaupten 2), dass die Konjunktionen bestimmen, ob einem Volke Glück oder Unglück bevorstehe, dass aus den Konstella- tionen der Sterne zu erkennen sei, ob ein bedrücktes und gedemütigtes Volk wieder zu Kraft und Blüte erstehen, ob eine im Vollbesitze ihrer staatlichen Unabhängigkeit befindliche Nation besiegt und unterjocht werden werde 3). Nun hat aber die Geschichte dieses 1) Das.; cfr. Pococke, p. 234. 2) Sendschreiben an die Gemeinden Yemens. Kobez, II, 5 a, col. 2, 5 b. col. 1 und 2. 3) Auch in der politischen Geschichte der arabischen Herrschaft gaben die Konstellationen und Konjunktionen vielfach Veranlassung zu Aufständen, 71 Voraussagen Lügen gestraft. Denn gerade zur Zeit Moses ver- kündeten sämtliche ägyptischen Astrologen in völliger Überein- stimmung, dass Israel nie zur Selbständigkeit gelangen, nie das schwere Joch des harten Frondienstes abschütteln werde. Es ge- schah aber, dass während die Astrologen sich bemüssigt sahen, die tiefste Erniedrigung des Volkes zu prophezeien, es zur höchsten Vollkommenheit ausersehen gewesen. In gleichem Irrtum befanden sich die Astrologen in Bezug auf Ägypten, dem sie höchstes Glück, gesunde klimatische Verhältnisse, Fruchtbarkeit, Wohlergehen und Frieden voraussagten, während gleichsam ihnen zum Hohne damals die schwersten Plagen und Unglücksfälle über dasselbe hereinbrachen. — Als ebenso trügerisch zeigt uns die Geschichte die Kunst der Astrologen in Babylon. Dort verkündeten Sterndeuter und wer sonst sich weise dünkte, den Schleier der Zukunft zu lüften, ein- stimmig, dass Babylon erst am Anfange seiner Macht und Herrlich- keit stehe, und schon war dessen Sturz im Anzüge. — Es haben somit weder die grossen noch die kleinen Konjunktionen irgend welche Bedeutung; ebenso bedeutungslos und unwahr, wie in Bezug auf Völker, ist die Astrologie in ihrer Nativitätstheorie in Bezug auf Individuen, nach welcher die Anlagen und Fähigkeiten des neugeborenen Kindes von der Konstellation abhängig sein sollen. Diese Theorie bestimmt, dass alle unter der „erdigen Triplicität" i) Geborenen geistiger Anlagen völlig bar sind. Zu ihrer Widerlegung reicht die Thatsache hin, dass, wie sich berechnen lässt, unter dieser Triplicität nicht bloss die Stammväter Abraham, Isak und Jakob ge- boren wurden, bei denen schon von einem solchen Einflüsse nicht gut die Rede sein kann, sondern auch der König Salomo, der weiseste unter den Menschen- Nichtig also und falsch ist diese scheinbare Wissenschaft. ,, Schaffe sie daher weg aus deinem Herzen, halte von ihr frei deinen Sinn, und reinige deinen Geist von ihr, wie man Kleider vom Schmutze rein wäscht. Das ganze Gebäude der Astrologie ist unhaltbar. So zeigt es sich dem wahren Weisen, selbst wenn er nicht Anhänger der göttlichen Lehre ist, um so mehr muss es erst diesem als leerer Wahn erscheinen^.") Dieses verwerfende Urteil ist bei Maimuni das Resultat eifrigen indem die unterjochten Völker aus ihnen Hoffnung auf Freiheit schöpften. Vgl. Loth, 1. c. 269; Chwolson, die Ssabier I, 288 Anm. 3. 1) „Trigonus terreus" cfr. Loth, 1. c. p. 292 n. 3; ibid. p. 296 n. 2: Mensinga, Über alte und neuere Astrologie. S. 21. 2) S. Kobez, das. 72 Forschens. Er hat, laut seiner eigenen Aussage^), sich viel mit diesem Gegenstande, der zu seinen ersten Studien gehört hatte, be- schäftigt und die ganze ihm zugängliche arabische Litteratur gründ- lich durchforscht. Die einmal gewonnene Überzeugung trägt er mit aller Entschiedenheit vor und spricht über dieses Thema gegen seine sonstige Gepflogenheit i) öfters und ausführlich. Alles dies hat den Zweck, diesen so tief eingewurzelten Glauben an die Macht der Sterne aus dem Herzen seiner Glaubensgenossen zu bannen. Er wusste, dass er es hier mit einem Zweige des Aberglaubens zu thun habe, der von jeher des Menschen Sinn gefangen gehalten, sowohl durch die scheinbar wissenschaftliche Methode, als auch durch das Berückende des Gegenstands selbst. Schmeichelte es doch dem, der sich der Herr der Schöpfung zu sein einbildete und alles für sich geschaffen wähnte, in den strahlenden, leuchtenden Hinunels- körpern sein Schicksal zu lesen, jene ewigen, unvergänglichen Wesen zu Freunden oder Feinden zu haben. Einer strengen Zurückweisung bedurfte es aber auch deshalb, weil die Astrologie ihre Stütze, wie wir am Anfange dieses Kapitels gezeigt haben, nicht bloss in der zeitgenössischen Richtung, sondern auch in der Autorität vieler Rabbinen hatte. Maimonides schloss sich der Richtung des Talmuds an, die den siderischen Einfluss verwirft; die Aussprüche der an- deren Rabbinen Averden von ihm rationell erklärt. Mit R. Akiba'-) hält er 3) die „Meonnenim'^ für Sterndeuter, die nach astrologischen Regeln angeben, ob ein Tag günstig oder ungünstig, geeignet oder nicht geeignet sei, ein bestimmtes Werk zu beginnen. Er betrachtet als ein Vergehen gegen das göttliche Verbot schon das blosse Mit- teilen solcher Nichtigkeiten, selbst wenn man sich nicht darnach richtet. Den so oft im Talmud vorkommenden Ausdruck vlb (Mazzäl) erklärt er*) als Bezeichnung für Stern und Sphäre. Nun ist es nach seiner Anschauung Thatsache, dass die sublunarische Welt durch die von den Sphären ausgehenden Kräfte erhalten wird, und zur Bezeichnung dessen gebraucht der Talmud den Ausdruck Mazzäl. Es ist dies also der Ausdruck für die ewig wirkenden Naturkräfte S) Sendschreiben nach Marseille, Kobez, II, 25 a col. 1. 1) Cfr. a'';tr3 im« n''tt'a ti-'N-i kS inK p-iB2 "h:: niobnn n"»'? ^h nursK r\^n ibi Kobez IL 10 a col. 2. 2) Talm. b. Sanhedrin 65 b. 3) Hilch. Akkum c. XI, §§ 8—9. Voss, de idolatria p. 152—153. c. XI, §§ 9-10. -i) More II, 10; Le Guide II, 84. 73 als den physischen Einfluss der Sterne. In diesem Sinne heisst es ^) : „Es giebt keine Pflanze auf der Erde, die kein Mazzäl im Himmel hätte, das sie zum Wachsen zwingt", was nichts weiter besagt, als dass jede Pflanze von der ihr entsprechenden Sphärenwirkung die Kraft zum Wachsen erhält. Wenn es nun ferner heisst 2), „für Israel gilt kein Mazzäl", so will dies besagen, dass Israels Glück und Unglück nicht allein abhängt von den natürlichen Ursachen und dem gewöhnlichen Laufe der Dinge, sondern bedingt ist durch die Befolgung oder Ausserachtlassung der göttlichen Gebote 3). Maimuni besitzt auch den Mut, es auszusprechen, dass man sich in Bezug auf die Astrologie, deren Nichtigkeit er nachgewiesen zu haben glaubt, selbst nicht auf talmudische Autoritäten, wenn diese für sie eintreten, stützen darf. „Ich weiss," schliesst er sein Send- schreiben an die Gemeinde von Marseille*), ,,dass ihr in Mischna, Talmud und Midrasch Aussprüche einzelner Eabbinen findet, welche besagen, dass die Sterne zur Zeit der Geburt auf den Menschen einen bestimmenden Einfluss ausüben, es möge euch jedoch dies nicht auffallen. Denn wie man eine feststehende Entscheidung nicht in Kücksicht auf Diskussionen übergehen darf 5), ebenso darf man nicht durch Beweise erhärtete und der Yernunft entsprechende Dinge verwerfen und die Meinung eines einzelnen Weisen beachten. Es ist ja möglich, dass ihm zur Zeit, als er einen solchen Ausspruch that, die biblische Bestimmung nicht gegenwärtig war, oder dass in solchen Aussprüchen nur irgend eine Anspielung auf Zeit und Umstände enthalten ist. Dies kann um so mehr angenommen werden, da selbst Bibelverse bekanntlich nicht immer wörtlich auf- zufassen sind, wenn der wörtlichen Aufl'assung die Vernunft- erkenntnis entgegensteht, was ja schon die alten Versionen berück- sichtigt haben. So gilt, wie überhaupt, namentlich betrefi's der Astrologie der Grundsatz, dass man nie eigene Einsicht hinter sich werfe und missachte, denn der Mensch hat seine Augen nicht hinten, sondern vorn." So entschieden ist Maimuni in der Verurteilung der Astrologie ; dies charakterisiert besonders die freie, klare Denkweise dieses 1) Bereschit rabba c. 10. 2) Talm. b. Sabbat 15b. 3) dTian n'"'nn naxa Kobez, ii, IIa col. 2. 'tki^'''? bra ]'k i-iök nt •'jeai nai rnnün rhn: ihn niK'^cian :n:a hv ifh^ n'aats nsob crK D-iDsm DJipntr b'n *) Kobez II, 26 a col. 2. 5) Es ist dies ein halachischer Grundsatz. 74 Mannes, wenn man erwägt, in welchem Ansehen die Astrologie damals stand. Nicht nur dass man alle Beziehungen der Menschen unter einander von den Sternen geregelt und bestimmt, des Einzelnen Geschicke bis ins kleinste von ihnen beeinflusst wähnte, sondern auch die Wirksamkeit von Natur und Kunst hielt man erst dann für möglich, wenn die Sterne sie zuliessen. So war insbesondere die Arzneikunst von der Astrologie beeinflusst; von den Sternen hing es ab, ob eine Medicin Wirkung ausübe oder nicht, ja, ob sie überhaupt angewendet werden dürfe, wobei man nicht bloss mit dem Einflüsse der Sterne auf den ganzen Körper, sondern auch mit dem auf jeden seiner Teile zu thun hattet). Aber Maimunis tadelnde Stimme verhallte fast ungehört; er war nicht imstande, den Glauben an die Yorausbestimmung durch die Sterne und ihre Macht aus dem Herzen seiner Glaubensgenossen ganz zu tilgen. Die allgemein herrschende Anschauung gewann die Oberhand über die Sprache der Vernunft. So beruft sich Abr, b. David aus Posquieres bei der Bekämpfung der Ansicht Maimunis betreffs der Willensfreiheit auf das Yorauswissen der Astrologen und nimmt es als etwas Fest- stehendes an, dass Gott alles, was den Menschen betrifft, der Gewalt der Sterne überantwortet habe 5). Wie für diesen ist auch für Nachmani die Astrologie eine über jeden Zweifel erhabene Wissen- schaft. Seine Ansicht geht dahin, dass die Gestirne einen all- mächtigen Einfluss ausüben, wogegen die Menschen nichts vermögen; dagegen seien die Engel und Führer der Sphären imstande, nach der ihnen von Gott verliehenen Gewalt die Konstellationen zu ändern 3). 1) Über die Bedeutung der Astrologie für die damalige Medicin, vgl. Sprengel, Versuch einer pragmatischen Geschichte der Arzneikunde. Halle 1793. II T. S. 124 ff.; Roseustein, Über Aberglauben und Mysticismus in der Medicin. Berlin 1866. S. 14 ff.; Carl Meyer, Der Aberglauben des Mittelalters, Basel 1884. S. 16—24; Schindler, 1. c. S. 235; Mensinga, a a. 0. S. 32; Soldan-Heppe, a. a. 0. S. 103, 2) Glosse zu Hilch. T'schuba c. V, § 5 iiDö "JHJn ]1tDp n-ipa b^^ un^ laini mbian naa «-itan. Um jedoch nicht die "Willensfreiheit zu leugnen, fügt der orthodoxe Rabbine hinzu, dass bei und trotz alle dem es dem mit Vernunft begabten Menschen möglich sei, diese so zu gebrauchen, dass er sich jenem Ein* flusse entziehe: nan Kim bttzn npina r\ü'sh ip^nia inrrh barn ia injir k^k barn PID c»" DK ruaii hian na nr K-inm r-i ik aito inrn'? dtkd jinn Kb DK ITö nh 'lK''3{inb. Das Gezwungene dieser Erklärung ist augenfällig; vgl. Kusari, V, 20. 3) Bibelkommentar zu V. M. 18, 10. Vgl. das. V. M. 4, 19; 32, 7; ferner Dissertatio p. 9, wo er auch erklärt, dass die Astrologie aus der aller- ältesten Zeit stamme. 75 Diese Anschauung, nach welcher die unabänderlichen Gesetze der Bewegung der Himmelskörper zum Spielball der Willkür werden, hat einen ganz folgerichtigen Zusammenhang, wenn der Mensch der Mittelpunkt der Welt ist, wenn alles nur dazu da ist, sein Geschick zu regeln; ihm die ewigen Beschlüsse zu verkünden. Nachmani geht hierin so weit, dass ihm die Zeichen des Tierkreises, die für die einzelnen Monate gelten, im Zusammenhange mit den biblischen Geboten, auf die sie hinweisen sollen, zu stehen scheinen i). Wie Nachmani so ist auch sein Schüler, Salomon ihn Adereth, von der Richtigkeit der Astrologie überzeugt 2) und ebenso fast alle späteren gelehrten Rabbinen und Religionsphilosophen. Obgleich Maimuni das astrologische Wählen der Tage für Übertretung eines biblischen Yerbotes und die Astrologie selbst als Ausfluss des Götzendiensts erklärte, blieb mit dieser auch jenes bestehen. Der abergläubische Sinn suchte sogar in den Worten der heiligen Schrift einen Anhalts- punkt für seine grundlos Furcht zu finden 3). Das Mittelalter mit seiner mystischen Versenkung in die Zukunft bei einer meist trostlosen Gegenwart war unter allen Zweigen des Aberglaubens diesem am geneigtesten. Das Gefühl und die dunkle Ahnung, dass die ganze Welt in einem innigen Zusammenhange, in einer kausalen Verkettung stehe, fand in dieser Kunst ihren Aus- druck. Das war die Ursache, dass die erleuchtetsten Männer der Wissenschaft, von Albert d. Grossen bis auf Melanchthon, mit Eifer 1) Dissertation p. 4. Die Wage ist das Zeichen für den Monat Tischri, um anzudeuten, dass Gott in diesem Monat Gericht hält und die Werke der Menschen wiegt, "^v inx^ia nVnnai n:v:n tt?Knn lö'riy ]i nr'.iü mn na« dk D'SIKB irinn 'Tiött? Ü^oa;a rnrnlb IS lam jD ID'' nblU und in ähnlichen Worten Bibelkomm. III M. 23, 24: bhsi u 'D D'JiKö mn u>":nnur D'air:: niK nn r"" a:^ 2) Vgl. seine Gutachten No. 148, 409, 652, 825 und insbes. No. 413. 3) Bis auf den heutigen Tag werden in gewissen Gegenden die Tage des abnehmenden Mondes als ungünstig für wichtige Unternehmungen betrachtet, so dass noch bis vor kurzem in Polen und Russland Ehen zu Ende des jüdischen Monats nicht geschlossen zu werden pflegten, da man sicher glaubte, dass solche unglücklich sein würden. Der Montag wird überhaupt als Unglückstag angesehen, und man will einen Beleg dafür in der Schöpfungsgeschichte finden, weil die Bibel bei diesem Tage den Ausdruck iits "3 (da es gut ist) nicht ge- braucht. Anklänge an eine solche Anschauung finden sich bereits Berresch, rabba c. 4. Maimuni schliesst sich (More I, 30; Le Guide I, 242) auch hierin der rationellen Erklärung an, dass dieser Ausdruck deshalb beim zweiten Tage fehlt, weil das Werk desselben erst am dritten Tage völlig vollendet wurde, wodurch auch die zweimalig Wiederholung dieses Ausdruckes beim dritten Tage erklärt ist. 76 ihr oblagen, und dass selbst die Erneuerung der Wissenschaft am Anfange der Neuzeit weit entfernt war, ihr Abbruch zu thun, sie erst recht zum Gegenstande eifriger Pflege machte und als Aus- gangspunkt für höhere naturwissenschaftliche Studien betrachtete i). Wenn dies viele Jahrhunderte nach Maimuni der Fall ist, so können wir einerseits diesem Manne unsere Bewunderung nicht vorenthalten, zugleich es auch wohl verstehen wie sein Streben, seine Glaubensgenossen über ihre Zeit hinauszuheben, nicht von 1) Gerade mit dem Wiederaufleben der classischen Studien beginnt auch für die Astrologie ein neuer Aufschwung. Agrippa von Nettesheim und Paracelsus geben ihr ein neues Gewand und sind für ihre Verbreitung be- sonders thätig. Die berühmten Astronomen Kepler, Tycho de Brahe, die durch ihre epochemachenden Entdeckungen die Astrologie in ihren Grundprin- zipien untergruben, waren selbst auch Astrologen und machten ihre Entdeckungen im Dienste des Kaisers Kudolf IL, eines der grössten Verehrer der Astrologie. Auch die Medicin hatte sich um diese Zeit noch nicht von dem astrologischen Einflüsse frei gemacht. Vgl. Sprengel 1. c. II S. 575. Einer der berühmtesten Ärzte des 16. Jahrhunderts, um so berühmter, eben weil er seine Arzneikunst mit der Astrologie verband, Cardanus (gest. 1578) sagt (angeführt bei Schindler, Der Aberglauben u. s. w. S. 236 Anm.): „Was uns Zufall scheint, muss eine Ursache haben; Dämonen können es nicht thun; denn hätten sie Macht, so würden sie den Bestand der Welt vernichten; also müssen es die Sterne thun» denn nirgends anders finden wir eine so bewunderungswürdige Weltordnung. So ein Arzt will auslegen, zählen und nennen die Krankheiten, so lehrt ihn das der Himmel: denn er zeigt an aller Krankheiten Ursprung, Materie und was dieselben sind, und weiter ist uns kein Wissen von Krankheiten, denn allein was da anzeigt der Himmel. Hieraus folgt nun, dass wir in der Heilung zu schreiben auch keinen weiteren Grund haben, zu ordnen und zu setzen nach unserem Gutdünken als allein, vras wir aus der Anzeigung der grossen Welt lernen und sehen. Denn in so viel Teile teilen sich die Krankheiten in so viele Teile die Gestirne, in so viel Ursprung, in so viel Gewächs. So vie^ Namen der Sterne, so viel Geschlechter der Krankheiten. Die ist Martis, die Lunä, die ist Sagittarii, die Leonis, die Poli, die Ursä und also lässt sich die Natur in den Krankheiten nicht anders ergründen." Ähnlich meint Paracelsus (angeführt das.): „Alle Planeten haben im Menschen ihr gleich Ansehung und Signatur und ihre Kinder, und der Himmel ist ihr Vater, denn der Mensch ist nach Himmel und Erde gemacht. So er nun aus ihnen gemacht ist, 80 muss er seinen Eltern gleich sein als ein Kind, das seines Vaters alle Gliedmassen hat. Also hat der Mensch seinem Vater gleich. Sein Vater ist Himmel und Erden, Luft und Wasser. Dieweil nun sein Vater nun Himmel und Erden sind, so muss er all ihre Art haben, und all ihr Teil und nicht eines Härleins mangeln. Darum aus dem folgt, dass der Arzt das wissen soll, dass im Menschen sein Sonn und Mond, Saturn, Mars, Mercur, Venus und alle Zeichen, der Bolus articus und antarticus, der Wagen und alle Quart im Zodiaco." 77 Erfolg gekrönt werden konnte. Es muss genügen, wenn ein Einzelner ohne Scheu seine richtige, den falschen Zeitanschauungen entgegen- stehende Erkenntnis verkündet. Die wunderbare Kosmogonie des 12. Jahrhunderts konnte der Astrologie nicht entraten, jetzt, da beide in ihrer Nichtigkeit erkannt sind, dürfen wir Maimunis klarem Geiste den Zoll der Anerkennung nicht versagen. Zauberei und Wunderkuren. Ein Zweig des Aberglaubens, der seit den ältesten Zeiten weite Verbreitung gefunden und für den gesamten Aberglauben geradezu als charakteristisches Merkmal gilt, war das Zauberwesen, in welchem seine Wahnvorstellungen zur praktischen Bethätigung gelangten. Dämonenglauben und Astrologie konnten nur im Menschen das Gefühl der Schwäche, dessen Bekämpfung eigentlich ihre Yeranlassung gewesen, noch erhöhen; dass er sich als ein Spiel guter und böser Geister betrachten musste, dass er sein Schicksal in der wunderbaren, aber unabänderlichen Schrift der Himmelszeichen vorgezeichnet fand, war nicht geeignet, sein Selbstbewusstsein zu erhöhen, konnte viel- mehr nur dazu führen, dass er schliesslich in dumpfer Resignation alle ihm angeborenen höheren Fähigkeiten brach liegen Hesse. Allein ein Zustand des ruhigen Abwartens und Harrens ist dem Menschen unerträglich; ihn zwingt seine Natur, mit kühner Entschlossenheit doch selbst einzugreifen und den Kampf mit den ihm entgegen- stehenden widrigen Mächten aufzunehmen. Diesem Sichaufraffen, dieser energisch eingreifenden Selbsthilfe hat er einerseits die grössten Siege auf geistigem und kulturellem Gebiete zu verdanken, anderer- seits waren sie aber auch Veranlassung der tiefsten und traurigsten Verirrungen, sobald er sich in seiner Kühnheit vermass, die ihm von der Natur gesetzten Schranken zu durchbrechen. Dies war der Fall, wenn er das Übersinnliche zur Erreichung sinnlicher Zwecke gebrauchen wollte. Mit dem Glauben und der Vorstellung, dass sein Geschick von guten und bösen Geistern abhänge, verband sich das Bestreben, mit diesen Geistern in Verbindung zu treten, um so die Macht, die jene über die Natur haben, sich dienstbar zu machen. Er beschränkte sich nun aber nicht darauf, sich die Geister durch Bitten günstig zu stimmen, sondern ging zur That über, welche einerseits als eine den Geistern angenehme Handlung ausgeführt wurde, durch welche sie veranlasst werden sollten, Gegendienste zu 78 erweisen, andererseits den Zweck haben sollte, die Geister wider ihren Willen mit Gewalt zu gewissen Diensten zu zwingen. Solche Handlungen waren eben Zauberei i). Sie bestanden zumeist aus leeren, sinnlosen Formen. Mit ihrer Hilfe gaben Zauberer vor, die wunder- barsten und vernunftwidrigsten Wirkungen vollbringen zu können, dabei zielten sie auf die Erregung der niedrigsten Leidenschaften ab, um so die grosse Menge zu umstricken und irre zu leiten. Die Zauberei, die es sich so zur Aufgabe macht, den Menschen Schutz gegen die bösen Geister zu gewähren und die Gunst der guten zu verschaffen oder mit Hilfe ersterer im Dienste der Sünde die von letzteren gewahrte Weltordnung zu ändern, geht von einer dualistischen Weltanschauung aus und ist, abgesehen von ihren weiteren Konsequenzen, mit dem Monotheismus unverträglich. Die Geschichte lehrt auch, dass thatsächlich das Zauberwesen seine grösste Entfaltung in der Zendreligion gefunden hat, wogegen der Mono- theismus der Bibel dasselbe am schroffsten abgewiesen. Wie das göttliche Gesetz dem Götzendienste streng entgegentritt und ihn mit den härtesten Strafen belegt, so thut es ein Gleiches betreffs des Zauberwesens. Wo die Tliora aber von Zauberei der Götzendiener berichtet, da geschieht es, nur um auf ihre Nichtigkeit 2) hinzuweisen. In gleicher Weise wird in den prophetischen Büchern gegen das Zauberwesen geeifert und das trügerische Thun der Zauberer ge- geisselt, nur die Erzählung von der Zauberin von Endor scheint eine Ausnahme zu bilden 3). Die talmudische Zeit verhält sich in Bezug auf diese Art des Aberglaubens, wie in betreff der übrigen: die einen unter den Rabbinen weisen sie rundweg ab, die anderen sehen die Zauberei als wirksam an, nur dürfe der Bekenner des ewigen Gottes, meinen sie, dieselbe nicht praktisch ausüben. Da die Majorität sich dieser letzteren Ansicht zuneigt, so finden sich in den halachischen Be- stimmungen manche, die ihren Grund in diesem falschen Glauben haben. Die talmudische Ansicht blieb dann massgebend für die 1) Der Zauberglaube ist das Ergebnis einer verirrten Reflexion über die Causalität der Naturerscheinungen und über die Bedingungen und Schranken, innerhalb deren sich der Mensch zur Ausübung seiner Herrschaft über die Dinge der sichtbaren Welt berufen weiss. Solden-Heppe, Gesch. d. Hexen- processe, I. S. 8, 2) So vermögen die Zauberer nichts gegen die Wunder Moses. 3) I. Sam. c. 8, 3—21. Über die verschiedenen Erklärungen der jüdischen Gelehrten s. D. Joel, Der Aberglaube. Heft I, S. 30—46. 79 gaonäische Zeit, in welcher jedoch unter äusserem Einfluss, wie es beim „Dämonenglauben", — mit welchem Magie und Zauberei eng zusammenhängen — , erörtert wurde, die Ansicht von der Wirksam- keit des Zaubers sich verstärkte. Dazu trugen noch die damals in grosser Menge auftauchenden , mystischen Pseudepigraphien das ihrige bei. Unter ähnlichen Verhältnissen befanden sich die Ge- lehrten der arabisch-spanischen Schule, nur dass bei ihnen noch der Einfluss des im Abendland bereits herrschend gewordenen Teufels- glaubens dazu kam i). In den Schriften jener Epoche bemerken wir daher ein Schwanken vom schroffsten Verdammen bis zum blinden Anerkennen der theurgischen Praktiken. Während ein gewisses Ge- fühl sagte, dass sie unjüdisch und dem Geiste des Mosaismus wider- sprechend seien, waren sie durch die Gewohnheit geheiligte Bräuche geworden, die sich auf die Autorität so berühmter Männer beriefen, denen man gar nicht einen Widerspruch gegen die heilige Lehre zu- 1) „Im Punkte des Wunderbaren Hessen sich unsere Vorfahren viel ge-f fallen. — Bei den willkürlichen, allgemein angenommenen Kosmogonien war die wunderbare Erklärung die Grundlage selbst des gemeinen Wissens und das Übernatürliche der wesentliche Bestandteil des Lebens. Das gewöhnliche Einschreiten himmlischer und höllischer Mächte, bei allen irdischen Begeben- heiten bildete einen Hauptartikel im Glauben unserer Väter. — Durch jedes glückliche oder unglückliche Ereignis, welches den Geist oder Körper traf, sah man stets das Lächeln der Engel oder die Grimassen des Teufels hindurch- schimmern. Diese naiven Glaubensansichten hatten ihren ganzen Grund in der Art und Weise, wie man sich damals das Weltall dachte. Bei dem System, das bis zur Erfindung des Fernrohrs dauerte, war das Universum in drei abgesonderte, aber am Rande aufeinandergesetzte Teile geschieden. Im Centrum des oberen Teils thronte Gott, umgeben von einem himmlischen Hof- staate nach dem Muster und dem Zuschnitte des Hofstaats unserer Könige. Im unteren Teile war die Hölle, der von Lucifer und seinen schauerlichen Legionen bewohnte Abgrund. Zwischen diesen beiden Reichen, dem Reiche des Guten und dem Reiche des Bösen, befand sich die Erde, allein bevölkert von verantwortlichen Wesen und abhängig von den Wandlungen der vier Elemente und den unumstösslichen Schranken der Stunden und Jahrhunderte. Auf diesem dritten schweren und starren Weltteil litt und stritt der Mensch, um- schichtig hin- und hergezerrt von den Boten der beiden anderen Regionen, die sich mit der Geschwindigkeit des Wunsches überall hinversetzea und ganz beliebig verkappten. Was für einen Gebrauch konnten die so eingeklemmten, geängstigten und scharf beaufsichtigten Menschen von ihrer Vernunft machen? Die Willkür umstrickte sie von allen Seiten, und die nach gesetzraässigen Hergängen forschende Wissenschaft stiess sich bei jedem Schritt und Tritt an Zauberei." , . . Eduard Koloff, Die sagenhafte und symbolische Tiergeschichte des Mittelalters, in Raumers Hist. Taschenbuch. 4. Folge 8. Jhrgng. Leipzig 1867. S. 265—266. 80 muten konnte i). Dem Auge jener Zeit fehlte der kritische Blick, das Unterschobene vom Echten zu scheiden, den Gelehrten der Mut, gegen Autoritäten das als falsch Erkannte zu verdammen. Ein Mann von so weitgehender Rücksichtslosigkeit im Dienste der Wahrheit war Maimuni. Nach dem, was in den früheren Abschnitten über seine An- schauungen ausgeführt worden ist, dürfen wir von ihm eine ent- schiedene Zurückweisung des Zauberwesens erwarten. Er, der Engel bloss als Sphärengeister ansah und die Realität von Dämonen leugnete, konnte eine mit Hilfe übersinnlicher Kräfte wirkende Zauberei und Mantik nimmer zugeben; er musste sie aber auch aus dem Grunde verwerfen, weil sie allen als Kausalverhältnisse von Ursache und Wirkung feststehenden Naturgesetzen, wie der Vernunft überhaupt Hohn spricht. Maimuni sah die Zauberei und Mantik als das an, was sie wirklich ist, als eine zum Teil mit wirklichen, aber ge- heimen Mitteln wirkende Kunst, bei der jedoch ein eventuell sicht- barer, erzielter Erfolg auf Rechnung des aufgeregten Sinnes und der Phantasie zu setzen ist. So charakterisiert er schon in seinem Jugendwerke Zauberer und Wahrsager mit folgenden Worten'^): „Ich behaupte, dass Wahrsager, Sterndeuter und die anderen Mit- glieder der Zunft, die die Zukunft voraussagen, notwendiger Weise nur zum Teil das Richtige verkünden, meist aber Falsches. Wir erfahren es selbst, und auch jene Geheimkünstler müssen es zugeben. Die Wahrsagung der Berühmteren mag etwas mehr Wahres ent- halten, als die der anderen, aber in allen Punkten trifft auch sie nie zu. Ja, die Besitzer angeblich höherer Kräfte rühmen sich selbst nicht einmal dessen, dass sie in allem Recht behalten. Ihre Vorausbestimmungen sind vielmehr derart, dass, wenn sie etwa einem Jahr Dürre verkünden, es bloss wenig regnet; oder dass ein Regen, den sie für den nächsten Tag aussagen, erst am dritten fällt, und dem Ähnliches. Selbst dies ist nur der Fall bei den berühmten Wahr- sagern, d. h. bei solchen, die besodners kundig sind der Regeln ihrer Kunst." Maimuni schränkt so die Kunst der Mantik auf eine ungründliche Erfahrungswissenschaft ein. Denn, indem er den An- sichten derjenigen Rabbinen, die eine Möglichkeit der Wahrsagerei be- haupten, sich scheinbar anschliesst, giebt er doch nur so viel zu, dass ein annäherndes Zutreffen möglich ist bei denjenigen, die in ihrer Kunst wohl bewandert sind, nicht bloss die Formeln, sondern 1) Ibn Ader et, Gutachten No. 408 und 413. 2) Einleitung zum Mischnakommentare ; Pococke, Porta Mosis p. 21 ff. 81 auch die Erfahrung, aus der sie abgeleitet sind, kenneu. Ferner zeigen die Beispiele, die er wählt, auf welchem Gebiete er sie gelten lassen will. Allgemeine Naturerscheinungen lassen sich bei einer längeren genauen Beobachtung mit teilweiser Sicherheit voraussagen. Es wäre nach ihm so auch die Voraussagung der Hexe von Endor zu eben dieser Gruppe zu rechnen. Die Frau, mit den Verhältnissen wohl vertraut, verkündet dem Könige Saul einen seiner Mutlosigkeit ent- sprechenden Ausgang der Schlacht. Wenn Maimimi an unserer Stelle den Wahrsagern höchstens die Unsicherheit ihrer Orakel vor- zuwerfen hat und so noch glimpflich über sie urteilt, so spricht er sich in seinen Hauptwerken geradezu verdammend über sie aus und nennt die Werke der Theurgie einen Götzendienst. Ehe wir fortfahren, müssen wir noch die Erklärung anführen, die Maimuni, oft abweichend von den ihm vorgelegenen jüdischen Quellen, für die biblischen Bezeichnungen der verschiedenen Klassen von Zauberern und Geisterbeschwörern giebti). Diese sind nach Deuteronomium (18, 10—11) Koseni, Meonen, M'nachesch, Chober, Schoel ob w'jid oni, Doresch el-hamethim. Kosem (DDp) Wahrsager, erklärt er als denjenigen, der eine bestimmte, vom gewöhnlichen Thun abweichende Handlung vornimmt, um durch Fesselung der Sinne von allen äusseren Eindrücken abgelenkt in der Ekstase die Zukmift zu verkünden. Die einen unter diesen Wahrsagern be- dienen sich dabei des Sandes und der Steine, andere wälzen sich unter unartikuliertem Schreien auf der Erde, wieder andere starren lange in Glas- oder Metallspiegel, bis sie in Ekstase geraten. Der Chober pDn Banner) spricht sinnlose Formeln, die keiner Sprache angehören, und wähnt in seiner thörichten Vorstellung, dass dies eine solche Wirkung ausübe, dass Schlangen und reissende Tiere gebannt und Menschen vor Schaden geschützt werden. Für gewöhnlich hält der Bannende zur Zeit einen Schlüssel oder eine Münze'-) in der Hand. Ein Totenbeschwörer (D'^nüH "^X ^^IH) ist jener, der fastet und auf Friedhöfen übernachtet, damit die Toten ihm im Traume Antwort auf seine Fragen erteilen. Andere Toten- beschwörer ziehen bestimmte Kleider an und nehmen Käucherungen vor, wobei sie gewisse Formeln sprechen, und schlafen einsam, damit ein bestimmter Tote ihnen im Traume erscheine. Die Toten- 1) Hilcli. Akkum c. XI, 4— 13; Voss, De idolatria p. 145—159; Sefer Hamizwot No. 9, 31—33, 35; Vgl. D. Joel, 1. c. I, 64; Scholz, 1. c. 91 ff. 2) Münze oder Fels (vbc). Wir entscheiden uns fürs erstere. 6 82 beschwörer 1) verkünden die Zukunft, wie ihr eigener Sinn es ihnen cingiebt. Denn infolge des Fastens und des Schlafens auf den Gräbern sind ihre Träume, die ihnen die Zukunft verkünden, nach ihrem eigenen Denken geartet. Der Ba'al ob plS ^'^^ Nekromant), nimmt einen Totenschädel 2), dessen Fleisch bereits vervpest ist, stellt ihn im Geheimen auf, macht vor ihm Eäucherungen, spricht ver- schiedene Formeln und glaubt alsdann vom Schädel eine Totenstimme zu vernehmen 3). Der Ba'al jid'oni P'JJT 73?D) nimmt in den Mund vom VogelJaddua*) einen Knochen, der dann so spricht, dass die Stimme 1) Mischnakomm. Sanhedrin VII. 13: "«i'aa i'ö XI."! D'Tittn hn üTnn mTTiy miai'^ns nKn Kim ö'^napa ^b^-^ ais^tys nn oabö onm niTnu* amai ^) Über einen Orakel verkündenden Kopf s. Fihrist-el-U'lüm des Mohamed ben Isch'äq en-Nedim c. III bei Chwolson, Die Ssabier II, S. 19 ff., und Chwolsons Exkurs das. S. 142 ff., wo er mit solchen Orakel sprechenden Köpfen die biblischen Teraphim in Verbindung bringen und diese als nickende Marionetten erklären will, wogegen sich schon Scholz, Götzendienst S. 132 mit Recht erklärt. 3) Der Nekromant schwingt zugleich mit der Hand einen Myrtenkranz und spricht leise vorgeschriebene Formeln so lange, bis es dem Fragesteller vorkommt, als ob ihm jemand mit schwacher Stimme aus der Erde auf seine Fragen antworte und zwar so leise, dass nicht sowohl das Ohr, als vielmehr die erregte Phantasie die Stimme vernimmt. Hilch. Akkum, c. VI. § 1. Alle Vorbereitungen, welche die verschiedenen Beschwörer treffen, sind nach Mai- munis Beschreibung nur dazu da, sich selbst wie die Zuhörer in Er- regung zu versetzen und ihre Phantasie zu wecken; der betäubende Duft des Eäucherwerkes, das eintönige Murmeln der Beschwörungsformeln, das Schwingen des Myrtenkranzes oder des Schlüssels versetzen bald Nekromanten und Zuschauer in einen aussergewöhnlich erregten Zustand. *) Es sei gestattet, hier an einem Beispiele deutlich zu zeigen, wie Mai- munis Sinn jeder Häufung von Wunderbarem und Aussergewöhnlichem abhold ist und er darnach strebt, alles in der einfachsten, dem gesunden Menschen- verstände fasslichen Weise zu erklären. So bei der Erklärung von Jaddua ; er meint, es sei ein bestimmter Vogel; dafür haben ihm wahrscheinlich Zauber- bücher als Quelle gedient. Die meisten anderen Erklärer, wie Obadja von Berti noro, Simson aus Sens, lassen dagegen diesen Knochen von dem fabelhaften Tiere Adne ha-Sade stammen, das in der phantastischen Zoologie der Alten eine bedeutende Rolle spielt. Schon der palästinensische Talmud (Kilaim VIII, 5, 31c, ed. Krotoschin) nennt es Bergmensch und weiss davon zu berichten, dass es mit einer Nabelschnur an die Erde gewachsen sei, mittelst welcher es seine Nahrung aufnehme, so dass es zu Grunde gehe, wenn diese Schnur gerissen ist. Simson aus Sens giebt im Namen des Meir ben Kalonymos dieselbe Erklärung, doch noch mehr ausgeschmückt. „Das Tier Jaddua", dessen Schädelknochen in der Zauberei Verwendung findet, ist an die Erde gewachsen vermittelst einer langen Nabelschnur, die ähnlich ist den 83 aus dem Munde des Nekromanten oder aus seiner Achselhöhle hervor- zukommen scheine i). Es ist wohl zu beachten, dass in allen diesen Fällen von keinem wirklichen Hören oder Sehen die Rede ist, sondern bloss von einem eingebildeten, wie es ja oft den Menschen zustösst, dass ihnen die Phantasie in der Einsamkeit Stimmen und Ranken der Kürbisse. In seiner Gestalt gleicht das Tier dem Menschen, in der Bildung des Gesichts, des Leibes, der Hände und Püsse. Kein lebendes Geschöpf kann sich ihm nähern, da es alles, was in sein Bereich kommt, soweit ihm der Nabelstrang eine Bewegung gestattet, zerreisst und tötet. Die Jäger erlegen es dadurch, dass sie aus der Ferne den Strang durschiessen, worauf das Tier sofort tot hinfällt." Obschon Maimuni derartige Berichte vor sich hatte, da er ausdrücklich angiebt (Mischnakomm. Kilaim das.), dass diejenigen, welche ,,die Merkwürdigkeiten der Welt beschreiben", von diesem Tiere, dessen Namen im Arabischen al-Nanas ist, vieles erzählen, so auch, dass es in einer der menschlichen ähnlichen Sprache Unverständliches spreche, verhält er sich dem gegenüber sehr skeptisch. Noch mehr ist er es in einem Falle, der mehr einen naturwissenschaftlichen Mythus betrifft. Dass es eine Maus gebe, die zur Hälfte aus Fleisch und zur Hälfte aus Erde bestehe, soll zwar eine bekannte und anerkannte Thatsache sein, er findet aber dafür keine Erklärung (Mischnakomm. ChuUin, IX, 6): ^rh IBDö ]''« "IlKa DD-Iisa ]'3y Xim D''DS. Bei der Annahme einer generatio aequivoca hätte ihm dies nicht so schwer fallen müssen. In späterer Zeit hat das Abendland nichts Wunder- bares an solchen Geschöpfen gefunden. War es doch für dasselbe keinem Zweifel unterworfen, dass die Bernickel-Gans in Muscheln eingeschlossen auf Bäumen wachse, an denen sie mit dem Schnabel hänge, und es galt nur als zweifelhaft, ob das Fleisch dieses Vogels als richtiges, in den Fasten verbotenes Fleisch anzusehen sei. Siehe Jore-Dea, c. 84 und vgl. darüber den Aufsatz von Oppenheim, Die Bernickel-Gans in Graetz Monatsschrift 1869 S. 88, ferner das. 1879 S. 236 ; Güdemann, Gesch. d. Erziehungswesens, I, 117, sowie Steinschneiders Hebr. Bibl. XXI, 54. 1) Nachniani, der die Eealität der Dämonen anerkennt, ist auch von der Wirklichkeit der Zauberei überzeugt. Er findet es erklärlich, dass Vögel die Zukunft verkünden können, da sie dieselbe von den Führern der der Erde zu- nächst befindlichen Sterne erfahren, und daher ist auch nach ihm die Kenntnis des Vogelfiugs und Vogelschreis eine wirkliche Wissenschaft. Interessant ist, was er betreffs der Totenbeschwörung mitteilt. Zur Ausübung dieser Kunst sind, wie ihm Kunstbeflissene versicherten, zwei Personen nötig, ein Mann und eine Frau. Die Beschwörung erfolgt in der Weise, dass der Mann am Kopf- ende des Grabes sich hinstellt und die Frau am Fussende steht; zwischen beiden in der Mitte befindet sich eine Glocke. Die Beschwörungsformeln werdeir unter fortwährendem Läuten hergesagt. Die Frau sieht dann den Toten, wo- gegen der Mann seine Stimme hört, welche die Zukunft verkündet. (Komm, zu V. M. 18, 10 — 11; Dissertation, p. 11 ff). Es ist merkwürdig, dass hier Nachmani im Gegensatz zu anderweitigen Berichten (vgl. Carl Meyer, Der Aberglaube des Mittelalters S. 185 ff) Glocken bei Zauberhandlungen ver- 6* 84 Gestalten vorgaukelt i). — Bei der Erklärung von jSTacliasch schliesst sich Maimuni den früheren Erklärern an, dass darunter das Achten auf zufällige Vorzeichen zu verstehen sei, und Me'onen fasst er, wie oben erwähnt worden ist, als Astrologen. In allen Zauberhandlungen und wunderbaren Erscheinungen ist nach Maimuni, wie wir sehen, keine "Wirklichkeit, sondern bloss Täuschung und Einbildung der aufgeregten Phantasie. Wenn die Zauberei somit keinen Nutzen gewährt und nur in Selbsttäuschung und Täuschung anderer besteht, woher kommt es, dass sie geübt wird und was gab Veranlassung zu ihrer Entstehung? Auf diese Fragen giebt uns Maimonides in seinem ,, Führer"-) ausführliche Antwort. Die Ssabier, die dem Götzendienste des Sternenkults er- geben waren, hatten für diesen bestimmte religiöse Gebräuche, denen sie wunderbare und ausserordentliche Wirkungen zuschrieben, die auch für später das Muster für alles Zauberwerk abgegeben. Sämtliche Praktiken der ssabischen Zauberkunst lassen sich, trotz ihrer grossen Mannigfaltigkeit, unter drei Gruppen einreihen. Die erste Gruppe umfasst die Bestimmungen betreffs der Stoffe, welche aus dem Tier-, Pflanzen- oder Mineralreich zu verwenden sind, die zweite Gruppe enthält die ZeitangalDe für die Ausführung, die dritte die Anweisungen zu Handlungen, die von den Menschen ausgeführt werden sollen, wie etwa Tanzen, Händeklatschen, Schreien, Lachen, Hüpfen auf einem Fusse oder auf dem Eücken Liegen auf der Erde, Verbrennen von Käucherwerk oder von sonstigen Gegenständen, Aus- sprechen von verständlichen oder unverständlichen Formeln. Manche Zauberkünste kommen nur bei Vereinigung aller dieser Handlungen zustande. So bestimmen siez. B. : Man nehme eine gewisse Anzahl Blätter einer bestimmten Pflanze, wenn der Mond unter diesem oder jenem Grade nördlich oder südlich steht, ferner nehme man von dem Geweih oder den Haaren, dem Schweisse, Blute eines be- stimmten Tieres, wenn die Sonne etwa im Zenitli steht; ferner nehme man diese oder jene Metalle, schmelze sie bei einer be- stimmten Konstellation der Sterne, spreche diese oder jene Formel, räuchere dann mit den Blättern das entstandene Bild, und man wird dadurch dieses oder jenes Ereignis eintreten lassen. Für anderen wenden lässt. In späterer Zeit scheinen sie jedoch allgemein gebraucht worden zu sein, woher auch ihre Verwendung bei den heutigen sogenannten Schwarz- künstlern stammen mag. 1) Mischnakomm. Sanhedrin VII, 13. 2) More III, 37; Le Guide III, 277—296. 85 Zauber, glaubten sie, genüge wieder bloss eine Handlung. Ferner müssen manche, wenn sie wirksam sein sollen, von Frauen aus- geführt werden, so namentlich jene, die zum Hervorbringen von Wasser erforderlich sind i). Zehn Jungfrauen schmücken sich mit Halsgeschmeiden, ziehen rote Kleider an, tanzen so, dass die eine 1) Wie tief dieser Aberglaube, dass Frauen bei jeglicher Wassernot helfen können, in die Vorstellungen der Völker, nicht bloss der Ssabier, (welchen Namen ja Mainiuni, wie wir oben mit Chwolson angenommen haben, als Be- zeichnung für Heiden überhaupt gebraucht), eingedrungen war, zeigt seine Ver- breitung zu den verschiedensten Zeiten und in den entferntesten Gegenden. So besteht die Anschauung vom Eegenzauber noch heute im Süden Europas: „DieEumänen in der Gegend von Mediasch (Siebenbürgen) ziehen bei Eegen- mangel einem kleinen unter zehn Jahren stehenden Mädchen ein aus Kräutern und Blumen zusammengesetztes Hemde an, und alle Altersgenossen folgen der kleinen vermummten, Papaluga genannten Person, tanzend und singend. Dem Zuge wird, wohin er kommt, von den Weibern kaltes Wasser über die Köpfe gegossen. Die Bulgaren kleiden bei Dürre ein Mädchen in Nussbaumzweige, Blumen, Bohnen-, Kartoffel- und Zwiebelkraut und geben ihr in die Hand einen Blumenstraüss. Sie nennen sie Djuldjul oder Peperuga. Die Peperuga geht in Begleitung eines grossen Gefolges unter Gesang zu den Häusern umher. Der Hauswirt empfängt sie mit einem Kessel voll Wasser, auf dessen Oberfläche hineingeworfene Blumen schwimmen. Dem bulgarischen Djuldjul entspricht der serbische Name Dodola für das nackt ausgezogene, vom Scheitel bis zur Zehe, sogar im Gesicht mit Gras, Kräutern, Blumen verhüllte Mädchen, das, inmitten eines Eeigens von anderen Jungfrauen stehend, vor jedem Hause in einem fort sich umdreht und tanzt, indess der Eing eines der sogenannten Dodolalieder singt und die Hausfrau eine Mulde Wasser über es ausschüttet. In Griechenland wählen die Kinder in Dörfern und kleinen Städten, wenn über 14 bis 20 Tage anhaltende Dürre und Trockenheit herrscht, unter sich eins, am liebsten ein Waisenkind, weil Gott die Bitten der Armen und Waisen besonders erhöre. Dieses Kind wird mit Kräutern des Feldes und Blumen vom Kopfe bis zu den Füssen geschmückt, nachdem es vorher bis auf die blosse Haut entkleidet worden ist; man nennt es PupTiYjpoöva. Die anderen Kinder ziehen singend mit ihm von Haus zu Haus. Jeder Hausherr und jede Hausfrau müssen der Pyrperuna einen Para geben und ein Fässchen mit Wasser über ihr Haupt ausgiessen. — Einem ähnlichen Eegenzauber begegnen wir im 11. Jahrhunderte in Hessen und am Ehein, den Burkhart von Worms verbietet. Bei grosser Trockenheit entkleideten Jungfrauen ein kleines Mädchen, führten sie nackt, wie sie war, vor das Dorf zu einer Stelle, wo Bilsenkraut wuchs, und liiessen sie mit dem kleinen Finger der rechten Hand dasselbe samt der Wurzel ausreissen, sodann an die kleine Zehe ihres rechten Fusses binden, so dass es hinter ihr nachschleppte. Jede Jungfrau hatte eine Euthe in Händen. Sie führten das Eegenmädchen in den nächsten Fluss hinein, be- aprengten es vermöga der Euthen mit der Flut desselben und sangen Be- schwörungen, um Eegen zu erlangen. Endlich führten sie jenes nach Art der Krebse rückwärts schreitend vom Flusse zum Dorfe zurück." 86 die andere stösst, wobei sie fortwährend der Sonne znwinken u. s. w.; auf diese Weise, glaubte man, werde Wasser hervorsprudeln. Andererseits sind auch Frauen erforderlich, um Hagel abzuhalten, was in dem Falle geschieht, wenn vier Frauen sich auf den Kücken legen und mit erhobenen, ausgestreckten Füssen gewisse Formeln sprechen. Insbesondere gab es, wie ,,dle Agrikultur der Nabathäer" überliefert, viele abergläubische Gebrauche und Zauberhandlungen, die sich auf den Landbau bezogen. So glaubten sie, dass, wenn man Stoffe in Fäulnis übergehen Hesse, dabei den Stand der Sonne unter einem bestimmten Grade beachtete und viele andere zauberische Gaukeleien dazu machte, der Baum, um den dieser Stoff gestreut würde, besonders reichen Ertrag bringe i). Namentlich erstrecke sich die Zauberkunst auf das Pfropfen von Bäumen, welches sie unter Beachtung des Eintritts bestimmter Konstellationen, unter Räucherungen und Hersagen von Formeln vorzunehmen pflegten. Für einen ganz besonders wirksamen Zauber erachteten sie es, wenn ein schönes Mädchen das Pfropfen vornahm 2) und im Augenblicke des Vollzuges der Liebe pflog 3). Mannhardt, Wald- und Feldkulte, I. 327-331. Vgl. Schindler, Der Aberglaube S. 48. — In allen angeführten Fällen sind es Jungfrauen oder junge Mädchen, die singend oder tanzend den Eegen herbeizaubern wollen, wobei zugleich symbolisch die Folgen des Eegens, das Nasswerden, ebenfalls dargestellt werden. Möglich, dass dies auch bei den alten Gebräuchen vorkam, nur fehlt es in dem nicht vollständigen Berichte Maimuni's; es kann aber auch ein später hinzu- gekommener Bestandtheil sein, wie dies auch der religiöse Charakter der Lieder ist und sogar der Ersatz der Frauen durch junge Burschen (die Pripats und Prporushe in Dalmatien). Bei den Frauen mag auch die angenommene feuchte Natur derselben als dem Zauber günstig betrachtet worden sein. 1) Nicht die Anwendung des Düngers, sondern die von der Konstellation abhängige Wirksamkeit desselben ist das Abergläubische. 2) Über diese Art des Pfropfens vgl. Clement-Mullet, Livre de l'Agri- culture d'Ibn-a]-Awam I, 467 n., angeführt bei Munk, Le Guide III, p. 292 n. 2. 3) Die Vorstellung, die einem solchen Akte zu Grunde liegt, ist, dass das Leben und Gedeihen des Baumes abhängig ist und gefördert wird durch die Ceremonie am Körper des Menschen. Es bietet hier die Inokulation der Liebe das animalische Seitenstück zur Okulierung des Baumes und soll als solches den Erfolg desselben fördern. Mannhardt, a. a. 0. S. 31 Anm. 1. Denselben Gedanken bringen auch verschiedene andere Gebräuche zum Ausdruck, so namentlich das Brautlager auf dem Ackerfeld, dessen Charakterzeichen es ist, dass Mann und Weib verbunden sich auf dem Acker wälzen. „In der Ukraine zieht am St, Georgstage (23. April a. St.) nach beendigtem Gottes- dienste der Geistliche in vollem Ornat mit seinen Kirchendienern und der ganzen Gemeinde auf die ausgesäeten und bereits grünenden Felder des Dorfes, um sie nach griechischem Ritus einzusegnen. Den ganzen folgenden Nach- 1 87 Bei allen derartigen Handkiiigeii ist die wirkende Ursache dem gesunden Menschenverstände überhaupt nicht erkennbar, vielmehr sollen es gelieimnissvolle Kräfte sein, welche aus den Sternen stammend, den gewünschten Erfolg herbeifüiiren, so dass das Ganze auf die Verehrung der letzteren hinauslief. Aus der gleichen Quelle wurde auch das in Talismanen liegende Heil hergeleitet. Wenn Ucämlich ein Bild in bestimmter Form zur Zeit des Eintritts eines günstigen Sternes in eine glückbringende Konjunktion angefertigt wird, so kann man damit Nutzen schaffen; oder man kann Übel abwenden, wenn eine solche Figur bei ungünstiger Konstellation eines schädlichen Gestirns angefertigt wurde i). Alle diese Zauber- handlungen gehören zu den Kultusbräuchen der Religion jener alten Zeiten"^). Durch ihre Ausübung glaubte man das Wohlgefallen des- mittag bis in die sinkende Nacht bringt darauf der Bauer auf den Feldern zu. Man geht von einem Felde zum andern, begrüsst die Nachbarn und isst besonders für diesen Feiertag zubereitete kalte Speisen unter dem gehörigen Zusatz von Branntwein. Die alten Leute mit den Kindern bleiben in der Nähe der Feldwege ; die erwachsene Jugend aber entfernt sich über die Felder, bis sie den Alten in einer Vertiefung aus dem Gesichte verschwinden. Hier stecken sie eine Stange mit einem angebundenen Tuche oder einer Flagge auf, angeblich um den Platz zu bezeichnen, auf dem sie sieh vergnügen, und zum Zeichen, dass hier die Alten nichts zu suchen haben. Alle legen sich auf die Felder, und wer eine Frau hat, wälzt sieb einige Mal mit ihr auf dem Saatacker um. Wie man denken kann, folgen diesem Beispiele auch die jungen Leute auf ihrem abseits gelegenen Turnplatze. Gefragt, weshalb sie auf diese Weise sich auf den Feldern wälzen, antworten sie, dass es von jeher so gewesen sei. Der heil. Georg habe sich auch auf den Äckern gewälzt, und man werde sehen, welcher Getreidesegen darnach zum Vorschein kommen wird." „In Kolbra (gold. Aue, Kr. Sangershausen) werden die Schnitter und Schnitterinneu, welche das erste Jahr mit auf die Arbeit gehen, Gesicht gegen Gesicht zusammengebunden und unter fröhlichem Gelächter der andern einen Hügel hinabgerollt. InScharrel (Saterland) sammelten sich früher während des Eoggenmähens allabendlich Schnitter und Schnitterinnen nach gethauer Arbeit auf dem Grünwege und Langhorstesch zu Trunk und Feier. Dann umfassten die Mädchen die Beine der Schnitter und die Schnitter die Beine der Mädchen, und so aneinandergeklammert rollte und wälzte man sich herum und nannte das walen." Mannhardt, das. S. 480 fif. In allen diesen Cere- monien finden wir eine von der ursprünglich wirklichen Handlung abge- schwächte symbolische, welche auf die Fruchtbarkeit hindeuten soll. 1) Diese Talismane können sowohl die Statuen und Bilder der Planeten als auch Gemmen und blosse mathematisch-mystische Figuren umfassen. Vgl. Mischnakomm. Aboda-zarah III, 1, 3, 4; IV, 7; Pesachim IV, 10; Sabbat VIU, 3. 2) S. More III, 29, Le Guide IH, 235. jenigen Sternes zu gewinnen, zu dessen Kultus sie gehörten, um von ihm die Erfüllung des Wunsches zu erlangen i). In solcher Weise fasst Maimimi alles Zauberwerk als Götzendienst auf. Da mm die Vernunft in keiner von diesen Manipulationen eine Ursache erkennen kann, weshalb durch sie die beabsichtigte Wirkung erfolgen sollte, so wäre sie auch nicht auf dieselben verfallen. Wenn man aber in dem Glauben lebt, dass durch gewisse Kultusakte die Gunst der Gottheit erlangt wird, dass sie den gewünschten Vorteil gewährt oder die gefllrchtete Gefahr abhält, kann man leicht dahin gelangen, ein zufälliges Mittelglied in der Kette als wirkende Ursache, begleitende Umstände als Hauptfaktoren anzusehen. Man kann zu der irrigen Meinung gelangen, dass die verschiedenen Handlungen an sich schon geeignet seien, die gehoöten Wirkungen hervorzu- bringen. Zauberei ist also nach Maimonides die Übung von auf das gewöhnliche Leben übertragenen heidnischen reli- giösen Handlungen und Ceremonien^). Das göttliche Gesetz verbietet daher alle Zauberei, weil sie Lüge imd zugleich ein Akt des Götzendienstes ist. Es verbietet aber nicht bloss offenkimdige Zauberei, sondern aus demselben Grunde auch jede Handlung, von der man eine Wirkung erwartet, die den natürlichen Ursachen nicht entspricht. Maimuni versteht demnach auch unter Zauberei im weitesten Sinne des Wortes das ErAvarten einer Wirkung bei der Anwendung von Hilfsmitteln, die den Gesetzen der Vernunft und Natur nach eine solche hervorzubringen nicht geeignet sind. Indem Maimuni diesen Grmidsatz aufstellt und ihn als Krite- rium dafür hinstellt, was als Zauberei verboten imd was erlaubt ist, muss er auch Stellung nehmen zu manchem Gebrauch der damaligen Heilkunst. Die Medizin war bei den Alten ein Feld, auf dem sich gesunde Empirik mit den buntesten Gebilden einer von Angst ge- marterten Phantasie begegnete. Die Bibel sieht zwar auch Gesund- heit und Krankheit als göttliche Belohnung und Bestrafung an, ver- langt aber in Krankheitsfällen nichtsdestoweniger die Anwendung natürlicher Heilmittel. In späterer Zeit scheint sich jedoch die Anschauung geltend gemacht zu haben, dass, da Gott die Krankheit sendet, es als eine Auflehnung gegen seinen Willen zu betrachtec sei, sie mit natürlichen Heilmitteln zu bekämpfen, und dass nur von 1) More III, 37, Le Guide III, 279. 2) Maimunis Meinung stimmt hierin mit den neuesten Ansichten über- ein, die ebenfalls die Zauberei als die im Volke fortlebenden alten Ceiemonien betrachten. 89 mystischer Bethätigung religiöser Yorschriften und Bräuche Genesung zu erhoffen sei — eine Ansicht, welche wohl von den auch son^t Mysterien huldigenden Essäern ausgegangen i) — und solche Ver- breitung gefunden, dass der Talmud sich veranlasst sieht, aus dem Bibelworte die Erlaubnis für den Gebrauch natürlicher Arzneimittel zu deduzieren 2). Aber wie diese meistens beschaffen gewesen, können wir daraus schliessen, dass man damals nicht natürliche Ur- sachen als Krankheitserreger annahm, sondern magische. ,, Böser Blick ist die Ursache der meisten Krankheiten und Sterbefälle," heisst es an einer Stelle'^). Zuweilen sind auch Dämonen die Ursache derselben. Dem entsprechend bestanden die Heilmittel in Beschwörmigen, Amuletten und Kuren, die auf Sympathie beruhen sollten 4). Diese Meinungen betreffs der Krankheiten und der Mittel zu deren Behebung hatten im Mittelalter trotz Gegenäusserimgen einzelner hervorragender Ärzte im Orient wie im Occident noch an Geltung zugenonmien ^). Maimonides, Schüler Galens und Ibn Sinas, selbst nicht unbedeutender Anatom '^), konnte die medizinischen Yor- schriften vieler Rabbinen nicht ohne weiteres billigen. Hatte er auch die Ansicht geäussert, dass medizinische Yorschriften, selbst wenn deren Erfolg ursächlich nicht ersichtlich ist, wenn nur die Er- fahrung ihn wahrscheinlich macht, nicht als Zauberei anzusehen seien, und so viele talmudische Heilmittel als für ihre Zeit berechtigt hingestellt ^), so musste er doch zugeben, dass die Medizin seiner Zeit diese nicht als wirksam anerkennen könne, und er verwarf gänzlich diejenigen Arzneien, deren Anwendung sich auf die An- nahme gründete, dass die Krankheit von Dämonen erzeugt sei. An- knüpfend an die Besprechung des noch jetzt im Orient §) üblichen Mittels, gegen den Biss eines tollen Hundes dessen Leber zu ge- niessen, was von den meisten Lehrern des Talmuds nicht gebilligt 1) Vgl. Schorr, Hechaluz, VII, 56—57; VIII, 13. 2) T. b. Berach. 60a., Baba-kama 85b.: nwn rtin^l'^ iKSö KBn"' HB-il .nsB-iS Ksnb 3) Talm. b. Baba-mez. 107b. *) Vgl. die Zusammenstellung der icagiscLea Ursachen und Mittel bei Brecher, Das Transcendentale. 168 ff". 187 ff. 5) Sprengel, Gesch. der Arzneikunde, II. S. 135 ff„ 151 ff., 218, 387 ff. 6) cfr. Maimunis eigene Worte in „Pirke Mo sehe" ed. Lemberg 1804, ]'. 2b. in upDunnc? n^mran pDi? ^hh. 7) More III, 37; Le Guide III, 284. 8) Über den Gebrauch dieses Mittels im Orient vergl. Allg. Zeitung des Judentums 1891. 90 wird, bemerkt Maimiini Folgendes betreffs sympathischer Mittel über- haupt i): ,,Nur dann darf man sich biblisch verbotener Mittel als Arznei bedienen, wenn deren Heilkraft eine in ihrer Beschaffenheit begründete ist und Wissenschaft a priori wie Erfahrung hierin einig sind. Es ist jedoch nicht gestattet, bei sympathischen Kuren ver- botene Mittel zu gebrauchen, weil die Wissenschaft ihnen keine Heilkraft zuerkennt und eine erprobte Erfahrung für sie nicht vor- handen ist." Wenn man erwägt, dass in Krankheitsfällen, die mit Lebensgefahr verbunden sind, wie es beim Biss eines tollen Hundes der Fall ist, die Übertretung biblischer Gebote überhaupt gestattet ist, so besagen Maimunis Worte nichts anderes, als dass solche sympathische Heilmittel nur aus dem Grunde nicht angewendet werden dürfen, weil ihnen die Wissenschaft jegliche Heilkraft ab- spricht. Wo aber die Wissenschaft eine Arznei als solche bezeichnet, so ist sie anzuwenden stets gestattet. Für die Verteidigung der medizinischen Wissenschaft tritt der Arzt Maimuni ebenso ent- schieden ein, wie der Philosoph für die der Philosophie. Manche überfromme Leute mögen, vielleicht unter dem Einflüsse fremder fatalistischer Anschauungen, sich, wie einst die alten Essäer, gegen die Medizin ausgesprochen haben, indem sie auf den talmudischen Bericht hinwiesen, dass der fromme König Chiskija ein Buch der Heilmittel verborgen und es dem Gebrauche entzogen habe. Diese Beweisführung widerlegt Maimuni 2) aufs schlagendste: „Das Buch der Heilungen" habe vielleicht als Heilmittel Dinge enthalten, die nicht gestattet sind, wie etwa die Anweisung zu den von den Astro- logen verfertigten Talismanen, die nur die Menschen irre führen. Es sei aber auch möglich, dass jenes Buch eine Toxokologie gewesen ist, indem es die Yorschriften enthielt, wie man die verschiedenen Gifte präparieren und mischen solle; ferner die Angaben, welche Wirkungen und Erscheinungen sie hervorrufen und worin die Anti- dota bestehen, so dass der Arzt, wenn er die Krankheitserscheinungen sah, aus denselben das Gift erkennen und das entsprechende Gegen- mittel verabfolgen konnte. Als man jedoch mit diesen Anweisungen Missbrauch getrieben und der beschriebenen Gifte sich zur Tödtung von Menschen bedient, habe König Chiskija das Buch der Öffentlich- keit entzogen". „Zu einer solch ausführlichen Auseinandersetzung sehe ich mich," fährt Maimuni fort, „veranlasst wegen der herrschen - 1) Mischnakomra. Joma VIII, 5. 2) Mischnakomm. Pesachim IV, 10. 91 den Meinung, König Salomo liabe dies Buch verfasst und jeder Kranke, der die darin enthaltenen Vorschriften befolgte, sei gesund geworden; deshalb habe König Chiskija das Buch verboten, weil er die Leute auf das Buch und nicht auf Gott vertrauen sah. Das Falsche und "Widersinnige einer solchen Annahme ist leicht einzu- sehen. Es kann Derartiges dem Thörichtesten in der Menge nicht zugemutet werden, um so weniger dem Könige Chiskija und seinem Rate, welcher der getroffenen Verfügung zugestimmt. Denn nach dieser unüberlegten und widersinnigen Meinung müsste jeder Hungrige, der Brot isst mid so Heilung von der schweren Krankheit des Himgers findet, des Gottvertrauens bar sein. Aber wir rufen jenen Leuten zu: Ihr Thoren, wie wir Gott beim Essen dafür danken, dass er Dinge hervorgebracht hat, die unseren Hunger stillen, damit wir leben und bestehen können, so danken wir ihm nicht minder dafür, dass er uns Heilmittel für unsere Krankheiten finden liess. Ich hätte,'' schliesst Maimuni diese schöne Auseinandersetzung, „diese thörichte Ansicht gar nicht widerlegt, wenn sie sich nicht einer allgemeinen Yerbreitnng erfreuen würde." Es ist also nicht blos gestattet, sondern geradezu Pflicht, sich natürlicher Arzneimittel zu bedienen, verboten ist nur die dem Yer- stande und der Vernunft widersprechende Heilung durch Talis- mane. Maimuni kann selbst auf die durch vermeintliche Erfahrung erprobte "Wirkimg derselben kein Gewicht legen, da sie seiner ganzen Anschauung nach trügerisch sind. Sind solche Talismane unter der Influenz der Sterne angefertigt J), so sind sie nicht nur wertlos, sondern ihre Anwendung, wie wir gesehen, auch götzendienerisch; aber ebenso wertlos sind sie, falls sie mit vermeintlichen Gottes- nameu ~) beschrieben sind 3). Maimuni verbietet daher, den Kindern 1) Cfr. Mischnakomm. Pesachim, das.; Aboda-zarah III, 1, 3 — 4; IV, 7. More in. 29. 37. Über die Bedeutung der Amulette s. Schindler, Der Aber- glaube etc. S. 126: „Das Amulett hatte in seiner früheren Bedeutung die Auf- gabe durch das Metall, aus dem es gefertigt, oder das Papier, dem die Influenz des Metalls durch sein Zeichen mitgeteilt war, durch die Mitwirkung der engelischen Kraft, durch die beigegebenen Zeichen und Gottesnamen die ver- einte Kraft aller dieser Ageutien dem Träger mitzuteilen." Über die Ansicht des Paracelsus' 's. das. S. 125 Anm., über die Agrippas von Nettesheim ib. S. 123 Anm. 2) Über die Verwendung von Amuletten mit griechischen und hebräischen Gottesnamen und Zeichen in der Medizin s. Sprengel, a. a. 0. II. 218. 3) Mischnakomm. Sabb. VI, 2 gestattet Maimuni eine erprobte Kamee (Kamea) zu tragen. Soll dies nicht mit der ganzen Anschauungsweise Mai- 92 Amulette iimziihängen, die aus Silberblecheu, auf denen der 91. Psalm eingraviert ist, bestehen i), und ebenso jeglichen Gebrauch von Bibel- versen in einer Weise, dass der Schein erzeugt werde, als sei den Buchstaben eine geheimnisvolle Kraft eigen-'). Dass er den amulett- artigen Gebrauch der Mesusa strengstens verpönt, haben wir bereits bei der Besprechung der Gottesnamen erwähnt. Er schliesst sich in allen derartigen Fragen der strengsten und entschiedensten Ver- urteilung jeglichen Aberglaubens an imd lässt sich auf keinerlei Unterscheidungen ein '^). Die Krankheit ist eine Störung natürlicher Funktionen, sie muss daher durch Anwendung natürlicher Mittel behoben werden. Finden wir trotzdem in seinem Apothekerschatze Medikamente, die sich uns als unwirksame Sympathiemittel erweisen, so dürfen wir nicht vergessen, dass solche als bewährte Arzneien noch viele Jahrhmiderte nach Maimuni galten, und dass er selbst zur Anwendung solcher Mittel nur veranlasst wurde durch die Autorität eines Hippokrates oder Galenus, in deren Namen er sie auch anführt 4). In erster Reihe kommt es bei der Krankheit auf die natürliche Disposition an, die äussere Yeranlassung allein genügt nicht. Weder eine allgemein herrschende Pest, noch die Yerbreitung von Krankheiten beim Aufgange des Sternbildes des Hujides (Sirius') kann den Einzelnen aftizieren, wenn seine Körperbeschaffenheit zur Aufnahme des Krankheitsstoffes nicht geeignet ist 5). Ist also für natürliche Krankheiten eine natürliche Aufnahms- fähigkeit notwendig, so kami von einer magischen Krankheits- erzeugung durch bösen Blick schon ganz und gar nicht die Rede sein. Maimuni schenkt den verschiedenen dieses Thema berühren- den Erzählungen im Talmud '^) umso Aveniger Beachtung, da sie meist dem Gebiete der Agada angehören, und selbst dorf^), wo er Gelegen- munis in Widerspruch stehen, so müssen wir darunter nur eine blT N^öp l^^pT, ein heilbringendes Kräuterbündel verstehen, welches auch sonst schlecht- weg als Kamea (T. b. Kidd. 73b, dagegen heisst hier eine geschriebene Kamea KpfT^a) bezeichnet wird. 1) Kobez, I, 3a, col. 2. 2) Kobez, das., ferner II, 16a., col. 2. 3) Hilch. Akkum c. XI, § 12. Voss. De idolatria, p. 157 § 14; cfr. Jore-Dea c. 179. 4) Pirke-Mosche p. 43d— 44b. ^) Das. p. 10 a col. 1. 6) T. b. Baba-mez. 84a, 107b; Sanhedrin 100a; cfr. Brecher, 1. c. p. 181 £F. ') Mischnakomm. Joma II, 1, wo er einfach registiert, dass es nicht gestattet ist, Israel zu zählen. 93 heit hatte, sich näher darüber auszusprechen, thut er es nicht, weil seiner innersten Überzeugung nach eine solche Krankheitsursache nicht vorhanden sein kann. Dabei mögen ihm wohl mehr als ein- mal Krankheiten vorgekommen sein, als deren vermeintliche Ursache der böse Blick angesehen wurde, da dieser in noch höherem Masse, als es im Talmud der Fall ist, von den Arabern gefürchtet wurde i). Der einzige Fall, in welchem Maimuni die Wirksamkeit des bösen Blicks anerkennt, gehört nicht in das Gebiet der Medizin, sondern in das der Ethik. Der böse Blick der Missgunst, des sich selbst verzehrenden Neids schwächt den Menschen, bringt ihm Krankheit und frühzeitigen Tod. -) Aus diesem Grunde, um nämlich keinen Neid zu erregen, sollen die Fenster von Nachbarn einander nicht gegenüberliegen, so dass nicht der eine alle Vorgänge im Hause des andern betrachten könne; und ebenso ist es bloss eine ethische Yorschrift, eines Fremden Saatfeld, wenn es in voller Keife steht, nicht zu betrachten, um nicht zu Neid und Missgunst angeregt zu werden. 3) Schluss. "Wir sind am Ende unserer Abhandlung angelangt. Aus der ganzen Untersuchung ergiebt sich, dass Maimuni mit wohlberechneter Absicht gegen jegliche, psychologisch an sich erklärliche oder ge- schichtlich gewordene, superstitiöse Anschauung und Handlung ent- schieden auftrat, und dass er dazu durch innere, in seinem philo- 1) Kremer, Kulturgeschichte, II. S. '253—255: „Am meisten fürchtete man das böse Auge, den bösen Blick, ein Aberglaube, der bis jetzt sich erhalten hat . . . Man schrieb demselben eine vernichtende Kraft zu. So erzählt ein späterer Schriftsteller, dass ein Mann durch seinen bösen Blick eine zahlreiche Flotte vernichtet habe. Dass Menschen und Tiere dadurch getödtet werden konnten, galt als unbezweifelt" . . . Auch bei den Eöiuern und Griechen war der böse Blick gefürchtet, vgl. Jahn, Über den Aberglauben des bösen Blickes bei den Alten, in den Berichten der Königl. sächsisch. Gesellschaft der Wissensch, zu Leipzig 1854; s. auch Schindler, Der Aberglaube des Mittelalters S. 163. 2) Mischnakomm. Pirke Abot, II, 16. 3) Hilch. Sch'chenim, II, 16; Kobez I, 12a. col. 1, cfr. Talm. b. Baba- bathra 2b. Wie anders lautet die Begründung, nicht das ährenreiche Feld zu betrachten, damit nicht Neid ins Herz sich schleiche, als die abergläubische Furcht, man könnte das Getreide vom Felde zu sich herüber zaubern, was seit den Zeiten der Eömer das ganze Mittelalter hindurch geglaubt wurde, s. Soldan- Heppe, Gesch. d. Hexenprozesse, I, S. 57; Schindler, a, a. 0, S. 50. 94 sophischen Systeme begründete Überzeugung gezwungen war. Auf der einen Seite ist seine Polemik gegen den Aberglauben das Resultat philosophischer Forschung, auf der andern nicht minder gestützt durch ein tief religiöses Gefühl und eine richtige Erkenntnis alt- jüdischer Lehren. Es reichen sich bei ihm Glauben und Wissen, Philosophie und Religion die Hand zur gemeinsamen Bekämpfung des das religiöse Gefühl schädigenden und der Vernunft hohn- sprechenden Aberglaubens, Maimunis tiefe Religiosität, seine hohe Sittlichkeit, sein umfassendes Wissen und seine klare Einsicht be- fähigten ihn besonders gegen das ererbte, festwurzelnde Übel die geeigneten Waffen zu führen i). Seine Beweisgründe, wie wir sie vorzuführen versucht haben, sind klar, einleuchtend, so wahr luid beredt, dass es ihm, wie es in Bezug auf Anthropomorphismen wohl zum Teil der Fall gewesen, hätte gelingen müssen, alle abergläubischen Yorstellungen aus dem Herzen und aus dem Sinne jedes Religiösen und Denkenden zu bannen. Allein gerade die entgegengesetzte Er- scheinung trat ein. Wir sehen, dass die erschreckendsten Auswüchse des Aberglaubens erst nach Maimunis Bekämpfung desselben sich gebildet und unter seinen Glaubensgenossen Anhang gefunden. Es sei gestattet, noch in aller Kürze die Ursache dieser Folgeerscheinung 1) Nur die Vereinigung von Glauben und Wissen kann die Schatten des Aberglaubens zerstreuen. So äussert sich auch hierüber Pfleiderer (Theorie des Aberglaubens S. 34 — 35): „Ist der Aberglaube eine falsche Beziehung des Sinnlichen auf das Übersinnliche, so muss man ihm von beiden Seiten bei- kommen: vom richtigen Wissen über die Sinnenwelt und vom richtigen, sittlich normalen Glauben an das Übersinnliche. Keines von beiden wird für sich allein ausreichen: der Glaube nicht, weil er ohne das Wissen in Gefahr steht, selber zum Aberglauben zu werden; aber auch das Wissen für sich allein nicht, weil es ohne den Glauben das Übersinnliche vergisst und damit nicht nur sich selbst des idealen Stachels zu fortschreitender Selbstvertiefung beraubt, sondern auch namentlich Gefühl und Wille des Menschen unangebaut lässt — ein offenstehendes Saatfeld für das Unkraut der zerstörenden Mächte. Wie sehr das herz- und glaubenslose Wissen einer abstrakten Verstandeskultur gerade auch wieder dem tollsten Aberglauben den Boden bereitet, bestätigt manche Epoche der alten und neuen Kulturgeschichte, in der wir mit dem frechen Unglauben einer blasierten Verständigkeit zugleich den tollsten Aber- glauben einer erhitzten Phantasie wuchern sehen. Die Extreme berühren sich ; Gemüt und Phantasie des Menschen wollen nun einmal ebensogut ihre Nahrung wie der Verstand, erhalten sie also keine gesunde, so greifen sie eben nach Gift. Nicht besser also wird dem Aberglauben zu steuern sein als 80, dass Glauben und Wissen sich wider ihn möglichst innig verbinden, der Glaube immer mehr ein wissender und das Wissen ein glaubendes, von Ideen durchgeistetes, auf Ideale gerichtetes werde." 95 zu besprechen. Wenn ThoosoiDhie und Mystik gerade in der Zeit nach Maimonides einen ungeahnten Aufschwung nahmen und mit ihnen eben auch die verschiedenen Zweige des Aberglaubens, so liegt der Grund hierfür einerseits in der allgemeinen Zeitrichtung, die stärker sich geltend machte als das ungehört verhallende Wort des einen grossen Lehrers, andererseits und ganz besonders in der sich verschlechternden äusseren Lage der Juden. Hatte das allge- meine Elend im späteren Mittelalter und mit der beginnenden jS^eu- zeit bei fast allen Völkern die grosse Menge vielfach dahin geführt, das brennende Yerlangen nach Änderung des Zustandes und die ungestillte Sehnsucht nach Besserung durch Abenteuerliches und Wunderbares zu befriedigen i), reiche Glücksgüter, die ein hartes Geschick versagt, im Bunde mit dem Teufel zu erlangen zu suchen, so wirkten solche Yerhältnisse noch viel stärker auf die Juden, Unter ihnen entbrannte auch bald nach Maimunis Tod ein heftiger Kampf um dessen Schriften. Den Anhängern des grossen Denkers, die, gleich ihrem Meister, der Yernunft auf dem Gebiete der Keligion die Herrschaft über alle Phantasiegebilde und alle Mystik zu ver- schaffen suchten, standen Männer gegenüber, welche das Talmud- studium allein gepflegt wissen wollten, die aber zugleich mittelbar beeinflusst von halb neuplatonischer Mystik es schliesslich durch- setzten, dass die Lektüre von Mainiunis Schriften vor dem fünfund- 1) „Was suchten die Menschen des Mittelalters bei solchen wüsten Orgien (des Hexensabbats)? Dieses klägliche und anhaltende Sehnen und Verlangen nach den Mysterien einer phantastischen Welt ist allein ein hinreichender Beleg für das bodenlose Elend jener barbarischen Zeiten, Diejenigen, welche glauben und hoffen, jedoch in ihrem Glauben das Glück nicht finden, flüchten sich vermittels der Ekstase und Vision in die Seligkeiten und reinen Wonnig- lichkeiten des Himmels. Die, welche zweifeln, lästern und leiden, welchen das tägliche Brot mangelt, dass Gott denen, so ihn darum bitten, nicht immer giebt, die mit verbrecherischen Gedanken umgehenden Bösen, die von absonder- lichen Gelüsten affizierten Seelen versteigen sich ebenfalls in unbekannte Re- gionen, aber nach dem andern Pol sich hinwendend, und die Geächteten des Mittelalters begehren von den Geächteten des Abgrundes die verdammten Glücksgüter, welche die Welt ihnen verweigert, die sträflichen Genüsse, die sie nicht wagen würden von Gott zu erbitten. Daher eine doppelte Ekstase, eine doppelte Vision, die sich, die eine im Himmel, die andere auf dem Sabbat verwirklicht. Und ist es zu verwundern, dass in einer Zeit, wo die Geistlich- keit alles in kirchlichen Wunderkräften aufgehen lässt, die wundersüchtigen Menschen zu anderen Geheimkräften ihre Zuflucht nehmen, wenn jene ohne die erwartete Wirkung bleiben!" E, Koloff, Leben und Wirken des Teufels, In Eaumers, Historisches Taschenbuch. Fünfte Folge. Zweiter Jahrgang Leipzig, 1872. S. 164. 96 zwanzigsten Lebensjahre verboten wurde. Die rein verstandesmässige Richtung der maimunischen Philosophie hatte eine mächtige Reaktion hervorgerufen : je entschiedener Maimuni jede Schwärmerei bekämpft hatte, um so eifriger und liebevoller wurde von den Gelehrten der anderen Richtung jetzt die Theosophie und Mystik gepflegt und ge- hegt. So kam es, dass gerade in dem Jahrhunderte nach dem Tode des grossen Philosophen die Kabbala zu ihrer üppigsten Entfaltung gelangte. Es war gewissermassen der Abschluss der altern, neu- platonischen Richtung, die gerade unter dem Anstürme des durch Maimonides vertretenen Aristotelismus neu erstarkte und um so kräftiger sich entwickelte. Allein dazumal war die Kabbala noch, wenigstens im vollen Umfange, lediglich Eigentum der Gelehrten, ins Volk drang sie er- folgreich erst ein, als die äusseren Yerhältnisse der Juden immer drückender und unerträglicher wurden. Ton Land zu Land gehetzt und verfolgt, durch eine drückende Ausnahmegesetzgebung einge- schränkt und zu Parias herabgewürdigt, der Verachtung und dem Hohne aller schutzlos preisgegeben, in steter Furcht vor neuen Ge- fahren und Leiden lebend, wandten sie ihren Sinn dem Übersinn- lichen und Unbegreiflichen zu, versenkten sich in die Lektüre der mystischen Litteratur, um dem nach etwas Höherem strebenden Geist, der nach Freiheit sich sehnenden Brust Befriedigung und Beruhigung zu schaffen. Alsbald machten sich die Folgen bemerk- bar. In vielen Lebensgewohnheiten, in der Bethätigung religiöser Vorschriften, bei freudigen und traurigen Anlässen machten sich mystisch-kabbalistische Bräuche geltend, und alle Zweige des Aber- glaubens erfreuten sich liebevoller Pflege. Wenn aber trotzdem der Aberglaube es nicht vermocht hatte, tiefer in das Leben einzudringen, seinen innersten Kern ganz zu zerstören, den Glauben und die Ideale des Judentums zu trüben, so ist es doch zum grossen Teil das Verdienst Maimunis, dessen Anschauungen sich allmählich wieder in späterer Zeit, als der Druck in manchen Ländern leichter wurde, Bahn brachen und wieder auferstehend Licht und Aufklärung ver- breiteten. Der gesunde, frische Hauch, der von den Schriften Maimunis ausging, zerstreute schliesslich die Nebel der Mystik und wirkte heilsam noch nach Jahrhunderten, reinigend und befreiend auf die Geister, so dass sie, als die neue Zeit der Denk- und Glaubens- freiheit anbrach, die alten Vorurteile allmählich mitüberwinden halfen. PLEASE DO NOT REMOVE CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY 311 520 .84- F5 Finkelscherer, Israel Mose I^imunis Stellung zum Aberglauben und zur l^stik O ro