!OaWWfaW*»l»UHWJWf BffWWWW w >-■ NA lowiQSENSCHAFTLiCH BAND g.'.'ii'.'yi.W'M' " i //■ Bik LiSEN VON fiUNDD^FKÖERBER JFNA-VERLAG GUSTAV FISCHER «iMw»w»««iawtm»Miwgwwwiww^^ ^.A.BOUMAN Jr. BOEKEN MUZIEKHANDEL . AMSTERDAM: -, BILDERDIJICSTRA»! 190 W' ZEIST: ^ JE-, JAGERLAAN 20. .«ji Naturwissenschaftliche WlCHENSCHRIFT. REDIGIERT VON Prof. Dr H. POTONIE, und Prof. Dr. F. KOERBER, KGL. LANDESQEOLOGEN KGL. OBERLEHRER IN GROSSLICHTERFELDE BEI BERLIN. NEUE FOLGE VI. BAND (DER GANZEN REIHE XXII. BAND). (JANUAR — DEZEMBER 1907.) MIT 2 TAFELN UND 332 ABBILDUNGEN IM TEXT. %4 JENA. VERLAG VON GUSTAV FISCHER. 1907. Alle Rechte vorbehalten. Register.' Allgemeines und Verschiedenes. Ilokorny, Kat;ilysc und t*"ernH'nt (S.-R.) 250. Dalli, Was ist Leben- (Orig.) 422. Di eis, N'alurdcnkmäler in Australien (Orig.) 197. Fick, Individualität, Reduktion und Ver- erbung der Chromosomen. 505. Hertel, l'ber den Gehalt verscliiedener Spektralbezirke an physiologisch wirk- samer Energie (Orig.) 81. Hoffmann, Im., Wie erklären sich die Namen Berlin und Köln (an d. Spree)? (Orig.) 351. Kanitz, Über die sogenannte RGT- Regel in ihrer Anwendung auf die Lebensprozesse. 828. Koerber, Zur mechanischen Erklärung der SchulzTärbung (Orig.) 37. Lindner, Technisch wichtige Enzyme und ihre Wirkungen (Orig.) 397,737. Müller, Rieh., Physiologische und biologische Bedeutung der Kunst (Orig.) 209. Po to nie, Begriff der Entwicklung (Orig.) I SS- Po tonic, Glauben und Wissenschaft, zu Wasmann's Vorträgen über Deszen- denzlehre in Berlin ^Orig.) 1 58 ff. Potonie, Beziehung von Seele und Körper (Orig.) 208. Potonie, Streben des Menschen nach Veränderung (Orig.) 224. Ruzicka, Morph. Metabolismus des lebenden Plasmas. 487. Ruzicka, Kernlose Organismen und Notwendigkeit des Kernes für das Leben. 601. Ruzicka. Zelle und Kernsubstanz. 730. Verworn, Die Erforschung des Lebens. (Orig.) 273. Volk, Hamburgische Eibuntersuchung VIII. 8. Weismann, Unsterblichkeit der Keim- zellen und Keimplasmatheorie. 335. Willer, Wiederherstellung menschlicher Mumien. 442. Ameisen-Vertreibung. 560. ,, Anregungen und .Antworten". 431. Biontologie, Begriff von. 155. N.W. -Angelegenheilen. I60, 431. Parthenogenesis und Apogamie. 640. Physiologische Arten. 480. Träger erblicher Eigenschaften (mit .Abb.) 571- Anthropologie und Verwandtes. Bremer, Noch einmal Geisterschriften (Orig.) 411. Brück, Biolog. Differenzierung von Affen- arten u. mcnschl. Rassen durch spezif Blutreaktion. 778. Bülow, W. V., Zur .Anthropologie der Samoa-Inseln 54 1. Busch an, Gehirn u. Kultur. 56, 352. Gorjanovic-Kramberger, Systema- tische Stellung des Homo primigenius (Orig.) 747. Hennig, R., Geisterschriften. 332. Henshaw u. Swanton, Die Eskimos.: 746. j Heuser, Natürliche u. künstliche Erzeug- 1 nisse (Orig. mit t irig -Abb.) 681. lirdlicka, Zur Anthropologie der nord- amerikan. Indianer. 666. Killermann, Eßbare Insekten (Orig.) SSO- Kirschstein, Der fossile Mensch. 202. Köhler, F., Krankheit u. Tod in kultur- geschichtlicher und naturwissenschaft- ' lieber Beleuchtung (Orig.) 241. Livi, Zur Anthropologie Italiens. 198. Misch ke. Zur Herkunft unserer Ziffern. S4>- Passarge, Buschmänner der Kalahari. 488. Pearson , Intelligenz u. körperliche Merk- male. 346 Revesz, Rassen und Geisteskrankheiten. 728. Schal 1 m ey er, Verhältnis derlndividual- u. Sozialhygiene zu den Zielen der generativen Hygiene. 121. Tornier, Gegen den Vegetarismus. 808. Verworn, Zellularphysiologische Grund- lage des Gedächtnisses. 264. Verworn, Zur Psychologie der primi- tiven Kunst (Orig.) 721. Wilser, Gliederung der vorgeschicht- lichen Menschenra.ssen. 312. Woltmann, Die Germanen in Frank- reich. 90. Ziegler, Chromosomentheorie der Ver- erbung in Anwendung auf den Menschen. 314- Einheitliche Schädel- u. Gehirnmaße bei anthropologischen Messungen. 506. Farbenemphndung , ihre physiologischen (d. h. körperlichen) Grundlagen. 824. Grenzen des Irreseins. 718. Größe u. Gewicht der roten Blutkörperchen des Menschen. 672. Lichtbänder beim Blinzeln. 720. Modelle der Embryonalentwicklung des Menschen. 400. Ohrenklingen. 384. Sterblichkeit der ländlichen u. der städti- schen Bevölkerung in England. 183. Urbewohner am unteren Eujihrat. 400. Zoologie und Verwandtes, wie Viehzucht. Adams und Löns, Zur Naturgeschichte des Maulwurfs. 213. Bail, Beobachtungen über das Leben der Wasserspinnc (Argyroneta a(]uatica) (Orig. mit Orig. -Abb.) 621;. Becker, Tanztliege (Orig.) 207. Berndt, Leben der .Ameisen 1 Orig.) 188. Braun, M., Abnorme Nistgelegenheiten von Vögeln. 184. Brian, Die Ilornzähne auf der Zunge von Hystrix cristata (mit Abb.) 762. V. Buttel-Reepen, Psychobiologische und biologische Beobachtungen an Ameisen, Bienen und Wespen (Orig. mit Abb.) 465. Dahl, Maulwurfs-Wohnung (Orig.) 142. D a h I , Intelligenz der Spinnen (Orig.) 207. Dahl, Schlaf iles Hasen lOrig.) 607. Dahl, Über die Blattschneider-Biene (Orig. mit Abb.) 751. Dahl, Spinnenlliege, Nycteribia bechsteini (Orig. mit Abb.) 799. Enslin, Reduktion der Augen bei einer Planarie. 57. Enslin, Höhlenfauna des fränkischen Jura. 265. Forel, A. , Zeit-Gedächtnis der Bienen. 617. Graebener, Fang der Maulwurfsgrillen (Orig.) 736. Greff, Würmer als Parasiten im mensch- lichen .Augapfel. 249. Greppin, Die geistigen Fähigkeiten der Vögel. 599. Gudger, Brutpllege von Siphonostoma Floridae (mit Abb.) 284. Hadzi, Biologie von Hydra. 263. Hagedorn, Pilzzüchtende Borkenkäfer (Orig. mit Orig.-.Abb.) 289. Hase, A 1 b r. , Ist -Sarcoptcs mutans lebendig gebärend r (Orig. mit Orig.- Abb.) 568. Hirsch 1er, Regulatorische Vorgänge bei Ilirudinecn nach dem Verlust des liintcren Körperendes. 729. Hochstetter, Entwicklungsgesch. der europ. Sumpfschildkröte. 583. ') Die Abkürzung S.-R. bedeutet Sammel-Referat. .388:^2 Register. V. Ihcring, Cecropien und ihre Schutz- ameisen. 347. Jacobi, Schrillapparal bei Singcicadcn (mil Abb.) 779. Kammerer, Geschlechtsreife Krösche und Kröten als würgende Reiter auf Kisclien. 800. Keibel, Mirsch, Secfcldcr, Wol- fram etc., Zur Entwicklungsgeschichte des Auges. 104. Kleiner, Methode zur Ermittlung der Höhe des Vogellluges (ürig. mit ürig.- Abb.) 26. Knauer, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Aquarienkunde (Orig.) 177. Kolbe, Über die lärutpillen und die Fürsorge für die Nachkommenschaft bei den Pillenkäfern (Orig. mit Orig.- Abb.) 33. ^ K o ro tn e i f, Zoologisches vom Baikalsce. 174- Korscheit, Versuche an Lumbriciden und deren Lebensdauer im Vergleich mit anderen wirbellosen Tieren. 668. Krumbach, Trichoplax , die umge- wandelte Planula einer I iytirometluse. 425- Kükcnthal, Beziehungen der marinen Tierwelt des arkt. u. anlarkt. Gebiets. 507. Lange, B., Zur Xaturg. des Maulwurfs. 496. van Leeuwen, Aufnahme der Sperma- lophoren bei Salaniandra maculosa (mil I Abb.) 490. Magnussen, Harro und Dahl, Opfermut einer Grasmückenmutter (Grig.) 59; Manzeck , Über ein Hornissennest (Orig.) 623. Meyer, Erich, Im Reich des Bibers (Orig. mit Orig.-.'Vbh.) 651. jVottbohm, .Ansiedelung einer subtrop. .Spinne bei Hamburg I,' )rig.) 333. Zu O s t w a 1 d ' s Plankton-Untersuchungen. 127. Pflugk. Akkommodation des Auges der Taube (mit Abb.) 38. P 1 a t e , Pyrodinium bahamecse, die Leucht- Peridinee des „Feuersees" von Nassau, Bahamas (mit Abb.) 71. Punett, Geschlechtsbestimmung (bei Hydatina). 459. Reh, Einige Bemerkungen zur Vogel- schutzfrage (Orig.) i;77. Schaff, Schläft der Hase mit offenen .•\ugen? 521. Schulze, Franz Eilhard, Die Glas- schwämme (Hexactinellida) der deut- schen Tiefsee-Expedition (mit Abb.) 129. de -Soza de Castro, Zoologische Be- obachtungen in Indien 1660. 173. S p e m a n n , Embryonale Transplantation. 121. Spill, Fernrohrbeobachtungen über den Wanderflug der Vogel (Orig.) 293. Was mann siehe Tissot. Werckle, Uranidenzüge (Orig.) 91. Aale, ihr nächtliches Wandern. 47. Aal in kontinentalen Gewässern. 640. Autotherapie. 7S3. • Bandwurm in Fasanen. 32. Bienen mit 1 »rchideen-Pullinien am Ko|:)f 640. Biologische Meeresstationen. 768. Blattwespen-Raupen. 240. Buckelwal, seine Nahrungsaufnahme. 207. Chlorophyllkörner verglichen mit Zoo- chlorellen. 400. Coelenteraten- Verdauung. 128. Eieinschlüsse. 240. Eierlegen der Arbeitsbienen. 815. Eintagsfliegen, ihr massenhaftes Auftreten. 656. Energie im lebenden Tiere, ihre Herkunft. 128. Essigälchen. 207. Farbenwechsel der Tiere und .Anpassungs- farben. 15. Finne und Darmsaft. 206. Fische, können sie hören? 46, 319. Fliedermotte. 639. Fliegender Sommer. 432. Haflhaare an den F'üßcn der Fliegen. 176. Hydrokorallien, Entwicklung ihrer Ge- schlechtsprodukte. 720. Holzwurm. 640. Igel, seine Giftfestigkeit. 206. Insekten, eßbare. 550, 688. Insekten-Farben. 7151. Kamel-Höcker und -Magen (mit Abb.) 670. Klettern von Löwen und Tigern. 432. Krähe als Feind des Engerlings. 511. Leukocyten (weilic Blutkörperchen). 591. Libellenwanderungen. 416. Loranthus europaeus mit Schildlaus. 672. Maulwurfsgrillen-Fang. 624. Maulwurfs- Wohnung. 319. Mechanismus d. Akkommodation d. Auges. 296. Milbenlarve auf Feldheuschrecke. 814. Nerven, ihre spezifische Energie. 271. Nervöse Störungen bei Tieren. 827. Physostomen-Geschlechtsorgane, ihre Dif- ferenzierung. 719. Präparierbecken. 656. Proglottiden-Eierzahl. 206. Prostata. 719. PseudoSkorpione, ihre Lebensweise. 639. Reptil- etc. Farben-Erhaltung für die Sammlung. 720. Ringelnatter, ihre Geschwindigkeit. 366. Rothirsch -Dasselfliegen-Larve. 206. Salz-Ausscheidungen im Tierkürper. 399. Schlupfwespe an VViesenpflanzen. 432. Schneckenf.Fliegenlarve in Ameisenhaufen 815. Selbsverdauung des Magens , ihre Ver- hütung. 384, 416. Sepia. 223. Spinnen, ihre Konservierung. 32. Stern feld, Verkümmerung der Mund- Spinnen-„lntelligenz". 319. teile und Funktionswechsel des Darmes Spinnen als \ ertilger von Schädlingen. 43 bei den Ephemeriden. 796. Strohmeyer, Eichenkernkäfer. 584. Thesin g, Infusionstierchen. 74. Thilo .Luftwege der Seh wimmblasen. 140. Thilo, Schwinden der Schwimmblasen bei den Schollen (mit Abb.) 373. Tissot u. Was mann, Ameisennester „Boussole du Montagnard" (ürig.)39i. Spinnen, ameisenähnliche (mit Abb.) 767 Trichinen -Entw. im Dünndarm resp. in den I.ymphbahnen. 206. Trichinen-Präparat. 222. Vogelzug. 222. Wegschnecke, Ursachen ihrer F'arbenabän- derungen. 607. Wal u. Känguru, Zahl ihrer Jungen. 432. Wespen, aus ihrem Leben. 767. Wickersheimer'sche Flüssigkeit zur Kon- servierung zoolog. Ohj. 624. ,, Witterung" brütender Rebhühner. 432. Zum zoologischen Studium, Literatur und anderes. 560. Zur zoologischen Makrotechnik. 815. Botanik und Agrikultur. Andreae, Pflanzen der Tempelliaine Japans (Orig.) 225. Beckmann, P., Über Bambus l,Orig.) 143- Bernau, Frühlingsvegetalion am (Sarda- see (Orig.) 353. Detmer, Stärke- u. Zuckerblätter u. üb. Transpiration. 315. Diels, Das Verhältnis von vegetativer Entwicklung u. generativer Reife im Pflanzenreich (Orig. mit Abb.) 117. Dun bar. Die Entstehung der Bakterien. 795- Dürkop, Zur Geschichte der Tomate (Orig.) 545. Eisenberg, Entstehungsbedingungen diastatischerEnzvme in höherenPflanzen, 585. Ernst, Keimen der dimorphen Frücht- chen von Synedrella nodiflora. 232. Fischer, Hugo, Über Bodenbakterien (Orig.) 481. Franke, A., Präparation von Diatomeen (Orig.) 464. Graebner, Flora des Grunewaldes (Orig.) 359. Graebner, Das plötzliche massenhafte Auftreten von Epilobium angustifolium u. dergl. (Orig.) 624. Graebner, s. Geologie. Gurwitsch, Die Nutzbarmachung von Luftstickstoff (Orig.) 817. Hannig, Pilzfreies Lolium temulentum. 334- Hein eck, Verlauf des Blütenlebens bei Aristolochia clematilis (Orig.) 732. Herse, Ein kernloser Apfel (Orig. mit Orig.-Abb.) 72. Herter, Stachelbeerkrankheit (Orig. mit Orig.-Abb.) 27. Köhler, P., Reproduktions- u. Regene- rationsvorgänge b. Pilzen. 491. K n y , Bau und Leben der Wasserpflanzen 429. Küster, Beziehung der Zellkcrnlage zu Zellenwachstum und Membranbilduug. 35S. Lange, B., Die Schwadengrütze (Orig.) 512. Lindau, Unters.-Methode der Basidio- myceten (Orig.) 1 12. Lindau, Präparation von Hutpilzen (Orig.) 384. Loeske, Über Moose (Orig.) 79. Loeske, Moose des Grunewaldes (Orig.) 362. Loeske, Riccia fluitans u. Ricciocarpus natans (Orig.) 480. Lopriore, Die Cauliflorie nach alten und neuen .Anschauungen (Orig. mit Abb.) 497. Lopriore, am Anapo, unter den Papyren (Orig.) 820. L o ts y , Generationen (x- u. 2 x-Generation) der Pflanzen. 571. Magnus, W., Entw. u. Formbildung der Pflanzen in ihrer Abhängigkeit von äußeren Einflüssen (Orig.) 187. Register. III Marshai, Aposporie et sexualite chez les niousses. 797. M e i s e n h c i m c r , J., Nutzbarmachung des Luftslickstoffs. 830. Möbius, Der Stammbaum des Prianzen- rcichs (ürig. mit Abb.) 401. Molisch, Neue Purpurbakterien mit Schwebekörperchcn. 284. Orth, Kalidüngung (Orig.) 60S. Potonie, Zur Stammesgeschichte des Karnprolhalliums (Orig. mit z. T. Orig.- Abb.) 161. Potonie, Hänge- u. Besen-(Moor-)Birke u. andere Baumarten trockener Stand- orte mit Parallelen auf Moorböden (Orig. mit Orig.-Abb.) 199. Potonie, Die Nahrung der Ilochmoor- ptlanzen (Orig.) 425. Rosenberg, Neue .^rt der Embryo- bildung bei Phanerogamen. 215. Schelle, Bambuseen u. Kälte (Orig.) 272. Schiffner, Tierfangende, Lebermoose (mit Abb.) 106. Schlickum, Abnorme Formen von Pri- mula elatior (Orig.) 522. Schroedcr, Guajaktinktur als Farb- mittel für Pilic (Orig.) 141. Sernander, Die europäischen Myrme- kochoren. 375. S t ä g c r , PHanzen mit transparenten Blüten (Orig.) 184. Werth, Die Pflanzenwelt der Antarktis nach den Ergebnissen der Deutschen Südpolar-E.vpedition (Orig. mit Orig.- Abb.) 369. White. G. F., Bakterien des Bienen- stockes 332. Zimmermann, A., Urwald u. Kulturen in Deutsch-Ostafrika. 428. Apogamie u. Parthenogenesis. 80, 224. .■\ucuba japonica. 704. Diatomeen-Präparation und Beslimmungs- werke. 304. Digitalis purpurea plötzlich auftretend. 783. Farn (Schreibweise). 223. Feige, ihre Befruchtung durch Insekten (mit Abb.) 15. Flechten-Pilze u. Algen als Symbionten oder als Mutualismus. 463. Früchte, ihre Konservierung. 783. Gipfel-Erneuerung von Tannen u. Fichten. 608. Gonen und Gonotokonten. 573. Herkunft der Energie der Pflanzen. 287. Kohl auf Helgoland. 223. ,, Krebs" der Obstbäume. 447. Laubblätter-.Assymmetrie. 688. Licht-Entwicklung bei Pflanzen. 431. Mikroorganismen-Tätigkeit im Boden. 97. Nectera depressa. 704. Nicotiana silvestris u. Sanderae. 96. Nilghirrie-Nessel 800. Plantago mit rispiger Auflösung der Ähre. 303- Rotfärbung von Landpflanzen. 366. Russtau. 400. Schraubelr 416. Transpirationsstrom der Pflanzen. 704. Wie schützen sich Pflanzen gegen Druck- kräfte r 800. Wurzelhaare u. deren Sekrete. 91. Zea Mais mit abnormer Blütenbildung. 7S3. Paläontologie. Brandt, Mammut-Schwanz. 479. G o t h a n , Pflanzengeographischcs aus der paläozoischen Flora (Orig. mit Abb.) 593. 639- Hörich, Pleridospermeac (Orig.) 215. Potonie, Historisches zur Frage nach der Genesis der Steinkohle (Orig. mit .•\bb.) 113. Potonie, Inkohlung und Wrkohlung (Orig.) 463. Graptolithcn, ihre System. Stellung. 223. Zahn einer ausgestorbenen Rhinozerosart. 352- Geologie und Mineralogie. .\ r 1 d t , Zyklon der Erdentwicklung (Orig.) 193- (" a 1 d e r 6 n , Das Streben zum mole- kularen Gleichgewicht in der Mineral- weit. 341. Ebler, Arsengehalt der ,,Ma.\quelle" in Bad Dürkheim. 542. Gessert, Unterschiede des Bodens in Steppen verschiedener Klimate (Orig.) 705. Gr aebner, P., Beziehung von Quellen zu Nadel- und Laubwäldern (Orig.) 528. Kästner, Die Schneedecke als Veran- schaulichungsmittel einiger geologi- scher u. geographischer Erscheinungen (Orig. mit Orig.-Abb.) 201. Lehmann, O., Flüssige und scheinbar lebende Kristalle. II. Müller, W. J., Bildung von (luarz und Silikaten aus wässriger Lösung. 297. Reindl, Das vulkanische Ries u. seine Erdbeben (Orig.) 698. Sieberg, Die Natur der Erdbeben und die moderne Seismologie (Orig. mit Abb.) 785, 801. Simoens, Geologie als Unlerrichts- gegenstand. 7*0. Solger, Ursache der größeren .Aus- dehnung der Gletscher zur Eiszeit (Orig.l 336. Spethmann, Nacheiszeitliche Entwick- lung des südwestl. Ostseebeckens (Orig.) 107. Spitz, Zur Theorie der intermittierenden Quellen (Orig.) 285. Steffen, Zum Erdbeben in Miltelchile. 123. Stutzer, Eruptive Kalksteine (Orig.) 392. Wagner, Schwefel säurehaltige , heii3e Quellen, die ihren Thermalcharakter menschlicher Bautätigkeit verdanken. 350- Wahn seh äffe , Die Seerinne des Grune- walds und ihre Moore (Orig. mit z. T. Orig.-.-^bb.) 321. Diallagsyenit als Schmuckstein. 448. Erdbebeuforschung nach den Verhand- lungen der inlern, seismolog. Asso- ziation im Haag 1907. 733. Erdpyraraiden (mit Abb.) 608. Gelenkquarz, fle.xible stone. 528. Kalkkarbonat, sein Ursprung. 783. Luzerner Gletschergarten. 64, 224. Moor, Torf, Sumpf, Schlamm, ihre Be- griffe. 224. Sedimentation in Salzwasser. 224. Störungen in der Erdkruste. 232, 443, 810. Wachstum der Kristalle. 384. Wünschelrutenfrage. 240. Geographie und Geophysik. Albrech l, Geogr. Längenditferenz-Be- stimmungen mittels dr.Uitloser Tele- graphie. 5S6. A r 1 d l , Zur .\tlantisfrage (Orig. mit Karte) 673- Er d mann, h.in ncugcbildclcr großer See in Südkalifornien. 266. llayford. Neueste Erdmessungen. 510. Jacubi, Tirols gcfürchtetste Gletscher ausbrüche (Orig.) 685. Jentzsch, Eine neue Insel. 445. Lotz, Trinkw.asser, schlechtes, in Deutsch- Südwestafrika (Orig.) 366. Philippi, Betrachtungen über ozeani- sche Inseln (Orig.) 385. Potonie, Kultureinflüsse auf Sumpf und Moor (Orig.) 337. Potonie, Ein von der Holländisch- Indischen Sumatra- Expedition ent- decktes Tropen-Moor (Orig. mit Orig.- Abb.) 657. Reindl, Bergstürze in Bayern (S.-R.l 377- V. Richthnfen, Herkunft des Salzes im Meerwasser. 28. Sc h o 1 1 , Forschungsreise S. M. S. ,, Planet". 393- Schröder, Christoph, Am Ostrande des Parehgebirges entlang zum Kili- mandscharo (Orig. mit Orig.-Abb.) 513. V o e 1 1 z k o w , Ceylon und die Perlen- rischerei. 555- W o 1 f f , M a .t , Das Licht in der Tiefe des Weltmeeres (Referat). 355. Gefrieren von Meerwasser. 208. Rennsteig, nicht Rennstieg. 96. Physik. Dannenberg, R., Zinksulfidschirm zur Deraonstr. von Wärmestrahlung und als Röntgenschirm. 780. Duddell u. Eichhorn, Kontinuierliche elektrische Schwingungen und die Poulsenstation Lyngby (mit Abb.) 647. Eichhorn, Die moderne drahtlose Tele- graphie (Orig. mit Abb.) 49. Elstern. Geitel, LichtelektrischesPhoto- meter 654. Fischer, G., Elektrizität und Ausnutzung der Naturkräfte. 366. Gehrke u. Reichenheim, Anoden- strahlen. 492. H a r t m a n n , J., Spektrokom)iarator. 297. Hermann, E., Wesen des Klanges. 716. Meyer Wildermann, Galvanische Ströme durch Licht hervorgerufen. 40. Orechow, Das Massenwirkungsgfsetz und seine Bedeutung (Orig.) 536. i.lrlow. Blase aus Schusterpech. 717. Otto, W., Der Rotax-Unterbrecher, ein neuer Fortschritt im Röntgen-Instru- mentarium (Orig. mit Abb.) 753. Beck, Unterwasscr-Schallsignale. 286. Pohl, Rob., l.ichtemission von Gasen vor radioaktiven Substanzen. 686. Ramsay, Radiumemanalion. 570. Schmidt, K. E. F., Periodische Störungen der drahtlosen Telegraphie. 446. Schmidt, W., Linsenfehler (Orig.) 769. Spies, Elektrochemisches Chronoskop. 798. Stark, Kanalstrahlen. 412. Wedekind, Magnetische Verbindungen aus unmagnetischen Elementen. 73. Wulf, Elektrometer für statischeLadungen. 779- Biegungsfestigkeit. 256. Chemische Theorie der Berührungselektri- zität. 511. IV Register. Cupron-Element. 511. Diffusion fester Körper. 784. Galvanische Polarisation. 44S. Historisches über die Erfindungen physik. etc. Apparate. 752. Leidenfrost'sches Phänomen S16. Summen der Telcgraphendrähtc 719. Zustandsgieichung de Mathematik. Ilalicrmann, Apparat zur 7-'reilung eines Winkels Orig.-Abb.) 73. 192. 3-, 5- (Orig. und mit Astronomie. Adams, Spektren der Mitte und des Randes der Sonnenscheibc. 716. Harnard, Nebliges Streifensystem im Sternbildc des Stiers. 428. H r u n s , Der spektroskupische Doppelstern / Antlromedac. 1 :;4. Ceraski, Helligkeit der Atmosphäre in unniittelbarcrNachbarschaftdesSonnen- randes. 363. Fery u. Willoohau, Sonnenstiahlung. 249. Haie, Stcreoskopbild der Sonne. 701. Haie, Adams, Gale, Sonnenflecken- sjjektra. 40. Hartmann, Julius, .Astrophys. Be- deutung der .momalen Dispersion. 7'3- Lagrange, !■'.., Zum Kotations-E.\peri- ment Leeuwenhoek's, 154. 1^ o \v e 1 1 , P e r c i V a 1 , Mars and its canals. 522. I.udendorff, Bahn des S]iektroskop. Doppelsterns .-i Arietis. 460. Metcalf, Photogr. Nachweis von Ver- änderlichkeit bei Planetoiden. 479. Müller u. Kempf, Veränderl. Stern x Persei. 586. Newcomb, Erklärung der Mars-Kanäle. 715- Petri, A. van l.eeuwenhoek's Experiment die Drehung der l'>dc zu zeigen (Orig. mit Abb.) 40. Poynting, Astron. Folgerungen aus dem vom Lichte ausgeübten Druck. 109. Rosenberg, Veränderlicher Stern x Cygni. 621. Sliph er, Spektrum lies Sternes Mira Ceti. 4»5- Entstehung der Sonuenwärme. 217. Erklärung der stark ellipt. Kometenliahnen. 384- Heller Komet in den Zwillingen. t;24. Himmelserscheinungen, monatliche. 13, 59, 124, 267, 350, 414, .622, 687, 765. Instrumente zur Zeitbestimmung (mit Abb.) 363. Mira Ceti. 40. Planetoiden der Jupitergruppe. 603. Polarisation des Lichtes der Coroniumlinie im Züdiakal- u. Polarlicht und der Kryplonlinien im Polarl. öü6. Spektroskopische Doppelslerne. 716. Meteorologie. .\ r c t o w s k i , (Gezeiten in der Atnui.sphäre. Hergesell, Meteorolog. Bcob. üb. dem Meere. 602. Hergesell, Eroberung des I.uftmeercs. 053. Kaiser, Max, Land- und Seewinde an der deutschen Ostseeküste. 9. I.cü, Wetter-Monatsübersicht (Orig.) 43, HO, 186, 252, 317, 396, 461, 524, 003, 069, 748, 812. P o t o n i c , d. h. P 390 • .Summer, Inversionstemperatur der Luft. 174. Abendliches Bewolkungs-Minimum. 592. Berechnung der Höhe der .Atmosphäre. 404. Mundharometer. 2^6. Sogenannter Schwefelregen, onregen (Orig. mit I .Abb.) Chemie. Baaz, Zusatz zum Artikel über berühmte Alchymisten (Orig.) 239. Bechhold, Kolloidstudien mit der Fil- tratiousmethode (mit .Abb.) 763. V. B o 1 1 o n , Darstellung reinen Niob- mctalls. 553. Erdmann, H, Feste Luft. 780. Hahn, O. , Mesothorium, ein neuer radio- aktiver Körper. 702. Müller, W. J. , Passivität der Metalle. 94. Petri, Athanasius Kircher's Destillier- methüden (Orig. mit Abb.) 561. Roland, Kataly tische Wirkung von AlCl;,. 380. Wölbung, Theorie d. Lusungsi caktioncn (Orig.) 689. Dianenbaum. 384. Ozon. 176. Wesen der Maßanalyse. 192. .Aus Ciueihcs Meteorologie. 316. B ö r n s t e 617. Halb faß, Kliniatolugische Probleme im lichte moderner Seenfyrschung. 412. Technik (auch naturwissen- schaftliche), Instrumentenkunde und Industrie. Ives, Farbige Photographien. 141. Jencic, Fortschritte der Photographie in natürlichen Farben (Orig.) 641. Kammerer, Die modernen Hilfsmittel eines Stahlwerkes. 381. K o e r b e r , Die Verwendung feiner Gitter in Wissenschaft, Technil; und Unter- richt (Orig. mit .Abb.) 17. Lindner, Technisch wichtige Enzyme und ihre Wirkungen (Orig. mit Abb.) 397, 737- Loebe, Der elektrische Ofen (Orig. mit Abb.) 433. Petri, J., A. van Lceuweuhoek's Mikro- skope (Orig. mit Orig.-Nachb.) i. Z c m e c k , Photographie v. Wärmestrahlen. 123. Bildtelegraphie -Verfahren. :;92. Epidiaskop von Zeili (mit .Abb.) 29S. Gummitkische nach Witt. 176. Handlungen nükroskop. Prä|)arate etc. 160. Institut für Gärungsgewerbe in Berlin. 397. Kayserling'sche Konservierungsflüssigkeit. 272. Kitt zum Verschließen von Gläsern. S15. Photographisches Preisausschreiben für Luftschiffer. 221. KaniiestrUmpfe. 63. Roburit. ()4. Wickershcimer'sche klüssigkeit. 708. Unterricht. Biologie in der Schule. 47. Deutsche Ges. f. volkstüml. Naturk. 74, 187, 202, 25b, 366, 381, 397, 428, 554, 829. Medizin und Hygiene. Bacon, Fischgifte der Philippinen. 314. Falkenberg, Der Alkohol und seine Wirkung auf den menschlichen Orga- nismus. 554. L o e V c n h a r t , Biolog. Methode zur Ent- deckung von Fluoriden in Nahrungs- mitteln. 478. Marcuse, Gesetzliche Eheverbote liir Kranke und Minderwertige. 443. Petri, Athanasius Kircher's Buch über die Pest (Orig. mit Abb.) 609. Schenkung, Sigm., Hautausschlag verursacht durch Dictamnus albus (Orig.) 544. Steiger, Entwicklungsgeschichtliche Ge- danken zur Frage der Kurzsichtigkeit. 507- Augenzerstörung durch Fliegenlarven. 4S0. Biß der Gila-Echse. 521. Cassiatistula, ihr purgierendes Prinzip. 816. Dahlia-Knollen zur Moskitovertilgung. 708. Diptam, Hautreizung durch. 072. Fliegenlarven im u. am lebenden Menschen- körper. 799. Mist-Geruch-Beseitigung. 784. Schlafkrankheit. S32. Biographisches u. Historisches. Baaz, Berühmte Alchimisten (Orig.) 23g. E c k a r d t , 1mm. Kant's Bedeutung für die moderne Naturwissenschaft (Orig.) 679. Harms, Carl von Linne (Orig. mit 2 Porträts) 305. Lehmann. R. C, Über Robert Cham- bers und die „Vestiges of creation" (Orig.) 301. von S t r a d o n i t z , Berülimte .Alcliimi;,ten. 103. Tsakalotos, Lamarckistische .Äußerung Herodots (Orig.) 464. Berthelot f. 219. von Bezold, W., f. i!;4. Czapski f. 460. Kreutz, Heinrich, f. 524. Loewy, Maurice, f. 703. Mendel-Denkmal. 142. Mendelejcff -f. 123. Moissan f. 175. von Oppolzcr, Egon, f. 524. Seile, Gustav, f. 510. Vogel, H. C, t- 554- Literatur .Ambron n, L., Sternverzeichnis. 63. .A m r e i n u. H e i m , Gletsehergartcn in Luzern. 175. Apstein, Salpen. 29. .Arendt, Elektrische Wellentelegraphie. 735- .\ rno I d , Chemie. 191. Auerbach, Die Grundbegriffe der mo- dernen Naturlehre. 268. .Auerbach, Zeißwerk. 606. V. Baer's, Karl Ernst, Schriften, aus- gewählt und eingeleitet von Prof Dr. Remigius Stölzle. 558. Bahrd t, I'hysikalische Messungsmethodon. 267. Register. Huucr, Gescliichle der Chemie. I.Teil; Von den ältesten Zeiten bis zur Vcrbrennuiigsllieorie von Lavoisier ; II. Teil: Von Lavoisier bis zur Gegen- wart. 267. H a u m g a r t e n , Jaliresber. über die Kort- sclirilie in der Lehre von den patho- genen .Mikroorganismen. ySl. Herberich, .Vstronom. Jahresber. 638. V. Hezold, Gesammelte .Abhandlungen. 191. Braß, Krnst Iliickcl. 124. Hr aß, Erwiderung an Franz (Orig.) 255. Hraucr, Die Ticfscefische (mit Abb.) 23-v Hrillouin, Viscosite. 221. 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Köthner, .Aus der Chemie des Ungreif- baren. 558. Krisch, Barometrische Höhenmessungen und Reduzierungen. 383. Krische, Das agrikulturcheraische Kon- trollwescn. 267. Krümmcl, Ozeanographie. 351. Kuenen, Zustandsgieichung der Gase u. Flüssigk. 605. K ü k e n t h a I , .Alcyonaccae ( Valdivia-Exp.) 318. Kunz, Theoretische Physik. 399. Laloy, Parasitisme et mutualisme dans la nature. 26S. Lampert, Das Tierreich. I.Säugetiere. 207. Lange u. St ahn, Gartengestaltung. 59. Lebesque, Series trigonometriques. 78. von Lenden feld, Tetraxonia. 765. Liebenthal, Praktische Photometrie. Lindner, Ornitholog. Vademecum. 112. Lotsy, Vorträge üb. botan. Stammes- geschichte (mit Abb.) 571. Lüpke, R., Elektrochemie. 782. Maas, Otto, Lebensbedingungen und Verbreitung der Tiere. 558. Mahler, Physikal. Formelsammlung. 76. Malina, Sternbahnen und Kurven mit mehreren Brennpunkten. 605. Martius, F'lora brasiliensis. 525. Mayer, Ad., Agrikuliurchemie III. 367. Metze, Bau und Leben der Blüte. Eine Einführung in die Blütenbiologie, 268. Meisen heimer, Gärungschemie. 367. Meyer's Großes Konversations-Lexikon. 76, 301, 543. .Miehe,Selbsterhitzung des Heus. 205, 463. Mi ehe, Die Erscheinungen des Lebens. Grundprobleme der modernen Biologie. 268. M i g u 1 a , Morphologie , .Anatomie und Physiologie der Pflanzen. 267. Migula, Pflanzenbiologie. 267. Miller, W., Instrumentenkunde für For- schungsreisende. 45. Molisch, Purpurbakterien. 462. Möller, M., Witterung des Jahres 1907. in. M o o s e r , Sonnensystem. 204. M ü 1 1 e r - P o u i 1 1 e t - L u m m e r , Physik und Meteorologie. 367, 718. Naumann-Zirkel, Mineralogie. 798. Newcomb's .Astronomie. 782. Oels, Pflanzenphysiol. Versuche. 191. Ohmann, Chemie u. Mineralogie. 45. Oppenheim, Das astronomische Welt- bild im Wandel der Zeit. 268. Pauls en, Das deutsche Bildungswesen in seiner geschichtlichen Entwicklung. 268. Petronievics, Die typischen Geometrien u. das Unendliche. 751. 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Schillings, Der Zauber des Elelescho. 44- Schubert, H., .'\us meiner Unterr.- u. Vorlesungspra.xis. 301. Schmeil, Zotilogie. 219. Schmiedeknecht, Die Hymenopteren Mitteleuropas. 382. Schneider, Karl CamiUo, Deszen- denztheorie. 155. S c h o e n , Anleitung für die Manipulationen bei d. barometrischen Höhenmessungen. 383. Schoenichen, Aus der Wiege des Lebens. Eine Einleitung in die Bio- logie der niederen Meerestiere. 268. Schröder, O., Neue Radiolarien (Cyto- cladus gracilis u. C. major). 429. Schröder, O. Eine gestielte Acantho- metride (Podactinelius sessilis). 429. Schuck, Wirbelstürme. 31. Schulz, W. A., Hymenopteren-Studien. Schulz, Spolia hymenopterologica. 3S2. Schurig, Anatomie der Echinothuriden. 77- Seligo, Hydrobiolog. Untersuchungen II. 2S7. Sievers, .Mlgcmeine Länderkunde. 559, 798. Stephan, Techn. Mechanik. 220. Stroobant, Observatoires astronomiques et les astronomes. 639. Taschenberg, Die Insekten nach ihrem Schaden und Nutzen. 558. Thiele, Chitonen der deutsch. Tiefsee- E.^ip. 77. Thiele, Archaeomonia prisca. 77. Tümpel, Geradflügler. 687. Lfrban, Flora brasiliensis. 525. Vater, Einführung in die Theorie und den Bau der neueren Wärmekraft- maschinen. 267. Vierordt, Anatom., physiol. u. physikal. Daten u. Tabellen zum Gebrauche {. Mediziner. 190. Voges, Der Obstbau. 26S. de Vries, Mutation. 155. Wasmann, Biologie. 155. Wasmann, Der Kampf um das Knt- wicklungsproblem. 635. Webern. Wellstein, Elementar-Mathe- matik. 750. Weitbrecht, .\usgleichungsrechnung nach der Methode der kleinsten Qua- drate. 267. Weinstein, Philos. Grundl. d. Wissen- schaften. 3S2. W e s t e r m a r c k , Moralbegrift'e. 586. Wiedersheim, Vergl. Anatomie der Wirbeltiere. 335. Wiesner, .-\nat. u. Phys. d. Pflanzen. 30. Wilser, Menschwerdung. 461. W i n k e 1 m a n n , Handbuch derPhysik. 7g. Winkler, Rieh., Tierreich. 219. Wüllner, Experimentalpliysik. 814. Zacharias, Staatl. Inst. f. Hydrobiologie. 111. Zacharias, Plankton als Gegenstand naturkundl. Unterw. 446. Zacharias, Süßwasser-Plankton. 44^- Ziegler, H. E., Zoologisches Wörter- buch. 703. Zirkel siehe Naumann. .Adreßbuch der Deutschen Präzisions- mechanik und Optik. 221. Annuaire pour l'an 1907 du burcau des longitudes. 79. Astronomischer Kalender 1907. 142. Aus Natur und Geisteswelt. Sammlung wissenschaftlich - gemeinverständlicher Darstellungen. 558. Bibliographie. I 12. Bücher der Weisheit und Schönheit, her- ausgegeben von Jeannot Emil Freiherr von Grotthuss. 558. Chemisch-technische Bibliothek. 558. Das Wissen der Gegenwart. Deutsche Universal-Bibliothek für Gebildete. 558. Deutsches Käderbuch. 203. Deutsche Südpolar-Expedition. 29, 429. Die Natur. Eine Sammlung naturwissen- schaftlicher Monographien. Heraus- gegeben von Dr. W. .Schoenichen. 558. Lit. üb. .Apogamie und Aposporie. 816. Lit. üb. die baltische obere Kreide. 31. Lit. für den biozentrischen Unterricht in Zoologie. 302. Lit. üb. Blüten-Insekten. 192. Lit. zur Geschichte der Chemie. 48. Lit. üb. Diatomeen. 304. Lit. üb. Chemie der Eiweißstoffe. 192. Lit. üb. Erdpyramiden. 816. Lit. üb. Farbenskala. 240. Lit. zur Fauna von Rügen. 223, 336. Lit. z. Bestimmung von Süßwasser-Fischen. 720. Lit. üb. Biol. d. Flechten u. Moose. 783. Lit. zum Studium der Geologie. 576. Lit., geologische, üb. das Mainzer Becken. 528. Lit., geolog., üb. Südamerika. 31. Lit. zur Geschichte d. Naturwissenschaften. 20S. Lit. für Schülerinnen von Handelsschulen. 608. Lit. neuer Werke üb. Kryptogamen. 272. Lit. üb. Kulturgewächse. 288. Lit. üb. die Mendel'schen Gesetze. 544. Litt. üb. das Nervensystem. 240. Lit. üb. Pflanzengallen- und Pflanzen- Krankheiten. 688, 783. Lit. üb. die Pfl. in Sage, Mythe, Märchen usw. 240. Lit. pflanzenphys. Handbücher. 336. Lit. zur Phylogenie d. Pflanzenreichs. 240. Lit. (Zeilschriften) üb. Physik u. Chemie, 480. Lit.: Lehrbücher d. Physiologie. 32. Lit. üb. Pilz-Abbildungs-Werke. 544. Lit. zum Studium der Pteridophyten. 10. Lit. üb. .Anat. u. Biologie der Spinnen. 32- Lit. über Süßwasserplankton. 223. Lit. üb. wissenschafll. Terminologie. 490. Lit. üb. Termiten. 32. Lit. üb. Tier-Fährten. 352. Lit.; tierphysiolog. Praktica. 32. Lit. üb. d. Vogelzug. 222. Lit. zur Analyse des Wassers. 3S4. Lit. zur mikroskop. Zoologie. 192. Lit. zur ökologischen Zoologie. 767. Lit. aus der Praxis der Zoologie. 815. Natur und Staat. 654. Naturwissenschaftliche Zeitschriften. 400. und Bildung. Einzeldar- aus allen Gebieten des Herausgeg. von Dr. Paul Pädagogische Jahresschau. 606. Pflanzen-.\bbildungs-Werke der cinheim. Flora. 256. Photographischer Abreißkalender. 799. Ri-gles intern, de la nomenclature bota- nique. 45. Valdivia-Expedition. 765. Vegetationsbilder herausgegeben von Dr. G. Karsten und H. Schenck. 383. Wissenschafll. Ergebnisse der Deutschen Tiefsce - Expedition auf dem Dampfer „Valdivia" 189S — 1899 (mit Abb.) 76, 233- Wissenschaft Stellungen Wissens. llerre. 55S. Zoologische Modelle. 7bv Zoologische Wandtafeln. 767. Zoolog. Zeitschriften. 400. Abbildungen. Abb. zur drahtlosen Telegraphie. 51 — 55. Acaena adscendens-Bestand (Orig.) 371. Acheson'scher Ofen. 435. Akkommodationsapparat der Taube. 39. Albizzia moluccana. 6^9. Alnus glutinosa. 418. .\meisenähnliche Spinnen. 76S. Ameisennester ,,Boussole du Montagnard" (Orig.) 392. .-Vmphidisken. 132. Anker eines Schwammes. 136. Anthoceros. 408. Apfel, kernloser (Orig.) 72. Aposporie bei Aspleninm. 178. Apparate, Maschinen und Stationen zur drahtlosen Telegraphie. 66, 67, 68, 69. Apparat zu Kolloid - Filtrationsstudien. 763. 764- Apparat zur 3-, 5- u. 7 -Teilung eines Winkels (Orig.) 73. Argyroneta aquatica (Orig.) 627. Aristolochia clematitis (Orig.) 733. Ascyssa. 146. Aspidium-Prothallium etc. 165, 166. Augenlinse der Taube in ihren Formver- änderungen. 39. Aulopax, 134. Azorella Selago-Riesenpolster (Orig.) 370. Basidien mit Sporen. 406. Bennetites-Blüte. 419. Betula (Orig.) 200. Beugungsspektra-Entstehung (Orig.) iS. Biber- Wohnstätte bei Klicken (Orig.) 652. Bidens radiatus. 119. Bienenwaben- und Biencnmodelle. 682, 766. Birken (Orig.) 200. Blattschneider- Wohnzellen (Orig.) 751. Blattspreiten-Querschnitte mit Angabe des Stereoms. 681. Bogenlicht-Spektrum des Silbers. 19. Borkenkäferarten und ihre Behausungen (Orig.) 291. Botrychium. 409. Callipteris conferta. 598. Cauliflore Pflanzen. 49S — 503. Caulophacus. 139. Chantransia. 163. Chaunangium. 134, Chondrus. 405. Chronodeik. 363. Cingularia typica. 596. Codonosiga. 149. Register. Vll Colcochacte pulvinata. 406. Coiu-i'|it;ikeln, l'izelle u. Spernialozoitlen von Kiicus. 162, 163. Destillierapparate vcm Atlianasius Kirclier. 56J, 564, 505. Dorn- u. Buschsteppe, Deutsch-Ost-Afrika (Orig.) 515, 517, 519. Dunipalmenstrppe von Mlocliinui (Orig.) 535- l'A'locarpus. 404, Klektrisclier Tiegelofcn. 4.;7. Kntw. der curop. Suniprsehililkrötc. 583, Fpliedra- u. GneliiniMütcn. 418. Kpidiaskop. 298 — 300. t'rdhehcnlolgen : StatTelftirmigcs Absinken von AUuvialboden. 793. lirdbebenfolgen : Abselieren eines Zaunes durch eine Spalte. 794. I'.rdbehenspalte. 792, Krdpyramiden. 608. l'Tlenmoor. 360. r'rlcnmoor von Gr.-Lichterfeldo. 327. ( Kucalyptus. 120. Euphorbia -Bestand in Dornbuschsteppe, D. Ost-.\frika (Orig.) 515. Euplectella. 130 ff. Expeditionslager am Parehgebirge (Orig.) 531- Feigen-(Ficus-)Frucht und Keigenblüten. 15- Heus carpensis. 503. Kicus Minahassae. 499. Ficus religiosa (Blatt). 502. Klachnioor-Hochwald von Sumatra (Orig.) 66i. Flagellaten. 402. Formregulationen von Ilrtmoglobinkristal- len. 587- Frullania. I06. Fucus platycarpus. 162. Gerste, Querschnitt durch Samen. 743. Ginkgo-Samenknospe. 40g. Glasschwamm-Nadelformen. 1 30. Glasschwämme. 131 ff. Glukase-, Dextrin- und Maltosebildung. 739- Graph. Darst. zu den Wetter-Monatsüber- sicliten (Orig.) 186, 253, 317, 396, 461, 525, 603, 604, 669, 749, 812. Grassteppe bei Kwasingiwa (Orig.) 533. Grunewaldbilder (Orig.) 324, 326, 327, 329- Hängebirke (Orig.) 200. Hefekulturen. 758, 759. Hefe, Keimungsbilder. 757. Holascus. 133. Horizontalofen. 436. Hornzähne von Hystrix. 762. Hygrophile Vegetation bei Kambi ya simba (Orig.) 533. Induktionsofen. 435. jungermanniacee. 408. Jussiaea peruviana. 502. Kadsura cauliflora. 500. Kameinlagen. 671. Karte zur Atlantisfrage ^Orig.) 675. Karte von Zentral -Kurasien mit Stein- kohlenrevieren (Orig.) 594. Karte von Zentraleuropa mit Kotlicgend- Revicren iOrig.) 599. Karte des Havellaufes etc. (Orig.) 323. Karte des kalifornischen F.rdbebens April 1906 (Orig.) 792. Kernteilung. 572. Kleingärversuch. 758. • Leeuwenhoek - Mikroskop (Orig. - Nachb.) 3-6. Lepidodendron (Orig.) 41 8. Lilium Martagon-Befruchtung. 410. ) Limosella. 1 19. Linne (Porträts). 306, 307. Linsenfehler (Orig.) 770 — 777. Lonchopteris Defrancei. 595. Lonchopteris typ. rugosa. 595. Lupe von Johannes Zahn (Orig.-Nachb.) 2. Macrocystis. 404. Maische. 741, 742. Marchantia-Arehcgonium. 407. Monoraphis. 136 ff. Moorbaum der Tropen mit Brett-, besenf. Luftwurzeln u. Pneumatophorcn (Orig.) 66r. Moorbirke (Orig.) 200. Muffelofen. 439. Nadeln von Schwämmen. 136 ff. Oedogonium. 163. Olynthus. 146. Palinurus vulgaris (Anatomisches). 589. Parmentiera cereifera. 498. Pestbazillen. 616. Phascum mit Archegonien u. Antheridien. 165. Pillenkäfer mit Brutpille (Orig.) 35. Planaria-Regeneration. 588. Pneumatophorcn von Avicenna ofl'. 500. Pollen von Pinus silvestris. 390. Pollenschlauch und .Spermatozoiden von Zamia floridana. 409. Polytrichum. 165. Poulsen-Generator. 650. Poulsen-Station Lyngby. 648, 649. Prismen- Astrolabium. 365. 420. ihrer Wir- 588—590. Pyrodinium bahamense. 71. Ranunculus sceleratus-Blüten. Raster u. Fig. zur Erklärung kung. 21—24 "• 2 Tafeln Regenerationen von Tieren. Riccia fluitans. 165, 407. Riffe mit Fucus vor Helgoland (Orig.) 169. Rotax-Röntgen-Unterbrecher und Instru- mentarium. 755. Sagittaria-Blüten. 420. Salangane-Nest. 682. Sansevieren-Bestand in Dornbuschsteppe (Orig.) 531. Saprolegnia. 405. Sarcoptes mutans (Orig.) 569, 570. Sargassum linilolium. 164. Schema der Fortpflanzung seismischer Wellen u. ihres Erscheinens im Seis- mogramm (Orig.) 787. Schema der Homologien von Algen, Moosen u. Karn (Orig.) 171. Schema der Landptlanzen-Werdung aus tangähnlicher Pflanze (Orig.) 171. Schemata zu den VVetter-Monatsübersich- ten. 43 etc. Schema zur Erläuterung der Ermittlung der Höhe des Vogelfluges (Orig.) 2(>. Schrillapparat bei einer Singcicade. 779. Schwamm vom Ascontypus. 146. Schwamm vom Leueontypus. 146. Schwamm vom Sycontypus. 146. Schwämme (Tiere). 131 ff. Schwämme, zum anatom. Bau derselben. 147 ff. Schwamm-Kolonie. 149. Schwimmblasen des Steinbutt und von Zeus. 374. Seismogramm (Orig.) 789. Seismologisches. 803 ff. Selaginella Martensii-Prothallium. 410. Semperella. 135. Sigillaria Boblayi. 597, 639 (Berichtigung). Siphonostoma Floridae. 2S4. Sonnenspiegel. 364. Sphenophyllum maius. 596. Sphenophyllum myriophyllum. 595. Spinnenfliege (Orig.) 799. Spermatophor von Salamandra. 490. Stachelbccrpest (Orig.) 27. Steinbutt mit Schwimmblase. 374. Steinkohlenpröbchen (Holz) unter dem Mikroskop. 114. Stentor-Regeneration. 588. Succulcnten am Ugnenogebirge (Orig.) 535- Succulentensteppe, D. Ost-.-\frika (Orig.) 517- Swietenia Mahagoni. 118. Syringa-Blatt vom Blattschneider zer- schnitten (Orig.) 752. Tiefsee-Fische. 234 — 238. Titelblätter zu Werken von Leeuwenhoek (Orig.-Nachb.) 2. Träger-Konstruktionen (Orig.) 683. Träufelspitzen-Blatt. 502. Uredineen. 574. Vegetationsbild von den Kerguelen (Orig.) 370. Verbrennungsofen. 437. Vesuv-Eruption. 791. Vogelbaum : mit Epheu umrankte Birke (Orig.) 581. Wasserspinne (Orig.) 627. Weizenstärke. 739. Würmer-Regenerationen. 5S9, 590. Zähne des Homo primigenius. 748. Zeus mit Schwimmblase. 374. ^■'^^^<^ Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion : Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neae Folge Tl. Band; der ganzen Reibe XXll. Band. Donnerstag, den 3. Januar 1907. Nr. 1. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen f— und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der M Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 1 5 I'fg. extra- ^ Inserate: Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei M größt-ren Aufträgen entsprechender Rabatt. Heilagen nach '^ Übereinkunft. Inseratenannahine durch die Verlags- handlung. [Nachdruck verboten.' A. van Leeuwenhoek's Mikroskope. Von Dr. R. J. Petri, Kaiscrl. Geh. Reg.-Rat. I. Die Titelbilder von Leeuwenhoek's Werken. Leeuwenhoek's Mikroskope sind sonderbarer- weise wenig bekannt geworden, trotzdem das, was er gesehen, und was er in seinen Briefen mit- geteilt hat, in aller Welt angestaunt wurde. Seine Mikroskope waren so wenig bekannt, daß sogar der Zeichner des Titelbildes zum ersten Bande der ,, entdeckte onsigtbaarheeden" als Werkzeug, mit welchen seine Entdeckungen gemacht werden, eine andere, allgemein bekannte Lupe abbildete. Das Titelblatt dieses ersten Bandes ') zeigt Fig. I. Der Zeichner dieses Blattes ist wahrschein- lich der unten auf demselben angegebene R. de Hooghe, der, wie es daneben heißt, ainico suo das Blatt widinete, im Jahre 1685. Die „ontdeckte onsigtbaarheeden", oder viel- mehr ,,ontledingen en ontdekkingen van levende dierkens" etc. etc. zeichnet eine Figur mit ge- flügeltem Haupte in ein Buch ein. Die.se F"igur ') Ontledingen en Ontdekkingen van levende dierkens in de teeldeelen van verscheyde dieren, vogelen en visschen etc. etc. door Antoni van Leeuwenhoek etc. Leyden 1686. hält in der linken Hand ein Mikroskop, eben jene allgemein bekannte Lupe. Solche Instrumente waren jedermann bekannt und wurden als Ver- größerungsgläser benutzt. Am meisten erinnert das Instrument in der Hand mit geflügeltem Kopfe an eine Abbildung von Johannes Zahn, aus seinem oculus artificialis ') (Hg. 2). Solche Lupen sind oder waren beim Volke bekannt, und wurden als Vergrößerungsgläser benutzt. In Leeuwen- hoek's Werken wird dies Instrument gar nicht er- wähnt, aber eben weil es allgemein benutzt wurde, zeichnete es der Herr de Hooghe ab. Was das Titelblatt zum ersten Bande bedeutet, ') Oculus artificialis tcledioptricus etc. etc. authore Joanne Zahn etc. etc. Norimbergae etc. 1702, erste Auflage 1685. — Die beiderseits konve.xe Linse A ist ''/loo Rom. Fuß dick (utrius- que conve.xa). B C ist eine hölzerne, knöcherne oder, wie es an der betreffenden Stelle heißt, ex quacunque alia solidiori materia gemachte Kapsel. D E ist aus Holz oder Knochen. F G ein Stylus aus .=ihnlichem Material, der in D noch ein- mal durchbohrt ist, um die Nadel, acicula, G F zu tragen. An die Spitze dieser Nadel steckt man z. B einen Floh (H), oder irgend ein anderes kleines Objekt. Mit diesem Grifi'el wird daran der Floh so eingestellt, daß man ihn genau sieht. So erscheint er ungefähr 14 mal vergrößert (Erklärung der Figur nach Zahn.) Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. I sehen wir aus der Erklärung zum Titelblatt vor Band V und VI. Diese Zeichnung (Fig. 3) ist dem abgebildeten Titelblatt zum ersten Rande ziemlich getreu nachgebildet, wie ein Vergleich der ein- zelnen Figuren ergibt. Der mit diesem Titelbilde versehene Band wurde 1696 zu Delft bei Henrik van Cronevelt gedruckt.') Der Zeichner dieses Bildes wird wohl Pieter Rabus sein, der dazu die folgende Erklärung ab- gegeben hat: „Man sieht hier die Wißbegier, Königin der Wissenschaften, die mit ihrem Reichsstab auf die Natur hinweist, welche zuvor verdeckt war, jetzt aber sichtbar geworden ist. Vor ihr liegen vielerlei des Aristoteles unterwiesen, welcher die Aufschrift Verborgene Eigenschaften auf seinem Rücken Fig. I. Titelblatt des ersten Bandes von Leeuwenh o ek. Naturgeschöpfe, deren Ursprung und Erzeugnis durch ein Vergrößerungsglas von der klugen Unter- suchung angesehen wird, die mit ihrem pracht- vollen Taiar voller Augen herausschaut. Die rüstige Emsigkeit sucht zu dieser Untersuchung den widerspenstigen Irrtum zu ziehen, einen Burschen, kenntlich an seinem Stelzfuß, den verbundenen Augen und großen Eselsohren. Drei Jünger, welche den Namen von Wißbegierigen tragen — der erste ein abergläubiger Jude, der folgende ein allzu leicht- gläubiger Christ, der dritte ein Heide, in der Schule ^ k: t. I — I — t— < — I — 1 1 1 1 ' f> 1' 1 1" Fig. 2. Lupe von Johannes Zahn. ') Vijfde vervolg der brieven, geschreven aan verscheide hege Standspersonen en geleerde luijden, door Antoni van L e e u w e n h o e k tot Delft 1 696. Fig- 3- Titelblatt des fünften und sechsten Bandes von Leeuwenhoek. N. F. \'I. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. trägt — haben sich noch nicht der Schwelle ge- nähert, auf welcher die Wahrheit sitzt, eigen- tümlich nackt und schön, keiner Schminke be- dürftig, mit r'üßen tretend den schrecklichen Neid. Ein göttliches Himmelslicht strahlt auf L e e u w e n - hoek's schöne Entdeckungen." Das Bild ist bis auf einzelne Kleinigkeiten dem Titelbilde zu Band I nachgezeichnet. In beiden Bildern untersucht eine weibliche Person, die „scharfsinnige Untersuchung", die vor ihr liegenden Gegenstände. Im zweiten Bild fehlt die Inschrift des Tisches „ontdekte onzigtbaar- heeden". Auch schreibt die Person nichts in ein Buch, wie im ersten Bilde geschieht. Die unter- suchten Gegenstände sind allerlei Naturobjekte, Pflanzen, Früchte, Tiere etc. Sie quellen im ersten Bilde aus einem Füllhorn hervor, welches die Natur, eine Figur mit fünf Brüsten, in der Hand hält. In dem ersten Bilde weist eine Figur mit gekröntem Haupte darauf mit einem Stab hin. Die ,, scharfsinnige Untersuchung" erscheint im zweiten Bilde mit einem Kleid voller Augen an- getan, im Strahle eines vom Himmel gesendeten Lichts, und versehen mit einem Leeuwen- hoek'schen Mikroskop. 2. Eigentliche Mikroskope Leeuwenhoek's. Diese Mikroskope waren inzwischen bekannt geworden, wenigstens in den Niederlanden. Es ist deshalb leicht erklärlich, daß in dem Bilde Fig. 3 ein solches abgezeichnet ist. In der Mitte des Bildes sehen wir, wie ein am Kopf geflügeltes, weibliches Wesen ein solches Mikroskop vor das Auge hält. >A^iiliiillZÄi!!P''p Fig. 4 a. Fig. 4 b. Instrument zur Beobachtung des Blutkreislaufs in der Schwanzflosse des Aales von Leeuwenhoek. Das Mikroskop ist genau beschrieben in der 66. „missive" vom 12. Januar 1689:') „Ich habe noch ein zweites Instrument verfertigt wo- von die Feder etwas kürzer gemacht ist, und welches an so ein Werkzeug festgeschraubt wird. Der kupferne Körper, womit ein Vergröße- rungsglas eingenietet ist, wird, wie hier mit Fig. 1 1 (die Abbildung Fig. 4a) angewiesen. Über dieses Vergrößerungsglas habe ich ein Schüsselchen ge- lötet, damit das Auge die Vorlagen noch besser sehen kann. Das Kupfer um das Vergrößerungs- glas habe ich so weit weggefeilt, wie es eben gehen kann, um das Licht auf die Gegenstände, welche man sehen will, so viel als tunlich zu bringen, wie man an F"ig. 12 (die Abbildung P^g. 4b) M. N. O. P. sehen kann , worin man dasselbe In- strument von der anderen Seite sieht." Da finden sich auch die Abbildungen Fig. 4 a und b und Fig. 5, welche kleinen Instrumente zur Beobachtung des Blutkreislaufs in der Schwanz- flosse des Aales dienten. Natürlich ist die Vor- richtung für diesen Zweck ganz besonders einge- richtet, aber der optische Teil entspricht den Ab- bildungen 4 a und b und Fig. 5. H G ^ 0 i^ 4 F 0 K ® Fig. 5. Zweite Abbildung eines Leeuwenho ek'schen Mikroskops. In Leeuwenhoek's Werken findet sich außer diesen beiden Zeichnungen keine einzige Abbildung seiner Mikroskope ; 26 derselben vermachte er der royal society zu London. Der Königin von Eng- land, Anna, überreichte er zwei. Folkes, der damalige Vizepräsident der Gesellschaft, rühmt die außerordentliche Klarheit und Güte seiner Linsen. Eine genaue Beschreibung derselben gibt Baker.^j A D Fip. 6. Vorder- und Rückseite eines Mikroskopes von Leeuwenhoek, nach Baker um 1670. Derselbe untersuchte die in einem Schränkchen des indian cabinet aufbewahrten Mikroskope. Die- selben waren in 1 3 kleinen Kästchen zu zwei Stück aufgehoben. Sie maßen im Geviert 3 X 1.7 Zenti- ') Verfolg der brieven, geschreven an de wytvermaarde koninglijke societeit in London, door Antoni van Leeuwen- hoek medelid van deselve societeit. Leyden 1688. ') Henry Baker, employment for the microscope, Lon- don 1764. — The microscope made easy, London 1769. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. meter, einige etwas größer. Fig. 6 zeigt ein solches Mikroskop. Genaue Zeichnungen und Beschreibungen seiner Mikroskope finden wir in dem Reisewerke des von Uffenbach.') Dieser besuchte den alten Leeuwenhoek, der ihm seine Mikroskope teilweise zeigte und mit denselben auch wirklich einige Sachen vorführte. Die besten seiner Mikroskope scheint er allerdings nicht gezeigt zu haben. Es ist dies um so betrübender, als jetzt die Leeuwenhoek'schen Mikroskope, die bisher in Lon- don waren, woselbst sie Leeuwenhoek der royal Society schenkte, nicht aufgefunden werden konnten.-) Leeuwenhoek verfertigte seine Mikroskope selbst und war stolz darauf. Wie er selbst über diejenigen dachte, welche versuchten seine Linsen nachzumachen, sagt folgende Stelle: (Brief vom 28. September 171 5, übersetzt.) „Junge Leute im Glasschleifen zu unterweisen und eine Schule dafür einzurichten, daraus kann ich nicht ersehen, daß viel Nutzen entspringen sollte; denn durch meine Entdeckungen und mein Glas- schleifen sind in Leyden viele Studenten angeregt worden, und es sind daselbst 3 Glasschleifer ge- wesen, zu denen die Studenten hingingen, um das Schleifen ihrer Gläser zu erlernen. Aber was ist dabei herausgekommen ? Nichts, so viel mir be- kannt ist; denn zumeist laufen alle Studien darauf hinaus, durch die Wissenschaften Geld zu er- werben oder durch die Gelehrtheit geachtet zu werden, und das steckt im Glasschleifen und im Entdecken von Dingen, die vor unseren Augen verborgen sind, nicht. Es steht auch bei mir fest, daß von tausend Menschen nicht einer dazu befähigt ist, sich mit solchen Studien abzugeben, weil dazu viel Zeit erfordert und viel Geld ver- braucht wird, und man ausdauernd mit seinen Ge- danken dabei beschäftigt bleiben muß. Überdies sind die meisten Menschen nicht wißbegierig; ja einige, von denen man es nicht erwarten dürfte, sagen : Was ist daran gelegen, ob wir es wissen ?" '') Auch liebte Leeuwenhoek es, den Über- legenen und Geheimnisvollen zu spielen, besonders gegenüber den zahlreichen wißbegierigen und neu- gierigen Besuchern, die oft von weit her kamen, um den berühmt geworden Mikroskopiker kennen zu lernen. Mehrere solcher Besucher haben uns über Leeuwenhoek und seine Mikroskope ausführ- liche Berichte hinterlassen. Molyneux^) schreibt in seiner 1692 erschienenen Optik: (übersetzt) ') Herrn Zacharias Konrad von Uffenbach merk- würdige Reisen durch Niedersachsen, Holland und Engelland. Dritter Teil mit Ku|)fern. Ulm 1754. '■'1 Wenigstens konnte der Verfasser dies nicht. Die Be- amten der royal society vermil3ten die Mikroskope schon seit mehreren Jahren. ') Dr. R. J. Petri, Das Mikroskop. Berlin 1896. Richard Schoetz. *) William MoIyneu.N, Dioptrica nova. A treatise of Dioptricks, in two parts, wherein the various effects and ap- pearances of spherick glasses, both, convex and concave, Single and combined in Telescopes and Microsropes together with their uselulness in many concerns of human life are explained. London, B. Tooke, 1692. „Der Herr Leeuwenhoek in Delft in Holland hat sich kürzlich mit großem Fleiß dem Gebrauche der Mikroskope gewidmet. Er glaubt, er habe eine bessere Art dieses Instruments, als bisher bekannt war. Als ich diesen Herrn in Delft besuchte, zeigte er mir einige, die in der Tat sehr sonderbar waren, aber nichts mehr, als was ich schon gewöhnlich gesehen hatte. Sie bestanden aus einer einzigen sehr kleinen Glaskugel oder Halbkugel, die zwischen zwei sehr dünn gehämmerten Blechen oder Platten \^on Messing (Kupfer) untergebracht waren. Das Objekt wurde zu seinem gehörigen Abstand von dem Glase durch eine feine Schraube gebracht. Seine beste Sorte jedoch zeigt er, uns um Ent- schuldigung bittend, nicht." Günstiger für Leeuwenhoek ist die Kritik von Martin Folkes, sowie auch von Baker. Leeu wen hoek hatte der royal society zu Lon- don, auf deren ihm 1679 verliehene Mitgliedschaft er sein ganzes Leben hindurch nicht wenig stolz war, 26 seiner selbstgefertigten Mikroskope ver- macht. Folkes, der damalige Vizepräsident der gelehrten Gesellschaft, rühmt in seinem Bericht die außerordentliche Klarheit und Güte der von Leeuwenhoek geschliffenen Linsen; auch seiner Fertigkeit im Präparieren der Objekte und der Objektivität seiner Beobachtungen spendet er wohl- verdientes Lob. Fig. 6 ist die Abbildung, welche Baker von der Augen- (A) und Präparaten- (B) Seite eines dieser Mikroskope gibt. Die Linse be- findet sich bei c in einem Loche zwischen zwei vorn dieselbe umfassenden rechteckigen Silber- platten. Diese werden durch 6 Niete b zusammen- gehalten. Durch die Schraube e ist auf A der nach vorn rechtwinklig (f) umgebogene Silber- streifen d befestigt. Durch f geht die Stellschraube g, welche unten einen Griff und oben den kleinen Objekttisch h trägt. Zum Befes- tigen der Objekte dient der Stachel i, welcher durch die Handhabe k um seine Achse gedreht werden kann. Die Schraube 1 geht durch den Objekttisch undstößtgegen die Platte B. Die Höheneinstellung wird durch Drehen der Schraube g, die Einstellung der horizontalen Entfernung von der Linse durch Drehen der Schraube 1 bewirkt. H a r t i n g hat bei M a i t - land einen dieser Abbildung ge- nau entsprechenden silbernen Leeu wen hoek gesehen, dessen Silberplatten etwa 3 X 1,7 Zentimeter im Geviert maßen. Fig. 7 ist die Abbildung eines etwas größeren messingnen Mikroskopes (4,5 >< 2,5 Zenti- meter im Geviert), welches sich im physikalischen Kabinett zu Utrecht befindet. Die Abbildung, van Haastert entlehnt,^) ist nach Harting natur- Fig. 7. Lceuwen- hoek'sches Mikro- skop im physika- lischen Kabinett zu Utrecht. (Nach V. Heurck.) ') Isaak van Haastert. Anth. van Leeuwenhoek verce- rend herdacht, 1823. \. F. VI. Nr. I Naturwissenschaftliche VVochenscIiritt. 5 getreu. Die sehr ^iite bikonvexe Linse vergrößert 2701113! und löste die dritte Gruppe derNobcrt- schen Frobeblättchcii gut, die vierte mühsam auf. Die kleine Stellschraube h hat nur 1 1 Windungen. Das ganze Instrument ist ziemlich grob gearbeitet. Nach B i r c li ') hat L e e u w e n h o e k noch bessere Mikroskope besessen, und dem Molyneux nur seine gewöhnlicheren gezeigt. Ahnliches berichtet auch Uylenbroek'-) in einem unedicrten Briefe des Huyghens in der Bibliothek zu Leyden. Harting^) hält jedoch dafür, daß das im Utrechter Kabinett aufbewahrte Instrument zu den besten des L e e u w e n h o c k gehört hat. Fig. 8 zeigt ein in dem Werke von H. van H e u r c k ') abge- messingnen Mikroskope erzielte 15 Stüber bis 3 Gulden, der silbernen 2 bis 7 Gulden. Im ganzen wurden 737 Gulden 3 Stüber gelöst! Aus dem Umstände, daß bei zwei Mikroskopen angegeben ist, daß sie 2, ein drittes gar 3 Gläser gehabt haben, schließt Harting, daß Leeuwenhoek auch Doublets und Tri])lets verfertigt zu haben scheint. Ob die Angabe des Harting'schen Auk- tionskatalogs darauf zu beziehen ist, halte ich für fraglich, denn Leeuwenhoek machte auch Mikro- skope mit zwei Linsen nebeneinander, wie uns von Uffenbach in seinem interessanten Reisebericht mitteilt. Dieser wißbegierige Frank- furter Patrizier — übrigens in imikroskopischen B Kig. 8. Vorder- und Rückseite eines Mikroskopes von Leeuwenhoek. (Nach V. Heurck.l Augenseite Fig. 9. Objektseite eines Mikroskops von Leeuwenhoek zur Demonstration des Blut- kreislaufs im Fischschwanz. (Nach Uffenbach.) bildetes Mikroskop, welches in seiner Einstellvor- richtung etc. von den vorher gebrachten geringe Ab- weichungen darbietet. Am 29. Mai 1747 wurden die Mikroskope aus dem Nachlaß Leeuwen- hoek's öffentlich versteigert. Harting teilt aus einem in seinem Besitz befindlichen ausführlichen Auktionskatalog mit, daß 247 vollständige Mikro- skope, 172 zwischen Platten gefaßte Linsen, zu- sammen also 419 Linsen, worunter 3 aus Berg- kristall (."^mersfoorter Diamant) und eine Linse aus einem Sandkorn mit ebenfalls einem Sand- korn als Objekt zum Verkauf kamen. 160 Mikro- skope waren von Silber, 3 aus Gold ; zwei der letzteren wogen 10 Engels 17 As, das dritte 10 Engels 14 As. Eins der ersten wurde für 23 Gulden 15 Stüber verkauft, also nach dem Gewichte, wie Harting als curiosum berichtet! Das Paar der ') Birch, history of the royal society of London 1757. ^) Nach Halberlsma. 'J P. Harting, Prof. in Utrecht, das Mikroskop, Theorie, Gebrauch, Geschichte und gegenwärtiger Zustand desselben. Deutsche Originalausgabe von Dr. Wilh. Theile. 3 Bde., 2. Aufl. Braunschweig 1866. ■•j van lleurck, le microscope, 4. edition. Anvers- Bru.\elles 1891. Dingen ein Laie — besuchte am 4. Dezember 17 10 den 80jährigen Leeuwenhoek in Delft, und gibt uns eine ergötzliche Schilderung seiner Be- kanntschaft mit dem „guten resp. wunderlichen alten Mann". Leeuwenhoek führte sein Kabinett- stück vor, die Beobachtung des Blutkreislaufs im Schwanz des Aales. Er zeigte Präparate von Muscheln u. a. m. Die dabei benutzten Mikroskope bildete Uffenbach ab. Ich gebe seine Figuren in geringem Grade verkleinert, sonst aber ganz unverändert wieder. Fig. 9 ist das Instrument, mit welchem der Blutkreislauf im Fischschwanz demon- striert wurde. Links A ist die Mikroskop- und rechts B die Präparatenseite. Bei e ist die zwischen zwei kleinen Metallplatten montierte Linse, welche an dem Griffe dd unter Führung des Lineals cc beliebig auf der in den Rahmen bb eingeschobenen feinen Glastafel aa verschoben werden kann. Die Einstellung des Fokus geschielit durch die .Schraube bei d Auf der anderen Seite der Glastafel wurde durch die Klemme f der kleine Fisch festgehalten. Uffenbach berichtet: „Die Maschine ist simpel, groß und nicht bequem", ca. I Schuh lang, '/., Schuh breit, von Messing. Sie wird mit der Mikroskop- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. I Seite auf die Stirne gelegt, und man sieht „so durch das kleine Gläschen in die Höhe, welches lange Aufsehen zuletzt verdrießlich fällt". Ein anderes Leeu wen hoek'sches Mikroskop mit zwei Linsen nebeneinander in natürlicher Größe (hier etwas verkleinert) ebenfalls aus dem Reise- berichte des Herrn von Uffenbach zeigt Fig. lo. A ist die Präparaten- und B die vor das Auge zu haltende Linsenseite. Die beiden Linsen stecken in den Löchern bei aa; durch die Schraube f können die Objektklemmen in verschiedener Höhe festgestellt werden. Der Fokaleinstellung dienen die Schrauben e e. Leeuwenhoek zeigte dem Herrn von Uffenbach verschiedene Objekte, und zwar jedes an einem anderen Mikro- skop. LTffenbach sah in Leeuwenhoek's Kabinett „wohl ein Dutzend lackirter Kästgen, und in diesen wohl an anderthalbhundert obvermelde- ter kleiner Futterälgen, in deren jedem zwei sol- Nachwelt angesichts der zahlreichen vorzüglichen Beobachtungen, die Leeu wenh oek mit seinen unvollkommenen Instrumenten gemacht hat, ihm ihre Anerkennung nicht versagen. Vieles, was er als eigene, neue Entdeckung pries, war vor ihm von anderen schon gesehen worden. Gar man- ches beobachtete er aber zuerst, und wußte es durch vorzügliche Abbildungen der Nachwelt zu überliefern. Er besaß bis an sein Lebensende einen staunenswerten Forschertrieb, untersuchte alles, was er vor sein Mikroskop bringen konnte, allerdings ohne viel nach System oder innerem Zusammenhang der Gegenstände zu fragen. Dabei verstand er es, wahrhaft objektiv und kritisch zu bleiben und sich vor sanguinischen Trugschlüssen zu bewahren. Um die zeitgenössische mikrosko- pische Fachliteratur kümmerte er sich nur ge- legentlich, und zwar meist gezwungen im Inter- esse der Polemik. s- " cfv Fig. lo. Objektseite und Augenseite eines Leeuwenhoek'sclien Mikroskopes mit 2 Linsen nebeneinander. (Nach Uffenbach.) Fig. II. „levende dierkens" aus der Mundhöhle (Speichel) des Menschen; die ersten Abbildungen von Bakterien nach Leeuwenhoek, 1683. eher Mikroskopien von der kleinen Sorte", die er auf Befragen nur für den eigenen Gebrauch be- reitet hatte. Er erklärte, daß seine Linsen mög- lichst dünn und bikonvex seien; die geblasenen Kugeln taugten nichts. „Er hatte auch einige Mikroskope mit doppelten Gläsern, die, ob sie gleich doppelt und inwendig nach ihrer behörigen Distanz, vermuthlich durch eine laminam separiert waren, dennoch nicht viel dicker als die einfachen waren. Ob nun diese wohl gar mühsam zu machen sind, so sind sie doch nicht viel besser, als die einfachen, außer daß sie nur ein weniges, wie Herr Leeuwenhoek selbst gestände, mehr vergrössern." Ob man aus dieser Angabe schließen darf, 1^'e eu w en h oek habe auch Doublels ge- macht, scheint mir fraglich. Auch geblasene Gläser, fährt Ufielmann fort, könne er machen, die aber nicht rund wären. Er zeigte auch seine Maschinen zum Schleifen. Uffenbach nennt die Lee u wen ho ek'schen Mikroskope simpel und schlecht gearbeitet, meist unförmig und das Silber nicht einmal sauber gefeilt. Trotz dieser etwas ungünstigen Kritik wird die Hier werde zum Schlüsse noch eine Abbildung hinzugefügt, in welcher Lee u we n h o ek sich als ersten kennzeichnet, der die Bakterien gesehen und in ihrer Vergrößerung abgezeichnet hat. In einem Brief vom 12. September 1683 bringt er diese erste, zweifellose Abbildung von Bakterien (Fig. 11). Er sagt: (übersetzt) ,, Schon früher habe ich meine Beobachtungen über den Speichel niedergeschrieben; wie ich ge- sehen, sind dieselben in den von Herrn Robert Hooke, Sekretär der Kgl. Gesellschaft im Jahre 1678 herausgegebenen lectures and collections abgedruckt. Seitdem habe ich wieder verschiedene Beobachtungen über meinen Speichel angestellt in der Voraussicht, daß einige der Tierchen, falls sie im Körper verbreitet liegen, zu einer oder anderen Zeit durch die Speichelgefäße in den Mund gebracht werden würden ; trotz aller Be- obachtungen habe ich aber keine Tierchen darin gefunden; ich kann daher nichts anderes darüber besagen , als was ich früher geschrieben habe. Meine Gewohnheit ist, des Morgens die Zähne X. F. \'I. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. mit Salz abzureiben, dann den Mund mit Wasser auszuspiilen und wenn ich tjegessen habe, die Back-zäiiiic wiederholt mit dem Zahnstocher zu reinigen, sowie mit einem Tuch stark abzureiben, wodurch meine Back- und anderen Zähne so sauber und weiß bleiben, wie sie nur wenige Leute von meinen Jahren besitzen; auch fängt mein Zahn- fleisch , mag ich es auch noch so mit ganz hartem Salz reiben, nicht an zu bluten. Trotzdem sind meine Zähne nicht so rein, daß nicht, wenn ich dieselben mit dem Mikroskop untersuchte. dennoch zwischen einigen der Back- und Vorder- zähne ein wenig weiße Materie von der Dicke eines Mehlanflugs sitzen bleibt oder wächst. Ob- schon ich bei der Untersuchung derselben Eigen- bewegung darin nicht erkennen konnte , glaubte ich doch , daß lebende Tierchen darinnen wären. Ferner habe ich dasselbe Material verschiedene Male mit reinem Regen wasser, in welchem keine Tierchen waren, vermischt, desgleichen mit Speichel aus meinem Mund, nachdem ich denselben von den Luftbläschen befreit hatte, damit letztere keine Bewegung hervorbringen konnten. Mit großer Verwunderung habe ich nun gesehen, daß fast überall in der vorerwähnten Materie viele sehr kleine Tierchen sich befanden , die sich sehr er- götzlich bewegten. Die größte Art war ähnlich der Fig. A. Sie (d. h. diese Art Tierchen) zeigten eine sehr starke und gewandte Bewegung und schössen durch das Wasser oder den Speichel wie ein Hecht durch das Wasser; an Zahl waren diese fast überall nur gering. Die zweite Art hatte die Form von Fig. B. Diese drehten sich häufig herum wie ein Kreisel, und beschrieben ab und zu eine Bahn, wie in C und D angedeutet ist; an Zahl waren sie viel reichlicher. An der dritten Art konnte ich eine Form nicht erkennen, denn das eine Mal erschienen sie länglich rund, das andere Mal vollkommen rund. Sie waren so klein, daß sie nicht größer erschienen als Fig. E und hatten dabei eine so schnelle, gewandte Be- wegung, daß sie in einer Weise durcheinander schwärmten, um auf uns den Eindruck einer großen Anzahl von Mücken und F"licgen zu machen, die wir durcheinander fliegen sehen. Diese letzt- erwähnten (Tierchen) haben auf mich wohl den Eindruck gemacht, daß ich ihre Zahl auf einige Tausende abschätzte in einem mit der erwähnten Materie vermischten Quantum von Wasser oder Speichel, welches nicht größer als ein Sandkorn war, obgleich neue Teile Wasser oder Speichel auf nur einen Teil der zwischen meinen Vorder- oder Backzähnen hervorgeholten Materie kamen. Ferner bestand die Hauptmasse der Materie aus einer übergroßen Menge von Streifchen, in der Länge zwar untereinander sehr verschieden, aber doch von ein und derselben Dicke; die einen krummgebogen, die anderen gerade, wie Fig. F, ungeordnet durcheinander liegend. Da ich nun früher Tierchen von demselben Aussehen im Wasser lebendig gesehen, habe ich mir alle Mühe gegeben, zu erkennen, ob in ihnen Leben war; ich habe aber nicht die geringste Bewegung daran wahrgenommen, die einigermaßen nach Leben aussah" etc. Wann Leeuwenhoek angefangen hat zu mikroskopieren, wissen wir nicht. Seine Beobach- tungen waren der Ausfluß reinster Wißbegier und anfangs gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Erst im Alter von 41 Jahren fing er an, der Kgl. wissenschaftlichen Gesellschaft zu London seine Mitteilungen zu machen, und setzte dieselben fort bis kurz vor seinem im 91. Lebensjahre erfolgten Tod. Mithin erstreckte sich seine literarische Tätigkeit auf die Zeit eines halben Jahr- hunderts, von 1673 bis 1723. In späteren Jahren wurde Leeuwenhoek auch vielfach als Sachverständiger zur Erstattung von Gutachten in Anspruch genommen. Nach Bezahlungen so- wie äußeren Anerkennungen für seine Leistungen war er nicht aus. Trotzdem wurden ihm zahl- reiche Ehrenbezeugungen in Form von Medaillen, Pokalen etc. zuteil. Auch wurde er besungen von den holländischen Dichtern Poot, Hoogvliet und R a b u s. Hier ein Gedicht von Poot, das sich im VII. Teil von Leeu wenh oek's „Sendbrieven" findet: (übersetzt) „Durch welche Wunder doch allhie die Welt bestehet. Sprach Leeuwenhoek und guckte durch sein Schauglas klar Mit eines Linceus Auge: ,, Kommet her und sehet, Was noch in Finsternis bisher begraben war." — Die Feder mußt ans Werk, und was er hat gefunden. Das bleibt in Ewigkeit, trotzt Schwert und Feuer schier. Schaut ."Mexander aus nach neuen Weltenrunden, Hier findet eine er im allcrkleinsten Tier. Die Briefe wunderbar von dem Geschöpfe sprechen, Das Federn oder Haar, auch Schuppen, Schalen trägt; Es wird der Walfisch, der in nord'schen Wasserflächen, Ein schwimmend Eiland, lebt, wie auch der Krebs zerlegt. Und von dem geh'nden Berg im heißen Mittagslande, Dem großen Elefant, vor dem Held Hannibal Den Tiber weichen sah und sIeigen hoch am Rande, Bis zum Ameisennest zerlegt er's Wcltenall. Im kühnen Fluge selbst der .\dler nimmermehr Empor zum Himmel strebt so sicher und so hoch ; Dem Leeuwenhoek's Verstand fliegt höher noch als er, Des stolzen Adlers Scharfblick übertritTt er noch. Sein Geist erspäht die kleinsten Dinge aller Orten, Die oft das schärfste Aug nicht sieht in ihrem Lauf; Fürst Salomonis Weisheit klingt aus seinen Worten; Manch gord'schen Knoten löst der kluge Denker auf. Er zeigt die Eigenart von Kräutern, Pflanzen, Saaten (Pylhagoras Gericlit), sieht einen ganzen Baum Mit Wurzeln reich versehn, mit Blättern wohlgeraten. Im kleinsten Korn; er fischt aus See und Teichesraum LTnzähl'ge Wundertier'. Was sagt ihr zu dem Weisen? Wer hätte dies geglaubt, eh es sein Aug gesehn ! Und wer wird nach Verdienst des Mannes Scharfsinn preisen, Der überflügelt Rom und Memphis und Athen? Drum, Delft'sche Bürger, preist, so lang ihr weilt auf Erden, Hoch neben dem De Groot den Helden weiser Tat; Preist dieses Buch, das nachspürt dem, das Gott ließ werden. Doch über alles preist den, der's geschaffen hat ! Xaturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. I Kleinere Mitteilungen. R. V o 1 k , Hamburgische Elb-Untersuchung. VIII. Studien über die Einwirkung der Tr ocke n p er i o d e im Sommer 1904 auf die biologischen Verhältnisse der Elbe bei Hamburg. Mit einem Nachtrag über chemische und planktologi. 'sehe Methoden. In: Mitteil, aus dem Naturhist. Museum, Band 13. 1906. S. I — 10 1. Mit 2 Tafeln und i Karte. Die außerordentliche Armut an atmosphärischen Niederschlägen während des Sommers 1904, die in einem großen Teil Mitteleuropas schädigend zur Geltung gekommen ist und in ihrer Einwirkung auf den VVasserstand der Elbe eine monatelange Unterbrechung der Eibschiffahrt oberhalb Ham- burgs veranlaßte, ja sogar auf manchen .Strecken des oberen Elblaufes eine zeitliche Trockenlegung des Strombettes herbeigeführt hat, mußte auch eine gewisse Einwirkung auf das Tier- und Pflanzen- leben der Elbe erwarten lassen. Die hamburgische Eibuntersuchung, die am dortigen Naturhistorischen Museum R. Volk mit einem Stabe von Mitarbeitern begründet hat und die bereits eine Reihe von wichtigen Arbeiten ver- öffentlichte, konnte an diesen Erscheinungen nicht achtlos vorüber gehen, zumal auch Klagen von Eibfischern auftauchten, daß sie durch die schlechte Beschaffenheit des Eibwassers in ihrem Erwerb geschädigt würden. Nach ihrer Ansicht sollte die Einwirkung der Sielwässer der Städte Hamburg, Altona und Wandsbeck in den heißen Sommer- tagen das Erkranken und Absterben ihrer Fänge im „Bünn" der Fahrzeuge veranlaßt haben, wenn sie, von ihren weit unterhalb gelegenen Fang- plätzen aufkommend , die Gegend von Schulau passierten. Das veranlaßte R. Volk, der schon seit einer Reihe von Jahren die biologischen Verhältnisse der Elbe bei Hamburg und die Einwirkung der Sielwässer auf die Organismen des Stromes zum Gegenstand eingehender Studien gemacht hat, im Sommer 1904 bei Schulau das Verhalten der Wasserbewohner bei dem niedrigen Wasserstand unter gebührender Berücksichtigung gewisser che- mischer Eigenschaften des Eibwassers zu studieren. Da die Elbe an dieser Stelle schon in der statt- lichen Breite von fast zwei Kilometern bei wech- selnder Tiefe dahinfließt, so wurden die Organis- men- und Wasserproben an mindestens 3 Stellen des Stromquerschnittes, nämlich innerhalb der beiden flachen Uferzonen und in der Mitte des tiefen Fahrwassers entnommen. Der Schwer- punkt wurde auf eine gründliche qualitative und quantitative Untersuchung des Planktons gelegt. Da diese Stelle, obwohl 17 Kilometer von der Hauptmündung der Siele von Hamburg und Altona entfernt, doch noch als innerhalb der Einwirkung von Abwässern gelegen angesehen werden muß, so wurden an dem oberhalb Hamburg und ober- halb der Trennung von Norder- und Süder-Elbe gelegenen Ort Gauert Vergleichsfänge gemacht, an einer Stelle, bis zu welcher ein Vordringen von Abwässern aus dem Hamburg -Altonaer Sielnetz selbst bei höchstem Hochwasser ausgeschlossen ist. Beide Fangorte liegen etwa 32 Kilometer vonein- ander entfernt. Bei der Ortschaft G a u e r t oberhalb Hamburg ist die Elbe ca. 500 m breit und im Mittel 3 m tief (im Fahrwasser). Die Tiden machen sich nur durch Steigen und Fallen des Wasserstandes, sowie durch rascheres oder langsameres Dahinströmen des Wassers bemerklich. Das Plankton zeigt in seiner Gesamtproduktion regelmäßig verlaufende peri- odische Bewegungen, im Frühling mit der Zu- nahme der Wasserwärme ein allmähliches Ansteigen, im Herbst ein Niedergang der Planktonziffern mit der sinkenden Temperatur. Dieses Phänomen ver- läuft in der oberen Elbe fast mit der Regelmäßig- keit, die wir aus Binnenseen kennen. Diese Er- scheinung ist wohl darauf zurückzuführen, daß die stillen Wasservvinkel zwischen den tausenden von Buhnen, welche zur Regulierung des Eibbettes auf fast 500 km Länge angelegt sind, die wichtigsten Brutstätten für das Plankton abgeben und Teile ihrer Produktion in großer Regelmäßigkeit in das fließende Wasser entsenden. Ganz anders gestalten sich die Verhältnisse bei Schulau unterhalb Hamburg bei einer Strom- breite von fast 2000 m und einer 8 — 10 m tiefen Fahrrinne. Dieses ganze Strombett steht unter der Herrschaft der Gezeiten, die täglich 4 mal das Wasser von Grund aus aufwühlen und durcharbeiten. Die einzelnen Hafenbecken, die biologisch eine ge- wisse Ähnlichkeit mit tieferen Teichen oder Binnen- seen haben, bilden die Brutstätten für das Plankton der unteren Elbe und jede Ebbetide nimmt etwas von dem Planktonbestand dieser Depots mit fort in den freien Strom zur Ergänzung der Abgänge. Bei außergewöhnlich starker Flut ergibt sich zu- weilen ein Überschuß in der Verstärkung der vor- überziehenden Planktonorganismen, deren Herkunft aus den Hafenbecken sich oft noch bis nach Schulau direkt nachweisen läßt, wenn es sich um größere Mengen solcher Organismen handelt, die oberhalb des Hafengebietes nicht oder nur in geringer Zahl angetroffen werden. Das Jahr 1905 war für dieselben in hydro- biologischer Beziehung wieder ,, normal". Die in demselben von R. Volk angestellten Parallelunter- suchungen werden den Ergebnissen von 1904 in der vorliegenden Arbeit zum Vergleich gegenüber gestellt. Die Untersuchungsfahrten fanden in beiden Jahren im September und in der ersten Hälfte des Monats Oktober statt. Die chemische Untersuchung des Eibwassers hat ergeben, daß der Inhalt des Wassers an ge- lösten organischen Stoffen im gesamten Unter- suchungsgebiet in dem wasserarmen Jahr 1904 ein größerer gewesen ist, daß aber eine allgemein stärkere Belastung der Elbe bei Schulau mit ge- löster organischer Substanz nicht vorhanden war. Der durchschnittliche Sauerstoffgehalt ist in beiden Jahren auffallend ähnlich gewesen, und die N. F. \'I. Xr. I Xnt urwissenschaftliche Wochenschrift. Erwartungen, im rrocl 7 ,, 6 ,, o „ „ „ „ ,, I. „ >. 29. ■, 9 ,. 5 .. 32 „ „ „ „ „ II. „ ,. 30- „ 9 .. I .. 20 „ „ „ „ „ I. „ Am 14. Januar findet eine in Deutschland unsichtbare totale Sonnenfinsternis statt, die in Südasien am besten zu beobachten ist. Am Nachmittag des 29. ereignet sich eine in Deutschland gleichfalls unsichtbare, partielle Mondfinsternis. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. I Algol - Minima können beobachtet werden am zo. um 9 Uhr ig Min. abends und am 23. um 6 Uhr 8 Min. Aus dem wissenschaftlichen Leben. Auch in diesem Jahre gcl.nii^t aus der kürzlich gegründeten Adolf Salomon söhn -Stiftung eine Beihilfe für natur- wissenschaltliche und medizinische Studienzwecke im Betrage von 1000 Mk. zur Verleihung. P.cwerbungsgesuche sind bis zum 15. Februar 1907 an das Kuratorium der genannten Stif- tung, Unter den Linden 4, zu richten. Bücherbesprechungen. Dr. Ludwig Reinhardt, Der INIensch zur Eis- zeit in Europa und seine Kulturentvvick- * lung bis zum Ende der Steinzeit. Mit 185 .\bb. Verlag von Ernst Reinhardt in Mün- chen. 1 906. — Preis 7 Mk. Wer eine Belehrung über den Menschen der „vorgeschichtlichen" Zeit sucht, wird das vorliegende schöne Buch mit großer Teilnahme lesen und studie- ren. Reinhardt behandelt den reizvollen Gegenstand, den er eingehend studiert hat, in zuverlässiger Weise, ohne der Phantasie ungebührlichen Spielraum zu ver- statten. Es ist für den kritisch Veranlagten — d. h. denjenigen, der das, was wir wirklich wissen, zur Kenntnis nehmen will , aber nicht irgend welche Phantastereien zu hören wünscht, — eine große Freude, wenn ihm das Tatsachenmaterial in vernünf- tiger Verknüpfung so geboten wird, wie es in diesem Buch geschieht, dessen Angaben somit als Grundlagen weiterer Forschungen wirklich benutzbar sind. Es ist in elf Abschnitte eingeteilt, deren Aufzählung besser als jede längere Inhaltsangabe uns das überaus reich- haltige Material vor Augen führt. Diese Abschnitte sind: I. Der Mensch zur Tertiärzeit. U. Die Eiszeit und ihre geologischen Wirkungen. III. Der Mensch während der ersten Zwischeneiszeiten. IV. Der Mensch der letzten Zwischeneiszeit. V. Der Mensch der frühen Nacheiszeit. VI. Die Übergangsperiode von der älteren zur jüngeren Steinzeit. VII. Die jüngere Steinzeit und ihre materiellen Kulturerwerbun- gen. VIII. Die Germanen als Träger der megalithi- schen Kultur. IX. Die Entwicklung der geistigen Kultur am Ende der Steinzeit. X. Steinzeitmenschen der Gegenwart. XI. Niederschläge aus alter Zeit in Sitten und Anschauungen der geschichtlichen Europäer. Prof. E. Geyger , Lehrbuch der darstellen- den Geometrie. I.Teil. 321 S. mit 290 Fig. Leipzig, Göschen. 1906. — Preis 8 Mk., geb. 8,60 Mk. Das Werk soll eine Art Fortsetzung der im glei- chen Verlage erschienenen darstellenden Geometrie von Schröder sein. Verf. hält eine möglichst gründ- liche, wissenschaftliche Einsicht in die projektivische Geometrie für die Vorbedingung erfolgreichen Arbei- tens auf dem Gebiete des konstruktiven Zeichnens. Dementsprechend beschäftigt sich der vorliegende Band der Hauptsache nach (Kap. I — III, S. i — -214) mit synthetischer Geometrie und besonders mit den Kegelschnitten. Erst im vierten Kapitel beginnen die zeichnerischen .Anwendungen mit der Behandlung der orthogonalen und schiefen Projektion. Leider ist ge- rade hier die erste Aufgabe (S 218) recht schwer verständlich, die Darstellung unklar und zu kurz, so- wie die Figur zu klein. Wir möchten fürchten, daß der Anfänger schon bei dieser Aufgabe verzagen dürfte, wenn er sich nur nach dem Buche unter- richten wollte. — Im fünften Kapitel werden schließ- lich orthogonale Projektionen von Ebenen und Kör- pern behandelt. Zviinder, Kegel, Kugel, Raumkurven und Durchdringungen obiger drei Flächen werden besprochen. Auch hier kommen in erster Linie die mathematischen Tatsachen und Lehrsätze zur Geltung, die ausgeführten Konstruktionen sind zum Teil (z. B. Fig. 260) in viel zu kleinem Maßstab wiedergegeben. Die Schattenkonstruktionen, Beleurhtungslehre und Zentralperspektive sollen in einem zweiten Bande be- handelt werden. Wir halten es nicht für ausführbar, das Buch der auf dem Titelblatt angegebenen Be- stimmung gemäß auf mittleren technischen Lehr- anstalten, Kunstgewerbeschulen oder gar Fortbildungs- schulen zu benutzen. Dagegen mag es den Lehrern an solchen Schulen Gelegenheit geben zu anregenden Studien über die wissenschaftlichen Grundlagen der darstellenden Geometrie. Kbr. Dr. O. Sackur, Über die Bedeutung der Elektronentheorie für die Chemie. 21 S. Halle a. S., W. Knapp, 1905. — Preis i Mk. Nach einleitenden Bemerkungen über die Elek- tronen (S. 3 — 10) geht die Antrittsvorlesung in all- gemeinen Zügen diejenigen Fragen der Chemie durch, welche durch die Elektronentheorie eine neue Be- leuchtung erfahren haben, vor allem also die Arrhe- nius'sche Theorie der elektrolytischen Dissoziation, den Abegg'schen Versuch der Benutzung der Elektro- affinität als Systematisierungsprinzip, sowie die Speku- lationen in bezug auf das Urelement. Kbr. Literatur. Bezold, Wilh. v. : Gesammelte Abhandlungen aus den Ge- bieten der Meteorologie u. des Erdmagnetismus. In Ge- meinschaft m. A. Coym hrsg. vom Verf. (VIII, 448 S. m. 66 Abbildgn. u. 3 Taf.) Le.t. 8». Braunschweig '06, F. Vieweg & Sohn. — 14 Mk. ; geb. 16 Mk. Drude, Proi. Dr. Paul; Lehrbuch der Optik. 2. erweit. Aufl. (XVI, 538 S. m. HO Abbildgn.) gr. 8". Leipzig '06, S. Hirzel. — 12 Mk. ; geb. 13 Mk. Heun, Prof. Dr. K.arl ; Lehrbuch der Mechanik. I. Tl. Kine- matik m. e. Einleitg. in die elementare Vektorrechng. Mit 94 Fig. im Text. (XVI, 339 S.) Leipzig '06, G. J. Göschen. — Geb. in Leinw. 8 Mk. Jüptner, Prof. Hanns v. : Lehrbuch der chemischen Techno- logie der Energien. II. Bd.: Die ehem. Technologie der mechan. Energie. Explosivstoffe u. Verbrennungsmotoren. (V, 190 S. m. 51 Abbildgn.) gr. S»- Wien '06, F. Deu- ücke. — 5 Mk. Lenard, P. : tjber Kathodenstrahlen. Nobel-Vorlesung. Mit 1 1 Textfig. u. e. angehängten Literaturverzeichnis. (44 S.) gr. 8". Leipzig '06, J. A. Barth. — 1,20 Mk. Sauer, Prof. Dr. A.: Petrographische Wandtafeln. Mikro- skopische Strukturbilder wicht. Gesteinstypen in 12 Taf. Je 98X74,5 cm. Mit Text. (31 S. m. Abbildgn. gr. 8°. Stuttgart '06, K. G. Lutz. — 20 Mk. ; auf Leinwand mit Stäben 38 Mk.; einzelne Taf. 2 Mk. , bezw. 3,50 Mk.: Text allein t Mk. \. F. \'I. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 15 Briefkasten. Frage: „WcU-lic Xorgiinge spielen sich bei der Kntwick- lung der Keigcnl'ruoht (Ficus) ab und in welclier Weise ist ein Insekt und welches dabei beteiligt:" .\. M. in Berlin. Antwort: Betrachtet man die Feige im ersten Stadium ihrer Entwicklung, so erblickt man sie als klcme Knospe (als jungen Sprofi), d. h. als kurzes Stengclende mit daran befind- lichen, sich deckenden kleinen Hochblättern. .Anfangs ist der Scheitel dieser Knospe fast eben, nach und nach aber bildet sich an seinem Rande ein Ringwulst, der die erwähnten Hoch- blätter trägt, während der zentrale Teil des Scheitels sich lang- sam vertieft, so daß sich aus der Knospe schließlich ein engmiin- digcs, birnenrdrmigcs Gehäuse bildet, dessen Ausgang durch die Hochblätter noch beträchtlich beengt und verschränkt wird (siehe unsere Fig. .\). .\n der Innenwand der so entstandenen Urne entspringen, als letzte Verzweigungen des Sprosses, viele Blütenstiele, die zwei Arten Blüten tragen. Männliche oder Pollenblüten (siehe Fig. D) und weibliche oder Fruchtblüten (siehe F'ig. B u. C). Nun kommt es bei manchen Feigenarten vor, daß in ein und derselben FVige verschiedenartig gebaute Fruchtblüten zu finden sind, nämlich solche mit längerem Griffel (Fig. B) und solche mit kürzerem (Fig. C); die letzteren nennt man Gallenblüten, weil sie, wie wir sehen werden, durch die F'eigenwespe in Gallen verwandelt werden können. Einen Feigenbaum, dessen Blütenstand nur Fruchtblüten enthält, be- zeichnet man im engeren Sinne als Ficus (Eßfeigenbaum). Einen solchen, der hingegen an der Mündung seiner Urnen Pollenblüten weiter unten aber größtenteils Gallenblüten hat, mit Caprificus i^Holzfcigenbaum^. Die Feige trägt nicht wie andere Bäume einmal zu be- stimmter Zeit im Jahre Früchte, sondern dies ist dreimal der Fall, sodaß wir bei der Holzfeige erhalten: 1. Vorfeigen, ,,Profichi"; 2. Sommerfeigen, ,,Mammoni" ; 3. Winterfeigen, ,,Mamme". Wie sich die Eßfeige in dieser Beziehung verhält, soll weiter unten erwähnt werden. Durch den kurzen, oft narbenloscn Griffel der Gallen- blüten von der Vorfeige des Caprificus, legt nun die Wespe Blastophaga grossorum Grav. (auch Cynips psenes L., zur Gattung der Chalcidier gehörig) je ein Ei in den Frucht- knoten, wo es zwischen Nucellus und Integument der Samen- anlage zu liegen kommt. Die langgriffligen Blüten sind dem Insekt unzugänglich, /. weil sein Legestachel zu kurz ist und 2. weil es die wohl- ausgebildete Narbe schlecht durchbohren kann. Hat das Tier die Fruchtknoten mit Eiern behaftet, so bilden sich Gallen, in denen sich die bald darauf ausschlüpfenden Wespen- larven bis zum Sommer in gelbe, flügellose Männchen und schwarze, geflügelte Weibchen verwandeln. Die Männchen be- freien sich sofort nach ihrer Metamorphose aus den Gallen, indem sie diese zerbeißen. Die Weibchen dagegen bleiben noch so lange darin, bis sie von den Männchen befruchtet worden sind, worauf auch sie die Gallen verlassen, um sofort durch den engen Ausgang der Urne ins F'reie zu ^cliLii. Hier- bei berühren sie natürlich die bei der Ilolzfeige im -Mündungs- gebiet befindlichen Pollenblüten, und verschleppen ihren Bluten- staub (die F-eige ist protogyn) in die Sommcrieigen oder Mam- moni, in denen sich zu dieser Zeit ausgebildete Fruchtblüten befinden. Wie schwer es den Tieren wird , die Urne zu ver- lassen, geht daraus hervor, daß die Weibchen meist nur unter Verlust ihrer Flügel das Freie gewinnen. Unter solchen Ver- hältnissen müssen sie natürlich mit dem Pollen in engste Be- rührung gelangen. Die iMer, mit denen das Wespenweibchen die Mammoni besetzt, haben sich wiederum in Wespen verwandelt, wenn sich die weiblichen Blüten der Winterfeige oder Mamme fertig ausgebildet haben. Diese werden mit den Pollen der Mammoni befruchtet und mit leiern liclegt, deren Metamorphose erst im nächsten F>ühjahr beendet ist, da die Larven in den (lallenbluten der Mamme überwintern. Dann beginnt der Kreislauf von neuem. Besonders kompliziert wird das Verhältnis der Wespe zur Feige noch dadurch, daß auch der Eßfeigenbaum dreimal jähr- liclj Früchte trägt. Bei ihm unterscheidet man: 1. Vorfeigen, ,,Fiori" ; 2. Sommerfeigen, ,,Pedagnuoli" ; 3. Winterfeigen, ,,Cimaruoli". Wir bringen der Übersichtlichkeit halber folgende Tabelle (^die Pfeile werden später erklärt). Vorfeigen Sommerfeigen Winterfeigen Holzfeige Caprificus Profichi V Mammoni Mamme .>^- •• Eßfeige Ficus riori Pedagnuoli "X^imaruoli Der Eßfeigenbaum besitzt, jedenfalls durch seine lange Kultur, keine männlichen Blüten. Infolgedessen wäre es ihm also un- möglich Samen zu erzeugen , wenn er nicht durch die Pollen der Holzfeige befruchtet würde, und diese Befruchtung wird wieder durch die Feigenwespe besorgt. Die Fiori können nie Samen tragen, denn die sie eventuell aufsuchenden Wespen dritter Generation entstammen den Mamme, die im Frühjahr keine jungen Pollenblüten besitzen (s. Tab. >•). Die Pedagnuoli werden von der ersten Generation der Wespen mit den Pollen der Profichi befruchtet (s. Tab. >■). Die Cimaruoli durch die zweite Generation der Wespe mit dem Blütenstaub der Mammoni (s. Tab. >■). Seit uralter Zeit übte mau die sogenannte Caprifikation, das heißt man pflanzte Holzfeigenbäume zwischen die Kulturen der Eßfeigenbäume, oder man hängte die Profichi und Mammoni in die Krone der letzteren, um ihre Samen zu befruchten. Noch heute wird Caprifikation stellenweise aus alter Gewohn- heit betrieben, weil man glaubt, daß das Fleisch der F'eige dadurch besser werde ; dies ist aber ein Irrtum. Heute hat sie gar keinen Zweck mehr, da man die Feigen jetzt nicht mehr durch Samen , sondern durch Stecklinge fortpflanzt. Neuerdings sind unsere Kenntnisse über das Zusammenleben von Feige und FeigeuAvespe wesentlich gefördert worden durch folgende Arbeiten: H. Graf zu Solms-Laubach, Die Herkunft, Domestikation und Verbreitung des gewöhnlichen Feigenbaums, in Abhandlungen der Königlichen Gesellschaft der Wissen- schaften zu Göttingen, 1882. — Fritz Müller, Caprificus und Feigenbaum, in Kosmos VI (1882) Heft 5, S. 342 ff. — Solms- Laubach , Die Geschlechterdifferenz bei den Feigenbäumen (Botan. Zeitung 1885, Nr. 33 — 36). R. P. Herrn O. M. in Berlin. — Sie fragen wie sich die auf S. 736 und S. 744 gemachten Angaben über den Farben- wechsel der Tiere vereinigen lassen und ob es mit der Theorie der Anpassungsfarben so schlecht bestellt sei, wie es nach der letztgenannten Stelle den Anschein habe. — — Die Frage, auf welche die Antwort S. 736 erteilt wurde, be- zog sich auf den Farbenwechsel nur insoweit , als er durch LichteindrUcke veranlaßt wird. Die .\ntwort ging deshalb, der Anfrage entsprechend , nicht auf den Farbenwechsel infolge von Tastreizen ein. — Daß die Farbe des Laubfrosches unter Einwirkung des Lichtes hell wird , hat ebenso wie die anderen, dort genannten Autoren auch W.Biedermann nachweisen können (vgl. Pflüger's Arch. f. d. ges. Physiologie i6 N'aturwisscnscliaftlirlie W(jchens("lii'ift. X. F. VI. Nr. I Bd. 51, 1892, S. 4S8). In dem Aufsatz auf S. 744 ist dies nicht zum Ausdruck gelangt. Daraus erklärt sich der scheinbare Widerspruch. — Was nun die Wirkung der Um- gebung auf die Hautfarbe der Tiere anbetrifft, so verhalten sich in dieser Beziehung die verschiedenen Tierarten recht verschieden. — Beim Chamäleon wirkt im Gegensatz zum Laubfrosch helles Licht verdunkelnd auf die Hautfarbe ein und deshalb kann auch, wie seit den Untersuchungen von E. Brücke (Denkschr. d. matli.-naturw. Kl. d. Akad. d. Wiss. Wien, Bd. 4, Abt. I, 1852, S. 179—210) bekannt ist, von einer Anpassung der Farbe an die Farbe der Umgebung beim Chamäleon nicht die Rede sein. Immerhinnimmt R. Keller, und wohl mit Recht, an, daß es sich um eine Schutzfärbung handle (Pflüger's .Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 61, 1893, S. 134). — Eine Tatsache ist es jedenfalls, daß ein Chamäleon im Gezweig der Bäume sehr schwer zu finden ist und von dieser Tatsache müssen wir ausgehen. — Bei Sonnen- beleuchtung gleicht das durch die Wirkung der Sonnenstrahlen dunkelgefärbte Chamäleon nach Keller dem nicht von der Sonne beschienenen Geäst. Bei diffusem Tageslicht dagegen mag wohl die grüne Farbe vorteilhafter sein. — Als Tiere, die sich in ihrer Färbung der Farbe der Umgebung vorzüglich anzupassen vermögen, sind die Plattfische zu nennen (vgl. J. T. Cunninghara, The common sole, Plymouth 1890). — Ein großer Irrtum ist es, wenn man annimmt, daß Färbun- gen in allen Fällen nur dann Vorteil gewähren, wenn sie der Farbe der Umgebung entsprechen : — Ich wurde durch Form und Farbe einer Stabheuschrecke auch dann getäuscht, wenn sich die braun gefärbten Tiere auf lebhaft grünen Kräutern befanden. Sie wirken dann auf das Auge wie abgebrochene, zufällig an den Kräutern hängen gebliebene kleine Astchen. — Sehr verwickelt dürften die Verhältnisse beim Laubfrosch liegen, so einfach sie im ersten Augen- blick auch erscheinen mögen. Ich vermute, daß hier den mit unvollkommenem Farbensinn ausgestatteten Beutetieren gegenüber eine Schutz färbe vorliegt, den mit vollkomme- nerem Farbensinn ausgestatteten Feinden gegenüber eine Trutzfarbe. (Über Trutzfarben vgl. man A. R. WaUace, Der Darwinismus, Braunschweig 1891, S. 353 ff.). Nur so lassen sich alle Tatsachen einheitlich erklären. Wer einmal einen Laubfrosch anfaßte und bald darauf sein Auge berührte, wird einen lebhaften Schmerz empfunden haben. Der Laub- frosch besitzt nämlich, seinen Feinden gegenüber, als Schutz- vorrichtung ein scharfes Hautdrüsensekret. — Weiter glaube ich sicher beobachtet zu haben, daß der Laubfro.sch auf dunk- len Blättern sitzend meist hell ist und umgekehrt. Diese Beobachtung würde sehr gut mit den Resultaten der Bieder- m a n n ' sehen Untersuchungen im Einklang stehen. .\lte Blätter pflegen nämlich einerseits dunkelgrün und andererseits glatt zu sein, junge Blätter aber hellgrün und runzelig, oft auch rauh. — Die Gegner der .\npassungstarbentheorie gehen mit Vorliebe von zweifelhaften Fällen aus, anstatt von offenkundi- gen. Zu letzleren gehören z B. die meisten .Spannerraupen, die Krabbenspinnen usw. Die Krabbenspinnen würden zweifel- los verhungern müssen , wenn nicht durch ihre Farbe und Form das Auge ihrer Beute getäuscht würde. Fangnetze spin- nen sie nämlich nicht und in ihren Bewegungen sind sie z. T. äußerst unbeholfen (vgl. Naturw. Wochenschr., N. F. Bd. 4, S. 597). Die Gegner der Anpassungsfarbentheorie heben zur Begründung ihrer Ansicht hervor, daß der Schutz kein voll- kommener sei. Sie sagen : Wenn die Färbung nicht in allen Fällen Schutz gewährt, so nützt sie nichts. Die Schlußfolgerung ist etwa dieselbe, als wenn man sagen wollte : Ein Gewehr nützt als Waffe nichts, weil es versagen kann und weil man vor- beischießen kann. — .\bsolut sichere Schutzeinrichtungen gibt es in der Natur nicht (vgl. A. Weis mann, Vorlesungen über Deszendenztheorie, 2. Aufl., Bd. I, Jena 1904, S. 53'. Durch die natürliche Zuchtwahl kann ein absoluter Schutz auch kaum entstehen. So vorzüglich z. B. der Schutz ist , den die Drüsenhaare der Bärenraupen ihrem Träger gewähren, er be- währt sich nicht in allen Fällen. Der Kuckuck frißt die Bärenraupen. — Ein Kuckuck soll aber doch auch erst gerade des. Weges kommen, .\llen anderen Vögeln gegenüber ist der Schutz jedenfalls ein sicherer und deshalb gewährt er im Kampfe ums Dasein weitgehende Vorteile. — Daß junge Vögel an Insekten, die als Schutzeinrichtung einen schlechten G e s c h m ac k besitzen, erst Erfahrungen sammeln müssen, hat Fritz Müller schon vor vielen Jahren betvorgehoben (vgl. Zoül. Anz. Bd. I , 1878, S. 54 f.). Er hat aber zugleich darauf hingewiesen, daß die betreffende Tierart dennoch von dem schlechten Geschmack Vorteil hat. obgleich einzelne Individuen durch das Probieren der Vögel zugrunde gehen. — Wenn man beobachtet haben will, daß viele Tiere von ihrer Schutzfärbung gar keinen Gebrauch machen, so beruht das, wie ich mich in einigen von mir gut untersuchten Fällen, z. B. an den an Kiefernstämmen lebenden Krabbenspinnen- [Pldlo- (/ro7«7/s-) Arten, überzeugen konnte, auf Täuschung. Individuen, die sich ausnahmsweise an Stellen mit abweichender Färbung befinden, gewahrt man sehr leicht. Individuen, die sich an Stellen befinden, denen sie in der Farbe gleichen, übersieht man leicht. So kann uns das Nichtangepaßlsein, selbst dann, wenn es nur vereinzelt vorkommt, als Regel erscheinen. — Einzelne der zahllosen Fälle, die man als Schutzfärbung oder Mimikry gedeutet hat, sind zweifellos auf ein zufälli- ges Zusammentreffen einer ähnlichen Färbung oder Gestaltung zurückzuführen. Unendlich viele Fälle aber gibt es, die z w e i f e 1- 1 o s als Schutzfarben aufzulassen sind. Unmöglich können wir die Entstehung aller dieser F'älle auf Rechnung des Zufalls setzen. Die außerordentlich häufige Wiederkehr derartiger Fälle nötigt uns unbedingt, nach Ursachen zu suchen. — Die .Annahme, daß die Umgebung die Farbenanpassung unmittelbar bewirkt habe, wie die Neolamarckisten dies annehmen, ist im höchsten Grade unwahrscheinlich, weil bei allen Tieren, die Raubtieren gegenüber irgend eine Waffe oder eine andere Schutzeinrich- tung besitzen , niemals Schutzfarben vorhanden sind , es sei denn, daß sie selbst von lebenden Tieren sich nähren , deren Fang eine Schutzfärbung bedingt. Die einzige Theorie, die den Zufall ausschaltet, ist die Selektionstheorie. Dahl. Herrn Prof C. O. in Schramberg. — Literatur über Konstruktion von Kristallnetzen finden Sie im Jahrgang 1904 der Naturw. Wochenschr. (Bd. 19) Seite 672. Sie erhalten Kristallnetze zum Selbstanfertigen von Kristallmodellen im Verlage von A. Pichler's Witwe u. Sohn, Wien, Margaretcn- platz 2. . Harbort. Herrn A. B. in Staßfurt. — i) Die Sektion Staßfurt der geologischen Karte von Preußen und benachbarten Bundes- staaten I : 2.5000 (herausgegeben von der kgl preuß. geolog. Landesanstalt) ist noch nicht erschienen. 2) Ein geologiscliei Führer durch das gesamte Unstruttal existiert nicht. An .^...... .^ ... . — . ^.... — .,._ ^...,.. -. besten benutzen Sie die Blätter und Erläuterungen der geo- logischen Spezialkarte von Preußen I : 25000. Es kommen die bereits erschienenen Blätter Stößen, Naumburg, Freyburg, Bibra, Wiche, Ziegelroda, Artern, Kindclbrück, Sömmcrda, Gebesee, Tennstedt, Langensalza und Mühlhausen in Betracht, die Sie in jeder Buchhandlung zum Preise von 2 Mk. für das Blatt nebst Erläuterungen erhalten können. Harbort. Herrn A. D. T. in Nantwich (England). — Zum Studium der Pteridophyten werden Sie am besten nehmen: Engler- Prantl's Natürliche Pflanzenfamilien Bd. I, 4 (W. Engelraann in Leipzig). Das Werk enthält sehr viele Abbildungen. Sehr zu empfehlen ist auch R. v. Wettstein's „Handbuch der Syste- matischen Botanik", in welchem die Pteridophyten im II. Bd. die Seiten 50 — lOI einnehmen. In dem erstgenannten Werk umfaßt der Pteridophytcn-Band (I, 4) 800 Seiten und enthält 1722 Einzelbilder in 481 Figuren. Inhalt: Dr. R. J. Petri: A. van Leeuwenhock's Mikroskope. — Kleinere Mitteilungen: R. Volk: Hamburg ische Elb- Untcrsuclmng. — Dr. M a .\ Kaiser: ,,Land- und Seewinde an der deutschen Ustsecküste. — Prof. O. Lehmann: Über flüssige und scheinbar lebende Kristalle. — Himmelserscheinungen im Januar 1907. — Aus dem wissenschaft- lictien Leben. — Bücherbesprechungen: Dr. Ludwig Reinhardt: Der Mensch zur Eiszeit in Europa und seine Kulturentwicklung bis zum Ende der Steinzeit. — Prof. E. Geyger: Lehrbuch der darstellenden Geometrie. — Dr. O. Sackur: Über die Bedeutung der Elektronentheorie für die Chemie. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur : Prof. Dr. H. P o t o n i e , Groß-Lichterlelde-West b. Berlin. Druck von Lippert Ä Co. (G. P.'itz'sche Puchdr."), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Waturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge VI. Band; der ganzen Reibe XXII. Band. Sonntag, den 13. Januar 1907. Nr. 2. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Kei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. Die Verwendung feiner Gitter in Wissenschaft, Technik und Unterricht. [N.ichdruck verboten,] Von Prof. Dr. Mit 2 Feinste Systeme paralleler Linien spielen als ,, Gitter" oder „Raster" in der Wissenschaft und Technik der Gegenwart eine bedeutende Rolle, ohne daß die besondere Art der Wirkung solcher Liniaturen bis jetzt in weiteren Kreisen hinlänglich bekannt geworden zu sein scheint. Es dürfte daher bei vielen unter unseren Lesern Interesse an einer eindringenderen Betrachtung dieses Hilfsmittels vor- auszusetzen sein und dadurch mögen die im fol- genden gegebenen Ausführungen ihre Rechtferti- gung finden. In der Wissenschaft dienen die „Gitter" zur P>zeugung von Spektren, die gegenüber der pris- matisch erzielbaren Farbenauflösung gewisse Vor- teile darbieten, in der Technik aber hat die Be- nutzung feiner „Raster" eine hochwichtige Um- wälzung bei der Illustration von Druckwerken bewirkt, die jedem Bücherliebhaber während der letztverflossenen 15 Jahre aufgefallen sein wird. Obgleich diese technische Anwendung der Gitter vielleicht einen größeren Interessentenkreis für sich in Anspruch nehmen darf und auch leichter ver- ständlich zu machen ist, wollen wir doch dem Gange der geschichtlichen Entwicklung folgend zunächst die Anwendung der (litter für spektral- analj'tische Zwecke besprechen, müssen dabei aber F. Koerber. Tafeln. etwas weiter ausholen und den geneigten Leser auch eine Weile durch das Ödland der grauen Theorie hindurchführen. Im zweiten Teile sollen dann die Reproduktionsraster behandelt werden und in einem dritten mag weiter gezeigt werden, daß die „Raster" der Technik auch im physikali- schen Unterricht für die Erläuterung wissenschaft- licher Fragen mit Vorteil benutzt werden können. I. Obgleich die Beugung des Lichts, d. h. die Tat- sache, daß das Licht sich nicht unter allen Um- ständen nur geradlinig ausbreitet, bereits in einer 1665 erschienenen Abhandlung von Grimaldi beschrieben war, und obgleich bald danach (1678) H uygens der Pariser Akademie seine vollständig ausgearbeitete Undulationstheorie des Lichts mit- teilte, als deren notwendige Konsequenz die Beugung zu betrachten ist, blieb bekanntlich Newton, der große Entdecker der Gravitation und der farbigen Zusammensetzung des weißen Lichts, ein Gegner der Huygens'schen Wellenlehre. Der Fort- schritt der theoretischen Optik wurde infolge- dessen durch Newtons gewaltige Autorität ein volles Jahrhundert hindurch aufgehalten und erst 1800 kam ^'ouiirr auf die Grimaldi'sche /Eni- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 2 deckung zurück, in der er eine wichtige Stütze der Wellentheorie erkannt hatte. ^'oung war es auch, der die Wahrnehmung machte, daß die im weißen Licht enthaltenen Spektralfarben bei der seitlichen Ablenkung durch Beugung an einem engen Spalt ebenso ausein- ander treten, wie bei der Brechung im Prisma, so daß ein Spektrum von nun ab auf zwei ganz ver- schiedenen Wegen erzeugt werden konnte. Wir wollen uns das Zustandekommen eines Beugungsspektrums beim Durchgang eines par- allelen Strahlenbündels (oder, in der Sprache der Wellenlehre, einer ebenen Lichtwelle) durch einen Spalt A B (Fig. i) verständlich zu machen suchen. — Da nach dem Huygens'schen Prinzip jedes Fig. I. Kntstelumg der Beugungsspektra. schwingende Ätherteilchen als Ausgangspunkt eines neuen Wellensystems angesehen werden kann, müssen von den zwischen A und B liegenden Punkten aus Lichtstrahlen auch in jeder seitlichen Richtung fortschreitend angenommen werden. Bildet nun ein schräges, paralleles Strahlenbündel, wie das zwischen A D und B E, einen solchen Winkel mit A C, daß der Gangunterschied A F der äußer- sten Strahlen einer Wellenlänge l des vorläufig einfarbig gedachten Lichts gleichkommt, so wer- den die von A und K ausgehenden Strahlen nur eine halbe Wellenlänge Cfangunterschied aufweisen, sich also in entgegengesetzten Schwingungsphasen befinden. Das gleiche gilt aber auch von allen Strahlenpaaren, die von Punkten kommen, welche gleich weit rechts von A, bzw. K gelegen sind. Werden daher die Strahlen dieses ganzen Bündels, etwa durch die Linse unseres Auges, in einem Punkt vereinigt, so müssen sie sich paarweise durch Interferenz aufheben, es herrscht in der Richtung dieser Strahlen Dunkelheit. Ist A F dagegen gleich 3 2 A, SO kann man sich das zwischen A und B durchgehende Strahlenbündel in drei gleiche Teile geteilt denken, von denen sich zwei ebenso, wie die Hälften des vorhin betrachteten Bündels ver- nichten, das letzte Drittel der Strahlen wird jedoch zur Wirkung gelangen und einen hellen Beugungs- streifen ergeben. Der Winkelabstand a dieses ersten seitlichen Helligkeitsmaximums vom senkrecht durch den Spalt gegangenen Strahlenbündel er- AF gibt sich nun aus der Gleichung sin a ^ 3^ 28 AB und man ersieht daraus, daß, falls das Licht aus Farben verschiedener Wellenlänge zusammen- gesetzt ist, jeder Farbe ein anderes u entspricht, so daß die den einzelnen Farben entsprechenden Maxima nebeneinander liegen werden oder ein Spektrum erster Ordnung bilden, dessen violettes Ende dem kleinsten a zugehört, also dem weißen Mittelstreifen (CD) am nächsten liegt. Es ist weiter leicht zu verstehen, daß bei Strahlenbündeln, deren Ablenkungswinkel a noch größere Werte haben, abwechselnd wieder Dunkelheit und licht- schwächere Maxima aufeinander folgen werden, so daß bei Anwendung weißen Lichts jenseits der auf beiden Seiten von C D auftretenden Spektra erster Ordnung noch solche zweiter, dritter usw. Ordnung erscheinen werden, die zwar noch stärkere Farbenzerstreuung aufweisen, aber bald sehr wesent- lich lichtschwächer sind und auch teilweise über- einandergreifen.^) Eine genauere Erforschung der Beugungsspektra erfolgte erst durch Fraunhofer, der dieselben durch Anwendung feiner Gitter an Stelle einzelner Spalte erheblich lichtstärker zu machen lehrte und dadurch in den Stand gesetzt wurde, die Wellen- längen der von ihm im Spektrum des Sonnenlichts entdeckten „fixen Linien" zu bestimmen. Fraun- hofer stellte seine Gitter zuerst aus feinen Drähten her, die er über sorgfältig gearbeitete Mikrometer- schrauben wickelte, später riß er in mit Ruß oder Silber überzogene Glasplatten mittels des Glaser- diamanten und der Teilmaschine feine Linien ein, deren Abstand er bis auf 0,00114 Zoll (0,031 mm) und später sogar bis auf 0,000285 Zoll (0,0077 mm) herabzusetzen vermochte. Je dichter nämlich die einzelnen Lichtspalte liegen, desto breiter werden die Spektra, wie folgende einfache Überlegung zeigt: Das Licht breitet sich hinter den Spalten als Wellenbewegung nach allen Richtungen aus, ') Wegen der Kleinheit der Wellenlängen des Lichts {l liegt zwischen 0,4 und 0,7 |U [i ^ = 0,001 mm]) muß die Spaltbreite s gleichfalls klein sein, damit « beobachtbare Werte annimmt. Für breite Spalte sind die n der ersten Beugungsnia.xima sehr klein und die größeren Ablenkungen entsprechenden Maxima sind bereits zu lichtschwach, um gesehen zu werden: das Licht scheint sich daher alsdann nur geradlinig auszubreiten. \. }•'. \1. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 19 an solchen Stellen jedoch, wo die VVegdifferenzen der von den einzelnen Spalten herkommenden Strahlen gleich einer halben Wellenlänge oder dem ungeraden Vielfachen einer solchen sind , heben sich die Schwingungen durch Interferenz auf, es herrscht Dunkelheit. Dort aber, wo die Weg- dififerenz einem geraden Vielfachen der halben Wellenlänge entspricht, treten Lichtmaxima auf. Der Abstand des ersten seitlichen Lichtmaximums von dem auf geradem Wege durch das Spalten- system gelangten Lichte ist nun, wie die nicht ganz einfache Theorie der Gitter lehrt, gleich , — , wenn d der Abstand des das Licht auf- b fangenden Schirmes vom Gitter, A die Wellenlänge des Lichts und b die Entfernung zweier benach- barter Spaltenmitten ist. Je enger nun das Gitter (oder je kleiner b) ist, desto größer wird dieser Abstand und desto größer werden gleichzeitig auch die den verschiedenen Wellenlängen entsprechen- den Unterschiede dieses Abstandes, welche das Auseinandertreten der Farben in ein Spektrum bewirken. Sind nämlich /j und A., die zwei ver- schiedenen Farben zugehörigen Wellenlängen, so liegt das erste Maximum für die eine Farbe bei ■1 f.;- a:^ ~,„a^^^ u^: "_i_^ (j|g Dispersion für die andere bei zwischen /j und A., im Spektrum erster Ordnung wird daher '\ -~, ist also gleichfalls der Gitter- b ^ konstante b umgekehrt proportional. benutzt werden mußten, wobei ebenso schöne Spektra Zustandekommen. Auf diesem gefügigeren Material gelangte Rutherford bis zu 700 Linien pro Millimeter, den Record aber schlug der kürz- lich verstorbene Amerikaner R o w 1 a n d mit 1 700 Linien pro Millimeter. Rowland ist außerdem der weitere Fortschritt zu danken, daß er die Spiegel- fläche cylindrisch gestaltete und die Linien parallel der Cylinderachse einriß. Diese „Konkavgitter" bilden das Spektrum des auffallenden, parallelen Lichts in ihrer Brennebene ohne Zuhilfenahme von Linsen scharf ab, so daß es auf diese Weise mög- lich wurde, die Intensitätsverteilung im Spektrum ohne jede störende Beeinflussung durch die Ab- sorption brechender Medien zu studieren. Seit einigen Jahren hat man es auch gelernt, diese naturgemäß außerordentlich kostbaren Ori- ginalgitter durch Photographie, oder noch zweck- mäßiger durch mechanische Auflagerung einer Celluloidschicht zu vervielfältigen. Thorp, Ives und neuestens der Amerikaner Wallace haben in der Vervielfältigung ebener Rowland'scher Gitter be- sonders gute Erfolge erzielt und der Preis der jetzt im Handel befindlichen Kopien ') ist ein so niedriger, daß es jeder höheren Lehranstalt möglich ist, dieses ausgezeichnete Demonstrationsmittel zu benutzen. Die feinsten Liniengruppen im Sonnenspektrum werden durch solche Beugungsgitter mit Leichtig- keit aufgelöst. Vor den prismatisch erzeugten Spektren bieten die Beugungsspektra den großen Vorteil, daß die Dispersion den Wellenlängen direkt proportional 45 Fig. 2. Das Bogenlicht-Spcktrum des Silbers, nach einer mit einem Beugungsgitter hergestellten Photographie. (Original veröffentlicht im „Atlas der Emissionsspektren" von Hagenbach und Konen.) P'raunhofer's Gitter waren, wie gesagt, bereits fein genug, um eine große Zahl der dunklen Linien im Sonnenspektrum erkennen zu lassen, wenn das Gitter vor einem Fernrohrobjektiv montiert wurde, das auf einen möglichst scharf eingestellten, schmalen .Spalt im P'ensterladen des verdunkelten Zimmers gerichtet war. Fraunhofer glaubte auch in bezug auf die Feinheit der Gitter an der technisch er- reichbaren Grenze bereits angelangt zu sein ; gleich- wohl wurden seine schon bewundernswerten Lei- stungen in der Folgezeit in Staunen erregendem Grade übertroffen. Glasgitter, die bis 400 Striche auf den Millimeter aufwiesen, wurden später von Nobert zu Barth in Pommern, sowie auch von Wan seh äff in Berlin hergestellt. Besonders fein aber konnten auf Spiegelmetall Gitter eingeritzt werden, die dann freilich mit reflektiertem Licht ist, so daß eine einfache mikrometrische Ausmes- sung genügt, um die Wellenlängen der verschie- denen Linien zu bestimmen. Außerdem bietet das Auftreten mehrerer Spektra mit ungleich starker Zerstreuung die Möglichkeit, ohne einen Wechsel des Apparats das Spektrum je nach Bedarf bei geringerer oder größerer Zerstreuung zu betrachten. Das in Figur 2 in zwei Teilaufnahmen wieder- gegebene Silberspektrum, das nach dem „Atlas der Emissionsspektren" von Hagenbach und Konen reproduziert ist, mag dem Leser eine Probe dessen geben, was die Beugungsgitter zu leisten imstande sind. Dieses Spektrum ist mit einem Rowland- ') Für Deutschland zu beziehen durch F. Schmidt und Hänsch. Berlin S., Prinzessinnenstr. l6. Thorp'sche Gitter er- hält man schon für 13,50 Mk. Nnturwisscnschaftliclic Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 2 sehen Konkavgitter von 20000 Linien pro Zoll (= 2,54 cm) aufgenommen. Der Vorteil des Gitter- spektrums gegenüber einem prismatischen Spek- trum tritt hier dadurch deutlich in die Erschei- nung, daß die unter den Spektren angebrachte, gleichmäßig fortschreitende Skala die Wellenlängen in |t(,(( ohne weiteres abzulesen gestattet (die bei- gedruckten Zahlen geben die Zehner an, während die Einer in der Teilung abzuzählen sind). Der oben genannte Spektralatlas \) enthält 28 Heliogravuren- tafeln, auf denen die Spektra der meisten Elemente in ähnlicher Weise zur Darstellung gebracht sind, so daß ihm die Wellenlängen sämtlicher Spektral- linien unmittelbar entnommen werden können. Eine ganz neue, hochbedeutsame Anwendung feiner Gitter für wissenschaftliche Zwecke stellt sich die Polarisation der Lichtwellen durch solche Gitter zur Aufgabe. — Jedem, der einmal eine Demonstration der berühmten Hertz'schen Versuche über elektrische Wellen gesehen hat, werden die wechselnden Absorptionen besonderen Eindruck gemacht haben, welche jene Wellen an Drahtgittern von etwa 1 cm Zwischenraum je nach def Stellung der Gitter erfahren. Wegen der linearen Gestalt des die elektrischen Wellen er- zeugenden Funkens sind diese Wellen nämlich polarisiert und ein Drahtgitter wirkt auf dieselben daher wie ein Analysator, indem die Wellen ohne Energieverlust hindurchgehen , wenn die Drähte senkrecht zur Funkenstrecke orientiert sind, während bei paralleler Stellung in den Drähten Induktion auftritt und daher die Energie der Strahlung eine Absorption erfährt. Die vollkommene Analogie der an elektrischen Wellen beobachteten Erschei- nungen mit den am Licht seit lange bekannten Eigenschaften gab ja bereits seit einem Jahrzehnt der Maxwell'schen elektromagnetischen Theorie des Lichts eine feste Stütze, aber um diese Auffassung der Natur des Lichts über jeden Zweifel zu er- heben, war es doch wünschenswert, auf Grund der an elektrischen Wellen festgestellten Erscheinungen neue, bisher noch nicht bekannte optische Phäno- mene vorherzusagen. Glaubte man nun auch schon seit längerer Zeit, die Kristalle als eine Art ultramikroskopischer „Raumgitter" ansehen zu sollen, sodaß ihre polari- sierende Wirkung auf Lichtstrahlen ähnlich zu er- klären wäre, wie die der Drahtgitter bei den elek- trischen Wellen, so fehlte doch der direkte Nach- weis der optisch polarisierenden Wirkung feiner Gitter. Rubens war es, der hier einen ent- scheidenden Schritt nach vorwärts tat. Nachdem er an sehr kurzwelligen elektrischen Strahlen dar- getan, daß sich ein dickes Buch denselben gegen- über seiner lamellaren Struktur wegen wie ein Nicol'sches Prisma verhielt, gelang es ihm, in Ge- meinschaft mit Nichols die Kluft, welche die elektrischen Wellen von den Lichtwellen trennte, zu überbrücken. An den durch mehrfache Re- flexion an Fluoritplatten aus der Lichtstrahlung ') Verlag von G. bischer, Jena. Preis 24 Mk. ausgesonderten sog. „Reststrahlen" von 0,024 rnm Wellenlänge konnte Rubens nämlich 1897 gleichfalls Polarisation mit auf Glas hergestellten Silbergittern von 0,005 mm Streifenbreite und ebenso großen Zwischenräumen hervorrufen, wodurch der Nach- weis geliefert war, daß sich diese Wärmestrahlen Metallgiltern gegenüber wie elektromagnetische Wellen verhalten (Wiedem. Annalen, Bd. 60, S. 418). Für sichtbares Licht gelang der Nachweis einer polarisierenden Wirkung submikroskopischer Gitter Prof. F. Braun in Straßburg, der 1904 sogar ein Patent ') zur Herstellung submikroskopischer Gitter zum Zwecke der Polarisation des Lichts erwarb. Durch elektrische Kathodenzerstäubung von einem geraden Drahte aus gewann Braun nämlich eine so enge, gitterartige Anordnung metallischer Teil- chen, daß deutliche Polarisationserscheinungen am gewöhnlichen Lichte durch jene Präparate hervor- gerufen werden konnten. Als Träger solcher polarisierender Gitter können auch organische, mit einer Metallsalzlösung getränkte Gewebe, z. B. ge- wisse Hölzer, benutzt werden. Nach Zersetzung der Salzlösung und Abscheidung des darin ent- haltenen Metalls könnte die Struktur des organi- schen Gewebes zerstört und so ein submikro- skopisches Metallgitter gewonnen werden. Wenn nun auch diese Beobachtungen zu einer praktischen Verwertung , etwa zu einem Ersatz der immer kostspieliger werdenden Kalkspatpolarisatoren durch künstliche Gitterplatten, bis jetzt noch nicht ge- führt haben, so ist das theoretische Interesse, das ihnen zukommt, nicht nur vom physikalischen, sondern auch vom mineralogischen und botanischen Standpunkt aus ein sehr bedeutendes. Vor allem freilich ist damit die elektromagnetische Theorie des Lichts durch ein weiteres „experimentum crucis" gestützt worden. Als eine letzte, wissenschaftliche Anwendung feiner Gitter möge schließlich noch deren Be- nutzung zu photometrischen Zwecken erwähnt werden, wie sie nach dem Vorgange von Wirtz jüngst W i 1 k e n s bei der Vergleichung von Sternhelligkeiten zur Ausführung gebracht hat (Astron. Nachr. Nr. 4124, 25. Okt. 1906). Bringt man vor das Objektiv des zur Messung benutzten Fernrohrs ein Drahtgitter, das vorher einer ge- nauen Ausmessung unterworfen wurde, so ist der Betrag des zurückgehaltenen Lichtbruchteils mathe- matisch genau bestimmt und diese Art der Ab- biendung heller Sterne ist jeder anderen, teil- weisen Bedeckung des Objektivs deshalb entschieden vorzuziehen, weil dabei alle Teile des Objektivs auch für das abgeblendete Gestirn in gleichem Maße zur Bilderzeugung beitragen, so daß ohne weiteres Vergleiche mit weniger hellen, aber ohne das Gitter photographierten Sternen zulässig sind. IL Seit 18S2 haben feine Gitter auch auf einem ganz anderen Gebiete eine hervorragende Bedeutung ') D.-R.-Patent Nr. 161 686. Vgl. auch Drudes .\nnalen der Physik '.905, Bd. 16, S. I und 23S. N. F. VI. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochcnscliritt. äl erlangt, nämlich in der Reproduktionstechnik. IVI e i - senbach war auf den Gedanken gekommen, zum Zwecke der Herstellung von Klischees für Auto- typien eine Linienplatte zur Anwendung zu bringen, die er während der durch die Kamera bewirkten Abbildung eines Diapositivs in zwei zueinander senkrechten Stellungen zwischen Diapositiv und Kamera einschaltete. Anger er und Göschel in Wien modifizierten und vereinfachten dieses Verfahren dann insofern, als sie gleich bei der Originalaufnahme durch eine innerhalb der Kamera vor die Platte gebrachte, auf photographischem Wege erzeugte „Netzplatte" das Negativbild in ein- zelne Punkte auflösten. Immerhin waren diese ersten „Raster" noch unvollkommen genug, nament- lich da ihre durchsichtigen Stellen nicht vollkommen glasklar hergestellt werden konnten. Erst durch Max Levy in Philadelphia wurde seit 1892 dem Bedürfnis nach scharfbegrenzten, in den Linien vollkommen undurchsichsichtigen, dazwischen aber glasklaren Rastern definitiv abgeholfen. Die Be- nutzung guter Raster, die seit 1897 auch in Frank- furt a. M. durch J. C. Haas in tadelloser Qualität hergestellt werden, hat innerhalb des letztvergange- nen Dezenniums eine für jedermann auffällige, voll- kommene Umwälzung der Illustrationstechnik her- vorgerufen. Der Holzschnitt ist, weil kostspieliger, zeitraubender in der Herstellung und unvollkom- mener in der Wiedergabe, aus unseren Zeitschriften und allen Arten illustrierter Werke fast vollständig durch die Autotypie verdrängt worden und es ver- lohnt sich daher wohl, einmal näher auf die Ent- stehung der modernen Abbildungen einzugehen. Was zunächst die Fabrikation der Raster be- trifft, so müssen bei derselben gut polierte Spiegel- glasplatten mit einem Atzgrund überzogen werden, aus welchem dann mittels sorgfältigst gearbeiteter Teilmaschinen eine Liniatur von gleich breiten und äquidistanten Linien ausgehoben wird. Die dadurch freigelegten Stellen des Glases werden dann durch Flußsäure geätzt, die geätzten Furchen werden durch einen Farbstoff vollkommen undurch- sichtig gemacht und nach nochmaliger Politur der Platte werden dann je zwei derselben so zusammen- gekittet, daß sich ihre Linien rechtwinklig durch- schneiden.') Die einzelne Rasterplatte zeigt also die gewöhnlich diagonal verlaufende Liniatur, wie sie vergrößert Figur 3 veranschaulicht und der fertige „Kreuz-Raster" entspricht dem Aussehen der Figur 4. Wir sehen daraus, daß die Linien ebenso breit sind wie die Zwischenräume. Es sind Raster von erheblich verschiedenen Feinheitsgraden im Gebrauch, indem die Linien- zahl zwischen 20 und lOO pro Zentimeter schwankt. Unsere Tafelbeilage , die wir der Gefälligkeit der Rasterfabrik J. C. Haas verdanken, zeigt in prächtiger Weise die Unterschiede in der Wirkung. Die gröbsten Raster werden für Zeitungsillustra- tionen benutzt, die einzelnen Punkte des Bildes sind dem bloßen Auge noch deutlich erkennbar. Bei den feinen Rastern verschwinden die Punkte für die Wahrnehmung mit freiem Auge, sie ver- einigen sich in ihrer Wirkung zu den aufs feinste abschattierten Halbtönen, wie man sie vordem nur durch Lichtdruck oder Heliogravüre herstellen konnte, d. h. durch Reproduktionsmethoden, die Fig. 3. Liniatur einer Rasterplatte (vergr.^ ') Die Preise guter Raster sind naturgemäß entsprechend der präzisen Arbeit recht hoch und .schwanlirr ') Da die inneren und äußeren Tangenten bei Sonnen- beleuchtung nur wenig divergieren, tritt der H.albschatten erst bei größerer Kntfernung vom schattenwerfenden Körper deut- licli in (lio Frsclieinung. Fig. 6. den Grundfarben abzudruckenden Klischees sollten nun eigentlich , da es sich hier um subtraktive Farbenmischung handelt, sämtlich zur Deckung gelangen. Da dies aber praktisch wegen der Feinheit der Raster nicht genau erreichbar ist, geringe \'erschiebungen aber die im Abschnitt III näher zu besprechende Moirestreifung zur Folge haben würden, so ist es nötig, dem Raster für jedes dieser Klischees eine verschiedene Stellung zu geben. Man gebraucht deshalb für den Farben- druck am besten runde Raster, die mit einer Drehvorrichtung versehen sind. Auch die Ives'sche Methode, Stereoskopbilder herzustellen, die ohne Apparat körperlich erschei- nen,^) benötigt besondere Strichraster, ebenso wie Jolly's Verfahren zur Herstellung farbiger Photo- graphien. Da diese Verfahren jedoch praktisch >) Vgl. den Bericht in N. F., Rd. III, dieser Zeitsclirirt, Seite 29. N. F. VI. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 23 noch keine Bedeutung erlangt haben, soll hier auf sie nicht näher eingegangen werden. III. Auch als physikalisches Unterrichtsmittel lassen sich die Rasterplatten gut verwenden. Da diese Benutzung derselben noch nicht sehr verbreitet ist, so mögen hier die wichtigsten Demonstrationen, die man schon mit kleinen Rasterproben ') aus- führen kann, zusammengestellt werden. Zunächst lassen sich die im ersten Abschnitt dieses Aufsatzes besprochenen Beugungserschei- nungen schon an einfachen Strichrasterplatten in sehr schöner Weise demonstrieren. Eine Fahnen- stange erscheint bei passender Haltung des Rasters 5 — 7 mal vervielfältigt und ein schmaler Lichtspalt oder eine in einiger Entfernung stehende Kerzen- flamme gibt prächtige Beugungsspektra. Die suk- zessive Benutzung verschieden feiner Rasterplatten zeigt die Abhängigkeit der Dispersion von der Gitterkonstante und auch durch schräges Durch- blicken läßt sich die Farbenzerstreuung erheblich steigern, so daß es mit den feinsten Rastern sogar schon gelingt, Linienspektra (z. B. von Effektbogen- lampen) oder Absorptionsspektra (Kobaltglas, Blut, Kaliumpermanganat) zu beobachten. Steht ein ver- dunkeltes Zimmer und ein Fernrohr zur Verfügung, dann kann man sogar nach der Fraunhofer'schen Methode die Linien im Sonnenspektrum erkennen. Besonders zweckmäßig ist es, für Spektralbeob- achtungen eine photographische Kopie (Negativ) eines Rasters im reflektierten Lichte bei sehr schräger Incidenz der Strahlen zu benutzen. Sowohl bei subjektiver Beobachtung, als auch bei der Projek- tion der Beugungsbilder eines hell erleuchteten Spalts zeigt sich ferner sehr schön die Überlage- rung der Spektra höherer Ordnung, welche be- wirkt, daß schließlich bei Spektren hoher Ord- nung sogar die Färbung wieder verschwindet. Eine rohe Bestimmung der Wellenlänge des Lichts ist mit Hilfe der Raster gleichfalls möglich, da sich ja, • wenn die Beugungsspektra auf einen Schirm projiziert sind, die Abstände des ersten Violett bzw. Rot von dem ungebeugten Spaltbilde unschwer messen lassen. Nennt man diese Ab- stände a, und aj, dagegen den Abstand des Schir- mes vom Gitter d, so hat man nach der auf S. 19 d/.j , also Aj baj und ebenso /.., ^= . Ein mit dem lOO-Linien- angegebenen Formel a, b a., d' Raster (b = o, i mm ) ausgeführter Versuch ergab z. B. a, = 14 mm, a,^ = 21,5 mm bei d =: 3,15 m, woraus sich als Wellenlängen ergeben Aj = 444 ^iii, ).., ^= 683 .«,«, was ungefähr dem Intervall zwischen den Linien G und B entspricht. Noch einfacher, aber allerdings nur einen IVIittel- wert liefernd ist das folgende Verfahren. Hält 'j Die Firma J. C. Haas, Frankfurt a. M., Zeißelstr. 11 offeriert einen Salz von 5 Rastern in der Größe 6X6 cm mit ■;4 bis 100 Linien pro cm für Unterrichtszwecke zum Preise von .^lk. 30. man einen Raster vor Millimeterpapier, so daß die Rasterstriche einem Liniensystem des Papiers parallel sind, so erscheint dieses Liniensystem im allge- meinen infolge der danebenliegenden Beugungs- bilder verschwommen. Variiert man nun die Distanz des Rasters vom Papier, so wird bei einer gewissen Distanz das Liniensystem des Papiers wieder scharf, weil die seitlichen Beugungsbilder der Linien mit den benachbarten Linien des Papiers zur Deckung kommen. Dies geschieht z. B. bei Rastern mit lOO, 80 und 54 Linien pro cm in Ab- ständen von 17 bzw. 22 und 34 cm vom Papier. Der Winkel a, den die nach dem ersten Beugungs- bild laufenden Strahlen mit dem ungebeugten Strahl bilden, ist daher dadurch bestimmt, daß sein Tan- gens den Wert , bzw. und hat ^ 170 220 340 (vgl. Fig. 6), dieser Tangens ist aber andererseits gleich , oder auch , mit Berücksichtigung der dl gleich oben angegebenen Formel a Es ergibt sich also als ein roher Wert für b" die Fig. 7. Moire-Streifung, durch Rasterplattcn erzeugt. Wellenlänge des am stärksten auf unser Auge ein- wirkenden Lichts aus obigen drei Versuchen , , 0,1 I. A=j^^7^ =0,00059 mm; 2. l 3- •'170 220 10 = o;ooo57 mm; ; 0,00054 mm. 54 • 340 Diese Zahlen liegen zwischen den Wellenlängen der Fraunhofer'schen Linien D und E, entsprechen also dem für das Sehen wirksamsten Teile des Spektrums. Endlich eignen sich die Rasterplatten vortreff- lich zur Demonstration der sog.Moire-Erscheinungen. Legt man zwei zusammengehörige Rasterplatten 24 Naturwissenschaftliche Wociicnschrift. N. F. VI. Nr. 2 so aufeinander, daß die Linien derselben nahezu parallel laufen, so entstehen infolge der in regel- mäßigen Abständen sich wiederholenden Kreuzungen der Striche höchst auffallende Streifensysteme, die den Beschauer namentlich dann in hohem Maße linien nähert, um so weiter rücken die Streifen- systeme auseinander, bis sie schließlich bei ge- nauem Parallelismus völlig verschwinden. U. Behn benutzt diese hohe Empfidlichkeit des Aussehens nahezu parallel sich überdeckender Raster zu feinen Fig. S. Moire-Streifung, durch Rasterplatten erzeugt. 'J Zur Erklärung der Moire-Strcifung. Fig. 9. Moire-Streifung, durch Rasterplallen erzeugt. Überraschen, wenn er von den feinen Rasterstrichen vorher noch nichts bemerkt hatte. Die Abstände der Streifungssysteme wechseln sehr stark bei ge- ringer Drehung der einen Platte gegen die andere; je mehr man sich dem Parallelismus der Raster- Fig. II. Zur Erklärung der Moire-Streifung. Messungen (Berichte der deutschen physik. Gesell- schaft, 1906, Bd. IV, Heft 12). Er konnte z. B. die Ausdehnung einer 300 mm langen Messing- röhre bei Erwärmung um i " durch Vergröße- rung des projizierten Streifenzwischenraums um Xaturwisscnsclniltliclio Woclicnscbrift N. V. L'd. VI, Nr. 1'". Kocrbcr: Die Verwendung l'eincr Gitter in Wissenschaft, TccliniU und Unterricht. rhototypien desselben Relicls, hergestellt mit Hcias-Kastcrn von 20 und 40 Linien pno Centimetcr. Verlag von Gustav Fischer in Jena, N.iUirwisM'nscliat'tlichc Wochenschrift N. 1''. lul. VI. Nr. 2. V. Kocrber; Die Verwendung teiner Gitter in Wissenschaft, Technik und Unterricht. Phütotypien desselben Reliefs, hergestellt mit Haas-Rastern von 60 und So Linien i)ro Ccntimetcr. Veilag von Gustav Fischer in Jena. \. 1'. VI. Nr. NaUuwissenschaft liehe Wochenschrift. 25 300 mm einem Auditorium demonstrieren. Die Figuren 7 bis 9') geben diese Streifensysteme einigermaßen wieder. Am Rande erkennt man, um wieviel jedesmal die beiden diagonal geritzten Platten gegeneinander verdreht waren.-') Es ist eine hübsche Denkaufgabe, Schülern die leichte, rein geometrische und durch die Figuren 10 und 1 1 in größerem Maßstab veranschaulichte Erklärung dieser Streifen selbst finden zu lassen. Auch wird man daran erinnern, daß ähnliche Streifensysteme sich unserem Auge oft darbieten, z. B. wenn man mit der Eisenbahn neben zwei hintereinander stehenden Zäunen einher fährt, deren Latten natürlich auch niemals genau parallel sind. Besonders aber sind alle Moire-Erscheinungen auf solche Kreuzung feiner Liniensysteme zurückzuführen, nur laufen bei diesen die Streifen nicht geradlinig, sondern in unregel- mäßigen Kurven, da den das Moire erzeugenden Geweben die mathematische Regelmäßigkeit und Ebenheit der Raster abgeht. Legt man eine Raster- platte mit der liniierten Seite auf weißes Papier oder Karton, so sieht man besonders im Sonnen- licht in der Regel ebenfalls ein schönes Moire, das durch die Überlagerung des Rasters mit seinem, auf dem stets etwas unebenen Papier entworfenen Schatten zustande kommt. Drückt man nun von oben auf die Rasterplatte, so verschieben sich die Moirelinien bei der leisesten Druckschwankung sehr erheblich und schließlich verschwindet die Zeich- nung bei ganz festem Aufdrücken auf eine ebene Unterlage, da dann die Rasterlinien durchweg mit ihren Schatten zur Deckung kommen. Bekanntlich wird auch das Moire wollener oder seidener Ge- webe dadurch erzeugt, daß zwei Gewebe über- einander gelegt einem starken Druck zwischen heißen Walzen ausgesetzt werden. An den Kreuzungs- punkten der starken Kettenfäden, die nie genau parallel laufen werden, entstehen dann jene Ab- plattungen, die sich in Gestalt welliger Linien zur sog. Wässerung des Moiregewebes zusammensetzen. Die ungewollte Moirebildung bildet übrigens bei der technischen Verwendung der Raster im Drei- farbendruck eine Gefahr, die bei großen Dimen- sionen und sehr feinen Rastern nur durch außer- ordentlich sorgfältiges Arbeiten zu vermeiden ist. Sehr interessante Modifikationen der durch L^berlagerung entstehenden Streifensysteme sind noch zu beobachten, wenn man Rasterplatten mit ungleicher Linienzahl zur Deckung bringt, oder wenn man parallel aufeinandergelegte Diagonal- raster um eine in Deckung gehaltene Kante so dreht, daß die beiden Plattenebencn einen kleinen Winkel miteinander einschließen. Eine weitere interessante Beobachtung kann man an einfachen Rasterplatten noch machen, wenn man eine gleichmäßig helle Mäche, etwa den Himmel, sich auf der liniierten Seite spiegeln läßt. Man sieht alsdann die ganze Platte gleich- mäßig mit breiten dunklen Bändern durchzogen, die von ebenso breiten, helleren Zwischenräumen getrennt sind und den Rasterlinien in der Platten- mitte parallel sind, während sie sich, besonders bei sehr schräger Blickrichtung, nach beiden Seiten hin ein wenig krümmen. Diese Streifen kommen, wie Dr. Gehrcke festgestellt hat, durch die Spiegelung des Rastergitters an der gegenüber- liegenden Fläche der Glasplatte zustande. Denkt man sich das Spiegelbild des Gitters konstruiert, so ist klar, daß für gewisse Blickrichtungen die gespiegelten Linien in die Zwischenräume zwischen die wirklichen Linien fallen, so daß die Menge des gespiegelten Lichtes ein Minimum ist. Für andere Blickrichtungen werden sich dagegen die Liniensysteme genau decken , so daß zwischen ihnen das Spiegelbild des Himmels sichtbar ist, wir also ein Maximum der reflektierten Hellig- keit erhalten. Legt man zur Prüfung dieser Theorie zwei gleiche Rasterplatten mit der nicht liniierten Seite so aneinander, daß die Linien der einen denen der anderen parallel sind, so erblickt man in der Tat ganz entsprechende Streifensysteme beim schrägen Durchblicken, die bei geringer Ver- drehung der Platten ihre Richtung um fast 90" im einen oder anderen Sinne ändern. In den hellen Zwischenräumen treten hier noch deutlicher als bei der Spiegelung an nur einem Liniensystem Spektralfarben auf, die sich durch die verschieden starke Brechung der einzelnen Farben beim Ein- tritt in das Glas erklären. Die Deutlichkeit und Regelmäßigkeit, mit der die erwähnten Streifen im Spiegelbilde des Himmels auftreten, stellt übrigens einen weiteren Beweis für die Güte der Haas-Raster dar. Würden die Platten z. B. nicht gut parallele Oberflächen haben, so würde sich dies durch eine Verzerrung der beschriebenen Erscheinung zu erkennen geben. ') Die Figuren 7 bis 1 1 sind als Xegative gegeben. Beim Versuch zeigt sich also hell und dunkel vertauscht. ') Übrigens legt der mathematisch regelmäßige Verlauf dieser Streifensysteme Zeugnis ab von der überaus exakten Herstellung der Ilaas-Raster, mit ilcnen sie gewonnen wurden, denn jede Unregelmäßigkeit in den Absfänden der Kasterlinien müßte erhebliche Störungen in jenen Streifensystemen zur Folge haben. Eine erstaunliche Fülle überraschender An- wendungen läßt nach dem Gehörten das einfachste geometrische Gebilde, eine Parallelenschar, zu, so- bald der gegenseitige Abstand der Parallelen mit Hilfe exakt arbeitender Maschinen unter das Maß des dem freien Auge unmittelbar Erkennbaren herabgedrückt werden kann. Es mag in hohem Grade unsere Bewunderung menschlichen Scharf sinns verstärken, wenn wir bedenken, mit wie ein- fachen Mitteln einerseits, mit wie feiner Ausführung andererseits all die Erscheinungen hervorgerufen werden, von denen in diesem Aufsatz die Rede war, 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. \'l. Nr. 2 Kleinere Mitteilungen. Eine Methode zur Ermittlung der Höhe des Vogelfluges. — Gelegentlich des letzten Ornithologentages zu Breslau wurde u. a. auch die Flughöhe diskutiert, welche die Zugvögel auf ihren Wanderungen innehalten. Diese Frage ist wegen Mangels an ausreichendem und genügend sicherem Beobachtungsmateriale noch immer strittig, indem die Höhenangaben sehr verschieden lauten, sowohl im allgemeinen, als auch in bezug auf die einzelnen Vogelarten. Wenn Höhen bis zu 6000 m angegeben werden, so ist diese Angabe wegen der viel dünneren Luft in jenen Re- gionen doch stark anzuzweifeln ; tatsächlich stellt die Mehrzahl der Ornithologen die Möglichkeit sol- cher Flughöhen im allgemeinen in Abrede. Es dürfte darum nicht ohne Interesse sein, wenn einschlägige Beobachtungen zur Klärung dieser Frage bekannt gegeben werden. Einsender dieser Zeilen hat bei Mondbeobachtungen durch ein stärkeres Fernrohr (88 mm Objektivdurch- messer") nicht selten Gelegenheit , im Frühjahre und Herbste während der Nacht Vögel durch das Gesichtsfeld des Instrumentes über die Mond- scheibe fliegen zu sehen. Je weiter der Vogel vom Beobachter entfernt ist, desto längere Zeit erfordert natürlich der Vorüberfiug und desto ge- nauer kann die Zeitdauer desselben, sowie die Größe des Vogels geschätzt werden; auch kommt in diesem Falle die charakteristische Flugart des Vogels deutlicher zur Erscheinung und somit ein nicht unwesentliches Merkmal zur Erkennung manches Vogels. Einer Notiz aus meinem Beobachtungstagebuche aus dem Frühjahre 1898 sei hier Raum gegeben: ,,In etwa 1/., -stündigen Pausen (8 — lo*^ abends) be- merkte ich 3 Vögel , welche von S nach N vor der Mondscheibe vorbeiflogen. Da sie etwa die Größe von 1 5" hatten und der Mond etwa 30" hoch stand, müssen die Vögel eine beträchtliche Flughöhe gehabt haben. Auch die Fluggeschwin- digkeit muß eine sehr bedeutende sein, da sie in etwa 1^2 — 2 Sek. vor dem Monde vorüberflogen." Ich habe nun versucht, auf Grund dieser Be- obachtung eine Methode zur annähernden Ermittlung der Flughöhe zu gewinnen, wobei ich allerdings von einer Annahme ausgegangen bin, nämlich, daß die Geschwindigkeit des betreffenden Vogels ca. 30 m pro Sekunde betrug, eine Größe, welche der Wirklichkeit wohl ziemlich nahe kommen dürfte. Denn aus dem sprungweisen, bogenförmigen Fluge mit intermittierendem Flügel- schwirren, welches bei der 60 fachen Vergrößerung und bedeutenden Lichtstärke des Instrumentes deutlich zu sehen war, konnte man auf Stieglitze oder verwandte Vögel schließen, für welche eine Geschwindigkeit von 30 m wohl nicht zu hoch bemessen sein wird. Nebenstehende F"igur diene zur Erläuterung meines Verfahrens. Voraussetzung im vorliegen- den Falle ist, daß der Vogel einen senkrechten Durchmesser des Mondes durchfliegt. Die Rech- nung nimmt ihren Ausgang in der Flugstrecke a c, welche bei Annahme von 30 m Geschwindigkeit in I ' ., Sek. 45 m beträgt. Wie aus der Figur ersichtlich, kommt wegen der schiefen Lage der Flugbahn zum Monddurchmesser die Strecke a c dem scheinbaren Monddurchmesser gleich. Man beachte nun das /\, at>c, in welchem ^ a = [_ m B E' = 30" ist, weil die Fluglinie F F' parallel zur Erdoberfläche angenommen werden darf. In dem /\ a b c ermittelt man zunächst b c = 45 m X sin 30" = 22,5 m. Dies ist der scheinbare Monddurchmesser in der Entfernung des Vogels vorn Beobachter. Da der Monddurchmesser rund 30' beträgt, so ist in dem /\ b B c Seite bB = 22,5 m = 2^78 m. Ferner ist ab tg 30' 39 m, und B a = 2578 m 22,5 m tg30* 39 m = 2539 m. Zur Ermittlung der Flughöhe a d dient das Dreieck aBd; es ist nämlich ad = 2539 m . sin 30" = 1269 m. ^) Wie oben erwähnt, schätzte ich die Breite des fliegenden Vogels auf ca. 15", was bei einer Ent- fernung von 2539 m einer Spannweite von 18 cm entspricht, so daß ein Schluß auf stieglitzartige Vögel nicht unberechtigt erscheint. — Wie man von der mutmaßlichen Fluggeschwindigkeit aus- gehen kann — was im vorliegenden Falle ge- schehen — so kann man natürlich auch, wenn die Vogelart erkannt ist, von der bekannten Flügel- spannung und der im Fernrohre geschätzten Winkelgröße dieser Spannung ausgehen, wodurch die Rechnung sich noch vereinfacht. Doch muß auch in diesem Falle die Fluglinie ein senk- rechter Durchmesser oder größere Sehne des Mondes sein, damit die Spannbreite des Vogels nicht verkürzt erscheint. Man wird alsdann. ') Diese Rechnung ist nur nähefungsweise richtig. Ked. N. F. \'I. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 27 wenn die Entfernung des Vogels gefunden ist, wiederum mit Hilfe des /\ a b d die F'lughöhe ermitteln können. Voraussetzung ist dabei aller- dings eine möglichste Sicherheit in der Abschätzung kurzer Zeiträume wie kleiner Winkelgrößen; für letztere hat der mondkundige Beobachter jedoch treffliche Vergleichsobjekte in den sogenannten Mondkratern, deren Grölte leicht zu ermitteln ist. Wenn auch im günstigsten Falle die Ergeb- nisse dieser Höhenberechnungsmethode nur an- nähernde sein werden, so ist es immerhin inter- essant, zu sehen, wie der Mond auch zur Ermitt- lung der Flughöhe nächtlich wandernder Vögel seine Hand bietet. V'ielleicht tragen diese Zeilen dazu bei, daß auch andere Himmelsbeobachter, namentlich vogelkundige, sich für diese Sache nebenbei interessieren und die oben mitgeteilte Methode auf ihre praktische Verwendbarkeit prüfen. Hermann Kleiner. Eine gefährliche Stachelbeerkrankheit in Deutschland. — Im Jahre 1903 trat zum ersten Male auf deutschem Boden eine Stachelbeerkrank- heit auf, die bisher nur in Nordamerika ihr Un- wesen getrieben hatte, und zwar handelt es sich um die sog. Stachelbeerpest, verursacht durch den Pilz Sphaerotheca mors uvae. .Schon seit langer Zeit schädigte dieser in Amerika die Stachelbeersträucher, überfiel, wenn er diese vollständig zerstört hatte, oftmals auch die Johannisbeeren und brachte oft die Züchter um ihre gesamte Ernte. Ostpreußen, Westpreußen, Posen, Pommern und .Schleswig-Holstein eine große Anzahl von Gärten erobert, besonders längs der Wasserwege. Es ist große Gefahr vorhanden , daß auch die übrigen Teile Deutschlands binnen kurzem von dem Schäd- ling heimgesucht werden. Im ersten Frühjahr überziehen sich die jungen, von dem Pilze befallenen Beeren mit einem weißen, schimmelartigen Fadenwerk (dem Mycel des Pil- zes), das bei vielen, durch Pilze verursachten Krank- heiten auftritt und gemeinhin „Meltau" (englisch mildew) genannt wird. In seiner Anfangsform unterscheidet sich der Schmarotzer kaum von dem schon lange in Europa bekannten, bei weitem we- niger gefährlichen Stachelbeer-Meltau. Nach und nach wird jedoch das Geflecht immer dicker, nimmt gleichzeitig eine graue oder braune Farbe an , so daß in seiner weiteren Entwicklung eine Verwechslung mit dem europäischen Meltau aus geschlossen ist. Die befallenen Früchte verlieren schon im unreifen Zustande ihres fleckigen unappetitlichen Äußeren wegen an Wert und werden schließlich gänzlich ungenießbar. Sphaerotheca mors uvae gehört zur Klasse der Schlauchpilze (Ascomycetes), die in der Regel nach beendigtem Wachstum winzige, nur mit dem Mikroskop wahrnehmbare, Schlauch- oder Sack- ähnliche Gebilde (asci) produzieren, und in diesen meist eiförmige Körperchen , die sog. Sporen, bilden, die bei der Reife ausgeschleudert werden. Diese Sporen werden neben anderen, während des Wachstums gebildeten , den sog. Konidien , die Im Jahre 1900 verschaffte er sich Eingang in Europa, zuerst in Irland, und verbreitete sich schnell über die ganze Insel. Von dort gelangte er — auf welchem Wege ist gänzlich unbekannt — noch in demselben Jahre nach Dänemark, Schweden und Rußland. Von diesen Zentren aus folgten dann Schlag auf Schlag neue Infektionen, und 1903 überschritt der Schädling die deutsche Grenze und verwüstete in der Gegend von Barth (Provinz Pommern) die Stachel- und Johannesbeerkulturen. Seitdem hat der Schmarotzer in den I'rovinzen oft nur '/,„,, mm (tröße besitzen, vom Winde auf weite Entfernungen fortgetragen und keimen, auf einem günstigen Platze angekommen, sofort aus, um mit der Bildung eines Mycels den Entwick- lungsgang wieder von neuem zu beginnen. Das einzige Mittel, um der weiteren Ausbrei- tung des Parasiten zu steuern, besteht darin, alle von dem Pilz befallenen Beeren und Triebspitzen zu verbrennen und durch tiefes Eingraben in die Erde unschädlich zu machen. Um sich dann im Frühjahr vor Neuinfektion zu schützen, bespritzt man am besten die Sträu- 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift N. F. VI. Nr. 2 eher den ganzen Winter über bis zum Austreiben der Rlätter mit einer Lösung von 30—40 g .SchwefelkaHum (Schvvefelleber) in 10 1 Wasser in Pausen von i bis 2 Wochen. Zum gleichen Zwecke wird auch Kupfervitriol- kalkbrühe angewandt, doch ist das erstgenannte Mittel vorzuziehen, da es wirksamer sein soll und sich leichter von den Früchten entfernen läßt. Der Verfasser glaubt, daß hoch und trocken gelegene Gärten sowie Hochstämme dem Pilz schwerer zugänglich sind, doch liegen leider hier- für noch wenig Beobachtungen vor. Daher bittet er alle Besitzer von Stachelbeeren, ihm nähere Mitteilungen hierüber zukommen zu lassen. Ebenso wäre es vom wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Standpunkte wünschenswert, wenn über die Verbreitung in den betreffenden Gegen- den, sowie über die mutmaßliche Herkunft recht eingehend berichtet würde. W. Herter, Assistent am Institut für Landwirtschaft, Bromberg. Über die Herkunft des Salzes im Meer- wasser äußert sich Ferdinand von Richt- hofen (in seinem Vortrag „Das Meer und die Kunde vom Meer", Berlin 1904) in der folgenden Weise.') Tiefgreifend mit Beziehung auf die Entstehungs- geschichte des Erdballs ist die Frage nach der Herkunft der salzigen Flut, welche die Ozeanbecken erfüllt. Scharf geschieden von der Erdfeste, wie von der Atmosphäre, bildet sie eine vielfach unter- brochene, dünne Hülle zwischen beiden. Aus den bekannten Grenzen und den gemessenen Tiefen kann man ihr Volumen berechnen. Es hat sich ergeben, daß, wenn die feste Erde eine glatte und homogene Kugel wäre, das darüber gleichmäßig ausgebreitete Wasser der Meere eine Schicht von ungefähr 2500 Meter Dicke bilden würde. Wenn man ein Kubikmeter dieses Wassers der Ver- dunstung aussetzt, so bleibt eine feste Masse zurück, welche nicht ganz den dreißigsten Teil des Ge- wichtes und, räumlich ausgedrückt, etwa ^os <^^s Wasservolumens betragen würde. Denkt man sich die aus der Lösung der Gesamtmasse des Meer- wassers ausgeschiedenen Stoffe in trockenem Zu- stand auf diese Kugel ausgebreitet , so würden sie eine Schicht von 40 Meter Dicke bilden. Was diese Zahl bedeutet, kommt uns zu klarerem Be- wußtsein, wenn wir bedenken, daß das Gesamt- volumen dieser Schicht ziemlich genau so viel beträgt, daß die über das Meer aufragenden Kon- tinentalmassen von Europa und Nord-Amerika mit allen ihren Gebirgen und Hochländern daraus auf- gebaut werden könnten. Es ist der fünfte Teil aller Festlandsmassen des Erdballs. Und doch sind dabei die Salzmassen nicht mitgerechnet, welche in verschiedenen Zeiten der Erdgeschichte in Schicht- ') Die obige Mitteilung ist durch eine Anfrage aus dem Leserkreise veranlaßt worden. Vgl. Nr. vom 23. XII. 1906 p. 832. gebilden abgelagert worden sind und dort, wo sie zu großen Körpern konzentriert auftreten, durch bergbauliche Gewinnung ein unentbehrliches Exi- stenzmittel des Menschen liefern. Auch sie waren einst im Meerwasser gelöst. Woher kommt das Wasser.- Woher stammen die in ihm gelösten Stoffe r — Diese Fragen sind häufig aufgeworfen worden. Die Antwort bezüg- lich des Wassers schien besondere Schwierigkeit nicht zu bieten. Denn da es spezifisch leichter ist als die Stoffe der festen Erdrinde, und über- dies bei hoher Temperatur in den gasförmigen Zustand übergeht, konnte man es sich als eine schon im Urzustand den schmelzflüssigen Erdball umgebende konzentrische Schicht von Gasen vor- stellen, aus der es bei allmählicher Abkühlung in die flüssige Form übergegangen sei. Manche Spekula- tion über die Art der petrographischen Ausgestal- tung der äußeren Erstarrungsrinde des Planeten ging von dieser Hülle dissoziierter Gase aus, in welcher außer dem gesamten Wasser des Ozeans auch alles später an die Gesteine gebundene und in die Tiefen der erkaltenden Erdrinde eingesunkene Wasser enthalten gewesen sei. In den Salzen des Meeres aber erblickte man den löslichen Anteil des Abraums der Kontinente, wie er von Uranfang an durch den Kreislauf des Wassers dem Ozean stetig zugeführt worden sei. Als reines Wasser- gas entsteigt dieses den Meeren, und nach einem langen Lauf durch die Atmosphäre kehrt es von den Gebirgen, mit gelösten Stoffen beladen, nach dem Meere zurück. Noch begnügt man sich nicht selten damit, den Salzen des Ozeans diesen Ur- sprung zuzuschreiben. Das Experiment zur Prüfung der Stichhaltig- keit dieser Ansicht wird von der Natur selbst im großen vollzogen. Denn es gibt Regionen auf der Erde, wo der angegebene Vorgang sich beinahe rein vollzieht. In den Zentralgebieten der Kon- tinente werden die von dem Regenwasser auf seinem Weg an der Erdoberfläche und durch das innerste Geklüft der Gesteine in Lösung mitge- nommenen Produkte der Zersetzung, gemeinsam mit dem, was durch die Atmosphäre zugeführt wird, in abflußlosen Seen angesammelt und durch Verdunstung konzentriert. Untersucht man die Salze, so entsprechen sie nicht denen des Ozeans. Und wenn wir das Wasser, welches diesem von den Strömen zugeführt wird, analysieren, so finden wir den Hauptbestandteil des Meerwassers, das Kochsalz, in so geringer Menge, daß wir es als einen ausgelaugten Bestandteil der Schichtgebilde betrachten können, der ihnen einst bei ihrem Ab- satz aus dem Meer einverleibt wurde. Es scheint deshalb neues Kochsalz nur in verschwindender Menge, wenn überhaupt, bei den Zersetzungsvor- gängen geschaffen zu werden. Im Meer aber ist seine Rolle außerordentlich groß. Denn von jener 40 Meter dicken Schicht löslicher Stoffe würde es allein über 31 Meter einnehmen, ein Maß, welches wir uns aus der ihm fast genau entsprechenden Höhe des Königlichen Schlosses in Berlin leiclit N. I". \'r. Nr Naturwisscnscliaftliclic Wochenschrift. versinnbildlichen können. In dieser Dicke würile es über die ijanze Erdoberfläche ausgebreitet sein. Um das darin enthaltene Natrium zu liefern, wiire die vollständige Entziehung dieses Elementes aus Erdrindenmassen erforderlich gewesen, welche um mehr als das Dreifache das V^olumen sämtlicher über das Meer aufragender F"estlandsmassen über- träfen, wenn man den mittleren Natriumgehalt aller Gesteine zu 2,38 Prozent an Gewichtsteilen annimmt. Es wird an Gewicht iibertroffen durch das mit ihm verbundene Chlor. Und dieses kann aus den Gebilden der festen Erdoberfläche noch weit weniger hergeleitet werden, da es in der völlig verschwindenden Menge von kaum 0,01 Pro- zent an deren Zusammensetzung teilnimmt. Diese Berechnungen , welche erst durch die Messung der Tiefe der Meere möglich geworden sind, lehren uns die Bedeutung der Rolle des Hauptbestandteils unter den im Meer gelösten Stoffen verstehen. Zugleich ersehen wir, daß jeder der beiden Grundstoffe, aus denen das Kochsalz besteht, in erster Linie das Chlor, durch Massen- haftigkeit des Auftretens der Zusammensetzung der festen Erdrinde ebenso fremd gegenüber steht, wie das Wasser des Meeres den Kontinenten. Fragen wir nach der Ursache dieser Eigenartig- keit ihrer Rolle, so können wir sie nur in der Be- sonderheit des Ursitzes, von dem sie stammen, und in besonderen Vorgängen vermuten, durch welche sie an ihre Stelle gebracht wurden. Den Schlüssel der Erklärung geben uns die mit dem Vulkanismus verbundenen hydrother- mischen Vorgänge, deren von St. Ciaire Deville und Robert Bunsen begonnenes Studium durch die explosiven Emanationen des Vulkans von Marti- nique neue Belebung erfahren hat. Vereinzelt war schon seit 1842 die Ansicht ausgesprochen und wahrscheinlich gemacht worden , daß die hoch- erhitzten und unter hohem Druck befindlichen Massen im Erdinnern mit Gasen in dissoziiertem Zustand beladen sind, welche bei Minderung der Temperatur zu gasförmigen Verbindungen zu- sammentreten und unter den Ursachen der Er- scheinungen des Vulkanismus, wenn auch nicht die einzige, so doch die wesentlichste Rolle spielen. Es kann dabei ebenso die fortschreitende Erkaltung des Erdballs wirksam sein, wie das örtliche, geysir- artige Aufsteigen gasdurchtränkter Massen nach minder erhitzten Tiefen. Die Beobachtung der verschiedenen Art, wie die fremdartigen, aus dem Erdinnern herzuleitenden Stoffe im Gefüge der Erd- rinde und an ihrer Oberfläche auftreten, hat zu der Schlußfolgerung geführt, daß die Äußerungen des Vulkanismus ebenfalls von sehr verschiedener Art sind. Örtliche Druckentlastung oder schuß- artige Öffnung von Kanälen rief Ausströmen gas- erfüllter Lava oder explosive Vorgänge und damit die für eine große Zahl von Vulkanen charakte- ristische Art der Tätigkeit hervor; Klüfte in zer- trümmertem Gestein konnten durch Sublimation gasförmiger Stoffe mit Mineralien und Erzen er- füllt werden : an anderen Stellen fand gewaltsames Eindringen wassergashaltigcn Schmelzflusses in selbstgeschaffene und durch Nachschub stetig er- weiterte Zwischenräume im Gestein statt. In allen Fällen konnten entweichende Gase des Magma in Form von temporären Solfataren oder dauernden Thermen die Oberfläche erreichen und hier den Vorrat von Wasser und aus dem Erdinnern ver- flüchtigten Stoffen vermehren. Daß Chlor und die selteneren Halogene, Fluor, Brom und Jod, aus dem Magma Metalle und andere Elemente, dar- unter besonders Natrium, entführen und nach der Oberfläche bringen, ergibt sich mit Wahrschein- lichkeit aus der Rolle, welche sie heute bei den Ausbrüchen der Vulkane spielen. Der Deduktion aus beobachtbaren Vorgängen der Gegenwart ist ein Halt geboten, ehe sie sich unterfängt, bis zu den Urzuständen der Erdober- fläche zurückzugehen. Es darf indes, wenn die ersten Schlußfolgerungen richtig sind, als wahr- scheinlich gelten, daß vor und bei Beginn der Erstarrung die Entweichung der Gase aus dem Magma und die selektive Entführung einzelner Grundstoffe durch die besonders aktiven Halogene aus den Tiefen nach der Oberfläche, ebenso wie die Gesamtheit der eruptiven und explosiven Er- scheinungen, mit außerordentlicher Heftigkeit und in allgemeiner Verbreitung über die Erdoberfläche stattfanden, so daß in der Tat die frühe Existenz einer mächtigen Hülle von Gasen der Bestandteile des Wassers und deren schließliche Verdichtung unabweisbar ist. Aber auch wenn der Vulkanis- mus und die ihm verbundenen hydrothermischen Vorgänge seit der relativ späten Zeit des nach- weisbaren organischen Lebens nur als schwache Nachwehen der früheren Zustände angenommen werden dürfen, muß doch in absolutem Maß die Gesamtmenge der dabei dem Erdinnern entwichenen Stoffe einen sehr bedeutenden Zuwachs zu dem Urmeer und seinen Salzen geliefert haben und noch fortdauernd liefern. Wir dürfen daher das Wasser der Ozeane, das darin enthaltene Chlor- natrium und andere der damit vorkommenden Stoffe, wie Eduard Suess es im Anschluß an eine geistvolle Betrachtung der Thermen von Karlsbad ausgedrückt und in vielfach neuer Gedankenreihe entwickelt hat, aus einer noch stetig fortdauernden Entgasung des sich abkühlenden Erdkörpers her- leiten. Bücherbesperchungen. Deutsche Südpolar-Expedition 1901 — 1903, IX. Bd., Zoologie I. Bd., Heft 3. Berlin , Georg Reimer, 1906. C. Apstein, Die Salpen, mit Tafel VIII bis X u. 42 Abbildungen im Text, p. 15g — 203.') Es sind wesentlich 3 Punkte, die dieser durch Klarheit und Kürze ausgezeichneten Arbeit ein be- sonderes Interesse verleihen. Einmal scheint es, daß die Salpen uns gegenwärtig in nahezu allen ihren lebenden Arten bekannt geworden sind ; denn weder ') Vgl. auch Naturw. Wochenschr. Bd. V Nr. 47 vom 18. November 1906 p. 751. — Red. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. die sorgfältige Durcharbeitung der selir umfangreichen Ausbeute der Valdivia ■ Expedition noch die Unter- suchung des Materialos der Südpolar- Expedition führten /.u der Auffindung irgend einer neuen Art. Der Verf hat es daher für angezeigt gehalten, alle 22, auf 2 Gattungen sich verteilende Arten zusammenzustellen und durch kurze Diagnosen sowie schematische Zeich- nungen möglichst scharf zu charakterisieren. Eine 23. Art, die von ihren Entdeckern sogar in eine be- sondere Gattung (Stephanosalpa) gestellt wird, konnte wegen der ungenügenden Kenntnis nur angeführt werden. Eine Bestimmungstabelle erhöht noch den praktischen Wert dieser Zusammenstellung. Über das Nervensystem derSalpen war bis dahin in- folge der großen Schwierigkeiten, die sich dem Verfolgen der Nervenbahnen an lebenden und konservierten Tieren entgegenstellten , nur sehr wenig bekannt. Apstein konnte nun an einigen wenigen, mit Osmiumsäure behandelten Individuen von S. zonaria und confoede- rata die Nerven bis an die Muskeln verfolgen und ein getreues Bild von dem Verlauf der vom Gehirn- ganghon ausstrahlenden Nerven geben. Histologische Untersuchungen waren allerdings auch an diesen Exemplaren nicht ausführbar. Die tiergeographischen Verhältnisse zeigten in den Hauptpunkten naturgemäß dieselben Erscheinungen wie bei den Pteropoden. Die Salpen sind Bewohner des warmen Wassers und nur eine einzige Art ist dem polaren Stromgebiet eigentümlich : die antarktische Salpa magelhanica. Auch hier ist also das Süd- polargebiet dem Nordpol gegenüber bevorzugt, wie das aus der ungeheuren Berührungsfläche des ant- arktischen Wassers mit dem Warmwassergebiete ver- ständlich ist. Eine Warmwasserart, Salpa fusiformis, var. echinata dringt , wie Styliola subula unter den Pteropoden, bis zum 64'/,,* s. Er. an den Rand des Eises vor und lebt hier in einem Wasser von — 1,8" C. Von ganz besonderem Interesse ist es aber, daß die antarktische Art (S. magelhanica) nicht auf das antark- tische Gebiet beschränkt ist, sondern durch die Strömun- gen ä(iuatorwärts fortgeführt wird und westlich vom Kap auf hoher See aufgefunden wurde. Offenbar entführt der sog. „Verbindungsstrom", der den süd- äquatorialen Stromzirkel des Atlantischen Ozeans im Süden schließt, die polaren Ionen aus der Gegend des Feuerlandes und von Kap Hörn und führt sie auf die Südwestküste Afrikas zu, wo sie dann im Gebiete des Benguelastromes als polare Einwanderer zwischen den typischen Warmwasserformen erscheinen. Es ist daher in diesem Gebiete ganz besonders auf antarkti- sche Elemente des Planktons zu achten. Endlich be- stätigte sich aufs neue Apsteins, schon vor Jahren (Die Salpen der Plankton-Expedition) ausgesprochene Vermutung , daß das scharenweise Auftreten von ' Planktonorganismen auf See vielfach eine zeitlich und räumlich konstante, Jahr für Jahr wiederkehrende Er- scheinung sei, indem die Südpolar - Expedition am 15. November igoi fast an derselben Stelle (nord- westlich vom Kap im Benguelastrom), an der 3 Jahre vorher am 19. Oktober die Valdivia eine enorme Menge von Salpa flagellifera gefunden hatte, dieselbe Art wiederum in solcher Masse fand, daß die einzel- nen Tiere sich an manchen Orten berührten. Apstein bringt diese regelmäßige „Ansammlung" mit den Strömungsverhältnissen in einen sehr plausiblen Zu- sammenhang. Auf einer Karte sind die wesentlichsten Befunde zur Darstellung gebracht. H. Lehmann. Julius Wiesner, Professor in Wien, Anatomie und Physiologie der Pflanzen. 5. verb. und verm. Aufl. (Wien, 1906, Holder.) IX und 401 S. und 185 Te.xtfig. — Preis 7,80 Mk. Wiesner's allbekanntes Lehrbuch; Anatomie und Physiologie der Pflanzen (als I. Band der Elemente der wissenschaftlichen Botanik) ist in neuer Auflage erschienen. Wer das Buch aus eigenem Gebrauche kennt , wer weiß , welch bewährten und anregenden Führer er an demselben bei Beginn seiner botanischen Studien gefunden hat, der wird sich aufrichtig freuen, dasselbe trotz der Konkurrenz mit jüngeren Lehr- büchern noch immer auf dem Plan und noch dazu neu verjüngt anzutreffen. S Jahre sind seit der letzten Auflage verflossen und eine Fülle neuer Tatsachen, neuer Gesichtspunkte sind zutage gefördert und ge- wonnen worden , mit welchen sich die Neuauflage abzufinden hatte. Es ist immer ein Kriterium dafür, daß die Grundanlage eines Buches von allem .Anfang an richtig gewählt war, wenn es das Neugewonnene leicht zu assimilieren vermag. Wiesner's Lehrbuch hat diesen Verschmelzungsprozeß vollzogen und ein einheitliches Ganzes geschaffen, welches den Grund- satz der ersten Auflage nicht verleugnet: überall nur dasjenige, was von fundamentaler Bedeutung erscheint, in den fortlaufenden Text aufzunehmen. In meister- hafter Weise hat es der Verfasser verstanden, dieser- art die gesicherten Grundlagen von dem zu trennen, was zwar an sich des Interesses wert und geeignet ist, Anregung zu gewähren, aber noch nicht von* all- gemein anerkannter Bedeutung oder wenigstens min- der wichtig erscheint. Durch diese glückliche, oft schwer durchzuführende Anordnung des Stoftes ist das Buch wirklich zu einer Einführung in die ,, Elemente" der Anatomie und Physiologie der Pflanzen geworden, das in jener Darstellungsweise von durchsichtigster Klarheit, die an Wiesner's Schriften so fesselnd her- vortritt , den Studierenden durch den Nachweis der wichtigsten Literatur (welche namentlich in den an- gehängten „Noten" zusammengestellt ist) über den Rahmen des Gebotenen hinausweist und zu selbstän- digem Arbeiten anregt und befähigt. — Nicht nur für den angehenden Botaniker , noch mehr für den Vorgeschrittenen und den Fachmann sind die im An- hange vorgebrachten Bemerkungen des Verfassers von Bedeutung, da sie durch ihren kritischen Charakter anregend wirken und der objektiv gehaltenen Dar- stellungsweise des Ganzen eine interessante persön- liche Note geben, indem an dieser Stelle der Autor seine eigene Anschauung gegenüber der herrschenden, im Texte vorgetragenen zum Ausdrucke bringt. Während der Gesamtumfang des Werkes nur wenig zugenommen hat, ist die Anzahl der Textfiguren um 26 vermehrt worden, ältere, mehr schematische Bilder wurden durch bessere, neue ersetzt. Daß die N. F. VI. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 31 typographische Ausstattung vorzüglich ist, war von dem bekannten Verlage nicht anders zu erwarten. Es ist kein Zweifel : das besprochene Buch , wel- ches {Generationen von Studierenden der naturwissen- schaftlichen Disziplinen an den österreichischen Hoch- schulen ein treuer Wegweiser war, wird auch in seiner neuen (lestalt diese Aufgabe in altbewährter Weise erfüllen. Prof. Dr. L. Linsbauer (Wien). A. Schuck, Zur Kenntnis d er \\' i rbe 1 stürme. Hahnen. (Westindien, Indischer Ozean, Süd- und Nordost- Pacific.) 33 Seiten Text mit 28 Karten. III. Heft der „Beiträge zur Meereskunde". Ham- burg 1906, Selbstverlag des Verf. Verf. bietet in den Tabellen und Karten eine aus den verschiedensten, ihm zugänglichen Publikationen mit vielem Fleiß zusammengetragene Darstellung der hinreichend scharf beobachteten Sturmbahnen der im Titel genannten Meeresteile. Der Stil des Textes leidet zwar an eigenartigen Wendungen, die ihn stellen- weise schwer verständlich machen, doch wird dadurch der Wert der Karten-Darstellungen, für die der See- fahrer dem Verf dankbar sein wird, nicht beeinträchtigt. Kbr. Literatur, Abel, (jch. Med.-R. Dr. Kud. : Bakteriologisches Taschenbuch, enth. die wichtigsten techn. Vorschriften zur bakteriolog. Laboiatoriumsarbeit. 10. .\ufl. (VI, 119 S.i kl. 8". Würz- burg '06, A. Stuber's Verl. — • Geb. in Leinw. u. durchsch. 2 Mk. Blascbke, Reg.-R. Prof. Dr. Ernst: Vorlesungen üb. raathe- malische Statistik (die Lehre v. den statistischen Maßzahlen 1. Mit 17 Te.xtfig. u. 5 Taf. (VIII, 268 S.) Leipzig '06, B. (j. Teubner. — Geb. in Leinw. 7,40 Mk. Burkbardt, Prof. Dr. Heinr. : Funküonentheoretische Vorlesun- gen. 2. Bd. Elliptische Funktionen. 2., durchgeseh. und verb. Aufl. (XVI, 374 S. m. Fig.) gr. 8". Leipzig '06, Veit & Co. — 10 Mk. ; geb. in Leinw. 11 Mk. Küster, F. W. : Lehrbuch der allgemeinen, physikalischen u. theoretischen Chemie. In elementarer Darstellung f. Che- miker, Mediziner, Botaniker, Geologen und Mineralogen. (Zugleich 7. Aufl. des allgemeinen u. physikal. Teiles von Gmelins Handbuch der Chemie. (In etwa 12 Lfgn.) i. Lfg. iS. 1—64 m. Fig.) gr. 8". Heidelberg '06, C. Winter. — 1,60 .\Ik. Leschanowsky, H. : Gemeinverständliche erste Einführung in die höhere Mathematik u. deren Anwendung. (VIII, S5 S. ■"• 34 ^'g-) gr- 8°. Wien '06, C.Fromme (Umschlag '07.1 — 2,50 Mk. Medicus, Prof. Dr. Ludw.: Einleitung in die chemische .Ana- lyse, gr. 8*. Tübingen, H. Laupp. 4. Heft: Kurze Anleitung zu technisch-chemischen -Ana- lysen. Übungsbeispiele zum Gebrauche beim Unterricht in ehem. Laboratorien. 2. verb. u. verm. .Aufl. Mit 29 Abbildgn. (VIII, 121 S.) '06. — 2 Mk. , geb. 2,80 Mk. Müller, Aloys: Elementare Theorie der Entstehung der Ge- zeiten. (111, 87 S. m. 21 Abbildgn.) gr. 8". Leipzig '06, J. A. Barth. — 2,40 Mk. Pauli, Wolfg. : Beziehungen der Kolloidchemie zur Physio- logie. Vorgetragen in der naturwissenschaftl. Hauptsitzg. der 78. Versammig. deutscher Naturforscher und Arzte in Stuttgart am 20. IX. 1906. (35 S.J 8". Leipzig '06, I. A. Barth. — i Mk. Vries, Hugo de: Arten u. Varietäten u. ihre P.ntstehung durch Mutation. An der Universität v. Kalifornien geh. Vorlesgn. Deutsch V. H. Klebahn. (XII, 530 S. m. 53 Abbildungen.) Lex. 8". Berlin 06, Gebr. Borntraeger. — 16 Mk ; geb. .in Leinw. 18 Mk. Briefkasten. Herrn Prof. F. in Brandenburg a. II. — Literatur üiier die l)altischf »ibere Kreide (Senon und Danien) linden Sic, abgesehen von den Ihnen bekannten älteren Ar- beiten von A. Roemer, Schlüther und Hagenow, in den .Ab- handlungen von; Deccke, Einige neue Aufschlüsse im Flötzgebirge Vor- pommerns und allgemeine Charakterisierung der pommerschen Kreideformation. Zeitschr. d. deutsch, geolog. Gesellschaft 1905, Bd. 57, S. II — 26. Elbert und Klose, Kreide und Paleocän auf der Greifswalder Oie. 8. Jahresber. d. geogr. Ges. Greifswald 1904, S. III —139. De ecke. Neue Materialien zur Geologie von Pommern. Mitt. d. naturw. Ver. f. Vorpommern u. Rügen. 33. u. 34. Jahrg. Greifswald, 1903 u. 1904. Ders., Mesozoische Formationen der Provinz Pommern. Greifswald 1894. M a r s s o n , Die Kryozoen der weißen Schreibkreide der Insel Rügen. Paläont. Abhandl. von Dames u. Kayser 1887. Cayeux, Conlribution a l'etude raicroscopique des ter- rains Sediment. Lille 1897. Ders., Ann. Soc. geolog. du Nord. 19. S. 95. Jentzsch, Der vordiluviale Untergrund des norddeutschen Flachlandes. Jahrb. d. kgl. pr. geol. Landesanstalt f. 1899. S. 266 fi'. Lundgreen, i^)efversigt af Sveriges mesoz. bildningar. 1888. Harbort. Herrn Dr. Seh. in Liegnitz. — Ihre Anfr.age um Mitteilung geologischer Literatur über Südamerika läßt sich in der allgemeinen Fassung unmöglich hier beantworten, da der Platz für die zahlreichen Abhandlungen nicht ausreicht. Sie würden am besten angeben , welchen Zweck Sie mit dem Studium der Literatur verfolgen wollen. — Während Nord- amerika durch die geologischen Aufnahmen der verschiedenen Landesuntersuchungen geologisch gut durchforscht und be- schrieben ist, fehlen Spezialuntersuchungen in den meisten südamerikanischen Staaten. Die geologische Literatur dieser Länder ist darum sehr zerstreut in den verschiedensten geo- logischen Zeitschriften aller Länder. Ein recht ausführliches Verzeichnis von Abhandlungen, die sich auf die Geologie Süd- amerikas beziehen, finden Sie in den Arbeiten von C. Burck- hardt: Coupe geologique de la Cordillere entre las Lajas et Curarautia in den Anales del Museo de la Plata 1900 Bd. 111 und Profils geologiques transversaux de la Cordillere Argen- tino-Chilienne, ebenda 19CXJ Bd. II. Außerdem nenne ich Ihnen aus Werken allgemeineren Inhaltes die betr. Kapitel aus Sueß, .Antlitz der Erde; Neu- mayr, Erdgeschichte: sowie die .Abhandlungen von: Darwin, Geologische Beobachtungen über Südamerika , deutsch von V. Carus, Stuttgart 1878; Domeyko, Memoire sur la com- position geologique du Chile, .Annales des mines Ser. IV, t. 14; Karsten, Geologie de l'ancienne Colombie, Bolivienne, Venezuela, Nouvelle Grenada et Ecuador. Mit 8 Tafeln und I Karte. Berbn 1886; Darapsky, Das Departement Taltal (Chile), seine Bodenbildung und Schätze. Berlin 1900; Wolf, Geografia y Geologia del Ecuador. Leipzig 1892; Stelzner, Beiträge zur Geologie und Paläontologie der .Argentinischen Republik. Cassel-Berlin 1885; Behrendsen, Zur Geologie des Ostabhanges der Argentinischen Cordillere, Zeitschr. d. d. geol. Ges. 1891; Steinmann, Beiträge zur Geologie und Paläontologie von Südamerika (Abhandlungen von verschiede- nen .Autoren.) Neues Jahrb. für Geologie und Mineralogie. Beilageband 1 und folgende; Steuer, Argentinische Jura- ablagerungen. Ein Beitrag zur Kenntnis der Geologie und Paläontologie der .Argentinischen Anden. Paläont. .Abhandl. von Dames und Kayser, Bd. VII, 1897; Tornquist, Der Dogger am Espinazitopaß nebst einer Zusammenstellung der jetzigen Kenntnisse von der Argentinischen Juraformation. Ebenda 1898. Handelt es sich um die Geologie nutzbarer Lagerstätten Südamerikas (Chilisalpeter, Erze etc.), so werden Sie am zweckmäßigsten das Kepertorium des Neuen Jahrbuches für Geologie und Mineralogie oder der Zeitschrift für praktiscke Geologie nachschlagen. Harbort. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. - R F. VI. Nr. 2 Herrn Dr. B. in Plauen. — Ein neueres zusammenfassen- des Werk über die Termiten ist J. Desneux „Isoptera, Farn. Termitidae", l'.ruxelles 1904, in P. Wytsman, „Genera Insectorum", Fase. 25, 52 S. 4" mit 2 Taf., Preis 15,90 Kr. Sie linden in dem äußerst linapp gefaßten Buche Bestimmungs- tabellen und Charakterisierung der Gruppen bis zur Gattung, Angaben über die Lebensweise und Verbreitung, ferner eine .Aufzählung der beschriebenen Arten mit Synonymie und An- gaben über deren Verbreitung und — was lür Sie besonders wichtig sein dürfte — überall Angaben über weitere Literatur, alles natürlich in sehr gedrängter Kürze. Dahl. Herrn W. J. in Skuö (Böhmen). — Sie fragen, wel- ches das beste „tierphysiologische Praktikum" sei. — — Mir hat F. Schenck, ,, Physiologisches Praktikum, eine Anleitung für Studierende zum Gelirauch in praktischen Kursen der Physiologie" (Stuttgart 1895, 308 S. mit 153 Abb., Preis 7 Mk.) immer gute Dienste getan. Von .\. Zuntz wird L. Hermann, ,, Leitfaden für das physiologische Praktikum" (Leipzig 1898, 229 S. mit 24 Abb., Preis 6 Mk.)und E. H. Stein, ,, Tierphysiologisches Praktikum für Tierärzte und Landwirte" (Stuttgart 1903) empfohlen (Naturw. Wochenschr., N. F. Bd. 3, S. 192). Das letztere soll mehr die chemischen Methoden, das erstere, ebenso wie das Seh enck' sehe, die physikali- schen und vivisektorischen Schulversuche enthalten, das erstere soll in erster Linie für den Studierenden der Medizin be- stimmt sein. Ein neueres Buch, das ich nur dem Titel nach kenne, ist: R. Fuchs, ,, Physiologisches Praktikum lür Medi- ziner" (Wiesbaden 1906, 261 S. mit 93 .Abb., Preis 6,60 .Mk.). Dahl. Herrn E. K. in Reibersdorf — Ihre Frage, welche Lehr- bücher der Physiologie sich am besten für das Universitäts- studium eignen, ist in dieser /Mlgemeinheit nicht leicht zu be- antworten. — Ich nehme zunächst an, daß sie die Pflanzen- physiologie nicht meinen. Ebenso darf ich wohl annehmen, daß Sie die physiologische Chemie auch nicht im .\uge haben. Aber auch dann bleibt die Frage unbestimmt, da man nicht sieht, ob Sie das Studium der Medizin oder das Studium der Naturwissenschaften und speziell der Zoologie im .Auge haben. Für einen Mediziner kommen natürlich diejenigen Lehrbücher in Frage, welche den Menschen in den Vordergrund stellen: — Ein kleines, von Studierenden der Medizin vielgekauftes Buch ist J. Steiner, ,, Grundriß der Physiologie des Menschen" (9. Aufl., Leipzig 1906, 474 S. mit 70 Fig., Preis 9 Mk.). Etwas umfangreicher und nicht ausschließlich für den Mediziner be- rechnet sind: J. Bernstein, Lehrbuch der Physiologie des tierischen Organismus, im speziellen des Menschen" (2. Aufl., Stuttgart 1900, 696 S. mit 276 Fig., Preis 14 Mk.) und J. Munk, ,, Lehrbuch der Physiologie des Menschen und der Säugetiere" (7. Aufl. von P.Schultz, Berlin 1905, 642 S. mit 153 Fig., Preis 14 Mk.). Ein sehr bekanntes Buch ist L. Landois, „Lehrbuch der Physiologie des Menschen" ( n Aufl. von R. R o s c - mann, Wien 1905, 1127 S. mit I Taf. und 321 Fig., Preis 20 Mk.). In neuerer Zeit ist auch R. Tigerst edt, ,. Lehr- buch der Physiologie des Menschen" (3. .Aufl., Berlin 1905, lOOI S. mit 260 Fig., Preis 24 Mk.) vielfach in Aufnahme gekommen. Ein eingehenderes Werk ist L. Luciani, ,, Physio- logie des Menschen" (bisher erschienen 2 Bände, Jena 190s bis 1906, 1036 S. mit 389 Fig., Preis 24 Mk.). Noch weit um- fassender und mehr für den Spezialisten berechnet ist das ebenfalls im Erscheinen begriftene Handbuch der Physio- logie des Menschen, herausgegeben von W. Nagel. — Nicht speziell für den Mediziner bestimmt ist L. Her- mann, „Lehrbuch der Physiologie" (13. Aufl., Berlin 1905, 763 S. mit 245 Fig., Preis 16 Mk.). — Lehrbücher der allge- meinen Physiologie, d.h. Bücher über Lebenserscheinungen und Lebensbedingungen, sind: M. Verworn, ,, .Allgemeine Physiologie, ein Grundriß der Lehre vom Leben" (4. Aufl., Jena 1903, 652 S. mit 300 Fig., Preis 15 Mk.) und J. Rosen- thal, ,, Lehrbuch der allgemeinen Physiologie" (Leipzig 1901, 616 S. mit 137 Fig., Preis 14,50 Mk,). Dahl. Herrn P. S. in Telgte und Herrn E. M. in Magdeburg. — Frage I : Zur ersten Einführung in die Kenntnis der ein- heimischen Spinnen wird Ihnen meine ,, Analytische Be- arbeitung der Spinnen Norddeutschlands mit einer anatomisch- biologischen Einleitimg" (in: Schrift, d. naturw. Ver. f. Schles- wig-Holstein Bd. 5, Heft I, Kiel 1883, auch separat erschienen, aber vergriffen) trotz mancher Fehler immer noch gute Dienste tun. Sie enthält Bestimmungstabellen einerseits nach Form- merkmalen und andererseits nach Farbenmerkmalen. — Zum weiteren Studium kann ich Ihnen nur ein lateinisch geschrie- benes Werk über ungarische Spinnen: C. Chyzer und L. Kulczynski, ,,Araneae Hungariae" (Budapest! 1891 ■ 97, Preis 30 Mk.) empfehlen. — Dasselbe enthält außerordentlich sorgfältig ausgearbeitete Bestimmungstabellen, die allerdings die Charaktere der Familien als bekannt voraussetzen und auf lithographischen Tafeln die Kopulationsorgane der meisten For- men dargestellt. Da die Spinnenfauna Ungarns mit der Deutsch- lands fast völlig identisch ist, fehlen in demselben verhältnis- mäßig wenige, west- und norddeutsciie Formen. Frage 2: Zum Konservieren der Spinnen ist immer noch Alkohol am meisten zu empfehlen. Man wirft die Tiere zunächst in nicht zu starken .Alkohol (60 — 80"/^), damit der Hinterleib nicht schrumpfe und führt nach einigen Tagen in stärkeren Alkohol über. Die Farben, auch die zarteren, halten sich längere Zeit einigermaßen gut, wenn man die Gläs- chen in einem völlig dunklen Kasten oder in einem Schrank mit Holz (nicht Glas-) türen aufhebt. Die dunklen Zeichnungen, welche bei der Bestimmung am wichtigsten sind, bleiben auch an belichteten Orten sehr lange erhalten. Frage 3 : Für das .Studium der Anatomie und Biologie der Spinnen kann ich nur auf ein Werk von H. C. McCook, ,, American Spiders and their Spinningwork", 3 Vol., Phila- delphia 1889 — 93 hinweisen. Es ist dieses voluminöse Werk zwar keineswegs erschöpfend, aber doch die umfangreichste Zusammenfassung dessen, was — namentlich über die Lebens- weise der Spinnen — bis zum Jahre 1893 bekannt war. Die neueren Arbeiten müssen Sie sich sclion aus den Literatur- berichten in den Zoological Records, aus den Berichten des Archivs für Naturgeschichte oder, wenn Sie nur die Titel wollen, aus den Berichten des Zoologischen Anzeigers zu- sammensuchen. Dahl. Herrn Dr. C. L. — Meerestiere für .Salzwasseraquarien können Ihnen die zoologische Station in Kovigno und die biologische Station auf Helgoland liefern. Dahl. Herrn E. R. in Weimar. — Sie teilen uns mit, daß in der dortigen Großlierzoglichen Fasanerie der Bestand der jungen Tiere in diesem Sommer durch eine Band- wurmseuche bedeutend gelichtet wurde. — Sie haben den Bandwurm als Tatnia infnndihulifonnis Goeze bestimmt und möchten den Zwischenwirt desselben wissen. — — Nach M. Braun (H. G. Bronns, Klassen und Ordnungen des Tier- reichs, Bd. 4 Vermes, Abt. Ib Cestodes, Leipzig 1894 — 1900, S. 1565) ist die Finne dieses, auch beim Haushuhn gemeinen, Bandwurms von Grassi und auch von Rovelli in der Stubenfliege, 3Iiisca domesticit L., gefunden. Als Forscher, die Ihnen auf weitere Fragen über diesen Gegenstand Auskunft geben können, nenne ich Ihnen Herrn Prof. Dr. M. Braun in Königsberg i. Pr. und Herrn Oberstabsarzt Dr. v. Linstow in Göttingen. Dahl. Inhalt: F. Koerbcr: Die Verwendung feiner Gitter in Wissenschaft, Technik und Unterricht. — Kleinere Mitteilungen: Hermann Kleiner: Eine Methode zur Ermittlung der Höhe des Vogelfluges. — W. Herter: Eine gefährliche Stachelbeerkrankhcit in Deutschland. — Ferdinand von Richthofen: Über die Herkunft des Salzes im Meer- wasser. — Bücherbesprechungen: Deutsche Südpolar-Expedition 1901 — 1903. — Julius Wiesner: Anatomie und Physiologie der Pflanzen. — A. Schuck: Zur Kenntnis der Wirbelstürnje. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfclde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge VI. Band; der ganzen Reihe XXII. Band. Sonntag, den 20. Januar 1907. Nr. 3. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der f^ Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei gröfieren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- bandlung. Über die Brutpillen und die Fürsorge für die Nachkommenschaft bei den Pillenkäfern. [Nachdruck verboten.^ Mit einer Textfigur. Von Professor H. Kolbe. Einer der hauptsächlichsten Lebenstriebe in der \atur ist bekanntlich die Erhaltung der .-^rt, die sich in der fortgesetzten Zeugung von Nachkommen- schaft und in der Sorge für die Nachkommenschaft äußert. Diese Sorge im weiteren Sinne ist in außerordentlichem Umfange zu einer Fürsorge für die Nachkommenschaft ausgebildet. Abgesehen von den höher stehenden Tieren gibt es speziell unter den Gliederfüßern (.Arthropoden), zu denen die Insekten, Tausendfüßer, Spinnen und Krebse gehören, zahlreiche Arten, welche für die Erhal- tung und das Gedeihen der Brut eine ganz be- sondere Vorsicht und Umsicht entfalten. Zahl- reiche andere Gliederfüßer stehen jedoch auf einer so niedrigen Stufe der Brutpflege, daß sie ihre Eier an ihren VVohnplätzen ohne besondere Vor- sicht einfach fallen lassen, z. B. die Eintagsfliegen (Ephemerideii). Die pflanzenfressenden Insekten legen ihre Eier gewöhnlich an diejenigen Pflanzen, welche gewissermaßen die gesetzmäßige Nahrung der Larven dieser Insekten bilden (Lepidopteren, phytophage Hymenopteren, Hemipteren, Cicaden, Aphiden, Coleopteren, Dipteren etc.). Sie heften die Eier vermittels einer Klebesubstanz, welche aus einer Drüse ihres Hinterleibes hervorkommt, an die Nahrungspflanzen. Hier äußert sich die Fürsorge hauptsächlich in der einfachen Sorge für die Nahrung der Larven. Einen Schritt weiter gehen manche Schmetterlingsmütter, indem sie ihre Eierhäufchen mit wollartigem Stoffe (Woll- haare ihres Hinterleibes) dicht umhüllen (wohl zum Schutze gegen die Kälte oder gegen tierische Feinde), z. B. der Schwammspinner, Üciieria dispar. Manche VVasserinsekten (z. B. Phryganeiden) betten ihre Eier in eine gallertartige Masse und setzen diese im oder am Wasser an Pflanzen, Steine, Holz usw. ab. Manche -Spinnen hängen ihre Eier in dicht gewebten Gespinnstsäckchen auf, z. B. an Pflanzen. Die Eier sind sicher geschützt. Ähnlich verfahren einige Wasserkäfer aus der Familie der Hydro- philiden. Manche Gliederfüßer legen ihre Eier in eine Wiege aus feuchtem Erdstoff, z. B. Schalen- asseln {Glomeris). .Schaben (Blattiden), zu denen die Küchenschabe {Pcriplaneta oricntalis) gehört, legen ihre Eier paketweise (in eine feste Kapsel eingebettet) am Boden an versteckten Orten ab. Die Eierpakete der Gottesanbeterinnen (Mantiden) sind kokonartig und sitzen an Pflanzen. Manche 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift N. F. VI. Nr. 3 Schildläuse (Coccidenj bedecken ihre Eierhäufchen an Pflanzen mit einer wachsartigen Absonderung ihres Körpers. Zahlreiche Heuschrecken (Locustiden, Grylliden, Acridiiden) senken ihre Eier in die Erde oder in Spalten und Risse von Pflanzenstengeln. Die Muttertiere aller vorstehend erwähnten Gliedertiere (von den Vatertieren schon gar nicht zu reden) sehen ihre Jungen niemals; sie sterben gewöhnlich bald nach der Eiablage. Die Jungen sind sich selbst überlassen ; da die Mutter aber ihre Eier an Orte legte, wo die Jungen ihre zusagende Nahrung finden, so war wenigstens für die Hauptsache, die Befriedigung des Nahrungs- bedürfnisses, gesorgt. Von manchen, eben dem Ei entschlüpften Lärvchen weiß man indes, daß sie die zarte Eischale, welche ihnen im Embryonal- zustande als Schutz diente, fressen. So kommen die jüngsten Larven wohl über den ersten Hunger hinweg. Die weitere Nahrung findet sich dann bald. Manchen Gliederfüßern sind jedoch Mutter- freuden vorbehalten; sie sehen ihre Nachkommenschaft. Sie tragen die Eier entweder außen am Körper bei sich oder be- wachen sie am Orte der Ablage, bis die Larven aus ihnen hervorkommen. Die Maulwurfsgrille, welche ihre Brutgänge einige Zoll unter der Ober- fläche des Erdbodens anlegt, setzt ihre Eier in Gestalt eines Haufens von 200 bis 300 Stück in einer eigens dazu hergerichteten Höhle ab und bewacht ihren Eierschatz und hernach die einige Zeit zusammenbleibenden Jungen. Doch kommt es vor, daß manche Mutter ihre Jungen frißt, was allerdings schlecht zu der Fürsorge für die Brut paßt. Anscheinend ist dies aber nur bei den in Gefangenschaft gehaltenen Tieren beobachtet. Auch die Ohrwürmer (Forfic/ila) halten bei ihren Eier- häufchen Wache und bleiben sogar noch schützend bei den zarten jungen Tierchen ihrer Brut. Auch von gewissen Tausendfüßern aus der F'amilie der Geophiliden weiß man (nach Latzel), daß die Muttertiere die Eier und ihre weißlichen Jungen mit iJirem verschlungenen Körper schützend be- decken. Viele Crustaceen (Krebse), manche Spinnen, Bücherskorpione [ChcUfer), einige Wasserwanzen [Diplonyc/iiis) und gewisse Wasserkäfer {S/'erc/u'iis) tragen ihre Eier bis zum Ausschlüpfen der Larven mit sich herum. Die Jungen sitzen dann oft noch einige Zeit am Körper der lebenden Mutter, die ihren Kindern dann vermutlich noch Schutz ge- währt. Von manchen Spinnen weiß man, daß sie ihre Eier, die sie an geschützten Orten (unter Baumrinde, Steinen, liegenden Bäumen usw.) ver- bergen, bewachen. Auf die interessante Brutpflege bei den Wespen und Bienen, namentlich bei den sozial lebenden Gattungen, soll hier nur hingewiesen werden. Außerordentlich hoch entwickelt ist die Brut- pflege bei den am höchsten stehenden sozialen Insekten, nämlich den Ameisen (Formiciden). Hier ist die Fürsorge für die Eier, Larven und Puppen eine so mannigfaltige, daß man staunen muß. Auch sind es nicht die Mütter, welche die Brutpflege ausüben , sondern besonders dazu ausersehene Kinderwärterinnen. Diese sind flügellose, verküm- merte Weibchen, eine Kaste im Ameisenstaat, deren Angehörige die verschiedenartigsten Arbeiten ver- richten. Diejenigen Arbeiterinnen, denen die Kinder- pflege obliegt, tun dies mit dem ihnen angeborenen strengsten Pflichtgefühle. In einem Ameisenbaue herrscht die größte Ordnung, besonders in der wichtigen Sache der Brutpflege, welche hier merk- würdig differenziert und geregelt ist. In besonderen Kammern werden die Eierhäufchen untergebracht. Sobald die jungen Lärvchen aus den Eiern schlüpfen, werden sie von den Kinderwärterinnen in einen anderen Raum gebracht, wo sie gefüttert, gehegt und gepflegt werden, das heißt: sie werden bald hinaufgetragen , wo die wärmende Sonne ihren wohltätigen Einfluß auf die junge Brut ausüben soll; bald werden sie wieder von den eifrigen Wärterinnen an kühle, feuchte Stellen befördert, wenn es nötig erscheint, und umgekehrt. Nach der Verpuppung werden die Jungen in die Puppen- kammer geschleppt; auch die Puppen werden ähn- lich wie die Larven gehegt und behandelt, wie es bei den umsichtigen Ameisen weit und breit Brauch ist, bis aus ihnen die noch ganz weiß- lichen Ameisen hervorkommen. Diese werden bis zur vollständigen Ausbildung gleichfalls noch ge- Ohne näher auf die Mannigfaltigkeit dieses Themas bei den Ameisen einzugehen, will ich nur noch erwähnen, daß auch die im Systeme viel tiefer stehenden Termiten eine sehr differenzierte Brut- pflege haben. In den verschiedenen kleinen Hohl- räumen des Termitenbaues finden sich teils Eier, teils Larven , welche von den als Pflegerinnen fungierenden Arbeitstermiten gefüttert werden. Die Fürsorge für die Nachkommenschaft ist also bei den verschiedenartigsten Gliedertieren außerordentlich mannigfaltig entwickelt. Aber es ist hier nicht der Ort, dieses Gebiet vollständig zu erschöpfen. Nur die Brutpflege einiger Dung- käfer wollen wir uns hier vorfuhren ; wir werden sehen, daß hier die Fürsorge sich wieder in anderer Weise Bahn gebrochen hat. In südlichen Gegenden sieht man oft Pillen- dreher bei der Arbeit. Es sind Dungkäfer aus der P'amilie der Scarabäiden (Lamellicornier), welche Dungstofif mit ihren Vorderfüßen zusammenraft'en und ihn zu einem kugel- oder pillenförmigen Ballen formen. Dieser Ballen ist gewöhnlich für ihre larvenförmigen Nachkommen bestimmt. Ich sage deshalb ,, gewöhnlich", weil manche Beob- achter (Fabre) behaupten, die Käfer fräßen diese Dungballen zuweilen selbst. Jedenfalls wird trotz- dem sehr eifrig für die Nachkommenschaft gesorgt; denn die Zahl der Nachkömmlinge ist ziemlich groß. Die Herstellung der Dungpillen geschieht auf folgende Weise. Der weibliche Käfer sammelt an ehrten, wo pflanzenfressende Säugetiere (Pferde, Maultiere, Rindvieh, Schafe usw.) weiden, frischen N. F. \'I. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 55 Dungstoff und verarbeitet diesen durch Kneten, Pressen und Schaben zu einem kugelförmigen Ge- bilde (Pille). Diese Dungpille bekommt aber noch eine Schutzhülle aus Erdstoffen, welche den feuchten Inhalt \or Verdunstung schützt. Der Trieb zu dieser Handlung ist gewiß so regulär, daß der Käfer es sicher nicht vergißt. Der Käfer befördert die Dungpille durch Rollen in ein Erdloch, besser gesagt in eine zu diesem Zwecke eingerichtete Höhle nahe unter der Erdoberfläche. In die Pille legt der Käfer nur ein Ei, aber nicht in die Tiefe derselben, sondern in eine nachträglich eingelassene Mulde, welche bis nahe an den Dungstoff heran- reicht. Danach umschließt der Käfer das Ei- kämmerchen, in welchem das Ei ruht, mit aufge- tragenem Erdstoff, infolgedessen die bisherige Kuo-el birnförmig wird (Fabre). Der Käfer sorgt auch dafür, daß das Ei durch Zufuhr von Luft lebens- fähig bleibt, denn bei genauer Untersuchung findet man (Fahre), daß ein feiner röhrenförmiger Gang die Eikammer mit der Außenwelt verbindet. Die bekannteste Art der Pillendreher, welche man auch Pillenwälzer nennen kann, ist der heilige Pillendreher [ScarabacHs oder Ateuchus saccr L.), welcher nicht nur in Ägypten, wo er in alter Zeit sehr beachtet wurde (Scarabäen), sondern über- haupt in den Mittelmeerländern zu finden ist. Er verfertigt recht große Dungkugeln. Der französische Naturforscher J. H. Fabre beobachtete diesen Scarabaeiis in seinem interes- santen Treiben häufig in Südfrankreich und ist der Ansicht, daß die Käfer dieser Art die von ihnen hergestellten Dungpillen keineswegs immer für ihre Brut verwenden, sondern sie im Sande verbergen, um sie später selbst zu fressen. Er sah, wie die Käfer die Dungstücke, welche sie mittels ihrer Vorderfüße von der Dungmasse ab- lösen und zwischen die Hinterbeine schieben, mit ihren langen gekrümmten Hinterbeinen ganz grob zu Pillen formen, sie dann rückwärts fortrollen und an geeigneten Stellen in den Sandboden eingraben. Er vermutet, daß die Käfer dieses nur zu dem Zwecke tun, um sie der austrocknenden Tätigkeit der Sonne zu entziehen und sie hernach in Ruhe verzehren zu können. Vgl. Fabre, Souvenirs ento- mologiques, V. vol., p. 32. — Fabre irrt hier viel- leicht; denn es ist bekannt, daß Dungkäfer den rohen Dung eintragen, um ihn für den Bau der Brutpille zu verarbeiten. Vgl. weiter unten. Oskar Neu mann beobachtete den Scara- baeus sacer in Süditalien, in der Dünengegend bei den Ruinen von Paestum, wo diese Käfer im Mai 1905 sehr häufig und in reger Tätigkeit begriffen waren. Unter anderen sah er zwei mit einer Pille beschäftigte Käfer, von denen der eine unter dieser Pille im Sande grub, so daß die Pille mit dem Käfer etwas einsank. Währenddessen saß der andere Käfer oben auf der Pille und hielt diese ununterbrochen mit den Vorderfüßen fest, während er mit den Hinterfüßen sich auf den Boden stemmte. Der erste Käfer, welcher die Pille langsam zum Einsinken in den Sand brachte, kam wiederholt nach einer kurzen Spanne Zeit (etwa nach ^ ^ oder ';'., Minute) seitwärts aus dem Sande unter der Pille hervor und grub von neuem den Sand unter der Kugel fort, bis die Pille tief eingesunken war. (Mündliche Mitteilung.) Zuweilen wird der heilige Pillendreher (wohl das Weibchen) beobachtet, wie er allein eine Pille rollt. Dies ist hierbei im Bilde dargestellt. Der Käfer verfährt dabei folgendermaßen. Er stemmt sich hinterwärts an die Kugel, wobei der Kopf nach unten und die Hinterbeine nach oben ge- richtet sind und die Kugel umfassen. Während er mit den vier vorderen Beinen rückwärts geht, wälzt er die Kugel mit den beiden Hinterbeinen nach hinten fort. Westwood schreibt, daß sich während des Fortrollens noch ein zweiter Käfer an die Pille anklammert und bewegungslos daran haftet, mit derselben während des Fortrollens sich überschlagend und bald oben bald unterhalb sitzend (Proceed. entom. Soc, London 1868, p. XXV). Manche Beobachter sind der Ansicht , daß der zweite Käfer dem die Pille wälzenden Käfer den Besitz der letzteren streitig machen will.') Poujade macht in einem kleinen Aufsatze „Sur la vie et les habitudes des Ateuchus" (Bull. Soc. ent. France. 1885, p. CIX— CXI), welcher haupt- sächlich über den kleineren Scarabaeus semipunctatus handelt, die Mitteilung, daß er einmal mit Inter- esse beobachtet habe, wie die Käfer beim Ein- graben der Brutpille verfahren. Wenn der Käfer einen geeigneten Ort gefunden hat, versucht er die Pille zu vergraben. Er wühlt den Boden mit den Grabzähnen seiner Vorderfüße auf und be- lastet dann sein im Halbkreise gezähntes breites Kopfschild, welches also als Schaufel dient, mit Erdmasse, wendet sich dann um und wirft diese Erdmassen nach hinten, genau so wie ein Erd- arbeiter. Der Beobachter hat den Scarabaeus semi- punctatus in seinem Leben und Treiben wieder- holt beobachtet, aber nicht gesehen, daß zwei In- dividuen zusammen sich mit demselben Balle be- schäftigen, wie das von 5. sacer bekannt ist, aber ') Reisende, welche Dungpillen (auch die nur in Erd- löchern liegenden Dungbirnen) der Pillendreher finden, werden gebeten, dieselben in geringer Zahl für das Königl. Zoologische Museum in Berlin (Invalidenstraße 43) zu sammeln. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 3 er sah wiederholt, daß, wenn ein Käfer seine Pille rollte und nach hinten schob, ein zweiter Käfer sich vor ihn hinstellte und ihm, Auge gegen Auge, folgte. Aber mit einigen kräftigen Stößen suchte der Besitzer den Störenfried zu verjagen, welcher jedoch die Stöße erwiderte. Der Kampf ging dann bald in ein regelmäßiges Boxen über; sie kämpften Brust gegen Brust; zwischendurch wälzten sie sich auf dem Sande, bis der glückliche Sieger seine Pille ergriff und damit fortrollte, wenn diese nicht unterdessen von einem Dritten weggenommen war. Daß der Trieb zur Brutpflege bei den Pillen- drehern mächtig entwickelt ist, ersieht man schon aus den hier geschilderten Vorkommnissen. Das Dichten und Trachten dieser Käfer muß wohl recht intensiv darauf gerichtet sein, da sie jede Gelegenheit wahrnehmen, Dungstoff und sogar fertige Dungpillen sich zu verschaffen. P'ertig sind allerdings die Dungpillen noch nicht, wenn die Käfer diese in ihre Erdhöhlen wälzen. In der Erdhöhle wird der rohe Dungstoff verarbeitet und nach der Eiablage zu einem birnförmigen Gebilde umgewandelt. Scarabaeus laticollis teilt sogar die große Dungpille, welche er in seine Möhle schafft, in dieser in zwei Teile und formt aus jedem Teile eine neue Pille. Beide Brutpillen versieht der Käfer mit einer Eikammer und einem Ei und gibt ihnen hiermit die Birnform (Fabre). Ob der Scarabaeus saccr (wie schon erwähnt) von seinen Dungpillen auch selbst frißt (wie von anderer Seite angenommen wird) oder nicht, das mag hier nicht weiter erörtert werden; jedenfalls frißt der Käfer nach F a b r e ' s anschaulichen Schilde- rungen sicher von der frischen, rohen Dungmasse, wie er sie auf den Viehweiden findet. Fabre beobachtete einmal an einem sehr warmen, schwülen Tage einen dieser Käfer mit Unterbrechungen von morgens 8 Uhr bis abends 8 Uhr. Augenschein- lich hatte der Käfer Dungstoff gefunden, welcher seinem Geschmacke entsprach; denn er unterbrach seine enorme Mahlzeit während dieser I2 Stunden keinen Augenblick; er verharrte in stetigem Ge- nüsse, unbeweglich, an demselben Punkte. Der Appetit schien gar nicht nachzulassen. Der Käfer hörte nicht eher auf zu fressen, als bis der Mist- klumpen ganz verschwunden war. Der Käfer mußte wohl eine sehr gute Verdauung besitzen; denn bald nach dem ersten Bissen formten sich die unverdauten, ausgeschiedenen Rückstände zu einem langen F"aden, der sich unendlich verlängerte, so lange wie die Mahlzeit dauerte. Der Exkrement- faden ist schwarz, ähnlich dem Pechdraht der Schuhmacher. Da der Käfer die Ausscheidung der Exkremente in regelmäßigen Intervallen von 54 Sekunden fortsetzte und jedesmal der Exkrement- faden sich um etwa 4 mm verlängerte, so betrug die ganze Länge des Exkrementfadens 2 m 88 cm. Wie prompt mußte die Verdauungstätigkeit dieses Käfers sein ! Sein Verdauungsapparat arbeitete mit der Regelmäßigkeit eines Chronometers. Das lange P'reßvermögen, der ungeheure Appetit und die Länge des ausgeschiedenen Exkrementfadens muß nach dieser Schilderung in Erstaunen setzen. Einige kleinere Pillendreherarten aus der Ver- wandtschaft der Gattung Scarabaeus finden sich auch in Mittel- bzw. in Süddeutschland. Es sind der Sisyphus Scliaejferi L., sowie zwei Arten der Gattung Gyiimoplcurus. Recht bemerkenswert ist namentlich der Sisyphus. Beide Ehegatten dieser kleinen Pillendreherart sind mit der Herstellung und Fortschaffung ihrer Brutpille beschäftigt. Nach- dem sie ein Stück von passender Größe aus einer zur Verfügung stehenden Dungmasse herausge- schnitten haben, drücken und pressen sie es, bis es kugelförmig wird. Auch dieser kleine, nur reichlich erbsengroße Ball empfängt seine Kugel- form, wie Fabre mitteilt, bevor er von dem Platze, auf dem er geformt wurde, fortgerollt wird. Auch wird die Pille mit der üblichen Schutzhülle aus Erdstoff umgeben, welche den Inhalt vor Ver- dunstung schützt. Nunmehr befördern die beiden kleinen Ehegatten das Produkt ihres Fleißes durch Rollen in eine Erdhöhle. Der weibliche Käfer befindet sich dabei vorn an der Kugel; er stemmt seine langen Hinterbeine dabei auf den Boden, umfaßt die Kugel oberhalb mit den vier Vorder- beinen und zieht sie gleichsam zu sich hin, wäh- rend er rückwärts geht. Dagegen schiebt der männliche Käfer die Kugel von hinten in umge- kehrter Stellung, den Kopf nach unten gerichtet, die vier Vorderbeine auf den Boden gestemmt und mit den hoch gehaltenen Hinterbeinen die Kugel umfassend. Sobald diese in der Erdhöhle (Bruthöhle) untergebracht ist, setzt das Weibchen der Pille die Eikammer ein und legt ein Ei hin- ein, infolgedessen die Pille birnförmig wird. Diese interessante Käferart findet sich außer in Süd- deutschland auch an einigen Orten Thüringens. Gymnoplcurus cant/iarus Er., ein wenig größerer Pillenkäfer, wird noch bei Bingen, Hanau und Mainz, nicht aber weiter nordwärts gefunden; südlich davon findet er sich von Baden durch Bayern, Österreich, Tirol und Mähren; außerdem in Frankreich und Südeuropa bis Kleinasien. Da- gegen kommt der gleichfalls südeuropäische Gyiii- nopleiirus pilularius L. {luopsus Pall.) von Frank- reich durch Süddeutschland (Elsaß, Bayern), die Schweiz und Österreich (Tirol, Steyermark, Nieder- österreich , Böhmen) bis Schlesien (Ustron in Oberschlesien) vor. Im Süden und Osten ver- breitet er sich über das ungeheure Gebiet von der Pyrenäischen Halbinsel durch Italien, Illyrien, .Serbien , Griechenland bis Kleinasien und Süd- rußland, Kaukasien, sowie durch Mittelasien bis Nordchina und Korea. Diese beiden Pillendreher rollen auch in Deutsch- land ihre Pillen ähnlich wie der Sisyphus. Die vorgenannten Pillendreher Deutschlands erscheinen nur als Ausnahmen unter den Dung- käfern Deutschlands; sie finden sich hier nur sehr sporadisch und treten ganz zurück hinter die häufigeren und allgemeiner verbreiteten Gattungen Copris, Oiitlwphagus und Gcoirupes. Die Pillen- N. F. VI. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 37 drehergattunijen Sisr/'//us , GyDiiwpleitrus und Scavabacus stellen höhere Stufen des Fortschritts in der Brutpflege der Dungkäfer dar. Sie stam- men aus dem Süden. Die gewöhnlichen Gattun- gen (Copris, Onthophagus, Geotnipes) tragen müh- sam den Dungstofl' für ihre Brut in einzelnen Brocken, welche sie mit ihren \'orderbeinen halten, in ihre Bruthöhle ein. Die Pillendreher dagegen verarbeiten den von der Dungmasse entnommenen Dungstoff zu einer Kugel (Pille) und rollen diesen Dungstoft' in Kugelform bis zu ihrer Bruthöhle. Dementsprechend ist auch die Beinform der Pillen- dreher zu dem vorgedachten Zwecke besonders ausgebildet, indem die Hinterschienen lang, dünn und gebogen sind, da sie die Dungkugel umfassen und von der Stelle bewegen sollen. Die Hinterbeine stehen also ebenso im Dienste der Brutpflege , wie das breite und vorgezogene Kopfschild, mit dem der Käfer die Erde aufwirft, und die zackigen breiten Schienen der Vorder- beine, mit denen der Käfer sich in die Erde ein- gräbt, um eine Bruthöhle herzustellen. Der Brutpflegetrieb hat es bei diesen Käfern zu einer bedeutenden Höhe gebracht. Wir können ihnen unter den Coleopteren nur noch die Trichter- wickler [Rhynchites, Attelabus, Apoderus u. a.) an die Seite stellen, welche mit großer Geschick- lichkeit mit Hilfe ihres Rüssels aus lebenden Blättern oder Blatteilen dütenförmige Rollen her- stellen, denen sie ein oder einige Eier einfügen, so daß den jungen Larven diese Düte zugleich zur Nahrung und zum Schutze dient. Über diese Trichterwickler haben verschiedene Naturforscher und Entomologen geschrieben, indem sie ihre Untersuchungen und Beobachtungen über diese interessanten Tierchen in mehr oder weniger um- fangreichen Abhandlungen niederlegten. Was mann veröffentlichte eine wertvolle Naturgeschichte des Trichterwicklers, betitelt: „Der Trichterwickler. Eine naturwissen- schaftliche Studie über den Tierinstinkt. Mit einem Anhange über die neueste Biologie und Systematik der RhyuchitcssirXtn und ihrer Ver- wandten (Attelabiden, Rhynchitiden und Nemony- giden)" 266 S. Mit Holzschnitten und Tafeln. Münster, 1884. — Schon früher hatte Debey in seinem wichtigen Werke: ,,Beiträge zur Le- bens- und Entwicklungsgeschichte der Rüsselkäfer aus der Familie der Atte- labiden" (Bonn, 1846) über denselben Käfer bemerkenswerte Beobachtungen veröffentlicht. In diesem Werke ist auch das von Professor Heis an dem Blattschnitte des Trichterwicklers [Khyiichi/es hetulac L.) entdeckte mathematische Problem der Evolventen (Huygens, 1673) und die in der Aufrollung des Blattes erkannte mechani- sche Theorie der konisch abwickelbaren Flächen mitgeteilt. Was mann schreibt dem Trichter- wickler, der es versteht, durch einen geschwunge- nen Schnitt beiderseits in die Blattspreite bis zum Mittelnerv und durch Einrollen des oberen Blatt- abschnittes ein festes Gehäuse für einige Larven herzustellen, den vollkommensten Instinkt und die höchste psychische Begabung unter allen Käfern zu. Die vorstehend erwähnten Beispiele von höchst- entwickeltem Brutpflegetrieb unter den Käfern betreffen Coleopteren , welche zu ganz verschie- denen Familien (Scarabäiden , Curculioniden) ge- hören. Das rechtfertigt den Schluß, daß der Brutpflegetrieb sich in den verschiedenen F"amilien unabhängig ausgebildet hat, nach dem Bedürfnisse der Angehörigen der betrefTenden Gattungen. Auch der phylogenetische Entwicklungsgrad der Familien hat mit dem Grade der Brutpflege nichts zu tun. Denn hoch entwickelter Brutpflegetrieb findet sich ebensogut bei dem im Systeme und in der Phylogenese niedrig stehenden Termiten und auch bei den auf einer tiefen Stufe des Co- leopterenstammes stehenden coprophagen Scarabäiden, wie bei den Ameisen (For- miciden) und Bienen (Apiden), welche zu den im Systeme und in der Phylogenese hoch stehen- den Hymenopteren gehören. Diejenigen Entomo- logen irren, welche annehmen, daß ausgebildeter Brutpflegetrieb eine höhere phylogenetische Stel- lung anzeige. Warum die Brutpflege unter den Insekten nur in gewissen F'amilien eine hohe Ausbildung er- fahren hat, das wäre wert, besonders erforscht zu werden. Kleinere Mitteilungen. Zur mechanischen Erklärung der Schutz- färbung. — Der auf Seite 743 des vorigen Jahrgangs dieser Zeitschrift von Herrn Dr. Wolff gegebene Bericht über neue Beiträge zur mecha- nischen .Auffassung der Schutzfärbung wird bei vielen unserer Leser großes Interesse erregt haben, schien doch noch vor kurzem gerade die Schutz- färbung eine der besten Stützen zu sein für die Lehre der allmählichen Anpassung der Organismen und vom Überleben des Tüchtigsten. Wenn wir nun auch nicht glauben können, daß die in jenem Artikel vorgebrachten Einwendungen gegen die bisherige Auffassung zum gänzlichen Fallenlassen der Anpassungslehre führen werden (denn dazu sind doch z. B. Callima Inachus oder die Gespenst- heuschrecken zu überzeugende Paradigmen), so möchten jene Einwürfe doch immerhin das Gute zur Folge haben, daß wir uns vor einer über- triebenen Inanspruchnahme des Anpassungsprinzips zu hüten suchen werden. Denn zweifellos wird z. B. in manchen neueren, sonst ganz vortrefflichen Schulbüchern in dieser Beziehung des Guten zu viel getan und in mitunter gesuchter Weise alles und jedes nur von dem einen Gesichtspunkte aus „erklärt". Die folgenden Zeilen stellen sich die Aufgabe, 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 3 den von Dr. Wolfif am Schlüsse seines Referats ganz kurz angedeuteten Hinweis auf die Leistungs- fähigkeit der Lehren der Farbenphotographie bei der mechanischen Erklärung der Schutzfarben etwas näher auszuführen, wobei Ref. sich auf die bezüg- lichen Angaben in Donaths „Grundlagen der Farbenphotographie" stützt. Es handelt sich also um die Frage: „Läßt sich die Tatsache, daß z. B. Raupen häufig die Farbe der Blätter haben, auf denen sie leben, photo- mechanisch ohne Zuhilfenahme der natürlichen Zuchtwahl erklären?" Die Experimente von Eimer, Roux und Poulton, nach denen in gefärbte Umhüllungen eingewickelte Raupen und Puppen alsbald eine im Sinne der Belichtung erfolgte Farben- änderung aufwiesen, machen eine bejahende Ant- wort auf die obige Frage äußerst wahrscheinlich, und das sogenannte Ausbleichverfahren der Farben- photographie, das namentlich durch Worel und Neuhauß in neuester Zeit zu schönen Erfolgen ge- führt hat, weist uns den Weg, auf dem jene mecha- nische Erklärung zu suchen ist. Nehmen wir einmal an, in der Raupenhaut wären zunächst die verschiedenartigsten, aber lauter unechte Farbstoffe vorhanden, so würde dieselbe in einer grauen Nuance erscheinen müssen , da ja von allen Farbenarten des auffallenden weißen Tageslichts ein gleicher Bruchteil durch Absorp- tion vernichtet wird. Hält sich die Raupe nun ständig zwischen oder unter grünen Blättern auf, so wird das sie treffende Licht vorzugsweise grün sein und diejenigen Hautpigmente, welche grün absorbieren, selbst also komplementär ge- färbt sind, werden die Energie der auftrefTenden grünen Strahlen in chemische Arbeit umwandeln, d. h. diese Pigmente werden zerstört werden, während alle übrigen, die grünen Strahlen nicht absorbieren- den Pigmente erhalten bleiben. Wird aber aus einer Farbenmischung, die alle P'arben enthielt und daher grau erschien, die Komplementärfarbe zu grün (d. h. rot-violett) ausgeblichen, so wird die Gesamtheit der übrig bleibenden Pigmente selbst ein Grün als Mischfarbe ergeben. — Natürlich wird in Wirklichkeit die Raupenhaut nicht aus- schließlich von grünen Strahlen getroffen, sondern diese überwiegen nur in dem Gesamtlicht, das seine bleichende Wirkung ausübt. Immerhin aber wird bei dem beständigen Stoffwechsel und der an- dauernden Neubildung der Pigmente stets das Rot- violett am schnellsten ausbleichen und die Haut- farbe daher grün sein müssen. Wickelt man nun aber die Raupe in anders gefärbte Hüllen ein, so muß alsbald eine Farbenänderung im Sinne der neuen Belichtungsfarbe erfolgen. Daß eine solche photomechanische Wirkung in der Natur tatsächlich eine bedeutsame Rolle spielt, ist wohl als höchst wahrscheinlich anzusehen und viele einfache Mimikry-Erscheinungen dürften darauf zurückführbar sein. Andererseits aber muß für zahlreiche verwickeitere I<"älle, besonders wenn zur Farbennachahmung noch die Form-Mimikry kommt, die Darwinsche Zuchtwahltheorie noch immer als das beste Erklärungsmittel von allen denen an- erkannt werden , die mystischen Vorstellungen, unter was für Namen sie auch in die Wissenschaft eingeführt werden sollen, abhold sind. F. Kbr. A. Pflugk, Über die Akkommodation des Auges der Taube, nebst Bemerkungen über die Akkommodation des Affen (Macacus cynomolgus) und des Menschen. ^) Wiesbaden 1906. Zur Erklärung des physiologischen Vorgangs bei der Akkommodation des Auges der Tiere wird allgemein die Hei mhol tz'sche Theorie heran- gezogen, obwohl die Gültigkeit derselben beim Menschen in der letzten Zeit von einigen Autoren bestritten wird. Die Gegner (Seh oen, Tscher- ning) der Helmhol tz'schen Anschauungen haben zu beweisen versucht, daß die akkommoda- tiven Formveränderungen der Linse nicht auf Entsi)annung der Zonula beruhen (H e 1 m h o 1 1 z), sondern durch vermehrte Zonulaspannung zustande kommen. Das tierische Auge wurde bisher noch nicht an der Hand der von den Gegnern der Helm- holtz'schcn Theorie vorgebrachten Einwände ge- prüft, so daß bisher die P'rage offen blieb, welche Akkommodationstheorie für das Tierauge gültig ist. Die vorliegende Arbeit stellt einen Versuch dar, den Akkommodationsmechanismus der Tiere, insbesondere der Taube auf Grund anatomischer Befunde, wie auch der fixierten Formveränderun- gen der Linse (die eine vom Verfasser ausgearbei- tete Methode ermöglichte) zu ergründen. Alle die bisher angewandten physiologischen Methoden , welche in Messung der P'ormverände- rungen der Linse bestanden und auf umständliche Weise mit den verschiedensten Registrierapparaten durchgeführt werden mußten , wie nicht minder die anatomischen, auf Fixierung des akkommodie- renden Auges beruhenden Methoden haben sich als unzuverlässig erwiesen. Dem Verfasser gelang es durch Anwendung hoher Kältegrade mittels des Kohlensäuregefriermikrotoms von Jung, die Form der Linse in den verschiedensten Stadien von Akkommodationsruhe bis zum Akkommodations- krampf zu erhalten. Zur Erzielung der Akkom- modationsruhe wurde den Tauben eine subkutane Injektion einer Lösung von Curare i "/i, und Atropin 5 % (2 — 3 Teilstriche einer Pravazspritze) gemacht. Zum Vergleich wurden Augen mit Strophantin i % Lösung, welches nach 10 — 15 Min. maximale Miosis und Akkommodationskrampf bei der Taube verursacht, behandelt. Es vergingen bei kleinen Tauben durchschnittlich etwa 6 — 8 Min., bei größeren und beim Macacus 5 — 6 Min. vom Scherenschlag der Dekapitation bis zum ersten Mikrotomschnitt durch das gefrorene Auge. Die Gefriermethode eignet sich nach Ansicht 1906. Demonstriert am XV. intern, med. Kongreß in Lissabon N. F. VI. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 39 des Verf. besonders für das Auge, da die Horn- haut und Linse rein weiß, der Humor aqueus und der Glaskörper aber gänzlich durchsichtig bleiben. Durch Vergleichung der mehreren Tausend sorg- faltig durchgemusterten Schnitte, sowie der 200 photographischen Aufnahmen der verschiedenen Bulbi gelang es dem Verf eine Reihe von Form- veränderungen der Linse zu konstatieren, welche er seinen Schlüssen über den Akkommodations- mechanismus zugrunde legt. Cornea Fig. I. Schema des Akkomodationsapparates der Taube. Cr = Muse. Crampt. Br = Muse. Brücke. Müll = Muse. Müller. Z = Zonula Zinni. L = Ligamentum pectinatum. e = Ringmuskel an der Irisbasis. (Nach Pflugk.) Die anatomischen Verhältnisse des Akkommo- dationsapparates der Tauben weichen von denen des Menschen so ziemlich ab. Die Hornhaut wird mit der Sklera durch eine knöcherne Einlage ver- bunden. Die Hornhaut ist wesentlich dünner als bei den Säugetieren und ist bis in das mittlere Drittel des Pupillengebietes in zwei Lamellen ge- spalten. Die Sklera besteht bei den Vögeln aus einer Knorpelschicht, während sie bei den Säuge- tieren aus dichtem Gewebe zusammengesetzt ist. Bei den Säugetieren (Macacus) bildet die Zonula (Z.j den ganzen Aufhängeapparat der Linse bei der Taube heften sich an dieselbe auch die Ciliarfort- sätze an. Das Ligamentum pectinatum (L.), das im Gegensatz zu dem Lig. pectin. der Säugetiere aus einem Bündel elastischer Fasern besteht, dient mittelbar als Aufhängeband der Linse. Der Muskelapparat ist aus drei Muskelportionen zusammengesetzt! Fig. i),die abweichende Insertionen aufweisen und besonders bei den Raubvögeln scharf gegeneinander sich abgrenzen. Der äußere sog. Crampton'sche Muskel (Cr.) befestigt sich einerseits an die Cornealeiste, andererseits an den vorderen Rand des Sklerotikalringes, der innere Müller'sche Muskel (Müll.) ist länger, gleichfalls mit der Leiste verbunden, befestigt sich aber mit dem anderen Ende an die Choroidea. Der dritte Brück'sche Muskel (Br.) verbindet die Aderhaut mit der Augen- wand. Außer dieser dreifachen Muskelgruppe finden wir in der Iris ein mächtig ausgebreitetes Ring- muskelsystem (c), das aus zwei Faserarten besteht, die sich zwar nicht auffallend anatomisch, aber durch ihre physiologische Funktion wesentlich von- einander unterscheiden, i. Der Sphincter Pupillae wird durch ein engmaschiges Netz von quer- gestreiften Ringmuskelfasern gebildet, die allmäh- lich in 2. die äußere Ringmuskelschicht, welche in der Iriswurzel sich befindet, übergeht. Dieses Muskelbündel an der Irisbasis verrichtet der An- sicht des Verf nach eine ganz selbständige Funk- tion und stellt den eigentlichen Akkommodations- muskel des Taubenauges dar. A C Fig. 2. Die Formveränderungen der Linse bei der Taube. A = Muskelruhe. B = Muskeltonus. C = Modifikations- krampf. (Nach Pflugk.) Die akkommodativen Veränderungen des Tauben- auges bestehen aus zwei Teilen : den Veränderungen der Hornhautperipherie und der Linsenform. Die Abflachung der peripheren Teile der Hornhaut bewirkt der Zug des Crampton'schen und Müller- schen Muskels. Die Formveränderungen der Linse, welche die nach photographischen Originalauf- nahmen gezeichneten schematischen Skizzen (Fig. 2) wiedergeben, geschieht durch den an der Iriswurzel gelegenen Ringmuskel, welcher durch seine Kon- traktion auf Zonula und Ciliarkörper einen Druck ausübt. Dadurch werden die Aufhängebänder der Linse gespannt und nach der Mitte des Augapfels gedrückt. Der kreisförmige Ringmuskel Fig. i c sollte eigentlich in der Richtung der Irisebene wirken, infolge der Aufhängung mittels des Lig. pecti- natum am Müller'schen Muskel mul^ er dem Ge- setz des Parallelogramms der Kräfte folgend bei seiner Kontraktion mittelbar auf die Linse drücken. Gleichzeitig bewirkt die Kontraktion des Müller- schen und Brück'schen Muskels (Pfeilrichtung bei b), daß die Aderhaut mit ihrem Inhalt nach der Horn- haut gezogen wird, wobei der Glaskörper einen Druck auf die äquatorialen Randpartien der Linsen- masse ausübt, so daß der Linsenkern als Lenti- conus posterior in das Glaskörpergewebe hinein- ragt. Das Prinzip der Akkommodation des Tauben- auges, wie wir aus dem Vorangegangenen sehen, besteht also, wie es Schoen und Tscherning für das menschliche Auge angenommen haben, in der An- spannung der Zonula bei der Akkommodation, in- dem die Zusammenziehung der Zirkiilärfasern (c) die Ciliarfortsätze gegen die Zonula drückt. Während aber nach Schoen im menschlichen Auge die Vorder- fläche der Linse einen Lenticonus bei der Akkom- modation zeigt, entsteht im Taubenauge, wie die fixierten P'ormveränderungen der Linse beweisen (Fig. 2 B u. C), ein Lenticonus posterior. Karoline Reis. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 3 Über die Sonnenfleckenspektra sind in den letzten Jahren sehr viele Beobachtungsreihen ver- öffentlicht worden und wir nahmen bereits mehrfach Gelegenheit, auf diese F'orschungen hinzuweisen. Im letzten Oktoberheft des Astrophysical Journal haben nun Haie, Adams und Gale interessante Ver- gleiche dieser an Sonnenflecken beobachteten Ver- änderungen des Spektrums mit künstlich im elek- trischen Lichtbogen erzeugten Spektren der für die Fleckenspektra wichtigsten Metalle (Ti, Cr, Fe, Va, Mn) publiziert. Über 90 '% der in den Sonnen- flecken in irgend einer Weise gegenüber dem nor- malen Sonnenspektrum veränderten Linien zeigten nun ganz gleichartige Änderungen ihres Aussehens, wenn die den Lichtbogen erzeugende Stromstärke von 30 Ampere auf 2 Ampere erniedrigt wurde. Solche Linien jener Metalle dagegen, die in den Flecken unverändert erscheinen, zeigten auch im starken und schwachen Lichtbogen dasselbe Aus- sehen. Da nun mit ziemlicher Sicherheit gesagt werden kann, daß im Lichtbogen bei niedriger Stromstärke auch eine niedrigere Temperatur herrscht, so scheinen sonach die Soimenflecken- spektra in erster Linie auf die niedrigere, in den Fleckenregionen anzutreffende Temperatur zurück- geführt werden zu müssen. Dies stimmt auch mit der Beobachtung von Fleckenlinien im Spektrum roter Sterne gut zusammen. Kbr. Galvanische Ströme, die durch Licht her- vorgerufen werden, sind von Meyer Wilder- mann einem sorgfältigen Studium unterworfen worden (Philos. Transactions, A, \'ol. 206, p. 335 bis 401). Die Tatsache, daß, wenn eine von zwei in Flüssigkeit eintauchenden Metallplatten belichtet wird, eine elektromotorische Kraft auftritt, ist von Becquerel entdeckt worden. Becquerel und Minchin, der in dieser Richtung weitere Versuche anstellte, glaubten die hier durch das Licht be- dingte E. M. K. als ein Oberflächenphänomen an- sehen zu sollen. Demgegenüber glaubt Wilder- mann auf Grund dreijähriger Forschungen zu dem Ergebnis gelangt zu sein, daß die Lichtwirkung eine Klasse galvanischer Elemente ergibt , die ebenso mannigfaltig, aber auch von ebenso festen Gesetzen beherrscht ist, wie die gewöhnlichen, galvanischen Elemente. Auch unter den licht- elektrischen Elementen gibt es ebensowohl um- kehrbare, wie nicht umkehrbare, konstante, wie inkonstante usw., auch ist die lichtelektrische E.M. K. wohl zu unterscheiden von der gleichzeitig auf- tretenden, aber sehr viel schwächeren Thermo- E. M. K. W. stellte ferner fest, daß alle Wellen- längen des Lichts den galvanischen Strom hervor- zurufen imstande sind. Ausführliche Studien über den Verlauf der durch Licht erzeugten E. M. K. wurden durchgeführt an konstanten, in bezug auf das Kation umkehrbaren Zellen (gebildet aus Silber- platten im Licht und Dunkeln, eintauchend in eine Lösung von salpetersaurem Silber) und an kon- stanten, in bezug auf das Anion umkehrbaren Zellen (z. B. mit Chlorsilber bedeckte Silberplatten in einer '/% normalen Kochsalzlösung oder dieselben Verhältnisse mit Ersetzung des Chlor durch Brom). Indem wir für weitere Information auf die Originalabhandlung verweisen, sei nur noch hervor- gehoben, daß die im Maximum zu 109- iO"^Volt bestimmte E. M. K. der lichtelektrischen Zellen der Lichtstärke direkt proportional gefunden wurde. Kbr. Der veränderliche Stern Mira Ceti befindet sich zurzeit in einem Maximum von außergewöhn- licher Helligkeit. Obgleich der vorausberechnete Termin für die größte Helligkeit nach Guthnick erst auf den 20. Dezember fiel, war der wunder- bare Stern bereits am 4. Dezember so hell wie a Arietis, was seit 1779 nicht vorgekommen ist. Unsere Leser werden das allmähliche Schwächer- werden des Sterns leicht mit bloßem Auge ver- folgen können , da das Sternbild des Walfischs noch den Februar liindurch am südwestlichen Abendhimmel sichtbar ist. Näheres über diesen interessanten Stern findet der Leser übrigens in einem Referat über Guthnick's Monographie, das wir im ersten Bande der neuen Folge dieser Zeit- schrift (Seite 202) gebracht haben. Kbr. A. van Leeuwenhoek's Experiment die Drehung der Erde zu zeigen. — Vor kurzem wurde in einer hochberühmten wissenschaftlichen Zeitschrift') in Paris eine sehr interessante Ver- öffentlichung über ein eigentümliches Experiment gemacht, das von jedermann leicht angestellt werden kann. Die Tageszeitungen berichteten darüber, und zwar eines der gelesensten Blätter Berlins. Der Artikel in dem mechanischen Teil der französischen Zeitschrift ist überschrieben: „Über eine eigentümliche Erscheinung der Reibung, Notiz von E. Guyou". Er teilt den Lesern mit, daß Herr de Sainti- gnon, wie der Physiker Herr E. Guyou be- richtet, folgenden Versuch angestellt habe: „Eine Glaskugel, die ungefähr sphärisch und mit Wasser gefüllt ist, in welches man eine ge- gewisse Menge einer festen .Substanz einführt, die in sehr kleine Teilchen zerteilt ist, wird in eine sehr schnelle Umdrehung um einen seiner Durch- messer versetzt, ungefähr 800 Umdrehungen die Minute. Wenn die eingeführte Substanz weniger dicht ist, als das Wasser, versammeln sich ihre Teilchen längs der Achse in Umdrehung. Wenn sie dichter ist, so versammeln sie sich im Um- kreis zweier Parallelen , welche gleichweit vom Äquator abstehen . . . etc. etc. ') Sur un effet singulier du frottement. Note de m. E. Guyou. Paris 1906. Comptes rendus hebdoma- duires des seances de racademie des sciences, par mm. les secietaires perpetuels, tome 142, N. 20 (14 mai 1906). — Gautliier -Villars, impr. libr. des comptes rendus etc. etc. N. F. VI. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 41 Die Teilchen, welche dichter sind als Wasser werden gegen die Wand der Glaskugel gezogen, und wenn sie dieselbe erreicht haben, werden sie dort durch eine Kraft zusammengedrückt, welche senkrecht auf der Umdrehungsachse steht, und in- folgedessen auf den Wandungen schräg etc. etc." Als ich die Beschreibung des Experiments des Herrn de Saintignon las, fiel mir ein, daß das- selbe sehr verwandt ist mit einem Versuch — des A. van Leeuwenhoek, welcher in den Jahren 1632 bis 1723 zuletzt als Privatgelehrter zu Delft in Holland lebte. Es ist vielleicht von Interesse, einen Vergleich zwischen dem Versuch des Herrn de Saintignon und dem vor 210 Jahren von Leeuwen- hoek angestellten Experiment zu geben, was ich mit nachstehendem tun will. Leeuwenhoek beschreibt seinen Versuch in einem Brief an Herrn Nicolaas Witsen, Oberbürger- meister von Amsterdam, ain 10. Juli 1696, zu Delft.') „Wohledler, gestrenger Herr! Vor einigen Jahren, als der Edele Herr Chr. Huyghens von Zuylighem mir die Ehre seines Besuches machte, gerieten unsere Gedanken auf die Bewegungen der Erdkugel. Ich brachte eine Flasche zum Vorschein, die zugerichtet ist, wie die hier abgebildete. Sobald ich die Bewegung der Flasche in's Werk setzte, hatte gesagter Herr ein derartiges Vergnügen darüber, daß ich mich verpflichtet fand, ihm eine so verfertigte Flasche zu verehren, was ihm nicht unangenehm war. Jetzt kommt vergangenes Jahr ein ge- wisser Professor (Hochlehrer) aus einer anderen Gegend zum Besuch und klagte, daß seine Sätze, die er zu Papier gebracht (geschriftstellert) und gemein gemacht hätte, über die Bewegungen der Erdkugel eine solche Bestürzung unter anderen Gelehrten oder vielmehr solchen, welche etwas zu sagen hatten, hervorgerufen hatte, daß seine Behauptung eingezogen werden mußte. Da wir in einem Lande wohnen , wo wir unsere Gedanken über die Bewegung der Erd- kugel freimütig aussprechen können, habe ich öfter an die Klagen gesagten Professors gedacht, und mir endlich vorgenommen, diesen meinen ,, Lehrsatz" aufzuzeichnen, durch welchen ich vor einigen Jahren mich selbst befriedigen wollte, nämlich : wie leicht die tägliche Bewegung der Erdkugel zu begreifen ist, und wieder im Gegen- teil, wie unbegreiflich es ist, daß um so zu sprechen, das ganze All täglich von Osten nach Westen sich umdrehen sollte. Nicht, daß ich mich in einigem Zwist be- fände, und vor allem mit Menschen, die nicht weiter sehen, als ihre Nase lang ist, oder auch mit Leuten, deren Interesse nicht dabei ist, der Bewegung der Erdkugel zuzustimmen. Ich habe vielmehr mir selbst ohne anderen Zweck ge- nügt. Ich ließ in einer Glashütte runde gläserne Flaschen oder Kugeln blasen , von sieben bis acht Daumen Durchmesser oder Achse,*) mit einem kleinen Hals. Diese Kugeln füllte ich mit Wasser, und nahm dann roten Siegellack, der zuvor mit einem Hammer in kleine Stück- chen geschlagen war. Nachdem ich diese Siegel- lackstückchen in die gläserne Kugel getan hatte, nahm ich eine bleierne Kugel, welche durch den Hals der gläsernen Flasche durchging. Nachdem ich diese Kugel in die Glasflasche getan hatte, gab ich derselben mittels des Korkes und des Bindfadens eine solche Stellung, daß sie nur eben über dem Grund der Flasche hing. Ferner machte ich ein Netz Bindfaden oder Bändchen um die gläserne Kugel fest, dessen Enden so lang waren, daß sie einen Fuß über dem Hals der gläsernen Kugel zusammen- liefen. Diese nach oben herausreichenden Enden Bindfaden oder Bändchen drehte ich, während die gläserne Kugel auf dem Tisch oder einem Kissen feststand, vielmal mit den Fingern gründ- lich um. Hierauf hob ich mit der Hand, mit welcher ich das Ende der Bindfaden fest hatte, die gläserne Flasche von dem Kissen auf, womit sie sich rundum drehte. Die Kugel nun, welche in der Glasflasche war, stellte ich mir vor, sei die Erdkugel, und das Wasser in der Glasflasche sei die wasser- artige Luft, worin wir leben, und der in Stücke gestoßene Siegellack in der Kugel seien die Wolken. Wenn nun das Glas in der erzählten Rund- bewegung war, blieb die Kugel mit nur lang- samen Umdrehungen wie still hängen. Aber der Siegellack, der, während das Glas still stand, rund um die Kugel gelegen hatte, nahm beim Umdrehen der Glasflasche rundum gegen das Glas Platz, und verblieb daselbst, von der Kugel so weit entfernt, als es der Hohlraum des Glases zuließ.-) Während das Glas so in einer schnellen Um- drehung ist, lasse ich die Hand, worin ich die Glasflasche in die Höhe halte , wieder fallen, wodurch das Glas auf einem Buch Papier oder Tischtuch oder Kissen, damit es nicht zerbricht, zum Stillstand kommt. Während dieses Niedersetzens des Glases sehen wir, daß die Siegellackteile eine sehr ver- wirrte Bewegung vollführen , und sowie das Siegellack beim Umdrehen des Glases von der Kugel sich abscheidet, so werden nun die Siegel- ') loi ste missive, gesclireven aan den Wel Edelcn Ge- strengen Heere, d'IIr Nicolaas Witsen, President Burgermeester der Stadt Amsterdam, 6. Vervolg der brieven, door A. van I.eeuwenh o eli, Delft 1697. *) Leeuwenhoek gibt hier die Dimensionen seiner Ver- suchsflasche genau an. Herr de Saintignon läßt dies un- bestimmt. -) Dies ist der von de Saintignon geschilderte Zu- stand für diejenigen Teilchen, welche schwerer als Wasser sind. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 3 lackteilchen nacli der Kugel zugestoßen, und zwar so sehr, daß die ganze Kugel von den Siegellackteilchen bedeckt wird. Wie nun durch die Bewegung des Glases die Siegellackteilchen, welche um die Kugel lagen, von der Kugel weggestoßen werden, so bildete ich mir ein, daß die Wolken durch die tägliche Umwendung oder Drehung der Erd- kugel in der Luft aufgehalten werden, und wie beim Stillhalten des Glases alle Siegellackteilchen sich rund um die Kugel lagern und dieselbe zu bedecken kommen, also stellte ich fest würde es zugehen, sobald die Erdkugel stille stehe, und das ganze All um die Erdkugel sich bewegte. Alle die Wolken und auch die Wasserteile und andere schwere Stoffe, worin wir leben, bleiben alsdann nicht in der Luft hängen, sondern stürzen nieder auf die Erdkugel, wo sie in Ruhe Platz finden. Wenn nun die Kugel mit den Siegellack- teilchen umgeben daliegt, und wir alsdann den Kork an dem Bindfaden etwas höher hinauf- schieben, so daß der Kork den Hals des Glases nicht erreichen kann, und nochmals die Kugel auf den Grund des Glases zu liegen kommt, und wir dann den Bindfaden, woran Kork und Kugel fest ist, emsig mit den Fingern umdrehen, dann werden wir sehen, wie das Siegellack von der Kugel abgestoßen wird , die sich alsdann um ihre Achse, um so zu sprechen, dreht. Hier- durch wird uns gezeigt, daß die Bewegung der Erdkugel um ihre Achse die flüssigen Dämpfe mitnimmt und nicht wegstößt. A B C D E F zeigt die gläserne Flasche, wie dieselbe auf einem Kissen still steht, und das Bindfadenende G H fest umgedreht. J bedeutet die Bleikugel, welche an das Bind- fadenende K L D festgemacht ist, wo ein Kanäl- chen hindurchgeht, das in den Kork, der die Glasflasche schließt, gemacht ist. Unten auf dem Grund der Flasche bei A und um die Kugel liegen die kleinen Siegellack- teilchen. Wenn man nun mit der Hand bei H den Bindfaden ein wenig in die Höhe hebt, wodurch die Flasche von dem Kissen aufgehoben wird, so wird sich dieselbe durch den umgedrehten Bindfaden, wie vorliin gesagt ist, sehr eilig rund- um drehen, und die Siegellackteilchen werden sich innen an der Rundung des Glases, wie bei B F anfinden. Indem wir nun das Glas in seinem schnellen Lmlauf plötzlich niedersetzen oder stillhalten, sehen wir, wie mit einem plötzlichen Ruck der Siegellack sich vom Glase trennt, durcheinander sich bewegt und zum Teil um die Kugel sich dreht und dort sich niederlegt. Hierauf schob ich den Kork, mit welchem die Flasche verschlossen ist, aus dem Hals der Flasche und ich schob oder stieß denselben an das Bindfadenende D M N P, an die Stelle, welche hier mit D N O M angezeigt ist, und nahm sodann mit meinen ersten Fingern den Bindfaden bei P und drehte ihn emsig um, nachdem ich zuvor den Bindfaden G H an der Flasche niederhängen ließ. Während des Umdrehens des Bindfadens N P, welchen wir alsdann gerade über das Ende ge- legt haben, wo der erste Bindfaden gewesen ist, und zwar in der Art, daß wir die Kugel nur wenig oder gar nicht in die Höhe heben, können wir sehen, wie die sich umdrehende Kugel die umherliegenden Siegellackteile abstößt. Das sind meine geringen Entdeckungen und Beobachtungen usw. A. van Leeuwenhoek." Eine interessante Abbildung zu diesem Ver- such bringt ebenfalls sein Brief vom lo. Juli 1699, die ich hier folgen lasse. /'oliyO. ttXllÖJ Alibilduns Leeuwenhoek's Versuch die Drehung der Erde zu erläutern. Ein Unterschied zwischen den Experimenten von Leeuwenhoek und de Saintignon liegt darin, daß bei Leeuwenhoek die Umdrehung der Glaskugel nicht genau angegeben ist. Sie wird ohne Zweifel geringer als 800 mal in der Minute betragen haben, wie bei de Saintignon. Man wird wohl kaum durch Drehung eines Bind- fadens zwischen den Fingern der rechten Hand eine solche Geschwindigkeit hervorbringen. Die bleierne Kugel, welche bei Leeuwen- hoek die Erde darstellt, ist selbstverständlich bei dem Experiment des Herrn de Saintignon N. F. VI. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 43 nicht vorhanden. Die Leeuwenhoek' sehen Siegellacktcilchen entsprechen aber den Teilchen, welche dichter sind als Wasser des Herrn de Saintignon. Auch der Umstand, daß diese Teilchen sich bei der Umdrehung der Kugel am Äquator ablegen, stimmen mit der Leeuwen- hoek' sehen Beobachtung überein. Zwischen de Saintignon und Leeuwen- hoek sind 2IO Jahre vergangen. Der Zeitunter- schied zwischen Leeuwe nhoek's Versuch, die Drehung der Erde zu beweisen und Kopernikus, der bekanntlich sein Werk ,,Ü b e r die Um- drehungen der himmlischen Körper" zu Nürberg 1540 erscheinen ließ, beträgt 156 Jahre. Also ist der Zeitunterschied zwischen de Sain- tignon und Leeuwenhoek um 54 Jahre größer, als der zwischen letzterem und Kopernikus. Leeuwenhoek könnte man einen zweiten Kopernikus nennen. Allerdings rief sein Brief, die Umdrehung der Erde zu beweisen, keine solche Achterklärungen und Streitigkeiten in der gelehrten Welt hervor. Zwischen beiden sind über anderthalb Jahr- hundert verflossen. Trotzdem waren die Ansichten über die Erdbewegung zu Leeuwenhoek's Zeiten durchaus nicht sehr aufgeklärt. Es gehörte gewissermaßen eine freiere und selbständigere Stimmung dazu, sich die Erde beweglich vorzu- stellen. Luther und M e 1 a n c h t h o n hatten sich gegen die „neue" Lehre ausgesprochen, und wenn 1822 erst allgemein beschlossen wird, daß alle Werke, in denen von der Drehung der Erde die Rede sei, gedruckt werden könnten, dann darf man nicht erstaunt sein, daß noch Leeuwenhoek ernstlich darum zu tun war, den Beweis für diese Drehung der Erde zu führen. Leeuwenhoek war Mitglied der königlichen wissenschaftlichen Gesellschaft zu London. Die Veröffentlichung von E. Guyou in Paris er- schien in den Berichten der wissenschaftlichen Akademie. Beide Veröffentlichungen sind eigen- tümlich ähnlich, und man kann wirklich darüber erstaunt sein, wie eine so große gelehrte Gesellschaft ein so kleines Experiment nach 210 Jahren wieder- bringt. Leeuwenhoek war, wie dieser Brief be- weist, nicht nur ein gelehrter Mikroskopiker, son- dern seine Gedanken und somit seine Werke er- strecken sich, wie wir sehen, auch auf astrono- misches Gebiet. Dr. Petri, Kaiserl. Geh. Reg.-Rat. Wetter-Monatsübersicht. Während des vergangenen Dezember war das Wetter in Deutschland größtenteils trübe und reich an Niederschlägen. In seinen ersten Tagen dauerte die für die Jahreszeit unge- wöhnliche Wärme des Monats November fort. Bis zum 5. Dezember wurden 10° C noch vielfach erreicht oder etwas überschritten und selbst die in der beistehenden Zeichnung von verschiedenen Orten dargestellten Minimaltemperaturen gingen arn 4. im größten Teile Norddcutschlands nicht unter 6° C herab. Dann trat zunächst eine mäßige, während der zweiten Hälfte des Monats aber eine sehr bedeutende Ab- kühlung ein. Seit dem 21. Dezember herrschte in ganz Deutschland fast ohne Unterbrechung Frost, der im Osten kurz vor dem \\'cilinachtsfcstc, im Westen und Süden bei Jahresschluß am strengsten war. Beispielsweise halten am 22. früh Bromberg und Thorn 20, am 28. Zehlendorf nahe bei Berlin und am 31. Mülhausen i. E. 19" C Kälte. Alle deutschen P'lüsse bedeckten sich mehr und mehr mit Eis , so llmprslur ' ' ' ' I ' ' I ' Bcrlin;p Weftfl-!)u?63u. !^is&r^5ra^%ti im'^zysmUrWi. o -13 10 E et :3 * E SS Mittlerer Werf für Deulschland. fiflonafssurnmein Dezbp (965.1)5.0^.03.02.01. daß seit dem 15. auf der Weichsel, seit dem 21. auf der mittleren Elbe, seit dem 26. auf dem Niederrhein die Schifl'- fahrt eingestellt werden mußte. .^uch dem Schiffsverkehr längs der Küste bereitete starkes Treibeis immer größere Hindernisse. Im Monatsmittel lagen die Temperaturen in Norddeutsch- land ^l' '2 bis 2, in Süddeutschland etwa a'/a Grad unter ihren normalen Werten. An den meisten Tagen war der Himmel mit dichtem Nebelgewölk überzogen, durch das die Sonnen- strahlen auch mittags nicht hindurchzudringen vermochten. Z. B. hatte Berlin im ganzen Monat nicht mehr als 27 Stun- den mit Sonnenschein, während hier in den früheren Dezem- 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 3 berraonalen durclischniülich 38 Sonnenscheinstunden ver- zeichnet worden sind. Am Anfange des Monats wurden die meisten Gegenden Deutschlands von Stürmen heimgesucht, unter denen beson- ders das westliche Ostseegebiet stark zu leiden hatte. Dabei fanden überall sehr ergiebige, lange anhaltende Regenfälle statt, die an der Küste von einzelnen Gewittern und häutigen Hagel-, (Iraupel- und Schneeschauern begleitet waren. Vom 5. zum 6. Dezember gingen in einem Teile des westlichen Binnenlandes, z. B. im östlichen Westfalen, in Hannover und Braunschweig, große Sclmeemengen nieder, die jedoch durch wärmere Winde und Regenfälle bald licseitigt wurden. Nach- dem in den folgenden Tagen Schneefälle noch wiederholent- lich mit Regen abgewechselt liatten, blieb seit dem n. De- zember, während erst ganz gelinder Frost lierrschte , der Schnee fast überall in Deutschland auf dem Erdboden liegen und häufte sich dann an vielen Stellen zu bedeutenden Massen an. Vom 19. bis 24. Dezember blieb der größte Teil des Landes von meßbaren Niederschlägen frei. In den Weih- nachtstagen aber stellten sich neue, mit mancherlei Verkehrs- störungen verbundene Schneefälle ein, die sich bis zum Ende des Jahres oftmals wiederholten, so daß die die Saaten vor Kälte schützende Schneedecke in den meisten Gegenden auf l',., bis 2, in höheren Lagen auf 3 Dezimeter Stärke anwuchs. Die Monatssumme der Niederschläge, die in Nordwestdeutsch- land am bedeutendsten, am geringsten östlich der Elbe war, betrug für den Durchschnitt aller berichtenden Stationen 55,6 mm, 7,3 mm mehr, als die gleichen Stationen im Mittel der Dezerabermonate seit Beginn des vorigen Jahrzehntes ergeben haben. In der ersten Hälfte des Monats traten mehrere , autier- ordentlich tiefe Barometerdepressionen teils auf dem Atlanti- schen Ozean, teils auf dem Nordpolarmeere auf und zogen mit stürmischen Winden durch die skandinavischen Länder ins Innere Rußlands. Nachdem sich jedoch seit dem 10. in Ostrußland ein Hochdruckgebiet festgesetzt hatte, schlugen die Depressionen allmählich westlichere Bahnen ein, so daß sie mehr in unsere Nähe gelangten. Um Mitte Dezember rückte das barometrische Maximum, das inzwischen in Nordostrußland 790 mm Höhe überschritten hatte , weit nach Westen vor und breitete über ganz Nord- und Mitteleuropa sehr kalte östliche Winde aus. Am 24. aber erschien auf dem europäischen Nordmeere ein neues tiefes Minimum, das das Hochdruckgebiet nach 1 Istrußland zurückschob und dann langsam ins Innere des westeuropäischen Festlandes einzudringen vermochte, wohin ihm weitere Minima aus Nordwesten nachfolgten. Dr. E. Leß. Bücherbesperchungen. - T. G. Schillings, Der Zauber des Elelescho. Mit 318 Abbild. XIV, 1—496. R. Voigtländer's Verlag in Leipzig, 1906. — Preis 14 Mk. In diesem Buche veröffentlicht der Verfasser der bekannten reichillustrierten Schrift: „Mit Blitzlicht und Büchse", die 1905 erschien, noch eine Menge photograpbischer Original-Tag- und Naclitaufnahmen und anziehende Schilderungen des Tierlebens im britischen und deutschen Ostafrika , das er viermal besucht liat. Die 16 Abteilungen des Buches haben folgende Überschriften : Der Zauber des Elelescho. Von der Maminutzeichuuiig des Diluvialmenschen bis zum Tele- und Blitzlichtbild. Neues über die Tragödie der Kultur. Die „wiedererstehende" Tierwelt. Die deutsche Jagd und der Schutz der Naturdenkmäler. Die einsame Wunderwelt der Nyika. Die Symphonie der Steppe und des Urwaldes. Was mir der Urwald- strom erzählte. Mit den Wanderobo auf der Elefanten- fährte. Nashornjagden. Löwenfang. Von aussterben- den Riesen. Ein verschwindendes Wahrzeichen der Steppe. Steppenlager. Tierphotographie in der Wildnis bei Tag und Nacht. Diese Überschriften zeigen den vielseitigen Inhalt sehr gut an. Elelescho nennen die Neger des Masaigebietes, der hochliegenden steinigen Steppen zwischen dem Kilimandscharo und Viktoriasee, einen Baum und Strauch mit silberartig grauweißen Blättern und wohl- riechenden Blüten, der für diese kriegerischen Hirten denselben ästhetischen Wert hat wie der Eichbaum für den Deutschen. Er gehört zur Familie der Kom- positen , hat den wissenschaftlichen Namen Tarcho- nanthus camphoratus erhalten und ist über alle Hoch- länder des tropischen Afrika verbreitet. Der gewaltige Eindruck, den das Tierleben der Steppe, der Fluß- und Seeufer in der flimmernden Helligkeit des Mittags, beim Untergang der Sonne, in hellen Mondnächten und am frühen Morgen macht, schildert Schillings so anschaulich, daß man ihm mit Spannung folgt. Wie wir im Anschauen der Bilder großer Landschaftsmaler nachgenießen , was der Künstler selbst empfand, als er die Skizze seines schönen Bildes entwarf, so versetzt uns Schillings durch seine Darstellungen in die tief, feinsinnig und verständnisvoll aufgefaßte Schönheit der afrikanischen Tropennatur. Die Beschreibungen massenhaft auftretender großer Säugetiere und Vögel werden inanchmal wiederholt, jedoch wird der Leser fast immer entschädigt durch sinnreiche vergleichende Bemerkungen. Sehr schön sind die Schilderungen der Bewegungen und Stimmen der mitgeführten lebenden Tiere und der ganzen Karawane des Reisenden, wenn sie, gleich einer Kultur- insel in der Wildnis, in der schwülen Mittagshitze und in der stillen Nacht um ihn herum lagert. Wert- voll für reisende Jäger und Zoologen sind die Be- schreibungen der Apparate für Tierphotographie bei Tag und Nacht und die Anweisungen sie erfolgreich zu gebrauchen. Als tief und fein empfindender Naturfreund for- dert Schillings die möglichst weitgehende Erhaltung der Tierwelt in Deutschland und in unseren Kolonien und die Aufbewahrung und Aufstellung aussterbender Tierformen in unseren Museen. Darin stimmen wir ihm vollkommen bei. Die Lichtbilder des Buches veranschaulichen die Formen und Bewegungen großer Säugetiere und Vögel nicht so scharf wie wir sonst in illustrierten Werken zu sehen gewohnt sind, stellen sie dafür aber in voll- kommener Naturtreue dar. Darin gerade besteht ihr hoher Wert. Die W e s t e n d a r p ' sehe , photographierte T a - belle über die Elfen bein massen, die von 1901 — 1905 in Antwerpen, Liverpool und London auf den Markt kamen, ist leider so undeutlich, daß man sie nicht lesen kann. Sie hätte durch Schrift- druck wiedergegeben werden sollen. K. Möbius-Berlin. N. F. \'I. Xr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 45 Regles internationales de la Nomenclature bo- tanique. Adoptees par le Congrcs international de Botanique de Vienne 1905 et publiees au nom de la commission de redaction du congrcs par Jolin Briquet, Rapporteur general. — Inter- national Rules of Botanical nomen- clature. .Adopted by the international botanical congress of Vienna 1905. — Internationale Regeln der botanischen Nomenklatur. -Angenommen vom internationalen botanischen Kon- greß zu Wien 1905. Verlag von Gustav Fischer in Jena. 1906. — Preis 2,50 Mk. Jeder einzelne ohne Ausnahme , der irgendwie näher mit der systematischen Zoologie oder Botanik zu tun hat , ist sich der ungemeinen praktischen AVichtigkeit einer guten, geregelten Nomenklatur be- wußt. Eine solche anzustreben und ihr allgemeinen Eingang zu verschaffen sind schon mannigfache Vor- arbeiten vorhanden. Die wichtigste ist diejenige von Alphonse de Candolle, die er 1S67 im Auftrage des damaligen internationalen Kongresses herausgab. Einen Fortschritt auf dem Wege bedeutet die vorliegende drei- sprachige Schrift. Sollte der einzelne in Nebenpunkten von den Vorschlägen abweichen, so ist zu hoffen, daß er sich im Interesse der Sache ihnen doch im Wesentlichen fügen wird. Die jetzigen Vorschläge stehen ja auf der Basis einer langen und intensiven Entwicklung auf dem Gebiete der botanischen Nomenklatur , so daß so wie so das meiste dem Fachmann geläufig ist. In der Naturw. Wochenschr. sind wir in der Nummer vom 10. Dezbr. 1905 auf die Prinzipien der Nomen- klatur, die bei den Beratungen von 1905 maßgebend gewesen sind, näher eingegangen, so daß wir für Weiteres auf diesen Artikel aus der Feder von Dr. H. Harms verweisen. F. Dr. E. Gehrcke , Die Anwendung der Inter- ferenzen in der Spektroskopie und Rletrologie. Heft 17 der Sammlung „Die Wissenschaft". 160 S. mit 73 Abb. Braunschweig, F. Vieweg & Sohn, 1906. — Preis 5,50 Wk., geb. 6,20 Mk. Ein hochinteressantes Kapitel der Optik ist in diesem Hefte von selten eines namhaften Spezial- forschers in klarer und gründlicher Weise zur Dar- stellung gebracht worden. Nach einer allgemeineren Einleitung, in der die wichtigsten Tatsachen der Wellentheorie erörtert werden, gibt Verf. zunächst eine Beschreibung des Fresnel'schen Interferenzversuchs und schließt daran die an planparallelen Platten zu beobachtenden Interferenzerscheinungen an, die trotz ihrer einfachen Ableitung erst spät die Aufmerksam- keit der Physiker erregt haben und neuestens für die Spektroskopie und Metrologie eine so hervorragende Bedeutung erlangt haben. Im dritten Teil werden dann die auf Beugungserscheinungen beruhenden Spektral- apparate und die neueren Interferenzspektroskope von Perot und Fabry, Michelson, Lummer und Gehrcke ausführlich behandelt. Im nächsten Abschnitt wird eine Auswahl von Resultaten der spektroskopischen Forschung über den Mechanismus des Leuchtens er- örtert, wobei über das Doppler'sche Prinzip, den Stark-Etlekt und den Zeemann-Effekt .Aufschluß ge- geben wird. Endlich handelt ein Schlußteil über Anwendungen der Interferenzen zu physikalischen Messungen und in der Metrologie. Besonders ein- gehend wird hier Michelson's Auswertung des Meter in Wellenlängen der roten Cadmiumlinie besprochen. Auch die erst vor kurzem veröffentlichten, von Gehrcke und Reichenheim ersonnene Methode der Interferenzen planparalleler Platten im kontinuier- lichen Spektrum wird auf den letzten Seiten des Buches erklärt. Ein ausführliches Literaturverzeichnis ist beigegeben. Das Studium des in physikalischen Lehrbüchern meist sehr kurz behandelten Abschnittes der Optik, der hier monographisch behandelt ist, wird jedem, der ernstes Eindringen in den Gegenstand nicht scheut, gewiß einen hohen intellektuellen Genuß bereiten. Kbr. Prof O. Ohmann, Leitfaden der Chemie und Mineralogie. 4. Aufl., 191 S. mit 147 Fig. u. I Spektraltafel. Berlin, Winkelmann u. Söhne. Dieses methodisch mit großem pädagogischen Geschick abgefaßte Büchlein hat sich schon bei den ersten Auflagen eine große Beliebtheit in Lehrer- kreisen erworben. Natürlich hat es der Verf gleich- wohl nicht verabsäumt, für die Neuauflagen alle An- regungen zur Verbesserung nach Möglichkeit zu be- rücksichtigen und neuere, besonders zweckmäßige Versuchsanordnungen einzufügen. In der vorliegenden Auflage sind besonders die neueren physikalisch- chemischen Anschauungen mehr als bisher zur Gel- tung gekommen. Die Theorie der Lösungen , der Molbegriff und die lonenlehre werden in einer dem Verständnis des Schülers anpepaßten Weise ent- wickelt. Die letzten Auflagen des Büchleins sind auch mit einer prächtigen Spektraltafel geschmückt. Jedem , der nach einem kurzen Leitfaden für den mineralogisch -chemischen Unterricht sucht, sei der vorliegende angelegentlich empfohlen. Kbr. W. Miller, Diplom-Ingenieur u. k. Prof. der Industrie- schule Augsburg, Instrumentenkunde für Forschungsreisende. Unter Mitwirkung von Ingen. C. Seidel, K. Prof. d. Industrieschule Nürnberg. Dr. Max Jänecke, Hannover, iqo6. — Preis 4,40 Mk. Das Werk ist aus dem Streben hervorgegangen, ein illustriertes Preisverzeiclinis für Instrumente , wie sie der Forschungsreisende braucht, zu schaffen. Zunächst schildert der Verf die wichtigsten Meß- instrumente sowie deren Anwendung durch Bezeich- nung der Prinzipien der Winkelmessung, der Längen- messungen, der indirekten Messung von Entfernungen, der Höhenmessung, der Wassermessung, der Photo- grammetrie. Die für die Praxis genügenden Formeln sind durch Zahlenbeispiele erläutert. Es werden ferner Angaben gemacht über Aus- rüstung der deutschen Stationen der internationalen Polarforschung, der deutschen Vermessungsschiffe, der 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 3 japanischen Beobachtungsschifle, und über die Aus- rüstung an Photographie- und Meßapparaten der PoHzeibehörden in Berlin und Hamburg. Das sehr zvveckdienhche Buch bietet sodann als wesentlichstes Kapitel in demselben eine umfang- reiche Zusammenstellung aller wichtigen, für den Forschungsreisenden in Betracht kommenden In- strumente für astronomische, topographische und geo- graphische Arbeiten , ferner für geologische und meteorologische Zwecke, zur Bestimmung des Erd- magnetismus, für nautische Vermessungen, für Beobach- tungen über Ebbe und Flut, für hydrographische und magnetische Beobachtungen an Bord, für Heilkunde, für landwirtschaftliche Forschungen , für Pflanzen- geographie, für ethnologische, anthropologische und prähistorische Forschungen, und für wissenschaftliche Photographie. Jedes Instrument ist kurz erklärt und abgebildet. Dem Reisenden wird sodann eine Zusammenstellung gegeben, die ihm über alle bei einer Expeditions- ausrüstung in Betracht kommenden kaufmännischen Fragen Auskunft erteilt, durch Angabe der Adressen der Firmen und deren Telegrammschlüssel , durch Angabe der Lieferungsbedingungen, der Frachtkosten und Dampferverbindungen. Ein weiterer Teil des Buches bespricht Eigenheit und Neuheiten der Schal- tungsweisen und Konstruktionen des Systems „Tele- funken" der Gesellschaft für drahtlose Telegraphie m. b. H. , Berlin. Dieser Teil enthält auch einen Kostenanschlag über eine Station für drahtlose Tele- graphie. Das Buch ist sehr empfehlenswert. buch der pharmazeutischen Chemie. I. Bd. Anorganische Chemie. 1. Abllg. : Metalloide. 5. verm. Aufl. Mit zahl- reichen Abbilden, u. I färb. Spektraltaf. (VIII, 528 S.) gr. 8". Braunschweig '06, F. Vieweg & Sohn. — 10 Mk. Schubert, Prof. Dr. Herrn.: Auslese aus meiner Unterrichts- u. Vorlesungspraxis. 3. Bd. (250 S. m. 18 Fig.) kl. 8". Leipzig '06, G. J. 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Dr. Adalti. : Die Groß-Schmetterlinge der Erde. Eine systomat. Bearbeitg. der bis jetzt bekannten Grofl- Schmetterlinge, in Verbindg. m. namhaftesten Fachmännern lirsg. I. Abtlg.: Die Groß-Schmetterlinge des paläarktisch. Faunengebietes. (In ca. 100 Lfgn.) 1. Lfg. (S. I — 12 m. 3 färb. Taf.) 4°. Stuttgart '06, F. Lehmann. — i Mk. Serret, J. A. : Lehrbuch der Differential- u. Integralrechnung. Nach Axel llarnack's Übersetzung. 3. .Aufl. Neu l>earb. V. Geo. Scheffers. I. Kd. Differentialrechnung. (XVI, 624 S. m. 70 Fig.) gr. 8". Leipzig '06, B. G. Teubner. — 12 Mk. ; geb. in Leinw. 13 Mk. Schmidt, Prof. Dr. Jul.; ivurzes Lehrbuch der organischen Chemie. (XXXll, 774 S.) Lex. 8». Stuttgart '06, F. Enke. — 18 Mk. ; geb. in Leinw. 19,60 Mk. Schmidt, Geh. Reg.-R. Prof. Dr. Ernst: Ausführliches Lehr- Briefkasten. Herrn Landrat a. D. G. in Charlottenburg. — Die Frage, ob die Fische hören können, hat man noch in der neuesten Zeit sehr verschieden beantwortet. Ich nenne Ihnen zwei Arbeiten über den Gegenstand, in denen Sie weitere Literatur verzeichnet finden: l) A. Lang, ,,()b die Wassertiere hören?" in: Mitt. naturw. Ges. Winterthur, Heft 4, 1902 (1903) S. 3 bis 55 und G. H. Parker, ,, Hearing and allied senses in fishes", in: Americ. Naturalist Vol. 1903 p. 185 — 204, erstere referiert von W. Seh önic h en, in: Natur und Schule Bd. 3, 1904, S. 413 — 417, letztere von M. Plehn, in: Allg. Fischerei- Zeitung, Jahrg. 30, 1905, S. 62 — 66. — Um die Frage ent- scheiden zu können, muß man vor allen Dingen klar darüber sein, was ,, hören" ist. Wir können die Schwingungen der Saite einer Baßgeige auch mit dem Finger wahrnehmen und ebenso können bei empfindlichen Tieren vielleicht auch Schallwellen im Wasser oder gar in der Luft mittels der Tastnervenendigungen zur Wahrnehmung gelangen, zumal wenn bei ihnen durch Strychninvergiftung die Empfindlichkeit gegen Tasireize bedeutend erhöht ist. — Ein sicherer Nach- weis für das Vorhandensein eines Gehörs auf experimentellem Wege ist bei einem Tier nur dann erbracht, wenn dasselbe auf verschiedene Töne oder Geräusche verscliicden reagiert, wenn es also verschiedene Töne oder Geräusche unterscheiden kann. Dies ist bisher bei den Fischen, soweit ich sehe, noch nicht nachgewiesen. — Als Beispiel eines Nachweises dieser .\rt verweise ich auf eine Beobachtung von H. Henking l)ei Spinnen. Henking ließ eine Fliege neben einem Be- hälter, in welchem sich eine Wolfspinne befand, brummen, und beobachtete, daß sich die Spinne sofort in die Richtung, aus welcher der Ton kam, stürzte (vgl. Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 4, S. 309). Will man einen solchen experimentellen Nachweis führen, so muß man die Bedeutung kennen, welche der Gehörsinn für das Tier hat. — Gewisse Schlüsse auf das Vorhandensein eines Gehörsinnes lassen sich unter Umständen schon aus dem Vorhandensein eines entsprechenden Organes ziehen, vorausgesetzt, daß man sicher ist, das Organ richtig zu deuten. — Gerade beim Gehörorgan macht aber die Deu- tung der einzelnen Teile — schon in der Reihe der Wirbel- tiere — große Schwierigkeiten. — Es kann jetzt wohl als durch Experimente festgestellt gelten — trotz aller Wider- legungsversuche der Gegner, — daß in dem Ohr der Wirbel- tiere neben dem Gehörsinn ein Gleichgewichts- bzw. Richtungs- sinn seinen Sitz hat. Die Bogengänge mit ihren Ampullen sind zweifellos als Sitz des Gleichgewichtssinnes zu deuten, die Schnecke ebenso zweifellos als Sitz des Gehörsinnes. Aber bei den anderen Teilen ist die Deutung noch unsicher. Wenn den Fischen also auch eine Schnecke fehlt, so ist da- mit noch nicht erwiesen, daß sie kein Gehör besitzen. — Eine dritte Seite, der obigen Frage näher zu treten, ist die ethologische. Wir kennen Fische, die nicht stumm sind, son- dern Töne hervorbringen und einen wohlentwickclten Stimm- apparat liesitzen (vgl. K. Möbius, Balistes aculeatus, ein trommelnder Fisch, in: Sitzungsber. .\k. Wiss. Berlin, Jahrg. 1889, S. 999 ff.). Oft sind es nur die Männchen, welche die Töne hervorbringen (z. B. Cynoscion reyalis) und es kann als sicher gelten, daß es sich hier um Locktöne handelt. Das Gehörorgan dieser stimmbegabten Fische kennt man leider noch nicht und deshalb sind Schlüsse, auf morphologischer Grundlage, von diesen auf stumme Fische noch nicht möglich. — Zu nennen sind noch die Erwägungen und Tatsachen, welche man gegen das Hören der Fische vorgebracht hat. Vom rein theoretischen Standpunkte aus hat T. Beer be- hauptet, daß das Hören für Wassertiere bedeutungslos sei. Dagegen hat sich V. Hensen mit Recht gewandt. Der Ge- liörsinn leistet sehr viel mehr als der feinste Tastsinn , selbst wenn dieser Schallwellen zur Wahrnehmung bringt, und es ist N. F. VI. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 47 sehr wohl denkbar, daß der Gehörsinn, daü die Unterscheidung verschiedener Geräusche auch den Wassertieren, ihren Feinden gegenüber, große Vorlcile gewährt. — A. Kreidl hat mit Fischen im ilenediktiner-Stiit Kremsmünster, die seit langer Zeit mit einer Glocke zur F"ütlerung gerutcn werden, Versuche gemacht. F.s ergab sich, daß die Fische durch vier verschie- dene Sinneseindrücke angelockt werden: l) Die Erschütterun- gen des Bodens, die der Fischer durch seine Tritte verursacht. 2) Das sichtbare Erscheinen des Fischers am Kande des Teiches. 3) Das Hineinwerfen des Futters und 4) das Glocken- lauten. — Die F'ische kamen aber auch herbei, wenn der vierte Sinnesreiz, der Glockenton ausblieb. Sie kamen nicht heroei, wenn die drei ersten ausgeschaltet wurden und nur mit der Glocke geläutet wurde. — Durch diese Versuche ist erwiesen, daß der Glockenton beim Herbeilocken der Fische in Verbindung mit den drei anderen Sinnesreizen gar keine Rolle spielt. Eigentlich war das schon zu erwarten, da be- kanntlich Tiine sehr stark abgeschwächt aus der Luft ins \N'asser eindringen. — Daß die Fische nicht hören können ist durch die Versuche nicht bewiesen. Wollte man mit den Fischen in Kremsmünster einen solchen Nachweis erbringen, so müßte man erst durch wochen- oder monatelange Gewöhnung j die beiden ersten Reize ausschalten, indem man, ohne sich den Fischen zu zeigen, jedesmal erst mit der Glocke läutet und dann das Futter vorwirft. Nach Wochen oder Monaten haben die Fische vielleicht begriften, daß nach dem Läuten immer das Füttern folgt. Geistig stehen nämlich die Fische erwiesenermaßen nicht sehr hoch (vgl. K. M ü b i us , in: Sehr, d. naturw. Ver. f. Schi. -Holstein Bd. i, 1873, S. 121). Dahl. Herrn stud. rer. nat. C. L. in Rendsburg. — Sie fragen, wie sich die Wissenschaft zu der Angabe von dem nächt- lichen Wandern der Aale in Erbsenfelder stelle. — — i'ber diese Frage gibt Ihnen B. Benecke in seinem Buche „F'ische, Fischerei und Fischzucht in (;>st- und Westpreußen" (Königsberg 1881 , S. 174 ff.) die gewünschte ,\uskuntt. Benecke fragt ganz richtig, warum diejenigen, die daran glauben , daß die .\ale der Erbsen wegen sogar das Wasser verlassen, nicht Erbsen an die Angeln stecken. — Für uns ist die Frage nur noch die, wie eine solche Fabel entstehen und sich bis in die Gegenwart erhalten konnte. Sie ündet sich schon liei .Mbcrtus Magnus (Tierbuch, 1545) und kehrt, obgleich sie schon 1666 von L. Baldner energisch be- stritten wurde, bis in die Gegenwart wieder. — Benecke meint, daß vielleicht einmal Aaldiebe auf der Flucht einzelne Aale in einem Erbsenfelde verloren haben. — Mir erscheint diese Erklärung zu gesucht und ich möchte die Entstehung dieses Volksglaubens darauf zurückführen, daß Aale verdor- benes Wasser gelegentlich, wenn die Ufer hinieichend flach sind, verlassen. Von zuverlässiger Seite ist mir das bestimmt versichert worden und wenn L. Spallanzani (Opere, Milano 1821) es bestreitet, so waren in dem von ihm angezogenen Falle vielleicht nicht alle Bedingungen für eine solche Aus- wanderung gegeben. Ich selbst war in meiner Kindheit ein- mal Zeuge, daß in einem moorigen Gewässer neben der Ost- see in Holstein (Dahmer Moor) Aale gefangen wurden, indem — nach einem lange anhaltenden Frost — im F'rühling Löcher in die Eisdecke geschlagen und Büschel von rauhem t>bsenstroh hineingesteckt wurden. Am nächsten Morgen konnten die Aale mit dem Erbsenstroh aufs Eis gezogen werden. Dahl. An mehrere Leser. — Von verschiedenen Seiten wer- den Literaturangaben über die Biologie in der Schule ge- wünscht. Ein Leser bittet sogar um Angabe der gesamten einschlägigen Literatur. Alles oder auch nur das Wich- tigere im Briefkasten zu bringen , ist ausgeschlossen. In be- schränktem Umfange aber gehe ich auf die Hauptgesichts- punkte und auf deren erstes Auftreten in der Literatur ein. Auf weiteres wird der Leser dann in den zitierten Arbeiten verwiesen. — Die Grundlagen für die moderne Auffassung des biologischen Unterrichts gab C. G. Salzmann schon am Ende des 18. Jahrhunderts („Ameisenbüchlein", in: Re- clam's Universalbibliothek Nr. 2450, S. <;5 ff.). An Rousseau lehnt sich Salzmann insofern an, daß er durch geeignete Fragen das Kind anleitet, selbst zu finden (vgl. J. j. Rous- seau, ,,Emil oder über die Erziehung", in: Reclam's Uni- versalbibliothek Nr. 901—8). Salz mann hält das lebende Tier für das geeignetste Objekt, um die verschiedenen Geistes- kräfte des Kindes zu wecken und zu üben : Die Beobachtungs- gabe wird dadurch geübt, daß das Kind die verschiedenen Eigenschalten des Tieres sich zum Bewußtsein bringt, das Gedächtnis dadurch , daß es die Namen der Organe behält, der Verstand dadurch, daß es einerseits über die Funktion (,,. Absicht") der Organe nachdenkt und andererseits die Organe mit denen anderer Tiere vergleicht (Salzmann a. a. O. S. 60). Weitergeführt ist die Salzman n'sche Methode besonders durch Elementarlehrer, weil gerade derjenige Teil der Biologie, welcher für den Unterricht in der Schule besonders geeignet ist, erst in neuester Zeit (im Anschluß an Darwin) zur Wissenschaft erhobt ist. Vorher war die Gefahr, dabei der Teleologie zu verfallen, zu groß. So haben wir es uns wohl zu erklären, daß die Biologie in höheren Schulen immer ein .Stiefkind blieb. Nur bedeutende Forscher waren vor Darwin imstande, bei der physiologischen Betrachtungsweise stets die wissenschaftliche Basis festzuhalten (vgl. C. Bergmann und R. Leuckart, „Anatomisch-physiologische Übersicht des Tier- reichs", Stuttgart 1852). Durch die Selektionstheorie ist jetzt die Teleologie völlig ersetzt und deshalb hat sich in neuester Zeit die Aufmerksamkeit auch der Lehrer an höheren Schulen wieder dieser für den Unterricht wichtigsten Seite der Biologie zugewendet (biozentrische Methode). Das Verdienst, die S al zma nn'sche Methode zuerst in das moderne Gewand gekleidet zu haben, gebührt F. Junge (,,Der Dorfteich als Lebensgemeinschaft", Kiel 1885, 2. Aufl. iSgi). Als neu kommt bei Junge der von K. Möbius aufgestellte Begriff der Lebensgemeinschaft hinzu. Bei seiner Bekämpfung Lüben's (vgl. A. LUben, ,, Leitfaden zu einem methodischen Unterricht in der Naturgeschichte", Halle 18321, der die Kennt- nis des Systems zu sehr in den Vordergrund stellte, verfiel Junge allerdings in ein entgegengesetztes E.xtrem. Darin liegt es begründet, daß die Junge 'sehe Methode bei den meisten Lehrern an höheren Schulen keinen Beifall fand. — Im letzten \iertel des vorigen Jahrhunderts zog der biologische Schulunterricht die Aufmerksamkeit zahlreicher Schulmänner auf sich. Eine vorzügliche Zusammenfassung der Literatur bis zum Jahre 1893, ™tt vielen neuen Gesichtspunkten, gibt C. Matzdorff (,,Über lebende Anschauungsmittel im natur- wissenschaftlichen Unterricht", Programm des Lessinggymna- siums 1893 Nr. 62). Er bespricht die Bedeutung der E.Nkur- sionen und der Schulgärten für den Unterricht und gibt Rat- schläge, wie man den Schwierigkeiten, mit denen der Lehrer in der Großstadt zu kämpfen hat, entgegentritt, wie weit lebende Objekte im Schulzimmer vorgezeigt werden können usw. Zum ersten Male finden wir bei ihm auch mit Nach- druck hervorgehoben, wie wichtig Exkursionen für den Stu- dierenden auf der Universität sind (a. a. O. S. 1 1 , man vgl. auch Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 5 S. 808 (f.). -Als sehr bedeutenden Fortschritt muß man die erste Ausgabe von O. Schmeil's Lehrbuch der Zoologie (Stuttgart 1898 — 99) be- zeichnen. Da von S c h m e i 1 bei der physiologisch-ethologischen Behandlungsweise das System nicht vernachlässigt wurde, fanden seine Bücher auch bei Lehrern höherer Schulen Beifall. Bestimmungstabellen, wie sie namentlich J. L e u n i s in seinen Schulbüchern gab, fallen bei Seh m eil allerdings ganz fort und auch den ausdrücklichen Hinweis auf das Schöne und Gesetzmäßige in der organischen Welt von selten des Lehrers schätzt er weniger hoch als einige seiner Vorgänger. Es geht das namentlich aus seiner Schrift „Über die Reformbestre- bungen auf dem Gebiete des naturgeschichtlichen Unterrichts" (4. .Aufl., Stuttgart 1900, S. 41 ff.) hervor. — Auf der Natur- forscher-Versammlung in Hamburg ward im Anschluß an einen Vortrag von ¥ r. Ahlborn von zahlreichen Biologen Deutsch- lands die Forderung gestellt, daß die Biologie allgemein wieder in die Oberklassen der höheren Schulen eingeführt werde (,,Über die gegenwärtige Lage des biologischen Unter- richts an höheren Schulen", Jena 1901). Die TJiesen, welche aufgestellt wurden, wurden von zahlreichen Gebildeten und Gelehrten Deutschlands unterschrieben. Es wird in ihnen hervorgehoben, daß der biologische Unterricht die Beobach- tung schärfe, die Begrifl'sbildung übe, die Beziehungen der Oi'ganismen zueinander und zum Menschen klarlege, die Funktion der Organe am menschlichen Körper beleuchte, das 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 3 Empfinden des Schönen fördere und die Liebe zur Natur wecke. In zahlreichen Einzelheiten wird man freilich den Darlegungen der verschiedenen Redner, die das Wort er- griffen, nicht allgemein beipflichten. So hebt Chun wieder- holt hervor, daß speziell die Darwin'sche Theorie im Unterrichte nicht fehlen dürfe. Bei denen, die zugegen waren, fand er darin freilich keinen Widerspruch. Die Mehrzahl der Biologen aber scheint doch der Ansicht zu sein, daß speziell die Selektionsthcorie noch zu viele wissenschaftliche Gegner hat und daß deshalb nur der Deszendenzgedanke für die Schule reif ist (vgl. Naturw. Wochcnschr. .\. F. Bd. 2, 1902, S. 85 ff. und Biolog. Centralbl. Bd. 26, 1906, S. i ff.J. — Die Literatur der letzten Jahre finden wir außerordentlich sorgfidlig zu- sammengestellt von C. Matzdorff (in: C. Rethwisch's lahresberichten über das höhere Schulwesen), ich greife des- halb nur einzelnes heraus. — Ich selbst hob hervor — teils im Anschluß an früliere Autoren — , daß man in erster Linie das Interesse des Kindes wecken sollte und deshalb vom lebenden Tier ausgehen müsse. Dem Gedächtnis dürfe man nichts einprägen, was man nicht physiologisch-ethologisch den Kindern erklären könne und deshalb müsse der Unter- richt stets von Exkursionen ausgehen. Der Lehrer müsse überall bei dem Sciniler Sinn für das Schöne in der Natur zu wecken suchen. Das Winterhalbjahr sei in erster Linie darauf zu verwenden die Einzelbeobaclitungen in ein System zu bringen (vgl. Naturw. Wochenschr. X. F. Bd. 2, .S. 85 ff. und Bd. 3, S. 769 ff.j. — Vielfach wurde in neuerer Zeit die Ansicht vertreten, daß man beim Schulunter) icht vom Niederen zum Höheren fortschreiten solle. A. Tenckhoff will sogar mit den Protozoen beginnen (65. Jahresber. d. k. G. Theodo- rianum zu Paderborn, l88g). C. Matzdorff nennt diese Ansicht vom didaktischen Standpunkte aus eine ,, sonderbare" (Programm a. a. O. S, 24; vgl. auch K. Kraepclin, in; Monatsschr. f. höhere Schulen, Jahrg. 4, 1905, S. 33). — Auch abgesehen vom didaktischen Standpunkte birgt ein sol- cher Gang eine große Gefalir in sich. Nachdem der Des- zendenzgedanke den Unterricht beherrscht, wird der Schüler glauben, daß die höheren Tiere tatsächlich von Tieren, wie es die jetzt lebenden niederen Tiere sind, abstammen, daß der Mensch vom Affen abstamme usw. , während doch die gemeinschaftlichen Vorfahren immer von den jetzt leben- den weit verschieden waren (Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 5, S. 47). — Auf die Organismen der Heimat als geeignetsten Gegenstand des Unterrichts hatten aus didaktischen Gründen schon A. Lüben u.a. hingewiesen. Conwentz hel)t neuer- dings mit Recht hervor, daß durch das Vertrautwerden mit der heimischen Natur auch die Liebe zur Heimat mehr ge- weckt werde (,,Die Heimatkunde in der Schule", 2. Aufl., Berlin 1906). — Über den Begriff der Lebensgemeinschaft im Unterricht haben neuerdings geschrieben: K. Möbius (in: Natur u. Schule, Bd. 5, 1904, S. 289 f), C. Matzdorff (in: Zool. Jahrbüchern Suppl. 8, 1905, S. 6l7ff. mit ausgedehnten Literaturangaben) und K. Kracpelin (a. a. O. S. 31 ff.). — Über das zu erreichende Ziel des Schulunterrichts schrieb R. Hertwig (in: Natur u. Schule Bd. 3, 1904, S. 481 ff.). — Über das Plankton als Gegenstand des Unterrichts schrieb O.Zacharias (in: Arch. f. Hydrobiologien. Planktonkunde Bd. I, igo6, S. I ff.). — Über zoologische .Schulsammlungen schrieb R. v. Hanstein (in: Naturw. Rundschau Jahrg. 21, 1906, Nr. 38). — Über Schulausflüge schrieb B. Landsberg (in: Natur u. Schule Bd. 2, 1903, S. 151 ff, man vgl. auch Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 5 S. 823 fl'.). — Über die Verteilung des Stoffs auf die verschiedenen Klassen ist sehr viel geschrieben worden (vgl. z. B. F. Mühlberg, ,, Zweck und Umfang des Unterrichts in der Naturgeschichte", Leipzig 1903, B. Landsberg, in: Natur u. Schule Bd. 3, 1904, S. 548fr., A. Gutzmer, Reformvorschläge für den mathe- matischen und naturwissenschaltlichen Unterricht, Leipzig 1906 usw.). Dahl. Frl. B. in Berlin. — l) Bietet sich einem jungen Mäd- clien nach Absolvierung einer 10 klassigen höheren Mädchen- schule Gelegenheit, sich in staatlichen Instituten in der Chemie weiter auszubilden? — 2) Könnte es auf diesem Wege eine gesicherte Lebensstellung erwerben? — 3) Welche Aussichten hätte solch ein junges Mädchen im Apothekerberufe? Zu l) Nach Absolvierung einer loklassigen höheren Mädchenschule werden Sie als Hörerin an der Universität ein- geschrieben und können dort natürlich auch chemisch arbeiten. Ob Sie das Verbandsexamen ablegen dürfen, hängt von dem betreffenden Professor ab, da z. Zt. hierüber noch keine Be- stimmungen existieren. Zu 2) Eine g esicherte Lebensstellung dadurch zu er- langen, erscheint mir höchst zweifelhaft, zumal bei der Über- produktion an Chemikern. Gewisse Chemikerinnenschulcn, wo die Damen in kurzer Zeit angeblich für die Zuckerbranclie ausgebildet werden, stellen zwar die Aussichten als gut hin. Ich würde persönlich aber entschieden abraten. Zu 3) Zur Apothekerlaufbahn ist das Primanerzeugnis erforderlich. Da Sie jedenfalls des Latein ermangeln, dürfte Ihre Vorbildung nicht genügen. Grundsätzlich ist den Damen der Beruf nicht verschlossen, z. Zt. giVjt es aber nach meinen Erkundigungen nur 2 otler 3 Damen darin. Da im Apothekerberufe jetzt ziemlicher Gehilfenmangel herrscht, werden die Chefs vielleicht hier und da in kleinen Orten, nach denen sich keine männlichen Fachgenossen melden, in ihrer Not auch Damen engagieren. Lb. Herrn Prof. V. in M. — l) Literatur über Herstellung, Anwendung etc. von Thermit finden Sie nur sehr verstreut in chemischen und technischen Fachzeitschriften. Ich nenne Ihnen ,, Chemikerzeitung", ,, Zeitschrift für angewandte Chemie", ,, Stahl und Eisen", auch das Vereinsblatt des Vereins deut- scher Ingenieure. Im übrigen verweise ich auf eine dem- nächst in den Spalten der ,, Naturwissenschaftlichen Wochen- schrift" erscheinende Abhandlung über .Aluminothermische \'crfahren. 2) Die gesamte Geschichte der Chemie ist in dem bekannten Werke von H. Kopp, ,.Die Geschichte der Chemie" sehr ausführlich, dann auch von E. v. Meyer in seiner ,,(jcschichte der Chemie" behandelt. Ferner seien noch als bemerkenswert genannt: A. L a d e n b u r g, Vorträge über die Entwicklungsgeschichte der Chemie von Lavoisier bis zur Gegenwart. 1902. 3. Aufl. A. Wilhelmy, Gescliichte der Chemie im 19. Jahrhundert. 1902. H. Kopp, ,,Die Entwicklung der Chemie in der neueren Zeit". 1873. Laßwitz, ,, Geschichte der Atomistik vom Mittelalter bis Newton". Lb. Herrn Dr. T. in C. — Sehr ausführliche Zahlenangaben über Viskosität und spezifische Zähigkeit der verschiedensten Flüssigkeiten, sowie sehr eingehende Literaturangaben finden Sic in Landolt-Börnstein, Physikalisch-chemische Tabellen. Lb. Herrn E. P. in Bremen. — Über die Verwendung unge- dämpfter Schwingungen in der drahtlosen Telegraphie finden Sie Angaben z. B. in Poske's Zeitschrift für den physik. und ehem. Unterricht, 19. Jahrg. Heft 6 (November 1906), S. 380. Mehr Einzelheiten finden Sie vielleicht in der elektrotechni- schen Zeitschrift. — Über die Prinzipien der Wellentelegraphie bringen wir demnächst einen größeren Aufsatz aus der Feder von Dr. Eichhorn. Herrn H. C. in H. — Das übersandte „Brotkörbchen" ist ein Pilz : (_'yathus Olla. Inhalt: H. Kolbe: Über die Brutpillen und die Fürsorge für die Nachkommenschaft bei den Pillenkäfern. — Kleinere Mitteilungen: Zur mechanischen Erklärung der Schutzfärbung. — .'\. Pflug k: Über die Akkommodation des Auges der Taube. — Haie, Adams und Gale: Sonnenfleckenspektra. — Meyer Wildermann: Galvanische Ströme, die durch Licht hervorgerufen werden. — Mira Ceti. — Dr. Petri: .'\. van l.eeuwenhoek's Experiment die Drehung der Erde zu zeigen. — Wetter-Monatsübersicht. — Bücherbesprechungen: T. G. Schillings: Der Zauber des Elelescho. — Regles internationales de la Nomenclature botanique. — Dr. E. Gehrcke: Die Anwendung der Interferenzen. — Prof. O. Ohmann; Leitfaden der Chemie und Mineralogie. — W. Miller: Instrumentenkunde für Forschungsreisende. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lip]iert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge VI. Band; der ganzen Reihe XXII. Band. Sonntag, den 27. Januar 1907. Nr. 4. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen f- und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der '»^ Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate : Die zweigespallene Kolonclzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. Die moderne drahtlose Telegraphie. Nach einem Demonstrationsvortrag [Nachdruck verboten.! ^°° Dr. phil. Meine Damen und Herren ! Ich habe die Ehre, heute vor Ihnen über einen Gegenstand zu sprechen, der durch seine glänzende und rapide Entwicklung anhaltend das öffentliche Interesse wachhält, näm- lich über die moderne drahtlose Telegraphie ver- mittels elektrischer Wellen. Die langjährigen, praktischen Erfahrungen, welche ich als Leiter der großen Ostseeversuchsstationen für Professer Braun-Siemens und Halske erwarb, haben mich besonders intim mit dem neuen Ver- kehrsmittel, ja wir dürfen wohl sagen — Kultur- mittel — vertraut werden lassen, so daß ich Ihnen aus eigener Anschauung berichten kann. Die Grundzüge der drahtlosen Telegraphie lassen sich am anschaulichsten an Hand einer Skizze ihres historischen Entwicklungsganges ver- folgen. Den meisten ist bereits bekannt, daß die drahtlose Telegraphie mit Hertz'schen Wellen ope- riert, d. h. daß die Arbeiten eines der größten Physiker aller Zeiten, nämlich die klassischen Unter- suchungen von Professor Heinrich Hertz über die .Ausbreitung der elektrischen Kraft das Fundament bilden, auf dem in praxi aufgebaut worden ist. Hertz verifizierte experimentell eine geniale Theo- rie der großen englischen Forscher Farad ay G. Eichhorn. und Maxwell, die sogenannte elektromagnetische Lichttheorie, welche in einheitlicher Weise alle Strahlungserscheinungen umfaßt. Dieselbe sagt kurz folgendes aus : Strahlen des Lichts, strahlende Wärme, Strahlen elektrischer Kraft müssen quali- tativ durchaus gleichartige Phänomene sein, sämt- lich beruhend auf elektro-magnetischen Oszilla- tionen in dem alles durchdringenden Weltäther, in dem sie sich mit der gleichen, enormen, aber endlichen Geschwindigkeit von 300000 km in der .Sekunde ausbreiten. Der Unterschied der diffe- renten Erscheinungsformen liegt nur in der Ver- schiedenheit der Wellenlängen begründet. Für die sehr schnellen Lichtschwingungen mit entsprechend kleinen Wellenlängen von nur einigen zehntausend- stel Millimeter hat der menschliche Körper ein Organ zur direkten Wahrnehmung, nämlich das Auge. Für den Nachweis der großen elektrischen Wellen bis zu Hunderten und Tausenden von Metern Länge, wie solche in 'der drahtlosen Tele- graphie verwendet werden, ist man auf indirekte Methoden, nämlich auf die Benutzung von In- strumenten angewiesen. Hertz erbrachte Mitte der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts den der Theorie damals noch 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 4 fehlenden Beweis, indem er auch mit elektrischen Wellen von einigen Metern Länge die sämtlichen in der Optik wohlbekannten Experimente der Re- flexion, Brechung, Beugung und Polarisation aus- führte, sowie die enorme Fortpflanzungsgeschwindig- keit direkt maß. — Die Methode von Hertz basierte aber auf der Verwendung so delikater Hilfsmittel, daß die neue Entdeckung zunächst von selbst in den Grenzen des physikalischen Laboratoriums festgehalten wurde. — Hertz selbst hat, wie aus Äußerungen von ihm hervorgeht, nicht im ent- ferntesten daran gedacht, daß dieses neue Geistes- kind sich jemals auf die dornenvollen Pfade der rauhen Außenwelt hinauswagen dürfte. Es fehlte hauptsächlich ein praktisch einfacher Indikator für elektrische Wellen, der auch von Laien leicht zu handhaben gewesen wäre. Diesem Ubelstande wurde im Jahre 1890 abgeholfen durch eine Entdeckung des Franzosen Branly. Branly fand, daß fein zerteiltes Metall, also mehr oder weniger grobes Metallpulver, in einen schwachen elektrischen Strom eingeschaltet, dem Mießen desselben einen unüber- windlichen Widerstand entgegensetzt. Wird nun aber das Metallpulver elektrisch bestrahlt, so sinkt der Widerstand sofort auf einen relativ kleinen Wert; der Strom kann fließen, und man hat so ein Reagens, einen Indikator für das Vorhanden- sein elektrischer Wellen im Räume. Aus dieser Entdeckung ist die Seele der drahtlosen Tele- graphie hervorgegangen, nämlich der Kohärer, auf den später noch näher eingegangen wird. Erst fünf Jahre später, 1895, gibt Professor Popoff von der Militärakademie in Kronstadt eine Vorrichtung bekannt, mit welcher er luftelektrische Entladungen automatisch registrierte und zwar eben vermittels eines Kohärers, der mit dem einen Pol an einen Blitzableiter, mit dem anderen Pol an Erde gelegt war. Zum Aufschreiben der luftelek- trischen Impulse war der Kohärer mit einem Relais- Morse-Schreiber und Klopfer elektrisch geschaltet. Im Prinzip die gleichen .Anordnungen als Empfänger und einen Hertz'schen Oszillator als Sender ver- wendete dann endlich im Jahre 1896 Marconi, und zwar geschah es diesmal mit der bewußten Absicht, eine Telegraphie ohne metallische Leiter auszubilden. Man kann nicht genug die zielbewußte unermüdliche Ausdauer und experimentale Ge- schicklichkeit Marconi's bewundern, aber die histo- rischen Tatsachen beweisen, daß es absolut ver- fehlt ist, ihn als den Erfinder der drahtlosen Tele- graphie zu bezeichnen. Auf die Ehre dieses Titels hätte einzig und allein Professor Hertz Anspruch. Marconi, der nur das Bekannte praktisch aus- gestaltet hat, begann seine Versuche zunächst auf dem Landgute seines Vaters bei Bologna. Später tatkräftig unterstützt von dem verdienstvollen Chef des englischen Telegraphenwesens, Sir William Preece, konnte er seine Arbeiten in immer größerem Stile in England fortführen, so daß Mar- coni schließlich tatsächlich als erster über viele Kilometer drahtlos telegraphiert hat. — Allein bei 25 — 30 km schien die Grenze gesteckt zu sein. über die Marconi mit seinen Anordnungen nicht hinauskam. In Deutschland leisteten Professor Slaby, der den Versuchen Marconi's in England beigewohnt hatte, in Gemeinschaft mit Ingenieur Graf Arco sehr wertvolle Pionierdienste aber sie förderten keine prinzipiell neuen Momente zutage. Hier setzen nun die Arbeiten von Professor Braun (Straßburg) ein und seinem klaren, streng wissenschaftlichen Vorgehen sind allein die enormen Fortschritte der jüngsten Zeit zu danken. Auf der von Professor Braun durch Einführung seiner so- genannten gekoppelten Systeme neugeschaffenen Basis wird heute in der ganzen Welt, auch von Marconi, die moderne drahtlose Telegraphie aus- geübt. — Das ist in großen Zügen eine Übersicht des interessanten Gebietes. Beim Eingehen auf Einzelheiten ergibt sich zunächst die Frage: Wie erzeugt man überhaupt schnelle elektromagnetische Schwingungen, wie sie für die drahtlose Tele- graphie erforderlich sind, und auf welchem Mecha- nismus beruhen solche? Wenn man ein Pendel aus der Ruhelage hebt und dann losläßt, so schwingt es hin und her und zwar für alle Ewigkeit, wenn nicht Reibungen an der Luft und an der Aufhängestelle zu überwinden wären, welche die Energie allmählich verzehren. Wohl jeder wird sich schon Rechenschaft gegeben haben von der unaufhörlich stattfindenden Ver- wandlung der Energieform. Geht die Pendellinse durch den tiefsten Punkt, so hat man maximale Bewegung, d. h. die Energie nur in kinetischer Form. Über diesen Punkt hinaus nimmt die Ge- schwindigkeit allmählich ab, bis sie in der höchsten Lage der Pendellinse Null geworden ist. Die Energie an sich ist natürlich unverändert; aber sie hat eine andere Form angenommen, nämlich die Energie der erhöhten Lage oder wie man sagt, die poten- tielle Energieform. Dieses gleiche Phänomen beobachtet man auch an den wohlbekannten Schallschwingungen. Es ist bekannt, daß die Schallwellen in der Luft ihren .Sitz haben, und aus einer regelmäßigen Aufein- anderfolge von Verdichtung's- und Verdünnungs- stößen derselben bestehen. Die Luftteilchen pen- deln dabei hin und her, und man erkennt, wie an jeder Stelle eine periodisch wechselnde Bewegung (kinetische Energieform) verbunden mit einem periodisch wechselnden Druck (potentielle Energie- form) herrscht. Bei den Schallwellen ist die Be- wegungsrichtung der Teilchen und die Fortpflan- zungsrichtung der Energie die gleiche. Solche Schwingungen nennt man longitudinale Schwin- gungen. Bei den elektrischen Wellen hat man es aber nicht mit solchen, sondern mit Transversal-Schwin- gungen zu tun, für welche zwar auch prinzipiell gleiche Gesetze gelten, die aber wiederum ihre Eigentümlichkeiten haben. Transversal-Schwingungen sind nur möglich in einem Medium, in dem alle Teilchen mit elastischen Kräften aufeinander wirken. Wird ein Teilchen N. V. VI Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 51 aus seiner Ruhelage verschoben und dann los- gelassen, so vollführt es Schwingungen um seine Gleichgewichtslage, und sukzessive werden nun auch alle folgenden Teilchen zu gleichen Schwin- gungen angeregt. So pflanzt sich also hier die Energie in der Richtung der Verbindungslinie der Teilchen fort, während diese selbst senkrecht dazu Schwingungen um die Ruhelage vollführen. In der Zeit ( 1 ), in welcher ein Teilchen eine voll- standige Schwingung vollführt, hat sich die Be- wegung um eine ganz bestimmte Strecke fort- gepflanzt; diese Strecke nennen wir eine Wellen- länge (A). In der Zeiteinheit würde sich also die Bewegung fortgepflanzt haben um eine Strecke, gleich dem Quotienten aus Wellenlänge und Schwin- gungszeit. Dieser Quotient ist aber gleich der Fortpflanzungsgeschwindigkeit (V), welche man ja als den Weg in der Zeiteinheit definiert. Aus dieser Relation ergibt sich, daß die Wellenlänge gleich ist dem Produkt aus Schwingungsdauer und Fortpflanzungsgeschwindigkeit. Sind also die beiden letzteren Größen bekannt, so läßt sich die Wellen- länge berechnen, und das ist auch für die draht- lose Telegraphie von grundlegender Bedeutung. (> =V; ;. = T.V.) Hat man es nun wirklich auch im Weltäther, in dem sich ja die elektromagnetischen Phäno- mene abspielen sollen, mit wellenartigen Vorgängen zu tun, so kann dies wieder nichts anderes sein, als ein periodisch wechselnder Druck, beziehungs- weise eine Spannung, verbunden mit einer peri- odisch wechselnden Bewegung. So ist es in der Tat, und man nennt den Zustand der Spannung, die eine bestimmte Größe und Richtung hat, und deshalb durch die sogenannten elektrischen Spannungs- kurven dargestellt werden kann, den elektrischen Zustand, während man den Zustand der Bewegung als den magnetischen Zustand bezeichnet. Hinsichtlich des magnetischen Zustandes, auf den es wesentlich in der drahtlosen Telegraphie ankommt, sei an einen bekannten Versuch (Fig. i) erinnert. Ein langer, stromführender Draht ist durch eine Papierfläche hindurchgesteckt, aufweiche man Eisenfeilspäne geschüttet hat. Durch Klopfen hilft man nach, daß die Reibung überwunden wer- den kann, und nun sieht man die eigentümliche Erscheinung, daß sich die Feilspäne in konzen- trischen Ringen um den stromführenden Leiter gruppieren. Diese Ringe bilden die sogenannten magnetischen Kraftlinien. Man scheint es da mit einer Art Rotation oder Torsion diskreter Ätherteilchen zu tun zu haben, und die magnetische Kraftlinie entpuppt sich als nichts anderes als die Achse, um welche diese Rotationen stattfinden. Man schaut bei einem solchen Magnetfeld gleichsam in das Getriebe eines ungeheuren Räderwerkes, das im Äther seinen Sitz hat. Wird durch Hemmungen oder Beschleuni- gungen die Rotation eine ungleichmäßige, so muß sich dies durch Spannungen kundgeben. Analog nun, wie bei den Schallwellen aus den Beziehungen von Druck respektive Spannung und Bewegung, so kaiui man hier aus den Beziehungen des elek- trischen und magnetischen Zustandes die Gesetze eines periodisch wechselnden Ätherzustandes her- leiten. Diese beiden zusammengehörigen Phäno- mene erzeugen das, was man eine elektromagne- tische Schwingung, eine elektromagnetische Welle nennt. Rein rechnerisch läßt sich so ermitteln, was schon als von Hertz experimentell gefunden erwähnt war, daß sich nämlich ein solches elektro- magnetisches Wechselfeld mit Lichtgeschwindig- keit, d. h. mit 300000 km per Sekunde, ausbreitet. Wie man nun elektrische Schwingungen er- zeugte, das war in der Physik längst vor Hertz bekannt. Helm hol tz sprach sich bereits im Jahre 1847 bestimmt dahin aus, daß wir es bei der Entladung einer Leydener Flasche durch einen kurzen Schließungsbügel mit einem Hin- und Her- wallen der Elektrizität zwischen dem inneren und äußeren Belag der Flasche zu tun haben müßten. Die Entladung einer solchen Leydener Flasche ist ja wohl allgemein bekannt. Der glänzende Funke, welcher dabei auftritt, ist also nach der eben ent- wickelten Anschauung nicht der einmalige Aus- gleich der positiven und negativen Elektrizität der beiden Flaschenbeläge, sondern er bildet vielmehr einen Teil der Strombahn, auf der die Elektrizität hin und her pendelt. Fig. I. Es sei zur Analogie auf das Verhalten einer bewegten Flüssigkeit in einer U-förmigen Röhre hingewiesen. Hebt man die Flüssigkeit auf der einen Seite, und erzeugt so einen gewissen Druck oder Spannungszustand (entsprechend dem Span- nungszustand der geladenen Leydener Flasche vor der Entladung), und läßt man dann die Flüssigkeits- säule fallen (entsprechend dem Moment des Ein- setzens des elektrischen Entladungsfunkens), so zeigt sich, daß dieselbe nicht gerade bis zur Ruhelage zurücksinkt, sondern über dieselbe hinausschießt, hin und her pendelt, bis erst allmählich die Gleich- gewichtslage wieder erreicht wird und zwar wie Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 4 beim Pendel infolge von Energieverlusten. Ganz analog pendelt also auch die Elektrizität in dem Leydener F"laschenkreis auf und nieder. Vollständig aufgeklärt wurde aber der elek- trische Sachverhalt erst rein theoretisch und zwar durch Sir William Thomson in England und Gustav Kirch off in Deutschland. Es ergab sich da, daß vor allem eine ganz be- stimmte Bedingung erfüllt werden muß, wenn über- haupt Oszillationen möglich sein sollen. Es muß nämlich der Widerstand der Entladungsbahn sehr niedrig gehalten sein, jedenfalls darf er eine be- stimmte Grenze nicht überschreiten, die gegeben ist durch folgende sehr einfache Beziehung. Es muß der Widerstand kleiner sein als die doppelte Quadratwurzel aus dem Quotienten von zwei Größen, die man mit L (Zähler des Quotienten) und C (Nenner) bezeichnet I W < 2 /¥)■ Es losen Telegraphie die Schwingungsdauer respektive Wellenlänge ffeststellt. Es ist nämlich die Schwingungsdauer (T) pro- portional dem geometrischen Mittel von L und C. T ^ 2 7i| LC; 7r = 3,i4i59 ist ohne weiteres einzusehen, daß man diese Größen in einer bestimmten Maßeinheit angeben kann. Man bildet also den eben erwähnten Ausdruck und erhält so einen bestimmten Wert für den Wider- stand in Olmi ausgedrückt. Dieser Widerstands- wert bildet dann die Grenze, unterhalb welcher überhaupt nur Oszillationen möglich sind. Was die Bedeutungen dieser beiden Größen angeht, so sind dieselben ebenfalls leicht verständlich. C nennt man die elektrische ,,Capazität" und definiert sie etwa als das F"assungsvermögen einer Leydener Flasche für Elektrizität bei einer bestimmten Span- nung, analog wie das Fassungsvermögen einer ge- wöhnlichen F'lasche für eine Flüssigkeit bei einem bestimmten Druck. Die andere Größe L ist die für elektrische Schwingungen eigentlich charakte- ristische Größe; sie hängt ab von der Form des Leiters, d. h. von der Bahn, auf der sich die Elek- trizität bewegt. Mit einem recht ungeschickten Ausdruck bezeichnet man in der Wissenschaft diese Größe heute noch als ,, Selbstinduktion"; sie ist nichts anderes als eine Maßgröße für die Träg- heitswirkung des geschilderten rotatorischen Magnet- feldes. Jeder hat schon die Trägheit der Materie an sich selbst erfahren, wenn er sich in einem dahineilenden Wagen befand, dessen Geschwindig- keit oder Bewegungsrichtung plötzlich verändert wurde. Es fällt da unserem Körper gar nicht ein, diese Änderungen ä tempo mitzumachen und die Insassen des Wagens fliegen meist recht unsanft durcheinander. Eine solche Trägheit, ein solches Beharrungsvermögen zeigt auch die Elektrizität; ja, die Physiker sehen heute den Sachverhalt in einem gewissen umgekehrten Sinne an, sie sind heute vollständig überzeugt, daß die altbekannte und doch so rätselhafte Trägheit der Massen eine elektromagnetische Erscheinung ist wie die soge- nannte Selbstinduktion. Aus der Theorie ergibt sich nun noch eine weitere wichtige Beziehung, die angeführt werden muß, um zu erkennen, wie man in der draht- Kennt man also diese beiden Konstanten, und man kann sie sowohl rechnerisch als experimentell sehr genau ermitteln, so erhält man den Wert für die Schwingungsdauer, welchen man nun nur noch mit dem Wert der großen Fortpflanzungsgeschwin- digkeit zu multiplizieren braucht, um die Wellen- länge zu kennen. Ergäbe sich beispielsweise die Schwingungsdauer zu einer millionstel Sekunde, dann beträgt die Wellenlänge 300 Meter. Das ist so eine der in der drahtlosen Telegraphie ge- bräuchlichsten Wellenlängen. So ergibt sich also, daß die auf den ersten Blick etwas geheimnisvoll anmutende Manipulation, die Länge der unsicht- baren Wellen zu ermitteln, in Wirklichkeit nichts weniger wie Hexerei ist. Die Schwingungen eines Leidener Flaschen- kreises kann man auf verschiedene Weise kon- statieren. Eine einfache Methode für den Physiker be- steht darin, den zeitlichen Verlauf der Spannungen während der Entladungen zu verfolgen. Verfasser hat vor Jahren an der Universität für sich viele solcher Aufnahmen gemacht und zwar mittels des sogenannten Helmholtz-Pendels , respektive eines Fig. 2. verbesserten Modells, welches nach den Angaben seines hochverehrten Lehrers , Herrn Professor Kleiner, hergestellt war. Auf einer horizontalen Geraden (Fig. 2) sind kleine Zeitteilchen markiert, wie sie durch das Helmholtz-Pendel messend ver- folgt werden, während auf Senkrechten die zuge- hörigen Spannungen aufgetragen sind. Man er- kennt den oszillierenden Verlauf derselben. Hier soll gleich auf etwas aufmerksam gemacht werden. Es kann nämlich die Ruhelage entweder erst nach einer größeren Anzahl von Schwingungen erreicht werden , wie es bei dieser Aufnahme der Fall war, oder schon nach einer sehr kleinen Anzahl oft von nur i bis 2 Schwingungen. Im ersten Pralle spricht man von einer schwach gedämpften, im letzteren Falle von einer stark gedämpften Welle, und das ist ein sehr wichtiger Punkt für den Praktiker in der drahtlosen Telegraphie. Die oszillatorische P^ntladung eines Leydener Flaschenkreises gibt aber noch nicht so ohne weiteres die Möglichkeit, drahtlos zu telegraphieren. N. F. VI. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 53 Der Grund ist leicht einzusehen, wenn man die Wirkung einer lose in der Hand gehaltenen Stimm- gabel etwas näher ins Auge faßt. Beim .-Xnschlagen nehmen die Zinken sehr viel Energie auf; trotz- dem muß man die Gabel schon sehr nahe ans Ohr bringen, um nur einen äußerst schwachen Ton wahrzunehmen. Es liegt dies daran, daß die Zinken in jedem Moment gegeneinander schwingen, weshalb die Wirkung nach außen aufgehoben wird. Analog verhält es sich mit dem elektrischen Schwingungskreis. Für jeden Punkt desselben gibt es einen symmetrisch gelegenen Punkt, durch den die gleiche Elektrizitätsmenge zu gleicher Zeit nach entgegengesetzter Richtung fließt. Eine Wirkung nach außen kann also auch hier nicht vorhanden sein. Die Energie muß aber an die Umgebung ab- gegeben werden, wenn sie an entfernten Stellen im Räume zur Wirkung gebracht werden soll, und gerade das leisten die spezifischen Anordnungen von Hertz, die kurz aus folgendem bestehen. Die Sekundärpole eines in bekannter Weise be- tätigten Induktoriums verbindet man mit einem Draht, der durch eine I'unkenstrecke unterbrochen ist. An beiden Seiten kann man zur Vergröße- rung der Kapazität des Systems metallische Platten anhängen, doch ist dies nicht unbedingt erforder- lich. Sobald der Entladungsfunke in der Funken- strecke auftritt, wallt wieder die Elektrizität in der beschriebenen Weise hin und her. Was nun aber während des zeitlichen Verlaufs des Schwingungs- phänomens hier geschieht, das zeigt die folgende Figur 3. Man erblickt die beiden Kugeln der Fig. 3- Funkenstrecke, welche durch die Elektrizitätsquelle entgegengesetztes Vorzeichen haben. Es bilden sich die früher angedeuteten elektrischen Spannungs- kurven , welche sich immer weiter ausbreiten. Jetzt wird plötzlich die Elektrizitätsquelle für einen Moment abgeschaltet. Was geschieht ^ Das elek- trische F"eld in direkter Nähe der Kugeln ver- schwindet, nicht so aber die Feldlinien, welche sich schon ziemlich weit vom Leiter entfernt haben. Der geschilderte elektromagnetische Mechanismus des Äthers ist in Betrieb und kann nicht einfach überall wie durch einen Ruck zum Stillstand ge- bracht werden. Die am weitesten entfernten F'eld- linien breiten sich deshalb weiter aus, und sie können dies nur so tun, daß sie sich als geschlossene Spannungskurven abschnüren. Die ursprüngliche Energie wird so vermindert um die Energie der abgeschnürten Teile, und diese ist nichts anderes als die Energie der Strahlung, die mit Lichtge- schwindigkeit den Raum durchsetzt. Denkt man sich den Vorgang gleichzeitig nach allen Rich- tungen stattfindend, so gelangt man zu der Vor- stellung, daß die elektrischen Druckspannungen sich in Kugelschalen, d. h. nach allen Seiten gleich- förmig ausbreiten. Marconi's Anordnungen waren nun schließ- lich die folgenden : Ein Draht wurde hoch in die Luft geführt (Luftdraht oder Antenne) und unten mit dem einen Pol einer Funkenstrecke ver- bunden, deren anderer Pol in Verbindung mit der Erde gebracht wurde. Das System wird wieder geladen von den Sekundärpolen eines Induktors aus. Eine vergleichende Betrachtung läßt nun ohne weiteres erkennen, daß diese Marconi'sche Anordnung vollständig identisch ist mit einem senkrecht gestellten Hertz'schen Oszillator, dessen eine Hälfte durch den Luftdraht, dessen andere Hälfte durch die Erdverbindung ersetzt ist. Mar- co n i selbst hatte zwar andere, irrtümliche Vor- stellungen darüber, und diese haben lange Zeit die Entwicklung gehemmt, bis der Sachverhalt durch deutsche Professoren wieder klargestellt wurde. Der eigentliche Grund aber, weshalb Marconi mit seinem Sender nicht über etwa 25 — 30 km telegraphieren konnte, ergibt sich aus einer einfachen Betrachtung der Energieverhält- nisse. Die zu entwickelnde Energie hängt ab von zwei Faktoren, nämlich von der Kapazität und der Spannung. Die elektrische Kapazität eines solchen einfachen Drahtes ist sehr gering, und es sind uns auch zur Vergrößerung derselben sowohl aus theo- retischen wie praktischen Gründen enge Grenzen gezogen. Was die Spannung angeht, so wächst solche allerdings mit größer werdenden Funken- strecken; allein gleichzeitig wächst auch deren Widerstand, der aber bekanntlich möglichst niedrig gehalten werden soll. Also auch mit diesem zweiten Energiefaktor kann man nicht nach Belieben ope- rieren. Hieraus ergibt sich, daß in einem solchen einfachen Marconi-Sender nur wenig Energie vor- handen ist, und dieses Wenige wird sofort aus- gestrahlt. Wir haben es hier mit energieschwachen und stark gedämpften Schwingungen zu tun, quasi mit schwachen kurzen elektrischen Tonstößen, die nicht in große Entfernungen dringen können. Ehe über die weitere Ausbildung des Senders zu berichten ist, soll auch noch das Schema der ursprünglichen Empfangsanordnungen Marconi's kurz angedeutet werden. Da ist zunächst der wesentlichste Bestandteil, der Kohärer. Zwischen 54 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 4 zwei Metallelektroden befindet sich in einem kleinen Zwischenraum das Metallpulver. Das Ganze ist in ein isolierendes Röhrchen aus Glas oder Ebonit eingeschlossen und liegt (mit den Elektroden metal- lisch angeschlossen) in einem schwachen, elek- trischen Stromkreis. Obwohl also anscheinend eine vollständig geschlossene metallische Bahn vorhanden ist, fließt dennoch kein Strom. Es liegt dies daran, daß fein zerteiltes Metall stets an der Oberfläche oxydiert ist, und das Oxyd unterbricht den Strom. Wird nun aber das Metallpulver elektrisch bestrahlt (es genügt z. ß., wenn in der Nähe des Kohärers ein elektrischer Funke erregt wird), so geht eine Veränderung vor. Die Metallteilchen geraten in einen besseren metallischen Zusammenhang, wahr- scheinlich durch mikroskopisch kleine Fünkchen, die zwischen ihnen übergehen, es bildet sich ge- wissermaßen eine metallische Brücke, und der Strom fließt. Dadurch betätigt sich nun in der üblichen Weise, wie bei der gewöhnlichen Tele- graphie, ein Relais, welches einen stärkeren Strom- kreis anschließt, und in diesem liegt ein Morse- schreiber. Wird also der Kohärer erregt, so be- ginnt der Morse zu schreiben, aber er hört auch nicht wieder auf zu schreiben, d. h. es erscheint auf dem Morsepapierstreifen ein kontinuierlicher Strich. Hiermit ist uns aber nicht gedient, viel- mehr soll der Kohärer resp. der Morse immer wieder neue Impulse und diese in ihrer zeitlichen Dauer registrieren. Um dies zu erreichen, ist parallel zum Morse ein Klopfer geschaltet, d. h. eine Vorrichtung wie bei jeder elektrischen Klingel. Dieser Klopfer wird mit dem Morse gleichzeitig erregt und erschüttert sanft den Kohärer. Die Metallteilchen des letzteren fallen auseinander, die Brücke ist zerstört und so der ursprüngliche Zu- stand wieder hergestellt, in welchem der Kohärer für neue Bestrahlung empfänglich ist. Jetzt hat man folgenden Vorgang: Für einen kurzen elek- trischen Impuls erhält man auf dem Morse einen Punkt, für eine länger anhaltende Bestrahlung eine zusammenhängende Reihe von Punkten, d. h. einen Strich. So können wir also auch drahtlos nach dem Morsealphabet telegraphieren, welches ja be- kanntlich ein Kombinationssystem aus Punkten und Strichen ist. Noch ein Wort über die Empfindlichkeit des Kohärers. Der Kohärer ist häufig als das elek- trische Auge bezeichnet worden. Das darf man jedoch nur in übertragenem Sinne auffassen, denn seine Funktion und diejenige unseres Sehorgans haben nicht das mindeste miteinander zu tun. Und was die Empfindlichkeit angeht, so übertrifft die- jenige des Kohärers noch solche unserer aller- delikatesten Galvanometer; im Vergleich dazu ist unser Auge ein ganz grober Apparat. Es erübrigt noch zu bemerken, daß der Kohärer mit seinem einen Pol mit dem Luftdraht, mit dem anderen Pol mit der Erde verbunden wurde. Kehren wir nunmehr zum Sender zurück. Als vorhin auf das Experiment mit der lose gehaltenen Stimmgabel hingewiesen wurde, hat ohne Zweifel mancher den Gedanken gehabt, ja warum setzt man denn nicht einfach die Stimmgabel auf einen Resonanzboden? Die Betreffenden würden in der Tat die moderne drahtlose Telegraphie im Prinzip erfunden haben, und es erscheint auch alles sehr leicht, wenn man nachher den Entwicklungsgang überschaut. Aber meistens gibt es vorher, wenn die Einsicht noch nicht allgemein gereift ist, nur einen einzigen, der den Augenblick ergreift, und das ist der rechte Mann. Dieser rechte Mann war eben Professor Braun. Er sagte sich: Wir haben ja in dem geschlossenen Kreis einer Leydener F"lasche oder eines Systems von Leydener Flaschen die beste Möglichkeit, lang anhaltende Schwin- gungen zu erzeugen und große Energiemengen wie in einem Energiereservoir aufzuspeichern. Damit die Energie auch ausgestrahlt werde, müssen wir diesen geschlossenen Kreis dann mit einem offenen Hertz'schen Oszillator koppeln. Betrachten wir noch einmal die akustischen Vorgänge. Lose in der Hand gehalten, gibt die Stimmgabel fast keinen Ton ab; sie tönt jedoch sofort, wenn man sie auf eine beliebige Unterlage, z. B. auf einen Tisch aufsetzt; allein das Maximum der Tonabgabe erzielt man erst dann, wenn diese Unterlage, dieser Resonanzboden genau den gleichen Eigenton hat wie die Stimmgabel. Der Stimmgabel entspricht der geschlossene Schwingungskreis, dem Resonanz- boden der Luftdraht. Damit letzterer in voll- kommener Resonanz zum Schwingungskreis sei, muß er eben eine ganz bestimmte Eigenschwingung und deshalb eine ganz bestimmte Länge haben. Selbstredend wird in diesem Falle vollkom- mener Resonanz die Energie am schnellsten ab- gegeben ; aber es macht uns keine Schwierigkeit, dieselbe nach Bedarf nachzuliefern. So entstanden Braun's gekoppelte Systeme. Braun unter- schied dabei zwischen einer direkten und indirekten oder induktiven Schaltung. Im ersten Falle sind die Ansätze des offenen Systems direkt metallisch, d. h. galvanisch an den primären Kreis ange- schlossen ; im zweiten Falle wird das offene System induktiv erregt wie in einem Transformator. Prin- zipiell existiert übrigens kein Unterschied zwischen beiden Schaltungen, und mathematisch läßt sich die eine aus der anderen ableiten. Marconi benutzt für den einen Ansatz des offenen Systems eine möglichst gute P>dverbin- dung. Abgesehen davon, daß dadurch ganz un- nötigerweise die atmosphärischen Entladungen ein- geführt werden, entspricht dies auch nicht den besten theoretischen Erfordernissen. Dieser zweite Ansatz d. h. dieses den Luftdraht gewissermaßen ausbalanzierende elektrische Gegengewicht muß vielmehr, wie die Theorie zeigt, eine ganz be- stimmte Oberfläche haben. Man benutzt deshalb am besten zu dem Zwecke große, gegen Erde isolierte Metallflächen. Über die Schwingungsvorgänge in diesen ge- koppelten Systemen, sowie über viele andere wich- tige Einzelheiten begannen jetzt erst die schwie- rigen Arbeiten der theoretischen Physiker, unter N. 1'. \'I. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 55 denen an erster Stelle Professor M. VV i e n (Danzig) und Professor P.Drude (Berlin) zu nennen sind. Ks würde über den Rahmen dieses populären .Aufsatzes hinausgehen, wenn darüber berichtet werden sollte ; doch sei wenigstens auf einen wich- tigen Gesichtspunkt hingewiesen, der sich auf die Koppelung bezieht. Man denke sich zwei Pendel, die mit einem horizontal ausgespannten elastischen Draht starr verbunden sind. Da zeigt sich nun ein ganz wesentlicher Unterschied, ob die Pendel nahe beieinander sind, d. h. daß der elastische Zu- sammenhang ein sehr fester ist, oder ob sie weiter voneinander hängen d. h. daß der elastische Zu- sammenhang ein sehr loser ist. Regt man im ersteren Falle das eine Pendel zu Schwingungen an, so gerät auch fast augefiblicklich das zweite Pendel in Bewegung; das ganze System kommt schnell nach ein paar heftigen Schwingungen zur Ruhe. Ganz anders ist die Wirkung im zweiten Falle; jetzt macht das zweite Pendel zwar nur sehr schwache aber lange anhaltende Schwingungen. Die beiden P'älle repräsentieren uns die feste und die lose Koppelung. Ganz analog wie diese sym- pathischen Pendel verhalten sich nun auch die gekoppelten elektrischen Systeme, bei denen man nur einen einzigen bestimmten Empfänger, nämlich einen solchen, der auf genau den gleichen Eigen- ton gestimmt ist, alle anderen bleiben stumm. Es sei hier hingewiesen auf zwei bekannte Versuche der akustischen und der elektrischen Resonanz, im ersteren Falle zwei abgestimmte Stimmgabeln auf Resonanzböden, im zweiten F'alle zwei Leydener Flaschenkreise (Lodge- Flaschen) (Fig. 4), die sich durch Verschiebung des Drahtes B genau aufein- ander abgleichen lassen. F l o Fig. Fig. S- die zwischen ihnen wirkenden Kräfte ruhig als solche elastischen Zusammenhänge ansprechen kann. Macht man die Koppelung ziemlich fest, so wird die Energie des primären Kreises fast augenblick- lich auf den Luftdraht übertragen und von diesem sofort ausgestrahlt. Der Effekt ist derjenige einer gewaltigen Explosion. Wir operieren da mit Leistungen bis zu Hunderten und Tausenden von Pferdekräften, so daß es gar nicht so wunderbar i"t, daß wir selbst über den Ozean elektrisch hin- übc: donnern. Diese Kanonenschüsse haben aber einen c;'oßen Nachteil, sie erregen nämlich jeden beliebigen Empfänger. Ganz anders verhält es sich bei der losen Koppelung. Jetzt wird die potentielle Energie des primären Kreide i nur sukzessive, gewissermaßen löft'ehveise auf den Luftdraht übertragen, und wir sorgen noch in besonderer Weise dafür, daß sie von ihm nur langsam ausgestrahlt wird. Jetzt er- zeugen wir einen zwar nur schwachen, aber lange anhaltenden Ton, und wir können ein wichtiges Problem damit lösen, nämlich das der Abstimmung. Der reine, schwache, lang hinhallende Ton erregt Nur dem einen System wird mechanische, be- ziehungsweise elektrische Energie zugeführt, und trotzdem gerät auch das neutrale zweite System in heftige Pulsationen, was sich bei der resonieren- den Stimmgabel durch lautes Tönen, bei dem resonierenden Leydener Flaschenkreis durch heftige elektrische Funkenbildung zu erkennen gibt. Be- dingung für diese interessante Erscheinung ist der absolute Isochronismus der Schwingungen der sich beeinflussenden Systeme. Verstimmt man nämlich nunmehr das eine gegen das andere, so bemerkt man, daß die Resonanzwirkung sowohl bei den akus- tischen wie bei den elektrischen Systemen ausbleibt. Ebenso wie der Sender, so wurde natürlich auch der Empfänger entsprechend den modernen Errungenschaften umgestaltet. Auch hierüber muß von weiteren Beschreibungen an dieser Stelle Ab- stand genommen werden, jedoch sei erwähnt, daß speziell der Empfänger zu einem sehr schwach gedämpften und deshalb höchst resonanzfähigen System ausgebildet werden konnte. Gegen den hoch entwickelten Empfänger steht der Sender noch weit zurück. Der hauptsächlichste Grund 56 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 4 dafür ist der, daß wir leider immer noch im pri- mären Kreis des Senders die leidige Funkenstrecke nicht entbehren können, welche viel Energie kon- sumiert und die Schwingungen stark dämpft. Was man trotzdem in punkto Abstimmung durch Anwendung von loser Koppelung erreichen kann, das soll nunmehr durch Vorführung der Modelle für drahtlose Telegraphie, welche typisch für unsere modernen Anordnungen sind (Fig. 5), gezeigt werden. (Es wurde nun im Vortrag mit je zwei Sen- dern und zwei Empfängern die Ausbildung der Ab- stimmung und vermittels derselben die drahtlose Mehrfachtelegraphie experimentell demonstriert. Die zwei Sender gaben gleichzeitig eine Anzahl unter sich verschiedener Telegramme und jeder der beiden Empfänger klapperte ganz unbeeinflußt nur das für ihn bestimmte Telegramm herunter. Die Morsestreifen zeigten keinen einzigen falschen Punkt oder Strich; die Selektion war eine ab- solut vollkommene. Ich füge hinzu, daß wir heute bei den großen Stationen gleichzeitig ohne Störung mit differenten Wellenlängen arbeiten können, die sich nur um einige Prozente der Schwingungszahl unterscheiden.) Es ist klar, daß die Möglichkeit einer so scharfen Abstimmung es mit sich bringt, daß man es in der Hand hat, sich auf irgendwelche wirksame Schwingungen einzustellen, d. h. daß man fremde Telegramme abfangen kann. Denn wer Ohren hat, der hört, wer Augen hat, der sieht, und wer die erforderlichen Schwingungskreise und einen Detektor für elektrische Wellen besitzt, der bringt eben diese zu seiner Wahrnehmung. Das liegt in der Wesenheit der drahtlosen Telegraphie be- gründet, ist aber ohne Zweifel ihr großer Nachteil im Vergleich zur Draht- oder Kabeltelegraphie, die nur bestimmte Punkte miteinander verknüpft. Dieser Nachteil läßt sich wesentlich dadurch ab- schwächen, daß man nicht nach dem gewöhnlichen Morsealphabet, sondern nach einem vereinbarten Code telegraphiert, wie es z. B. im russisch-japa- nischen Kriege geschah, wo die deutschen ,,Tele- funken"- Apparate eine bedeutende Rolle gespielt haben. (Schluß folgt.) Kleinere Mitteilungen. Gehirn und Kultur. — Auf Grund möglichst einwandfreier Beobachtungen konnte bewiesen wer- den, daß bei Personen, die ihre Mitmenschen durch geistige Fähigkeiten überragten, in der Regel auch das Gehirngewicht den Durchschnitt mehr oder minder übertraf Darüber, wie sich in dieser Be- ziehung die auf niedriger Kulturstufe stehenden Rassen zu den hochkultivierten Zweigen des Men- schengeschlechts verhalten, ist jedoch noch recht wenig bekannt. Es darf angenommen werden, daß allgemein einem geringeren Gehirngewicht eine niedrige Entwicklungsstufe entspricht; dies be- kräftigen die Ergebnisse von Wägungen der Ge- hirne nordamerikanischer Neger, welche Dr. Georg Buschan in seiner jüngst erschienenen Schrift „Gehirn und Kultur" *) mitteilt. Während bei den Negern (42) ein Gewicht bis 1200 g in 9,2% der Fälle, von 1200 — 1300 g in 22,6 "„, von 1300 bis 1400 g in 31,8%, von 1400 — 1500 g in 22,8 "/„ und von mehr als 1500 g nur in 13,6% der Fälle vorkam, betrug das Gehirngewicht von Europäern (448) bis 1200 g in 3,2 %, 1200—1300 g in 16,3 »'0, 1300— 1400 g in 32,3%, 1400— 1500 g in 29,0%, mehr als 1500 g in 19,9% der Fälle.-) Weitere Vergleiche sind durch Feststellungen des Schädel- binnenraumes ermöglicht , der unter normalen Umständen mit der Masse des Gehirns im Ver- hältnis steht. Werden Buschmänner und Hotten- totten, sowie Australneger, als Repräsentanten der am weitesten zurückgebliebenen Rassen ausgewählt, so führt eine Gegenüberstellung mit Europäern (Deutschen) hinsichtlich der Schädel- kapazität zu folgendem Resultate. Schädelkapazität ccm HoUentotten- Buschmännner (49) Australneger (95) Deutsche (387) bis 1200 1201 — 13CO 1301 — 1400 1401— 1500 über 1500 50i9 "io 32,6 „ 16,5 „ 45i2 % 26,3 11 23il 1, 5.4 1. 8,3 "/o '7,o „ 23,2 „ 25,1 ,. 26,4 „ Verlag von J. F. Bergmann in Wiesbaden (1906). Nach Marchand , Über das Gehirngewicht des Men- schen. Abhandl. d. math.-phys. Kl. d. k. Sachs. Ges. d.Wissensch. 1902. (Zit. bei Buschan.) Bemerkenswert ist der große Schädelbinnen- raum bei den Chinesen; er beträgt bei bloß 35,4 "j^, der von Buschan angeführten 108 Individuen bis 1400 ccm, bei 31,5 "/o MOi — 1500 ccm, bei den übrigen mehr als 1500 ccm; es wird der mehrere Jahrtausende lang, wenn auch langsamen aber doch kontinuierlich anhaltenden Züchtung der Zivilisation zugeschrieben, daß das Gehirnvolumen und dem- entsprechend auch der Schädelbinnenraum der Chinesen zugenommen haben. In ähnlicher Weise ist innerhalb einer und der- selben Rasse der Schädelbinnenraum bei gebildeten Personen und bei Städtern größer als bei unge- bildeten Leuten und bei der Landbevölkerung. Wenn die Berechnung des Binnenraumes nicht möglich ist, so ergibt der Horizontalumfang des Schädels schon ein ziemlich zuverlässiges Anzeichen für die Größe der Kapazität, die als Maßstab der intellektuellen Fähigkeiten angenommen wird; hier- bei findet Buschan, „daß Männer, welche geistig besonders hoch stehen, einen größeren Horizontal- umfang des Kopfes besitzen als die Gebildeten, und diese wiederum einen höheren als die übrige N. F. VI. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 57 Masse des X^olkes", was die WahrscheinHchkeit nahelegt, ,,daß der Kopfumfang primitiver Völker kleiner ausfallen muß als beim Europäer". Als Beispiel wird der Horizontalumfang des Kopfes bei Deutschen und bei Australnegern angegeben; es resultiert : bei den Australn. bei den Deutschen (in llorizontalumlang (201) (429) in Prozenten bis 490 min 26,9 9,2 von 491—500 mm 22,4 1 1,1 ,, 501 — 510 „ 19,9 iS,3 , 511—520 „ 12,=; 20,1 „ 521—530 „ 11,0 iS,3 „ 531—540 .. 5-0 14.4 „ 541-550 .. 1,9 S.5 „ 551—560 „ 0,4 1,8 Für die endgültige Entscheidung der Frage, ob Breit- oder Langköpfe ein größeres Gehirn be- sitzen, mangeln zureichende Grundlagen. Morselli konnte keinen Einfluß der Schädelform auf das Hirngewicht konstatieren ; Ranke fand, daß die Breitköpfe im Durchschnitt eine bedeutendere Schädelkapazität besitzen als die Langköpfe; sie betrug bei modernen Schädeln aus Bayern: Lang- köpfe 1386 ccm, Mittelköpfe 1442 ccm, Breitköpfe 1463 ccm. Auch Matiegka gelangte zu ähnlichen Ergebnissen. Buschan vertritt die Ansicht, es sei ausgeschlossen, „daß irgendwie die Rasse, insofern sie lang- oder kurzköpfig ist, bei dem Auftreten schwererer Gehirne eine ausschlaggebende Rolle spielen solle"; er neigt vielmehr zu der Annahme, daß ,, stärkere Inanspruchnahme des Gehirns eine Vermehrung seiner spezifischen Elemente zur Folge hat." Wie bei anderen Organen, die an Masse zu- nehmen, wenn an ihre Tätigkeit erhöhte Anforde- rungen gestellt werden, sei das beim Gehirn ebenso der Fall. Buschan gelangt zu dem Schluß, daß solchermaßen durch Übung vergrößerte Gehirne vererbbar sind und daß die im Laufe der Zeit statt- gefundene Zunahme des Gehirnvolumens als eine Folge der fortschreitenden Kultur zu deuten ist. Hierbei muß jedoch berücksichtigt werden, daß eine angestrengte geistige Tätigkeit meist erst in einer Lebensperiode beginnt, da das Wachstum des Gehirns nur noch unbedeutend oder aber be- reits abgeschlossen ist. Man kann hingegen Dr. L. W'oltmann zustimmen, wenn er sagt, das sub- stantielle Wachstum ist beim Gehirn „viel mehr als bei allen anderen Organen eine primäre, von der Übung unabhängige spontane Selbstgestaltung, von welcher die Funktion nicht getrennt werden kann. Eine solche physiologische Eigenart schließt auch eine Erwerbung von Eigenschaften aus".'j Wenn in einer kulturell hochdifferenzierten Ge- sellschaft die (jehirne größer sind als in einer weniger entwickelten, so ist damit keineswegs die Auffassung gerechtfertigt, die Kultur sei der ur- sächliche Faktor; sondern „dies hat seine Ursache in Keimvariationen und Auslese und darauf beruhen- der erblicher Steigerung von Gehirnvariationen. Diese Gehirne sind es, welche die Kultur schaffen und erhöhen." (Woltmann.) Interesse beansprucht Buschan's Darstellung der Zunahme der Geisteskrankheiten infolge fortschrei- tender Kultur; er vertritt einen durchaus pessi- mistischen Standpunkt und meint, „daß wir der Degeneration in die Arme getrieben werden. Einen objektiven Anhalt dafür bietet uns die stetige Zu- nahme der Geisteskrankheiten, die sich überall dort, wo sich die Segnungen der Kultur geltend machen, bald in höherem, bald in geringerem Grade bemerkbar macht." Für mehrere Staaten wird eine Statistik der Geisteskrankheiten beige- bracht, wonach von 1875 bis 1900 auf je zehn- tausend Einwohner die folgende Zahl Geisteskranker kam. England Irland Preußen ') 187s 1880 26,6 27,6 21,9 24,6 5.7 7,6 1885 1890 1895 1900 29,2 29.9 ? 33.1 29,7 34,4 46,6 10,0 11,7 14,2 16,9 Die britische Enquete über die Entartungsfrage hat wohl recht betrübende Zustände in einzelnen Bevölkerungsschichten zutage gefördert, aber sie war zugleich ein Beweis dafür, daß eine allgemeine und fortschreitendeDegeneration nicht zu befürchten steht, daß keineswegs die Kultur an sich, sondern Begleiterscheinungen, die nicht notwendig mit ihr verbunden sein müßten, für die Entartung eines Teils des Volkes verantwortlich sind.-) Fehlinger. ') Zugrundegelegt ist die Zahl der in den öffentlichen Irrenanstalten Preußens verpflegten Personen. -) Report of the Inter-Departmental Conimittee on Phy- sical Deterioration. London 1904. 3 Bände. Über die Reduktion der Augen bei einer Planarie macht E. Enslin einige höchst bemer- kenswerte Angaben in seiner Arbeit „Dendrocoe- lum cavaticum Fries." Die sorgfältige Unter- suchung des Verfassers, welche die Anatomie und Histologie des genannten Plattwurms in gleichem Maße wie seine Biologie, Verbreitung und syste- matische Stellung berücksichtigt, ist im 62. Jahres- hefte des Vereins für vaterl. Naturk. in Württem- berg ') zweifellos an gebührender Stelle abgedruckt — alljährlich bringen ja diese Hefte viel Vortreff- liches — , doch scheinen mir seine Ergebnisse über den Modus der Reduktion der Augen die Beach- tung eines noch größeren Leserkreises zu ver- dienen. Dendrocoelum cavaticum ist eine augenlose Planarie. Man darf sie jedoch nicht als völlig ') Politisch-anthrop. Revue, 5. Jahrg., S. 407. ') Stuttgart 1906, S. 306 — 360, 1 Tafel. 58 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 4 blind bezeichnen, sondern wenn schon alle Plana- rien lichtscheu sind, so ist unsere Art ein ausge- sprochenes Dunkeltier, dessen eigentlicher Wohn- ort höchstwahrscheinlich die unterirdischen Bäche des schwäbischen Jura sind. Die in der Wahl ihrer Wohnorte zum Ausdruck gelangende Licht- feindlichkeit der augenlosen Tiere erklärt sich offenbar daraus, daß bei ihnen ebenso wie bei anderen Planarien die ganze Haut lichtempfindlich sein dürfte. IVIan kennt unsere Art aus den Quellen, in welchen jene Bäche ans Tageslicht gelangen, man kennt sie ferner aus den lichtlosen Tiefen einiger Alpenseen und, wenn's wahr ist, aus einigen Brunnen in — Europa! Ihre infolge gänzlichen Pigmentmangels weiße Farbe und die Augenlosigkeit stempeln sie zu einem typischen Höhlentier, wie sie auch fast stets zusammen mit in gleicherweise charakterisierten Höhlenschnecken und -Krebsen vorkommt. Der Verfasser stellt fest, daß von den Augen bei Dendrocoelum cavaticum keine Spur zu finden ist. Er nimmt gewiß mit Recht an, daß die augenlose Form durch Rückbildung aus der ihr nahestehenden, mit Augen ausgerüsteten, häufigen Art Dendrocoelum lacteum entstanden ist, und zwar gründet sich diese Annahme auf den gelegent- lichen Fund einer höchst interessanten Z wisch en- f or m. Allerdings wollen auch schon Forel und du Plessis im Genfersee Übergänge zwischen beiden Formen gefunden haben, die durch kleinere Augen ausgezeichnet sein sollten. Aber diese ohne ge- naue Maße mitgeteilten Angaben scheinen das volle Vertrauen nicht zu verdienen, zumal nach den Ermittlungen des Verfassers die Rückbildung der Augen keineswegs durch einfaches Kleiner- werden erfolgt. Die Natur schlägt hier vielmehr einen ganz anderen, sonst noch nicht bekann- ten W e s ein. Fig. I. Schnitt durcli das Auge von Dendrocoelum lacteum (zeigt die Sinneszellen, von einem Pignientbecher umhüllt). Nach Enslin. Jeder Kenner der Planarien weiß, daß sich bei allen Arten häufig ein Nebenauge findet, das aus dem ursprünglichen durch Abspaltung ent- standen zu denken ist. Das Nebenauge besteht gleich dem Hauptauge (Fig. i) aus einer Anzahl Sinneszellen und einem umhüllenden Pigment- becher, doch ist es kleiner und die Zahl der Sinneszellen ist vermindert. Mag man diesen Teilungsvorgang als Mißbildung oder als etwas Physiologisches ansehen, sein häufiges Vorkommen gibt uns den Schlüssel zum Verständnis der vom Verfasser entdeckten Zwischenform. Bei dieser sah man nämlich mit der Lupe an- stelle der Augen eine Anzahl feinster schwarzer Pünktchen, etwa zwanzig auf jeder Seite. Im Mikrotomschnitt ließ sich unter dem Mikroskop Fig. 2. Schnitt durch das Augenareal der Z wi s c Ii e n f or m (zeigt mehrere kleine Augen I, 11, HI anstelle eines großen; e Epithel). Nach Enslin. erkennen , daß diese Pünktchen Augen sind (Fig. 2 I, II, III). An jedem sind Sinneszellen und Pigmentbecher, die integrierenden Bestandteile des Plattwurmauges, zu erkennen. Doch ist ihre Größe sehr wechselnd, ebenso ihre Entfernung vom Epithel (e). Die Zähl der Sinneszellen ist gleich- falls eine wechselnde, sie schwankt zwischen eins — dem häufigsten Falle — und vier. Die Öff- nung des Pigmentbechers wurde nicht wie bei den meisten Planarien nach vorn-außen , sondern fast stets nach hinten gerichtet gefunden. An dieser Öffnung gehen die Sinneszellen, ganz ähn- lich wie beim normalen Auge, in Nervenfasern über. Hinsichtlich ihres feineren Baues sind die Sinneszellen viel weniger differenziert als im nor- malen Auge. Übrigens sollen sich im ganzen Gebiete dieser Augen viele zerstreute Pigmentkörn- chen und Pigmentklümpchen finden. ,,Wenn wir nun versuchen, den im vorher- gehenden geschilderten Befund zu deuten, so ist es wohl zweifellos, daß wir hier ein Zwischenglied zwischen den blinden und den mit zwei höher entwickelten Augen versehenen Dendrocoelen vor uns haben." Die Teilung der Augen bei den mit normalen Augen versehenen Planarien ist ., offenbar der Hebel gewesen , an welchem bei Dendrocoelum cavaticum die Rückbildung der Augen ansetzte. Ein Auge, in welchem einmal die Tendenz zur Teilung vorhanden ist, wird sich auch leicht mehr als einmal teilen. Auf diese Weise erfolgt dann eine immer weiter gehende Isolierung der das Auge zusammensetzenden Teile, und bei dem von mir beschriebenen Tiere haben wir eine solche schon sehr weit gediehene Umformung vor uns. . . . Von hier bis zum völligen Zugrundegehen des Auges ist dann nur noch ein Schritt : und auch N. F. VI. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 59 dieser Schritt ist bei dem von mir untersucliteii Tiere schon getan. Die im Augenareal liegenden Pigmentkörner, die stellenweise noch in kleinen Haufen angeordnet sind, stellen offenbar die letzten Reste von Augen dar. Wenn sich erst das Pig- ment auflöst, so hat auch die Sehzelle ihren Wert verloren; denn bei der Planaria ist bekanntlich die ganze Oberfläche des Tieres lichtempfindlich. Eine einzelne Sehzelle hat infolgedessen nur Sinn, wenn sie von einer Pigmentzelle umgeben ist." Dr. V. Franz (Helgoland). Opfermut einer Grasmückenmutter. — Ich bin in meinem Garten bei Berlin und rupfe im Vorbeigehen eine trockene Spitze von einer kleinen Blautanne, die dadurch erschüttert wird. Im selben Moment fällt etwas vor meinen Füßen nieder, ein kleines graues Tier, das die sonderbarsten Kapriolen macht. Ich erkenne die kleine Grasmücke „Mönch". Sie liegt auf dem Rücken, dicht vor meinen Füßen, und schlägt und zittert mit den Flügeln, sie springt auf, läuft einen halben Meter vor und fällt auf die Seite, versucht aufzufliegen und fällt wieder auf den Rücken und so fort eine längere Zeit. Der Vogel hatte in der Blautanne ein Nest mit fünf fast flüggen Jungen. Er wollte mich, indem er sich verwundet stellte, anlocken zu seiner Vorfolgung, um mich vom Nest wegzulocken. Bei diesem Vogel hatte ich diese Beobachtung noch nicht gemacht. Wohl bei Wildenten und beim kleinen Regenpfeifer (Strandläufer). Was für eine unendlich lange Reihe von Überlegung gehört dazu, daß ein Tier wahrnimmt und sich merkt, daß Feinde eher die verwundeten, nicht flugfähigen Tiere verfolgen, daß es sich daraufhin mit Bewußtsein krankstellt, um den Feind zu täuschen und daß es schließlich begreift, daß die Entfernung des Feindes vom Nest die Rettung der Jungen bedeutet. Harro Magnussen. Im Anschluß an diese Mitteilung möchte ich mir erlauben, daraufhinzuweisen, daß schein- bare Zeichen eines hochentwickelten Verstandes bei Vögeln ganz außerordentlich häufig vorkommen. Bei näherer Untersuchung aber erweisen sich die scheinbaren Verstandeshandlungen meist als In- stinkthandlungen. Ich erinnere nur an den Nest- bau, der sich den gegebenen Verhältnissen meist in äußerst vollkommener Weise anpaßt. Da aber die jungen Vögel gleich das erste Nest kaum weniger vollkommen bauen als die alten, da ferner oft nur das eine Geschlecht den Bau besorgt, kann von einem Erlernen gar nicht die Rede sein. Der Anblick des Nestes kann dem jungen Vogel un- möglich genügen, um es später ebenso herstellen zu können: Man denke nur an das eigentümliche, innen ausgemauerte Nest der Singdrossel. Wie sollte wohl der junge Vogel, während er in dem Neste heranwächst, in dem Mörtel die Zusammensetzung aus Teilchen morschen Holzes erkennen können, wenn sie sogar dem Menschen lange Zeit unbekannt blieb. — Das Vortäuschen der P^lugunfähigkeit beim Nest ist unter den Vögeln ebenso verbreitet wie das Sichtotstellen unter den Insekten. Wir müssen wohl annehmen, daß dieser Instinkt bei früheren Generationen entstanden ist, indem anfangs die Aufmerksamkeit der Feinde durch ein ungeschicktes Abfliegen in einem geringen Maße vom Neste abgelenkt wurde, daß das un- geschickte Abfliegen sich vererbte und immer mehr vervollkommnete, da immer diejenigen Jungen am meisten Aussicht hatten den Feinden zu entgehen und zur Fortpflanzung zu gelangen, deren Mutter am ungeschicktesten abflog und Flugunfähigkeit vortäuschte. Das, was wir heute an den Vögeln so sehr bewundern , entstand also wohl durch natürliche Zuchtwahl im Laufe vieler Generationen. Ich kann hier nicht näher auf den Gegenstand eingehen. Weiteres findet man in meinem kleinen Buche „Die lungenatmenden Wirbeltiere Schleswig- Holsteins" (Kiel 1906) S. 5 7 ff. Erwähnen möchte ich noch, daß schon Naumann die Sorge der alten Mönch-Grasmücken um die Jungen hervor- hebt. Er sagt: „Dann sieht man die Alten sich oft im Grase hinwälzen, um dadurch die Aufmerk- samkeit von den Jungen abzuziehen" (vgl. Nau- mann, Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, neue Ausgabe, Bd. 2, S. 158). Dahl. Himmelserscheinungen im Februar 1907. Stellung der Planeten: Merkur ist in der zweiten Hälfte des Monats abends bis '/, Stunden lang im W sicht- bar. Venus kann morgens 2 bis i ','2 Stunden lang gesehen werden. Mars ist gleichfalls morgens etwa 3'., Stunden lang im Skorpion zu sehen. Jupiter steht in den Zwillingen und kann daher noch fast die ganze Nacht hindurch beobachtet werden. Saturn wird Mitte des Monats in den Strahlen der Sonne unsichtbar. Sternbedeckungen: .^m 23. wird der Stern ^ Gemino- rum für Berlin um 8 Uhr 32,4 Min. M.E.Z. abends durch den Mond bedeckt. Er tritt um 9 Uhr 50,2 Min. wieder am West- rande hervor. Am 25. findet um 6 Uhr 38,1 Min. abends eine Bedeckung von d Cancri statt, die um 7 Uhr 45,1 Min. beendigt ist. Verfinsterungen der Jupitertrabanten: .■\m 5. um II Uhr 40 Min. 37 Sek. M.E.Z. ab. Austr. d. II. Trab. „ 6. „ 10 „ 56 „ 45 „ „ „ „ „ I. „ „ ]o. „ 8 „ 24 „ 54 „ „ „ „ „ IV. „ ., 'S- .. 7 ,> 21 „ 13 „ „ „ „ „ I. „ „ 22. „ 9 „ 16 „ 49 „ „ „ „ „ 1. „ Algol -Minima finden statt am 9. um 11 Uhr 3 Min. abends und am 12. um 7 Uhr 52 Min. Das Zodiakallicht kann im Februar am westlichen Abcnd- himmel leicht gesehen werden. Bücherbesprechungen. Die Gartengestaltung der Neuzeit. Von Kgl. Garteninspektor Willy Lange unter !\Iitwirkung für den Architekturgarten von Regierungsbau- meister Otto Stahn. Mit 269 Abbildungen und 8 farbigen Tafeln sowie zwei Plänen. J. J. Weber in Leipzig, 1907. — Preis gebunden 12 Mk. „Die landschaftliche Schönheit eines Fleckes be- ruht großenteils auf der Mannigfaltigkeit der auf ihm sich beisammenfindenden natürlichen Gegenstände, 6o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 4 und sodann darauf, daß diese sich rein aussondern, zeigt, gehört fast ganz der Natur : sie selbst hat deutlich hervortreten und doch in passender Verbin- wenig dazu getan; und andererseits kann sie gegen düng und Abwechslung sich darstellen. Diese beiden die Ungunst der Natur sehr wenig ausrichten, und Bedingungen sind es, denen die schöne Gartenkunst wo. ihr diese nicht vor- sondern entgegenarbeitet, sind Bauernfrarten. nachhilft: jedoch ist sie ihres Stoffes lange nicht so sehr Meister, wie die Baukunst des ihrigen, und daher ihre Wirkung beschränkt. Das Schöne, was sie vor- ihre Leistungen gering. — Sofern also die Pflanzen- welt, welche ohne Vermittelung der Kunst sich überall zum ästhetischen Genuß anbietet, Objekt der Kunst N. F. VI. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 6i ist, geliört sie hauptsäclilich der Landschaüsinalerei an." — Das ist das Urteil Seh ope ii h aue r 's über die Gartenkunst seiner Zeit ; und wenn wir heute uns ein Urteil bilden sollen über das, was man uns in der Mehrzahl der Gärten als Werke der Gartenkunst vorluhrt, so müssen wir im ^roßcn und "anzen dem erreichen , wie wir eine Verschiedenheit der natür- lichen l.andschaftscharaktere besitzen." Mit den Augen des Künstlers die Natur zu schauen , dem „Willen in der Natur" zu folgen und ihr Wesen zu erfassen, um das Geschaute zu gestalten und zu veranschau- lichen als — im wahren Sinne des Wortes — leben- Pflanzcngenosscnscliaft der Düne (Bot. Garten zu Dablem bei Berlin). Philosophen zustimmen. Die bildenden Künstler und die Naturforscher verzichten in ihrer Mehrzahl wohl gerne auf den Reiz jener Gebilde, die lediglich „for- mal" und nicht „inhaltlich" die Natur zum Vorbild nehmen ; und sie suchen lieber ästhetischen Genuß in der freien Natur, wie in dem Durchwandern einer mit schlechten Bildern vollgepfropften Kunst- ausstellung. — ■ Und doch ahnt Schopenhauer schon das Werden einer neuen Gartenkunst, wenn er vom englischen Garten im Gegensatz zum französi- schen sagt: „In jenem nämlich wird der Wille der Natur, wie er sich in Baum, Strauch, Berg und Ge- wässern objektiviert, zu möglichst reinem Ausdruck dieser seiner Ideen, also seines eigenen Wesens , ge- bracht." Hier sind also die Forderungen, die Schopenhauer an ein Kunstwerk stellt — Ver- anschaulichung der platonischen Idee der Objekte — im wesentlichen verwirklicht ; nur die .Mannigfaltigkeit tehlt, denn der englische Garten bringt lediglich die Idee der „Auenlandschaft" zur Darstellung. Die Natur aber bietet dem Künstler eine unerschöpfliche Fülle von Objekten , und es setzt uns in Erstaunen, daß Schopenhauer, einmal so weit gelangt, nicht den kleinen Schritt weiter wagt und für den Garten- künstler die gleichen landschaftlichen Motive wie für den Maler beansprucht. Diesen Schritt zu tun — fast ein Jahrhundert nach der Drucklegung der „Welt als Wille und Vorstellung" — unternimmt der Verfasser eines vor kurzem er- schienenen, eigenartigen und anregenden Werkes über Gartenkunst — Willy Lange. „Immer ist der Garten ein umzäuntes Stück der Landschatt, in der er liegt. Aus ihr entnehmen wir also die Gestaltungs- motive und werden so eine Verschiedenheit der Gärten Architeivtouiseher Rahmen. 62 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 4 diges Bild — als Garten, das ist die Aufgabe des Gartenkünstlers. Der Grund, weshalb die Maler und Kunstschrift- steiler , die sich in neuerer Zeit so eifrig mit den Problemen der Gartenkunst beschäftigen , nicht auf den von Lange ausgesprochenen Gedanken gekom- men sind, liegt lediglich daran, daß ihnen die Kennt- nis der gärtnerischen Praxis, die Kenntnis des Mate- rials und die damit verbundene Einsicht in die Lehren der Naturwissenschaften fehlte. Und daraus resultiert dann ihre Neigung , wieder zum geometrischen und architektonischen Garten zurückzukehren ; sie begehen also denselben Fehler, den sie an den Kunstgewerb- lern der alten Schule rügten : daß sie ihrem Material nicht gerecht würden ; denn „jeder Stoff muß nach seinem Willen, d. h. der ihm eingeborenen Eigenart, gestaltet werden. Nur wo die Form der Ausdruck des Inhaltes ist, wird uns heute nach einer wirklichen Renaissance des Kunstsinnes, die Gestaltung zum Stil." — Das Material aber, die Mittel des Gartenkünstlers sind lebendige Organismen, die in ihrer Entwicklung und ihren Eigentümlichkeiten mit dem Interesse des Forschers studiert sein wollen; und erst dann, wenn man innerlich überzeugt ist, es mit Lebewesen zu tun zu haben, wird man es als Unnatur und als unkünst- lerisch empfinden, mit ihnen wie mit toten Objekten umzuspringen. Das tut man aber, wenn man keine Rücksicht auf die Lebensbedingungen der Pflanzen nimmt, wenn man gewaltsam trennt und vereinigt, wo die Natur das Gegenteil will; einerlei, ob das im sogenannten Naturgarten geschieht, oder ob man „will- kürlich bunte Blumenkringel in geometrischen Um- rissen" pflanzt. Für den Gartenkünstler der Neuzeit genügt es nicht mehr, daß er mit der Kultur der einzelnen Pflanzen vertraut ist , sondern er muß sich die Er- rungenschaften der wissenschaftlichen Pflanzenökologie zunutze machen , muß die Pflanzengenossenschaften in der Natur kennen lernen, da in Zukunft sein Ma- terial nicht mehr die isolierte Pflanze ist, sondern der Pflanzenbestand, durch den eine Landschaft ihren Charakter erhält. Wir haben im neuen botanischen Garten zu Berlin die beste Gelegenheit, künstlich geschaftene Pflanzen- genossenschaften kennen zu lernen, die lediglich nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten zusammengestellt wurden, indem man die Bodenverhältnisse und die Flora der Düne (s. Abbild.),') des Erlenbruches, des Moores usw. nachahmte. Diese .Anlagen beanspruchen vor allem ein großes didaktisches Interesse ; denn abgesehen davon, daß der Lernende sich rasch eine Vorstellung von einer bestimmten Pflanzengenossenschaft machen kann, ist nicht zu verkennen , daß trotz des kleinen Raumes, der den einzelnen Florengebieten zugemessen wurde, für den, der zu schauen vermag, der Stimmungs- gehalt der Originallandschaften in ihnen zum Aus- druck gelangt. — Um diesen Stimmungsgehalt einer Landschaft zu erkennen , muß man allerdings bis zu ') Die Abbildiuigeu wurden als Illiistrationsproben aus dem Lange'schen Werke vom Verlage freundlichst zur Ver- fügung gestellt. einem gewissen Grade künstlerisch empfinden können und um das Angeschaute zu gestalten , muß man ein Künstler sein. — Welcher Mittel bedient sich nun der Gartenkünstler, um seine Anschauung, die „Idee" der darzustellenden Landschaft zum Ausdruck zu bringen und dem Beschauer zu offenbaren? Eine bloße Wiederholung der Natur, wie im botanischen Garten, ist keine künstlerische Tat, obwohl künstle- rischer Takt auch hier die wissenschaftliche Beobach- tung unterstützen kann. „Kunst ist Steigerung der Natur zur Idee hinan", sagt Lange, und wenn wir die Natur, die uns um- gibt, künstlerisch steigern wollen, müssen wir ver- suchen , dasjenige Pflanzenmaterial zu benutzen , das uns, gegenüber den einheimischen, oft unscheinbaren Pflanzen, das Wesen der Art oder Gattung besser zur Anschauung bringt; mit anderen Worten: man ver- wende , neben Zuchtformen einheimischer Pflanzen, ausländische Repräsentanten der gleichen Genossen- schaft , die dem Garten als Motiv dienen sollen. — Ein Blick auf die reichhaltigen, vom Autor in Tabellen- form gelieferten Beispiele für Pflanzen der einzelnen tlenossenschaften lehrt uns, welch' eine Mannigfaltig- keit in der Gartengestaltung erreicht werden kann, wie ein einziges Motiv zu variieren ist und ein wie großer Spielraum dem Künstler für seine Phantasie gelassen wird , selbst wenn er allen Gärten einer Villenkolonie den Charakter der ursprünglichen Land- schaft erhalten will. Daß die Dominante, besonders in bezug auf die Farbengebung, durch die Landschaft selbst gegeben ist, erleichtert dem Künstler die Kom- position, sofern er überhaupt ein Organ für das Em- pfinden von Farbenharmonien besitzt. Man könnte allerdings einwenden, daß der Satz von der „Steigerung der Natur" in der Allgemeinheit, wie ihn der Verfasser für die Pflanzentypen aufstellt, nicht anerkannt werden muß. Denn es ist denkbar, daß ein Künstler oder Naturfreund den im Sinne Lange's geschaffenen Garten nicht mit Notwendigkeit als eine Steigerung der ihm lieb gewordenen heimatlichen Landschaft empfindet, obwohl er diesen Garten, ohne Beziehung zur Landschaft, ästhetisch würdigen und als Kunstwerk genießen kann. Interessant ist jedenfalls eine Bemerkung Alexander von Humboldt 's, die durch die Lange'schen Gedanken eine beson- dere Bedeutung im gegenwärtigen Augenblick gewinnt und die ich hier in Erinnerung bringen möchte : „Durch den geheimnisvollen Zusammenhang aller organischen Gestaltung (und unbewußt liegt in uns das Gefühl der Notwendigkeit dieses Zusammenhangs) erscheinen unserer Phantasie jene exotischen Formen wie erhöht und veredelt aus denen , die unsere Kindheit umgaben." Im übrigen kann es nicht meine Aufgabe sein, die ästhetischen Anschauungen des Autors zu disku- tieren ; inwieweit es z. B. berechtigt ist, in den bilden- den Künsten — und zu diesen gehört ja die neue Gartenkunst — neben der Darstellung der Idee noch Gedanken zum Ausdruck zu bringen , wie es Lange unter Berufung auf K 1 i n g e r, B ö c k 1 i n u.a. will, — das zu entscheiden , ist Sache der Künstler und Ästhetiker. N. F. VI. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 63 Was ich hier vor allem betonen möchte, ist die erfreuliche Tatsache, daß ein Künstler Beziehungen sucht zwischen den Naturwissenschaften, insbesondere der Botanik, und seiner Kunst: wie in den ältesten Zeiten die Nützlichkeit und Schädlichkeit für den Menschen das Einteilungsprinzip für die Pllanzen bil- dete ; wie dann später der Wunsch , Ordnung in die Fülle der Arten zu bringen , zur Aufstellung künst- licher Systeme führte, und in dem Versuch eines natürlichen Systems das Bedürfnis nach Aufklärung der Verwandtschaftsverhältnisse seinen Ausdruck fin- det ; wie endlich das Verlangen, die Beziehung der rtianzen zu ihren Standorten kennen zu leinen, neue Disziplinen — Pflanzengeographie und -ükologie — entstehen ließ: so entwickelte sich aus dem ,,Urgarten", dem Nutz- und Arzneipflanzengarten der Kunstgarten, der seine höchste Blüte in den geometrischen und architektonischen Gärten des iS. Jahrhunderts erlebte. Dann kam der alte englische Garten, in welchem das „Zurück zur Natur" seinen künstlerischen Widerhall findet und schließlich, parallel der Entwicklung der Pflanzenökologie, der neue Garten, gestaltet nach den Grundsätzen der Pflanzenphysiognomik, d. i. „die Lehre von der Beziehung der Pflanze zu ihrem Standort, wie er sich äußert in ihrer Gestalt". Ob die einzelnen Entwicklungsetappen der syste- matischen Botanik und der Gartenkunst in einem ur- sächlichen Zusammenhang stehen, oder ob das allge- meine Kulturniveau in den einzelnen Phasen gleicher- maßen zum Ausdruck gelangt, wird schwer zu ent- scheiden sein. Immerhin bleibt es ein geistvoller Versuch, auch bei einer historischen Betrachtung der Gartenkunst nach Analogien in der Geschichte der Botanik zu suchen, und wie fruchtbar dieser Gedanke für die Neugestaltung der Gartenkunst, wie Lange sie sich vorstellt, werden kann, lehrt der ganze Inhalt dieses schön geschriebenen und reich ausgestatteten Buches. Dr. W. Wächter. nis noch besondere Bec|uemlichkeiten. Es wird sicherlich weiten Kreisen eine sehr willkommene Gabe sein. F. Kbr. Prof. L. Ambronn, Sternverzeichnis, enthal- tend alle Sterne bis zur 6,5. Größe, für das Jahr 1900. Berlin, J. Springer, 1907. — Preis geb. IG Mk. An großen Stern katalogen, die auch für die tele- skopischen Sterne genaue Positionen angeben, ist in der Gegenwart kein Mangel mehr. Diese kostbaren Werke sind aber natürlich nur Fachastronomen zu- gänglich und für SpezialStudien bestimmt. Das Be- dürfnis nach einem handlichen, nach Rektaszensionen geordneten Verzeichnis, das nur die dem freien Auge sichtbaren Sterne enthält und außer den genauen Positionen auch Angaben über Bezeichnung, Hellig- keit, Präzession, Eigenbewegung, Duplizität usw. ent- hält, wird sicherlich von Liebhabern der Sternkunde ebenso, wie von Fachgelehrten gefühlt. Es ist eine sehr dankenswerte Mühe, der sich die Gattin und der Sohn des Herausgebers unterzogen haben, indem sie für 7796 Sterne die nötigen Reduktionsrechnungen vornahmen und die oben angegebenen Nachweisungen hinzufügten. Da die Epoche 1900 der Gegenwart noch sehr nahe liegt, bietet das vorliegende Verzeich- Literatur. Classen, Geh. Reg.-R. Dir. Prof. Dr. A. : Handbuch der an.ilytischen Chemie. 1. Tl. Handbuch der ijualitaüven ehem. Analyse anorgan. u. organ. Verbindgn. 6. umgearb. verm. Aufl. Mit i (färb.) Spektraltaf. (XllI, 341 S.) gr. 8». Stuttgart '06, F. Enke. — 8 Mk. ; geb. in Leinw. 9 Mk. Credner, Prof. Dir. Geh. Bergr. Dr. Herrn.: Elemente der Geologie. 10., unveränd. Aufl. (XVIII, 802 S. m. 624 Ab- bildgn.) gr. 8°. Leipzig '06, W. Engelmann. — 15 Mk. Czuber, Prof. Eman.: Vorlesungen üb. Differential- u. Integral- rechnung. II. (Schluß-) Bd. 2., sorgfältig durchgeseh. Aufl. (VIII, 532 S. m. 87 Fig.) gr. 8». Leipzig '06, B. G. Teub- ner. — Geb. in Leinw. 12 Mk. Durfege, H.: Elemente der Theorie der Funktionen e. kom- plexen veränderlichen Gröfie. In 5. Aufl. neu bearb. von Ludw. Maurer. (X, 398 S. m. 41 Fig.) gr. 8°. Leipzig 06, B. G. Teubner. — 9 Mk. ; geb. in Leinw. 10 Mk. Eggenberger, Dr. Jobs.: Beiträge zur Darstellung des Ber- noullischen Theorems der Gammafunktion u. des Laplace- schen Integrals. 2. .\ufl. (79 S.) gr. 8". Jena '06, G. Fischer. — 2,50 Mk. Hammarsten, ehem. Prof. Olof: Lehrbuch der physiologi- schen Chemie. 6. völlig umgearb. Aufl. Mit I Spektraltaf. (VIII, 836 S.) Lex. 8". Wiesbaden '07, J. F. Bergmann. — 19,60 Mk. ; geb. 21,60 Mk. Nernst, Prof. Dir. Dr. Walth. : Theoretische Chemie vom Standpunkte der Avogadroschen Regel u. der Thermo- dynamik. S- Aufl. I. Hälfte. (S. I — 430 m. 32 Abbildgn.) Lex. 8». Stuttgart '06, F. Enke. — 10 Mk. Oels, Prof. Dr Walt. :■ Pflanzenphysiologische Versuche, f. d. Schule zusammengestellt. 2. vcrb. u. verm. .Aufl. (XIV, 117 S. ra. 87 Abbildgn.) gr. S". Braunschweig '07, F. Vieweg & Sohn. — 3 Mk. ; geb. 4 Mk. Penck, Albr. : Beobachtung als Grundlage der Geographie. Abschiedsworte an meine Wiener Schüler u. .Antrittsvorlesg. an der Universität Berlin. (63 S.) gr. 8°. Berlin '06, Gebr. Bornträeger. — 1 ,60 Mk. Pohle, Prof. Dr. Jos.: Die Sternenwelten u. ihre Bewohner. Zugleich als erste Einführg. in die moderne Astronomie. 5., aufs neue verb. u. ergänzte Aufl. Mit I Karte, 4 färb, u. 12 schwarzen Tat., sowie 31 Abbildgn. im Text. (XII, 508 S.) gr. 8». Köln '06, T. P. Bachem. — 8 Mk. ; geb. 10 Mk. Walther, Prof. Jobs. : Geologische Heimatskunde v. Thürin- gen. 3. ergänzte Aufl. Mit 120 Leitfossilien in 142 Fig., XVI Profilen im Texte u. e. geolog. Übersichtskarte. (X, 253 S.) 8". Jena '06, Gustav F'ischer (Umschlag '07.) — 3,50 Mk. : geb. 4 Mk. Briefkasten. Herrn V. L. in Pola. — Daß man zur Bezeichnung der Kraft meist den Buchstaben p gebraucht, mag wohl mit dem englischen ,, power" zusammenhängen. Für die Last wählt man dann q, weil es der folgende Buchstabe im Alphabet ist. Herrn F. — Durch freundliche Vermittlung von Herrn Geb. Regierungsrat Prof. Dr. L. Wittmack erhalten wir als Antwort auf Ihre Frage: ,,In welcher Weise findet die Urti- cacee Böhmeria nivea (Ramie oder Chinagras) bei der Her- stellung der GlühstrUmpfe für Gasglühlicht Verwendung?" die folgende Antwort über die Hauptübcrlegenheit des Ramie- strumpfes in seiner Formbeständigkeit der Flamme gegenüber: „Man kann einen Baumwollkörper noch so sorgfältig impräg- nieren und abbrennen, er wird immer nach mehreren Stunden Brenndauer anfangen sich gegen die Spitze zu verjüngen, in- dem der Mantel sich einwärts gegen den, den Körper halten- den, Magnesiastift einzieht. Dadurch wird aber der Glüh- körper zum größten Teil aus der heißesten Flammenzone ge- 64 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 4 zogen, und ein bedeutender Liclitverlust ist die Folge. Ist ein Kiimiekörper aber sorgfältig behandelt, so ist sein Aschen- gerüst fast indifferent den Flammeneinwirkungen gegenüber ; und bis über looo Stunden Brenndauer ist die Lichtabnahme nachgewiesenermaßen nur geringfügig. Einen zweiten , aber weniger bedeutenden Vorteil des Ramiekörpers bildet der Umstand, daß er im imprägnierten, flachen Zustand gegen Staub etc. lange nicht so empfindlich ist, auch sich in diesem Zustand, ohne Schaden zu nehmen, länger aufbewahren läßt, als der Baumwollkörper. Aus diesen Gründen hat auch in der deutschen Glühstrumpf-lnduslrie der Ramiekörper seinen Vorgänger, den Baumwollstrumpf, fast verdrängt, und nur für spezielle Beleuchtungsarten oder auf besondere Bestellung werden momentan noch Baumwollkörper geliefert." Deutsche Gasglühlicht- Aktiengesellschaft (Auergesellschaft). Herrn G. B. in Tübingen. — Die Dreiteilung eines be- liebigen Winkels mit Lineal und Zirkel ist nicht möglich. Dagegen sind mit Benutzung anderer Hilfsmittel eine Anzahl Losungen gegeben worden, über die Sie in Adler, Theorie der geom. Konstr. (Leipzig, Göschen, 9 Mk.) näheres finden. Wir werdem demnächst ein originelles Instrument zur Trisek- tion eines Winkels abbilden. Herrn Schuldirektor B. in B. — L Über die Entstehung von Haarballen im Magen von Pflanzenfressern finden Sie Auskunft in der Naturw. Wochenschr. vom 15. April 1906 p. 246, Anmerkung 2. — 2. Das übersandte Gestein ist ein durch Eisenoxydhydrat verkitteter Kies. Eisenhaltiges Wasser schlug zwischen den einzelnen Kiesgeschieben die Eisen- verbindung nieder. Herrn F. in S. (Ostpreußen). — Über Roburit (vom latein. robur = die Kraft) gibt der Erfinder desselben Dr. Karl Roth (Frankfurt a. M.) neuerdings in der Frankfurter Zeitung u. a. die folgende Auskunft : ,, Augeregt durch die Tatsache, daß früher durch die Be- nutzung des Schießpulvers und des Dynamits im bergbau- lichen Betrieb alljährlich eine große Anzahl von Menschen- leben der Eigenschaft dieser Substanzen , schlagende Wetter zu zünden, zum Opfer fiel, begann ich, mich im Jahre 18S4 zu Berlin, wo ich auf Antrag des Königlichen Polizeipräsi- diums als Sachverständiger für Chemie vereidet worden war, mit Versuchen zu befassen, die darauf gerichtet waren, dem gefahrlichen Verhalten der genannten Sprengmittel wirksam zu begegnen. Aus dieser langwierigen, in mehr als einer Hinsicht dornenvollen Untersuchung ging als Ergebnis der Sprengstoff Roburit hervor. Die praktische Erprobung meiner Laboratoriumserzeugnisse hatte mein Freund , der jetzt noch in Jena lebende pensionierte .\rtilleriehauptmann und ehe- malige Unterdirektor des Königlichen Feuerwerks-Laboratoriums in Spandau, übernommen, ein ebenso hervorragender Spreng- techniker wie aufopferungsfähiger und erfolgreicher Förderer meiner von ihm in die Praxis des Bergbaues getragenen che- mischen Arbeit. Wenn ich behaupte, daß sich in dem aus meiner Hand hervorgegangenen Sprengstoff mit der Eigenschaft, schlagende Wetter nicht zu zünden, ein absolut passives Verhalten gegen alle nur immer denkliaren mechanischen Einwirkungen wie Stoß, Schlag und Reibung paarte, und daß er nur unter dem Einfluß eines Detonators zur Explosion zu veranlassen war, so spreche ich damit nicht ein eigenes Urteil aus , sondern das der ersten Sachkenner nicht nur Deutschlands, sondern des gesamten Kontinents.'^ Roburit besteht einerseits aus in weiten Grenzen ver- schiebbaren Gewichtsverhältnissen Dinitrobenzol, Dinitrochlor- benzol oder Nitrochlornaphthalinen, gegebenenfalls unter Zu- satz von Schwefel , und andererseits aus Ammoniumnitrat als Sauerstoffträger. Herrn M. B. in Leipzig. — Leider kann ich keine Geologie von Sachsen empfehlen, in welcher Sie Fund. Ortsangaben nachlesen könnten. Es gibt eine von einem Chemnitzer Lehrer, Pelz, verfaßte, vor einem Jahre erschienene Geologie von Sachsen, diese ist aber nur ein dürftiger Auszug aus den Erläuterungen der sächsischen geologischen Landes- untersuchung. Vorläufig ist immer noch der alte Frenzel (für Mineralien) maßgebend. C. G. Da ich selbst den Luzerner Gletschergarten seif vielen Jahren kenne und auch seine Entwicklung in der letzten Zeit verfolgt habe, so möchte ich mir erlauben, zu den Notizen der Herren Dr. .Andree und Dr. Gothan im Briefkasten der Nrn. 44 u. 47 v. |. folgendes zu bemerken : Unleugbar hat Dr. G. darin Recht, daß es vorzuziehen wäre, wenn der eigentliche Gletschergarten losgelöst von allem Beiwerk als ein höchst interessantes Naturdenkmal von dem Kanton oder der Stadt Luzern übernommen, gepflegt und umsonst gezeigt würde. Indessen hat es damit in der Schweiz wie bei uns leider noch gute Wege. Die meisten ,, Naturdenkmäler" werden in kürze- ster Frist zerstört, wenn sich nicht ein Privatmann ihrer aus irgend welchen Gründen annimmt. Der Gletschergarten würde ohne private Initiative dasselbe Schicksal gehabt haben. Das Grundstück war nämlich, wenn ich recht unterrichtet bin, ursprünglich als Baugrundstück ausersehen und hatte bei seiner Nachbarschaft neben dem berühmtesten Kunstdenkmal Luzerns und seiner schönen landschaftlichen Lage entschieden einen hohen, jetzt noch sehr gestiegenen Wert. Erst bei den Abräumungsarbeiten wurde man auf die Gletschertöpfe auf- merksam ; und wenn sich nun damals nicht der Besitzer ent- schlossen hätte, unter Verzicht auf die Bebauung und mit Auf- wand nicht unerheblicher Mittel, die Gletschertöpfe freizulegen und zu erhalten, so würden wir überhaupt nichts mehr davon sehen. Soviel ich weiß, hat er bei seinem Unternehmen kei- nerlei Unterstützung gehabt; und es ist daher entschieden be- rechtigt, wenn er sich für sein in dem Garten steckendes Kapital durch Erhebung von Eintrittsgebühren entschädigt. Was die Nebendinge (Museum, Labyrinth, Gletschcrmühle) be- trift't, so scheint mir die letztere ganz instruktiv ju sein; und auch das Museum bietet einiges Interessante (z. B. das Schweizer Relief). Daß allerdings das Labyrinth zusammen mit dem Museum und der künstlichen Gletschermühle den Haupt- anziehungspunkt für das große Publikum bildet, das ist leider eine Tatsache. Sie scheint mir aber nur zu zeigen , daß das Publikum wenig Verständnis für Naturdenkmäler und wenig Geschmack besitzt. Dem Besitzer des Gletschergartens wird man aber wohl keineu Vorwurf daraus machen können, daß er, um zu seiner berechtigten lünnahme zu kommen, das Pu- blikum so beurteilt, wie es wirklich ist. Ich hielt mich für verpflichtet Ihnen Umstände ins rechte Licht zu setzen, weil ich von seifen des Herrn Be- sitzers schon zweimal auf meinen mit einer großen Zahl hiesiger StuiUerender in der Schweiz unternommenen Unterrichts- reisen stets das liebenswürdigste Entgegenkommen erfahren habe und für sämtliche Teilnehmer ohne weiteres freien Ein- tritt bewilligt bekam. Auch das scheint mir zu zeigen , daß der Besitzer durchaus nicht bestrebt ist, sich auf Kosten der wirklichen Interessenten zu bereichern. Heidelberg in Baden. Wilhelm Salomon. Inhalt: Dr. phil. G. Eichhorn: Die moderne drahtlose Telegraphie. — Kleinere Mitteilungen: Dr. Georg Buschan: Gehirn und Kultur. — E. Enslin: Über die Reduktion der Augen bei einer l'hnuiric. — Harro Magnussen: Opfermut einer Grasmückenmutter. — Himmelserscheinungen im Februar 1907. — Bücherbesprechungen: \V. Lange: Die Gartengestaltung der Neuzeit. — Prof. L. Ambronn: Sternverzeichnis. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfelde-Wesl b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge VI. Band; der ganzen Reibe XXll. Band. Sonntag, den 3. Februar 1907. Nr. 5. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespallene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- bandlung. [Nachdruck verboten.] Die moderne drahtlose Telegraphie. Nach einem Demonstrationsvortrag von Dr. phil. G. Eichhorn in Zürich. (.Schluß.) Nachdem nunmehr die der drahtlosen Tele- graphie zugrunde liegenden Prinzipien auseinander- gesetzt und demonstriert sind, wollen wir jetzt auch noch technische Ausführungen von Apparaten und Maschinen, sowie einige Stationen im Bilde betrachten. (Es wurden nun eine größere Anzahl Projektionen vorgeführt, welche eine Vorstellung gaben von der technischen Vollkommenheit der modernen Apparatur und der Stationseinrichtungen, sowie hinwiesen auf die verschiedenen Anwendungs- gebiete.) Wir lassen einige dieser Bilder hier folgen. In Fig. 6 und 9 erblicken wir das Innere einer Station und besonders in der letztern ist die ganze Apparatur deutlich zu erkennen und zwar rechts zum Senden und links zum hlmpfangen. An der Wand sind zwei Induktorien montiert, deren pri- märer Gleichstromkreis hier noch vermittels eines Quecksilberturbinenunterbrechers geöffnet und ge- schlossen wird. In neuesten Anlagen wird meistens primär nicht ein solcher unterbrochener Gleich- strom, sondern Wechselstrom verwendet und zwar unter Benutzung der sogenannten Resonanzinduk- toren, um die langsamen Schwingungen im In- duktor vorteilhaft auszunutzen. Die Selbstinduktion der sekundären Windungen des Induktors, welche in diesem Falle aus möglichst dickem Drahte her- gestellt sind, um den Ohm'schen Widerstand sehr klein zu machen , und die Kapazität der sie be- lastenden Leydener Flaschen veranlassen langsame Schwingungen von einer bestimmten Periode, und zwar wird diese so bemessen, daß sie überein- stimmt mit der Periode des primären Wechsel- stromes. In solchen Resonanzinduktoren wallen jetzt die Elektriziiätsmengen hin und her mit immer größer werdenden Potentialamplituden, bis endlich die Funkenstrecke des primären Schwin- gungskreises durch einen kräftigen Funken, der die wirksamen Schwingungen des letztern einleitet, durchschlagen wird; im nächsten Moment ist dann die Potentialamplitude wieder gesunken und die Funkenstrecke kann, wie es sein muß, wieder voll- ständig nichtleitend werden. Es wird ferner heute nicht mehr eine einfache, sondern eine sogenannte unterteilte Funkenstrecke angewendet, d. h. eine .Anzahl von Funkenstrecken, die in besonderer Weise nach Angabe von Prof Braun in Serie ge- schaltet sind, wodurch es ermöglicht wurde, be- liebige Spannungen ökonomisch auszutiützen. Diese Funkenstrecke, sowie der primäre Senderschwin- 66 Natuiwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 5 gungskreis (Induktionsspule und Leydener Flaschen- system) sind in der Illustration unter den Induk- torien zu sehen. Der Lufidralit wird von außen eingeführt und bald an den Sender, bald an den Empfänger gelegt. Von dem letztern erblickt man auf den Tischen die sämtlichen Anordnungen mit Schwingungskreisen. Direkt neben dem Sender ist ein tmpfangsapparat mit Schloemilch's elektro- lytischem Detektor und Telephon zum Abhören der Morsezeichen aufgestellt und daneben zwei Empfangsapparate mit Kohärer und Morseschreiber, der in der üblichen Weise auf dem Papierstreifen die Zeichen registriert. Illustration Fig. 7 zeigt das Äußere einer Station. Zwischen zwei hohen Masten ist oben isoliert ein Drahtseil ausgespannt, an dem viele Kupferdrähte, von denen jeder in besonderer Weise verseilt ist, befestigt sind. Unten werden die Drähte zusammengefaßt und zum Anschluß an die Schwin- gungskreise in das Stationshaus eingeführt. Mit einem solchen Luftgebilde wird die Entwicklung einer außerordentlich großen Schwingungsenergie erzielt. In ähnlicher Weise geschieht die Anordnung des Luftleitergebildes auf Schiffen (Fig. 8). Die heutzutage außerordentlich weitverbreitete Anwen- dung der drahtlosen Telegraphie im Lotsendienst sowie in der Handels- und Kriegsmarine ist allgemein bekannt. Besonders interessant sind ferner die fahrbaren Stationen Fig. 10, welche von der Luft- schifferabteilung der deutschen Armee mitgeführt werden. Die Apparatur ist auf technisch vorzüg- lich durchgebildeten und leicht beweglichen Wagen montiert, die den schnellsten Kavalleriebewegungen auch außerhalb der guten Hauptstraßen folgen können. Die Kraftquelle besteht aus einem Benzinmotor nebst Zu- behör und einer Dynamo- maschine, die bei 120 Volt bis 20 Ampere leistet, also ca. 2,5 KW, alles auf einem be- sondern Wagen montiert. Un- sere Illustration zeigt den Apparatekarren und sind alle früher erwähnten Anordnungen deutlich zu erkennen. Es wird sowohl der ge- wöhnliche Empfänger mit Kohärer und Morseschreiber benutzt, wie auch besonders auf große Entfernungen der Empfänger mit Schloemilch- detektor und Telephon, welche Anwendung uns Fig. 1 1 vor Augen führt. Der ganze Zug setzt sich zusammen aus einem Offizier , einem Unteroffizier, fünf Soldaten und den Fahrern. Der Luftdraht wird durch Ballons oder Drachen in die Höhe geführt. Fig. 7. N. F. VI. \r. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 67 Die modernste Station für drahtlose Tele- graph i e , die auch wegen ihrer erstmaligen Benutzung zu drahtloser T e 1 e - p h o n i e in letzter Zeit viel von sich reden machte, ist die von der „Telefunken"- Gesellschaft Berlin jüngst errichtete Riesenstation Nauen, ca. 40 km von den Berliner Geschäfts- räumen der Gesellschaft entfernt. Die folgenden Abbildungen mögen eine Anschauung \^on den muster- haften Einrichtungen geben. Figur 12 zeigt den Raum, in dem die elektrische Schwingungsenergie erzeugt wird. Als Stromquelle dient ein Wechselstromdynamo. Der Maschinenstrom wird zunächst von den vorne sicht- baren Hochspannungstrans- Fig. 8. big. 9. 68 Naturwissenschaftliche Wociienschrift. N. F. VI. Nr. 5 formatoren auf looooo Volt transformiert. Die hochgespannten, sekundären Wechsel- ströme laden die gewaltigen Leidener Flaschenbatterien, die zusammen mit der Selbstinduktionsspule (große, kreisförmige, parallel geschaltete Metallröhren von er- heblichem Querschnitt) den elektrischen Schwingungskreis bilden, der sich durch die große vorne sichtbare ringförmige Funkenstrecke in mächtigen Funkenbändern entladen kann. Mit dem primären Schwingungskreis ist in der üblichen Weise das strahlende, offene Luftleitergebilde gekoppelt, das in Nauen zum erstenmal in einer ganz neuen, wirksamen Form ausgeführt wurde; sein Träger ist ein nadeiförmiger, loo m hoher, eiserner Turm, der in Figur 13 ab- gebildet ist. Die Gitterträger vereinigen sich unten am Fuße zu einer einzigen Stahlkugel, die den bedeutenden Turm- druck auf ein Betonfundament überträgt. Der Turm ist gegen Hochspannung isoliert und wird in senkrechter Stellung gehalten durch drei Stahltrossen, die in 75 m Höhe angreifen und an beiden Enden iso- liert sind. Das Luftleitergebilde selbst besteht aus einer größeren Anzahl von in besonderer Weise ver- seilten Drähten, die von der Spitze nach abwärts Fiß ausge.'^pannt sind und eine Fläche von etwa 60000 Quadratmeter bedecken. Das elektrische Gegen- gewicht ist um den Turm herum eingegraben und A *i ■I.. I \. F. VI. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 69 Fig. 12 1 11 \ m^ i|» .4. t»;* ^1 to IF" V Fig. 14. Fig. 13. 70 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 5 beide Gebilde sind durch den Turm elektrisch miteinander verbunden. Es ergeben sich durch diese neue Anordnung besonders dadurch wesent- liche Vorteile, daß die Drähte der Erde benach- bart sind; auf diese Weise resultiert infolge der wesentlich gesteigerten Kapazität die Möglichkeit der Erzeugung einer bedeutend größeren Schwin- gungsenergie und sehr langer Wellen. Das Telegraphieren geschieht in einem von dem Senderraum entfernt gelegenen Empfänger- raum, in dem man von dem krachenden Geräusch der Funkenentladungen nichts vernehmen kann. Die folgende Abbildung, Figur 14, veranschaulicht die Empfangsanordnungen. Von oben wird der Anschlußdraht des Luftleitergebildes eingeführt, das durch den an der Wand sichtbaren Hebel bald mit dem Sender, bald mit dem Empfänger verbunden werden kann. Auf dem Tisch sind außer dem Morsetaster die früher beschriebenen Em- pfangseinrichtungen deutlich erkennbar. Die maximale Reichweite de Station Nauen beträgt ca. 3000 km und sie versorgt bereits regel- mäßig auf über 2500 km die atlantischen Dampfer mit Zeitungsdepeschen. Der tägliche Verkehr der Station geschieht mit einer Gegenstation bei Peters- burg ca. 1400 km über Land. Besondere Bedeutung hat .Station Nauen wie schon erwähnt in den letzten Wochen bekommen durch erstmaligen Verkehr mit den Berliner Ge- schäftsräumen der Telefunken- Gesellschaft ver- mittels drahtloser Telephon! e. Die Vor- führung geschah in Gegenwart des Staatssekretärs Sydow und war ermöglicht durch die inzwischen erfolgte Entdeckung ungedämpfter elektrischer Schwingungen von genügender Frequenz. Wie früher auseinandergesetzt, bildet bei der bisherigen Funkentelegraphie der elektrische F'unke nur das Mittel zum Auslösen der Schwingungen und zwar nur ein sehr schlechtes Mittel. Erstens wird in der Funkenstrecke viel Energie verschleu- dert, die sich zwecklos in Wärme und Licht ver- wandelt, dann aber, und das ist ihr Hauptnachteil, erlaubt sie nur die Erzeugung stark gedämpfter Wellenzüge. Als Ideal schwebte daher allen Pio- nieren auf dem Gebiete der drahtlosen Telegraphie die Beseitigung der Funkenstrecke und die Er- zeugung ungedämpfter Schwingungen vor. Man mußte in der Lage sein, einen elektrischen Ton in Stärke und Höhe wie einen akustischen Ton dauernd aufreciit zu halten. Der nächstliegende Gedanke war natürlich, zu diesem Zwecke Wechsel- strommaschinen zu verwenden; allein die voll- kommenste Technik konnte die Periodenzahl auch nicht annähernd auf die erforderliche Höhe bringen, wie z. B. die sogenannten Hochfrequenzmaschinen von Tesla dargetan haben. Im Jahre 1899 er- folgte aber eine neue Anregung auf diesem Ge- biete, indem der englische Physiker D u dd el 1 die eigentümliche Tatsache konstatierte, daß unter ge- wis•^en Bedingungen, wenn man an die beiden Kohlenelektroden einer Bogenlampe einen Schlie- ßungskreis mit Ka()azität und Selbstinduktion an- legt, der durch Gleichstrom gespeiste Lichtbogen ertönt, und dabei in dem angeschlossenen Schlie- ßungskreis ein ungedämpfter Wechselstrom auftritt von der Frequenz des Tones. Eingehende ex- perimentelle und theoretische Untersuchungen von Simon und Reich brachten dann zwar die Er- klärung dieses Phänomens ungedämpfter Schwin- gungen, allein in ihren Experimenten waren doch noch nicht die beiden Übelstände beseitigt, welche eine praktische Verwendung behinderten, nämlich die auch hier noch sich ergebende ungenügende Frequenz und geringe Intensität der Schwingungen. Simon hat dann zwar in einer neueren Arbeit die Theorie formuliert und die Wege gewiesen, wie man diese Hindernisse überwinden müsse. In- zwischen hatte sich ein anderer Experimentator, der schon mehrfach Proben seiner originellen Ein- fälle gegeben hatte, nämlich der besonders durch sein ingeniöses magnetisches Telegraphon be- kannte dänische Ingenieur Po ulsen an praktische Studien des Duddell'schen Phänomens gemacht. So glückte ihm eines Tages in Übereinstimmung mit der Simon'schen Theorie eine rapide Steige- rung der Frequenz und Intensität, indem er den Lichtbogen in verschiedene Gase, besonders Wasser- stoff, brachte; eine weitere Besserung ergab die Benutzung von Kupfer als Anode und Kohle als Kathode, sowie die Abkühlung der Anode. Auf diese Weise gelang es Po ulsen, zum erstenmal mit ungedämpften Wellen über größere Strecken drahtlos zu telegraphieren. Gleichzeitig aber war mit dieser Entdeckung auch die drahtlose Tele- phon ie ermöglicht. Denn jetzt brauchte man, wie es jeder Fachmann schon vor Jahren voraus- gesagt hat, nur in der bekannten Weise durch Überlagerung von Mikrophonströmen den Licht- bogen zum Singen und Sprechen zu bringen, um den ausgesandten elektrischen Wellen die mensch- liche Sprache aufzuprägen. Das Prinzip ist das- selbe wie bei der schon sehr alten Methode einer drahtlosen Telephonie vermittels der Lichtschwan- kungen und einer darauf reagierenden Selenzelle. An der Empfangsstation für elektrische Wellen wird jetzt an Stelle der Selenzelle ein mit dem Luftdraht verbundener elektrolytischer Schloemilch- Wellendetektor benutzt, der auf die feinsten In- tensitätsschwankungen der elektrischen Strahlungen reagiert und seine resultierenden Stromschwan- kungen in dem mit ihm verbundenen Telephon wieder in die Sprachlaute umzusetzen gestattet. Mit den bisherigen Mitteln dürfte die Reichweite dieser modernen drahtlosen Telephonie etwa 100 km betragen. Heutzutage spielt auf vielen praktischen Ge- bieten die Wissenschaft eine führende Rolle, aber auf keinem anderen Gebiete war ein so geschlosse- nes Vorgehen von Wissenschaft und Technik er- forderlich, wie auf dem Gebiete der drahtlosen Telegraphie. Auf diese Weise hat sie in der kurzen Zeit ihres Bestehens Enormes geleistet. Unermüdliche und opferfreudige Arbeit ist auf beiden Seiten erforderlich gewesen; aber die Schaffenden fühlen sich belohnt, wenn ihr Mühen wie hier nicht vergebens gewesen ist. N. F. \'I. Nr. s Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 71 Kleinere Mitteilungen, Pyrodinium bahamense n. g. n. sp., die Leucht-Peridinee des „Feuersees" von Nassau, Bahamas. Von L. Plate. (Archiv für Protisten- kunde, VII. Band, 1906.) Die Insel New Providence im Bahama- Archipel bietet dem Naturforscher eine seltene Sehenswürdig- keit in dem sogenannten ,, Feuersee", der von der Hauptstadt Nassau aus leicht zu Wagen in y.. Stunde zu erreichen ist. Er ist ein kleiner, wolil '/., qkm großer See, ,,\Vaterloo- oder Firelake" genannt, der durch einen schmalen, '., km langen Kanal mit dem freien Meere verbunden ist, so daß er stets frisches Seewasser empfäigt. Seine Ufer sind mit dichtem Mangrovegebüsch bewachsen, zwisciien dessen Wurzeln ein reiches Tier- und Pflanzenleben sich abspielt. Am Abend und bei Nacht erglänzt der einsame See in herrlichem Meeresleuchten, wenn der Wasserspiegel irgendwie bewegt wird, ein ganz schwaches und kurzes Nachtleuchten an seine Stelle treten zu lassen. Die Ursache des Leuchtens ist wahrscheinlicli in Oxydationsvor- gängen an Oltröpfchen zu suchen, die in beträcht- licher Anzahl am Hinterende von Pyrodinium er- kennbar sind. Wie bei anderen, schon bekannten Leucht-Peridineen das Aufblitzen durch äußere Reize au>;gelöst werden kann, so auch in unserem Falle. Durch mechanische, thermische und che- mische Reize werden die Pyrodinien zu kurzem Aufblitzen gebracht, jedoch kann diese Erschei- nung sicher auch spontan erfolgen. Die neue Dinoflagellate ist dem bekannten Peridinium ziemlich ähnlich. Der kugelige, im Durchmesser etwa '20 n^^i starke Körper ist von einer vorderen und hinteren Schale umgeben, die ungefähr die gleiche Größe haben und durch ein schmales Gürtelband zusammengehalten werden. Die Vorderschale läuft in einen kurzen Aufsatz, den Apex, aus, der beim Schwimmen nach vorn Fi?. I. Fig. 2. Fig. Fig. I. Pyrodinium bahamense (schematisiert nach Plate). Von unten (ap = Apex, qg := Qiiergeißel, lg = Längsgeißel, fm = Flügfimembran). Fig. 2. Pyrodinium bahamense, .■\nsicht von oben (schcm. nach Plate). '■'g- 3- Pyrodinium baliamense, optischer Schnitt (schcm. nach Plate). (ft = Fclttröpfchen, nu = Kern, öl = Ültröpfchen, clir = Chromatophorea, nb ^ Ncbcnkorper, vac = Valiuole.) sei es durch Ruderschläge, durch den Strudel, den rasch schwimmende Fische erregen, oder sonst eine Ursache. Das. Leuchten kann so stark wer- den, daß der Beschauer deutlich seine Uhr zu er- kennen vermag. Meist ist dies schöne Schauspiel das ganze Jahr über zu beobachten. Nur nach anhaltenden Regenfällen, die den Salzgehalt des Sees beträchtlicii herabsetzen und dadurch die Leucht-Peridineen massenhaft zum Absterben bringen, schwächt das Leuchten stark ab oder setzt sogar ganz aus. Der Erreger dieses Meeresleuchtens ist eine kleine Dinoflagellate, Pyrodinium bahamense, die, mit dem Pianktonnetz gesammelt und in ein Glas mit Salzwasser gebracht, noch tagelang lebt und sich am hellsten Teile der Wasseroberfläche in dichten Scharen zusammendrängt. In größeren Mengen unter das Mikroskop gebracht, kann man an dem Flagellat ein plötzliches, unvermitteltes Aul leuchten beob- achten, das jedoch nur eine Sekunde anhält, um ge''ichtet ist. Das Gürtelband umspannt den Körper annähernd äquatorial und wird jederseits von einer dünnen Ringfalte begleitet, die durch Rippen ge- stützt ist. Die beiden Schalenhälfien werden von je 2 Reihen von Platten zusammengesetzt, die sich um die Pole des Körpers gruppieren und die von- einander durch Leisten getrennt werden. Diese Schalenplatten sind von in Reihen angeordneten Poren durchbrochen. Am Apex erheben sich I bis 3 Stacheln, von denen aus zwei dünne Häut- chen bis zur Ringmembran ziehen. Am hinteren Pole steht gleichfalls ein Stachel , an dem drei nach vorn ziehende Flügelmembranen ihren Ur- sprung nehmen. Die Querfurche ist von 8 lang- gestreckten, schmalen Platten ausgekleidet. In ihr befindet sich die bandförmige Ouergeißel, die mit ihren Enden in der Geißelspalte wurzelt und durch ihre undulierenden Bewegungen das Pyrodinium in Rotation versetzt. In der mit dem Plasmaleib in Verbindung stehenden Geißelplatte nimmt auch 72 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 5 die freischwingende Längsgeißel ihren Ursprung, die weit aus dem Körper hervortritt und das Vor- wärtsschwimmen des Pyrodiniums bewirkt. Bei Reizen wird diese Längsgeißel in den schützenden Trichter zurückgezogen, den die Flügelmembranen der Hinterschale um die Geißelspalte bilden. Das vom Panzer eingeschlossene Protoplasma zeigt feine .Strukturen. Nach außen hin wird es von einer doppelt konturierten Membran begrenzt. Innerhalb des Protoplasmaleibes finden wir in radiärer Anordnung die Chromatophoren (Farb- stoffträger), die die Form von Bändern und Stäben haben und von kräftigen Protoplasmasträngen, die in gleicher Richtung verlaufen, gestützt werden. Weiter nach innen ist das Plasma feinkörnig und schließt den „Nebenkörper" ein, ein Gebilde un- bekannter Funktion. Dieser im Hinterende der Zelle liegende Nebenkörper lehnt sich oft dicht an den ansehnlichen, wurstförmig gestalteten Kern an, der die Mitte der Zelle einnimmt und in den zahlreiche homogene Körnchen eingebettet sind. Dazu kommen noch als Plasmaeinschlüsse die L^etttröpfchen, die in verschiedener Größe und An- zahl meist zwischen den Chromatophoren liegen. Wichtig für das Zustandekommen der Leucht- erscheinung sind wahrscheinlich die glänzenden, kugeligen Öltropfen, die um den Nebenkörper und zwischen den Chromatophoren des Hinterendes verteilt liegen. In der vorderen Zellhälfte läßt sich eine große Vakuole nachweisen. W. Effenberger-Jena. Ein eigentümlicher ,, kernloser Apfel", der durch die beifolgenden Abbildungen in der Außen- ansicht (Fig. i) sowie im Vertikal- und Horizontal- durchschnitt (Fig. 2 u. 3) in '/^ natürlicher Größe ver- (Fig. i), ja, von der einen Seite gesehen (Fig. 2), eine Verbreiterung nach dem Kelche zu, ferner besonders stark entwickelte Wülste sowohl an der Stielseite wie auch am Kelche. Leider ließ sich, da nicht bekannt war, von welchem Baume der Apfel stammte, bei der abnormen Gestalt der Frucht nicht mehr feststellen, welcher Sorte sie angehörte (wahrscheinlich war es einer der eng- lischen Küchenäpfel). Noch merkwürdiger als von außen stellte sich die Frucht im Durchschnitt dar. Es zeigte sich, daß im ,, Kerngehäuse" die Zwischen- wände, welche bei normalen Früchten die ein- zelnen ,, Samenfächer" voneinander trennen (Fig. 4), vollkommen fehlten, wälirend im übrigen ein perga- mentartiges Endokarp wie sonst vorhanden war.') Kerne oder unentwickelte Samenanlagen fanden sich im Innern der so entstandenen Höhlung nicht vor. Zur Entstehung dieses eigenartigen Kerngehäuses gab jedenfalls ein bereits abnorm gebauter und verwachsener l^Vuchtknoten Veranlassung. Daß trotz des Mangels befruchtungsfähiger Samenanlagen ein Wachstum von Fruclitknotenwand und Blüten- boden zu einer Frucht von normalerGrößestattfinden kann, zeigte Müller -Thurgau (Landw. Jahrb. d. Schweiz 1898); er erklärt die F"ruchtbildung in solchen Fällen damit, daß bereits der Reiz des in den Fruchtknoten eindringenden Pollenschlauches genüge, um jenen nicht allein lebensfähig zu er- halten, sondern auch zu weiterem \\'achstum an- zuregen. Während aber bei den von ihm genannten Sorten (Apfel Sonderkern, Lebrun's Butterbirne) der Mangel an Samenanlagen eine erbliche Eigen- schaft der Sorte ist, handelt es sich bei der uns vorliegenden Frucht offenbar um ein abnorm ent- wickeltes Exemplar einer sonst kernhaltigen Sorte. Es wäre zweifellos von Interesse, festzustellen, ob solche oder ähnliche Abnormitäten unter den '"■^^ -•^ '-ir- n Fig Fig. 2. Fig- 3- Fig. 4. anschaulicht wird, fand sich unter der diesjährigen Ernte eines hiesigen Obstgartens. Die äui3ere Ge- stalt des Apfels ist von vornherein auffallend : während sich Apfelfrüchte im allgemeinen nach dem Kelche zu etwas verjüngen und nach der Stielseite hin abrunden, zeigte dieses Exemplar — abgesehen von der auch sonst nicht gerade seltenen, ungleich starken Ausbildung der beiden Hälften — mehr parallel verlaufende Seitenflächen Früchten der Kulturvarietäten unserer Kernobst- bäume auch von anderer Seite bereits beobachtet worden sind. F. Herse (Geisenheim a. Rh.). ') Die auf Fig. 2 sichtbaren aufgerissenen Stellen dieser Wandungen, sog. ,, Wollstreifen", au denen die sklerencliyma- tisclie Schicht von parenchymatischen Zellwucherungen durch- brochen ist, kann man häufig beobachten (vgl. Sorauer, Hdb. d. Pfl.kr., M, S. 324J. N. F. VI. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 73 Apparat zur Drei-, Fünf- und Siebenteilung eines Winkels. — Im Anschluß an den Artikel in Nr. 25, N. F. Bd. III p. 394 unserer Zeitschrift, bringen wir nachstehend einen Apparat, der eine Drei-, l'~ünf- und Siebenteilung eines Winkels er- möglicht und wahrsclieinlich noch nicht bekannt ist.') Ebenso ließe sich beweisen, daß auch -^ BMC = ^ CMD = -3 DME = -') EMF = -=5: EMG = -^GMH ist. Bilden diese 7 Winkel den Winkel a, so muß jeder von ihnen, da sie einander gleich sind, gleich «'7 sein. Bilden 5 dieser Winkel den Winkel a, so muß jeder also auch gleich 05 sein. Bilden 3 dieser Winkel den jr Winkel «, so muß jeder gleich a/3 sein. Johannes Habermann, Teltow. Es ist: MA' = MB' = MC = MD' = ME' = MF' = MG' = MH' ^ ,\'J = B' I = B'K = CK = C'L = D'L = D'X = E'N = E'O = F'O = F'P == G'P = G'Q = H'Q = JR = KR = KS = LS = LT = NT = NU = OU = OV = PV = PW = QW. Das Prinzip des Apparates beruht darauf, daß die Punkte R, S, T, U, V, W in den Rillen B'B, C'C, D'D, h.'E, F'F, G'G, den geradlinigen Verlänge- rungen von MB', MC, MD', ME', MF', MG', ent- langgleiten und daß in jeder Stellung des Apparates die Winkel bei M einander gleich bleiben. Soll ein Winkel, a, in sieben gleiche Teile ge- teilt werden, so stellt man den Apparat auf die Größe des zu teilenden Winkels ein, indem man MA auf den einen, MH auf den anderen Schenkel von ö legt. Dann ist -'J AMB = '/, -4 a. Will man a in fünf gleiche Teile teilen , so muß der Apparat so weit ausgezogen werden, daß MA und MF die Schenkel von a sind. Dann ist -a AMB = ',,, -4 a. Bei der Dreiteilung des Winkels « muß der Apparatwinkel AMD auf« eingestellt werden. Dann ist -? AMB = i/g -a: a. Beweis : -^ AMB = -4 JB'B ^ JB'B = ^ KB'B ^ KB'B = ^ BMC -=? A'MB = -=4 BMC. ') Die hübsche Idee des Herrn Habermann dürfte unsere Leser interessieren, wenngleich dem Apparat eine praktische Bedeutung kaum zuzusprechen sein wird. Die genaue Aus- führung des im Prinzip einfachen Apparats dürfte doch einen ziemlich hohen Preis desselben bedingen, so daß derselbe mit bereits von anderer Seite ersonnenen, in der mechanischen .Ausführung einfaclieren .Apparaten nicht wird konkurrieren können. Red. Magnetische Verbindungen aus unmagnetischen Elemen- ten. • — Unter den Manganver- bindungen hatten sich bisher das Borid und das Antimonid als magnetisch erwiesen und man hatte gefunden, daß diese Körper sogar durch einen starken rema- nenten Magnetismus ausgezeichnet sind. Prof Wedekind in Tübingen hat nun, wie er mitteilt,') eine Reihe weiterer Manganverbin- dungen auf Ferromagnetismus untersucht. Hier zeigte sich, daß das von Heusler seinerzeit als magnetisch bezeichnete Manganarsenid keine mag- netischen Eigenschaften besitzt. Doch klärte sich dieser Widerspruch bald auf. Es gibt nämlich außer dieser Verbindung von As noch eine zweite, die der Form Mn.^As entspricht, die aus der ersteren durch Erhitzen entsteht und tatsächlich magnetisch ist. Phosphormangan, welches Wedekind durch Einwirkung von flüssigem Mangan auf roten Phos- phor erhielt, erwies sich als magnetisch, ebenso das Phosphormangan, das aus gelbem Phosphor und wasserfreiem Manganchlorür dargestellt wurde. Auch hier findet sich ein Widerspruch mit den Angaben Heusler's, was auf die Existenz mehrerer Phosphorverbindungen desMangans hinweist. Ferner kam Mangancarbid zur Untersuchung. Das auf aluminothermischem Wege gewonnene Produkt ist zwar stark magnetisch, enthält aber Aluminium. Im elektrischen Ofen -) gewann Wedekind aus Manganoxyduloxyd und Zuckerkohle ein Carbid, das sich vom Hufeisenmagnet anziehen ließ. Das Silicid war unmagnetisch. Eine interessante Ver- bindung ist das Manganwismutit, wahrscheinlich von der Form MnBi. Diese zeigte sich als stark magnetisch, obgleich das Wismut stark diamagne- tische Eigenschaft besitzt. Seine Reindarstellung war schwierig. Ferner gelang es Wedekind und Veit, Mangan durch Stickstoff zu magnetisieren. Hierzu wird das Metall im Knallgasgebläse erhitzt und als Stickstofflieferant Ammoniak benutzt. So entsteht das ebenso stark wie Antimonid magne- tische Mangannitrid. Dagegen zeigten die Nitride ') Chem. Ztg. 1906. 76. 920. 2) Siehe auch die vom Ref. demnächst orschemende Originalabhandlung über den elektrischen Ofen. 74 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 5 MngNj und Ma^N, keinen merklichen Ferromagne- tismus. Da sich Mangan auch im 0-strom magneti- sieren läßt, darf man annehmen, daß die hohen Temperaturen hierbei von wesentlicher Bedeutung sind. Andere Manganverbindungen, deren Magnetis- mus sich nicht ohne weiteres nachweisen läßt, sind das Selenid, das Tellurid und das Sulfid. Schließ- lich konnte auch an dem Manganjodür, also einem festen Salz des Mangans, Ferromagnetismus nach- gewiesen werden. VViedemann u. a. wiesen be- reits auf den Magnetismus von Eisen-, Kobalt- und Nickelsalzen hin. Aus den magnetischen Untersuchungen der betr. Verbindungen ist noch hervorzuheben, daß das reine, kompakte Antimonid von der Formel MnSb eine größere Permeabilität besitzt, als das Borid. Auch fand Wedekind, daß die magnetischen Eigenschaften der Manganverbindungen etwa der Größenordnung derjenigen des Eisens entsprechen. Aus seinen Versuchen schließt Wedekind, daß die hohen Temperaturen nicht im Sinne einer Energiezufuhr, sondern chemisch wirken, so zwar, daß die magnetisch stabilen Verbindungen ge- bildet werden, die zugleich den höchsten Mangan- gehalt aufweisen. Lb. Vereinswesen. Deutsche Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde (E. V.). — Nach der durch die Satzungen vorgeschriebenen sommerlichen Ruhe- pause nahm die Gesellschaft am Freitag, den 12. Oktober, mit einer Besichtigung der allge- meinen photographischen Ausstellung in den Räumen des Abgeordnetenhauses ihre Arbeit wieder auf. Am Tage darauf, am Sonnabend, den 13. Oktober, hielt im großen Hörsaal VI der Kgl. Landwirtschaftlichen Hochschule Herr Dr. Scheffer einen Vortrag iiber das Thema: „Einiges aus der wissenschaftlichen Photograph ie". Am Montag, den 29. Oktober, sprach an dem gleichen Orte Herr Dr. C. Thesin g iaber: ,,D i e Infusionstierchen, ihren Bau und ihr Leben". . Der Name Infusionstierchen oder Infusorien, so führte der Vortragende aus, ist ein Sammel- name, unter dem man früher eine große Zahl sehr verschiedenartiger und einander fremder Or- ganismen zusammenfaßte, verstand man doch darunter alle diejenigen Lebewesen, welche sich in sogenannten Infusionen, in Wasseraufgüssen auf Heu, trockenem Laub oder Pfefferkörnern nach kürzerer oder längerer Zeit, wie man glaubte, durch Urzeugung einzustellen pflegten. So kam es, daß man nicht nur alle möglichen Arten von Urtierchen, sondern selbst höhere, vielzellige Tiere, Rotatorien und andere als Infusorien zu bezeichnen pflegte. Erst allmählich klärten sich die An- schauungen und der Begriff der Infusionstierchen wurde mehr und mehr eingeengt und erhielt eine festere Umgrenzung. Bis in die neueste Zeit aber faßte man immer noch zwei große und in ihrem Bau recht abweichende Abteilungen des großen Protozoenreiches als Infusorien zu einer Einheit zusammen, die Wimperinfusorien einerseits und die Geißelinfusorien oder Flagellaten auf der an- deren Seite. Jetzt hat man aber auch diese letzte Gruppe von den Infusorien abgetrennt und sie zu einer selbständigen Klasse, den Mastigophoren, gemacht. Der Name Infusorien dagegen ist ledig- lich auf die Wimperinfusorien oder Ciliaten be- schränkt, und nur diese sind es daher auch , mit denen wir uns etwas näher vertraut machen wollen. Der erste Forscher, dem wir nachweislich die ersten sicheren Beschreibungen von ciliaten Infu- sorien verdanken, ist Antonius van Leeuwenhoek. Seine ersten Mitteilungen datieren bereits aus dem Jahre 1676, und seine Angaben sind so vollstän- dige , daß wir einige Arten danach zu erkennen vermögen. So war, um nur ein Beispiel zu nennen, Leeuwenhoek bereits die farbenschöne, im End- darme von Fröschen lebende Opalina bekannt. Bei der Unvollkommenhcit der technischen Hilfs- mittel war den Forschern dieser frülien Periode natürlich noch ein tieferer Einblick in die feineren Organisationsverhältnisse dieser winzigen Lebe- wesen versagt. Als den eigentlichen Begründer der wissen- schaftlichen Infusorienforschung können wir daher erst Christian Gottfried Ehrenberg bezeichnen, dessen Tätigkeit in den Anfang des verflossenen Jahrhunderts fällt, verdanken wir doch diesem aus- gezeichneten Beobachter nicht nur zahlreiche zu- verlässige Angaben über Leben, Ernährung und Fortpflanzung der Infusorien, sondern auch gute Beschreibungen und ausgezeichnete Abbildungen der verschiedensten Arten. Freilich aucii manche Irrtümer liefen noch mit unter. So faßte Ehren- berg die Infusorien noch mit den mikroskopischen Rädertierchen zusammen, ja hielt sie überhaupt für den höheren , vielzelligen Tieren im wesent- lichen gleichwertige Organismen, denen nicht nur wie jenen männliche und weibliche Geschlechts- organe, sondern auch ein mit Drüsen ausgestatteter Darmapparat, ein Nervensystem etc. zukommen sollte. Erst den Untersuchungen Dujardiii's, v. Sie- bold's und Kölliker's war der Nachweis vorbe- halten, daß die Wimperinfusorien einzellige Organis- men sind, daß ihnen im Gegensatz zu den höheren, vielzelligen Lebewesen nur der Wert einer ein- fachen Zelle zukommt. Daß sich diese Erkennt- nis nur sehr langsame Anerkennung zu verschaffen vermochte und anfangs heftig befehdet wurde, darf nicht Wunder nehmen. In der Tat hat bei den Ciliaten die einzelne Zelle eine solche Höhe der Organisation, eine solche Komplikation ihres Baues erreicht, daß kein Unbefangener sie als An- gehörige der einzelligen Urtierchen ansprechen würde. Die Bezeichnung Urtierchen für die Protozoen N. F. VI. Nr. 5 Naturvvisseiiscliaftliche Wochenschrift. 75 und besonders für die Wimperinfiisorien ist daher aucli im höchsten Grade irreleitend, denn ursprüng- Uche Organismen haben wir in den Einzellern ebensowenig vor uns als in den Wirbeltieren oder Insekten. Diese wie jene tragen vielmehr unver- kennbar das Zeichen an sich . daß ilne Art eine lange historische Entwicklung durchgemacht haben müsse. Hätte man früher einen so genauen Ein- blick in den Bau dieser kleinen Geschöpfe gehabt wie heutzutage, so wäre man sicherlich auch nie auf die Idee gekommen, diese- hochorganisierten Tiere könnten einer Urzeugung ihr Dasein ver- danken. Was das Vorkommen der Ciliaten betrifft, so finden wir sie in großer Zahl als Bewohner des süßen Wasser und der Meere und endlich noch als Parasiten auf und in dem Körper anderer Tiere. Das wichtigste Charakteristikum der ganzen Klasse ist in ihren Fortbewegungsorganellen, den Cilien oder Wimpern gegeben. Es sind dieses feinste Härchen, Differenzierungen des Protoplas- mas, die durch ihre schlagende Bewegung nicht nur zur Ortsveränderung dienen, sondern auch in der Regel die Aufgabe haben, Nahrungskörperchen heranzustrudeln. Je nach der Verteilung des Wimperbesatzes auf der Körperoberfläche der Ciliaten teilt man sie ein in Holotriche, Heterotriche, Hypotriche, Peritriche und Suktorien. An der Hand von Wandtafeln und Diapositiven gab der Vortragende dann eine genauere Beschrei- bung der einzelnen Ordnungen und ihrer wichtig- sten Vertreter, um sich dann der feineren Organi- sation eines ciliaten Infusoriums zuzuwenden. Als Beispiel wurde ein Angehöriger der holotrichen Infusorien, Paramaecium, gewählt, und gezeigt, zu welch' weitgehender Differenzierung das Proto- plasma einer einfachen Zelle befähigt. Dann wandte sich Vortragender den interessanten Kern- verhältnissen, den verschiedenen Arten der F"ort- pflanzung und der Konjugation etc. zu. Den Schluß des Abends bildete eine kurze Vorführung der wichtigsten parasitisch lebenden Ciliaten und ihrer Lebensweise. Im Anschluß an den Vortrag fand die dies- jährige ordentliche Hauptversammlung statt. Der I. Vorsitzende, Herr Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Kny, erteilte zunächst das Wort dem I. Schrififüiirer, Oberlehrer Dr. Greif, zur Erstattung des Jahres- berichts. Unter Hinweis auf den Umstand, daß genau vor I2 Jahren an demselben Monats- und Wochentage die Gründung der Gesellschaft statt- gefunden, führt letzterer aus, daß diese auch in dem verflossenen Geschäftsjahre getreu ihren hohen und edlen Zielen in gewohnter Ruhe und Sicher- heit ihren Arbeiten obgelegen habe. Es haben in dem genannten Zeitraum stattgefunden i6 Einzel- vorträge, 1 1 Exkursionen und Besichtigungen, sowie 3 sechs.stündige V'ortragscyklen, insgesamt also 45 Einzeltagungen. Alle öffentlichen Veranstaltungen erfreuten sich einer überaus regen Teilnahme. Auch seitens des im Jahre 1903 in die Erscheinung ge- tretenen Stettiner Zwcigvercins wurde in dem Jahre 1905 eine recht ersprießliche Tätigkeit entfaltet. Unter den dortselbst abgehaltenen 9 Vor- trägen bildete dem Bericht des dortigen Vor- sitzenden zufolge der seitens des Stammvereins zur Verfügung gestellte Vortrag des Herrn Dr. Lohöfer: ,, Herstellung und Verwendung der Kunstseide" einen Glanzpunkt. Auch 3 Exkursionen zur Erweiterung der Kenntnis der heimischen Flora und Fauna wurden vom Stettiner Verein unter- nommen. Der Schriftführer gibt der Hoffnung Ausdruck, daß vielleicht im Laufe des nächsten Sommers bei der in Aussicht genommenen Be- sichtigung der Vulkanwerft Gelegenheit gegeben sei, den Stettiner Freunden die Hand zu drücken. Mit Worten herzlichen Dankes an alle, die an der Arbeit des verflossenen Geschäftsjahres unmittel- bar oder mittelbar beteiligt gewesen sind, schließt der Schriftführer seine Ausführungen. Nachdem noch der I. Vorsitzende der Verstorbenen des Jahres 1 905 gedacht und die Versammlung sich zur Ehrung ihres Andenkens erhoben hatte, erhält das Wort der I. Schatzmeister, Herr Konsul Seifert. Aus seinem Bericht ergibt sich, daß der Kassenbestand am I. Januar 1905 Mk. 2021,72 betrug. Die Ein- nahmen während des Jahres beliefen sich auf Mk. 2925,60, die Ausgaben auf Mk. 3322,94, so daß das Jahr 1905 mit einem Kassenbestand von Mk. 1624,38 abschloß. Die Rechnungen sind durch die beiden Kassenrevisoren geprüft und in Ord- nung befunden worden. Herr Kammergerichtsrat Hauchecorne hat in der letzten Vorstandssitzung den Antrag einge- bracht, die Zustimmung der Hauptversammlung dafür einzuholen, daß in den § 12 der Satzungen nach dem ersten Absatz folgender neue Absatz eingeschaltet werde: „Die einmal geschehene und vom Vorstand zur Eintragung angemeldete Be- stellung eines Vorstandsmitgliedes bleibt so lange in Kraft, bis von einer Hauptversammlung eine Änderung beschlossen und dies zum Register an- gemeldet ist." Der Antrag wird einstimmig an- genommen. Dem Vorstand wird Entlastung erteilt. Der Ausschuß wird in der früheren Zusammensetzung neu bestellt und durch Zuwahl der Herren Hofrat Prof Dr. Penck und Dr. Eduard Hahn ergänzt. Als Kassenprüfer werden wiederum berufen die Herren Kaufmann Gravenstein und Rentier Martiny, als Stellvertreter Herr Geh. Sanitäts- rat Dr. Ulrich. Der Vorsitzende schließt hierauf die Hauptver- sammlung und bittet die Ausschußmitglieder zurück- zubleiben, um in Gemäßheit des § 12 der Satzungen die Neuwahl des engeren Vorstandes vorzunehmen. In der sich anschließenden Ausschußsitzung werden sämtliche seitherigen Vorstandsmitglieder wiedergewählt mit Ausnahme des nach Greifswald berufenen bisherigen II. Vorsitzenden, Herrn Prof. Dr. Jaekel. Neu gewählt in den Vorstand wird Herr Prof Dr. Rathgen. Die Vorstandsämter 76 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 5 werden in folgender Weise verteilt: I. Vorsitzender: Herr Geh. Reg.Rat Prof. Dr. Kny; II. Vorsitzen- der: Herr Geh. Bergrat Prof. Dr. Wahnschaffe; III. Vorsitzender : Herr Prof. Dr. L. P 1 a t e ; I. Schrift- führer: Herr Oberlehrer Dr. W. Greif; II. Schrift- führer; Herr Prof Dr. Rathgen; I. Schatzmeister: Herr Konsul R. Seifert; II. Schatzmeister: Herr Prof. Dr. Börnstein; I. Beisitzer: Herr kgl. Landes- geologe Prof Dr. Potonie; II. Beisitzer: Herr Kammergerichtsrat Hauchecorne. Die Vortragskommission wird gebildet aus den drei Vorsitzenden und dem I. Schriftführer. I. A. : Prof. Dr. W. Greif, I. Schriftführer. Berlin SO i6, Köpenickerstraße 142. Bücherbesprechungen. Meyer's Grofses Konversations -Lexikon. Ein Nachschlagebuch des allgemeinen Wissens. 6., gänzl. neubearb. u. verm. Aufl. 15. Bd. Öhmichen bis Plakatschriften. Leipzig u. Wien, Bibliographi- sches Institut, igo6. — Preis geb. 10 Mk. Der vorliegende Band 1 5 enthält wieder, abgesehen von Textabbildungen, zahlreiche (meist Doppel-)Tafeln, die sich mit Naturwissenschaftlichem beschäftigen, so die Tafeln : Ohr des Menschen, Orchideen (2 Tafeln), Orientalische Fauna , Geolog. Karte von Österreich- Ungarn, ferner eine ethnograph. Karte von Ö.-U., mehrere Tafeln Palmen u. Pantherkatzen, Papageien, Pappel (2 Tafeln), Paradiesvögel, Pfahlbauten (2 T.), Pferd (7 T.j, Pfirsiche u. Aprikosen, Erdkarte (drei- fache Tafelgröße) mit Angabe der Verbreitung der wichtigsten Pflanzengruppen, Pflanzenkrankheiten (2 T.), Pflanzenzelle (2 T.), Pflaumen, Phänologische Karte des Frühlingseinzuges in Mitteleuropa, Porträts von Philosophen (deutschen) u. Physikern (4 T.) , Pilze (5 T. ). Auch für die Geographie ist wieder reichlich gesorgt durch gute Karten (außer kleinen im Text) von Oldenburg, Österreich-Ungarn, Ostindien, Ost- u. Westpreußen, Ozeanien, Palästina, Persien, Peru und den anderen Staaten des nördl. Süd-Amerika. Von Paris ist eine Stadtkarte und eine mit der Umgebung vorhanden. — Mehr kann man wohl nicht verlangen von einem Werk, das ein Nachschlagebuch des all- gemeinen Wissens sein will. Wenn es dabei ein so großes Gewicht auf die Naturwissenschaften legt, so verdient das alle Anerkennung in Ansehung dessen, daß bei unserem gegenwärtigem Zustande die Schule durchaus noch nicht die zeitgemäßere Form gefunden hat. Um so mehr ist daher das Bedürfnis verbreitet, sich elementar über Naturgeschichtliches orientieren zu können, wobei Meyer's Konversations- Lexikon treft'liche Dienste zu leisten imstande ist. tiker , Examens - Kandidaten usw. etwas sehr Brauch- bares. Der Umstand, daß das vorliegende Büchlein bereits die dritte Auflage erlebt, beweist wohl am besten , daß es seiner ganzen Anlage nach wohlge- lungen ist. Die Formeln sind nicht einfach anein- andergereiht, sondern textlich soweit erläutert, daß ihr Verständnis keinerlei Schwierigkeit bereitet. Bei den meisten Formeln ist auch die Herleitung kurz an- gedeutet, auch historische Anmerkungen sind einge- streut. Die Dimensionen der physikalischen Maß- einheiten werden durchweg angegeben. Kbr. Prof G. Mahler, P h y s i k a 1 i s c h e F o r ni e 1 s a m m - lung. 3., verb. Auflage. 182 Seiten mit 65 Fig. Leipzig, G. J. Göschen. — Preis geb. 80 Pf. Eine Zusammenstellung der physikalischen For- meln in Taschenbuchformat ist gewiß für viele Prak- Wissenschaftliche Ergebnisse der deutschen Tiefsee-Expedition auf dem Dampfer „Valdivia" 1898 — i8gg. Im Auftrage des Reichsamtes des Innern herausgegeben von Carl Chun, Leiter der Expedition. (Jena, G. Fischer.) V. Band, 2. und 3. Lieferung. Mit den beiden umfangreichen Arbeiten, welche diese Lieferungen füllen, ist der V. Band vollständig geworden. Er ent- hält außer der schon besprochenen Arbeit über die „Anatomie des Palaeopneustes niasicus" von J. Wagner noch die folgenden Arbeiten, welche ebenfalls das reiche, von der Expedition heimgebrachte Seeigel-Material behandeln. Ludwig Döderlein (Straßburg i. E.) : Die Echinoiden der deutschen Ti efsee - Expe - dition. Mit Tafel 9 — 50 und 46 Abbild, im Text. An 62 verschiedenen Stationen waren Seeigel er- beutet worden, die sich auf 71 Arten verteilen. 23 davon waren bisher nicht bekannt und werden von Döderlein als nova species beschrieben, ein gewiß außerordentlich hoher Prozentsatz an neuen Arten, zumal auch noch 8 neue Gattungen dafür aufgestellt werden mußten. Am interessantesten war die vor der Südküste des Kaplandes getroft'ene Seeigelfauna, die ein höchst merkwürdiges Gepräge zeigt. Einige Arten sind Charakterformen für dies Gebiet ; sie sind auf Südafrika beschränkt und haben auch keine nahen Verwandten in anderen Meeresteilen. Eine andere Gruppe von Arten ist zwar auf Südafrika beschränkt, hat aber in anderen Meeren sehr nahe Verwandte. Eine dritte Gruppe von Arten endlich ist nicht auf das Kapgebiet beschränkt , sie lassen sich von Arten aus anderen Meeresgebieten nicht spezifisch trennen. Die Seeigelfauna des Kapgebietes ist also aus endemi- schen , indopazifischen , atlantischen und subantarkti- schen Formen höchst merkwürdig zusammengesetzt; sie ist also eine ausgesprochene Mischfauna. Aus dem antarktischen Gebiet liegt in dem neuen Schizaster antarcticus eine höchst wichtige Art vor, weil sie dem atlantischen Seh. fragilis sehr nahe steht, vielleicht nur eine Varietät desselben ist. Sollte sich diese Auffassung nach Untersuchung eines späteren, reicheren Materiales als richtig erweisen, so haben wir hier das erste Beispiel einer bipolaren Art unter den Echinoiden gefunden. Eine äußerst interessante Ausbeute an Seeigeln lieferten auch die Fänge aus den größeren Tiefen N. F. VI. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. n von über looo m bei Sumatra und an der Ostküste von Afrika. Ein besonderes Kapitel der D ö d e r 1 e i n ' sehen Arbeit handelt von dem Wert der Pedicellarien, der den Seeigeln eigenen Greiffüßchen, für 'die systema- tische Verwendung, wobei die verschiedenen Typen der Pedicellarien abgebildet werden. Döderlein sagt dazu, daß die lediglich nach den Merkmalen der Pedicellarien aufgestellten Gattungen von M o r t e n s e n ohne Zweifel sicherer erkennbar und besser vonein- ander abgegrenzt sind als die nur nach Merkmalen der Schale aufgestellten Gattungen anderer Autoren. Weiterhin äußert sich der Verfasser über die Ver- wandtschaftsverhältnisse der Echinoidengruppen und entwirft auf Grund seiner eigenen zahlreichen Arbeiten über Echinodermen ein vollständiges System der Echinoiden. Die zahlreichen der Arbeit beigegebenen Tafeln sind Lichtdrucktafeln, ausschließlich nach vom Ver- fasser selbst aufgenommenen Photographien. Walter Schurig (Leipzig): Anatomie der Echinothuriden. Mit Tafel 51 — 54 und 22 Ab- bildungen im Text. Die Echinothuriden sind eine eigenartige , höchst merkwiirdig organisierte Gruppe der Seeigel, deren Schale, wie die der Holothurien, biegsam ist. Im Jahre 1863 fand S. P. Wood ward in der Kreide spärliche Reste eines Echinoderms mit solch bieg- samer Schale, die sich aus dachziegelartig deckenden Täfelchen aufbaute. Er glaubte eine längst ausge- storbene Tiergattung vor sich zu haben und nannte sie Echinoihiiria ßoiis. Aber schon im Jahre 1867 konnte der Breslauer Zoologe E. Grube einen aus den chinesischen Gewässern stammenden Seeigel be- schreiben (Asihenosoina rarii/m), welcher eine glatte Gestalt und biegsame Schale hatte und der fossilen Echinothuria floris sehr nahe stand. Später brachten verschiedene Expeditionen ein größeres Material aus dieser Gruppe, so die „C h a 1 1 e n g e r" - E x p e d i t i o n, P. und F. Sarasin, Fürst Albert von Monaco und namentlich die ,,Danish Ingolf Expedi- tion 1902", worauf Mortensen schon ein ganzes System der Echinothuriden begründen konnte. Die deutsche Tiefsee-Expedition war so glücklich, aus dieser kleinen Gruppe 10 Arten zu erbeuten, von denen 5 von Döderlein in der vorigen Arbeit als neu beschrieben und benannt wurden. Sc hur ig liefert nun in der vorliegenden Arbeit eine eingehende anatomische und histologische Unter- suchung dieser weichschaligen Seeigel, namentlich an den Arten Phormosoma indicimn Död. , Hygrosoma iii-tlüopicum Död. und Spereosoma hiseriatum Död. \'on den Echinothuriden steht die Gattung Phormosoma durch die innere Anatomie den übrigen Echinoideen am nächsten und zwar besonders den Diadematiden und sie ist als die höchststehende Gattung unter den Echinothuriden zu betrachten. IX. Band, 2. Lieferung. Job. Thiele (Berlin): Archaeomenia prisca n o v. gen. nov. spec. Mit Tafel 28. Thiele hatte schon in einer früheren Arbeit im 3. Band dieses Werkes eine Proneomenia valdiviat von der afrikanischen Ostküste beschrieben und da- durch die kleine Gruppe der Urmollusken Soleno- gastres, die bisher nur 6 Arten überhaupt umfaßte, durch eine siebente vermehrt. Nun kann er eine achte Art aus dieser Gruppe beschreiben, für welche er zugleich eine neue Gattung aufstellen muß, weil eine wohlentwickelte mehrreihige Radula vorhanden ist. Die Gattung Archaeomenia unterscheidet sich ferner von den übrigen Gattungen durch die dünne Cuticula mit den charakteristischen Kalkgebilden, das P'ehlen besonderer Speicheldrüsen , die Anwesenheit eines zungenförmigen Kopulationsorganes und zweier Penisstacheln, die mit wohlentwickelten, schlauchförmi- gen Drüsen in Verbindung stehen und schließlich durch die Kiemenhaltung in der hinteren Höhlung. Die sechs Exemplare der neuen Archaeomenia prisca sind bis 12 mm lang bei einem Durchmesser von 2 — 2,5 mm. Sie stammen von Südafrika und wurden am südlichen Teil der Agulhasbank in einer Tiefe von 564 m erbeutet. J o h. Thiele (Berlin) : Über die Cli i t o n e n der deutschen Tiefsee- Expedition. Mit Tafel 29. Die Zahl der von der deutschen Tiefsee-Expedi- tion erbeuteten Placophorenarten ist nicht groß; sie betrug nur 8 und davon beschreibt Thiele 4 Arten als neu. Die Käferschnecken oder Chitonen sind hauptsächlich Bewohner der Flachsee und der Bran- dungszonc und so war es erklärlich, daß eine Tiefsee- Expedition kein bedeutendes Material davon zutage fördern würde. Die größte Tiefe, aus der die Chitonen stammen, war 660 m. Nur eine Art Lepidopleurus niasicus stammt aus wärmeren Teilen der Erde, alle übrigen entstammen dem kälteren Meer zwischen dem 33." und dem 55." s. Br. Bemerkenswert ist noch, daß alle von der Tiefsee-Expedition gefundenen Arten zu den phyletisch niedersten F\imilien der Placophoren, den Lepidopleuriden, Callochitoniden und Ischno- chitoniden gehören, während die höheren Familien keine Vertreter hatten. II. Band, II. Teil, 2. Lieferung: G. Karsten (Bonn) :DasPhytoplanktondesAtlantischen Ozeans nach dem Material der deutschen Tiefsee-Expedition 1898 — 1899. Mit 15 Taf. Diese Arbeit ist eine F'ortsetzung der schon be- sprochenen Arbeit über das Plankton des antarktischen Meeres und behandelt das Planktonmaterial der Sta- tionen von Hamburg ab über Viktoria, Kapstadt, Port Elisabeth und zurück nach Kapstadt, also den Fahrt- abschnitt durch den Atlantischen Ozean und den Abstecher in den Agulhasstrom. In dieser zweiten Arbeit Karsten's wird die systematische Bearbeitung des Materiales an treibenden Pflanzen und eine sta- tistische Zusammenstellung ihrer Verteilung auf die verschiedenen Fangstationen gegeben. Verfasser ver- sucht hier, für die formenreiche .Vrt Ceratium tripos eine auf dem Körperumriß fußende, systematische Einordnung aller bisher beobachteter Formen dieser in allen Meeren vorkommenden Peridinee durchzu- führen, ein bei der verwirrenden Mannigfaltigkeit dei 78 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 5 Arten dieses Formenbereiches sehr wichtiges Unter- nehmen. Karsten stellt zunächst diejenigen Punkte fest, welche einer lediglich individuellen Variation ent- sprechen und trennt sie scharf von den Merkmalen, die zur Begründung bequemer Arten, Unterarten und Varietäten geeignet sind. Da ist z. B. die Länge des Apikalhornes ein rein individuelles Merkmal , es kann daher zur genaueren Charakterisierung von Arten und Formen nicht verwendet werden. Dagegen ist die Form des eigentlichen Körpers, die Winkel, unter denen die verschiedenen Hörner von ihm aus- gehen, ihr geradliniger oder gekrümmter Verlauf wie ihre Umrißformen von größerer Beständigkeit. Diese Merkmale sind daher für systematische Unterscheidun- gen von Bedeutung. Die Vergleichung der Resultate der Tiefsee-Expe- dition mit den Ergebnissen anderer Expeditionen, welche das gleiche Gebiet berührt haben , sowie mit den aus der Antarktis und dem Indischen Ozean ge- wonnenen Beobachtungen will Karsten in einer dritten Arbeit bringen, über die dann hier wieder ausführlicher zu referieren sein wird. F. Römer. P. Groth, Physikalische Kristallographie und Einleitung in die kristallographische Kenntnis der wichtigsten Substanzen. Vierte, neubearbeitete Auflage. Mit 750 Abbildungen im Text und 3 Buntdrucktafeln. 8". VIII u. S20 S. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann. 1905. — Preis 19 Mk. Ein ausgezeichnetes, elementares Lehrbuch der Kristallographie liegt hier in vierter Auflage vor, das seit seinem ersten Erscheinen für das Studium dieser Wissenschaft von hervorragender Bedeutung gewesen ist und diesen Ruhm auch behalten wird. In der dritten Auflage war es unter Wahrung des Grund- planes tiefgehend umgearbeitet worden ; bei der neuen Auflage hat sich so weitgreifende Änderung nicht notwendig erwiesen, aber die Fortschritte der Wissen- schaft sind in möglichster Vollständigkeit berücksich- tigt. Von der Erkenntnis ausgehend, daß die Gestalt des Kristalls ein Ausfluß seiner physikalischen Natur ist, werden die physikalischen Eigenschaften im enge- ren Sinne, wie bisher, vor den geometrischen behan- delt , aber es wird eine neue Systematik angewandt, durch die eine Klarstellung der Gesetze der Abhängig- keit der Eigenschaften der Kristalle von der Richtung im stetigen Fortschreiten vom Einfachen zum Kom- plizierten ermöglicht wird. Demgemäß ist die Be- handlung des Stoffes in dem Werke nunmehr fol- gende : I. Abteilung: Allgemeine physikalische Kristallo- graphie — die (physikalischen) Eigenschaften der Kristalle. Ein Einleitung orientiert über den Begriff homogen, amorph, Kristall, gliedert die physikalischen Eigen- schaften in skalare, vektorielle und bivektorielle und verweist auf die Symmetrie als Grundlage ihres S)- stems. Mit den bivektoriellen Eigenschaften vt)n höherer Symmetrie (Ellipsoideigenschaften) wird be- gonnen. Sie umfassen die optischen , thermischen, magnetischen und elektrischen Eigenschaften , von denen auf die ersteren der Hauptteil der Darstellung entfällt. Die homogenen Deformationen werden an- geschlossen. Unter den bivektoriellen Eigenschaften von nie- derer Symmetrie handelt es sich um Kohäsion (Spalt- barkeit) und Elastizitätseigenschaften. Unter die vektoriellen Eigenschaften fallen polare Pyro- und Piezoelektrizität, Härte und Gleitung, Auf- lösung und Wachstum, Kristallstruktur, Rationalitäts- und Zonengesetz, Symmetrie. Die Abschnitte über homogene Deformation, Ko- häsion, Auflösung und Wachstum wurden umgearbeitet. Es wird auffallen , daß auch die Kapitel über das Rationalitäts- und Zonengesetz und über die Art der Symmetrieeigenschaften , entgegen der früheren Dar- stellung, zu den eigentlichen physikalischen Eigen- schaften gezogen worden sind; allein die Gesetze folgen unmittelbar aus den auf die physikalischen Eigenschaften gegründeten Anschauungen über die Kristallstruktur und sind sonach mit einem gewissen Rechte nicht mehr als Erfahrungsgesetze behandelt worden. Bei kristallographischen Polyedern , für die das Rationalitätsgesetz gilt , sind ferner nur gewisse Symmetriearten (nämlich 31) möglich; darum sind die Symmetriegesetze der Kristalle mit jenem Gesetz eng verknüpft. Die Harmonie Verhältnisse der Kri- stalle, die z. B. Viola in seiner Kristallographie neuer- dings bei der Betrachtung und Einteilung dieser Ge- bilde in den Vordergrund gestellt hat, werden von (iroth nicht erwähnt. Die II. Abteilung bringt die spezielle physikali- sche Kristallographie oder die systematische Beschrei- bung der (geometrischen Eigenschaften der) Kristalle in ihrer Verteilung auf 32 Kristallklassen in 7 Kristall- systemen. Die Strukturverhältnisse und die Frage der richtigen Aufstellung der Kristalle finden hier Berück- sichtigung. Unter den Beispielen werden die pseudo- symmetrischen (mimetischen) Kristalle und die mit Drehungsvermögen besonders beachtet. Der Ver- gleichungstabelle der Systematik , Nomenklatur und Bezeichnung der Kristallformen von Miller, Weiß, Naumann und Levy ist eine tabellarische Darstellung der Beziehungen zwischen den kubischen hexakisok- taedrischen (holoedrischen) und ditrigonal-skalenoedri- schen (rhomboedrisch - hemiedrischen) Formen neu angeschlossen, um darzulegen, daß für die rhomboe- drischen Körper nur die auf die Kanten des Grund- rhomboeders bezogenen Miller'schen Symbole rationell seien. In der III. Abteilung werden wieder die Unter- suchungsmethoden vorgeführt. Der graphischen Be- rechnung nach den Methoden von Fedorow , Wulff und Penfield ist ein neues Kapitel gewidmet worden. Neue Apparate werden tunlichst berücksichtigt. Ein Anhang bringt ein Verzeichnis von Lieferanten und der von ihnen zu beziehenden Instrumente, Mo- delle, Präparate u. dgl., die im Texte vorgekommen sind. Das (hoth'sche Buch kann nicht genug empfohlen N. F. VI. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 79 werden. Gerade durcli seine elementar gehaltene, klare und treffende Darstellung ist es ein vorzüglicher Leitfaden für die Einführung in das ganze Gebiet der Kristallographie. Scheibe. Lebesgue, Lecjons sur les series trigono- m c t r i q u e s. Paris, Gauthier-Villars. i qo6. i 28 S. — Prix 3,50 fr. Aus der unter der Leitung von Borel veröffent- lichten Kollektion von Monographien über die Funk- tionentheorie liegt hier ein Heft über die trigonome- trischen Reihen vor. Unter Weglassung der Elemente werden in 5 Kapiteln die Pjestimmung der Koeffi- zienten der trigonometrischen Reihen , die eine ge- gebene Funktion darstellen, behandelt; dann die ele- mentare Theorie der Fourier'schen Reihen, konver- gente und beliebige Fourier'sche Reihen, endlich beliebige trigonometrische Reihen. A. S. Annuaire pour l'an 1907, public par le bureau des longitudes. Avec des notices scientifiques. 682 -|- 219 pages. Paris, Gauthier - Villars. — Prix 1,50 fr. Die dem reichen astronomischen Kalendarium mit ausführlichen Ephemeriden veränderlicher Sterne bei- gegebene Tabellensammlung enthält in diesem Jahre vorzugsweise geographisch - statistische Angaben über alle Länder der Erde, natürlich mit besonderer Be- rücksichtigung Frankreichs. Als wissenschaftliche Bei- gaben finden wir einen bedeutsamen Artikel von Bouquet de la Grye über den Durchmesser der Venus, in welchem die Abplattung dieses Planeten gleich ^\^ bestimmt wird, ferner einen Bericht des- selben Verfassers über die 15. Konferenz der inter- nationalen, geodätischen Assoziation und als Haupt- beitrag von 146 Seiten Umfang eine reich illustrierte, umfassende „Geschichte der Ideen und Untersuchungen über die Sonne" aus der Feder des durch seine wichtigen Beiträge zur spektrographischen Erforschung unseres Zentralgestirns berühmt gewordenen Astro- nomen Deslandres. Besonders die neuesten, hier erläuterten spektroheliographischen Resultate werden allseitig in hohem Maße interessieren. Kbr. Prof. Dr. Winkelmann, Handbuch der Physik. 2. Aufl. I. Bd. I. Hälfte: Allgemeine Physik. 544 Seiten mit 164 Abb. — Preis 17 Mk. — III. Bd. 2. Hälfte: Wärme. 641 S. mit 97 Abb. — Preis 20 Mk. Leipzig 1906, J. A. Barth. Die allgemeine Physik des rüstig fortschreitenden Winkelmann'schen Handbuches stammt vollständig aus der Feder von F. Auerbach. Sie bringt nach einleitenden Erörterungen über die Grundbegriffe und deren Messung ein sehr ausführliche Tabellen ent- haltendes Kapitel über Dichte, dann die Potential- theorie S. 179 — 210) und die Mechanik. Nach den allgemeinen Gesetzen der Statik und Dynamik werden in besonderen Kapiteln in diesem Halbbande behan- delt Fall und Wurf, Pendel, Kreisel, Gravitation und Elastizität. Die Wärmelehre liegt mit dem Erscheinen der zweiten Hälfte des dritten Bandes nunmehr abge- schlossen vor. Als Autoren haben an diesem zweiten Teil hauptsächlich Winkelmann (Thermometrie, Aus- dehnung, spezifische Wäime) und Graetz (Strahlung, Leitung, Mechanische Wärmetheorie, Dampfspannungen und Verflüssigung der Gase) mitgearbeitet. Die kinetische Gastheorie ist von G. Jaeger dargestellt worden. Außerordentlich ausführlich ist das über Dampfspannungen gewonnene Beobachtungsmaterial mitgeteilt, wie denn überhaupt dieser Band wieder neben den wichtigsten theoretischen Entwicklungen eine sonst wohl nirgends zu findende Fülle von Be- obachtungsergebnissen enthält, die vielfach auch in der Gestalt graphischer Darstellungen gegeben sind. Immerhin hat es den Ref wunderbar berührt, daß über das Crookes'sche Radiometer und die Versuche, dasselbe zu erklären, so gut wie nichts in diesem um- fassenden Handbuch der Physik zu finden ist. Kbr. Literatur. Ambronn. J. , ti. K. Ambronn : .Slernverzeichnis , cnlh. alle Sterne bis zur 6,5. Größe f. d. J. igoo. Bearb. auf Grund der genauen Kataloge. Mit e. erläut. Vorwort versehen u. hrsg. V. Prof. Dr. L. Ambronn. (XI, 183 S. m. 2 Tab.) Lex. 8°. Berlin '07, J. Springer. — Geb. in Leinw. 10 Mk. u. durchsch. 12 Mk. Bruhns, Prof. W. : Die nutzbaren Mineralien u. Gebirgsarten im Deutschen Reiche. Auf Grundlage des gleichnam. v. Dechenschen Werkes neu bearb. Unter Mitwirkg. v. Prof. 11. Biicking. Mit e. (färb.) geolog. Karte. (XIX, 859 S.) gr. 8". Berlin '06, G. Reimer. - 16 Mk. ; geb. 18,50 Mk. Chelius, Dr. C. : Geologische Übersichtskarte des Odenwaldes. Nach den Aufnahmen der hess. u. bad. geolog. Landes- anstalten zusammengestellt und bearb. I : 250000. 2. Aufl. 40X29 cm. F.irbdr. Gießen '06, E. Roth. — 60 Pf. Christensen, Carl: Index Filicum sive enumeralio omnium generum specierumque Filicum et Hydropleridura ab anno 1753 ad annum 1905 descriptorum, adjectis synonymis prin- cipalibus, area geographica etc. (LX, 744 S.) gr. 8°. Kopenhagen '06, H. Hagerup. — 45 Mk. Gmelin und Kraut's Handbuch der anorganischen Chemie. Unter Mitwirkg. hervorrag. Fachgenossen hrsg. von Prof. C. Friedheim. 7. gänzlich umgearb. Aufl. II. Bd. I. Abtlg. Kalium, Rubidium. Cäsium, Lithium, Natrium. Bearb. von Priv.-Doz. Dr. Fritz Ephraim. (XXVI! , 512 S.) gr. 8°. Heidelberg '06, C. Winter, Verl. — 20 Mk.; geb. in Halb- frz. 23 Mk. Briefkasten, Herrn E. in O. — Sie wollen wissen , ob die .Angaben im .Artikel „Moose'' im 14. Bande von Meyer's Großem Kon- versations-Lexikon richtig sind, da sie dieselben z. T. in Wider- spruch mit dem finden, was sie in einem Werk über diese Pflanzengruppe gelesen haben. — In dem Artikel „Moose" der im Erscheinen begriffenen sechsten Auflage sind mir ver- schiedene Unrichtigkeiten und Schiefheiten aufgefallen. Was zunäclist die Zahl der Moose anbelangt, so wird sie in der vierten .\uflage (der betreffende Band ist von 1888 datiert) auf „über 3800 Arten" bezifi'ert. In der fünften Auflage heißt es „über 4000 Arten" und nach der neuen Auflage sind die Moose „in weit über 4000 Arten" verbreitet. Das ist eiiie höchst ungenügende Art der Berichterstattung. Schon m laeger und Sauerbeck's Adumbratio (1871-1875) sind über 7742 Arten allein von Laubmoosen aulgeführt. Die erste Ausgabe des Index Bryologicus von Paris vom Jahre 1894 beziffert in der Vorrede die Arten auf etwa 12000 Arten und die eben vollendete zweite Auflage, welche nur die bis zum Jahre 8o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 5 1900 beschriebenen Arten berücksichtigt, enthält über 14000 bekannte Arten. Wohlgemerkt sind das alles nur Laubmoose, während die Zahl 4000 im Lexikon auch noch die Leber- moose einschließen soll. Sie ist also so falsch wie möglicli. — Der Artikel teilt die Moose in Leber- und Laubmoose ein, was der bis vor wenigen Jahren allgemein üblichen Einteilung entspricht. Es hätte aber erwähnt werden sollen, daß die Sphagnales und Andreaeales sicli sehr weit von den eigent- lichen Laubmoosen entlerncn und neuerdings als gleichbe- rechtigte Hauptabteilungen der Moose meiir und mehr in Auf- nahme kommen. Die kleistokarpen Laubmoose, die auch P. V. Brotherus in den „Natürlichen Pflanzenfamilien" von Engler-Prantl nach S. C>. Lindberg's Vorgang mit Recht als selbständige .\bteilung beseitigt halte, sind im Artikel ,, Moose" leider bestehen geblieben. — Ich finde ferner den Satz: ,,Der Versuch Fleischer's (,,Die Musci der Flora von Buitenzorg", Leiden 1904 ff. ), die Bryineen in ein lediglich auf die Be- schaffenheit des l'eristoms begründetes natürliches System zu bringen , hat bisher wenig Anklang gefunden". Dieser Satz ist in zweifacher Hinsicht unrichtig. Fleischer hat sein System, das sich sofort die größte Beachtung der Bryologen erzwungen hat, nicht ,, lediglich" auf die Beschaffenheit des Peristoms begründet. Der Verfasser des Artikels ,, Moose" stützt seine Behauptung vermutlich darauf, daß Fleischer's wissenschaft- liche Benennungen von Hauptgruppen der Moose sich auf die Beschaffenheit des Peristoms beziehen. Wenn der .Autor sich aber über das Fleischer'sche System etwas genauer unter- richtet hätte, so würde er seme Behauptung nicht aufgestellt haben. Nach Fleischer reagiert der vegetative Teil der Moos- pflanze auf Einwirkungen der Umgebung weit leichter und stärker, als das Spnrogon samt Peristom und nach dieser sehr leicht beweisbaren Auffassung ist die Bevorrechtung des stabileren Peristoms gegenüber dem variableren übrigen Moos- körper bei der Systematik der Moose berechtigt. Sie ,, ledig- lich" nach der Beschaffenheit des Peristoms einzuteilen, ist aber F^leischer gar nicht eingefallen. Daß sein System bisher wenig Anklang gefunden habe, ist die zweite Behauptung in dem zitierten Satze, von deren Unrichtigkeit sich der Verfasser durch Anfragen bei hervorragenden Spezialforschern der Bryologie (z. B. Brotherus, Goebel, Schiffner, Warnstorf usw.] sehr leicht hätte überzeugen können. Übrigens hat Professor Engler das Fleischer'sche System auch in seinen Syllabus auf- genommen und damit ein weit besseres Verständnis für die l^edeutung des Systems bekundet. Während es in den früheren Auflagen von den Bryineen sachlich hieß ,,Sie zerfallen in . . ", worauf die Abteilungen der Bryineen folgten, heißt es in der neuen Auflage nicht mehr ganz sachlich, sondern mehr persönlich: ,,Wir unter- scheiden" (Wer sind wir?), worauf die alte Einteilung in akro- karpe und pleurokarpe Moose folgt, die nach einem drasti- schen .Ausspruche Goebel's ungefähr der Einteilung der Pflan- zen in ,, Bäume , Sträucher und Kräuter" entspricht, und die besonders von Fleischer in ihrer ganzen Unwissenschafllichkeit nachgewiesen wurde. — In den Literafurangaben am Schlüsse des Artikels fehlen hervorragende Bryologen , wie Brotherus, der Bearbeiter der Laubmoose in ,, Engler-Prantl", Milde, Schifl"- ner, Warnstorf usw. vollständig; auch Haberlandt's schöne anatomisch-physiologisclie Untersuchungen sind nicht erwähnt, während für die Aufzählung zweier belangloser Kompilationen als „kürzerer, populärer Schrillen" Raum ist, was nicht ge- billigt werden kann. In der vierten Auflage waren Namen wie Hoffmeister, Kny, Lorentz usw. wenigstens genannt. In der „Zentralzeitung für Optik und Mechanik" vom 1 5. Sep- tember finde ich eine Kritik des Artikels „Mikroskop" im gleichen Bande des Lexikons vom Prof. Dr. Strehl. Es kann eben jeder F'orscher nur die Artikel seines engeren Gebietes auf ihre Richtigkeit prüfen, während er sich im übrigen auf die Artikel des Lexikons verlassen muß. Der „Große Meyer" ist längst nicht mehr ein bloßes Konversationsbuch lür Laien , sondern wird mit Recht auch vom wissenschaftlichen Arbeiter häufig zu Rate gezogen. Es scheint mir daher gegenüber den sonst berechtigten großen Lobsprüchen auf das Werk, denen man allenthalben begegnet, doch eine wissenschaftliche Pflicht zu sein, auch auf Mängel hinzuweisen, wie sie der Spezialforscher findet. Der Verlag des Meyer'schen Lexikons ist es seinem ausgezeichneten Rufe schuldig, auf unbedingte Zuverlässigkeit seiner Artikel zu achten. Leopold Loeske. Berlin. Herrn L. — Apogamie und Parthenogenesis im Pflanzenleben. — Die vegetative, ungeschlechtliche Fortpflanzung ist fast durch das ganze Pflanzenreich verbreitet und es entbehren solcher nur wenige Pflanzen. Sie tritt uns entgegen durch die Sprossung (Hefe), Aus- läufer (Erdbeere), Rhizome (Liliengewächse), Knollen (Kar- toftel), Brulzwiebel (Zwiebelarten), Brutknospen (Steinbrechart) etc. etc. Die vegetative Vermehrung liefert jedes Jahr und zwar sofort kräftige . blühreife und fruchtende Individuen, während Keimlinge, die aus Samen hervorgehen, oft mehrere Jahre gebrauchen, um diesen Zustand zu erreichen. Diese vegetativen Sprosse stehen an Stelle von Seitensprossen. Nun werden auch Brutknospen häufig auf Blättern angetroffen, wie auf Begonienblättern und insbesondere auf Farnblättern. Aus diesen entstehen bald junge, bewurzelte Pflänzchen, die dann selbständig weiter zu wachsen vermögen. Diese Art Fortpfl.anzung durch .Adventivsprossungen kommt nun auch durch Bildung von Adventivknospen in Samen- anlagen vor. Straßburger's Untersuchungen über diesen inter- essanten Fall lehrten uns, daß hier vegetative (ungeschlecht- liche) Adventivkeime vorliegen. Die befruchtete Eizelle kann sich neben diesen Keimen im Embryosack entwickeln. Hier hängt nun die Bildung dieser sog. Adventivkeime in dem Samen mit vielen Embryonen noch insofern von der Befruch- tung ab, als sie nur nach vorhergegangener Bestäubung er- folgt. Bei der neuholländischen Euphorbiacee Coelebogyne ilicifolia aber, die nur in weiblichen Exem])laren in unseren Gewächshäusern kultiviert wird, auch bei anderen Pflanzen nach Trcub's und Losty's Mitteilungen, entstehen die Adventiv- keime auch ohne die Anregung der Bestäubung. Hier haben wir es also mit Fällen von Geschlechtsverlust zu tun und dieses nennt man Apogamie. Bei ihrem verschiedenartigen Vorkommen und Auftreten werden z. B. bei Pteris cretica überhaupt keine weiblichen Geschlechtsorgane mehr gebildet, die junge Farnpflanze geht vielmehr durch vegetative Sprossung genau aus dtnjenigen Stellen an der Samenanlage hervor, wo die weiblichen Ge- schlechtsorgane stehen mußten. Mit der .Apogamie eng verwandt ist die Parthenogenesis, d. h. die Entwicklung einer Eizelle ohne vorhergegangene llefruchtung. Wohl ist dieser Vorgang seltener und sicher fest- gestellt nur bei Chara crinata, einem Armleuchtergewächs, einer Alge, welche oft in Form von über fußhohen submersen Wiesen in Teichen und Bächen vegetiert. Diese Pflanze ist nur in weiblichen Exemplaren im nördlichen Europa verbreitet (männliche sind nur an einigen Stellen in Südeuropa und Asien bekannt) und ohne Befruchtung entwickeln sich aus den normal aussehenden Früchten junge Pflanzen. Auch einige Algenpilze (Saproiegnia) und W.isserfarnarten weisen Purthenogenesis auf. Festgestellt wurde sie auch bei Anten- naria al])ina (Korbblütler), bei Alchemilla (Rosengewächs). Bei letzteren ist nämlich eine Befruchtung wegen der völligen Degeneration des Pollens ausgeschlossen und führt die Eizelle bereits in der geschlossenen Blütenknospe die ersten embryo- nalen Teilungen aus. Es steht fest, daß wassercnlziehende Losungen, wie Magnesiumchlorid, Zucker, Harnstoff, parlheno- genetische Entwiclilung veranlassen können. Dr. M. Inhalt: Dr. phil. G. Eichhorn: Die moderne drahtlose Telegraphie. (Schluß.) — Kleinere Mitteilungen: L. Plate: Pyrodinium bahamense n. g. n. sp., die Leucht-Peridinee des „Feuersees" von Nassau, Bahamas. — F. Hers e: Ein eigentümlicher „kernloser Apfel". — Job. Hab ermann: Apparat zur Drei-, Fünf- und Siehenteilung eines Winkels. — Wedekind: Magnetische Verbindungen aus unmagnetischen Elementen. — Vereinswesen. — Bücherbesprechungen: Meyer's Großes Konversations-Lexikon. — Prof. G. Mahler: Physikalische Formelsammlung. — F. Römer: Wissen- schaftliche Ergebnisse der deutschen Tiefsee-Expedition auf dein Dampfer ,,Valdivia" 1898 — 1899. — P. Groth: Physikalische Kristallographie. — Lebesgue: Lei;ons sur les series trigonometriques. — Annuaire pour l'an 1907. — Prof. Dr. Winkelmann: Handbuch der Physik. — Litteratur: Liste. — B lief kästen. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofi-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. &, ..'j^tii^^f^^d Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni^ und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge VI. Band; der ganzen Reibe XXII. Band. Sonntag, den 10. Februar 1907. Nr. 6. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei gröfieren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- bandlung. Über den Gehalt verschiedener Spektralbezirke an physiologisch wirksamer Energie. ') Vortrag in der med.-naturw. Gesellschalt zu Jena am 15. Dezember 1905. [Nachdruck verboten.] Von Prof. E. Hertel, I. Assistent d. Universit.-Augcnlilinik. In einer eingehenden Arbeit") auf vergleichend physiologischer Basis habe ich vor ca. 2 Jahren nachzuweisen versucht, daß Strahlen von einer Wellenlänge von 2S0 fift auflebende Organismen — Pflanzen wie Tiere, angefangen von den niedersten Protisten bis zu den VVirbeltiercn — eine gleich- mäßige Wirkung ausüben, und zwar durch direkte Beeinflussung des Plasmas der jeweilig bestrahlten Zellen. Durch die zugeführte strahlende Energie wird in den Zellen das energetische Gleichgewicht gestört, es wird dadurch ein Reiz auf die Zellen ausgeübt, der je nach der Funktion der Zellen natürlich verschieden beantwortet wird. Ist die auftreffende Strahlungsintensität zu hoch, so wird die Funktion der Zelle beeinträchtigt, eventuell dauernd gelähmt, die Zelle stirbt ab, ganz ähnlich wie wir ja auch durch andere Reize z. B. Zufüh- rung von Wärme die funktionsfördernde Wirkung dieses Reizes bei genügender Steigerung desselben in Lähmung übergehen sehen. Es gelang mir der Nachweis, daß bei dem Zustandekommen dieser Reizwirkung jedenfalls der Einfluß der Strahlen auf die Lagerung des Sauer- stoffs in den Zellen eine sehr wichtige Rolle spielt. Die Strahlen spalten ihn aus den leicht desoxydablen Verbindungen des Plasmas ab, so daß er seiner- seits wieder je nach IVIöglichkeit Verbindungen eingehen kann. F'indet er gewissermaßen ihm konforme Moleküle, so kann ein 0.\ydalionsprozeß resultieren , ist keine Gelegenheit zu einer einzu- gehenden Verbindung für den Sauerstofl" vorhanden, so kann das Resultat der Abspaltung als Reduk- tion in Ersciieinung treten. Die Strahlen aber wirken gewissermaßen nur als Katalysator. Bei genügend starker Intensität der Strahlen kann diese Reizwirkung sehr schnell, ja momentan eintreten, bei geringer Intensität be- obachtet man ein Latenzstadium der Wir- kung, so daß die Reizwirkung erst auftritt, auch wenn die Reizursache schon längst beseitigt ist, ein Vorgang, der verständlich erscheint, wenn man bedenkt, daß auch nach Entfernung der reiz- ') Ist auch erschienen in der Zeitschrift 1. physikal. und diätet. Therapie Bd. .\. Heft I. Zeitschrift für Allgemeine Physiologie 1904, Bd. 82 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 6 auslösenden Ursache — der Strahlen — , doch die durch die Sauerstoffumlagerung hervorgerufene Störung- bleibt. Zunächst woiil molekular, braucht diese durchaus nicht Veränderungen hervorzu- bringen , welche für uns sogleich wahrnehmbar sind. Allmählich aber wird sich die Störung — genügend intensive Einwirkung vorausgesetzt — immer mehr gellend machen und schließlich zur Zerstörung der beireffenden Zellen führen, wo- durch dann weitere Reizmomente auf die Um- gebung gegeben sein dürften. Mit dem Nachweis der Gleichmäßigkeit dieser durch die Bestrahlung ausgelösten Reizwirkung auf die jeweilig bestrahlten Zellen fiel nach meiner Ansicht die Annahme einer Ausnahmestellung, die man bisher dem Lichtreiz gegenüber anderen Reizqualitäten deshalb einzuräumen geneigt war, weil seine Wirkung sich nicht auf alle lebendigen Zellen zu erstrecken schien, sondern gewisser- maßen eine Auswahl in seiner Einwirkung auf die Zellen getroffen wurde. Nach meinen Beobach- tungen aber wird der durch die Strahlen von 280 ^lu ausgelöste Reiz gerade so wie z. B. chemische oder thermische Reize von allen Geweben aufge- nommen , er ist also durchaus den übrigen Reiz- arten an die Seite zu stellen. Ob sich nun diese zunächst für Strahlen von 280 fifi festgelegte Reizwirkung auch durch Strah- len aus anderen Spektralbezirken in gleicher Weise auslösen ließ, war Gegenstand weiterer umfang- reicher Untersuchungen ') , die die Unterlage der heutigen Ausführungen bilden sollen. Frühere Experimentatoren, die sich damit be- schäftigen, irgend eine von Strahlen aus verschie- denen Spektralgebieten auf lebende Organismen ausgeübte Wirkung zu untersuchen — ich erinnere z. B. an die zahlreichen .'\rbeiten über die bakterien- tötende Wirkung des Lichtes, oder über den Ein- fluß desselben auf den Assimilationsprozeß der Pflanzen — verfuhren dabei so, daß sie entweder durch Filter mehr oder weniger rein monochro- matische Strahlen auf die Organismen wirken ließen , oder dieselben in spektral zerlegtes Licht brachten und dann die Wirkung in den einzelnen Spektralbereichcn beobachteten. Eventuell konsta- tierte Verschiedenheiten in dieser Wirkung wurden dann auf die Verschiedenheit der Wellenlängen der verwandten Strahlengebiete bezogen. Dieser Schluß aus derartigen Untersuchungen dürfte aber zum mindesten übereilt , für viele Fälle sogar direkt falsch sein. Denn es fehlt in allen Arbeiten voll- ständig die Berücksichtigung der enor- men Verschiedenheiten der Gesamt- intensität der Strahlung in den einzel- nen Spektralgebieten. Von dieser Gesamt- intensitäi ist naturgemäß die physiologisch wirk- same Energie nur ein mehr oder weniger großer Teil, gerade so, wie ja auch z. B. die chemische ') Zeitschrift für Allgemeine Physiologie 19Ö5, Bd. V, Heft I und 4. Energie. Es ist also unbedingt notwendig, daß man diese Intensität der Gesamtstrahlen in Rech- nung zieht. Denn nehmen wir z. B. an, daß ein Wellenlängengebict A stärkere Wirkungen auf ein lebendes Objekt ausübt als ein Wellenlängen- gebiet B. so könnte der erzielte Effekt doch erst dann auf die andersartige Wellenbeschaffenheit von A bezogen werden, wenn man weiß, daß die insgesamt aufgewendete Energie von Haus aus in A und B dieselbe war. Weiß man aber über letztere nichts, so könnte die beobachtete Differenz in der Wirkung auf das lebende Objekt sehr wohl ein- fach eine Folge der etwa vorhandenen Intensitäts- differenz sein. Ich habe deshalb bei jedem der auf ihre physiologische Wirkung zu untersuchen- den Wellengebiete zunächst die Gesamtenergie bestimmt und eventuell mit der zu vergleichenden Wellenlänge egalisiert und erst dann die durch diese bekannte Strahlung hervorgebrachte Reaktion der Organismen geprüft und verglichen. Von dieser gemessenen Gesamtenergie der ein- zelnen zum Experimentieren benutzten Spektral- gebiete kommt aber offenbar nur das zur physio- logischen Wirkung, was in die bestrahlten Orga- nismen einzudringen vermag. Denn die Umsetzung der strahlenden Energie in physiologische Energie erfolgt natürlich innerhalb der Organismen, die Wirkung ist demnach nicht nur abhängig von der Intensität der Strahlen, sondern auch von der Auf- nahmegröi3e der Strahlen durch den Organismus. Wir können uns also über den relativen Gehalt der Spektralbezirke an physio- logischer Energie auch erst dann äußern, wenn wir die relative Absorption der zu vergleichenden Spektrallinien durch die Organismen festgestellt haben. Von diesen Gesichtspunkten aus dürfte der Gang meiner L'ntersuchungen leicht verständlich erscheinen. Zunächst habe ich alle zum Experi- mentieren verwendeten Strahlenbezirke ihrer Ge- samtintensität nach ausgemessen. Ich bediente mich dabei der thermoelektrischen Methode, wobei ich an einem äulSerst empfindlichen Du Bois-Rubens- schen Kugelpanzergalvanometer die Größe des Thermostromes, welcher durch die in Wärme um- gesetzte strahlende Energie hervorgebracht wurde, feststellte. Als Quelle für die Gewinnung der ein- zelnen Spektrallinien benutzte ich die Funken- spektra verschiedener Metalle; nur für einige be- sonders intensive Linien von blauen und gelben Strahlen zog ich eine Dermolampe mit gekühlten Eisenelektroden heran. Die Funkenspektra der Metalle boten den Vorzug einer leichten und reinen Darstellung der Spektrallinien, die sich auch wegen ihrer charakteristischen Lage immer wieder schnell auffinden ließen. Durch Variation der primären Stromstärke, der Funkenlänge und Zwischenschal- tung einer oder mehrerer Leydener Flaschen von bekannter Größe ev^ mit oder ohne eine Induk- tionsspule in den sekundären Stromkreis ließ sich die Intensität der einzelnen Strahlenbezirke bequem verändern. N. F. VI. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 83 Die Ausmessungen ließen bald erkennen, daß die einzelnen Linien in den verschiedenen Spektren eine sehr dilTerente CTesamtcnergie haben. Um nun meine Untersuchungen ph)-siologischer Art nicht gar zu sehr zu komplizieren, habe ich verschiedene besonders charakteristische und inten- sive [Jnien in gewissen Welienlängenabständen, die sich etwa um 50 tia bewegten, aus verschie- denen Spektren ausgewählt und nur mit diesen physiologische Experimente angestellt. Ein Rück auf die Tabelle i, die die gefundenen Werte ent- hält, dürfte aber beweisen, daß auch hier noch reichen, so daß es mir gelang, alle Wellenlängen- bezirke in gewünschter Weise ihrer Intensität nach zu egalisieren. Die Anordnung der physiologischen Experi- mente war nun so, daß ich dieselben Apparate, namentlich auch dieselbe Of)tik zur Bestrahlung der Organismen benutzte, die ich bei der Aus- messung der Energie verwandt hatte. Es wurde nur die Thermosäule mit den zu bestrahlenden Objekten vertauscht. Dadurch bekam ich mit großer Gleichmäßig- keit Aufschluß über die am Orte der zu beob- r a li e 1 1 e I. Ausschläge des Galvanometers. 2 Amp., 2 Amp., Induktions- Induktions- Induktions- Wellenlänge in na I Leyd. 2 Leyd. . 4 Amp,, 2 Flaschen spule 2 Amp,, spule 2 Amp., spule 4 Amp. Flasche Flaschen I Flasche 2 Flaschen 2 Flaschen Zmk 210 4,5 10 15 2,5 6 Kadmium 232 16 33 48 9 19 — ., 274 ■0,5 20 42 5 — — Magnesium 280 120 230 510 (mit 6 Amp, II 00) 74 200 — Zink 334 9 24 34 {mit 6 Amp. 47I 6,5 15 20 Magnesium 383 10 29 55 17 48 65 „ 448 9 30 50 — 18 35 Zink 468 6 IS 25 4 9 13 Magnesium 516 5 19 35 8 23 30 Zink 636 5 n 20 3,5 6 — Kadmium 650 7 14 34 7 10 — Tabelle 2. Abtötungszeit der Bakterien. Ausschläge des Galvano- 2,5 4-6 9-II 15—16 30 — 35 47-50 65-70 120 490 — 510 1050— 1 100 meters 210 uu 15" 10" — 232 „ „ 280 „ z 60- 3' 35" 10" 40" 21" 7" ^11 ^ 334 „ ;2 383 „ g 440 ., ? 448 „ — — 5' n, 2 Stdn. noch lebend 50-70" 8' 3'_ — 2—3 Stdn. — 516 „ -^ n. I Stde. — — — — — 558 „ — — — — noch lebend — — — 5—6 Stdn. n. 4 Stdn. recht erhebliche Differenzen in den einzelnen Wellen- längenbereichen sich fanden. Namentlich ragte die Magnesiumlinie von 280 f^iu an Energie bedeutend heraus, und es gelang nicht, durch irgendwelche Verstärkung in den anderen Bezirken ähnliche Energiehöhen zu erreichen. Ich habe daher die Intensität der Strahlung von 280 iiu durch Filter abgeschwächt. Dabei leisteten mir die ultraviolett- durchlässigen Gläser von Zschimmer sehr gute Dienste; ich konnte durch geeignete Wahl der Filterdicke, eventuell auch durch Kombination dieser mit dünnen Filtern aus gewöhnlichem Glas schließ- lich jede gewollte Abstufung der 280 /(/(-Linie er- achtenden physiologischen Wirkungen vorhandene Gesamtenergie der jeweilig benutzten Strahlung. Ich konnte also alle die komplizierten Korrektionen, welche durch die für alle Wellenlängen ja ver- schiedenen Reflex- und Absorptionsverhältnisse be- dingt waren, unterlassen, denn die Messung der Strahlen in physikalischer Hinsicht wie die Beob- achtung ihrer physiologischen Wirkung fanden ja erst statt, nachdem die Strahlen beide Male die- selben Medien passiert halten. Die Bestrahlung wurde stets unter gleichzeitiger Beobachtung mit dem Mikroskop vorgenommen. Die Organismen wurden in geeigneter Weise auf 84 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 6 den Mikroskopobjekttisch in feuchten Kammern aufgestellt, durch geeignete Kondensoren die Strahlen von unten her auf sie geleitet unter gleichzeitiger Beobachtung von oben bei beliebiger Vergrößerung. Es war so eine genaue Registrierung des Eintritts der Wirkung und ihres Verlaufs möglich.') Tabelle 3. Versuche an Paramäcien die Abtötung — also den leicht und sicher zu re- gistrierenden Endeffekt einer starken Reizwirkung registriert. Die Tabelle 2 bezieht sich auf Bac- terium coli commune. In der obersten Hori- zontalreihe finden sich die Zahlen für die bei den Versuchen verwendeten Intensitäten der einzelnen Aus- 1 schläge des Galvano- '- 4-6 9-u 15 — 16 3°— 35 47—50 65—70 120 490 — 510 IIOO meters 1 210 fi/i Merkbare Schnell ! Klucht- eintreten- beweg.; de Kreis- 1 nach 15" bewegun- noch leb. gen ; nach 30" tot 232 „ Deutliche Flucht- und Kreisbewe- gung ; nach Schnell Tot nach eintreten- IK, — 20" de Kreis- bewe- Sofort. Kreis-' bewcgung ; tot nach lo" 40 - 60" tot gung ; n. 1 30" tot 280 ,, Wirkung? Nach einiger Nach i'/j Schnelle Fast sofort Schnelles Zeil Flucht — 3' tot Kreisbe- tot Zerfließen c und Hin- und wegung ; 'S Herlaumeln ; tot nach "^ n. 2—4' tot 30" iS 334 n Wirkung? Flucht zu Nach 12' Schraubige u. ex, sehen; n.' noch le- rotierende w 2—3' Ge-j bend Bewegungen; sichtsfeldj nach 14' tot OJ leer; nachj 10' noch '; leb. 1 383 „ Flucht zu Nach 20' noch, Flucht si- & sehen ; Wirkung öfter lebend eher zu sehen; n. j 32' noch fraglich lebend 440 » Aus Strahlfeld nach 45 ' vertrieben ; tot nach 2 — 4 Stunden 448 „ Nach 20' N. l'/j Sldn. keine a. Strahlfeld Wirkung vertrieben, doch lebend 516 „ Keine Wirkung 558 „ 1 Tot n. 6 Stdn. Tot nach n. 2 Stdn. a. 4 — 6 Stdn. Strahlfeld Ich kann mich im Rahmen dieses Vortrags natürlich nicht auf die vielen interessanten Einzel- heiten der zahlreichen Experimente einlassen, ich möchte nur an der Hand einiger Tabellen sum- marisch auf das in allen Versuchsresultaten wieder- kehrende Gemeinsame in der Wirkungsweise der Strahlen hinweisen. Allgemein interessieren dürfte die Wirkung auf Bakterien. Ich möchte da Ihre Aufmerksamkeit auf eine Tabelle lenken, welche ') Ausführliche Beschreibung der Versuchsanordnung u. eine Skizze von d. Aufstellung d. Apparate u. der benutzten .Spektrallinien siehe Zeilschrift für allgemeine Phvsiologie. Bd. 4, Heft I u. Bd. 5, Heft I. Strahlen, die erste Vertikalreihe enthält die Wellen- längen. Die übrigen Vertikalreihen bringen die Zeiten der Bestrahlung, die nötig waren, um die Bakterien abzutöten. Aus den Zahlen ergibt sich zunächst, daß die Stärke der Wirkung der Strahlen von gleicher Wellenlänge direkt abhängig ist von der thermo- elektrisch gemessenen Gesamtintensi- tät in diesem Bezirk. Betrachtet man dann die Tabelle in vertikaler Anordnung, so ergibt sich ohne weiteres, daß die Abtölung in immer längerer Zeit erfolgte, je größer die Wellenlänge der Be- zirke wurde, und zwar machten sich schon Diffe- \. F. VI. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 85 renzeii von etwa 50 ftii bemerkbar. Es -will das also besagen, daß d i e \V i r k u n g s g r ö ß c um so kleiner war, je weiter wir nach dem lang- welligen Teile des Spektrums hinkamen. Daß das nicht nur für Bakterien gilt, sondern nähme nach dem 1 ä n g e r \v e 1 1 i g e 11 Teil zu. Der Eintritt dieser Reizwirkung war bei den Bak- terien schwerer zu sehen, leichter bei den Para- mäcien, die durch die Strahlen zur Lokomotion — z. B. zum Verlassen von Nährmaterial oder auch Tabelle 4. Versuche an Rotatorien. Aus- schläge des Galvano- 2.5 4-6 9-u 15-16 30—35 47—50 65 — 70 120 490 — 510 1050 — IIOO meters 210 Ufl Wirkung r Zucken Sofort kontra- Lebhafte dau- manchmal lehh. zu- hiert; n. 20 ernde Kon- nach 20" sammen, — 30" kuge- traktion ; tot Zuckung erholen sich und fliehen lig, einige nach 30" dauernd still, andere erho- len sich wie-: der unvüllk. 232 „ Schnell kon- Kontraktion, Kontrak- Kugel. Kon- trahiert, doch machen 30" tion, leben traktion ; n. meist wieder exponiert, 2' trotz 20" 15—20" tot erholt und später unvoll- lang. Ex- geflohen kommene Be- position ; wegungen Bewegung unvoUk. 1 280 „ Wirkung? Kontrabieren Kontraktion, Heft. Kon- N. 30" Nach 15—20" Sofort tot sich, dehnen wiederholte traktion ; ' tot tot _ sich aber Öffnung und nach I — u während der Schließung 1,5' tot '^ E.xposition "cl wieder und fliehen X 334 „ Kontraktion, Lcbh. Kon- Nach 5' viele ■- aber meist trakt., Deh- tot ■0 erst nach Ex- nung und 1 u position von oft Flucht ; 20" n. 5' noch t; • lebend 1 3S3 „ Wirkung .' Schnelle Kon- Kontrakt, traktion ; n. kugelig. 5' noch le- tot nach bend 4 (>■ 440 .. Sammeln sich außerhalb des Strahlfeldes an; ist Flucht un- möglich, tot nach 4 — 5 Stdn. 448 „ Keine Kon- traktions- 1 wirkung 516 ., Keine Wirkung 558 „ Aufler Flucht aus d, Strahl- Tot nach 6 Stdn., 1 feld n. 5 Stdn. keine wesentli che Änderung a. Strahl- zu erkennen ; nach 8 Stdn. in bestrahlten feld nach Tropfen meh r tot als ii n Kont 'oUtropfen 2— 3Stdn. auch für andere Organismen z. B. auch für I n - fusorien und Würmer, dürfte sich aus den Tabellen 3 u. 4 ergeben. Aus diesen sehen wir, daß auch bei Paramäcien und Rotatorien die Abtötungszeit durch die Strahlen um so größer wurde, je länger die Wellenlänge der Strahlen war. Aber nicht nur der Endeffekt der Strahlen- wirkung, sondern auch der Beginn der Reiz - erscheinung zeigten eine deutliche Ab- von kleinen Luftbläschen, um die sie sich anzu- häufen pflegen — veranlaßt wurden. Noch ein- deutiger war vielleicht gerade der erste Eintritt der sichtbaren Reizwirkung bei den Rotatorien zu sehen, welche die Reizung mit lebhafter Kontrak- tion beantworteten. Die Tabellen 3 u. 4 lehren, daß sowohl die Lokomotion als auch die Kontraktion nach um so längerer Strahlzeit eintrat, je größer die Wellenlängen der verwandten Strahlen waren. 86 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 6 Noch deutlicher treten diese Unterschiede wohl hervor, wenn man die Größenwerte der Gesamt- enerj^ie der einzelnen Spektralgebiete zusammen- stellt, welche nötig waren, um überhaupt eine Reiz- wirkung auszulösen, also gewissermaßen durch einen Vergleich der Schwellenwerte an Strahlungs- energie, die von den Organismen als Reiz empfunden wurden. Ich habe in den beistehenden Kurven I und II die hierher gehörigen Kurven registriert. Kurve I. Paramäcien. Ausschläge ä Galvdnom. 2.5. 4-6. 9-11, 15-16. '30-35. 47-50. 1 65-70. 120 490 -510 1050 558^.1 418 „ ,. 3S3 .. „ ^ y" 334 „ „ ^ y 280 ,. .. ^ ■^ 232 .. .. 210 .. ., ---' "^ Kurve II. Rotatorien. Ausschläge d Galvanom 2.5. 4-6. 9-11. 15-16. 130-35. U7-5O. '$5-70 120, 490 -510. 1050. 1 558/n.. 440 .. .. y 383 ,. „ 334 „ „ 280 „ „ "^ 232 ., „ / 210 .. „ y / Beide Kurven haben einen sehr ähnlichen, über- aus charakteristischen Verlauf, wir sehen bei beiden, daß die Werte der aufgewendeten Gesamtenergie außerordentlich zunehmen, je weiter man in den längerwelligen Teil des Spektrums hineinkommt. Damit haben wir das Verhältnis der Wirkung der Bestrahlung zu der Intensität der auftrefifenden Strahlen aus verschiedenen Wellenlängengebieten genauer skizziert. Ich gehe jetzt dazu über, die Experimente zu besprechen, welche sich mit der Auf- nahme der Strahlen von bekannter Wellenlänge und bekannter Intensität durch die Organismen beschäftigten. Die Versuche, die niir über diese Frage Klarheit bringen sollten, haben mir viel Mühe gemacht. Denn es genügt nicht, nach den in der Physik üblichen Methoden etwa die Intensi- tät mit und ohne Vorschalten des Objektes, das auf seine Absorptionsgröße untersucht werden soll, zu messen. Man würde an den gefundenen Diffe- renzen allerdings den Verlust an Gesamtenergie feststellen und damit auch den an physiologischer Energie, welche ja, wie schon auseinandergesetzt, eine F"unktion der Gesamtenergie sein muß. Es kommt aber bei diesen Messungen die Differenz nicht nur durch die Absorption der Strahlen durch die Objekte, sondern auch durch die Reflexion und Refraktion zustande — Faktoren, über deren Größe man bei lebenden Organismen so gut wie gar nichts aussagen kann. Zudem dürfte es sehr schwer sein, lebendes Gewebe unter physiologisch unveränderten Bedingungen in geeignet dünnen Schichten so zu placieren, daß die Messungen in oben angedeuteter Weise überhaupt ausgeführt werden können. Ich versuchte daher, mir auf andere Weise Klarheit über die Absorptionsgröße der Zellen für Strahlen verschiedener Wellenlänge zu verschaffen. Bekanntlich haben wir für viele Körper in der Eigenschaft zu fluoreszieren, ein gutes Erkennungs- zeichen dafür, daß diese Körper auf sie fallende Strahlen absorbiert haben; denn um das Fluoreszenz- licht ausstrahlen zu können, muß der Körper die ihn treffende Strahlung aufnehmen und dieselbe zu der — meist längerwelligen — Fluoreszenzlicht gebenden Strahlung umarbeiten. Ich habe nun versucht, diese Fluoreszenz festzustellen und zwar an der Haut der menschlichen Hand und der Cor- nea der Kaninchen, Geweben, bei denen ich durch 1050. I Bestrahlung ebenfalls eine deutliche Reizreaktion hatte hervorbringen können. Man kann sich un- schwer davon überzeugen, daß ultraviolette Strahlen aus den verschiedensten Spektralteilen, die man mit einer Quarzlinse auf die Gewebe zentriert, deutliche Fluoreszenz geben. Von den zu diesen Versuchen benutzten und auf gleiche Gesamtintensi- tät gestimmten Strahlenbezirken zeigte entschieden die von der Wellenlänge 232 ,«// die stärksten, von 383 /<(( die schwächsten Fluoreszenzerscheinungen, während die Unterschiede zwischen den anderen, namentlich zwischen 232 ,«,« und 280 /<,/(, nicht so deutlich zu erkennen waren. Beleuchtet man die Gewebe mit spektralem Licht von 448 ^i).i, so ist die Fluoreszenz ohne weiteres nicht zu sehen, so daß man vielleicht annehmen möchte, es sei gar keine vorhanden. Man kann sich aber davon über- zeugen, daß in der Tat auch Strahlen von 448 iiu an der Haut und an der Cornea F'luoreszenz her- vorzurufen imstande sind. Zum Nachweis verfuhr ich in folgender Weise: Im Dunkelzimmer ent- wirft man auf eine Kaninchencornea das Spalt- bildchen einer Linie von 448 ,«,« (Magnesiumlinie) mit Hilfe einer Konvexlinse unter sorgfältiger Ab- haltung aller übrigen diffusen Strahlen. Betrachtet man jetzt das Bildchen auf der Cornea durch ein gelbgrünes Glas, welches spektral untersucht alles Blau, damit also auch die Strahlen von 448 f.i(.i, sicher absorbiert, so verschwindet natürlich das helle Bildchen. Nach kurzer Zeit der Dunkelad- aptation erkennt man aber ein leichtes Aufleuchten der Cornea in grünlichem Licht. Es kann das nur Fluoreszenzlicht sein, da das direkt strahlende Licht von 448 HU vollkommen durch das Glas ab- sorbiert wird. In ähnlicher Weise gelingt es auch, schwache Fluoreszenz der Haut bei 448 ;«,« zu konstatieren. Da nun bei allen diesen Versuchen N. F. VI. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 87 die zur Bestrahlung benutzten Intensitäten gleich waren, andererseits aber die Fluoreszenz nach dem längerwelligen Teil zu bedeutend abnahm, so war damit der Beweis gebracht, daß jedenfalls die be- strahlten Gewebe einen Teil der auffallenden Strahlen absorbiert hatten und zwar von den kurzwelligen mehr als von den langwelligen. Ich habe aber namentlich mit Rücksicht auf den naheliegenden Einwand, daß die beobachtete Fluoreszenz noch keinen sicheren Aufschluß geben könnte über die Menge der ev. aufgenommenen physiologischen Energie, noch eine weitere Ver- suchsreihe angestellt. Ich habe schon früher ge- zeigt, daß man mit Bakterienkulturen im hängen- den Tropfen, welchen man in kleine Ouarzkämmer- chen bringt, ein geeignetes Reagenz hat, durch lebendes Gewebe hindurch die physiologische Wir- kung von Strahlen festzustellen. Ich brachte nun solche Kämmerchen hinter die Cornea eines Kanin- chens und ließ Strahlen von verschiedener Wellen- länge, aber gleicher Intensität einwirken. Die kurz- welligen Linien 232 au und 280 .»,« erschöpften ihre Wirkung ganz an der Cornea. Sie veranlaßten dort namentlich bei länger dauernder Bestrahlung mit dem Mikroskop leicht nachweisbare Verände- rungen ganz gleicher Art, wie die schon früher beschriebenen, die Bakterien ließen sie aber un- versehrt. Von den Strahlen von 383 fi/.i passierten dagegen die Cornea so viel, daß auch auf die Bakterien sicher eine Wirkung ausgeübt wurde; dieselben waren nach ca. 60 Minuten abgetötet, gleichzeitig waren aber auch Veränderungen an der Hornhaut vorhanden. Es hatte also hier an der Hornhaut zwar auch eine Absorption von physio- logischer Energie stattgefunden, aber nicht in dem- selben Maße wie bei den noch kürzerwelligen Strahlen. Daß auch die Strahlen von 448 /(." ab- gehalten wurden, ging daraus hervor, daß die Bak- terien viel langsamer getötet wurden hinter der Cornea als ohne Cornea. Daß dieser Verlust an Energie nicht etwa nur auf Reflexion und Re- fraktion zu beziehen war, sondern daß auch Ab- sorption stattgefunden haben mußte, ging aus den schon geschilderten UntersuchungenüberdieFluores- zenz hervor. Jedenfalls aber war diese Aufnahme der Strahlung durch die Cornea bei 448 ii/i eine außerordentlich viel geringere als bei 383 ,(/.», oder gar bei den noch kürzerwelligen 280 /(/( und 232 fiu, wo ja die gesamte physiologische Energie an der Hornhaut verbraucht wurde. Man kann also aus den beiden angestellten Versuchsreihen jedenfalls so viel schließen, daß die Absorption der strahlenden Energie durch lebendes Ge- webe um so geringer ist, je länger die Wellen der verwendeten Strahlen sind. Dadurch ist aber auch erklärlich, warum die physiologische Wirkung der einzelnen Spektral- bezirke auch bei gleicher Gesamtintensität verschie- den stark, und zwar ihre Stärke der Wellenlänge umgekehrt proportional ist. Denn von der mit zunehmender VVellenlänge in immer geringerem Maße aufgenommenen Gesamtenergie wird eine immer kleiner werdende Wirkung hervorgebracht werden, oder mit anderen Worten, die Wirkung vonstrahlenderEnergieaufOrganismen ist vor allen Dingen abhängig von dem Absorptionsvermögen der Organismen für diese Strahlen. Dafür konnte ich durch Experimente an, pigmentierten Geweben weitere wichtige Anhaltspunkte gewinnen.') Bei Versuchen, die ich an Cephalopoden anstellte, um den Einfluß der Lichtstrahlen auf die Chromatophoren zu studieren, konnte ich bei jungen Loligo- Exem- plaren eine deutliche Differenz in der Schnelligkeit der Ausbreitung der verschiedenfarbigen Chromato- phoren und der dadurcli bedingten Färbung kon- statieren je nach der VVellenlänge der Strahlen- gebiete, die nach Ausmessung und Gleichstimmung ihrerGesamtintensität auf die Tiere gerichtet wurden. Es zuckten in ganz eindeutiger Weise auf die blauen Strahlen von 440 (//( zunächst die gelben und auf die gelben Strahlen von 558 /(,(( zunächst die violettroten Zellen auf Am deutlichsten ließ sich das zeigen am Rande des Mantelschulpes, auch am Kopf zwischen den Augen war die Erschei- nung ganz charakteristisch. Diese Stellen, nament- lich die Seitenpartien des Mantelschulpes wurden unter blauem Licht zunächst fast rein gelb; die zwar vorhandenen, aber doch im Verhältnis zu den gelben hier in der Minderzahl sich findenden violett- roten Zellen breiteten sich erst viel später und auch dann deutlich träger aus: die Zusammen- ziehungsphase überwog die der Ausbreitung, während bei den gelben Zellen gerade das Umgekehrte der Fall war. Wurden nun die entsprechenden Stellen an anderen Tieren, oder noch besser am selben Tier auf der anderen Seite mit gelben Strahlen belichtet, so traten gerade die relativ spärlich vor- handenen violettroten Zellen in lebhafte Aktion, die gelben ließen geraume Zeit auf sich warten. Es trat also die vorhin vorherrschende Gelbfärbung jetzt, namentlich anfangs, ganz zurück und erreichte auch später nicht den Grad wie unter der Blau- strahlung. Die Applikation von ultravioletten Strahlen von 280 ^lfl rief sofort eine lebhafte öxpansion der Chromatophoren hervor, ohne irgend etwas von dem skizzierten Unterschied je nach der Färbung des Pigmentes erkennen zu lassen. Ich versuchte nun mit Engelmann'sMikro- spektrometer die Absorption der Zellen fest- zustellen und fand als Durchschnittswerte von vielen Messungen folgende Zahlen. Für die rotvioleiten Zellen begann die Absorption bei 60 fi, erreichte ihren Höhepunkt bei 55 ,« und klang allmählich ab, so daß bei 48 ,« etwa die beiden Farbentöne vollkommen gleich waren. Bei den gelben Zellen lag das Maximum der Absorption etwa bei 46 /ii, die Absorption begann schon bei 50 fi und ging bis 38 ^1. Entwarf ich schließlich das u. v. Spek- lieft I. ') Zeitschrift für allgemeine Pliysiologie, 190Ö. Band 6, Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 6 trum auf eine Uranglasplatte und brachte die aus- gespannten Zellen in die Strahlen hinein, so wurde das u. V. Licht sowohl von den gelben als von den violettroten Zellen in ganz gleicher Weise ausge- löscht, namentlich waren Strahlen von der Wellen- länge 280 ^lu nicht imstande, auch bei hoher Intensität die Zellen zu passieren. Es geht aus diesen Angaben deutlich hervor, daß die untersuchten Pigmentzellen auf sie fallen- des Licht in ganz verschiedener Weise absorbierten; während u. v. Strahlen von ihnen gleichmäßig aus- gelöscht wurden, lagen die Absorptionsmaxima im sichtbaren Teile des Spektrums für die Zellen je nach ihrer Färbung nicht unwesentlich auseinander. Daraus ergibt sich nun unmittelbar auch die Erklärung für die verschiedenartige Reaktion dieser Zellen auf die bei unseren Experimenten benutzten Strahlensorten. Die von allen Zellen voll- kommen aufgenommenen Strahlen von 280 ,<(/« brachten sehr schnell ein Auf- zucken der Chromat ophore n hervor, ohne daß irgend ein Unterschied nach ihrer Färbung zu erkennen gewesen wäre. Dagegen lagen die benutzten blauen Strahlen von 440 /(/t am nächsten dem Absorptionsmaximum der gelben Zellen bei etwa 46o/(/(, diese nahmen also die blauen Strahlen am schnellsten und stärksten auf und wurden daher von ihnen auch am schnellsten erregt. Aus demselben Grunde war bei den gelben Strahlen zuerst die Bewegung in den violettroten Zellen zu sehen, deren Ab- sorptionsmaximum bei etwa 5 50/(/( lag, also sehr nahe der Wellenlänge der ver- wendeten gelben Strahlung von 558 fifi kam. Bei Bestrahlung von Larven von Triton taeniatus konnte ich schon nach wenige Minuten langer Einwirkung der Strahlen ebenfalls eine Be- wegung der schwarzen resp. schwarzbraunen Pig- mentzellen konstatieren.') Doch war hier eine elektive Wirkung der Strahlen auf die Pigment- zellen wie bei Loligo nicht zu konstatieren : im Gegenteil, ea resultierte sowohl durch die Ein- wirkung von u. v. Strahlen (280 (tu), als durch blaue (440 ///() und gelbe (558 /(//) Strahlen von gleicher Intensität eine gleichartige zentripetale Bewegung des Pigments, die nach etwa einer Viertelstunde zu einer vollständigen Ballung desselben führte; bei Verstärkung der Intensität der Strahlung steigerte sich bei allen drei Strahlenarten die Schnelligkeit der Pigmentwanderung. Es dürfte das darin seinen Grund haben, daß die Tritonzellen schwarzes oder schwarzbraunes Pigment führen, das eben alle bei den Experimenten verwendeten Strahlen gleichmäßig absorbierte und so zur gleich- mäßigen Wirkung veranlaßte. Auf weitere Experimente an pigmentierten Ge- weben kann ich hier der beschränkten Zeit halber ') Zeitschrift f. allgemeine Physiologie 1906. Bd. 6, Heft 1. nicht weiter eingehen; nur ganz kurz erwähnen möchte ich noch den Unterschied in der Reaktion auf Lichtstrahlen bei pigmentiertem und nicht- pigmentiertem Nervengewebe; Strahlen, die nicht pigmentiertes Nervengewebe nicht zu erregen ver- mochten, riefen bei pigmentiertem Nervengewebe eine deutliche Reizwirkung hervor. Das Pigment diente hier wegen seiner hohen Absorption der Strahlen als Reizaufnahmestation; von dieser aus wurde die Umarbeitung der strahlenden Energie in physiologisch wirksame besorgt und ihre Reiz- wirkung auf das Nervengewebe weitergegeben. Auch meine Versuche über eine gewissermaßen künstliche Pigmentierung (biologische Sensi- bilisierung) will ich nur streifen. In Anlehnung an die bekannten, zuerst von Tappeiner und Raab gemachten Beobachtungen, daß man Organismen durch Zusatz von einer Reihe von Stoffen für Strahlen empfindlich machen kann, welche ohne diese Präparierung keine oder keine merkliche Wirkung auf dieselben Organismen auszuüben im- stande sind, habe ich eine Reihe von Versuchen angestellt mit Bakterien, Infusorien, ferner glatten Muskeln, künstlich befruchteten Seeigeleiern usw. Das Gemeinsame aller dieser Versuche war stets, daß alle Objekte einmal bestrahlt wurden mit Strahlen, die sicher innerhalb der .'\bsorption des Zusatzstoffes lagen, ferner mit Strahlen, die sicher außerhalb dieser Absorption lagen, und zwar aus Wellenlängengebieten, deren Aufnahme durch die Organismen nach den soeben gegebenen Ausein- andersetzungen als sehr hoch erkannt war (280 /' 280 Tot in 70--90" Nach '/a Stunde unverändert Tot in 60 — 70" Nach Y> Stunde unverändert Desgl. Unverändert nach 30' Tot in 60" Tot nach 2 — 3' In '/j Stunde ohne AnderungiDesgl. Tot nach 2' B. Paramäcien. Keine Änderung in '1 Stunde Tot nach 3' Unverändert nach 15' Keine Änderung nach 30' Unverändert nach 30' Tot nach ^o — 60" jln V4 Stunde unverändert 'Desgl. Tot nach 2' Ich komme damit zum Schluß. Es dürfte sich aus unserer Betrachtung ergeben, daß alle Strahlen in gleicher Weise auf die Or- ganismen einwirken können: es ist ganz allgemein die Zuführung der strahlen- den Energie an sich, welche bei den be- strahl ten Zellen in bestimmter Intensi- tät den physiologisch wirksamen Reiz hervorruft. Eine Funktion der Wellen- länge ist der Gehalt an physiologisch wirksamer Energie in den verschiedenen Strahlengebieten nur, weil er natürlich einmal in bestimmtem Abhängigkeits- verhältnis stehtvonder in den einzelnen Spektralbezirken sehr variierenden Ge- samtintensität der Strahlung, und zwei- tens vor allem, weil die Aufnahmemög- lichkeit der Strahlen durch die Orga- nismen umgekehrt proportional der Wellenlänge ist. Daher sehen wir für gewöhnlich große Diffe- renzen in der Wirkung der einzelnen Spektralbezirke auftreten. Kurzwellige Bezirke, wie z. B. 280 /(//, die überall fast gleich stark absorbiert werden, üben auf alle Organismen schnell eine sichtbare Reizwir- kung aus. Wenn wir diese bei einwirkendem Tages- licht nicht sehen, so liegt das an der zu geringen Intensität der Strahlen, die unter der Reizschwelle bleibt; bei höherer Intensität der Strahlung, z. B. im Sonnenlicht oder bei starkem elektrischem Licht, tritt diese Wirkung deutlich zutage. Daß auch die langwelligen Strahlen auf den Ge- erregt wird, womit ja für uns die Sichtbarkeit dieser Strahlen zusammenhängt. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß die Netzhaut für kurzwellige Strahlen etwa unempfindlich ist. Für gewöhnlich allerdings hört die Erregung derselben auf bei Strahlungen von ca. 396 — 383 »,(( ; Strahlen, die noch kürzerwellig sind, üben keinen Reiz auf die Netzhaut eines gesunden Auges aus, werden also auch nicht gesehen. Es ist aber nun durch eine ganze Reihe von Arbeiten dargetan, daß diese kurz- welligen Strahlen unter gewöhnlichen Bedingungen überhaupt nicht zur Netzhaut kommen, weil sie von den brechenden Medien, namentlich von der Linse absorbiert werden. Verschafft man ihnen durch Wegnahme der Linse den Zugang zur Netz- haut, dann wirken sie auch auf dieselbe ein. Und zwar kann man das einmal nachweisen dadurch, daß bei linsenlosen Individuen die Grenze der Sichtbarkeit der Strahlen bedeutend weiter hinaus- gerückt ist bis 344///(, ja bis 313//,«, ferner durch anatomische Veränderungen, die man in den Netz- häuten von linsenlosen Kaninchen nach Bestrahlung mit kurzwelligen Strahlen konstatieren konnte (Birch-Hirschfeld). Es ist also auch die Reaktion der Netzhaut auf die Lichtstrahlen ein Beweis dafür, daß die physiologische Reizwirkung der Strahlen nicht eo ipso an bestimmte Wellenlängengebiete geknüpft ist, sondern allen Wellenlängen zukommt, sofern nur die Möglichkeit gegeben ist, daß die Strahlen aufgenommen werden in einer Menge, die der Reizschwelle entspricht. 90 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 6 Kleinere Mitteilungen. Die Germanen in Frankreich. — Dr.Ludwig W o 1 1 m a n n hat eingehende Studien gepflegt über den Einfluß der germanischen Einwanderung auf die Kultur Frankreichs, deren kürzlich veröffent- lichte Ergebnisse ') Beachtung verdienen. Aus- gehend von allgemeinen Erwägungen über die Grundfrage der historischen Rassetheorie ") , die europäischen Menschenrassen, die Verteilung der anthropologischen Merkmale in Frankreich, sowie über Rasse und Charakter der Gallier, behandelt Woltmaiin die Rolle der Germanen in der fran- zösischen Geschichte und Kultur des Mittelalters, die Anthropologie der französischen Stände und Genies, sowie die Bedeutung der Germanen für die Ausbreitung der Kultur im allgemeinen. Wie in den übrigen Ländern Europas, so können auch in Frankreich drei Rassentypen unterschieden werden: die hochgewachsene, blonde und lang- köpfige germanische Rasse hauptsächlich im äußer- sten Norden; die kleine, brünette und breitköpfige alpine Rasse im Zentrum , in den Alpen und im Nordosten, wo sie mit dem germanischen Volks- bestandteil die verschiedenartigsten Kreuzungen eingeht; die ebenfalls kleine und brünette, jedoch langköpfige mittelländische Rasse im Südwesten, die sich von da teilweise nach Norden und Osten erstreckt. Vertreter aller drei Typen waren schon vor Jahrtausenden in Frankreich ansässig, aber ihr gegenseitiges Stärkeverhältnis und ihre regionale Verteilung haben sich geändert. — ■ Von den Galliern oder Kelten meint der Verfasser, daß sie „ursprünglich die Gestalt und Farben des nordi- schen Menschen gehabt haben", wobei er sich auf die Zeugnisse griechischer und römischer Schrift- steller beruft; das kann kaum zutreffen, denn die physischen Charaktermerkmale der Kymren und Iren, jener Kelten, die sich in den entlegenen Strichen Wales' und Irlands verhältnismäßig rein erhielten , weichen von denen der Engländer, Friesen und anderer germanischer Völker ganz erheblich ab: hingegen ist es nicht zu bezweifeln, daß Germanen sehr frühzeitig über den Rhein wanderten und die Bevölkerung des nördlichen Gallien zu Cäsars Zeit in der Mehrheit germani- scher Abstammung war. Die Niederlassung der Germanen in Gallien seit dem Eroberungszug des Ariovist wird an der Hand geschichtlicher Quellen geschildert. Jahrhunderte hindurch veränderten diese Einwanderungen wohl die Zusammensetzung der Bevölkerung, die Einwanderer selbst paßten sich aber schnell und leicht an, sie wurden ,, Römer", und erst als das X'ordringen in geschlossener Stammesorganisation erfolgte, blieben ger- manische Sprache, Recht und Sitte aufrecht er- halten, so daß unter der Herrschaft der Franken Gallien tatsächlich ein deutsches Land war. „Wenn ') „Die Germanen in Frankreich". Mit 6o Bildnissen berühmter Franzosen. Jena, 1907. 2) Vgl. Naturw. Wocbenschr. N. F. Bd. 3., S. 22 1 — 222. auch die Franken Herren des ganzen Reiches wurden, so blieb doch bis ins späte Mittelalter ein Gegensatz zwischen dem mehr germanischen Norden und dem mehr römischen Süden bestehen. Erst seit dem dreizehnten Jahrhunderte bahnte sich ein Ausgleich an" und nun erst vollzog sich die Rassenmischung in größerem Umfange. Es wird die Einwirkung germanischen und römischen Wesens auf die Institutionen und die Gestaltung der gesellschaftlichen Schichtung während des Mittefalters veranschaulicht, woraus sich ergibt, daß in soziologischer Hinsicht der Gegensatz zwischen Germanen und Gallo-Römern kein abso- luter gewesen ist. „Die Verteilung der Germanen geschah über alle Stände; verhältnismäßig am stärksten waren sie im Adel vertreten, weniger im Bürgerstand, aber auch in der „roture" fehlten sie keineswegs. Vor der Einwanderung der Goten, Burgunder und Franken waren zahlreiche Germanen als Kolonen angesiedelt worden; jene brachten aber auch Sklaven eigener Rasse mit, und dann ist es gewiß, daß nicht selten Gemein- freie in den Stand der Hörigen herabgesunken sind." Daher kann man die französische Revo- lution keineswegs einen Aufstand der Kelten gegen die Germanen nennen. — Den Einfluß der einge- wanderten Germanen auf die französische Sprache, Literatur und Kunst, wie auf die ganze kulturelle Entwicklung des Landes, bringt Woltmann deut- lich zum Ausdruck. Nicht nur im Adel, der lange die Führerschaft des französischen Volkes innehatte, lassen sich die Körpermerkmale der nordischen Rasse häufiger feststellen als im Durchschnitt der Gesamtbevölke- rung, sondern auch, was von spezieller Wichtig- keit ist, bei den hervorragenden Männern. Der Verfasser suchte über die physische Erschei- nung von 250 berühmten Franzosen Klarheit zu schaffen , zu welchem Zwecke er das vorhandene biographische Material , die Gemäldesammlungen etc. benutzte. Wenn dabei wohl manches im Un- klaren blieb, so ergibt sich dennoch das bemer- kenswerte Resultat, daß von diesen Persönlichkeiten 84 eine hohe Gestalt besaßen, 34 mittelgroß und 24 untermittelgroß oder klein waren; in den an- deren Fällen war nichts festzustellen, doch wird auf den LTmstand hingewiesen, daß Biographen eher geneigt sind, die kleine als die große Gestalt berühmter Männer hervorzuheben. Über die Schädelform existieren nur wenige unmittelbare Zeugnisse; schmale und lange Gesichtsform fand Woltmann bei der Mehrzahl der Bildnisse und er glaubt deshalb mit großer Sicherheit annehmen zu können, daß zu diesen (jesichtern auch eben- solche Schädel gehören. Die Hautfarbe ist meist hell angegeben , die Haarfarbe war bei 1 30 hell, bei 46 mischfarben und bei 20 schwarz; von 218 Personen zeigten 160 helle, 52 braune und 6 misch- farbene Augen. Schließlich soll noch einiges über die Rassen- entartung der französischen Nation angeführt wer- den. „Der Verfall der römischen Macht und N. F. VI. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 91 Kultur in Gallien und das VViedererwachen des politischen und geistigen Lebens, nachdem die eingewanderten tiermanen neue soziale und ideelle Voraussetzungen einer höheren Kultur geschaffen", sagt Weltmann, „beweist auf das deutlichste, daß ein in seinem innersten Mark entartetes und her- untergekommenes V^olk nicht wieder aus sich selbst heraus sich verjüngen kann, sondern daß zur nationalen Wiedergeburt bisher kulturell ge- schonte Rasse erforderlich ist". Nun scheinen aber in Frankreich Anzeichen einer neuerlichen Entartung vorhanden zu sein. In diesem Zusam- metihang wird auf den Rassenwechsel verwiesen, der sich seit dem Mittelalter vollzog und die Ver- drängung der Langköpfe durch die Breitköpfe zur Folge hat; er macht sich am meisten dort geltend, wo die Germanen nicht als bäuerliche Bevölkerung angesiedelt sind. Leider wird bei diesem wich- tigen Gegenstand über die Zurückdrängung der nordischen Rasse zu wenig Beweismaterial beige- bracht. Als Ursachen der erwähnten Erscheinung werden angeführt : Die Abwanderung der Besten des V'olkes in überseeische Länder, eine Eigenart, welche für die Germanen charakteristisch genannt werden muß; ferner die Migration in die Städte, wo die Bedingungen für die Fortpflanzung des blonden Elements sich ungünstig gestalten , end- lich die Kriege (negative Auslese) und das Cölibat der katholischen Geistlichen. „Alle diese Vor- gänge trugen dazu bei, in den dolichocephalen Schichten große Lücken hervorzurufen, in welche die in den niederen Ständen vorherrschenden brachycephalen Elemente einrückten. Noch be- günstigt wird dieser Rassenwechsel durch sexuale Auslese. Es scheint, als ob die Brünetten sexuell aktiver sind als die Blonden und dadurch ein Übergewicht erlangen. Mit der Annahme, daß der Anteil der Brünetten an der Gesamtbevölke- rung wächst und ihrer höheren sexuellen Aktivität — die bei den farbigen Rassen unstreitig be- steht — kann freilich die Tatsache des zurück- gehenden Kinderreichtums in FVankreich schwer vereinbart werden." Das Zweikindersystem wird entschieden verurteilt, weil damit „die Möglichkeit der Genieproduktion" eine Verringerung erfährt und ein Mangel an natürlicher Auslese entsteht, denn die Eltern suchen auch die schwächlichsten Kinder emporzubringen und „wenige Generationen genügen, um auf diese Weise durch stärkere Er- haltung der Schwachen eine Herabsetzung der Konstitution herbeizuführen." Fehlinger. Uranidenzüge. — Im Juli 1906 beobachtete ich an der Laguna de Dofia Anacleta, in der Cartago - Region in Costarica, Schmetterlings- züge in einer Massigkeit wie die der Distelfalier- züge von 1879 in Europa, aber die Schmetterlinge gehörten einer Spezies der Uraniden an : Urania fulgens. Dieses schöne Insekt ist hier zwar recht häufig und öfter habe ich in Zeit von ein paar Stunden Tausende davon alle nach einer Richtung fliegen sehen, doch war dies das erste Mal, daß ich sie in einer Dichtigkeit wie die ärgsten von jenen berühmten Distelfalterzügen beobachten konnte. Der Zug dauerte in derselben Dichtigkeit von 9' ._, bis 2 Uhr, die Hugrichtung war von SSW nach NNO. Bemerkenswert ist, daß nahe Vki der Tiere zu der Rhopalocereiigattung Timetes gehörten und zwar bei weitem der größte Teil zu T. Chiron, der in Form den Uraniden sehr ähnlich ist, dieselbe Größe hat und — wenigstens in den Zügen — denselben Flug und dieselbe Geschwindig- keit. Um etwa 2 Uhr fing die Dichtigkeit des Zuges an abzunehmen und zu gleicher Zeit sah man ein- zelne Uraniden in nordwestlicher Richtung quer durch den Schwärm fliegen ; nach und nach änderte sich die Richtung nach N und NW, welch letztere beibehalten blieb, bis der Zug, der immer lichter wurde, um etwa 3^0 Uhr ziemlich aufhörte; zu- letzt flogen sie schon ganz zerstreut, kaum noch eine Richtung innehaltend, und nicht mehr mit derselben Schnelligkeit, schon etwas nach rechts und links flatternd. Bemerkenswert ist, daß in dem Maße, wie der Schwärm lichter wurde, T. Chiron verhältnismäßig häufiger wurde, wasdarauf schließen läßt, daß hauptsächlich bloß die Uraniden an Menge abnahmen. Welches die Ausdehnung des Zuges war, kann ich nicht sagen, doch weiß ich, daß er in jener ganzen Gegend gleichmäßig war. Wenn die Eingeborenen Interesse an der Natur hätten, wäre es vielleicht dort möglich gewesen, einen Aufschluß über die Bildung und das Aufhören des Zuges zu bekommen. In der Richtung, von wel- cher sie herkamen, ist das Tal durch die hohe Kette der Candelaria vollständig abgeschlossen, in einer Entfernung von bloß 5 km, und in der Richtung, nach der sie hinflogen, ist der Grat zwischen den Vul- kanen Irazü und Turrialba, der sich nirgends unter die Frostgrenze senkt, etwa 12 km entfernt. Die Raupe der U. fulgens lebt auf den ver- schiedenen Spezies von Canna. C. Werckle. Neuere Untersuchungen über Wurzelhaare und deren Sekrete. — Bekanntlich sind es die Wurzelhaare, jene schlauchförmigen Trichome, welche sich an den feineren Wurzelfasern in großer Zahl befinden, die dem pflanzlichen Organismus Wasser und gelöste Bodenbestandteile zuführen. Man kann ihre Gestalt und Anordnung leicht auf einfache Weise beobachten, wenn man auf einem mit engmaschigem Tüll überspannten, weithalsigen, bis zum Rande mit Wasser gefüllten Glase Sinapis- samen zum Keimen bringt. Die ins Wasser hinab- reichenden Keimwurzeln tragen äußerst feine, vvag- recht abstehende Haargebilde, welche in einer be- stimmten Zone die Wurzel umgeben. An der Spitze fehlen sie, und nach dem oberen Wurzel- ende zu sterben sie allmählich ab, um an der ent- gegengesetzten Seite durch neue ersetzt zu werden. In Erde kultivierte Keimpflanzen von Sinapis zeigen. 92 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 6 wenn man sie vorsichtig aus dem Boden hebt, an jener Stelle eine dichte Umhüllung mit Erd- teilchen, die fest ansitzen und sich auch nach längerem Abspülen in Wasser nicht völlig loszu- lösen vermögen. Sie haften an den Wurzelhaaren, die man bei mikroskopischer Betrachtung als aus- gestülpte Epidermiszellen erkennt. Die Haare sind ursprünglich senkrecht zur Wurzel gerichtet, be- kommen aber bei der fortwährenden Berührung mit kleinen Bodenpartikelchen, denen sie sich an- schmiegen, im Erdboden die verschiedensten Ge- stalten. Daß die Anordnung der Wurzelhaare an den Wurzelteilen von erheblicher ökologischer Be- deutung sein muß, leuchtet ohne weiteres ein. Die Ausnutzung des Bodens kann durch die kleinen Gebilde eine recht beträchtliche werden, wenn man bedenkt, daß nach angestellten Zählungen z. B. bei Pisum sativum auf i qmm etwa 230 Haare, bei Zea Mays 420 Wurzelhaare kommen, so daß da- durch die aufnehmende Fläche um das 12- resp. 6 fache vervielfacht wird. Diejenigen Teile der Wurzel, an der die Wurzelhaare abgestorben sind, umgeben ihre Epidermis mit einer dünnen Kork- schicht und haben danach für die Nahrungsauf- nahme keine Bedeutung mehr. Die Biologie und Physiologie der Wurzelhaare behandelt eingehend eine 1883 erschienene Arbeit von Frank Schwarz, „Die Wurzel haare der Pflanzen, Unters, aus dem botanischen Institut zu Tübingen 1883". Er wies bereits nach, wie Bildung und Wachstum der Wurzelhaare durch äußere Faktoren, z. B. das Wasserbedürfnis der Pflanze, beeinflußt werden kann und stellte durch zahlreiche Beobachtungen und Messungen die enorme Vergrößerung der Wurzeloberfläche infolge der Haarbildung fest. Eine Erweiterung und Ergänzung erfuhr die verdienst- volle Arbeit von Schwarz durch eine neuerdings erschienene Abhandlung von Dr. Hermann Hesse, „Beiträge zur Morphologie und Biologie der Wurzelhaare, Jenaer Dissertation 1903", der wir einige interessante Mitteilungen entnehmen. Bei seinen Vorarbeiten konnte Hesse an Roggen und Raps (Samen von 1896, resp. 97 und 1902) nachweisen, daß die Wurzelhaarbildung mehr oder weniger durch das Alter der Samen beeinflußt wird. Sowohl bezüglich der Länge als auch des Durch- messers der Wurzelhaare ließen sich an den ent- wickelten Keimpflanzen, namentlich bei Roggen, beträchtliche Unterschiede feststellen. .So betrugen z. B. beim Roggen für ältere (1896) und jüngere (1902) Samen die Höhe der oberirdischen Sproß- teile im Mittel 11, bzw. 25,5 cm, die Länge des gesamten Wurzelsystems 14,3 bzw. 40,4 cm, die Länge der Wurzelhaare 0,67 mm, bzw. 0,966 mm ; der Durchmesser derselben 0,0057, bzw. 0,0076 mm. Bei jüngeren Samen waren die an den Keimpflanzen entwickelten Wurzelhaare gleichmäßiger verteilt und regelmäßiger angeordnet, als bei aus älteren Samen gezogenen Pflanzen. Die eingehenden Untersuchungen des Verf. über die Wurzelhaarbildung innerhalb einzelner Pflanzen- familien ließen teilweise recht interessante An- passungsverhältnisse erkennen. Namentlich zeigten die h'amilien der Skrophularineen und Labiaten, die bekanntlich auf die verschiedenartigsten -Stand- orte verteilt sind, große Unterschiede in der Wurzel- haarentwicklung, und zwar in dem Sinne, daß auf trockenem oder mäßig feuchtem Substrat die Wurzelhaarbildung i. a. eine reichlichere und voll- kommenere war, als auf feuchtem. Die Pflanze ist eben hier genötigt, ihre absorbierende Ober- fläche zu vergrößern. Ferner ergab sich in ein- zelnen Fällen ein Zusammenhang zwischen der Entfernung der oberirdischen Teile der Pflanze und ihrer Behaarung. Die mit der größeren Flächen- ausbreitung der oberirdischen Organe verbundene lebhafte Assimilation und Transpiration bedingen reichliche Zufuhr von Wasser und gelösten Nähr- salzen, die durch vermehrte Wurzelhaarbildung leicht ermöglicht wird. (Heliantlius annuus, Pha- seolus multiflorus und vulgaris, Vicia P'aba, Zea Mays.) Bekannt ist die Tatsache, daß erhöhter Nährgehalt des Bodens eine besonders kräftige P'.ntwicklung des Wurzelsystems und der Wurzel- haare hervorruft. Diese Erscheinung zeigt sich z. B. sehr auffallend an der meist auf nährstoff- reichem Boden gedeihenden Familie der Ranun- culaceen, deren Wurzeln eine ungemein reichliche Behaarung erkennen ließen. Bei in Wasserkulturen erzogenen Pflanzen (Pha- seolus, Zea Mays) konnte der Verf, entgegen den Beobachtungen von Schwarz, Wurzelhaarbildung konstatieren. Ich selbst habe bei Gelegenheit einer Untersuchung über Wasserkulturmethoden sowohl bei Phaseolus als auch bei Pferdezahnmais, die sich in der Crone'schen Nährlösung entwickelt hatten, Wurzelhaare nicht gefunden. Bei den LIntersuchungen über den Einfluß des Standortes auf die Wurzelhaarentwicklung stellte sich heraus, daß dieselbe bei den Hy- grophyten im allgemeinen reduziert ist, was sich einesteils daraus erklären läßt, daß den Pflanzen ausgiebig Wasser zur Verfügung steht, infolgedessen sie einer Vergrößerung der auf- nehmenden Oberfläche nicht bedürfen, andernteils daraus, daß sie nicht der wasseranziehenden Kraft der Bodenteilchen entgegenzuwirken brauchen. Die trockene Bergtriften bewohnen- den Gewächse, z. B. Ribes grossularia, Quer- cus pedunculata, Evonymus europaeus, Ligustrum vulgaris, Lonicera Xylosteum u. a. zeigen zwar ein verhältnismäßig tiefgehendes, an Nebenwurzeln reiches Wurzelsystem, aber nur mäßige Behaarung. Charakteristisch sind ferner die Derbwandigkeit der Wurzelhaarzellen und die besonders bei Sträuchern häufige Verholzung der Membranen. Beide Merk- male lassen sich mit Rücksicht auf die Standorts- verhältnisse (steiniger, freiliegender, oft abschüssiger P'elsboden) als Anpassung deuten. Diese Gebilde dienen hauptsächlich der festen Verankerung in dem fortwährender Verschiebung ausgesetzten Boden. Dieselben Aufgaben haben sie auch bei den Succulenten zu erfüllen (Serum, Semper- vivum, Aloe, Agave, Cactaceen). Hier zeigt sich N. V. VI. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 93 eine dichte Behaarung, die trotz der Schutzmittel vor starker Transpiration zur VVasseraufiiabme aus dem trockenen, felsigen Substrat nötig wird. Bei den Halophyten (Artemisia maritima, Cakile mar. , Triglochin) ruft der wachsende Salzgehalt (bis zu LS^o) \'ermehrte Haarbildung hervor. Diesen Gewächsen wird durch die osmo- tischen Wirkungen der salzhaltigen Bodenflüssig- keit die Wasseraufnahme erschwert, und sie be- sitzen demnach nicht nur in der eigenartigen Aus- bildung ihres Habitus Mittel, um die Hindernisse der Wasseraufnahme durch Herabsetzung der Transpiration zu überwinden , sondern auch die Ausbildung ihres Wurzelsystems, spez. der Wurzel- haare, dürfte als eine Anpassung in diesem Sinne anzusehen sein. Die Pflanzenwurzeln haben bekanntlich nicht nur die Aufgabe, die Pflanze im Boden zu be- festigen, sondern vor allem auch, die Nährstoffe des Bodens aufzunehmen. Diese letztere Arbeit fällt den Wurzelhaaren ausschließlich zu. Sie ver- mögen nicht nur fertige Nährlösungen aufzunehmen, sondern, indem sie auf die festen Bestandteile des Bodens lösend und zersetzend einwirken, auch selbst Nährlösungen zu bereiten. Zu diesem Zwecke ist es nötig, daß sie in innigem Kontakt mit den Bodenelementen sich befinden, was man deutlich beobachten kann, wenn man eine im Boden er- wachsene Keimpflanze, nachdem man ihre Wurzeln wiederholt sorgfältig abgespült hat, mikroskopisch untersucht. Man wird an zarten Längs- und Quer- schnitten deutlich erkennen, daß viele kleine Erd- teilchen fest anhaften. Diese innige Verklebung mit Bodenteilen wird erzielt durch einen gallertigen Schleim, welchen die Membranen der Wurzelhaar- zellen abscheiden. Eine so innige Verschmelzung ist nötig, damit Wasser und Nährsalze auf osmo- tischem Wege in die Wurzelhaarzellen gelangen können. Den Vorgang der Wasseraufnahme er- klärt Jost so: „In der Tat läßt sich mit Hilfe der Plasmolyse leicht ein osmotischer Druck in den Wurzelhaarzellen nachweisen. Durch ihn wird die Zellwand solange gedehnt, bis ihre elastische Kraft dem Turgordrucke gleichkommt; in den durch die Dehnung der Wand vergrößerten Raum der Zelle aber wird Wasser eingesogen, wie durch eine Saugpumpe. Der Zellsaft wird dabei zunächst dem Protoplasma Wasser entziehen; dieses sucht vermöge seiner Quellungskraft neues Wasser zu ge- winnen und entzieht es der Membran; dann muß also in der Membran weniger Wasser enthalten sein, als ihrer Quellungsfähigkeit entspricht, und dementsprechend saugt nun die Membran das Ad- häsionswasser auf." Mit dem Wasser werden zugleich gelöste Nähr- salze aufgenommen. Die Lösung der Bodenbestand- teile erfolgt durch ein von den Wurzelhaaren aus- geschiedenes Sekret. Dasselbe wurde bereits zu Anfang des i8. Jahrhunderts beobachtet, als ein Produkt des Stoffwechsels angesehen und als ,, Pflanzenkot" bezeichnet. Erst nach 50 — 60 Jahren wurde auf Grund der bekannten Korrosionsversuche von Julius Sachs festgestellt, daß die Korrosions- figuren nicht durch die ausgeschiedene CO.,, son- dern durch von den Wurzelhaarzellen abgesonderte Säuren zustande komme (Essigsäure). Molisch fand, daß das in Form von Tröpfchen aus den Wurzel- haaren ausgeschiedene Sekret auch imstande ist, organische Körper, z. B. Elfenbeinplatten zu kor- rodieren und fermentative Wirkung auszuüben (Sitzungsber. d. Wiener Akad., Bd. 46, I). Über die chemische Natur des ausge- schiedenen Sekrets stellte Czapek ein- gehende Untersuchungen an (Jahrb. f. wiss. Bot, Bd. 29). Er fand, daß Rötung des Lackmuspapiers und Corrosion von Gesteinen durch Wurzelsekrete auf die Wirkung zweier Substanzen zurückzuführen ist, nämlich des primären Kaliumphosphates, welches die saure Reaktion zeigt und vor allem der CO», welche den Hauptanteil an den Anätzungserschei- nungen hat. Allerdings werden unter Vermittlung des Monokaliumphosphates auch ganz kleine Mengen von Mineralsäuren ausgeschieden, z. B. Salz-, Phos- phor-, Ameisensäure, die bei länger anhaltender Be- rührung mit Bodenmassen ebenfalls lösend und zersetzend einwirken können. Die Czapek'schen Beobachtungen fanden im wesentlichen ihre Be- stätigung und wurden weiter verfolgt und ergänzt in einer neuerdings erschienenen Arbeit von Dr. G. Kunze, „Über S ä u r e a u s s c h e i d u n g bei Wurzeln und Pilzhyphen und ihre Bedeutung, Leipzig, Bornträger, 1906". Aus Korrosionsver- suchen an den häufigsten gesteinbildenden Mine- ralien und entsprechenden Kulturversuchen in ge- pulvertem Gestein ergab sich, daß die höheren Pflanzen unverwittertem Gestein die zum Gedeihen nötigen Nährsalze nicht zu entnehmen vermögen, woraus sich die Dürftigkeit der Pflanzendecke auf noch nicht völlig verwittertem Gestein erklären laßt. Bei diesen Versuchen stellte sich zugleich in einigen Fällen heraus, daß Pflanzen, welche durch lebhafte Säureausscheidung ausgezeichnet waren (Weißkohl, Wicke), sich infolge der damit ver- bundenen energischeren Bodenzersetzung kräftiger entwickelten als solche, denen diese Eigenschaft mehr oder weniger fehlte (Senf, Esparsette). Von Interesse sind einige Resultate, die sich auf Grund einer Zusammenstellung über die Ver- breitung des sauren Wurzelsekrets bei verschie- denen Pflanzen ergeben, i. Raschwüchsige Pflanzen von relativ kurzer Vegetationsdauer zeigten stärkere Sekretabsonderung (z. B. Cucurbita Pepo, Helian- thus, Phaseolus, Tropaeolum, Fagopyrum, Lappa, Balsamina, Zea Mays). 2. Unter den Gräsern zeigten Seeale und Avena starke Säureausscheidung, Hor- deum und Triticum geringere. Die beiden ersteren können daher auch dürftigerem Boden noch reich- liche Nährsalzmengen entziehen, während die letzteren nur auf tiefgründigem, nährsalzreichem Boden zu gedeihen vermögen. — Im übrigen ist das Aufschließungsvermögen der Gräser durch Wurzelausscheidung fehlend oder nur gering; doch wird dieser scheinbare Mangel ausgeglichen durch das reichverzweigte Wurzelsystem und die ener- 94 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 6 gische Transpirationstätigkeit der Pflanzen. Auch ist nach Stahl (Sinn der Mykorrhizenbildung, p. 584) bei verschiedenen Arten VVurzelverpilzung wahr- genommen worden. Daß die durch Jahrtausende hindurch kultivierten Gräser sich anders verhalten, als ihre Verwandten, ist jedenfalls als ein Resultat der künstlichen Züchtung anzusehen. 3. Die starke Säureausscheidung bei den Boragineen läßt sich aus dem meist kräftig entwickelten Pflanzenkörper, der verhältnismäßig kurzen Entwicklungsdauer und dem trockenen Standort erklären, Umständen, welche eine energische Aufnahme von Nährsalzen fordern. Aus den angedeuteten Beobachtungen ergibt sich die ernährungsphysiologische Bedeutung der Säureausscheidung, und auch die Tatsache, daß der Ort der .Sekretion mit der einige Millimeter von der Ansatzstelle der ersten Wurzelhaare ge- legenen Hauptaufnahmezone für die Nährsalze zu- sammenfällt, spricht für diese Auffassung. Da nun bei einer verhältnismäßig großen An- zahl der Pflanzen keine oder nur unmerklich ge- ringe Säuremengen produziert werden, da ferner der C0_, bei Zersetzung der Bodenteilchen in vielen Fällen nur eine untergeordnete Bedeutung zu- kommt, so liegt die Annahme nahe, daß eine Reihe höherer Pflanzen außer den erwähnten Mitteln noch andere besitzen, die sie befähigen, Nährsalz- lösungen im Boden herzustellen. Kunze prüfte das Verhalten polierter Metallplatten zunächst Pilzen gegenüber, deren Mycelien sich im frischen Humus des Laub- und Nadelwaldes in Menge vor- finden. Nach einigen Wochen (bei Marmor schon nach einigen Tagen) zeigten die Mineralien deut- lich Korrosionen. Bei Verwendung der Sporen von Penicillium glaucum, die auf Gesteinen in schwach konzentriertem Pflanzendekokt kultiviert wurden, zeigten sich ebenfalls nach etwa 14 Tagen auf den mineralischen Unterlagen deutliche An- ätzungserscheinungen. Ich gelangte bei Anstellung derselben Versuche zu gleichen Resultaten. Sie zeigen, daß die Pilzmycelien Korrosionserschei- nungen bewirken. Die von ihnen meist in großer Menge ausgeschiedene Säure ist die in der Gruppe der Pilze überhaupt weit verbreitete Oxalsäure. Frühere F'orschungen haben auch das Vorkommen anderer Säuren, z. B. der Apfel-, Wein-, Ameisen-, Zitronensäure erwiesen, und es ist von hohem Interesse, daß alle diese Säuren sich im Humus wiederfinden (Humussäuren) und ihre Entstehung dort der Wirkung der Pilze verdanken. Die Ausscheidung von Säuren aus Pilzhyphen bringt der Verf in Beziehung zur Mykorrhizatheorie. Nach Miyoshi sind die Hyphen einer Anzahl von Schimmelpilzen, z. B. Mucor, Penicillium, Asper- gillum u. a. chemotropisch reizbar und können daher durch verschiedene im Wasser gelöste Stoft'e angelockt werden. Stahl hebt in seiner bekannten Mykorrhizaarbeit hervor, daß auch die Hyphen der den Humus bewohnenden Pilze sich ähnlich ver- halten werden, also daß sie befähigt sind, auch geringe Nährsalzmengen im Boden aufzusuchen und auszunutzen , eine ernährungsphysiologisch wichtige Eigenschaft, die die Wurzeln der höheren Pflanzen, soweit wir bis jetzt wissen, nicht besitzen. ,,Es wird aber eine höhere Pflanze um so größeren Nutzen aus den bodenaufschließenden Wirkungen des Pilzes ziehen, je mehr sie sich darauf be- schränken kann, nur die bereits gelösten Stoffe aufzunehmen. Vor allem wird es dabei natürlich darauf ankommen, daß die Pflanze ihr Wurzel- system in möglichster Nähe des Pilzes ausbreitet, Verhältnisse, wie wir sie in der Mykorrhizabildung am ausgeprägtesten antreffen. " F. Schleichert, Jena. Passivität der Metalle — Taucht man Eisen in Salpetersäure vom spezifischen Gewicht 1,4 und spült es darauf mit VVasser ab, so wird es von Salpetersäure nicht mehr angegriffen. — Eine solche ,, Passivität" kennen wir auch bei anderen Metallen, namentlich beim Chrom und Nickel. Das Chrom erreicht diesen „passiven", d. h. durch Säuren nicht angreifbaren Zustand schon durch bloßes Liegen an der Luft. Eine allseitig genügende Erklärung für diese merkwürdigen Erscheinungen ist noch nicht gefunden. Man nimmt meist an, daß sie in der Bildung eines feinen Oxydhäutchens ihren Grund habe. Auf der letzten Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und .Ärzte in Stuttgart berichtete W. J. Müller über einige interessante Versuche, durch die er fest- zustellen suchte, ob die Passivität der Metalle durch eine Oxydschicht veranlaßt wird oder nicht. Er bediente sich optischer und elektrischer Messungen und untersuchte namentlich die Änderung des Re- flektionsvermögens von Metallspiegeln unter ver- schiedener elektrischer Ladung. Zunächst wurde die optische und elektromotorische Wirksamkeit dünner Oxyd-, Metall- und Gasschichten untersucht, um festzustellen, ob man Vorgänge in der Grenz- schicht optisch beobachten kann. Bleisuperoxyd- schichten konnten auf Platiniridiumspiegeln bei molekularer Dicke beobachtet werden. Sie waren zwar kohärent, doch kam die volle elektro- motorische Wirksamkeit erst bei größerer Dicke zur Geltung. Eine ähnliche optische Einwirkung war bei Zink- und Silberschichten zu bemerken. Die Entstehung von Gaslegierungen konnte nicht besser als an Palladiumspiegeln untersucht werden, auf denen Müller elektrolytisch Wasser- stoff verdichtete. Hierbei wurde der Spiegel unter Oxydul- bzw. Oxydbildung von der Schwefelsäure angegriffen. Die anodische Polarisation bewirkte Passivierung des Palladiums dieser Einwirkung gegenüber und das schwach anodisch polarisierte Palladium erlitt keine Beeinträchtigung seines Re- flektionsvermögens. Gerade diese Erscheinung scheint zu beweisen, daß hier die Passivierung nicht d u r c h O X y d b i 1 d u n g veranlaßt wor- den ist. Bei Passivierung des Chroms in Jod- kaliumlösung zeigte sich, daß passives Chrom besser reflektiert als aktives. Anders beim Nickel. Hier ließ sich durch anodische und kathodische N. V. VI. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 95 Polarisation zunächst eine kleine X'erschlechterung des Reflektionsvennögens feststellen, die aber bei Stromunterbrechung bald verschwindet und sich wohl durch die Ausdehnung der Gasschichten an Nickelplatten erklärt. Bei Aluminium dauerte diese Verschlechterung an. Aus Müller's Versuchen geht her\'or, daß die Passivität bei Eisen, Chrom und Nickel und die des Palladiums nicht durch Bildung einer Oxydschicht zu erklären ist. Lb. Bücherbesprechungen. Lehrbuch der Kristalloptik von Dr. F. Pockels, a. o. Prof. für Physik an der Universität Heidel- berg. Mit i6S Fig. im Text und 6 Uoppeltafeln. (Sammlung von Lehrbüchern aus dem Gebiete der mathematischen Wissenschaften mit Einschluß ihrer Anwendungen. Bd. XIX.) 8". X u. 520 S. B. G. Teubner, Leipzig 1906. — Preis geb. 16 Mk. Eine eingehende Darlegung des gegenwärtigen Wissens auf dem Gebiete der Kristalloptik vom p h y - sikalischen Standpunkte aus mit Berücksichtigung der Beobachtungsresultate und mineralogischen An- wendungen, das ist der Inhalt des vorliegenden Wer- kes, das weder eine rein theoretische Behandlung noch eine elementare Darstellung des Gebietes be- zweckt. Wegen dieser wird auf andere Werke ver- wiesen. Da in solchen auch über die Bcobachtungs- methoden , über die Einrichtung und den Gebrauch der Instrumente ausreichende Angaben vorliegen, wie z. B. in der physikalischen Kristallographie von Groth oder von Liebisch, so geht Verf. hierauf nicht näher ein. Ihm kommt es vielmehr auf die erschöpfende Beurteilung und die Vorführung der Beobachtungs- ergebnisse an. Die Ausgestaltung der elektromagneti- schen Lichttheorie, die zur Zeit die befriedigendste Erklärung der optischen Erscheinungen ermöglicht, bietet ihm Anlaß, sie zur Begründung der Gesetze der Lichtfortptlanzung in Kristallen zu verwenden. Unabhängig von jeder Hypothese über die Natur des Lichts aus experimentellen Tatsachen abgeleitete Grundlagen werden benutzt, um die Integralgesetze der Lichtbewegung zu entwickeln. Die Ableitung der Gesetze aus den Differentialgleichungen für den Lichtvektor wird nicht vorangestellt, sondern an ge- gebenen Stellen eingeschoben. Der Stoft' wird in vier Hauptabschnitte eingeteilt, denen eine Einleitung vorangeht, in der die Grund- begriffe der allgemeinen Theorie des Lichtes zusam- mengestellt werden (Ausbreitung des Lichts, Wellen- fläche, Lichtvektor, Interferenz). Der erste Abschnitt, der bei weitem umfang- reichste, behandelt die vollkommen durchsichtigen Kristalle ohne Drehungsvermögen. Er beginnt mit den Gesetzen der Lichtfortpflanzung in den optisch einachsigen und optisch zweiachsigen Kristallen. Vor der Besprechung ihrer Anwendungen wird eine Über- sicht über die wesentlichen Gesichtspunkte der Theo- rien über die Fresnel'schen Gesetze der Lichtfort- pflanzung und über die Versuche, diese aus den Difterentialgleichungen für den Lichtvektor abzuleiten, eingeschuben. Die elektromagnetische Lichttheorie, als die überlegene, wird ausführlich entwickelt. Das Gesamtproblem der Reflexion und Brechung wird in einen geometrischen und physikalischen Teil zerlegt. Ersterer behandelt die Bestimmung der Richtungen der reflektierten und gebrochenen Lichtwellen und Strahlen, insonderheit bei totaler Reflexion, dann Brechung ebener \\ eilen durch Prismen und Brechung: divergenter Strahlenbündel an ebenen Grenzflächen von Kristallen ; letzterer Teil erörtert zunächst die Intensitäts- und Polarisationsverhältnisse der reflek- tierten und gebrochenen Wellen , dann Interferenz- erscheinungen an Kvistallplatten im parallelstrahligen polarisierten Lichte, Interferenzerscheinungen im kon- vergenten polarisierten Lichte, Eigenschaften von über- einander liegenden Platten ui^d Lamellensystemen. Der zweite Abschnitt des Buches bezieht sich auf Kristalle mit optischem Drehungsvermögen und behandelt im einzelnen die Grunderscheinungen des Drehungsvermögens, die Theorie der Lichtfortpflanzung in durchsichtigen Kristallen mit Drehungsvermögen, Prüfung der Theorie durch Beobachtungen. Der dritte Abschnitt handelt von den absor- bierenden Kristallen und zwar in den einzelnen Ka- piteln von Grunderscheinungen (auswählende Absorp- tion, Pleochroismus), Theorie der I-ichtbewegung in absorbierenden Kristallen , Messung der Absorption im durchgehenden Lichte, Erscheinungen im konver- genten polarisierten Licht , Reflexion an absorbieren- den Kristallen, Lichtemission der Kristalle. Im vierten Abschnitt kommt die Änderung der optischen Eigenschaften durch äußere Einflüsse zur Erläuterung, so der Einfluß der Temperatur, Wirkung elastischer Deformationen, Wirkungen des elektrischen und magnetischen Feldes. Der zweite und dritte Abschnitt bringen besonders viele neue Ergebnisse der Forschung aus den letzten Jahren. Das außerordentlich gehaltvolle Werk setzt , wie nicht unterlassen werden soll zu bemerken, umfassen- dere physikalische und mathematische Vorkenntnisse voraus, für eine elementare Einführung ist es eben nicht berechnet. Es wird aber allen, die den Aus- führungen folgen, ein vorzüglicher Führer und eine Quelle reicher Belehrung sein. Scheibe. Prof. Dr. Karl Heun, Lehrbuch der Mechanik. I.Teil: Kinematik. (Sammlung Schubert XXXVII.) Leipzig, Göschen, 1906. 339 S. — 8 Mk. Mit dem großen Aufschwung, den die Technik in den letzten Jahrzehnten genommen hat , geht Hand in Hand auch ein lebhafteres Interesse für die Me- chanik und eine Abkehr von ihrer vorwiegenden Anwendung auf die Astronomie zur Anwendung auf technische Probleme. Auch das vorliegende elemen- tare Lehrbuch will den Studierenden, die solche Wege gehen, ein Leitfaden sein. Maßgebend ist die Auffassung gewesen, die H. Hertz in seinen Prinzipien der Mechanik vertreten hat. Danach ist der Massen- begrifl' aufgenommen worden und die hierdurch mögliche Ausarbeitung der Systembegriffe in den 96 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 6 Mittelpunkt der Darstellung gerückt. Wenn auch nach der Meinung des Verfassers eine strenge Schei- dung in Kinematik und Dynamik ihre großen Nach- teile hat , so hat er doch in diesem Lehrbuch diese systematische Scheidung durchgefiihrt, um eine selek- tive Benutzung des Buches, sei es beim Studium, sei es bsi der Bearbeitung spezieller Probleme zu er- leichtern. — Aus dem Inhalt sei noch erwähnt, daß die Vektorrechnung, die Bewegung eines Punktes in freier Bahn, auf einer Fläche, auf einer fesien Kurve und im Raum, die Behandlung der elementaren Punkt- systeme, die Kinematik des starren Körpers, die Ketten aus starren Körpern und die allgemeinen Systeme behandelt werden. A. S. Literatur. Hertwig, Prot'. Dr. Rieh.: Lclirbuch der Zoologie. 8. AuH. iXil, 645 S. m. 5S8 Abbildgn.) Lex. 8°. Jena '07, G. Uscher. — 11,50 Mk. ; geb. i3,sO Mk. Miehe, Priv.-Doz. Dr. H.; Die Ersclieinungen des Lebens. Gruudprobleme der modernen Biologie. Mit 40 Fig. im Te.Kt. (VI, 124 S.) Leipzig '07, B. G. Teubner. — i Mk. ; geb. in Leinw. 1,25 Mk. Petzoldt, Jos.: Das Weltproblem v. positivistischem Stand- I Hinkte aus. (X, 152 S.) Leipzig '06, B. G. Teubner. — 1 Mk.; geb. in Leinw. 1,25 Mk. Progressus rei botanicae. Forlschrilte der Botanik. Progrcs de la bolanique. Progress of botany. Hrsg. v. der .\sso- ciation internationale des botanisles. Red. v. Dr. J. P. Lotsy. 1. Bd. (I. Heft. 371 S. m. Abbildgn.) gr. 8". Jena '07. G. Fischer. — iS Mk. Rütimeyer, Ludw. : Briefe und Tagebuchblätter. Hrsg. von Lecip. Rütimeyer. Einleitung: Lebens- und Charaklerliild Kütimeyer's v. L. E. Iselin u. Paul Sarasin. Mit dem Bild- nis Rütimever's. Anhang : Drei Gedenkreden R'itimeyer's. (Vlll, 224' S.i gr. 8». Frauenfeld '06, Huber & Co. — 3,;o Mk. Stange, Dr. Alb.: Das deutsche Museum v. Meisterwerken der Naturwissenschaft u. Technik in München. Historische Skizze. (Vn, 125 S. m. ii Abbildgn. u. Titelbild.) gr. 8". München '06, R. Oldenbourg. — 3 Mk. Weisbach, .Albin: Tabellen zur Bestimmung der Mineralien mittels äußerer Kennzeichen. 7. Aufl. Bearb. v. Bergakad.- Prof. Dr. Frdr. Kolbcck. (Vlll, 121 S.) Le.x. 8". Leipzig '06, A. Felix. — 3,60 Mk. ; geb. 4,20 Mk. Briefkasten. I ) Welches Land ist die Heimat und wer ist der Autor von Nicotiana silvestris? Nicotiana silvestris stammt aus Argentinien (Prov. Salta), wo er von Professor Spegazziiii gesammelt und sodann an Professor Comes in Portici bei Neapel gesandt wurde , wo er im Sommer 1S97 zum ersten Male in Euiopa kultiviert wurde und auch blühte. Sodann gab Prof. Comes Samen an San Giovanni a Teducco , von wo aus die Pflanze im folgen- den Jahre verbreitet wurde. In ihrer Heimat wächst sie mit V^orliebe im feuciilen Humus der lichten Wälder in einer Höhe von 800 — 1800 m. .\ls Standorte werden von Prof. Comes besonders die Um- gebung der kleineren Stadt Vigna , die Täler El Tabor und El Tabacai, die Wälder des Tales Quibrada de Escoipc und sonst alle Ufer der Bäche jener Gebirgsgegenden angegeben. Die Indianer sammeln die sehr großen Blätter, die sie rauchen oder kauen , trotzdem sie ohne Aroma sein sollen Der neue Ziertabak Nicotiana silvestris Spegazz. et Comes wird von den Autoren zur Sektion ,,Petunioides'* gestellt und steht in der Mitte zwischen Nicotiana alata Lk. und Olto und Nicotiana me.\icana .Schlecht. Die Pflanze besitzt ein sehr schönes Laubwerk und blüht in großen Scheindolden. Ihre Blüten sind mit sehr langen Röhren versehen , rein weiß und nickend. Die Bestäubung wird durch die Nachtfalter jener Gegenden ausgeführt. Was die Kultur des Ziertabaks anbetrifft, so säet man die Samen so fiüh als möglich aus, halbwarm, pickiert fleißig und pflanzt die Sämlinge später in das freie Land. Sie ge- deiht bcsondeis gut in sandigem Humus, verlangt reichlich Wasser, viel Sonne im Norden, Halbschatten im Süden. Sie blüht ununterbrochen bis in den Herbst hinein, und ist in Italien perennierend. Neben der Vermehrung der Pflanze durch Samen, der in großen Mengen von der Pflanze produziert wird, kann man auch dieselbe durch Wurzelschößlinge vermehren. Nicotiana silvestris Spegazz. et Comes ist zweifellos eine der schönsten Einführungen der letzten Jahre und mag überall als dankbare Annuelle liehandelt werden. 2) Wie heißen die Stamm eitern und der Autor von Nicotiana Sanderae? Aller Wahrscheinlichkeit nach ist Sander selbst der Autor von obiger Nicotiana, da dieser neue Ziertabak aus seiner Gärtnerei hervorgegangen ist. Die Stammeltern sind vorläufig noch unbekannt; sicherlich ist er mit Nicotiana affinis ver- wandt. Diese Neuheit zeichnet sich besonders durch üppigen Wuchs und Reichblütigkeit aus ; deswegen eignet er sich als Grupjien- wie auch als Einzelpflanze. Auch für die Topf- kultur hat er sich sehr willig gezeigt, nur beansprucht er zu einer kräftigen Entwicklung verhältnismäßig große Töpfe. Dieser neue Ziertabak ist eine ausgesprochene Halbschatlen- pflanze ; einzelne tadeln das Schließen der Blüten bei Sonnen- schein. Es existiert schon jetzt eine große Anzahl von neuen Varietäten und Hybriden von diesem Ziertabak. Die Blüten- farbe ist bei den meisten Exemplaren tiefrot ; leider aber nicht konstant, welchen Fehler man jetzt eifrigst zu beseitigen be- müht ist. Dr. P. Beckmann. Herrn H- G. in Frankfurt (Main). — Nehmen Sie Buche- nau, Flora der nordwestdeutschen Tiefebene (W. Engelmann in Leipzig). Herrn F. in Weimar. — Eine ausführliche etymologische Erläuterung der geologischen Formalionsnamen finden Sie auf p. 159 — 160 der Naturw. Wochenschr. vom 4. März 1906. Herrn S. in Ruhla. — l) In dem Werk über den Thü- ringer Wald von v. Hoff und Jacobs (Gotha 1807 u. 12) wird die bessere, noch heute am Gebirge heimische Wortform ,,Rennsteig" gebraucht. ,,Der Rennsteig bezeichnete vor- mals die Grenze zwischen Thüringen und Franken und es wäre möglich, daß sein eigentlicher Namen Reinweg ge- wesen wäre, da Rain oder Rem in Thüringen noch jetzt oft einen zur Grenze dienenden schmalen Strich Rasen oder Wiese bedeutet." Das ist ganz gewiß die richtige Erklärung, wie u. a. die urkundlich aus dem Jahr 101 1 bezeugte Wort- form ..Reineweg" (Reinnevuech) dartut. Die schon vor alters anscheinend häufigere Form ,, Rennstieg" (urkundlich Rynne- slig u. ä.) sollte neuhochdeutsch Rennsteig lauten, denn das Wort enthält doch ganz unzweifelhaft das neuhochdeutsche ,, Steig" (wie in ,,Fußsieig") und ist als Masculinum nicht zu verwechseln mit dem Femininum ,, Stiege" (süddeutsch für , .Treppe"). — Nach Kirchhoff in den Mitt. des Ver. für Erd- kunde zu Halle a. S. 2) Die Flora des Kyfl'häusers finden Sie gut behandelt in dem Schul programm: A. Petry, Die Vegetationsverhält- nisse des Kvfl'häuser- Gebirges. Halle, Tausch u. Grosse, 1889. 4°. 55 S. Inhalt: Prof. E. Hcrtcl: Über den Gehalt verschiedener Mitteilungen: Ludwig Woltmann: Der Germanen eil er t: Neuere Untersuchungen über Wurzelhaare und Bücherbesprectiungen : Dr. F. Pockels: Lehrbuch Mechanik. — Litteratur: Liste. — Briefkasten. Speklralbezirke an physiologisch wirksamer Energie. — Kleinere in Krankreich. — C. W e r c k 1 e : Uranidenzüge. — F.Schlei- dercn Sekrete. — W. J. Müller: Passivität der Metalle. — der Kristalloptik. — Prof. Dr. Karl Heun: Lehrbuch der Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofl-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neae Folge Tl. Band; der ganzen Reihe XXII. Band. Sonntag, den 17. Februar 1907. Nr. 7. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten , wie bei der Expedition. Der Halbjabrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespaltene Kolonclzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. Die Tätigkeit der Mikroorganismen im Boden. [Nachdruck verboten. Ein Referat von Fri Als Justus V. Liebig im Jahre 1840 durch sein Werk „Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agri- kultur und Physiologie" die große Bedeutung der mineralischen Nährstoffe für das Pflanzenleben be- gründet hatte, brach eine Periode in der Landwirt- schaft an, welche die chemischen Eigenschaften des Ackerbodens, seinen Gehalt an Phosphorsäure, Kali und Kalk ausschließlich für die gedeihliche Entwicklung der Pflanzen verantwortlich machte. Die alte, besonders durch v. Thaer vertretene sog. „Humuslheorie", welche dem Humus, d. h. den kohlenstoffreichen Resten organischer Substanzen, im Roden eine spezifische Wirkung auf das Pflanzen- wachstum zuschrieb, fand höchstens ihre Verehrer in der landwirtschaftlichen Praxis, wo viele Er- fahrungen noch zu ihren Gunsten sprachen. Langer Jahre hat es bedurft, bis endlich infolge exakter Versuche neben den mineralischen Nährstoffen die Wichtigkeit des im Boden gebundenen Stickstoffes für die Pflanze klarer hervorgekehrt wurde. Mit dieser Erkenntnis wuchs auch die Überzeugung von der W'ichtigkeit der humosen Substanzen als Stickstoffquelle, um so mehr, als in neuerer Zeit erkannt wurde, daß sie, neben ihrer günstigen physikalischen Wirkung auf die Ackererde, einen Nährboden für die verschiedensten Mikroorganis- edrich Upmeyer. men abgeben, welche an den das Pflanzenwachs- tum teils fördernden, teils hemmenden bakterio- logischen Vorgängen des Bodens sich beteiligen. Die interessanten, wenn auch teilweise noch un- sicheren Ergebnisse der modernen Agrikulturbak- teriologie sollen nachfolgend ausführlich erörtert werden. Unter den bodenbakteriologischen Vorgängen nehmen die Prozesse der Fäulnis und Ver- wesung die erste Stelle ein. Beide sind als Zer- setzungserscheinungen toter organischer Substanzen aufzufassen, welche die Ackererde in Form pflanz- licher oder tierischer Produkte enthält, und wer- den beherrscht von der Gegenwart des Sauer- stoff'es. Ist die Anwesenheit der Luft beschränkt oder gänzlich aufgehoben, so fault die organische Materie; wir haben es dann mit sehr verwickelten Reduktionserscheinungen zu tun, bei welchen als Endprodukte Kohlensäure, Sumpfgas, Wasserstoff, Stickstoffoxydul und freier Stickstoff auftreten, und eine schwer zersetzliche Masse zurückbleibt, be- stehend aus stickstoffhaltigen Substanzen der ver- schiedensten Art, ferner P"ettsäuren und Verbin- dungen sehr komplizierter Konstitution. Wesentlich anders gestalten sich die Verhältnisse bei unge- hindertem Zutritt der Atmo.sphäre: die organischen 98 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 7 Tier- und Pflanzenreste verwesen, und ihre kohlen- stoffreichen und stickstoffhaltigen Substanzen wer- den oxydiert zu Kohlensäure, Ammoniak und Wasser, so daß ausschließlich die mineralischen Bestandteile übrig bleiben. Natürliche Verhältnisse vorausgesetzt, unterliegen die humosen Substanzen im Boden niemals einem dieser Prozesse allein, sondern die Fäulnis- und Verwesungsvorgänge treten nebeneinander auf, wobei nur der mehr oder weniger reichliche Zutritt der Luft entscheidet, welcher Prozeß die Oberhand gewinnt. Lange Zeit glaubte man den Zerfall organischer Materie rein chemischen Ursachen zuschreiben zu müssen, bis es vor allem Wollny gelang, die Be- teiligung von Mikroorganismen- an der Oxydation organischen Kohlenstoffs einwandfrei nachzuweisen. Folgerichtig mußte man nun zu dem Schluß kom- men, daß die CO., -Entwicklung gehemmt bzw. gänzlich unterbunden werden würde, sobald durch geeignete Mittel das Wachstum der Kleinlebewesen unterdrückt wurde. In der Tat konnte gen. Forscher zeigen, daß ein humushaltiger Boden fast gänzlich Kohlen- dioxyd zu erzeugen aufhört, sobald man ihn mit antiseptischen Substanzen behandelt. Im einzelnen ergaben seine Untersuchungen, daß eine humose Erde von bestimmtem Feuchtigkeitsgehalt, welche in einer gewissen Zeit loo Teile Kohlensäure pro- duziert, bei Anwendung einer geringen Menge von Chlor nur 85 Teile, von Chloroform 44 Teile, von Thymol 7,8 Teile, von Karbol 5,7 Teile lieferte, und durch Sterilisation bei 115" die Kohlensäure- bildung bis auf 1,2 Teile sank.') Nach diesen wissenschaftlichen Ergebnissen war anzunehmen , daß auch das bei der Zersetzung organischer Tier- und Pflanzenreste im Boden frei- werdende Ammoniak der Tätigkeit niederer Or- ganismen seine Entstehung verdanke. M ü n t z und Coudon lieferten hierfür den exakten Beweis. Von denselben Überlegungen wie Wollny aus- gehend, untersuchten diese Forscher eine bestimmte Menge Boden mit einem mittleren Humusgehalt auf Ammoniak und sterilisierten bei 120". Die eine Hälfte wurde mit frischer Erde geimpft. Es zeigte sich, daß nach Ablauf von 67 Tagen in den keimfrei gemachten Gefäßen der Ammoniakgehalt konstant geblieben war, während unter sonst gleichen Versuchsbedingungen die geimpfte Bodenprobe auf 100 g 41 — 110 mg Ammoniak entwickelt hatte. Immer mehr wurde die Bedeiftung der Mikro- organismen bei der Umwandlung organischer Boden- bestandteile gefestigt, als es Deherain gelungen war, auch die Fäulniserscheinungen, besonders die Sumpfgasgärung, durch antiseptisclie Behandlung ') Diese trotz stärkster Maßregeln noch anhaltende ge- ringe Produktion von Kohlendio.xyd zwingt keineswegs dazu, noch einen nebenher verlaufenden, rein chemischen Oxydations- prozeß anzunehmen. Es ist vielmehr mit unseren Vorstellungen wohl vereinbar, daß ein aus den abgetöteten Bakterien frei- werdendes Enzym den eingeleiteten Vorgang in minimalem Umfange fortführt. vermittels Kupfervitriol und Chloroform gänzlich zu unterdrücken. Einen interessanten Beitrag zu diesen Tatsachen haben in neuester Zeit noch Löhnis und Behrens geliefert durch den Nachweis, daß aus dem als Ersatz für Chilisalpeter hergestellten „Kalkstick- stoff" durch die Arbeit gewisser Bakterien erst Ammoniak abgespalten wird, ehe er für die Pflanze aufnehmbar ist. Es ist selbstverständlich, daß, wie bei jedem Organismus, bestimmte Faktoren vorhanden sind, welche das Wachstum dieser verschiedenartigen Kleinlebewesen besonders fördern oder hemmen. Solche Faktoren sind Luftzufuhr, Feuchtigkeit, Wärme, Licht, chemische Verbindungen usw. Unter der Annahme, daß die in einer bestimmten Zeit gebildete Menge der Kohlensäure resp. des Am- moniaks einen Maßstab für die Intensität der bak- teriologischen Vorgänge abgibt, zeigt sich, daß mit vermehrtem Luftzutritt die Produktion an Kohlensäure und Ammoniak zunimmt, die Tätig- keit der Bodenmikroorganismen lebhafter wird. Welchen Einfluß das Wasser auf die Schnelligkeit der Verwesung hat, veranschaulicht nachfolgende Versuchsreihe : H.,OGehalt der Boden- probe 2,91 12,91 22,91 32,91 CO.i-Gehalt von lOOO Volumen des Bodens 1,64 2,40 4,49 9,02 Im Überfluß vorhandene Feuchtigkeit setzt indes die Entwicklung von Kohlendioxyd stark herab. Der Zusammenhang zwisciien der Temperatur und der Lebhaftigkeit der Zersetzungsvorgänge wird durch folgende Versuchsergebnisse schön ver- deutlicht: Temperatur der Bodenprobe . .10° 20" 30" 40" 50" Volumina CO.,, wel- che in 1000 Vol. Luft der Boden- probe enthalten sind, in der Zeit- einheit .... 2,80 15,46 36,24 42,61 76,32 Wird die P>wärmung noch weiter getrieben, so nimmt die Kohlensäurebildung entsprechend ab. Andere Untersuchungen haben dargetan, daß mit steigendem CO^-Gehalt sich auch die Intensi- tät des Verwesungsprozesses vermindert, während ein Kalkgehalt des Bodens eine entschieden be- schleunigende Wirkung ausübt. Durch diese Tat- sache wird erst erklärlich, warum die Zersetzungs- erscheinungen in diesen und jenen Bodenarten so äußerst verschieden verlaufen. Der Tonboden, welcher für Luft schwer zugänglich ist, braucht sehr lange Zeit, die Tier- und Pflanzenreste zu zerstören. Im Sandboden verschwinden die or- ganischen Rückstände äußerst schnell , weil der Sauerstoff ungehindert zutreten kann und die Bak- terienflora zu intensiver Tätigkeit anregt. Die ge- ringe Temperatur des Waldbodens wirkt verzögernd auf die Verwesung des abgefallenen Laubes, während N. F. VI. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 99 der Moorboden mit seinen antiseptischen Eigen- schaften und seiner Abgeschlossenheit gegen Luft eine Zerstörung organischer iVIaterie fast überhaupt nicht zuläßt. Besonders nützlich erweisen sich die angeführten Untersuchungen dadurch, daß sie eine naturwissen- schaftliche Erklärung für die Wirkung verschiedener Bodenkulturarbeiten des Landwirts an die Hand geben. Es fällt uns leicht, eine Vorstellung zu gewinnen, wie z. B. das Pflügen auf die Zersetzungs- prozesse in der Ackererde beschleunigend wirkt, welchen gewaltigen Einfluß die Entfernung des überflüssigen, stagnierenden Wassers mittels Drai- nage auf die Vorgänge im Ackerlande hat, worin die Wirkung des Kaikens zum Teil begründet ist und dgl. mehr. Nachdem erst einmal festgestellt war, daß es wirklich Kleinlebewesen sind, welche die Fäulnis- und Verwesungsprozesse im Boden ver- ursachen, wandte sich die Arbeit der Bakterio- logen der Klassifikation dieser Mikroorganismen zu. Man fand, daß bei diesen Vorgängen vor- nehmlich Schimmelpilze und Bakterien beteiligt sind und zwar in einem Boden mit saurer Reak- tion die Schimmelpilze, mit neutraler oder schwach alkalischer Reaktion die Bakterien oder Spaltpilze überwiegen. Es würde zu weit führen, sämtliche Arten der Mikroben hier aufzuführen. Es seien deswegen nur genannt : von den Schimmelpilzen der bekannte Kopfschimmel Mucor mucedo, be- sonders auf eiweißreichen Substanzen sich aus- breitend, M. racemosus, welcher sich häufig auf kohlehydratreichen organischen Resten vorfindet, und M. stolonifer. Von den Kolbenschimmeln sind Aspergillus glaucus und niger besonders zahlreich vertreten. Auch der gemeinste Schimmelpilz Peni- cillium glaucum nimmt Anteil an der Zersetzung organischer Substanz neben vielen anderen. Sogar die Hefepilze finden im Boden ihr Fortkommen, so z. B. die Bierhefe Saccharomyces cerevisiae, die Weinhefe S. ellipsoideus. An Spaltpilzen sind allein gegen 1 5 verschiedene kugelförmige sog. Mikro- kokken in der Ackererde nachgewiesen worden, unter ihnen besonders bemerkenswert Micrococcus ureae, welcher die Fähigkeit hat, vom Harnstoft" Am- moniak abzuspalten. Die Zahl der stäbchenförmigen Bakterien oder Bazillen ist noch größer; unter diesen hat sich als Ammoniakbildner neben Bacillus butyricus der B. mycoides als besonders energisch wirksam erwiesen. Die spiralig gewundenen Spalt- pilze oder Spirillen endlich sind in etwa 5 Arten im Boden enthalten. Nicht in direktem Zusammen- hange mit den Zersetzungsvorgängen im Boden steht die Tätigkeit einer Fadenbakterie Cladothrix odorifera Rullmann, deren flüchtige organische Stoffwechselprodukte den nach kurz anhaltendem Regen oft hervortretenden eigentümlichen Erd- geruch erzeugen. Interessanter noch, zugleich aber auch kom- plizierter gestalten sich jene bakteriologischen Vor- gänge der Ackererde, welche mit den Wanderungen und Wandlungen des Stickstoffs in der Natur eng verknüpft sind. Bereits im Jahre 1879 wurde von Schlösing und Müntz der Beweis erbracht, daß das bei der Verwesung und Fäulnis im Boden ge- bildete Ammoniak unter der Einwirkung von Bak- terien zu Salpetersäure oxydiert wird. Die For- scher behandelten einen stark nitrifizierenden Boden mit Chloroformdämpfen und konnten feststellen, daß dann jede Bildung von Nitrat aufhörte. Der- selbe Effekt wurde durch Sterilisation bei iio" und vollständigen Luftabschluß erreicht. Nach dem Zutritt der Luft und dem Hinzufügen von etwas Erde traten indes die nitrifizierenden Bakterien wieder energisch in Wirksamkeit. Wie bald nach- her auch von anderen Forschern gezeigt wurde, ist der Nitrifikationsprozeß besonders von der Gegenwart der Feuchtigkeit und des Sauerstoffs abhängig, wurden doch nach Schlösing's und Müntz' Untersuchungen unter sonst gleichen Be- dingungen bei einem Gehalt der Luft an Sauer- stoff von 1,5 6« 1 1 !l7o 4S<7 ™S 95'7 i3->5 162,6 mg Salpetersäure gebildet. Hiermit stimmt überein, daß sich die Nitrifikationsbakterien nach Warington's F"or- schungen hauptsächlich in der oberen, der Luft zugänglichen Ackerkrume vorfinden, in den 1,5 bis 1,8 m tiefen Bodenschichten indes nur in un- bedeutender Anzahl vorhanden sind und nur eine sehr geringe Wirkung ausüben. Winogradsky hat diesen Nitrifikationsprozeß bis in seine Einzelheiten erforscht und die beteiligten Mikroorganismen rein dargestellt. Seine Arbeiten haben uns darüber auf- geklärt, daß das Ammoniak zuerst durch eine Bakteriengruppe, Bacterium Nitrosomonas, in Nitrit übergeführt wird und nachdem dieser Prozeß voll- ständig beendet, dann erst ein anderes Kleinlebe- wesen, Nitrobacter, in Tätigkeit tritt, welches die salpetrige Säure zu Salpetersäure oxydiert, die für die Pflanze leicht aufnehmbar ist. Bei Gegenwart von Kalk geht dieser Prozeß besonders lebhaft in der Ackererde vor sich, weil die sich bildende Salpetersäure dann sogleich neutralisiert wird. O m e - liansky, der Mitarbeiter Winogradsky 's konnte fest- stellen, daß die Nitrit- und Nitratbildner außer- ordentlich empfindlich gegen Spuren gelöster or- ganischer Stoffe sind, welche erst in Ammoniak zersetzt werden müssen, wenn die Nitroso- und Nitrobakterien in Tätigkeit treten sollen. Wie Ver- suche in Reinkultur gezeigt haben, ist der Nitrat- bildner ungemein empfindlich gegen geringste Mengen von Ammoniak und vermag erst sich zu entwickeln, wenn solches von Nitritbildnern oxydiert worden ist. Die Tatsache, daß die Nitrifikations- bakterien in fast allen Bodenarten gefunden wer- den, läßt auf eine allgemeine Verbreitung dieses Vorganges in der Ackererde schließen, auch ist im höchsten Grade wahrscheinlich, daß noch andere Bakterienarten an der Oxydation des Ammoniaks teilnehmen, worüber die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind. Bei seinen \''ersuchen über die Nitrifikation lOO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 7 gelang es S c h 1 ö s i n g, einem anderen biologischen Prozeß auf die Spur zu kommen, welcher sich im Boden unter bestimmten Verhältnissen abspielen kann. Aus einem nitrifizierenden Boden suchte er durch Einleiten von freiem Stickstoff die Luft zu verdrängen und machte dabei die überraschende Entdeckung, daß sämtliche bereits gebildete Salpeter- säure in kurzer Zeit als ungebundener Stickstoff verschwand. Französische Forscher (Gay on und Dupetit) verfolgten diesen Prozeß der Denitri- fikation und konnten in einer stark denitrifizieren- den Lösung, bestehend aus Kanalwasser -|- 0,02 g Kalinitrat -j- zersetzten Urin kleine Organismen nachweisen, welche die F"ähigkeit hatten, das Nitrat unter Entbinden von freiem Stickstoff und geringen Mengen von Ammoniak zu zersetzen. Schon da- mals stellten sie fest, daß ein Teil der Salpeter- säure von anderen Organismen nur zu Nitrit redu- ziert wurde. In sehr einfacher Weise kann man den Vorgang der Denitrifikation auch demon- strieren, wenn man eine Chilisalpeterlösung mit frischem Pferdedung in einer Kolbenflasche zu- sammenbringt; es entsteht alsdann nach einiger Zeit ein starkes Schäumen und gasförmiger Stick- stoff entweicht. Daß auch im freien Boden dieser Prozeß vor sich geht, falls Nitrate und organische Substanzen vorhanden sind, und die Luft nicht allzu freien Zutritt hat, wurde von Deherain und Maquenne mit Sicherheit ermittelt. Bei der außer- ordentlichen Bedeutung, welche ein solcher Vor- gang für die F"ruchtbarkeit des Ackers haben mußte, falls er allgemein verbreitet war, kann es nicht verwundern, daß in den folgenden Jahren die Untersuchungen darüber eifrig fortgesetzt worden sind. Es wurden gegen 25 Bakterienarten in Rein- kultur dargestellt, welche Salpetersäure zu freiem Stickstoff zu reduzieren vermochten. In ihren Eigenschaften genauer erforscht sind besonders der anaerobe Nitratzerstörer Bacillus denitrificans II, sowie B. den. I, welcher besonders in Symbiose mit Bacterium coli commune freien Stickstoff aus den Nitraten entbindet. Stark denitrifizierend wirkt endlich auch B. pyocyaneum. Unter diesen ver- schiedenartigen Denitrifikationserregern sind nach Stoklasa's Untersuchungen auch solche Arten, wel- che die Reduktion der Nitrate nur bis zum Ammoniak vollführen. Ein besonderes Interesse haben diese Mikroorganismen für uns noch, seitdem Beijerinck auf ihre eigentümlichen physiologischen Eigen- schaften aufmerksam gemacht hat. Ebenso wie die Nitrifikationsbakterien vermögen sie ihren Kohlenstoffbedarf aus der Kohlensäure der Luft zu decken, natürlich ohne Zuhilfenahme des Lichts. Die Spaltung des Kohlensäuremoleküls würde also bei den Nitrifikationsbakterien nicht — wie bei den Pflanzen — durch die Energie der Sonnen- strahlen, sondern durch die bei der Oxydation des Stickstoffs freiwerdende Spannkraft bewirkt. Wenn man auch eine Zeitlang diesem Denitri- fikationsprozeß eine große Bedeutung zuschrieb, hat doch neuerdings die Anschauung mehr An- hänger gewonnen, daß Umfang und Wirkung dieses Vorganges nicht allzu groß anzuschlagen sind. Man ist mehr geneigt, viele bisher auf Denitrifikation zurückgeführte Beobachtungen einem anderen Pro- zeß zuzuschreiben, dem der Umwandlung des von den Pflanzen aufnehmbaren Stickstoffs in unlös- lichen Eiweißstickstoff. Es gelang den Forschern Gerlach und Vogel 6 verschiedene Bodenbakterien zu isolieren, welche den von den Pflanzen auf- nehmbaren Stickstoff in Nitrit und dann in eine eiweißartige Verbindung überführen. Die Be- dingungen für diesen Vorgang sind besonders gün.stig, wenn leicht lösliche organische Substanzen im Übermaß im Boden vorhanden sind. So konnte z. B. beobachtet werden, daß eine Strohdüngung, welche Versuchspflanzen in Töpfen gegeben wurde, ganz außerordentlich schädlich auf das Pflanzen- wachstum wirkte. Nähere Untersuchungen ergaben, daß hier ein biologischer Vorgang zugrunde lag, bei welchem der den Versuchspflanzen zur Ver- fügung gestellte Stickstoff durch Bakterien zum Aufbau ihres Leibes verwendet wurde. Die vom Landwirt bisweilen beobachtete Erscheinung, daß Chilisalpeter, zu frischer Stallmistdüngung gegeben, nicht zur Wirkung gelangt, wird neuerdings in einigen Fällen mit diesem Prozeß der Festlegung die Stickstoffs in Form von Eiweiß in Zusammen- hang gebracht. Nach diesen Ausführungen können unmöglich zwei Vorgänge bodenbakteriologischer Art uner- wähnt bleiben, welche stets das größte Interesse und die kühnsten Hoffnungen erweckt haben: die Tätigkeit gewisser Bakterien, welche isoliert im Boden leben und den Stickstoff der Luft in einer für die Kulturpflanzen aufnehmbaren Form zu binden vermögen. Sodann die Eigenschaft ge- wisser Mikroorganismen, mit einer Gruppe von Pflanzen (Leguminosen) in Symbiose zu treten und den Luftstickstoff ihnen dienstbar zu machen, um ihrerseits dafür von den Pflanzen als Nahrung Kohle- hydrate zu erhalten. Bereits im Jahre 1885 hatte Berthelot darauf hingewiesen, daß unter bestimm- ten Bedingungen die obere Ackerkrume bis zu einer Tiefe von 10 cm pro Morgen gegen 15 Pfd. Stick- stoff in einer von den Pflanzen assimilierbaren F"orm zu binden vermag. Er kam auf die Vermutung, daß hier ein biologischer Prozeß im Spiele sein mußte, da ein sterilisierter Boden diese Arbeit nicht leistete. Winogradsky gelang es in der Tat, ein Butter- säure bildendes Bakterium Clostridium Pasteurianum in Reinkultur darzustellen, welches die Eigenschaft hatte, bei Gegenwart von leicht löslichen Kohle- hydraten den Luftstickstoff zum Aufbau der Leibes- substanz zu verwenden. Dieser Mikroorganismus gedeiht nur bei Luftabschluß (anaerob) oder in Symbiose mit solchen Bakterien, welche den Luft- sauerstoff absorbieren. Sein Wirkungsgrad ist der- art, daß in i 1 Nährlösung 53,6 mg Stickstoff fest- gelegt wurden. Erst viel später gelang es Krüger und Beijerink, eine stäbchenförmige, stickstoffsam- melnde Bakterienart aus dem Boden zu isolieren, deren Lebensbedingungen denen der ersten Art N. F. VI. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. lOI i^erade entgegengesetzt sind. Ks bedarf dieses Äzotobacter chroococcum genannte Kleinlebewesen neben leicht löslichen KolilenstoiiVerbindungen vor allem des Sauerstoffs der Luft zu seiner Entwick- lung und wirkt zudem weit kräftiger. Man hat gefunden, daß Äzotobacter sehr häufig mit anderen Bakterien und besonders mit Algen in Symbiose lebt, jedoch vermochte diese Mikrobe auch in Reinkultur unter Zusatz von Traubenzucker reich- liclie Mengen von Stickstoff festzulegen, derart, daß nach (lerlachs und Vogels Untersuchungen in einer Lösung, die im Liter I2 g Traubenzucker enthielt, 127,9 nig «i" Stickstoff gebunden wurden. Im Durch- schnitt von vielen Versuchen wurde ermittelt, daß diese Bakterienarten in besagter Lösung bei Zusatz von I g Traubenzucker 8,9 mg Stickstoff aufzu- speichern imstande ist. Leider hält es sehr schwer, den Umfang der Tätigkeit dieser stickstoffsammelnden Bakterien im freien Boden nachzuweisen. In dieser Richtung liegt ein Versuch vor, den Prof. A. Koch in Göt- tingen kürzlich angestellt hat. Er nahm von der unbearbeiteten Haferstoppel des Versuchsfeldes mehrere Bodenproben und zwar aus vier aufein- anderfolgenden Bodenschichten (I. o — 20 cm, II. 20 bis 40 cm, III. 40 — 60 cm, IV. 60 — 80 cm). Die eine Hälfte dieser im November genommenen Proben wurde während des Winters fünfmal um- geschaufelt, also gründlich durchlüftet, während die übrigen Proben unbearbeitet blieben. Die che- mische Untersuchung am Schluß des Versuches ergab im Durchschnitt: meinschaft mitgeteilt, welche Hiltner darüber veröffenüicht hat. Nach seinen Untersuchungen handelt es sich bei diesen Mikroorganismen nicht um eine Art, welche sich den verschiedenen Leguminosen angepaßt hat, sondern man muß zwei morphologisch kaum trennbare Gruppen von Bakterieq unterscheiden, je nachdem sie auf gelati- nösem Nährboden wachsen oder nicht. Zu den ersteren gehören die Anpassungsformen der Erbse, Bohne und des Klees; zu den anderen diejenigen der Lupine, Seradella, Soja und Ginster. Über die Lebensverhältnisse der Bakterien weiß man, daß sie sich nach dem Eindringen in die Wurzeln der Pflanze in eine besondere Form, Bakteroiden ge- nannt, verwandeln, welche sich durch eine eigen- tümliche Veränderung eines Teiles ihres Plasmas von den ursprünglichen Bakterien unterscheiden. Aus diesem Plasma deckt dann die Pflanze ihren Stickstoffbedarf, indem sie solches direkt zu assimi- lieren vermag. Beachtenswert ist, daß das Plasma sich erst differenziert, sobald es der Pflanze an dem nötigen aufnehmbaren Stickstoff, stamme er aus dem Boden oder aus dem Samen, mangelt. Ist dieser Stickstoff hingegen reichlich vorhanden, so bildet sich nur wenig Plasma oder das bereits ge- bildete verschwindet wieder. Besonders schön hat Hiltner diesen Prozeß beobachtet, indem er ein wenig Salpeter in eine Reinkultur von Knöllchen- bakterien brachte, welche infolge von N-Mangel jenes differenzierte Plasma bereits gebildet hatte: das Plasma verschwand alsbald wieder. Man hat hieraus mit Recht gefolgert, daß die Leguminosen den nicht gelü ftet gelüftet N-Zunahme N Gehalt in /() N- Gehalt in \, in % Schicht I bis 20 cm tief 0,113 0,132 0,019 11 20 — 40 „ 0,074 0,109 0,03s „ III 40—60 „ „ 0,059 0,076 0,017 „ IV 60—80 „ 0,046 0,069 0,023 Ganz im Einklang mit diesem Ergebnis standen die mehr oder weniger großen Erträge, welche auf den in Blechgefäße von 18 kg Inhalt gefüllten Bodenproben an Hafer, Senf, Buch- weizen und Rüben erzielt wurden, je nach- dem die Erde umgeschaufelt war oder nicht. Es unterliegt wohl kaum einem Zweifel, daß hier stickstoftsammelnde Bakterien tätig gewesen sind, welche infolge der gründlichen Durchlüftung zu energischer Wirksamkeit angeregt wurden. Die Stickstoff bereichernde Wirkung der Brache wird neuerdings ebenfalls auf derartige Mikroorganismen zurückgeführt, so daß die lange Zeit verpönt ge- wesene Brachewirtschaft besonders für sehr schwere Bodenarten in letzter Zeit mehr und mehr wieder eingeführt wird und dafür die Stickstoffdüngung stark zurücktritt. Es erübrigt noch, auf jene interessanten Bakterien des Bodens einzugehen, welche mit den Leguminosen in Symbiose leben. Da an dieser Stelle des öfteren darüber berichtet ist, seien nur die neueren Ansichten über diese Lebensge- Luftstickstoff erst dann mit Hilfe der Bakterien ver- werten, wenn ihnen kein gebundener Stickstoff im Boden mehr zur Verfügung steht, wenn „Slick- stofifhunger" eingetreten ist. Daher üben denn die zur Gründüngung angebauten Leguminosen besonders auf leichten, stickstoffarmen Bodenarten eine ganz hervorragend befruchtende Wirkung aus. Für die empirisch lange feststehende Tatsache, daß die Leguminosen den Boden stark an Stick- stoff bereichert zurücklassen, welcher der folgenden Frucht zugute kommt, hat Hiltner eine interessante Hypothese aufgestellt. Innerhalb ihres Wurzel- bereichs, der „Rhizosphäre", sollen die Legumi- nosen vermittels der Ausscheidungen ihrer Wurzel- haare noch mit anderen Bakterien in Verbindung treten, welche den löslichen Bodenstickstoff in Eiweißstickstofif festlegen, den die Pflanze nicht auf- zunehmen vermag. Die Lcguminose wird dadurch befähigt, aus ihren Wurzelbakterien, welche nun- mehr jenes assimilierbare Plasma bilden, Vorteil zu ziehen. Zugleich werden aber die im Boden isoliert lebenden stickstoffsammelnden Bakterien I02 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 7 zu intensiver Tätigkeit angeregt, weil der iiinen schädliche, lösliche Bodenstickstoff ja festgelegt ist, und bereichern nun die Erdkrume mit N, welcher von der nachfolgenden Frucht verwertet wird. Nur so ist vielleicht die Erscheinung zu erklären, daß zwischen einem Leguminosenbestande (z. B. Klee) zufällig wachsende Nichtleguminosen ein auf- fällig kräftiges, auf reichliche Stickstoffernährung zurückzuführendes Wachstum zeigen. Diese For- schungen Hiltner's haben noch ein bedeutungs- volles praktisches Resultat gezeitigt, indem es ihm gelang, eine brauchbare Reinkultur der Knöllchen- bakterien, „Nitragin" genannt, herzustellen. Auf Bodenarten, welche bisher nur sehr spärlich Le- guminosen zur Entwicklung gebracht hatten, da sie keine Knöllchenbakterien enthielten, konnten riesige Erträge geerntet werden, wenn nur der Same vorher mit Nitragin geimpft war. Die Rein- kultur wird neuerdings auf das sorgfältigste aus den virulentesten Bakterien, welche sich in den Knöllchen am Wurzelhalse der Pflanze befinden, hergestellt und enthält für jede Pflanze das spezi- fische Bakterium. Die Kulturen werden vor dem Gebrauch mit Magermilch verdünnt, um die Knöll- chenerreger widerstandsfähiger gegen die Aus- scheidungen der Samenschale zu machen, welche tödlich auf das Leben der Bakterien wirken. Er- staunlich ist meist der Erfolg der Samenimpfung gewesen, wurden doch laut Hiltner's Angaben — der Ertrag der ungeimpften Parzellen ^= loo gesetzt — bei Lupinen 170 — 3100, bei blauen Lupinen 167 — 688, bei Seradella 147 — 8000 ge- erntet. Abgesehen von der eben erwähnten Samen- impfung hat die moderne Bodenbakteriologie prak- tische Erfolge leider noch nicht gezeitigt, trotz enormer Anstrengungen, welche in dieser Rich- tung unternommen sind. Remy hat noch in letzter Zeit versucht, die Fruchtbarkeit und auch die Ab- normität gewisser Bodenarten auf einen wirksamen Gehalt an nützlichen resp. schädlichen Bakterien zurückzuführen. Er wollte auch gewissermaßen zahlenmäßig das Nitrifikations- und Denitrifikations- vermögen sowie das F'äulnisvermögen gewisser Böden feststellen und übertrug bestimmte Mengen der zu untersuchenden Erde in bestimmte Lö- sungen, welche das Wachstum gewisser Bakterien- gruppen besonders begünstigten. Je schneller und energischer die Organismen sich in den ihnen zu- sagenden Lösungen wirksam zeigten, um so größer mußte auch — so schloß Remy — ihre Wirk- samkeit im Boden sein. Auch P. Ehrenberg hat durch neuere Untersuchungen ermitteln wollen, ob eine Impfung mit nützlichen Mikroorganismen die Fruchtbarkeit gewisser Böden nicht beträcht- lich zu steigern vermöchte, war jedoch ebenfalls erfolglos. Derartige Versuche scheitern eben an der ungemeinen Kompliziertheit bodenbakterio- logischer Vorgänge. Trotz dieser Mißerfolge kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Bedeutung der Bodenorganismen für das Pflanzenwachstum sehr groß ist. Dafür spricht einmal die Zahl, in welcher sie im Boden gefunden sind. Waren doch nach Untersuchungen von Kramer in i g Boden in einer Tiefe von 20 cm 650000 Keime, 50 cm 500000, 70 cm 276000, 100 cm 36000, I 20 cm 5600, 140 cm 700 Keime enthalten. Ja man hat zu gewissen Zeiten in einigen Bodenarten gegen 9 Millionen Bakterien in i g Erde nachgewiesen. Diese große Zahl verschiedener Mikroben halten einander im Gleichgewicht, indem die Lebensbedingungen sich oft ergänzen und ausschließen, was eine einseitige Entwicklung einzelner Arten verhindert. Trotzdem müssen wir annehmen, daß unter bestimmten Ver- hältnissen bisweilen die Entwicklung einer für eine bestimmte Pflanze schädlichen Bakterienart einseitig begünstigt werden kann, worauf die Rebenmüdig- keit, sowie überhaupt die Bodenmüdigkeitserschei- nungen, zurückgeführt werden. Durch geeignete Behandlung mit Schwefelkohlenstoff, welcher in- folge seiner fettlösenden Eigenschaft die Entwick- lung der Kleinlebewesen hemmt, gelang es, diese Erscheinungen zum Verschwinden zu bringen. Ja nach einer solchen Behandlung zeigte der Boden sogar eine erhöhte Fruchtbarkeit, indem der Gehalt von I g Boden an Bakterien kurz nach der \'er- dunstung von 9 auf 50 Millionen auf Fleischpepton- gelatine wachsender Bakterien emporschnellte.') Auf so behandeltem Boden wurden nach Versuchen von Moritz gegen (unbehandelt = 100 gesetzt) 190 Teile Kartoffelknollen geerntet. Beachtenswert ist auch ein Topfversuch von Hiltner, der sieben Jahre hindurch mit Erbsen gemacht ist, um die Müdigkeitserscheinungen zu studieren, weil er inter- essante Wechselwirkungen zwischen Bakterien und Pflanzen aufgedeckt hat. Es wurden sieben Erbsen- generationen in ein und derselben Erde gezogen. Im dritten Jahre waren bereits jene charakteristi- schen Erscheinungen der Bodenmüdigkeit zu kon- statieren, indem die Pflanzen sich kümmerlich ent- wickelten. An der schwammigen Wurzeloberfläche dieser Pflanzen fand man auf i qcm gegen 3'/., Millionen Bakterien der verschiedensten Art. Die vierte Generation zeigte auf demselben Boden eine üppige Entwicklung und es ließ sich nachweisen, daß sich nunmehr auf den Wurzeln , angelockt durch die Ausscheidungen, eine Menge nützlicher Bakterien angesiedelt hatte, mit welchen zugleich die Bodenmiidigkeit verschwunden war. Auf solchem Boden wirkte eine Behandlung mit Schwefelkohlen- stoff sehr ungünstig auf die Vegetation der fol- genden Erbsengeneration, weil das Wachstum dieser angepaßten nützlichen Bakterien unterdrückt wurde, während z. B. Buchweizen eine durchaus günstige Entwicklung unter gleichen Verhältnissen zeigte. Diese feststehenden Tatsachen der Bodenbak- teriologie können keinen Anspruch auf Vollständig- keit machen, geben auch keineswegs ein klares Gesamtbild dieser komplizierten Vorgänge. Jedoch entdecken wir überall Ansätze, welche zu der ') Vgl. auch Naturwiss. Wochenschrift N. F. V. Nr. 47 S. 747 ff- N. F. VI. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 103 Hoffnung berechtigen, daß es dem Fleiß und liehen Kultur zu bringen, wie das bekanntlich Scharfsinn der Forscher vielleicht einmal gelingen mit anderen Bakterien auf anderen Gebieten, z. B. wird, auch die Mikroorganismen des Bodens nutz- dem der Gärungsindustrie, schon längst erfolgreich bringender als bisher in den Dienst der mensch- gelungen ist. Kleinere Mitteilungen. Über berühmte Alchimisten gibt Dr. jur. et phil. Stephan Kekule von Stradonitz in den Schriften der Senckenbergischen Ges. zu Frank- furt (Main) von 1906 die folgende Auskunft. Die Geschichte der Alchimie und der Alchi- misten ist bisher in der Literatur wesentlich von Berufschemikern behandelt worden. Weltbekannt sind namentlich die umfangreichen Arbeiten von Kopp in Heidelberg. Demgegenüber sucht der Vortragende den Gegenstand von der kultur- geschichtlichen und der kunstgewerblichen Seite aus zu beleuchten. Von diesen Gesichtspunkten ausgehend, zergliedert Redner sein Thema in fol- gende Unterabschnitte. Er spricht zunächst über fürstliche Alchimisten, dann über gelehrte Alchimisten, dann über Alchimisten als Er- finder, endlich über alchimistische Schwind- ler und Abenteurer. Die Alchimie oder Goldmacherkunst ist eine der merkwürdigsten Erscheinungen der Mensch- heit. Man ist gar leicht geneigt, über die Alchi- misten und ihr Treiben heutzutage den Stab zu brechen. Und doch scheint diese Verurteilung ungerecht zu sein. Nicht um Wahn oder Schwindel hat es sich bei der Alchimie an sich gehandelt; mangelnde naturwissenschaftliche Erkenntnis ist vielmehr ihre Grundlage. Man glaubte eben damals, daß es möglich sei, die edlen Metalle (Gold, Silber) künstlich herzustellen; daß es gelingen müßte, durch allerhand geschickte Manipulationen unedle Metalle in edle zu verwandeln. Dafür, daß es sich hierbei um eine unmögliche Umwandlung han- deln müsse, fehlte der damaligen Naturerkenntnis jede Vorstellung. Man stellte sich vor, es sei möglich, einen be- stimmten Körper herzustellen, welcher vor allem die Eigenschaft hätte, unedle Metalle in Gold zu verwandeln, das „große Geheimnis", das „große Magisterium", „Stein der Weisen" genannt, fast stets gedacht als ein rotes, sehr mühevoll herzustellen- des Pulver. Sodann sollte es auch das ,, kleine Magisterium" geben, welches wenigstens die Über- führung unedler Metalle in Silber ermöglichte. Neben der Kraft, Gold zu erzeugen, sollte dem Stein der Weisen noch die Kraft, alle Krankheiten zu heilen und das Leben zu verlängern, womöglich unsterblich zu machen, innewohnen. Unter den gekrönten Alchimisten ist Rudolf II. (1576 bis 161 2) unzweifelhaft der merk- würdigste; er machte seine Residenz Prag zu einer Hochburg der .Alchimisten, die aus allen Ländern Europas dorthin zusammenströmten und den kunst- sinnigen, aber allmählich immer tiefer in die Netze von Schwindlern geratenden Kaiser ungeheure Summen kosteten. An erster Stelle unter den gelehrte n Alchi- misten ist zu nennen Philippus Aureolus Theo- phrastus Paracelsus Bombastus von Hohenheim, geboren im Jahre 1493 bei E^insiedeln in der Schweiz. Er soll bereits in seinem 28. Lebensjahre den Stein der Weisen gewonnen haben und hat sich dadurch ein bleibendes Verdienst um die Menschheit er- worben, daß er wesentlich zur Entwicklung der Heilkunde beitrug und der Entdecker der Kohlen- säure wurde. Wichtiger vielleicht noch als Paracelsus ist der Berliner Apothekerlehrling Bö ttger, geboren am 4. Februar 1682 zu Schleiz, der beinahe die Ur- sache eines Krieges zwischen Preußen und Sachsen geworden wäre und nachher das Porzellan er- fand. Er ist der Begründer der weltberühmten Meißener Porzellan-Manufaktur. Ein weiterer hervorragender Alchimist war so- dann Brand, ein Hamburger Kaufmann. Er suchte den Stein der Weisen im Menschen, und indem er diesen im Stein vermutete, fand er den Phos- phor, dessen enorme Wichtigkeit sich schon aus der Tatsache ergibt, daß die von der deutschen Landwirtschaft für Phosphorverbindungen alljähr- lich aufgewendete Summe sich auf etwa 80000000 Mark stellt. Eben dieselbe Erfindung machte auch der Alchi- mist K u n k e 1 , geboren 1 630 bei Rendsburg. Dieser ist bei seinen auf der Pfaueninsel bei Potsdam ge- machten Experimenten der Erfinder des weit be- rühmten, goldhaltigen Rubinglases geworden. Ein alchimistisches Produkt ist auch der im Jahre 1663 von Cassius entdeckte Goldpurpur. Wenn man Goldchlorid in Wasser löst und ebenso Zinnsesquichlorid und beide Lösungen aufeinander einwirken läßt, so erhält man ein Präparat von schön roter bis dunkel-violetter P'arbe, den Gold- purpur. In der allerneuesten Zeit ist es Zsig- mondy gelungen, in dem bekannten Schott- schen glastechnischen Laboratorium zu Jena den Nachweis zu führen, daß man Gold, fein verteilt, auch in reinem Wasser suspendieren kann. Es unterliegt keinem Zweifel , daß das Kunkel'sche Rubinglas seine schöne Farbe gleich- falls einer Suspendierung feiner Goldteilchen ver- dankt. Kunkel starb als königlich schwedischer Bergrat, unter dem Namen Kunkel vonLöwen- stjern geadelt, im Jahre 1702 oder 1703. Von besonderem Interesse ist noch Leonhard Thurneyßer, der Leibarzt des Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg. Er schlug sein Labora- torium im heutigen Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin auf und erwarb sich als Arzt 104 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 7 Buchdrucker, Wahrsager und Amulett Fabrikant ein großes Vermögen, starb jedoch nach mehrfachen Irrfahrten im Jahre 1595 in Dürftigkeit. Wahr- scheinlich ist Köln a. Rh. die Stätte seines Todes gewesen. Steht Thurneyßer im Gegensatz zu Kunkel schon auf der Grenze zwischen einem Gelehrten und einem Abenteurer, so ist der neapolitanische Bauernsohn Don Domenicus Caetano Conte de Ruggiero ausschließlich Abenteurer. Dieser kam im Jahre 1705 mit großem Gefolge nach Berlin. Hier hat er — einerlei, wie er es möglich machte — in Gegenwart des Königs, des Kron- prinzen und zahlreicher hoher Würdenträger unedle Metalle in Gold verwandelt. Schließlich aber endete er am 23. August 1709 zu Küstrin am Galgen. Hier ist auch noch eines anderen Alchimisten des Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg zu ge- denken, nämlich des Alexander Blinckling aus Straßburg, der, im Jahre 1585 mit Vincenz Reuß nach dem ungarischen Bergstädtchen Schem- nitz behufs Einkaufs seltener Mineralien gesandt, hier wegen Ermordung seines Reisebegleiters Reuß am 7. März 15S6 hingerichtet worden ist. Diesen eigenartigen Fall hat Eduard Richter, Direktor des archäologischen Museums zu Schemnitz, ent- deckt und dem Vortragenden mitgeteilt. Unter die größten alchimistischen Schwindler zählen schließlich noch der Graf St. Germain, Cag- liostro und Casanova, die in raffiniertester Ausnutzung der Leichtgläubigkeit und Vertrauens- seligkeit ihrer Zeitgenossen und Zeitgenossinnen das Menschenmöglichste geleistet haben. Als letzte Repräsentanten der deutschen Alchi- misten sind zu nennen der Schriftsteller Karl Arnold Kortum (geboren 1 745 , gestorben 1 824), der bekannte Verfasser der ,,Jobsiade", und die so- genannte „hermetische Gesellschaft". Letztere trieb ihr Unwesen in dem „Kaiserlich privilegierten Reichsanzeiger", und zwar bestand ihre Tätigkeit in einer anonym geführten Korrespondenz mit den heimlichen .'\nhangern der Alchimie, denen Kor- tum teils gute, teils schlechte Ratschläge gab, sie auf Deutsch ein wenig an der Nase herumführend. Wahrscheinlich ist Kortum innerhalb gewisser Grenzen ein ehrlicher Anhänger der Alchimie ge- wesen. Mit einem interessanten allgemeinen Rückblick und Ausblick schließt Dr. Kekule von Strado- nitz seinen hochinteressanten Vortrag, dem zahl- reiche Lichtbilder einen besonderen Reiz verleihen. Die Vorlagen zu diesen Lichtbildern hat der Vor- tragende, wie noch besonders hervorgehoben wer- den mag, eigens zu diesem Vortrage aus den ver- schiedensten Museen und Sammlungen, teilweise aus den entlegensten Winkeln, in langwährender Sammelarbeit zusammengebracht. Einige neuere, die Entwicklungsgeschichte des Auges behandelnde Arbeiten. — In den klinischen Monatsblättern für Augenheilkunde (1906 Juli — August) gibt Keibel eine Übersicht über „die Entwicklungsgeschichte des Wirbeltierauges", der er einen auf der Festsitzung der Naturforschend. Gesellschaft zu Freiburg i. Br. im März 1906 ge- haltenen Vortrag zugrunde gelegt hat. Bei den Wirbeltieren hat man, abgesehen vom Amphioxus, wohl immer mit Idierorganen , das sind Bildaugen, zu tun (im Gegensatz zu den Photier- organen, die nur das Licht als solches wahrnehmen). Dieselben sind in der ganzen Wirbeltierreihe hin- sichtlich ihres Baues durchaus prinzipiell gleich- artig, während bei den Wirbellosen die verschie- densten Augenformen selbst bei nahverwandten Arten auftreten können. Der entwicklungsgeschichtliche Ursprung des Auges ist bei Wirbellosen und Wirbeltieren grund- sätzlich verschieden. Bei den ersteren entsteht das Sehorgan aus der primitiven Epidermis (einem Abkömmling des Ektoblast), bei den letzteren ent- steht die Netzhaut, als der wichtigste Teil des Auges, aus dem Hirn. Der erste Beginn der Augen- anlage fällt in eine Zeit, da es noch nicht zu einem Verschluß der Gehirnanlage gekommen ist. Somit erscheinen die ,, primären Augenbläschen" erst nach Verschluß der Gehirnanlage als Auswüchse der- selben. Die primären Augenbläschen berühren beim Säugetier bald nach ihrem Auftreten die Epidermis und an dieser Stelle entsteht von der Epidermis aus die Linse. Zugleich stülpt sich infolge von Wachstumsdifferenzen die Wand des primären Augenbläschens außen und unten ein und führt zur Bildung des sog. „Augenbechers". Durch weitere Differenzierung entstehen nun die verschiedenen Teile des Auges, so die Retina aus dem Innern, das Pigmentepithel aus dem äußeren Blatte des Augenbechers, der Sehnerv aus dem Becherstiel. Zwischen Linse und Retina bildet sich (nach der geläufigsten Ansicht) aus der Retina- anlage der Glaskörper. Aus dem Mesoderm ent- stehen Cornea, Sklera und Chorioidea, aus der letzteren das Corpus ciliare und der mesodermale Teil der Iris, während die Irismuskulatur das Ekto- derm zum L^rsprunge hat. — Als wichtigste Tat- sachen der Entwicklungsgeschichte des Auges hebt Keibel die Entstehung der primären Augenblase aus der Gehirnanlage und die zeitlich und räum- lich getrennte Entstehung der Linse und der Retina ganz besonders hervor. Daß die Bildung der Linse durch die Annäherung der Augenblase an die Epidermis ausgelöst wird und nicht etwa der Augenbecher durch die Linse entsteht, geht aus den Experimenten von Spemann und Lewis aufs klarste hervor. Diesen Forschern gelang es nämlich , durch frühes Entfernen der primären .Augenbläschen die Bildung der Linse zu verhindern. Durch weitere Experimente wies dann Lewis nach, daß die Fähigkeit, unter dem Einfluß des primären Augenbläschens eine Linse zu bilden, der Epidermis der ganzen Körperoberfläche zu- komme. — Ebenso entsteht eine Cornea auch in der Haut anderer Körperstellen, wenn sie über der Anlage des Augenbechers zur Anheilung gebracht N. F. VI. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Woclienschrift. lOS ist. Die Entfernung des primären Augenbläschens oder des Augenbechers mit der Linsenanlage ver- hindert die Entstehung einer Cornea. Diese Ex- perimente ergeben den bedeutsamen Schluß, daß die Keimanlagen von so hoch entwickelten Teilen des Auges, wie es die Linse und die Cornea sind, nicht auf die wenigen Zellen, aus denen sie ge- wöhnlich entstehen, ausgeteilt sind. In der Ent- wicklung der Irismuskulatur (Sphincter und Dila- tator pupillae) aus der Wand des Augenbechers sieht Keibel eine Tatsache von der allergrößten prinzipiellen Bedeutung, in dem Sinne als hier- durch die Lehre von der Spezifität der Keimblätter erschüttert wird. — Indem Keibel sich nun von der Ontogenie des Auges zu seiner Phylogenie wendet, betont er, daß die Ableitung des Wirbel- tierauges aus dem einfacheren Auge der Wirbel- losen keine Schlüsse auf die Phylogenie der Wirbel- tiere zu machen erlaube. Wohl finden sich bei den Wirbellosen Augenformen, die eine gewisse Übereinstimmung im Bau aufweisen, z. B. bei den Kephalopoden (Sepia) und den Mollusken: Pecten, Spondj-lus und Onchidium — , indessen handelt es sich in diesen Fällen nicht um Homologien son- dern um Konvergenzbildungen. Die Hypothesen, welche das Wirbeltierauge von dem einfacheren Auge der Wirbellosen ableiten, kann man in drei Kategorien einteilen, je nachdem in der Anlage der Retina das Wesentliche gesehen wird, oder in der Anlage der Linse, oder aber der Versuch ge- macht wird, das Wirbeltierauge aus vielen Einzel- augen zu erklären. Die in die erste Kategorie gehörenden Hypothesen von Ray-Lankester (Ableitung aus dem Ascidienauge), von Kennel (Ableitung aus dem Annelidenauge) und Dohrn haben sich keine allgemeine Anerkennung erwerben können. Die Hypothesen von Beraneck, Kupffer und Burckhardt — zur zweiten Kategorie ge- hörig — sind auf der unhaltbaren Annahme auf- gebaut, daß die Linse das primäre Sinnesorgan sei und aus dem Grunde nicht annehmbar. Auch die Hypothese Boveri's, die die Hesse 'sehen Photierorgane des Amphioxus verwertet, ist eben- falls nicht ohne Widerspruch geblieben. Nach Keibel genügen unsere Kenntnisse noch nicht, um eine phylogenetische Ableitung des Wirbel- tierauges geben zu können, so viel scheint aber sicher, daß i. das Wirbeltierauge von einem wirbel- losen Vorfahren ererbt ist — dafür spricht die große Einheitlichkeit im Bau und in der Entwick- lung des .Auges — und daß 2. das Wirbeltierauge eine sehr alte Bildung ist; es muß aus einer Zeit stammen, da das Zentralnervensystem noch an der Oberfläche lag. Die Frage, ob die fötale Hornhaut vaskulari- siert sei oder nicht, hat Camill Hirsch zum Ausgangspunkt einer literarischen und embryo- logischen Untersuchung genommen (Klin. Monatsbl. f. Augenheilkunde 1906, II, p. 13). Während die Gefäß- losigkeit der Hornhaut Erwachsener (besonders durch die .Arbeiten Leber's) bereits sicher nachgewiesen wurde, bestanden noch Zweifel hinsichtlich der Verhältnisse an der fötalen. Allerdings fanden sich in der Literatur fast übereinstimmende Angaben darüber, daß die fötale Hornhaut Gefäße entlnalte, doch konnte Hirsch nachweisen, daß diese Äuße- rungen sämtlich auf eine kurze und ziemlich all- gemein gehaltene Angabe H e n 1 e ' s zurückzuführen seien, ohne daß eine Nachprüfung stattgefunden hätte. Nur Schöbl hatte im Jahre 1866 in einer kurzen, vorläufigen Publikation auf Grund plan- mäßiger Injektionsversuche die Existenz eines Ge- fäßnetzes an der fötalen Cornea strikt in Abrede gestellt; seine Arbeit ist aber kaum beachtet worden. Hirsch stellte seine Untersuchungen an den Embryonen von Schwein, Kaninchen, Schaf und Menschen an. Er injizierte eine wässerige Berliner- blaulösung von den Nabelschnurgefäßen, dem Herzen oder der Karotis aus und untersuchte teils frisch in Kochsalzlösung, teils nach vorhergegangener Fixierung in Kaliumbichromat. Dabei fand er, daß die Hornhaut nur ein Randschlingennetz aufwies, das außen von einem aus den zuführenden Arterien gebildeten Ringe begrenzt wird, während sich innen (d. h. nach der Corneamitte zu) in einer Entfernung von I mm vom Limbus die Gefäßmaschen zu einem Ringgefäß zusammenschließen. Zentral von diesem Ringe waren nie Gefäße vorhanden. In der Physiologie wie in der Pathologie des Auges spielt der Kammerwinkel eine hervorragende Rolle; unter normalen Verhältnissen findet in ihm der Austritt des von den Ciliarfortsätzen gelieferten Kammerwassers statt; sein Verschluß führt anderer- seits zu den Veränderungen, die wir unter dem Namen Glaukom zusammenfassen. Im Hinblick auf das kongenitale Glaukom sind die Untersuch- ungen von besonderem Interesse, welche Seefelder und Wolfrum an einem sehr reichaltigen Mate- rial über die Entwicklung der vorderen Kammer und des Kammerwinkels beim Menschen ange- stellt haben (v. Graefe's Arch. f. Ophthalmologie, LXIII, 3, 1906, p. 430). Sie legten mit Recht ein großes Gewicht auf die Vorbehandlung der Föten, da schon geringe Schrumpfungen Hohlräume vor- täuschen können. Fixiert wurde in einer modifi- zierten 30 — 40-gradigen Zenker'schen Lösung; die Alkoholhärtung begann mit 5 "'u Alkohol und stieg von 5 zu 5 "j, an. Die Resultate von Seefelder und Wolfrum sind kurz folgende: gegen Ende des 2. Monats ist eine deutliche Anlage des Desce- met'schen Endothels vorhanden; in die 2. Hälfte des 4. Monats fallt das erste Auftreten des Schlemm- schen Sinus und in das Ende des 5. die erste An- lage der Vorderkammer. Am Anfang des 6. Monats ist die Vorderkammer in der Peripherie bereits gut entwickelt, während im Zentrum die Linse noch der Cornea anliegt. Der Kammerwinkel ist zu dieser Zeit zum größten Teil vom Ligam. pecti- natum angefüllt. Zur vollen Entwicklung gelangen die \'orderkammer in der Mitte des 6. Monats, io6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 7 und die Gebilde des Kammerwinkels im 7. Monat. Die Angaben einiger Autoren, daß die Vorder- kammer bereits im 3. IVIonat angelegt oder gar gut entwickelt sei (Angelucci, Rochon-Du- vignaud, Gabrielides), sind nach Seefelder und Wolfrum auf Schrumpfung infolge zu for- cierter Härtung zurückzuführen. Seit den Untersuchungen Born's ist die Ent- wicklung des Tränennasenkanals im allgemeinen klargelegt ; er entsteht in der Weise, daß sich am Boden der Tränenfurche eine Epithelleiste bildet und sich ins Mesoderm hineinsenkt; diese Leiste schnürt sich dann von der Tränenfurche ab, wuchert gegen die Nasenhöhle zu und kanalisiert sich schließlich. Die Entwicklung des oberen Endes des Tränenkanals, im besonderen der Tränenröhrchen, war bisher noch nicht mit ge- nügender Sicherheit erforscht. Zwei Arbeiten der letzten Zeit suchen diesem Mangel abzuhelfen. Fleischer (Die Entwicklung der Tränenröhr- chen bei den Säugetieren v. Graefe's Arch. f. Ophth. LXII, 1906, p. 379) untersuchte die angedeuteten Verhältnisse genau beim Schwein, Meerschwein- chen und Menschen. _ Danach entstehen beide Tränenröhrchm durch selbständige Sprossung aus dem Augenende der Tränenleiste, während diese sich vollständig vom Epithel abschnürt (in Übereinstimmung mit der Vermutung Köllicker's und der ähnlichen An- sicht Ewetzki's). Beim Kaninchen finden sich im einzelnen abweichende Verhältnisse, indem hier das obere Tränenröhrchen zwar angelegt wird, aber dann in der Entwicklung zurückbleibt und zu einem blinden Anhängsel des Kanals wird. Zu gleichen Resultaten wie Fleischer gelangtauch Matys (Die Entwicklung der Tränenableitungs- wege, Zeitschr. f. Aug., 1906, Oktober), indem auch er beim Schwein und Menschen die vollständige Abschnürung der Tränenleiste und das selbständige Hervorwachsen beiderTränenkanälchen beobachtete. Seine Untersuchungen an mehreren Vogelarten (unter anderem an dem Raben, der Drossel und Möwe) stehen dagegen mit den bisher gültigen Annahmen im Widerspruch. Born hatte nämlich (am Hühnchen) nachgewiesen , daß das untere Tränenkanälchen zugleich mit der Tränenleiste an- gelegt wird, und nur das obere durch Sprossung entsteht. Diesen Befund Born's, der übrigens auch von Fleischer (ebenfalls am Hühnchen) bestätigt wurde, greift nun Matys an und nimmt für die Vögel denselben Entwicklungstypus in An- spruch wie für die Säuger. Weitere Untersuch- ungen werden hier zu zeigen haben, auf welcher Seite der Irrtum liegt. Dr. G. Ischreyt, Libau (Rußland). werden nach Leitgeb stets als zweiteilige Organe angelegt, und meistens sind auch noch die ent- wickelten Blätter mehr weniger deutlich zweilappig. In vielen Fällen sind die beiden Lappen ungleich und dann ist es gewöhnlich der ventrale Lappen, welcher kleiner und kielfaltig mit dem Oberlappen verbunden ist (z. B. bei Radula). Der Unterlappen ist durch mannigfache Anpassung bei den ein- zelnen Formen der Radulaceae, Madotliecaceae und Jiibiilaceae zu einem Organ von nahezu unbe- grenzter Vielgestaltigkeit geworden. Durch Ein- rollung und Aussackung wird er zu den röhrigen, sackartigen oder zierlich helmförmigen „Wasser- säcken" li's (nach Goebel), wie sie laesonders bei den Lejeuneaceen und Frullanien allgemein ver- breitet sind. Über tierfangende Lebermoose berichtet V. Schiffner in den Schriften der k. k. zoolog.- botan. Ges. in Wien wie folgt : Die Blätter der akrogynen Jungermaniaceen et '-" 'U'S' Frullania - Sproß von unten. r = Rückcnblätter^ mit baucli- ständigem Wassersack ws. zean über Schottland und die skandinavische Halbinsel ins Innere Rußlands. In Südwesteuropa befand sich dabei fast immer ein barometrisches Maximum, dessen Höhe mehrmals 7S0 mm überschritt. Seit dem 16. rückte es nordostwärts vor und setzte sich bald mit einem noch höheren, in Nordrußland befindlichen Maximum in Verbindung. Dort herrschte bei ruhigem, klarem Wetter eine furchtbare Kälte, die am 20. Januar in Ust - Tsylma — 36, am 21. in Kam am weißen Meere — 39 " C erreichte. Während dann das Hochdruckgebiet durch eine vom Nord- polarmeere herannahende Depression nach Südwesten ver- schoben wurde, stieg am 23. das Barometer in Riga bis auf 800 mm und auch in den Provinzen Ost- und Westpreußen, sowie in Polen blieb es hinter diesem noch nie zuvor in Europa mit Sicherheit festgestellten hohen Stande nur um I mm zurück. Sehr rasch entfernte sich jedoch das Maximalgebiet weiter nach .Süden, nahm dabei an Höhe allmählich ab, und auf die Witterungsverhältnisse Nord- und Mitteleuropas gewannen die nördliche Depression und eine ihr vom atlantischen Ozean nachfolgende wieder mehr und mehr Einfluß. Dr. E. Leß. Bücherbesprechungen. Dr. O. Zacharias, Über die eventuelle Niitzlich- keit der Begründung eines staatlichen Instituts für Hydrobiologie und Plank- ton k u n d e. S.-A. aus dem Archiv für Hydro- biologie und Planktonkunde, Bd. II. 73 Seiten mit I Karte. Stuttgart, E. Schweizerbart. 1907. Verfasser beabsichtigt mit dieser Abhandlung, zu zeigen , daß für Lehramtskandidaten eine Ergänzung ihrer Universitätsstudien durch praktisches Arbeiten an einem eventuell zu gründenden, staatlichen Institut für Hydrobiologie nützlich und wünschenswert wäre, da nur derjenige, der durch eigenes Beobachten der lebendigen Natur mit geeigneten Mitteln einen tieferen Einblick in die verschlungenen Wechselbeziehungen der Organismen gewonnen hat, mit zündender Be- geisterung die Jugend auf diesem Gebiete anzuregen imstande sein dürfte. Die durch eine schöne Spezial- karte des ostholsteinischen Seengebietes vor Augen geführte Lage von Plön läßt diese Stadt dem Verf besonders geeignet für ein derartiges Institut erschei- nen, hat doch auch die vom Verf. vor 16 Jahren hier begründete biologische Station ein reiches, noch unerschöpftes Forschungsfeld vorgefunden. Eine auf größere Frecjuenz berechnete und etwas reichlicher ausgestattete Lehranstalt dürfte daher in der Tat hier recht am Platze sein , besonders in dem Falle , daß dem biologischen Unterrichte den Wünschen aller Beteiligten gemäß ein seiner wahren Bedeutung ent- sprechender Platz im Lehrplan erobert würde; denn selbstverständlich müßte ein verstärkter Unterrichts- betrieb in der Biologie auch angemessen vorgebildete, durch praktische Tätigkeit im heimatlichen Natur- studium erfahrene Lehrer voraussetzen. F. Kbr. Prof. M. Möller, Die Witterung des Jahres 1907. 38 S. Leipzig, S. Hirzel. — Preis i Mk. Angeregt durch R. Falb hat sich der Verfasser die Aufgabe gestellt, die Abhängigkeit unseres Wetters von astronomischen und kalorisch-physikalischen Be- ziehungen zu erforschen. Diese Studien, für die sogar wunderbarer Weise eine finanzielle LInterstützung seitens des preußischen Kultusministeriums erwirkt werden konnte, scheinen schon recht weit fortge- schritten zu sein, denn Verf wagt es, in der vor- liegenden Schrift eine „Vorausbestimmung" des Wetters für das ganze laufende Jahr zu veröftent- lichen. Die Grundlagen für diese Resultate behält er allerdings für sich , denn die Schrift enthält außer den 9 Seiten umfassenden Wetterprognosen nur noch Erzählungen über den Entwicklungsgang des neuen Wetterpropheten und über seine weit ausschauenden Pläne zur „Einrichtung einer Geschäftsstelle für kos- mische Meteorologie". — Möller's Prognose für den Januar hat in bezug auf den Barometerstand manche Treffer aufzuweisen gehabt. Dagegen war weder die abnorme Wärme der ersten Monatshälfte , noch die plötzliche, strenge Kälte am 22. und 23. vorausgesagt. Die Temperaturprognose für das letzte Monatsdrittel ging völlig fehl; auch die enormen Schneefälle am Ende des Monats waren nicht angekündigt. Kbr. I 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 7 P. Dr. Fr. Lindner, (Jrn i t hologisches Vade- mekum, Taschenkalender und Notizbuch für ornithologische Exkursionen , 2. Ausg. Neudamm 1906, Verlag von J. Neumann. — Preis 2 Mk. Dieser Taschenkalender bietet außer 200 Seiten Raum für Notizen viele übersichtliche Zusammen- stellungen, welche dem Ornithologen und Vogelfreunde besonders erwünscht sein dürften. So finden sich tabellarische Übersichten der Jagd-, Schutz-, Brut- und Zugzeiten aller deutschen Vogelarten ; ferner eine ziemlich vollständige Übersicht der Literatur, die für unsere einheimischen Vögel in Betracht kommt, ge- ordnet nach dem Stoff einerseits, über Nahrung, Flug. Zug, Gesang usw., und andererseits nach den Landes- teilen geordnet, d. h. die Literatur über die Faunen der verschiedenen Staaten und Provinzen des deut- schen Reiches zusammengestellt. Man darf das kleine Buch Ornithologen und Vogelfreunden , welche Be- obachtungen über deutsche Vögel machen wollen, angelegentlichst empfehlen. Dahl. Literatur. Reinhardt, Dr. Ludwig: Vom Nebelfleck zum Menschen. Eine gemeinverständl. Kntwiclilungsgcschichte des Natur- ganzen nach den neuesten Forschungsergeönissen. Die Geschichte der Erde m. 194 Al)bildgn. im Text, 17 Voll- bildern u. 3 geolog. Protiltaleln, nebst e. farbig. Titelbild „Canjon des Colorado" v. A. Marcks. (VII, 575 u. VII .S.) gr. 8". München '07 , E. Reinhardt. — Geb. in Leinw. 8,50 Mk. Tschirch, A.: Die Harze u. die Harzbehälter m. Einschluß der Mischsäfte. Historisch-krit. u. experimentelle , in Ge- meinschaft m. zahlreichen Mitarbeitern ausgeführte Unter- suchgn. 2. stark erweit. Aufl. 2 Bde. (XXII, IV, 1268 S. m. 104 Abbildgn.) Lex. 8°. Leipzig '06, Gebr. Borntraeger. — 32 Mk. Wiedersheim, Prof. Dir. Dr. Rob. ; Einführung in die ver- gleichende Anatomie der Wirbeltiere. Für Studierende be- arb. Mit 1 lith. Taf. u. 334 Textabbildgn. in 607 Einzel- darstellgn. (XXII, 471 S.) Lex. 8°. Jena '07, G.Fischer. — II Mk.; geb. 12, ;o Mk. Zeuner, Geh. Rat. Prof. a.D. Dr. Gust.: Technische Thermo- dynamik. 3. Aufl. Zugleich 5. vollständig neu bearb. Aufl. der ,, Grundzüge der mechan. Wärmetheorie", gr. 8**. Leip- zig '06 , A. Felix. 2. Bd. Die Lehre von den Dämpfen. (VIII, 462 u. XXIX S. m. 52 Abbildgn.) — 14,40 Mk.; geb. 16 Mk. Briefkasten. Herrn P. U. A. in Scheyern. — Die beigefügte Probe stammt von einer Rhipsalis-Art, die sich aber aus dem kleinen Bruchstück nicht bestimmen läßt. Die Gattung ist in vielen Arten in Südamerika und Südafrika verbreitet; viele von ihnen werden in den Kalthäusern kultiviert, blühen aber nicht immer. Für die Zimmerkultur geben sie dankbare I >bjekte , die aber eine vorsichtige Pflege erheischen. G. Lindau. Herrn G. F. in (iöda. — Die Untersuchung der B asidio myccten erfordert nicht bloß eine große Geschick- lichkeit, sondern vor allem geeignetes Material. Zur Unter- suchung für systematische Zwecke nimmt man am besten frisches Material, weil dann in den meisten Fällen die Sporen noch an den Basidien ansitzen. Bei Arten, deren Hymenium nur einmal sich entfaltet (Amanita, Lepiota, Coprinus, Boletus etc.), wird man bei voller Entwicklung des Hutes auch reife ansitzende Sporen antreffen. Dagegen ist dies nicht bei sol- chen .'\rten der Fall, deren Hymenium sich je nach der Feuch- tigkeit mehrmals entfaltet und die Sporen also in mehreren ."MDschnitten zur Reife bringt (viele Thelephoreen, Clavarieen, Polyporeen etc.). Die Sporen dieser Formen, sowie ihre Ba- sidien, sieht man am besten nach der jedesmaligen Entfaltung. Im trockenen Zustande ist man bei allen .\rten auf den Zufall angewiesen, daß gelegentlich jüngere Basidien mit ansitzenden noch unreifen Sporen vorhanden sind ; die reifen Sporen fallen ausnahmslos ab und liegen auf dem Hymenium. Konservierte Arten (Formol. Sublimatalkohol etc.j verhalten sich oft nicht besser und erweichen, namentlich in Formol, derartig, daß sie unbrauchbar werden. Jede einzelne Art will darauf be- sonders studiert sein, in welchem Stadium ihr Hymenium für die Untersuchung am besten geeignet ist. Zur Untersuchung selbst sind natürlich Querschnitte am geeignetsten. Sie sind aber freihändig sehr schwer anzuferti- gen und erfordern meist noch eine Einbettungsmethode, die für gewöhnliche Zwecke zu umständlich ist. Deshalb emptiehlt CS sich, mit dem Rasiermesser möglichst feine Flächenschnitte vom Hymenium herzustellen. Das ist mit Ausnahme der Poly- poreen, wo aber Querschnitte möglich sind, bei allen übrigen Gruppen tunlich, sobald man etwas ijbung besitzt. Den Schnitt legt man unter Deckglas und treibt nun zuerst mit Alkohol (ca. 80 "/„) die Luft aus. Ist der Schnitt dann, wie es meist der Fall sein wird, noch etwas undurchsichtig und unübersichtlich , so verschiebt man das Deckglas mit einer Nadel unter gleichzeitigem sanftem Druck auf den Schnitt derartig hin und her, daß der Schnitt flach gedrückt oder zerrieben wird. Man wird dann stets freiliegende Basidien in genügender Anzahl finden, um daran Messungen machen zu können. Zur .^ui hellung des Schnittes kann man auch etwas Chloralhydrat zusetzen, doch muß man in der Anwendung dieses Reagens vorsichtig sein, da der Schnitt sehr leicht allzu durchsichtig werden kann. Färbemittel anzuwenden halte ich für überflüssig, da alles genügend hervortritt, wenn die Ver- größerung richtig gewählt wird. Vor allen Dingen achte man auf ein scharfes Rasier- messer und darauf, daß der Schnitt mit der Sporenseite nach oben gelegt wird. G. Lindau. Herrn Prof. E. — Eine gute Einführung in die wichtigste heutige botanische Terminologie bietet das im vorigen Jahr- gang der Naturw. Wochenschr. besprochene Buch von C a m i 1 1 u Karl Schneider, Illustriertes Handwörterbuch der Botanik (W. Engelmann in Leipzig). I. Herrn H. in Berlin u. 2. Herrn W. in Beverstedt. — ]. Die Graptolilhen stellt man zu den Coelenteraten; am besten orientieren Sie sich über diese fossile Tiergruppe — auch hin- sichtlich der Literatur — in Zittel' s Paläozoologie (München und Leipzig, R. Oldenburg, 1895). — 2. Das genannte Buch wird Ihnen — soweit Sie nur tierische Versteinerungen meinen — sehr nützlich sein. Herrn K. in Breslau. — Über Cellulose und die Literatur über den Gegenstand unterrichten Sie sich am besten in Czapek 's ,, Biochemie der Pflanzen" (G. Fischer in Jena 1905). Herrn ?. — Zusammenstellungen über die neueste Lite- ratur liefern das Deutsche Bureau der Internationalen Biblio- graphie in Berlin SW 48, Enckeplatz 3 a, welches dem Reichs- amt des Innern unterstellt ist. Es gibt heraus den ,, Inter- national Catalogue of Scientific Literature" und die im Auf- trage des Reichsamtes des Innern herausgegebene, im Verlage von Hermann Pactel in Berlin erscheinende „Bibliographie der Deutschen Naturwissenschaftlichen Literatur". Inhalt: Friedrich Upmeyer: Die Tätigkeit der Mikroorganismen im Boden. — Kleinere Mitteilungen: Dr. jur. et phil. Stephan Kekule von Stradonitz; Berühmte Alchimisten. — K ei bei: Einige neuere, die Entwicklungs- geschichte des .'\uges behandelnde Arbeiten. — V. Schiffner: Über tierfangende Lebermoose. — De Geer und Munthe: Überblick über die nacheiszeitliche Entwicklung des südwestlichen Cistseebeckens. ■ — J. H. Po y n t i ng: Einige interessante astronomische Folgerungen aus dem vom Lichte ausgeübten Druck. — Wetter-Monatsübersicht. — Bücherbesprechungen: Dr. O. Zacharias: Nützlichkeit der Begründung eines staatlichen Instituts für Hydro- biologie und Planktonkunde. — Prof. M. Möller: Die WiUerung des Jahres 1907. — P. Dr. Fr. Lind n er : Orni- thologisches Vademekum. — Litteratur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neue Folge VI. Band; der ganzen Reibe XXII. Band. Sonntag, den 24. Februar 1907. Nr. 8. Abonnement: M.in abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. Historisches zur Frage nach der Genesis der Steinkohle. [Nachdruck verboten.] Von H. Potonie. Ursprünglich hielt man die Steinkohle für ein Mineral, das in demselben Sinne von Anbegiim auf der Erde vorhanden war, wie die anderen Mineralien. Gewisse Autoren sprechen denn auch noch sehr spät lim 18. Jahrhundert) von einer Ver- dichtung des Kohlendioxyds der Luft, ähnlich der ursprünglichen Anschauung des Anaximenes (588 bis 524 V. Chr.), nach der die Luft durch Verdich- tung zu Wasser, Erde, Steinen wird. Noch im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts gab es ernste Gelehrte, die nicht abgeneigt waren, die unorganische Natur der fossilen Kohlen, ja sogar des Torfes zu vertreten. So drückt sich z. B. Ch. Keferstein (1826, p. 78), indem er die Kohlenbildung mit der gewisser Kalklager ') ver- gleicht, so aus: ,, Niemand wird behaupten: daß die Vegetabilien es sind, die hier den Kalktuff bilden, sondern man wird diese als etwas nicht Wesentliches betrachten, und das kalkige Wasser als das Wesentliche ansehen, aus dem sich der Kalktuff bildet. Auf ähnliche Art wird man aber bei analogen Verhältnissen nicht den Vegetabilien, sondern dem torfigen Wasser die Eigenschaft zu- schreiben müssen, den Torf zu bilden. — Auf welche Art hier das kalkige, dort das torfige Wasser gebildet wird, ist eine geologische Frage, die dann erst beantwortet werden kann, wenn der Gang ermittelt ist, den die Bildungen der jetzigen Periode überhaupt nehmen." Diese Ansicht stützt sich auf frühere verwandte Äußerungen, wie man sie besonders zusammengestellt findet in James Parkinson's ,,Organic remains of a former world" von 1 8 1 1 , einem I3uch, dasüberhaupt für den etwaigen eingehenderen Historiker unseres Gegenstandes von großem Wert ist. Agricola, der älteste Autor, von dem wir in dieser Hinsicht Kunde haben, erklärte 1544 die Steinkohle für verdichtetes Erdöl; woher freilich dieses kommt, blieb unerörtert. Es ist inter- essant, daß Meinungen, die sich mit dieser An- schauung Agricola's mehr oder minder berühren, bis heute stets vertreten worden sind, so jetzt noch von C. Eg. Bertrand, der die Kohlen vom Typus der Boghead- und Cannelkohlen ') zum Teil als durch Infiltration von Bitumen entstanden erklärt ') Es handelt sich, wie deutlich aus seiner Beschreibung hervorgeht, um Sapropel-Kalklager. ') Die oben genannten Kohlen gehören zu den Sapr9- pel-Kohlen, entstanden aus Sapropel (Faulschlamm) im Gegensatz zu den Humuskohlen, entstanden aus Humus (z. B. Torf). — Vgl. H. Potonie, Die Entstehung der Stein- kohle (Naturw. Wochenschr. vom I. I. 1905). 114 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 8 (eine ganz unhaltbare Ansicht), wie andere Autoren sich noch lange Zeit die Entstehung der (Humus-) Steinkohlen durch Niederschlag der Humussäuren aus den erwähnten Torfwassern (Schwarzwassern) vorstellten. Wie lange — muß man da wehmütig aus- rufen — dauert es nicht oft, bevor den natürlichen Verhältnissen entsprechende Ansichten sich Bahn brechen! Denn schon in der Mitte vorvorigen Jahrhunderts war der richtige Weg gewiesen. Joh. Hartm. Degner sagt nämlich bereits 1 760 (p. 1 26) ^) : „Daß der Torf in der That eine Zuhauffsammlung unzehliger in und unter dem sumpf hafft-stillstehenden Wasser blühenden, grünenden und wachsenden sumf- figren Gewächse sey." Schon Degner empfiehlt das Mikroskop zur Untersuchung des Torfs (p. 125 u. a.). Daß es sich in den Kohlen um die Reste und Produkte früherer Vegetationen handelt, war eben- falls — ohne hinreichende Wirkung auf die Tages- wissenschaft — in denselben Zeiten schon wieder- holt ausgesprochen worden. Die mikroskopische Untersuchung der Stein- kohle zeigt uns diese aus einer amorphen Grund- masse zusammengesetzt, in der mehr oder minder zahlreiche kleine Pflanzenfetzen (Zellen- und Ge- webeteile) eingebettet sind, auch Sporen u. dgl.; das hat dann der Botaniker Heinrich Friedrich Link 1838 nachgewiesen (Fig. i) und ist leicht nachzuprüfen, wie das denn auch später wieder- holt geschehen ist, zuletzt (1906) in trefflicher Weise von Stanislaus Carczewski. (Tracheiden) auffällig. Hierzu kommt nun noch das Vorhandensein von Pflanzenversteinerungen, wie Blattabdrücken usw., namentlich in unmittel- barster Nähe der Kohlenlager, insbesondere in den überlagernden (in den hangenden) Gesteinsschichten, so daß es nach alledem jetzt jeden Augenblick leicht erweislich feststeht, daß die (Humus-)Steinkohlen pflanzlicher Herkunft sind und zwar handelt es sich um Reste höherer Pflanzen. Es lag das von vornherein so nahe, daß — wie gesagt — schon vor Link mehrere Forscher auf diese Tatsache hingewiesen haben, so Scheuchzer (1709), von Beroldingen (1778), de Luc (1778) und andere. Der letztgenannte z. B. sagt : ') „Daß die Steinkohlen aus vegetabilischen Substanzen ent- springen, hat man schon längst vermutet, weil der darüber liegende Tonschiefer jederzeit Eindrücke von Pflanzen zeigt." Nach Link, dessen Arbeit vielfach übersehen wurde, haben Göppert (1848) und Gümbel (1883) noch besonders viel zitierte Schriften über den- selben Gegenstand geliefert, nämlich durch makro- und mikroskopische Untersuchung von Steinkohlen in diesen Reste von Pflanzen nachgewiesen. Be- sonders viel zitiert wird die sehr umfangreiche, schwülstige Arbeit Göppert's.-) Die große Be- achtung, die diese inhaltlich unbedeutende Arbeit gefunden hat, beruht in ihrer Dickleibigkeit und der Propaganda, die für sie gemacht wurde : handelt es sich doch um eine doppelt gekrönte Preisschrift ! Fig. I. Mikroskopische Proben aus Steinkohlen des produktiven Karbon von Oberschlesien (nach Link' Auch mit bloßem Auge kann man gelegentlich in der Kohle Skulpturen erkennen, die die Oberflächen unterirdischer Pflanzenorgane (Stigmarien) und von Baumstammoberflächen (Lepidodendren und Sigil- larien) aufweisen. Außerdem findet man in vielen Steinkohlen Holzkohle, die ebenfalls schon dem bloßen Auge die Herkunft von Pflanzen verrät. Diese Holzkohle ist besonders geeignet, dem bota- nisch-anatomisch Orientierten schnell und bequem die Pflanzenstruktur zu demonstrieren: ein Prob- chen unter das Mikroskop gebracht gibt in vielen Fällen ohne weiteres (ohne Anwendung von Macera- tionsmitteln) genau wie künstliche Holzkohle ihre Zusammensetzung aus Pflanzenzellen zu erkennen; insbesondere sind Stücke von Stereo-Hydroiden ') Joh. Hartm. Degneri Physicalische und chy- mische Erörterung vom Torf. Zum nützlich- u. nöthigen Unter- richt bey dem von Tag zu Tag sich mehr einfindenden Holtz- Mangel in Teutschland. Aus dem Lateinischen übersetzt. Frankfurt und Leipzig 1760. „Jede neue Ansicht — sagt Charles Darwin (Bio- graphie I, p. 76) — muß in ziemlicher Ausführ- lichkeit mitgeteilt werden, um die öffentliche Auf- merksamkeit zu erregen." Es ist traurig genug, daß auch die Wissenschaft so abhängig von Äußer- lichkeiten ist, daß hier noch keine Wege gefunden sind zu einer Unabhängigkeit von persönlicher Propaganda. ') lohann Andreas de Luc, Physikalische und moralische Briefe über die Geschichte der Erde und des Menschen. Das Original ist in französischer Sprache verfaßt; ich besitze nur die deutsche Übersetzung. Vgl. in dieser Bd. II, 17S2, p. 334 bis 335. -J Abhandlung, eingesandt als Antwort auf die Preisfrage: Man suche durch genaue Untersuchung darzutun, ob die Stein- kohlenlager aus Pflanzen entstanden sind, welche an den Stellen, wo jene gefunden werden, wuchsen, oder ob diese Pflanzen an anderen ( )rten lebten und nach den Stellen, wo sich die Kohlenlager befinden, hingeführt wurden? Eine mit dem doppelten Preise gekrönte Schrift. Haarlem 1848. 300 Seiten und 23 Tafeln in Quart u. Folio. N. F. VI. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. "S Die nächste PVage gehl nun dahin: in welcher Weise sind die Pflanzenanhäufungen, die wir heute als Kohlenlager in der Erdkruste finden, zustande gekommen ? Link, von dem wir auch in diesem Punkte aus- gehen wollen, sagt darüber das Folgende (1838, p. 33): „Zwei Meinungen über den Ursprung der Steinkohlen und Braunkohlen sind in den neueren Zeiten herrschend geworden und haben alle übrigen, wie es scheint, mit Macht unterdrückt: zwischen beiden ist der Sieg unentschieden geblieben. Die eine hält die Steinkohlenlager für Anhäufungen von Baumstämmen, aus entwurzelten Wäldern ent- standen , und durch große Ströme zusammen- geschwemmt; die andere hält sie für den Torf der Urwelt." Der schon genannte Domherr zu Hildesheim, von Beroldingen, sagt z. B. : M er werde „gleichsam mit Gewalt auf den Gedanken gerissen, daß die Steinkohlen ebenfalls größtenteils aus dem Pflanzen- reiche herstammen, und daß sie ursprünglich nichts anderes, als durch besondere Vorfälle, vorzüglich durch Ueberschwemmungen , mit verschiedenen und oft häufigen Erdlagen zugedeckte, zuweilen Dammerde, zuweilen Bäume und am gemeinsten aber überschwemmte und mit Erdreich bedeckte Torfmoore seyn, die durch die Arbeiten der Natur endlich in Steinkohlen umgeformt worden sind". Um noch einige andere Autoren zu nennen, sei auch hingewiesen auf de Luc,'-') der vermutete, „daß die Steinkohlen aus dem Torf entspringen", dann auf den hervorragenden Botaniker Adolph Brongniart , der die Torfmoortheorie vertrat. Auch Link wies hinreichend nach, daß der Habitus des mikroskopischen Bildes von Stein- und anderen Kohlen durchaus der des rezenten Torfes ist, in- sofern als es sich in beiden Fällen um kleine Ge- webepartikel und Zellen handelt, die in einer mikro- skopisch nicht mehr in organische Bestandteile auf- lösbare Grundsubstanz eingebettet sind. Auch die verdienstvollen Paläobotaniker Unger und Heer hingen der Torftheorie an. Es sei aber erwähnt, daß auch — uns heute unbegreiflich — der echte Landtorf einmal als zu- sammengeschwemmt, und zwar aus Meerespflanzen, angesehen wurde. Gab doch kein Geringerer als A. V. Humboldt (Bergmännisches Journal 1792, P- 55') Veranlassung, daß noch wiederholt davon die Rede war, daß im Linumer Moor, von dem Berlin seinerzeit die Hauptmasse seines Torfbedarfes bezog, Meerestangreste vorkämen. A. v. Chamisso ^) jedoch fand nur Reste von Arundo phragmites (= Phragmites communis), Eriophorum, Carex, Samen von Menyanthes trifoliata und von Scheuch- zeria palustris usw., also von Pflanzen, die die Vegetation unserer Torfmoore bilden. Später hat dann Chamisso ') auch das Moorgelände bei Greifs- wald untersucht, von dem er sagt: „Man möchte, . . . erwarten, dieses Torflager werde sich als ein Meer- moor erweisen, in welchem man Zostera marina, Tange und andere Seeprodukte, als Zeugen seiner Entstehung, entdecken müßte." Allein, er fährt fort : „Der Torf dieses Moores enthält, gleich dem Linumer Torf, nur Land- und Sumpferzeugnisse, und nichts was im entferntesten an das Meer, unter dessen Niveau er vorkommt, erinnern könnte." Noch vor der Mitte des vorigen Jahrhunderts hielt man es für nötig, diejenigen Autoren aus- führlich zu widerlegen, die sich gegen die Ent- stehung des Torfes an Ort und Stelle aus den Pflanzen der Torfmoore ausgesprochen hatten. Gleichzeitig mit Chamisso haben Dau ') und viel später Wiegmann ■') die diesbezüglichen, oft sehr merkwürdigen und uns jetzt unglaublich erschei- nenden Ansichten vorgeführt und kritisiert. Da ist es gewiß nicht verwunderlich, wenn wir uns hinsichtlich der vertretenen Theorien über die Ent- stehung der Steinkohlen gegenwärtig noch auf dem Standpunkte befinden, auf dem die Autoren im Anfange des vorigen Jahrhunderts sich den Torf- mooren gegenüber befanden , deren Entstehung doch — meinen wir jetzt — so leicht zu er- kennen ist. Die Termini Autochthonie (vom Griech. autos selbst und chthon die Erde) für die Bildung der Kohlen an Ort und Stelle, wo die Pflanzen, aus denen sie entstand, wuchsen, und Alloch- thonie (vom Griech. allos ein anderer und chthon die Erde) für die durch Transport hervorgegangenen Kohlenanhäufungen wurden von Gümbel einge- führt.^) Durchblättern wir die heutige Literatur, ver- gleichen wir z. B. die Lehrbücher der Geologie, so sehen wir, daß der oben zitierte Satz Link's von 1838 noch heute Geltung hat! Wenn der Gedanke, daß die Allochthonie bei der Bildung der Steinkohle die Hauptrolle spiele, heute noch immer so sehr weit verbreitet ist, trotzdem die Autochthonie so bestechend nahe liegt, so sind insbesondere die Arbeiten von zwei französischen Autoren, C. Grand'Eury's und F"ayors, die freilich jetzt auseinandergehen, hierfür maß- gebend gewesen. Namentlich in Lehrbüchern haben die Ansichten der beiden Genannten weitgehende Beachtung gefunden, und das ist sehr begreiflich : gehören doch diese beiden Autoren zu den Wenigen unter den Vielen, die über den Gegenstand ge- schrieben haben, die mit Kenntnissen ausgestattet M p. 90 u. 91 des I. Bandes der in meiner Hibliothek befindlichen 2. Aufl. (1792, i. .\ufl. erschien 1778), seiner ,, Be- obachtungen, Zweifel und Fragen, die Mineralogie überhaupt, und insbesondere ein natürliches Mineralsystera betrelTend.'" ■) 1- c. p. 334- ') Adalb. V. Chamisso, F. Hoffmann und Chr. Poggendorf, Über das Torfmoor zu Linum (Archiv für Berg- bau und Hüttenwesen. Herausgeg. v. Karsten. 5. Bd. Berlin 1S22. p. 253—277). ') Unters, eines Torfmoores bei (Jreifswald und ein JUick auf die Insel Rügen (1. c. 8. Bd. 1S24. p. 129 — 139). '^) Neues Handb. üb. d. Torf. 1823. ") Üb. d. Entst., Bild. u. das Wesen des Torfes. Braun- schweig 1837. ') Beiträge zur Kenntnis der Texturverhältnisse der Mineral- kohlen (Sitzungsber. d. math.-physik. Klasse d. k. bayer. Akad. d. Wiss. München 18S3) p. 201. ii6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 8 in Steinkohlenrevieren selbst eingehend beobachtet haben. Allerdings haben sie sich dabei insofern zu sehr beschränkt und einen weiteren Blick ver- baut, als sich ihre Auseinandersetzungen nur auf Beobachtungen im Revier von St. Etienne (Grand' Eury) und im Revier von Commentry (Fayol) be- ziehen. Es fehlen die vergleichenden Beobachtungen, welche im Einzelfalle undeutlicher erscheinende und daher leicht falsch zu deutende Tatsachen aufzu- klären imstande sind, ebenso, wie bei den ge- nannten, sonst so beachtenswerten Autoren und anderen (so z. B. auch Renault) zu vermissen ist, daß sie sich nicht zunächst über die Genesis der rezenten Humusbildungen eine hinreichende Orien- tierung verschafft haben. Grand'Eury hat das übrigens nachzuholen versucht, und er hatte die Freundlichkeit mir unterm 9. Juli 1903 zu schreiben, daß er sich nunmehr überzeugt habe, daß wenig- stens ein Teil der Steinkohlen- und Braunkohlen- lager autochthon seien.') Deshalb und da er die Absicht hat eine größere Veröffentlichung über seine jetzigen Ansichten zu bringen, ist hier zweck- mäßig auf ein Eingehen auf seine früheren Aus- einandersetzungen zum Gegenstande zu verzichten und ich erwähne daher nur das Resultat Fayol's.'^) Er hält die Steinkohlen von Commentry für eine durch reißende Wasser bewirkte Anschwemmung von Pflanzenmaterial in einen See; er nennt sie die Deltatheorie, ^) die nun zu weit auch auf andere Fälle übertragen wird. Ich habe mit diesen wenigen Zeilen nun aber durchaus nicht etwa die Absicht, einen Überblick über die Geschichte unserer Frage anzudeuten. Dazu würde ein Eingehen auf alle Arbeiten nötig sein, die fernab von jeder Methodik wissenschaft- lichen Arbeitens auch heute noch auf dem Gebiete zutage treten. Übrigens ist insofern nicht recht von einer Geschichte des Gegenstandes zu reden, als die einzelnen Arbeiten vielfach fast ganz außer Zusammenhang mit dem Vorausgeleisteten stehen: einer der Hauptcharaktere des Dilettantismus, bei dem dann u. a. noch der Mangel an Fähigkeit hinzukommt, den Wert der schon früher aufge- deckten Tatsachen würdigen zu können. Die ganz überwiegend große Zahl der Arbeiten zur Entstehung der fossilen Humusbildungen zeugt ') Mit Bezug auf den internationalen GeologenkongreC in Paris 1900, der mich zur Exkursion ins Steinkohlenrevier von St. Etienne zu Herrn Grand'Eury führte, bei welcher Ge- legenheit ich meinen Standpunkt zu betonen Gelegenheit hatte, schreibt er; ,,Depuis notre congres . . . j'ai beaucoup voyage et etudie plus de 20 mines de lignite de tout äge, et je me suis convaincu que les houilles et Braunkohle sont en partic de formation autochtone" etc. ^) Unter dessen liebenswürdiger und weit entgegenkom- mender Führung habe ich das Kohlenfeld von Commentry, das Feld seiner Untersuchungen, besichtigt. ') .Sur la theorie des deltas et histoire de la formation du bassin de Commentry (Bull. soc. geol. de France, Paris 1888, p. 968 ff. ; vgl. auch in demselben Bande p. 1018). Da die heutigen Deltas gerade durch autochthone Humusbildungen fTorlmoorbildungen) ausgezeichnet sind , ist die Bezeichnung Deltatheorie mißverständlich, besser würde daher die Theorie Fayol's ,, theorie de Sedimentation" zu nennen sein. in der Tat davon, daß auch die elementarsten, leicht zu beobachtenden Tatsachen, die bei der Entscheidung der Frage den Ausschlag geben, viel- fach gänzlich unbekannt und doch sehr ungenügend bekannt sind. Immer und immer wieder sieht man, wie die .«Tutoren von ganz einseiligen Ge- sichtspunkten aus an die Beurteilung unserer Frage herantreten, ohne sich hinreichend zu bemühen, das gesamte dahingehörige Material zu prüfen und ohne das, was schon geleistet ist, zu kennen und gebührend zu be- achten. Goethe sagte: „Der Dilettant überspringt die Stufen, beharrt auf gewissen Stufen, die er als Ziel ansieht, und hält sich berechtigt, von da aus das Ganze zu beurteilen, hindert also seine Per- fektibilität." In der Paläobotanik darf man freilich das üppige Wuchern des Dilettantismus nicht tragisch nehmen : ist er doch mit jeder erst im Wachsen begriffenen Disziplin unfehlbar verknüpft und daher geradezu eine notwendige Kinderkrank- heit, die überwunden sein will; wenn wir uns jetzt erst in dem Übergangsstadium befinden , diese Periode zu überwinden, die in der Paläobotanik verhältnismäßig lange anhält, so hat dies seinen Grund in der Tatsache, daß eine wissenschaftliche, intensivere, beruflicheBeschäftigung mit dem Gegen- stande nur sehr selten statthat. Die Entwicklung kann daher nur sehr viel langsamer vor sich gehen als in anderen Disziplinen, wie z. B. der Botanik der rezenten Pflanzen , die seit langem zahl- reiche wissenschaftliche Vertreter besessen hat. Auf die Dilettantenliteratur würde in einer „histo- rischen Betrachtung" deshalb einzugehen sein, weil sie bei dem Eindruck der Unsicherheit, die sie bei dem NichtSpezialisten hervorrufen muß, der doch nicht imstande ist, die Widersprüche und Fehler zu kritisieren oder zu erkennen , immer wieder Eingang und Berücksichtigung in sonst ernsten Büchern und Abhandlungen gefunden hat und noch findet. Es sei zur näheren Erläuterung nur an zwei Beispiele erinnert, die sich aber sehr stark vermehren ließen. Noch 1866 (i. Aufl.) und 1875 (2. Aufl.) war es möglich — also lange nach Link und anderen, die über die mikroskopische Struktur der Stein- kohle bereits die notwendigen Aufschlüsse gegeben hatten, — daß Karl Friedrich Mohr, Professor der Chemie an der Universität in Bonn, in seiner „Ge- schichte der Erde" die Entstehung der Steinkohle aus Fucaceen behaupten konnte, und das hat sich dann noch in ganz neue Bücher und Abhandlungen hineingeschleppt! Bei Mohr tut sich — obwohl er von ihnen spricht — intensiver Mangel an Kenntnis der rezenten Moorbildungen kund. Es berührt eigentümlich, wie ein sonst so trefflicher Gelehrter — wir verdanken ihm die Methode der Maßanalyse — auf einem nicht in sein Spezial- fach schlagenden Gebiet so sehr die Prinzipien außer acht lassen konnte, ohne deren Befolgung der Natur entsprechende Resultate nicht zu erreichen sind. Wenn schon eine Anzahl Tatsachen zu dem Gedanken leiten können, daß vielleicht Tange die N. F. VI. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 117 Hauptbildner der Steinkohle seien, so fehlt doch bei Mohr die ruhige Abwägung und Aufsuchung solcher Tatsachen, die nun gegen seine vorge- faßte Meinung sprechen. In Chemikerkreisen ist noch ganz neuerdings versucht worden, die Tang- theorie wieder zu Ehren zu bringen: das wirft ein betrübendes Licht auf die Zusammenhangslosigkeit der naturwissenschaftlichen Disziplinen. Wenn ferner ein Autor noch 1881 (P. F. Reinsch nämlich) auf Grund des Studiums der Mikrostruktur der Steinkohle zu dem Ergebnis kommt, daß mit rezenten Pflanzentypen unvergleichbare kleine Pfianzentypen, die er Protophyten nennt, ihre Zu- sammensetzung bedingten, so ist es doch gewiß sehr überraschend, daß solche „Resultate", die sich dem richtig Vorgebildeten sofort als gänzlich wert- los ergeben, doch Berücksichtigung, ja überhaupt häufige Erwähnung finden und so als Literatur- ballast weitergeführt werden. Ich betone: wer botanische PVagen lösen will, muß mindestens die allerersten Elemente der Botanik kennen; wer also die anatomischen Details in den Steinkohlen be- leuchten will, muß sich vorerst mit den Elementen der botanischen Anatomie vertraut machen. Bei der Sachlage, wie sie noch immer etwas auf unserem Gebiete herrscht, ist es nötig, solche Selbstver- ständlichkeiten doch besonders hervorzuheben. Um schließlich auch noch die heutige Ver- fahrenheit auf unserem Gebiet durch ein drittes Beispiel zu erläutern, sei erwähnt, daß Lenique ') gar 1903 (1) zu dem Schlüsse kommt: die Stein- kohle habe durchaus keinen organischen Ursprung. Noch heute wie am Anfange des vorigen Jahr- hunderts heißt es denn : hie Autochthonisten, hie AUochthonisten, ohne daß die Gelehrten, die ohne eigene Studien anstellen zu können, — z. B. bei der Zusammenstellung von Lehrbüchern — darauf angewiesen sind, die Literatur auszunutzen, in der Lage wären, dies in unserem Gegenstande mit hin- reichender Kritik zu tun. Durchaus zutreffend sagt ') Nouvelle theorie chimique de la formation des roches terrestres (Mem. A. C. R. des trav. Soc. ingen. civ. de France ■903, p. 346—370). Zittel in seiner Geschichte der Geologie und Palä- ontologie (1899, p. 364): ob die Steinkohlenflöze autochthon oder allochthon sind, „läßt sich nach dem jetzigen Stand der geologischen Literatur nicht mit Bestimmtheit beantworten". Der Grund dafür liegt, wie wir sahen, klar auf der Hand. Die X'ergleichspunkte, die die rezenten Moore ') mit den Steinkohlenlagern bieten, sind bisher immer nur ganz oberflächlich herangezogen worden oder immer nur Einzelheiten. Es fehlte den vielen Autoren , die sich um unseren Gegenstand ge- kümmert haben, eine hinreichende Kenntnis der Naturgeschichte der rezenten Moore. Es ist daher verständlich, daß noch niemals der Versuch ge- macht worden ist, im Hinblick auf die Steinkohlen- lager dasjenige in genügender Ausführlichkeit aus der Moorkunde zusammenzustellen, was für die Annahme ihrer Authochthonie in Rücksicht zu ziehen wäre. Diese Lücke zu füllen soll in einer umfangreichen Arbeit des Verfassers über ,,die Entstehung der Steinkohle" ein erster Versuch ge- macht werden. Die Moorkunde hat in den letzten Jahrzehnten endlich die nötige Berücksichtigung und daher Förderung erfahren. Wir sind daher jetzt wohl in der Lage, eine Übersicht zu gewinnen und den Zeitpunkt eines Vergleiches mit den Stein- kohlenlagern für gekommen zu erachten. ') Ein Moor ist eine Lagerstätte einer auffallenden, bis mehrere Meter mächtigen, relativ reinen Humusdecke. Dau (1823, p. 25) definiert: ,,Ein Moor heißt jede natürliche und ursprüngliche Lagerstätte des Torfs." Für die offizielle geo- logische Kartierung im Königreich Preußen, also lür diesen praktischen Zweck, wird erst ein Moor kart"graphisch be- achtet, wenn die Humusdecke (im entwässerten Zustande) min- destens 20 cm mächtig ist, insbesondere deshalb, weil mit der Bearbeitung durch den Pflug dann noch leicht eine Mischung des bedeckenden Humus mit dem anorganischen Material unter demselben möglich ist (Weber, Über Torf, 1903. p. 478, 479). Daß es zwischen einem eine mehrere Meter mächtige Torf- decke besitzenden Moor bis zu den ganz humusfreien Böden alle nur denkbaren Übergänge gibt, sei von vornherein betont. Eine genauere Begriftsbestimmung für „Moor'' als einer Lager- stätte ist hier deshalb notwendig, weil das Wort Moor — und sogar gelegentlich von Fachleuten — wie Torf auf eine Gesteinsart angewendet wird; man denke an die Bezeich- nung ,, Moorbad". Das Verhältnis von vegetativer Entw^icklung und generativer Reife im Pflanzenreich. [Nachdruck verboten." Von Prof. Mehr und mehr nehmen wir davon Abstand, die Formen der Organismenwelt als etwas fest Gegebenes zu betrachten. Mehr und mehr er- fassen wir, wie weit doch in der Verkettung des Organismus die Freiheit der einzelnen Elemente reicht und reichen muß, um die Elastizität des ganzen Systems in dem stetigen Wechsel der Außenwelt zu sichern. In dieser Hinsicht bietet das Verhältnis der vegetativen Sphäre zur genera- tiven bemerkenswerte Probleme.') Es handelt sich dabei um zwei vielfach antagonistische Faktoren, deren Resultante die fertige Form darstellt. Unter- Dr. L. Diels. sucht man ihre Beziehung ganz allgemein, so er- gibt sich für sie eine weittragende Variabilität. Einige übersichtliche Beispiele aus dem Pflanzen- reich lassen das deutlich werden. Sivietenia JSlaliagoni Jacq. , die bekannte Stammpflanze des Mahagoniholzes, ist ein ansehn- ') Vgl. L. Diels, Jugendformen und Blülenreife im Pflanzenreich. Berlin 1906. Gebr. Bornträger. 130 S., 30 Fig. Preis Mk. 3.80. — (Die Cliches zu den p. I 18 — 120 gebrachten Abb. sind uns freundlichst vom Verlag Gebr. Borntraeger ge- liehen worden. — Red.); ii8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 8 licher Baum des tropischen Amerika. Er trägt wie die Mehrzahl seiner Verwandten, die wir in der Familie der Meliaceae vereinen, gefiederte Blätter, und bringt ziemlich kleine Blüten in achsel- ständigen Rispen (s. Fig. i C). Aus den Samen geht ein Pflänzchen hervor, das sich durch seine ungeteilten Blätter beträchtlich von dem erwachsenen deutet der Züchter an, unter Fig. I. Smietenia Maliagoni ]ä.Zi\- A Keimpflanze der , .normalen' im Botan. Garten zu Berlin; B blühendes Exemplar kultiviert im Trinidad; (.' blühende Zweige einer normalen Pflanze. — B A, C l-lriginal. Baume unterscheidet. Plg. i A, welche nach einem im Berliner Botan. Garten erzogenen Sämling an- gefertigt wurde, zeigt dies jugendliche Stadium. Ahnliche Sämlinge hatte man vor einigen Jahren auch im Botanischen Garten zu Trinidad in Kultur, und unter diesen fanden sich mehrere Exemplare, die durch die Entwicklung von Blüten überraschten (Fig. I B). Sie wurden zu näherer Untersuchung nach Kew gesandt, und dort beschrieb H e m s 1 e y die bemerkenswerte „Abnormität" in Hooker's Icones t. 2786 (1905). Das bezeichnende dieses Falles ist das Ver- eintsein von Jugend in der vegetativen Organi- sation und Reife in der generativen Sphäre. Er war aufgetreten in der Kultur, vielleicht deshalb, weil die Pflanzen einmal Wassermangel-, gelitten hatten. Es fragt sich , ob die freie Matur ähnliche Erscheinungen zu- wege bringt. Schon die heimische Flora gibt uns unzweideutige Antwort. Die Entwicklung der in un- serer Heimat vertretenen Arten der Compositengattung Bidens zeigt eine bemerkenswerte Hetero- phyllie. Bidois radiatus bringt nach den I-Ieimblättern ein paar ungeteilte, längliche, ganzrandige oder beiderseits mit einem Zahn versehene Primärblätter (Fig. 2 Ä). Darauf folgt gewöhnlich ein Sta- dium dreiteiliger Folgeblätter (Fig. 2 B, C), und dabei bleibt die Belaubung häufig stehen. Mit- unter aber schreitet sie durch abermalige Dreiteilung des End- abschnittes fort zur fünfteiligen Spreite: dies sehen wir in Fig. 2£>, welche das Blatt eines von Cela- kovsky bei Chudenic in Böhmen gesammelten Individuums dar- stellt. Die blühenden Exemplare der dreiteiligen Form, von wel- cher Fig. 2 C entnommen wurde, zeigen eine Höhe von 25 — 30 cm, die Celakovsky'sche fünfteilig be- laubte Pflanze wird bis 35 cm hoch. Diese wandelbare Spezies aber blüht — wie die anderen Bidens unserer Flora — oft schon in viel früherem Alter. Exemplare aus Böhmen, die das Herbarium des Kgl. Botan. Museums zu Berlin besitzt, sind nur 6 cm hoch, ja eins nur 2,5 cm hoch, und doch tragen sie normale Blüten (siehe Fig. 2 E). In der Belaubung frei- lich stehen jene Zwerge noch auf primärer Stufe. Fig. 2 E, F lehren, wie vollständig sie dem Jugendstadium von besser entwickelten Geschwistern entsprechen. Der Sammler dieser lehrreichen Formen be- richtet uns, daß die hochwüchsigen, verästelten F"ormen in sumpfigem Röhricht standen, während die Zwergformen auf dem nackten Tonboden aus- getrockneter Teiche wuchsen. Die späte Trocken- legung dieses Standorts und seine stärkere Be- lichtung dürften an der Schaffung dieser blühenden " Form, kultiviert Botan. (iarten auf nach H e m s 1 e y , N. F. VI. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 119 Fig. 2. ISidens radialns Thuill. .1, B zwei Stadien des Sämlings, Berliner Botan. Garten 1889, leg. Winkler. — C Blatt der Endform, von Vorlik im südl. Moldautal, August 1902, leg. Domin. — D Blatt der Endform, von Chudenic ,,ad piscinas", leg. Celakovsky in Fl. exsicc. austro-hungar n. 3067. — E, F zwei Pflanzen der/. perjmsiUus Domin, von Wittingau auf nacktem Teichboden bei Ptaci blata, 31. Juli 1902, leg. Tocl communic. Domin. Fig. 3. Formen des Kreises der Limosella aquatica L. : A, B, C Helikomorphie der Keimpflanze. Sachsen, unweit Schandau, 2. .August 1876, leg. Winkler. — D, E zwei blühende E.Kemplare. Schöneberg bei Berlin, leg. A. von Chamisso. — F Limoaella „aquatica". Polen, bei Czgstochau , August 1866, leg. Karo. — • G Limosella „aqi'atica". Britisch Indien, bei Kashmir, C. B. Clarke n. 28601. — // Limosella „aquatica var. tenuifolia" , bei St. Petersburg, 2, 9- ., II „ 19 „ o „ „ ,, Austr. ,, II. „ .. 10. „ 7 „ 37 „ o „ „ „ „ „ 1. „ „ 17- ,. 9 „ 32 „ 42 -, ,. „ „ „ I- „ n 24. „ II „ 28 „ 24 „ „ „ „ „ I. „ Sternbedeckung: Am 21. wird x Orionis für Berlin um 8 Uhr 36,0 Min. ab. durch den Mond bedeckt und tritt um 9 Uhr 39,6 Min. am westlichen Mondrande wieder hervor. Algol -Minima können beobachtet werden am 4. um 9 Uhr 34 Min. M.E.Z. ab. und am 7. um 6 Uhr 23 Min. Bücherbesprechungen. Dr. A. Brafs, Ernst Haeckel als Biologe und die Wahrheit. 96 Seiten. Stuttgart, Max Kielmann. 1906. — Preis 1,50 Mk. Als Naturforscher will Verf. in seiner Broschüre, die übrigens zu drei Vierteln aus uninteressanten, re- signiert klingenden, persönlichen Bemerkungen besteht, das auf Flugsand gebaute Fundament des Monismus stürzen; als Zoologe — freilich als ein den Fach- genossen recht unbekannter Zoologe — fühlt er sich, wie er sagt, Haeckel gegenüber nicht minderwertig, auf physikalisch • mathematischem Gebiete ihm sogar • entschieden überlegen. Da muß man sich denn aber doch sehr wundern, daß er in dem Kapitel „Haeckel als Kosmograph", zwar gegen das Haeckel'sche Substanzgesetz eifert, daß er aber selbst gar nicht zwischen Kraft und Energie unterscheidet, und daß ihm auch ganz ent- gangen ist, wie leichtfertig Haeckel in den „VVelt- rätseln" den zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie, das Entropiegesetz, abweist. Verf. hätte sich dies Kapitel überhaupt ganz sparen können, denn eine viel bessere Kritik dieser physikalischen Irrtümer Haeckel's hat schon der bekannte Physiker Chwolson (in seiner beachtenswerten Schrift: „Hegel, Haeckel, Kossuth und das zwölfte Gebot", Braunschweig 1906) gegeben. 1) Doch weiter! Der Verf. eifert gegen die ') Vgl. Naturw. Wochenschr. vom 8. April 1906, p. 238. Moneren als „eine große, absichtlich aufgestellte Irr- lehre Haeckel's", wobei er auf eigene Forschungen verweist, die freilich nicht nur bei Haeckel, sondern auch z. B. bei unserem ersten Protistenkenner, Bütschli, keine Anerkennung fanden. Übrigens hätte er sich auch hierin die Mühe sparen können, denn auch ohne ihn hält man heutzutage die Moneren nicht mehr aufrecht. Ähnlich ist das Kapitel „Haeckel's Gastrula" weder inhaltlich neu noch einwandfrei. Unrichtig ist es z. B., wenn Verf. sagt , alle Parasiten , welche die Nahrung mit der äußeren Körperfläche aufsaugen, hätten keine Entodermzellen, deren Funktion die 'Ver- dauung und Aufsaugung der Nahrung sei; unrichtig ist dies, denn Entoderm ist ein topographischer, kein physiologischer Begrift'. Und so in den weiteren Kapiteln, wo Haeckel vorgeworfen wird, er wüßte nicht, daß die Säugetiere in Kloakentiere, Beuteltiere und Plazentaltiere zerfallen ; wo in einem eigens dem -Auge gewidmeten Kapitel behauptet wird, bei Knochenfischen könne der Augenhintergrund durch einen hufeisenförmigen, den Sehnerven umfassenden Muskel gegen die Linse vor- und zurückgeschoben werden (eine längst veraltete, durch Beer bestimmt widerlegte Ansicht , die Verf. zweifellos aus einem Leuckart'schen Kolleg herübergerettet hat); wo be- hauptet wird, die Deszendenztheorie erfordere nach Fortschneiden von Organen ein Fortbleiben derselben bei den Nachkommen des verstümmelten Tieres u. dgl. m. Die bekannten „kleinen .Anfänge" der Organ- bildung werden benutzt , um vor unseren Augen die ganze Deszendenztheorie scheitern zu lassen. Aus der Zweckmäßigkeit der Lebewesen wird der Eingriff eines freischaffenden Meisters erschlossen, ein Ge- danke, der augenscheinlich J. Reinke entlehnt ist, also Originalität ebensowenig wie der von den klei- nen Anlangen beanspruchen kann, aber gleich ihm schon oft besser verteidigt und übrigens auch vielfach angegriften worden ist. Das vorliegende Buch enthält also eine iNIenge Unrichtigkeiten und eine Anzahl höchst pro- blematischer Ansichten, die mit apodiktischer Gewißheit proklamiert werden. Steht es also um dieses Buch besser als z. B. um Haeckel's „Welträtsel", in deren Vorrede Haeckel selbst sagt, die von ihm aufgestellten Ansichten seien nur subjektiv und nicht durchgehends richtig? Nur blindgläubige, kritiklose Leser kann das Buch des Verf. vom Unwert Haeckel'scher Schriften über- zeugen. Gegen Haeckel läßt sich leicht viel schreiben, und es ist gut, wenn dies von sachverständiger Seite geschieht. Aber eins wird oft an Haeckel ver- kannt, und auch Verf. hat keine Ahnung davon: Haeckel suchte in allen seinen Werken hohe Ge- sichtspunkte und weite Ausblicke , und wenn er nur darin anderen vorbildlich war, hat er genug getan. Dr. V. Franz (Helgoland). Dr. Richard Hertwig, o. ö. Professor der Zoologie und vergleichenden Anatomie an der Universität München , Lehrbuch der Zoologie, 8. Aufl., N. F. VI. Nr. S Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 125 lena 1907, Verlag von Gustav Fischer, 645 S. mit 5S8 Abb. — Preis brosch. 1 1,50 Mk., geb. 13,50 Mk. Nachdem kaum ein Jahr verflossen ist, liegt von diesem vorzüglichen, in neuerer Zeit immer mehr in Aufnahme gekommenen Lehrbuche schon wieder eine neue Auflage vor. — Was die Hauptvorzüge des- selben anbetrifit, so verweise ich auf die Besprechung der vorigen Auflage (S. 46 des letzten Jahrganges der Naturw. Wochenschr.). Neu hinzugekommen ist in dieser neuen Auflage besonders ein Literaturver- zeichnis am Schlüsse , welches demjenigen, der sich auf einem bestimmten Gebiete weiter orientieren will, einige Fingerzeige gibt und besonders auf Bücher hinweist, in welchen man weitere Literatur finden kann. Es ist mit diesem Anhang sicher eine von vielen empfundene Lücke ausgefüllt. — Ebenso wird es gerade jetzt von vielen mit Beifall aufgenommen werden, daß der Autor dem Bedürfnis der Lehrer mehr entgegenkam , daß er physiologische Er- örterungen in ausgedehnterem Maße aufgenommen hat. Wir können nur wünschen, daß gerade in die- ser Beziehung in künftigen Auflagen noch weiter ge- gangen werde, selbst wenn der Umfang des Buches dadurch etwas wächst ; denn an einem entsprechen- den Buche, welches dem Bedürfnis der Lehrer ent- gegenkommt, fehlt es bisher gänzlich. — Wie ich es bei Besprechung anderer Lehrbücher getan habe , so möchte ich auch hier auf einige Irrtümer hinweisen: Ich greife auch hier wieder die Spinnen heraus, da sie bisher besonders schlecht weggekommen sind und da sie mir speziell am nächsten liegen. — Daß der Faden der Spinnen nicht mit den Krallen der Hinter- beine „gedreht" wird, hatte ich schon bei Besprechung des Boas' sehen Buches hervorgehoben (S. 797 des letzten Bandes der Naturw. Wochenschr.). Die Kamm- zinken kommen an den Krallen aller Beine vor und dienen zum Laufen auf den Fäden der Gespinste und überhaupt zum Festhalten eines Fadens. Jeder kann sich von diesen Tatsachen äußerst leicht überzeugen, wenn er eine Kreuzspinne in die Hand nimmt und sie beobachtet, wenn sie sich an einem Faden herab- läßt. Ich brauche hier nicht näher auf den Gegen- stand einzugehen , weil man das Weitere am ange- gebenen Orte findet. — Auch darauf hatte ich schon an anderer Stelle hingewiesen, daß die dritte Kralle unmöglich dazu dienen kann , die Kammkrallen vor Abnutzung zu schützen. Kommen doch viele Netz- spinnen — und gerade diesen fehlt eine dritte Kralle nie — im Laufe ihres Lebens kaum einmal an den Boden hinab (S. 335^ des letzten Bandes der Naturw. Wochenschr.). — Es ist sonderbar, daß derartige Fehler, von denen sich sogar ein Laie leicht über- zeugen kann, sich auf Autoritätsglauben hin durch so viele Bücher hinziehen. — Auch der Fehler, daß nur 2 oder 3 Paar von Spinnwarzen bei den Spinnen vorkommen sollen, findet sich in den meisten Büchern. In Wirklichkeit kommen i — 4 Paare vor. Die höchste Zahl ist besonders deshalb interessant, weil sie offen- bar die ursprüngliche ist. Ein Hinweis auf dieselbe dürfte also eigentlich in keinem wissenschaftlichen Lehrbuche fehlen. — Mit diesen wenigen Angaben soll nur angedeutet werden , daß auch in künftigen Auflagen noch viel verbessert werden kann, nament- lich allerdings auf denjenigen Gebieten, in denen der Autor selbst nicht tätig war und in denen er sich auf die Angaben anderer verlassen mußte. Auf allen Gebieten, die jetzt gewissermaßen modern sind, wird das H e r t w i g ' sehe Buch immer eine vorzügliche und zuverlässige Auskunftsstelle sein. Dahl. Dr. W. Detmer, Prof. a. d. Univ. Jena, Botanische und landwirtschaftliche Studien auf Java. Mit i Tafel. Gustav Fischer in Jena 1907. — Preis 2,50 Mk. Das Buch liefert u. a. einen wertvollen Beitrag zur Physiognomik der Gewächse. Das 9. Kapitel enthält „Vergleichende physiognomische Studien über brasilianische und javanische Urwälder". Vor nunmehr 100 Jahren hat A. v. Humboldt in seinen klassischen „Ansichten der Natur" (erschienen 1807) die Physiognomik der Gewächse behandelt und da- durch diese Art der Betrachtung pflanzlicher Orga- nismen in den Vordergrund des Interesses gerückt. Es sei hier kurz an einige charakteristische Stellen aus „Humboldt" erinnert. „Jede Zone hat außer den ihr eigenen Vorzügen auch ihren eigentümlichen Charakter. So wie man an einzelnen organischen Wesen eine bestimmte Physiognomie erkennt, .... so gibt es auch eine gewisse Naturphysiognomie, welclie jedem Himmelsstriche ausschließlich zukommt. Was der Maler mit den Ausdrücken schweizer Natur, italienischer Himmel bezeichnet, gründet sich auf das dunkle Gefühl dieses lokalen Naturcharakters. Him- melsbläue, Beleuchtung, Duft, der auf der Ferne ruht, Gestalt der Tiere, Saftfülle der Kräuter, Glanz des Laubes, LTmriß der Berge — alle diese Elemente bestimmen den Totaleindruck einer Gegend Solche Naturschilderungen sind aber nicht bloß dazu geeignet, dem Gemüte einen Genuß der edelsten Art zu verschaffen , nein , die Kenntnis von dem Natur- charakter verschiedener Weltgegenden ist mit der Geschichte des Menschengeschlechts und mit der seiner Kultur aufs innigste verknüpft. . . . Die Dichter- werke der Griechen und die rauheren Gesänge der nordischen Lirvölker verdanken größtenteils ihren eigentümlichen Charakter der Gestalt der Pflanzen und Tiere , den Gebirgstälern , die den Dichter um- gaben, und der Luft, die ihn umwehte. Wer fühlt sich nicht , um selbst nur an nahe Gegenstände zu erinnern , anders gestimmt in dem dunkeln Schatten der Buchen, oder auf Hügeln, die mit einzeln stehen- den Tannen bekränzt sind, oder auf der Grasflur, wo der Wind in dem zitternden Laube der Birken säuselt 1 .... Wenn aber auch der Charakter verschiedener Weltgegenden von allen äußeren Erscheinungen zu- gleich abhängt, wenn Umriß der Gebirge, Physiogno- mie der Pflanzen und Tiere, wenn Himmelsbläue, Wolkengestalt und Durchsichtigkeit des Luftkreises den Totaleindruck bewirken , so ist doch nicht zu leugnen, daß das Hauptbestimmende dieses Eindrucks die Pflanzendecke ist." Bei der Bestimmung der Hauptformen, welche die Physiognomie der Natur charakterisieren, ist nach H. nur auf das Rücksicht 120 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 8 zu nehmen, was durcli Masse den Totaleindruck einer Gegend individualisiert. „Wo die Gewächse sich als Masse darstellen, fließen Umrisse und Verteilung der Blätter, Gestalt der Stämme und Zweige ineinander." Nachdem Humboldt in glühenden Farben die Herr- lichkeit der Tropenvegetation, wie er sie auf seinen Reisen in den Anden und an den großen Strömen Südamerikas mit seinen Augen geschaut, geschildert hat, spricht er mit lebhaftem Bedauern darüber, daß es den nordischen Völkern versagt ist, diesen Natur- genuß sich zu verschaffen. „Aber in der Ausbildung unserer Sprache, in der glühenden Phantasie des Dichters, in der darstellenden Kunst der Maler ist eine reiche Quelle des Ersatzes geöffnet. Aus ihr schöpft unsere Einbildungskraft die lebendigen Bilder einer exotischen Natur." Auch die Studien Detmer's sind Quellen, aus denen jeder, dem es nicht vergönnt ist, die herrliche Tropennatur zu schauen , für seine Phantasie schöpfen kann. Nach D. hat die Physiognomik der Pflanzen die Aufgabe, uns mit dem äußeren Gepräge der Gewächse oder einer Gesellschaft von Gewächsen vertraut zu machen und den Charakter des beobachteten Bildes aus den zusammenwirkenden Ursachen abzuleiten. Ihre Bedeutung liegt einesteils auf ästhetischem Ge- biete, andernteils auf naturwissenschaftlichem, insofern uns eine Reihe von Tatsachen dadurch bekannt wird, die für die Beurteilung ökologischer Verhältnisse wert- voll sind. Detmer hat auf seinen Reisen in Brasilien und auf Java auch die Urwälder gründlich kennen gelernt, und seine Studien beanspruchen daher besonderes Interesse. Die Physiognomie des Urwaldes wird einesteils durch die Natur der Pflanzen, andernteils durch äußere Einflüsse bestimmt (Natur und Lage des Waldbodens, klimatische Verhältnisse). Von her- vorragendem Einfluß ist das Klima des Landgebietes. Ein Vergleich zwischen den brasilianischen Küsten- gebieten und Westjava ergibt, daß zwar bezüglich der Temperatur keine allzugroßen Differenzen bestehen, daß hingegen die Regenmengen sehr verschieden sind. In Westjava ist die jährliche Regenmenge und damit auch der Feuchtigkeitsgehalt der Luft erheblich größer. Nach einer eingehenden Schilderung der Eindrücke, welche D. beim Besuch brasilianischer Urwälder empfangen hat , faßt er die für die Physio- gnomie dieser Gebiete charakteristischen Merkmale zu einem Gesamtbild zusammen. Der Waldrand stellt infolge der hier gegebenen Lichtfülle eine aus zahl- losen verschiedenen Gewächsen gebildete Wand dar, hinter welcher die Stämme der riesigen Urwaldbäume sich verbergen, während ihre durch Lianen und Epi- phyten überdeckten Kronen weit darüber hinausragen. Im Innern des Waldes herrscht Dämmerlicht, so daß nur eine ganz geringe Flora am Boden sich zu ent- wickeln vermag. Das tiefe Schweigen wird zuweilen durch fremdartige Vogelstimmen und das Herabfallen welker Blätter oder reifer Früchte unterbrochen. Die Urwaldstämme selbst zeigen die größten Verschieden- heiten in bezug auf Höhe, Umfang, Beschafienheit der Rinde und Krone sowie der Blatt- und Fruchtgebilde. Es ist daher die Meinung irrig, welche als Charakte- ristikum jedes Urwaldes ein dichtes Gestrüpp von Stauden und Sträuchern erblickt, die dem Vorwärts- kommen erhebliche Hindernisse bereiten. Detmer hebt als eine beachtenswerte Tatsache hervor, daß weder in den brasilianischen noch in javanischen Ur- wäldern eine so bedeutende Menge umgesunkener und in Zerstörung begriffener Baumriesen zu finden ist, als man glaubt. Die tropischen Urwälder stehen insofern in einem gewissen Gegensatz z. B. zu dem Kubaniurwald in Böhmen, in welchem ungeheuer große , modernde Baumstämme neben- und überein- ander gelagert das Vorwärtskommen erschweren, ein Umstand, der nach D. darin seine Erklärung findet, daß das Zusammenwirken verschiedener für die Ver- nichtung der umgesunkenen Stämme günstiger Fak- toren (höhere mittlere Jahrestemperatur, größerer Feuchtigkeitsgehalt und reichlichere Niederschlags- menge, zerstörende Wirkung der Termiten) im tropi- schen Urwald eine rapide Desorganisation des Pflanzen- materials herbeiführt, während solche Prozesse bei uns nur langsam verlaufen und während des Winters vielfach völlig zum Stillstand kommen. Dennoch gibt es eine Reihe von Hindernissen, welche bei einer Wanderung im tropischen Urwald zu überwinden sind, z. B. die vom Stamm vieler Bäume ausgehenden sogenannten Bretter- oder Tafel- wurzeln, die von den Baumkronen in großer Menge, oft in einer Länge von 30 m herabhängenden Nähr- wurzeln einer Philodendronart, die zahllosen winden- den Lianen mit dicken, verholzten Achsenorganen und rankende Gewächse, oder die in die Luft herab- hängenden Wurzeln der Epiphyten , die sich hoch oben in humusreichen Winkeln der Baumkronen an- gesiedelt haben. Im allgemeinen fehlt dem tropischen Urwald Brasiliens die ruhige Gleichmäßigkeit der Formen, die z. B. in unserem Buchenhochwald so wohltuend wirkt; der Gesamteindruck ist ein ernster, denn überall tritt uns die Macht des Todes und der unerbittliche Kampf um die Existenz, d. h. vor aflem um das Licht, entgegen. Die Urwälder W e s t j a v a s lernte der Verf an verschiedenen Orten kennen. Der Waldesrand bildet wie in Brasilien eine dichte, aus verschiedenen Pflan- zenformen zusammengesetzte Wand; der Waldbestand zeigt die mannigfaltigsten Formen, oft von ungeheuren Dimensionen (50 — 80 m Höhe, 3 — 4 m Umfang); dennoch hat I). den Eindruck gewonnen , daß die Bäume der javanischen Urwälder nicht nur in der Größe des Umfangs, sondern auch in der Entfaltung der Kronen und des Laubes hinter denen Brasiliens zurückstehen. Aus diesem Grunde sind die javani- schen Urwälder auch besser beleuchtet, und es kann sich eine um so reichere Unterholzvegetation entwickeln, deren F"ormenfülle und Schönheit Bewunderung her- vorrufen muß. Auffällig sind an den Unterholzgewächsen die bedeutende Entwicklung der Blattspreiten und der Träufelspitzen sowie wasserausscheidende Hyda- thoden, Merkmale der hygrophilen Vegetation. Be- sonders reich entwickelt sind die epiphytischen Ge- wächse, die auch die unteren Teile der Baumstämme bewohnen. Die Lianen sind meist durch Spreiz- und Hakenkletterer vertreten. Obgleich in den javanischen N. F. VI. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 127 Urwäldern blühende Gewächse in reicher Zahl vor- kommen, so herrscht doch im Gesamtbild die grüne Farbe des Laubes vor, während der brasilianische durch Farbenfülle und Pracht oft geradezu überrascht. Besonders interessant ist auf Java der vom Verf be- suchte Urwald auf der Insel Noesa-Kambangan. Auf Grund seiner Studien teilt Detmer die immer- grünen Urwälder der Tropen (um diese handelt es sich hier allein) in physiognomischer Beziehung in 2 typische Gruppen, die durch Übergänge verbunden sind: i. Geschlossene, wenig durchleuchtete Wälder mit geringer Unterholzvegetation, 2. Gut durchleuch- tete Wälder mit reichem Unterholz, die ersteren auf ebenem Terrain bei mäßigen Feuchtigkeitsmengen, die letzteren auf bergigem Gebiet unter dem Einfluß reichlicher Niederschlagsmengen und großer Luft- feuchtigkeit. Die physiognomischen Verschiedenheiten l beider Urwaldformen werden in erster Linie durch Terrainbeschaffenheit und Feuchtigkeitsverhältnisse be- stimmt. Von besonderem Interesse ist die Meinung des Verfassers über den Einfluß der Feuchtigkeits- verhähnisse auf die Entwicklung des gut durchleuch- teten Waldes und zwar mit Rücksicht auf die Aus- bildung der Stämme, der Lianen, der Kronen- und Laubentwicklung, des L^nterholzes , der Epiphyten. Die weniger mächtige Entwicklung der Stammgebilde im gut durchleuchteten tropischen Urwald erklärt Detmer z. B. so: „Wenn die Kronen der Bäume von sehr feuchter Luft umgeben sind, so ist die Transpi- rationsgröße der Pflanzen erheblich herabgemindert. Der Holzkörper des Stammes wird dadurch weniger als Wasserleitungsorgan in Anspruch genommen, und die dem Flüssigkeitstransport dienenden peripherischen Xylemteile brauchen deshalb keine so sehr mächtige Ausbildung zu erfahren. Trockenere Luft dürfte da- gegen, indem sie verdunstungsfördernd wirkt, die Ent- wicklung von Stämmen mit gewaltigem Durchmesser begünstigen, denn mit wachsendem LTmfang derselben nehmen, eben ihrer peripherischen Lage wegen, Aus- bildung sowie Leistungsfähigkeit der Wasserleitungs- bahnen zu. Es ist überdies daran zu denken , daß die Größe der Baumkronen die Ausgestaltung der Stämme noch weiter deshalb k orrelativ beeinflussen könnte, weil die an die letzteren gestellten mechani- schen Anforderungen (Tragvermögen) bei verschiede- ner Belastung nicht die gleichen sind." Die geringere Laub- und Kronenentwicklung der Bäume im gut durchleuchteten Wald dürfte nach D. wohl in erster Linie darauf zurückzuführen sein, daß die Blätter ihre Spaltöftnungen nur selten schließen und daher bei Beleuchtung fortdauernd assimilatorisch tätig sein können. Wenn hygrophile Kräuter und Stauden des gut durchleuchteten Waldes reichliche Laubentwick- lung erkennen lassen , so hängt dies nicht nur mit der erheblich größeren Luftfeuchtigkeit, sondern auch mit der geringeren Beleuchtung zusammen. Im übrigen sei auf das Werk selbst verwiesen, das außer der Darstellung der Physiognomie der Ur- wälder Abhandlungen über Java im allgemeinen und über tropische Kulturgewächse, sowie pflanzenphysio- logische Beobachtungen über Transpiration und Stärke- und Zuckerblätter enthält. Wir gedenken in einem besonderen Referat auch auf den übrigen Inhalt, na" mentlich auf die pflanzenphysiologischen Studien Detmer's einzugehen. Jena. F. Schleichert. Literatur. Autenrieth, Prof. Dr. W. : Qualitative chemische Analyse. Ein Leitfaden zum Gebrauche in ehem. Laboratorien. 2., völlig umgearb. Aufl. (XU, 227 S. m. 9 Abbildungen und I Taf.) gr. 8°. Tübingen '07, J. C. B. Mohr. — 5 Mk.; geb. 6 Mk. Detmer, Prof. Dr. W. : Botanische und landwirtschaftliche Studien auf Java. (124 S. m. I Taf.) gr. 8°. Jena '07, G. Fischer. — 2,50 Mk. ; geb. 3,50 Mk. Magnus, Prof, Rud.: Goethe als Naturforscher. Vorlesungen. (Vlll, 336 S. m. Abbildungen u. 8 Taf.) 8». Leipzig '06, J. A. Barth. — Geb. in Leinw. 7 Mk. Miehe, Priv.-Doz. Dr. Hugo: Die Selbsterhitzung des Heus. Eine biolog. Studie. (V, 127 S.) Lex. 8". Jena '07, G. Fischer. — 3,50 Mk. Schubert, Prof. Dr. Herrn. : Mathematische Mußestunden. Eine Sammlung v. Geduldspielen, Kunststücken u. Unterhaltungs- aufgaben mathemat. Natur. Große Ausg. 3. Aufl. i. Bd. Zahl-Probleme. (Vlll, 200 S.) kl. S". Leipzig '07, G. J. Göschen. — Geb. in Leinw. 4 Mk. Ueberweg, Frdr. : Grundriß der Geschichte der Philosophie. 3. Tl. Die Neuzeit bis zum Ende des 18. Jahrh. 10., ra. e. Philosophen- u. Literatoren- Register verseh. Aufl., bearb. u. hrsg. V. Prof. D. Dr. Max Heinze. (Vlll, 442 S.| gr. 8". Berlin '07, E. S. Mittler & Sohn. — 7,^0 Mk. ; geb. in Halbldr. 9 Mk. Wagner, Priv.-Doz. Dr. Adf. ; Streifzüge durch d. Forschungs- gebiet der modernen Pflanzenkunde. 3 Vorträge. (V, 93 S.) gr. 8". München '07, E. Reinhardt. — 1,50 Mk. Weinschenk, Prof. Dr. Ernst: Grundzüge der Gesteinskunde. 1. Tl. : Allgemeine Gesteinskunde als Grundlage der Geo- logie. 2., umgearb. Aufl. (Vlll, 228 S. m. 100 Fig. und 6 Taf.) gr. 8». Freiburg i. B. '06, Herder. — 5,40 Mk. ; geb. in Leinw. 6 Mk. Briefkasten. Herrn Dr. M., Heidelberg. — Das populäre Werk über die englische Südpolarexpedition iührt den Titel : Robert F. Scott, The Voyage of the ,, Discovery", und ist im Jahre 1905 in zwei umfangreichen und reich ausgestatteten Bänden in London erschienen, .^, R, Herrn S. E. in Wien. — Die Weismann'sche Keim- plasmatheorie finden Sie kürzer als in der Originalabhand- lung, die unter dem Titel ,,Die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage einer Theorie der Vererbung" bei Gustav Fischer in Jena (1885) erschien, in: A. Weismann, ,, Vor- träge über Deszendenztheorie" 2. Aufl. Bd. i, Jena 1904. S. 282 — 340 dargestellt. Dahl. Herrn C. K, in Basel. — Auf die theoretischen Betrach- tungen W, Ostwald's über die räumliche und zeitliche Verbreitung des Planktons (Naturw, VVochenschr, N, F, Bd, 2, S. 481 ff,) ist, soweit ich sehe, nur H. Lohmann ein- gegangen in seiner Arbeit: ,,Neue Untersuchungen über den Reichtum des Meeres an Plankton" (in : Wissensch. Meeres- untersuchungen Abt. Kiel, N. F. Bd. 7 S. 8 1 f.), L o h m a n n weist darauf hin, daß diese Theorie sich mit vielen Tatsachen der Be- obachtung nicht vereinigen läßt. So läßt sich z. B. das zweimalige Maximum des Planktons im Laufe eines Jahres (im Herbste und im Frühling) durch Diffusionsströme nicht erklären. Von einem Herabsteigen der Planktonorganismen auf den Meeresboden kann im Ozean gar nicht die Rede sein. Früher hatte man allgemein die Ostwald'sche Vorstellung von dem jährlichen Auf- und Absteigen der Planktonorganismen. In dem Worte ,, .Auftrieb" kommt die Vorstellung zum Ausdruck. 128 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 8 Hensen hat zuerst gezeigt, daß dieselbe unzutreffend ist und hat deshalb für das Wort „Auftrieb" das Wort „Plankton" eingeführt. — Viele Autoren haben offenbar auch heute noch keine richtige Vorstellung davon, wie lange ein kleines Plankton- tier oder gar ein mikroskopisches Pflänzchen, dessen Gewicht etwa dem des Meerwassers gleicht, gebrauchen würde, um in einem etwa 5000 m tiefen Ozean an den Boden zu gelangen. So linden wir noch in einer neueren groflen .Arbeit über Ostracoden die Ansicht vertreten, daß die freischwimmend an der Oberfläche des Ozeans gefangenen Ostracoden vielleicht aus der Tiefe aufgestiegen sind. Der Autor nimmt dies an, weil er beobachtete, daß diese Ostracoden im Aquarium von Zeit zu Zeit an den Boden gehen, um sich auszurulien. Dahl. Herrn Oberlehrer M. K. in Frankenberg i. S. — Sie fragen ob es Coelenteraten gebe , die nicht intracellular verdauen, sondern trotz der Erfüllung ihres Körperhohlraumes mit Meerwasser, Verdauungssäfte ausscheiden. In seiner Arbeit „Versuche zur Biologie von Hydra" (in ; Arch. f. Ent- wicklungsmechanik, Bd. 22, 1906, S. 41) sagt J. Hadzi: „Nach Green wood, was ich durch eigene Beobachtung nur bestätigen kann, verdauen die Hydren nicht ganz intracellular, wie das früher allgemein angenommen wurde {Metschni- koff für Coelenteraten; siehe auch Krukenberg, Cha- peaux). Nach einer Vorverdauung im Gastralraum (Eiweiß- zellen) werden die N'ahrungspartikelchen mittels Pseudopodien von den Nährzellen eingenommen und verdaut". Dahl. Herrn Dr. K. in Pforta. — Das einzige sichere Mittel, eine Vogelsammlung dauernd vor Motten zu schützen, ist ein gründliches Vergiften der befallenen Stücke mit Arsenik. Über das Neuausstopfen alter ausgestopfter Viigel gibt P. L. Mar- tin (Die Praxis der Naturgeschichte, 4. Aufl., Bd. I, Weimar 1898, S. 119) eine geeignete Anleitung. Dalil. Herrn M. B. in Leipzig. — Frage i : Einen guten far- bigen Atlas, welcher Vertreter aller Tiergruppen bringt, kenne ich nicht. Frage 2 ; Literatur über die Biologie in der Schule finden Sie auf S. 47 und 48 des gegenwärtigen Jahrg.anges dieser Zeitschrift. Dahl. Herrn stud. rer. nat. A. W. in Bonn a. Rh. — Das ein- zige größere, neuere Werk über Hymenopteren, das neben der Systematik auch auf die Lebensweise eingeht und sich auf alle Familien der Ordnung erstreckt, soweit sie in Europa vorkommen, ist: E. Andre, Species des Hymenojiteres d'Eu- rope et d'Algererie, Beaune, Gray et Paris 1882 ff. — Das- selbe ist allerdings noch nicht ganz vollendet. — Wollen Sie Eingehenderes speziell über die Lebensweise haben, so müssen Sie schon Spezialwerke über einzelne Gruppen zur Hand nehmen. Dahl. Herrn stud. med. E. W. in Budapest. — Frage i : Sie haben in bezug auf den ersten Teil ihrer Frage Recht : Die unmittel- bare Quelle aller Energie im lebenden Tiere ist die che- mische Umsetzung. J. Rosenthal sagt in seinem ..Lehr- buch der allgemeinen Physiologie" (Leipzig 1901), in welchem er die von Ihnen gestellten Fragen berührt l'S. .437): ,,Wir können uns also überzeugt halten, daß alle im Tierkörper frei werdende kinetische Energie aus der chemischen Verwandt- schaft der verbrannten Stoffe zum Sauerstoff stammt oder mit anderen Worten, daß sie durch Umwandlung der in der che- mischen Verwandtschaft jener Stoffe zum Sauerstoff gegebenen potentiellen Energie in kinetische gewonnen wird." Das End- produkt ist in vielen Fällen die Kohlensäure (COj) , die wir ausatmen , aber keineswegs in allen Fällen. So ist der im Harn enthaltene Harnstolf ,,das wesentliche Endprodukt der Oxydation stickstoffhaltiger Substanzen". (L. Hermann, Lehrbuch der Physiologie 13. .Aufl., Berlin 1905, S. 96.) Viel- fach treten auch Zwischenstufen der Oxydation auf und bei jeder weiteren Oxydation wird wieder kinetische Energie frei. Gerade bei der Muskeltätigkeit, die Sie als erstes Beispiel nennen, entsteht nicht sofort CO.,, sondern zunächst Fleisch- milchsäure (Rosenthal a. a. O. S. 481). — Sie dürfen sich den Vorgang im Muskel allerdings nicht so vorstellen, daß erst Wärme entsteht und diese sich dann in molare Bewegung umsetzt, wie etwa in einer Dampfmaschine. Die kinetische Energie äußert sich vielmehr einerseits als Wärme und ande- rerseits als Kontraktion. Es handelt sich also um zwei ver- schiedene Formen der Bewegung, die gleichzeitig auftreten. — Ihr zweites Beispiel, daß die Energie im Gehirn ,,ein Ge- danke wird", ist zum mindesten unrichtig ausgedrückt. Was ein Gedanke ist, darüber weiß die Physiologie noch gar nichts. Rosen thal sagt (a. a. O. S. 464): „Eine erhebliche Schwierigkeit erwächst der naturwissenschaftlichen Betrachtung der Lebensvorgänge aus den psychischen Prozessen Wenn Lichtstrahlen, die in unser Auge fallen, neben ihren anderen physiologischen Wirkungen auch die Empfindung der Helligkeit mit allen den aus ihr sich ergebenden Folgen, dem bewußten Sehen, der Wahrnehmung von Objekten usw. hervorrufen, so kann man, ohne der Sprache Zwang anzutun, nicht bestreiten, daß diese Vorgänge auch Leistungen des Organismus sind. Dennoch sind wir nicht imstande, sie in eine der uns bekannten Energieformen einzureihen, für welche das Gesetz von der Erhaltung der Energie gilt. Bei ihrem Entstehen wird keine irgend wie meßbare Energie verbraucht, sie stellen auch keine meßbare Menge kinetischer Energie dar, welche in irgendwelcher .Art auf Materie oder -Äther einwirken und diese in Bewegung setzen könnte (Und weiter S. 522). .Auch diese (nämlich die Vorgänge der Erregung in den Nerven- zellen) können wie physikalische und chemische Prozesse über- haupt, als Fälle von Molekularbewegung aufgefaßt werden. Sobald wir aber von den Erregungen der Nervenzellen zu den E m p f i n - düngen und den aus ihnen sichergebenden Folgen, den Er- scheinungen des Bewußtseins, der Vorstellungen , kurz ausge- drückt zur Betrachtung der sogenannten psychischen Vorgänge übergehen, läßt uns jene Anschauungsweise im Stich. . . Alle Erfahrungen geben uns keinen Aufschluß darüber, wie die Molekularbewegungen in den Nervenzellen den Charakter eines psychischen Vorgangs annehmen." — Ich verweise Sie in die- ser Frage des Weiteren auf einen durchaus naturwissenschaft- lich denkenden Psychologen, auf H. Spencer (Die Prinzipien der Psychologie Bd. I, Stuttgart 1882, S. 151 — 169). Frage 2 : Ihr Satz, daß die Energie des tierischen Or- ganismus indirekt (d. h. durch Vermittlung der Pflanzen) aus der Sonnenenergie stamme, ist richtig. Sie finden -Aus- führlicheres über diesen Punkt in dem schon genannten Rosen thal' sehen Buche (S. 457 ff.). Demnach läßt sich auch Ihr Ausdruck, daß die lebende Materie die Sonnen- energie in Lebenstätigkeit umbildet, rechtfertigen. Ich würde allerdings lieber sagen, daß die Sonnenenergie sich in der lebenden Materie in Lebenstätigkeit umsetzt. Frage 3 ; Das kleinste Lehrbuch der Zoologie , welches ich einem Studierenden empfehlen möchte, ist R. Hertwig, ,, Lehrbuch der Zoologie". Da das Buch auf vergleichend- anatomischer Basis steht, kann dasselbe auch eine kleine vergleichende Anatomie ersetzen. -Als kurzes Lehrbuch der vergleichenden Anatomie, das sich allerdings nur auf die Wirbeltiere erstreckt, kann ich Ihnen die soeben erschienene ,, Einführung in die vergleichende Anatomie der Wirbeltiere" von R. Wiedersheim (Jena 1907) empfehlen. Frage 4: Lehrbücher der physiologischen Chemie sind in der Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 3, S. 1008, genannt. Die botanische Frage wird an anderer Stelle beantwortet werden. Dahl. Inhalt: H. Potonie: Historisches zur Frage nach der Genesis der Steinkohle. — L. Di eis: Das Verhältnis von vege- tativer Entwicklung und generativer Reife im Pflanzenreich. — Kleinere Mitteilungen: Dr. W. Seh all mey er : Das Verhältnis der Individual- und Sozialhygiene zu den Zielen der generativen Hygiene. — Prof. H. Spemann: Über embryonale Transplantation. — Harro Magnussen: Beweis für einen merkwürdig ausgebildeten Ortssinn bei Enten. — Hans Steffen: Erdbeben in Mittelchile. — J. Zenneck: Verfahren zur Photographie von Wärmestrahlen. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Himmelserscheinungen im März 1907. — Bücherbesprechungen: Dr. A. Braß: Ernst Haeckel als Biologe und die Wahrheit. — Dr. Richard Hertwig: Lehrbuch der Zoologie. — Dr. W. Detmer: Botanische und landwirtschaftliche Studien auf Java. — Litteratur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofl-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neae Folge Tl. Band; der ganzen Reibe XXll. Band. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen = und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der \ß Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Nr. 9. Inserate: Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei gröfieren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. Die Glasschwämme (Mexactinellida) der deutschen Tiefsee-Expedition. [Nachdruck verboten.] Ein Referat von Sieben Jahre sind verflossen, seit die „Valdivia" zurückkehrend von einer neunmonatlichen For- schungsreise im atlantischen Ozean, südlichen Eis- meer und im tropischen indischen Ozeanreich, be- laden mit wissenschaftlichen Schätzen, in den Hafen von Hamburg einlief Diese Fahrt unter der Leitung des ausgezeichneten Zoologen, Professor C h u n in Leipzig, bedeutet hinsichtlich ihrer Ergebnisse ein bleibendes Ereignis für die Wissenschaft. Während sich jedoch die reichen Erfolge in bezug auf die geogra- phischen und ozeanographischen Verhältnisse schon längst voll würdigen lassen, harrt das ungeheure zoo- logische Material, das nach vielen Tausenden von Organismen zählt, zum großen Teil noch der Be- arbeitungdurch die speziellen Fachgelehrten. Freilich ist auch hier schon erfolgreiche Arbeit geleistet und zahlreiche stattliche Bände der ,, Wissenschaft- lichen Ergebnisse der Deutschen Tiefsee- Expedi- tion" geben davon Kunde. Heute soll uns hier der vierte Band der Sammlung beschäftigen, der die Glasschwämme [Hexactmcllida) behandelt, die von dem ausgezeichneten Schwammforscher Franz Eilhard Schulze bearbeitet wurden. Schon lange Zeit haben die Schwämme wegen der prächtigen Formen, in denen uns ihre zahl- reichen Vertreter entgegentreten, in gleicher Weise Dr. C. Thesing. das Interesse von Fachleuten und Laien auf sich gelenkt. Die Palme der Schönheit unter ihnen muß ohne Frage den Glasschwämmen zuge- sprochen werden, die wegen der Zierlichkeit und Mannigfaltigkeit ihres Körperbaues vielleicht über- haupt zu den herrlichsten Bewohnern der Tiefsee geliören. Die Glasschwämme gehören zu der arten- reichen Ordnung der Kieselschwämme, ihr Ske- lett besteht also aus Kieselsäure. Den Namen Hexactinelliden wiederum verdanken die Tiere dem Umstände , daß die einzelnen Teile ihres Skelettes einfache Sechsstrahler (Hexakt ine) dar- stellen oder daß sich wenigstens ihre vielgestaltigen Nadelformen leicht auf solche zurückführen lassen (vgl. Fig. i), während der deutsche Name „Glas- schwämme" auf das ungemein zierliche, durch- sichtige Aussehen vieler Arten hinzielt, die eher wie künstlerisch ausgeführte venezianische Kristall- arbeiten , gesponnen aus feinsten Glasfäden , als wie Tiere anmuten (vgl. Fig. 2, Euplcctclla aspcr- gi/liini). Andere wieder haben die Form antiker Mischkrüge oder flacher Schöpfkellen etc. Die Hexactinelliden sind vorzugsweise Bewohner der mittleren und größten Meerestiefen. Die meisten Arten der „Valdivia-Expedition" wurden aus Tiefen i3o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 9 y \\ ■^ t -«-* \ Fig. I a — n. Verschiedene Nadelformen von Glasschwämmen. a nyalonema rapa; b, c, d llolasnis temiis; e, f, g Caulophacua vulilivinc ; h riacopegiim solulum; i Euplcctdla nohilis; k IJolascus tenuis ; 1 EupUctella snberea ; m Pheronema raphanus ; n Hyalonema globifemm. N. F. VI. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 131 zwischen 500 und 2000 m heraufgeholt, aber auch selbst in Tiefen von fast 5000 m wurden noch ver- schiedene Arten, z. B. Holasciis Uiiia's und obcsits, sowie Caulo/i/uniis valdiviae gefunden. Anderer- seits wurden aber auch in Tiefen von wenig über 100 m Glasschwänime gefischt. Was die horizontale Verbreitung der Hexactinelliden anlangte, so wurden einige, bereits durch frühere Expeditionen bekannte Arten nordwestlich von Schottland aufgefunden; eine reichliche Ausbeute auch neuer Arten bot die Gegend zwischen den Kanarischen und Kap Verdi- schen Inseln. Dann fand man südöstlich vom Kap der guten Hoffnung in geringen Meerestiefen von etwa 100 m eine noch unbekannte Form, während man in der Nähe des Enderby-Landes aus einem Schlünde von fast 5000 m die beiden bereits vorher erwähnten Repräsentanten zweier noch unbekannter Gattungen, nämlich Holasciis und Caulopliacus heraufbeförderte. Der ganze weite Weg durch den südlichen Teil des indischen Ozeans lieferte nur eine sehr geringe Ausbeute an Glas- schwämmen, und zwar lediglich bekannte Arten. Dagegen brachten dann die Züge an der West- küste von Sumatra und in der Umgegend der Nikobaren eine überaus reiche und mannigfaltige Ausbeute. Dann traf man erst wieder in der Nähe der Ostküste Afrikas in der Gegend von Sansibar bis nach Ras Hafun hinauf auf größere Mengen Glasschwämme. Viele der sonst berührten Punkte konnten keine Hexactinelliden liefern, da nur in geringen Tiefen gefischt wurde, und nach den bis- herigen Erfahrungen Glasschwämme in geringe- ren Wassertiefen als 100 m nur ganz vereinzelt gefunden werden. Bemerkenswert und auffällig ist es jedoch, daß all die zahlreichen Grundfänge, welche längs der Westküste Afrikas von Kamerun bis herab zum Kap der guten Hoffnung und weiterhin an den genannten Plätzen des indischen Ozeans ausgeführt wurden, ergebnislos verliefen. Näher an dieser Stelle auf die geographische Verbreitung einzugehen würde zu weit führen, über- dies geben ja solche, wenn man die großen Flächen in Betracht zieht, immerhin nur recht sporadisch ausgeführten Grundfänge, deren Ergebnis noch obendrein sehr vom Zufalle abhängig ist, doch kein objektives Bild von der wirklichen Verbreitung und dem Reichtume resp. der Armut der einzelnen Gegenden an Glasschwämmen. Eine spätere Ex- pedition kann da leicht zu ganz abweichenden Resultaten gelangen. Auf die systematischen Ver- hältnisse wollen wir hier nicht näher eingehen, ebenfalls verzichten wir auf eine Beschreibung und ein Durchsprechen der einzelnen Arten, vielmehr wenden wir uns gleich dem interessantesten Teile der Morphologie zu. Nur einige ganz allgemeine systematische Gesichtspunkte seien vorher kurz gestreift. Nach den Untersuchungen F. E. Schulze 's bleibt auch fernerhin der bisher allgemein ange- nommene Fundamentalcharakter der gesamten Hexactinelliden-Ordnung bestehen, „da überall der dreiachsige Grundtypus der Skeletteile und der eigenartige Bau des VVeichkörpers ausreichend deutlich hervortritt". Auch nicht einmal bei der Durchsicht des gesamten von der Valdivia heim- gebrachten Spongienmaterials konnte ein ernstlicher Zweifel entstehen, „ob ein Stück zu den Hexacti- nelliden gehöre oder nicht. So scharf und klar Fig. 2. a Euplectüla aapergillum. R. Owen. Junges Exemplar. Nat. Größe. b Kuplectella aspergülum. R. Owen. Noch nicht ausgewachsenes Exemplar. Nat. Größe, c Untere Hälfte eines ganz ausmacerierten Skelettes von einer aus- gewachsenen Euplectell'j (? simjilex F. E. Seh.) Mehr als auf die Hälfte verkleinert. grenzt sich diese Gruppe von allen übrigen ab". Dagegen hat auch diese neuerliche Untersuchung an diesem umfangreichen Material bestätigt, daß die alte Einteilung der Hexactinelliden in Lyssa- cina und Dictyonina, wie sie zuerst von Zittel aufgestellt worden ist, nicht aufrecht erhalten wer- den kann. Wohl aber hat sich die von F. E. 132 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 9 Schulze schon vor längerer Zeit vorgeschlagene Sonderung in die beiden Unterordnungen der Hcx- asterophora einerseits und der Avipliidiscopliora auf der anderen Seite durchaus bewährt. Als wichtigstes Charakteristikum der AmpIiidiscopJioren ist der nur ihnen zukommende Besitz eigentüm- licher doppelklammerähnlicher Nadeln, der soge- nannten Amphidiske (vgl. Fig. 3), zu nennen. Von dem Formenreichtum solcher Amphidiske bei Beibehaltung des gleichen Grundplanes gibt 9- Familie: Euplectellidae Ijima; „ : Caulopliacidac \ „ : Leucopsacidae Ijima; „ : RosseUidae\ „ : Euretidae Z i 1 1 e 1 ; ,, : Coscinoporidae Z i 1 1 e 1 ; ,, : AphrocalUstidae\ „ : Tretocalycidae F. E. Seh. (früher Tretodictyidae F. E. Seh.); „ : Dactylocalycidae Ijima; Fig. 3 a— fD- Verschiedene Formen von Amphidisken. a, ( Uyalonema lliumsoiüs ; b, g, i Moiwraphü cJinni; c, d Hyalunema globifermn; e Pheronema raplianus; h Ihjalonema calix; k, 1, m 3Ionoraphis dives. unsere Abbildung ein kleines Bild. Bei den Hexastcropliora - Arten wird hingegen , trotz der sonst vorhandenen großen Abweichungen im Bau, nie das Vorkommen der für diese Gruppe typischen Nadel form, des Hexasters, vermißt. Die Hexasterophoren zerfallen in folgende zehn Familien : 10. Familie: Aulocystidae F. E. Seh. Die andere Unterordnung der Amphidisco - phora zerlegt F. E. Schulze in die beiden Ab- teilungen : 1. Familie: Hyalonemalidae F. E. Seh.; 2. „ : Scmperellidae „ ,, „ Und nun nach dieser kurzen systematischen N. F. VI. Nr. 9 Naturwisseiiscliaftlichc Wochenschrift. 133 Abschweifung zu dem eigentlichen Tiiema, der IVlorphologie der X'aldiviaHexactineliiden ! Während wir bisher reclit sprunghaft vorgegangen sind, wollen wir uns im folgenden in den wesentlichsten Zügen dem Gange der Arbeit anschließen. nung an dem freien Ende. Durch Auswachsen - dieses Sackes in der l.äng.srichtung entstehen For- men von Schlauch- oder Röhrenform. Bei manchen kommt es dann noch zu einem terminalen Ab- schlüsse des Okularendes durch eine Siebplatte, Fig. 4. Ilühiscus tcnuis I*. E. Seh. Ganzer Schwamm in natürlicher Größe. Mit dem Trawl nordöstlich von Enderby - Land in 4636 ni Tiefe auf blauem Tongrund erbeutet. Fig. 5 a. Enplectelhi suterea Wyv. Th. Süd- westlich von Bojador erbeutet ('/ü nat. Gr.) b Reyadrella sp. (? phoenix O. Schm.) unterer Teil eines völlig ausmacerierten Skelettes. (Y-, natürl. Größe.) Was zuerst die Körpergestalt der Hexactinel- liden anbelangt, so ist dieselbe, trotz der großen prinzipiellen Übereinstimmung im Bau der ganzen Klasse, dennoch eine äußerst abwechslungsreiche und vielgestaltige. Die Grundform ist ein ein- facher, dünnwandiger Sack mit kreisförmiger Off- wie es uns bei Euplcctclla, Holascus&ic. entgegentritt. Weitere Komplikationen kommen dann dadurch zustande, daß in der Seitenwand — so finden wir es bei Euplectella, Regadrella und verschiedenen anderen Arten (Fig. 5) — mehr oder weniger regelmäßig angeordnete Lücken auftreten. Es 134 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 9 kommt dadurch zur Entstehung sehr zierhcher Ge- bilde von Tonnen- oder Füllliornähnlicher Gestalt. .'\ls Vertreter eines anderen Typus mag Aitloplax dienen (Fig. 6). Hier haben wir eine enge, stark verlängerte Röhre vor uns, welche sich vielfach dichotomisch verzweigt. Gleichzeitig sind zwischen den einzelnen Zweigstücken seitliche anastomo- tische Verbindungen zur Ausbildung gelangt, so daß ein kompliziertes Röhrengeflecht entstanden ist. Bisweilen kann es dann noch zur .Ausbildung einer äußeren Hüllkapsel kommen, wodurch das ganze Gebilde einen mehr einheitlichen Eindruck erweckt. Eine weitere Gestaltsveränderung kommt auch häufig dadurch zustande, daß die Körperwand des Schwammes infolge einer mehr oder weniger starken Fältelung der Kragcngeißelkammern eine weit- gehende Verdickung erfährt. Es entstehen dadurch dickwandige Kelchformen, wie man solche be- sonders in den Familien der Rosseliden, Leucopsa- ciden und Hyalonematiden antrifft. An dem im Boden festwurzelnden Ende können diese Kelche zuweilen in einen oder mehrere basalschopftragende Zipfel auslaufen. Ein gut erhaltenes Exemplar von CJiaunangiwn crater (Fig. 7) zeigt diese Verhältnisse mit großer Klarheit. Das Exemplar, nach welchem diese vorzügliche Abbildung hergestellt wurde, entstammt dem Sombrerokanal der Nikobaren. Es ist ein Schwamm von etwa 18 cm im Durch- messer bei 9 cm Höhe. Der eigentliche Schwamm- körper ruht als ein weites flaches Becken mit dünnem, scharf kantigem Rande auf etwa acht Füßen. Fil ;. 6. Aidoiilax anricidaris F. E. Seh. Ein mit dem Weich- körper in SpiriUis konserviertes Stück. X;itürl. (Iröße. •">t?-J , * ',. %\ ■ . ' - je" ' 'Hfl lA'XiVm-^" .'/" im\j\ Fig. 7. Cluiunangium crater F. E. Seh. (janzes Exemplar. ■'/- natürl. Größe. N. F. VI. Nr. 0 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 1.^5 Seine Gestalt erinnert am ehesten ^ worauf ja auch der Name „erat er" hindeutet — an einen antiken Mischkrug. Doch es würde viel zu weit führen, wollten wir noch auf all die sonstigen Formenmöglichkeiten eingehen, in denen uns die Hexactinelliden entgegentreten. Im Verlaufe der Besprechung werden wir ohnedies noch verschie- dene andere \'ertreter der Glasschwämme kennen lernen. Was nun die Größenverhältnisse der Hexacti- nelliden anbetrift't, so läßt sich da als allgemeine Regel nur angeben, daß, so weit man nach den bisher vorliegenden Untersuchungen ein Urteil fällen kann, die Größe der einzelnen Arten im großen und ganzen, abgesehen von verhältnismäßig geringen Schwankungen, ziemlich konstant bleibt. So fand F. E. Schulze z. B. unter den zahlreichen von ihm untersuchten Exemplaren von Eitplcctella aspergillmn kein einziges ausgewachsenes Tier, das „erheblich über Fußgröße hinausgegangen wäre". Bei Phcroncnia raplianus schwankten die Größen- verhältnisse in den Grenzen von lo bis 20 cm und von den zahllosen Repräsentanten von Syiiipagel/a imx war keines in seinem Körper größer als eine Kirsche. Freilich gibt es von dieser Regel auch ganz erhebliche Ausnahmen, so erreichten einige von den Nikobaren stammende Exemplare von Seinperclla cucumis einen Durch- messer von 18 cm, während die bisher bekannten Exemplare dieser Art nur etwa 8 cm breit waren (F"ig. 8). Einer der erstaunlichsten Funde der gesam- ten ValdiviaExpedition war aber ohne Zweifel eine mächtige Pfahlnadel einer Monor/iaphis-hri. Trotz- dem die Nadel nicht vollständig erhalten ist, be- sitzt sie dennoch eine Länge von i*., m. Der größte Durchmesser beträgt ungefähr 4,5 mm. Mit Recht erregten diese Dimensionen in der gesamten Zoologenwelt das größte Aufsehen und diese Pfahl- nadel wanderte sogar auf die Weltausstellung von St. Louis und wurde hier allgemein bewundert. Dabei scheint die Monorliapliis, von der diese Nadel stammt, noch gar nicht einmal eine der größten ihres Geschlechts gewesen zu sein. Es wurde an einer anderen Stelle das Bruchstück einer jl/ö/w;-/;«///« Pfahlnadel heraufgeholt, welches nicht weniger als 8,5 mm im Durchmesser betrug, also die Dicke eines mittleren Spazierstockes besaß. Man muß hiernach annehmen, daß die unverletzte Nadel eine Länge von reichlich 3 m besessen haben mag (vgl. Fig. 9). Danach kann man annehmen, daß der dazu gehörige Weichkörper, der Schwamm selbst, wohl mehr als Meterlänge gemessen hat, Dimensionen von denen man vorher nichts ahnte. Maß doch die größte Hexactinellide der berühmten und er- folgreichen ,,Challenger - Expedition", Poliopogon gigas, nur etwa 50 cm. Doch es dürfte von Interesse sein etwas näher auf Struktur und Entstehung der Pfahlnadeln ein- zugehen. Wie man aus der schematisierten Ab- bildung Fig. 9 einer MonorhapJiis chuni deutlich ersieht, durchzieht die riesige Pfahlnadel der ganzen Fig. 8. SeMiperella cucumis F. E. Seh. südwestlich von den Nikobaren in 362 m Tiefe gefunden. '/, natürl. (Jröße. ■36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 9 Länge nach den VVeichkörper des Schvvammes und ragt an dem unteren Ende noch weit aus iiim her- vor. Die I-'unktion dieser Stabnadel ist offenbar eine zwiefache. Zuerst gibt sie dem Weichkörper in sich selbst einen festen Halt, dann aber dient sie noch als ein sicheres Befestigungsmittel im Sande des Meeresgrundes. Die Lage der Nadel ♦ » im Schwammkörper ist keine zentrale, sondern sie läuft hart längs der einen Seitenkante, welche sich von der übrigen Körperoberfläche durch eigentüm- liche periodisch wiederkehrende Nischenbildungen auszeichnet, und die daher von F. E. Schulze treffend als „Nischenkante" bezeichnet wird. Allem Anscheinenach müssen diese eigentümlichen Nischen als modifizierte große Osku la r öf f n u n ge n an- gesprochen werden, welche in ähnlicher Weise von Siebplatten überdeckt werden, wie man es auch bei manchen anderen Schwämmen, z. B. Scinperella etc., findet. Auch auf diese Verhältnisse wird an anderer Stelle noch näher einzugehen sein. Was nun zunächst die Pfahlnadel selbst anbelangt, so zeigt es sich auf Querschnitten, daß dieselben, an .S. / • • Fig. 10. Unterende eines l',i:,;iliii Ankers von Vheronema. rfqiltanns F. E. Seil. \'cigr. 200 : I. I -f Fig. 9. Schematisierte Abbildung von Monoraphis clmni !•'. F. Seh. (in starker Verkleinerung I : 6.) Fig. 1 1 a — e. Folgereihe von Abschnitten einer ganz jungen Pfalilnadel von }[onoraphis i-liuni F. E. Seh. Vergr. 60 : I. N. F. VI. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 137 welcher Stelle sie auch geführt werden, immer nahezu Kreisform besitzen. Den größten Durch- messer besitzt die Pfahlnadel in ihrem mittleren Teile, während sie sich nach den beiden Enden zu allmählich verjüngt. Bisweilen zeigen diese Nadeln eine leichte, gleichmäßige Biegung, andere wiederum erscheinen vollständig gerade. Leider ist es nicht gelungen, einer unverletzt erhaltenen Pfahlnadel habhaft zu werden, so daß sich über den Verlauf des oberen und namentlich des unteren freien Endes nichts Sicheres ausmachen läßt. Es ist jedoch anzunehmen, daß das obere Ende ein- fach spitz oder mit leichter Abrundung abschließt. Über die Gestalt des unteren Teiles läßt sich kaum eine Vermutung äußern. Es ist ebensogut mög- lich, daß es ebenfalls in eine einfache Spitze aus- läuft, wie daß hier in Übereinstimmung mit den nach abwärts zu eine erheblich breitere Quer- riffelzone an. Über die Breite derselben lassen sich keine genauen Angaben machen, weil an allen vorhandenen Bruchstücken von Pfahlnadcln stets der unterste Teil fehlte. Allem Anscheine nach umfaßt die Querriffelzone jedoch einen recht bedeutenden Teil der Nadellänge. An trockenen Nadeln erkennt man sowohl Höcker- wie Riffelzone an der Un- durchsichtigkeit und Rauhigkeit der Rindenschicht schon mit unbewaffnetem Auge. In ihrer inneren Struktur und chemischen Zusammensetzung stim- men die Pfahlnadeln im großen und ganzen mit den stärkeren Nadeln der übrigen Hexactinelliden überein und da wir weiterhin doch noch auf den Bau und die Zusammensetzung der Nadeln ausführ- lich zu sprechen kommen müssen, so sei hier von einer Beschreibung abgesehen. Erwähnt sei nur noch , daß gleich den übrigen Schwammnadeln auch die Pfahlnadeln im allgemeinen ein farbloses, wasserklares Aussehen haben, das nur manchmal eine opalartige Trübung aufweist. In der unmittelbaren Umgebung der Pfahlnadel verdichtet^sich das sonst nur als Stützgerüst der Kammern dienende „Trabekelwerk" zu einer die Nadel engumschließenden ziemlich festen Hülle, Fi^. 12. Monorajthis i'huni : Bruchstück mit längsgespaltener Nadel- scheide der Pfahlnadel. Nat. Größe. Fig. 13. Monoraphis chuiii : Abgelöstes Netz der faserigen Nadelscheide einer groUen l'lahlnadel. Vergr. 300 : i. Basal ia anderer Amphidiscophoren eine Anker- bildung zur Ausgestaltung gelangt wäre (Fig. 10). Die Oberfläche der Nadel ist in ihrem oberen sich allmählich verschmälernden Teile, welcher bis auf die vielleicht frei hervorragende Endspitze voll- ständig von dem Weichkörper umkleidet wird, von glatter Beschaffenheit. Anders dagegen ver- hält sich die Nadel in ihrem mittleren, am stärksten verdickten Teile, der ebenfalls noch im Schwamm- körper eingebettet liegt. Hier bemerkt man zu- nächst eine Gürtelzone, die einen dichten Besatz kleiner, nahezu konisch gestalteter Höcker trägt (F"ig. iij. Die Höhe und Breite dieser Höcker hängt von dem Alter und der Größe der Pfahl- nade! ab. An diese Höckerbildung schließt sich der sogenannten Spikularsc beide. Durch- schneidet man diese Scheide mittels eines scharfen Längs- und zweier Kreisschnitte, so kann man eine der Nadel unmittelbar aufliegende derbe Hülle leicht ablösen (Fig. 12). F. E. Schulze vergleicht diese Hülle und ihre Befestigung an der Nadel treffend der Rinde an einem jungen Weidenzweige. An der konkaven Innenfläche zeigt die Scheide in Übereinstimmung mit der glatten Nadelober- fläche eine glatte Innenfläche. Die konvexe Außen- seite der Hülle dagegen erscheint mit zahlreichen, unter den verschiedensten Winkeln abstehenden Gewebslamellen des übrigen Seh wammweichkörpers dicht besetzt. Bei Lupenuntersuchung erkennt man leicht, daß die innerste Partie der Scheide, die sich 138 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 9 von dem übrigen Weichkörper als eine besondere Netzlamelle ablösen läßt, aus einem Balkcnnetz annähernd zirkulärverlaufender P'aserzüge besteht (Fig. 1 3). Die Faserzüge spalten und vereinigen sich vielfach unter spitzem Winkel und bilden so stark ausgezogene Maschen von verschiedener P'orm und Weite. Die einzelnen Balken dieses Gitterwerkes setzen sich, wie die Untersuchung bei stärkerer Vergrößerung lehrt, aus zahlreichen, meist parallel gelagerten Fibrillen zusammen, „welche bald dicht oder unmittelbar nebeneinander liegen, bald hier und da aus einem Bündel unter spitzem Winkel sich abzweigend, in ein benachbartes übergehen oder auch gelegentlich stärker divergierend in breiteren oder dünneren Zügen sich ausbreiten." bisweilen auch noch andere ganz unregelmäßig, verbogene oder gekrümmte Nadeln mit oder ohne terminalen Endkolben. Manche dieser Nadeln sind zu unförmigen Knollen, ja zuweilen sogar zu einer einfachen Kieselperle reduziert (vgl. Fig. 14). Nach der Annahme V. E. Schulze's handelt es sich bei diesen verkümmerten Nadeln um pathologische oder zum wenigsten abnorme Bildungen, welche sich in ihrer Entstehung wahrscheinlich auf mecha- nische Einwirkungen wie Zerrungen, Reibungen und dergleichen werden zurückführen lassen. In einigen I-'ällen ließ sich noch ihre Entstehung aus einem der gewöhnlichen ,,Triaktine" feststellen, in anderen F'ällen sind es stark verbogene mit Knd- anschwellung versehene diaktine Nadeln und end- a b c l'ij^. 14. Mönoraphis cltunl. a Stück einer Pfahlnadel mit Cumitalia. V'ergr. 300 : I. b Mittelteil einer Begleitnadel. Vergr. 100 : 1. Verkrümmte Nadeln aus der Umgebung der großen Plahlnadt Fig. 15. Stück einer Begleitnadel nebst Nadelscbeide und deren Verbin- dungen. Vergr. 300 : I. Sehr eigentümliche Bildungen stellen die in unmittelbarer Umgebung derPfahlnadeln sich finden- den sogenannten Begleitnadeln oder ,,Comitalia" dar. Diese Nadeln uingeben als parallele Begleiter in dichtem Zuge ringsum die Spikularscheide (vgl. Fig. 14). Infolge dieser extremen Lagerung hat ihre Gestalt mannigfache Umbildungen und Reduk- tionen erlitten. Der unpaare, seitliche Strahl dieser großen, finger- bis spannenlangen Oxydiaktinen erscheint mehr oder weniger rückgebildet und ist bisweilen zu einem unscheinbaren, halbkugeligen oder doch rundlichen Seitenhöcker zusammenge- schmolzen. Außer diesen großen diaktinen Begleitnadeln findet man in der röhrenförmigen Spikularscheide lieh handelt es sich oft auch nur um abgebrochene Einzelstrahlen oder Strahlenenden. (xleich der großen Pfahlnadel sind auch die Comitalia von Spikularscheiden umgeben, doch weichen diese insofern von der ersteren ab, als es sich bei ihnen nicht so sehr um ein Netzwerk von schmalen Faserbalken handelt, sondern viel- mehr um eine röhrenförmige dünne Platte, welche von zahlreichen rundlichen oder bei schmalen Nadeln auch länglichgestellten Lücken oder wenig- stens verdünnten Stellen von verschiedener Größe und unregelmäßiger Verteilung durchsetzt sind (Fig. 15). Bemerkt sei noch, daß die Scheiden dieser Begleitnadeln in unmittelbarer Verbindung mit der Pfahlnadelhülle stehen. N. F. VI. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. '39 Als allgemeine Regel läßt sich noch sagen, — dies gilt nicht nur für die besprochenen Begleit- nadeln, sondern fijr alle Nadeln überhaupt, — daß, je dünner die Nadeln sind, desto zarter auch ihre Scheide wird, „so daß sie bei ganz feinen Nadeln nur noch durch starke Färbung mit Hämatoxilin oder Eosin nachweisbar ist". Ohne Schwierigkeit lassen .sich zwischen allen größeren, benachbarten Nadeln Verbindungsstränge nachweisen. Dieselben gehen mit ,,trompetenförmiger Verschmäleruiig" aus denSpikuIarscheideii hervor und lassen meistens auch eine Zusammensetzung aus feinsten P'ibrillen 1) T :v b Vig. l6a. Ganz junsjcs E.xemplar von Mnnumphis chiini. Nalürl. Größe. ;il einer Nadelscheide mit Silikoblasten der Pfahlnadel des j,'leiclicn Exemplares Vergr. 500 : i. erkennen. Je nach der Entfernung und Stärke der zu verbindenden Nadeln variieren diese Verbin- duiigsstränge in Länge und Dicke. Offenbar spielen diese Nadelhüllen samt den sie verbindenden fibril- lären l'"aserzügen eine wichtige Rolle in der Archi- tektur des Schwammkörpers, indem sie dem Weich- körper erst einen starken Zusammenhalt und er- hebliche Festigkeit verleihen. Namentlich bei so riesigen Schwammformen wie Monoraphis tritt dieser Nutzen eklatant zutage. Was nun den histologischen Bau der Splkular- scheiden und der von ihnen ausstrahlenden Faser- züge anbelangt, so ist als wesentlichstes Charakte- ristikum der völlige Mangel von Kernen hervor- zuheben. Abgesehen von der fibrillären Struktur macht das ganze Gebilde einen hyalinen, gleich- mäßig lichtbrechenden Eindruck, und erinnert am ehesten an Sponginbildungen, ohne freilich deren hohes Lichtbrechungsvermögen ganz zu erreichen. F. E. Schulze erteilt diesen Bildungen infolgedessen den Namen „Fibrosp ongin". Nicht unerwähnt darf endlich bleiben, daß, so leicht und unzweifelhaft sich Spi- kularscheiden bei allen Ge- rüstnadeln der Glasschwäm- me nachweisen lassen , die sich durch regelmäßigen Zuwachs vergrößern und an den Enden verlängern kön- nen, sie den frei vorstehen- den Pinulen oder den klei- neren intermediären P a r e n- chymnadeln,ja selbst den verhältnismäßig großen A m- phidisken so gut wie ganz zu fehlen scheinen. Fig. 17. a Cunlophacxis raldixnae' Kxemplar mittlerer Größe. Natürl. Größe, b Senkrechter Durchschnitt durch die Randpartie der Scheibe. Kombinationsbild. Vergr. 36 : I. 140 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 9 Aufklärung über die Entstehung der Spikular- scheide ergaben zwei ganz junge Exemplare von Monorapids cliiuii F. E. Seh., die an der ostafrika- nischen Küste nahe Sansibar emporgeholt wurden. Hier sah man an mit Hämatoxiiin gefärbten Prä- paraten dem engmaschigen Fibrospongin-Balken- netz der Spikularscheide ein eigenartiges Zellen- lager anliegen, das nach der Ansicht von F. E. Schulze unzweifelhaft als „Bildungsherd der ganzen Nadel, und zwar sowohl ilirer Kieselsubstanz als auch ihrer Scheide zu betrachten ist" (Fig. i6au. b). An der beigegebenen Abbildung sind diese Verhält- nisse so deutlich zu erkennen, daß eine weitere Beschreibung überflüssig scheint. Doch wenden wir uns wieder den allgemeinen Größenverhältnissen der Hexactinelliden zu. Bei vielen derselben, z. B. der bereits mehrfach ge- nannten Etiplectella aspergillum, erreicht das Wachs- tum dadurch seine natürliche Grenze, daß infolge eines von unten nach oben fortschreitenden Ver- lötungsprozesses die Nadeln zu einem festen Gitter- werk erstarren. Sowie nun dieser Verlötungs- prozeß die feste terminale Siebplatte erreicht hat, ist naturgemäß ein ferneres Längenwachstum aus- geschlossen. Bei zahlreichen Schwämmen hingegen, bei denen niemals eine Verschmelzung der Nadeln statt hat, genannt seien nur die Amphidisco- phoren, zahlreiche E upl ec teil iden etc., fehlt selbstverständlich diese natürliche Hemmung. Doch scheint auch bei manchen von diesen dem unbe- schränkten Wachstume dadurch eine Schranke ge- setzt zu sein, daß eine anfänglich weiche, den ganzen Weichkörper umschließende Hülle ausge- bildet wird. Späterhin erhärtet dieselbe durch Ausscheiden eines festen Diktyonalgerüstes, das sich mit dem inneren diktyonalen Röhren- gerüst vereinigt, zu einer festen, jedes Wachstum ausschließenden Kapsel. Auch fossil sind derartige Kapseln bekannt geworden. Die Festigkeit des Schwammkörpers hängt, das bedarf kaum der Hervorhebung, im wesentlichen von der Ausbildung seines Kieselgerüstes ab. So erscheinen die mit einem engmaschigen, stark- balkigen Diktyonalgerüst versehenen Tretocaly- ciden, Aulocystiden etc. meist steinhart; ist das Diktyonalgerüst weitmaschig und sind die Balken zart, wie bei Farrea etc., dann erscheint der Schwamm zerbrechlich und wenig widerstands- fähig. Bei den Euplectelliden wiederum, deren Skelettgerüst aus langen, miteinander verlöteten Nadeln sich aufbaut (vgl. Fig. 3), ist der Körper trotz aller Festigkeit elastisch und biegsam. Die Konsistenz des Weichkörpers selbst endlich hängt neben seiner Größe und Gestalt vorzugs- weise von der mehr oder weniger großen Menge der in ihm zerstreut liegenden isolierten Nadeln ab. Doch auch die Beschaffenheit der Weichteile selbst spielt bei manchen Arten, wir sahen es bei Monoraphis, eine gewisse, nicht zu unterschätzende Rolle. Wie die Festigkeit, so hängt auch die Be- schaffenheit der Körperoberfläche der Hauptsache nach von der Ausgestaltung der Skeleiteile ab. Nur selten erscheint die Oberfläche vollkommen glatt und gleichmäßig, und zwar ist dieses aus- schließlich da der Fall, wo alle größeren hervor- stehenden Nadeln fehlen und auch die Dermalia keine hervorstehenden Spitzen besitzen. Einen sammetartigen Charakter nimmt die Hautoberfläche bei den Amphidiscop hören und Caulo- p h a c i d e n an, indem hier die dermalen t a n n e n - baumähnlich enPinulen wie ein dichter Wald über die Außenfläche des Körpers hervorragen (Fig. I7au.b). Beianderen Hexactinelliden wiederum ragen bald allseitig, bald nur an bestimmten Stellen größere Nadeln, welche selbst dem bloßen Auge wahrnehmbar sind, mehr oder weniger weit aus dem Schwammkörper hervor. F. E. Schulze faßt diese letzteren unter dem Namen „P r o s t a 1 i a" zusammen. Neben den Skeletteilen kommen für die Be- schaffenheit der Oberfläche auch noch das Auf- treten von Unebenheiten in der Körperwand, das Vorhandensein von Riffen und Buckeln, dann ferner von Gitternetzbildungen und offenen Ostien in Betracht. (Schluß folgt.) Kleinere Mitteilungen. Die Luftwege der Schwimmblasen. — Man glaubt derzeit ziemlich allgemein, daß das in der Schwimmblase enthaltene Gasgemisch nicht durch besondere Gänge in diese gelangt, sondern von den sie umspinnenden Arterien abgesondert wird. — O.Thilo verficht nun, nachdem er schon 1903') eine diesbezügliche vorläufige Mitteilung gemacht hatte, in einer ausführlicheren Arbeit -') die An- sicht, daß bei den karpfenartigen Fischen durch den Luftgang Luft in die Schwimmblase gelange und führt eine Reihe von Plxperimenten an, die ') Biol. Centr. 1903, Nr. 14, 15. ') Zool. Anz. 1906, Nr. 19/20. für diese seine Anschauung sprechen. Nachdem er bei Schleien (Tinea) sämtliche zur Schwimm- blase gehende Arterienstämme durchschnitten, durch eine am Ende der Schwimmblase gemachte Öff- nung die hintere Abteilung vollständig, die vordere größtenteils entleert hatte, unterband er die erstere, verschloß den Bauchschnitt und setzte den Fisch in ein Becken von 10 — 30 cm Tiefe. Nach 3 Tagen waren beide Rlasenabteilungen prall mit Luft ge- füllt: sie muß in diesem Falle durch den Luft- gang zur Blase gedrungen sein, denn die Ge- fäße waren durchschnitten. Wurde die Schwimm- blase im luftverdünnten Räume mittels Wasser- strahlluftpumpe entleert, so füllte sie sich schon nach 5 Stunden prall mit Luft. Hier waren zwar die Gefäße intakt, jedoch bei einem so geringen N. F. VI. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 141 Blutdruck, -Strömung und -nicii^'c, wie man sie bei den Fischen findet, ist die Füllung von den Gefäßen aus in so kurzer Zeit undenkbar. Gegen diese Annahme sprechen übrigens vor allem die Sclnvimmblasengasanalysen, die bei einzelnen Fischen 60 — 90",, N nachgewiesen haben, der un- möglich aus dem Blute stammen kann. Per ana- logiam schließt Thilo, daß alle Fische mit Ductus pneumaticus die Schwimmblase durch ihn füllen. Bei Fischen, für die kein Gang nachgewiesen werden konnte, bestehen wahrscheinlich zwischen der dem Schlünde eng anliegenden Blase und diesem eine Menge kleiner Verbindungsgänge oder liegen die Verhältnisse wie beim Flußaal, wo der Sclilund fest mit dem Luftgange verbunden ist und wo, obwohl nicht direkt nachgewiesen, Kommuni- kationen bestehen müssen, weil es Thilo gelungen wäre, vom Luftgange aus Luft in den Schlund zu blasen. Er hält an dieser Deutung seines Ver- suches gegen Jäger fest und führt für die Wieder- holung seiner Experimente eine Reihe von Vor- sichtsmaßregeln an, die ein Mißlingen ausschließen sollen. Diesen Ausführungen fügt er noch ein Kapitel über die bei seinen Experimenten angewandte Seziertechnik an. Dr. F. Urban (Plan). In Nr. 51 dieser Zeitschrift befindet sich eine Notiz von M. Stümcke, Lüneburg: „Guajaktinktur als Färbemittel für Pilze", in der derselbe sagt: „Über die Erscheinungen, die bei Behandlung der Pilze') mit Guajaktinktur auftreten, habe ich in der Literatur noch nichts gefunden"; und dann einige eigene Versuche mit diesem Reagens mitteilt. Bei der weiten Verbreitung der Naturw. Wochenschr. scheint es mir geboten darauf hinzuweisen, daß diese Voraussetzung Stümcke's irrig ist. Denn schon im Jahre 1856 (also vor genau 50 Jahren) fand Schoenbein (Ref. Journal für praktische Che- mie, Band 67 (1856), p. 496), daß der Saft von Boletus luridus und Aspergillus sanguineus Guajak- tinktur zu bläuen vermag. Ferner findet sich in den Comptes rendus 1895, 2" semestre, p. 783, eine Mitteilung von Bourquelot und Bertrand, in der über das Vorkommen von ,,Laccase", eines oxy- dierenden Fermentes, -j das eben durch die Blau- färbung von Guajaktinktur ohne Zufügen von Wasserstoffsuperoxyd oder Terpentinöl nachge- wiesen wurde, berichtet wird. Die Verfasser unter- suchten vornehmlich Basidiomyceten, einige Asco- myceten und auch einen Myxomyceten und fassen ihre Resultate in folgender Tabelle zusammen: Arten mit ohne Laccase Laccase 18 o 18 2 4 I Gattung Zahl der unter- suchten Arten Russula 18 Lactarius 20 Psalliota 5 Gattung Zahl der unter- suchten Arten Boletus 18 Clitocybe 9 Marasmius 6 Hygrophorus 6 Cortinarius 12 Inocybe 6 Amanita 7 Arten mit ohne Laccase Laccase 10 8 5 4 o 6 0 6 1 II 1 5 2 5 die auch in Efifront : Diastasen, deutsch von Bücheier, Seite 317, und in der Botanischen Zeitung 1896, II. Abteilung, p. 183, abgedruckt ist. Ich glaube, daß bei weiterem Suchen — be- sonders auch in der physiologisch - chemischen Literatur — sich noch mehr Angaben finden lassen, doch mögen die vorliegenden, die mir gerade ein- fielen, genügen. Auch die Bezeichnung „Färbemittel" scheint mir wenig glücklich, denn das Guajakharz oder die Guajakonsäure, die Hadelich ') als das wirk- same Prinzip des Harzes erkannte, ist nicht ein Färbemittel im gewöhnlichen Sinne des Wortes, sondern vielmehr ein Reagens für bestimmte Stoffe, genau gerade so wie z. B. Fehling'sche Lösung für reduzierende Zucker ein Reagens ist. H. Schroeder, Bonn a. Rh., Botan. Institut. ') Journal für prakt. Chemie, Bd. 87 (18621, p. '1 Im Original gesperrt. ') oder mehrerer derartiger zusammenwirkender Enzyme. Neue farbige Photographien von hervor- ragender Naturtreue hat H. E. Ives ei halten durch eine Kombination der Lippmann'schen Methode mit dem von Joly angegebenen Verfahren der Herstellung von Dreifarbenbildern durch Zerlegung in schmale, in den Grundfarben leuclitende Streifen (Phys. Ztschr. VII, S. 933). Zur Färbung dieser Streifen in den Grundfarben bedient sich Ives nicht künstlicher Farbstoffe, sondern der Lippmann'schen, durch stehende Lichtwellen erzeugten Lamellen. Ives geht bei der Herstellung seiner Bilder von drei für sein Chromoskop hergestellten Aufnahmen aus, deren Helligkeitsverhältnisse den Intensitäts- werten der drei Grundfarben rot, grün und blau entsprechen. Mit Hilfe eines Linienrasters, dessen helle Zwischenräume halb so breit sind wie die dunklen Linien, wird nun zunächst von dem ersten Diapositiv mit rotem Licht eine Schaltenaufnahme gemacht, so daß nach Lippmann's Spiegelverfahren ein aus roten Streifen zusammengesetztes Positiv zustandekommt. Nun wird der Raster um die Breite eines hellen Zwischenraumes ('-00 Zoll) verschoben, und mit der zweiten Chromoskopplatte bei grünem Licht exponiert. Endlich erfolgt nach abermaliger Ver- rückung des Rasters die dritte Aufnahme von der Blauplatte im blauen Licht. Die geeigneten Licht- quellen verschaffte sich Ives durch Abbiendung bestimmter, schmaler Spektralbezirke aus dem Spektrum geeigneter Lichtquellen. F. Kbr. 142 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 9 Aus dem wissenschaftlichen Leben. Aufruf zur Errichtung eines Denkmals für Gregor Mendel zu Brunn in Mähren. — Von nur wenigen zu Lebzeiten gekannt, dann durch Dezennien fast ver- gessen, heute im Munde aller Biologen — das war das Schick- sal von Gregor Mendel's Forschernamen. Und doch hatte Mendel schon vor 42 Jahren auf dem Gebiete der Vererbung und Bastardierung das Walten von biologischen Gesetzen er- kannt, wo nach oberflächlicher Betrachtung nur Zufall und Regellosigkeit zu herrschen schien. Mit der Entdeckung und eingehenden Begründung der Hybridgesetze hat er in Wahr- heit eine neue, ungemein fruchtbare .\ia experimenteller For- schung für die Vererbung der Einzelmcrkmale sowie für die Systematik der Pflanzen und Tiere, nicht minder für die Mikro- biologie der Fortpflanzungsprozesse und für die praktische Züchtung eröfl'nct und ermöglicht. Allerdings wurde diese Entwicklung erst durch die im Jahre 1900 erfolgte Wieder- enldeckung von Mendel's Lehre ausgelöst. War ihm selbst zwar die innere Freude und Genugtuung am eigenen Werke beschert, die äußere Anerkennung und Wertung, der schuldige Tribut der Mitwelt vor des Geistes Großtat ist ihm versagt geblieben. Um so glänzender, ja beispiellos rasch hat sich Mendel's Nachruhm über alle Länder verbreitet. Was die Mitwelt einst gefehlt, das hat die neue Zeit gesühnt. Doch über die wissenschaftliche Wiederbelebung von Name und Werk hinaus bleibt noch die Ehrenschuld bestehen, auch der Person ein äußeres, zu weiten Kreisen sprechendes Erinne- rungszeichen an der Stätte ihrer Wirksamkeit zu Brunn in Mähren zu errichten. Ein Denkmal soll dort noch späteren Geschlechtern von dem ausgezeichneten und selten beschei- denen Forscher und von seiner Würdigung seitens der Bio- logen aller Länder erzählen. Die Unterzeichneten richten daher an alle Freunde und Förderer der biologischen Wissen- schaften die .-Aufforderung, diesen Plan durch Stiftung und Sammlung von Beiträgen verwirklichen zu helfen. Der ."Aufnif ist unterzeichnet von 150 Gelehrten und zwar von Botanikern. Zoologen, Pflanzen- und Tierzüchtern. Zur Entgegennahme von Beiträgen haben sich bereit er- klärt für: Österreich, Deutschland, Frankreich, Rußland, Italien und für die Schweiz: Prof. Dr. Erich v. Tschermak, Präsident des internationalen Komitees, Wien, XIX., Hochschule für Boden- kultur. England: Professor W. Bateson, Grantchester-Cambridge, Merton House. Japan: Prof. M. Miyoshi, Tokio, Imperial University. Amerika: Prof. C. B. Davenport, Gold Spring Harbor, Long Island, N. J., U. S. A., Carnegie Institution Department of Experimental Biology. Dänemark, Nurwegen und Schweden: Prof. Dr. O. Rosen- berg, Stockholm, Tegnerlunden 4. Belgien und Holland: Professor Dr. 1. P. Lotsy, Leiden (Holland), Rijn-en Schiekade 113. Bücherbesprechungen. Dr. Karl Rufs, Der Kanarienvogel, seine Naturgeschichte, Pflege und Zucht, n. Aufl., 244 S. mit 3 Farbendrucktafeln und zahl- reichen Textbildern, bearbeitet von R. Hoffschild t. Magdeburg, Creutz'sche Verlagsbuchhandlung, iqoö. — Preis 2 Mk. Das vorliegende kleine 13uch , welches sich , wie die hohe Auflage erkennen läßt, unter anderen Bü- chern ähnlichen Inhalts bewährt hat, beschäftigt sich besonders mit der Zucht der Gesangskanarien, ohne die in neuerer Zeit , namentlich in außerdeut- schen Ländern mehr nach der Körperform als nach dem Gesang gezüchteten Rassen ganz zu vernach- lässigen. In der Zucht der Sänger steht Deutschland immer noch obenan. Die Nachfrage nach deutschen Vögeln ist im Auslande immer noch größer als das Angebot. Deshalb kann die Zucht, außer der Freude über den Gegenstand, immer noch eine gute Quelle einer kleinen Nebeneinnahme abgeben. Über den Vertrieb ist denn auch in dem vorliegenden Buche ebenso wie über die Zucht, über Käfig , Nistvorrich- tung, Fütterung in und außer der Hecke, Gesundheits- pflege und namentlich über die verschiedenen Ge- sangstouren, die sogenannten Fehler im Gesänge und die .'\usbildung der Jungen das Nötige zu finden. Dahl Astronomischer Kalender für 1907, herausgegeben von der k. k. Sternwarte zu Wien. 69. Jahrgang. 1 5 1 Seiten. Wien, Karl Gerold's Sohn. — Preis geb. 2,40 Mk. Die Anordnung des Kalenders ist auch in diesem Jahre dieselbe wie bisher. Zwei beigegebene Abhand- lungen von Prof E. Weiß beziehen sich auf die Phasen des Saturnrings im Jahre 1907, der im Herbst unsichtbar wird , sowie auf neue Planeten und Ko- meten. Kbr. Literatur. Tieadwell, Prof. Dr. F. P. : Kurzes Lehrbuch der analytischen Chemie in 2 Bdn. 2. Bd. Quantitative Analyse. Mit 109 .^bbildgn. im Text u. 2 Tab. im Anh. 4., verm. u. verb. Aufl. Doppelaufl.) (XI, 639 S.) 8». Wien '07, F. Deu- ticke. — II Mk. Warburg, Prof. Dr. Emil: Lehrbucli der Experimentalphysik f. Studierende. Mit 42S Orig.-Abbildgn. im Text. 9. verb. u. verm. Aufl. (XXII, 430 S.) gr. 8». Tübingen '06, J. C. B. Mohr. — 7 Mk.; geb. 8 Mk. Briefkasten. Herrn Prof. Ür. B. in D. — Ihren Mißerfolg beim Auf- suchen der Wohnung des Maulwurfs verstehe ich nicht. Vielleicht war die Wiesenfläche zu klein, so daß sich das Jagdgebiet nicht ganz übersehen ließ. Ich habe den Bau auf einer freien Wiese immer sehr leicht gefunden, stets unter dem größten der vorhandenen Maulwurfshaufen, mitten im Jagdgebiet. — Die regelmäßige Form des Baues, die man in allen Schulbüchern wiedergegeben findet, dürfen wir übrigens nach den neueren über den Gegenstand vorliegenden Unter- suchungen getrost in das Reich der Fabel verweisen , zumal da es mir jetzt auch gelungen ist, die Entstehung der Fabel verfolgen zu können. Der Nachweis , daß ein solcher Bau niemals vorkommt, ist freilich nicht zu erbringen. Es ist hier ebenso wie bei allen anderen Fabelgestalten: man kann nicht beweisen, daß sie nicht existieren. So kann man z. B. nicht beweisen, daß es keine Drachen gibt. Man kann nur sagen : Es hat in neuerer Zeit kein zuverlässiger Beobachter behauptet einen Drachen gesehen zu haben und die Drachen passen auch in unsere .Anschauungen nicht mehr hinein. Genau das- selbe gilt von dem regelmäßigen Bau des Maulwurfs. — Die älteste Arbeit speziell über den Maulwurf ist ein kleines Buch von de la Faille, „Essai sur l'histoire naturelle de la taupe et sur les differens moyens que l'on peut employer pour la detruire" (La Rochelle 1769). Es ist das eine vorzügliche kleine Schrift, die in allen .-Angaben große Sorgfalt erkennen läßt. Freilich steckt sie noch in den Anschauungen jener Zeit. So erfahren wir zunächst, d.aß der Maulwurf zu den Tieren gehört, welche in die Welt gesetzt sind, um die Geduld des Menschen zu üben. .-Auf S. 55 ff. wird der Bau des Maulwurfs in folgender Weise geschildert: Das Lager befindet sich im Innern eines Haufens, der an Masse 5 — 6 mal größer ist als die gewöhn- lichen Maulwurfshaufen. Hergestellt ist der große Haufen ebenso wie die anderen. Er ist I '/■> — 2 Fuß hoch und an der N. F. VI. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 143 H.isis 3 — 4 Futi breit. Der Wohnraum befindet sich in seiner Mitte. Derselbe ist von verschiedener Größe und nicht regelmäßig gerundet. Kräuter, Laub, Moos und feine Wurzeln bilden ein weiclics Lager, auf wclciiem die Familie ruht. Die obere Wand ist flachkuppelförmig gewölbt, sehr fest gedrückt und durch einige Pfeiler gestützt. Das Ganze befindet sich über dem Niveau der Erdoberfläche und ist durch die erhöhte Lage vor Überschwemmung und Kegenwasser geschützt. Drei oder vier Gänge, welche in geneigter Richtung rings von dem Wohnraum ausgehen, dienen dem Maulwurf als ebensoviele .Ausgange, um ins Jagdgebiet und in die Wohnung zu gelangen. Diese Gänge sind, besonders durch das häufige Passieren, sehr glatt gerieben. — Soweit de la Faille. Eine Abbildung gibt der Autor nicht. — Die nächste Schrift über den Maul- wurf erschien im Jahre 1803 in Paris. Sie wurde verfallt von einem Maulwurfsfänger Henry le Court und herausgegeben von Cadet deVaux unter dem Titel: ,,De la taupe, de ses mii'urs, de ses habitudes et des moyens de la detruire". Diese Schrift enthält zum ersten Male die uns wohlbekannte regelmäßige Figur von dem Bau des Maulwurfs. Wahrschein- lich hat le Court die Schrift von de la Faille gekannt, die Beschreibung vom Bau aber mißverstanden und nach eigener Phantasie das scheinbar Fehlende ergänzt. Die Be- schreibung, die ich oben in etwas freier Übersetzung wieder- gegeben habe, lautet nämlich : ,,Trois ou quatre boyaux qui l'environnent [la demeure souterreine nämlich] fournissent ä la taupe autant d'issues inclinees, pour parvenir ä son premier domicile et chercher les alimens convenables." — Bei dem Worte ,,environner*' hat sich le Court gedacht, daß die Gänge um den Bau herumgehen, obgleich die (olgenden Worte klar erkennen lassen, was gemeint ist. — Aus der Cadet deVaux- schen Schrift hat offenbar Geoffroy Saint-Hilairedie Ab- bildungen übernommen. Er hat sie nur etwas geändert und weiter ausgeführt. Er erklärt freilich ausdrücklich, daß er alles selbst beobachtet habe (vgl. Geoffroy Saint-Hilaire, Histoire naturelle des Mammiferes, Paris 1834, 14. Legon, p. 21 ff.). Wir finden die drei Gänge, welche aus dem Kessel in den etwas hoher liegenden, kleinen Kreisgang hinüberführen sollen, in der G e o ff ro y ' sehen Schrift in ganz ähn- licher Weise dargestellt und ebenso die 5 Gänge , wel- che aus jenem in den größeren, tiefer liegenden Kreisgang hinüberführen sollen. Von dem größeren Kreisgang strahlen auch hier weitere Gänge aus. Geoffroy gibt an, daß der Bau am Fuße einer Mauer, einer Hecke oder eines Baumes angelegt werde. — Das erste deutsche Werk, welches, ohne Literaturangabe, also scheinbar nach eigener Beobachtung, fast genau dasselbe Bild vom Bau wiedergibt, ist J. H. Blasius, ,, Naturgeschichte der Säugetiere Deutschlands", (Braunschweig 1857, S. III). — Blasius bringt noch einen Fehler mehr in die ."Abbildung hinein ; er läßt nämlich auf dem Haufen Gras wachsen. Er verlegt den Bau unter Baumwurzeln und unter Mauern. Der nächste Autor, der sich offenbar wieder an Blasius anlehnt, der den Bau aber mit schöner Schattierung versieht, ist Carl Vogt (Vorlesungen über nützliche und schädliche, verkannte und verleumdete Tiere, Leipzig 1864, S. 21). Wie Blasius, so sagt auch Vogt, daß sich der Bau gewöhnlich unter einer Hecke, einer Mauer oder zwischen den Wurzeln eines Baumes befinde. Vogt verlegt ihn aber I — 3 Fuß tief. Er sagt nichts darüber, daß er sich bisweilen auch in einem großen Haufen nahe unter der Oberfläche befinden soll. Um so mehr müssen wir uns wundern , daß seine Zeichnung den Bau in einem Haufen darstellt und zwar wie die Blasius'sche Abbildung in einem grasbewachsenen Haufen. — Durch die Vermittlung deutscher Gelehrten ist also allem Anscheine nach eine teilweise wahrscheinlich auf Mißverständnis beruhende , teilweise aus der Phantasie eines französischen Maulwurfsfängers hervorgegangene Zeich- nung in alle unsere Schulbücher übergegangen. — Als ich im Jahre 18S6 bei meinen Untersuchungen über die Nah- rungsvorräte des Maulwurfs den Bau desselben näher kennen lernte, konnte ich von jener Regelmäßigkeit nichts entdecken. (Vgl. Schrift, d. naturw. Vereins f. Schlesw.-Holstein, Bd. 6 II, S. III ff., und Zool. Anz. Bd. 14, 1S91, S. 9 f.) Ich hielt damals Blasius für den .Autor jener Figur, und da ich denselben für einen durchaus zuverlässigen Forscher hielt, glaubte ich, daß die niedrige, nasse Lage der von mir untersuchten Bauten der Grund der Abweichung sei. Ich suchte geradezu nach einzelnen Resten jener Regelmäßigkeit und glaubte auch hier und da Anklänge zu finden, zumal da die Verfolgung der Gänge meist nicht sehr leicht ist. Ein Jahr später als ich hat Demetrius Rossinsky in Rußland Untersuchungen speziell über den Bau des Maulwurfs gemacht (seine Arbeit wurde erst viel später veröffentlicht in: Zool. Jahrbücher Abt. Syst. Bd. 13, Jena 1900, S. 28 7 ff.). .Auch Rossinsky fand nichts von der regelmäßigen F'orm, welche die früheren Autoren alle be- obachtet haben wollen. Auch er äußerte sich, zumal da er meine Arbeiten nicht kannte, über die früheren Beobachter sehr vorsichtig. — Wir können der Frage übrigens noch von einer anderen Seite näher treten. Der Instinkt, einen so regel- mäßigen Bau zu konstruieren, kann an und für sich sehr wohl bei einem Tiere vorkommen. Wir wissen aber, daß sich ein Instinkt nur dann entwickelt, wenn eine Veranlassung vor- liegt, d. h. wenn dieser Instinkt Vorteile im Kampfe ums Dasein gewährt. Einen Vorteil kann ich aber in keiner Weise aus den beiden Kreisgängen ersehen. Die Flucht wird entschieden verlangsamt, wenn der Maulwurf erst in den kleinen und dann in den großen Kreisgang hineingehen muß, um von hier aus das Weite zu suchen. Mag die Gefahr nun von oben, oder von der Seite drohen. Allenfalls könnte es sich in den Kreisgängen um einen Tummelplatz für die Jungen handeln. Mau ersieht aber nicht, weshalb dazu eine so weit- gehende Regelmäßigkeit erforderlich sein sollte. — Ich meine also, daß man das Bild des regelmäßigen iMaulwurfsbaues aus den Lehrbüchern entfernen sollte, bis etwa ein zuverlässiger Beobachter uns von neuem Kunde über einen solchen gibt. Dahl. Herrn Dr. B. in Wien. — Welche Mininialtemperatur verträgt die Bambuspflanze im Winter? Verträgt sie das Klima von Mittel-Europa und würde sich Bambus bei uns im Freien noch voll entwickeln? Sind schon Akklimatisationsversuche in Mittel- und Nord-Europa mit Bambus gem.acht worden? Unter dem Namen ,,Bambus" pflegt man gewöhnlich alle bäum- oder strauchartigen Gräser mit ausdauerndem, verholz- tem und verzweigtem Stamm zusammenzufassen. Wissenschaft- lich gesprochen bilden die Bambuseen eine Unterfamilie der Gräser, die bei uns meist ansehnliche, in den Tropen oft riesige Pflanzen werden. Nach den neuesten Bearbeitungen umfassen die Bambuseen 23 Gattungen mit etwa 250 Arten, die über die wärmeren Länder der ganzen Erde verbreitet sind , in Ostasien sich auch in den temperierten Gebieten fin- den. Speziell in Europa finden sich nur angepflanzte oder verwilderte Arten und zwar aus den drei Gattungen Arun- dinaria, Sasa und Phyllostachys. Die Bambuseen sind im allgemeinen charakterisiert durch den ganz oder am Grunde verholzten Halm, durch ein zwi- schen Blattscheide und Blattscheide befindliches Gelenk. Die nackten Blüten haben 3, 6, bisweilen zahlreiche Staubblätter und sind zu großen, rispigen oder traubigen, oft Büschel bil- denden Blütenständen vereinigt. Sie bilden wie alle Gräser eine unterirdische, kurze, dicke Grundachse aus ; infolgedessen treten sie meist rasenbildend auf. Die Rhizome sind solid, dicht geringelt und an den Knoten ringsherum mit zahllosen Nebenwurzeln besetzt ; sie kommen als dünne Spazierstöcke in den Handel. An den Knoten der Grundachse entstehen die Halme als kleine Knospen, die mehrere Jahre hindurch unter der Erde in die Dicke wachsen und die dann später als kurze, dicke, kegelförmige Gebilde, umhüllt von zahlreichen, scheidigen Nebenblättern, hervortreten. Diese jungen, sehr saftreichen Sprosse sind ein beliebtes Gemüse der Japaner. Der über die Erde getretene Sproß entwickelt sich nun mit außerordentlicher Schnelligkeit zum Halme. Nach An- gaben einiger Autoren liegt das Maximum der Wachstums- geschwindigkeit zwischen 50 — 80 cm in 24 Stunden. Während des Aufschießens bleibt der Halm unverzweigt; erst nachdem er seine volle Höhe erreicht hat, tritt Verzwei- * gung auf. An dem völlig entwickelten Halme kann man die ,, Halm- knoten" und zwischen denselben die Halniglieder, ,,Internodien", unterscheiden. Die ersteren sind solid, fest und stellen die Einfügungsstellen der abgefallenen Scheideblätter dar; außer- dem entspringen an den Knoten die später sich entwickelnden Seitenzweige. 144 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 9 Die Oberfläche der Halme ist glatt, glänzend, anfangs grün, später gelblich bis bräunlich, einfarbig oder punktiert. Das Gewebe des Halmes ist g.anz verkieselt, so daß nach dem Glühen ein vollständiges Kieselskelett zurückbleibt. Bei eini- gen Arten finden sich in den untersten Gliedern Konkretionen von fast reiner Kieselsäure, ,,Tabashire" genannt. Die Bambuseen, die in vieler Hinsicht an die Palmen erinnern, haben wie diese kein sekundäres Dickenwachstum, was bedeutet, daß der Halm nicht die Fähigkeit besitzt, späterhin in die Dicke zu wachsen. Die Halme haben gleich von Anfang an ihre definitive Dicke; natürlich ist die Dicke der Halme je nach ihrem Alter verschieden. Die ersten, jüngeren Halme sind dünner als diejenigen, welche die Pflanze etwa nach 30 Jahren ausbildet. Einige Arten behalten das Laub während ihrer ganzen Lebenszeit, andere gehören zu den laubwerfenden Gewächsen. Die Frage nach dem „Blühen" der Bambuseen hat von jeher die Aufmerksamkeit der Forscher in Anspruch genom- men. Nach Mitteilungen von Fachleuten wie Munro, Riviere, Mitford, Gamble, Schröter, Stapf und anderen gibt es Bam- buseen-Arten , die höchst selten blühen oder in sehr langen Intervallen, so daß man dieses Phänomen bei diesen Arten bisher nicht beobachten konnte, während andere Species willig und fast jedes Jahr ihre schönen, gefälligen Blütenstände zur Entwicklung bringen. Einige Arten sterben nach dem Blühen ab, andere dagegen entwickeln sich weiter. Besonders in Japan, wo der Bambus von den Einwohnern zu den verschiedenartigsten Gegenständen verarbeitet wird, hat sich eine ausgedehnte Kultur des Bambus entfaltet. Die Arten, die man dort kultiviert, sind fast unzählig. Besonders in der Nähe der Ortschaften werden ,, Bambuswälder" ge- zogen ; die kräftigste Entwicklung erreicht der Bambus in den wärmeren Niederungen ; aber auch bis in die ostasiatischen Gebirge steigt er empor , wo er den Namen ,, Bergbambus" trägt; dieser findet weniger industrielle Verwendung, wohin- gegen seine Sprosse gern gegessen werden. An den Boden stellt der Bambus nur sehr geringe Anforderungen, indessen sind tonig - sandige Böden für das Gedeihen der Bambus- kulturen am geeignetsten. Seine Vermehrung geschieht fast ausschließlich durch Wurzelstöcke , die sehr willig austreiben. Nach diesen einleitenden Worten möchte ich auf die Wider- standsfähigkeit der Bambuseen gegen Kälte und ihre .\kkli- maiisations Verhältnisse eingehen. Zunächst möchte ich vorausschicken, daß für unsere Ge- biete von Mittel- und Nord-Europa nur die drei Gattungen: Arundinaria, Sasa und Phyllostachys , nicht aber die Gattung Bambusa in Frage kommen. Speziell über die Widerstands- fähigkeit der Gattung ,, Bambusa" konnte ich nichts Genaueres in der Literatur finden. Nach meinen persönlichen Erkundi- gungen ist die Gattung Bambusa nicht sehr widerstandsfähig gegen Kälte, infolgedessen pflanzt man sie in unseren Gärten und Anlagen nicht an ; dagegen vertragen die drei eben er- wähnten Gattungen besser die Kälte. In der Zeitschrift ,,Le Bambou" Heft 2 (1906) p. 67 fand ich eine Angabe über Bambusa vulgaris Wendland, deren Heimat das tropische Asien ist; da sie aus einem wärmereu Gebiet stammt, sollte man annehmen , daß sie sich als wenig widerstandsfähig gegen Kälte erwiesen hat; aber im Gegen- teil. Nach Beobachtungen und Mitteilungen aus Süd-Frank- reich soll diese Bambusart noch widerstandsfähiger sein, als die meisten Phyllostachys-Arten. Bambusa vulgaris Wendland hat in Süd-Frankreich — lo" ohne Schaden überstanden, wäh- rend die Phyllostachys - Arten fast alle ihre Blätter warfen. Am Schluß der Abhandlung findet sich die Angabe, daß Bam- busa vulgaris einerseits ebenso widerstandsfähig sei wie Arun- dinaria falvata und Ar. Falconeri, andererseits die kalten und trockenen Winde besser vertrüge als die Phyllostachys-Arten. Da aber Bambusa vulgaris eine ziemlich unsichere Art dar- stellt, deren genauere Umgrenzung noch fehlt , möchte ich raten, die Angabe mit etwas Vorsicht hinzunehmen. Wie gesagt kommen für Mittel- und Nord-Europa nur die Gattungen Arundinaria, Sasa und Phyllostachys, die durch eine große Anzahl von Arten vertreten sind und die sich auch zur Anpflanzung als geeignet erwiesen haben, in Frage. Ascherson und Graebner ziehen die von Makino aufgestellte Gattung ,,Sasa" ebenfalls zu Arundinaria, die wohl besser als selbständige Gattung bestehen bleibt und die ebenfalls durch Härte und Widerstandsfähigkeit gegen Kälte ausgezeichnet ist. Es sind meist kleinbleibende, mit großen Blättern versehene Arten. In den Vereinigten Staaten hat Arundinaria macro- sperma Michaux 24° mit heftigem Winde ohne große Schä- digung überstanden. Hierbei kommt noch ein anderer, sehr wichtiger Faktor in Frage, nämlich ob die Luftströmungen trocken oder feucht sind. Man sollte glauben, daß die Feuchtigkeit für das Gedeihen der Pflanzen von Nachteil wäre , indessen ist das Gegenteil der Fall. Auch die Angaben aus Süd- Frankreich bestätigen das Gesagte. Während Phyllostachys nigra — 14** bei starkem, aber feuchtem Winde ohne Schädi- gung vertrug, hat sie bei — 4° und trockenem Winde fast alle ihre Blätter verloren. Das gleiche gilt auch von der Gattung Arundinaria, aber nur von den krieclienden Arten, während die in dichten Büschen wachsenden Species im Gegenteil der Austrocknung der Luft sehr gut widerstehen ; also mehr einer .xerophytischen Lebensweise angepaßt sind. In Süd-Frankreich haben sich als besonders widerstands- fähig erwiesen : Phyllostachys aurea, Boryana , mitis , nigra, pubescens, Quilioi , sulphurea, violascens, viridi-glaucescens und Arundinaria japonica. Zu den empfindlicheren Arten ge- hören; Arundinaria falcata Nees, Bambusa Alphonse Karri Marliac und Bambusa stricta Roxburgh. Die Melirheit der chinesischen Bambuseen, die in Europa kultiviert werden, stammen aus den ni'irdlichen Provinzen und vertragen gut das Klima von Belgien , während für dieselben das Klima von Algier zu trocken ist. In England und Irland haben sich folgende Arten als be- sonders widerstandsfähig erwiesen : Arundinaria nitida, Simonii , Leydeckeri und japonica, Phyllostachys aurea, Ph. Henonis, Quilioi, nigra, mitis, flexuosa und viridi-glaucescens. In Mittel- Europa wird Arundinaria nagashima, in Japan heimisch, wegen ihrer großen Widerstandsfähigkeit gegen Fröste gern angepflanzt. Diese Species steht der A. Fortunei sehr nahe. Nach Angaben von Veitsch soll hingegen die Pflanze sehr empfindlich sein. Ferner Arundinaria Simonii, deren Heimat China und Japan ist, findet sich hin und wieder an- gepflanzt, hält im nördlichen Gebiet unter guter Decke aus. .Arundinaria japonica, nitida, letztere wegen ihrer schönen Farben, werden bei uns gern angepflanzt. .Arundinaria palmala, in Japan und Sachalin heimisch , gehört wegen ihrer großen Blätter zu einer unserer beliebteren Zierpflanzen in Gärten und Anlagen. Fast alle Phyllostachys-Arten erfreuen sich bei uns einer ziemlichen Verbreitung und Anpflanzung. Zu den wider- standsfähigsten zählen folgende: Phyllostachys Quilioi, in Japan heimisch, ist in Holland winterhart und wird wegen seiner imposanten Größe gern angepflanzt. Ferner Phyllo- stachys mitis, welches eine der schönsten bei uns angepflanzten Bambuseen ist. Vor allem Phyllostachys nigra , welches die häufigste Bambusee im Mittelmeergebiet ist und auch bei uns gern angepflanzt wird. Endlich wird Ph. viridi-glaucescens wegen ihres starken Wuchses sehr gern bei uns angepflanzt. Nach alledem scheint der Grad der Widerstandsfähigkeit der Bambuseen vornehmlich von der Beschaffenheit der Luft ab- hängig zu sein. Bei feuchterer Luft vertragen die meisten Arten eine größere Anzahl von Kältegraden als bei trockener. Dr. P. Beckmann. Inhalt; F. E. Schulze: Die Glasschwämme (Hexactindlida] der deutschen Tiefsee-Expedition. — Kleinere Mitteilungen : Thilo: Die Luftwege der Schwimmblasen. — H. Schroeder: Guajaktinktur als Färbemittel l"ür Pil/.e. — H. E. Ives: Neue farbige Photographien. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Bücherbesprechungen: Dr. Karl Ruß: Der Kanarienvogel, seine Naturgeschichte, Pflege und Zucht. — Astronomischer Kalender für 1907. — Litteratur : Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofl-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Ruchdr.l, N.iumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoniö und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge VI. Band; der gdozen Reibe XXU. Band. Sonntag, den 10. März 1907. Kr. 10. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten , wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespallene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. Die Glasschwämme (Hexactinellida) der deutschen Tiefsee-Expedition. [Nachdruck verboten.] Ein Referat von Da ich wohl nicht voraussetzen kann, daß alle Leser hinreichend mit der Organisation derSpongien überliaupt vertraut sind, und da eine solche wenig- stens oberflächliche Kenntnis für das Verständnis des Baues der Hexactinellidcn notwendig erscheint, so sei hier kurz auf einige allgemeine Gesichts- punkte der Strukturverhältnisse bei den Schwäm- men eingegangen. Ausdrücklich bemerken will ich aber noch, daß ich durchaus nicht beabsichtige ein abgeschlossenes Bild zu entwerfen, sondern lediglich einige allgemeingültige Direktiven geben möchte. Die einfachste und primitivste Grundform in der uns ein Schwamm entgegentritt, ist der so- genannte Askon en-Typu s. Es ist dieses ein ein- facher dünnwandiger Sack, welcher mit seinem geschlossenen Ende festgewachsen ist, an seiner freien Endung eine als After fungierende Öffnung, das Oskulum, besitzt. Das Innere des Sackes stellt den Magen dar. Durch zahlreiche seitlich die Wandung des Sackes durchsetzende Poren wird das Nahrungswasser dem Magen zugeführt und nach Verbrauch durch das Oskulum wieder ausgestoßen. Äußerlich wird der Sack von einem dünnen, sehr vergänglichen Plattenepithel überkleidet. Dann folgt die Hauptmasse des Kör- Dr. C. Thesing. (Schluß.) pers, ein homogenes oder fa seriges Binde- gewebe mit zahlreichen darin eingebetteten, viel- gestaltigen Zellen. Diese beiden Schichten wer- den zusammen gewöhnlich als M e s o - E k t o d e r m bezeichnet. Das den Magen auskleidende Ento- derm endlich wird von einer einschichtigen Lage von den für die Schwämme so typischen Kragen- geißelzellen ausgekleidet (Fig. 18 a). Eine gewisse Komplikation kann nun dadurch zustande kommen , daß dieser einfache Schwamm durch unvollkommene Längsteilung und Knospenbildung zur Koloniebildung schreitet. Es entstehen da- durch Stöcke, wie sie die P'iguren 17 b u. c dar- stellen. So viele Oskula vorhanden sind, aus so viel einzelnen Individuen besteht dann die Kolonie. Eine zweite Schwammform wird dann weiter- hin durch den sogenannten Sycon-Typus dar- gestellt (Fig. I8b). Dieser kommt dadurch zustande, daß sich die Körperwand desSchwammes erheblich verdickt und der Magenraum seitliche Ausbuch- tungen, Radial tuben, treibt, welche durch kleine, auf niedrigen Höckern stehende Poren nach außen münden. Bei diesen Formen, welche von Sycandra raplianus, einem Kalkschwamme, in vollkommenster Weise repräsentiert werden, ist der eigentliche Magenraum von einem niedrigen Plattenepithel 146 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 10 ausgekleidet, während die Kragengeißelzellen in ihrem Vorkommen lediglich auf die Radialtuben beschränkt sind. Infolge weiterer Verdickung des mesodermalen Gewebes können endlich die Radialtuben weit ins Innere des Weichkörpers verlagert werden und wandeln sich hier zu Geißelkammern um, welche nunmehr durch ein oft recht kompliziertes Sj-stem Abführender Kanal Geißclkammer Zuführende Kanäle Mesoderm hier außerdem noch zahlreiche andere Zellelemente, amöboide Wanderzellen, kontraktile Faserzellen etc., ihren Sitz haben. Diese wenigen Hinweise, denke ich, werden genügen, um uns das Ver- ständnis für den Bau der Hexactinelliden zu er- leichtern. Der von Ernst Haeckel als Grund- und Aus- gangsform für den Schwammkörper hingestellte c de Fig. i8a— e. Schematischer Längsschnitt, a durch einen Schwamm vom Ascontypus ; b durch einen Schwamm vom Syconlypus; c durch einen Schwamm vom Lt-ucontypus. d Olynthus. o Osculum ; p Poren; u Magenraum; e Nadeln; i Eier, e Ascyssa acufcra ^nach Haeckel). zuführender und abführender Kanäle einerseits mit der Außenwelt, andererseits mit dem Zentralmagen in Verbindung stehen. So kommt der dritte, der Leukonentypus zustande (Fig. 18 c). Erwähnt sei noch, daß im iMesoderm nicht nur die Geschlechtszellen entstehen und einen großen Teil ihrer Entwicklung durchmachen, sondern daß Asconen-Typus konnte in der Ontogenese der Giasschwämme bisher nicht nachgewiesen werden. Wohl aber lassen sich gewisse von F. E. Schulze im Challenger-Report beschriebene Hexacti- nelliden {Jugendform von La)niginella piipa, be- stimmte Regionen erwachsener Exemplare von Walteria und Farrca) unschwer auf den S y c o n e n - N. F. VI. Nr. lo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 147 typus zurückführen. Freilich verbleiben sie nur kurze Zeit auf diesem Stadium und Ljewinnen bald durch Ausbildung eines verwickelten Kanalsystems eine höhere Ausgestaltung. Im Gegensatz zu H a e c k e 1 faßt F. E. S c h u 1 z e die Geißelkammern resp. Radialtuben der Spongien nicht als durch Knospung entstandene, gesonderte Individuen auf sondern als O r ga n e d e s S c h w a m m- körpers. In Übereinstimmung mit Marschall u. a. betrachtet er ,,als ein Person-Individuum jede Spongie mit einem Osculum, resp. jede zu einem Osculum gehörige und zentrier te Partie eines zusammengesetzten , d. h. stockbildenden Spongienkörpers". F"reilich bereitet dabei die Fest- stellung des Begriffes „Osculum" bisweilen er- hebliche Schwierigkeiten. Das wichtigste Merkmal hierfür ist die Zentrierung des gesamten zu- gehörigen Schwammkörpers mit allen Kammern etc. auf die betreffende Ausflußöfifnung. Die zahlreichen Lücken, welche sich häufig in der Gastralwand finden, dieser Bedingung aber nicht entsprechen, können infolgedessen nicht als Oscula ange- sprochen werden. leihen. Häufig weisen die einzelnen Kammern Ausbuchtungen und Verästelungen auf, ja be- nachbarte Kammern treten miteinander in offene Kommunikation, so daß es bei manchen Hexacti- nelliden, z. B. Hyalonema apertum etc., zu einer wahren Röhrennetzbildung kommt. An der Kammer- öffnung bemerkt man häufig eine membranöse Fort- setzung der Kammerwand, der die Geißelzellen fehlen. An dem Allosom unterscheidet F. E. Seh u Ize drei getrennte Teile, erstens das an der äußeren Körperoberfläche gelegene Dermatosom, zwei- tens das die Gastralhöhle begrenzende Gastrosom und endlich drittens das die ab- und zuführenden Kanäle umschließende Rhyosom, an dem man gewöhnlich ein Epi- und ein Aporhyosom unterscheiden kann. Beginnen wir mit der Besprechung des Der- matosom. An diesem läßt sich eine oberfläch- lich gelegene Grenzhautschicht von dem darunterliegenden „subdermalen Trabekel- gerüst" trennen. Sehr wechselnd ist die Form und Größe des subdermalen Trabekel werkes. Häufig Fig. ig. HyalonetiuL calix F. E. Seh. Senkrechter Durchschnitt durch den Raodieil ohne Weichkörper. Kombinationsbild. Vcrgr. 25 : I. An dem Weichkörper der Hexactinelliden unter- scheidet man im großen und ganzen zwei Partien, das die Geißelkammern enthaltende und verbin- dende „Choanosom" und das „Allosom", welches niemals Kragengeißelzellen führende Kam- mern besitzt. Nur selten und bei dichtem An- einanderstoßen geschieht die Verbindung der Kam- mern untereinander und mit den übrigen Körper- Fig. 20. Trichaaterina borealis F. E. Seh. Schnitt aus dem subdermalen Trabekelgerüst. Vergr. 250 : i. sind es überhaupt nur isolierte Strebepfeiler, welche die großen Subdermalräume durchsetzen; dann wiederum breitet sich zwischen Dermalmembran teilen durch nahtartige Verwachsungen. Meist sind und Choanosom ein gleichmäßiges, engmaschiges es äußerst zarte, sträng- oder netzförmige Bälk- Gittergerüst aus. Während die Dermalmcmbran chen, welche den Zusammenhang vermitteln und bei der Mehrzahl der (ilasschwämme sich als eine so der Hauptmasse des Hexactinelliden- Weich- zusammenhängende Gitterplatte über die gesamte körpers sein eigenartiges, lockeres Aussehen ver- Körperoberfläche verbreitet und die Ostien nur als 148 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 10 ein Spaltensystem oder als unscheinbare rundliche Löcher hindurchschimmern, besitzen manche Schwämme, z. B. Monorapliis, in der Oberhaut- schicht verschieden weite, glattrandige Lücken, welche direkt in die zuführenden Kanäle hinein- leiten. Diese Kanäle (Kpirhysen) selbst unter- scheiden sich in vielen Fällen nur durch ihre etwas größerenDimensionen von dem Spalten- und Lücken- system des Choanosoms, bisweilen jedoch, dies gilt besonders fürHexactinelliden mit dicker Körper- wand, bildet sich auch hier eine besondere innere Kanalwandschiclit, eine Kanalmembran, mit dar- unter gelegenem Trabekelwerk aus. Bei den ab- führenden Kanälen (Aporhysen) tritt der Kanal- charakter im allgemeinen viel deutlicher hervor, indem hier von vornherein eine distinkte Wand- fläche ausgebildet ist. Namentlich bei den dick- wandigen Formen ist der Kanalcharakter der Apo- rhysen sehr deutlich ausgeprägt. Aber selbst bei schlecht erhaltenem Weichkörper kann man in den meisten Fällen (am typischsten bei den Amphi- discophoren) die Aporhysen von den Epi- rhysen dadurch unterscheiden, daß die ersteren in Übereinstimmung mit dem Bau der gastralen Decke mit Pinulen besetzt sind, die den letzteren fehlen (F"ig. 20). Große Übereinstimmung mit dem Dermatosom zeigt im Bau und Charakter das Gastrosom, doch kommen auch hier spezielle Abweichungen vor, die Art und Anordnung der Nadeln namentlich ist in beiden eine differente. Mit großen Schwierigkeiten hat naturgemäß die genauere histolngisclie Untersuchung zu kämpfen, denn bei dem ungemein zarten Charakter des Weichkörpers der Glasschwämme gelingt es nur äußerst selten, ein unversehrtes, lebenskräftiges Exemplar den Schlünden der Tiefsee zu entreißen. So herrschen denn auch noch immer bei den ver- schiedenen Schwamniforschern über den feineren Bau der Hexactinelliden erhebliche Differenzen, und manches harrt noch der Aufklärung oder wenigstens Bestätigung. Während man bei den meisten übrigen Spongien zwischen dem einschich- tigen Kragengeißelzellenlager und dem ebenfalls einschichtigen Plattenepithel, das die gesamte übrige, vom Wasser umspülte Körperoberfläche bekleidet, eine bindegewebsariige Substanz nachweisen kann, ist dieses bei den Hexactinelliden nicht mit genügen- der Deutlichkeit gelungen. Ebenfalls konnte ein derartiges Plattenepithel an der von Kragengeißel- zellen freien Oberfläche der Trabekel und Grenz- membranen nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden. Wohl fand F. E. Schulze überall an den Trabekeln und namentlich in den membranös ausgebreiteten Grenzregionen in ziemlich gleich- mäßiger Verteilung kleine, chromatinarme Kerne mit einem schwachen Körnchenhof, doch gelang es niemals deutliche Zellgrenzen nachzuweisen. Es hat hiernach den Anschein, daß eine Um- wandlung der oberflächlich gelegenen Grundge- webszellen zu einem echten Plattenepithel noch unterblieben ist. Daß eine solche Umwandlung (auch im umgekehrten Sinne) stattfinden kann, er- scheint nach Minchin's Untersuchungen an Asconen nicht unwahrscheinlich. Was die Natur des Trabekelgewebes selbst anbe- langt, so ist F". E. Schulze in Übereinstimmung mit Ijima der Ansicht, daß es sich nicht wie bei den übrigen Spongien um ein ausgeprägtes Binde- gewebe handelt, „in dessen hyaliner oder faseriger Grundsubstanz distinkte rundliche, spindelförmige oder sternförmige Zellkörper vorkommen, sondern um ein Plasmodium, in dessen verschmolzener, körnchenreicher oder hyaliner Plasmamasse zahl- reiche Kerne zu finden sind, in oder an welcher auch eine als Archäocyten bezeichnete, andersartige Zellart von amöboider Beschaffenheit mehr oder minder reichlich vorkommt" (Fig. 20). Doch hält Schulze im Gegensatz zu Ijima die Plasma- masse des Trabekelgewebes nicht für gleichartig, sondern unterscheidet die Hauptmasse des Exo- plasmas von dem den Kern unmittelbar um- gebenden Endoplasma. Die Konsistenz des Plasmas ist scheinbar eine dickflüssige, dafür spricht die langsame Lageveränderung der in der Grund- masse eingebetteten Kerne und Körnchen. Eine eigentliche Körnchenströmung ist nicht wahrzu- nehmen. Hervorheben möchte ich noch, das F. E. Schulze die Beteiligung des Trabekelwerkes an dem Aufbau der Kammerwände annimmt, während Ijima meint, daß die Kammern nur aus einem Sy.stem frei im Wasser an den Trabekelenden auf- gehängter, netzförmig verbundener Kragengeißel- zellen bestehen. Wohl das charakteristischste Gebilde des Spon- gienkörpers überhaupt — und auch bei den Hex- actinelliden regelmäßig nachweisbar — sind die Kragengeißelzellen oder Choanocyten. Bekannt- lich findet man ähnliche Bildungen nur noch ein- mal im ganzen Tierreiche und zwar bei den Ur- tierchen, den Protozoen, ich meine die Choano- flagellaten (Fig. 21). Aus diesem Grunde waren früher manche Forscher geneigt, die Schwämme überhaupt nicht als selbständige, einheitliche Tiere aufzufassen, sondern erklärten sie als hervorge- gangen aus Kolonien solcher Choanoflagellaten. Diese Meinung konnte jedoch nicht aufrecht er- halten werden und wurde wieder fallen gelassen, da man bei dieser Identifizierung die verschiedenen anderen, am Schwammkörper auftretenden Zell- arten und Gewebe vollständig unberücksichtigt ge- lassen hatte. Heutzutage gibt es wohl niemand mehr, der nicht den Spongien die gleiche Stellung einräumte, wie sie den Nesseltieren, Würmern und den übrigen Tierstämmen zukommt. Der Bau der Choanocyten entspricht im großen und ganzen dem der Choanoflagellaten, doch finden sich in Einzellieiten erhebliche Abweichungen. Eine sehr eingehende Untersuchung über ihre Struktur konnte F. E. Schulze an einem Exemplare von Scliaiidinnia arctica F. E. Seh. anstellen, das von der bekannten Nordpolarexpedition unter Roemer und Schaudinn herstammte und nach dem Herauf- holen von dem Grunde der Nansenrinne, nördlich N. F. VI. Nr. lo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 149 von Spitzbergen, sofort mit absolutem Alkohol konserviert wurde. An diesem Stück ließ sich an der Innenseite der Kammern nach »Anwendung ge- eigneter Färbungsmethoden ein echtes, gut ent- wickeltes Choanocytenepithel mit großer Deutlich- keit erkennen (Fig. 22 a u. b). Wie aus der Abbildung lichtbrechendem Nukleolus. Seitlich geht der Basalteil in eine dünne, membranöse oder in ein- zelne radiäre Stränge aufgelöste Randpartie über, welche mit denen der Nachbarzellen ohne distinkte Scheidegrenze in Verbindung steht. Zwischen dem noch weiterhin zu besprechen- Fig. 21. Codonosiga allioidcs. Erwachsene Kolonie. Vergr. 4S0 : I. (Nach Saville-Kent.) b Fig. 22. SchamUnnia arctica F. E. Seh. a Schnitt durch die Kammer- wand. Vergr. 100 : I. b Choanocytenreihe bei stärkerer Vergrößerung. Vergr. 450 ! I. Fig. 23. Monoraphis dives F. E. Seh. Schnitt aus dem Choanosom. Vergr. 500 : i. ZU ersehen ist, haben die einzelnen Zellen die Form eines hohen Weinglases und sitzen mit breiter Basis der Unterlage auf. Der untere, von einem feinkörnigen Protoplasma erfüllte Teil umschließt einen flach-kuchenförmigen Kern mit kleinem, stark ■Q '■'ig- 24 Schnitt aus dem subdermalen Trabekelgerüst von Trichasterlna horealis. Vergr. 500. QG 0®& ^® ® %j® Q> W SP Fig. 25. Thesocyten aus Lophophyaema inßatum. Vergr. 400. 150 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 10 den Kragen (Collare) schiebt sich ein einge- bauchies zyhndrisches Mitteislück ein, das von einem iielien, körnchenfreien Plasma erfüHt scheint. Nach V. E. Schulze's Auffassung muß dieses Mittelstück noch zum Zelikörper gerechnet werden, würde also den obersten Teil des eigentlichen Zell- körpers darstellen, während abweichend hiervon Ijinia in dieser Partie den untersten Teil des stark verlängerten Collare sieht. Wie aus den pliotogra])hischen Aufnahmen dieser Partie un- zweifelhaft hervorgeht, sind die Nachbarzellen an dem Distalende des Mittelstückes durch seitliche Kittstränge miteinander verbunden (vgl. Fig. 22 b). Was die Geißel anbelangt, so entspringt die- selbe von dem oberen Teile des Kernes und zwar von einer ihm aufsitzenden, stärker färbbaren Partie und ragt von hier weit aus dem Collare hervor. Das Collare selbst endlich ist in Ubereinstinmiung mit den Verhältnissen bei den übrigen Schwämmen eine dünne, hyaline, röhrenförmige Membran, welche sich vom Rande des oberen Teiles des Mittel- stückes erhebt. Von anderen Zellarten, die außer den bisher zur Besprechung gelangten bei vielen genauer histologisch durchforschten Hexactinelliden vor- kommen, sind zuerst die Archäocyten zu nennen. Es sind dieses (vielleicht amöboide?) Zellen, welche sich bald isoliert, bald in großen Haufen an der Außenfläche der Kammern, bisweilen auch an den Trabekeln finden (Fig. 23). Gewöhnlich liegen diese Zellen in Gruppen von zwei bis zehn in einschich- tiger Lage dicht zusammengedrängt. Im Innern des Plasmakörpers dieser Zellen erkennt man einen verhältnismäßig großen, Chromatinbrocken ent- haltenden Kern mit deutlicher Kenimembran. F. E. Schulze läßt es dahingestellt, ob diese Zellen trotz ihres verschiedenartigen Aussehens wirklich wesentlich von den vorher besprochenen Trabekel- zellen verschieden sind, da man doch bisweilen Zellen antrifft, bei denen eine sichere Diagnose schwierig ist, so daß man sie für Übergangsformen halten könnte. Wir kommen jetzt zu einer anderen Art von Zellen, den Thesocyten. Hier lassen sich zwei verschiedene Arten unterscheiden, die als,,Knollen- Thesocyten" und ,, Körnchen- Thesocyten" bezeichnet werden. Die Thesocyten finden sich an vielen Stellen des Hexactinellidenkörpers, be- sonders an der Dermal- und Gastralmembran, an dem subdermalen und subgastralen Trabekelwerk und namentlich an der Umrandung der Kammer- mündungen, doch wechselt die Häufigkeit ihres Vor- kommens nicht nur bei verschiedenen Exemplaren und Arten der Hexactinelliden stark, sondern auch in demselben Stück ist ihre Verteilung und Zahl großen Schwankungen unterworfen. Man muß die Thesocyten wohl fraglos als Speicherzellen für Reservenahrungsstoffe ansprechen. Die als „Kn ollen - Th esocyt en" bezeich- neten Zellen besitzen stets einen kleinen, kugeligen, stark färbbaren Kern. Neben demselben im Plasma gelagert findet man dann ferner in verschiedener Anzahl (i bis 10 und sogar noch mehr) 4 bis 5 /( dicke, hyaline, glatte und ziemlich stark licht- brechende Knollen F'ig. 24 u. 25). Möglicherweise stellen diese Knollen Stoffwechselprodukte des Schwammes dar. Ahnliche Gebilde, welche sich in ganz gleicher Lage bei einigen Schwämmen, häufig z. B. bei manchen Pheronema- undHya- lonema- Arten nachweisen ließen, sich aber von den Knollen-Thesocyten doch insofern deutlich unterschieden, als sich bei ihnen kein Kern dar- stellen ließ und an Stelle der kugeligen Einlage- rungen eine ganze Anzahl kleiner, eckiger Stücke vorhanden waren, die aus einer gelblichbraunen oder sogar rostroten bis dunkelbraunen, stark licht- brechenden Substanz bestanden, ist F. E. Schulze nicht abgeneigt für fremde Organismen, Kom- mensalen oder Raumparasiten zu halten. Die KörnchenThesocyten endlich zeichnen sich dadurch aus, daß ihr Inhalt aus einer kleineren oder größeren Anzahl winziger, aber sehr ungleich großer (i — 3 /<), stark lichtbrechender, dunkler, ja sogar schwarz erscheinender rundlicher Körnchen besteht. Wie schon kurz erwähnt, ist es wahr- scheinlich, daß sowohl Knollen- wie Körnchen- Thesocyten zu Reservestoffbehältern umgewandelte Trabekelzellen darstellen (Fig. 25). Wir kommen jetzt zu der Besprechung sehr eigenartiger Bildungen der sogenannten Soriten. Es sind dieses Haufen von rundlichen, dicht zu- sammengedrängten, untereinander nahezu gleich- artiger, etwa 5 /( großer Zellen, die sich bei den meisten Glasschwämmen zwischen den Kam- mern vorfinden. Fälschlicherweise wurden dieselben früher teils für dotterreiche Eier, teils für Fur- chungszellhaufen gehalten. Nach den neueren Unter- suchungen Ijima's ist es jedoch wahrscheinlich, daß die Soriten durch Umbildung aus den oben besprochenen Archäocyten-Gruppen hervorgehen und Entwicklungsstadien von Embryonen darsteilen. Es sind also Bildungen, welche man den „gem- w?//f-/(7;"£'(7^" Wilsons, also Brutknospen, vergleichen kann. Die Soriten finden sich stets nur im Choano- som und liegen hier den Kammern unmittelbar an. Meist haben sie die Gestalt einer Kugel oder eines Oval. Die größeren Formen, das heißt die älteren Stadien, sind von einer netzförmigen Kapsel, die größten sogar von einem ziemlich breiten, eng- maschigen Trabekelwerk umgeben, während die jüngeren Stadien noch einer Hülle entbehren (Fig. 26). Neben der Vermehrung durch Brutknospen haben die Hexactinelliden natürlich eine geschlecht- liche Fortpflanzung durch Eier und Spermatozoen. Es bleibt uns also noch die Besprechung der Ge- schlechtszellen und des wenigen, was man über die Embryonalentwicklung weiß. Bis vor wenigen Jahren war freilich bei den Hexactinelliden über- haupt noch nichts bekannt, was mit einiger Be- rechtigung als Eier, Spermaballen oder F u r c h u n g s s t a d i e n gedeutet werden konnte und auch jetzt ist die Frage nichts weniger als gelöst. Was zuerst die Eier anbetrifft, so wurden Gebilde, die als solche gedeutet werden konnten, N. F. VI. Nr. 10 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 151 zuerst von Ijima bei Leucopsacus ortlwdocus Ij. und EiiplectcUa iimrsha/lil]. beschrieben. Es fanden sich hier bei der ersteren Art an den Trabekeln hängend und frei zwischen ihnen liegend große, kugelige oder eiförmige, glatte Zellen von 20 — 40/; Durchmesser, erfüllt von einem feinkörnigen Proto- plasten, in dessen Mitte ein großer homogener .n-"^ ;* Fig. 26. Sorite aus Poliopogon gigas F. E. Seh. Vergr. 400 : I, nähernd kubischer Zellen bestehende Wand um- schließt einen hellen, scheinbar gallertigen Inhalt. Die Zellen selbst werden von einem feinkörnigen Plasma mit darin gelegenem, kugeligem, chromatin- reichem Kern gebildet. Daneben finden sich zahl- reiche isolierte Zellen, wie solche ebenfalls auf Figur 27 unter a dargestellt sind, die augenschein- lich junge Eier sind. Freilich weist auch F. E. Schulze es nicht völlig von der Hand, daß die Blastulae möglicherweise nicht dem Schwämme selbst, sondern einem fremden Eindringling ange- gehören. Auf die weiteren Befunde bei einigen anderen Arten der Hexactinelliden will ich hier nicht weiter zu sprechen kommen, da die Resul- tate aus noch weniger gesichertem Boden er- wachsen. Von männlichen Geschlechtszellen und ihrer Entwicklung war bisher bei den Hex- actinelliden überhaupt noch nichts bekannt ge- worden und sind die hier gemachten Erhebungen an Clionelasma lamella F. E. S c h. die ersten, welche publiziert werden konnten. Im Körper dieses Glas- schwammes findet man in ziemlich gleichmäßiger Verteilung zahlreiche annähernd kugelige Körper von verschiedener Größe und Struktur, die wohl nur als Spermatocyten gedeutet werden können (Fig. 28). Die kleinsten derselben haben eine dünne äußere Hülle und einen schwach kör- % I f I '/. Fig. 27 a u. b. Eier und Blastulae von Farreu occa Bwbk. Vergr. 500 : I. ^ m ^ •!) % Fig. 28. Spermatocyten aus Chonelasma lamella F. E. Seh. Vergr. 500 : i. Kern zu bemerken war. Ähnliche Befunde be- schrieb Ijima auch von der genannten liuplec- tella, doch war er in ihrer Deutung sehr vor- sichtig und schloß die Möglichkeit nicht aus, daß es sich um ein parasitisches Protozoon handeln konnte. Etwas glücklicher ist F. E. Schulze gewesen. Bei einem Exemplare von Farrca occa Bwbk., das noch von der Challenger-Expedition herstammte, fand er nämlich Gebilde, welche mit aller Wahrscheinlichkeit als Eier, resp. Blastulae angesprochen werden müssen (Figur 27). Die „Blastulae" stellen eiförmige bis kugelige, blasen- artige Bildungen dar von 30 — 50 f.i Länge. Ihre aus einem einschichtigen Lager gleichartiger, an- ! 'i i ' i! II il 1 ,1 a b Fig. 29. Jlonorapliis chuni. a Endteil einer Begleitnadel mit deutlichem Achsenfaden. Vergr. 275. b Stück einer Begleitnadel mit deutlichem Achsenfaden und Spiculinlamellen. Vergr. 175. nigen Inhalt. Der kleine chromatinreiche Kern liegt stark exzentrisch, sogar etwas vorgewölbt. Dann folgen solche mit einem grobkörnigeren Inhalte und man bemerkt, daß der körnchenreiche Inhalt sich von der Hüllkapsel nach dem Zentrum zurückzuziehen beginnt. Dieser Vorgang schreitet in den nächsten Stadien weiter fort und das Re- 152 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. lo sultat ist endlich eine blasenartige, kug^elige Kapsel mit ganz heller Höhle, in deren Mitte stets ein Haufen etwas größerer, stark gefärbter rundlicher oder ovaler Körner zu bemerken ist. Auch auf diesem Stadium besitzt die Kapsel noch immer ihren deutlichen Kern. Es läßt sich nicht ver- kennen, daß die hier dargestellten Formen z. T. Ü a b f"'fe- 30- Hyalonema thovisonis. a Teil eines 3Iahramphitlishes. Seitenansicht. b Flächenansicht der Endscheibe eines Mahramx>hidishes. Vergr. 400. F'g- 3'- aus : A ■■ Schema der Zusammenst Izung geschichteter Nadeln = Achsenfaden. P = Protosiphon. Sp = Spiculin- lamellen. S = Siphonen. große Übereinstimmung haben mit der Entwick- lung der männlichen Geschlechtszellen h&\Sycaiidra raphaiius, wie sie von N. Folejaeff und neuer- dings W. Görich beschrieben und abgebildet wurde. Wir kommen jetzt zu dem letzten Teile der Untersuchung, der uns noch zu besprechen bleibt, zum Skelett und seiner Entstehung. Trotzdem hier viel des Interessanten zu berichten wäre, müssen wir uns des beschränkten Raumes wegen kurz fassen und über vieles im Sturmschritt hinweg- eilen. Was zunächst die chemische Beschaffenheit der Kieselnadeln anbelangt, so bestehen sie der Hauptsache nach aus kolloidaler Kieselsäure in Verbindung mit Wasser, also aus einer dem ,,Opal" nahestehenden Substanz. Die genaue Untersuchung, welche Dr. Stock an der großen Pfahlnadel von Monorapliis anstellte, mag hier im Wortlaute folgen. „Untersuchung der Pfahl nadeln von Munor aphis." Die beiden Nadeln, von denen die eine (A) etwa doppelt so dick ist als die andere (B), be- standen größtenteils aus Kieselsäure. Trocken erhitzt dekrepitieren die Nadeln in zahlreiche dünne Lamellen. Dieselben färben sich grau (Kohleabscheidung), dann weißlich trübe, ohne aber ihren Glanz und die Durchsichtigkeit in dünnen Stücken beim Glühen gänzlich zu verlieren. / Fig 32. Querschliff von einer Pfahlnadel von Mümraphi. chuni. Vergröß. 50. Gepulvert und mit Wasser gekocht, gibt die Substanz sehr wenig Lösliches ab ; die fortgehenden Wasserdämpfe haben einen eigentümlichen Geruch, wohl von organischer Substanz; die — neutral reagierende — wässerige Lösung enthält Na, K, Spuren Cl, kein NH3, Mg, Ca. Beim Kochen mit verdünnter HCl wird an diese Na, K sehr wenig Fe kein Mg und Ca abgegeben. Analysen: I. Feingepulverte Substanz auf dem Gebläse geglüht, Rückstand mit HF abgedampft: I(A) Verlust beim Glühen \o,g"l^^ Rückstand nach Verflüchtigung der SiO., 3,9 „ ^,. „ Dieser Rückstand bestand aus Na, K, Fe, ¥ und Spuren Cl. II. Feingepulverte Substanz bei 125" getrocknet auf dem Bunsenbrenner, resp. Gebläse geglüht; Rückstand mit KNaCOg geschmolzen, SiO., be- stimmt : II (B) 10,6 7o 4,0 N. F. VI. Nr. 10 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 153 I (A) II (B) 7,2";,, Verlust bei 125 " 7,2 " Weiterer \''erlust auf dem Bunsen- brenner 2,9 „ 2,9 ,, Weiterer Verlust auf dem Gebläse 0,0 „ 0,0 „ Gefunden SiO., 86,2 „ 86,0 „ Zusammen 90,3",, 96,1"/,, Glühbeständige Bestandteile außer SiO., 3,7 „ 3,9 „ III. Unzerkleinerte Substanz mit HF abgeraucht (glatte Lösung unter Bildung grauweißer, wohl organischer Flocken); Rückstand in Sulfate ver- wandelt, geglüht (3,05 "/,) [A], qualitativ untersucht: Na, K, wenig Fe; kein Mg und Ca. (Berechnet für H,,Si;.0;:9,04";o H^O.)" Von großem Interesse und vieles Neue bietend sind die Untersuchungen F. E. Schulze's über die feinere Struktur der Nadeln, der wir jetzt unsere Aufmerksamkeit zuwenden wollen. Zur Durch- forschung der Nadeln wurden die allerverschie- densten Methoden angewandt, Dünnschliffe aus verschiedenen Regionen der Nadeln angefertigt und zwar sowohl Quer- und Längs-, wie auch Schrägschliffe. Dann wurden Macerationen mit Kalilauge , Schwefelsäure und Flußsäure vorge- nommen oder endlich die Nadeln geglüht etc. Die genaue Durchmusterung der so vorbereiteten Prä- parate geschah danach in verschieden stark licht- brechenden Substanzen in Kanadabalsam, Glyzerin, Dammarharz und zahlreichen anderen Medien. Endlich wurden die Nadeln auch einem eingehen- den Studium im polarisierten Lichte unterzogen. Wenden wir uns jetzt kurz den Resultaten dieser mühevollen Untersuchungen zu. Schulze nimmt an, daß alle Kieselnadeln einen „Achsenfaden" besitzen, wenn dieser auch bei manchen kleinen Nadeln nicht deutlich zu er- kennen war. Bei seinem Nachweis leistet Glyzerin als Einbettungsmittel der Präparate sehr gute Dienste, doch ist es notwendig ihm ein solche Konzentration zu geben, daß die Glyzerinlösung in ihrem Lichtbrechungsvermögen genau mit den kieselsäurehaltigen Teilen der Nadel übereinstimmt und sie unsichtbar macht. Entweder durchsetzt der Achsenfaden die Nadel ihrer ganzen Länge nach und steht dann an dem offenen Distalende der Nadelstrahlen mit den umgebenden Weich- teilen in Verbindung, oder aber sein Ende ist noch von einer oder mehreren Kiesellamellen völlig überdeckt. Der Achsenfaden selbst erscheint als eine mäßig stark lichtbrechende, hyaline Masse, nur selten hat man den Eindruck eines fein alveo- lären Baues (Fig. 29). Während der Achsenfaden bei den kleineren Nadeln und im zentralen Teile der größeren eine zylindrische Gestalt und glatte Oberflächen besitzt, finden sich an den stark verbreiterten distalen Abschnitten und in der Nähe der freien Strahl- enden auffällige Abweichungen. Namentlich an den Begleitnadeln bei Monoraphis ließen sich diese Verhältnisse klar verfolgen. Der Achsenfaden ge- winnt hier nämlich, wie aus der Abbildung deut- lich zu ersehen ist, die Gestalt von zahlreichen ineinandergeschobenen Tüten oder aufeinander stehender abgestumpfter Kegel. Von dem Rand- saume dieser Tüten sieht man bisweilen zarte, hyaline, aus organischer Substanz bestehende La- mellen abgehen, die sich zwischen die den Achsen- faden konzentrisch umschließenden Kiesellamellen, die sogenannten „Siphone", drängen und diese so voneinander trennen. Man bezeichnet sie als „Spiculinlamellen". Ferner bemerkt man in man- chen Fällen am äußersten Strahlende eine kurze Endverbreiterung des Achsenfadens (vgl. Fig. 29I. Bei Abschluß der Kanalöffnung und Überlagerung mit Kiesellamellen nimmt das Ende des Achsen- fadens gewöhnlich eine quer rundlich abgestutzte Gestalt an, doch kommt bisweilen bei kolbigen oder ankerartigen Endverbreiterungen eines Strahles ein büschelförmiges Zerteilen des Achsenfadens in mehrere Endausläufer vor. Ähnliches wurde auch bei manchen großen Amphidisken bemerkt, bei denen Teilstränge des Achsenfadens sogar weit in die einzelnen Zähne der Glocke hineinragten (Fig- 30). Was den chemischen Aufbau des Achsenfadens anbelangt, so nimmt Schulze in Übereinstimmung mit Bütschli, der sehr genaue Untersuchungen in dieser Hinsicht angestellt hat, an, „daß es sich um eine organische, wahrscheinlich den Eiweiß- körpern zugehörige Substanz handelt". Eine Ver- kieselung des Achsenfadens scheint jedoch nicht vorzuliegen. Was jetzt die den Achsenfaden umhüllende „Nadelrinde" anbelangt, so baut sich dieselbe aus röhrenförmig einander umschließenden Schichten auf, bestehend aus dicken Kiesellamellen, Siphonen, und den dazwischen liegenden eingeschobenen Spiculinlamellen, die vorwiegend aus organischer Substanz gebildet sind. Die innerste Kiesellamalle, welche unmittelbar den Achsenfaden umschließt, bezeichnet F. E. Schulze als Protosiphon (Fig. 31). Bei den meisten Mikroskleren und ferner bei sehr jungen Nadeln ist überhaupt nur der Protosiphon vorhanden, die Siphonen nicht zur Ausbildung gelangt. Bei allen Nadeln mit erheblichem Längen- wachstum ist der Protosiphon am Distalende offen. Meist findet sich hier eine trichterförmige Er- weiterung, aus der der Achsenfaden etwas herausragt. Als Regel kann man aufstellen, daß die Siphonen einen kreisförmigen Querschnitt besitzen, doch kommen auch Ausnahmen vor und sie erscheinen an einer Seite dünner, so daß der Achsenfaden eine exzentrische Lage annimmt (Fig. 32). Bemerkt sei endlich noch, daß die Dicke der einzelnen Siphonen eine sehr ungleiche ist und selbst bei der gleichen Nadel erheblichen Schwankungen unterworfen ist. Wie man bei Anwendung von Flußsäure auf geschichtete Nadeln unschwer feststellen kann, wird die äußerste Schicht der Nadelrinde von einer Spiculinlamelle gebildet. Gleich den Siphonen sind auch die Spiculinlamellen durchaus nicht alle von gleicher Dicke, vielmehr läßt sich an Quer- 154 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. lo schHffen leicht feststellen , daß immer Gruppen sehr dünner Lamellen mit einer etwas stärkeren abwechseln. Doch auch die einzelne Lamelle selbst kann bisweilen an verschiedenen Stellen verschieden dick ausgebildet sein. Zu interessanten Ergebnissen fiihrte die Unter- suchung der Ansatzstellen der Spiculinlamellen an den Achsenfaden , die sich bei allen stärkeren Nadeln klar verfolgen ließen. Es zeigte sich hier nämlich , „daß beide Gebilde (Achsenfaden und Spiculinlamelle) ganz kontinuierlich zusammen- hängen und wahrscheinlich gleichen Wesens sind" (Fig. 29b). Weiterhin gibt F. E. Schulze noch sehr ein- gehende Angaben über das Verhalten der Nadeln in polarisiertem Licht , worauf aber nicht mehr näher eingegangen werden kann. Was endlich die Entstehung der Nadeln anbe- langt, so konnte Verfasser auf Grund seiner Be- funde an den Trichasteren von Trichasterina horealis (Fig. 20) im wesentlichen die Unter- suchungen Ijima's an anderen Hexaclinelliden be- stätigen. Auch hier werden die Hexas'ter zunächst von einem kompakten Plasmodium ausgeschieden, das „sich allmählich von der Nadel radial zurück- ziehend, eine umhüllende Kapsel bildet, dabei aber selbst mit seinem Mutterboden, dem umgebenden Trabekelwerk, in Verbindung bleibt". Doch auch diese Untersuchungen können hier nicht weiter verfolgt werden, wie gleichfalls inbezug auf zahl- reiche andere, interessante und wichtige Einzel- heiten auf die Originalarbeit verwiesen werden muß. Kleinere Mitteilungen. Der spektroskopische Doppelstern /. Andro- medae, dessen Duplizität im Jahre 1899 von Camp- bell erkannt worden ist, scheint stark veränderliche Bahnelemente zu haben. K. Burns hat die Bahn- elemente neuerdings nach zwei Serien photographi- scher Aufnahmen berechnet, die in den Jahren 1899 und 1905 gewonnen waren (Astrophys. Journ. Dez. 1906). Dabei führten beide Serien zu nicht un- erheblich voneinander abweichenden Werten. Die Umlaufszeit ergab sich für 1899 gleich 20,538 Tagen, für 1905 dagegen gleich 20,546 Tagen. Ebenso war die Exzentrizität von 0,132 auf 0,086 verändert, die Bahngeschwindigkeit von 6,48 km auf 7,07 km, die Geschwindigkeit des Systems in bezug auf die Sonne von -)- 6,34 km auf-f- 7,43 km. Am stärksten verändert hat sich aber die Lage der großen Achse der Ellipse, nämlich um 35 Grad, was etwa dem Fünffachen des wahrscheinlichen Fehlers entspricht. Diese allerdings noch durch weitere Beobachtungen zu bestätigende Bahnände- rung dürfte zweifellos auf die störende Einwirkung eines dritten Körpers zurückzuführen sein. F. Kbr. Im Anschluß an den Seite 40 dieses Jahrganges befindlichen Artikel des Merrn Geh. Reg.- Rat Dr. Petri über Leeuwenhoek's Rotations-Experiment tritt Mr. E. Lagrange (Brüssel) in einer uns zu- gegangenen brieflichen Mitteilung insofern für Mr. de Saintignon ein, als er hervorhebt, daß das Wesentliche des der Pariser Akademie mitgeteilten Versuches von de Saintignon die Bildung zweier nicht äquatorealer Zonen durch die in Sus- pension befindlichen Staubteilchen ist, wovon in dem Versuche von Leeuwenhoek nichts erwähnt wird. Mr. Lagrange hat den Versuch von de Sain- tignon wiederholt und in der Zeitschrift Cosmos (1906, Nr. 1103) über seine etwas abweichenden Beobachtungen und deren Erklärung berichtet. Die beiden Banden in 45 " oder 30 " Breite, welche de Saintignon beobachtete, traten bei den Ver- suchen von Lagrange nicht auf, vielmehr bildete sich nur ein breiterer Äquatorialgürtel aus den in Suspension befindlichen, schwereren Teilchen. Aber von den Grenzen dieses Gürtels lösten sich merk- würdigerweise Kohlenstaubringe los, die schnell bis zu den Polen glitten und alsdann ebenso schnell wieder an ihren früheren Platz zurück- kehrten. Die L^rsache dieser beweglichen Ringe glaubt Mr. Lagrange in kleinen Variationen der Drehungsgeschwindigkeit und in den elastischen Eigenschaften der Flüssigkeit suchen zu müssen. Durch geschickte Bremsung der rotierenden Kugel mit Hilfe der Hand gelang es dann auch, die Be- wegung jener Ringe für kurze Zeit zu hemmen, so daß dann der Anblick der Kugel der von de Saintignon gegebenen Abbildung entsprach. Jedenfalls glaubt IVIr. Lagrange im Gegensatz zu diesem, die beobachteten Erscheinungen durchaus mit den bisher bekannten Prinzipien der Mechanik erklären zu können. Kbr. Aus dem wissenschaftlichen Leben. Wilhelm von Bezold j. Mit dem .im 17. Februar im Alter von fast 70 Jahren verstorbenen Leiter des königl. preußischen meteorologischen Instituts ist ein Mann dahin- gegangen, der in mannigfacher Weise auf die neuere Meteoro- logie anregend und befruchtend eingewirkt hat, und der im besonderen stets bestrebt war, diese Wissenschaft aus einer bloßen Ansammlung von Beobachtungstatsachen durch Ent- wicklung theoretischer Betrachtungen zum Range einer exakten Disziplin zu erheben, die er gern mit dem Namen ,, Physik der .Atmosphäre" belegte. — .Am 21. Juni 1837 in München geboren widmete v. B. nach beendetem Göttinger Studium seine Kraft zunächst dem engeren Vaterlande , anfangs als Privatdozent an der Universität, seit 186S als ordentlicher Professor der Physik an der technischen Hochschule zu Mün- chen. Von hier aus organisierte er auch den meteorologischen Beobachtungsdienst in Bayern und zeigte sich dabei neben seinen wissenschaftlichen Leistungen, die sich damals nament- lich auf die Gewitter bezogen, als einen so tatkräftigen Ver- waltungsbeamten, daß 1885 seine Berufung nach Berlin als Universitätsprofessor und Direktor des meteorologischen Instituts erfolgte. Seine in Berlin entstandenen Arbeiten wur- den zumeist in den Sitzungsberichten der Akademie der Wissenschaften, deren Mitglied er war, veröffentlicht. Eine Zusammenfassung derselben zu einem stattlichen Bande erfolgte N. F. VI. Nr. lo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 155 im vorigen Julire. Wir werden demniiclist eine besondere Besprechung dieser „gesammeUen Abliandlungen" bringen. Bücherbesprechungen. i) Charles Darwin, Die Entstehung; der Arten durch nanirliche Zuchtwahl oder die Erlialtung der begünstigten Rassen im Kampf ums Dasein. Nach der Übersetzung von J. V. Carus und der letzten englisclien Ausgabe bearbeitet von Dr. Heinrich Schmidt (Jena). Volksausgabe. Alfred Kröner, Verlag in Stuttgart. — Preis i Mk. 2) Ernst Haeckel, Prof a. d. Univ. Jena, Prinzi- pien der generellen Morphologie der Organismen. Wörtlicher Abdruck eines Teiles der 1866 erschienenen generellen Morphologie. (Allgemeine Grundzüge der organischen Formen- wissenschaft, mechanisch begründet durch die von Charles Darwin reformierte Deszendenztheorie). Mit dem Porträt des Verfassers. Berlin, Georg Reimer, 1006. 447 S'. — Preis 12 Mk. 3) Ernst Haeckel, Prof. an der Univ. Jena, Die Lebens wunder. Gemeinverständliche Studien über biologische Philosophie. Ergänzungsband zu dem Buche über die Welträtsel. Volksausgabe. Alfred Kröner, Verlag in Stuttgart, 1 906. — Preis I Mk. 4) Ernst Haeckel, Prof an der Univ. Jena, Der Kampf um den Entwicklungsgedanken. 3 Vorträge, gehalten am 14., 16. und 19. April 1905 im Saale der Singakademie zu Berlin. Mit 3 Tafeln und i Porträt. Georg Reimer in Berlin, 1905. — Preis 2 Mk. 5) Ernst Haeckel, Über die Biologie in Jena während des 19. Jahrhunderts. Vortrag, gehalten in der Sitzung der medizinisch-naturwissen- schaftlichen Gesellschaft am 17. Juni 1904. Jena, Verlag von Gustav Fischer, 1905. — Preis 50 Pf 6) Erich Wasmann, S. J. , Die moderne Bio- logie und die Entwicklungslehre. 3., stark vermehrte Aufl. Mit 54 Abb. im Text und 7 Tafeln. Freiburg i. Hr., Herder'sche Verlags- handlung, 1906. — Preis 8 Mk. 7) Karl Camillo Schneider, a. o. Prof d. Zoologie a. d. Univ. Wien, Einführung in die De- szendenztheorie. 6 Vorträge. Mit 2 Tafeln, I Karte u. 108 teils farbigen Textfiguren. Gustav Fischer, Jena, 1906. — Preis 4 Mk. 8) Hugo de Vries, Arten und Varietäten und ihre Entstehung durch Mutation. An der Universität von Kalifornien gehaltene Vorlesungen. Ins Deutsche übertragen von H. Klebahn. Mit 53 Abbildungen im Text. Verlag von Gebrüder Borntraeger in Berlin, 1906. — Preis 16 Mk. Wiederum liegen uns eine Anzahl Schriften vor, die sich mit der Phylogenese bzw. im weitesten Sinne mit dem Entwicklungsgedanken be- schäftigen. Es hat also einen weitgehenden Reiz, diesen Gedanken immer wieder zu verfolgen und darzustellen. Aber merkwürdig genug: Die Frage, warum uns gerade die Kenntnisnahme der Ent- wicklung, der Entstehung der Organismen von besonderer Wichtigkeit erscheint, wird kaum auf- geworfen und zu beantworten gesucht. Die hohe Wichtigkeit der Erforschung der Entwicklung an sich mit der Annahme, daß dabei im allgemeinen ein Fortschreiten von einfacheren („niederen") zu kom- plizierteren (,,höheren") Verhältnissen stattfinde, wird einfach als Prinzip angenommen. Um den Wert eines Prinzipes zu erkennen, zu erfahren, was denn bei Befolgung desselben höchstenfalls für unsere Erkenntnis zu erwarten sei, ist aber die Beantwortung der oben gestellten Frage nicht zu umgehen, und daß es sich dabei gewiß nicht um etwas Nebensächliches handelt, braucht in unserer in Entwicklungsgedanken schwimmenden und zum Teil fast darin untergehenden Biontologie ') nicht besonders hervorgehoben zu werden. Wenn ein Kind ein mechanisches, ihm so, wie es ihm entgegentritt, unverständliches Spielzeug zerstört, wenn ein Neger die ihm unbegreiflich erscheinende Uhr in ihre Bestandteile zerlegt , wenn der Forscher anatomische Untersuchungen anstellt, so handelt es sich durchgehends um denselben Trieb, nämlich den, sich das ihm vorläufig noch Unerklärliche dadurch zu klären, daß der Untersucher die einzelnen Bestandteile kennen lernt in der Hoft'nung, daß diese für ihn einfachere, bereits bekannte sein werden und ihm so als Brücke dienen können das Zusammengesetzte zu verstehen, namentlich wenn er dieses nun aus den Einzelheiten wer^den, entstehen sieht. Jedes Werkzeug des Menschen, alles was er schafft, entsteht in der Zeit: wird entwickelt , und wer sich das Fertige verständ- lich machen will, fühlt sich hinreichend befriedigt, wenn er Kenntnis von dem Werden desselben hat. Das Streben nach dieser Kenntnis entspringt also rein und ausschließlich aus dem Bedürfnis, sich etwas Fertiges, Unverstandenes verständlicher zu machen : es abzuleiten oder bedingt zu sehen aus Einfacherem, dessen weitere Erklärung daher weniger schwierig er- scheint, bis man dann zu „Elementen" gelangt, deren weitere ,, Erklärung" von den Meisten nicht mehr als Bedürfnis empfunden wird. Hierin sind freilich die verschiedenen Menschen ganz verschieden veranlagt, indem der eine schon sehr frühe, zuweilen von vorn- herein Halt macht, der andere später und schließlich eine kleinere Gemeinde auch die „einfachsten Ele- mente" ebenso „unerklärlich" findet wie die kompli- ziertesten Gebilde. Aber da doch die „rohen", von der Natur ohne weiteres gebotenen Materialien den meisten Menschen als diejenigen, an die sie gewöhnt sind, auch hinreichend „erklärt" sind, so ist es erst das aus diesem Rohmaterial Hergestellte, was ihnen Fragen nach seiner Entstehung abnötigt. Das rein Menschliche ist es demnach, das Ent- wicklungs-, Entstehungsfragen gebiert, und wer über ') Wo wir Biontologie sagen, meinen wir die gesamte Lelire von den Lebewesen. Der Ausdruck wurde von der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin eingeführt in dem Titel des von ihr herausgegebenen ,, Archivs für Bionto- logie", weil der Terminus Biologie bekanntlich leider in doppeltem Sinne gebraucht wird, nämlich einmal wie oben Biontologie und zum zweiten im engeren Sinne als die Lehre von der äußeren Lebenshaltung der Organismen. Biologie heißt aber Lebenslehre, wäre also dem etymologischen Sinne nach mit dem identisch, was man jetzt als Physiologie be- zeichnet. 156 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. lo den engeren Kreis hinaustretend nun die Natur not- gedrungen von dem einzig mögUchen Standpunkte aus betrachtend, d. h. mit menschlichem Maßstabe ge- messen ansieht , der muß auch da , sobald ihm das Bewußtsein des auch in der Natur vorhandenen Kom- plizierteren neben Einfacherem aufgeht, nach einer „Erklärung" dieses Komplizierteren verlangen. Ins- besondere sind es die Organismen, die notwendig dem Versuch sie entwicklungsgeschichthch zu „ver- stehen" unterliegen müssen, sei es in ihrer individu- ellen Entwicklung, sei es — da ihre Gesamtheit eine Reihe von „Niederem" zu „Höherem" bildet — in der theoretischen Annahme, daß diese Reihe über die Entstehung der komplizierteren Organismen aus ursprünglich einfacheren Auskunft gibt. Der Sinn der starken Bevorzugung entwicklungs- geschichtlicher Forschungen bedeutet demnach nur und allein eines von den Mitteln , Komplizierteres aus Einfacherem herzuleiten. Mehr dahinter zu suchen wäre Mystizismus, aber keine Natur- forschung mehr. Ist das nun nicht alles selbstverständlich und nicht der Rede wert? Man urteile selber! Es steht fest, daß wir namentlich in der Botanik eine — insbesondere durch Matthias Jakob Schieiden geförderte und man könnte sogar sagen inaugurierte — Periode gehabt haben , in der einzig und allein entwicklungsgeschiclitliche Untersuchungen am Indi- viduum als Wissenschaft galten ; alles übrige war mehr nebensächliches Beiwerk. Schieiden sah nur ent- vificklungsgeschichtliche Probleme und kommt dann auch zu der großen schädlichen Übertreibung: „jede Hyi^othese, jede Induktion in der Botanik ist unbe- dingt zu verwerfen, welche nicht durch Entwicklungs- geschichte orientiert ist". Er übersah vollständig, daß all und jede, ausnahmslos jede Beziehung, die auffindbar ist — nicht bloß einseitig zufällig die entwicklungsgeschichtlichen Beziehungen — Objekt der Forschung sind. Kritisch gesehen können wir wirklich nicht mehr tun — sofern wir bei der Wissen- schaft bleiben — als diese Beziehungen zu beschreiben. Aber mit Schieiden als Führer, dessen einseitige Hervorkehrung des Entwicklungs- prinzips die Botanik zunächst mächtig förderte, verlor man doch die anderen Aufgaben der Wissenschaft vollkommen aus dem Sinn zum großen Schaden der harmonischen Ausgestaltung der Botanik. Ist einmal ein Schlagwort wie das des „Entwicklungs- gedankens" auf fruchtbaren Boden gefallen, dann wird es schnell zum Fetisch, und es genügt, daß irgend jemand einmal eine Äußerung wage, die auf den Fetischismus hinweise , um diesen „wissenschaftlich" unmöglich zu machen. Wie oft haben wir nicht in der Wissenschaft diese Entstehung des Fanatismus verfolgen können: jenes allmenschlichen Zuges, der bequem vom eigenen tieferen Denken enthebt, indem man einfach blindgläubig darauf losgeht. Wie die Insekten in das augenblickliche Licht stürzen und zwar blindlings, so daß sie dabei zu Schaden kommen oder gar ganz verbrennen , so stürzt auch der Troß von Alltagsmenschen über einen ihm genehmen oder oberflächlich plausibel gemachten Begriff her unbe- kümmert darum, was bei der fanatischen Anwendung desselben zugrunde gehen könnte. Heute stehen wir in einer ähnlichen Periode wie zu den Zeiten Schleiden's, aber es handelt sich dies- mal um die Anwendung des Entwicklungsgedankens auf das gesamte Reich des Organischen, auf die — in diesem Falle, da eine direkte Beobachtung unmög- lich ist — theoretische Erforschung der Entwicklung der Organismen, der Arten auseinander. Kant weist in seiner ,, Kritik der reinenVernunft"(i 781, 2. Aufl. 1787) darauf hin, daß die Annahme einer „kontinu- ierlichen Stufenleiter der Geschöpfe" nur aus einem „Interesse der Vernunft" aber nicht aus der Beobach- tung hervorgehe, womit er — fügen wir hinzu — zum Ausdruck bringt, daß die Übertragung der sich aus dem Verfolg der Entstehung menschlicher Werkzeuge und Apparate ergebenden Ansicht auf die Bildungen der Natur eine rein vernunftmäßige ist. So sehen wir schon bei Thaies (j 548/5 v. Chr.) hieraus den Gedanken auf- treten : Alles sei aus dem Wasser entstanden ; also aus einem für ihn Einfachen, dem Wasser, entsteht alles Übrige, Kompliziertere. Ähnlich bei Anaximander (f nach 547/6 v. Chr.), der „als den Anfang von allem das Unbegrenzte, d. h. die unendliche Masse des Stoffes bezeichnete, aus der alle Dinge entstanden seien" (Eduard Zeller, Griech. Phil.). Und so könnte die Historie zum Gegenstand bis heute — über Empe- dokles (f um 435/0 v.Chr.) — reich fortgesetzt werden. Wenn nun auch Kant noch nicht wissen konnte, daß die Tatsachen der Paläontologie eine allmähliche Stufenfolge des Organischen von Einfacherem zu Komplizierterem ergeben haben, so daß die Annahme von der tatsächlichen Entwicklung der Organismen auseinander in deszendenztheoretischem Sinne eine gewaltige Unterstützung erfährt, so war sein , .Interesse der Vernunft" an dem Entwicklungsgedanken doch so groß, daß er später (1790) aus der Ähnlichkeit so vieler Arten der Organismen den Schluß zog: „Diese Analogie der Formen, sofern sie bei aller Verschiedenheit einem gemeinschaftlichen Urbilde ge- mäß erzeugt zu sein scheinen, verstärkt die Vermutung einer wirklichen Verwandtschaft derselben in der Er- zeugung von einer gemeinschafdichen Urmutter, durch die stufenartige Annäherung einer Tiergattung zur anderen , von derjenigen an , in welcher das Prinzip der Zwecke am meisten bewährt zu sein scheint, nämlich dem Menschen, bis zum Polyp, von diesem sogar bis zu Moosen und Flechten und endlich zu der niedrigsten uns merklichen Stufe der Natur, zur rohen Materie . . . ." So ungemein fruchtbar auch die Anwendung des Entwicklungsgedankens für die „Erklärung", das Ver- ständnis des organischen Reiches gewesen ist, so wird doch vielfach vergessen, daß die Erforschung der phylogenetischen Entwicklungsmöglichkeiten nicht die einzige und auch nicht die Hauptaufgabe der Bionto- logie ist, die noch unendlich viele andere Fragen zu beantworten hat, die mit der Phylogenese nichts zu tun haben. Wie zu Schleiden's Zeiten die Betrach- tung der Entwicklungsgeschichte der Individuen in ungebührlichem Vordergrunde stand, so heute die- jenige der Generationen. N. F. VI. Nr. lo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. •57 Es ist deshalb gut sich zu vergegenwärtigen, welchen Sinn die Frage nach der Entstehung , der Entwicklung habe, um nicht einem Mystizismus zu verfallen, der nicht imstande ist das Anthropomorphe des Entwicklungsgedankens zu erkennen und nun überall und allüberall unbedingt eine „Entwicklung" hineinlegt, unbekümmert darum, ob das überhaupt einen Sinn hat oder nicht. Doch gehen wir nun über zu der Vorführung der Schriften, die sich mit dem „Entwicklungsgedanken" beschäftigen, Schriften, unter denen auch nicht eine ist , die auch nur entfernt den Versuch machte, diesen Gedanken auf sein Wesen zurückzuführen. Und wenn das auch bei dem großen Darwin — der eine tiefere philosophische Veranlagung nicht besaß — nicht der Fall ist , so hat dieser doch — wie seine vielen exakten Arbeiten auf anderen Gebieten weit- gehend beweisen — den Entwicklungsgedanken in Anwendung auf die Organismen nicht überschätzt — — — — wie das seine Epigonen getan haben. 1 } Mit diesem Abdruck von D a r w i n ' s Entstehung der Arten wird für einen erstaunlich billigen Preis (das vorliegende Buch umfaßt auf zweispaltigen großen Seiten eng gedruckt 297 Seiten) ein klassisches Werk als Volksausgabe geboten, dem wir weiteste Verbreitung wünschen, als Kampfmittel gegen die meisten populären Werke über denselben Gegenstand, die vielfach über stete Wiederholungen von zu Gemeinplätzen gewor- denen Redensarten nicht hinauskommen. Das vor- liegende Buch Darwin's, das diese große populäre Literatur veranlaßt hat, ist sehr leicht zu verstehen, und es ist jedem, der dem Gegenstand Interesse ent- gegenbringt, dringend anzuraten, aus der Quelle selbst zu schöpfen. Freilich: die einfache, leicht verständliche, „schmucklose" Schreibweise eines Charles Darwin ist unserem literarisch verbildeten großen Publikum nicht genehm; wenigstens müßte man zu diesem betrü- benden Schlüsse kommen , wenn man erlebt , wie die den Deszendenzgedanken ausschlachtende popu- läre Literatur Boden gewonnen hat. Der „Schmuck" des Stiles der meisten Popularisatoren mutet wie grell- bunter und papier-goldner Flitterkram an , der dem nicht kritisch Veranlagten das Wesentliche verdeckt und verwischt. 2) Prof. L. Plate sagt über den vorliegenden Ab- druck von Flaeckel's Morphologie in dem „Archiv für Rassen- und Gesellschafts Biologie" u. a. das Fol- gende : „Kein Werk des bekannten Jenenser Gelehrten wird von den Fachgenossen so hoch bewertet als die vor 40 Jahren erschienene zweibändige „Generelle Morphologie". Sie war aus einem Guß rasch und genial entworfen worden, beleuchtete zum ersten Male alle Fragen der allgemeinen Zoologie von dem ein- heitlichen Standpunkte der Deszendenztheorie aus. . . . Das Werk hat einen ungeheueren Einfluß ausgeübt und ist noch jetzt eine Fundgrube ersten Ranges, in der man viele Gedanken entdeckt, die man nur zu leicht für eine Errungenschaft der jüngsten Zeit hält. . . ." Haeckel besitzt in der Tat eine besondere Geschick- lichkeit, Termini zu bilden; seine Generelle Morpho- logie ist diesbezüglich allerdings eine Quelle. Eigen- tümlich berührt es aber, daß ein Buch, das in seinem Titel den Terminus Morphologie führt und im Text Goethe in einem fort zitiert, doch nichts Näheres über die Herkunft des Wortes Morphologie (es stammt von Goethe!) angibt und auch keine Gründe dafür vorbringt, warum der Begriff der Morphologie beim Verfasser ein anderer ist als bei dem ursprünglichen Schöpfer desselben. H. definiert Morphologie in der üblichen Weise als „Formenlehre der Organismen", also als das , was Organographie heißen sollte und auch iu der Botanik früher hieß, oder was man Morphographie nennen könnte. Unter Mor- phologie aber hat Goethe etwas anderes verstanden. RIan höre nur den folgenden Satz Goethe's ') : „Wollen wir .... eine Morphologie einleiten , so dürfen wir nicht von Gestalt sprechen, sondern, wenn wir das Wort brauchen, uns allenfalls dabei nur die Idee, den Begriff oder ein in der Erfahrung nur für den Augen- blick Festgehaltenes denken." Haeckel — der „Mono- graph" der Morphologie! — hält es nicht für nötig, dem ursprünglichen Begriff Morphologie nachzugehen, wenn er ihn auch nicht wie die Allgemeinheit in seiner verwässerten Form benutzt. Haeckel gehört zu denen , die plötzlichen Eingebungen und Erleuchtungen folgend nun diese auch schnell kund tun wollen. So kommt denn ein schriftstellerischer Aufbau zustande, gewandt, aus einem Guß wie ein Kunstwerk, aber auch wie dieses unbeirrt um alles sonst ringsumher emporgeschossen, wie ein etiolierter, im Dunkeln aufgegangener Sproß, der sich nicht selbst aufrecht halten kann, sondern schnell zusammen- brechen muß. Für wissenschaftliche Selbstkritik bleibt dabei keine Zeit übrig. So werden denn noch vor- handene Lücken ungeduldig, statt sie durch Felsen auszufüllen mit der Gewähr, daß sie dauernd tragen werden, mit sofort bequemer zugänglichem, wertlosem morschen Holz gestopft, so daß dann freilich der ent- standene Bau nur von Ferne angeschaut aber nicht ordentlich benutzt werden darf. Freilich ist ein ge- wisser Nutzen solcher , wenn auch etwas mit Gewalt abgerundeten Darstellungen nicht zu verkennen : geben sie doch eine allgemeine Grundlage für weitere For- schungen , die dann schneller zu Besserem gelangen. 3) Haeckel's Buch über die Lebenswunder haben wir ausführlich in der Nr. vom 23. April 1905 p. 268 — 269 der Naturw. Wochenschr. besprochen und — abgelehnt; es erübrigt daher hier nur darauf aufmerksam zu machen , daß das Buch nun- mehr als billige Volksausgabe in Heftform vorliegt. 4) Die Vorträge Haeckel's „Der Kampf um den Entwicklungsgedanken'' sind im Prinzip ein Aus- zug aus des Verfassers Natürlicher Schöpfungsge- schichte mit einigen der Neuzeit entsprechenden Zu- taten, besonders mit Berücksichtigung des Wasmann- schen Buches über Biologie. Näheres werden wir ') Vgl. Polo nie, Ein Blick in die Geschichte der bota- nischen Morphologie und die Pericaulomtheorie (Gustav Fischer in Jena 1903). — Weniger eingehend, doch in demselben Sinne, habe ich den Begriff der Morphologie in Weiterent- wicklung des Goelhe'schcn Gedankens in dem Abschnitt ,, Morphologische Charaktere" meiner ,, Abstammungslehre und Darwinismus" (Ferd. Dümmler's Verlagsbuchh. in Berlin 1899I dargestellt. 158 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. lo hierunter in der Besprechung der neuesten Auflage dieses Buches von Wasmann unter Nr. 6 vorbringen. 5) In dem Jenenser Vortrag Haeckel's von 17 Seiten Umfang bespricht er, von der bekannten Unterhaltung von 1774 zwischen Goethe und Schiller über die Metamorphose der Pflanzen ausgehend, die Biontologie des 1 9. Jahrhunderts , soweit Jena dabei besonders in Frage kommt. Es sei in dieser Rich- tung z. B. an Schieiden erinnert. 6) Die 2. Aufl. des Wasman n 'sehen Buches haben wir auf p. 423 — 427 der Nr. vom 2. Juli 1905 der Naturw. Wochenschr. eingehend besprochen. In- dem wir darauf verweisen , können hier nur Zusätze dazu gebracht werden. Der Titel des Buches ,,Die moderne Biologie und die Entwicklungslehre" macht zwar wahrscheinlich, daß Verf. hier Entwicklungslehre in dem Sinn von Deszen den zlehre (Abstammungslehre) meint, wie sich denn das Buch in der Tat nur um den kleinen Teil der Entwicklungslehre kümmert, der die „Bluts- verwandtschaft" der Organismen (die Phylogenese) im Auge hat, mit Hinzuziehung dessen , was aus der in- dividuellen Entwicklungsgeschichte (der Ontogenese) dabei in Frage kommt; jedoch würde die Titelfassung auch den Gedanken zulassen, daß Verf. die gesamte Entwicklungslehre , ihre prinzipielle (philosophische) Seite und alles das in der Natur, was eine Entwick- lung zeigt, mit behandeln wolle. Genauer wäre daher ein Titel gewesen etwa wie „Die moderne Biologie und die Deszendenzlehre". Eine möglichst genaue Benutzung der naturwissenschaftlichen Terminologie erleichtert das Verständnis ganz wesentlich, so daß terminologische Fragen ihre unbestreitbare Wich- tigkeit haben. Doch das nur nebenbei. Verf. hat sein Buch dem Fortschritte der Forschung entsprechend verbessert und vermehrt. Neu hinzu- gekommen sind ein Kapitel über Entwicklungsphysio- logie (,,Das Rätsel des Lebens") und ein Abschnitt über die Entwicklung der Sklaverei bei den Ameisen, außerdem Abschnitte und Zusätze in den übrigen Teilen , z. B. das Problem der Stammesentwicklung, die neueren Studien über den Homo priraigenius etc. Die beiden Hauptteile des Buches (Biologie und Ent- wicklungstheorie) sind in vorliegender Auflage zu einem einheitlichen Ganzen vollkommener verbunden als in der zweiten Auflage. Die Zahl der Textfiguren ist von 40 auf 54, jene der Tafeln von 4 auf 7 ver- mehrt. Die vorige Auflage des Buches hatte Ver- anlassung gegeben zu den unter Nr. 4 genannten Vorträgen von Haeckel. Dementsprechend beschäf- tigt sich auch W. eingehend in der vorliegenden Auf- lage mit Haeckel, besonders durch Wiederabdruck eines offenen Briefes an diesen und Beigabe von Nachträgen zu demselben. Wenn wir Haeckel's Schriften wie die natürliche Schöpfungsgeschichte und seine anderen populären Schriften mit derjenigen Wasmann's vergleichen , so befindet sich der erstere in wesentlichem Nachteil durch die Oberflächlichkeit, mit der er verfährt, und durch die geringere Logik, die er anwendet. Wasmann's Buch ist demgegenüber verläßlich und dort, wo er rein der naturwissenschaftlichen Methode folgt, logisch. Dem Anfänger, der sich mit den heutigen Grundlagen und mit der Historie der Biontologie vertraut machen möchte, ist das Buch daher durchaus zu empfehlen : es ist ernst und gewissenhaft zusammengestellt und geht nicht auf Flausen aus wie leider die ganz über- wiegende Zahl unserer populären Literatur , die sich bemüht, durch möglichst funkelnde Vergleiche alles in kleinlich - menschliche, aber darum vermeintlich „anziehende" Perspektive zu setzen. Unbedingt nicht einverstanden ist Referent damit, daß Wasmann in der einen — bedenklichsten — Richtung dieselben Wege wie Haeckel wandelt, d. h. daß auch er seinen (römisch - katholischen) dogmati- schen Ansichten Einfluß gewährt wie Haeckel den seinen (monistischen) in seinen Schriften. Wer wissenschaftlich tätig ist, muß sich, solange er Forscher sein will — soweit das überhaupt mensch- lich möglich ist — auf einen voraussetzungslosen Standpunkt versetzen , denn es ist die Aufgabe des Forschers, die Lösung des Welträtsels erst zu versuchen, also erst einen Endstandpunkt zu finden.^) Auf keinen Fall darf der Glaube in den Dienst der Wissenschaft gestellt werden , aber auch die Wissen- schaft nicht in den des Glaubens; geschieht es den- noch, so leiden beide darunter. Wer beides mitein- ander verbinden will, verkennt vollständig das Wesen von Glauben und Wissenschaft. Nur ein Beispiel , wohin es führt , wenn beides miteinander verquickt wird, das doch gar nichts mit- einander zu tun hat. In dem Kapitel „Die „Urzeugung" der Organismen" setzt W. trefflich auseinander, daß bis jetzt keinerlei Erfahrungstatsachen bekannt seien, die die Annahme einer Urzeugung von Organismen zu unterstützen geeignet wären. Was er sagt, ist für jeden exakt Denkenden logisch zwingend. Der logi- sche Schluß wäre also die jedem ordentlichen Bion- tologen bekannte Tatsache : eine Urzeugung ist nicht erwiesen: wir wissen nichts über die Entstehung der ersten Organismen. Was man über diesen Punkt glauben mag, gehört nicht in das Gebiet des Wissens. Anstatt daß nun W. hier sagt — wenn er denn durchaus Glauben und Wissen vermengen muß — : er glaube, daß die ersten Organismen von einem persönlichen Schöpfer geschaffen seien , läßt er sich — hier durchaus die Logik preisgebend — zu der Behauptung verleiten (p. 208 — 209): die anorganische Materie kann nicht die Ursache des Lebens gewesen sein. „Außer der anorganischen Materie und ihren Gesetzen gab es aber damals noch nichts in der Weh. Also muß es eine außerweltliche Ursache gewesen sein, welche aus der Materie die ersten Organismen hervor- brachte."") Steht es so schwach um den Glauben, daß es notwendig ist, ihn mit Scheingründen zu retten ? Geschädigt wird der Glaube durch die unlegitime Ehe mit der Wissenschaft, nicht aber gefördert! Nun kann Herr W. freilich antworten: er beabsich- tige gar keine Unterstützung des Glaubens durch die ') Vgl. meine Notiz ..Dogma und Kritik" in der Nr. vom 25. Juni 1905 der Naturw. Wochenschr. '■') Das Gesperrte auch bei W. gesperrt. N. F. VI. Nr. !0 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 159 Wissenschaft , diese Meinung sei vollkommene Ver- kennung usw. Dann also soll umgekehrt die Wissen- schaft durch Glaubenssätze gefördert werden? Auch hier würden wir vielleicht ablehnende Antwort er- halten, und wenn das der Fall sein sollte, dann gibt es für einen logischen Disput keine Basis mehr. Dennoch hat sich Pater Wasmann der öffentlichen Diskussion unterworfen. Denn nachdem Obiges be- reits der Druckerei vorlag , hat W. Mitte Februar in Berlin durch einige Vorträge zum Gegenstande und am Schluß durch einen „Diskussionsabend" großes Aufsehen gemacht. Ich habe den 3 Vorträgen und der Diskussion beigewohnt und das gibt mir Veran- lassung noch das Folgende hinzuzufügen. „Ich halte es — so schrieb ich einem Bekannten unmittelbar vor jenem Abend — für ausgeschlossen, daß an die- sem sog. Diskussionsabend irgend eine Entscheidung, sagen wir einmal ein Sieg der einen Partei, der Partei des Pater Wasmann , oder der anderen , der rein naturwissenschaftlichen Partei, irgendwie möglich sein sollte, in dem Sinne, daß nun eine der Parteien vom Partner überzeugt werden könnte. Ich meine damit nicht etwa, daß nicht doch einmal eine Einigung zu erzielen sein mochte, aber Erziehung, Unterricht und lange Beschäftigung mit ihrem Gegenstande machen es den Vertretern beider Parteien un- möglich, sich im Handumdrehen gegenseitig zu be- kehren. Es wäre eine schlechte Erziehung, ein mangel- hafter Unterricht, ein oberfläcnliches Studium ohne Vertiefung , und andererseits ein wenig gefestigter Glaube, wenn diese Bekehrung so schnell erreichbar sein sollte. Zu einem solchen Versuch gehört eine ständige gegenseitige Belehrung von Jahren. Wie Pater Wasmann uns in so glänzender Weise seinen Standpunkt nahe gerückt hat,') so vermögen wir — meine ich — auch nur unsere gegenwärtigen Standpunkte anzudeuten, also nur die Gegensätze kurz aufzuzeigen. Ich persönlich stehe in prinzipiell- stem Gegensatz zu Pater Wasmann, insofern als ich mich durchaus nicht damit einverstanden erklären kann , Wissenschaft und reinen Glauben auch nur irgendwie durch Vernunftgründe in Zusammenhang zu bringen : sie haben in dieser Beziehung beide ganz und gar nichts miteinander zu tun ; sie sind gänzlich heterogene Gebiete. Wissenschaft und Glaube können logischerweise gar nicht gegenseitig zur Unterstützung beziehungsweise Bekämpfung Verwendung finden. Ich stehe mit anderen auf dem Standpunkt, daß die Wissenschaft über die bloße Beschreibung des Ge- gebenen nicht hinauskommt, daß somit der Möglich- keit etwas zu erkennen Halt geboten ist, wo die Möglichkeit einer Beschreibung aufhört. Es ist dabei wohl zu beachten, daß eine Beschreibung nur auf dem Gebiet des Endlichen möglich ist. Mit Rücksicht auf die Tendenz der Wissenschaft, nämlich das .\llgemeine zu erkennen , ist die Be- schreibung von Beziehungen nicht nur der Einzel- heiten zueinander, sondern insbesondere von Tatsachen höherer Ordnung (von umfassenden Tatsachen) das ') Nämlich in den drei dem Diskussionsabend voraus- gehenden Vorträgen. Wichtige an der Wissenschaft : nur im Hinblick dar- auf haben die Einzelei fahrungen einen Wert, Vifährend sie für sich allein genommen keine wissenschaftliche Bedeutung haben, die sie eben erst als Stütze für einen allgemeinen Gedanken gewinnen. Die Deszendenzlehre bringt eine viele Einzelheiten zusammenfassende Tatsache höherer Ordnung zum Ausdruck, die zwar nur eine vermutete Tatsache höherer Ordnung ist, doch von jedem Biontologen anzuerkennen ist, bis eine bessere Vermutung, oder, was dasselbe ist, Theorie aufgestellt werden würde. Sie ist bis auf weiteres in ihrem ganzen Umfange un- bedingt anzunehmen, weil sie widerspruchslos eine unglaubliche Fiüle biontologischer Einzeltatsachen zu- sammenfaßt. Würden wir alles uns Zugängliche genau und ausführlich in seinen Beziehungen zueinander beschrieben haben, so wäre die Aufgabe der Wissen- schaft erschöpft, weil eben unserem Erkenntnisver- mögen ein anderes Mittel, die Welt gedanklich zu be- siegen, nicht gegeben ist. Die Wissenschaft verkennt ihre Tätigkeit, wenn sie über Endliches hinaus urteilt. Macht man sich in dieser Weise genau klar, wo die Grenze wissenschaftlicher Betätigung liegt, so ist er- sichtlich, daß dem Glauben das Gebiet über das U n - endliche verbleibt, das zu pflegen — wiederhole ich — der Naturforscher nicht berufen ist. Der Mensch mit seinen endlichen Sinnen vermag auch mit seinem Verstände nur Endliches zu durchdringen. Es wäre der Wissenschaft dienlich, wenn sich jeder ihrer Jünger dessen bewußt wäre. Der Naturforscher hat und vermag nur die Bedürfnisse des Verstandes zu befriedigen. Nun finden wir freilich an uns und anderen in wechselnder individueller Stärke und Ausbildung die Tatsache vor, daß außer Bedürfnissen des Ver- standes auch solche des Gemütes vorhanden sind. Würden wir uns beide Bedürfnisarten für sich summiert denken, so dürfte wohl herauskommen, daß die Bedürfnisse des Gemüts diejenigen des Verstandes ganz erheblich übersteigen. Beide verlangen gebiete- risch ihr Recht und ihre Pflege, beide schütteln immer wieder eine unter Umständen versuchte gegenseitige Knechtschaft ab, weil die Mittel, die ihnen zur Er- strebung ihrer Ziele zur Verfügung stehen, gänzlich unvereinbare sind. Herr Geh. Reg.-Rat Professor Möbius, der ehemalige Direktor des Berliner Kgl. zoolog. Museums, teilt mir freundlichst einen Satz aus seinem Briefe an Pater Wasmann mit, des Wort- lautes : „Der Inhalt religiöser Gefühle läßt sich nicht bestimmen nach Gesetzen wissenschaftlichen Flrkennens", und ich füge entsprechend dem vorher Gesagten hinzu, daß auch umgekehrt die Wissenschaft reinen Glauben weder zu widerlegen noch zu unterstützen vermag. Der Gelehrte wird also Wissenschaft und Glauben scharf auseinanderhalten und wird das tun, wenn er nur die eben ausgesprochene Ansicht anzu- erkennen vermag. Inwieweit aber ein Mann, der sich wie Pater Wasmann , als Hauptberuf die Pflege des Glaubens erwählt hat, praktisch genötigt ist, auch dort, wo er Wissenschaft treibt, Glaubensansichten als Leitsterne zu nehmen, vermag ich nicht hinreichend zu beurteilen: sollte eine derartige Verpflichtung vor- i6o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. lo liegen , so wäre das sehr bedauerlich, weil dadurch für beide Gebiete eine Verwirrung unausbleiblich ist. Ich wiederhole : Wissenschaft und (;iaube sind unbedingt, absolut getrennt zu halten. Die wahre Wissenschaft oder Philosophie — soweit . man diese zur Wissenschaft rechnet — ist gar nicht in der Lage über Glaubens- ansichten zu entscheiden, ebensowenig wie anderer- seits der Glaube eine logische, wissenschaftliche De- duktion irgendwie zu erschüttern vermag. Das wäre nur möglich, wenn der Gott des Christentums dem Menschen Verstand verliehen hätte, um ihn in die Irre zu führen: Diese Ansicht liegt aber nicht im Geiste des Christentums. Beide, Glauben und Wissenschaft, haben sich durch die schwachen Menschen, die sie vertreten, unbefugte gegenseitige Einmischungen zuschulden kommen lassen, aber von etwa notwendigen Kompromissen kann gar keine Rede sein, da sie sich — richtig ver- standen — gar nicht im gelindesten stören dürften. Sind dennoch Widersprüche zwischen beiden vor- handen, so beweist das nur unberechtigte Übergriffe von der einen oder anderen Seite. Die Geschichte lehrt denn auch, daß der Glaube, wenn auch meist nach unheilvollen Kämpfen, sich schließlich doch immer den kritisch gewonnenen Resultaten der Wissen- schaft anpassen mußte und anzupassen vermochte. Das wird auch fernerhin so bleiben ! Kulturhistorisch haben denn auch das Buch und das Auftreten Wasmann's durch seine Vorträge in Berlin eine große Bedeutung; das hat auch Haeckel in seiner unter Nr. 4 erwähnten Schrift mit Recht in bezug auf das Buch Wasmann's betont: hier erleben wir, daß die machtvollste christliche Kirche wiederum einen gewaltigen Schritt vor der ^^'issenschaft zurück- weicht und zurückweichen muß, weil die Kirche in unklarem Denken ihrer Vertreter sich vorschnell in das naturwissenschaftliche Gebiet gewagt hatte. Ein Segen wär's, wenn die Vertreter von Kirche einerseits und von Wissenschaft andererseits einsehen wollten , daß irgend eine „Gefahr" für den Glauben niemals darin liegen kann, wenn er sich ohne weiteres allen kritisch erworbenen Resultaten der Wissenschaft an- bequemen wollte". Pater W. hat in seinen Vorträgen und der Diskussion wiederholt betont, daß die Kirche das sicher stets tun würde ; besser aber wär's (meinen wir), die Kirche ließe überhaupt die Einmischung in naturwissenschaftliche Dinge und damit die Angst fallen, daß ihr wahre natur- wissenschaftliche Resultate gefährlich werden könnten. 7) Das 146 Seiten umfassende Heft K. C. Schneider's ist wohl geeignet, einen Überblick über die derzeitigen Hauptrichtungen und -Gedanken zur Deszendenztheorie zu geben. Durch die allge- meinen Kenntnisse, die Verf. besitzt, und seine Ge- schicklichkeit sie darzustellen, ist seine Arbeit für alle diejenigen brauchbar, die die heutige Färbung und die gegenwärtigen Arbeitsgebiete kurz kennen zu lernen wünschen. 8) Eine von diesen jetzt durch de V r i e s besonders stark in den Vordergrund gerückten Fragen ist die , ob die Arten durch allmähliche oder durch sprungweise Variation , d. h. Hetero- genesis (Korschinski) oder — wie man für letztere jetzt sagt — Mutation entstanden seien. De V r i e s sagt über sein neues Buch ,,Der Zweck dieser Vor- lesungen ist, die Mittel und Wege zu zeigen, durch welche die Entstehung der Arten und Varietäten ein Gegenstand experimenteller Untersuchung werden kann, sowohl zum Nutzen der landwirtschaftlichen und gärtnerischen Praxis wie der allgemeinen biolo- gischen Wissenschaft. Alles Beweismaterial, das man bisher zur Stütze der Darwin'schen Deszendenztheorie beigebracht hat, haben vergleichende Untersuchungen geliefert, und wir haben durch dieselben einige all- gemeine Vorstellungen über die Hauptlinien des Stammbaums des Pflanzenreichs erhalten ; aber die Art und Weise, wie eine Art aus einer anderen her- vorgeht, ist nicht au-;reichend erklärt worden. Der herrschende Glaube nimmt an , daß sich die Arten langsam in neue Typen verwandeln. Im Widerspruch mit dieser Annahme behauptet die Mutationstheorie, daß neue Arten und Varietäten aus vorhandenen Formen durch plötzliche Sprünge entstehen. Der Elterntypus selbst bleibt während dieses ganzen Vor- ganges unverändert und kann wiederholt neuen For- men den Ursprung geben. Diese können gleichzeitig und in Gruppen oder getrennt voneinander in mehr oder weniger weit voneinander entfernten Perioden entstehen." Wer die de Vries'schen Untersuchungen kennen lernen will , wird gut tun , das vorliegende Buch zu nehmen, das eine Fülle wichtiger Tatsachen enthält. H. Potonie. Briefkasten. Herrn Dr. A. und Anderen. — Schon wiederholt — namentlich in älteren Jahrgängen der Naturw. VVochenschr. — hat der Unterzeichnete betont: Es darf nicht geschlossen wer- den, daß die Redaktion alle die Meinungen alizeptiert, die in der ,, Naturw. Wochenschr." zum Ausdruck kommen. Der ständige Leser unseres Blattes hat das auch längst annehmen müssen, da sich nicht selten gegenteilige Meinungen veröffent- licht finden. Die Redaktion hält es bei der Selbständigkeit des Leserkreises nicht für ihre .Aufgabe, einer Richtung allein das Wort zu lassen. Es ist nur ausschlaggebend , daß das Vorgebrachte der reinen Methode der Naturforschung folge, d. h. in der Riclitung der reinen Beschreibung liege. Es ist wichtig seinem Gegenstande rein betrachtend („objektiv") gegenüber zu stehen. Aber der Mensch kann nicht aus seiner Haut; sind seine Gemütsregungen nach einer bestimmten Seite besonders stark entwickelt oder sind seine Kenntnisse stark einseitig, so können Resultate trotz des besten Willens doch schließlich von den bloßen Wünschen des einzelnen mehr oder minder beeinflußt sein. P. Herrn F. in Meran. — Mikroskopische Präparate können Sie käuflich erwerben u. a. bei der allgemeinen österreichi- schen Lehrmittelanslalt, Wien IX, Universitätsstraße 8 , sonst kämen noch z. B. in Betracht Klör.ne & Müller in Berlin NW 6, Luisenstrafle 49 und die ,,Linnaea" von Dr. Müller, ebenfalls in Berlin, sowie die Firma Emile Deyrolle in Paris, rue du Bac 46. Inhalt: F. E. Schulze: Die Glasschwämme {HexactmelUda) der deutschen Tiefsee-E.xpedition. (Schluß.) — Kleinere Mit- teilungen: K. Bums: X Andromedae. — E. Lagrange: Rotations-Experimejit. — Aus dem wissenschaftlichen L.eben. — Bücherbesprechungen: Sammel- Referat über Deszendenzlehre. Briefkasten. Verantworüicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge VI. Band; der ganzen Reihe XXll. Band. Sonntag, den 17. März 1907. Nr. 11. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate : Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. Zur Stammesgeschichte des Farnprothalliums. [Nachdruck verboten.] Zum Verständnis des Gegenstandes seien zu- nächst einige Tatsachen aus der Elementarbotanik ins Gedächtnis zurückgerufen. Pflanzen von dem Typus der zu den Braun- tangen gehörigen Fucaceen, von denen ich stam- mesgeschichtlich die Farne und farnähnlichen Pflanzen (Pteridophyten) abzuleiten versucht habe,') zeigen keine „Prothalliumbildung". X'ielinehr sehen wir bei den älteren Pflanzen- individuen — z. B von Fucus vesiculosus (dem Blasentang I und bei anderen Fucusarten, Fig. i — an den oft anschwellenden Enden der Gabelzweige geschlechtliche Fortpflanzungsorgane entstehen. Sie markieren sich äußerlich als die Oberfläche be- deckende Pusteln und heißen Konzeptakeln. Die mikroskopische Untersuchung der Konzeptakeln ergibt, daß in den einen Spermatozoiden (männl. Zellen), in den anderen Eizellen (weibl. Zellen) ent- stehen, Fig. 2. Die Eizellen und Spermatozoiden verlassen die Konzeptakeln und vereinigen sich draußen im umgebenden Wasser frei schwebend beziehungsweise schwimmend (Fig. 3) zur Befruch- ') Vgl. insbesondere „Die Pliylogenie der pflanzlichen Blatt- und Stengelverzweigungen", Naturw. Woclienschr. vom 8. Sept. 1895, p. 433—438, und „Lehrbuch der Pflanzen- paläontologie", Lief. I, Berlin 1S97, P- '6 ff. Von H. Potoni^. tung der Eizellen, aus denen dann wiederum neue Tange hervorgehen. Unter den Grünalgen ist bei Oedogoniaceen etwas dem Prothallium von Farn Vergleichbares vorhanden. Der Botaniker weiß, daß ich die „Zwergmännchen" meine (Fig. 4). Bei einer An- zahl Oedogoniumarten bilden sich außer unge- schlechtlichen, ohne Befruchtung zur Bildung neuer Individuen befähigter Zellen, d. h. (ungeschlechtliche) Schwärmsporen, auch (geschlechtliche) Schwärm- sporen (Androsporen), die mit beweglichen Wim- pern behaftet herumschwimmen und sich ansetzend zu kleinen wenigzelligen Gebilden auswachsen (den „Zwergmännchen"), die nun erst die Spermatozoiden erzeugen. Gewisse andere Zellen der Algenfäden schwellen an und ihr Inhalt wird zu einer Eizelle. Wir haben es in diesem Fall mit einer eigen- tümlichen Art von Generationswechsel zu tun, indem die eine Generation sowohl ungeschlechtliche und weibliche Zellen erzeugt, die andere Generation jedoch nur männliche Zellen. Die Rotalgen (Rhodophyceen, Florideen) zeigen ebenfalls einen Generationswechsel, hier aber anderer Ausbildung. — Bei Chantransia (die Oltnianns, dem wir folgen, vorführt, um allgemein über die Charakte- ristika der Florideen zu orientieren) (Fig. 5) — l62 Naluiwisscnschaftliclic Wochenschrift. N. F. VI. Nr. II N. F. VI. Nr. 1 1 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 163 aus verzweigten Zellfäden aufgebaut — entstellen an Eiidigungen kurzer Seitenzweige aus den End- zellen derselben einzelne Sporen (Mo nosporen), die nach ihrer Trennung vom Mutterkörper ohne weiteres eine neue Pflanze erzeugen. Andere In- dividuen von Chantransia erzeugen andere, näm- lich nur geschlechtliche h'ortpflanzungsorgane, in- dem I. in zu Haufen auftretenden Zellen (den sp Antheridienständenj je eine männliche Zelle (ein „Spermatium") entsteht, 2. als weibliche Or- gane flaschenförmige Endzellen mit langem Fort- satz (der Trichogyne) gebildet werden, deren erweiterter Teil dasjenige Plasma enthält, das nach der Befruchtung durch Spermatien, die der Tricho- gyne anhaften, zu einer Spore (Oospore) wird. Diese wächst nun auf der Mutterpflanze zu ' 'Ä Vi. Fig. 3. Eizelle von Kucus urascliwärnu von SpermaloioideQ (sp). Nach Thuret. ,,.. f. Fig. 4. Stücke von Oedogoniumfaden. A Fadenstück in Schwärmsporenbildung begriffen. B eine (ungeschlechtliche) Schwärmspore. C u. D l-'adenstücke mit Oogon o und Zwergmännchen a; s ^ Spermatozoid. E Fadenstück im Begriff Androsporen zu entlassen. Nach Pringsheim. Fig. 5. I. u. 2. Chantransia mit Antheridiensländen (astl, 3. mit Monosporen fm), 4. mit Carpogonen (cpg), 5. Ncmalion mit Antheridienstand fast) u. Carpogon (cpg), 6. u. 7. mit sich entwirkrlnden Carposporcn. Nach Bornet u. Thuret. 104 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. II einer anderen Generation aus als die Mutterpflanze, indem die Spore kurze Fäden bildet, die nun erst wieder an ihren Enden je eine Spore (Carpo- spore) erzeugen. Bei den Moosen (den Bryophyten) ist eine ein- fache oder sich verzweigende Hauptachse vor- handen, welche assimilierende Seitenorgane (Blätter) trägt, wie dies übrigens bei vielen Algen auch unter den Fucaceen (Fig. 6) und Florideen ebenfalls schon zu beobachten ist. Anderer- seits sind ja unter den Moosen, und zwar den Lebermoosen, solche vorhanden , die äußer- lich noch sehr an Gabelalgen erinnern (Fig. 7). Diese Mooskörper ent- wickeln nun ebenfalls in be- sonderen Behältern Eizellen und Spermatozoiden (Fig. 8), die wiederum, durch Vermittlung von Wasser (meist Regenwasser) sich befruchtend, nun aber nicht wie bei den Fucaceen denselben Mutterkörper wieder erzeugen, sondern es bildet sich eine be- sondere, meist gestielte Büchse mit einzelnen Zellen (Sporen) als Inhalt, die nun erst wieder,indem sie ohne weiteres auswachsen können, die ursprüngliche Mut- terpflanze mit Geschlechtsorga- nen hervorbringen. Die geschilderte Entwick- lungsweise der Moose macht den „Generationswechsel", von dem wir schon sprachen, noch deutlicher, und zwar nennt man den Körper der geschlecht- lichen Generation mit Eizellen und Spermatozoiden den Ga- metophyten und den Körper der ungeschlechtliche Sporen erzeugenden Generation den Sporophyten, weil man Geschlechtszellen als Gameten und ungeschlechtliche Fort- pflanzungszellen als Sporen (i. e. S.) bezeichnet. In unserer Fig. 9 ist g der Gametophyt und s der Sporophyt. Mit Rücksicht darauf, daß man ein junges, noch längere Zeit mit dem Mutterindividuum zusam- menhängendes neues Individu- um als Embryo bezeichnet, wird der Sporophyt auch embryonale, der Gametophyt auch proembryonale Generation genannt. Die Pteridophyten, unter denen wir als Bei- spiel die echten Farne (Filices) heranziehen, be- sitzen ebenfalls einen Generationswechsel. Der Gametophyt, hier speziell Prothallium genannt, bleibt klein und unscheinbar (Fig. 10 A) und erzeugt nach der durch Wasser vermittel- ten Befruchtung den Sporophyten (Fig. 10 B und 11). Bei den Phanerogamen endlich verbleibt die Fig. 6. Sargassum linifolium. Nach Oltmanns. Spore, hier Embryosack genannt, auf der Mutter- pflanze und in ihr finden Zellbildungen statt, die mehr oder minder weitgehend sich als Gameto- phyten zu erkennen geben. Es entsteht dann ein neuer junger Sporophyt, der als Embryo zunächst noch auf dem Muttersporophyten verbleibt und N. F. VI. Nr. II Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 165 endhch mit umgebendem Gewebe als „Samen" abgegeben wird. Für den Zweck unserer Mitteilung genügt es, die Generationsstufen in dem bei den Botanikern üblichen Sinne zu fassen, wie das im obigen geschehen ist. Gehen wir von den allerniedersten Organis- men aus , dann können freilich in vergleichender (in morphologischer) Betrachtung an den höheren Algen sowie den Moosen und Pteridophyten mehr als 2 Stufen unterschieden werden. Fig. 7. Riccia fluitans. a Unter- getaucht lebendes Exemplar, b Auf dem Lande lebendes Exemplar. In natürlicher Gröüe. a Nach Schenck. b Nach Göbel. Fig. 8. Beblättertes Achsenende im Längsdurchschnitt von Phascum cuspidatum. b = Blätter, ar ^ weibl., an ::^ männl. Organe (,,Archegonien" und ..Antheridien"), in denen Eizellen resp. Spermato- zoiden entstehen. Nach Hofmeister. Fig. 9. Polytrichum. g = Gametophyt, s = Sporophyt. Natürl. Gröfle. N.ach Schenck. Mehr oder minder weitgehend vorhanden ist — nach der Darstellung und Auffassung Nägeli's ^) — Generationswechsel schon bei den einfachsten Or- ganismen. Bei einzelligen Schizophyten findet man freilich noch keine Spur davon, indem jede durch Zellteilung aus der vorigen entstandene Generation dieser vorigen gleicht und auch durch weitere Teilung genau ebensolche wieder bildet; es gibt also hier nur Wiederholungsgenera- tionen. Schon bei Gloeocapsa unter den Algen und Bakterium unter den Pilzen haben wir aber Zeilen vonWiederholungsgenerationen unterbrochen durch je eine Sporengeneration, die dann wieder eine Zeile von Wiederholungsgenerationen hervor- bringt. D. h. nachdem eine Zeitlang durch Zell- teilung immerfort die gleiche einzellige Generation gebildet wurde, tritt ein Moment ein, in welchem die Zellen (dann Sporen genannt) durch V^erdich- tung ihres Inhalts und Verfestigung ihrer Membran ein Ruhestadium erreichen. Komplizierter ist es schon bei Chlamydomonas pulvisculus. Hier er- blicken wir einzellige Wiederholungsgenerationen (Bj .... Bn) in der Form von 2 - wimperigen Schwärmzellen. Die letzten in der Zeile B sind Individuen (C), die größere (weibliche) und andere, die kleinere (männliche) Schwärmzellen erzeugen. Diese geschlechtlichen Zellen bezeichnet Nägeli M Abstammungsielire 1884, p. 426 ff. Fig. 10. Aspidium Filix mas. A Prothallium von der Unter- seite mit Archegonien (ar) und Antheridien (an), rh = Wurzel- haare. B Prothallium mit jungem Sporophyten, b erstes (ge- gabeltes !) Blatt , w = Wurzel des Sporophyten. ca. 8 mal vergrößert. als D'. Es findet Kopulation zwischen je einer weiblichen und männlichen Zelle statt und es ent- steht dadurch eine geschlechtliche Spore (Zygo- spore) D"; diese erzeugt nun wieder Schwärm- zellen von der Form B, die aber als „geschlechts- erzeugte Generation" von Nägeli als besondere Generation A bezeichnet wird, weil ihre Her- kunft eine andere ist. Wenn man den Begriff Generation so faßt, dann kann man die individuelle Entwicklung der Moose und Pteridophyten ver- gleichend ebenfalls in 4 Generationen zerlegen ; bei diesen entspräche dann der Gametophyt den Generationen B -|- C und der Sporophyt D + A. Man wird sich nun fragen, welche Bedeutung hat die Entstehung des Generationswechsels. Nägeli gibt darauf (1. c. p. 449) die folgende Antwort. „Auf der alleruntersten Stufe des Pflanzenreichs sind die Generationen der einzelligen Individuen einander gleich. Eine Art der phylogenetischen Entwicklung besteht darin, daß durch innere Differenzierung und durch Anpassung an den i66 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. II Wechsel der Jahreszeiten beim Beginn der Ruhe- zeit eine andersartige Generation auftritt, die bis zum Beginn der folgenden Vegetationsperiode im ruhenden Zustande verharrt." Der Unterschied und die Komplikation der Generationen verstärkt sich dann vielfach in der weiteren Phylogenesis. doch scheint hier die Möglichkeit einer Klärung durch die Tatsachen gegeben. Eine zu erledigende Vorfrage ist die, inwieweit sich die Moose, die in ihrer ganzen anatomischen Beschaffenheit und sonstigen Organisation zwar eine höhere Stufe als die Algen, aber eine geringere als die Farn einnehmen, sich als eine Übergangs- gruppe zwischen Algen und Farn auffassen lassen. Soweit in solchen Fällen für die Beantwortung palä- ontologische Tatsachen zurVerfügung stehen, sind sie unbedingt auszu- nutzen, was bisher noch nicht ge- schehen ist. Da ist nun mit Nach- druck darauf hinzuweisen, daß — wenn wir von allen nur irgendwie zweifelhaften fossilen Resten absehen — zweifellose Algen tatsächlich in den ältesten Sedimentärformationen, aus denen uns überhaupt Pflanzen- reste erhalten geblieben sind, d. h. schon im Silur, sehr häufig sind und daß Farn ebenfalls sehr früh in die Erscheinung treten. Geologisch ist also ein Einwand gegen eine Ab- leitung der Farn von den Algen nicht zu konstruieren. Reste, die man sicher zu den Moosen setzen kann oder muß, kommen jedoch erst vom Mesozoikum (etwa vom Keuper ab) vor; alles was aus frühe- ren Perioden als Moosreste bestimmt wurde, ist in Wahrheit höchst zwei- felhafter Zugehörigkeit. Wir besitzen in den Dolomitknollen der Stein- kohlenlager des produktiven Carbons echt versteinerte Steinkohle, deren konstituierende Pflanzenreste großen- teils so gut erhalten sind, daß sich die anatomische Struktur der Car- bonpflanzen bis in feinere Einzel- heiten hinein eruieren läßt. Es ist bei diesem für die Förderung der Paläobotanlk höchst wichtigen Ma- terial verständlich , daß eine große Zahl solcher Knollen mikroskopisch untersucht worden ist, aber niemals hat sich eine Spur eines Restes ge- funden — und ich selbst habe vor Jahren mit der besonderen Tendenz Fig. II. Aspidium Filix mas, Sporophyt in ^^ der nat. Größe, das vollständige Moosreste ZU suchen, viele Schliffe Blatt (Wedel) von unten gesehen mit Sporangienhäufchen (Sori). Nach Schenck. von Dolomitknollen geprüft — , der A Ein Sorus quer durchschnitten in «/, (nach Kny) Sporenbuchsen (Sporangien) auch nur mitentferntererSicherheit als zeigend, aus denen Sporen herausfallen. Sind nun auch die Botaniker hinsichtlich der Homologien der genannten Organe, soweit es sich um Vergleiche zwischen Bryophyten, Pteri- dophyten und Phanerogamen handelt, einig, so ist dies nicht der Fall, soweit eine dies- bezügliche Inbeziehungsetzung der genannten Pflanzengruppen zu den Algen versucht wird, und zu einem Moose gehörig anzusehen wäre. Wenn die Moose im Paläozoikum eine Rolle gespielt hätten, so wäre wohl außerdem zu erwarten, daß davon Reste in kohligem Zustande resp. als Abdrücke, in der Art wie uns so viele P'arnreste erhalten worden sind, ebenfalls auf uns gekommen sein sollten, aber ebensowenig wie in den Knollen sind in diesem anderen Erhaltungs- zustande irgendwie sichere Moosreste zu finden, N. F. VI. Nr. u Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 167 gewesen sein B. auch Adolf während entsprechend dem Vorhandensein vieler Farnreste in kohliger oder Abdrucksform solche auch in den Dolomitknollen sehr häufig sind. Danach ist es geboten, die Entstehung der Moose als eine ganz wesentlich spätere (im Meso- zoikum) als die der Farn (im Paläozoikum) bei Betrachtungen wie der unsrigen zugrunde zu legen; mir scheinen auch die sonstigen Tatsachen durch- aus keinen Widerspruch zu enthalten, daß das geo- logische Vorkommen der Moose auf ein wesent- lich jüngeres Alter dieser Gruppe hindeutet als die der Farn , daß wir die Moose demnach als Zwischenstadium zwischen Algen und Farn — um uns die Phylogenese der letzteren zu erklären — nicht be- nutzen dürfen. Die Möglichkeit einer phylogenetischen Her- leitung der Moose von den Algen ist wiederholt hervorgehoben worden ; um nur einen Autor aus der letzten Zeit zu zitieren, sei auf die Äußerung von R. V. Wettstein hingewiesen, der ^) die Vorfahren der Moose mit anderen Botanikern speziell unter solchen Algen suchen möchte, die „etwa von der Beschaffenheit der Chlorophyceen könnten". Derselben Ansicht ist z Engler.'-) Allein es ist zu erwägen, inwieweit sich viel- leicht besser eine Herleitung der Moose von den Farn-Prothallien herleiten ließe, worauf wir hinten noch eingehen. Für den Anschluß der Farn an die Algen — an Formen, etwa in ihrer äußeren Form ähnlich unseren heutigen Fucaceen — habe ich selbst, wie schon ge- sagt, wiederholt eine Lanze gebrochen.^) In der Hoff- nung für diese mich seit langem beschäftigende Frage fördernde Einwürfe zu gewinnen, habe ich wiederholt Gelegenheit genommen, mich mit Botanikern über den Gegenstand zu unterhalten. Von den ablehnen- den Antworten will ich nur zwei — die einzigen, die überhaupt energische Opposition bedeuteten — wiedergeben. In dem einen Falle wurde die Mög- lichkeit einer Herleitung der Farn von Algen einfach abgelehnt mit dem Bemerken: diese sei undenkbar. Tatsachen aber, weshalb eine Undenkbarkeit vorliege, vermochte der Opponent nicht anzu- geben. Es ist psychologisch interessant, wie uns hier die bloße gewohniieitsmäßige Denk- richtung einen in wissenschaftlichen Fragen sicherlich ganz unberechtigten Streich spielt. Mag es auch von großer praktischer Bedeutung sein Gewohnheitsgedanken zu folgen, so darf ihnen doch in der Wissenschaft auf keinen Fall irgend ein Einfluß bei der Lösung eines Problems zu- gebilligt werden, sofern sie durch nichts, durch ') Handbuch der systemat. Botanik Bd. II, Teil I, 1903, p. 14—15. '•') Syllabus der Pflanzenfamilien. 4. Aufl. Berlin 1904. P- 5'- ') Vgl. z. B. auch meine Notiz „über den paläontologischen .\nschlu8 der Farn und der höheren Pflanzen überhaupt an die Algen" in der Zeitschr. d. Deutsch, geolog. Gesellschaft, Jahrg. 1897. keine Tatsachen zu stützen sind. Wer phylo- genetische Fragen überhaupt als berechtigt an- erkennt, muß sich gegenwärtig halten, daß zu- nächst (prinzipiellj die Möglichkeit einer Herleitung irgend eines Lebewesens von irgend einem anderen nicht bestritten werden darf; es sei denn auf Grund von Tatsachen. Daraus, daß die von mir ver- suchte direktere Ableitung der Farn von Algen bis jetzt nicht üblich war, kann nicht die Berechti- gung des Schlusses gefolgert werden, daß diese Ableitung nun auch nicht zutreffend sein könne. In einem anderen Falle wurde mir wenigstens eine vermeintlich widerstreitende Tatsache vor- gehalten und zwar die, daß die großen Tange vielfach aus Hyphen entstandene Pseudogewebe besäßen, die Farn jedoch nicht. Darauf ist zu er- widern: I. abgesehen davon, daß die in Rede stehenden Braun- und Rottange auch andere Ge- webe besitzen, die wie bei den Farn durch Zell- teilungen nach allen Richtungen entstehen, ist — wenigstens für mich — nicht zu verstehen, warum nun gerade Hyphenpflanzen (die die Tange ausschließlich gar nicht einmal sind) einer Weiter- entwicklung zu höheren Gewebeformen nicht fähig sein sollten. Übrigens sei nochmals betont, daß natürlich nicht unsere heutigen Tange als Vor- fahren der F"arn gelten können, sondern höchstens Vorfahren von Fucaceen resp. Algen, die unseren heutigen Tangen, insbesondere äußerlich den ge- gabelten Fucaceen, mehr oder minder ähnlich waren, es sei denn, daß die Tange sich gegenüber ihren altpaläozoischen Vorfahren nicht verändert hätten. An dem angeführten Orte 1897') sage ich: Was sich mit Zuhilfenahme der Paläontologie über die phylogenetische Herkunft der Filices sagen läßt, kann leider vorläufig nur ganz hypothetisch sein, da ebensowenig wie die rezente Pflanzenwelt die fossile genügende Übergangsbildungen von den Filices zu niedrigeren Gruppen bietet. Jedoch ist p. i6fif. und iioff meiner Pflanzenpaläontologie (i. Lief, 1897) ausführlich auf die Häufigkeit von echten Gabelverzweigungen paläozoischer Pterido- phyten aufmerksam gemacht worden, und es ist in der systematischen Vorführung der sterilen Farn- wedelreste ebenfalls wiederholt Gelegenheit ge- wesen, diesbezügliche Tatsachen zu mehren (vgl. z. B. Fig. 119, 125, 139, 143, 145); in der zitierten Lieferung habe ich ferner gezeigt, daß die Farn- wedel auffallend oft Eigenschaften zeigen, die sich nur als Erinnerungen an Gabelverzweigungen der Vorfahren erklären lassen, und zwar deshalb als Erinnerungen, weil sich deutlich das Bestreben zeigt, die Gabelungen auszulöschen mit Rücksicht darauf, daß diese Verzweigungsart für Landpflanzen unzweckmäßig ist (vgl. 1. c. p. 19 bis 20). Blicken wir uns um, wie diese Vorfahren aus- gesehen haben dürften, so gibt uns die rezente Pflanzenwelt den Wink, daß es Algen von dem ') Deut. Geol. Ges. Vgl. besonders auch meine Abhandl. ,,Ein Blick in die Gesch. d. botan. Morph, u die Pericaulom- theorie" (Jena 1903) und die dort p. 28 unter ***) zitierte Schrift. i68 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. II Typus der Fucaceen g^ewesen sein könnten, bei denen Dichotomien üblich sind, und ferner ist darauf hinzuweisen, daß auch auf dem Wasser schwimmende [,ebermoose gern dichotom geghedert sind. Nun sind aber diese dichotomen Mooskörper nicht homolog der beblätterten Farngeneration, sondern dem Prothallium; wir haben seit Hof- meister's Untersuchungen homolog zu setzen (vgl. meine Botanik, 3. Aufl., 1894, p. 142 bis 143): Proerabryonale Generation (Gametophyt). Embryonale Generation (Sporophyt). F i I i c e s M u s c i I'iothuUium liomolog . . dem Moos- Protonema -\- beblättertem Stämmchen. Beblätterte Pflanze ; homolog dem Sporo- gonium Danach darf der dichotome Körper der Leber- moose nicht phylogenetisch mit der beblätterten Farnpflanze, deren Wedel gerade die auffälligen Dichotomien im Paläozoikum besitzen, verglichen werden, vielmehr ist es das Sporogon, das morpho- genetisch der beblätterten Farnpflanze entspricht. Die Neigung einiger Botaniker (es sei nur Nägeli, Abstammungslehre, 1884, p. 472 ff. erwähnt) geht nun in der Tat dahin, die embryonale Generation der Filices aus dem Moos-Sporogon abzuleiten; da aber zwischen diesen so sehr heterogenen Bil- dungen keine hinreichenden Mittelformen bekannt sind, hat bisher eine befriedigende Begründung für diese Ableitung nicht vorgebracht werden können. Überdies wurde schon bemerkt, daß das späte geologische Auftreten der Moose einer solchen Ableitung wiederspricht. „Deshalb möchte ich der Erwägung der Pflanzen-Paläontologen und Botaniker die folgende Hypothese unterbreiten, die die Her- leitung der Farn an die andere niedrigere Gruppe mit so oft auffallendem dichotomen Körper, an die Algen, versucht." Hiernach hätten wir also als phylogenetische Beziehung zwischen den 3 genannten Gruppen in Form eines schematischen Stammbaums; Moose Algen Farn „Nehmen wir als Beispiel den Blasentang F"ucus vesiculosus heraus. Alle Glieder, Gabelstücke, der Pflanze sind untereinander gleich gebaut: die band- förmigen Teile, von einem Mittelleitbündel durch- zogen, dienen der Assimilation, während die Gabel- äste letzter Ordnung außerdem auch noch für die geschlechtliche Fortpflanzung sorgen können, indem sie Eizellen und Spermatozoiden erzeugen. Ernährung und Fortpflanzung, diese beiden Hauptfunktionen des Pflanzenkörpers, aus denen sich der Aufbau zu erklären hat, sind also bei Algen von dem Typus unserer Fucusart noch nicht auf getrennte Glieder der Pflanze verteilt, ja bei Fucus serratus sind die Geschlechtsorgane auf der ganzen assimilierenden Fläche der letzten Gabel- äste zerstreut. Aber bei diesen Fucusarten ist der Beginn einer Arbeitsteilung anderer Art schon dadurch gegeben, daß eben nur die letzten Endi- gungen der Stöcke die Fortpflanzungsorgane pro- duzieren, die anderen Gabelglieder (diejenigen der vorausgehenden Ordnungen) hingegen ausschließ- lich der Assimilation dienen. Nicht selten findet man überdies Fucusstücke, die durch Übergipfelung von Schwestergabelästen im fertigen Zustande fiederig aufgebaut erscheinen, wo also eine flache, assimilierende Zentrale ebenso flache und assimi- lierende , aber unter Umständen auch noch die Fortpflanzungsorgane erzeugende Seitenglieder trägt. Von hier aus ist der Übergang zu Bildungen wie z. B. Sargassum, wo die Arbeitsteilung so weit geht, daß die Zentrale ausschließlich die Rolle eines Trägers übernimmt, die Seitenäste hingegen der Assimilation und auch der Fortpflanzung dienen, ohne weiteres klar. Bei solchen Algen haben wir schon die die höheren Gruppen charakterisierende Sonderung in Stengel- und Blattorgane vorbereitet und wir hätten — wenn wir die phylogenetische Ableitung der Filices von den Algen als richtig annehmen — die Farnwedel homolog den Algen- blättern zu setzen." Bei der Doppelfunktion der meisten Farnwedel werden sie als Assimilations- sporophylle zu bezeichnen sein, und aus denen dem- gemäß alle anderen Blattformationen (im wesent- lichen Assimilations- [Laub-1 Blätter und Fortpflan- zungsblätter JSporophylle^) durch weitere Arbeits- teilung hervorgegangen sein müßten. Durch diese Betrachtung ergibt sich für die Herkunft der Blätter das von mir schon früher (Deutsche botan. Monatsschrift, Berlin 1897, p. 9 bis 11) angedeutete Resultat: „Die Blätter der Farn und höheren Pflanzen, die sich phylogenetisch an die Farn anschließen und von ihnen ausgehen, sind im Laufe der Generationen aus Thallusstücken hervorgegangen, dadurch daß Gabeläste übergipfelt und die nunmehrigen Seitenzweige zu Blättern wurden." ') Algen ') Die Bildung eines ,,Pericauloms" bei Farn und höheren Pflanzen als weitere Fortbildung den tangähnlichen Pflanzen gegenüber, deute icli weiter hinten noch an; vgl. diesbezüg- lich die schon zitierte Schrift „Ein Blick in die Gesch. d, botan. Morph, usw." N. F. VI. Nr. II Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 169 Was ist nun aber morpliologisch das l'rothal- lium der Farn, d. h. ist es eine Neubildung oder gibt es auch für dieses ein Homologen bei den Fucaceen r Die Fucaceen geben zusammen mit anderen Algen eine \'orstellung von der Landpflanzen- werdung. Zunächst möchte der Sprung von braun- tangähnlichen, im Meere lebenden Pflanzen zu echten Landpflanzen fast unüberbrückbar erscheinen, aber wer da beobachtet hat, daß besonders einige durch eine ständig feuchte Atmosphäre erleich- tert war. Nehmen wir an : algenähnliche Pflanzen hätten bereits die Fähigkeit erworben, fast ausschließlich auf dem Lande, zunächst noch an ständig feuchten Stellen, zu leben, so wird die ihnen seit Urzeiten eigentümliche Fortpflanzungsweise durch Sperma- tozoiden und Eizellen, bei der Wasser als ver- mittelndes Medium unbedingt notwendig ist, nicht so schnell einem ausschließlichen Landleben ange- Kig. 12. Brauntange (Fucus serratus) auf Riffen von Helgoland ansitzend, die bei Niedrigwasser hervortreten. Brauntangarten an vielen Stellen der Erde täglich während der Ebbe an der Luft zubringen, wie z. B. lebenstrotzende Brauntangwiesen auf den zur Ebbe- zeit aus dem Wasser hervorragenden Riffen vor Helgoland (Fig. 12), dem muß diese Anpassung sonst echter Meeresgewächse an ein zeitweiliges Luftleben als ein wichtiger Hinweis erscheinen, wie man sich die Entstehung der Landpflanzen aus echten, ursprünglichen Wasserpflanzen zu denken hat, vielleicht zu einer geologischen Zeit, als der Übergang vom Wasser auf das Land paßt werden können. Die die P^ortpflanzungsorgane bergenden Körperteile, bei unseren als Paradigmen genommenen Fucusarten also die letzten Gabelzweige resp. Gabelendenstücke mit geschlechtlichen P"ort- pflanzungsorganen (wir wollen sie Gametosome resp. Gametosomenstücke nennen), werden daher zweckdienlich den Boden aufzusuchen haben, wäh- rend es für ein Gedeihen der Gesamtpflanze anderer- seits nützlich ist, wenn der übrige, der Assi- milation dienende Körper, wie vorher im Wasser nach aufwärts strebend, so nun auch auf dem I/o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. II Lande Veränderungen in seinem Bau trifft, die ihm auch hier die nützliche Richtung nach aufwärts ermöglichen. Es ergibt sich aus diesem sich auf- drängenden Gedankengange ohne weiteres, daß für Landpflanzen, die als von solchen Fucaceen ab- stammend angesehen werden, eine Trennung der Gametosome von dem der Assimilation obliegen- den übrigen („vegetativen") Körper gegeben sein muß, womit dann das Prothallium der Farn homolog dem die Fortpflanzungsorgane erzeugenden Körper- teile der Fucaceen sein würde : kurz Gametosom resp. Gametosomenstück und Prothallium wären hiernach homolog. Für diese Anschauung kommt uns nun die Tatsache zu Hilfe, daß abgerissene Stücke von Fucaceen ^) sich rein vegetativ nur durch Zer- brechen und nachfolgendes Wachstum vermehren Der Gametophyt geht also aus einer von dem Sporophyten gebildeten Spore hervor, oder anders ausgedrückt: er trennt sich nicht als Gewebekörper von der Mutterpflanze, sondern schon in dem frühest möglichen Stadium, d. h. sobald er über- haupt eine Zelle ist: eine „Spore". Eine solche Sporenbildung ist — wenn auch nicht bei den Fucaceen — so doch bei anderen Algen etwas Übliches und sodann, wie wir sehen, auch die Trennung in Gametophyt und Sporophyt. Eine besondere Unterstützung für die ange- gebene Homologisierung des Gametosoms mit dem Prothallium scheint mir durch die gelegentlich bei den F"arn vorkommende „Aposporie" gegeben zu sein. Darunter versteht man die Bildung von Prothallien mit Archegonien und Antheridien auf dem Sporophyten und zwar gewöhnlich dort, wo A B Fig. 13. Asplenium dimorphum. A gegabeltes Wcdelstück mit Prothallien p. — B ein mit Prothallien (das nicht Punktierte) versehenes Wedelstückchen. — Beides in 5-facher Vergrößerung. — Nach Goebel. können, eine bei Wasserpflanzen bekanntlich sehr verbreitete Erscheinung, die wohl leicht zur Fixa- tion eines Sonderlebens der Gametosome von Fuca- ceen führen kann: Gametosome, die man dann wegen ihres Sonderlebens speziell als Prothallium bezeichnen würde. Auch ist zu berücksichtigen, daß bei den Florideen eine Trennung in Sporo- phyten und Gametophyten bereits durch die Tat- sachen begründbar erscheint. Überhaupt ergibt das Studium der Algen, daß sie leicht geneigt sind unter gegebenen Bedingungen ungeschlechtliche Sporen einzuschalten, die eine Art Intermezzo oder Pause andeutend dann durch Auswachsen das Leben fortsetzen. So hat es keine Schwierigkeit, aus Gametosomen durch Einschaltung von Sporen getrennt lebende Gametophyten entstehend zu denken. sich die Sporangien bilden würden. Einen be- sonders schönen Fall hat neuerdings Göbel ab- gebildet und beschrieben,') ohne freilich irgend eine theoretische Erörterung anzuknüpfen. Wir sehen in diesem Fall (Fig. 13) Farnwedel an ihren Enden in Prothallien ausgehen, genau wie die vorher als Gametosome bezeichneten Körperteile bei den P'ucaceen, so daß sich diese Erscheinung im Zu- sammenhange mit unserer Theorie von der Her- kunft des Prothalliums bequem als Atavismus deuten läßt, ja noch mehr, die bctrefifenden Farnwedel- stücke weisen auch die atavistischen Gabelungen auf, die bei Farn überhaupt so häufig sind. Solche Erscheinungen wie die der Aposporie bleiben ohne eine Theorie wie die vorgeschlagene undeutbar (unerklärt). Kurz und bündig: Gametophyt (Pro- ') Vgl. Oltmanns, .Mgen. I. Jena 1904. p. 491. ') Aposporie bei Asplenium dimorphum. Flora. 95. Bd. Marburg, Ergänzungsband zu 1905. N. F. VI. Nr. II Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 171 thallium) und Gametosom resp. Gametosomenstück sind homolog; wie die Fucaceen normal an ihren Gabelenden Gametosome tragen, so kommt das- selbe als Atavismus auch bei Farn vor, nur daß man hier von „rrothallien" spricht. In beciuemer schematischer Übersicht wären also nach der im obigen begründeten Annahme zu homologisieren : Das Gametosom der Fucaceen mit dem Farn- Prothallium; das übrige größere Thallusstück der Fucaceen mit dem I'arn-Sporophyten. Die Florideen leben gemeinhin in größeren Tiefen als die Brauntange, sind also dem Lande weniger nahe und daher weniger prädestiniert Vorfahren von Landpflanzen zu werden, allein ob nicht zu den Florideen gehörige, geeignete, aus- gestorbene Mitglieder dennoch diese gesuchten Vor- von der früher von mir (1. c. 1897) gebotenen etwas ab, als ich nunmehr das Gametosom — von Fucaceen etwa — resp. einen Gametophyten — von florideen- ähnlichen Algen etwa — für homolog dem Farn- Prothallium halte, während ich mich früher noch nicht ganz so weitgehend nur so ausdrückte : „I'ür das FarnProthallium würde bei den Algen ein Homologon in Bildungen wie den „Zwergmänn- chen" zu suchen sein ; es wäre als eine physio- logisch dadurch notwendig gewordene Weiter- bildunganzusehen, daß die, obwohl für Landpflanzen ungeeignete, dennoch als Erinnerung an die Algen- vorfahren von den Farn beibehaltene Befruchtung durch Vermittlung des Wassers besser garantiert ist, wenn dieselbe am Erdboden geschieht. Das wird eben erreicht durch Abstoßung gewisser, die geschlechtlichen Fortpflanzungsorgane vorbereiten- den Zellen (Sporen), die am Boden zwischen sich VJ ti o- -J E Fig. ■4- A B .■\ Fucacee, B aposporer Farn, C normaler Farn, D Floridee, E Moos. fahren waren, ist schwer zu sagen. Bedingung ist: Sie müssen den typischen Gabelaufbau besitzen. Game- tophyt und Sporophyt sind bei den Florideen noch nicht so scharf geschieden, wie das nach der obigen Darstellung erscheint und wie es tatsächlich von den Moosen ab aufwärts durchgeführt ist. So pflegt es bei den Florideen derart zu sein, daß sie i. Gene- rationen, die nur ungeschlechtliche Sporen erzeugen, 2. solche hervorbringen, die Oosporen tragen und aus diesen wird dann 3. die kleine Generation mit Carposporen. Hier kann man l. und 3. als Sporophyten (also dann zwei Sporophyten-Genera- tionen !) und 2. als Gametophyten bezeichnen. Lotsy (Flora 1904, p. 86) nennt i. den Sporophyten und 2. und 3. zusammengenommen den Gameto- phyten der Florideen. und den Eizellen und Spermatozoiden ein Gewebe einschalten. Dieses Gewebe, das Prothallium, er- zeugt zunächst die die Eizellen und Spermatozoiden enthaltenden Behältnisse auf ihrer Unterseite, die durch dichtes Anliegen am Boden durch Kapillar- attraktion für Wasser am besten zugänglich ist." Die hier gegebene Darstellung weicht insofern F^assen wir das Ganze in zwei Schemata zu- sammen, so würden nach meinem aus Tatsachen hervorgegangenen Vorschlage die Organe homolog zu setzen sein, die in Fig. 14 in horizontalen Reihen angegeben sind. Die Homologsetzung des Gametophyten der Musci und Filices mit dem Gesamt -Thallus der Algen hat allerdings manches Verführerische, stößt aber auf die Schwierigkeit, die Entstehung des Sporophyten verständlich zu machen, die zweifellos, soweit unsere Kenntnisse bis jetzt reichen, größer '72 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. V. VI. Nr. II ist als die Auffassung des Gametophyteu als homo- log einem bloßen Stück (dem Gametosom) des Thallus. Daß der Gametophyt der Moose und Farn noch vielfach in seiner äußeren Gestalt und auch anatomisch so sehr ähnlich den Algen geblieben ist, beruht in dem Konservatismus, den er bewahrt hat, weil er sich weniger aus dem Medium (dem Wasser) der Algenvorfahren entfernt hat als der Sporophyt. Die besondere Ähnlichkeit gewisser Lebermoos- Gametophyten mit den Farn-Prothallien ist be- merkenswert und vielleicht durch phylogenetische Herleitung der ersteren aus den letzteren zu den- ken; jedenfalls spricht für die in Fig. 14 ange- nommene Herleitung der Moose von Algen der- zeitig kaum mehr als für diejenige von Farn- Prothallien. Den Werdegang von der Alge bis zur Samen- pflanze veranschaulicht das in Fig. 15 gegebene Schema. Es sollen in demselben bedeuten : O eine (ungeschlechtliche) Spore; ^ ein Antheridium, resp. Spermatozoid ; O ein Archegonium, resp. eine Eizelle; 2. Trophosome, wenn es sich um der Ernäh- rung dienende Glieder handelt, und endlich 3. Ga- rn e t o s o m e , wenn die Glieder wesentlich die ge- schlechtlichen Fortpflanzungsorgane erzeugen. Das unterste Stück des abgebildeten großen Exem- plares von Fucus platycarpus, Fig. i, würde nach dieser Nomenklatur an der Basis ein Stereo-Tropho- som (ST) besitzen, indem dieses Glied zur unteren Hälfte wesentlich nur mechanische, in seiner oberen Assimilationsfunktion besitzt, darüber finden wir Gabelglieder, die so gut wie aus- schließliche Trophosome (T) sind, und von acht der freien Gabelzweige sind die oberen Hälften Gametosomenstücke, die unteren Hälften Trophosomenstücke, die ganzen Glieder alsc Gameto-Trophosomen (GT); vielfach sind bei Algen die letzten Gabelzweige fast ausschließ- liche Gametosomen. Das Gametosomenstück rechts oben in unserer Fig. 15 A gibt Spermatozoiden {t) und Eizellen (?) in das Wasser ab, aus deren Ver- einigung eine neue Pflanze wird und zwar außer- halb der Mutterpflanze, in unserem Schema A angedeutet durch den vegetativen Körper, der aus $ hervorwächst. B gibt nach dem Vorbilde von Fucaceen, die zur Ebbezeit an der Luft leben, den l 'bergang zur Entste- hung von Landpflanzen wieder. DasTrophosomstück D Fig. 15. s ; ein Gametosom , resp. Prothallium (Ga- \^J metophyt ; ^^^ den vegetativen Körperteil, resp. Embryo; ^jjgg] Wasser. A gibt eine schematische Abbildung für die theoretisch als Vorfahren der Landpflanzen ge- gabelt - verzweigt anzunehmende Ausgangspflanze unter den Algen. Diese Wasserpflanzen, von denen unsere heutigen Fucaceen die beste Idee geben dürften, bauten sich wie diese aus einzelnen (Gabel- stücken auf, die je nach ihrer Hauptfunktion sein konnten: i. Stereo some, wenn es wesentlich mechanische Dienste (als Träger des Gesamtkörpers etwa oder einzelner Teile) sind, die sie verrichten ; ist so herabgebeugt , daß das den nassen Boden berührende Gametosomstück den Spermatozoiden die Möglichkeit einer Befruchtung der Eizellen gewährt. Ob dann bei dieser hypothetischen Zwischengruppe zwischen A und C die Eizelle sich, wie im Schema angenommen, auf der Mutter- pflanze entwickelt oder vorher austritt, ob es sich also in der anzunehmenden Gruppe um eine solche handelt, die bereits die embryonale Entwicklung ganz oder vielleicht erst andeutungsweise aufweist, muß dahingestellt bleiben. C. Wenn Pflanzen der Gruppe B sich an ein ausschließlicheres Luftleben zu gewöhnen beginnen, wird es für sie vorteilhaft sein, wenn sie durch besondere Anpassungen wiederum ihren wesent- lich aus Trophogliedern bestehenden Leib wie im Wasser emporrichten. Ich habe in früheren Schriften N. F. VI. Nr. II Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 173 nachzuweisen gesucht, daß dabei zur Festigkeit des Ganzen eine seitliche Verwachsung, ein Zu- sammenaufwachsen von Trophosomen (zu einer „Pericaulom"-Bildung) stattfindet, was in unserem Schema durch die der Länge nach durchgehenden beiden Parallelen angedeutet werden soll. Das die Gameten bildende Stück, das noch für die Fr- möglichung des Befruchtungsvorganges des Wassers bedarf, muß im Gegensatz zum Tropholeib boden- ständig bleiben; es findet daher eine Trennung zwischen Tropho- und Gametoleib statt: wir er- halten zwei „Generationen" wie bei den Pterido- phyten, d.h. einen Gametophyten (ein Pro- thallium) und einen S p o r o p h y t e n. Der Gameto- phyt löst sich schon als einzelne Zelle (Spore) vom Sporophyten, bei der hypothetischen Zwischen- form ß mag der Gametophyt erst zur Loslösung vom Mutterindividuum gelangt sein, als er be- reits ein Gewebekörper war. Die aus der Eizelle hervorgehende junge Pflanze bleibt von nun an ein Embryo des Gametophyten. D. Die Abhängigkeit der Landi^flanzen von dem Vorhandensein von Wasser zur Ermöglichung der Befruchtung wird allmählich aufgehoben, indem Wind und schließlich auch Tiere die Vermittlung der Befruchtung übernehmen; der Grund für das Vorhandensein zweier getrennt lebender Genera- tionen fällt damit fort, jedoch — wie immer — findet nur eine allmähliche Verwischung der ein- mal erworbenen, von Nutzen gewesenen Eigen- tümlichkeiten statt, so daß auch bei den Phanero- gamen immer noch die Homologien für die sämt- lichen genannten Organe vorhanden sind. In der jetzt auf der Mutterpflanze verbleibenden (weib- lichen) Spore Sp (jetzt Embryosack genannt) ent- wickelt sich ein mehr oder minder deutliches Pro- thallium P, in oder auf welchem ein Embryo E ent- steht ; dieser trennt sich mit umgebendem Gewebe als „Same" von der Mutterpflanze, um durch Auswachsen ein neues Pflanzenindividuum zu er- zeugen. Die Entwicklung des Pteridophytenzustandes C zu dem Samenpflanzenzustande D ist — besonders durch Hofmeister inauguriert — allgemein aner- kannt. Neuerdings suchen Paläobotaniker noch zwischen C und D ein Stadium einzuschalten; die bisher bekannten Tatsachen machen aber durch- aus nicht klar, auf welche hinreichende Merkmale diese ,,Pteridospermae" benannte Gruppe sich stützen solle. Die hierher gehörigen Pflanzen haben bestenfalls in ihren vegetativen Organen Eigenheiten, die, wie besonders Stangeria unter den Cycadaceen, an Farn erinnern; hinsichtlich der Fortpflanzungsorgane jedoch , die die Grund- lage für unsere Klassifikation abgeben, handelt es sich durchaus um Samenpflanzen. Nun noch einmal ein Wort über die Moose. Tatsachen, die bei diesen für das Vorhandensein eines Pericauloms sprächen , sind mir bis jetzt nicht bekannt; danach ist ebenfalls ihre Herleitung sowohl von Algen, die dann im Gegensatz zu den Pteridophyten nicht zur Pericaulombildung fort- schreiten, als auch vom Farnprothallium, das auf der pericaulomlosen Algenstufe verbleibt, möglich. Kleinere Mitteilungen. Naturbeobachtungen eines Reisenden von 1660, niedergeschrieben von einem portugiesischen Ordensgeistlichen, der behauptet in Indien gewesen zu sein; Namens Francisco de Soza de Castro: Das siebende Buch / Von vielen Gattungen sonder- bahrer Thiere Bäume und Früchten / in Orient hat folgende Capitel : I. Von den Elephanten. II. Von den Cameelen. III. Von anderen gehenden Thieren. IV. Von den Schlangen und anderen kriechenden Thieren. V. Von den Vögeln in Indien. VI. Von den Fischen in Indien, vcs. vcs. Capitel IV findet sich folgendes : Weil ich von den Schlangen tractiert habe / so halte ich dafor / ich könne den schäd- lichen Effect ihrer etlichen nicht vorbeigehen zu melden. Wann diese Schlangen ohngefähr über weißes Gezeug oder Hembder / so irgend an der Sonnen ligen zu trücknen kriechen / so wachsen denjenigen ' der sie trägt in dem Rücken Schlan- gen / welche allgemach grösser werden , bis daß sie dem gantzen Leib umbgeben ' und sobald der Kopf und der Schwantz zusammen kommen so muß der Mensch ohnfehlbarlich sterben ; solchem zuvorzukommen sticht man diesen Schlangen offt- mals mit einer Nadel oder Pfriemen in den Kopfif / und verhindert sie also daß sie nicht wachsen können Capitel VI erzählt von den „Fischen" : Es giebt auch Sirenen nahe bei der Insel S. Laurentü / in dem orientalischen Theil Africae / welche ge- meiniglich von den Portugiesen Fischweiber ge- nannt werden / weil sie von dem Bauch an / bis auff den Kopff / den Weibern gleich seynd / unter dem Bauch aber enden sie sich in einen Fisch- schwantz. Ihre Gebeine dienen zu vielem; sie seynd sehr kalt , also daß wann einer Ader läßt / und er ein solches Bein in die Hand nimmt so wird das Blut alsobald gestillt / und gefrieret gleichsam in den Adern / wegen der heff'tigen Kälte die auß der Hand in die Adern gehet. Man hat einsmals dem Vice-Re in Indien Ader gelassen / und hat der Balbierer eine grosse Blut-Ader un- versehens verletzt / also daß man das Blut nicht stillen können / da hat man ihm einen Zahn von diesem Fisch in die Hand gegeben ' worauff das Blut alsobald aufgehört zurinnen. Diese Gebeine helffen sehr zu der Keuschheit und die Be- wegungen des Fleisches zu hintertreiben; Und was noch seltzamer ist / so kan es einen Mann un- kräfftig zum Zeugen machen: sie dienen aber sonsten sehr viel zum Gebrauch des Menschen. Man findet sehr offt an diesem Ort Meerochsen / von welchen man sagt / daß sie den rechten Ochsen sehr gleichen / ohne daß sie eine glatte Haut haben. Sie gehen auß dem Meer auff die Wiesen und 174 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. II weyden daselbst fängt man sie ofl'tmals mit ge- wisser List. Man macht einen Haag umb diese Wiesen / und läßt nur einen kleinen Eingang / denselben macht man wider zu / sobald der Meer- ochs hineingegangen / also daß er darinn gefangen und eingeschlossen wird / und wird darinn / wie man vor gewiß sagt / zu einem rechten Ochsen / und fangen ihm auch die Haar an zu wachsen. Eben daselbst sihet man auch Meerwölfe / und viel andere Fisch ,' so uns unbekannt seynd. Harro Magnussen. Zoologisches vom Baikalsee. — Unsere Kennt- nis von der Fauna des Baikalsees erfährt gegenwärtig eine beträchtliche Erweiterung durch die Ver- öffentlichung der wissenschaftlichen Ergebnisse einer zoologischen Expedition, die Prof. Korotneff in den Jahren 1900 — 1902 unternahm, l'ber Fische, Krebse, Weichtiere, Bryozoen und Würmer des Sees, sowie über sein Plankton dürfte dies Werk viel Neues bringen, darauf lassen wenigstens die bereits er- schienenen zwei Lieferungen schließen.') In der einen behandelt Korotneff die Comephoriden, von denen eine zweite endemische Art entdeckt wurde. Über die Beziehungen dieser eigenartigen Fisch- familie, von der z. B. Comephorus baicalensis lebendige Junge zur Welt bringt, und beide Arten bei dem Fortpflanzungsvorgange durch fortschrei- tende Atrophie der Verdauungswege zugrunde gehen, bringt dagegen die Arbeit nichts Neues. Wichtiger für die Genesis des Baikalsees sind die Resultate, die der bekannte Oligochätenforscher Michaelsen gefunden hat. Nicht weniger als 14 neue Arten hat allein das Jahr 1902 geliefert, das sind 39°/',, aller überhaupt bekannten Arten von borstenarmen Ringelwürmen. Dabei kommt Michaelsen zu dem Resultate, daß die Oligochäten- fauna des Sees durch meist sehr alte Formen ge- gebildet werde und daß sie eine typische Süß- wasserfauna sei, die dagegen spreche, daß der See jemals ein Teil des Meeres gewesen sei. Wir dürften demnach an Stelle des Sees nicht eine Bucht des Han-hai voraussetzen, sondern etwa eine mit Süßwasser gefüllte Lagune am Rande des nord- asiatischen Angorakontinents, in die aber auch marine Formen wie Robbe, Gammariden und Schwamm einwandern konnten. Eine zweite Möglichkeit wäre, daß das Han-hai erst später mit dem alten Baikal- see in Verbindung trat, als es ringsum von Land umgeben schon ausgesüßt war, wie das sarmatische Becken der Pliozänzeit, und daß die marinen For- men demnach erst sehr späte Einwanderer in den See darstellten. Eine absolute Sicherheit bietet freilich die Tatsache noch nicht, daß jetzt beispiels- weise die im Baikalsee am reichsten vertretene Familie der Lumbriculiden in Salz- und Brack- wasser überhaupt nicht lebensfähig ist, auch andere Tierformen sind ja im Laufe der Erdgeschichte aus dem Meere ins Süßwasser übergegangen, immer- hin würde sich Michaelsen's Annahme auch recht gut mit der früher in dieser Zeitschrift ") skizzierten Annahme der Entwicklung des Baikalsees vertragen. Interessant dürften für die Geschichte des Sees die beiden nächsten Lieferungen werden, die die Mollusken und Gammariden des Sees behandeln sollen. Dr. Th. Arldt, Radeberg. >) 1906, S. 724—725). ') I. Lief. Michaelsen, W., Die Oligochäten des Baikal- sees. 2. Lief. Korotneff, A., Die Comephoriden des Bail|uariuni te Amslerdani. ^) A Naturalist's Rambles oa the Devonshire Coast. Lon- don 1853. ^) Der See im Wasserglase. Gartenlaube. 1856. ') Das Süßwasser-.Aquaiium. Eine Anleitung zur Her- stellung und Pflege desselben. Leipzig. Mermann Mendels- sohn. 1857. N. I'. VI. Nr. 12 Naturwissenschaft liclic Wochenschrift. ■79 vorigen Jahrhunderts nicht nur selbst viele große und kleine Aquarien gehalten, sondern auch, speziell in Wien, zahlreiche Aquarienfreunde gekannt, welche mit größtem Eifer der Aquarienpflege oblagen und sich ganze Zimmer ausschließlich für ihre Aquarien- haltungen einrichteten. In diese Zeilen fällt auch die Errichtung der großen Schauaquarien in den großen Städten, die des weiteren dazu beitrugen, das Interesse für Aquarienkunde in weite Kreise zu tragen. Ich will da nur einiger, wie ich sie auf meinen Reisen wiederholt besichtigt habe, gedenken. 1861 wurde das Aquarium im Jardiii d'Acclimation du Bois de Boulogne in Paris als das erste große Schau- aquarium mit großen IVIaueraciuarien errichtet. Drei Jahre darauf wurde das Aquarium im Zoologischen Garten zu Hamburg, 1866 das Aquarium zu Han- nover, 1867 das Aquarium auf dem Boulevard Montmartre in Paris nebst zwei anderen auf dem Gelände der großen internationalen Pariser Aus- stellung, 1868 das Aquarium zu Brüssel, 1869 das Kölner und das Berliner Aquarium errichtet. 1871 kam es zur Eröffnung des Aquariums im Kristall- palast zu London, im Jahre 1873 während der Weltausstellung zur Eröffnung des Wiener Aqua- riums, das mit einem Aufwände von einer Million Mark nach den fachmännischen Angaben Brehm's erbaut und eingerichtet wurde. Ich habe selten bei Eröffnungen einen solchen Besucherandrang gesehen, wie bei der P>öffnung dieses Aquariums. Stundenlang mußten in den ersten zwei Monaten die Besucher vor dem Gebäude harren, ehe sie die Stufen hinan in die- Schaustellungsräume ge- langen konnten. Es war ein grober Fehler der Leitung, dies Zuströmen des Publikums geschäft- lich zu lange ausnützen zu wollen und nahezu ein halbes Jahr lang nichts weiter für die Ergänzung und Erneuerung der Schauobjekte zu tun. Das Interesse erlahmte und die Besucher blieben mehr und mehr aus. 1875 wurde das Aquarium zu Neapel, die Pilgerstätte so vieler Zoologen, 1876 das Royal- Aquarium zu London, 1882 das Aqua- rium im Zoologischen Garten zu Amsterdam, 1890 das .Aquarium auf Helgoland eröffnet. Diese großen Aquarien haben alle von dem durch W. Alfred Lloyd eingeführten Zirkulationssystem Gebrauch gemacht, welches, um das Wasser in den A(iuarien geruchlos und klar zu erhalten, das Wasser aus einem oder mehreren Reservoirs unter den Aqua- rien in die Aquarien einpumpt, mit Gewalt durch spitz auslaufende Röhrchen einströmen läßt, so daß reichlich atmosphärische Luft mitgerissen und bis zum Boden der Aquarien gebracht wird, und das Wasser wieder in die Reservoirs zurückfließen läßt. In England, wo eigentlich die Aquarienkunde erstanden und die erste Schaustellung von .Aquarier veranstaltet worden ist, hat sich das A(|uarium wesen später sehr verflacht. Überhaupt sind die großen Schaua(iuarien lange Schmerzenskinder ihrer Verwaltungen gewesen und da und dort wohl heute noch. Als ich im Jahre 1888 die Umwand- lung des Wiener Aquariums in das Vivarium über- nahm, konnte ich es nicht über mich bringen, mit den prächtigen A(]uarien ganz aufzuräumen und machte nochmals den Versuch, die sechzehn großen, 3 Meter langen, 1,7 Meter breiten, i Meter tiefen, nur von oben belichteten, von Dunkelgängen aus zu besichtigenden Felsaquarien abwechselnd mit verschiedenen einheimischen und exotischen Wasser- tieren zu besetzen und entsprechend zu bepflanzen. Einige Monate lang wurde eine Ausstellung aller unserer heimischen Fische der stehenden und fließenden Gewässer von den kleinsten Arten bis zu den größten Welsen, Aalen, Stören und Ster- lets, veranstaltet. Die Ausstellung war auch in den späten .Abendstunden bei elektrischer Beleuch- tung zu besichtigen. Aber die Einnahmen standen mit den großen Kosten in keinem Verhältnisse. .Als sich dann die Umwandlung des Aquariums in ein Vivarium, welches die verschiedenen Land- tiere bevorzugte, vollzogen hatte, kam es wieder zum Massenbesuche, der bis zur Übergabe des Vivariums an den neu gegründeten Tiergarten anhielt. Aber auch die Privatliebhaberei für .Aquarien fiel nach den ersten vielversprechenden .Anfängen rasch ab und das war leicht begreiflich. Es fehlte den .Aquarienfreunden damals an der nötigen An- leitung und Belehrung. Sie wußten nicht, wie sie dem Verderben der Pflanzen, dem Algenwucher, dem Trübwerden des Wassers, Verderben der Wasserluft und Eingehen der Fische in kleineren .Aquarien am besten entgegenzuarbeiten hätten, der fortwährende Wasserwechsel wurde auf die Dauer lästig, die reinlichkeitsliebenden Hausfrauen sahen die fortwährende Wässerei mit schelen Blicken an , den meisten Aquarianern wurde die Lieb- haberei wieder verleidet und die Aquarien, die in so viele Familien Eingang gefunden hatten, ver- schwanden wieder. Erst seit etwa 20 Jahren ist es zu einem neuen und diesmal siegreichen .Aufschwünge der Aquarien- liebhaberei in Deutschland gekommen. Ein ganz besonderes Verdienst, die Aquarienfrage wieder ins Rollen gebracht und das Interesse an .Aquarien- haltungen neu erweckt zu haben, gebührt dem Berliner \^ereine ,, Triton" M und seinem Begründer, dem für die Aquariensache leider viel zu früh ver- storbenen Paul Nitsche. Wenn heute ein Anfänger der .A(iuarienkunde sich zuwendet, stehen ihm knappe und ausführ- liche Anleitungen zur Verfügung, bietet ihm der Ai]uarienhandel in beijuemster Weise und zu ver- hältnismäßig billigen Preisen die gewünschten Be- hälter, Behelfe, Pflanzen und Tiere in reicher Aus- wahl, halten ihn gute Fachzeitschriften über die verschiedenen einschlägigen F"ragen im Laufenden, ermöglicht ihm der .Anschluß an einen der vielen bestehenden \'ereine Belehrung durch ältere, er- fahrenere Aquarienfreunde, belehren ihn die jähr- lichen .Ausstellungen über die Fortschritte auf dem ') 1886 gegründet. iSo Naturwissenschaftliche Wocheiischiift. N. F. VI. Nr. 12 Gebiete der .Aijuarienkunde. üie Zahl der Aquarien- freunde wächst infolge der zielbewußten Propaganda seitens der zahlreichen bestehenden und immer neu sich bildenden Vereinigungen von Aquarien- kundigen von Jahr zu Jahr. Die Aquarienliebhaberei von einst ist nicht ohne Kampf zu der anregenden, belehrenden, natur- geschichtlich ausbildenden Aquarienkunde von heute geworden. Es standen sich da die grellsten Gegen- sätze gegenüber. Wenn Roßmäßler, auf den sich sowohl die Vertreter der minder prätentiösen Lieb- haberei, als die der wissenschaftlichen Richtung berufen, sagt: ,,Wer kennt sie nicht, diese Macht: den Wetteifer im Begehren und Gewähren natur- wissenschaftlicher Kenntnis? Wer freut sich nicht über diese Macht, die berufen ist, uns das äußere Leben behaglich zu machen und als wohltätiges Gewitter die schwarzen Wolken konfessioneller Zwiespältigkeit allmählich zu zerteilen und den tiefblauen Himmel natürlichen Wissens über aller Welt leuchten zu lassen r Diese Macht und keine andere ist es, welcher wir im Aquarium eine freundliche Zierde unserer Zimmer und eine Quelle edeln Genusses verdanken" und an anderer Stelle: „Ein Aquarium ist eine freund- liche Zimmerzierde und zugleich ein ew ig lebendiger Quell belehrender Unter- haltung, durch Zusammenbringen von Wasser- pflanzen und Wassertieren in ihrem Leben zu- sagenden Behältern. Was es also soll, ist damit zugleich ausgedrückt und ist nur noch etwa hinzu- zufügen, daß es ein nicht unbedeutender Schritt ist auf der Bahn zu eingehender Beachtung der uns umgebenden Natur, ein Mittel, die Aufmerk- samkeit auf solche Punkte des Naturlebens zu lenken, die außer von den Naturforschern unbe- achtet gelassen zu werden pflegen; ein Heilmittel gegen die kindische Scheu der L'nwissenheit, womit Dinge gemieden werden, die nicht nur nicht ver- abscheuungswürdig oder gar gefahrdrohend, son- dern reich an ungeahnter Schönheit und an An- regung sind", so ist da ja zugegeben, daß auch naturwissenschaftlich nicht Vorgebildete ein Recht haben, sich der Aquarienkunde zuzuwenden, sie als harmlose, nützliche Nebenbeschäftigung, wohl- tuende Zerstreuung zu betreiben und eben auf diesem Wege zu einem immer besseren, ernsteren Verständnis der Erscheinungen in der uns um- gebenden Natur zu gelangen. Wenn es aus solchen, die .Aquarienliebhaberei von einem gemütlicheren, lebensfroheren Standpunkte aus betrachtenden Kreisen heraus sogar zur Ausschreibung von Preisen für die Schaffung eines Liederbuches für Aijuarien- vereine gekommen ist, über die sich die Vertreter der wissenschaftlichen Richtung wohl mit einigem Rechte mißfällig ausgesprochen haben, so kann man ja über solche Wunderlichkeiten, die der A(]uariensache ja doch keinen .Abbruch tun, hin- weggehen. Keinesfalls sollte man solchen naiveren .Auffassungen zu hart begegnen und damit so manchen zurückschrecken , da doch der ganze Werdegang der Aquarienkunde zeigt, daß auch aus diesen Kreisen der .Aquarienpflege tüchtige Vorkämpfer erstanden sind und längere Beschäfti- gung mit solchen Tier- und Pflanzenhaltungen zu immer ernsterer Beobachtung hinleitet. Die Vertreter der wissenschaftlichen Richtung tadeln das von vielen .Aquarienfreunden in den Vordergrund gestellte Züchten exotischer Fische, sprechen von Krämertum, Sportfexerei in der Aquarienliebhaberei und haben auch da in vieler Hinsicht recht. Man darf aber nicht vergessen, daß die .Aquarienkunde bei aller ernsten wissen- schaftlichen Betreibung nicht zu so rascher und bedeutender Entwicklung gelangt wäre, wenn nicht eben die Fürliebe vieler .Aquarienfreimde für kost- spielige Seltenheiten, neue Einführungen, prächtige Behälter den und jenen Händler dazu veranlaßt hätte, sein Geld an die .Anlage großer Züchtereien, an den Import von Fischen und Pflanzen, an die Einrichtung von großen Aquarienfabriken zu wagen. Alle diese Bestrebungen sind doch wieder der ganzen .Aquariensache zugute gekommen. Es ist ja auch auf einem anderen, verwandten Gebiete so gegangen. Dem Naturfreunde und Tierbeob- achter waren gewiß die alten zoologischen Gärten erster Zeit in so mancher Beziehung lieber als die großen Tiergärten von heute mit ihren Prunk- bauten , ihrem Konzert- und Völkerausstellungs- lärm. Wären aber diese Tiergärten anders imstande, uns Jahr für Jahr mit den vielen Seltenheiten an Tieren zu überraschen und für die großen Kosten ihrer Tierhaltungen aufzukommen, wenn sie nicht eben mit diesen Schaustellungen und Vergnügungs- veranstaltungen die Kosten für die zoologischen .Abteilungen hereinbrächten? Mit Recht hat man die Vernachlässigung der heimischen Süßwasserfauna und -flora zugunsten der exotischen Tier- und Pflanzenwelt gerügt und wieder auf Roßmäßler hingewiesen, der sagte, es sei für jedermann ein Schaden und eine große Schande, in der Heimat Fremdling zu sein. Aber so manches läßt diese Bevorzugung der fremd- ländischen Fisch- und Pflanzenwelt begreiflich er- scheinen. Ich denke heute noch mit nicht ge- lindem Schauder der Mühen und Sorgen, die mir die Beschaffung der selteneren Donaufische, wie Aspro zingel, Acerina schraetser, und anderer .Arten für unsere Schaustellung lebender einheimischer Süßwasserfische und deren Erhaltung während der heißen Sommermonate machte. LTnd wir arbeiteten doch mit reichen Mitteln. Wie viel schwerer ge- wöhnen sich überhaupt einheimische Fische an das Aquarienleben, als die exotischen, von denen viele schon in ganz kleinen Wasserbehältern sich wohl fühlen, manche, wie viele Labyrinthfische, sogar im pfützigen Wasser aushalten. Dazu kommt, daß so \'iele exotische Zierfische sich durch ihre Farbenschönheit auszeichnen, sehr leicht an die F"ortpflanzung gehen, durch ihre Brutpflege Inter- esse erregen. Die meisten exotischen Wasser- pflanzen erfreuen den Aquarienbesitzer dadurch, daß sie im Winter nicht eingehen, den größten Teil des Jahres im Wachstum sich befinden oder N. F. VI. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. i8i docli ihr schönes Grün behaken. Trotz so be- greiflicher Fürliebe für fremdländische Fische und Wasserpflanzen macht sich aber seit einigen Jahren eine erfreuliche Rückkehr zur Beobachtung und Haltung der Vertreter der heimischen Wasserfauna und -flora bemerkbar. In den Kampf der grellen Gegensätze, der zu- weilen sehr temperamentvoll und an das Persön- liche streifend geführt worden , grifTen einzelne Freunde der Aquarienkunde vermittelnd ein. So sagt Dr. P. Krefft in einem längeren Artikel') über den Vivariensport: Zu der mehrfach dis- kutierten Frage, ob unsere Vereine „Wissenschaft" oder„Wissenschaftlichkeit"aufihre Fahnen schreiben sollen, ließe sich gar manches sagen. .'\uf alle Fälle scheint mir die zwar längere, aber beschei- denere Devise, die an zweiter Stelle genannt wurde, empfehlenswerter, sofern man nämlich unter diesem Worte die Dout-des-Beziehungen zur Wissenschaft versteht. Mit der wissenschaftlichen h'orschung dagegen ist es ein eigen Ding. Sie erfordert nicht nur, neben eigenartiger Begabung, ein nur mühe- voll — wenn die ,, Wissenschaft" nicht Stück- und F'lickwerk bleiben soll — zu erringendes Maß von Vorkenntnissen, sondern auch weit mehr Zeit- aufwand und persönliche Hingabe als man von den Liebhabern gemeinhin erwarten kann , und es hieße wohl die ,, kompakte Masse" aus den Vereinen herausgraulen, wenn man in ihnen das selbständige Wandeln auf den dornenvollen Pfaden der Wissenschaft obligatorisch machen wollte . . . Daß trotz mangelnder wissenschaftlicher Bildung auch ein ganz simpler Vivarianer biologische Be- obachtungen von eminenter wissenschaftlicher Be- deutung machen kann, wissen nicht nur die Ver- einsvorstände, die deshalb mit Recht jedes Mit- glied zur Mitteilung seiner Beobachtungen er- mutigen, sondern auch die Gelehrten selber be- halten aus diesem Grunde unsere Laienliteratur stets im Auge. Und der Tritonforscher Dr. W. Wolters- torff sagt: „Allen diesen bietet das Aqua- rium mit seinem Getier, sei es nun exotisch oder einheimisch, in erster Linie Erholung und Freude in knappen Mußestunden , aber ganz von selbst vertieft sich bei ihnen oft genug das Inter- esse am A(|uarium zum Interesse an der exakten Beobachtung selbst. Und ob nun das Laichge- schäft fremder Tiere sorgfältig beschrieben oder der Lebensweise, dem Aufenthalt, der Verbreitung heimischer Tiere nachgeforscht wird, bleibt sich gleich , beides fällt unter den Begriff der „volks- tümlichen Naturkunde". ,,Es führen viele Wege nach Rom", der eine beginnt mit dem Studium der heimischen Natur, der andere wird auf ver- schlungenen Pfaden zu ihr geführt, aber beide Wege führen zu dem gleichen Ziele" ! -'). Der Kampf, in den besonders W. Köhler, der ') Zur Charakteristik des Vivariensports. Wochenschritt für Aquarien- und Terrarienkunde. I. Jahrg. .\r. 36. '1 Viele Wege führen nach Rom. Wochenschrift für Aquarien- und Terrarienkunde. III. Jahrg., Nr. 16. in einer Reihe von Artikeln in der „Wochenschrift für .•\'^ ""^ im Jahre 1904 allein 16,2 Sterbefälle kamen, entfielen auf die gleiche Bewohnerzahl in den ländlichen Grafschaften von 1899 bis 1903 durchschnittlich 14,0 und in 1904 13,5, in den städtischen Gebieten hingegen in denselben Perioden 18,8 und 17,9 Sterbefälle. Die Mortalität war im Jahre 1904 dem Ouin- c|uennium 1899 — 1903 gegenüber ausnahmslos ge- ringer; sie ist beim männlichen Geschlechte höher als beim weiblichen, aber der Unterschied ist auf dem Lande weniger bedeutend als in den Städten. In dieser Beziehung sind die folgenden Zahlen be- achtenswert; die Sterblichkeitshäufigkeit betrug beim männlichen Geschlecht im allgemeinen: 1899 bis 1903 18,1, 1904 17,3; auf dem Lande: 1899 bis 1903 14,7, 1904 14,3; im städtischen Gebiet: 1899— 1903 20,1, 1904 19,1; beim weiblichen Ge- schlecht im allgemeinen: 1899 — 1903 15,9, 1904 15,2; auf dem Lande: 1899 — 1903 13,2, 1904 12,9; im städtischen Gebiet: 1899 — 1903 17,5, 1904 16,7. Auf je eine Million Personen kamen beim männ- lichen Geschlecht mehr Sterbefälle als beim weib- lichen: In den ländlichen Grafschaften im Durch- schnitt der Jahre 1899— 1903 1521, im Jahre 1904 13 19, in den städtischen Grafschaften 1899 — 1903 durchschnittlich 2590 und 1904 241 I. Betrachtet man die einzelnen Altersklassen ge- sondert, so stellt sich beim weiblichen Geschlecht in den Städten vom 5. bis 15. Jahre, auf dem Lande vom 5. bis 20. Jahre eine größere Sterb- lichkeit heraus als beim männliclien. Zwischen dem 15. und 25. Lebensjahre ist beim weiblichen, zwischen dem 20. und 25. auch beim männlichen Geschlechte die Sterblichkeit auf dem Lande er- heblicher als in den Städten. Es ist anzunehmen, daß besonders viele junge Mädchen, die vom Lande in die Stadt wanderten, um dort Erwerb zu finden, bei ernstlichen Erkrankungen sehr häufig wieder in die Heimat zurückkehren und hierdurch bei- tragen, die ländlichen Sterbeziffern der betreffen- den Altersklassen zu erhöhen. Außerdem ist zur Erklärung dieser Erscheinung die Tatsache der er- höiiten Gefährdung des Lebens des Weibes im Alter der Entwicklung und zu Beginn der Gebär- tätigkeit heranzuziehen. Vom 25. Lebensjahre ab werden die Unterschiede in der Sterblichkeits- häufigkeit zuungunsten der Städte stets beträcht- licher und erst in den höchsten Altersklassen (über 65 Jahre) sind sie wieder etwas weniger erheblich. Beim weiblichen Geschlecht ist die Differenz hier wie in anderen Kulturstaaten geringer als bei den Männern, was durch die nachstehende Tabelle ver- anschaulicht wird; auf je looo Einwohner kamen im Durchschnitt der Jahre 1899 — 190^ Sterbe- fälle : Ländl. Grafschaft!"!! Stadt. Grafsch. 111. G. w . G. m. i;. w. G. bis ; Jahre 42,2 34,1 05,9 55,5 5—10 „ 3.0 3,1 4,4 4,6 10—15 „ 1,9 2,3 2,4 2,5 l^ — 20 ,, 3,1 3,3 3,6 3,2 20-25 .. 4,9 4,2 4,6 3,9 25-35 ,. 5.9 5,3 6,S 5,6 35-45 .. 8.3 7,2 11,9 9,8 45-55 .. 13-5 10,8 21,0 16,1 55—65 „ 27,0 21,8 39,2 30,8 über 65 „ 88,9 80,4 98,8 87,9 Auf dem Lande ist namentlich vom 15. — 35. Jahr beim männlichen und \'om 10. — 25. Jahr beim weiblichen Geschlecht die Sterblichkeit an Lungen- tuberkulose bedeutender als in den Städten; in den niedrigeren wie in den höheren Altersstufen tritt der umgekehrte Fall ein. Man kann an- nehmen, daß die geringere Tuberkulosesterblich- keit der Jünglinge und jungen Männer in den Städten daher rührt, daß hauptsächlich kräftige Leute aus den ländlichen Grafschaften in die Städte abwandern , bei welchen sich erst nach längerem Aufenthalt die schädlichen Einwirkungen der Industrie und des Stadtlebens bemerkbar machen. Die Lungentuberkulose ist als Todes- ursache im ländlichen Gebiet bis zum zehnten Jahre bei Knaben häufiger als bei Mädchen ; vom 10. — 20. Jahre weisen die weiblichen und nach dem 20. Jahre wieder die männlichen Personen eine höhere Sterblichkeit auf Im städtischen Ge- biet besteht die größere Lungeiituberkulosemor- talität des weiblichen Geschlechts vom 5. bis zum 20. Jahre. Ohne Hervorhebung der Altersklassen kamen von 1899 — 1903 im Jahresdurchschnitt auf eine Million Einwohner Sterbefälle an Lungen- tuberkulose : ') Bevölkerung der ländHchen Grafscliaften im Jahre 1904 4,3 -Millionen, der städtischen 18,3 Millionen. männl. Geschl. weibl. Geschl. überb. 1501 liindl. (Irafsch. 1267 1060 ^tiidl. Grafsch. insgesamt 1274 I 164 137; i84 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 12 Die enghscheTodesursachenstatistik bietet einen Beweis dafür, daß die SterbHchkeit an Krebs beim weibüchen Geschlecht entschieden häufiger ist als beim männlichen. Die tatsächlichen Sterb- lichkeitsziffern zeigen auch für die ländlichen Graf- schaften, gegenüber den städtischen, eine größere Häufigkeit an. Wird dagegen auf die ungleiche Alterszusammensetzung Rücksicht genommen — was bei dieser Krankheit ganz besonders erforder- lich ist, da sie vorwiegend in den höheren Alters- stufen als Todesursache auftritt — und berechnet man dementsprechend korrigierte Sterblichkeits- ziffern für die Altersklassen über 35 Jahre, so er- gibt sich das folgende Resultat. Auf eine Million Personen kamen im Jahresdurchschnitt von 1899 bis 1903 Sterbefälle an Krebs: überh. ländl. Grafsch. städt. Grafsch. männl. Gesclil. 2125 1978 2215 weibl. Geschl. 2901 2697 3023 insgesamt 2534 23 17 2(>4I Es ist allerdings fraglich, ob in den ländlichen Gebieten die Feststellung des Krebses als Todes- ursache ebenso leicht gelingt wie in den Städten ; außerdem kommt in Betracht, daß in den städtischen Hospitälern viele vom Lande zugewanderte Krebs- kranke sterben, deren Verteilung nach ihrem Her- kunftsort häufig undurchführbar ist. Fehlinger. Über abnorme Nistgelegenheiten von Vögeln. — Eine Notiz in der Königsberger All- gemeinen Zeitung vom 5. Juni 1905 berichtete über das seltene Vorkommnis eines Storchnestes zu ebener Erde bei Liebemühl (Ostpr.). „Im vorigen Jahre", heißt es, „legte ein Storchpaar ein Nest auf dem Schulhause an. Ihm wurde es durch ein anderes Paar streitig gemacht, wobei ein Storch durch Schnabelhiebe getötet wurde. Als in diesem Jahre der Kampf ums Heim aufs neue entbrannte, räumte das Paar das Nest und legte ein solches auf einer nahen Wiese an, wo es zwei Eier brütet". Diese Notiz veranlaßte Prof M. Braun zu einer genaueren Erkundigung, durch welche die inter- essante Beobachtung bestätigt wurde. Die Eier wurden nicht ausgebrütet, da sie von Kindern weggenommen wurden. Nach einiger Zeit war die Wiese gemäht und das Nest verschwunden. r3ie Störche hatten das Material des Nestes wieder auf ihren alten Nistplatz, das Dach des Schul- hauses getragen. So befremdend das Nisten von Störchen zu ebener Erde ist, so finden sich doch schon ähn- liche Angaben im ,, alten" und im „neuen Nau- mann", sowie in den Zeitschriften ,,Der zoologische (rarten" und ,,Ornithologischc Monatsberichte". Alle derartigen Fälle aber sind als Ausnahmen zu betrachten und können niemals in Parallele ge- setzt werden mit der dauernden Änderung der Nistweise, die wir bei verschiedenen Vögeln sehen. Eine solche dauernde Änderung der Nistweise liegt ja auch beim Storch vor, da er seine zweifellos ursprüngliche Gewohnheit, auf Bäumen zu nisten, mit der auf menschlichen Bauwerken vertauscht hat. Ahnlich steht es mit den Schwalben und den Dohlen , welche heutzutage fast ausnahmslos an und in menschlichen Bauwerken Wohnplätze suchen. Prof. Braun berichtet im Anschluß hieran noch über lokale Änderungen der Nistweise, die man bei manchen Arten beobachtet hat. So nistet in der Tundra der Wanderfalke auf ebener Erde, der Rauhfußbussard auf niedrigen Zwergbirken. Auf Sylt ist der Hänfling Erdnister, der Steinschmätzer benutzt die Höhlen der Brandente. Der Fisch- reiher setzt sein Nest in manchen Gegenden auf die ebene Erde. Manche Arten jedoch, wie z. B. die Spechte, können den durch die menschliche Kultur bewirkten Änderungen nicht folgen. Von einem Wiedehopf- pärchen wurde indessen schon beobachtet, daß es sich einen Haufen hohl liegender Steine zur Nist- stätte aussuchte, und der Kiebitz ist wohl infolge von Entwässerung der Sumpfwiesen in manchen Gegenden mehr oder weniger zum F"eldbrüter ge- worden (Schriften d. physikal. -Ökonom. Gesellsch. zu Königsberg i. Pr., 46. Jahrg., 1906). Dr. V. Franz (Helgoland). Pflanzen mit transparenten Blüten. — Im Jahre 1899 beschrieb F. Ludwig') am oberen Pol der Blüte von Helleborus foetidus vorkom- mende, eigentümliche, durchscheinende Stellen, die er etwas später ( „Illustr. Zeitschrift für Entomologie", Bd. 5, Nr. 12, 1900) „h'enster" nannte. Dieselben werden durch die zu ihnen hinleitenden Adern der Sepalblätter gebildet und kennzeichnen die Orte der Nektarien. Schon sehr viel früher hat Sprengel ähnliche durchscheinende Gewebspartien an den Blüten von Aristolochia Clematitis und A. Sipho nachgewiesen und Ule verfolgte die Erscheinung näher bei einigen anderen Aristolochien in der Umgebung von Rio de Janeiro. Bekanntlich mündet die Kronröhre bei den Aristolochien an der Basis in eine kessel- artige Aussackung. Dieser Kessel ist speziell bei Aristolochia macroura dunkel; nur in dem um die Geschlechtsorgane herum liegenden Teil findet sich eine farblose, durch einen dunkelpurpurnen Ring abgegrenzte helle Zone, die Licht einfallen läßt, das sog. F'enster. Durch einen eigentümlichen Geruch angelockt, besuchen zahlreiche Fliegen in dem weiblichen Stadium den Blütenkessel, indem sie durch den trichterförmigen Schlund hineinkriechen und sich durch die schräg nach unten gerichteten Reusen- haare hindurcharbeiten. Im Kessel angelangt, streben sie alsbald dem „Fenster" zu und übertragen so, wenn sie bereits aus einer anderen Blüte kommen, Blütenstaub auf die Narbe. Am Morgen des zweiten ') Weitere Beobaclitungen zur Hiologic von Helleborus foetidus. Von Prof. Dr. F. Ludwig. In : ,,Bolan. Zentralblatt", F.d. LXXIX. iSgo. N. F. VI. Nr. 12 Nalui-wisseuschaftliche Wochenschrift. I8S Tages der Gefangenschaft werden die I^'Hegen wieder entlassen, indem sie über und über mit Blüten- staub bepudert durch den inzwischen erschlafften Reusenkanal das Weite gewinnen und einer anderen Blüte zufliegen. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei anderen Arten der Gattung Aristolochia. Das ist nun so ziemlich alles, was man bisher an „Fensterblumen" aufzuzählen hatte. Sobald man aber der Erscheinung etwas nachgeht, findet man daß die Transparenz gewisser Blütenteile gar nicht so selten vorkommt. Recht interessant ist dieselbe bei Cyclamen persicum Mill., das von uns darauf- hin untersucht wurde. Bei den weißen und roten Varietäten dieses Cyclamens bildet fast der ganze Blütenkessel (^,'3 seiner Tiefe) ein einziges großes helles „Fenster", eine transparente Kuppel, von der fünf grüne, durchscheinende Sepala wie eine dunkle sternförmige Armatur sich abheben. Auf der Grenze zwischen der nichttransparenteii Partie des Kelches und dem durchscheinenden Teil des Blütengrundes springen nach innen halbmillimeter- dicke Erhöhungen vor, welche in verschiedener Zahl (10 — 15) im Kreise herumstehen und, wie Gaston Bonnier nachwies, Zuckersaft enthalten, den die Insekten, welche die Blüte befruchten, durch Anbohren jener Gewebspartien gewinnen sollen. Letztere sind so glasartig glänzend, daß man sie auf den ersten Blick für Safttropfen halten möchte, Von der gewöhnlich stark gefärbten Um- schlagstelle der Fetalen am unteren Rand des Blütenkessels verlaufen unter sich parallele, ge- färbte Adern, welche der sonst fast glashell durch- scheinenden Glocke ein um so schöneres Aussehen geben. Über die Bedeutung dieser Transparenz bei Cyclamen persicum wage ich kein abschließendes Urteil zu fällen ; doch wird es sich, die Saftmal- theorie als angenommen vorausgesetzt, um eine, das Saftmal vertretende Einrichtung handeln, worauf auch die Lokalisation der safterfüllten Gewebs- partien hindeutet. Nun aber ist die Cyclamen- blüte offen und jeder Teil leicht zugänglich; warum hat sie denn „Fenster" nötig? Warum trägt sie nicht gleich anderen offenen Blumen gefärbte „Saft- male"? Ganz einfach, weil ihr letztere nichts nützen würden ; denn obwohl offen, ist dennoch der Blumen- kessel dem Lichte nicht zugänglich, weil er mit seiner, wenn auch weiten Mündung vermöge der Knickung des Blütenstiels nach unten gekehrt ist. Was also gefärbte Saftmale nicht vermögen, das gelingt transparenten Geweb.sstellen am Blüten- boden, mit einem Wort „Fenstern". Bei hängenden Glockenblüten werden wir daher mit Erfolg die Erscheinung der Transparenz suchen. Ein prächtiges Beispiel liefert Fritillaria imperialis, die Kaiserkrone. Blickt man von unten her in die Glocke hinein, so scheinen die 5 am Blüten- grund befindlichen Nektargruben, die im auffallen- den Licht porzellanartig weiß aussehen, rosa- farben durch. Zu denselben führen auf orange- gelbem Grund rot durchscheinende Adern, die den Insekten als „Wegweiser" dienen können. Noch auffallender ist die Erscheinung der Trans- parenz bei der Schachblume oder dem Kibitzei (Fritillaria meleagris). Hier kommt die Pracht der Färbung erst zur vollen Geltung im durchfallenden Licht. Das von außen betrachtete Perigon er- scheint ziemlich matt, unauffällig, etwa so wie eine Glasmalerei, wenn wir sie im auffallenden Licht betrachten. Werfen wir aber einen Blick von unten her in die Blüte, so erglüht die schach- brettartige Felderung derselben in leuchtenden Farben. Die schlitzförmigen Nektarien heben sich deutlich ab. Ebenso unscheinbar sind von außen betrachtet die zwischen dem Laub halbversteckten, an langen dünnen Stielen aufgehängten Glockenblüten der Scopolia carniolica Jacq. Außen schmutzig purpurbraun , ähnlich den Blüten der Tollkirsche, leuchtet das Innere rosa- farben, von dem sich 15 gelbe, durchscheinende Nerven abheben, welche zu je dreien den fünf Zipfeln der Blüte entsprechen und voraussichtlich als Saftmale dienen. Im auffallenden Licht kommen diese Nerven gar nicht zur Gellung. Allbekannt sind die leuchtend-gelben Blüten der Forsythia, eines aus China in unsere Anlagen eingebürgerten Strauches, der im Vorfrühling schon auf große Distanzen sichtbar^ ist. Die Blüten scheinen dem oberflächlichen Be- obachter gleichmäßig gelb gefärbt zu sein. Weit gefehlt! Gelb sind nur die 4 Zipfel der Röhren- blüte. Die kurze Kronröhre selbst aber ist farblos, durchscheinend, wie in Ol getauchtes Papier und auf dem transparenten Grund heben sich 1 2 orange- gelb gefärbte, nicht transparente Längsstreifen (Saftmale) ab. Wenn so^'delikate'^Zeichnungen in einer hängenden Blüte [sichtbar werden sollen, so kann es nur durch die Transparenz der umgeben- den Partien geschehen. Bei Muscari commutatum sind die obersten 20 — 25 sterilen, geschlechtslosen, als Schauapparat dienenden Blüten hellblau durchscheinend, nicht wie die fertilen „bereift" und auch nicht duftend. Man könnte sie mit 'entzündeten Lampions^ver- gleichen. Der Zweck ist ersichtlich kein anderer, denn als Schauapparat zu wirken, und das erreichen sie am besten, durch ihre Transparenz.' >« Einzig durch ihre große Transparenz fallen die grünlich-gelben Blüten von Acer Platanoides in der Frühlingslandschaft auf. Wie flüssiges Gold erglühen sie in der Sonne und heben sich prächtig, weit- hin sichtbar von dem dunklen Blau des Himmels ab. Alle Teile der Blüte sind hervorragend durch- scheinend. Das ist überhaupt eine Eigenschaft sehr vieler Frühlingsblüten, aber durchaus nicht aller. Caltha palustris, Ranuiiculus P'icaria, Ranuncu- lus acris u. a. verdanken ihre Leuchtkraft nicht der Transparenz. Vielmehr werfen ihre schalenförmigen Blüten, die mit einer glasurartigen Epidermis über- kleidet sind, wie ein HohLspiegel die Lichtstrahlen zurück. Wir können demnach diese Kategorie von i86 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 12 Bkimeii im Gegensatz zu den Transparenz- blumcn die Reflexblumen nennen. Ein schönes Beispiel einer transparenten Blüte gibt auch Gentiana acaulis ab, welche die höheren Alpmatten mit ihren ultramarinblauen nickenden Glocken zu Tausenden schmückt. Wie bei jeder Glockenblüte befindet sich auch hier die schönere Seite innen, was bei einer tellerförmigen Blüte deren Oberfläche entsprechen würde. Damit aber diese schöne, gefärbte Innenseite unserer Gentianablüte, die stark überhängt, auch wirklich zur Geltung komme, muß die Glocke, wenigstens in ihrer unteren Partie, durchscheinend sein, was auch tatsächlich zutrifft : der untere Teil der trichter- förmigen Glocke ist pigmentlos und transparent. Um so kräftiger kommen die in jedem der fünf Kanäle der sog. Revolverblüte verlaufenden fünf blauvioletten Punktreihen zur Geltung, welche als Saftmale angesehen werden. Bald ist das Saftmal selber nicht durchscheinend, aber dessen Umgebung, wie in dem eben ge- nannten Beispiel, bald ist nur das Saftmal trans- parent, dessen Umgebung aber nicht. Den letzteren Fall haben wir bei Geranium silvaticum. Hier ver- laufen 3, bzw. 5 durchsichtige Saftmale in Form von Adern konvergierend nach den Honigdrüsen im Grund der violett gefärbten Blüte. Ähnlich verhält sich Galanthus nivalis. Die opaken weißen Blumenblätter werden von durchscheinenden, als Saftmal funktionierenden Adern durchzogen. Die Zahl der transparenten Blüten ließe sich leicht vermehren. Es war uns aber für dieses Mal besonders darum zu tun, zu weiteren For- schungen anzuregen. Nach unseren bisherigen Beobachtungen ist der Zweck der Transparenz ein zweifacher. Sie dient 1. der Anlockung der Insekten aus der Ferne, 2. der Anlockung resp. Führung der Insekten aus der Nähe. Im ersten Fall ist die ganze Blüte transparent (wie beim Ahorn). Hier steht die Transparenz im Dienste des Schauapparats. Im zweiten Fall sind nur einzelne Partien trans- parent (wie bei Gentiana, Galanthus etc.). Die Transparenz steht im Dienste des Saftmals. Dr. Rob. Stäger. Wetter-Monatsübersicht. Im größeren Teile des vergangenen Februar herrschte in Deutschland veränderliches Frostweiter mit häutigen Schnee- fällen. In Nordwest- und Süddeutschland gingen, wie die beistehende Zeichnung ersehen läl3t, die Temperaturen nur selten unter — lo" C herab, mittags wurde dort schon am Anfange des Monats der Gefrierpunkt vielfach überschritten. Östlich der Oder hingegen, wo der Himmel um JMitte des Monats meistens klar war, nalim der Frost von einem Tage zum anderen bis zum 15. Februar ziemlich regelmäßig an Strenge zu, am Morgen dieses Tages brachte es Königsberg i. Pr. auf 18, Bromberg auf 19, Köslin auf 20, Gumbinnen auf 21" C Kälte. Dann trat dort eine ungewöhnlich rasche Erwärmung ein, so daß schon am 17. ganz Deutschland Tau- wetter hatte, das bis zum Ende des Monats mit gelindem Frost mehrmals abwechselte. In Mittel- und Sudwestdeutschland stieg das Thermometer am 20. bis auf 10" C. Die Durch- sclmittstemperaturen des Monats lagen in den meisten Gegen- den I '/a Grad unter ihren normalen Werten und auch die Zahl der Sonnenscheinstunden, deren beispielsweise zu Berlin 53 verzeichnet wurden, war etwas geringer, als sie im Februar zu sein pflegt. 1 I VS'enn auch in der ersten Hälfte des Februar in ganz Norddeutschland fast täglich Schnee fiel, so waren seine Mengen doch nur in den allerersten Tagen einigermaßen be- deutend. In Suddeutschland waren die Niederschläge von Anfang an selir gering und auch im Nordwestcji nahmen sie seit dem 8. mehr und mehr ab. Infolgedessen wurde die Schneedecke allmählich dünner und in verschiedenen Gegen- den wurden die Wintersaalen, besonders Weizen, durch Frost gescliädigt. ^is .\m 17. Februar gingen die Schneefälle au den meisten Orten in starke Regen über, die bei stürmischen Westwinden lange anhielten und sich in den nächsten Tagen öfter wieder- holten. Während sich darauf die Winde mit zunehmender N. F. VI. Nr. I-- Natuiwisscnscliaft liehe Wochenschrift. 187 Stärke nacli Xmdweslcn drclUcn , cntliKlen sicli am 20. und 21. über Nordwest-, Süd- und Mitteldeutschland zahlreiche Gewitter mit sehr heftigen Regen-, Schnee- und Hagel- schauern. Dann dauerten ni>ch zwei Tage lang Schnee- stürme lort und dehnten sicli auch aul den Osten aus. Die in dieser Zeit si^ liäutigen, besonders im Westen sehr ergiebi- gen .Niederschläge hatten ein rasches Wachsen der meisten deutschen Flüsse zur Kulge. Die Lahn, Fulda, .\ller, Leine, weiiJe Elster, Havel und obere Spree führten vorübergehend Hochwasser, die aber nirgends selir bedeutend waren. In den drei letzten Tagen des Monats war das Wetter in vielen Gegenden trocken und auch in den anderen kamen nur leichte Regen- und Schneefälle vor. Die gesamte Menge der Niederschläge belief sich für den Durchschnitt aller be- richtenden Stationen auf 33,7 mm , während die gleichen Stationen im Mittel der früheren Februarmonate seit Beginn des vorigen Jahrzehntes ^7,5 mm Niederschlag geliefert haben. In den ersten Tagen des Monats befand sich ein baro- metrisches Ma.ximum in der Nähe der britischen Inseln, ein zweites in Kußland , zwischen beiden drangen llache Depres- sionen anfangs aus Süden, später aus Norden in Mitteleuropa ein. Nachdem sich darauf am 7. beide Hochdruckgebiete in Rußland vereinigt hatten , traten auf dem .-Mlantischen Ozean erheblich tiefere Minima auf, die dann lange Zeit hindurch die Witterungsverhältnisse in ganz Westeuropa beherrschten. .\m 20. früh aber erschien an der norwegischen Südwestküstc ein barometrisches Minimum, das alle seine Vorgänger an .\usdehnung und Tiefe noch bei weitem übertraf. In Sku- denes stürzte das Barometer auf 702 mm, einen so niedri- gen Stand, wie er seit langer Zeit niflit mehr vorgekommen ist und der nur 8 mm über dem in Europa jemals be- obachteten tiefsten Barometerstande lag In Begleitung unheilvoller, schwerer SlUrnie rückte das Minimum langsam ostwärts vor. Ihm folgte vom Atlantischen Ozean ein Ma.\i- nium nach, das aber bald durch eine neue, die skandinavischen Länder durchziehende Depression nach Westen zurückgedrängt wurde. Dr. E. Leß. Vereinswesen. Deutsche Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde (E. V.). — Am Sonnabend, den 3. November, nachmittags 2 Uhr, fand eine Be- sichtigung der Funkenstation in Nauen statt unter Führung des Herrn Oberleutnants a. D. Solff und einiger anderen Beamten der Gesellschaft für draht- lose Telegraphie. .\m Donnerstag, den i 5. Novbr., sprach im großen Hörsaal \'I der Kgl. Landwirtschaftlichen Hochschule Herr Privatdozent Dr. Werner Magnus über ,,Die Entwicklung und Formbildung derPflanzen in ihrer Abhängigkeit von äußeren Ein- flüssen". DerEinfluß extremerVerhältnisse desKli- mas und des Bodens auf die Formgestaltung der Pflan- zen ist auch einem nicht geübten Beobachter augen- fällig. Die vielfach größeren, farbenprächtigeren Blüten, die dichtere Behaarung, der zvvergige Wuchs auf höheren Bergen, die fleischige Beschaffenheit der Pflanzen des Meeresufers, die dünnen, schnell verwelkenden untergetauchten Blätter der Wasser- pflanzen mögen als Beispiel dienen. Der Laie ist zumeist geneigt, anzunehmen, daß wirklich die gleiche Pflanze unter verschiedenen äuf3eren Ein- flüssen verschiedene Ausbildung erfährt, während der in der Pflanzensystematik mehr bewanderte Sammler weiß, daß an diesen verschiedenartigen Standorten ihnen eigentümliche, systematisch zu treimende, wenn auch nahe verwandte Pflanzen aufzutreten pflegen. — Verläuft nun aber wirk- lich die Entwicklung und Formbildung der Pflanzen im wesentlichen unbeeinflußt von ihrer Umgebung in genau vorgezeichneten Bahnen ? — Daß „bei der Entwicklung init maschinenmäßiger (le- nauigkeit eine Phase der anderen folge und jede Entwicklungsstufe die notwendige Voraussetzung der vorhergehenden sei" (Reinke), wie die Phase der Samenbildung, Keimung, Bildung der ver- schiedenen Blattformen, Blüten und Fruchtbildung bei einer einjährigen Pflanze, dafür erschienen als besonders schlagendes Beispiel diejenigen Pflanzen, bei denen ganz verschieden gestaltete Generationen in regelmäßigem Rhythmus aufeinanderfolgen, wie die geschlechtlichen und ungeschlechtlichen Genera- tionen der Farne und Moose. So lag es nahe an- zunehmen, daß überall dort, wo, wie bei vielen niederen Pflanzen, Algen und Pilzen, mannigfaltige Formen auftreten, dies gleichfalls in regelmäßigen Rh_\-thmen stattfände. So sehen wir z. B. den auf toten Insekten vorkommenden Wasserpilz Sapro- legnia zuerst mit seinem vegetativen Mycel das Tier durchwachsen, dann ungeschlechtliche, kleine, schnell bewegliche Schwärmsporen bilden und mit der Produktion von durch einen Geschlechtsakt gebildeten großen, dickwandigen, reichlich Reserve- stoft'e enthaltenden Oosporen seinen Entwicklungs- gang abschließen. — Es gelang zu zeigen (Klebs), daß jeder dieser Entwicklungsstufen : vegetatives Wachstum, ungeschlechtliche und geschlechtliche Fortpflanzung, bestimmte äußere Bedingungen ent- sprechen, es also in der Hand des Experimentators steht, zu jeder Zeit diese oder jene Entwicklungs- stufe hervorzurufen. Nachdem es sich dann weiter herausgestellt hatte, daß auch die anscheinend so genau regulierte Generationsfolge der Farne nicht unveränderlich, lag der Gedanke nahe, zu fragen, ob nicht auch bei höheren Pflanzen die Bildung der verschiedenen Organe: Blätter, Wurzeln, Blüten, die ja an und für sich zumeist nicht in genau präzisierter Folge und Menge auftreten, von äußeren Bedingungen abhängig wäre. Dies muß auf Grund einer großen Reihe von Tatsachen im wesentlichen bejaht wer- den. Die Bildung von Kartoffeln an oberirdischen Organen (Vöchting), die Umwandlung einer nor- mal nur begrenzt vvachseiiden Blütentraube in einen unbegrenzt fort wachsenden vegetativen Sproß mit durchgreifenden Unterschieden in der Größe und Stellung der Blätter, der Behaarung etc. (Klebs) sind besonders schlagende Beispiele für die Macht äußerer Einflüsse. — Durch diese Erfahrungen wird nun aber auch ein Angriffspunkt gegeben, das große Problem, das schon Goethe in seiner „Metamor- phose der Pflanzen" beschäftigte , zu behandeln, wie die normale Formbildung zustande kommt. Man wird dazu geführt, einen Einfluß anzunehmen der entstandenen Organe auf die werdenden, der einem beliebigen anderen äußeren Einfluß an die Seite gesetzt werden kann. Die Gestaltung der Pflanze wird nicht nur durch i88 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 12 die Anzahl der verschiedenen ( )rgane bedingt, sondern auch durch deren Form. Diese ist in weitesten Grenzen abhängig von äußeren Einflüssen. Der Einfluß des Lichts, der Scliwerkraft in ihren richtenden und formbestimmenden Kräften sind allbekannt. — Das umgebende Medium Luft oder Wasser kann formbestimmend wirken, wie auf die Ausbildung der geschlitzten Wasserblätter und ungeteilten Luftblätter des Wasserhahnenfußes. Bei den meisten Pflanzen übt das Medium aller- dings nicht einen so weitgehenden Einfluß aus, sondern die Unterschiede bestehen nur in einer Veränderung der anatomischen Ausbildung. Die im Wasser gebildeten Blätter besitzen eine dünne Cuticula, die Spaltöffnungen sind nicht eingesenkt, die Intercellularen groß, das Leitungssystem und die Festigungselemente sind schwach entwickelt. — Die in besonders trockener Luft entstehenden Blätter sind durch reichlichere Behaarung, Ver- dickung derCuticula,Einsenkung der Spaltöffnungen, kleine Intercellularen usw. ausgezeichnet. Ahnlich strukturverändernd wirkt das Höhenklima, salz- haltiger Boden und andere extreme Verhältnisse. — Unleugbar entsprechen alle diese Veränderungen der Pflanzen, die normalerweise in gewöhnlichen Lebensbedingungen vorzukommen pflegen , den- jenigen Strukturverhältnissen, die in verstärktem Maße in den Pflanzen der extremen Klimate kon- stant vorkommen, den Pflanzen extrem trockener oder feuchter Klimate, den Alpenpflanzen, den Salzpflanzen usw. — Wie ist es zu verstehen, daß wenigstens die Anfänge der gleichen Strukturver- hältnisse einmal durch extreme Bedingungen her- vorgerufen werden können, das andere Mal erb- lich sind ? Es scheint daraus zu folgen, daß die Pflanzen sich so verändern, wie es ihnen nützlich, und daß diese Eigenschaften vererbt werden können. Von dieser Anschauung geht die Theorie der direkten Anpassung aus, die im schroffen Gegen- satz zu der Selektionstheorie des Darwinismus steht. Dennoch wäre diese Schlußfolgerung vor- schnell, indem scharf unterschieden werden muß zwischen dem Vorhandensein eines Anpassungs- vermögens (Variationsbreite), einem (lecologismus und dem Entstehen des .Anpassungsvermögens, der Oecogenese (Detto). Die Pflanzen besitzen F"ormbildungsmöglich- keiten, die oft nicht geahnt werden können. Sie sind imstande, so hoch differenzierte und eigen- artige Gebilde, wie die Pflanzengallen, unter dem Einfluß tierischer Organismen zu produzieren. Ihr Studium erscheint besonders berufen, ebenso wie das der durch andere äußere Einflüsse hervorgerufenen Formveränderungen über die Struktur der Pflanzen und der in ihnen schlummernden Entwicklungs- möglichkeiten Aufschluß zu geben. Über das „Leben der Ameisen" sprach am Mittwoch, den 28. November, im Hörsaal VI der Königl. Landwirtschaftl. Hochschule der Ab- teilungsvorsteher des Königl. Zoologischen Instituts Herr Dr. Bern dt. Er führte zunächst mit einigen einleitenden Worten auS, in welcher Weise wir die Idee des sozialen Zusammenschlusses einzelner Individuen zu einem gemeinsamen Ganzen im Reiche der organisch belebten Natur verwirklicht sehen. Die niederste Form, in der das organische Leben auf fc>den auftritt, ist diejenige der einzeln lebenden Zelle, wie sie uns in all den unzähligen kleinsten Lebewesen , den Protozoen oder Urtierchen, ent- gegentritt, bei welchen die belebte h^inzelzelle alle zum Leben notwendigen Verrichtungen vollzieht. Schließen sich nun \iele dieser einzelnen Zellen zu einer gemeinsamen, nach außen hin abge- schlossenen Gesamtheit zusammen, so erhalten wir den Zellkomplex, die Zellkolonie und schließ- lich den streng gegliederten Zellstaat, das ,, höhere Tier". Auch der Mensch ist solch ein Staaten- wesen. Der Sinn des gemeinsamen Zusammen- schlusses liegt in der Arbeitsteilung. Indem die einzelnen Komponenten des Zellstaates die gemeinsam zu leistende Arbeit unter sich aufteilen, wird der Staat als Ganzes in höchstem Maße leistungsfähiger, wird eine bedeutend größere Menge von Arbeit geleistet, als dies möglich wäre, wenn jede Zelle für sich ihr Lebenswerk verrich- tete und man dann etwa die Summe der ge- leisteten Arbeit in Betracht zöge. Der Vortragende ging dann in Kürze auf die bekannte Arbeits- teilung im Körper des einzelnen Menschen z. B. ein; nur dadurch, daß Gruppen von Zellen sich ausschließlich mit der Produktion von Be- wegung (Muskulatur), andere ausschließlich mit der Verarbeitung der Nahrung und der Erzeugung von Energie (Stoffwechselorgane) beschäftigen, wird dem Körper jene Arbeitsfähigkeit gewähr- leistet , die schließlich in den Schöpfungen des menschlichen Gehirnes ihren Höhepunkt erreicht. Kommt es nun aber weiter zu einem Zusam- menschlüsse von zahlreichen, in der vorbeschrie- benen Weise organisierten Zellstaaten, so liegt es auf der Hand, daß damit eine noch größere Steige- rung der Arbeitsleistung verbunden sein muß. Das Wesen der so entstehenden „Tierstaaten" ist der strikteste Zusammenschluß aller Komponenten (Einzelindividuen) nach außen hin, verbunden mit größtmöglichster Arbeitsteilung nach innen. Das Einzelindividuum wird von der Natur in diesen Fällen bedingungslos in den Dienst der Allge- meinheit gestellt und muß zugunsten des Allge- meinwohles auf seine individuelle Existenz voll- kommen Verzicht leisten. Die Natur beraubt ihre ,, Staatsbürger" unter LTmständen jeglicher Lebensfreude; der PVeuden des Familienlebens, ja in speziellen Fällen sogar des mit der Nahrungs- aufnahme verbundenen eigentlichen Genusses. Vortragender bedauerte, aus mannigfachen Grün- den auf eine Invergleichstellung der in der Natur obwaltenden Verhältnisse mit denjenigen der menschlichen Gesellschaft Verzicht leisten zu müssen und zog nur kurz das altindische Kasten- wesen in den Kreis seiner Betrachtungen. Auf sein engeres Thema eingehend, schilderte er nun zunächst die Charakteristika der großen N. F. VI. Nr. 12 Naturwissciiscliaflliclic Wochciisclirifl. 189 l'iergruppe der Gliederfüßler (Arthropoda) und wandte sich dann einer kurzen Schilderung des Baues des Ameisenkörpers zu. Besonders hob er die vielen Kigentümlichkeiten des Verdauungs- kanales hervor, der, mit zahlreichen Drüsen, Aus- stülpungen und .Anhängen verschen, bei der Rei- nigung, der Brutpflege und als „sozialer Magen" in der Ameisenbiologie eine bedeutende Rolle spielt. Ferner wies er auf manche anderen Be- sonderheiten der Organisation, auf die scharf von- einander abgesetzten I.eibcsabschnitte, die beson- deren X'orriclitungen zur persönlichen Reinigung (Putzfüße) u. a. m. hin. .Alsdann kam Vortragender zur Betrachtung der den Ameisenstaat zusammensetzenden Einzel- kasten und schilderte Männchen und Weibchen und die durch Degeneration der Weibchen ent- standene .Arbeiterkaste. Er hob die großen Ver- schiedenheiten in der Organisation der einzelnen Stände hervor, die sich im Vorkommen (Männ- chen und Weibchen) oder Fehlen (.Arbeiter) von Flügeln, in der verhältnismäßigen Größe der Leibesabschnitte und vor allem in der verschie- denen Größe des Gehirnes kundtun. Das Männ- chen, dessen Lebenszweck damit erfüllt ist , daß es den Freuden der Liebe huldigt, hat das kleinste, das Weibchen, welches eine Zeitlang die Aufgabe der Brutpflege hat, hat schon ein größeres Gehirn; der .Arbeiter aber, der alle die wundervollen Ver- richtungen vollzieht, die uns über das Leben der -Ameisen staunen lassen , hat ein für die Verhält- nisse des Insektenkörpers enorm großes Gehirn. Die .Arbeiterkaste ist ihren mannigfachen Auf- gaben entsprechend in mehrere Unterkasten ge- schieden, die sich schon äußerlich bedeutend unterscheiden und die als „Soldaten", „Honig- töpfe", „Wachthabende" usw. bekannt sind. Die Fortpflanzung der Ameisen wird durch den sogenannten ,, Hochzeitsflug" eingeleitet, über welchen der Vortragende an der Hand der meisterhaften Ausführungen Forel's einige An- gaben machte. Nach vollzogener Begattung schreitet das Weibchen, nunmehr die junge Königin, zur Gründung einer neuen Kolonie. Sie legt einen kleinen , nach allen Seiten hin abge- schlossenen, kesselartigen Anfangsbau an und zieht in diesem die ersten, aus den abgelegten Eiern ausschlüpfenden Arbeitermaden auf. Sie verwendet dazu den eigenen Speichel , die sich auflösende Muskulatur ihrer (nunmehr abgeworfenen) Flügel, und ihren Fettkörper; auch ist beobachtet wor- den , daß sie einige von den abgelegten Eiern wieder auffrißt und so sich und ihre Brut bis zum Ausschlüpfen der ersten fertigen Arbeiter aus der Puppe (dem sogenannten Ameisenei) durchbringt. Diese Arbeiter beginnen sofort mit dem Bau des für jede Art charakteristischen Nestes und setzen die Königin durch reichlichste Nahrungszufuhr in- stand, immer neue Eier abzulegen, die mit dem während des (nur einmal während ihres Lebens stattfindenden) Hochzeitsfluges aufgenommenen Sperma befruchtet werden. So wächst die Kolo- nie heran und kann im günstigsten halle ein Alter von bis zu 15 Jahren und eine halbe Million Ein- wohner erreichen, bis die Königin nach dem Ver- siegen des aufgenommenen Spermas abstirbt und damit die Kolonie mit ihren unfruchtbaren Ar- beitern dem Untergange geweiht ist. Der V^or- tragende wies nach Erledigung dieses lange un- aufgeklärten Kapitels der Ameisenbiologie auf die verschiedenen Formen der Nester hin. E",r schil- derte das Erdnest, das Holz- oder Marknest, das kombinierte Nest („Ameisenhaufen") und ging auf die Mannigfaltigkeit der verwendeten Materialien, die Plastizität der in Betracht kommenden In- stinkte (Bauinstinkt), die Einteilung der Nester in Gänge, Brut- und Vorratskammern, die Neben- bauten , die Kammern für die „Honigtöpfe", die Ameisenstraßen, die Blattlauspavillons, ein. Auch wies er besonders auf eine höchst eigenartige Form des Nestbaues hin, bei welcher die Ameisen (Oecophylla) ihre eigenen Larven als Webeschiffe für das Zusammenheften der das Nest bildenden Blätter benutzen und erörterte die Frage, ob es sich hier um einen Fall von Werkzeugbenutzung durch Tiere handele. Darauf wurde die Ernährung der Ameisen der Betrachtung unterzogen und die höchst inter- essanten Vorgänge bei der sogenannten „sozialen Ernährung", bei welcher nur einige Ameisen das eigentliche Fressen besorgen ; ferner die Beziehun- gen zu den Blattläusen, die unter Umständen wie Haustiere beschützt, gehegt und gepflegt werden; endlich die sogenannten ,, Honigtöpfe" eingehender besprochen. Diese letzteren sind Arbeiter, welche von ihren Genossen dazu verurteilt sind, iiir Lebelang bis zum Zerplatzen mit Nahrung gefüllt in besonderen Vorratskammern zu hängen und so als lebende Speisereservoirs zu dienen. Darauf wurden die schon in der Bibel erwähnten Körnersammler- ameisen und endlich die Gärtner und Ackerbauer, die Pilzzüchter, geschildert, welch letztere sich durch die komplizierten Verrichtungen des Blattab- und -zerschneidens, des Kultivierens eines Pilzes auf dem so erzeugten Kompost und endlich durch Züchtung dieses Pilzes zur sogenannten Kohlrabi- bildung ihren Lebensunterhalt verschaffen. Von den verschiedenen Sitten und Ge- bräuchen wurde zunächst der ausgesprochene Reinlichkeitstrieb der Ameisen erwähnt, durch den sich zahlreiche, sonst unerklärbare Handlungen der Ameisen („Beerdigung von Toten , Brücken- bauten, Uhrschalenversuch") ungezwungen erklären lassen ; darauf ging der Vortragende kurz auf die Maßregeln zur persönlichen und sozialen Vertei- digung, die ,, Spiele", die Krankenpflege und aus- führliclier auf die sogenannte .Sklaverei und die damit verbundenen Kämpfe der Ameisen ein. Entstanden ist die Sklaverei dadurch, daß die Weibclien mancher Ameisenarten nicht mehr im- stande waren, allein an die Gründung einer neuen Kolonie zu gehen. Sie ließen sich von königinlosen Kolonien anderer .Arten ,, adoptieren". igo Naturwissenschaftliche Wocheiisclirift. N. F. VI. Nr. 12 Starben nun die Arbeiter der adoptierenden Ko- lonie aus, so erwarb sich die Nachkommenschaft der adoptierten Königin die Gewohnheit, wieder neue Arbeiter der ersten Art aus einer nahege- legenen Kolonie durch Raub in ihre Gewalt zu bringen , wodurch das sogenannte Sklavenhalten zustande kam; .Sklav-en im menschlichen Sinne sind diese Ameisensklaven jedoch niciit, da sie ja in ihrer angestammten Mutterkolonie zu denselben Arbeiten wie in der Raubkolonie gezwungen ge- wesen wären. Die gelegentlich dieser Sklaven- jagden stattfindenden Kämpfe schilderte der Vor- tragende an der Hand einiger berühmter Myrme- kologen von Fach , teilte auch die eigenen Be- obachtungen bezüglich der Strategie und Taktik der Angreifer und der Verteidiger mit. Auch ging er näher auf die Schilderung der bekannte- sten Sklavenräuber und Krieger, der Amazone (Polyergus) und die bei einigen Formen (Stron- gylognathus, Anergates) infolge der Sklavenhaltung Platz greifende Degeneration ein, welch letztere ihre Parallelen auch außerhalb des Ameisenlebens hat. Neben diesen Beziehungen zu anderen Ameisen, sowie den vorerwähnten Beziehungen zu ihren Haustieren, den Blattläusen und einigen Raupen- arten, unterhalten nun die Ameisen noch zu ihrem Unglück einen teils aufgezwungenen Verkehr mit anderen Insekten , meist Käfern. Viele dieser ,, Ameisengäste" sind bloßes Diebsgesindel, welches durch seine Kleinheit den Ameisen entgeht und das sich nur von den überreichlichen Nahrungs- vorräten des großen Kulturstaates nährt. Andere aber (Lomechusa, Paussus, Atameles u. a. m.) sind von beträchtlicher Größe und leben frei und offen vom Raube der Ameisenpuppen und -larven. Trotz- dem lieben und pflegen die Wirte ihre Gäste; dies geschieht nur wegen eines für die Ameisen berauschenden Duftes oder Saftes, den die Räuber an bestimmten Stellen (Haarbüscheln) ihres Leibes absondern. Nicht mit Unrecht ist der Vergleich mit manchen, das Familien- und Staatswohl unter- grabenden Lastern des Menschen gezogen worden. Das Heer der .\meisenparasiten , der aufge- zwungenen Gäste also, die am Körper ihrer Wirte leben, ist sehr groß und es konnte nur auf wenige der interessantesten Formen eingegangen werden. Große und wichtige Kapitel, so die ameisen- freundlichen Pflanzen, die Bedeutung der Ameisen für den Haushalt der Natur und des Menschen in den Tropen, das Verhalten der Ameisen bei un- vorhergesehenen Kreignissen (Plastizität der ange- borenen Instinkte), endlich die gesamte eigentliche Psychologie konnten wegen Zeitmangels nur ganz flüchtig gestreift werden. Mit Bezug auf die Psychologie glaubte sich der Vortragende auf den Standpunkt der bekanntesten Myrmekologen von h^ach stellen zu sollen , für welche die .Ameise kein kleiner Mensch mit allen Regungen des intellektuellen und Gefühlslebens des Menschen (wie Büchner, Marshall u. a. wollen), andererseits aber auch kein bloßer .Automat (Bethe) ist. Der Ameise ist sehr wohl eine gewisse Denk- fähigkeit auch in unserem Sinne eigen, sie vermag sich zu erinnern, mit Erinnerungsbildern (Engram- men) Lust- und Unlustgefühle zu verbinden und in beschränktem Maße nach einer Kombination solcher Engramme zu handeln. Sie vermag ferner sich mit ihren Nestgefährten zu verständigen, sich in der Welt der unbelebten Objekte und unter den Ihren zurechtzufinden. Weg und Steg, Freund und F'eind kennen zu lernen, aber nicht wie der Mensch, oder doch manche Menschen, strikt logisch zu denken und Schlüsse zu ziehen. Der Vortragende erwähnte, daß ihm neben den bedeutenden Werken Forel's, Wasmann's, Huber's u. a., sowie den eigenen Beobachtungen, vor allem ein in neuerer Zeit erschienenes Werk (K. Esche- rich, Die Ameise) als Grundlage diente, welch letzteres sicli besonders für die Disponierung des schwer übersichtlichen Stoffes nützlich erwies. I. A. : Dr. W. Greif, I. Schriftführer, Berlin SO l6, Köpenickerstraßc 142. Bücherbesprechungen. Dr. Hermann Vierordt, Prof. der Medizin an der Universität Tübingen, Anatomische, physio- logische und physikalische Daten und Tabellen zum Gebrauche für Mediziner. 3. Aufl. Jena, Verlag von Gustav Fischer, 1906. 616 S. — Preis 16 Mk., geb. 17,50 Mk. Je mehr die Wissenschaft fortschreitet , um so mehr macht sich überall das Bedürfnis geltend , daß die gewonnenen Resultate zusammenfassend in über- sichtlicher tabellarischer Form gegeben werden. Einem solchen Bedürfnis kommt der Verfasser der vorliegenden, den menschlichen Körper betreffen- den l'bersichten entgegen. Er wendet sich zwar in erster Linie an den Mediziner. Das Werk hat aber entschieden auch für weitere Kreise Interesse, für .Anthropologen, Ethnologen , Künstler und überhaupt für Gebildete vieler Berufe. — Der Mediziner findet zwar die notwendigsten Daten der vorliegenden Art in den Medizinalkalendern. Wer aber seinen Beruf nicht handwerksmäßig ausübt , wer auch die (Juellen und den Wert der Daten kennen möchte , wer ein tieferes wissenschaftliches Interesse an seinem Berufe hat, der wird ein Werk , wie das vorliegende kaum entbehren können. — Den Nichtmediziner wird be- sonders der erste, anatomische Teil interessieren. Er findet hier die durchschnittlichen , statistisch festge- stellten .Vlaße und Gewichte des menschlichen Körpers, des männlichen und des weiblichen und aller Organe desselben, ferner das Durchschnittskörpermaß und Ge- wicht für alle Altersstufen für die Bewohner der ver- schiedenen Länder Europas und für die verschiedenen Menschenrassen zusammengestellt. -— Der zweite, physiologische Teil gibt alle zahlenmäßig festgestellten Daten über Blut und Blutbewegung, über Atmung, Verdauung, Gallenbildung, Wärmebildung, über viele Nahrungsmittel, ül.ier .Stoffwechsel, Sinnesfunktionen, Zeugung usw. usw. und schließlich noch eine Tabelle über die Festigkeit des Schlafes nach verschiedener N. F. VI. Nr. iJ Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 191 Dauer und eine solche über tue Sterbenswahrschein- lichkeit in den verschiedenen Lebensaltern. — Dann folgt ein kleiner physikalischer Teil , einige Zahlen und Tabellen , die für den Arzt besonders von Be- deutung sind, z. B. der auf dem IMenschen in ver- schiedener Höhe über dem Meere lastende Druck, das spezifische Gewicht verschiedener Körper, die Dichte des Wassers bei verschiedener Temperatur, Schmelz- und Siedepunkte verschiedener Körper, elek- trische Maße , Leitungsfähigkeit des menschlichen Körpers für Elektrizität usw. — In einem Anhang folgen schließlich noch weitere Angaben von medi- zinischem Interesse, z. B. Angabe der Höhe bekannter Kurorte, die bekömmlichste Temperatur für Speisen und Getränke verschiedener Art, die in den ver- schiedenen Lebensaltern erforderliche Schlafdauer, die Inkubationsdauer der Infektionskrankheiten , Maximal- dosen, Vergleich verschiedener C^ewichte, Gewichts- angabe der Tropfen verschiedener Flüssigkeiten usw. — Die Zusammenstellungen sind alle sehr klar und übersichtlich gegeben. — Der Preis des Werkes ist, wenn man die Schwierigkeiten, die mit dem Tabellen- druck verbunden sind, berücksichtigt, ein sehr mäßiger. Dahl. Dr. Walter Oels, Prof an den Franke'schen Stif- tungen zu Halle a. S. , P flan ze n phy s i ologi - sehe Versuche, für die Schule zusammengestellt. Zweite , verbesserte und vermehrte Auflage. Mit 87 in den Text eingedruckten Abbildungen. Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn in Braunschweig. 1907. — Preis 3 Mk. Die wesentlichsten Tatsachen der Pflanzeni)hysio- logie werden in Form kurzer Lehrsätze ausgesprochen, zu denen die Versuche die Beweise liefern. Letztere sind, dem Zweck des Buches entsprechend, möglichst einfach gehalten. Den Hauptabschnitten gehen allge- meine, orientierende Bemerkungen voraus. Das Bü- chelchen ist daher ebensowohl geeignet, Lehrer der Botanik bei der Ausführung ptlanzenphysiologischer Versuche zu unterstützen , als auch gebildeten Laien und fortgeschritteneren Schülern eine elementare Ein- führung in die Pflanzenphysiologie zu bieten. Wilhelm von Bezold, Gesammelte Abhand- lungen aus den Gebieten der Meteorologie und des Erdmagnetismus. In Gemeinschaft mit A. Coym herausgegeben vom Verf. 448 Seiten mit 66 Abb. und 3 Tafeln. Braunschweig, F. Vieweg & Sohn. 1906. — Preis 16 Mk. Über den hohen wissenschaftlichen Wert der hier vereinigt erscheinenden Abhandlungen des jüngst ver- storbenen Leiters des kgl. preußischen meteorologischen Instituts wird niemand im Zweifel sein. Da die Ab- handlungen ursprünglich zumeist nur in Akademie- schriften erschienen sind, so ist die durch vorliegende Sammlung geschaffene Erleichterung des Studiums desselben für jeden Fachmann zweifellos besonders erfreulich. Dazu kommt noch, daß Verf die Mühe nicht gescheut hat, neueres Beobachtungsmaterial ent- weder durch als Fußnoten gegebene Zusätze , oder sogar durch Nachträge und teilweise Umarbeitung gewisser Abschnitte zu berücksichtigen , so daß die Abhandlungen, auch wenn sie aus älterer Zeit stam- men, uns doch über den gegenwärtigen Stand der Forschung in kompetenter Weise orientieren. Aus dem reichen Inhalt sei folgendes hervorge- hoben. Auf eine das Dämmerungsphänomen ausführ- lich behandelnde Arbeit folgen Untersuchungen über Gewitterstatistik, die eine wichtige Beziehung zu den Sonnentiecken klarstellen. Alsdann folgen die fünf für die Entwicklung der Meteorologie so bedeutsamen Abhandlungen ,,zur Thermodynamik der Atmosphäre", nebst Anwendungen der entwickelten Theorien auf die bei Ballonfahrten gemachten Wahrnehmungen. Nach einigen weiteren, gleichfalls die Begründung einer „Physik der Atmosphäre" zum Ziele habenden Abhandlungen über Zyklonen und den Wärmeaustausch in der Luft bilden endlich vier sich auf den Erd- magnetismus beziehende Studien, die auch chronolo- gisch der letzten Phase der wissenschaftlichen Tätig- keit des Verf angehören, den Abschluß. Kbr. Dr. Karl Arnold, Prof der Chemie in Hannover, Repetitorium der Chemie. Zwölfte verb. und ergänzte Auflage. Hamburg und Leipzig, Ver- lag von Leopold Voss, 1906. — Preis 7 Mk. Das Erscheinen einer neuen Auflage dieses Bu- ches wird von den Freunden desselben mit Interesse zur Kenntnis genommen werden ; handelt es sich doch um ein trefflich der neuzeitlichen Chemie angepaßtes kleineres Kompendium, das durch sein ausgezeichnetes ausführliches Register (p. 619 — 688) besonders ge- brauchsfähig gestaltet ist. Es enthält über 6500 Stichworte. Literatur. Ostwald's Klassiker der exakten Wissenschaften. 8°. Leipzig, \V. Engelmann. Nr. 152. Grotthuss, Thdr. v. : Abhandlungen über Elektrizität u. Licht. Herausg. v. R. Luther u. A. v. Octtingen. Mit e. Bildnis u. 5 Fig. im Text, i 199 S.) '06. — 3 Mk. Nr. 154. Dutrochet, Henri; Physiologische Unter- suchungen üb. die Beweglichkeit der Pflanzen und der Tiere. (1824.) Übers, u. hrsg. v. Alex. Nathanson. Mit 29 Textfig. (148 S.) '06. — 2,20 Mk. Nr. 155. Sella, Quintino: Abhandlungen zur Kristallo- graphie. Hrsg. V. F. Zambonini. Mit 8 Fig. im Text. (44 S.) '06. — 80 Pf. Nr. 156. Jacobi, C. G. J. : Neue Methode zur Integra- tion partieller Differentialgleichungen erster Ordnung zwischen irgend e. Anzahl v. Veränderlichen. Hrsg. v. G. Kowalewski. (228 S.) '06. — 4 Mk. Nr. 157. Toepler, Doz. Dr. Aug. : Beobachtungennach e. neuen optischen Methode. Ein Beitrag zur Experi- mentalphysik. Hrsg. V. A. Witting. Mit e. Bildnis v. Toepler u. 4 Taf. (62 S.) '06. — 1,50 Mk. Nr. 158. Toepler, Dr. .^ug. : Beobachtungen nach der Schlierenmethode. Hrsg. v. A. Witting. Mit 4 Taf. u. I Textfig. (103 S.) '06. — 3 Mk. Rodt, Cäcilie v. : .\us Zentral- u. Südamerika. (359 S. m. Abbildgn. u. I Karte.) gr. 8°. Bern (Länggasse) 'o" , W Wälchli. — 8 Mk. ; geb. in Leinw. 9,60 Mk. Wiesner, Hofr. Prof. Dir. Dr. Jul.r Elemente der wissen- schaftlichen Botanik. I. Bd. Anatomie u. Physiologie der Pflanzen. 5. verb. u. verm. Aufl. (IX, 401 S. m. iS"; Ab- bildgn.j gr. 8". Wien 06, A. Holder. - 7,80 Mk.; geb. in Halbfrz. 9,20 Mk. 192 NaUir wissenschaftliche Wocliciisclirift. N. V. VI. Nr. i_^ Briefkasten. Herrn Dr. A. E. in Dobrzan bei Pilsen. — Neuere Werke über Eiweißstoffe sind : Conlieim, Clieniie der Eiweißkörper. Vieweg & Sohn. Braunschweig 1900. N. Schulz, Die Kristaliisatiun von Eiweißstol'fcn und ihre Bedeutung für die Kiweiflchemie. Gustav Fischer. Jena igoi. X. Schulz, Die Gr<>ße des Eiweißnioleküls. Gustav Fischer. Jena 1903. Lb. Herrn M. B. in ( )snabrück. — Sic wünschen „nähere Mitteilung betreffend i) die Zustandsglcichung der Gase; 2) ein Mittel zur Zerlegung der Salze; 3) das Wesen der quantitativen Maßanalyse". l) Alle Gase können bekanntlich durch Temperatur- erniedrigung und Erhöhung des Drucks zu Flüssigkeiten ver- dichtet werden. Diejenige Temperatur, unterhalb deren ein Gas durch Druckerhöhung allein in den flüssigen Zustand übergeführt werden liann, ist die kritische Temperatur und der hierzu erforderliche Druck der kritische Druck. Nach dem Boyle'schen Gesetz verhält sich nun das Volumen eines Gases bei konstanter Temperatur umgekehrt proportional dem Druck. In der Nähe ihrer Verflüssigung aber zeigen die bisher untersuchten Gase von diesem Gesetz gewisse Ab- weichungen , welche die sog. von der Waals'sche Zustands- gieichung der Gase P -|- 2 (^ — ^) ^ K.'r berücksichtigt, worin a und b für jedes Gas bestimmte Konstanten sind. Diese Gleichung stellt die Abhängigkeit, welche für eine gegebene Gasmasse zwischen Druck, Volumen und TemperatuT besteht. dar. Die Größe bezieht sich auf die Molekularattraktion und b auf das Eigenvolumen der Moleküle. Van der Waals fand für Kohlensäure a = 0,00874 ""d b = 0,0023. lJ>e Zustandsgieichung von van der Waals gilt allgemein für reine, homogene Gase ebensowohl wie für Flüssigkeiten. 2) Auf Ihre Frage nach einem ,, Mittel zur Zerlegung der Salze" näher einzugehen, liegt nicht in dem Rahmen einer Briefkastennotiz. Zunächst kommt es ganz aut" die chemische Natur des Salzes an. l's gibt ja eine so ungeheuerliche Menge von Salzen, die sich gegen chemische Agenticn ganz verschieden verhalten, daß man keinen allgemein gültigen Satz betr. ihrer Zerlegung aufstellen kann und dann fragt es sich ja auch, worein es zerlegt werden soll. Vielleicht ist Ihnen mit der Antwort gedient , daß sich im allgemeinen Salze schwacher Säuren durch stärkere Säuren unter Bindung ihrer Base und Freiwerden ihrer Säure zerlegen lassen. Aber auch das ist noch von verschiedenen Bedingungen abhängig. Jedes Kompendium der Chemie dürfte Ihnen für Ihre Zwecke in allen Fällen genügend Aufklärung geben. Die meisten Salze lassen sich auch auf elektrolytischcm Wege zerlegen. 3) Die Maßanalyse (diese ist immer quantitativ, — daher der Name!) oder die Titriermethode verfolgt den Zweck , unter Verzicht auf die zeitraubenden .\rbeiten auf der chemischen Wage , also als Ersatz lur die Gewichtsanalyse , die chemische Analyse an der Hand durch das .\uge wahrnehmbarer Erscheinungen durchzuführen. Die Titration gestattet eine größere Zahl von Analysen in weit kürzerer Zeit zu vollenden , als dies auf gewichtsaoalyti- schem Wege möglich wäre, und auch oft mit größerer Ge- nauigkeit zu arbeiten als mit jener. Alle Titrierarbeiten, wenn sie auch ohne Wägung vorgenommen werden, beziehen sich im letzten Grunde doch auf eine VVägung insofern, als die zur Titration angewendeten Flüssigkeiten einen bestimmten, vorher festgelegten Gehalt 1 Titer) an wirksamer Substanz be- sitzen. Man stellt also sogenannte iXormallösungen mit be- stimmtem Titer, d. h. Gelialt an wirksamen Bestandteilen, her (meist '/.-.. '/loi '/20 normal) und kann mit diesen dann in kurzen Zeiträumen zahlreiche Titrationen aus- führen. So erzielt man auch in allen Fällen "gleiche Genauig- keit und kann diese Arbeiten mit der einmal hergestellten Normallösung ohne neue Wägung jederzeit vornehmen. Das Kriterium über die Vollendung der Reaktion gründet sich, wie ol)en angedeutet, auf sichtbare Vorgänge, und zwar auf die Veränderung einer Farbe (Kolorimetrie, .Mkalimetrie) auf das Auftreten oder Verschwinden einer solchen, auf das Auftreten eines Niederschlags und endlich auf die Beendigung des .\iederschlags (Silberbestimmung, Chlorbestimmung: Nieder- schlagsmcthode). Die Werkzeuge der Maßanalyse sind einmal die Bürette, d. h. ein langes, zylindrisches Rohr mit ccm-Einteilung, deren unteres F'nde durch einen Hahn verschlossen und geöftnet werden kann — für die Normallösung beim Titrieren. Man läßt soviel von letzterer ausfließen , bis die Reaktion beendet ist. Beispiel: In einer NaCl-Lösung soll Chlor bestimmt wer- den. Man bringt eine abgemessene Menge davon in einen Kolben bzw. Becherglas, verdünnt stark , setzt dieses unter die Bürette und füllt letztere mit '/,„ N-Silbernitrat. Läßt man nun aus dem Hahn die Normallijsung auslaufen , so wird im Kolben momentan ein dichter, weißer Niederschlag von unlöslichem Chlorsilber gebildet und zwar so lange, bis alles Chlor verbraucht ist und keine Fällung mehr entsteht. Vor und nach dem Versuch liest man den Stand des Normal- flüssigkeitsmeniskus ab. Die Differenz :^= der verbrauchten Menge in ccm sei a. Enthält nun I Liter der AgNOa-Lösung 10,8 g Ag im Liter gelöst ('/loN), mithin in i ccm = 0,0108, so entsprechen die verbrauchten accra = o,oio8 . a gr .«Kg. Der Vorgang beim Titrieren war aber NaCl -f- AgNOg = AgCl (weißer Niederschlag) -)- NaNO,, (bleibt gelöst), d. h. 108 Ag entsprechen 35 Cl. Folglich entsprechen die verbrauchten a ccm '/',„ Normal- silberlösung ■'- — ^->,— ' g Chlor. (ICinzelheiten der Aus- 108 führung sind hier nicht erwähnt.) Zur Herstellung der Normalflüssigkeitcn sowie zur Ent- nahme von Proben einer zur Untersuchung gelangenden Lösung benutzt man sodann Mcßkolben, das sind Kolben von bestimmtem Volumen, die an ihrem engen Hals mit einer Marke versehen sind. Natürlich muß bei der Maßanalyse wie bei der Ge- wichtsanalyse mit der Flüssigkeit sehr vorsichtig umgegangen werden, denn i Tropfen Verlust bedeutet oft große Differenzen im Resultat. Lb. Herrn Dr. phil. P. J. in Herchen a. d. Sieg. — Zum Selbststudium der mikroskopischen Zoologie empfehle ich Ihnen R. Hertwig, Lehrbuch der Zoologie (8. Aufl., Jena 1907). Eine kurze Darstellung der mikroskopischen Technik finden Sie in B. Rawitz, Leitfaden für histiologische Unter- suchungen (2. Aufl., Jena 1895). Noch weit kürzer ist: W. Küken thal. Die mikroskopische Technik im zoologischen Praktikum, Jena 1885. Dahl. Herrn Dr. E. L. in Dresden. — Um alle für die Blüten- biologie in Betracht kommenden einheimischen Insekten sicher bestimmen zu können, muß man eine ganze Bibliothek zur Verfügung haben. (Vgl. Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 4, S. 223 f. und S. 639.) Die Zahl der Insekten, welche auf Blüten gefunden werden, ist nämlich eine sehr große und unter ihnen sind die kleinen Dipteren und Hymenopteren z. T. sehr schwer zu bestimmen. Für größere Formen finden Sie in: D. H. R. v. Sc hl ech tenda I und O. Wünsche, ,,Die Insekten" (Leipzig 1879) eine geeignete Anleitung. Schmetter- linge aber werden Sie als .\nfänger kaum ohne Abbildungen bestimmen können. (Vgl. Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 3, S. 736 und Bd. 5, S. 144.) Dahl. Herrn W. S. in Kaaden. — Ihre F'rage, das Sezieren von Tieren betreffend , läßt sich kurz nur beantworten , wenn Sie angeben, welche Zwecke Sie verfolgen. Dahl. Inhalt; Dr. Friedrich Knauer: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der A(|uarienkunde. — Kleinere Mitteilungen : 1'' e h li n g e r : Die Sterblichkeit der ländlichen und der städtischen Bevölkerung in England. — Prof. M. Braun: Ct)cr abnorme Nistgelegenheitcn von Vögeln. — Dr. R o b. Stäger: Pflanzen mit transparenten Blüten. — Wetter-Monats- übersicht. — Vereinswesen. — Bücherbesprechungen: Dr. Hermann Vierordt: Anatomische, physiologische und physikalische Daten. — Dr. Walter Uels: Pflanzenphysiologische Versuche. — Wilhelm von Bezold: Ge- sammelte .Abhandlungen. — Dr. Karl Arnold: Repetitorium der Chemie. — Lttteratur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfclde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge VI. Band; der ganzen Reibe XXII. Band. Sonntag, den 31. März 1907. Nr. 13. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen ^ und Postanstalten , wie bei der Expedition. Der flj Halbjahrspreis ist M. 4.- 15 Pfg extra. Bringegeld bei der Post J Inserate: Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. [Nachdruck verboten,] Zyklen in der Erdentwicklung. Vun Dr. Tb. Arldt, Radeberg. Bei immer mehr Vorgängen in der Natur liat man das Auftreten bestimmter Perioden beobachtet und erkannt, daß man ihre Entwicklung nicht mit einer geraden Linie vergleichen darf, die stetig in derselben Richtung weiter führt, sondern eher mit einem Kreise oder einer Ellipse oder in ein- zelnen Fällen noch besser mit einer Spirale oder Schraubenlinie. Bekannt ist die etwa 11 '.Jährige Periode, die man in der Zahl und Größe der Sonnenfiecken, in den magnetischen Schwankungen und im Auftreten der Nordlichter festgestellt hat. Neben ihnen treten bei den beiden letzten Er- scheinungen kurze Perioden von 26 und 29 Tagen auf Etwa dreimal so lang als die Sonnenflecken- periode ist die Periode von 35 Jahren, die nach Brückner ') in den Klimaschwankungen, besonders in der Menge der Niederschläge zu beobachten ist, und die sich auch in den Schwankungen der Gletscherzungen bemerkbar macht. Erinnert sei auch an die periodische Anordnung der uns be- kannten Elemente. Selbst im Leben des Menschen hat man das Auftreten von Perioden besonders in der Dauer von 23 und 28 Tagen nachweisen wollen. 1 S90. ') !* r ü c k 11 0 r , l'"... Küniasohwankungeii seit 1700. Wien neben denen aber noch eine Reihe anderer auf- treten sollen, z. B. eine von 9 oder 7 Jahren.') Es dürfte demnach nicht uninteressant sein, einen Blick auf die Geschichte der Erde zu werfen, um zu sehen, ob wir in ihr vielleicht auch eine gewisse Periodizität nachweisen können. Wollen wir dieser nachspüren, so halten wir uns zunächst am besten an geologische Vorgänge, die eine wesentlich umgestaltende Wirkung auf die Gestaltung der Erdkruste ausgeübt haben.-) Als solche kommen in erster Linie in Betracht die Gebirgsbildung, die vulkanischen Eruptionen, die Eiszeiten und die großen Transgressionen. Was zunächst die Bildung der P'altengebirge anlangt, so hat dieser Prozeß in keiner Periode der Erd- geschichte ganz aufgehört, aber es läßt sich doch nicht leugnen, daß er nicht während aller Forma- tionen in gleicher Intensität wirksam war. Auch können wir nicht von einem allmählichen Ab- flauen der gebirgsbildenden Tätigkeit der Erde reden, vielmehr wechseln Zeiten der relativen Ruhe 'j Swoboda, H., Die Perioden des menschlichen Or- ganismus in ihrer psychologischen und biologischen Bedeutung. Wien 1904. ■^1 Vgl. .Arldt, Tli., Die Knlwickluiig der Konlinciilc und ihrer Lebewelt. Leipzig 1907. 194 Naturwissenschaftliche Woclienschrift. N. F. VI. Nr. 13 mit solchen intensivster Faltungstätigkeit. Die letzte Gebirgsbildungsperiode beginnt etwa am Anfange der Tertiärzeit. Ihr Maximum erreicht sie im Miocän und Pliocän und sie dauert jeden- falls in der Jetztzeit noch an. Ihr verdanken wir die Auffaltung der jungen Kettengebirge, die in vermutlich auch im Süden geschlossenem Ringe den Großen Ozean umgürten als Kordilleren, Felsengebirgssystem , asiatische Inselbögen und melanesisch-neuseeländische Ketten, während ein zweiter Zug in der Mittelmeerzone von den Pyre- näen und der Sierra Nevada über Alpen, Kaukasus und Himalaya bis in das Gebiet der ostindischen Inselwelt sich erstreckt. Gleichzeitig mit dieser Gebirgsbildung erfolgte auch eine weitgehende Zerklüftung der Erdkruste, die nicht bloß die ge- falteten Gebiete, sondern auch die alten Massive durchsetzte und zu einem starken Hervortreten des Vulkanismus führte. Basalte, Trachyte, Phonolithe und Andesite gehören dieser jüngsten Eruptions- periode an. Gehen wir nun in der Geschichte der Erde zurück, so bezeichnen Kreide-, Jura-, Trias- formation und die obere (Zechstein-) Abteilung des Perm eine Zeit der Ruhe. Dagegen haben wir von der Mitte der Steinkohlenzeit bis zur Mitte des Perm eine zweite Gebirgsbildungsperiode, während deren die faltenden Kräfte rings um die ganze Erde wirksam waren. Unter anderen ent- standen damals in Europa die „Variskischen Alpen" und die „Aremorikanischen Pyrenäen", deren letzte Reste die meisten deutschen und französischen Mittelgebirge darstellen, ferner das Hochland von Spanien, die Gebirge von Sardinien und Korsika und der Ural, in Asien der Altai, das chinesische Kergland, die ostsibirischen Gebirgszüge, in Nord- amerika die Alleghanies, in Südamerika die Sierren der Pampas, in Afrika die Gebirge des Südens, in Australien das östliche Bergland. Zu den ge- nannten kommen aber noch eine Reihe kleinerer Gebirgsgebiete, die sich ähnlich aneinander reihen lassen , wie die Faltengebirge der Jetztzeit. Im Gegensatze zu der tertiären „alpinen" Faltung be- zeichnet man diese permo-karbonische als „her- zynische" Faltung. Auch sie war von vulkanischen Eruptionen begleitet und zwar waren es Porphyre, Porphyrite und Melaphyre, die damals dem Erd- iiinern entijuollen, und an sie schließen sich auch die teilweise ziemlich ausgedehnten Pechsteinvor- kommnisse an. Eine noch ältere Faltungsperiode ist silurischdevonisch und wird als „kalcdonische" bezeichnet. Ihr gehören z. B. an die Falten Nord- schottlands, das norwegische Hochland, der Böhmer- wald, Gebirgszüge der Gobi, Teile der Alleghanies, Grönland, das brasilische Bergland, die P^alten in Xordafrika und Arabien. Die Erui:)tivgesteine dieser Periode sind vorzugsweise Diabase. Möglicher- weise haben wir hier aber zwei verschiedene Fal- tungsperioden anzunehmen. Die früheste sicher nachgewiesene P'altungsperiode fällt in das Algon- kium. — Ihr gehören an die Lofoten und Hebriden, ferner die Küstenkette von Labrador und Baffin- land, weiter die P'alten der russischen Tafel und besonders die Bergketten von Transbaikalien, der Mandschurei, Korea und Nordchina. Als vulkanische Gesteine treten auch hier Diabase häufig auf, zu denen auch noch Gabbro neu hinzukommt. Aus den Formationen des Archaikums lassen sich keine P'altungsperioden direkt nachweisen, wir wissen nur, daß damals die faltende Tätigkeit auch nicht geruht hat, vielmehr ist der Urgneis überall ge- faltet, wo er überhaupt auftritt, aber es lassen sich doch nicht mehr die einzelnen Faltungszeiten in dem Maße ermitteln, wie bei den jüngeren Ge- birgen. Wenden wir uns nun den Eiszeiten zu, so folgt die letzte auf das Maximum der Gebirgsfaltung in der jüngeren Tertiärzeit und erstreckt sich über die ganze Erde. In jedem Kontinente sind deut- liche Gletscherspuren aus dieser Zeit nachgewiesen worden. Auf die Verbreitung der einzelnen Eis- felder braucht hier nicht näher eingegangen zu werden, ist sie doch ziemlich bekannt. Während dieser diluvialen Eiszeit sind nun auch kleinere periodischeSchwankungen bekannt, die den Wechsel der Glazial- und Interglazialzeiten bewirkten. Auch ihre Besprechung wollen wir uns an dieser Stelle versagen, dagegen interessiert uns die Frage nach Spuren von Eiszeiten aus früheren Erdperioden. Eine ist nun ziemlich sicher nachgewiesen und zwar schließt sie sich wie die diluviale an eine Gebirgsbildungsperiode an. Es folgt nämlich auf die herzynische die permische Eiszeit. Diese ist nun freilich nicht so universell verbreitet. Leidlich sichere Spuren hat sie besonders in Australien, aber auch in Südafrika und in Vorderindien hinter- lassen, zweifelhafte in Südengland. Jedenfalls haben wir es hier nicht mit einer so allgemeinen Ver- eisung zu tun, wie im Diluvium. Es fehlten die gewaltigen Inlandeismassen, die 5 — 15 Millionen Quadratkilometer bedeckten, vielmehr handelte es sich damals nur um eine Vergletscherung der Ge- birge. Tatsächlich finden sich auch alle Spuren in der Nachbarschaft der herzynischen Hochgebirge. Je weiter wir in der Geschichte der Erde zurück- gehen, um so unsicherer werden Eiszeitreste. Man hat eine solche Kälteperiode für die Devonzeit, eine andere für die Silurzeit vermutet, auch ge- wisse Konglomerate am Grunde des Kambrium könnten Moränenreste sein. Indessen ist alles das sehr zweifelhaft. Interessant ist aber der Abstand zwischen den einzelnen Kälteperioden. Zwischen dem Anfange der permischen und der diluvialen Eiszeit sind im ganzen Schichten von etwa 7000 m Mächtigkeit abgelagert worden. Gehen wir in gleich großen Schritten in der Geschichte der Erde weiter rückwärts, so kommen wir in die Mitte des Devon, in die Mitte des Silur und an die Grenze von Algonkium und Kambrium , also gerade auf Zeiten, für die man Eiszeiten oder wenigstens Kälteperioden vermutet hat. Es wäre doch möglich, daß dies mehr als Zufall ist. Werfen wir nun noch einen Blick auf die zwischen den Faltungsperioden liegenden Zeiten, so treten in ihnen große Transgressionen auf: das Meer N. F. VI. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 195 breitet sich über weite Länderstrecken aus. Die größte derartige Transgression kennen wir aus der oberen Kreideformation, in der sie sich fast über die ganze Erde erstreckte und besonders große Dimensionen Im Gebiete des Atlantischen Ozeans annahm. Eine ziemlich ausgedehnte Transgression kennen wir auch aus der oberen Juraformation, kleinere auch aus den vorhergehenden Formationen. Vor der herzynischen Faltung haben wir die große initteldevonische Transgression, frühere fallen ins Obersihir und ins Kambrium, also immer in die Lücken der Gebirgsbildungsperioden und der Eis- zeiten. Wir haben hiernach eine Reiiie von Zyklen, in denen auf eine Transgression (icbirgsbildung und vulkanische Tätigkeit und endlich eine Eiszeit folgen. Wir stellen diese während der jüngeren Perioden nachgewiesenen und für die älteren ver- muteten Zyklen nun übersichtlich zusammen. I. Mesozoisch-känozolscher Zyklus = Zechstein bis Gegenwart. Diluviale Eiszeit -^ Diluvium. Eruptionen vonTrachyt.Phonollth, ( = Tertiär .Andesit, Basalt bis .Mpine l-'altung (Gegenwart. Transgressionen = Zechstein bis Kreide. II. J u ngpaläozoischer Zyklus =^ Miltel- devon bis Rotliegendes. Permische Eiszeit = Rotliegendes. ... r, t ., f = Ober- Eruptionen von Porphyr, Por- | ^^^^.^^^^ ^^.^ phyrit, Melaphyr . j^^^. llerzynische Faltung. (liegendes. Transgressionen = Milteldevon bis Unter- karbon. III. SilurischerZyklus = Obersilur bis Unter- devon. Devonische Eiszeit? ^= Unterdevon. Eruptionen von Diabas und Porphyr. Jungkaledonische Faltung = Silur bis Devon. Transgressionen = Obersilur. IV. Kambrischer Zyklus = Kambrium bis Untersilur. Silurische Eiszeit ? = Untersilur. Eruptionen von Diabas und Porphyr f Altkaledonische Faltung l Transgressionen = Kambrium. V. Algonkischer Zyklus = Oberster bis Algonkium. Präkambrische Eiszeit ? Eruptionen von Gabbro und Diabas. Hebridische Faltung. Transgressionen. \'l. U rsc hl e f e r - Zy kl u s? ^ ( ilinimcrschicfer bis oberer Phyllit. VII — X U r g n e i s - Z y k 1 c n : Die letzten Zyklen sind natürlicli rein hypo- thetisch und werden sich schwerlich jemals auf direktem Wege nachweisen lassen. Nach dieser Zusammenstellung der Zyklen er- hebt sich die Frage, inwieweit ein logischer Zu- : Silur. Phyllit sammenhang zwischen den einzelnen Erscheinungen besteht. Daß durch die Gebirgsauffaltung gleich- zeilig auch eine erhöhte vulkanische Tätigkeit aus- gelöst wird, ist eine längst bekannte Tatsache, die sich ohne weiteres erklärt, da eben der Druck, der die Auffaltung bewirkt, auch eine Zerklüftung der Erdrinde hervorruft, die infolge der Druck- entlastung der Tiefenschichten zu einer Verflüssi- gung derselben und zu Eruptionen führt. Während der Pausen der Gebirgsbildung muß die abtragende Tätigkeit des Wassers in den Vordergrund treten, die Gebirge werden erniedrigt und dadurch sinkt direkt die mittlere Höhe des Landes. Da nun die Schuttmassen der Gebirge schließlich ins Meer ge- führt werden, so wird dessen Boden und damit auch sein S[)iegel erhöht. Dadurch wird auch noch indirekt die mittlere Höhe des Landes er- niedrigt, und andererseits muß sich das IVIeer über die flachen Tiefebenen ausbreiten, und da solche Ebenen von geringer Meereshöhe weite Räume einnehmen, so wird die F"olge eine weite Aus- dehnung der Meeresfläche, eine große Transgression sein. Tritt dann wieder eine Gebirgsbildungs- periode ein, so wird dadurch wieder die mittlere Höhe des festen Landes vergrößert, einmal direkt durch die Erhebung der Gebirge und dann in- direkt durch die Bildung tiefer alyssischer Gräben in der Nachbarschaft der küstennahen F'altenge- birge, wie des Kurilengrabens, Tongagrabens, der Gräben von Peru und Chile und anderer. Durch die Bildung dieser Gräben muß ja das Niveau des Meeres erniedrigt werden. Mit der Erhöhung des Landes muß aber auch eine Abkühlung Hand in Hand gehen: während der Transgressionsperioden wird im allgemeinen ein etwas wärmeres Klima herrschen als während der Zeiten der Gebirgs- bildung. Daher schließen sich die Eiszeiten stets an Gebirgsbildungsperioden an. Sicherlich ist an der Entstehung der Eiszeiten das FVeiwerden großer juveniler Wassermassen durch die gesteigerte vul- kanische Tätigkeit nicht unbeteiligt, wenn auch diese Gründe allein noch nicht hinreichen dürften, um allein das Zustandekommen der Eiszeiten zu erklären. Die Gebirgsbildungsperioden müssen aber auch auf die Entwicklung des Lebens ihren Einfluß üben. Während der Transgressionszeiten- werden die Gebirgsschranken zwischen den einzelnen Land- gebieten erniedrigt oder ganz beseitigt, während der Faltungszeiten bilden sie sich dagegen immer schärfer aus. Ebenso treten In den ersten die Meere in Verbindung, in den letzteren werden sie getrennt. .Andererseits werden natürlich auch in Transgressionszeiten Inseln isoliert, aber im all- gemeinen wird doch in ihnen die Erdoberfläche viel gleichartiger sein und ihre Lebewelt viel gleich- förmiger sich entwickeln, als während der (jebirgs- faltungen. Infolgedessen fallen mit letzteren meist auch Zeiten rascherer Tierentwicklung zusammen. So entfalten die Säugetiere während der Faltungs- zeit des Tertiär großen Artenreichtum und ent- wickeln und differenzieren sich außerordentlich rasch ig6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 13 nachdem sie während der ganzen mesozoischen Zeit nur geringe P'ortschritte gemacht hatten. Ebenso entwickeln im Karbon die Stegocephalen und im Perm gewisse Reptilordnungen sich außer- ordentlich vielseitig. Dazu kommt noch die ver- mutete Temperaturerniedrigung in den Faltungs- zeiten, die den Kampf ums Dasein erschweren mußte und damit auch ein Ansporn zu rascherem Fortschreiten wurde. Untaugliche Formen mußten in reicherer Zahl ausgemerzt werden, und die Folge war eine zeitweise Verarmung der Fauna und Flora, wie wir sie im Perm und Diluvium nach- weisen können , die überlebenden Formen aber erlebten dann eine um so glänzendere Entwick- lung. Es hat den Anschein, als ob allemal an die Eiszeiten besonders wichtige Phasen der Geschichte der Lebewelt sich anschlössen. Die zur diluvialen Eiszeit führende Temperaturerniedrigung, vielleicht auch die durch die sehr spät erfolgende Hebung Innerasiens bewirkte Abkühlung der hier gelegenen Gebiete, hat möglicherweise die eigentliche Mensch- werdung, die Erhebung des Menschen über das Tier durch rasche Weiterentwicklung des Intellekts verursacht. Der permischen Eiszeit kann die Aus- bildung der Warmblütigkeit angehören, die sich natürlich nur in engen Grenzen gehalten haben dürfte und jedenfalls noch weniger ausgebildet war als beim Schnabeltiere. Die ältesten Säugetier- reste kennen wir zwar erst aus dem Keuper, doch treten hier schon zwei ganz verschiedene Zweige der Klasse auf, so daß diese schon längere Zeit bestanden haben muß. Auch sind die den Säuge- tieren am nächsten stehenden Reptilfamilien im Perm am reichsten entwickelt. Die Vögel aller- dings dürften keinesfalls bis zum Perm zurück- reichen. Sehen wir von der Annahme einer zwei- maligen selbständigen Erwerbung der Warmblütig- keit ab, so müssen wir demnach annehmen, daß die Vorfahren der Vögel, also jedenfalls die Dino- saurier, ebenfalls einen wenn auch nur geringen Grad von Warmblütigkeit besessen haben, wie dies schon Haeckel für sie und für die Pterosaurier unter anderem wegen der Pneumatizität ihrer Knochen vermutet hat. Die Dinosaurier aber scheinen ebenso wie die Säugetiere bis zum Perm zurück- zureichen. Die nächste Kälteperiode hatten wir für das Devon angenommen. In diese Zeit könnte die Entwicklung der ältesten Amphibien und viel- leicht auch der Reptilien fallen, da letztere sich von Amphibien abgezweigt haben müssen, die noch vor den karbonischen Stegocephalen gelebt haben, doch läßt sich auf Grund des vorliegenden palä- ontologischen Materials diese Frage nicht mit Be- stimmtheit beantworten. Wir hatten oben gesehen, daß Eruptionen, Eiszeiten und Transgressionen sich logisch an die Gebirgsauffaltungen anschließen, und es wären nun die letzteren aus den Transgressionen herzuleiten. In gewissem Sinne hat dies die amerikanische Geologenschulc, vor allen Dana, getan, indem diese die Gebirge aus den (ieosynklinalen aufsteigen läßt, nachdem in diesen massenhafte Sedimente sich angehäuft haben, in denen die Geoisothermen emporsteigen müssen. Immerhin ist hier der logische Zusammenhang noch am wenigsten sicher gefunden. Ich kann mir nun nicht versagen, hier auf eine Hypothese hinzuweisen, die wie für so vieles andere auch hierfür einen Erklärungsweg bietet. Es ist die Green'sche Hypothese von der Tetraedergestalt der Erde, die zunächst die Ver- teilung von Land und Meer erklären sollte, die aber eine außerordentliche Vertiefung zuläßt.') Der Kern dieser Hypothese ist der, daß eine Kugel mit starrer Oberfläche bei einer Volumenvcrkleine- rung die Gestalt eines Tetraeders anzunehmen strebt, da sie dann am längsten ihre alte ( )ber- fläche beibehalten kann. In diesem Falle ist nun auch die Erde, doch wirkt bei dieser der Um- formung die Rotation entgegen. Je starrer ihre Kruste ist, um so stärker wird die Umformung. Bei dieser treten längs der Kanten und Ecken des Tetraedroids Pressungen auf, die zu Gebirgsbildung und Eruptionen führen. Durch die damit ver- bundene Zerklüftung der Erdkruste wird aber deren Starrheit vermindert, die Rotation erlangt das Über- gewicht und das Tetraedroid nähert sich wieder mehr dem Sphäroid. Dabei heben sich die Flächen, es senken sich Kanten und Ecken. Da nun letztere das feste Land bilden mußten, da sie am weitesten vom Erdschwerpunkt abstanden, so senkt sich also bei dieser Rückbildung das Land, und der Meeresboden und damit das Meer steigen an, wir bekommen also eine typische Transgression, bis die Spalten sich wieder geschlossen haben und die Kruste wieder starr ist, so daß bei fortschreiten- der Abkühlung eine neue Umformung eintreten kann. Hierdurch wären die Zyklen logisch er- klärt und es wäre sogar ihre Notwendigkeit er- wiesen. Allerdings dürfte die Periode der Zyklen sich allmählich verlängern, da ja die Erdkruste immer dicker und starrer werden muß. Was nun die Jetztzeit anlangt, so leben wir jedenfalls noch in der Zeit der Umformung bzw. Gebirgsbildung. Dafür spricht das deutliche Hervortreten tetra- edrischer Züge im Relief der Erdoberfläche, die lebhafte vulkanische Tätigkeit, die Senkung der ozeanischen Flächen. Nach der .Analogie der früheren Zyklen können wir es deshalb auch nicht für un- möglich erklären, daß wir noch eine neue Eiszeit zu erwarten hätten, wie es von einzelnen For- schern ausgesprochen worden ist, irgend eine Sicherheit aber kann uns in diesem Falle auch die Annahme von Zyklen nicht geben. '1 Vgl. hierzu .\ 1 Uli, 'l'li., Die Gestalt der Krdo, Beiträge zur Geophysik VII, 1905. S. 283 — 326, und die Grundgesetze des Erdreliefs. Geographische Zeitschrift 190t), S, 568 — 578. N. F. VI. Nr. i: Naturwissenschaftliche Wochensclirift. 197 Kleinere Mitteilungen. Naturdenkmäler in Australien. — Die Bestrebungen der Naturdenkmalspflege, die in Preußen kürzlich durch die Schaffung einer staat- lichen Zentrale einen so sichtbaren Erfolg davon- getragen haben, regen sich in allen Kulturländern neuerdings mit erfrischender Lebendigkeit. Man sieht nicht ohne rberraschung, wie viel Kraft sie entfalten und wie viel Einfluß sie gewinnen auch in den Teilen der Erde, die erst in jüngerer oder jüngster Zeit in den Kreis europäischer Zivilisation eingetreten sind. Dal5 in Nordamerika schon groß- artige Reservate geschaffen wurden, als man in Europa noch kaum an dergleichen dachte, ist all- gemein bekannt. Und in mehreren der britischen Staaten Australiens haben die Gesetzgeber für Vegetation und Tierwelt schützende Sorge be- wiesen bereits zu einer Zeit, als die Kolonien noch lange nicht das erste Zentennium ihres Bestehens vollendet hatten. Es ist kaum zu leugnen, daß diese weit ent- legenen Länder in ihren Bemühungen, die ursprüng- liche Natur zu schonen, uns in vielfacher Hinsicht den Rang abgelaufen haben. Das mag zwar für uns persönlich etwas beschämend sein; aber im allgemeinen Interesse der Menschheit und nament- lich vom Standpunkt der biologischen Wissen- schaft ist es mit wärmstem Danke anzuerkennen. Die Lirsachen für diese besondere Lebhaftigkeit jener Bestrebungen in den Ländern Australiens sind unschwer zu ergründen. Erst im 19. Jahr- hundert wandten sich die .Ansiedler dort dem fremden Boden zu. Mit radikaleren Mitteln haben sie in die ursprüngliche Natur eingreifen können, als je zuvor ein Kolonistenvolk. Schneller und drastischer als jemals früher oder je anderswo trat die Nivellierung und Verwüstung des einst Ge- wesenen vor ihr Auge und ihr Bewußtsein. Das berührte nicht nur die angestammte Naturandacht des Angelsachsen, sondern es weckte auch die Pietät gegen die eigene Geschichte. Man sah die Urwälder schwinden, denen der Vater unter tausend Mühen und Gefahren die erste kleine Farm ab- gerungen hatte, wo in kühnen Abenteuern, in blutreichen Kämpfen mit den früheren Herren ein neues Britannien begründet worden war. Kurz, die ganze Geschichte der eigenen jungen Nation fühlte man verkörijert in der VVildnis, die da Stück um Stück von der Erde getilgt ward. So ver- schmolz dem Australier, dem Neuseeländer Natur- denkmal und historisches Monument viel inniger zu einer Einheit, als es uns Europäern je geschehen könnte. Jedem, der in einer der australischen Haupt- städte geweilt hat, ist es bekannt, daß die Natur- reserven unter die beliebtesten Wallfahrtsstätten der Bevölkerung zählen. Keine wohl davon ist so berühmt und auch beim internationalen Reise- publikum so bekannt, als der „National Park o f N e w S o u t h Wale s" in der Nähe von Sydney. Dieses Territorium hat eine Ausdehnung von un- gefähr 1 5 000 Hektar. Es wird ganz in seinem natürlichen Zustand erhalten ; die Tierwelt ist durch strikte Verordnungen geschützt; auch sind viele anderwärts bedrohte Vögel der Kolonie dort an- gesiedelt worden. In Queensland liegt ein fast 35 000 Hektar fassendes Schutzgebiet im Hinterlande der Trinity Bay. Es ist biologisch von größter Wichtigkeit, denn es schließt die höchsten Berge Nordaustraliens (Bellenden Ker) ein, die an ihrem Fuße in echtem Regenwalde eine rein tropische Flora und Fauna, auf ihren Gipfeln sehr eigentümliche Gebirgstypen tragen: wenige Striche Australiens sind so ge- drängt erfüllt von endemischen Erzeugnissen in Pflanzen- und Tierwelt. Für die Rettung dieses unschätzbaren Areales gesorgt zu haben, wird für immer unter die großen Verdienste vonF. M. Bailey zu zählen sein, der seit vielen Jahren als Govern- ment Botanist von Queensland wirksam ist. Aus Tasmanien sind mir umfangreichere Reservate nicht bekannt, aber auch hier hätte die Wissenschaft ein sehr wesentliches Interesse an der Erhaltung ursprünglicher Szenerien. In erster Linie würde sich Mount Wellington der Schützung empfehlen : ein Berg, der die Natur des australischen Hochgebirges zu reiner Anschauung bringt und von Hobart bequem in einem Tage besucht werden kann. Daneben aber verdienen noch mehrere Ge- birgsgegenden des Südwestens, ferner auch einige fast tropisch anmutende Waldlandschaften im nörd- lichen Teile der Insel dauernd in ihrer jetzigen Verfassung belassen zu werden. Weniger entwickelt als die östlichen Kolonien ist bis jetzt Westaustralien in seinen kulturellen Verhältnissen. Die weit überwiegende Mehrheit des Landes befindet sich noch in gänzlich unver- ändertem Naturzustand. Seine ernsten Eucalyptus- wälder und die stillen blumenreichen Sandheiden sind zumeist noch unberührt von jeglichem Ein- fluß des Menschen. Aber die steigenden Ansprüche der Minenindustrie, die vergrößerte Aufnahmefähig- keit des lokalen Marktes laden selbst hier immer stärker zur Bestellung des Landes ein. Nament- lich zum Obstbau scheinen sich die fruchtbaren Randzonen an der Küste zu empfehlen, und die Wälder beginnen da und dort zu fallen. Daneben ist die Nutzbarkeit des Jarra-Eucal)'ptus eine stets weiter greifende Gefahr. Denn er ist der eigent- liche VValdbildner; sein Holz ist eines der wert- vollsten unter den australischen Harthölzern, die Industrie, die sich mit seiner Ausbeutung be- schäftigt, in schnellem Wachstum begriffen. So rechtfertigt sich schon heute die weit voraus- schauende Maßnahme Sir John Forrest's, seiner- zeit Premierministers der Kolonie, einen ansehn- lichen Teil des ursprünglichen Waldes (im Darling Range), mit trefflichem Bestände an Jarra, mit artenreichem Unterholz, für alle Zeiten der „native flora and fauna" durch Parlamentsbeschhiß reser- vieren zu lassen Viel dringender' als in Australien gestaltet sich die Frage der Naturerhaltung in Neu-Seeland, 198 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 13 Gesegnet mit einem unvergleichlich günstigen Klima sieht diese Kolonie Britanniens in Landbau und Viehzucht gleichmäßigere Fortschritte als irgend eines der australischen [,änder. Ausgedehnte Flächen des Bodens sind urbar gemaclit und enthalten kaum noch eine Spur der eigengearteten Vegetation, welche das einsame Inselland vordem bedeckte. In vielen anderen Gegenden ist sie von fremden Widersachern vertrieben worden. Mit Absicht oder durch Zufall angekommene Pflanzen Europas und Amerikas haben sich eingenistet und sind zu verderblichen I^'einden der alleingesessenen Inselflora geworden. Nirgends sonst auf der Erde hat der von Menschenhand geschaffene Floren- wandel so großartige Dimensionen angenommen, wie dort. Oft hat man im südlicheren Neu Seeland den Eindruck, über eine Wiese Europas zu schauen, mit allbekannten und längst vertrauten Kräutern und Gräsern, so vollkommen ist die Wiederher- stellung ganzer Bestände: und fast alles, was dazu gehört, war vor hundert Jahren der Insel so fremd, wie die Menschen, welche heute die Buchten der Küste mit Städten umsäumt haben. Auf weiten Schauplätzen aber brennt noch heute der lautlose Kampf zwischen den .\uto- chthonen der Insel und den Scharen nordischer Ein- dringlinge. Mancherlei von seinen wechselnden Ge- schicken haben die Forscher Neu-Seelands aufge- zeichnet, aber die Mehrheit des jungen Volkes drüben hat ihm ziemlich teilnahmslos gegenüber- gestanden. Um so erfreulicher sind die Zeichen des Umschwunges. Vor einigen Wochen ist bekannt geworden, daß sich in Christchurch ein Komitee gebildet hat, um Riccarton Bush als ,, Public Reserve" käuflich zu erwerben. Dieser Urwald ist in der Nähe der Stadt gelegen. In schöner Mischung enthält er die prächtigen immergrünen Laubhölzer Neu-Seelands und einige von seinen schönen Koniferen (Po do- carpus dacrydioides, P. spicatus, P. totara). Ein Dutzend verschiedener Lianen, wie sie so bezeichnend sind für die Wälder des Landes, schmücken die Stämme und Wipfel im Riccarton Bush, Kräuter und Farne beleben den Untergrund. Im ganzen zählt Dr. Cockayne, der mit sach- kundigem Interesse sich der Frage angenommen hat, 74 verschiedene Spezies, darunter beinahe 40 Bäume und Sträucher. Als letztes Überbleibsel eines ehemals wohl ausgedehnteren Bestandes ist Riccarton Bush der Typus eines Waldes, wie er sonst auch auf NeuSeeland kaum mehr vertreten ist: also ein Unikum auf der Erde. Die Kosten des Ankaufes belaufen sich auf ungefähr 130000 Mark. Es steht zu hoffen, daß die Summe sich bald zusammenfindet. Dazu wäre Christchurch zu beglückwünschen: die Stadt würde damit ihren künftigen Bürgern eine lebendige Vorstellung ver- mitteln von dem herrlichen Urwald ihrer Heimat, und der ganzen Welt ein Naturdenkmal bewahren, das unersetzlich ist, wie so vieles, das die wunder- bare Natur Australasiens hervorgebracht hat. Prof. Dr. L. Diels-Berlin. Zur Anthropologie Italiens. — Um die körperliche Eigenart der Bevölkerung Italiens zu er- forschen, wurde auf Veranlassung des Kriegsmini- steriums eine anthropologische Aufnahme durch- geführt, die auf der Messung und Beschreibung von nahezu 300000 Soldaten der Rekrutierungs- jahrgänge 185g bis 1863 beruht. Ihre Ergebnisse hat Oberstabsarzt Dr. R. L i v i bearbeitet ; sie liegen nun in einem umfangreichen Werke vor. (Anthropo- logia militare; zwei Teile, mit einem Atlas der anthropologischen Geographie Italiens. Rom 1898 bis 1905.) Es ist bekannt, daß die Italiener keinen einheitlichen physischen Typus darstellen, und wenn auch hier wie im übrigen Europa fortgesetzte Wanderungen eine Vermischung der Rassen im Gefolge hatten, so lassen sich doch noch auf- fallende Verschiedenheiten zwischen Nord- und Süditalienern beobachten, die berechtigen, diese in der Hauptsache dem mediterranen, die erst- genannten dem alpinen Rassenzweige zuzuteilen. In bezug auf die Körperlänge ergab die anthropo- logische Aufnahme in Venetien, Toscana, Ligurien, der Lombardei und der Emilia ein bedeutenderes Vorwiegen höherer Maße als in den anderen Landes- teilcn. Von den aus Venetien stammenden Sol- daten blieben nur 9,4"/,, unter 160 cm Körperlänge zurück, von jenen aus Toscana 12,5 "/oi ^us Ligurien 13,0*/,,, aus der Lombardei und der Emilia je 14.1 "„, aus Piemont 15,3 "/oi ^"'^ die Maße über 170 cm entfielen in diesen Gebieten 28,7, 23,6, 22,6, 21,7, 21,3 und 19,3 "/o- Eine Mittelstellung nehmen ein: Umbrien (17,6"',, unter 160, 14,8 "/„ 170cm und darüber), Latinum (18,4 und 15, ö%), sowie die Marken (20,9 und 13,2 %). In den übrigen Landschaften ist eine kleinwüchsige Bevölkerung ansässig; etwa ein Viertel bis ein Drittel der Sol- daten blieb dort unter 160 cm zurück, während auf die Körpergrößen 170 cm und darüber meist nur 10 — 12"/,, kamen. Auffallend ist die Tatsache, daß mit der Höhe über dem Meeresspiegel die durchschnittliche Körpergröße abnimmt. In Höhen bis zu 50 cm maßen nur 15,2"/,, der Soldaten weniger als 160 cm, hingegen entfielen auf diese Größenklasse in Höhen bis 400 m i8,2''/„, über 400 m sogar 22,7 "/o- Die Proportion der Großen (über 170 cm) sinkt dementsprechend von 21,0 auf 17.2 und 13,1"/,,. Mit der Körpergröße nimmt der Prozentsatz der Blondhaarigen zu , was aus der folgenden Zusammenstellung hervorgeht. Küipergröße Blondhaarige Schwarzhaarige in Prozenten unter 160 cm 160—165 ., 165—170 ,, 170 cm und diirüber 7.0 7,9 cS,5 9.5 j2,8 31,6 30,8 28,S Helle Haare und helle Augen werden im Norden viel öfter angetroffen als im Süden. In Venetien hatten 13,4",,, der Soldaten blonde oder rote Haare und 41,4",, blaue oder graue Augen; für Piemont N. F. VI. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 199 sind die Zahlen etwas niedriger (13,1 und4ü,o"n), ebenso für die Lombardei (10,8 und 37,2",,), I.igu- rien (11,0 und 29,8 "„), Toscana (9,9 und 31,5",,), die Emilia {l,"] und 31,2",,) usw. In den süd- italienischen Landschaften geht die Proporiion der Helliiaarigen bis auf 1,9",, in Sardinien zurück; hier sind auch Personen mit blauen oder grauen Augen am seltensten (10,9",,). Der reine blonde T)'pus sinkt von 15,4 'Vn in Venetien auf 1,5",, in Sardinien. Unter den aus den übrigen Landschaltcn stammenden Soldaten ist der reine blonde Tj-pus wie nachstehend vertreten: Piemont 14,3 "/p, Lom- bardei 12,1 "u, Ligurien 10,8%, LImbrien 10,5 "/o. Toscana 10,1 ",3, Marken 8,3 "/(,, Emilia 7,5%- Abruzzen 7,1 ",'0, Campanien 7,0"/,,, Latinum 6,3",;,, Apulien 5,8";,,, Sicilien 5,1";,,, Basilicata 4,8"/,,, Calabrien 3,6 " „. Das helle Hautpignient ist in Norditalien und bei den Großen am häufigsten. Von den nördlichen Landschaften zeichnet sich Ligurien durch eine weniger breitköpfigc Bevölke- rung aus als die übrigen ; es kommen dort auf die Längen-Breiteniiidices unter 75 2,0 "„ der Soldaten, 75—79 2i,8"„, 80—84 49.5"ii und 85 oder mehr 26,7 ",,. In Piemont, der Lombardei, Venetien und der Emilia entfallen auf die Indices unter 75 nur 0,3 — 0,5 "/o der Untersuchten, auf die Indices 85 oder darüber jedoch 46,5 — 63,5 "o- Brachyceplialie ist in diesen vier Landschaften am weitesten ver- breitet, doch kommen ihnen die Marken und Um- brien sehr nahe, wo je 44,6",, der Soldaten In- dices von 85 oder darüber und bloß 2,0 und 0,9 "(, Indices unter 75 aufwiesen. In Campanien, den Abruzzen, Toscana und Latinum entfallen auf die Indices unter 75 2,0 bis 5,0",,, auf die Indices 85 oder darüber 18,7 — 29,4",,. In den übrigen fünf Landschaften Süditaliens sind mehr als 5 " „ der Untersuchten extrem langköpfig ') und höchstens 16,5",, extrem breitköpfig.-) In Nord- und Mitteleuropa, wie auch in Nord- italien, konnte festgestellt werden, daß unter den Städtern und bei den höheren Gesellschaftsschichten die Langköpfe stärker vertreten sind, als unter der bäuerlichen Bevölkerung und bei den handarbeiten- den Klassen. In den langköpfigen Gebieten Italiens ist das nicht der Fall: die Städter wie die höheren sozialen Klassen zeichnen sich da durch stärkeres Vor- wiegen der Breitköpfigkeit aus. — Mit der Körper- größe wächst im allgemeinen auch der Kopfindex; von den unter 160 cm großen Soldaten wiesen 30";'|| Indices von 85 und darüber auf, von den 160 — 165 cm großen 33",,, von den 165 — 170cm großen 37"/,, und endlich von den über 170 cm großen 39 " ,, oder nahezu zwei Fünftel. Die Norditaliener sind gegen Krankheiten wider- standsfähiger als ihre Landsleute aus dem Süden. Es erkrankten während der Dienstzeit von den Soldaten aus der Lombardei 40,8",,, aus Piemont 41,7 "„, aus Ligurien 46,1 "',,, aus der Emilia 46,5 ",',, und aus V'enetien 46,6",,. Die Morbiditätsziffern der Süditaliener stellen sich merklich höher, denn es machten Erkrankungen während der Dienstzeit durch: Von den Soldaten aus Calabrien 57,0",,, aus Sicilien 55,8"/,,, aus Campanien 54,3 "o« ^'^^ Umbrien 54,0",, usw. Aus der Häufigkeit der während der Zeit der Dienstleistung vorgekom- menen Todesfälle läßt sich eine geringere Wider- standskraft der Süditaliener nicht mit gleicher Deutlichkeit erkennen. Fehlinger. ') In Sardinien hatten 22, S'^, in Calabrien 1 5,0 "/(, Indices unter 75. ') In Sardinien nur 4,7%, in Calabrien 6,4%. Mehr als die Hälfte der Untersuchten hatten Indices unter 80 in Apulien (>Oi3'"ol' Sicilien (^^,2'''„\ Calabrien (()(>, 3"/,,) und Sardinien (73.7 "U Die Hänge- und Besen- (Moor-) Birke und andere Baumarten trockener Standorte mit Parallelen auf Moorböden. — Die augenfälligsten Unterschiede unserer häufigsten beiden einheimi- schen Birken, Betula verrucosa Ehrh. (B. alba der meisten Autoren) (Fig. i) und Betula pubescens Ehrh. (Fig. 2) werden schon deutlich durch ihre üblichen deutschen Namen Hängebirke für B. ver. und Besenbirke für B. pub. gekennzeichnet. Während nämlich bei der ersteren die Zweige oft über meter- lang, licht belaubt, senkrecht zur Erde herab- hängen, streben sie bei der anderen dicht und starr wie die Ruten eines Besens aufwärts. Die Kronen der Hängebirke sind mehr durchsichtig und die Zweige laden nach allen Seiten aus, dagegen ist die Besenbirke in ihrer Krone mehr gedrungen und rundlich, und bleibt stets ein kleinerer Baum als die Hängebirke. Weitere Benennungen, die bald mehr bald weniger gut Eigentümlichkeiten einer oder der anderen der beiden Birken hervorheben, sind für B. ver. : Trauerbirke, Weißbirke, gemeine Birke; und für B. pub.: Moorbirke, Torfbirke, Ruch- birke, Haarbirke. Will man eingehendere Auskunft haben, welcher der beiden Arten eine bestimmte Birke angehört, so wird man auch die Blätter zu Rate ziehen müssen. Besonders typische Blattformen zeigen unsere Fig. 3 und 4. Fig. 3, ein Blatt von Betula verrucosa, ist gleichschenklig dreieckig bis schwach- rhombisch, etwa doppelt so lang wie breit, doppelt- gesägt mit Ausnahme der Basis des Blattdreiecks, im ganzen eckig gebaut, scharf spitzig und an der Oberfläche glatt. Fig. 4, ein Laubblatt von Betula pubescens, ist kreis eiförmig bis rhombisch eiförmig, nicht viel länger als breit, einfach und auch an der Basis gesägt, seine Seitenecken sind abgerundet, der untere Rand ist bogig, so daß der Stiel in einer kleinen Bucht angeheftet ist; die Oberfläche ist namentlich in der Jugend, vor allem auf der Rückseite, behaart, aber auch im Alter in den Aderachseln bärtig, worauf der Name B. pubescens (Haarbirke) hinweist. Auch die jungen Zweige von B. pub. treten oft behaart auf. Einen weiteren Unterschied der beiden Birken weisen die Früchte auf, deren Flügel bei Betula verrucosa doppelt so breit als die Nuß und halb- oval, bei Betula pubescens aber ebenso breit und halb verkehrt-eiförmig sind. 200 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. iSl. F. VI. Nr. 13 Wir haben nun dargelegt, welches die Haupt- unterschiede und Erkennungsmerkmale der beiden Birken sind, die man im allgemeinen mit Betula verru- cosa und Betula pubescens bezeichnet, und man wird auch nach dieser Auseinandersetzung die meisten PIxemplare unserer einheimischen gewöhn- lichen Birken als zu der einen oder anderen der sprechen — unwillkürrdi auf den Gedanken, daß es sich in Betula pubescens ebenso um eine fixierte Jugendform von Betula verrucosa handeln könnte, wie dies z. B. bei Chamaecyparis pisifera squarrosa in bezug auf Chamaecyparis pisifera typica der Fall ist. Kerner schreibt in seinem Pflanzenleben 11: ,,Die Fif;. I. Betula verrucosa von Gr.-Licliterfelde. Pliotographiert Ende November von Willi Drugert. beiden Arten gehörig bestimmen können. Nicht immer aber wird dies der Fall sein. So finden sich z. B. ßesenbirken, die namentlich im Alter etwas hängende Zweige haben, demgegenüber kann man junge Hängebirken leicht als Besenbirken be- stimmen, da ihre Zweige noch nicht hängen. Dann kommt es vor, daß z. B. die Blätter gewisser Bäume Eigenschaften beider Birken aufweisen (Fig. 5) usf i'ig. 3- Fig. 4. l'ig- 3- Typisclies Laubblatt von Betula verrucosa in '/2 der nat. Große. Fig. 4. Typisches Laubblatt von Betula pubescens in 'jn der nat. (Iröße. Man kommt so und um so mehr als man be- obachten kann, daß junge Hängebirken auch in den Blättern oft vollständig der Besenbirke ent- Kig. 2. iletula pubescens von einer zwischcnnioorigen Stelle im (bunewald liii Tierlin. Pliotographiert Fnde November von Willi Drägert. Fis 5. Laubblatt von Betula verrucosa, in der I''orm zu Bet. pubescens neigend. In '/.j der nat. Größe. jungen Birken, welche aus dem Samen der Betula verrucosa hervorgehen, tragen Blätter, welche ein- fach-gesägt, dicht behnart und wie Sammt anzu- fühlen sind. Dieselben sehen den Blättern der erwachsenen Stöcke von Betula pubescens täuschend ähnlich. Die Blätter der erwachsenen Bäume von N. F. \1. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 201 Betula verrucosa erhalten dagegen eine ganz andere Form; sie erscheinen doppelt-gcsägt, sind kahl und fühlen sich starr und spröde an. Nur diese wer- den in den botanischen Werken als bezeichnend für Betula verrucosa beschrieben." Während die Hängebirke besonders trockene Stellen bevorzugt, ist die Resenbirke vorzüglich in unfruchtbaren Gegenden, aber vor allem auf Mooren anzutreft'en (daher Moor-, Torfbirke); so ist sie zu einem Charakterbaum der Lüneburger Haide ge- worden, wo sie auch überall als Chaussee- etc. Baum benutzt wird. Die Verhältnisse, unter denen wir die Moor- birke vorwiegend antreffen, d. h. des geringen Nahrungsquantums, das ihnen zur \'erfügung steht, mögen Veranlassung sein, daß die Jugendform leichter erhalten bleibt und schließlich auch vererbbar werdend zur Fixation gelangt. Nur wenn B. pub. ein sehr hohes .■\lter erreicht, erhält sie hängende Zweige und etwas von der Blattform der B. verru- cosa. Ist dem so, daß den beiden genannten Birken die angedeutete sehr naheX'^erwandtschaft zukommt, wie sich das übrigens auch darin ausspricht, daß sie oft genug von Botanikern als Formen ein und derselben Art angesehen werden (Betula alba in weiterem Sinne), so wird Bastardierung zwischen beiden Formen besonders leicht sein und die so entstandenen Übergangsbildungen müssen die Gren- zen zwischen beiden Birken noch mehr verwischen. Baumgattungen mit Arten trockenerer Stand- orte mit Parallelarten, die Moorgebiete bevorzugen oder lieben, ihnen jedenfalls nicht ausweichen, gibt es bei uns noch mehrfach. Hierhin gehören z. B. unsere beiden Eichenarten (vgl. über die Unterschiede derselben N. W. 1907. Nr. 48. p. 768), von denen Quercus pedunculata die feuchteren Standorte auf- sucht und auch in Mooren vorkommt,') während Quercus sessiliflora trockenere Standorte vorzieht. In Ungarn heißt dementsprechend — wie mir Herr Oberforstrat Prof. X'adasz mitteilt — die erst- genannte .Art Sumpfeiche, die zweitgenannte Berg- eiche. Bei uns ist Quercus pedunculata die Art der Auen und Niederungen überhaupt, Quercus sessiliflora diejenige hochgelegener Reviere wie aut dem Spessart und in Franken. \'on unseren beiden Erlen, der Schwarzerle, Alnus glutinosa, und der Weißerle, Alnus incana, die allerdings beide feuchte Stellen lieben, findet sich Alnus glutinosa stets nur dort, wo das Grund- wasser leicht zu erreichen ist, das heißt in Sümpfen, auf Flachmooren und an Ufern von Gewässern, ') Eichen |0. pedunculata) habe ich in der I.üneburger Heide und im allen Magdeburgischen Holzgau gar nicht selten als Moorbaum gesehen und zwar meist vereinzelt in Misch- waldmoorcn ; daß Q. ped. bei uns überhaupt ein charakte- ristischer Torfmoorbauni war, darauf weisen Kichenstümpfe in Torflagern und Literaturangaben, wie diejenige bei Th. Fontane in seinen Wanderungen durch die .Mark Brandenburg, 1, 7. .\ufl., 1899, p. 411, wo Oberanitmann Fromme Friedrich II. hei einer Hereisung des Khin- und Dossebruchs von ,, Elsen und Eichen" spricht, die eine .Moorstelle damals noch bekleideten. während Alnus incana trockenere ürtlichkeiten verträgt. Von unseren einheimischen Ahornarten weist schon der Name Bergahorn , den Acer pseudo- platanus führt, darauf hin, daß dieser sich wie Quercus sessiliflora verhält, dasselbe ist der Fall mit Acer campestre. Unser Spitzahorn, Acer pla- tanoidcs, jedoch, gedeiht auch auf nassen Stellen, sogar in Mooren. So fand ich Acer platanoides außer Quercus pedunculata, Populus tremula. Picea excelsa und viel Alnus glutinosa in einem Erlen- moor hinter Hohne auf dem Wege nach Celle in der Lüneburger Heide. Bei den Nadelhölzern ist auf den Gegensatz zwischen Pinus montana, der Latsche, Legföhre, dem Knieholz, die als Baum von Hochmooren be- sonders charakteristisch ist, und Pinus silvestris, der gemeinen Kiefer, die trockene Stellen bevor- zugt, hinzuweisen, ferner auf Picea excelsa, die Fichte, die man als Pendant zu Abies alba, der Tanne, nehmen kann, von denen die erstere oft als Moorbaum auftritt (vgl. N. W. 1906, Nr. 20), während die Tanne wiederum weniger nasse Stellen vorzieht. Zu dem horizontalen Wurzelwerk der Fichte, tritt eine namentlich im Alter auffällige Kegelform des Stammes: zwei Merkmale, die für Moornadelhölzer (man denke an Taxodiuni disti- clium, die Sumpfcypresse Nordamerikas) bemerkens- wert sind. Die Tanne hingegen hat einen mehr walzenförmigen Stamm. Stellen wir nun übersichtlich die genannten Parallelen zusammen, so hätten wir: Nässe liebende, jedenfalls Nässe nicht fliehende Arten Betula pubescens Quercus pedunculata Alnus glutinosa Acer platanoides Pinus montana Picea excelsa Nässe vermeidende Arten . resp. trockenere ( )rte nicht fliehende .Arten. Betula verrucosa Quercus sessiliflora Alnus incana pseudoplatanus u. campestre Pinus silvestris Abies alba. H. Potonie. Acer Die Schneedecke als Veranschaulichungs- mittel einiger geologischer und geographischer Erscheinungen. Der abgelaufene, schnee- reiche Winter gab jedem aufmerksamen Natur- freund Gelegenheit, folgende interessante Beobach- tungen zu machen und, ist er ein Lehrer der Naturwissenschaften oder der Erdkunde, in seinem Unterrichte fruchtbringend zu verwerten. Bei strengem Frost und kleinflockigem, „san- digem" Neuschnee zeigen ofiene Plächen , über die dürre Pflanzenstengel und andere Hindernisse 202 NaturwissenschafUichc Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 13 huiaiKsraCTen, nach einer windigen Nacht sehr deut- lich die Anfänge der Dünenbildung, beim Zurücktreten solcher Hindernisse dagegen die be- kannten Rippel- oder Krause! marke n, die F. E. Geinitz in dieser Zeitschrift (III. Jahrgang S. 1026 u. 1027) ') auf Sandflächen in so schönen Photographien abgebildet hat. Am oberen Rande von Hohlwegen oder tiefen .Straßengräben sind — ebenfalls durch die Tätigkeit der bewegten Luft — leise abwärts gekrümmte, nach außen immer dünner werdende S ch n ee wäc ht en -) entstan- den. Der durch den Hohlweg streichende Wind bläst an den Schneewänden mit Hilfe staubförmi- gen Schnees schön geschwungene, mehr oder weniger parallele Rillen heraus, wodurch die Hohlkehlen der Wächten vertieft werden oder wohl gar schraubenförmige Windung erhalten. Bald freilich bricht infolgedessen der äußere Teil der Wächte herunter, und man bekommt auf diese Weise eine Veranschaulichung für die als Defla- tion ■'■) bezeichnete Wirkung des Windes. An anderen Stellen hat der Wind ein in seiner Rich- tung gelegenes, tiefes Straßengrabenstück fast völlig ausgefegt und den Schnee auf der sich anschlie- ßenden, höher gelegenen Fläche in einer langen, scharfgratigen Düne aufgebaut, eine Erscheinung, die ebenfalls in das Kapitel „Deflation" gehört.'') Auch ruhiger Schneefall schafft Voraus- setzungen zu einigen hübschen Beobachtungen. Die Flocken liaben die Wegböschungen dick und gleichmäßig überzogen, aber bald sinkt der steiler liegende Teil der Schneedecke etwas zusammen und wird infolgedessen horizontal zerklüftet: wir gewinnen ein Veranschaulichungsmittel für die Entstehung der quergerichteten Gletscher- spalten. — Es hat mehrmals hintereinander in Abständen von etwa i — 2 Tagen und bei anhalten- dem Frost geschneit; wir untersuchen den Quer- schnitt der ungestörten Schneekappe eines wind- geschützten Torpfeilers, einer Mauer oder dgl. und haben damit ein treffendes Beispiel von Schichtenbildung gefunden; denn die ver schieden alten Schneeschichten liegen, nach oben immer weißer und immer lockerer werdend, deut- lich getrennt übereinander. -Schließlich bringt auch der Mensch eine höchst interessante Wirkung auf den Schnee hervor. Wenn nach einem ergiebigen Schneefall der höl- zerne Schneepflug breite Bahn gemacht hat, sieht man die stark zusammengepreßten Schneemauern auf beiden Straßenseiten in größeren oder ge- ringeren Abständen senkrecht zerklüftet und die einzelnen Sclineeblöcke, wie nebenstehende Skizze etwas übertrieben zeigt, ein wenig schräg gestellt. Ich meine, wir haben hier ein bequemes Veran- schaulichungsmittel für das so schwer klarzu- ') Vgl. auch Naturw. Woclicnsclir. IV. Jahrg. S. 567 und 568 und V. Jahrg. S. 523 ff. ^) Wächte wahrscheinlicli von wehen. "') Von flare = blasen. *) Vgl. H. Credncr, Elemente der (Geologie, S. Aiill., S. 264. machende Phänomen der Transversalschiefe- r u n g. Durch eine Kraft c, die aus den beiden Kräften a (Vorwärtsbewegung des Schneepfluges) und b (seitlicher Druck des Schneepfluges) resul- tiert, wurden — was man freilich nicht sehen kann — die Teilchen des Schnees parallel der Richtung DE geordnet, und da sich's um einen gleitenden Druck handelt, zerrissen die Schnee- mauern in gewissen Abständen in dieser Richtung des geringsten Zusammenhalts. Seminaroberlehrer Max Kästner. Himmelserscheinungen im April 1907. Stellung der Planeten: Merkur uud Saturn sind un- sichtbar. Venus und Mars können morgens, erstere nur sehr kurze Zeit, letzterer (im Schützen) 2'/2 Stunden lang be- obachtet werden. Jupiter ist abends noch 5 bis 3'^ Stun- den lang in den Zwillingen zu sehen. Verfinsterungen der Jupitertrabanten: Am 2. um 7 Uhr 53 Min. 2 Sek. M.E.Z. ab. Austr. d. I. Trab. ,, 3- ,, S „ 22 ,, 50 ,, ,, ,, „ „ II. „ 11 9- ., 9 ,, 48 ,, 40 „ ,, ,, ,, „ I. „ ,, 10. ,, 10 ,, 58 ,, 19 „ ,, ,, ,, „ II. ,, „ 14- „ 9 „ "l „ 45 "1- " „ 18. „ 9 „ 24 „ 8 „ „ „ „ „ IV. „ ,, 21. „ 9 ,, 54 ,, 12 ,, ., ,, Eintr. „ III. ,, Algol -Minima können beobachtet werden am l6. um 9 Uhr 49 Min. ab. und am 19, um 6 Uhr 38 Min. abends. Vereinswesen. Deutsche Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde (F. V.). — Am Montag, den 3. Dezember, hielt der derzeitige Rektor der Kgl. Landwirtschaft!. Hochschule, Herr Geh. Reg.Rat Prof. Dr. Zuntz, im Hörsaal VI der genannten Anstalt einen Vor- trag über das Thema: ,,Das Höhenklima und seine Wirkung auf den Men.schen". Der Vortrag wird in dieser Zeitschrift zum Abdruck gelangen. Im großen Hörsaal des Königl. Museums für Völkerkunde behandelte am Mittwoch, den 12. De- zember, der Abteilungsdirektor, Herr Prof. Dr. von Luschan, in einem durch Lichtbilder und Demonstrationen reich ausgestatteten Vortrag ,,Die niedrigsten Menschenrassen (Buschmänner und Neu- holländer)". Am Mittwoch, den 19. Dezember, sprach im großen Hörsaal VI der Königl. Landwirtschaftlichen Hochschule Herr Eg o n Fr. K i rsc h s t ei n , Assi- stent am Geologisch-paläontologischen Institut der LIniversität, über das Thema: „Der fossile Mensch". N. V. VI. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 20^ Die Kenntnis fossiler Reste des Menschen, so hob der Vortragende einleitend hervor, ist noch nicht alt. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat Cuvier, der Begründer der modernen Paläontologie, das Machtwort gesprochen : „L'hoinme fossile n'existe pas". Erst nach langen wissenschaftlichen Kämpfen sind die Reste des Neandertalmenschen und der Menschen von Spy in ihrer Bedeutung für das Ab- stammungsproblem richtig erkannt worden. Aus- schlaggebend waren die Funde von Krapina, deren frühdiluviales Alter durch das Vorkommen von Rhinoccros Mercki sichergestellt ist. Sic gehören der ,,Günz-Mindel"- oder „Mindel Ricß-Inlcrglazial- zeit" Penck's an. Durch die geologisch genau er- forschte Lagerstätte von Krapina erlangen auch die in der Altersfrage als unsicher hingestellten Schädel, die in den allerwichtigsten Charakteren mit dem Krapinamenschen übereinstimmen und mit ihm zu einer Spezies gehören, ihre volle wissen- schaftliche Bedeutung. Es darf heute als eine unumstößliche Tatsache gelten, daß der Mensch bereits in altdiluvialer Zeit in Europa gelebt hat. Die niedrige Bildung des Schädels, die stark vor- springenden Augenbrauenbögen, die mangelhafte Kinnbildung charakterisieren ihn als eine vom rezenten Menschen abweichende niedere Form des Menschen, die vielfach Anklänge an die höchst- stehenden Affen erkennen läßt. Damit ist jedoch keineswegs gesagt , daß der Mensch vom Affen abstamme. Mensch und Menschenaffe müssen viel- mehr als die Endglieder langer Entwicklungsreihen aufgefaßt werden , die zwar von gemeinsamen Stammformen einst ausgegangen sind, im übrigen aber getrennt voneinander ihre Bahn genommen haben. Die größere Ähnlichkeit des altdiluvialen Menschen, des Homo primigenius, mit den Menschenaffen besagt nur, daß er sich noch nicht allzuweit von dem gemeinsamen Ausgangspunkt beider entfernt hatte, den wir vermutlich in einem älteren Abschnitt der Tertiärperiode zu suchen haben. Tertiäre Menschenreste sind bisher nicht bekannt geworden, wohl aber Spuren menschlicher Tätigkeit in Gestalt primitiv-er Steinwerkzeuge, die bis in die Miozänzeit zurückreichen. Eugen Dubois' Pithecanthropus erectus kann nicht als Vorfahre des Menschen angesehen werden ; um ,, Bindeglied" zu sein, ist er allein schon geologisch viel zu jung. Immerhin steht er dem Homo primigenius noch sehr nahe und ist somit wenigstens indirekt mit ein Beweis für die Affenverwandtschaft des Men- schen, mithin seiner tierischen Abstanmiung über- haupt. Diese angesichts des bereits vorhandenen Tatsachenmaterials noch zu leugnen, hieße den Skeptizismus zum Sport erheben. Freilich bleibt die endgültige Lösung des Abstammungspro- blems der zukünftigen Forschung vorbehalten. I. A.: Prof. Dr. W. Greif, I. Schriftführer. Berlin SO l6, Köpenickerstraße 142. Bücherbesprechungen. Deutsches Bäderbuch, bearbeitet unter Mitwirkung des Kaiserl. Gesundheitsamtes. J. J. Weber in Leipzig. 1907. — Preis 15 Mk. Das Werk behandelt zum erstenmal in rein wissen- schaftlicher Weise und frei von allen Empfehlungen und Anpreisungen alle deutschen Bäder und klimati- schen Kurorte nach authentischem Material , welches von Behörden, meteorologischen Instituten und Fach- gelehrten bearbeitet und vom Kaiserl. Gesundheits- amte in sorgfältigster Weise zusammengestellt wurde. Die Bedeutung des Buches wird dadurch noch be- sonders gehoben, daß in ausführlichen Einleitungen zu dem Werke selbst und zu den verschiedenen Bäder- gruppen hervorragende CSelehrte in Monographien den heutigen Stand der Balneologie festgelegt haben. .So finden wir einen „Geologischen Teil" aus der Feder K, Keilhack's, einen „Chemischen Teil" von Th. Paul, L. Grünhut und E. Hintz, einen „Pharmakologischen" von C. Jacobi, einen „Klinischen" von F. Kraus, einen j.Klimatologischen" von V. Kremser und einen „Volks- wirtschaftlichen" von H. Kaufiinann. Das Buch ist dann disponiert in i. Mineralquellen, 2. Seebäder und 3. Luftkurorte. Beigegeben ist die schöne Hellmann- sche Regenkarte. Das Buch wird nicht nur in ärztlichen Fachkreisen, sondern auch in den Kreisen der Naturwissenschaftler, namentlich der Geologen, Meteorologen und Chemiker Interesse erwecken. Der Preis des mächtigen Buches ist ein überaus billiger. Dr. Julius Kollmann, o. ö. Prof. der .-Xnatomie an der Universität Basel, Handatlas der Ent- wicklungsgeschichte des Menschen. Erster Teil : Progenie, Blastogenie, .Adnexa Embry- onis, Forma externa Embryonum, Embryologia Ossium, Embryologia Musculorum; 340 auf Tafeln gedruckte, zum Teil mehrfarbige Abbildungen mit einem kurzgefaßten erläuternden Te.xte. Jena, Ver- lag von Gustav Fischer, 1907. — Preis 13 Mk. Der Atlas, der uns hier in seiner ersten Hälfte vorliegt, zeigt uns in außerordentlich klarer Darstellung zusammenfassend das gesamte Material, welches bisher speziell über die Entwicklung des Menschen bekannt geworden ist. Zahlreiche Abbildungen treten uns hier, nach dem reichen Material des Baseler Museums entworfen, zum ersten Male entgegen. Der Leser wird sich vorstellen können , daß es außerordentlich schwierig ist , die im Innern des Körpers erfolgende Befruchtung und auch die ersten Entwicklungsvorgänge bei einem Säugetier zu verfolgen. Noch weit schwie- riger ist es natürlich, diese Vorgänge beim Menschen zu erforschen. Ist doch der Forscher ganz auf den Zufall angewiesen, der ihm das Material in die Hand spielt. Verständhch ist es also, daß uns noch man- ches fehlt. Immerhin zeigt uns der Kollmann- sche Atlas, daß im Laufe der letzten Dezennien, dank der Vervollkommnung der Rekonstruktionsmethoden, schon recht viel geleistet worden ist. — Nur da, wo das Material vom Menschen noch nicht vorliegt, ist die Reihe nach Material , das von anderen Säugern, z. B. von der Maus hergenommen ist, ergänzt. Daß die belreftenden Figuren, die nicht vom Menschen herstani- 204 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 13 men , mit entspreclienden Angaben versehen sind, ist selbstverständlich. — Es fehlen vom Menschen bisher die Befruchtung und die ersten Teilungsvorgänge im Ei. Bekannt ist das reife Ei, das Blastoderm und die weiteren Entwicklungsstadien. — Für weitere Kreise besonders interessant ist das Kapitel über die Ent- wicklung der äußern Körperform, namentlich die Stadien , in denen die Kicmenspalten und Kiemen- bögen in die Erscheinung treten. In vielen, nament- lich in populären Büchern finden sich nämlich Figuren, die stark schematisiert, z. T. auch tendenziös zuge- stutzt sind. Hier sieht der l.eser das Beobachtungs- material, wie es wirklich vorhegt, in genauer Wieder- gabe. — Ich gebe hier kurz noch eine Übersicht der in diesem ersten Teil des Werkes behandelten Kapitel. In dem ersten Kapitel wird uns, außer der Eizelle vom Menschen, das Ovarium vor und nach dem Platzen des Follikel, dann das allmählich sich rückbildende Corpus luteum, ferner die Beziehungen zwischen Tuben und Ovarien und endlich Spermafäden in nor- maler und anomaler Form vorgeführt. Im zweiten Kapitel ist die Teilung des Eies, die Bildung der Keimblätter und die Entstehung von Doppelbildungen aus einem Ei dargestellt und zwar das Material , so- weit möglich, ebenfalls vom Menschen entnommen. Im dritten Kapitel folgt dann die Bildung der Eihäute und der Anhänge; des Chorion, des Amnion und der Decidua, des Dottersacks und des Bauchstiels mit Allantoisgang, ferner die Bildung und der Bau des Mutterkuchens. Das vierte Kapitel zeigt die Ent- wicklung der äußeren Körperform. Das fünfte Ka- pitel gibt die Entwicklung der Knochen und das sechste die Entwicklung der Muskeln. — Die Aus- führung der Bilder ist infolge des Farbendrucks äußerst klar und die beigegebenen Erklärungen sind kurz und verständlich. Der Preis ist für das Gebotene sehr gering. Dahl. i) Prof. Dr. G. Holzmüllei-, Elementare kos- mische Betrachtungen über das Sonnen- system. gS Seiten mit 8 Figuren. Leipzig, B. G. Teubner, 1906. — Preis 1,80 Mk. 2) Dr. Joh. Mooser, Theoretische Kosmo- gonie des Sonnensystems. 84 Seiten mit 4 Figuren. St. Gallen, Fehr, 1906. — Preis 4 Mk. i) Der Zweck der Holzmüller'schen Schrift ist der Kampf gegen die Kant - Laplace'sche Theorie, deren Berücksichtigung im Unterricht höherer Schulen seitens der Unterrichlskommission der Naturforscher- versammlung empfohlen worden ist. Der Kritik dieser Theorie schickt Verf. jedoch 7 1 Seiten umfassende elementare Betrachtungen über das Sonnensystem vor- aus, in denen die Kepler'schen Gesetze, die Störungen, Ebbe und Flut und schließlich die physische Be- schaffenheit der Sonne in anregender Weise bespro- chen werden. Diese Betrachtungen sind zwar ele- mentar, aber stark mit mathematischen Entwicklungen durchsetzt, die nicht durchweg (z. B. bei der Gezeiten- theorie) so klar ausgeführt sind, daß ihr Verständnis dem etwa mit Gymnasialbildung ausgerüsteten Leser leicht fallen dürfte, Sachlich ist zu den Ausführungen des Verf. zu bemerken, daß keinerlei .Anzeichen da- für sprechen , daß in der Chromosphäre der Sonne chemische Verbindungen ,,wohl vorhanden" sind (S. 66), vielmehr wird von den meisten Sonnenforschern voller Dissoziationszustand auf der Sonne angenommen. Ferner könnte der Leser nach dem auf Seile 68 Gesagten glauben, daß in der Sonnenstrahlung auch Röntgen- und ^'-Strahlen enthalten seien, während alle auf den Nachweis dieser Strahlen im Sonnenlicht abzielenden Untersuchungen unseres Wissens zu negativen Ergeb- nissen führten. Auch strahlen die Sonnenflecken nicht besonders starke Hitze aus, wie Seite 60 gesagt wird, sondern werden immer sicherer als Stellen ver- minderter Temperatur erkannt. Die Protuberanzen sind wohl mit den Fackeln , aber nicht mit den F'lecken zu identifizieren. Die Kritik der Kant-Laplace'schen Theorie (S. 72 bis 98) , welche sich den kosmischen Betrachtungen anschließt, ist eine durchaus ablehnende, und zwar leugnet Verf. vor allem die mechanische Möglichkeit der Ringablösung infolge der durch Kontraktion zu- nehmenden Rotationsgeschwindigkeit. Die Beweis- führung ist aber hierbei besonders dunkel und scheint dem Ref. nicht zwingend zu sein. H. will dem Zu- fall bei der Bildung des Planetensystems eine größere Rolle zuschreiben und ist geneigt, die Planeten durch- weg als eingefangene , kosmische Fremdlinge anzu- sehen. Die heute von vielen Seiten geübte Polemik gegen die Kant-Laplace'sche Theorie ähnelt in vielen Punkten dem Streit um den Darwinismus. Mögen auch im einzelnen Kant und Laplace ebenso wie Darwin manche schwerwiegende Einwände entgegen- zuhalten sein, so bleibt doch das unbestreitbare Ver- dienst dieser Männer bestehen, dem Entwicklungs- gedanken, hier auf dem unorganischen, dort auf orga- nischem Gebiete zum Siege verholten zu haben. Daß das Sonnensystem ein einheitliches Ganzes, und nicht ein zufällig im H.'schen Sinne zusammengewürfeltes Chaos ist, dürfte auch in der Zukunft als ebenso feststehend gelten, wie die Einheitlichkeit der orga- nischen Schöpfung. 2) So skeptisch, wie Holzmüller allen kosmogoni- schen Hypothesen gegenüber sich äußert, ebenso optimistisch glaubt Mooser die Entstehung des Sonnen- systems bis ins einzelne hinein erklären zu können. Die vorliegende Schrift ist eine Erweiterung und Verbesserung der von uns bereits Bd. III, Seite 846, angezeigten .Abhandlung desselben Verf. über den gleichen Gegenstand. An eine ausführliche Darstel- lung der Cirundgedanken der Nebularhypothese schließen sich einige theoretische Ableitungen. Die Notwendig- keit elliptischer Planetenbahnen und der Kepler'schen Gesetze wird auf Grund des Gravitationsgesetzes dar- getan, das Prinzip der Massenbestimmung erläutert und endlich der Versuch gemacht , die Titius'sche Reihe für die Planetenentfernungen mechanisch be- greiflich zu machen. Mooser glaubt übrigens an- nehmen zu müssen, daß die Zahl der Trabanten bei Neptun und LTranus größer sei, als uns bis jetzt durch Beobachtung bekannt geworden, Kbr. N. F. VI. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochensclirift. 205 Prof. E. Grimsehl, Experimentelle f^ infüh- rungder elektromagnetischen Kinheiten. Band II, Heft 2 der Abhandlungen zur Didaktik und Philosophie der Naturwissenschaft, herausgegeb. v. Poske, Höfler und Grimsehl. 41 Seiten m. 23 Fig. Berlin, J. Springer, 1907. — Preis 1,60 Mk. In der vorliegenden Schrift zeigt Verfasser einen eleganten und leicht gangbaren Weg, wie man die absoluten , elektromagnetischen Einheiten anstatt durch bloßen Wortunterricht dem Schüler an einer Reihe einfacher , sehr geschickt zusammenge- stellter Apparate experimentell vorführen kann. Nach- dem zunächst das Kraftfeld eines Stromleiters durch Eisenfeilicht demonstriert und die Bewegung eines einzelnen Magnetpols in der Richtung der Kraftlinien durch eine einfache Versuchsanordnung zur Anschau- ung gebracht ist, werden durch weitere Versuche die (jtiantitativen Verhältnisse des Magnetfeldes bei geraden und kreisförmigen Stromleitern ermittelt. Nun wird in § 4 der Einheitsstrom mit Hilfe der magnetischen Polwage verwirklicht. In einem nahezu homogenen magnetischen Felde wird dann die pon- deromotorische U'irkung desselben bestimmt und als- dann die Induktion wiederum erst qualitativ, dann quantitativ behandelt. Hierbei beschreibt Verf einen sehr handlichen und einfachen Apparat, bei dem die Bewegung eines gleitenden Leiters im Magnetfeld einen Strom induziert, der durch sehr starke Aus- schläge einer gewöhnlichen Magnetnadel angezeigt wird. In den letzten Paragraphen wird noch die Widerstandseinheit , das Coulomb , die magnetische Permeabilität und der Wechselstrom behandelt. — Die Schrift stellt sowohl in bezug auf die experimen- telle Durcharbeitung, als auch hinsichtlich der scharfen und folgerichtigen Entwicklung der Begriffe eine musterhafte Meisterleistung dar. Kbr. Dr. Hugo Miehe, Privatdozent d. Bot. in Leipzig, Die Selbsterhitzung des Heus. Eine bio- logische Studie. Jena, Gustav Fischer, 1907. — Preis 3,50 Mk. Es ist ein bemerkenswertes Phänomen , daß zu- sammengepackte feuchte Pflanzenmaterialien (nur um die Untersuchung dieser handelt es sich) sich erwär- men und erhitzen. Diese Tatsache hat nicht allein ein praktisches , sondern auch ein wissenschaftliches Interesse. Die Selbsterhitzung erfolgt dort, wo Säfte in den Massen vorhanden sind, die zur Ernährung von Mikroorganismen tauglich sind, oder wo es sich um lebende Pflanzenteile handelt. Experimente ergeben, daß bei der Selbsterhitzung Sauerstoff verbraucht und CO.j entwickelt wird; Vorhandensein von O ist eine notwendige Bedingung: O bringt bei der Gärung in erster Linie Kohlenhydrate (Stärke, Zucker) zum Verschwinden. Wenn O Zufuhr experimentell ver- hindert wird, so findet eine Temperatursteigerung nicht statt und eine Zersetzung des zum Experiment benutzten Heus war äußerlich nicht zu bemerken ; auch Schimmelbildung war unterblieben. Solange freilich noch Sauerstoft" vorhanden ist, der von Anfang an jn der Masse vorhanden ist, findet eine geringe Tem- peraturerhöhung statt. Pferdemist in gleicher Weise behandelt (durch Gayon 1884) zeigte außer CO,- Bildung reiche Entwicklung von Methan. Die Ur- sache der Selbsterhitzung kann sein i. rein chemi- scher Natur, d. h. eine physiologische Verbrennung (Atmung) , wenn es sich nämlich um noch lebende Pflanzenteile handelt, sonst sind 2. die auf den ab- gestorbenen Teilen lebenden Pilze und Bakterien durch ihre Lebenstätigkeit die Ursache. Demgemäß büßt sterilisiertes Heu die Fähigkeit sich zu erhitzen ein. Eingehend behandelt Verf. die in Frage kom- menden Pilze und Bakterien und bietet zahlreiche Illustrationen. Dabei macht er interessante Exkurse über die eigentlichen Wohnstätten von pathologischen Bakterien wie des Tuberkulosebazillus, der 30 Grad zu seinem Leben gebraucht, eine Temperatur, die in der Streu 'mit dem Mist in Ställen und sonst in an- gehäuften, sich zersetzenden Mist- und Pflanzenhaufen oft realisiert ist. Die Selbsterhitzung kann soweit steigen , daß das Heu im Innern den Haufen ganz verkohlen kann und zwar in der Art der echten Ver- kohlung wie sie Holzkohle zeigt. Verf greift daher eine von Ranke ausgesprochene Idee auf, nach der die Kohlenlager ebenfalls mit der Selbstentzündung von Pflanzenmassen in Verbindung gebracht werden. Der Unterzeichnete macht jedoch hier darauf auf- merksam, daß diese auch von anderen Seiten zu be- gründen versuchte Idee ganz unhaltbar ist. Zunächst handelt es sich in den Kohlen der Kohlenlager nicht um echte Verkohlung zu Kohlenstoff, sondern die „Verkohlung" der fossilen Kohlen ist eine langsame, ohne Erhitzung stattfindende Selbstzersetzung wie beim rezenten Humus (insbesondere dem Torf), bei der sogar — soweit der Torf in Frage kommt — die Bakterien nur in den allerersten Anfangsstadien eine geringe Rolle spielen ; die gewonnenen Produkte sind denn auch kein Kohlenstoff, sondern Kohlenstofl"- verbindungen: eben Humus, Braun-, Steinkohle etc. H. P. Literatur. Gutbier, Priv.-Doz. A. , u. L. Birkenbach, DD.; Praktische .Anleitung zur Gewichtsanalyse. (VIII, 76 S. m. Fig.) kl. 8". Erlangen '07, M. Menck. — Geb. in Leinw. 2 Mk. Hartwig, Prof. Thdr. J.: Einführung in die praktische Pliysik in gemeinverständlicher Darstellung. 2. Bd.: Physik des Äthers (Licht u. Elektrizität). Mit i66IIlustr. u. l Farben- taf. (187 S.) Stuttgart '07, E. H. Moritz. Mit dem i. Bd. in I Leinw.-Bd. 3 ^Ik. Helmholtz, H. v. : Vorlesungen üb. theoretische Physik. Hrsg. V. Arth. König, Otto Krigar-Menzel, Max Laue, Frz. Richarz, Carl Runge. IV. Bd. Vorlesungen üb. Elektrodynamik u. Theorie des Magnetismus. Hrsg. v. Cltto Krigar-Menzel u. Max Laue. (X, 406 S. m. 30 Fig.) Lex. 8". Leipzig '07, J. A. Barth. - 16 Mk. ; geb. in Leinw. 17,50 Mk. Lehmann, ü.: Flüssige Kristalle u. die Theorie des Lebens. Vortrag, geh. in der Hauptversammlg. der 78. Versammig. deutscher Naturforscher u. Arzte zu Stuttgart am 2i.i.\. 1906, ergänzt durch den Vortrag in der Sitzg. der physikal. Ab- teilg. am 17. IX. 1906, m. 30 Illustr. im Text. (55 S.) 8». Leipzig '06, J. A. Barth. — 1,20 Mk. Rutherford, Prof. Dr. E. : Die Radioaktivität. Unter Mitwir- kung des Verf. ergänzte autoris. deutsche .Ausg. v. Priv.- Doz. Prof. Dr. E. Aschkinass. (X, 597 S. m. Fig.l gr. 8". Berlin '07, J.Springer. — 16 Mk. ; geb. in Halbldr. 18,50 Mk. Zsigmondy, Rieh. ; Über Kolloid-Chemie m, besond. Berück- 206 Naturwisseiischaftliclic Wocliensclirift. N. F. VI. Nr. 13 sieht, der anurgunisclu n JvuUuidi.-. V'uitrag. In ausführ- licherer Uarstellg. (46 S. m. 2 färb, l'af.) 8". Leipzig '07, J. A. Barth. — 2 MU. Briefkasten. Uirrn l'iof. Dr. U. in llanuuVL-r. — Frage I: Ihre Krage, ob der Igel giftfest sei, läßt sich nicht einfach mit ja oder nein beantworten. Es geht das schon aus den Kontroversen hervor, die dieses Thema hervorgerufen hat (man vgl. die .•Kufsätze von E. Harnack und von \V. Preycr in der Naturw. Wochcnschr. Bd. 8, 1893, S. 12S— 29, S. 255 — 56 und S. 329, ferner von L. Lewin und von E. Harnack in der Deutschen medizin, Wochenschr. Jahrg. 24, 1898, S. 629 — 31 und 745). Soviel sclieint sicher zu sein, daß der Igel gegen Gifte weit weniger empfindlich ist als die meisten anderen Tiere; so gegen Kantharidin, Blausäure, Krotonö], Spinnengift (vgl. R. Kobert, Beitrage zur Kenntnis der Giftspinnen, Stutt- gart 1901, S. 141 und 153) und auch gegen das Gift der Kreuzotter (vgl. ('. Phisali.t et G. Berlrand, Coninient le herisson resiste aux morsures de la vipere, in: Bull. Mus. Hist. nat. T. 1, 1895, p. 294—96). Der Igel vermeidet nach Angabc der letzgenannten Autoren zwar mit großem Geschick die Hisse der Kreuzotter, fürchtet sie aber nicht und verträgt mehrere Bisse. Seine Widerstandsfähigkeit dem Gifte gegen- über ist 35— 40 mal größer als die des Meerschweinchens, wenn man die Menge des Giftes im Verhältnis zum Körper- gewicht anwendet. Die letztgenannten Autoren haben auch festzustellen gesucht, wodurch die Widerstandsfähigkeit be- dingt ist. Sie impften einem Meerschweinchen gleichzeitig mit dem Kreuzottergift 8 ccm Blutserum vom Igel ein, das sie vor- her, um die giltige Wirkung desselben dem Meerschweinchen gegenüber zu beseitigen, eine Viertelstunde lang auf 58" er- hitzt halten. Es zeigte sich, daß das Meerschweinchen seine Munterkeit voll bewahrte. Die Immunisation bei diesen Ein- impfungen dauerte aber nur wenige Tage; 24 Stunden nach der Injektion hatte dieselbe ihren Höhepunkt erreicht. Dieser Versuch zeigt, daß sich eine immunisierende Substanz im Igelblut befinden muß. Krage 2: Entstehen die jungen Trichinen im Dünn- darm oder durchbohrt die Darmtrichine die \\"and des Dünn- darms, um den jungen Trichinen in den Lyniphbahncn die Existenz zu geben? — — R. Ilertwig, der sich mit der Wanderung der Trichinen selbst eingehend beschäftigt hat (vgl. R. Hertwig über eine Arbeit von Graham in: Silzungsber. Ges. Morph. Phys. München, Bd. 11, 1S95, S. 12 — 16), sagt in der neuesten Auflage seines Lehrbuches der Zoologie (Jena 1907, S. 270): ,,Das Weibchen dringt in die obertiächliche Schicht der Darnizotten ein und gebiert im Laute von ca. 5 Wochen über 1500 lebendige Junge Die jungen, 0,1 mm großen Tiere dringen in die Lymphgefäße des Darms ein, gelangen durch den Ductus thoracicus in die Blutgefäße und wandern von den Kapillaren in die Muskeln." — Nach Geisse (Münch. medizin. Wochcnschr. Bd. 42, 1895, S. 055) halten sich die befruchteten weiblichen Darnitrichinen nicht in den Lymphräumen des Darmes, auch nicht in den Mesen- terialdrüsen, sondern im Lumen der Schlauchdrüsen des Dünn- und Dickdarms auf, um hier die Jungen zur Welt zu liringen. Frage 3: Über die Zahl der in einer Proglottide ent- haltenen Eier gehen die Angaben weit auseinander. Welche Zahl ist wahrscheinlich' — — M. Braun sagt (Cestodes, in: H. G. Bronn's Klassen und Ordnungen des Tierreichs, Bd. IV, Abt. I, Leipzig 1894—1900, S. 1473): „Über die Zahl der Eier, welche ein Bandwurm produzieren kann, lassen sich kaum greifbare .Anhaltspunkte gewinnen. Plaß auch hier die ein- zelnen .Arten sich je nach ihrer Größe und Produktivität ver- schieden verhalten, liegt nahe, wenn man etwa an die wenige Millimeter lang werdende Tacniti cchinocucciis oder T. pni- glottina und an die mehrere Meter große T. saymata denkt. Gerade über die letztgenannte Art liegt eine positive Angabe vor, nach der (Welch) ca. 8S00 Eier in einer Proglottis und im ganzen Wurm etwa 7000000 vorhanden sind. Da aber ein solcher Bandwurm in seinem Leben noch viele Meter Proglottiden abstößt resp. immer wieder neu erzeugt, so er- gibt sich schließlich eine ganz enorme Zahl. Esc bricht be- rechnet die jährliche Produktion von Eiern bei Unüiriocephultis latus auf mindestens eine Million und Aliildgaard will in der l'roglottis eines Hundebandwurnis 140000 Eier (vielleicht Kalkkör|ierchen •) gezählt haben, wogegen Duj ardin die Zahl der Eier bei Tiienia sn-rala auf 25 Millionen berechnet." Frage 4: Wird die Blase der Finne vom Darmsaft aufgelöst oder vom Skole.x resorbiert" M. Braun sagt (Cestodes S. 1597): ,, Gelangen Cysticerken noch von Fleisch, Fett, Bindegewebe etc. umgeben in den Magen der Versuchs- tiere, so werden sie noch im Magen, durch die Verdauung der sie umhüllenden Teile, frei und es beginnt dann erst die Verdauung des Blasenkörpers, die etwa 4-6 Stunden nach der Fütterung beendet ist ... . Dieser Vorgang spielt sich ab, auch wenn Cysticerken in den Magen eines falschen Wirtes gelangen, so daß man schon daraus schließen kann, daß es sich um einen einfachen Verdauungsprozeß handelt. Um dies zu beweisen, hat Leuckart künstliche Verdauungsversuche gemacht, indem er aus der Cvste befreite Cysticerken in die frische Schleimhaut verschiedener Säugetiermägen (Hund, Kaninchen, Schwein) einwickelte und einige Zeit in einen Brutapparat legte . . . (S. 1598): Das Zwischenstück bleibt in der Regel ausgestreckt und verharrt in dieser Lage bis zur .Autlösung der Schwanzblase, die in der Regel erst 8 — loStunden nach Beginn solcher Versuche eintritt. — Einschluß der Finne in ein Dünndarrastück übt keine andere Wirkung aus, als höchstens ein Zusammenfallen der Schwanzblase, nie aber eine Verdauung, doch geschieht letzteres, wenn die Finne vorher ein bis zwei Stunden in Kontakt mit Magenschleimhaut war." F'rage 5: Die Larve der Rothirsch- Dasselfliege, Uypu- derina actaeon F. Brauer, gclargt, nach neueren L'ntersuch- ungen, ebenso wie die der Rinderbremse, //. bovis (L. ), von innen in die Rückenhaut. Mit dieser Tatsache würde also die Beobachtung des Ihnen befreundeten (Jberförsters, daß sich die Larvencpiaddel unterhalb der feinen Wildprethäute entwickelt, in vollkommenem Einl\lang stehen. Niihercs über den Gegenstand finden Sie in einem Vortrag von Fr. Brauer, ,,Neue Beobachtungen über die Einwanderung der H\podermen- larven in ihre Wolmliere" (in : Schrift. Ver. Verbreit, naturw. Kenntn. Wien, Bd. 34, 1894, S. 275 — 87). Früher meinte man, daß die Fliege mit ihrer Legeröhrc die Rückenhaut des Kindes durchbohre und daß auf den damit verbundenen Schmerz die große Unruhe und das ,, Biesen" des Rindes bei Annäherung der Fliege zurückzuführen sei. B. Clark wies aber schon im Jahre 1845 (in: Transact. l.inn. Soc. London, Vol. 19, p. S3) darauf hin, daß die Legeröhre für ein solches Durch- bohren durchaus ungeeignet ist. Man vermutete nun, daß die junge Larve die Rückenhaut durchbohre, nachdem die Eier von der F'liege an die Rückenhaare abgelegt seien. Man war zu dieser Annahme um so mehr berechtigt, als man bei der Larve der in l'^eldmäusen schmarotzenden Gattung Oesiromyia das Einbohren unmittelbar beobachten konnte (vgl. Fr. Brauer, Monographie der Oestridcn, Wien 1863 .S. 273). Allein die Hypodermenlarven entzogen sich von Mai bis L)ezeml)er ganz der Beobachtung und von einem Durchbohren der Haut war nicht das Geringste zu bemerken. Da gelang es dem amerikani- schen Forscher Coopcr Curtice, von der nordamerikani- schen Dasselfliege. //. Inteata A'ill., die später ebenfalls unter der Rückenhaut ihres Wirtes schmarotzt, obgleich die Eier an die Füße desselben abgelegt werden, die Larven zahlreich in den Wänden der Speiseröhre aufzufinden (vgl. Inscct Life Vol. 2, 1890, p. 207 — 8). Nach seiner Auflassung werden die Larven durch den Wirt von den Haaren abgeleckt, genau so wie die Larven der Pferdemagenbremse (Gaslropkihis). Während aber die letzteren in den Magen gelangen, durchbohren die Larven der Dasselfliegen die Wand der Speiseröhre und ge- langen schließlich in die Rückenhaut. Durch die Öffnung der Fiterbeule gelangt die Larve sjtäter ins Freie, um sich am Boden durch Erhärten der Haut in eine Tonnenpuppe zu ver- wandeln. — Die Beobachtungen von Cooper Curtice wurden durch erneute Untersuchungen von Riley (Insect Life Vol. 4, 1S92, p. 302 — 17) vollkommen bestätigt. — -Man hat zwar nachzuweisen gesucht, daß der Vorgang bei der euro- ])äischen Rinderbremse ein anderer sein müsse (Koorevaar 1898); allein die Einwände sind von anderer Seite mit Recht zurückgewiesen (E. E. .Austen in; Entom. monthlv Mag. Vol. 37, 1901, p. 92 — 96). Man hat von unserer Rinderbremse die Larven bereits auf den verschiedenen Stufen der Wande- rung beobachtet. — Das Biesen der Rinder — das übrigens beim Hirsch nicht beobachtet wird — kann nach unserer N. F. VI. Nr. i;. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 207 gcgcnwärligen Kenntnis des Vorgajiges nur auf einem art- erhallendcn Instinkt beruhen. I{s ist ausge.schlo.ssen, daß die Rinder die Gefalir als solche erkennen. Sie würden derselben ja aus dem Wege gehen, wenn sie die Haut nicht leckten. Der Umstand, daß das Lecken nicht untcrlileibt, daß der In- stinkt nicht an dieser zweiten Stelle einsetzt, beweist, wie wichtig das Lecken, d. i. das Keinhalten der Haut für die Kinder ist. Dahl. Herrn Lehrer E. S. in Wismar. — Frage I : Sie fragen- wie die Essigä eben in einer scharfen Säure (der Essigsäure) existieren können. — — Da die wichtigsten Bestandteile des Tierkiirpers, die EiweißstolVe, nicht durch organische Säuren gefällt oder zum Gerinnen gebracht werden ivgl. 1'. Ehrlich etc.. Enzyklopädie d. mikrosk. Technik Bd. 1, S. 186), so liegt eigentlich kein Grund vor, daß Wassertierc nicht auch in verdünnter Essigsäure sollten existieren können. Man kann also mit demselben Rechte fragen: Warum können andere Orga- nismen nicht in derselben existieren ? Bekannt ist freilich, daß unter vielen anderen Organismen Fäulnisbakterien im Essig nicht fort- kommen und darauf beruht die konservierende Eigenschaft des Essigs. Bakterien anderer Art leben im Essig aber in großer Zahl (vgl. D. P. Hoyer, Beiträge zur Kenntnis der Essigbakterien, separat aus: Die deutsche Essigindustric, lahrg. 1899, Nr. I bis ^5), und gerade diese dienen den Essigälchen zur Nah- rung. Ich verweise Sie in bezug auf die Lebensweise der Essig- älchen auf eine sehr gründliche Arbeit von W. Henneberg, „Zur Biologie des Essigaales, Äniiiiillula aceti (Müll.) (in; Die deutsche Essigindustrie, Jahrg. i8ij9, Nr. 45 — 52 und 1900 Nr. I — 5, auch separat). Es hat sich gezeigt, daß die Essigälchen in manchen anderen Stoffen nur deshalb nicht fortexistieren kön- nen, weil sie dort den Fäulnisbakterien erliegen. Sie sehen also, daß der Aufenthalt in Essigsäure auch Vorteile gewährt, gerade für ein so empfindliches Tierchen, wie der Essigaal es ist- In konzentrierter Essigsäure (Essigessenz! kommen die .\lchen freilich nicht fort und deshalb ist ein aus Essigessenz durch Verdünnen mit Wasser hergestellter Essig stets frei von .AI- eben. In einem Essig von 10 - 12 »„ bleiben die Alchen ziemlich lange am Leben, vermehren sich aber nicht. .\ur in schwäche- rem Essig von 6 % und weniger tritt eine üppige Vermehrung ein. An diesen ist das Tier also angepaßt. Auch die Höhe der Temperatur ist für das Fortkommen der .Alchen von Ein- fluß. -Am günstigsten ist eine Temperatur von 20 — 29". Bei Temperaturen unter 14" und über 34* vermehren sie sich nicht mehr und bei -j- 44" werden sie in einer Minute getötet. Frage 2: Ist es richtig, daß sich die Walfische, besonders der Buckelwal, beim Einnehmen der Nahrung auf die Seite, ja sogar auf den Rücken legen müssen, damit durch das Ge- wicht des Unterkiefers das .Maul geschlossen werde .= — — Die Nahrungsaufnahme des Buckelwals ist von O. Fabri- c i u s sehr genau beschrieben 1 vgl. D. F. E s c h r i c h t. Zoologisch- anatomisch-physiologische Untersuchungen über die nordischen Walliere, Bd. i, Leipzig 1849, S. 150): „Wenn er fressen will öffnet er seinen Rachen, um eine Menge Wasser mit seinem ganzen Inhalte zu schlucken und wird dann oft mit dem offenen Rachen über der Meeresfläche gesehen. Dabei erweitern sich zugleich die Bauchfurchen und ihre rote Farbe kommt zum Vorschein . sowie auch die leberfarbige Zunge zwischen den schwarzen Barten und unter dem weißen Gaumen, welches zusammen einen prächtigen Anblick gewährt. Wenn er aber in das Maul aufgenommen 1 at, was er will, schließt er dieses wieder und spritzt das Wasser zwischen den Barten allmählich aus, während die Fische und die Schnecken, durch das dichte Zusammenstehen der Barten und durch die Haare am inneren Rande derselben am Auslaufen verhindert, darinnen bleiben." — Auch bei späteren Autoren (vgl. P. J. van Beneden, Histoirc naturelle de la Baieine ä bosse, Megaptera boopa, in: Mem. Acad. Belgique, T. 1887, separat p. 17) fin- den wir keine Andeutung, die auf die Richtigkeit Ihrer Angabe schließen ließ-. .Alle Autoren geben an, daß der Buckelwal unter anderem auch l-ische fresse. Diese würden wohl kaum solange im Maul bleiben, bis der Wal sich umgedreht hat. — Ich möchte übrigens nicht unerwähnt lassen, daß Delphine, wenn sie vor dem Kiel des Dampfschiffes daherschwimmen, sich oft umdrehen, aber sicheriich nicht, um das Maul schlie- ßen zu können (vgl. Sitzungsbcr. Akad. Wissensch. Berlin Jahrg. 1896 S. 711). [)al,l. Herrn Prof. Dr. M. in P. — Ein Kreuzspinncnnelz, wie Sic es beschreiben, an der Unterecke mit einem frei in der Luft schwebenden, an einem Faden hängenden und zur P[)annung dienenden Steinchen verschen, ist, soweit ich die Literatur übersehe, bisher noch nichfbeobachtet worden. Auch mir ist ein solcher hall nicht zu (Jesicht gekommen. — lüw:is .\hnliches beschreibt (). Hcrman (Ungarns Spinnen- fauna Bd. I, Budapest 1876, S. 69) von T,,jenaiia domcstica (L.). Er fand das Trichternetz dieser Spinne in einzelnen Fällen, statt, wie gewöhnlich, in einer Ecke, unter einem wagerechten Balken aufgehängt und mit Mörtelstuckchen beschwert. — M:m muß in solchen Fällen, die eine scheinbare Intelligenz der Spinnen andeuten , immer äußerst kritisch sein. Es ist mir das bei meinem vielen Experimentieren mit Spinnen immer wieder zum Bewußtsein gekommen. Ich erkläre mir den von Ihnen angegebenen Fall folgendermaßen: Die Spinne befestigte den unteren laden ihies Netzes an einem Steinchen, das am Boden lag Da die Spannung aber, namentlich bei Herstel- lung der Radialfädcn stets eine größere wird, wurde dadurch das Steinchen gehoben. — Wie leicht m.an einer Spinne un- gerechtferligterweise eine hohe Intelligenz zuschreibt, mag Ihnen folgender Fall zeigen, der in der Vierteljahrsschrilt für wissenschaftliche Philosophie (Bd. 9, 1884, S. 171) mitgeteilt ist: ,,Ich teile zunächst einen merkwürdigen Kampf zweier Radnetzspinnen, Zilla j-notuta, um eine Mücke mit: Die Netze beider Spinnen befanden sich unmittelbar übereinander, so daß die Kahmenfäden z. T. beiden .Netzen zugleich angehörten, ohne daß die Netze selbst sich unmittelbar berührt hätten. Um die Spinnen zu füttern, warf ich zunächst eine Mücke in das Netz der oberen (O). Die Spinne fuhr sofort auf dieselbe los und ergriff sie. Die Mücke machte aber so starke An- strengungen, daß das Netz zerriß und sie mit der Spinne in das Netz der unteren Spinne (U) fiel. U betrachtete die Mücke natürlich sofort als ihre Beule und griff auch mit an. Beide hatten nun schnell die Mücke getötet, dann aber be- merkten sie scheinbar, daß sie nicht der einzige Besitzer seien. Auf einen direkten Kampf schienen sich indessen beide nicht einlassen zu wollen, und deshalb suchten beide die Mücke, so wie es immer geschieht, mittels eines Fadens zu ihrer Wohnung zu schleppen. Sie waren einander vollkommen ge- wachsen und da O nach oben und U nach unten zog, inühten sich beide vergeblich ab, die Mücke von der Stelle zu bringen. Da zerriß plötzlich der Faden, an welchem U zu ihrer Wohnung zu gelangen suchte und sie wurde nun samt der Mücke von O fortgeschleift. Bald aber war die Mücke wieder in Fäden verwickelt, so daß < ) nicht weiter konnte. Diese Gelegenheit benutzte U, um wieder einen Halt zu gewinnen, und es hielten sich wieder beide Kräfte das Gleichgewicht. Da kam der U ein günstiger Gedanke: Im Nu war sie auf der Mücke, Ijiß den Faden ab, an welchem O zog und machte sich nun schleunigst mit der Beute davon. — Ich war im ersten Augenblick aufs höchste ülierrascht; denn obgleich ich den Kampf mit dem größten Interesse ver- folgt hatte, mußte ich mir sagen, daß icli sobald jedenfalls noch nicht auf den schlauen Gedanken gekommen wäre. Das Tier hatte mich in der Tat beschämt. — Erst als ich mir den Fall überlegte, wurde mir der Zusammenhang klar: Die be- obachtete Spinne pflegt nämlich, wenn sie die Beute zu ihrer Wohnung schleppt, die hemmenden Fäden stets instinktiv abzubeißen. So war für die Spinne U der Faden, an welchem O zog, nichts als ein passiver Faden, und sie tat also in ihrem dunklen Drange etwas, worauf man mit Überlegung nicht so leicht gekommen wäre." Dahl. Herr Baurat Th. Becker in Liegnitz, der bekannte vor- zügliche Dipterenforscher, macht mich freundlichst auf einen Irrtum aufmerksam, den ich im vorigen Jahrgang der Naturw. Wochcrischr. S. S29 begangen habe. Ich hatte von der Tanzfliege, Hilaru maurn (F.), welche man im Vorsommer oft in großer Menge über der Wasserfläche von Waldbächen und von Waldseen nahe an deren Ufern ihre Tänze auffuhren sieht, behauptet, daß die Verdickung am Metatarsus der Vor- derbeine des Männchens dazu diene, das Weibchen bei der Paarung festzuhalten. — Herr Baurat B e c k e r hat nun bereits im Jahre 1888, als er über die Lebensweise einer nahe ver- wandten Gebirgsforra, IHlara snrtor Th. Becker, schrieb, dar- auf hingewiesen, daß bei der Paarung derselben das Weib- 208 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 13 chen auf dem Miinnchen sitzt (vgl. Berlir.er entoni. Zcitschr. Bd. 32, S. 9). Schon aus der Form der Kopulationsorgane des Männchens ersehe man, daß die Paarung nur in dieser Weise stattfinden könne und die unmittelbare Beobachtung bestätige das. — Wir hätten hier also denselben Fall vor uns, wie bei den Flöhen. Auch bei den Flöhen springt das Weibchen zur Paarung auf das Männchen und auch bei ihnen ergibt .sich diese Art der Kopula schon aus der Stellung der Kopulationsorgane. — Wozu nun aber bei dem Männchen der Tanzfliege der erweiterte Metatarsus der Vorderbeine? — Herr Baurat Becker schreibt mir, daß die mit Luft gefüllten Metalarsen als Luftkissen oder Schwimmblasen aufzufassen sind, und daß diese es dem Männchen und auch dem kopu- lierten Pärchen ermöglichen, mit ausgebreiteten Flügeln als Segel auf der Oberfläche des Wassers schwimmend zu fliegen. — Ich muß gestehen , daß mir durch diese Frklärung vieles aus meinen früheren Beobachtungen erst völlig klar geworden ist. Auch ich hielt die Erweiterung, in der sich der Tracheen- stamm zu einem Luftraum erweitert, anfangs für einen Flottier- apparat, konnte mir aber immer nicht erklären, warum denn das Weibchen ihn nicht besitze. Das Hinabfallen des Pär- chens auf die Wasserfläche hielt ich für eine Ausnahme von der Regel, während es nach der Becker' sehen Erklärung die Regel ist. — — Ich möchte mir erlauben, noch einmal hervorzuheben, daß ich stets äußerst dankbar bin, wenn mich jemand auf Irrtümer aufmerksam macht. Selbst in zweifel- haften Fällen bitte ich um einen Hinweis. Es ist mir das der schönste Lohn, den die recht mühevolle Fragenbeantwor- tung einbringt. Man glaube nicht, daß ich mich gekrankt fühle; weiß ich doch nur zu gut, daß man sich von F'ehlern nicht ganz frei machen kann. — Am liebsten teile ich jedes- mal auch die Namen desjenigen Lesers mit, welcher mich auf Fehler aufmerksam macht. Ich bitte also um Angabe des vollen Namens. Dahl. Herrn J. in Skuc. — Nehmen Sie Detmer's kleines pflanzenphysiologisches Praktikum (G. Fischer in Jena). Herrn Prof. E. in O. — Nehmen Sie: ,,Bau und Bild Österreichs" von Carl Diener, Rud olf Hoernes, Franz E. Sueß und Victor Uhlig. Mit einem Vorworte von Eduard Sueß. Mit 4 Titelbildern, 250 Textabbildungen, S Karten in Schwarzdruck und 3 Karten in Farliendruck. Wien (F. Tempsky) und Leipzig (G. Freytag) 1903. (Preis 65 Mk.). — Das umfangreiche Werk (11 10 Seiten in gr. 8") ist eine eingehende Geologie t)slerreichs. Es zerfällt in 4 (einzeln käufliche) Teile, nämlich in i. Bau und Bild der Böhmischen Masse (bearbeitet von Franz E. Sueß), 2. der Ostalpen und des Karstgebietes (Diener) , 3. der Karpathen (Uhlig) und 4. der Elonen Österreichs (Hoernes) ; die einzelnen Teile kosten resp. 20, 20, 15 und 10 Mk. Das Werk ist trefflich ausgestattet; die Abbildungen, Karten und Profile klar und anschaulich. Der Altmeister geologischer Forschung, Eduard Sueß , bietet als Vorwort eine Historie der geologi- schen Forschung des so mannigfaltigen Gebietes. Herrn B. in Gr. — Als Hospitant können Sie sich auf der Berliner L'niversität einschreiben lassen und studieren und praktisch arbeiten ; Sie können dann auch die Lniversitäts- bibliothek benutzen. Herrn Dr. S. — Wenn Meerwasser zum Gefrieren ge- bracht wird , so ist das Eis (Meereis) völlig salzfrei, das nur mechanisch eine gewisse Menge von ungefrorenem konzentrier- tem Meerwasser einschließt. Eingehendes finden Sie in Otto Pettersson ,,on the jiroperties of waler and ice*'. Stockholm 1883. Herrn Dr. W. — ÜberdieAnsichtcnderBeziehung von Seele (geistigen Werten) und Körper das Fol- gende: Die naturwissenschaftliche Erfahrung lehrt uns: keine geistigen, seelischen Werke ohne Körper ; sie zeigt , daß die geistigen Eigentümlichkeiten abhängig sind von der Beschaffen- heit, von dem Zustande des Leibes, spezieller eines bestimm- ten, freilich noch nicht genau umgrenzten Teiles des Nerven- systems. Ober die Art dieser Abhängigkeit sind die Meinun- gen verschieden. Es sei nur an die materialistische Ansicht erinnert, nach welcher — nach Karl Vogt's Ausdruck — die Gedanken vom Gehirn ebenso abgesondert werden, wie der Urin von den Nieren, und an die dualistische, die eine be- sondere ,,Seelensubstanz'^ und eine Wechselwirkung zwischen dieser und dem. Körper annimmt. Es lassen sich weder für die ersterwähnte noch für die dualistische Ansicht Tatsachen, naturwissenschaftliche Gründe, beibringen: sie hängen beide in der Luft. Alles, was wir erfahren, ist nur: wenn kr)rper- liche -Änderungen, genauer -\nderungcn im Zentralnervensystem stattfinden, finden auch seelische Änderungen statt. Wir kon- statieren eine Parallelität zwischen den körperlichen und see- lischen Vorgängen, aber keine Wechselwirkung. ,,Die Kausa- lität — sagt R. Avenarius (Der menschliche Weltbegriff. Leipzig 1891, p. 127) — und d. h. hier das Gesetz von der Erhaltung der Energie leitet wohl vom , .Objekt" durch den Äther oder die Luft zu den peripherischen Nervenenden, von diesen die Nervenfaser entlang bis zum Zentralorgan :" in- flessen von da an weiter nur — wieder die Nervenfaser ent- lang — zum Muskel und von dort zum ,, Objekt" zurück oder zu einem anderen Umgebungsbestandteile: aber zum Bewußt- sein leitet es gar nirgends." P. Herrn Oberlehrer W. in Düsseldorf und Herrn J. B. in B. — Monographien zur Geschichte der Naturwissenschaften, /. B. Geschichte der Botanik (Verf. Sachs), der Zoologie, der Geologie (verfaßt vonZittel) etc. sind erschienen in der Sammlung ,, Geschichte der Wissenschaften in Deutschland" (R. Oldenbourg in München). Vgl. Sie auch Dannemann's ,, Grundriß einer Geschichte der Naturwissenschaften" (W. Engclmann in Leipzig), Lippmann 's Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte der Naturwissenschaften, Günther, S., Geschichte der anorganischen Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert, Müller, F. C., Geschichte der organischen Naturwissenschaft im 19. Jahrhundert, 1902, Laßwitz, Ge- schichte der Atomistik vom Mittelalter bis Newton, Kopp, H., Geschichte der Chemie, 1843 — 47. Beiträge zur Geschichte der Chemie, Die Entwicklung i.ler Chemie in neuerer Zeit, 1S73, .Seh orl cmmer, Ursprung und Entwicklung der organischen Chemie, 1889, Sonst ist die Literatur über den Gegenstand äußerst zerstreut, über Chemie hat z. B. auch Ladenburg ,, Vorträge über die Entwicklungsgeschichte der Chemie von Lavoisier bis zur Gegenwart" (Friedr. Vicweg & Sohn in Braunschweig) herausgegeben. Berthelot's Abh. z. Gesch. d. Chemie sind sehr bemerkenswert ; vieles finden Sie auch in A. W. Hofman's Nekrologen (D. ehem. Ges.). Ernst von Meyer hat eine vollständige Geschichte der Chemie geschrieben. Von den vielen vorhandenen einzelnen Vor- trägen und Essays seien nur erwähnt Potonie's Abh.: I. Die Lebewesen im Denken des 19. Jahrhunderts (Ferd. Dümmler in Berlin) und 2. Ein Blick in die Geschichte der botanischen Morphologie (Gustav Fischer in Jena). Ein treff- liches Mittel die wichtigsten Naturforscher und ihre wesent- lichen Taten kennen zu lernen ist das Durchblättern eines guten neuen Konversatious-Lexikons z. B. der 6. Aufl. von Meyer's Großem Konversations-Lcvikon. Auch finden Sie zahlreiche Angaben in dem Sammelwerke ,, Weltall und Menschheit". Inhalt: Dr. Th. Arldt, Zyklen in der Entwicklung. — Kleinere Mitteilungen: Prof. Dr. L. Diels: .Naturdenkmäler in .\uslralien. — Dr. R. Livi: Zur Anthropologie Italiens. — H. Potonie: Die llänije- und Besen- (Moor-) Birice und ;indere Baumarten trockener Standorte mit Parallelen aut Moorböden. — Max Kästner: Die Schneedecke als Veranschaulichungsmittcl einiger geologischer und geographischer Erscheinungen. — llimmelserscheinungen im April 1907. — Vereinswesen. — Bücherbesprechungen: Deutsches Bäderbuch. — Dr. Julius Ivollman: Handatlas der Entwicklungsgeschichte des Menschen. — i) Prof. Dr. Holzmüller: Elementare kosmische Betrachtungen über das Sonnensystem. 2) Dr. J o h. Mooser: Theoretische Kosmogenie des Sonnensystems. — Prof. E. Grimsehl: Experi- mentelle Einlührung der elektromagnetischen Einheiten. — Dr. Hugo Miehe: Die Selbsterhitzung des Heues. — Lineratur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichtcrfelde-Wcst b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche liuchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Waturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neae Folge VI. Band; der ganzen Reihe XXII. Band. Sonntag, den 7. April 1907. Nr. 14. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten , wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate : Die zweigespallene Kolonclzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- bandlung. Über die physiologische und biologische Bedeutung der Kunst. [Nachdruck verboten.] Von Richard Müller | London!. Wenn man von denen absieht, die die Kunst mystisch oder metaphysisch erklären (und man braucht, um solche zu finden, nicht bis auf Hegel und Schelling zurückzugehen), so läßt sich doch aus den meisten Definitionen des Begriffes „Kunst", so verschiedenartig sie im einzelnen auch lauten mögen, ein gemeinsamer Kern herausschälen. F'ast alle stimmen darin überein, daß die durch die Kunst vermittelten seelischen Erlebnisse „interesse- los" sind, daß eine praktische oder theoretische Bedeutung derselben ausgeschlossen ist, daß die Empfindungen, Gefühle, Vorstellungen, welche die Kunst auslöst, um ihrer selber willen da sind. Gegen diese Definition wird man sicherlich nicht einwenden können, daß sie zu eng sei, viel- leicht wird man ihr eher das Gegenteil nachsagen, und ganz sicher kann man alle die verschiedenen Begriffe, die man den ästhetischen zuzählt, wie die des „Schönen", des ,, Häßlichen", des ,, Tragischen", des „Erhabenen", des „.Anmutigen" etc. darin um- spannen. Jenem Einwand, diese Definition, wie sie oben in ihrer allgemeinsten Form ausgesprochen wurde, sei zu weit, werden wir weiter unten zu entgegnen haben, wichtiger ist uns ein anderer Einwurf, der sehr nahe gelegt wird durch obige Fassung, und den wir hier zu betrachten haben. Es könnte nämlich nach der obigen Definition scheinen, als sei Kunst ein bloßer Luxus, etwas Überflüssiges, und in der Tat ist der Kunst ja oft genug dieser V^orwurf gemacht worden. Wie aber kommt es dann, daß es kein einziges Volk gibt, bei welchem nicht Spuren künstlerischer Tätig- keit entdeckt wurden ? Wie kommt es, daß in den höchstentwickelten Völkern oft Männer von un- zweifelhafter, nicht nur spezieller, sondern allge- meiner, höchster Begabung, ein Lionardo, ein Michel- angelo, ein Goethe ihre beste Kraft dieser „Luxus- tätigkeit" zugewandt haben: Wie kommt es, daß die Kunst dann nicht längst von wichtigeren und nützlicheren Tätigkeiten verdrängt ist, daß sie nicht ausgemerzt ist im Kampfe ums Dasein r Diesem Einwand entgegnen heißt die Frage nach dem physiologischen und biologischen Werte der Kunst beantworten. Das nun soll hier versucht werden und schon durch Beantwortung dieser Frage allein, wird uns ein wichtiges Moment zur schärferen F"assung jener oben gegebenen Definition geliefert werden. Indem wir die Kunst als eine Tätigkeit ohne theoretisches oder praktisches Interesse fassen, stellt sie sich uns als eine Spezialform des Spieles dar. Diese .Auffassung der Kunst findet sich zu- 210 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 14 erst bei dem enghschen Ästhetiker Home (1696 bis 1782), wird dann in Deutschland besonders durch Schiller in seinen Briefen über die ästhe- tische Erziehung des Mensclien ausgebaut und er- hält eine streng wissenschaftliche Anwendung bei Herbert Spencer. Es gilt also zugleich die Frage nach der biologischen Bedeutung des Spieles mit- zubeantworten , indeß wir dieselbe Frage bezüg- lich der Kunst behandeln. Die am weitesten verbreitete Ansicht hierüber und sicherlich diejenige, die an erster Stelle zu berücksichtigen ist, wäre die, welche die Bedeutung des Spieles in der Entladung überschüssiger Kräfte sieht. Eine genauere Ausführung dieser Theorie gibt Herbert Spencer.') Bei den niederen Tierarten, so führt er aus, werden alle Kräfte in solchen Tätigkeiten ver- braucht, die zur Erhaltung ihres Daseins dienen. Bei den liöhcren Tierarten ist das nicht mehr der Fall, hier werden Zeit und Kraft nicht mehr aus- schließlich für die Besorgung der unmittelbarsten Bedürfnisse verbraucht, sondern es bleibt ein Über- fluß an Lebenskraft. Auch haben sich bei den höheren Tierarten die Tätigkeiten derartig diffe- renziert, die Organe sind so mannigfaltig geworden, daß unmöglich alle zu gleicher Zeit in Tätigkeit treten können. Es werden nun je nach den Um- ständen bald diese, bald jene in Tätigkeit gesetzt, während einige derselben gelegentlich längere Zeit in Untätigkeit bleiben. So kommt es, daß uns bei höher entwickelten Geschöpfen häufig eine Lebenskraft entgegentritt, die bedeutend über die unmittelbaren Bedürfnisse hinausreicht. Diese über- flüssigen Kräfte zu entladen, darin beruht die Be- deutung des Spieles. Diese Theorie hat ganz entschieden ihre hohe Bedeutung und die meisten Spiele, besonders fast alle Jugendspiele werden unter diese Kategorie fallen. Trotzdem reicht sie entschieden nicht für alle F'älle aus. Es werden sich im Gegenteil viele Tatsachen finden, die jener Kraftüberflußtheorie direkt zu widersprechen scheinen. Zwar das Beispiel des Gelehrten, der am Tage am Schreibüsch sich müde gearbeitet hat und nun abends zum Kegelspiele geht, braucht der Spencer'schen Theorie nicht zu widersprechen. Denn hier ist der Verbrauch der Kräfte doch nur ein einseitiger, nur die im Ge- hirn angesammelte Energie ist entladen, nicht aber die der Bewegungsorgane. Dieses Beispiel darf also nicht für jene Theorie von der „aktiven Er- holung" angeführt werden, die von Lazarus auf- gestellt worden ist. Dennoch kann man eine „aktive Erholung" sehr wohl als eine andere Bedeutung des Spieles anerkennen, nur muß man diese „aktive Erholung" etwas anders fassen als Lazarus -) und Groos '■^) es tun. Nicht als eine Erholung von Ermüdung, son- dern als eine Neuholung von Kräften, wenn in einem Organe infolge von Nichtgebrauch die Er- nährung stockt. Denn wenn ein Organ längere Zeit nicht gebraucht wird, so bleibt die weitere Ernährung desselben aus, es beginnt zu degene- rieren. Dem nun kann das Spiel abhelfen, es er- möglicht eine Verwendung der Organe, die in der Praxis nicht stattfindet und reguliert so die Er- nährung nicht nur durch Zersetzung überflüssiger Kräfte, sondern auch durch Reizung der Nahrungs- zufuhr. Man mag also immerhin von „aktiver Er- holung" sprechen. Diese zweifache Bedeutung des Spieles, einmal als Entladung überschüssiger ') Kräfte, andererseits als Anreiz für die Zufuhr neuer Energie, wird noch klarer werden, wenn wir weiter in das Physio- logische vordringen, was Spencer für seine Lehre von der „owerflowing energy" wenigstens getan hat. Das Leben aller organischen Substanz besteht in Zersetzung und Wiederaufbau der sie bildenden Stoffe. Die Zersetzung der chemischen Energie erfolgt durch den Reiz und die Reaktion darauf, der Wiederaufbau durch Zufuhr neuer Nahrungs- stoffe. Soll die Zelle, oder das Gewebe oder Organ im gesunden Zustand erhalten werden, so müssen Verbrauch und Elrsatz von Energie sich die Wage halten. Es muß also dem durch Reizung und Reaktion darauf veranlaßten Verbrauch, die nötige Menge neuer Nahrungszufuhr entsprechen, anderer- seits ist aber auch nötig, daß der in der Zelle auf- gehäufte Nahrungsstoff verbraucht wird, damit der Stoffwechsel, worin nun einmal das Leben der Zelle besteht , nicht stocke. Es muß also die Assimilation, d. h. die Ernährung, der Dissimi- lation, dem Verbrauch, die Wage halten und um- gekehrt; nur so allein ist es möglich, daß ein Ge- webe oder Organ im gesunden und leistungsfähigen Zustand bleibt. Nun ist es aber leicht einzusehen, daß bei so hochentwickelten Organismen, wie beim Menschen, unmöglich alle Organe in gleicher Weise betätigt werden können. Es können Fälle eintreten, wo sogar diejenigen Organe, die er gewohnt ist zu gebrauchen, zur Untätigkeit verurteilt sind. Oder aber sein Beruf schließt einige oder viele Organe ganz von der Übung aus. Würden nun diese Or- gane niemals gereizt, so würden sie rettungslos der Degeneration entgegen gehen, denn mit dauernd ausbleibender Reizung würde auch die Assimilation stocken. Hier nun schafft der Organismus sich selber Abhilfe. Es tritt, wenn die Reizung und damit der Verbrauch der angesammelten Kräfte oder die Zufuhr neuer ausbleibt, jener Unruhe- zustand ein, den jeder kennt, der einmal aus seiner gewohnten Tätigkeit plötzlich herausgerissen wurde. ') H. Spencer, Principlcs of l'sychology. 111. Edition. London 1890. l?d. II. Pag. 627 ff. ^) M. Lazarus, Über die Reize des Spieles. Beri. 1883. S. 48 ff. ') K. Groos, „Spiele der Tiere". Jena 1896. S. I4f. „Spiele der Mensi-lien". Jena 1 Soy. S. 471. [In allem übrigen, was Spiele anbelangt, sind jedoch die Groos'schen Bücher als das Beste und Reichhaltigste anzusehen , was darüber ge- schrieben ist.) ') Vorzuziehen wäre vielleicht noch der AusdrucU ,,u n - verbrauchte Knergie", den Wallace vorschlägt. N. F. VI. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 21 1 Das der Reizung L;c\vöhnte Organ drängt zur Be- tätigung. Hier nun tritt das Spiel ein. Es ermöglicht die Betätigung von Organen, die aus irgend welchem tirunde von ihrer normalen Arbeit ausgeschlossen sind, und macht so die für das Bestehen derselben nötige Dissimilation möglich. Das Spiel gibt solche trophischen Reize') her, die den Stoffwechsel der Gewebe regeln und damit den ganzen Lebens- prozeß im Gange erhalten. So hätten wir also eine physiologische Basie- rung für jene oben angeführten zweifachen Wir- kungen des Spieles gefunden. Im Grunde sind aber beide Wirkungen, die der Zersetzung ange- sammelter und die der Herbeiführung neuer Nahrung, identisch, beide sind eine Ermöglichung und Regulierung des Stoffwechsels, einmal durch Dissimilation, das andere Mal durch die Herbei- führung der Assimilation. Was von dem Spiel im allgemeinen gilt, gilt natürlich auch von der Kunst, die ja nur eine Spezialform von jenem ist. Es sind hier nur be- stimmte Teile des Zentralnervensystems, die in Tätigkeit treten, deren Aussonderung uns später beschäftigen wird. Es gilt vorerst noch einem anderen Einwurf zu begegnen. Es wird wohl Bedenken erregen, weniger beim Naturforscher als beim Philosophen, wenn solche „psychologischen" Phänomene, wie die ästhetischen, so „physiologisch" erklärt werden sollen. Mancher, der vielleicht zugibt, daß Kunst eine Spezialform des S[)ieles sei, und der auch vielleicht gegen jene physiologische Theorie für manche Arten des Spieles, z. H. die Bewegungsspiele, nichts einwenden wird, möchte sich weigern, dasselbe für die Kunst anzuerkennen. Es ist natürlich unmöglich hier einen Gegner zu überzeugen, der jener Theorie, mit der wir hier arbeiten, dem psychologischen Parallelis- mus, entgegenstrebt. Das einzige, was ich zu tun beabsichtige, ist, zur Stützung der obigen Theorie über die Be- deutung des Spieles, besonders aber der Kunst, eine Lehre heranzuziehen, die gerade von einem Philosophen aufgestellt worden ist und mehr und mehr an Boden zu gewinnen scheint. Es ist das die Lehre von den sogenannten V'ital- reihen, die von Richard Avenarius aufgestellt worden ist. Es kommt uns natürlich nicht darauf an, im einzelnen diese Lehre zu entwickeln, nur ihren Grundgedanken, den wir hier brauchen, gilt es hervorzuheben. Genaueres darüber findet man in dem Hauptwerke des genannten Denkers, seiner , .Kritik der reinen Erfahrung", die aber nicht leicht lesbar ist und vielleicht infolge dieses Umstandes noch immer nicht die Bedeutung gewonnen hat, die sie verdiente.') Nach Avenarius nun lassen sich alle geistigen Vorgänge, so kompliziert sie auch sein mögen, auf ein ganz einfaches Schema zurückführen. Alle psychischen \'orgänge nämlich kann man nach Avenarius als Komponenten physiologischer Vor- gänge im Gehirn denken, die sich immer als eine mehrgliedrige Reihe darstellen, deren erstes Glied eine Bedrohung oder Störung des Gehirns oder eines Teilsystems desselben ist, deren zweites Glied die Reaktion darauf, ein Anpassen und Aus- gleichen jener Störung ist. und deren Endglied die Rückkehr in einen Zustand der Ruhe bedeutet. Da es sich in diesen physischen Reihen um das Leben selbst oder doch um vitale Interessen eines nervösen Gebildes handelt, so nennt sie Avenarius V i t a 1 r e i h e n. Die Durchführung und Anwendung dieser Theorie auf die einzelnen Tatsachen können wir hier nicht bringen, dafür müssen wir auf Avenarius selber und Petzold verweisen.^) Für uns genügt es zu wissen, daß der Versuch und zwar der geglückte Versuch gemacht ist, alle seelischen V^orgänge als Störungen des Zentralnervensystems oder eines Teilsystems desselben zu begreifen. Eine solche Störung nennt .\venarius eine Vital - differenz. Alles geistige Leben stellt sich als Hebung solcher Vitaldifferenzen dar. Diese Lehre von den Vitalreihen hat Avenarius dann noch weiter phj'siologisch zu stützen unter- nommen. Eine Vitaldifferenz ist nämlich nichts anderes als der Größenunterschied der P>regungcn, in die ein zentrales Teilsystem durch Einwirkung von Reiz und Ernährung versetzt wird. Sie ist die Differenz, die in einem nervösen Teilsystem zwischen den beiden entgegengesetzten \^orgängen der Assimilation und der Dissimilation besteht. Diese Differenzen und ihre Hebungen aber müssen in jedem Teilsystem vor sich gehen, wenn dieses nicht degenerieren soll, da nur durch Tätigkeit sich organische Gebilde erhalten. Wir sehen also, daß hier der Versuch unter- nommen ist, auch die psychischen Vorgänge als Begleiterscheinungen solcher physischer Vorgänge darzustellen, wie wir sie oben als Tätigkeit aller organischen Substanz angenommen haben. Hier- nach dürfen wir auch die psychischen Phänomene, also auch die Kunst, jener oben gegebenen physio- logischen Erklärung unterordnen. Avenarius selber hat diese Anwendung seiner Lehre auf das ästhe- tische Gebiet nicht vorgenommen. Seine Arbeiten bewegen sich fast ausschließlich auf erkenntnis- theoretischem Gebiete. In seiner Sprache also würden wir die Frage nach der Bedeutung der Kunst so beantworten, daß wir sagen , sie hat die Aufgabe , dem ein- seitig betätigten Gehirne solche \'italdifferenzen zu setzen, die für die Erhaltung des Gesamt- systems notwendig sind.-') Und allgemein ge- ') Vgl. Verworn, .-Mlgem. Physioloi;ic. II. Aull. Jciui 1S97. S. 3561". ■-) Eine vortrelTliche Entwicklung der Avennrius'sclien Philosopliic niil wichtigen Erweiterungen hat |. I'ctzuldt geschrieben ,, Einführung in die Philosophie der reinen Er- fahrung". 2 Lid. L. i()Oi u. 1904. '1 ICritik der reinen Ertahrung. lies. II., S. 2271. und passim Petzold, a. a. O. 92 ft'. -) Es versteht sich damit von selbst, daß diese Vital- diflercnzcn nicht allzu stark sein dürfen, sonst verfehlen sie ihren Zweck, und wirken nur als unangenehme Störungen. 212 Xaturvvissenscliaftliclie Wochcnsclirift. N. F. VI. Nr. 14 sprochcii würde das heißen, Spiel und Kunst haben die Aufgabe eine harmonische Betätigung aller unserer Organe, und damit die Harmonie unseres ganzen Wesens herbeizuführen, oder wie Schiller sagen würde, die „Totalität unserer Natur" zu er- halten. Bevor wir jedoch weitergehen, gilt es noch zwei Fragen zu beantworten, die bisher nur be- rührt wurden. Einmal ist bis jetzt immer von Kunst im allgemeinen die Rede gewesen und nie- mals ist ein Unterschied zwischen Kunstproduktion und Kunstgenuß gemacht worden. In der Tat war es nicht nötig; denn wenn wir auch in erster Linie die rezeptive Kunstbetätigung im Auge hatten, so fällt doch auch das Kunstschaffen unter den Begriff der „Entladung" wenn auch nicht gerade überschüssiger Nahrungsstofife, so doch von meistens durch Affekte erzeugten inneren Spannungen. Ursprünglich waren ja Kunstproduzent und Publi- kum eine Person. ,,A11 poetry is of the nature of soliloi|uy" sagt J. St. Mill. Der Hirt, der in der Einsamkeit ein Lied bläst, der Wilde, der tanzt, wenn ein Aft'ekt ihn bewegt, sie tun das in erster Linie für sich. Die Poesie der Jägervölker trägt einen durchaus egoistischen Charakter, Beispiele einer sympathetischen Lyrik fehlen fast ganz.M Bei den Australiern und anderen primitiven Völ- kern ist jeder nicht nur sein eigener Bäcker und Schreiner, sondern auch sein eigener Dichter und Komponist. Erst später tritt die Arbeitsteilung auch hier ein, so daß die Lieder besonders be- gabter Individuen von anderen übernommen werden. Andererseits ist ja natürlich das /aufnehmen von Kunstwerken nichts Passives, sondern Tätig- keit, ein Nachschaffen. Wir dürfen also durchaus sowohl Kunstproduktion , wie Kunstgenuß unter den Begriff der ,, spielerischen", d. h. auf einen äußeren Zweck nicht abzielenden Tätigkeiten subsummieren. Die zweite hier kurz zu berührende Frage wäre der Unterschied von Spiel und Kunst: der Grund, wieso wir dazu kommen, einen Teil der Spiele so besonders hervorzuheben. Der zunächst in die Augen fallende Punkt ist der, daß Kunstwirkung stets durch die beiden ,, höheren Sinne", Gesicht und Gehör, vermittelt wird. Alle X'ersuche, die anderen Sinne wie Ge- ruch und Geschmack künstlerisch zu verwenden, sind unmöglich gewesen.-) Das liegt an mehreren Gründen, die wir kurz berühren wollen. Einmal nämlich sind die Objekte des Gesichts Sind sie zu stark, so urteilt man, ein Kunstwerk sei , .unver- ständlich" oder ähnlich, sind die Vitalreihen allzu abgebraucht, so daß keine wirkliche Vitiüdififerenz gesetzt wird, so erscheint ein KunstA'crk ,, abgeschmackt", ,,rade". Es müssen also Vital- reihen ablauten, die eine Mitte zwischen allzu grufler Leichtig- keit und allzu groUer Schwierigkeit ciidialten, was natiirlicli individuell verschieden ist. ') Vgl. Große, Anfänge der Kunst. 234»'. -) J. Huysmans in seinem Koraane ,,A Rcbuurs" schil- dert, wie sein Held, der Graf Des Esseintes, sich Symphonien von Schnäpsen und Partums zu schaffen sucht. — .'\uch sonst, bei Baudelaire, M'antegazza und anderen tauchen ähnliche Ideen auf. und Gehörs unendlich viel zahlreicher und maiuiig- faltiger als die der anderen Sinne. Das Auge umfaßt die ganze Welt der Erscheinungen mit ihrer unendlichen Fülle von Farben und F"ormen. P'ürs Gehör kommt zwar nur ein Teil der akusti- schen Reize als Kunstwirkung in Betracht. Aber innerhalb dieses Teils, der Klänge, welcher Reich- tum der Sprachlaute gegenüber den Geruchs- und Geschmacksempfindungen , oder gar der Druck- und Temperaturempfindungen. Ein weiterer Punkt, der Auge und Ohr von den anderen Sinnen trennt, ist der, daß bei diesen beiden die Gefühlsbetonung nicht so stark ist als bei den anderen. Dadurch ist eine viel größere Freiheit und Beweglichkeit gegeben und die Möglichkeit des Abstumpfens nicht so groß wie bei den ,, niederen Sinnen". Ferner ist bei Geschmacks- und Geruchsempfin- dungen kein Nebeneinander der Empfindungen möglich, immer verdrängt eine die andere voll- ständig, so daß es nicht möglich ist, mehrere zu einem Ganzen zusammenzufassen, wodurch allein eine Form möglich ist, die das für die Kunst wesentliche Moment abgibt. Und viertens kommt die bedeutend leichtere Verbindung der ,, höheren Sinne" mit der Welt der Vorstellungen und den (iefühlen zweiten und dritten Grades hinzu, die gerade diese Formen des Spieles uns als eine der edelsten und erhabensten Tätigkeit des Menschen erscheinen lassen. Eine scharfe Trennung zwischen Spiel und Kunst durchzuführen, ist wohl überhaupt nicht möglich, und wenn man eine solche zustande brächte, so stimmte sie sicher nicht mit den Tatsaciien, denn im Leben gibt es eben nur allmähliche Übergänge; und in der Tat finden wir eine Menge Erschei- nungen, die wir ebensogut Spiel wie Kunst nennen können, (jroos hat als „Hörspiele" und auch für die Gesichtsempfindungen vieles derartige in seinen „Spielen der Menschen" behandelt. Es mögen für unsern Zweck die oben angeführten Punkte ge- nügen. Wesentlich, damit ein Spiel als Kunst be- zeichnet werde, ist in den meisten Fällen auch die Fixierung, oder wenigstens die Möglichkeit tlazu, im Kunst w e r k e. Wir gehen nun zu einem weiteren Punkte unserer L'ntersuchung über, nachdem wir die innerindivi- duellen Wirkungen der Kunst betrachtet haben, und suchen noch kurz die Werte zu berühren, die die Kunst für das Individuum in seinem Verhalten zur Umgebung hat. Indem das Spiel dem Tätigkeitstriebe der Organe, das heißt den ererbten Instinkten, Be- friedigung schafft, übt es zugleich die Organe vor für eine Verwendung im Ernstfälle und stärkt sie, wie jedes Organ oder Gewebe durch Übung ge- stärkt wird. Das Spiel dient also nicht nur der Gesunderhaltung des Körpers, es übt und stärkt ihn auch und macht ihn so befähigter für den Kampf ums Dasein. Besonders alle Nachahmimgs- Sjiiele, Kampfspiele etc. gehören hierher, aber auch andere, wo es auf Schärfung des Blickes und der .Aufmerksamkeit ankommt. N. F. VI. Nr. 14 Naturwissenschaftliche VVochen.schrift. 213 Diese Bedeutung als Einübung von Tätigkeiten, die im Kampf ums Dasein von Nutzen sein können, jcommt auch der Kunst zu, obwohl hier die Ver- liältnisse nicht überall so klar liegen. Der Tanz übt, indem er den zur Entladung drängenden Energiemengen zum Verbrauche ver- hilft, zugleich Geschmeidigkeit und Gewandtheit der Glieder. Zeichnen , Malen , plastische Dar- stellung übt die Beobachtung und ebenso wird diese geübt durch Betrachtung solcher Kunstwerke. Die Musik vermittelt eine Menge von Stimmungen und Gefühlen , spielt so die Gehirnzentren auf eine Fülle von Gefühlserlebnissen und Nuancen ein, die das tägliche Leben nicht bietet, und er- weitert so die seelischen Möglichkeiten. Und noch deutlicher tritt das bei der Dichtkunst hervor. Wer die Geschichte der Künste verfolgt im Zu- sammenhang mit der Kulturentwicklung, der weiß, wie durch die Kunst oft völüg neue Gebiete der Welt dem Gefühlsleben des Menschen erschlossen wurden. So läßt sich historisch nachweisen, daß gewisse Gefühle erst durch die Kunst, wenn auch nicht geschaffen, so doch ausgelöst wurden. So läßt sich die Entwicklung des Naturgefühls und seine Verfeinerung nur dadurch erklären, daß man die Kunst, bildende wie Dichtkunst, in erster Linie heranzieht. L^nd vielleicht ist es mehr als ein bloßes Paradoxon, wenn man jene bekannte Dar- win'sche Theorie,') daß Kunst eine Wirkung des Sexualtriebes sei, in der Weise umkehrt, daß man sagt, die Liebe in ihren verfeinerten P^ormen, wie wir sie bei höherer Kultur finden, sei eine Wir- kung der Kunst. Wir haben es also in der Kunst mit einer formalen Übung des Gehirnes zu tun, im Ge- gensatz zu der inhaltlichen Bereicherung, wie sie '1 Wir haben diese Darwin'sche Theorie, die die Ton- liunst und die Dichtkunst mit ihren musikalischen Elementen mit der geschlechtlichen .\uslese in Beziehung setzt, so an- regend sie in vieler Beziehung gewirkt hat, doch nicht weiter berührt, da sie wiederholt scharf kritisiert worden ist (neuer- dings wieder durch Groos: Die Anfänge der Kunst und die Theorie Darwin's, ein Vortrag, Sonderabdr. a. d. hess. Blättern für \'olkskunde, III, 2 u. 3), und auch jedenfalls zu einseitig ist. DaU Musik und Dichtung häufig der Liebeswerbung ii\ alter und neuer Zeit gedient haben, ist klar, doch darf man darin weder die einzige, noch die wichtigste Bedeutung derselben sehen. die Wissenschaft gibt. Daß ja auch allerlei be- lehrende und ethische Wirkungen von der Kunst ausgehen , ist klar. Aber sie sind nur etwas Zufälliges. Werden sie zur Hauptsache, so spre- chen wir von Tendenz und schätzen solche Werke künstlerisch nicht sehr hoch ein. Für ästhetische Werte kommt nur die Form in Betracht, d. h. die Wirkung auf die Sinne, nicht der Wahrheitsgehalt, die ethische Bedeutung oder Ähnliches. Nur so- weit Sinneseindrücke bloß um ihrer selbst willen, d. h. der Wirkung willen, die sie auf die Gehirn- zentren ausüben , gesucht werden , sprechen wir von ästhetischer Wirkung. Das Lustgefühl ist dabei etwas sekundäres, bloß das Anzeichen, daß die Empfindungen, Vorstellungen etc. dem Gehirn zuträglich sind. Es ist also ein logischer Fehler, wenn man sagt, die Kunst habe es mit der Er- weckung von Gefühlen zu tun. Die Empfin- dungen und Vorstellungen sind das Wesentliche, die Gefühle erst Abhängige davon. Denn das Wesen alles ästhetischen Genießens besteht darin, daß bestimmte Gehirnzentren in eine Tätigkeit ver- setzt werden, die ihrem Bestehen, d. h. dem regelmäßigen Wechsel von Assi- milation und Dissimilation, günstig ist. Diese Tätigkeiten der Zentren sind dann von jenen Lustgefühlen begleitet, die wir ästhetische nennen. In letzteren aber das Wesen der Kunst zu sehen , wäre ebenso verkehrt , als wenn man das Wesen und die Bedeutung der Nahrungs- aufnahme in den sie begleitenden Lustgefühlen sehen wollte. Daß im heutigen Leben die Kunst nicht immer mehr diesen Zwecken dient, sondern einen viel größeren Raum einnimmt und selbst „Arbeit" geworden ist, hat seinen Grund in einer auch sonst weitverbreiteten Erscheinung, einer Gefühls- verschie bu n g. Dasjenige, was erst nur Mittel war, um einen lustvollen Zweck zu erreichen, wird selber lustbetont, auch wenn jener Zweck wegfällt. Wie der Geizige das Geld, das erst nur Mittel war, nun selber liebt, so wird auch heute die Kunst im weiten Umfange als solche lustvoll emp- funden, auch wenn sie ihren ursprünglichen Zweck, die Zersetzung überschüssiger Kraft, gar nicht mehr erfüllt, sondern nur neue Kraft verbraucht. Kleinere Mitteilungen. Zur Naturgeschichte des Maulwurfs. — Auf S. 142 dieses Jahrganges gibt Herr Prof. Dr. Fried r. Dahl eine Übersicht über die Arbeiten verschiedener Forscher, die sich auf die Wohnung des Maulwurfs beziehen. Er führt dort, gestützt auf seine eigenen Untersuchungen und die Ros- sinsky's, den Nachweis, daß die traditionelle Angabe, alle Maulwurfsbauten seien nach einem bestimmten Schema gebaut, insbesondere mit zwei kreisförmigen Gängen übereinander versehen, wohl in keinem einzigen h'allc zutrifft. Es sei mir gestattet, hier noch kurz über die wichtige Arbeit') eines englischen Forschers, L. E. Adams, zu berichten. Adams fand von rund 300 Bauten, die er selbst aufgegraben und an Ort und Stelle aufgezeichnet hat, nicht zwei einander völlig gleich und nicht einen einzigen in t^ber- einstimmung mit der traditionellen Zeichnung. Nur bei sumpfigem Boden und auf Überschwemmungs- gebiet lag das Nest in einem Hügel über der Erde (wie Dahl dies auf feuchten Wiesen fand) ; in allen ') Memoirs and Troceedings of the .Manchester Literary and l'hiUisophical .Society 1902/3, vol. 47, j>t. 11, p. I. 214 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. M. F. VI. Nr. 14 anderen I'"ällen lag es 2 — 6 Zoll unter der Über- fläche. Vom Nest führt ein kürzerer oder längerer, oft schraubig gewundener Gang aufwärts, durch den der Maulwurf die ausgegrabene Erde nach oben schafft. In komplizierten Fällen schraubt sich der Gang in mehreren Windungen hinauf, so daß er sehr selten einmal etwas an die Blasius- sche Zeichnung erinnern kann. Nicht selten gehen auch von den aus dem Bau hinausführenden Lauf- röhren Gänge nach oben, ebenfalls zum Hinaus- schaffen der Erde bestimmt; sie durchsetzen den I lügcl und, wenn sich der Bau in diesem befindet, auch ihn; so kommen recht verwickelte Bilder zu- stande. Ferner laufen vom Neste aus eine wech- selnde Anzahl Röhren zur Außenwelt. Sicher ge- stellt erscheint jetzt, daß bei der Bauweise sehr viele individuelle Verschiedenheiten herrschen. Ebenso steht es mit dem Nestpolster, zu dem Gras oder trockene Blätter oder gemischtes Material benutzt werden. Männchen und Weibchen haben bekanntlich getrennte Baue. Bei den Männchen besitzt das Nest gewöhnlich außer den übrigen Ausgängen eine an seinem Boden beginnende Lauf- röhre; diese fehlte nur bei wenigen Nestern auf sumpfigem Boden, wo sie ins Wasser geführt haben würde. Die Baue der Weibchen sind einfacher und meist ohne Laufröhre angelegt. — Manchmal liegen mehrere Nester dicht beieinander, gewöhn- lich eins unmittelbar über dem andern ; nur das obere ist dann bewohnt; wahrscheinlich rühren solche Nester von demselben Maulwurfe her. Auch über die Fortpflanzung der Maulwürfe verdanken wir Adams interessante Angaben. Schon Geoffroy St. Hilaire hatte darauf hingewiesen, daß jungfräuliche weibliche Maulwürfe in ihren äußeren Geschlechtsorganen eine täuschende Ähn- lichkeit mit den Männchen zeigen; die Scheide ist nämlich völlig von der Körperhaut bedeckt und die vorstehende Clitoris ist von der Harnröhre durchbohrt, so daß sie einem Penis ähnelt. Diese Feststellung war jedoch der Vergessenheit anheim- gefallen; spätere Forscher ließen sich täuschen und kamen so zu dem Glauben von einem Überwiegen der Männchen. Während aber Geoffroy St. Hilaire annahm, daß die Scheide bei der ersten Begattung durch einen Penisknochen geöfthet werde, stellte Adams fest, daß überhaupt kein Penisknochen vor- handen ist (sondern nur ein 2",^ mm langer bieg- samer Knorpel) und die Öffnung Anfang März ganz von selbst durch einen leichten Entzündungs- prozeß zustande kommt; doch sind, wie der ana- tomische Befund lehrte, schon vorher .Scheide und Fruchtbehälter stark entwickelt. Die Generations- organe beider Geschlechter erreichen den Höhe- punkt ihrer Entwicklung gegen Ende März — die Begattung wurde nicht beobachtet — und nehmen später an Größe wieder ab. Adams schließt hier- aus, daß nur ein Wurf jährlich stattfindet. Die Trächtigkeitsdauer schätzt er auf 4 — 6 Wochen; er sah die ersten Jungen Mitte Ai)ril, die letzten, fast entwickelten Ende Juni; für zwei Würfe er- scheint diese Zeit zu knapp. Die Durchschnitts- zahl der Jungen stellt sich auf 3,5; der zahlreiclistc Wurf betrug 7 (nach Blasius 8). Über den Maulwurf als Tagtier liegen ver- schiedene neue Beobachtungen vor. In der Regel bekommt man den Maulwurf nur dann zu Gesicht, wenn ihn Überschwemmungen, Erdarbeiten oder starke Erschütterungen des Bodens hervorjagen. Hermann Löns beschreibt') nun einen Maul- wurf, den er am 7. August 1906 in der Umgegend Hannovers anhaltend oberirdisch jagen sah. „Dicht neben dem Wege erschien ein ungefähr halb- wüchsiger Maulwurf, ließ sich in die tiefe Wagen- spur des Weges fallen und suchte dort eifrig nach Beute, nach der er ganz nach der Art des Dachses stach, indem er trockene Blätter, Moosrasen und die Knöterichpolster mit der Nase umdrehte oder mit den Vorderpfoten zerriß .... Zuerst suchte er das linke Wagengeleise ab; alle Augenblicke faßte er mit den Pfoten oder dem Maule zu und verzehrte hastig das Beutetier. Erstaunlich war die Sicherheit, mit der er in der Erde verborgenes Gewürm whterte. In solchen Fällen scharrte er schnell eine Vertiefung und legte die Beute bloß." Nach etwa halbstündiger Jagd wurde er durch ein herannahendes Automobil veranlaßt, ein Loch an- zunehmen. Auch ich hatte in den letzten Jahren zweimal Gelegenheit, den Maulwurf am hellen Tage im P>eien jagen zu sehen, und zwar auf einem Land- wege bei Münster i. W., der infolge einer Ver- kehrsverschiebung durch den Dortmund-Emskanal nur wenig, oft stundenlang nicht, benutzt wird. So lange wie Löns konnte ich freilich dem Mull nicht zuschauen ; einmal wurde er nach einigen Minuten durch einen vorbeikommenden Bauern ver- scheucht, das andere Mal verschwand er nach etwa 10 Minuten von selbst im Gestrüpp am Wege. Diesen Beobachtungen hatte ich bislang wenig Wert beigelegt, weil ich schon als Junge auf meinen Streifzügen den Maulwurf gelegentlich im Freien umherlaufen gesehen hatte. Da aber ein so vielerfahrcner Feldbeobachter wie Löns das oberirdische Jagen des Maulwurfs für eine Selten- heit hält, dürften auch meine Beobachtungen er- wähnenswert sein. — Hinzufügen möchte ich, daß man, wie mir auch von anderer Seite bestätigt wurde, junge Maulwürfe öfter an der Oberfläche sieht als erwachsene. Sehr erstaunt war ich, als ich im vergangenen Winter einen Maulwurf bei Schnee und Eis im l'Veien umherlaufen sah. Ich stand am 7. Februar 1907 gegen 5',,, Uhr nachmittags bei — 3" C auf einem Feldwege an einer Hecke, um dem Treiben eines Zaunkönigs im Dornbusch zuzuschauen. Plötz- lich vernahm ich am Boden ein Rascheln, und bald kam aus dem welken Grase ein Maulwurf hervorgekrochen; er passierte langsam den schnee- bedeckten, etwa 2 m breiten Weg und machte dabei unterwegs, während er mir den Rücken zu- kehrte, längeren Halt, augenscheinlich, um auf der ') Zoolog. ]!eul);iclitei- Jld. XLVU 1 1906';, S. 336. N. F. VI. Nr. 14 Naturwisscnscliaftlichc VVochciiscIirift. -15 Uiiteiscilc seinen Vch in Ordnung /.u bringen; sodann verschwand er an der gegenüberliegenden Hecke im Gewirr des langen Grases. Dr. H. Reeker, Münster i. W. Über eine neue Art der Embryobildung bei phanerogamen Pflanzen macht O. Rosen- berg im 3. Heft der „Berichte d. d. botan. Ge- sellsch." Bd. XXIV, 1906, Mitteilung. — Durch Ostenfeld war auf experimentellem Wege fest- gestellt worden, daß gewisse Arten der Gattung llieraciiim keimfähige Samen hervorbringen können sowohl nach vorangegangener Bestäubung mit dem Pollen einer anderen Art (Bastardbildung), als auch ohne Befruchtung, also auf parthenogene- tischem Wege. Eine cytologische Untersuchung dieser Verhältnisse schien daher wünschenswert und förderte auch interessante Resultate zutage. Als Untersuchungsobjekte wurden neben verschie- denen anderen Arten H. ßagcllarc und H. ex- cfl/eus gewählt. Der Bau der Samenanlage ent- spricht dem der Kompositen und der Sympetalen überhaupt; unter der Nucellusepidermis findet sich eine einzige Archesporzelle , welche meist eine normale Tetradenteilung erfährt , wobei die reduzierte Cbromosomenzahl 21 bei H. flagel- larc und ca. 14 bei //. excellens auftritt. In sel- tenen Fällen findet nur eine einmalige Teilung der Archesporzelle statt, bei welcher, nacli gewissen Kernteilungsbildern zu schließen, wahrscheinlich keine Chromosomenreduktion erfolgt. Gleichzeitig mit der Teilung der Archespor- zelle beginnt eine weitere Nucelluszelle sich zu vergrößern, stark embryonalen Charakter anzu- nehmen und zu einem embryosackähnlichen Ge- bilde heranzuwachsen, das die Tetradenzellen als- bald zerdrückt. Sein Kern teilt sich in 2, 4, 8 Kerne, von denen je 3 zur Bildung des Eiapparates und der Antipoden verwendet werden , indes die zwei freibleibenden als Polkerne gegeneinander wandern, um später zu verschmelzen. Es entsteht also ein typischer Embryosack, der sich von einem normalen nur dadurch unterscheidet, daß er nicht aus einer die Spitze des Nucellushöckers einneh- menden subepidermalen Zelle, sondern aus einer basal oder noch tiefer in der Chalaza gelegenen hervorgegangen ist. Die Eizelle bildet später ohne Befruchtung einen Embryo. Rosenberg faßt dieses bis jetzt einzig in seiner Art dastehende Beispiel von Embryobildung bei Phanerogamen als Aposporie auf, bei wel- cher „eine Zelle außerlialb des Sporangiums" und „ohne Vermittlung von Sporen zu einem Gamo- phyt (Embryosack) heranwächst". Die meisten Embr)-osäcke von H. flagcUarc und auch viele von H. excellens sind solche aposporische und weisen, da aus vegetativen Zellen hervorgegangen, die unreduzierte Chromosomenzahl auf Selten entwickelt sich ein Embryosack auf dem normalen Wege und hat alsdann reduzierte Chromosomen- zahl. In diesem knalle muß Befruchtung stattfinden. damit die luzelle sich weiter entwickeln kann. Zusammenfassend hätten wir also bei Hieraciuin folgende drei Arten der Embryobildung zu unter- scheiden: i) Embryobildung auf normalem Wege aus der Archesporzelle mit reduzierter Chromosomenzahl, 2) auf apogamem Wege aus der Archesporzelle ohne Reduktion der Chromosomenzahl und 3j auf aposporem Wege aus einer vegetativen Zelle ebenfalls ohne Re- duktion der Chromosomenzahl. Ed. Schmid. Pteridospermeaer — Seit einigen Jahren bilden die Ptcridospenueae ein Hauptinteresse nicht nur in der Paläobotanik, sondern auch in der rezenten Botanik. Es scheint daher angebracht, einmal die Gründe für die Aufstellung dieser neuen Gru|ipe näher zu betrachten und auf ihre Berechtigung zu prüfen. Bei der L'ntersuchung des Samens Lagenostoina Loinaxi fielen Oliver und Scott an der äußeren Hülle drüsenartige Anhangsbildungen auf, wie sie auch an den Stamm- -und Blattstielresten von Lyginopteris oldhamia beobachtet worden sind. Da beide Fossile vielfach vergesellschaftet in den Dolomitknollen der Karbonablagerungen vor- kommen und andere Stamm- oder Stengelreste mit solchen Anhangsbildungen aus den gleichen Schichten bisher nicht bekannt geworden sind, su kommen die genannten Forscher zu dem Schluß, daß beide Fossile ein und derselben Pflanze an- gehören. Unterstützt erscheint diese Ansicht durch den übereinstimmenden Bau der den Samen und seine Hülle durchziehenden Leitbündel mit dem der Leitbündel in den feineren Blattstielendigungen und Laminae, die durch organischen Zusammen- hang als zu Lyginopteris oldliainia gehörig nach- gewiesen werden konnten. Altere Untersuchungen der Stamm- und Blattstielreste hatten schon ge- zeigt, daß die Pflanze hinsichtlich der äußeren Form und des anatomischen Baues teils Merkmale der Farne, teils solche der Cycadeen aufwies, so daß sie Potonie in die von ihm neu aufgestellte Gruppe der Cycadofilices einreihte. Oliver und Scott sind nun auf Grund ihrer vorgenannten Beobachtungen der i-Xnsicht, daß nunmehr Lygino- pteris aus der Gruppe der Cycadofilices zu ent- fernen sei und nach dem Bau von Lagenostoina, der dem eines Cycadeensamens sehr ähnlich ist, als eine Gymnosperme aufgefaßt werden müßte. Nach dem Sprachgebrauch der rezenten Botanik dürfe man Lcigenostoina sirtng genommen allerdings nicht als ,, Same" bezeichnen, dabei ihm, wie bei allen paläozoischen .Samen, ein Embryo noch nicht hat nachgewiesen werden können. Es sollte also auch Lyginopteris nicht als eine echte Same n pflanze angesehen werden. Da aber ähnliche Verhältnisse bei den Samen der rezenten Gattungen Cycas und Ginkgo vorkommen und diese trotzdem zu den Spermophyten gestellt sind, andererseits bezüglich der systematischen Einordnung der Cordaiteae, !l6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 14 . die doch so enge Verwandtschaft zu den Gynino- spernien zeigen, sich Schwierigkeiten einstellen würden, so soll darauf kein besonderer Nachdruck gelegt werden und Lyghioptcris den Samenpflanzen zugerechnet werden. Dagegen erscheint es Oliver und Scott von besonderem Interesse, daß von diesen schon im äußeren und inneren Bau ihrer vegetativen Organe sich als ,,transitional types" darstellenden Pflanzen mindestens einige bereits zur Samenbildung vorgeschritten seien. Um diesen für die Entwicklung der Pflanzen so wichtigen Umstand genügend hervorzuheben, fassen sie die sanientragenden Cycadofiliccs , die ihrer Ansicht nach den „Übergang zwischen den Filicales und den Gyiniiosficnnae'' darstellen, unter dem Namen Pleridospermcae zu einer eigenen Klasse der Gyiniio- spcnnac zusammen. Daß diese Klasse nicht über- flüssig sein wird, belegen sie damit, daß Kidston bereits einen anderen „samentragenden Farn", Ncuropteris lietcropliylla, entdeckt habe, und, daß mit ziemlicher Sicherheit Trigonocarpon olivae- forine als zu MeduUosa, der anscheinend Ncuro- /■/^m-Belaubung eigen war, gehörig zu betrachten sei. Es kämen also für- die Pteridospcnncae zu- nächst in Betracht die Lyginopterideac und die Mcdnlloscac. Zu diesen Beobachtungen und den daraus ge- zogenen Schlüssen ist zu bemerken, daß die Zu- sammengehörigkeit von Lyginopieris oldliainia und Lagowstoina Louia.xi noch nicht als einwandfrei bewiesen gelten kann, solange nicht der organische Zusammenhang beider F"ossile festgestellt worden ist. Das fühlen offenbar Oliver und Scott selbst, halten aber ihre Schlußfolgerungen gleich- wohl aufrecht mit der Bemerkung, daß der Be- weis für die Zusannnengehörigkeit beider Fossile ,.kaum strenger" sein könne. Wenn sie außerdem an einer anderen Stelle angeben, daß vielleicht auch Lagciwsioma ovoides, die mit Lag. Louiaxi zusammen vorkommt, eine ähnliche mit Drüsen besetzte äußere Hülle gehabt haben könnte, so wird dadurch der Beweis für die Zusammengehörig- keit von iMgowstonia Loniaxi und Lvginoptcris oldliamia, der sich in erster Linie auf die drüsen- artigen Organe stützt, doch nicht gerade gestärkt. Selbst wenn aber der Beweis für die Zusannnen- gehörigkeit beider Fossile als einwandfrei be- trachtet werden könnte, so sind doch solche samen- tragenden Cycadofilices nicht als I/'bergangstypen zwischen Farnen und Gymnospermen anzusprechen. Potonie wollte die Cycadofiliccs auch keineswegs als Ubergangsformen -angesehen wissen, sondern er sah sich nur gezwungen, gewisse fossile Pflanzen, die ihrem äußeren und inneren Bau nach mit demselben Recht zu den Filicales, wie zu den Cycadales gestellt werden konnten , einstweilen irgendwie im System unterzubringen. Phylogene- tische t^bergangsformen können sich nur auf die Ausbildung der F'ortpflanzungsorgane gründen. Es müßte also im vorliegenden F'alle ein Organ sein, das nicht mehr ein Farnsporangium ist, aber auch noch kein echter Same. Wie man sich das etwa vorzustellen hat, läßt sich schwer sagen. Sicher aber ist Lagenostovia kein solches Cbergangs- gebilde, sondern ein Same, der mit den Samen der Cycadaccae in wesentlichen Punkten (Pollen- kammer und reichlichem Leitungssystem) überein- stimmt. Daß ein Embryo bei ihm noch nicht hat nachgewiesen werden können, kann einmal seinen Grund darin haben, daß das sehr zarte Ge- webe des Embryo zerstört ist, wie ja bei den meisten paläozoischen Samen das Innere des Nu- cellus nur sehr schlecht oder gar nicht erhalten ist. Es kann aber auch, worauf schon oben hin- gewiesen wurde und worauf auch Oliver und Scott aufmerksam machen, der Embryo erst später ausgebildet worden sein, nachdem der Same bereits seine volle Größe erreicht hat, wie das bei den rezenten Cycas und Ginkgo der Fall ist. Es liegt danach kein zwingender Grund vor, eine neue Pflanzenklasse aufzustellen, sondern es wäre nach den Grundsätzen für die Systematik der rezenten Botanik Lyginopteris seines Samenbaues wegen bei den Cycadaceae unterzubringen, wie man die oft in diesem Zusammenhange zitierte rcz&nie. Stangeria pai-adoxa auf Grund ihrer Fort- pflangszungsorgane zu den Cycadaccae stellte, wäh- rend man sie vorher auf Grund ihrer vegetativen Organe den Filicales zurechnete. Gleichwohl haben die Fteridospeniicae eine überraschend schnelle Aufnahme gefunden. Nach- dem jetzt, wie Scott einmal sagt, ,,dic Augen der Sammler geöffnet waren für die Möglichkeit des Samentragens ihres sogenannten »Farnlaubes ", mehrten sich die Beobachtungen in dieser Rich- tung rasch und zahlreich. Ungefähr gleichzeitig mit der Arbeit von Oliver und Scott über Lageiiostoina Louiaxi, aber schon durch diese be- einflußt, machte Kids ton einen Abdruck bekannt, der wohl für einen in eine äußere Hülle einge- schlossenen Samen gehalten werden könnte, aber doch nicht mit Sicherheit als solcher gelten kann, solange nur die äußere Form , von der inneren Struktur aber nichts bekannt ist. Organisch mit diesem Abdruck in Verbindung ist ein Stielrest dem zwei ^'W/zri^/Av-w-Fiederchen anhaften. Ob es angängig ist, nach diesen zwei Fiederchen die Art [Ncuropt. lieteropl/ylla), wie das K i d s t o n tut, zu bestimmen, erscheint fraglich. Weiter hat Grand'Eury in französischen autochthonen Kohlenablagerungen auf Grund gemeinschaftliciien Vorkommens bestimmte Samentypen angegeben für Alcthoptcris, Calliptcridiniii, Odontopteris, Neuro- ptcris und [Jnoptcris, fand aber die Artenzahl der Samen bedeutend größer als die der mit ihnen vergesellschafteten F"arnblätter. Schließlich wurden noch zwei Fälle bekannt, die samenähnliche Bil- dungen mit Blattresten in organischem Zusammen- hang zeieten : Anciiiiites fcrtilis von White be- obachtet und Pecoptcris Pluckcneti von Grand' Eury beobachtet. Da es sich in beiden Fällen auch nur um Abdrücke handelt, so ist die Samen- natur der fraglichen kleinen, mit den Blattresten ver- bundenen Körper noch nicht als erwiesen anzusehen. N. F. VI. Nr. 14 Naturwissenscliaftlichc Wochenschrift. •17 Zu einigen dieser Pflanzen, die nunmehr aus der Klasse der Farne zu streichen wären, waren aber schon Fortpflanzungsorgane bekannt geworden, die bisher stets als farnartig angesehen wurden. So wurde Calymmotltccii Staiigeri zu Lyginopteris oldhamia gezogen und von Ncuropteris lietcro- pliylla hatte K i d s t o n schon längst einen fertilen W'edelrest gefunden. Angesichts der neuen Tat- sachen findet man sich nun mit den alten kurzer- iiand ab, indem man die bisher als Farnsporangien erklärten Fortpflanziingsorgane in männliche, pollen- tragende Organe umdeutet. Alle diese Beobachtungen, welche die Zahl der PtiridospfDJicac vergrößern sollen, beruhen also hinsichtlich der Samennatur der fraglichen Fossilien und ihrer Zusammengehörigkeit mit vegetativen Organen auf mehr oder weniger weitgehenden Kombinationen und sind deshalb nicht geeignet, die Berechtigung der Aufrechterhaltung der neuen Pflanzenklasse zu erhöhen. Trotzdem werden die Ptcridospeniicac immer wieder in neuen Arbeiten herangezogen und ihre Wichtigkeit für die phylo- genetische Entwicklung der Pflanzenwelt abge- handelt. Scott kommt sogar zu der Ansicht, daß die größere Mehrzahl der bisher als Farne angesehenen Carbonpflanzen von jetzt an als Spermophyten anzusprechen seien, so daß Zeil 1er ernstlich die Frage aufwirft, ob man künftighin noch berechtigt sein wird, die paläozoische Erd- epoche als die Ära der Pteridophyten zu be- zeichnen. Ward will dieser neuen Klasse noch eine größere Bedeutung beimessen, indem er sie zu einer den Samenpflanzen Spcniiapliyta gleichwertigen Abteilung macht und für sie den Namen Ptcrido- spcrniaphyta einführt. Da seiner Meinung nach die hierhergehörigen Pflanzen nicht allein zu den P'arnen Beziehungen haben, sondern z. T. auch zu den Calamiten und Lepidoph)-ten, so teilt er die Ptcridospcniiaplivta ein in drei Unterabteilungen: Ptc>'idospcr))iac , Calainospcrinae , I^epidosperviac. Nach dem gegenwärtigen Stande der Kenntnis erscheint die Frage nach den „samentragenden l-'arnen" aus den Carbonablagerungen noch nicht spruchreif, da die diesbezüglichen Beobachtungen sehr der einwandfreien Bestätigung bedürfen. Sind schon aus diesem Grunde die Ptendospermcae nicht zu rechtfertigen, so können sie nach dem oben Gesagten als Ubergangstypen zwischen FUi- cales und Gyiiinospeniiae noch weniger aufrecht erhalten werden. Als vollends überflüssig muß für jetzt die weitere Zerteilung der Gruppe durch Ward erscheinen, da hierfür viel zu wenig Material vorliegt. Es wäre richtiger gewesen, den bisher gefundenen Spuren aufmerksam weiter nachzu- gehen, bis man zu greifbaren Resultaten gelangt wäre, als schon jetzt einen neuen Namen einzu- führen , mit dem man vermittels der Phantasie so wichtige phylogenetische F"ragen verknüpft und zu lösen glaubt. Oscar Hörich. Über die Entstehung der Sonnenwärme. — Wenn wir von der Entstehung der Sonnenwärme reden, so müssen wir hauptsächlich zwei Prägen ins Auge fassen. Einmal müssen wir uns orien- tieren, woher Wärme überhaupt in unser Sonnen- system hineinkam und sich zu solchen Mengen entwickelte, um die Sonne zum strahlenden Ge- stirn des Tages zu machen. Dann aber ist noch die F"rage zu erörtern, wie diese Wärme in der Sonne sich stets wieder ergänzt und regeneriert, denn es ist doch klar, daß bei solch verschwende- rischer Strahlung in den kalten Weltenraum selbst der größte Wärmevorrat sich in verhältnismäßig kurzer Zeit erschöpfen müßte. Zur Beantwortung der ersten Frage müssen wir uns in die Zeit der pjitstehung unseres Sonnensystems zurückversetzt denken. Denken wir uns einen Ur- nebel etwa wie Kant und Laplace ihn sich vor- stellten, und wie wir sie noch heute zahlreich am Himmelsgewölbe beobachten können. Dabei ist es für unsere PVage von geringer Bedeutung, ob dieser Nebel schon von Anfang an eine Achsen- drehung hatte, oder ob er dieselbe erst durch irgendwelche Einflüsse im Laufe seiner Entwick- lung erhielt, denn wir kennen zahlreiche Beispiele von rotierenden und nicht rotierenden Nebeln, die in ihrer spektral-analytischen Untersuchung sich als physikalisch gleichwertige Bildungen ergeben haben. In diesen unregelmäßigen Nebelballen ist die Konzentration der Materie so gering, daß merk- liche Anziehungskräfte nicht bestehen, und man eine Art labialen Gleichgewichts annehmen kann. Bedeutendere Verschiebungen wird hier die Schwer- kraft vielleicht erst in Jahrmillionen bewerkstelligen können. Naturgemäß befinden sich — wie ja auch heute auf der Sonne — die leichtesten Gase, wie H.He usw. in den äußeren Schichten dieser Gas- massen und sind die Nebel überhaupt nur durch ihre tiefe Temperatur befähigt, dieselben bei sich festzuhalten. Diese äußeren Schichten sind es nun, welche tatsächlich leuchten, aber natürlich un- möglich selbstständig, da sie dazu viel zu kalt sind , sondern durch das Einfangen der von anderen Sonnen ausgeschleuderten negativ elek- trischen Teilchen, welche beim Auftrefien auf die Nebelmaterie daselbst elektrische Entladungen ver- ursachen. Wird diesen Nebeln nun Wärme von außen zugeführt — durch die Strahlung von anderen -Sonnen — so werden sich die äußersten leich- testen Gase immer mehr von den wärmer werden- den inneren Schichten entfernen, und dadurch eine äußerst niedrige Temperatur behalten. Die Tem- peraturerhöhung im Innern des Gasnebels wird stets gleich sein der Differenz aus der empfangenen Wärmemenge und der wieder ausgestrahlten. Nun ist aber die Wärmeausstrahlung der Nebel tat- sächlich eine äußerst geringe und die so ent- stehende Differenz eine ziemlich große. Daß die Wärmeausstrahlung eine so geringe ist, verdanken die Nebel eben jener außerordent- lich diftusen und mächtigen kalten Schicht von H und anderen leichten Gasen, die gleichsam als :iS Nalurwissenschaflliclic Wochcnsclirift. N. F. VI. Nr. 14 schützende Hülle über dem wärmeren Kern des Nebels liegen. Es hat dies Arrhenius klargelegt und zugleich auch auf die Größe des Unterschieds hingewiesen, welchen er bei der Berechnung der mittleren Temperatur eines Planeten erhielt, ein- mal, wenn er eine schützende Schicht in der Atmo- sphäre desselben annahm und einmal , wenn er diese vernachlässigte. PJr hat so für die Erde z. B. eine Temperatur von — 1,7" C gefunden, nun ist aber wie bekannt die mittlere Temperatur doch etwa 15" C, also eine Difl'erenz von nahezu 17". Die Temperatur — 1,7" ist die Temperatur, die den in den Weltenraum strahlenden Schichten ent- spricht. Genau so bei den Gasnebeln. Ich habe schon erwähnt, daß durch Wärmezufuhr die Gase sich vom Mittelpunkte entfernen, weil ihre Bewegungs- fähigkeit eine größere wird ; dabei wird natürlich die Temperatur immer niedriger. Je kälter nun die äußersten Schichten werden, desto vorteilhafter ist dies für die Temperaturerhöhung im Innern des Gasnebels. Denn wenn wir den Nebel als Strahlungskörper betrachten, so kommt auch nur die Temperatur der strahlenden, also äußersten und kältesten Schichten in Betracht. Es sind sonach diese Nebel große Aufsiieiche- rungsplätze der Wärmeenergie, welche von den Sonnen ausgestrahlt wird. Diese Energie kommt ihnen dann bei der Kondensation zugute, welche im nächsten Stadium erfolgt. Die inneren Teile der Nebel enthalten natürlich die schwereren Par- likelchen, und zwar in P'orm von Elementen, da bei so ungeheuren Verdünnungen der Materie keine Verbindungen bestellen können. Dabei besitzen diese kleinsten Teilchen so geringe Geschwindig- keiten, daß sie dem Nebel nicht zu entfliehen ver- mögen. Ihre Temperatur aber ist höher als die der äußeren Schichten. Diese Zustände stellen nun kein stabiles Gleichgewicht dar, sie können nur wegen der ungeheuer langsam wirkenden Kräfte durch ungeheuer lange Zeiträume bestehen. Schließlich muß aber doch durch die Schwerkraft eine Zusammenballung zu rundlichen Formen er- folgen und mit zunehmender Kondensation wird auch die Wirkung der Schwerkraft eine immer ausges|)rochenere werden, es wird zu immer häufigeren Zusammenstößen der einzelnen Molekeln kommen und so zu der Wärmequelle durch Strahlung noch eine endotherme mechanische hinzu- kommen. Natürlich wird diese Wärmeiiuelle auch durch Einwirkungen von außen verstärkt werden, insofern Kometen, die auf den sich kondensieren- den Nebel stoßen, ihre vernichtete Bewegung in Wärme umsetzen, was natürlich auch wieder auf die Gleichgewichtsverhältnisse der betroffenen Stellen des Nebels nicht ohne Wirkung bleiben kann. Schreitet nun die Entwicklung in der ausge- führten Art und Weise durch ungeheure Zeiträume hindurch fort, so werden wir mit der zunehmen- den Kondensation auch stets eine entsprechende Temperaturerhöhung bekommen. Dabei steigt der Druck im Innern des Himmelskörpers ständig. Denken wir uns also alle linearen Dimensionen zwischen den Zeiten t, und t., auf die Hälfte gesun- ken. Eine horizontale (3berfläche von i (|cm wird zur Zeit t, durch das Gewicht p der darauf lasten- den Gassäule gedrückt. Die Oberfläche i ijcm hat sich nun zur Zeit t., auf 0,25 qcm zusammen- gezogen, auf welch letzterer Fläche nun das Ge- wicht 4 p liegt, da ja die oberen schweren Teile alle doppelt so nahe zum Zentrum gerückt sind. Der Druck ist also pro qcm auf 16 p gestiegen. Nun sollte aber doch nach dem Boyle Gay-Lussac- schen Gesetz der Druck in demselben Verhältnis wie die Dichte zunehmen, also nur auf das Acht- fache steigen. Da nun der Druck tatsächlich auf das 16 fache gestiegen ist, muß, damit Gleich- gewicht obwalten kann , die absolute Temperatur auf den doppelten Wert steigen. Es läßt sich also beweisen, daß mit dem Druck die Temperatur wiederum ständig steigen muß. Bei stärkeren V'erdichtungen finden aber dann be- kanntlich Abweichungen von den gewöhnlichen Gasgesetzen statt, und während unter gewöhn- lichen Bedingungen der Druck gleichmäßig mit der Konzentration steigt im Verhältnis 8:1, wobei die absolute Temperatur verdoppelt wird, werden wir bald so weit kommen, daß schließlich der Druck der Potenz 1,333 der Konzentration proportional zu- nimmt; von diesem Punkte an braucht dann die Temperatur zur Erhaltung des Gleichgewichts nicht mehr zu steigen ; dafür kommt es aber zur Bildung von stark kondensierten Molekeln, welche die stei- gende Abweichung vom Gasgesetz kompensiert, so daß das Intervall, in welchem die Temperatur durch Zusammenziehung wächst, sich noch weiter erstreckt als es eigentlich tun sollte. So läßt sich der Nachweis bringen, daß die Sonne durch lange Zeiten infolge Wärmeverlustes sich zusammenzog und dabei ständig ihre Tem- ])eratur erhöhte. Vermutlich geht dieser Vorgang der Zusam- menziehung unter Druckerhöhung und Wärmeent- wicklung auch heute noch vor sich. Wir müssen das annehmen , obwohl die Zusammenziehung der Sonnenmasse durch Messungen noch nicht festgestellt wurde. Es bietet dies für unsere An- nahme aber gar keine Schwierigkeit, da selbst bei ganz langsamem Zusammenziehen durch die un- geheuren Massen der Sonne riesige Wärmemengen entwickelt werden müssen; für unsere Instrumente würde aber erst eine Durchmesserverkleinerung von annähernd 600 km mit Sicherheit festzustellen sein. Ja, wir müssen wohl diesen Kondensations- vorgang als eine der Haupti]uellen ansehen, die noch heutigentags die Wärmeverluste der Sonne in der Hau|)tsache deckt. Ich sage in der Hauptsache; denn einerseits ist es sehr wahrscheinlich, daß die Sonne in der Abküh- lung begriffen ist, und ihre Wärmeausstrahlung die Wärmezufuhr übertrifft, andererseits zeigen zahlen- mät3ige Berechnungen, welche hauptsächlich von Helmhohz und Lord Kelvin ausgeführt wurden, daß diese Wärme(]uelle allein auch keineswegs N. F. VI. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 2ig i^enügen würde, um ein Hunderte von MilHonen von Jaliren langes Bestehen der Sonne in glühen- dem Zustande zu erklären. Man hat deshalb schon langst zur Aufschließung weiterer VVärme(]uellen für die Sonne an chemische Prozesse gedacht. Es gehen wohl zahlreiche solche Prozesse anf der Sonne vor sich, aber die \Värme(]uelle aus chemischer Energie scheint doch nicht so ergiebig zu sein, wie man anfänglich ge- hofft hatte. Es wird freilich bei Verbrennungen Wärme entwickelt und frei, die neu entstehenden X'erbindungen aber sinken in die Tiefe, und müssen sich dort unter dem gleichen Wärmeverbrauch wieder in ihre Elemente auflösen. Außerdem zeigen neuere Experimente, die wir hauptsächlich Ostwald verdanken, daß bei extremen Tempera- turen und hohem Druck die Bildung von Ver- bindungen begünstigt wird, welche Wärme ver- brauchen. So z. B. entsteht aus Sauerstoff und Stickstoff Ozon und ein niederes Oxydationsprodukt des Stickstoft'es unter starkem Wärmeverbrauch, und um noch einen Körper anzuführen, der in den äußeren Sonnenschichten eine große Rolle spielt — den Kohlenstoff, so vereinigt sich dieser z. B. mit Schwefel und Stickstoff zu Schwefelkohlen- stoff und Cyan, ebenfalls unter starkem Wärme- verbrauch. Wenn aber tatsächlich eine starke chemische Wärmequelle auf der Sonne vorhanden ist, so ist es für unser heutiges Wissen noch min- destens sehr zweifelhaft, auf welche Weise die- selbe entsteht. Eine andere Wärmequelle für die Sonne bilden zweifellos die Meteore , die oft mit enormen Ge- schwindigkeiten — man hat bis zu 450 km Ge- schwindigkeit pro Sekunde beobachtet — auf die Sonne stürzen, und dort ihre vernichtete kinetische Energie in Wärme umsetzen. Allerdings fallen diese IVleteore nicht so häufig, — wie die ent- sprechenden Beobachtungen auf der Erde schließen lassen, — daß die Sonne durch sie auch nur einigermaßen ihre W'ärmeverluste decken könnte, denn eine äquivalente Fütterung der Sonne mit Meteoren würde nach Rob. Mayer voraussetzen, daß in etwa 30 Mill. Jahren eine Meteormasse eingeführt worden sein müßte, welche der Sonnen- masse selbst gleichkommt. Immerhin haben wir wohl in diesen Meteoriten eine wenn auch ge- ringe, so doch ständige Ersatzquelle für veraus- gabte Wärme. Zum Schlüsse möchte ich nochmals zusammen- fassen : Wir haben gesehen, daß im Anfang der Entstehung unserer Sonne nur äußerst geringe Kräfte wirken konnten, welche dazu angetan waren, die Temperatur des damaligen Gasnebel zu er- höhen, und zwar waren diese Kräfte Strahlung von anderen Sonnen und Gravitation. In weiteren Ent- wicklungsstadien mußte die Gravitation immer wirksamer werden, die Zusammenziehung der Nebel- massen schreitet immer weiter und weiter fort, bis wir schließlich zu dem ungeheuer kondensierten Sonnenkern gelangen, wie wir ihn heute erblicken, und dessen Temperatur bis zu 7 Millionen (irad im Innern geschätzt wird. Wir haben weiter ge- sehen, daß dieser strahlende Kern seine Wärme inmier wieder aus sich selbst erneuern muß, um nicht rasch zu erstarren, und haben gefunden, daß stetiges Zusammenziehen zufolge der Abkühlung dabei wohl die Flauptrolle siiielt. Weitere Quellen bilden die in die Sonne stürzenden Meteoren und vielleicht auch chemische Prozesse. — Ob damit die Wärme(|uellen der Sonne freilich erschöpft sind, vermag niemand zu sagen, da ja in der Sonne Bedingungen herrschen, die im Laboratorium un- nachahmbar sind und höchstens theoretisch be- handelt werden können. Zuletzt sei nur noch auf den Kreislauf hinge- wiesen, der auch auf diesem Gebiet wie allent- halben in der Natur herrscht: Die heißen Sonnen kühlen sich ab und ihre Strahlung kommt zuletzt den kalten Nebeln zugute, die sich dadurch wieder zu strahlenden Sonnen entwickeln. Hans Reck. Aus dem wissenschaftlichen Leben. Marcellin Berthelot f. — Am 18. März starb zu Paris am Totenbett seiner Gattin infolge eines Hcrzsclilages der Senior der französischen Chemiker im Mier von fast So Jahren. — Am 25. Olitober 1827 zu Paris geboren wurde Bertlielüt 1860 Professor der Chemie an der Ecole de phar- macie, 1865 am College de France und wurde zeitweilig auch in hohe Verwaltungsstellen berufen. So ward er 1S76 (leneral- inspektor des höheren Unterrichts, 1886 — 1887 Unterrichts- minister und 1894-1895 Minister des .äußeren. Seit 1901 gehörte B. den vierzig „Unsterblichen" der Pariser Akademie an. Bcrlhelot's wissenschaftliche .Arbeiten bezogen sich in der ersten Periode seines Schaffens besonders auf die organische Chemie , namentlich die künstliche Synthese organischer Ver- bindungen. Erst später wandte er sich mehr der anorganischen Chemie zu. Hervorragendes leistete er auf dem Geljiete der Explosivstoffe und in der Thermochemie , als deren Vater er bezeichnet werden kann. Die Resultate seiner thermoche- mischen Bestimmungen veröffentlichte B. in seinem zweibän- digen, 1S97 erschienenen Werke „Thermochimie"; eine tabel- larische Zusammenstellung der thermochemischen Konstanten für das Pariser ..Annuaire" redigierte er fortlaufend. Mit Berthelot und Moissan hat die französische Wissenschaft in kurzem Zeitraum zwei sehr empfindliche Verluste erlitten. Bücherbesprechungen, II Prof. Dr. Otto Schmeil, Lehrbuch der Zoo- logie für höiiere Lehranstalten und die Hand des Lehrers, sowie für alle Freunde der Natur, unter besonderer Berücksichtigung biologischer Ver- hältnisse bearbeitet. iS. Aufl. 524 S. mit 20 mehr- farbigen und 2 einfarbigen Tafeln, sowie mit zahl- reichen Te.xtbildern nach Originalzeichnungen. Leipzig, Verlag von Erwin Nägele, 1906. — Preis geb. 4,50 Mk. 2) Richard Winkler, Naturgeschichte des Tierreiches, unter besonderer Berücksichtigung der Teleologie , Biologie und Tierpsychologie be- arbeitet. 550 S. mit 235 Illustrationen. 1906. Steyl (Post Kaldenkirchen, Rheinland), Verlag der Mis- sionsdruckerei. — Preis geb. 5 Mk. Die uns hier vorliegenden beiden Bücher geben 220 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 14 zu denken. — Beide verlolgen genau denselben Zweck: l?eide wollen die Tierkunde in erster Linie Kindern zugängig machen. Beide sind zur Erreichung des Zweckes besonders für die Hand des Lehrers berechnet, wie dies schon der ziemlich große Umfang erkennen läßt. — Aber wie verschieden sind sie trotz des durchaus gleichen Zieles! — Eins ist ihnen ge- mein : Beide suchen überall die Zweckmäßigkeit in der Natur dem Leser vor Augen zu führen. Aber auch diese tlleichheit ist nur eine scheinbare. Wäh- rend in dem S c h m e i 1' sehen Buch das Wort „zweck- mäßig", wenn man es überhaupt verwenden will, im übertragenen Sinne aufzufassen ist, verwendet es das Rieht er 'sehe Buch im eigentlichen Sinne. Wäh- rend also das erstere von Teleologie völlig frei ist, steht das letztere auf durchaus teleologischem Boden. — Der teleologische Standpunkt ist für unsere Zeit etwas Seltenes. Im vorletzten Jahrhundert stand fast jedes zoologische Buch auf teleologischem Boden. Der Boden aber geriet ins Wanken und er ist von den Vertretern der Wissenschaft, auch von den durch- aus religiösen Vertretern, als unhaltbar verlassen wor- den. — Wie kann sich denn trotzdem heute noch ein Buch auf den früheren Standpunkt stellen r — Wenn wir das Buch durchsehen, bemerken wir sofort einen sehr auffallenden Gegensatz zu der früheren Teleologie. Während nach Ansicht der Vertreter der Teleologie im 1 8. Jahrhundert alle Organismen f ü r den .Menschen existieren und entweder zu seinem Nutzen oder zu seiner Strafe dienen sollen, stellt das Richter' sehe Buch die Harmonie in der Natur als die .^bsicht des Schöpfers hin. Es ist das allerdings ein großer Fortschritt gegen die frühere Auffassimg. — Wenn der Mensch bei Verfolgung seiner Zwecke die Harmonie stört, so hat er mit Schädlingen zu kämpfen. Das massenhafte Auftreten von Baumschäd- lingen hat z. B. den Zweck, das \'orwalten einzelner Baum- arten zu beseitigen |S. 379). Ein solches Vorwalten einzelner Arten sucht aber der Mensch in seinen Forsten gerade herbeizuführen. — Ganz allgemein sind nach des Verfassers Ansicht die Pflanzenfresser dazu da, dem zu üppigen Wachstum und dem zu starken Vorwalten der Pflanzen den Tieren gegenüber Einhalt zu tun (S. 7, S. 355 usw. usw.). Die Raubtiere haben den Zweck, Schwächlinge zu beseitigen und von der Fortpflanzung auszuschließen (S. 172). Die Parasiten, denen ebenfalls bekanntlich in erster Linie die Schwächlinge zum Opfer fallen, werden also wohl denselben Zweck haben. Wie ist es dann aber mit den Parasiten des Menschen , mit den Parasiten im weitesten Sinne gedacht, also auch den pflanzlichen Parasiten , z. B. den Tuberkelbazillen. Auch sie müssen wohl vom Schöpfer dazu bestimmt sein, Schwächlinge zu beseitigen. — Wenn der Mensch einen Acker mit einer Frucht besteht, eine Plantage anlegt, ja wenn er auch nur sich gegen Parasiten zu schützen sucht, so verstößt er gegen die Absicht des Schöpfers. — Das sind logische Schlüsse, die in dem Buche nicht gezogen sind, die aber der reifere Schüler ziehen und dem Lehrer vorhalten wird. — Warum gehen die Vertreter der Teleologie nicht einen Schritt weiter und sagen : Gott hat jedes Lebewesen geschaften, damit es existiere, also seiner selbst wegen. Dann hat jedes Lebewesen und auch der Mensch das Recht alle anderen, die ihm die Existenz streitig machen, zu beseitigen. Auch das ist ein teleologi- scher Standpunkt und zwar ein Standpunkt, der nicht auf Widersprüche stößt, ein Standpunkt, der sich in seinen Ausführungen mit dem nichtteleologischen, rein wissenschaftlichen völlig deckt. — Es mag ja sein, daß die teleologische Auftassungsweise dem kindlichen Verstände näher liegt, wie sie denn auch in der früheren, kindlichen Anschauung des Menschen- geschlechts überall zutage tritt. Es ist auch nicht das Geringste dagegen einzuwenden , Gott in die ersten naturwissenschaftlichen Betrachtungen hinein- zuziehen. Nur das ist unzulässig, Gott Absichten unterzuschieben , welche mit den Tatsachen der F.r- fahrung in Widerspruch stehen. — In den höheren Schulklassen sollte auf jeden Fall der teleologische Standpunkt verlassen werden. Dem gereifteren Schüler sollte die Naturwissenschaft als das erscheinen , was sie wirklich ist, als eine reine Erfahrungswissenschaft, die über das, was die Erfahrung unmittelbar ergibt, und was die Erfahrung mit logischer Notwendigkeit schließen läßt, nicht hinausgehen darf. Auf diesem Standpunkt stehen fast alle modernen Schulluicher, auch das vorzügliche Schmeil'sche Buch. Die Bücher von katholischen Verfassern machen keine Ausnahme : Ich erinnere nur an das schöne Buch von Landois und Kraß. — Man glaube nicht, daß der wissenschaftliche Zoologe die Existenz Gottes leugne. Er leugnet nur, daß der Weg durch die Wissenschaft zu Gott ein so einfacher ist , wie es das Richter- sche Buch seinem Motto folgend zeigen will. — Wer einmal tiefer darüber nachgedacht hat, wie wunderbar es ist, daß dieselben Elemente, welche einerseits in ihren Verbindungen feste Kristalle liefern, andererseits zur Bildung lebender Materie zusammentraten und schließlich den Menschen lieferten , der über den ganzen Werdegang nachzudenken vermag, dem wird auch die innere Überzeugung gekommen sein, daß hier etwas Höheres, für unser naturwissenschaftliches Erkennen Unfaßbares waltet. Dahl. P.Stephan, Die technisc he Mechanik. 2. Tl.: Festigkeitslehre und Mechanik der flüssigen und gasförmigen Körper. 332 Seiten mit 200 Figuren. Leipzig, B. G. Teubner, 1906. — Preis geb. 7 Mk. Das gut ausgestattete Buch ist speziell den Be- dürfnissen des Maschinentechnikers angepaßt. So werden z. B. die zusammengesetzten Beanspruchungen besonders ausführlich an der Hand vieler der Praxis entnommener Beispiele behandelt. Verf benutzt ver- schiedentlich neuere, noch nicht allgemein bekannt gewordene Rechnungsmethoden. Auch in der Me- chanik der Flüssigkeiten sind überall maschinentech- nische Beispiele durchgerechnet. Der Abschnitt über Gase und Dämpfe enthält die Anwendungen der ^Värmetheorie auf Kompressoren , Dampfmaschinen und Dampfturbinen. Verf. bedient sich bei diesen Be- trachtungen in ausgiebigem Maße des Boulvin'schen Wärmediagramms. Kbr. N. F. VI. Nr. 14 Naturwissciiscliaftliclic Wochenschrift. 221 1) M. Brillouin, 1- et; uns sur la viscositc. 1. partie : Gcncralitcs. — \'iscosite des li(|uides. 228 pages avec 65 fig. Paris, Gauthier-Villars, 1907. — I'rix 9 fr. 2] E. Picard et G. Simart, Theorie des fonc- tions algebri(|ues de deux variables indcpen- dantes. Tome II. 528 pages. Paris, Gauthier- Villars, 1906. — Prix iS fr. i) Das Buch gibt den Inhalt der \orlesungen, die Verf. 1898 bis 1900 am College de France gehalten hat, und zwar behandelt der vorliegende erste Band nur die Flüssigkeiten. Das erste Buch (Genöralites) berichtet nach einem geschichtlichen Rückblick auf die Auffassungen vor Coulomb über dessen grund- legende Expeiimente zur Kohäsion und Reibung der Flüssigkeiten. In den weiteren Kapiteln dieses Buches wird die Theorie der fortschreitenden und der drehen- den Bewegungen entwickelt. Das zweite Buch wen- det nun die Theorie auf Flüssigkeiten an, indem zu- nächst die Experimente von Poiseuille, dann die neueren Bestimmungen der inneren Reibung des Quecksilbers (Warburg, Koch etc.) und die Abhängigkeit der Vis- kosität der Flüssigkeiten von Temperatur und Druck besprochen werden. Im Schlußkapitel wird das dem Gesetz von Poiseuille entsprechende Verhalten (lang- same Strömung in Kapillarröhren) mit dem hydrau- lischen Verhalten in weiten Rohren verglichen und namentlich dem Übergang von dem einen Verhalten zum anderen besondere Beachtung geschenkt. Das Verständnis des vorwiegend theoretischen Buches er- fordert die Vertrautheit mit höherer Mathematik. 2) Die Theorie der algebraischen Funktionen zweier unabhängiger Variablen ist ein hochwissen- schaftliches Werk, das naturgemälä nur von im mathema- tischen Denken aufs vollkommenste geschulten Lesern verstanden werden kann. Es werden in dem vor- liegenden Bande (der erste Band erschien 1897) unter anderem behandelt das Noether'sche Theorem über Kurven und Flächen, die durch den Schnitt zweier anderen gehen , die Geometrie der algebraischen Kurven und vor allem die Doppel-Integrale zweiter Art. Hier gibt Picard vielfache neue Resultate eige- ner Forschung. Im letzlen (14) Kapitel werden die hyperelliptischen Flächen behandelt. Fünf angehängte Xoten sollen zu weiteren Untersuchungen über gewisse Probleme anregen. In den geometrischen Teilen des Buches finden auch die schönen Resultate italienischer Forscher, wie Castelnuovo, Enriques und Severi Be- rücksichtigung. Kbr. alle diejenigen, die mit den genannten Industriezweigen zu tun haben. Soweit wir die Angaben nachzuprüfen vermochten , sind sie durchaus zuverlässig und die Verweisungen sorgfältig redigiert. Von besonderer Brauchbarkeit erscheint das sachlich nach Spezialitäten und Erzeugnissen geordnete, alphabetische Register mit genauer Angabe der Art der einzelnen Produkte. Auch eine Zusammenstellung nach Städten ist ge- geben. Druck und Ausstattung verdienen Lob. Literatur. Brauer, Prof. Dr. Aug. : Die Tiefsce-Fische. 1. Systematischer l'eil. Mit 16 Taf., 2 Karten u. 176 Fig. im Text. (432 S.) Jena '06, G. Fischer. — Für Te.\t u. Atlas: Sulislir.-Preis 120 Mk., Einzclpr. 140 Mit. Brunner v. Wattenwyl, Hofrat K., und Gymn.-Pror. Jos. Redtenbacher : Die Insektenfamilic der Plia^midcn. (In 4 Lfg.) i.Lfg. Fliasmidae areolatae. (Bearb. v. J. Redten- bacher.) (180 S. m. Abbiidgn. u. ü Taf.) 36,5X27 cm. Leipzig '06, W. Engelmann. — 17 Mk. Crantz, Gymn.-Prof. Paul: Ariüimetd; u. .Mgebra zum Selbst- unlcriicht. i. Teil. Die Rechnungsarten. Gleichungen 1. Grades m. e. u. mehreren Unbekannten. Gleichungen 2. Grades. Mit 9 Fig. im Te.\t. (V, 128 S.) Leipzig '06, B. G. Teubner. — I Mk., geb. in Lcinw. 1,25 Mk. Holtermann, Prof. Dr. Carl: Der Einfluß des Klimas auf den Bau der Pflanzengewebe. Anatomisch |)hysiolog. Untersuchgn. in den Tropen. Mit i Te.\lfig. , 6 Vegetationsbildern (auf 3 Taf.) u. 16 lilh. Taf. (Vlll , 24g S.l Lex. S". Leipzig '07, W. Engelmann. — 12 Mk. Jansen, Dr. Hub. : Rechtschreibung der naturwissenschaftlichen u. technischen Fremdwörter. Unter Mitwirkg. v. Fachmännern hrsg. vom Verein deutscher Ingenieure. (XXXIl, 122 S.) gr. 8". Berlin-Schöneberg '07, Langenscheidt's Verlag. — 1,25 Mk. Kollmann, Prof. Dr. Jul. : Handatlas der Entwicklungsge'- schichte des Menschen. 11. (Schluß-) Teil: Embryologia intestinorum, Embryologia cordis et vasorum, Embryologia cerebri et nervorum , Organa sensuum, nomina auctorum, index rerum, index auctorum. Mit 42g zum Teil mehrfarb. Abbiidgn. u. e. kurzgefaßten erläut. Texte. (Vlll, 216 und 68 S.) Lex. 8». Jena '07, G. Fischer. — 13 Mk,, geb. 15 Mk. Krause, Chem. Ingen. Hugu : Chemische Plauderstunden. Leichtfaßliche Einführg. in die Chemie an Hand von Ver- suchen u. alltägl. Beobachtgn. (VI, 171 S. m. .Abbiidgn.) gr. 8". Weinheim '07, F. .Ackermann. — 2,!;o Mk.. geb. 3,50 MI- Sachs, Priv.-Doz. Dr. Heinr. : Bau u. Tätigkeit des mensch- lichen Körpers. 2., vcrb. Aufl. Mit 37 Abbiidgn. im Text. (II, 158 S.) Leipzig '07, B. G. Teubner. — I Mk., geb. in Leinw. 1,25 Mk. Strassen, Otto zur: Geschichte der T-Kiesen v. Ascaris me- >;alocephala als Grundlage zu einer Entwicklungsmechanik dieser Species. 2. Lfg. Mit 87 Tcxtabbildgn. (S. 39 — 342.) Stuttgart '06. E. Schweizerbart. — 48 Mk. Adrefsbuch der Deutschen Präzisionsmechanik und Optik und verwandter Berufszvveige (Glas- instrumentenindustrie, Elektromechanik). Zusammen- gestellt von F. Harrwitz, Redakteur der Fach- zeitschrift „Der Mechaniker". 3. vollständig neu bearbeitete Auflage. Berlin, Verlag der Administra- tion der Fachzeitschrift „Der Mechaniker" (F. u. M. Harrwitz). 1906. 371 S. Text. — Preis brosch. S Mk., geb. 10 Mk. Dieses Adreßbuch der mechanischen und_'optischen Industrie ist ein brauchbares Nachschlagebuch für Briefkasten. Herrn T. — Der Berliner Verein liir Luftschiffahrt ver- :instaltet für die Mitglieder des deutschen Luftschifferverbandes ein pholographisches Preisausschreiben, welches die Hebung und Förderung der militärischen und sportlichen Ballonphoto- graphie zum Ziele hat. .\ls Preise setzte der Verein 3 Me- daillen in Gold und 6 in Süber aus, welche die optische .An- stalt C. P. Goerz Aktiengesellschaft, Friedenau, dem Verein zu diesem Zwecke zur Verfügung s-telUe. Die Aufnahmen müssen mit Goerz Doppel-Anastigmaten bzw. mit der Goerz- Anschütz-Klapp-( 'amera hergestellt sein. Prämiiert werden außer Serien von Ballonaufnahmen auch hervorragend gute Landschafts- und Wolkenaufnahmcn vom l'alhin aus, sowie gute .\bfahrts- 222 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 14 und Laadungsbilder. Die .Aufnahmen müssen in der Zeit vom I. .\pril bis 31. Dezember 1907 aufgenommen sein. Aus- kunft über das Preisausschreiben wie auch l)ezügUch des Bei- tritts zum Verein für Luftschiffahrt erteilen die .Ausschuß- mitglieder für das Preisausschreiben Geheimrat Professor Dr. Micthc, Charlottenburg, Hauptmann Hildebrandt, Charlotten- burg, Direktor Christmann, Friedenau, ebenso die Optische .\nstalt C. P. Goerz Aktiengesellschaft, Friedenau. Herrn Lehrer B. H. in Magdeburg, — Frage 1 : Wie stellt man ein mikroskopisches Dauerpräparat von der Tri- chine her: W. Kükenthal sagt m seinem ,, Leitfaden für das zoologische Praktikum" (3. Aufl., Jena 1905, S. 95): ,,Von frischem trichinösen Fleisch (von einer infizierten Ratte nimmt man am besten die Kaumuskeln oder das Zwerchfell) werden mit dem Rasiermesser feine "Schnitte angefertigt, bliese unter ein Kompressorium gebracht, darin mit Formol fi-\iert, hierauf mit Bora.xkarmin sehr lange durchgefärbt, und ebenso lange mit salzsaufem Alkohol differenziert. Nach mehrstündi- gem Verweilen in absolutem .Alkohol erfolgt die Aufhellung in Nelkenöl, dann Einschluß in Kanadabalsam." Frage 2: Die Literatur über den Vogelzug ist eine ganz auflcrordentlich umfangreiche. Auf vieles geht H. Duncker in dem von Ihnen genannten Buche „Wanderzug der Vogel'' (Jena 1935) ein. Dasselbe kann deshalb sehr wohl als ge- eigneter .Ausgangspunkt für das Literaturstudium dienen. \'oIl- ständig aber ist das Literaturverzeichnis in dem D un cke r 'sehen Buche nicht. Verschiedenes ist aucii seit dem Erscheinen jenes Buches hinzugekommen. Ich kann also gar nicht daran denl. S. 94). Wenn man trotzdem behauptet hat, daß alte Vögel stets dem Zuge als Führer dienen (vgl. F. Helm, in: Journ. f. Ornilhol. Bd. 51, 1903, S. 259 ff. und Bd. 52, 1904, S. 50 ff.), so ist das durch Beobachtungen nicht er- wiesen. Sicher scheint zu sein, wenigstens beim Storch, daß die alten Vögel den Jungen das Geleit und damit die Zugrichtung geben (vgl.: Die Heimat, Bd. 4, 1S94, S. 203, separat als F. Dahl, Die lungenatmenden Wirbeltiere Schleswig-Holsteins, S. 61). — Es wird vielfach angegeben, daß Vögel auch in der Dunkelheit eine Gegend wiedererkennen können. In der Tat gibt es Vögel, die bei Nacht sehr gut sehen. Die Größe und der Bau der Augen läßt diese Fähigkeit auch schon äußerlich sofort erkennen. — Die bei Nacht ziehenden Tag- vögel aber zeichnen sich nicht durch größere .Augen aus, und da auch nicht experimentell nachgewiesen ist, daß sie bei Nacht gut sehen, schwebt die Annahme, daß sie die Gegend, durch die sie bei Nacht ziehen, wiedererkennen, völlig in der Luft. — Die Vertreter der .Ansicht, daß der Vogel die einmal eingeschlagene Richtung inne zu halten vermag , bedürfen derartiger, unzureichend begründeter .Annahmen nicht. — Ein magnetischer Sinn (v. Middendorf) ist dazu nicht nötig. L'nd ebensowenig braucht man eine Wahrnehmung des Luftdrucks (Marek) bei den Vögeln vorauszusetzen. Für die .Annahme eines Richtungssinnes sprechen auch anatomisch- physiologische Tatsaclien. Gerade in neuerer Zeit nimmt man ziemlich allgemein die .Ampullen der halbkreisförmigen Kanäle im Ohr als das Organ des Gleichgewichts- und Richtungs- N. V. VI. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 223 sinncs in An.sprucli. W.in luU Grund anzunchnu-n, daß dieser ■•^inn beim kultivierten Mensclien, du er sieh meist auf gebahn- ten Wegen bewegt, riickgcbildet ist. In bezug auf die Ilölie des Wanderlluges verweise ich auf Naturw. Woehenschr. i\. F. IUI. 5, 1906, S. 3S4. r)ahl. Herrn W. B. in Leipzig. — Frage 1: Die Verbreitung der Tiere in Deutschland ist auf fast allen Gebieten noch unzureichend bekannt. Eine .Ausnahme machen vielleicht die Vögel und die GroBschmctterlinge und diesen schließen sieh die Käer, die Mollusken und einige kleinere Gruppen an. .\uf allen anderen Gebieten ist noch sehr viel zu machen, auch für den Anlangcr, der sich erst in eine Gruppe einar- beiten muß. Er sollte sich nur von vornherein die .\ufgabe stellen, auch die Kleinformen mit zu berücksichtigen. Nicht unerwähnt möchte ich lassen, daß von einer entsprechenden, sehr umfangreichen .Arbeit über Spinnen der erste Teil schon in Druck gegeben ist. Frage 2: Die Literatur, welche zum Studium der einhei. mischen Spinnen zunächst in Betracht kommt, finden Sie auf S. 32 ds. Bds. der Naturw. Woehenschr. angegeben. Frage 3 ; Eine Zoogeographie von Deutschland gibt es bisher noch nicht. Die Botaniker sind uns darin voraus. (Vgl. I ). Drude, Deutschlands Pflanzengeographie, Stuttgart l8g6.) In der schon erwähnten Arbeit über Spinnen wird zum ersten Male eine Karte über die Tierverbreitung innerhalb Deutsch- lands gegeben werden. Frage 4 : Speziell über die Fauna von Rügen nenne ich Ihnen folgende .'Abhandlungen; H. Schilling, ,,Die an der Xordwestküste von Rügen im Herbste 1852 beobachteten Vögel" (in; Journ. f. Örnith. Bd. I, 1S53, S. 371— 79). G. Ouistorp, ,,Ornithologische Beobachtungen auf Rügen im .März 1853" (in; Xaumannia, Jahrg. 1858, S. 53 ff-), A. v. H o - meyer, „( 'rnithologischer Jahresbericht über l'ommern und Rügen für 1863" (in; Zeitsclir. f. Ornithol. Bd. 18, Nr. 1—4), L. Holtz, „Beobachtungen aus der Vogelwelt von Neuvor- pommern und Rügen" (in; Mitt. naturw. Ver. Neuvorpommern- Rügen Bd. II, 1879, S. 1 — 57), H. Schalow, „Über die Vogelwelt der Insel Rügen" (in; Journ. f Ornithol. Jahrg. 37, 18S9, S. 78—82), A. Thienemann, „Planaria alpina aul Rügen und die Eiszeit" (in ; 10. Jahresber. d. geogr. Ges. Grcifswald, 1906) und A. Thienemann, ,, Die Tierwelt der kalten Bäche und Quellen auf Rügen" |in: Mitt. naturw. Ver. Neuvorpommern Rügen Greifswald, Bd. 38, 1907, S. I — 31). Dahl. Herrn Prof. G. in K. — Die Filices heißen auf Deutsch Farn, pl. die Farn oder Farne. Farren sind junge Rinder. Der Titel , den A. Trinius einem seiner Bücher gegeben hat, nämlich „Unter Tannen und F'arren" (Skizzen aus dem Thüringerwalde. Berlin, Lüstenöder , 1890) ist daher verfehlt. Herrn Dr. N. in T. — Über die Herkunft des Kohls ;i u f Helgoland haben wir in der Naturw. Woehenschr. ]900 schon einmal die folgende Auskunft gegeben. Sie linden das Nötige in P. .\scherson's Übersicht der Pteridophyten und Siphonogamen Helgolands. Wissenschaftliche Meeresunter- suchungen. Abteilung Helgoland Bd. 4, 1900. — Der steile Felsabhang, welcher vom Unterland der Insel sich zum Ober- land erhebt, ist mehr oder weniger dicht mit einer üppigen Vegetation von Brassica oleracea überzogen, die zur Blütezeit in einem prächtig gelben Farbenkleid erscheint. Ascherson ist der Meinung, daß diese Pflanzen hier wie an der englischen Küste nicht ihre ursprüngliche Heimat haben. ,,Nach meiner Auffassung, heißt es S. 115, ist der als Brassica oleracea be- zeichnete Formenkomplex im Mittelmecrgebiet aus einer oder mehreren der dort an Felsküsten vorkommenden , unter sich nahe verwandten halbstrauchigen Brassica-Arten durch Kultur entstanden und hat sich erst von dort aus durch den Völker- verkehr, immerhin schon in so früher Zeit, daß ihn die Kelten und vielleicht auch die Germanen und Slaven schon vor der Römerherrschaft in Gallien und Britannien kannten, nach Mitteleuropa verbreitet. — Dafür, daß, wie Knuth annimmt, der Kühl lange vor dem Menschen, wahrscheinlich durch Ver- mitlelung der Vögel, in Helgoland eingewandert sei, fehlt, wie ( ohn schon 1861 mit Recht bemerkt, jeder 15eweis." — Neben dem uns hier spezii-U interessierenden Kohl, der in einem Habitus- und einem Vegetationsbild wiedergegeben ist, be- handelt Ascherson auch die übrigen Vertreter der dortigen Flora. Seine .\ufzälilung umfaßt 334 .\rten , von denen min- destens 219 durch den Menschen eingeschleppt sind, von die- sen die jetzt so häufige Brassica nigra wahrscheinlich zur Zeit der Kontinentalsperre. Die noch übrig bleibenden 115 sind nach Ansicht des Verfassers durch die Vögel auf ihren Zügen zugeführt worden, einige wohl auch durch die Meereswogen und den Wind. Herrn Lehrer G. S. in Leipzig-Reudnitz. — Die wissen- schaftlichen Beamten an einer Zoologischen Station müssen studiert und eine zoologische Dissertation geschrieben haben. Die Zahl der Bewerber um eine zu besetzende Stelle pflegt eine recht große zu sein. " Dahl. Herrn H. S. in Bern (Schweiz!. — Wenn , wie Sie uns schreiben; E. v. Martens im „Hausschatz des Wissens; Tier- reich" sagt: .... ,,aber weder die chinesische Tusche noch die Malerfarbe Sepia kommen von der braunschwarzen Flüssigkeit der Tintenfische her, obwohl man ersteres früher angegeben und letztere ihren Namen davon hat" . . . ., so wird das auch wohl richtig sein; denn v. Martens war in seinen Angaben sehr gewissenhaft. Dahl. Herrn Prof. W. J. S. in Budweis (Böhmen). — F'rage l; Die Literatur über Protozoen ist sehr umfangreich. Auch ,,dic besten Bücher" können hier unmöglich alle genannt werden. Sie müssen uns also schon die Zwecke nennen, welche Sie verfolgen, wenn wir Ihnen nähere Fingerzeige geben sollen. Hier verweise ich Sie nur auf ein zusammen- fassendes Werk, das allerdings zu den besten Büchern über Protozoen gehört, auf O. Bütschli, ,,Protozoa", in; H. G. Bronn's ,, Klassen und Ordnungen des Tierreiches", Bd. I, Abt. 1—3, Leipzig 1880-89. Frage 2: Ebenso ist die Literatur über Süßwasser- plankton sehr umfangreich. In der ,,Bibliographia Zoologica", die seit 1896 von dem Concilium bibliograpliicum in Zürich herausgegeben wird, finden sich bereits 120 Titel von Arbeiten über den Gegenstand. Sie können dieselben von Herrn Dr. H. H. Field in Zürich bezichen. Hier kann ich Ihnen nur einige größere Arbeiten nennen: C. Apstein, Das Süßwasscr- plankton, Methode und Resultate der quantitativen Unter- suchung, Kiel 1896, CA. Kofoid, Plankton studies, 1, Me- thods and apparatus in use in plankton investigations, in; Bull. Illinois State Laboratory of Natural History Urbana, Vol. 5, 1897, CA. Kofoid, Plankton studies. IV, The Plank- ton of the Illinois River, Part 2: Quantitative investigations and general results, ibid. Vol. 6, 1903, p. 95 — 629, C. J. Wesenberg-Lund, Studies over de danske Söers Plankton, Dansk Ferskvands Biol. Labor. Op. 5, Kjöbenhavn 1904, E. Lemmermann, Das Plankton schwedischer Gewässer, in: Arkiv Bot. Bd. 2, 1904, S. I — 209, ferner die Forschungsber. der biol. Station zu Plön, herausgegeben von 0. Zacharias, mehrere Aufsätze im Biolog. Centralbl. , z. B. von O. Fuhr- mann, Bd. 19, 1899, S. 584—90, von A. Steuer, Bd. 20, 1900, S. 25 — 32, von H. Bachmann, Bd. 20, 1900, S. 386 bis 400 usw. usw. Einige weitere .\ngaben finden Sie übri- gens auch in einer Briefkastennotiz der Naturw. Woehenschr. N. F. Bd. 3, S. 830. Dahl. Soeben erschien in der Sammlung „Aus Natur und Geistes- welt" als 156. Bändchen; Zacharias, Das Süßwasser-Plankton (Leipzig, B. G. Teubner. Geb. 1,25 Mk.). — Ked. Auf Seite 112 der Naturw. Woehenschr. ist für die sy- stematische Stellung der Graptolithen auf Zittel's Paläozoologic verwiesen und gesagt, daß man sie zu den Cölenteraten stellt. Ich bemerke hierzu, daß Zittel's Buch in neuer Auflage vorliegt. Die Invertebraten erschienen 1903 neu. .\ber auch sachlich erscheint mir ein Aufsatz wenigstens be- merkenswert, den Schepotieff im Neuen Jahrb. f. Min., Geol. u. Paläont., J. 1905, 2. Bd., S. 79, 1905 veröfl'entlichte , und der recht deutliche Übereinstimmungen im Bau der Grapto- lithen mit dem der Pterobranchier, insbesondere Khabdoph-ur;i, 224 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 14 aufweist. So die eigen;irlige .^nlangsslellc tier Kolonien, der Gewichtes die Ursache gefunden zu haben. Auch chemische Hau der Wolinrohrwande und der Verlauf des schwarzen Vorgänge hat man verantwortlich gemacht; z. B. sollen die Stolos von Khabdopleura verglichen mit der Virgula der Salze die von den Sinkstoffen eingegangenen schwachen Ver- Graplolilhen. Schepotiefl" ist der Meinung, daß diese den bindungen zersetzen, so daß jene zu Boden sinken können. Ahnen der rezenten Pterobranchicr nahe standen. Wir gedenken in der nächsten Zeit in einem größeren Aufsatz Prof. Matzdorfl. auf die Frage zurückzukommen. .-X. Kühl. Zum Aufsatz „Genesis der Steinkohle". — Wollen Sie mir gestatten, zu den Schlußworten Ihres Artikels „Histo- risches zur Krage nach der Genesis der Steinkohle" in Nr. S der Naturw. Wochenschr. vom 24. Februar, Seite 117 (Anmer- kung), zu bemerken , daß mein verewigter Vater ') in seiner ,, Monographie der Mineralmoorbäder" zu Franzensbad bei Eger, 2. Aufl., Prag 1S52, einen Unterschied zwischen Moor als Lagerstätte des Torfes und Moor als Heilmittel gemacht hat, indem er a. a. O. S. 14, .Anmerkung, sagt: ,, Das Moor» heißt im Deutschen die natürliche und ursprüngliche Lager- stätte des Torfes. Der zu Heilzwecken benutzbare Torf, die mineralisierte Moorerde selbst, wird der Moor, der Mineral- moor genannt." — Wenn ich nicht irre, ist diese Unterschei- dung jetzt allgemein von den medizinischen Schriftstellern an- f'enommen. \\':ire es geologisch oder botanisch genommen richtiger, von Tort- oder Humusböden zu reden.' Mein Vater gibt im Untertitel den in Rede stehenden Bädern den Namen „salinische F.isenmineralmoorbäder", der auch von Ihrem streng naturwissenschaftlichen Standpunkte zu billigen sein dürfte, aber wegen seiner Länge nicht anwendbar ist. Mein Kollege H. Helmkampff in Elster führt in seiner Schrift ,,Moor und Moorbäder", Leipzig 1903, in der Übersicht der Moorbäder- Kurorte auch solche an, wo aus Schwcfelschlamm , Quell- schlamm, Seeschlamm, Schwefelsalzschlamm, Ptlanzenmoor Bäder bereitet werden. Dr. Josef Cartellieri, Badearzt. Wie Meer ein Gelände mit Wasser ist, so ist Moor (Meer und Moor hängen übrigens etymologisch zusammen) ein Gelände mit Humus und zwar mit Torf. Wie ein Meerbad, ein See- bad ein Bad im See- Wasser, so wäre ein Moorbad ein Bad in einem Moor. Die Mediziner sagen für Moortorf etc. freilich abge- kürzt oder in übertragenem Sinne einfach Moor und dementspre- chend Mo<.irbad für ein Bad in Torf oder in gewissen Schlammen ; dieser Gebrauch wird auch kaum zu beseitigen sein. Für rein wissenschaftliche Dinge ist aber die genaue logische Scheidung von Moor als Gelände und Turf usw. als Gestein streng zu handhaben und wird auch jetzt z. B. von der Kgl. Preuß. Geol. Landesanstalt innegehalten. Die entsprechen- den Begrifl'e Sumpf und Schlamm werden von den Medizinern verwendet wie in der theuretisclien Wissenschaft. Ein Sumpf ist ein Gelände mit Schlamm. Ein Sumpfbad würde heißen ein Bad in einem Sumpf, ein Schlammbad aber ein Bad in Schlamm. — Näheres über diese Dinge (inden Sie in Potonie ,, Klassifikation und Terminologie der rezenten brennbaren Biolithe und ihrer Lagerstätten" (herausg. v. d. Kgl. Preuß. Geol. Landesanstalt in Berlin 1906). P. ') Dr. med. Paul Cartellieri, k. k. Krunnenarzt und Direk- tor des Badehospitales in Franzensbad. Herrn M. K. in Frankenberg i. S. — Sie fragen : Wie erklärt man die Beschleunigung der Sedimentation durch den Salzgehalt des Wassers? Über diese eigen- artige Erscheinung existiert eine ungemein reiche Literatur, und es sind zur Erklärung des Phänomens die verschiedenartigsten Hypothesen aufgestellt worden. So hat man an eine Auf- hebung der elektrischen Spannung oder an eine Verminderung der Kohäsion der VVassermoleküle durch die Salze gedacht. Andere glaubten in einer Fixierung der gelösten Substanzen auf der < 'berfläche der suspendierten Teilchen und einer viel- leicht dadurch hervorgerufenen Vergrößerung des spezifischen Herrn Dr. F. in Hagen. — Wenn man den vollen Verlust sexueller Zeugung von Organen meint, die ihrem ganzen Bau nach sonst Sexualorgane sind , so spricht man von Apogamie; eine ungeschlechtliche Zeugung durch Sexualorgane, die in anderen Fällen sich auch sexual betätigen können, ist die eigentliche Parthenogenesis. Danach wäre Alchemilla in der Tat besser als apogam zu bezeichnen. Übrigens löst sich der Widerspruch dadurch, daß Strasburger die FortpHanzungsart der Alchemillen als .Apogamie bezeichnet, weil die Eier doppelchromosomig sind, andere sie Partheno- genesis nennen, weil sie den Schwerpunkt darauf legen, daß es ein als Ei ausgestaltetes (iebilde ist, das ohne Befruchtung in die Entwicklung tritt. In allen bisher im Pflanzenreiche sichergestellten Fällen sind die sich apogamisch weiterentwickelnden Eier doppel- chromosomig. Sie sind es, weil der Reduktionsvorgang durch den sie einfach chromosomig hätten w^erden sollen, zuvor aus- geschaltet wurde. Für manche Fälle im Tierreiche wird hin- gegen angegeben, dati ein wirklich einfach chroraosomiges Ei in Entwicklung tritt — , also tatsächlich parthenogcnetisch , — und die doppelte Chromosc.»menzahl dadurch erlangt, daß die Tochterkeime bei dem ersten Teilungschritt des Eies ver- schont sind. (x). Da meine Bemerkungen über den L u z e r n e r Gletscher- garten im Briefkasten der Nr. 44 vor. Jahrg. von einigen Seiten falsch aufgefaßt worden zu sein scheinen, sehe ich mich veranlaßt, hinzuzufügen, daß mir bei Niederschrift derselben der Entwicklungsgang des Glctschcrgartens, wie denselben Herr Prot". Salomon im Briefkasten der Nr. 4 ds. Jahrg. geschildert hat, wohl bekannt war, mir vielmehr in einer Zeit, in welcher soviel für die Erhaltung der Naturdenkmäler getan wird, be- sonders daran lag, mit genannter Notiz allein darauf hin- zuweisen, (laß, wenn schon einmal die Entstehung solcher Dinge dem besuchenden Publikum vorgeführt werden soll, dies in einwandfreierer Weise zu geschehen hat, als in diesem F'alle nach meiner, zwar subjektiven Auffassung. Über die .Art und Weise der Erhebung der EintrittsgebUhren hatte ich mich daher absichtlich nicht geäußert, kann mich jetzt aber nur den .Ausführungen des Herrn Dr. Gothan im Brief- kasten der Nr. 47 vor. Jahrg. und auf S. 176 vorliegenden Bandes anschließen , zumal bei meinem letztjährigen Besuche besonders für das Anstellen des Wasserhahnes der ,, Gletscher- mühle" ein F.xtratrinkgeld verlangt (und allerdings verweigert) wurde. K. Andree, Clausthal. Hiermit ist diese Angelegenheit über den Luzerner Gletschergarten für uns geschlossen. — Red. Herrn Dr. E. — Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, daß der Mensch alles immer anders zu machen ge- neigt ist, als es gerade ist: eine .Änderung in dem momentanen Zustand herbeizuführen , wohl getrieben durch die Hoffnung, daß das Erstrebte angenehmere Besonderheiten bietet als die Gegenwart. Ist das erreicht, so wird wieder ein anderer, häufig dann der erste ursprüngliche Zustand wieder erstrebt. Einerseits Naturzustand, andererseits Kultur (Rousseau von der Kultur zur Natur) ; einerseits Streben nach Verständlich- keit der Literatur für alle, andererseits Bestrebung Gracian's nicht von allen, vom ,,VfdK-e" verstanden zu werden; heute wohl wieder umgekehrt. P. Inhalt: Richard Müller: Über die physiologische und biologische Bedeutung der Kunst. — Kleinere Mitteilungen: Dr. H. Reeker: Zur Naturgeschichte des Maulwurfs. — O. Rosenberg; Über eine neue Art der F.mbryo- bildung bei phanerogamcn Pllanzen. — C) s c a r Ilörich: Pteridospermeae. — Über die Entstehung der S5 3 - c 5 2.- 3 D o - p a 3 f^ « rr — —70 « ^ ^ 3 - T Oft: 3 kr^ *=^ C 3 o E-S S^ci c " B « J; a V) 3 ~ n S — M 1:?? 3 p jq ii »= " 3 '_ M n 5; o: 2, 3 CD 4^ c •:';" '■: ::-.vÄSi 4" - ■■_: ■« 4iv .' .; •', ■ ::.••«!; " '* • . ■•- ;§ «-■ •'■''.' .' '.":;\5 i?»:;-; ;/Vv«i STo':,- S^°;'; -^■•-'••"i '^'''% •Si";;v ■;r:■^y^<:Xi ■V V ■ .•■--V>J ■i :>■■ •i^;.=>d .„.A ;^5*?.4rf Fig. 5. Chauliodus sloani. Über die Leuchtorgane kann erst später, nachdem der anatomische Teil der Brauer'schen Arbeit er- schienen ist, berichtet werden. Hier mag nur erwähnt sein, daß Brauer auf Grund seiner feineren Unter- suchung der Leuchtorgane , deren Ergebnisse durch einige Vorträge Brau er 's bekannt sind, unsere An- sicht über die biologische Bedeutung der Leuchtorgane erheblich umgestaltet hat. Bisher glaubte man , daß das Licht der Leuchtorgane zum Anlocken und Er- kennen der Beutetiere , sowie zum Abschrecken von Feinden diene. Für die Organe, welche an den Ten- takeln liegen , dürfte diese Ansicht zutreffen. Nicht aber für die ganze große Menge der am Körper liegenden Leuchtorgane, weil die Beutetiere dann nach Teilen des Körpers gelockt würden , welche nicht in das Gesichtsfeld des Tieres fallen. Die Vielgestaltig- keit der Organe zwingt Brauer zu der Annahme, daß sie farbiges Licht aussenden und zwar entspre- chend dem verschiedenen Bau auch verschiedenfarbiges Licht, daß mithin diese Organe in ihrer Gesamtheit eine Zeichnung des Tieres hervorrufen. Die Tiefsee- Fische, besonders die meisten pelagischen, würden also nicht schwarz , wie sie uns nach dem Tode er- scheinen, sondern vielmehr lebhaft gefärbt sein, und die schwarze Haut würde einen vorzüglichen Untergrund abgeben, von dem die Farben sich günstig abheben. Die biologische Bedeutung würde in erster Linie in einem Erkennen der Artgenossen und in einem Auf- suchen der Geschlechter liegen. Merkwürdig gestaltet sind auch die Augen. Die Teleskop-Augen sind ebenfalls Anpassungserscheinun- gen an die eigenartigen biologischen Verhältnisse der Tiefsee. Ihre Bedeutung liegt nach Brauer in erster Linie darin, daß von dem geringen Lichte, welches in der Tiefsee vorhanden ist und nur von leuchtenden Organismen erzeugt wird, möglichst viel vom Auge aufgenommen werden kann. Hierfür dient die große Linse, ihre weit vorgeschobene Lage, die weite Pupille usw. Die eingehenden Untersuchungen 238 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 15 über diese Augen wird auch erst der anatomische Teil der Arbeit bringen. Hier sei aber noch auf die gestielten Augen der Larven von Stylophthalwus paraJoxiis Brauer hinge- wiesen (Fig. 8). Von diesen waren 35 Exemplare in verschiedenen Stadien gefangen, so daß Brauer die Entwicklung des Augenstieles verfolgen konnte. Bei den jüngsten Larven ist der Stiel noch kurz, bei den ältesten beträgt seine Länge aber '/^ — ^/g der lang aus und bildet sich später ebenso wie der Augen- stiel fast ganz zurück. Über die Verbreitung der Tiefsee-Fische können wir uns noch kein richtiges Bild machen, da viele Gebiete daraufhin noch gar nicht erforscht sind. Brauer hat die Fundorte auf 2 Karten genau ein- getragen und dadurch späteren Expeditionen die Auf- gaben sehr erleichtert, da sich aus den Karten leicht ersehen läßt, wo etwa die Forschungen nach Tiefsee- Fig. 7. .\i-gyropelecus hcmigymuus. / ^, y rig. 8. Jui;endform von Fischen aus dem Indischen Ozean (Stylophllialmus Brauer). Körperlänge, schließlich ist er aber nur noch ganz kurz. Bei seiner ersten Entstehung erscheint der Stiel als einfacher Auswuchs der Körperwand; die 6 Muskeln, der Augennerv , die Gefäße etc., wachsen auch mit aus. Erst später erhält der Stiel eine Knorpelstütze. Außer durch den Augenstiel erscheinen diese Larven noch eigentümlich durch die lange Afterpapille. Bei den jüngsten Stadien ist sie kurz. Dann wächst sie Fischen weiter einzusetzen haben. Brauer gibt in dieser Arbeit auch eine Liste aller bisher bekannten Fundorte mit Angaben der Tiefen und Temperaturen. Für tiergeographische Betrachtungen muß man die Tiefsee-Fische in zwei Gruppen scheiden: i) die be n th onisch en oder Grundformen, welche am oder dicht über dem Boden leben, aber niemals eine größere vertikale Ausbreitung erlangen; 2) die bathy- N. F. VI. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 239 p el;ig i sehe n , welche unterhalb der 400 m-Grenze pelagisch, vom Boden völlig unabhängig leben. Die Valdivia-K.xpedition hat durch die .\nwendung von Schließ- und Vertikalnetxen mit Sicherheit nachge- wiesen, daß eine große Anzahl von Fischen, die man bisher allgemein fiir Grundformen gehalten hat, eine pelagische Lebensweise hat. Von 309 Gattungen und 1007 Arten von Tiefsee-Fischen, welche bisher bekannt sind, wären nacli Brauer 151 Gattungen mit 397 Arten den pelagischen Fischen zuzurechnen. Zählt man die Gattungen nicht mit , welche auch in geringerer Tiefe sicher angetroffen sind , so würden dem unterhalb 400 m liegenden Gebiet der Tiefsee nur 126 Gattungen zuzurechnen sein, und von diesen würden mehr als die Hälfte, 66 Galtungen, der pela- gischen Fauna angehören. Die heute bathypelagisch lebenden Fische leitet Brauer von Litoralfischen ab, der größte Teil hat 1 sich über die Meeresoberfläche pelagisch verbreitet und ist von hier in die Tiefe gewandert, der kleinere Teil dagegen ist an den Küstenabhängen in die Tiefe gewandert und hat sich von hier aus das Bathypelagial erobert. Diese Einwanderung hat hauptsächlich in den wärmeren Zonen stattgefunden und ist , wie die verschiedenen Stufen andeuten , noch nicht beendet. Die polaren Formen sind ebenfalls von den warmen Gebieten aus in die kalten eingewandert und, nach ihrem Umfangen zu schließen , seit verhältnismäßig nicht langer Zeit, zum Teil vom Litoral zum Litoral, und von diesem in die Tiefsee, zum Teil vom Pela- gial zum Pelagial und von diesem in die Tiefsee, zum Teil von der Tiefsee der Tropen in die Tiefsee der polaren Gebiete. Brauer kommt hier für die Tiefsee-Fische zu demselben Resultat, wie Meisen- h e i m e r für die Pteropoden , dessen Ansichten in einem früheren Referat ausführlich besprochen wurden. Zum Schluß sei noch einmal auf die glänzende Ausstattung dieses Bandes mit kolorierten Tafeln hin- gewiesen. Die Verlagsbuchhandlung von G. Fischer hat hier wirklich in weitgehendster Weise die Mittel für eine erstklassige Wiedergabe der seltenen Tiefsee- Bewohner bewilligt. Jeder Zoologe, der die Tafeln betrachtet, hat wohl den Wunsch, sie als Wand- schmuck zu besitzen. F. Römer. Literatur. Baur, Prof. Dr. Emil: Kurzer Abriß der Spektroskopie und Kolorimetrie. Mit 29 .Abbildungen im Text. (VIII, 122 S.) Leipzig '07, J. A. Barth. - 6 Mk., geb. in Leinw. 7 Mk. Findlay, Dr. Alex: Einführung in die Phasenlehre und ihre .-\nwendungen. Mit 134 Abbildungen im Te.\t und I Taf. (Deutsch V. Prof. G. Siebert. (VII, 224 S.) Leipzig '07, J. A. Barth. — 10 Mk., geb. in Leinw. 11 Mk. Hesse, Otto: Vorlesungen aus der analytischen Geometrie d. geraden Linie, des Punktes und des Kreises in der Ebene. 4. Aufl., rev. u. ergänzt v. S. Gundelfinger. (VIII. 25 1 S.) gr. 8". Leipzig '06, B. G. Teubner. — Geb. in Leinw. 6 Mk. Holleman, Prof. Dr. A. F. : Lehrbuch der Chemie. Deutsche Ausg. Lehrbuch der organ. Chemie f. Studierende an Uni- versitäten u. techn. Hochschulen. 5., verb. .\ufl. (X, 494 S. »m. Abbildgn.) gr. 8°. Leipzig '07, Veit & Co. — Geb. in Leinw. lo Mk. Holleinan, Prof. Dr. A. F. : Einfache Versuche auf dem Ge- biete der organischen Chemie. Eine Anleitg. f. Studierende, Lehrer an höheren Schulen u. Seminaren sowie zum Selbst- unterricht. Deutsch durch Priv.-Doz. Dr. VVilh. Meigen. iVIll, 88 S. m. Fig.i 8". Leipzig '07, Veit & Co. — Geb. in Leinw. 2,20 Mk. Kauffmann, Prof. Dr. H. : .Anorgan. Chemie. Volkshochschul- vorträge. (VI, 179 S. m. 4 Abbildgn.) gr. 8". Stuttgart '07, F. Enke. — 3,60 Mk., geb. in Leinw. 4,40 Mk. Klockmann, Prof. Dr. F.: Lehrbuch der Mineralogie. 4. verb. u. verm. Aufl. (XII, 622 S. u. 41 S. m. 553 Fig.) Lex. 8». Stuttgart '07, F. Enke. — 15 Mk., geb. in Leinw. 16,40 Mk. Lang, .Assist. Wilh. : Zur Blüten - Entwicklung der Labiaten, Vcrbenaceen u. Plantiginaceen. Mit 5 Taf. (42 S.) Stutt- gart '06, E. Schweizerbart. — 26 Mk. Marpmann, Handelschem. Handelssch.-Doz. Vorst. Geo. : Die Nahrungs- u. Genußmittel. 1. Bd. Die Nahrungsmittel aus dem gesamten Tierreich. I. Abtlg. Milch- und Molkerei- produkte. I. — 5. Lfg. (S. 1 — 240 m. Abbildgn.) gr. 8". Leipzig '07, Paltur & Co. — 1,50 Mk. Briefkasten. Ich erlaube mir zu dem in Xr. 7 dieser Zeitschrift ent- haltenen Artikel über Berühmte Alchy misten zu be- merken, daß die Meinung von der Möglichkeit der Umwandlung unedler in Edelmetalle unter den Bergleuten auch heutzutage noch verbreitet ist. So kann ich als während den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ärar. Bergarzt in Idria, dem zweit- größten Quecksilber-Bergwerke in Europa, aus eigener Erfah- rung berichten, wiederholt von den dortigen Bergleuten gehört zu haben, daß es Tatsache sei, daß das in Idria gewonnene Hg in Wien in einem staatlichen Hüttenwerke durch ein streng geheim gehaltenes Verfahren in echtes Silber umgewandelt werde. Jede hiergegen erhobene Einwendung wurde von ihnen ungläubig belächelt. Eine Bestätigung dieser Behauptung fin- den sie darin, daß das gewonnene reine Hg allmonatlich an das in Wien bestehende ärarische Verschleißmagazin für staatliche Berg- und Hüttenprodukte abgeliefert wird. Neben- bei noch die Erwähnung, daß 100 Jahre vor mir der namhafte Botaniker Skopoli in idria als .Arzt angestellt war. Derselbe ist der Entdecker und Beschreiber der nach ihm benannten Species, der im Aussehen wie im Gehalte der Belladonna ähnlichen Scopolia carneolica, aus der ein dem Hyoscin iden- tisches .Alkaloid gewonnen wird , welches jetzt häufig in der Chirurgie und Augenheilkunde Anwendung findet, das Scopo- lorain. Leider findet man auch im neuesten Brockhaus über Scopoli nur sein Geburts- und Sterbejahr gelegentlich mit den betretfenden C)rten, aber auch weiter nichts, nicht einmal, daß er Arzt und Botaniker war, angeführt. Dr. med. Hans Baaz in Graz. Herrn Prof. Dr. F. H. in F.chternach. — Sie wünschen Auskunft über folgende Fragen : 1) ,,Wie erhält man eine völlig klare Lösung von Seife, z. B. Marseiller-Seife in Wasser?" 2) ,, Welches ist die chemische Zusammensetzung des Auer-Glühstrumpfes ?" 3) ,, Welches ist die chemische Zusammensetzung des „Zahnsteines", jenes gelben Ansatzes um die Zähne im Munde?" Antworten : 1) Jede Seife löst sich in wenig Wasser zur klaren Flüssig- keit. Mit viel Wasser erleidet die Seife eine chemische Ver- änderung, indem sie, d. h. das neutrale fettsaure Alkali, in unlösliches, saures fettsaures .Alkali und freies Alkali ge- spalten wird. Darauf beruht ja hauptsächlich ihre .Anwendung zum W^aschen. Eine klare Lösung können Sie also nur mit sehr wenig Wasser bekommen. 2) Die käuflichen Auer-Glühstrümpfe bestehen aus 99% Thorerde und I "/^ Ceroxyd. Das Maximum der Leuchtkraft soll bei 0,9 "/„ Ceroxydgehalt liegen. 3) Der fälschlich „Weinstein" genannte gelbe Ansatz be- steht vornehmlich aus kohlensaurem und phosphorsaurem Kalk, enthält aber daneben noch Schleim und andere organische Bestandteile. Lb. 240 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 15 Herrn O. in Lengcnfeldl. — Am besten werden Museal- objekte, da Papieretiketten nicht li;ütbar sind, direkt beschrie- ben. Die Kgl. Preuß. geolog. Landesanstall verwendet rote Farbe. Die Schrift wird dann überlackiert. Herrn Dr. K. in Thorn. — Die Nachweise von Quellen in Deutsch Siidwestafrika durch Herrn v. U. erstrecken sich im Norden von Süd westafrika auf solche Stellen, die als Wasser- stellen bereits bekannt Avaren. Von einem besonderen Erfolg der Wünschelrute ist sonach keine Rede und die in den Zeitungen hierüber verbreiteten Angaben sind irreführend. Die Regierungsgeologen haben ihre Erfolge nicht an die große Glocke gehängt und keinen Grund auf die entstehenden Be- richte über die Wünschelruten-Erfolge zu antworten. Im übrigen empfehlen wir Ihnen das Lesen der launigen Broschüre von König: Ernstes und Heiteres aus dem Reich der Wünschel- rute (Leipzig bei C. Wigand, 1907), wenn Sie sich einige an- genehme Stunden verscliaffen wollen. Leppla. Herrn Prof. L. in Lissabon. — Literatur zu Ihrem Gegen- stande und Auskunft auch über diesen selbst finden Sie in Czapek's „Biochemie der Pflanzen" (G. Fischer in Jena). Herrn Taubstummenlehrer A. A. in Osnabrück. — Die Entwicklung des Nervensystems in der Tierreihe — so fasse ich Ihre Frage auf — finden Sie ausführlicher als in R. Hart- wig's Lehrbuch der Zoologie, in: B. Haller's Lehrbuch der vergleichenden Anatomie (Jena 1904) dargestellt. Sic müssen in diesem Buche die Kapitel ,, Nervensystem" in den einzelnen Tierkreisen durchgehen. — Meinen Sie die onto- genetische Entwicklung des Nervensystems, so empfehle ich Ihnen für die wirbellosen Tiere: E. Korscheit und K. Heider, Lehrbuch der vergleichenden Entwicklungsge- schichte der wirbellosen Tiere. Spezieller Teil, Bd. 1—3 (Jena 1890-1893), für niedere Wirbeltiere: H. E. Ziegler, Lehrbuch der vergleichenden Entwicklungsgeschichte der nie- deren Wirbeltiere (Jena 1902), für die höheren Wirbeltiere und den Menschen; U. Hertwig, Lehrbuch der Entwick- lungsgeschichte des Menschen und der Wirbeltiere (7. Aufl., Jena 1902). Noch ausführlicher ist für Wirbeltiere : O. Hert- wig, Handbuch der vergleichenden und experimentellen Ent- wicklungslehre der Wirbeltiere, Bd. 2, Teil 3 (Jena 1906). — Gute bildliche Darstellungen linden Sie in den genannten Werken. Dahl. Herrn Dr. K. in Thorn. — Der dunkle Körper, der sich in dem leider schon sehr stark eingetrockneten gekochten Ei- weiß eines Hühnereies befindet, scheint mir geronnenes Blut zu sein. Nach H. Landois sollen derartige Eieinschlüsse auf krankhafte Hämorrhagien des Ovidukts zurückzuführen sein (vgl. H. Landois, in: Zool. Garten Bd. 19, 187S, S. 17 bis 24 und in: Humboldt, Jahrg. 1882, S. 22 — 24. Ferner W. v. Nathusius, in: Arch. f. mikr. .Anat. Bd. 45, 1895, S. 679). Im vorliegenden Falle scheint das Blutgerinnsel erst mit Eiweiß umgeben und von einer Eihaut umschlossen und dann in ein anderes Ei eingeschlossen zu sein. Dahl. Herrn Lehrer H. B. in Ankum bei Osnabrück. — Frage I ; Die grünen , mit einem schwarzen Rückenstreif gezeichneten Raupen, welche Sie im September nach einem heftigen \Vinde zahlreich unter Birken fanden, sind nicht die Raupen von Schmetterlingen, sondern von einer Blattwespe, Cimher {Tri- chiosama] lucormn (L.) (variahäis Klug.) (vgl. T. Hartig, Die Familien der Blaltwespen und Holzwespen, Berlin 1837 bzw. 1860, S. 57, Taf. 1, Fig. 1—25). — Da wohl jeder Schmetter- lingssammler die Raupen der Blattwespen zuerst für Schmetter- lingsraupen hält, mache ich darauf aufmerksam, daß die Raupen der Großschmetterlinge, (die für den Anfänger allein in Betracht kommen) , nur 2 — 5 Paar Bauchfüße besitzen (bei Kleinschmetterlingen kommen auch 6 Paar vor), während die freilebenden Blattwespenraupen meist 7 — 8 Paar (selten 6 Paar) besitzen. Frage 2: Die Fähigkeit frischer Blattwespenraupen, aus den Körperringen eine grünliche oder gelbliche Flüssigkeit hervortreten lassen oder gar weit hervorsprilzen zu können, wurde schon von de Geer ausführlich geschildert (vgl. K. Degeer, Abhandlungen zur Geschichte der Insekten Bd. 2, Teil 2, Nürnberg 1779, S. 224 tf.). Nach neueren Untersuchun- gen ist diese Flüssigkeit das Blut der Raupe. Man hat näm- lich ebenso wie beim Maiwurm (vgl. Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 5, S. 544) in der Flüssigkeit die charakteristischen Blutkörperchen gefunden (vgl. N. Cholodkovsky, in: Horae Soc. ent. Ross. T. 30, 1S97, p. 353 und J. T. Oude- mans, in: Tijdschr. voor Entom. Bd. 40, 1897, S. I ? f.). Die Stelle, an welcher die Blutflüssigkeit hervortritt, wurde schon von de Geer richtig erkannt, aber den Mechanismus hat erst Cholodkovsky klargestellt. Nach ihm befindet sich eine halbmondförmige Spaltöffnung über einem schwarzen Punkt, den man an den einzelnen Segmenten über dem Stigma be- merkt. Die Ränder des Spaltes liegen so fest aneinander, daß kein Blut austreten kann. Sobald sich aber ein Muskel, der sich an der Unterlippe der Spaltöffnung genau an der Stelle des schwarzen Punktes an eine vertiefte Chitinverdickung an- setzt, zusammenzieht, öffnet sich der Spalt und das Blut tritt unter mehr oder weniger starkem Druck hervor (vgl. auch K. G. Lutz, in: Zool. Anz. Bd. 18, 1895, S. 244 — 255). — Nach de Geer besitzt das Blut einen unangenehmen Geruch. Es enthält nicht, wie man hier und da wohl angegeben findet, eine scharfe Säure. Es ist vielmehr schwach alkalisch (vgl. A. J. van Ross um, in: Archives Neerlandaises Sc. exact. nat. T. 7, 1872, p. 381 — 384). Man nimmt an, daß das Her- vorspritzen des Blutes eine Schutzvorrichtung gegen Feinde ist und zwar wohl besonders gegen Schlupfwespen (vgl. Cho- lodkovsky a. a. O. S. 356). Frage 3 : Die Raupe der vorliegenden Blattwespe ver- wandelt sich, wie schon de Geer beobachtete (a. a. O. S. 227), erst im Sommer des nächsten Jahres in eine Puppe, kurz be- vor die Wespe erscheint. Der jetzt vorliegende Zustand, die etwas zusammengezogene Raupe in ihrem Kokon, ist also der normale. Dahl. Herrn Dr. R. in Hamburg. — Gibt es eine Farbenskala, nach der sich die in der organischen Welt vorkommenden Farben (Blumen, Conchylienschalen, Haare oder Federn, Iris des Auges usw.) genau bezeichnen lassen ? — Nach der Farben- skala von Radde lassen sich alle möglichen Farbentöne, die in der organischen Welt vorkommen, bestimmen. Unter den älteren Farbenskalen wäre vielleicht noch die von Chevril zu erwähnen. Herrn S. in Loslau. — Die Phylogenie des Pflanzenreichs hat der Unterzeichnete behandelt in ,, Weltall und Menschheit" (Bong & Co. in Berlin) in Bd. 11 unter dem Titel ,,Die Ent- wicklung der Pflanzenwelt". Vgl. Sie desselben Heft „Ab- stammungslehre und Darwinismus" (Ferd. Dümmler in Berlin.) Als soeben neu erschienen wird angezeigt von Gustav Fischer in Jena: Vorträge über botanische Stammesgeschichte, gehalten an der Reichsuniversität zu Leiden. Ein Lehrbuch der Pflanzensystematik von J. P. Lotsy. Erster Band : Algen und Pilze. Mit 430 Abbildungen im Text. Preis 20 Mk. P. Herrn Dr. P. in Amsterdam. — Über die Rolle der Pflanzen in Sage, Mythe, Märchen usw. finden Sie .Auskunft in l) Geßmann, Die Pflanzen im Zauberglauben (Hartleben in Leipzig), 2) Reling u. Bohnhorst, Unsere Pflanzen nach ihren deutschen Volksnamen, ihre Stellung in Mythologie und Volksglauben, in Sitte und Sage, in Geschichte und Lite- ratur (Thienemann in Gotha), 3) Rosenkranz, Die Pflanzen im Volksaberglauben (Keßler in Kassel), 4) Sohns, Unsere Pflanzen. Namenserklärung, Mythologie und Volksaberglauben (Teubner in Leipzig). P. Inhalt; Dr. E. Andreae: Pflanzen der Tempelhaine Japans. — Kleinere Mitteilungen: .\. Ernst: Das Keimen der dimorphen Früchtchen. — Kaunhowen: Die Störungen in der Erdbruste während der Zeit vom I. Januar bis IS- Februar 1907. — Bücherbesprechungen: Wissenschaftliche Ergebnisse der deutschen Tiefsee-Expedition auf dem Dampfer ,,Valdivia" 1898 — 1899. — Litteratur : Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge VI. Band; der ganzen Reihe XXll. Band. Sonntag, den 21. April 1907. Nr. 16. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten , wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. InseratenannahnQe durch die Verlagg- handlung. Krankheit und Tod in kulturgeschichtlicher und naturwissenschaftlicher Beleuchtung. Vortrag, gehalten am 18. Dezember 1906 zu Düsseldorf im Verein für Volksgesundheitspflege. [Nachdruck verboten.] Von Chefarzt Dr. F. Köhler, Heilstätte Holsterhausen bei Werden Ruhr. Zu der Grundlage der philosophischen Idee von der „Tragödie des Menschengeschlechts" hat die Erkenntnis des Ringens jedes einzelnen Individuums um die Widerstandsfähigkeit des Kör- pers gegen äußere, schädigende Einwirkungen einen wichtigen Grundstein geliefert. Krankheit und Tod — das sind Faktoren, die in das Leben ganzer Völker eingreifen können, wie in das Leben einzelner Staaten, einzelner Gemeinden, einzelner Familien, und hier einen Einfluß ausüben, der oft der gesamten ferneren Entwicklung einen neuen Weg vorschreibt. Dieser Einfluß kann sich ver- schiedenartig geltend machen. Die Wirkung einer großen Seuche besteht in erster Linie in einer Hemmung der Entwicklung auf numerischem Ge- biet; dann aber ergreift der Tod die führenden Geister auf dem Gebiet der Intelligenz, wie die geistig Schwachen, und die Förderung geistiger Ziele erlebt einen schweren Verlust durch die Hinwegnahme großer führender Helden, die dem geistigen Fortschritt ihre fruchtbringenden Dienste leisteten. Sozial Hochgestellte wie die Schar derer, welche in schwerer Tagesarbeit ihr Leben dahin bringen, fallen unter der Sichel des Todes oder müssen einhalten unter dem Zwange einer die Kräfte lahmlegenden Krankheit des Körpers, so daß die Abwicklung des gesamten sozialen Appa- rates ständig unter der Devise eines Werdens und Vergehens sich abspielt. Jede Lahmlegung oder Austilgung einer menschlichen Kraft bedeutet aber zweifellos einen Verlust, eine Einbuße an Nationalvermögen, eine Annullierung einer Pro- duktivkraft, die für einige Zeit brach gelegt, oder aber für immer hinweggenommen wird. Gewiß, der Nachwuchs ist meist zur Stelle, an den die früheren Pflichten des durch Krankheit oder Tod beiseite gesetzten Individuums nunmehr übergehen; die bisher latente Energie wandelt sich zu einer aktiven um. Was früher Kind war und unter den Fittigen des arbeitenden und sorgenden Vaters ein Leben ohne ausgesprochene eigene Erwerbspflicht führte, das wird alsbald zum Manne und zum er- werbstätigen Faktor in dem volkswirtschaftlichen Getriebe. Und doch — wieviel Elend und Ringen um die Existenz, wenn Krankheit und Tod in die ein- zelne Familie einkehrt I Dieser Gedanke berührt zunächst die rein materielle Seite. Aber auch 242 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. i6 wieviel geistige Einbuße, wenn der Familie das Haupt genommen wird, das das gesamte sittliche Niveau bestimmte. Gewiß, auch hier ist nicht von einer in allen Fällen gültigen Regel die Rede. Wenn der Vater oder die Mutter an der Spitze einer Familie den sittlichen Halt verloren, wenn der Alkoholismus z. B. Vater oder Mutter in die Krallen des Lasters hineingetrieben hat, dann ist der Tod für die Familie nur eine Erlösung von einem Gliede derselben, das in der menschlichen Gesellschaft keinen Platz mehr verdiente und auch dem Gedeihen der Familie nur ein Hemmnis sein konnte. Bis zu dieser Erlösung aber hat dann die Krankheit — und als solche möge der Alkoholis- mus als eine der schlimmsten gekennzeichnet sein — eine Quelle der Sorge und des mühevollen Ringens und Entbehrens sowohl auf materiellem, wie auf geistigem Gebiet hineingetragen in die Familie, die unter dem Begriff „Tragödie der Einzelfamilie" richtig bezeichnet sein möge. Gegen Krankheit und Tod hat denn auch das Menschengeschlecht, solange es besteht, an- gekämpft. Es hat Krankheit und Tod nicht ohne weiteres hingenommen als eine Bestimmung des Menschengeschlechts. Philosophen und Dichter in ältester Zeit bereits haben von dem Vergleich ge- sprochen, der zwischen dem Werden und Ver- gehen des Menschengeschlechts und dem Wandel in der Natur zur Frühlings- und Herbstzeit ge- zogen werden kann. Blühen und Verdorren der Blume oder des Grases ist als Symbol für Leben und Sterben des Menschen hingenommen worden. „Gleich wie ein Gras, das doch bald welk wird, das da frühe blühet und bald welk wird, und des Abends abgehauen wird und verdorret", singt der Psalmist. Die buddhistischen und mohammedani- schen heiligen Schriften sind voll einer wunder- baren Philosophie des Menschengeschickes. Die religiöse Deutung von ,, Krankheit und Tod" ist uns allen aus der Jugend noch ge- läufig. „Der Tod ist der Sünde Sold", heißt das Bibelwort. „Das macht Dein Zorn , daß wir so vergehen, und Dein Grimm, daß wir so plötzlich dahin müssen", so lautet die Erklärung für die Tatsache des Todes in den Versen des 90. Psalms. Das religiöse Gemüt suchte also nach einer Moti- vierung der eigenartigen Erscheinung des Todes im Menschengeschlecht und glaubte sie gefunden zu haben in dem Zorn seines Gottes, der die .Sünde bestraft durch die Vernichtung des sündigen Men- schen selbst. Krankheit und Tod als göttliche Strafe aufgefaßt, kehrt in der Bibel und auch in den Schriften vieler sj^äterer Schriftsteller wieder. Den dramatisch-poetischen Handlungen des Buches Hiob liegt der Gedanke der Versuchung zugrunde, ob wohl der in die Hände des Satans gegebene Hiob an seinem Gotte verzweifelt, wenn er von Krank- heiten aller Art geplagt wird und ihm alles ge- nommen wird. Dieser Vorstellungskreis ist vielen selbst in unserer modernen Zeit noch etwas Unantastbares und Heiliges. Wir wollen aber nicht nur bei diesen bekannten Ideen stehen bleiben, sondern auf die Stufe primitiverer Anschauungen hinab- steigen, wie wir sie noch bei zahlreichen unkulti- vierten Völkern vorfinden. Die Anschauung von Krankheit und Tod ist eng verknüpft mit dem gesamten religiösenideenkreise. Je weniger dieser entwickelt ist, oder besser ge- sagt, je entfernter noch die religiöse Anschauung vom moralisch ethischen Momente ist, desto phan- tastischer, aber vielleicht auch desto interessanter ist die Anschauung von „Krankheit und Tod". Auf niedriger Kulturstufe finden wir in der Anschauung der Völker die Naturerschei- nung Krankheit und Tod noch völlig ab- gelöst von dem eigentlichen Naturge- schehen. Als etwas Fremdartiges und Wunder- bares, als etwas Unberechenbares und Übermäch- tiges ist Krankheit und Tod eng verknüpft mit der Vorstellung vom Überirdischen, von den Göttern, von den Dämonen, von dem höchsten Wesen, von Gott. Es ist von ältester Zeit her ein enger Zusammenhang zwischen Glaube und Wunder, zwischen Glaube und Geschehen im menschlichen Einzelwesen, für dessen Zustande- kommen der Mangel der Erkenntnis der umgeben- den Natur und ihrer Einwirkung auf den Men- schen die Lösung versagte. Eine bekannte und eine unbekannte Welt schleicht sich in frühester Zeit in den Ideenkreis des Menschen ein. Geläufig sind uns aus Sagen und Märchen die Geister, die Kobolde und Elfen, die Gespenster, die Geister der Toten, von denen allen nur in frühester Zeit ein unbekanntes und unberechenbares Walten an- genommen worden ist. Und immer an der Grenze der bekannten und unbekannten Welt, sagt Prof Bousset in seinem religionsgeschichtlichen Werke „Das Wesen der Religion", entzündet sich die Re- ligion. Der Blick wandte sich zu den Mächten des Himmels, die rauschen und stürmen, donnern, blitzen und regnen, und dann zu den Mächten der Tiefe, die über Leben und Tod herrschen. Den ewigen Ordnungen des Weltalls liegt ein Götter- walten zugrunde, die Geschicke der Völker wer- den gelenkt von einer überirdischen oder unter- irdischen Macht. Aber dieses Walten zersplittert sich noch in die verschiedensten Einzelmanifesta- tionen. Dennoch möchte ich an drei verschie- denen ausgeprägten Kulturerscheinungen der alten Welt nicht ohne eingehende Erwähnung vorüber- gehen, die sich herausheben, als festgefügte reli- giöse Anschauungsformen, in engstem Zusammen- hange mit dem religiösen Denken und der Vor- stellung von den Einwirkungen überirdischer Mächte auf den Ablauf des Naturgeschehens. Ich meine den Fetischismus, die Zauberei und die Dämonenlehre im engeren Sinn. Der Fetischismus, unter dem man die Verehrung kleiner und kleinster Objekte versteht, findet sich be- sonders ausgeprägt bei den Negerrassen, aber auch wir selbst in unserer aufgeklärten Zeit sind von dieser traurigen P>scheinung nicht ganz befreit. N. F. VI. Nr. i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 243 f Der Amuletglauben z. B. ist auch noch heute auf dem Lande und in abgeschiedenen Gegenden, welche mit dem Leben der großen Welt noch nicht in engste Berührung gekommen, aber auch selbst in Kreisen , welche für aufgeklärt gelten wollen, zu finden. Der h^etischglauben geht dahin, daß in einem bestimmten Objekte mächtige Geister hausen, welche auf das Menschengeschick einzu- wirken imstande seien. Bei den Wilden ist die Fetischverehrung nicht etwa stets eine all- gemeine, eine nationale, vielmehr eine per- sönliche, oft auch eine familiäre. Die Ge- meinschaft des Wilden mit seinem Fetisch ist in- dessen nicht immer eine dauernde, sie ist abhängig von dem Lebensglück. Im Glücke steigert sich das Vertrauen zu dem Schutzgott, im Unglück wird er beiseite geworfen und ein anderes Idol angenommen. Nicht selten sind die Fetische zahl- reich und haben die verschiedensten Aufgaben zu erfüllen für das Leben des Einzelnen. Und unter diesen spielt der die Gesundheit bewachende Fetisch meist eine große Rolle. Krankheit und Tod sind auf dieser Stufe der religiösen Anschauung unkultivierter Völker Machenschaften böser Geister. Die Dä- monen aber können überlistet, gebannt oder be- zwungen werden. Bemerkenswert ist die Gewohn- heit primitiver Völker, dem Schwerkranken einen anderen Namen zu geben, denn der Dämon des Todes sucht den N. N. und findet ihn nicht, wenn er X. heißt, wobei natürlich die Vorstellung mit- spielt, daß der Name das Wesen der Person re- präsentiert. Oder man sucht dem Dämon durch allerhand Türzauber den Zutritt zu verwehren. Die Kenntnis und die Fähigkeit der Dämonen- bezwingung ist Sache der Zauberer, des Ex- o reisten, der ihn austreibt. Wenn die Religion auf dieser Stufe der Kultur im wesentlichen sich auf den Geisterglauben gründet, so sind die Führer im religiösen Leben diejenigen, welche mit dem Wirken und Wesen der Geister am besten vertraut sind, so daß sie imstande sind, die Geister zu bannen und zu bezwingen. Damit kommen wir auf das recht interessante Gebiet der Zauberei, welche für die historisch kulturelle Behandlung des KrankheitsbegritTes von größter Wichtigkeit ist. Die Fetischmänner und Regenmacher der Neger, die Medizinmänner bei den Indianern, die Schamanen bei den mongolischen Stämmen, auch die Derwische bei den Arabern, die F'akire bei den Indern, das sind alles parallele Erscheinungen, wie Prof Bousset mit Recht hervorhebt. Mit geheimnisvollen Be- schwörungen bannt der Zauberer den Geist und damit gelangt er auch zu einer großen kultur- historischen Bedeutung als Arzt, in engster Be- ziehung zu seiner Eigenschaft als Priester. Als solcher hat er engste Gemeinschaft mit den Geistern, ja ein Geist selbst kann in ihm wohnen und dieser Geist besitzt wiederum die Macht, andere Geister in anderen Menschen und aus anderen Menschen auszutreiben. Die Krankheit selbst ist nur eine Äußerung eines bösen Geistes im Menschen, der Mensch ist, wie es noch in der Bibel heißt, „besessen" von einem bösen Geiste, und die Genesung des Menschen geschieht, sobald die Austreibung des bösen Geistes durch den Zauberer oder Exorcisten gelungen ist. P' a k t i s c h ist die erfolgreiche Behandlung wohl meist auf hypnotische Einwirkungen zurückzuführen, durch die eine gewaltige Anregung des Nerven- systems hervorgebracht wird. Es lebten selbst in unserem Vaterlande die Dämonenaustreibungen wieder auf durch Justinus Kerner, den be- kannten Dichter und Irrenarzt zu Weiiisberg, der nachweislich hypnotisierte. Die moderne Theo- logie ist bekanntlich geneigt, auch die Kranken- heilungen Jesu als exorcistische Dämonenaustrei- bungen aufzufassen. Und nun geht der Gedankenkreis folgender- maßen weiter: Tritt der Tod trotz aller Beschwö- rungen ein, so gilt es, sich zu hüten, denn der Dämon ist eingekehrt, und der Geist des Toten gewinnt selbst dämonische Kräfte. Daraus er- wächst die Scheu vor dem Toten und es werden Versuche angestellt, den Geist des Toten gefahrlos zu machen. So werden die Toten bei einigen Völkern unter hohen Steinhaufen begraben, dann kann der Geist aus dem Druck der Steine nicht heraus. Oder es wird der Geist durch ein Opfer versöhnt. Darin haben wir wohl den Ursprung des heute noch üblichen Totenschmauses zu sehen. Vielfach wird dabei heute noch ein Becher Wein auf den Sarg gestellt. Auch gehört die Exorcisie- rung des Hauses hierher, die Weihe der Türe, daß der Geist nicht hinein kann, das Öfi'nen des Fensters, damit der Geist entfliehe, das Auskehren des Geistes aus der Stube. In alledem haben wir interessante heidnische Anschauungen und Gebräuche vor uns. Der durch- brechende Glaube an einen Gott, der sog. Mono- theismus, nun setzte an die Stelle der Dämonen Gott und vertiefte die Schuld zum ethischen Fehl- tritt gegen sein Gebot. Der Anknüpfungspunkt der Anschauung vom engen Zusammenhang zwischen Krankheit, Tod und der Sünde einerseits und dem geschilderten primitiven Empfinden liegt darin, daß auch hier die Besessenheit durch eigene Schuld als Kausalitätsfaktor auftritt. So habe ich in Kürze ein Bild gezeichnet von dem, was man in dem Begriff der „Krankheit" und des „Todes" suchte, was man an Ursache und Rechtfertigung in ihn hineinlegte, indem man, ausgehend von religiösen und ethischen Vorstel- lungen, die Erscheinung der Krankheit und des Todes im Menschengeschlecht klarzustellen suchte. Von diesen Gedankengängen aber weicht nun die naturwissenschaftliche Methode in ihrem Bestreben, Werden, Sein und Vergehen zu er- gründen, vollkommen ab. Es liegt in dem Cha- rakter aller naturwissenschaftlichen Erkenntnisver- suche, daß diese von der Naturerscheinung selbst aus ihren Ausgang nehmen, d. h. daß sie zunächst die Erscheinung als etwas Gegebenes hinnehmen und nun die Analyse vornehmen, die Zergliederung, 244 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. i6 die Festsetzung von Ursache und Wir- kung aus dem Sicht- und Erkennbaren heraus, nicht auf dem Boden einer symbolistischen Erklärungsweise, oder einer metaphysischen Sub- stitution. Dieser Weg naturwissenschaftlicher Denkweise hatte einmal zur Folge, daß das eigentliche Wesen dessen, was wir Krankheit und Tod nennen, in seinen einzelnen Faktoren erkannt wurde, daß die Bedingungen ergründet wurden, unter denen Krankheit und Tod eintreten, daß man zuletzt aber auch auf die Erkenntnis der Verhältnisse hin- arbeitete, unter denen das IVlenschengeschlecht bis zu einem gewissen Grade wehrhaft gemacht wer- den könnte, um der bedrohenden Krankheit im Gefühl der Notwehr entgegentreten zu können und den Tod hinauszuschieben. Eine Überwindung alles dessen freilich, was wir unter dem Begriff der Krankheit zusammen- fassen, ist bei der so unendlich vielen Feinden der Gesundheit ausgesetzten Menschennatur, bei den mannigfach schädlichen Verhältnissen des gesamten Erdendaseins ein Ding der Unmöglichkeit, weil das Leben im Kampfe nun einmal ein ehernes Naturgesetz darstellt, weil nach dem Werden auch ein Vergehen zur logischen Notwendigkeit wird. Und dennoch gibt es den Ewigkeitsbegriff in dem scheinbar begrenzten Leben des Menschen- geschlechts in seiner Einzelmanifestation. Das Ge- setz der Fortpflanzung bedeutet nichts anderes als die Erhaltung eines Teiles des Vorhandenen, der wiederum durch die Erzeugung des Nach- wuchses die Kontinuität aufrecht erhält. Die Stamm- tafel einer Familie bedeutet nichts weniger als die Darstellung der Unsterblichkeit des Urahns in Form der Einzelgliederung. Die naturwissenschaft- liche Forschung hat sich gerade in den letzten Jahrzehnten eingehend mit dem Problem der Zeugung und der Vererbung beschäftigt. Sie hat festgelegt, daß die Geburt des Kindes nicht eine etwa organisch - zusammenhangslose Schöpfung darstellt, sondern vielmehr nur die Folge ist der innigen Vereinigung und Verschmel- zung eines Teiles des männlichen Organismus mit einem Teile des weiblichen Organismus im Körper der Mutter. Diese Verschmelzung der beiden ver- schiedengeschlechtlichen Kerne aber be- dingt eine neue Zellvereinigung, die, ausgestattet mit männlichen wie weiblichen Individualitätseigen- schaften, den neuen Organismus entwickelt. Daraus allein erklären sich die Erscheinungen der Vererbung väterlicher oder mütterlicher Eigen- schaften. Auf Grund dieser Tatsachen verstehen wir die Vererbung väterlicher oder mütterlicher körperlicher Defekte auf das Kind, und damit haben wir eine besondere Art der ,, Krankheit" vor uns, nämlich die vererbte und die angeborene. Die „vererbte Krankheit" setzt also vor- aus, daß die gleiche Krankheit bei einem der Er- zeuger vorhanden gewesen und dem Keime, der sich mit dem des anderen Geschlechts vermischt und vereinigt hat, anhaftete. Diese Ursache der Krankheit macht sich geltend bei einer der Haupt- krankheitsgeißeln des Menschengeschlechts, der Syphilis. Neugeborene Kinder mit den Sym- ptomen dieser durchseuchenden Krankheit bilden ein erschreckendes Beispiel für die Härte der Ver- erbungsgesetze für die Menschheit, das neuent- standene Individuum weist die Zeichen einer an- geborenen Krankheit auf, und wenn es nicht alsbald zugrunde geht, so trägt es vom ersten Tage des Eintritts ins Leben hinein an die Signatur des Kämpfers gegen eine entsetzliche Krankheit. Die Art der Übertragung ist nun gerade bei dieser Krankheit eine verschiedenartige. Wenn ich soeben im speziellen die angeborene Syphilis mit ihrer Manifestation am Körper des Neugeborenen im Auge hatte, so birgt vielleicht eine noch größere Tragik in sich die vererbte, latente, un- sichtbare Infektion. Wir beobachten in solchen Fällen mangelhaftes Wachstum, eine ge- wisse geistige Unregsamkeit in den ersten Jahren, und erst mit der Zeit nach den Kinderjahren zeigt sich die vererbte Krankheit in dem Auftreten einer Gehirnkrankheit und von Knochenzerstörungen, von deren innerer Ursache der Laie meist keine Vorstellung hat und Deutung zu geben vermag. Auf dem Gebiete der Nervenkrankheiten machen wir die Beobachtung, daß häufig Geistes- kranke und ausgesprochen nervöse Menschen Kinder erzeugen, die nicht selten schon in der Jugend eine deutlich erkennbare Schwäche des Geistesver- mögens und der Nervenfunktionen zeigen. Andere wiederum verfallen in der Zeit des Überganges vom Kindes- zum Jünglingsalter, in der Pubertät, einer Geisteskrankheit, die zweifellos ihren Grund hat in einem anormalen Ablauf der mit dem Er- wachen des Geschlechtstriebes verknüpften Ver- änderungen im Organismus. Das nervenanspan- nende Leben unserer Tage wird meist von den Kindern nervöser Eltern schlechter vertragen, wie von solchen gesunder. Es macht sich eine Nerven- schwäche geltend, eine leichte Ermüdbarkeit und schließlich eine Leistungsunfähigkeit, deren Sym- ptome rein nervösen Charakters sind und die wir mit dem Namen Neurasthenie belegen. Aus dieser Tatsache heraus mögen wir uns vergegenwärtigen, wie wichtig es ist, daß die Eltern nicht nur um ihrer selbst willen, sondern auch um ihrer Nachkommen willen es sich zur mora- lischen Pflicht machen , selbst ein gesundheits- gemäßes Leben anzustreben, um nicht verantwort- lich zu werden für die Schäden an Leib und Seele bei den von ihnen ins Leben gerufenen Kindern. Gesundheit des eigenen Körpers, Gesundheit der ganzen Familie bewahrt vor unendlichem Leid, vor vielen materiellen Schäden, welche Krankheiten in die Familien hineintragen. Es beruht auf ihr aber auch der gesunde Kern einer Nation nicht zum geringsten Teile! Schlagen wir doch die Gesundheit des Kör- pers nur nicht zu gering an. Die Voraussetzung aller gedeihlichen Kultur ist die körperliche Gesundheit, ohne die auch eine Gesundheit N. F. VI. Nr. i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 245 des Geistes nicht wohl denkbar ist. „Mens sana in corpore sano", d. h. eine gesunde .Seele wohnt nur in einem gesunden Körper, so lautet ein altes lateinisches Sprichwort, dessen Wahrheit uns immer zutage tritt, wenn wir unsere Aufmerksamkeit den Regungen der Kultur in den verschiedensten Zeichen ihres Seins zuwenden. Von „erblicher Belastung" hören wir so oft reden. Man begreift darunter die erhöhte Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Krankheiten bei Kindern, in gleichartigem Charakter der bei Eltern oder Vorfahren beobachteten Krankheiten. Diese erbliche Belastung spielt, wie ich hervor- gehoben habe , zweifellos bei Nervenkrankheiten eine sehr große Rolle. Ahnliches beobachten wir vor allen Dingen bei der Gicht, welche bekannt- lich auf einer krankhaften Ablagerung von Harn- säuresalzen auf Grund noch nicht völlig geklärter Stofifwechselvorgänge beruht. Es scheint auch, daß bei Krebs, dessen Ursache noch nicht unzwei- deutig feststeht und dessen Wesen eine fast regel- lose Wucherung des Gewebes darstellt, die Erb- lichkeit eine gewisse Rolle spielt. Es ist das dahin zu verstehen, daß dadurch, daß Vater oder Mutter an Krebs gestorben ist, bei den Kindern eine er- höhte Neigung, an Krebs zu erkranken, besteht. In diesem Zusammenhange bedarf auch die Tuberkulose einer eingehenden Besprechung, obwohl gerade bei dieser Krankheit die Frage der Erblichkeit oder erhöhten Disposition, an ihr zu erkranken, noch keineswegs geklärt ist. Es steht fest, daß häufig von an Lungentuber- kulose Erkrankten die Angabe gemacht wird, daß Vater und Mutter, oft auch Großeltern oder Onkel und Tanten an Lungentuberkulose gelitten haben. Man ist alsdann leicht geneigt, sich mit dieser An- gabe im einzelnen Falle zu beruhigen und zu glauben, man habe nun die wirkliche Ursache der Erkrankung erfaßt. Bei dem genauen Zusehen ist aber mit der Erkenntnis nicht ohne weiteres das Heer der wissenschaftlichen Fragen in diesem Zu- sammenhange erschöpft und erledigt. Wenn bei einer kinderreichen Familie, in der Vater oder Mutter an Lungentuberkulose gelitten haben, ein oder mehrere Kinder an Tuberkulose wiederum erkranken, so erscheint mir die Be- lastungsfrage nicht ohne weiteres geklärt. Denn neben den erkrankten Kindern pflegt meist eine mindestens ebenso große, oder noch größere Zahl derselben von Tuberkulose verschont zu bleiben, und wir fragen alsdann mit Recht, warum eine so bedeutende Zahl der unter den gleichen Ver- hältnissen geborenen Kinder nicht an Tuberku- lose erkrankt. Ist die Tuberkulose eines der Er- zeuger nur zu einer bestimmten Zeit vererbbar gewesen ? Ist vielleicht das eine Kind mit größerer Widerstandskraft gegenüber einer bei allen Kin- dern gleichmäßig vorhanden gewesenen Disposition ausgerüstet gewesen ? Hat es sich vielleicht bei sämtlichen Kindern gar nicht um eine Vererbbar- keit der Tuberkulose gehandelt und sind nur wenige Kinder der .^kquisition der Tuberkulose in ihrer Jugend mehr ausgesetzt gewesen, indem vielleicht das eine Kind mehr mit dem kranken Vater oder der kranken Mutter in Berührung gekommen ist? Die Entscheidung dieser Dinge ist außerordentlich schwierig und nur selten klar zu treffen. Es existieren viele Statistiken über die PVage, wie häufig tuberkulöse Kinder tuberkulöse Erzeuger gehabt haben, aber kaum darüber, wie- viel gesunde Kinder der gleichen Eltern einen tuberkulösen Erzeuger gehabt haben. Ich glaube, daß eine solche eingehende Untersuchung recht bemerkenswerte Resultate ergeben werde. Bezüglich der Tuberkulose-Vererbung wissen wir heute durch hochinteressante Unter- suchungen von Prof Schmorl, daß die Tuber- kelbazillen einer tuberkulösen Mutter auf dem Blut- wege in den Organismus des im Mutterleibe sich entwickelnden Kindes direkt übergehen können. Unter welchen Bedingungen indessen diese über- tragenen Krankheitserreger sich in dem kindlichen Organismus entwickeln müssen, oder unter welchen Bedingungen sie gefahrlos ausgeschieden werden, darüber wissen wir gar nichts. Ferner hat man lange Zeit als sicher hinge- nommen, daß die Tuberkulose selbst sich weniger direkt vom Erzeuger auf das Kind übertrage, als vielmehr nur die Disposition, d. h. die erhöhte Empfänglichkeit für Erwerbung der Tuberkulose in späteren Jahren. Diese Disposition sollte be- ruhen auf einer allgemeinen schwachen Körper- anlage, einem mangelhaften Bau des Brustkorbes, wodurch später, etwa bei näherem Verkehr mit Tuberkulösen, eine Ansteckung leichter stattfinden könnte, als bei solchen Individuen, die kräftig ge- baut seien. Dieser Anschauung ist nun in neuerer Zeit vonBehring entgegengetreten mit der Erklärung, daß es sich bei der vererbten Tuberkulose nicht um eine bloße Dispositionsfrage handele, daß viel- mehr gerade die Schwäche des Körpers und die mangelhafte Ausbildung des Brustkorbes schon der Ausdruck der stattgehabten Tuberkuloseinfek- tion sei. v. Behring nimmt also an, daß durch die Ansteckung von den Eltern her der Körper des Kindes von Geburt an sich nicht normal kräftig entwickeln könne und daher die vorher erwähnte „Disposition" nichts anderes als die Tuber- kulose selbst, charakterisiert durch herabgesetzte Entwicklungsfähigkeit, sei. Er fügte dann weiter hinzu , daß die Tuberkuloseansteckung des Neu- geborenen insbesondere durch die IVIilch perl- süchtiger Kühe und tuberkulöser Mütter oder Ammen zustande komme. Beschäftigen wir uns weiter mit den „ange- borenen Krank heite n", so sind noch mancher- lei abnorme Störungen in dem Entwicklungsgang des Einzelindividuums zu erwähnen. Angeborene Geisteskrankheiten gehören nicht zu den Seltenheiten. Es handelt sich bei diesen um angeborene Defekte des Gehirns. Ganze Teile des Gehirns können feiilen oder mangelhaft entwickelt sein. Die sogenannten ,, Wasserköpfe" 246 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 16 sind wohl allgemein bekannt, die Erscheinungen der „angeborenen Idiotie" werden ebenfalls nicht selten beobachtet und beruhen auf Entwicklungs- störungen des Gehirns, die ein normales Geistes- leben nicht aufkommen lassen. Diese ange- borenen Veränderungen sind natürlich scharf zu trennen von den später erworbenen Geistes- krankheiten, die sich auf Grund einer erworbenen Gehirnkrankheit entwickeln, zu der meist nur die Anlage von Jugend auf vorhanden ist. Zu den Krankheiten, die in der ersten Jugend bereits ihren Schatten auf das menschliche Leben werfen, gehört ferner die sogenannte „englische Krankheit", die Rhachitis, von der häufig ge- redet wird, deren Einzelheiten sich indessen noch nicht völlig unserem Erkennen erschlossen haben. Wahrscheinlich ist die Rhachitis am richtigsten den Stoffwechselkrankheiten zuzuzählen, nicht etwa den Knochenkrankheiten. Gerade die Rhachitis bietet des Interessanten und Bemerkenswerten, auch des praktisch Wichtigen außerordentlich viel. Her- vorzuheben ist die Tatsache, daß rhachitische Kinder außerordentlich zu Infektionskrankheiten disponieren, so zu Scharlach, Diphtherie, Masern und Keuch- husten, und wahrscheinlich hat Prof Hanseman n mit vollem Recht darauf hingewiesen, daß die bös- artigen Formen der genannten Infektionskrank- heiten gerade mit besonderer Vorliebe bei rhachi- tischen Individuen beobachtet werden. Dazu kommt die große Neigung rhachitischer Kinder zu Drüsenerkrankungen und zur Tuberku- lose. Auf die Einzelheiten der rhachitischen Er- krankung möchte ich an dieser Stelle nicht näher eingehen. Sie besteht bekanntlich in Entwicklungs- störungen des Knochensystems, aus denen eine Fülle von Abweichungen der gesamten Körper- entwicklung resultiert. Neueren Datums ist viel- leicht die Erkenntnis, daß speziell die Verkrüm- mungen der Wirbelsäule, welche man unter dem Begriffe der Kyphoskoliose zusammenfaßt, sehr häufig rhachitischen Ursprungs sind. Nächst diesen ist das sogenannte rhachitische Becken der Frauen von weitgehender Bedeutung für den Geburts- mechanismus und die Entwicklung des Kindes vor der Geburt. Die 0-Beine und X- Beine, welche Ihnen allen bekannt sind, sind die Äußerungen einer bestehenden Rhachitis. Die Rhachitis zeigt sich zweifellos schon in der frühesten Jugend. Indessen ist es sehr un- wahrscheinlich, daß die Rhachitis als eine eigent- liche angeborene Krankheit aufgefaßt werden darf Man hat lange geglaubt, daß eine besondere Form der Ernährung die Rhachitis herbeiführe. Darauf beziehen sich die zahlreichen Versuche der Rhachi- tis-Erzeugung bei Tieren. Bekanntlich findet man namentlich die englische Krankheit bei Hunden und Affen ausgeprägt. Indessen kann man durch kalkarme Nahrung nicht eine ausgesprochene Rhachitis bei Tieren erzeugen, vielmehr ist es wahrscheinlich der Mangel an Bewegungs- freiheit und frischer Luft, der für das Ent- stehen der Krankheit verantwortlich zu machen ist, und dieser Faktor spielt wohl auch beim Men- schen eine ausschlaggebende Rolle. Merkwürdiger- weise ist bei den Japanern die Rhachitis völlig unbekannt, was einmal daran liegen mag, daß die japanischen Häuser infolge ihrer Papierfenster viel mehr für Luft und Licht zugänglich sind, anderer- seits daran, daß die japanischen Kinder nicht, wie bei uns, gewickelt werden, sondern vielmehr mög- lichste Bewegungsfreiheit genießen. Der Mangel an Bewegungsfreiheit bildet offenbar zu einem großen Teile den Grund dafür, daß in unseren zoologischen Gärten die englische Krankheit zu einem traurigen Übel ge- zählt werden muß. Allerdings glaube ich auch, daß speziell bei Tieren die Paarung unter nahver- wandten Gleichartigen eine Rolle für die Ent- stehung der Rhachitis spielt. — Ich gehe nun zu anderen großen Gruppen von Krankheiten über und möchte von dem reden, was wir mit dem geläufigen Namen „Infek- tionskrankheiten" belegen. Wir verstehen heute unter dem Begriffe „In- fektionskrankheit" eine Krankheit, welche durch lebende Erreger vermittelt und auf den Men- schen übertragen wird. Die Ansteckung des Men- schen kann auf verschiedenen Wegen erfolgen. Sie kann durch direkte Berührung entstehen, indem keimhaltiges Material, welches ein kranker Mensch absondert von einem anderen aufgenommen und in seinen Organismus übertragen wird. So geschieht häufig die Übertragung des Typhus, indem das Krankheitsmaterial in die Wäsche gelangt und andere, z. B. Krankenpfleger, beim Reinigen der- selben nicht vorsichtig genug sind, so daß sie den Schmutz vermittelst ihrer eigenen Hände in den Körper aufnehmen. Ähnlich liegen zweifellos die Verhältnisse bei der Cholera. Ferner kann die Übertragung stattfinden durch die Luft. Dieser Modus findet wahrscheinlich bei einer großen Anzahl von Kinderkrankheiten statt, so bei Scharlach, Masern, Keuchhusten. Die Ein- atmung der Luft, welche Krankheitskeime enthält, spielt eine große Rolle bei der Übertragung der Diphtherie und anderen Halskrankheiten, auch bei der Tuberkulose. Ferner "können mit Getränken und Speisen Krankheitserreger in den menschlichen Organismus eingeführt werden. Es spielt hier besonders das Wasser eine Rolle, durch welches zweifellos eine Anzahl von Magen- und Darmkrankheiten über- tragen wird. Neuerdings hat man auch erkannt, daß durch gewisse Insekten, so durch eine besondere Mücken- art z. B. die Malaria, übertragen wird, die Über- tragung der sog. Febris recurrens, des Rückfall- fiebers, geschieht nach Robert Koch's neuesten Forschungen aus Afrika durch eine Zecke. Ähn- lich findet die Übertragung der Schlafkrankheit der Neger statt. Eine gemeinsame Eigenart aller dieser Krankheitsformen besteht darin , daß nach ge- scliehener Übertragung des Krankheitserregers der N. F. VI. Nr. i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 247 gesamte Organismus eine Schädigung er- leidet, der Mensch wird im eigentlichen Sinne krank, d. h. unter Teilnahme des ganzen Körpers. Demgegenüber gibt es noch eine Reihe soge- nannter lokalisierter Krankheiten, d.h. die -Schädigungen bleiben auf gewisse Bezirke be- schränkt. Das gilt für eine Reihe von Eitererregern, die nach dem Eindringen durch offene Wunden an der Stelle des Eindringens einen Absceß er- zeugen, oder für zahlreiche Hautparasiten, die ledig- lich in der Haut des Menschen ihre Tätigkeit ent- falten und schädliche Hautkrankheiten hervorrufen. Auch das Eindringen des Tuberkuloseerregers kann sich auf eine Lokalaffektion beschränken; so gibt es Leute, die lediglich an einer Tuberkulose der Haut, an dem sog. Lupus, leiden, bei denen der übrige Körper gesund bleibt. Korrekterweise sind diese Leiden ebenfalls den Infektionskrankheiten beizuzählen. Bevor wir aber die Infektionskrankheiten ver- lassen, möchte ich Ihnen noch kurze Mitteilungen machen über die Natur dieser seltsamen Erreger selbst. Es handelt sich bei den Infektionskrank- heiten stets um eine spezifische Schädlich- keit, welche in unbegrenztem Maße sich stets von neuem reproduzieren kann und stets dieselbe Krankheitsform hervorruft. Durch fortwährende Übertragung derselben Art von Krankheitserregern entstehen immer wieder neue Erkrankungen der- selben Form, so entsteht die Seuche, durch welche ein mehr oder minder großer Prozentsatz der Bevölkerung krank wird und zum Teil dem Tode verfällt. Es ist begreiflich, daß der Ursache solcher ein- greifenden Erscheinung schon im Altertum und im Mittelalter nachgespürt wurde, manche Forscher dieser Zeiten haben auch ohne Zweifel eine dunkle Ahnung davon gehabt , daß es sich bei diesen Dingen um die Wirksamkeit lebender Wesen han- dele, eine feste Gestalt hat aber diese Anschauung erst seit den 70 er Jahren angenommen und damit zu einem ganz neuen Zweige der medizinischen Wissenschaft geführt, zur Bakteriologie. Die Bakteriologie hat die Eigenschaften krankheitserregender Mikroben in ihrer Wirkung auf den menschlichen und tierischen Organismus kennen gelehrt und dadurch unsere Anschauungen von dem Geschehen im Ablauf unseres Lebens, unsere Anschauung von dem, was wir unter „Krank- heit" zu verstehen haben, wesentlich geklärt. In- dessen eine volle Einsichtnahme in alle diese Ver- hältnisse vermochte auch dieser Zweig der medi- zinischen Wissenschaft nicht zu bieten. Die Bak- teriologie lehrt, welche Krankheitserreger bei einer Infektionskrankheit vorauszusetzen sind, sie hat aber noch nicht aufzudecken vermocht, unter welchen Bedingungen ein Organismus, wenn er Bakterien aufnimmt, unfehlbar erkranken muß. Die Gesetze der Ausscheidung oder der L^nschädlichmachung der Krankheitserreger sind uns im einzelnen noch recht dunkel. Es ist zweifel- los, daß der Mensch häufig Bakterien in seinen Körper aufnimmt, denen wir gemeinhin eine krank- heitserregende Wirkung beizulegen berechtigt sind, und dennoch erkrankt der betreffende Mensch nicht an der Krankheit, als dessen Erreger die aufge- nommenen Mikroben anzusehen sind. Über diese den merkwürdigen Erscheinungen zugrunde liegen- den Gesetze arbeitet eine in der Gegenwart be- sonders aktuelle Forschung, nämlich die For- schung nach den Widerstandskräften des Organismus. Zweifellos besitzt jeder ein- zelne Organismus die Fähigkeit, aus eigener Pro- duktionskraft heraus sich gegen eindringende Krank- heitserreger zu wehren. Es geschieht dies offenbar durch die Produktion von chemischen Stoffen, welche in Verbindung mit den von den Bakterien hervorgebrachten Giften eine unschädliche Stoff- menge bilden. Diese Untersuchungen sind auf das Eingehendste betrieben worden, und sie bilden die Grundlage für einen ganzen Zweig unserer therapeutischen Maßnahmen, insbesondere für die Serumtlierapie, wie wir sie für die Diphtherie und den Starrkrampf und verschiedene andere Krankheiten kennen. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, daß wir auf diesem Wege einmal lernen, die Tuberkulose siegreich zu bekämpfen. Auf die Einzelheiten dieser interessanten Dinge einzugehen, verbietet mir die Zeit. Ich erwähne nur, daß man im allgemeinen festhalten kann, daß die Experimente gelehrt haben, daß durch die Ein- bringung spezifischer Krankheitserreger in den Or- ganismus von Tieren in dem Blutserum dieser sich Schutzstoffe bilden, deren Gewinnung und Einverleibung in den Körper anderer an der Krank- heit leidenden Individuen die Selbstliilfe des Organismus unterstützt. Gelingt es auf diese Weise den Körper so widerstandskräftig zu machen, daß eine Infektion niclit mehr schadet, daß also eingebrachte Krank- heitserreger wirkungslos bleiben, so sprechen wir von Immunisierung, als einem Vorgange, oder von Immunität, als einem Zustande. Man hat so häufig der schulmäßigen Medizin den Vorwurf gemacht, sie entferne sich mit ihren Serumanwendungen von dem Prinzip der Natur Ii eilung. Mit Unreclitl Nach dem, was ich Ihnen hier auseinandergesetzt habe, werden Sie es verstehen, wenn ich darauf hinweise, daß gerade bei diesem therapeutischen Handeln an- gestrebt wird , die Naturkräfte im Organismus mobil zu machen in dem Kampfe gegen die ein- gedrungenen Krankheitserreger und, wo diese nicht reichen, der Natur auf dem gleichen Wege, näm- lich auf dem der Produktion chemisch wirkender und die Gifte der Krankheitserreger unwirksam machender Stoffe, nachzuhelfen. Im Anschluß an die eigentlichen Infektions- krankheiten, welche der Einwirkung von Bakterien, nur mikroskopisch sichtbarer Lebewesen, ihr Dasein verdanken, erwähne . ich noch kurz der Wurm- krankheiten, welche durch Einbringung von Wurmeiern, die sich im menschlichen und tierischen 248 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 16 Organismus entwiclceln , zustande Icommen. Be- greiflicherweise ist der einzige Weg zur Bekämp- fung dieser Krankheiten eine Verbreitung der Kenntnis von der Notwendigkeit peinlichster Sauber- keit im menschlichen Leben. Die zahllosen Er- krankungen von Kindern an Wurmkrankheiten ist fast ausschließlich auf die Beschmutzung der Hände der Kinder zurückzuführen, welche nur zu häufig die beschmutzten Hände oder Finger in den Mund stecken und dadurch die im Schmutz abgelegten Wurmeier in den Magen und Darm bringen, wo sie sich weiter entwickeln. Schlecht gereinigtes Gemüse und Obst bieten hier auch Gelegenheit zur Infektion, ferner spielt rohes Fleisch eine große Rolle in der Übertragungsfrage, insbesondere bei der Trichinosis. Damit möchte ich das weite und hochinter- essante Gebiet der Infektionskrankheiten verlassen und auf andere Krankheiten zu sprechen kommen, die vorwiegend einem fehlerhaften Ablauf auf Grund der Konstitution in den Lebensbetätigungen des Organismus ihre Entstehung verdanken. Zu dieser Krankheitsgruppe hat man in erster Linie die Zuckerkrankheit, die Gicht und die Fettsucht gerechnet. Martins weist darauf hin, daß diese Einteilung erfahrungsgemäß ge- schehen sei, weil besonders häufig diese Erkran- kungen ohne erkennbare äußere Veranlassung von genügender Stärke lediglich aus der Natur des Organismus selbst heraus, d.h. auf dem Boden angeborener konstitutioneller Anlage sich entwickeln. Und doch müssen wir darauf hin- weisen, daß diese Annahme für die Zuckerkrank- heit, den sog. Diabetes, nicht ausschließend gelten kann. Es gibt vielmehr auch eine von der individuellen Disposition ganz unabhängige schwere Störung des Kohlehydratstoffwechsels. So tritt Zuckerkrankheit auf bei Zerstörungen oder völliger Exstirpation der Bauchspeicheldrüse, gewisse Stö- rungen im Gebiete des Gehirns führen ebenfalls nicht selten Diabetes im Gefolge. Die echte Zuckerharnruhr wird jetzt allgemein als eine Krankheit aufgefaßt, bei der der Körper die Fähigkeit verloren hat, den zirkulierenden Traubenzucker der Norm entsprechend zu ver- werten. Die Folge davon ist Überfluß an Zucker im Organismus und demgemäß erhöhte Zucker- ausscheidung durch die Nieren. Nur eine bestimmte Konzentration von Zuckerlösung kann von den Nieren zurückgehalten werden, es gibt also eine bestimmte Einstellung des Organismus auf die Zuckerretention, und wird diese überschritten, so tritt eine Ausscheidung auf. Die Zuckerkrankheit als Konstitutionskrankheit beruht daher auf einem Verlust der normalerweise bestehenden Fähigkeit des Organismus zu einer richtigen Verarbeitung der Kohlehydrate. Die krankhafte Fettsucht beruht in ähn- licher Weise auf einem Grundsatze, nämlich dem des Überschusses der Nahrung über den Verbrauch. Auf diese Weise wird in vielen Fällen ein über- mäßiger Fettansatz erreicht. Aber bei dieser Ent- stehungsursache haben wir nur die Fettsucht im engeren Sinne im Auge, das generelle Ge- setz, das gleichmäßig für Mensch und Tier gilt. Sehr einfach und dankbar ist in diesen Phallen der Weg zur Heilung für den Arzt. Entzieht er dem Vieiesser die übermäßige Ernährung, so ist auch die Fettvermehrung aufgehoben. Aber es gibt auch Individuen, bei denen von Jugend auf, wie V. Noorden sagt, schon in der Wiege, eine krank- hafte Neigung des Organismus zum Fettansatz be- steht. In diesen Fällen bedarf es keiner über- mäßigen Ernährung. Hier haben wir eine krank- hafte Konstitution vor uns, die nicht selten familiär ist. Diese krankhafte Konstitution besteht in einer Herabsetzung der Oxydationsenergie der Körperzellen. In innerer Verwandtschaft zu diesen Krank- heiten steht zweifellos die Gicht, deren wirkliches Wesen uns noch nicht völlig klar ist. Sicher aber haben wir es auch hier mit einer Konstitutions- krankheit zu tun , deren Charakteristikum eine Störung des Harnstoff-Stofifwechsels darstellt. Die Tatsache, daß die Gicht häufig auf der Basis der Vererbung entsteht, spricht zweifelsohne dafür, daß die Grundlage in vielen Fällen die konstitutionelle Veranlagung bildet, welche die Gichtiker als an- geborene ihr eigen nennen. — Der Begriff der Konstitution oder der natürlichen Anlagen ist in der neueren Zeit viel- fach in den Mittelpunkt der medizinischen Auf- fassung der Krankheiten gesetzt worden, meines Erachtens sehr mit Recht. Die natürliche An- lage ist bei den einzelnen Menschen außerordent- lich verschieden , das bedeutet zugleich : Die gleiche Ursache bringt nicht immer die gleiche Wirkung im Organismus hervor. Der eine neigt mehr zu dieser, der andere zu jener Krankheit auf Grund seiner eigenartigen Be- schaffenheit der Körperzellen. Unter diesem Ge- sichtspunkte ist die Betrachtung noch so mancher Krankheit des Menschen lehrreich und wichtig: Die Blutarmut, die echten Magen- und Herz- schwächen, die Krankheiten des Nervensystems in ihren zahllosen Äußerungen, die Erkrankungen der einzelnen Organe wie der Nieren, der Leber usw., sie sind in ihrem Entstehen nicht restlos zu er- gründen, wenn wir nur die auslösende Ur- sache in Betracht ziehen. Denken wir auch an die Vergiftungen, z. B. die Bleivergiftung oder an den A 1 k o h o 1 i s m u s. Es unterliegt keinem Zweifel, daß speziell bei dem Alkoholismus die Indi vi d u alität des einzelnen Organismus bei der schädlichen Einwirkung des Alkoholgiftes eine große Rolle spielt. Die Er- krankung des Organismus auf Grund von Alkohol geht durchaus nicht parallel der Menge des zu- geführten Giftes. Es gibt manche Menschen, die trotz täglicher Aufnahme von ungewöhnlichen Alkoholmengen doch ein hohes Alter erreichen und als einziges Zeichen ihres Lasters vielleicht nur eine gewisse Trägheit des Denkprozesses oder der geistigen Unternehmungsfähigkeit zeigen. Da- N. F. VI. Nr. i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 249 gegen macht sich bei manchen schon recht bald, wenn sie auf die schiefe Ebene gelangt sind, eine Widerstandslosigkeit gegen den All , _ ft> £ 3 5e üSShPP-is" ^^ E U ILuiiiiUjjjJir ^. bii7. Msri. WifflererWei^filr Deutschland. MonäfssummsimMän, 130706.05.04.03.02. U I i 1 i 1 1 ■^' ■ ■ 1 ' ■ r-^,^ >-I 1 1 1 1 1— , ^ . Z'J.bisSt.März. TTl mi+tJjrnTLämtLH BerfinerWittMtuFaiu zen begann, mäliig starke Hochwasser der meisten Flüsse, bis zur Oder zur Folge hatten. Um den lo. März wehten stür- mische Westwinde mit häufigen Graupel- und Hagel- schauern sowie einzelnen Gewittern, die sich in größerer Ausdehnung und Stärke während der Tage vom i8. bis 21. März wiederholten. Im Osten , namentlich im ostpreußischen Küstengebiete, setzten sich beide Male die Unwetter in mehr- tägigen Schneestürmen fort. Seit dem 24. März ließen die Niederschläge in ganz Deutschland nach und während der letzten Tage des Monats blieb das Wetter andauernd trocken, wenn auch in den Mor- gen- und .•\bendstunden der Himmel, besonders an der Küste, noch oft mit Xebelgewölk bedeckt war. Die Monatssumme der Niederschläge betrug für den Durchschnitt aller berichten- den Stationen 39,7 mm, 7 mm weniger, als die gleichen Sta- tionen in den früheren Märzmonaten seit 1891 geliefert haben. In der allgemeinen Anordnung des Luftdruckes fanden im März viel langsamere .\nderungen als während der voran- gegangenen Wintermonatc statt. Während der ersten Tage zog ein barometrisches Maximum von Südwest- durch Mittel- europa nach Rußland ; im Nordwesten lagen tiefe Minima, die, gleichfalls nordostwärts w'eiterzieliend , ihren Bereich da- bei mehr und mehr nach Süden ausbreiteten. Seil dem 8. März gehörte beinahe die ganze westliche Hälfte Europas dem Depressionsgebiet an, während ein neues Maximum auf dem biscayischen Jleere und der iberischen Halbinsel lagerte. Erst nach dem 20. rückte das Hochdruckgebiet wieder lang- sam nordostwärts vor, worauf sich die stürmischen, dampf- gesättigten Westwinde in Deutschland legten und später in eine sehr trockene östliche Luftströmung übergingen. Dr. E. Leß. Bücherbesprechungen. Dr. Gustav Hegi, Illustrierte Flora von Mittel- eu r o p a. Mit besonderer Berücksichtigung von Deutschland, Osterreich und der Schweiz. Illu- striert unter künstlerischer Leitung von Dr. Gustav Dunzinger. In 70 monatlichen Lieferungen a i Mk. erscheinend. J. F. Lehmanns Verlag in München. — Preis Lief, i — 4 pro Lief I Mk. Obwohl manchem ein Bedürfnis für eine neue große illustrierte Flora von Mitteleuropa nicht vorhanden scheinen mag, werden viele Pflanzen- freunde das Erscheinen dieser Flora mit Freude begrüßen , sobald sie die bisher erschienenen Lieferungen eingesehen haben. Jedes Heft enthält 4 farbige Tafeln und eine größere Anzahl von Text- figuren, nebst erläuterndem Text. Die ganz aus- gezeichneten Abbildungen sowie der Text erheben das Werk von der kompilatorischen Stellung, die es ja im Grunde einnehmen muß, zu einer wissen- schaftlichen Leistung, ein Urteil, das man ja leider von manchem ähnlichen Werk nicht abgeben kann. In der Nomenklatur schließt sich der Verfasser an Ascherson und Graebner's Synopsis resp. an Engl er 's natürliche Pflanzenfamilien an. Den Volksnamen wurde ein breiter Raum gewährt, und die Erörterungen über diese sind kleine philo- logische Abhandlungen für sich. Alle einigermaßen häufigen Pflanzen werden — so weit nicht, wie bei Gräsern und einigen anderen, die Farbe eine geringe Rolle spielt — farbig abgebildet, andere, auch seltene Arten durch schwarze Textfiguren wiedergegeben, so daß nur ein kleiner Prozentsatz unabgebildet bleibt. Von Formen, Varietäten, Bastarden etc. werden alle einigermaßen bedeutungsvollen ange- führt; bei jeder Art ist die genaue pflanzengeo- graphische Verbreitung angegeben , sowie bio- logische Notizen (Zugehörigkeit zu bestimmten Pflanzenvereiiien etc.) beigefügt. Im Hinblick dar- auf, daß die Flora allen Interessenten der Botanik dienen soll, ist die vortreffliche anatomisch-physio- logische Einleitung mit vorzüglichen Illustrationen von besonderem Werte. Adventivpflanzen und mediterrane Elemente sind im Rahmen der be- handelten Flora weitgehend berücksichtigt, erstere 254 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. i6 sowie alle Zierpflanzen, soweit sie sich durch Ver- wilderung stellenweise eingebürgert haben, voll- ständig aufgeführt. Die lateinischen Pflanzennamen werden — sowohl Gattungs- als Artnamen — nach ihrer Herkunft erläutert. Kopien nach anderen Autoren wurden prinzipiell aus dem Werke aus- geschlossen, so daß alle Figuren Originale sind. Da das Werk in Lieferungen zu dem im Ver- hältnis zu dem Gebotenen sehr billigen Preise von I Mk. pro Lieferung erscheint, ist der Be- zug auch weniger Bemittelten, Schulen etc. leicht gemacht. Wir können das Werk, das jedem Pflanzenfreund eine willkommene Gabe sein muß, nur angelegentlichst empfehlen, und wünschen den Verfassern sowie dem Verlag für ihre große Mühe und die sehr bedeutenden Kosten, die in keiner Weise gescheut worden sind, den wohlverdienten Erfolg. G. Erwiderung auf die Dahl'sche Bespre- chung des „Grundrisses der Zoologie für Forstleute". — Die von Dahl in Band V (1906) S. 797 — 98 gelieferte Kritik ') beruht wesentlich auf Forderungen, deren Erfüllung nach Untertitel und Vorwort meines Buches ausgeschlossen war. Der Leser jener Rezension erfährt nämlich nicht, daß der Grundriß keineswegs „auf die speziellen Bedürf- nisse des Forstwirtes eingehen", keine sogenannte Forstzoologie sein sollte noch durfte, denn die unter letzteren Begriff fallenden Gegenstände finden sich ausführlich in anderen Abteilungen des Lorey'schen Handbuches behandelt, deren Inhalt ich nicht zu wiederholen hatte. Wenn Dahl als Kritiker eines zur forstlichen Literatur gehörenden Buches diese Umstände beachtet hätte, so würde ihm kein Zweifel geblieben sein, warum ich nicht nur die Waldameise, sondern beispielsweise auch Forleule, Rebhuhn, Schermaus ungenannt lasse. Als meine eigentliche Aufgabe hob ich dagegen hervor, den Forstmann mit den Grundlehren der allgemei- nen Zoologie bekannt zu machen, wobei ich ihm naheliegende Vergleichspunkte hervorzuheben strebte, in zweiter Linie eine gedrängte Übersicht des Tiersystems zu geben, wiederum mit Betonung des Allgemeinen und Wahrung des Zusammenhangs. Hinsichtlich der Auswahl der zu berücksichtigenden Tiergruppen überlasse ich Sachkundigen die Ent- scheidung , ob man dem Forststudenten das Dasein und den Bauplan der Echinodermen, Tuuikaten, Se- lachier usw. vorenthalten darf. Auch darüber, welche Familien der systematische Teil behandeln soll und wieviel Zeilen (!) ihnen zukommen dürfen , muß man schon einem Forstzoologen das nötige Urteil zuerkennen. Überhaupt glaube ich behaupten zu können, daß ein Buch von ähnlicher Idee bisher gefehlt hat, daß ich wenigstens bemüht gewesen bin , unter Ausnutzung des verstatteten, sehr knappen Raumes der Art meines Leserkreises durch biologisch gefärbte Darstellung zu entsprechen, daß Stoffauswahl und -behandlung aus einiger didaktischer Erfahrung hervorgegangen sind — ') Mir erst vor kurzem zur Kenntnis geliommcn. aber auf diese Gesichtspunkte geht die Besprechung überhaupt nicht ein, sondern meine Schrift wird darin eine bloße Kompilation aus Lehrbüchern. Nun will ich gestehen , daß mein in dem Büch- lein verarbeitetes Fachwissen zu einem großen Teile nicht auf „eigene Prüfung der Originalliteratur" er- baut ist, sondern daß ich mich als Vertreter der an- gewandten Zoologie in den mir fernerliegenden Ge- bieten vielfach durch das Studium von Referaten, Jahresberichten, Sammelwerken, Lehr- und Hand- büchern bescheiden weiterbilden muß; ich stelle mich denn auch weit hinter Meister wie Boas, Claus, Hertwig, die nach Dahl's Auffassung ihre mit Recht geschätzten Lehrbücher aus eingehendster Kenntnis aller Quellenschriften verfaßt haben müssen — mögen diese nun den Aufbau des Eiweiß- molekels oder das System der Fledermäuse betreffen. Abgesehen von manchen Einzelheiten , die ich nur durch „eigene Prüfung der Originalliteratur" gewinnen konnte, beschränkte ich mich darauf, den gesicherten Wissensschatz zu sichten und das Notwendige in steter Rücksicht auf den vorgeschriebenen Charakter des Bandes zu ordnen und darzustellen. Wenn mich dies auch viel Mühe und Kampf mit der Bogenzahl gekostet hat, so bleibt für Dahl das Ergebnis doch nur ein kompilatorisches, eigener Denkweise und Gestaltungs- kraft bares Flickwerk. Mich hierin seinem Urteil unter- werfend, muß ich freilich seine Behauptung für un- berechtigt erklären, daß ich nur „einige der verwen- deten Lehrbücher" genannt hätte. So gern ich sonst die Quellen nenne, war mir dies in meinem Leitfaden nicht verstattet, weil ich die äußere Form des Lorey- schen Handbuches zu wahren hatte. Wenn der Kri- tiker letzteres kannte, würde ihm nicht entgangen sein, daß jene kleine Aufzählung eine Auswahl solcher Schriften ist, die nach Art, Um- fang und Preis zur weiteren Belehrung über die im Buche berührten Gegenstände dienen können ; da aber Jude ich - Nit sehe's Werk als Repertorium der gesamten, in mehr als hundert Jahren gewonnenen forstentomologischen Erfahrung für den Handgebrauch des Studenten und Praktikers zu umfangreich und viel zu teuer ist, habe ich es übergangen. Für mich kränkend und ganz unrichtig ist aber die Bemerkung Dahl's, daß mein Buch dem obengenannten seine Eigenart verdanke. Erstens können dabei nur die Insekten in Frage kommen, die bei aller Bevorzugung doch nur ein Fünftel des Ganzen einnehmen , und zweitens überwiegen dabei plangemäß wieder die allgemeinen Züge; deren Behandlung ist aber bei J.-N. um etwa zwanzig Jahre rückständig, also in recht vielen Punkten veraltet, während ich so ziemlich den heutigen Standpunkt wiedergegeben zu haben glaube — natürlich in kompilatorischem Verfahren ! Seine endgültige Verwerfung meiner Arbeit stützt Dahl auf eine einzige Stichprobe, die sein Spezialgebiet, die Spinnen, umfaßt. Es sei zugegeben, daß ich in der Behandlung dieser, trotz Dahl's Ver- sicherung und einiger von Keller, Heidrich und mir selber mitgeteilten Beobachtungen für den Forst- schutz ganz nebensächlichen Ordnung hier und da im Ausdruck nicht glücklich gewesen bin, für die N. F. VI. Nr. i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 255 Mehrzahl aber muß ich daran festhalten, daß sie nur bei einem Spezialkenner wie Da hl Anstoß erregen können ; zur Beleuchtung dessen möge dienen , daß es mir gelungen ist, so gut wie alle dieser Fehler in den Lehrbüchern von Claus-Grobben, Goethe, Hartwig aufzufinden; daß Boas' Werk nicht frei davon ist, liat Dahl selber gezeigt. Besonders her- vorheben möchte ich endlich den Schluß, den Dahl aus dieser einzigen Probe zieht und der das Ergebnis seiner Kritik ist: weil er das Boas'sche Buch für gut hält, sind darin dergleichen Fehler bedeutungslos, weil sich deren in dem einzigen von ihm ge- prüften Absätze des meinigen finden, wird es für unbrauchbar erklärt! Auf diese Folgerung und den Gedankengang D a h 1 ' s , welcher sich von Anfang an in unrichtigen Annahmen bewegt , die Leser der Naturw. Wochenschr. hingewiesen zu haben genügt mir für jetzt und künftig. A. Jacobi. Diesen Ausführungen füge ich an: i) Man kauft ein Buch nach dem Titel und zwar nach dem groß gedruckten Haupttitel. 2) Schränkt der Verfasser den Titel im Vorwort ein, so führt er die Käufer irre. 3) Man beurteilt ein Buch objektiv, wenn man vom Titel und vom Inhalt ausgeht. Das Vorwort gibt die subjektive Ansicht des Autors, der sich der Kritiker nur dann anschließt, wenn er sie für berechtigt hält. 4) Der in dem Jacobi 'sehen Buche dem Haupttitel angehängte Nebentitel würde bei der Beurteilung des Buches nur dann zu berücksichtigen sein, wenn das Buch nicht einzeln käuflich wäre. 5) Den ganzen Text einzeln zu besprechen, ist unmöglich, der Kritiker kann des- halb nur Teile herausgreifen. 6) Es ist ein großer Unterschied , ob in einem Buche nur einzelne Fehler sich finden, wie bei Boas, oder ob ein zu- sammenhängender Abschnitt von Anfang bis zu Ende fehlerhaft ist , wie in dem Jacobi' sehen Buche. 7) Wenn die aufgeführten Fehler sich alle aus ande- ren Büchern zusammensuchen lassen , so wird damit nur bestätigt , was ich in meiner Besprechung schon sagte. 8) Der Verfasser eines Lehrbuches sollte wenigstens da, wo die Ausführungen der vorhande- nen Lehrbücher auseinandergehen, die Original- literatur durchsehen, dann wird er nicht aus- schließlich das Fehlerhafte auswählen, wie im vorliegenden Falle. 9) Die Judeich- Nitsc be- sehe Forstinsektenkunde ist durch kein neueres Buch ersetzt und kann einem Forstmann, der sich ein- gehender seinem Fache widmen will , eine ganze Bibliothek ersetzen (vgl. Naturwiss. Wochenschrift Bd. 4, 1905, S. 223). Man sollte den Titel deshalb auf keinen Fall dem wissenschafdich gebildeten Forst - manne vorenthalten, zumal da derselbe nur eine Zeile (1) einnimmt, ig) Etwa dreißig Abbildungen des Jacobi sehen Buches, die zum Teil zahl- reiche Figuren enthalten , sind aus dem J u d e i c h - Nit seh e ' sehen Buche entnommen und gerade diese sind es, die ich in anderen Lehrbüchern der Zoologie nicht finde. Gerade sie geben also dem Jaco bi- schen Buche ein abweichendes Gepräge. 1 1) In einem Lehrbuch der Forstzoologie darf die Waldameise, die ich nur als Beispiel herausgriff", auf keinen Fall fehlen. Dafür können Seeigel und Haifische etwas kürzer be- handelt werden. Es ist das ein Satz, den jeder Fach- mann zugeben wird. — Die Waldameise ist aber in keinem Bande des L 0 r e y ' sehen Buches behandelt. Wenn oben das Gegenteil behauptet wird, so ent- spricht das nicht den Tatsachen. — Solche Mängel zu beseitigen, wäre die .Aufgabe des Ergänzungsbandes gewesen. 12) Daß die Besprechungen in der Naturw. Wochenschr. den Verfiissern nicht schneller zugehen, bedauere ich sehr. Dahl. Erwiderung an Herrn Dr. V. Franz. Die Besprechung meiner Broschüre „Ernst Haeckel als Biologe und die Wahrheit", wie sie Herr Dr. V. Franz in Nr. 8 dies. Jahrg. gibt, enthält neben LTnrichtigkeiten auch Entstellungen, welche ich richtig stellen muß. Wenn ich als Zoologe in den letzten zwanzig Jahren nur Arbeiten aus der menschlichen Anatomie und der praktischen Medizin veröffentlichte, so ver- folgte ich auch damit bestimmte Ziele , die in der oben erwähnten Arbeit weiter festgelegt worden sind. Diese Arbeit ist keine zoologische Spezialarbeit , wie ich darin ausdrücklich hervorhebe ; solche folgen und werden hoffentlich auch anderen Fachgenossen zeigen, daß ich nicht zwanzig Jahre hindurch zu träumen pflegte. Betreffend des „Entropiegesetzes", wie es der Ref. nennt, grolle ich Haeckel weniger. Ich möchte es auch vermeiden, die Frage anzuschneiden, ob ich Kraft und Energie zu beurteilen vermag. Dar- über haben neuerdings Fachphysiker zu meinen Gunsten L^rteile abgegeben ; diese genügen mir voll- kommen. In meinen mehrfachen Arbeiten über die O r - ganisation der Protozoen und tierischen Zellen habe ich — als erster seit dem Jahre 1879 — planvoll und zielbewußt gegen die Monerenlehre mit Ver- suchs- und Beobachtungsreihen angekämpft. Bütschli hat mir gegenüber keineswegs Recht behalten; er hat aber Angaben von mir, die er bekämpfte, später selbst als richtig anerkannt und weiter bearbeitet. Ganz sang- und klanglos sind meine zoologischen Arbeiten aus den achtziger Jahren nicht verschwunden ; die Buchhändler wissen sogar heute , daß meine Biolog. Studien ein recht gesuchter, wertvoller Beitrag zur biologischen Literatur waren , denn sie bitten mich wiederholt um Ablassung einer etwa noch vorhande- nen Dublette — zu jedem Preis! Das Geheimnis, daß Entoderm ein „topographi- scher Begriff" ist , brauchte mir der Ref. nicht zu offenbaren, auch die Leser meiner Schrift kennen es aus meiner eigenen Erklärung „Lagerung unter einer Schicht." Haeckel versucht ja gerade in der Aufstellung der Lehre von der Gastrula den topo- graphischen Begriff in einen streng physiologischen zu verkehren. Dagegen habe ich angekämpft ! Wenn Herr Dr. Franz noch nicht den Unter- schied zwischen Kloakentieren, Beutlern und Plazenta- tieren begriffen hat , so kann ich ihm nicht helfen. Die Arbeit darüber stammt voll und ganz von mir und ist vielleicht doch auch eine beachtenswerte 2S6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. i6 zoologische Spezialuntersuchung ; sie erscheint übrigens bald in wissenschaftlicher Form nochmals und dazu durchaus erweitert. Die Untersuchungen über den Musculus c h o - r i o d e a 1 i s im Auge der Knochenfische habe ich als selbständige Mitteilung 1882 veröffentlicht. Wie und wo mich Beer „widerlegt" haben soll, vermag ich nicht zu ergründen. Herrn Dr. Franz kann ich hier, wie bei den Säugern, nur raten: selbst prüfen und dann sein Unrecht mir gegenüber eingestehen zu wollen ; seine Bemerkung betreffs Benutzung des Leuckart' sehen Kollegs war irrig und unfein. Ich frage betr. der Regenerationserscheinungen (und mit noch mehr Recht früher bereits bzw. der Transplan- tationen), wie diese „Eigenart der lebenden Substanz" phylogenetisch erklärt werden solle ? Das Referat des Herrn Dr. Franz enthält hier eine unangenehme Entstellung meiner Darlegung. Von Reinke habe ich weder den willkürlich aufgegriffenen Gedanken , noch auch einen anderen entlehnt. In mein em Arbeitsplane liegt etwas ganz anderes, von Zoologen und Botanikern seither über- sehenes. Ich habe es „die Fürsorge für das Wer- dende" genannt, nicht „Zielstrebigkeit", sondern viel weiter greifend. Herr Dr. Franz wird sich damit baldigst eingehender befassen können. Übrigens bin ich weder blindgläubig, noch setze ich diese Charakter- schwäche bei meinen Lesern voraus. Daß ich Haeckel gerecht zu beurteilen verstehe, weiß dieser selbst ; gerade deshalb habe ich übrigens auch bei manch einem seiner überzeugten Anhänger Beifall und Anerkennung gefunden. Wenn mich Herr Dr. Franz nicht als „sach- verständig" ansehen mag, so liegt das vielleicht daran, daß er weder meine zoologischen noch meine anatomischen Arbeiten einzusehen für nötig erachtete. Ich könnte ihm leicht schärfer, für ihn ungünstiger antworten; vielleicht sagt ihm Herr Prof. Henking, mit dem ich einst viel und freundschaftlichst ver- kehrte, daß er zum mindesten unvorsichtig war. In meiner Schrift gegen Haeckel handelt es sich nicht um das Aufrollen biologischer Probleme, sondern um das der keineswegs unwichtigen Welt- anschauungs-Frage. Dr. A. Braß, Weimar. d. Physiol."] (VU, XV, 157 S. m. 15 Abbildgn.) Lex. 8". Wiesbaden '07, J. K. Bergmann. — 3,60 Mk. Ladenburg, A. : Vorträge üb. die Entwicklungsgeschichte der Chemie von Lavoisier bis zur Gegenwart. 4. verm. u. vcrb. Aufl. (XIV, 418 S.) gr. 8°. Braunschweig '07, ['. Vieweg & Sohn. — 12 Mk., geb. 13,50 Mk. Literatur. Brand, A.: Polemoniaceae , m. 207 Einzelbildern in 39 Fig. (203 S.) Leipzig '07, W. Engelmann. — 10,20 Mk. Brockmann- Jeroscb, Dr. H.: Die Pflanzengesellschaften der .Schweizerali:)en. I. Teil. Die Flora des Puschlav (Bezirk Bernina, Kanton Graubünden) u. ihre Pflanzengesellschaften. Mit 5 Vegetationsbildern u. I (färb.) Karte. (XU, 438 S.) Lex. 8". Leipzig '07, W. Engelmann. — 16 Mk. Fischer, Prof. Dr. Otto: Kinematik organischer Gelenke. Mit 77 eingedr. Abbildgn. (Xll , 261 S.) Braunschweig '07, F. Vieweg & Sohn. — 8 Mk., geb. in Leinw. 9 Mk. Fitting, Doz. Dr. Hans: Die Reizleitungsvorgänge bei den Pflanzen. Eine physiolog. Monographie. [Aus: ,,Ergebn. Briefkasten. Herrn M. in Münster. — Jeder unbescholtene Erwachsene kann Mitglied der , .Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin" werden durch Zahlung von 2 Mk. jährlichen Bei- trag an Herrn Konsul Seifert in Berlin, Grünstraße. Herrn Dr. A. K. in L. — Das unter dem Namen ,, Mund- barometer" beschriebene Instrument zur Höhenmessung ist uns nicht bekannt. Einfache Versuchsanordnungen, die zum glei- chen Zwecke dienen können, finden Sie im ersten Bande von Schreber-Springmann's ,, experimentierender Physik" (Leipzig, J. A. Barth, 1905.) Herrn Dr. O. in A. — Die Tragkraft einer massiven, runden Stange (Biegungsfestigkeit) ist der dritten Potenz ihres Durchmessers proportional, die einer Röhre vom äußeren Durchmesser D und inneren Durchmesser d dem .\usdruck D*— d» — — . Daraus leiten sich die von Ihnen angegebenen Festigkeitsunterschiede her. Speziellere Behandlung ist wohl nur für bestimmte Verhältnisse möglich und schlüge in das Fach des Bautechnikers. Herr M. B. in Leipzig bittet um Angaben über einen guten farbigen Atlas des Pflanzenreiches , der vor allem die einhei- mische Flora berücksichtigt. — An erster Stelle wäre Thome's Flora von Deutschland, Osterreich und der Schweiz zu nennen; ein Werk, welches in 4 Bänden die Phanerogamen und in 3 weiteren Bänden die Kryptogamen Ijehandelt. Sehr zahl- reiche und schöne Tafeln sowie viele Einzelbilder sind dem Text beigegeben. Ein anderes erst in jüngster Zeit begonne- nes Abbildungswerk von Hegi und Dunzinger ,, Illustrierte Flora" von Mittel-Europa mit Berücksichtigung von Deutsch- land , ( )sterreich und der Schweiz ist ebenfalls sehr zu emp- fehlen. Die bunten Tafeln sind ebenso geschm.ackvoU wie naturgetreu ausgeführt. Was die .\nordnung und die Um- grenzung der Familien, Gattungen und Arten anbetrifft, so ist diese im allgemeinen nach Engler's „Natürlichen Pflanzen- familien" und nach der ,, Synopsis der mitteleuropäischen Flora" von Ascherson und Graebner erfolgt. In einem ein- leitenden Kapitel finden sich die notwendigsten Fachausdrücke erklärt. Das größte und auch das teuerste Abbildungswerk sind die ,,Icones Florae Crermaniae et Helvetiae" von Reichen - bach. Daran anschließend möchte ich die Flora von Deutsch- land, Österreich und der Schweiz, bearbeitet von Schlechte n- thal- Ha liier erwähnen, die 8374 Textseiten und 3368 Farbentafeln mit über loooo Nebenfiguren umfaßt und im Originalhalbfranzband 269,60 Mk. kostet. Ferner Deutsch- lands Flora von Sturm mit 1 136 schön kolorierten Tafeln. Von kleineren Abbildungswerken seien Karsten ,|Flora von Deutschland, (isterreich und der Schweiz" in 2 Bänden, dann Wagner ..Illustrierte Deutsche Flora" genannt. Speziell für Alpenpflanzen möchte ich den besonders schöne Abbildungen enthaltenden ,, Atlas der Alpenflora", in 5 kleinen Bänden herausgegeben vom Deutsch-Osterr.-Alpen- Verein, empfehlen. Für Kryptogamen speziell sei auf die Bände V — Vll von Thome's obiger Flora verwiesen , sowie an letzter Stelle die größte Kryptogamen- Flora von Rabenhorst genannt. I)r. P. Beckmann. Inhalt; Dr. F. Köhler: Krankheit und Tod in kulturgeschichtlicher und naturwissenschaftlicher Bedeutung. — Kleinere Mitteilungen: Greff: Vorkommen von Würmern als Parasiten im menschlichen Augapfel. — Fery und Willo- chau: Die Sonnenstrahlung. — Thenard und Dulong: Katalyse und Ferment. — Welter-Monatsübersicht. — Bücherbesprecbungen: Dr. Gustav Hegi: Illustrierte Flora von Mitteleuropa. — Erwiderung auf die Dahl'sclie Be- sprechung des „Grundrisses der Zoologie für Forstleute". — Erwiderung an Herrn Dr. V. Franz. — Litteratur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion : Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge VI. Band; der ganzen Reihe XXII. Band. Sonntag, den 28. April 1907. Nr. 17. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen ^ und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespallene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. Krankheit und Tod in kulturgeschichtlicher und naturwissenschaftlicher Beleuchtung. Vortrag, gehalten am 18. Dezember 1906 zu Düsseldorf im Verein für Volksgesundheitspflege. (Nachdruck verboten.] Von Chefarzt Dr. F. Köhler, Heilstätte Holsterhausen bei Werden Ruhr. (Schluß.) II. Wenn wir nunmehr vom Tode im .speziellen reden wollen , so müssen wir noch einmal ankniipfen an kultur- und religionsge- schichtliche Tatsachen, welche die zeitliche Grundlage unserer naturwissenschaftlichen Auffassung bilden. Am Eingang meiner Ausfüh- rungen habe ich Ihnen gezeigt, wie der Dämo- nenglaube die Erscheinung des Todes mit etwas Unheimlichem, Gewalttätigem umgab, in dem der Mensch den Eingriff der Gottheit in das mensch- liche Einzelvvesen erkannte. Wir müssen nunmehr zurückgreifen auf eine tiefgehende Form der Re- ligion, auf die Verehrung der Toten und den Ahnenkult. Diese Religionsform hat sich er- halten von den primitiven Völkern bis in unsere Zeit hinein, sie ist vielleicht die verbreitetste, aber auch die sympathischste. In der Religion des chinesischen Reiches ist die Totenverehrung und der Ahnenkult noch so lebendig, daß wir in ihr einen Faktor erblicken müssen für die Hemmung im Eindringen europäischer Kultur in das chine- sische Asien. Zum Verständnis der Kulturhistorie der An- schauung vom Tode müssen wir zurückgreifen auf die Vorstellung vom Leben selbst, von der Seele. Die Seele ist nach der ursprünglichen Vor- stellung dasjenige, was den Urgrund aller Lebens- erscheinungen des Menschen ausmacht. Das Pul- sieren des Herzens, das Denken und Fühlen, das Träumen: Alles das ist Wirkung eines gewissen Etwas, das im Menschen lebt und doch mit ihm nicht unzertrennlich verknüpft ist, das aus dem menschlichen Körper entflieht, sobald dieser zum ewigen Schlafe verurteilt ist. Dann scheidet die Seele als zarter Hauch und in dieser zarten Körper- lichkeit lebt sie ein Leben weiter. Sie wird zum Schatten, der nicht vergeht, der sogar in der Dämmerung und in der Einsamkeit den Anver- wandten und Freunden sichtbar werden kann, der das Grab umschwebt und nach Wanderungen gerne dahin zurückkehrt. Mit dieser Vorstellung hängt die Gepflogenheit zusammen, wie sie im Kaukasus und in Indien besteht, im Grabbau eine kleine Öffnung zu lassen, durch das die Seele zum Körper gehen und ihn verlassen kann. So werden die Seelen Geister, welche ein tatsächliches, wenn auch schattenhaftes Dasein führen, welches meist dem 258 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 17 menschlichen Auge verborgen ist und nur unter bestimmten Bedingungen sichtbar werden kann (Bousset). In diesem Rätselhaften, Unerkenn- baren hat das Gefühl der Ehrfurcht und des Grauens vor dem Toten und dem Tode seine Wurzel. Wo aber das Erkennen aufhört, da liegt dem menschlichen Geiste die Phantasie am nächsten, die in erster Linie dem Gefühl seine Entstehung verdankt. In weitverbreiteten Religionsvorstellungen, so namentlich in dem Buddhismus, finden wir die Vorstellung von der Seelenwanderung. Der Geist des Verstorbenen geht in ein Tier über. Die Schlange wird hier mit Vorliebe als die Woh- nung einer menschlichen Seele angesehen. Stellen- weise finden wir die Anschauung, der Mensch werde nach seinem Tode wiedergeboren, und zwar gehen die Seelen nach dem Tode in den Mond, bis sie bei abnehmendem Monde als Regen wieder auf die Erde kommen und je nach ihren Taten nunmehr in höhere ödere niedere tierische Körper oder Pflanzen eingehen. Auch bei den Ägyptern war der Glaube an die Seelenwanderung weit ver- breitet, die griechischen Mythen kennen eine Seelen- wanderung und Dionysos ist der Führer der Seelen. Aristoteles dagegen verwarf die Vorstellung der Seelenwanderung auf Grund seiner Anschau- ungen von der Wechselwirkung zwischen dem geistigen Leben des Menschen und dem körper- lichen, begrenzten Leben. Die christliche Kirche hat sich mit der Lehre nie befreunden können. In allen diesen phantastischen Vorstellungen ist der Kernpunkt der, daß der Tote und der Tod als der Vermittler einer neuen Daseinsform des Individuums mit etwas Geheimnisvollem und Un- heimlichem umgeben bleibt. Die Ehrfurcht treibt zum andächtigen Verehren der Toten und zum Gedenken an bestimmten Tagen. Der Allerseelen- tag in unserer christlichen Religion ist heute noch ein Zeichen dafür, daß auch unser Geschlecht jenen alten Vorstellungen nicht ganz entfremdet ist. Das Grauen vor dem Tod aber hat gleichfalls in der verschiedenartigsten Weise in der Kulturgeschichte seinen Ausdruck gefunden. Ich habe schon von mannigfachen Gebräuchen gesprochen, deren eigent- licher Zweck die Abwehr gefährlicher Manifesta- tionen der Totengeister ist. Ich erwähne an dieser Stelle nur kurz den in dieser Richtung äußerst interessanten Begräbniskultus der Altindier. Hier herrscht schon der Brauch der Leichenver- brennung. Weitab vom Dorfe und der Hütte wird der Tote bestattet, damit sein Geist nicht den Weg zurückfinde und gefährlich werden könne. Ich halte es mit Bousset für höchst wahr- scheinlich, daß die Leichenverbrennung ursprüng- lich den .Sinn der Abwehrmaßregel gehabt hat. Man suchte durch die Leichenverbrennung alles Grauenhafte, das am verwesenden Leichnam hängt, alle Gespensterfurcht möglichst rasch zu vertreiben. Die reine, zum Himmel steigende Flamme nimmt das alles mit fort und befreit den Menschen von jener sinnverwirrenden Gespensterangst. Derartige Abwehrbräuche, betont Bousset, sind übrigens auch heutzutage noch nicht ausgestorben. Viel- fach achtet man mit abergläubischer Furcht darauf, daß der Tote mit den Füßen voran zur Tür hinaus- getragen wird. Andernfalls könnte er zurückkehren. Man schließt die Fenster, die vorher offen standen, sobald der Sarg das Haus verlassen hat. „Unaus- rottbar, tief im menschlichen Gemüt sitzt die Ge- spensterfurcht." Auf der anderen Seite aber auch sind es Ge- fühle der Gemeinsamkeit, die den Leben- den noch mit dem Toten verbinden. Als arme und der Unterstützung bedürftige Wesen werden die Totengeister aufgefaßt, man gibt ihnen Obst, Fleisch und andere Nahrung mit ins Grab. Ich habe selbst auf Macäo im fernen Osten einem Leichenbegängnis beigewohnt, wobei hinter dem an zwei Bambusstäben schwebenden Sarge zahl- reiche Schalen von Früchten und selbst ein ge- rösteter Schweinebraten getragen wurden. Auch an eine Rache der Toten an den lebenden Familiengliedern ist gedacht, wenn ihrer nicht mit der gebührenden Pietät gedacht wird, und so bildet der Ahnenkult eine vereinigende und versitt- lichende Macht in der .Stammesgemeinschaft. Ich glaube, die Lebensanschauung eines Volkes und eines Zeitalters findet fast die schärfste und durchdringendste Beleuchtung durch den Kreis der Vorstellungen, welclie Leben und Tod mit- einander verbinden. Haben wir eben in erster Linie von dem rein ethischen Gehalt der Vorstellung vom Tode und seinen Einflüssen ge- redet, so darf ich auch von dem künstlerischen Gestalten der Idee vom Tode nicht schwei- gen. Bekanntlich ist es der künstlerische Geist und der tiefe Schönheitsgeist, welcher die Antike, insbesondere das alte Griechenland, auszeichnete. „Kunst ward schönes Leben, Leben schöne Kunst", sagt Paul Bornstein in seinen Essays. In klas- sischer Weise hat Lessing in seiner wundervollen Abhandlung „Wie die Alten den Tod gebildet" den Nachweis geführt, daß der Tod im ganzen Altertum nie als furchtbar und grauenhaft dar- gestellt wurde. Hier war der Tod der Bruder des Schlafes, ein schöner Jüngling mit geneigtem Haupte, ein Bild der Ruhe und des Friedens, in der Hand die gesenkte Fackel tragend. Von dieser Vorstellung wich das Christentum ganz erheblich ab. Zum ersten Male finden wir das Wort vom Tode im Alten Testamente in Ver- bindung mit dem Baume der Erkenntnis. ,,Denn welches Tages Du davon issest, so wirst Du des Todes sterben." Aus diesen Vorstellungen heraus finden wir bei dem Kirchenvater Augustin die Lehre von der Erbsünde entwickelt, mit der der Mensch, seitdem Adam vom Apfel der Er- kenntnis gegessen, von Geburt an behaftet sei. So ward der Tod zu einem Schreckgespenst, er ge- wann die Bedeutung eines brutal vernichtenden Genius, zu dessen geistiger Überwindung nur die wahre Reue und Buße führen könne. Aber auch im Neuen Testamente ist allgemein die Vorstellung N. F. VI. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 259 von der Ruhe und dem Frieden des Todes zu- iiäciist eine unbekannte. Dennoch können wir uns nicht der Wahrnehmung entziehen, daß das Schreck- hafte des Todes auch im Neuen Testamente in dem Maße an Gewicht verliert, als die Hoffnung auf ein Jenseits an Stärke und Kraft gewinnt. So schreibt Paulus im Philipperbrief: „Ich habe Lust abzuscheiden und" — ohne Zwischenin- stanzen — „bei Christus zu sein". Hier ist, um mit Paulus zu reden, der Tod verschlungen in den Sieg. Er hat seine Schrecken verloren ange- sichts der zukünftigen Herrlichkeit. Die Betonung der letzteren führt dann im Pietismus zur Todes- sehnsucht und zur Krankheitsfreude. Die Krankheit wird zum Typus des Leidens Christi, so war schon Paulus stolz darauf, die ariy/naia Iijaoü, die Zeichen des Leidens Christi, an seinem Leibe zu tragen. Damit ist denn eine Um- wertung der ursprünglichen Werte er- reicht. In späterer Zeit hat alsdann der natur- wissenschaftliche Nachweis der Unabänder- lichkeit von Krankheit und Tod natürlich diesen Prozeß befördert, indem der ungemein starke Lebenstrieb des Menschen im Jenseits den Er- satz für das notwendig verschwindende Die s- seits fand. Mit der Überzeugung von der Realität des Jenseits mußte die Entwertung des Diesseits, unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Sündhaftigkeit des Menschentums, parallel gehen. Vor der Strafe für das von Geburt an sündhafte Erdenwallen, vor dem Tode, schreckte man zurück; mit dem asketi- schen Zuge, der weniger bei Christus selbst, als bei seinen Auslegern und im Epigonentum der Christen der ersten Jahrhunderte nach dem Tode des großen Meisters eine Rolle spielte, tut sich ein durchgreifender Unterschied des Christentums hervor gegenüber dem lebensfreudigen Griechen- land. Haben wir von dem schönen, friedevollen Jüngling als dem Symbol des Todes in der grieciii- schen Kunst geredet, so schuf sich das Christen- tum sein Todessymbol, das etwa im 12. und 13. Jahrhundert in Deutschland auftauchte und seit- dem die bildende Kunst nicht mehr verließ: Das Skelett mit der Sense und dem Stundenglas, ein Bild mitleidsloser Schauderhaftigkeit ! 1769 schrieb Lessing seine wundervolle kritische Abhandlung: ,,Wie die Alten den Tod gebildet", in der er den Irrtum zurück- wies, von dem sich selbst Winkelmann noch nicht befreit hatte, daß, wie die mittelalterliche Kunst, auch die Alten den Tod unter dem Bilde eines Gerippes dargestellt hätten. Lessing's Folgerungen sind zweifellos für die Religion, wie für die Philosophie von größter Bedeutung. Ich will hier nicht S c h i 1 1 e r ' s Worte unerwähnt lassen, welcher den Gedanken Lessing's in die schöne dichterische Form kleidete: „Uamals trat kein grüßliches Gerippe An das Bett des Sterbenden: ein Kuß Nahm das letzte Leben von der Lippe ; Seine Fackel senkt' ein Genius." und Goethe schrieb: „Beim Erscheinen des „Lao- koon" und der »Abhandlung über den Tod der Alten hielten wir uns von allem Übel erlöst und glaubten mit einigem Mitleid auf das sonst so herrliche 16. Jaiirhundert herabblicken zu dürfen, wo man in deutschen Bildwerken und Gedichten das Leben unter der F"orm eines schellenbehangenen Narren, den Tod unter der Uniform eines klappern- den Gerippes, sowie die notwendigen und zufälligen Übel der Welt unter dem Bilde des fratzenhaften Teufels zu vergegenwärtigen wußte." So verdanken wir gerade Lessing außer- ordentlich viel für unsere Anschauung vom Tode. Immer wieder wollen wir uns seine erhebenden Vorstellungen gegenwärtig halten I Er schließt seine Abhandlung mit den Worten: „Gleichwohl ist es gewiß, da(3 diejenige Religion, welche dem Menschen zuerst entdeckte, daß auch der natür- liche Tod die Frucht und der Sold der Sünde sei, die Schrecken des Todes unendlich vermehren mußte. Es hat Weltweise gegeben , welche das Leben für eine Strafe hielten ; aber den Tod für eine Strafe zu halten , das konnte ohne Offen- barung schlechterdings in keines Menschen Ge- danken kommen, der nur seine Vernunft brauchte. Von dieser Seite wäre es also zwar vermutlich unsere Religion, welche das alte heitere Bild des Todes aus den Grenzen der Kunst verdrängt hätte I Da jedoch eben dieselbe Religion uns nicht jene schreckliche Wahrheit zu unserer Verzweifjung offenbaren will; da auch sie uns versichert, daß der Tod der Frommen nicht anders als sanft und erquickend sein könne: so sehe ich nicht, was unsere Künstler abhalten sollte, das scheußliche Gerippe wiederum aufzugeben und sich wiederum in den Besitz jenes besseren Bildes zu setzen. Die Schrift redet selbst von einem Engel des Todes; und welcher Künstler sollte nicht lieber einen fc^ngel als ein Gerippe bilden wollen ? Nur die mißverstandene Religion kann uns von dem Schönen entfernen, und es ist ein Beweis für die wahre, für die richtig verstandene wahre Re- ligion, wenn sie uns überall auf das Schöne zurück- bringt." So sprach Lessing, und nach ihm haben viele Philosophen die Anschauung vom Tode zu einer freundlichen und milden gemacht, wenngleich von einem wirklich neuen Todessymbol, das die Gegenwart geschaffen hätte, keine Rede sein kann. Es ist für mich kein Zweifel, daß der natur- wissenschaftliche Einfluß, der durch unsere ganze moderne Zeit geht, den wichtigsten Anteil hat an diesem Schwinden der Todesfurcht und der Anschauung von der ethischen Grundlage des Todes. Das Streben nach der Entfaltung der In- dividualität, wie sie der Philosoph Friedrich Nietzsche in unserer Zeit gepredigt, hat gegen- über der früheren Zeit den Menschen zu einem höheren Bewußtsein seiner eigenen Person den Lebensvorgängen gegenüber, welche für jeden ein- zelnen Menschen einen schweren Kampf um die Existenz in sich schließen, geführt, und diese 26o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 17 Selbstschätzung iriacht sich auch geltend in der Auffassung vom Tode in dem christlichen An- schauungskreis. Werden und Vergehen sind dem Menschen als ewige Naturgesetze zum Bewußtsein gekommen, und damit hat der Mensch als Faktor im Getriebe der Natur selbst eine neue Stellung bekommen, der Tod aber ist in der menschlichen Auffassung eine elementare Not- wendigkeit in dem Haushalt der Natur geworden. Leben setzt Tod voraus, Wer- den gibt es nur da, wo auch Vergehen ein Gesetz ist. Und damit haben wir die Brücke gewonnen von der kulturgeschichtlichen Auffassung vom Tode zu der modernen naturwissenschaftlichen, der wir uns nunmehr noch zuwenden wollen. „Die ganze Natur ist dem Tode unterworfen", so beginnt Var ig ny seine „Physiologie des Todes. Der Tod erscheint uns als eine Trennung der Sub- stanz von allen ihren Lebenserscheinungen. Be- wegung, Ernährung und Empfindung verlassen den Körper und das Bewußtsein schwindet. Wir weisen den Zerfall der Materie nach und die Rückkehr der chemisclien Stoffe zur Erde, zur Luft und zur nächsten Umgebung. So ist der Tod ein Ab- schluß, eine Trennung, ein Zerfall. Diese Erschei- nung tritt beim Menschen durchgängig verhältnis- mäßig frühzeitig auf, während im Tier- und be- sonders im Pflanzenreich ein langes Leben nicht zu den Seltenheiten gehört. Man hat für manche Bäume eine Lebensdauer von looo und darüber an Jahren berechnet, Adler und Karpfen, vor allen Dingen aber der Schwan, der Walfisch und der Elefant können weit über 100 Jahre haben. Ich er- innere hier an eine interessante Abhandlung: ,,tTber die Dauer des Lebens", welche Prof Weismann in Freiburg veröffentlicht hat. Man hat nun lange darüber wissenschaftlich gestritten, ob nicht die einfachen einzelligen Wesen, die Protisten, welche sich durch bloße Teilung vermehren, unsterblich seien (Weismann gegenüber Bütschli und Götte), aber dieser Streit ist im Grunde ge- nommen nur davon abhängig, was man unter „sterben" versteht, und wie man sich den Ver- lust der Individualität vorstellt. Naturwissenschaftlich stellt sich der Tod nicht dar als ein plötzliches Ereignis, vielmehr; der Tod entwickelt sich, indem allmählich die Lebenserscheinungen aufhören, da eine, mehrere oder alle Lebensbedingungen , unter denen sich irgend ein Organismus befindet, ausfallen (Ver- worn). „Gesundes Leben einerseits und Tod andererseits sind nur die äußersten Glieder dieser Entwicklung, die durch eine Reihe von Zwischen- stadien lückenlos miteinander verbunden sind." Das Studium dieser eigenartigen Vorgänge bis zu den einfachsten Zellen herab, der Nekrobiose Virchow's, der histolytischen Prozesse wie der metamorphotischen Prozesse, gehört zum Inter- essantesten der gesamten Biologie. Die äußeren Todesursachen sind mannig- facher Art. Entziehung des Sauerstoffs, des Wassers, der Nahrungsstoffe, Temperatur- und Druckmaxima, Giftwirkungen mit Störungen des Mechanismus des Stoffwechsels, Elektrizitätseinwirkungen mit elektro- lytischer Zersetzung gehören zu den äußeren Todes- ursachen und sind uns als solche wohlbekannt. Anders aber steht es mit den inneren Todes- ursachen. Diese sind uns nicht vollkommen durchsichtig, und wir vermögen für diese uns keine bessere Vorstellung zu geben als die, daß es in dem P^ntwicklungsprinzipe jedes einzelnen Organis- mus von Uranfang begründet liegt, daß jeder Or- ganismus eine aufsteigende und absteigende Ent- wicklungslinie zeigt, die mit der Geburt ihren An- fang, mit dem Tode ihr Ende nimmt. So liegen die Ursachen des sogenannten ,, natürlichen Todes" im Organismus selbst. „Das Problem der Ent- wicklung und das Problem des Todes gehören un- trennbar zusammen, das letztere ist nur ein Teil des ersteren" (Verworn). Aus diesen Überlegungen heraus werden wir uns klar machen können, daß es selbst unseren eingehendsten medizinischen F"orschungen nicht wird gelingen können, den Tod selbst aus der Welt zu verbannen; es wird gelingen, den Tod hinauszuschieben, wie es uns für manche Krank- heit schon sicher gelungen ist. Auch werden wir Epidemien der verschiedenartigsten Krankheiten, ich erinnere nur an die Pocken und ihre Be- kämpfung durch die Jenner 'sehe Impfung, an die Diphtherie und Behring's Schutzserum, an die Cholera und Pest, deren Fernhaltung unsere segensreichen prophylaktischen Maßnahmen durch- gesetzt haben, wir werden solche Epidemien ab- wenden können, und dennoch bleiben genügend unüberwindliche Faktoren, welche die Abschaffung des Todes unmöglich machen. Einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Sterblichkeit übt der Krieg und seine Folgen aus. Hungersnot ist ebenfalls eine häufige Ursache großer Sterblichkeit. Die hauptsächlichsten Hungers- nöte in letzter Zeit traten nach Varigny auf für P'rankreich im Jahre 1770 mit 4 8 000 Sterbefällen, für Irland 1816/17 mit 737 000 Sterbefällen, desgleichen in den Jahren 1846/47 mit i 009 000 Sterbefällen, für Indien 1866 mit 1450000 und 1877 mit V2 Million Sterbefällen, für China 1878 mit 9 500 000 Sterbefällen. In Indien gibt es gerade in der (jegenwart Hungersnöte, deren Einfluß auf die Sterblichkeit kaum annähernd abgeschätzt werden kann. Noch 1896/97 sind in den mittleren Pro- vinzen Indiens täglich Pausende Hungers gestorben. Die Pest hat im 14. Jahrhundert Millionen und .-\bermillionen Chinesen dahingerafft und überfiel dann Mittel- und Westeuropa, um auch hier eine überaus reiche, traurige Ernte zu halten. Die Zahl von 25 Millionen Sterbefällen bei diesem Sieges- zuge der Pest, des „schwarzen Todes", für Europa dürfte kaum zu hoch gegriffen sein. Daß solche Opfer noch heutzutage eine Epidemie fordern sollte, ist geradezu unmöglich. Der gewaltsame Tod, der Selbstmord, spielt eine nur verhältnismäßig geringe Rolle, wenngleich N. F. VI. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 261 wir iiervoriiebeii müssen, daß der Selbstmord dauernd im Zunelimen begriffen ist. In Deutsch- land ist der Selbstmord erheblich häufiger wie in Italien und Spanien, während in diesen Län- dern der Tod durch Ermordung wesentlich häufiger ist, wie in Deutschland. Verunglück - ungen sind durch die tiefahren, welche unsere moderne Technik mit sich bringt, erheblich häufiger geworden, wie in früheren Zeiten. Nach Varign)- verliert F.ngland jährlich beinahe 18 000 Einwohner durch Unfälle jeder Art, Frankreich 1 3 000, Deutsch- land 18000, Rußland 17 000, die Vereinigten Staaten 36000, in Indien werden jahraus jahrein etwa 20000 Menschen von wilden Tieren oder durch den Biß giftiger Schlangen getötet. Dann geht noch eine verhältnismäßig geringe Zahl von Men- schen durch Naturereignisse zugrunde, die meisten Menschen aber sterben an Krankheiten. Als wichtigste Todesursache kommt zweifellos in erster Linie die Lungentuberkulose in Be- tracht, die als allgemein verbreitet angesehen wer- den muß. Für eine Reihe von anderen Krankheiten gelten zweifelsohne die Verschiedenheit der Rasse, das Klima und die hygienischen Verhältnisse als aus- schlaggebender Faktor für das Auftreten, die Ver- breitung und die Bösartigkeit der Krankheit. Aus alledem sehen wir, daß der Tod unter den verschiedensten Bedingungen und in der verschie- densten Form eintritt. Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, zu beleuchten, wie der Tod bei den einzelnen Krank- heiten eintritt, doch möchte ich nur kurz berühren, welche Erfahrungen wir heute über den sog. n at ü r - liehen Tod besitzen. Unter dem „natürlichen Tod" verstehen wir gemeinhin den Tod ,, durch Altersschwäche". Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß es sich in diesen Fällen um eine allge- meine Abnutzung der Körperkräfte und Körper- zellen handele. Geht man den Verhältnissen auf den Grund, so ist fast ausschließlich irgend ein pathologischer Umstand die eigentliche Veran- lassung des Todes, selbst bei dem sogenannten Tode „an Altersschwäche". Störungen des Herzens, insbesondere der Blutgefäße, meist auf Grund von \'erkalkungen derselben , Störungen der Nieren- funktion: Alles das ist meist bei dem alternden Organismus langsam eingeschlichen und führt schließlich eine solche Störung des Gesamtorga- nismus herbei, daß ein Weiterleben unmöglich wird. Es sterben nicht etwa alle Gewebe des Körpers gleichzeitig ab, sondern die Widerstands- kraft ist in den einzelnen Organen eine recht ver- schiedene. So können beim Greise fast durch- gängig die Zellen der Leber und der Knochen länger funktionstüchtig bleiben, als die Zellen der Verdauungsorgane, des Herzens, der Blutgefäße und des Gehirns. Infolgedessen handelt es sich bei der sogenannten „Altersschwäche" fast ausschließ- lich um die Erkrankung bestimmter Zellgruppen oder bestimmter Organe, nicht aber um eine all- gemeine Abnutzung; wir haben einen patho- logischen Vorgang vor uns, wie bei den Krank- heiten überhaupt, und so kommt es, daß Men- schen mit 50 Jahren schon Greise sein und Leute mit 70 Jahren und mehr noch „jugendlich" sein können. Ist die Spannkraft der Blutgefäße herabgesetzt, so muß das Herz kräftiger arbeiten, es vergrößert sich und artet aus, auch verdicken sich oft die Herzklappen und der Schluß der Herzkammern wird ein unvollständiger. Die Hauptveränderungen im Alter gehen an den Hauptschlagadern vor sich, indem die Wände der Blutgefäße entarten und brüchig werden. Das Blut zirkuliert mangelhaft, Gerinnungen kommen an den entarteten Stellen zustande, gelangen in den Kreislauf und verstopfen fernerhin kleine Blutgefäße, die nunmehr brechen und so die zahllosen Schlaganfälle verursachen. Chemische Veränderungen gehen vor sich an der Gehirnsubstanz und bewirken eine Abschwächung der geistigen Leistungsfähigkeit. Veränderungen in der Brusthöhle bewirken eine Beeinträchtigung der Lungentätigkeit, Rückbildungen in Magen- und Darmdrüsen rufen Störungen im Ablauf der Ver- dauungstätigkeit hervor, die Nieren büßen an Funk- tionsregelmäßigkeit ein, ein Verfall macht sich im Knochensystem und in den Muskeln geltend auf Grund chemischer Vorgänge: Alles das sind ein- zelne pathologische Zellveränderungen, die der alternde Organismus erleidet und die ihn schließ- lich dem Grabe zuführen. Es handelt sich hier um die Zerstörung der Integrität der Gewebe einzelner Or- gane oder um die Zerstörung normaler Gewebs- komplexe, in ähnlicher Weise, wie auch ein Un- fall oder eine bestimmte Krankheit, etwa eine In- fektionskrankheit, Organgewebe zerstört und durch das Hineinziehen weiterer Funktionsgebiete des menschlichen Körpers den Tod herbeiführt. Etwas anders liegen freilich die Verhältnisse bei Ver- giftungen. Bei einer Strychnin- oder Kohlen- säurevergiftung ist allerdings weniger von einer direkten Organverletzung die Rede, sondern viel- mehr es handelt sich hierbei um eine Störung in den funktionellen Verrichtungen des Körpers. Unter diese Gruppe gehören zweifellos auch die seltenen Todesfälle aus „psychischen Momente n". Der Tod durch Freude , Schreck, Erregung bleibt im Grunde genommen bedingt durch eine Reflexhemmung des Herzens. Mit dem eigentlichen Mechanismus des Todes wollen wir uns nur kurz beschäftigen. Man kann sagen, daß im allgemeinen der Tod immer vom Herzen ausgeht. Der Stillstand des Herzens ist das erste Anzeichen des Todes. Aber dieser Stillstand des Herzens ist nicht etwa immer begründet in einer krankhaften Veränderung des Herzens selbst, vielmehr ist der Herztod in vielen Fällen so aufzufassen, daß der Stillstand des Her- zens erst die Folge anderweitiger organischer Ge- websverletzungen darstellt. Unter diesen ist die wichtigste die Verletzung des sog. „verlängerten Marks", eines Teiles des Gehirnsystems, durch 262 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. \^ dessen Reizung oder Verletzung reflektorisch der Herzstillstand zustande kommt, auf dem Wege des pneumogastrischen Nervs. Ebenso kann durch eine zerstörende Einwirkung auf das im verlängerten Mark gelegene Atemzentrum ein Stillstand des Zwerchfells und damit der Lungentätigkeit ein- treten. Wir haben also zu unterscheiden zwischen einer Lähmung der Bewegungszentren und einer Reizung des Stillstands-Zen- trums. Weiterhin kann der Eintritt des Todes bedingt sein durch Störungen im Atmungsapparat selbst. Ist dieLungenichtmehrimstande, den not wendigen Gas- austausch vorzunehmen, so folgt daraus bald die Un- fähigkeit des Blutes, die Zellen des Körpers mit dem zum Leben unbedingt notwendigen Sauer- stoff zu versehen und ein allgemeines Absterben, insbesondere aber eine Lahmlegung des Gehirn- systems und seiner Regulationsfunktion, ist die Folge. Von kranken Nieren aus resultiert eine mangelhafte Ausscheidung schädlicher, giftiger Stoffe, welche sich alsbald im Blute ansammeln und dann eine Gewebszerstörung herbeiführen. Ähnlich kann der Gesamttod herbeigeführt wer- den durch den Tod der Gewebe bei ungenügen- der Ernährung oder durch Vergiftung direkt. In allen Fällen spielt die Verschlechterung des Blutes eine ausschlaggebende Rolle. Ich möchte hier noch vor einer irrigen An- schauung warnen. Diese besteht in der Auffassung, daß mit dem Herzstillstande nun auch sämtliche Zellen des Körpers als tot anzusehen sind. Viel- mehr liegen die Verhältnisse so, daß die Zellen zusammen leben und getrennt sterben (Engel- mann). Zwar wird durch die Störung der Ge- samtbeziehungen der einzelnen Zellen und ihrer Funktionen das Leben als Ganzes ausgelöscht, aber die Vernichtung des Einzellebens ist damit noch keineswegs vollzogen. Die Nervenzellen sterben zweifellos am frühesten ab, dagegen reagieren Muskelzellen noch stundenlang auf elektrische Reize, auch die Zellen der Verdauungsschleimhäute leben noch eine Zeitlang fort, wie man an Fröschen, die tot sind, leicht beweisen kann. Aber alsbald setzt dennoch der Verwesungsprozeß ein, bei dem che- mische Umsetzungen die wichtigste Rolle spielen. Damit habe ich in Kürze den Weg zum Tode beschrieben. Nur noch einer Frage möchte ich wenige Worte widmen. Ist der Tod schmerz- haft? Diese Frage beschäftigt das Gemüt der meisten Menschen außerordentlich. Nach den uns bekannten Mitteilungen von Menschen, welche beim Ertrinken oder bei schweren Verwundungen, oder gar im Scheintode dem Absterben des Organismus so nahe waren, daß sie nur durch künstliche Ver- suche dem Leben wiedergegeben wurden, können wir heute sagen, daß im allgemeinen der Tod als solcher nicht schmerzhaft genannt werden kann. Gerade weil so frühzeitig das Gehirnsystem seine Funktionskraft verliert und die Möglichkeit des Empfindens einbüßt, ist auch wohl in den meisten Fällen der Tod selbst nur ein ruhiger Übergang. Anders aber steht es mit der Furcht vor dem Tode. Hier wollen wir offen gestehen, daß es bei den einzelnen Menschen selbst gar recht ver- schiedenartig zugeht. Ich rede nicht von den Schmerzen, welche z. B. eine Atemnot in schwerer Lungenkrankheit verursacht, oder von dem Ringen nach Leben, welches besonders eine einsetzende Herzschwäche mit sich bringt, ich rede von dem unruhigen Fragen, das jeden Menschen bewegt: Was bringt uns der Tod? Das aber ist eine Frage, die das noch unge- schwächte Gehirn stellt, und auf die eine Antwort jeder einzelne nach seiner persönlichen Anschauung, ja ich sage nach seinem Charakter, nach seiner Philosophie, die ihm die Lebenserfahrung und Weltauffassung gegeben, sich geben wird und geben muß. Hier vermag die Wissenschaft nicht zu reden, sie vermag nicht über die Lebenserschei- nungen, denen der Tod ein Ziel setzt, hinauszu- dringen. Deshalb verlange auch nicht der, den sein persönlicher Glaube über die Schranken des Todes hinweg in die Überzeugung von den Ge- filden der Seligen geführt, daß ihm die Wissen- schaft davon etwas verkündet. Wissenschaft und Glaube scheiden sich hier scharf, und eine Brücke ist hier nicht denkbar. Es würde die Wissenschaft aufhören, Wissenschaft zu sein, und der Glaube, der doch bei genauem Zusehen nur eine Hoffnung auf Wissen darstellt, kein Glaube, wenn die Wissenschaft imstande zu sein vorgäbe, über Tod und Verwesung hinaus Tatsachen zu lehren. Wie wir aber das Produkt unseres Denkens mit unserem Gefühle aufzunehmen imstande sind, das hängt ab von dem Charakter, von der Persönlichkeit. Wie wir an unsere persön- lichen Vorstellungen glauben, nicht was wir in ihnen glauben, bleibt das ausschlaggebende Mo- ment und bildet den sittlichen Faktor. Die Überzeugung von der Wahrheit unserer Anschau- ung wird daher allein imstande sein, dem Men- schen die Furcht vor dem Tode zu benehmen, und ihn einem hohen sittlichen Standpunkte entgegen- führen. Mögen wir von Sokrates und Plato, mögen wir auch vom Buddhismus und dem Mohamme- danismus, mögen wir auch von den Besten unserer Philosophen lernen, die Furcht vor dem Tode zu verlernen und unser Leben mit einem Inhalte aus- zufüllen, dessen Früchte unser eigenes Dasein über- dauern 1 — So sind wir in unserer Betrachtung von „Krank- heit und Tod in kulturgeschichtlicher und naturwissenschaftlicher Beleuch- tung" zu einem Endpunkte gelangt, der im ethisch- moralisclien Gebiete gelegen ist. Die Darstellung im Rahmen eines kurzen Vortrages konnte be- greiflicherweise nur eine fragmentarische, bei weitem keine erschöpfende sein. So bin ich mir wohl be- wußt, insbesondere die Rolle des Todes in der Justiz und ihre Auffassung in der Rechtsgeschichte, die doch einen Teil der Kulturgeschichte darstellt, N. F. VI. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 263 sowie die Rolle des Todes in der Literaturge- schiclite, insbesondere auch im Drama, übergangen zu haben. Diese außerordentlich interessanten Dinge würden, jedes für sich, eine ausführliche Abhandlung rechtfertigen. Auch die religions- geschichtliche Anthropologie, insbeson- dere die arabische und indische Völkerkunde, sollte helle Streiflichter auf unser Thema werfen, welche von großer Wichtigkeit für das Verständnis des Denkens und Fühlens der einzelnen Völker sind. Wir haben uns somit Grenzen ziehen müssen, um in einem engen Rahmen nur das in Kürze be- sprechen zu können, was uns darauf hinweist, wie gewaltig das Naturgesetz von der Krankheit und dem Tode die Kulturepochen und insbesondere unser naturwissenschaftliches Zeitalter durchdringt. Für unsere persönliche Weltauffassung und im engeren Kreise für unsere sittlichen Anschauungen werden wir aus der rechten Betrachtung von ,,Krankheit" und ,,Tod" einen starken Eck- pfeiler für das Gebäude unseres philosophisch- moralischen Denkens und Empfindens gewinnen. Werden wir uns zu befreien haben von einer die erhabene Menschenwürde nur depressiv beein- flussenden und des Kausalzusammenhanges mit allem Naturgeschehen entbehrenden, lediglich religiösen Anschauung von Krankheit und Tod, so werden wir andererseits in dem Ge- fühle, als Erdenwesen voll und ganz unter das Naturgesetz gestellt zu sein, die naturge- mäße Entfaltung und Vervollkommnung unseres Selbst, welche vor einer ungesunden Überkultur wie vor einer wurmstichigen und deshalb ver- langsamt en Kultur bewahrt, als unsere höchste Aufgabe betrachten, bei deren Lösung die welt- und kulturhistorische Stellung des Menschen in ihrer Beziehung zum gesamten Naturgeschehen allein ins rechte Licht gerückt werden wird. — Kleinere Mitteilungen. Zur Biologie von Hydra liegen neue experi- mentelle Untersuchungen von J. Hadzi (Wien) vor (.Archiv f. Entwicklungsmechanik igo6, XXII. Bd., pag. 38 — 47). Verfasser untersuchte besonders das Verhältnis von Hydra viridis zu den Zoochlo- rellen, jenen Algen, die die grüne Farbe der Hydra hervorrufen. Der ausschließliche Sitz der Zoo- chlorellen sind die großen Entodermzellen; in anderen Zellen vermögen sie nicht zu leben. Wenn einige von den Algen beim Einwandern in das Ei ins Ektoderm gelangen, so werden sie dort immer blasser, sterben ab und werden ausgestoßen. Hadzi versuchte es, Hydra viridis ganz von den Algen zu befreien und stellte eine Anzahl grüner Hydren ins Dunkle. Sie hielten sich hier einige Zeit, doch die Zoochlorellen verblieben trotzdem, ja die Hydren starben sogar früher als die Algen. Auch die zahlreichen Versuche des Verfassers, isolierte Zoochlorellen außerhalb der Hydra dauernd zu kultivieren, mißlangen, ein Beweis, wie weit- gehend hier die Anpassung an die intracellulare Lebensweise ist. Um die Bedeutung des von den Zoochlorellen ausgeschiedenen Sauerstoffs für die Atmung der Hydra zu prüfen, stellte Hadzi folgenden Versuch an : 2 Gläser, die mit Wasser gefüllt waren und von denen das eine 5 Individuen von Hydra fusca, das andere 5 Individuen von Hydra viridis enthielt, wurden unter den Recipienten einer Luftpumpe gestellt, die an einem günstig beleuchteten Orte stand, und nun wurde die Luft so weit ausge- pumpt, daß der größte Teil derselben aus dem Wasser entwich. Dann wurde in den Recipienten Kohlendioxydgas eingeleitet, solange, bis wieder der normale Atmosphärendruck hergestellt war. Nach etwa 2 Stunden zogen sich die braunen Hydren zusammen und lösten sich von der Unter- .age los. Erst viel später zog sich auch Hydra viridis zusammen. Als am nächsten Tage alle Tiere wieder an die frische Luft gesetzt und das Wasser gewechselt wurde, da zeigte sich, daß die grünen Hydren sich nach kurzer Zeit wieder er- holten, während die braunen tot waren. Hydra fusca mußte also während des Experiments wegen Mangel an Sauerstoff ersticken , während Hydra viridis den zur Atmung nötigen Sauerstoff von den Zoochlorellen erhielt. Man wäre nach diesem Versuchsergebnis geneigt, den Zoochlorellen eine große Bedeutung für die Atmung der Hydra bei- zumessen, doch wäre dies entschieden verfehlt. Die Körpergröße der Hydra ist für das aus- gewachsene Individuum nicht absolut feststehend, sondern variiert und ist von der Größe der all- täglichen Futtertiere abhängig. Hydren, die sich von Daphnien ernähren , sind selbst fünfmal so groß wie diejenigen, welche sich von dem Räder- tier Noteus ernähren. In der Mitte zwischen ihnen stehen jene, die von Cypris leben. Wenn man nun die Hydra, welche sich von Cypris ernährt, allmählich an größere Nahrung (Daphnia) ge- wöhnt, so wächst sie bis zu einer gewissen Größe an und bleibt konstant, solange sie dieselbe Nah- rung bekommt. In entgegengeseter Richtung ge- lingt es auch Hydra zu verkleinern. Die Verdauung geschieht bei Hydra nicht, wie früher allgemein angenommen wurde, ganz intra- cellulär, sondern, nach einer Vorverdauung im Gastralraum durch die Sekrete der Drüsenzellen, werden die Nahrungspartikel mittels Pseudopodien von den Nährzellen aufgenommen und verdaut. Hadzi versuchte auch, nichtgrüne Hydren mit Zoochlorellen zu infizieren, doch ist dies bis jetzt nicht gelungen, weder durch Injektion der iso- tierten Algenzellen in den Gastralraum unter gleich- zeitiger Verletzung des Entoderms, noch durch Transplantation. Im Gegensatz zu anderen algenhältigen Tieren sind bei Hydra viridis schon die Eier und die aus 264 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 17 ihnen herausschlüpfenden Jungen mit den Zoo- chlorellen behaftet, ebenso wie die durch Knos- pung entstehenden Individuen. Trotz dieser innigen Lebensgemeinschaft von Polyp und Alge gelang es dem Verfasser, von grünen Hydren algenfreie Nachkommen zu erhalten. Der Vorgang war hier- bei folgender: Grüne Hydren, die eben ein Ova- rium angelegt hatten, wurden ins Dunkle gebracht. Die Eier wuchsen viel langsamer als am Lichte, blieben aber ganz algenlos, weiß. (Demnach er- weist sich die Meinung Hamann's, daß die Zoo- chlorellen passiv in das Ei eingeschleppt werden, als unrichtig, denn wäre dies der Fall, so müßten die Algen auch im Dunkeln ins Ei gelangen.) Die so algenlos gemachten Eier wuchsen bis zur nor- malen Größe heran, blieben dann, ohne sich zu furchen und die Hülle zu bilden, einige Stunden am Tier, fielen dann aber ab und zerflossen, von Pilzen und Bakterien überwuchert. Nur ein Ei (von zwanzig) entwickelte sich weiter und schied die Kapsel aus. Es wurde allmählich ans Licht gebracht und die junge Hydra, die aus diesem Ei schlüpfte, war völlig frei von Algen. Leider starb das Tier bald. Ob an dem frühzeitigen Tode der im Finstern entwickelten Eier der Mangel an Zoochlorellen schuld ist, oder ob eine andere Ur- sache hier im Spiele ist, konnte Herr Hadzi mangels geeigneten Materials nicht untersuchen, was jedoch später geschehen soll. Adolf Cerny (Wien). M. Verworn: Die cellularphysiologische Grundlage des Gedächtnisses. (Zeitschr. für allgem. Physiologie Bd. VI, Heft 2, 1906). — Bei seinen Studien über die Vorgänge im tätigen und ruhenden Nervensystem hatte sich Verworn die Tatsache des „Gedächtnisses" immer als eine be- sondere Schwierigkeit entgegengestellt. Unter ,, Gedächtnis" können wir wohl allgemein die Fähigkeit verstehen, „Vorstellungen, d. h. Erinne- rungsbilder von Empfindungen, zu reproduzieren, und zwar nicht bloß durch den Sinnesreiz , der die ursprüngliche Empfindung das erste Mal aus- löste , sondern auch durch Impulse von anderen Seiten". Diese Tatsache läßt sich nur dadurch erklären, daß man annimmt, jene durch die Sinnes- reize hervorgerufenen Erregungen lassen ,, Ein- drücke", „Spuren" in den Nervenzellen zurück, die sich nur langsam wieder verwischen. In den Ganglienzellen können sich, wie die Forschungen der letzten Jahre zeigten, nur dissimil.atorische Reize fortpflanzen. Die Denkprozesse bestehen aus solchen dissimilatorischen Erregungen , denn dabei tritt Nervenleitung zwischen oft weit aus- einander liegenden Zentren ein. Es fragt sich nun, welche dauernden Veränderungen durch solche Erregungen entstehen können. Die sog. trophi- schen Wirkungen, die auf einer Veränderung der Menge von lebendiger Substanz beruhen, werden sowohl durch „häufige Inanspruchnahme der Funktion des lebendigen Teils", als auch durch „völligen Nichtgebrauch desselben" hervor- gerufen. Die Masse von lebendiger Substanz in einer Zelle ist also von der dissimilatorischen Er- regung abhängig. Bei den Säugetieren hört die Vermehrung der Ganglienzellen schon vor der Geburt auf, nicht aber ihre Weiterentwicklung. Vielmehr erfolgt mit zunehmendem Alter ent- sprechend der stärkeren Inanspruchnahme eine Vergrößerung ihres Protoplasmakörpers und eine reichlichere Dendritenbildung. So wurde bereits früher gezeigt, daß parallel mit der Vervollkomm- nung des Lagereflexes bei Kaninchen in den ersten sechs Tagen nach der Geburt eine Ver- mehrung der Protoplasmamasse und der Dendriten in gewissen Zellen des Kleinhirns erfolgt. Ebenso weisen beim erwachsenen Organismus die viel stärker beanspruchten motorischen Ganglienzellen der Vorderhörner bedeutend größere Plasma- massen auf, als die weniger gebrauchten, sensiblen der Hinterhörner. Werden daher gewisse Funk- tionen von Jugend auf ausgeschaltet, so muß eine Hemmung in der Massenentwicklung des Proto- plasmas der betreffenden Zellen eintreten, wie dies in der Tat auf experimentellem Wege gezeigt wurde. F"ür die Abhängigkeit der Massenent- wicklung des Ganglienzellprotoplasmas von seiner funktionellen Inanspruchnahme spricht auch die nach Verlust der Extremitäten eintretende Atro- phie des Rückenmarkes. Höchst wahrscheinlich wird dieses Abhängigkeitsverhältnis durch eine stärkere Nahrungszufuhr bei größerer Tätigkeit der Nervenzentren bedingt. Es ist selbstverständlich, daß „die Intensität der spezifischen Energieproduktion einer Ganglien- zelle eine Funktion der Masse ihrer entladungs- fähigen Substanz ist." Je größer die Substanz- zunahme einer Ganglienzelle, desto größer die Intensitätssteigerung ihrer spezifischen Prozesse. Wirkt ein Reiz zum ersten Mal auf eine junge Zelle ein, so ist ihre Reaktion nur gering; durch fortgesetzte Wiederholung des Reizes wächst aber die Substanz der Zelle fortwährend. Jeder Sinnes- reiz läßt in den Ganglienzellen eine Spur zurück, d. h. er zieht eine Substanzvermehrung nach sich. Soll die Spur nicht verwischt werden mit der Zeit, muß die betreffende Zelle stets wieder in Anspruch genommen werden. Sonst würde sie durch Inaktivitätsatrophie einen Substanzverlust erleiden ; man „vergißt". Den Ganglienzellen kommt auch noch die Be- deutung von Stationen für die Weiterbeförderung oder Hemmung von ihnen zufließenden Erregungen zu. Bei der Einübung von komplizierteren Vor- gängen müssen z. B. solche Widerstände in den Stationen überwunden, d. h. „die Bahnen ausge- schlififen" werden. Ist dies der Fall , haben wir eine Sache „im Gedächtnis". Mit der Einübung nimmt aber die Protoplasmamasse einer Ganglien- zelle und damit die Entladungsintensität zu , was bei Einwirkung einer Erregung zur Folge hat, daß diese den Widerstand gegen eine benachbarte Station überwinden, die Erregung also weiter ge- leitet werden kann. Je größer die Entladungs- N. F. VI. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 265 inteiisität einer Ganglienzelle, desto weiter wird eine Erregung fortgeleitet. Ed. Schmid. E. Enslin; Die Höhlenfauna des fränkischen Jura. Abhdl. d. Naturhist. Gesellsch., Rd. XVI, Heft I, Nürnberg 1906. Die vorliegende Untersuchung, die Dr. E. Enslin auf .Anregung von Prof. Lampert und unter Mit- wirkung namhafter Spezialisten ausführte, ist ein erfreulicher Beitrag zur Kenntnis der deutschen Höhlenfauna. Denn während bisher aus den Höhlen des fränkischen Jura nur ganz wenige Tiere be- kannt waren, so kann der Verf. den Nachweis er- bringen, daß diese Höhlen hinsichtlich ihrer Fauna im Vergleich mit anderen deutschen Höhlen durchaus nicht schlechter dastehen. Vermutlich sind noch viele Höhlen z. Z. sehr wenig von Biologen durchforscht, und wer in der Lage ist, ähnliche Untersuchungen anzustellen, der sei daher ganz besonders auf die vorliegende Arbeit aufmerksam gemacht. Sie enthält auch einige Be- merkungen über die Ausrüstung des Sammlers und über die Konservierung der Tiere. Viele .Ausführungen des Verf sind indessen noch von weit allgemeinerem Interesse. Der Begriff ,, Höhlenfauna" ist nach Verf. bisher unrichtigerweise als etwas ganz Spezifisches auf- gefaßt worden. Da in Wirklichkeit die Höhlen in bezug auf die Existenzbedingungen für Tiere keine Sonderstellung einnehmen, sondern mit Berg- werken, Brunnenschächten, Kellerräumen, unter- irdischen Bachläufen sowie endlich mit der Tiefe der größeren Seen in eine Reihe zu stellen sind — denn in alle diese Örtlichkeiten dringt das Tageslicht nicht ein — so sollte man die Höhlen- tiere nur als Glieder der Dunkelfauna betrachten. Was die Einteilung der Höhlentiere nach bio- logischen Gesichtspunkten betrifft, so verwirft Verf die von Früheren vorgeschlagenen als zu gekünstelt (z. B. die von Schiner gegebene und von Hamann in seiner bekannten ,, Europäischen Höhlenfauna" mit geringer Modifikation angenomme) und unter- scheidet nur zwei Gruppen: i. solche, die im Innern der Höhle ständig vorkommen und sich dort fortpflanzen , deren ganzer Lebenslauf sich also dort abspielt (echte Troglobien [Höhlen- tiere]); 2. solche, die zwar häufig in Höhlen oder an deren Eingängen gefunden werden, sich jedoch dort nur zeitweise aufhalten (Höhl en fluch t er). Tiere die nur zufällig in die Höhlen gelangten, gehören dagegen überhaupt nicht zur Höhlen- fauna. Die .Anpassungen an das Höhlenleben — Blei- chung des Pigments, Reduktion der Augen und .Ausbildung anderer Sinnesorgane anstelle der Augen — sind bei den Vertretern der verschie- denen systematischen Tiergruppen in sehr ver- schiedenem Grade entwickelt; dies liegt wohl zum Teil an der Zeitdauer, während welcher sich die Tiere schon im Dunkeln aufgehalten haben, zum Teil aber auch sicher an der sehr verschieden starken Neigung zu Variationen. So kommt z. B. den Planarien und den Gatnmariden ein ziemlich starkes Umbildungsvermögen zu, während die Arachniden sich höchst konservativ verhalten. Aus solchen Gründen erklärt sich der ungleichmäßige Habitus der ganzen Höhlenfauna. Merkwürdig ist die Tatsache , daß nach den bisherigen, allerdings spärlichen Beobachtungen die Periodizität der Lebenserscheinungen, die bei ober- irdisch lebenden Tieren mit dem Wechsel der Jahreszeiten einhergeht, mit dem Übergang zum Höhlenleben keine Änderung erfahren hat. Der Olm des Karstes legt seine Eier nur im Mai, die Lartetien (oder Vitrellen , kleine blinde und pigmentlose Höhlenschnecken) begatten sich im Februar, die Spinnen legen im Herbst ihre Eier ab. Diese Abhängigkeit von den Jahreszeiten ,,ist nicht etwa auf einen mystischen Einfluß zu deuten, den Klima und Jahreszeit noch in dem Höhleninnern ausübt", sondern soll eine Nach- wirkung von den Zeiten des oberirdischen Lebens sein. (Hierzu kann man wohl bemerken, daß z. B. zwei möglichst gleich gearbeitete und gleichzeitig in Gang gesetzte Pendeluhren nicht lange im gleichen Schlag gehen werden, und daß sogar bei oberirdisch lebenden Wassertieren, z. B. den meisten Süßwasserschnecken, die Reifung der Geschlechts- produkte nicht an bestimmte Jahreszeiten gebun- den ist. Ref) Aus dem speziellen Teil der Arbeit ist nament- lich das Folgende besonders bemerkenswert. Wirbeltiere fehlen, von den höhlenflüchtenden Fledermäusen abgesehen, den fränkischen Höhlen gänzlich; es handelt sich hier ja auch durchgehends nur um Sicker wasserhöhlen, während der Olm des Karstes sowie die amerikanischen Höhlen- fische fließendes Wasser verlangen. Merkwürdiger ist das Fehlen der Käfer, das freilich auch in anderen deutschen Höhlen auffallt. Von den Coll- embolen wurden folgende Arten konstatiert: Ony- chiurus armatus und var. stalagmitorum, O. fime- tarius, O. tuberculatus, Achorutes armatus und var. inermis, Heteromorus nitidus, Tomocerus minor, Lepidocyrtus languinosus; ferner vier echte Höhlen- spinnen; einige noch unbestimmte Milben. Die anderwärts ziemlich häufige, blinde Höhlenwasser- assel Asellus cavaticus fehlt merkwürdigerweise. Der bekannte Flohkrebs der Höhlen, der blinde und pigmentlose Gammarus puteanus, scheint ziemlich selten zu sein. Die Copepoden stellen einige Vertreter (Cyclops strenuus und C. viridis), jedoch keine echten Höhlentiere. Von den Pla- narien wurde die seltene PI. vitta gefunden, von der der Verf eine eingehende histologische Be- schreibung gibt. Die äußerst primitiven Augen dieses Tieres sind schon von Hesse beschrieben worden und bestehen aus einer einzigen becher- förmig ausgehöhlten Pigmentzelle, in welche nur eine einzige, seltener zwei Sinneszellen eingelagert sind. Infolge des Fehlens brechender Körper sowie einer fein differenzierten Netzhaut kann dieses Auge nur eine ganz unbestimmte Lichtempfindung, 266 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 17 aber nicht eine Wahrnehmung von Formen ver- mitteln. — Geschlechtsreife Tiere von Planaria vitta wurden zu keiner Jahreszeit gefunden, es steht daher zu vermuten, daß die geschlechtliche Fortpflanzung höchstens ausnahmsweise eintritt, während sich in der Regel die Tiere durch Q u e r - teilung fortpflanzen dürften. Dieser Modus der Fortpflanzung findet sich mehrfach bei Planarien und ist auch bei PI. vitta in der Gefangenschaft beobachtet worden. Vermutlich sind die Lebens- bedingungen in der Höhle, ähnlich wie in der Ge- fangenschaft, nicht gerade die günstigsten, und dieser Umstand scheint die Fortpflanzung durch Querteilung hervorzurufen. — Verf. erbeutete auch einige Arten von Regenwürmern, ohne bestimmt zu entscheiden, ob es sich um echte Höhlentiere handelt. Bei so ausgesprochenen Lichtfeinden, wie es die Regenwürmer sind, läßt sich vielleicht eine Grenze zwischen Höhlentieren und Höhlen- flüchtern kaum ziehen. Dagegen wurde die Schnecke Hyaiina cellaria in einer neuen, echten Höhlen- varietät gefunden, die sich durch außerordentliche Pigmentarmut des Tieres auszeichnet. Nach der Lage ihres Fundortes und nach dem Vorkommen stark übersinterter Exemplare zu urteilen, muß sie wohl auch schon seit Jahrhunderten ein Höhlen- leben führen. Dr. V. Franz (Helgoland). Ein neugebildeter grofser See. — Das Jahr 1906 war ein Jahr der Katastrophen. Die ver- heerenden Erdbeben von S. Francisco und von Valparaiso erregten in aller Welt ungeheures Auf- sehen und allgemeine Teilnahme, dagegen ist ein anderes Ereignis fast ganz unbekannt geblieben, das aller Wahrscheinlichkeit noch viel größere und nach- haltigere Folgen nach sich ziehen wird, als die beiden erwähnten Erdrevolutionen. Es handelt sich um die Bildung eines neuen Sees in Süd- kalifornien, der bereits mehr als doppelt so groß ist als der Bodensee. In der Nähe der Grenze zwischen der Union und Mexiko mündete bis vor kurzem in den Golf von Kalifornien der Kolorado, ein Strom, der an Länge und Größe des Ent- wässerungsgebietes mit der Donau wetteifert. Einst hat der Meerbusen noch etwa 250 km weiter nach Norden gereicht, aber der seitwärts einmündende Strom schüttete mit seinen Sand- und Schlamm- massen einen breiten Damm quer durch die eingeengte Wasserfläche, und da der im Nor- den abgetrennte Meeresteil keinen Zufluß mehr besaß, so trocknete er bei dem Wüstenklima des südlichen Kalifornien bald völlig aus, und der alte Meeresboden bildete eine bis 91 m unter den Meerespiegel abfallende Senke. Diese blieb in ihrem größten Teile von den Menschen unbeachtet, nur baute man die südliche Pazifikeisenbahn durch sie hindurch, die S. Francisco mit dem großen Baum- wollhafen New Orleans an der Mündung des Mis- sissippi verbindet. Im Süden aber, wo die An- schwemmungen des Kolorado einen fruchtbaren Ackerboden bildeten, ähnlich dem des Nildeltas, entstanden eine ganze Reihe blühender Ackerbau- kolonien, liegen doch diese Landschaften fast eben- soweit südlich als die fruchtbaren Landschaften Unterägyptens, so daß Wärme, Feuchtigkeit und guter Boden in gleicher Weise den Anbau des Landes begünstigten. Um nun immer genügend Wasser zur Berieselung der Felder zur Verfügung zu haben und den Anbau noch weiter ausdehnen zu können, kamen die amerikanischen Ingenieure auf den Gedanken , einen Kanal vom Kolorado abzuzweigen. Mit Einwilligung der mexikanischen Regierung, auf deren Gebiet sich der Kanal vom Kolorado trennen mußte, wurde dieser Plan 1901 auch ausgeführt, und ein Kanal durch die Wasser- scheide zwischen der Senke und dem Golfe hindurch- geführt. Das Koloradowasser leistete den Kolo- nisten gute Dienste ; den Überschuß ließ man ein- fach sich nach Norden in der Senke verlieren, ohne sich viel darum zu kümmern. Man nahm wohl an, daß das Wasser in dem heißen Lande rasch verdunsten würde. Doch bald zeigte sich, daß der Mensch selten ungestraft in den Macht- bereich der Natur eingreifen darf Der Kanal be- gann mehr und mehr anzuschwellen. Das Wasser weichte den Schlammboden immer mehr auf, das Bett des Kanals vertiefte und verbreiterte sich, und am Grunde der Senke fing ein See sich an zu bilden, der bald eine Verlegung der Eisenbahn- linie nötig machte. Bedrohlich gestalteten sich die Verhältnisse aber erst im Jahre 1906. Bis dahin hatten die Kolonien sich rasch weiter entwickelt und eine Reihe von Eisenbahnlinien zeugten von den Fortschritten in der Kultur des Landes. Jetzt ergoß sich aber der ganze Kolorado in den Kanal, sein altes Belt lag bis zu seiner Mündung auf eine Strecke von gegen 100 km trocken. Nun nahm der See , den man Saltonsee nannte nach einer Ansiedlung in seiner Nähe, reißend zu, flössen doch jeden Tag in ihn etwa 40 Millionen Kubik- meter Wasser. Infolgedessen stieg der Seespiegel vom Januar bis zum Oktober 1906 um 12 m an, und seine Oberfläche wuchs von 600 auf I200qkm, so daß der See jetzt schon die Größe des Toten Meeres besaß, an das wir durch seine Entstehung erinnert werden. An einem Tage stieg das Wasser zuweilen um 6 cm, und ein Ende dieses Anschwellens war nicht abzusehen. Schon wurde die neuge- baute Eisenbahnlinie bedroht, ebenso wie die an ihr gelegenen Ansiedlungen, infolgedessen machte man ungeheure Anstrengungen, dem Fortschreiten des Wassers Einhalt zu tun. Durch große Stau- anlagen suchte man den Kanal zu schließen und den Fluß in sein altes Bett zurückzudrängen, immer wieder fand das Wasser seinen Weg um die Bauten der Ingenieure. Endlich schien im Anfang des November ein Erfolg erzielt zu sein, der Kanal war geschlossen, und man konnte hoffen, daß der Saltonsee, nun ohne Zufluß, durch die Verdunstung bald merklich zurückgehen und nicht mehr die Bahnlinie bedrohen werde, die schon in größter Gefahr sich befunden hatte. Doch schon in der Mitte des Dezember brach der Kolorado bei Hoch- N. F. VI. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 267 Wasser von neuem durch die Schutzbauten, wieder stieg der See und es ist noch nicht gelungen, den Wassermassen Einhalt zu tun. Bei dem lockeren, angeschwemmten Boden des in Frage kommenden Gebietes scheint es leider auch wenig wahrschein- lich, daß selbst mit den gewaltigsten Opfern es gelingen wird, der entfesselten Natur Einhalt zu tun, und nach dem Berichte eines Augenzeugen der Katastrophe, Prof. Dr. II. Erdmann in Berlin,') müssen wir damit rechnen, daß die ganze Senke, die 150 km lang und bis über 50 km breit ist, dem See zum Opfer fällt, daß alle hier empor- geblühten Ansiedlungen, in denen Tausende von Kolonisten sich niedergelassen haben, von seinen Fluten zwar langsam aber doch sicher verschlungen werden, und daß der Saltonsee bis zu einer Größe von gegen 4000 qkm anwächst, wodurch er in die Reihe der großen Seen sich einreihen würde, wenn er nicht gar wieder ein Teil des Meerbusens wird. Wir können gespannt sein, ob der Kampf der Ingenieure von Erfolg sein wird. Noch liegt ja der Seespiegel 60 m unter dem Meere, und ehe er zu dessen Niveau sich erhebt, werden nach seinem bisherigen Ansteigen wohl gegen 5 bis 6 Jahre erforderlich sein. Zeit ist also zur Genüge vorhanden. Gelingt der Kampf nicht, so wird der Koloradofluß, jetzt schon berühmt durch sein ge- waltiges, bis zu 2000 m tiefes schluchtartiges Kafion, um eine zweite Merkwürdigkeit reicher sein, kommt ihm dann doch der Ruhm zu, in geschicht- licher Zeit die größte geographische Veränderung auf der Erdoberfläche in kurzer Zeit hervorgerufen zu haben, unendlich viel größer, als die uns so gewaltig erscheinenden Revolutionen bei Erdbeben und vulkanischen Ausbrüchen sie hervorbringen. Wieder einmal wird hier wie so oft das Große in der Stille geschafft, von der Natur durch die ruhige Gewalt des Stromes, vom Menschen durch die riesenhaften Anstrengungen, der entfesselten Gewalten Herr zu werden. Dr. Th. Arldt, Radeberg. *) Die Katastrophe von Mansfeld und das Problem des Koloradoflusses. Petermann's Mitteilungen 1907, S. 42 — 46, mit Karte. Himmelserscheinungen im Mai 1907. Stellung der Planeten: Merkur bleibt unsichtbar. Venus und Mars sind morgens, erslere jedoch nur für sehr kurze Zeit, letzterer im Schützen etwa 2 Stunden lang sichtbar. Jupiter ist am Ende des Monats abends nur noch eine Stunde lang in den Zwillingen zu beobachten. Saturn be- ginnt am Ende des Monats morgens in den Fischen sichtbar zu werden. Verfinsterungen der Jupitermonde: Am 2. um 10 Uhr 4 Min. o Sek. M.E.Z. ab. .Austr. d. I.Trab. „ 12. „ 10 „ 38 „ 51 „ „ „ „ „ II. „ „ 25. „ 10 „ iS „ 34 „ „ „ ,, „ I. ,, „ 27. „ 9 „ 6 „ 24 „ „ „ „ „ III. „ Algol -Minima lassen sich im Mai wegen der Sonnen- nähe des Algol nicht beobachten. i) Nr. 6/7: A. Goethe, Univ.-Prot". in Stiaßburg. Tierkunde. Mit 65 Abb. 2. durchgeseh. Aufl. Mk. G. J. Göschen'sche Ver- Preis pro Bändchen Koppen, Meteorologe Bücherbesprechungen. A) Naturwissenschaftliche Elementarbücher. Ver- lag von Karl J. Trübner in Straßburg. 1904. — Preis geb. 1,60 B) Sammlung Göschen. lagshandlung in Leipzig, geb. 80 Pf. 2) Nr. 114: Prof. Dr. W. der Seevvarte , Klimakunde. I. Allgemeine K 1 i m a 1 e h r e. Zweite, verbesserte Auflage. Mit 7 Tafeln und 2 Figuren. — 1906. 3) Nr. 127: Dr. VV. M i g u 1 a , Prof. a. d. Forstakad. in Eisenach, Pflanzenbiologie. Mit 150 Abb. 2., verb. Aufl. — 1906. 4) Nr. 141: Derselbe, Morphologie, Anatomie und Physiologie der Pflanzen. Mit 50 Abb. 2., verb. Aufl. — 1906. 5) Nr. 264/265: Dr. Hugo Bauer, Assistent am ehem. Laboratorium der kgl. Technischen Hoch- schule Stuttgart, Geschichte der Chemie. I. Teil: Von den ältesten Zeiten bis zur Verbrennungstheorie vonLavoisier. — 1905. IL Teil: Von Lavoisier bis zur Ge- genwart. — 1906. 6) Nr. 282: Oberstudienrat Prof. Dr. Kurt Lam- pe r t , Vorstand des Königlichen Naturalienkabinetts in Stuttgart, Das Tierreich. I. Säugetiere. Mit 17 Abbildungen von Alb. Kuli. — 1906. 7) Nr. 293/294: A. Kistner, Prof. an der Groß- herzoglichen Realschule zu Sinsheim a. E. , Ge- schichte der Physik. Band i: Die Physik bis Newton. Mit 13 Figuren. Band 2: Die Physik von Newton bis zur Gegenwart. Mit 4 Fig. — 1906. 8) Nr. 301: Dr. Wilhelm Bahrdt, Oberlehrer an der Oberrealschule in Groß-Lichterfelde , Physi- sikalische Messungsmethoden. Mit 49 Fig. — 1906. 9) Nr. 302: Wilh. Weitbrecht, Ausgleichungs- rechnung nach der Methode der klein- sten Quadrate. Mit 15 Fig. und 2 Taf. 10) Nr. 304: Dr. Paul Krische, Göttingen, Das agrikulturchemische Kontroll wesen. — 1906. C) Weber's Illustrierte Katechismen resp. Hand- bücher. Verlag von J. J. Weber in Leipzig. 11) Nr. i2o: Dr. Siegfried Garten, Leitfaden der Mikroskopie. Zweite, vollständig neube- arbeitete Auflage. Mit 152 Abbildungen und einer farbigen Tafel. 1904. — Preis geb. 4 Mk. 12) Nr. 42: Dr. Hippolyt Haas, Univ.-Prof.. Leitfaden der Geologie. Achte, gänzlich umgearbeitete und vermehrte Auflage. Mit 244 Abbildungen und einer Tafel. 1 906. — Preis geb. 4 Mk. D) Aus Natur und Geisteswelt. Sammlung wissen- schaftl.-gemeinverständlicher Darstellungen aus allen Gebieten des Wissens. Verlag von B. G. Teubner in Leipzig. — Preis pro Bändchen geb. 1,25 Mk, 13) Nr. 21: Prof. Dr. R. Vater in Berlin, Ein- führung in die Theorie und den Bau der neueren Wärmekraftmaschinen. Mit 34 Abbildungen. 2. Aufl. 1906. 268 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 17 14) Nr. 32: Privatdozent Dr. H. Sachs, Bau und Tätigkeit des menschlichen Körpers. Mit 37 Abbildungen. 2. verb. Aufl. — 1907. 15) Nr. 40: Prof. Dr. Felix Auerbach, Die Grundbegriffe der modernen Natur- lehre. 2. Aufl. Mit 79 Fig. im Text. — 1906. 16) Nr. 94: Dr. Friedrich Knauer, Die Amei- sen. Mit 61 Fig. — 1906. 17) Nr. 98: Dr. Adolf Heilborn, Die deut- schen Kolonien (Land und Leute). Mit zahlreichen Abbildungen. — 1906. 18) Nr. 100: Univ.-Prof. Dr. Friedrich Paulsen, Das deutsche Bildungswesen in seiner geschichtlichen Entwicklung. — 1906. 1 9) Nr. 107: Dr. Ernst Voges, Der Obstbau. Mit 13 Abb. — 1906. 20) Nr. 108: Dr. phil. Wilhelm Brüsch, Die Beleuchtungs arten der Gegenwart. Mit 155 Abb. — 1906. 21) Nr. iio: Prof Dr. S. Oppenheim, Das astronomische Weltbild im Wandel der Zeit. Mit 24 Abb. im Text. — 1906. 22) Nr. 130: Privatdozent Dr. H. Miehe, Die Erscheinungen des Lebens. Grundprobleme der modernen Biologie. Mit 40 Fig. — 1907- 23) Nr. 133: Joseph Petzoldt, Das Welt- problem vom positivistischen Stand- punkte aus. — 1906. 2 4) Nr. 141: Dr. August Pfannkuche, Reli- gion und Naturwissenschaft im Kampf und Frieden. — 1906. E) Bibliotheque scientifique internationale. Paris, Felix Alcan. 25) Nr. 107: Dr. L. Laloy, Parasitisme et mutualisme dans la nature. Preface de Giard, prof ä la Sorbonne. Avec 82 flg. — 1906. F) Die Wissenschaft. Sammlung naturwissen- schaftlicher und mathematischer Mono- graphien. Braunschweig, Friedrich Vieweg & Sohn. 26) Nr. 15: Dr. Walt her von Knebel, Höhlen- kunde mit Berücksichtigung der Karstphänomene. Mit 42 Abb. u. 4 Taf. 1906. — Preis 5,50 Mk. 27) Nr. 16: Dr. F. E. Geinitz, o. Prof in Rostock, Die Eiszeit. Mit 25 Abb., 3 färb. Taf und I Tabelle. iqo6. — Preis 7 Mk. G) Die Natur. Eine Sammlung naturwissenschaft- licher Monographien, herausg. von Dr. W. Schöni- chen. Verlag von A. W. Zickfeld in Osterwieck a. Harz. 28) Nr. I ; Dr. W. S c h o e n i c h e n , Aus der Wiege des Lebens. Eine Einleitung in die Biologie der niederen Meerestiere. Mit 8 farbigen und I schwarzen Tafel , sowie zahlreichen Text- abbildungen. 1907. — Preis geb. 2 Mk. H) Einzeldarstellungen aus den Naturwissen- schaften , herausgegeben von Hermann Hilger. Berlin und Leipzig, Hermann Hillger. — Preis pro Bändchen 1,50 Mk. 29) Heft III: Oskar Metze, Bau und Leben •der Blüte. Eine Einführung in die Blütenbiolo- gie. Mit 90 Abb. • — 1906. 30) Heft IV: Prof Dr. Wilhelm Foerster, Von der Erdatmosphäre zum Himmelsraum. Mit 22 Abb. — 1906. Die Herausgabe ganzer Bibliotheken unter beson- deren Titeln bietet für Verlagshandlungen begreif- liche Vorteile , so daß es eine ganze Reihe solcher Bibliotheken gibt. Die hier vorgeführten sind mit Ausnahme der erst gegründeten beiden letzterwähnten alte gute Bekannte. A I ist eine gute Einleitung in die Zoologie für jeden Anfänger. B 2. Die vorliegende 2. Auflage von Köppen's allgemeiner Klimalehre unterscheidet sich von der I. außer durch kleine Verbesserungen durch die Ein- fügung von zwei ganz neuen Paragraphen : t^ 3 liefert Angaben über die höchsten und niedrigsten vorkom- menden Werte der klimatischen Elemente, über deren Veränderlichkeit und die Häufigkeit, mit welcher die einzelnen Werte auftreten. ,^ 2 1 behandelt den jähr- lichen und täglichen Gang der Hydrometeore. In dem Abschnitt „Klimatische Typen" ist eine Ausein- andersetzung über den Einfluß des Waldes nach den neuesten Untersuchungen eingeschaltet worden und dabei auch der Versuch gemacht, die möglichen und die aussichtslosen Einwirkungen des Menschen auf die Witterungserscheinungen in wenigen Worten zu scheiden (Seite 107 — 108). B3 u. B 4 wollen kurz in AUgemein -Botanisches einführen. B 5. Bauer versucht, die geschichtliche Entwick- lung der chemischen Wissenschaft zusammenzufassen. Verf bietet eine Auswahl , wobei vor allem das Be- streben, einen harmonischen Aufbau der grundlegen- den Ansichten in den verschiedenen chemischen Zeit- altern zu geben, vorherrschend war. Demgemäß mußten einzelne Arbeiten, die infolge ihrer Bedeutung für die Geschichte spezieller Zweige der Chemie wohl verdienten erwähnt zu werden , gegenüber solchen, welche für die allgemeinen chemischen Ansichten maßgebend waren, in den Hintergrund treten. Auch die Entwicklung der Chemie in den letzten 20 Jahren konnte nur in Form einer kursorischen Übersicht be- handelt werden. B 6. Lampert ist nicht nur auf die für die syste matische Einteilung der Säugetiere wichtigen Kenn zeichen eingegangen , sondern auch auf die Lebens weise und die geographische Verbreitung der Tiere, In der systematischen Anordnung folgte der Verfasser im ganzen dem im Literaturverzeichnis angeführten Katalog von Trouessart. B J. Kistner's Gesichtspunkte bei der Ausarbei- tung waren : Die Entwicklung der physikalischen Wissenschaft von den ältesten Zeiten bis in die Gegen- wart wird unter steter Berücksichtigung aller Grenz- gebiete behandelt. Das Werden der vorwiegend mathematischen Physik liegt außerhalb des gegebenen Rahmens und wird nur gelegentlich in den Haupt- sachen kurz gestreift. Es sollen eben nur Kenntnisse vorausgesetzt sein, die das Maß der durch unsere höheren realistischen Unterrichtsanstalten vermittelten nicht wesentlich überschreiten. Es wurde darauf ge- sehen, eine vollkommen zuverlässige, klare, möglichst N. F. VI. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 269 anschauliche Darstellung zu geben , weshalb an ge- eigneten Stellen Stücke aus Originalabhandlungen, Briefen usw. eingeschaltet sind. Bei den Forschern wird , soweit überhaupt bekannt , das Geburts- und Todesjahr nach den besten Quellen angegeben. Für die Zahlen bei neugefundenen Tatsachen war meistens das Jahr der Veröffentlichung, Patenterteilung usw. maßgebend. Soweit es möglich war, das Jahr einer Erfindung, Entdeckung oder Neukonstruktion irgend- wie zu ermitteln, wurde natürlich dieses angeführt. B 8. Das Büchelchen von B a h r d t wird vielen aus Theorie und Praxis nutzen. B 9. Die Ausgleichungsrechnung nach der Me- thode der kleinsten Quadrate wird in immer steigen- dem Maße von allen denjenigen Berufen angewandt, deren Aufgabe es ist, Beobachtungen, die naturgemäß mit kleinen Ungenauigkeiten und Widersprüchen be- haftet sind, zu einheitlichen Resultaten zu vereinigen. Bio. Krische verfolgte den Zweck, in übersicht- licher F'orm den angehenden Chemikern oder über- haupt Naturwissenschaftlern einen Einblick in die Bedeutung und den derzeitigen Zustand des agrikultur- chemischen Versuchswesens zu geben, soweit sich die- ses mit der Untersuchung der seitens der Landwirt- schaft Verwendung findenden Düngemittel, Futtermittel und Saatwaren befaßt. Auch die Untersuchung des landwirtschaftlichen Kulturbodens wurde berücksichtigt. Cii. Durch Berechnungen von Seiten der Phy- siker wurde es möglich, die Linsensysteme des Mikro- skops genau nach mathematischen Vorschriften her- zustellen. Die neuen Linsen liefern Bilder von einer Klarheit und Zuverlässigkeit, wie man sie bisher nicht erhalten hatte. Durch die Untersuchungen Abbes w'urde die Theorie der mikroskopischen Bilderzeugung wesentlich geklärt, und deren Umsetzung in die Praxis ermöglichte es, die Fähigkeiten des Mikroskops in viel rationellerer Weise auszunutzen. Auch die Anwendung des polarisierten Lichts bei mikroskopi- schen Untersuchungen hat in neuester Zeit wesentlich zugenommen. Es ist in vorliegendem Leitfaden nun versucht worden, in elementarer Darstellung unter Benutzung vom Verfasser meist selbst gezeichneter, einfacher, geometrischer Abbildungen und unter Be- rücksichtigung aller Neuerungen die für die mikro- skopische Bilderzeugung wichtigen Verhältnisse vor Augen zu führen. C 12. Die bekannten ,,Illustr. Katechismen" des Verlages J. J. Weber hat dieser jetzt in „Handbücher" umbenannt; so figuriert der Haas'sche „Leitfaden" jetzt unter den „Handbüchern" : ein Widerspruch ! Ein Handbuch ist kein Leitfaden und umgekehrt, wie denn überhaupt die Katechismen, unter denen eine ganze Anzahl guter Arbeiten vorhanden sind, alle nur Leitfäden sind. Von einem Handbuch verlangt man Auskunft über Einzelheiten ; es dient als Nachschlage- buch und muß daher seine Disziplin sehr eingehend behandeln. Das Buch von Haas ist nun kein solches Handbuch, sondern eben — wie der Autor ganz richtig sagt — ein Leitfaden, den wir durchaus emp- fehlen. (Fig. 106 ist Neuropteris, nicht Alethopteris, Fig. 107 Pecopteris, nicht Neuropteris, F'ig. 108 steht auf dem Kopf, die Sigillaria-Rekonstruktion Fig. 1 1 1 ist ganz veraltet und falsch. Doch glaube man durch diese Monita nicht etwa, daß Haas sich hier beson- dere Flüchtigkeiten hätte zuschulden kommen lassen : die Paläobotanik kommt ganz allgemein, atich in den berühmtesten geologischen Lehrbüchern, noch immer schlecht weg). D I Vater stellt nach einer einleitenden Dar- legung der physikalischen Grundlagen der Wärme- kraftmaschinen ältere und neuere einander gegenüber. Darnach wird zunächst die Gasmaschine behandelt. Zur Darstellung gelangen ihre geschichtliche Entwick- lung, ihre Betriebsmittel (Leuchtgas, Kraftgas, Hoch- ofengas), die Wirkungsweisen (Viertakt und Zweitakt), sowie schließlich das Wesentliche ihrer Bauart. In derselben Weise werden dann die Petroleum- und Benzinmaschinen besprochen, und zum Schlüsse wird auf die neueste Wärmekraftmaschine, auf die Maschine von Diesel, etwas näher eingegangen. D 14. Sachs erläutert die Einrichtung und die Tätigkeit der einzelnen Organe des Körpers, und zeigt dabei vor allem, wie diese einzelnen Organe in ihrer Tätigkeit aufeinander einwirken, miteinander zusammenhängen und so den menschlichen Körper zu einem einheitlichen Ganzen machen. Klare Ab- bildungen unterstützen den Text wesentlich. D15. Auerbach bietet eine zusammenhängende, leicht verständliche Darstellung der in der modernen Naturlehre eine allgemeine Rolle spielenden Begriffe Raum, Zeit, Bewegung, Kraft, Masse, Materie, Arbeit, Energie und Entropie, wie diese gegenwärtig üblich sind. D 16. Knauer faßt die Ergebnisse der Forschun- gen über das Tun und Treiben einheimischer und exotischer Ameisen, über die Vielgestaltigkeit der Formen im Ameisenstaate, über die Bautätigkeit, Brut- pflege und ganze Ökonomie der Ameisen, über ihr Zusammenleben mit anderen Tieren und mit Pflanzen, über die Sinnestätigkeit der Ameisen und über andere interessante Details aus dem Ameisenleben zusammen. D 17. Heilborn's ,, Vorlesungen" sind recht ge- eignet, Interessenten über unsere Kolonien aufzuklären. ■ Eine angehängte Karte bietet alle Kolonien in geo- graphischer Darstellung. D 18. Paulsen ist eine Autorität ersten Ranges auf dem Gebiet des deutschen Bildungswesens. Von ihm eine kurze Darstellung wie die vorliegende über den Gegenstand zu besitzen , ist sehr erfreulich , da sie gestattet den wichtigen Gegenstand in weitere Kreise zu tragen. Wir als Naturforscher müssen be- tonen, daß Paulsen, der selbst nicht Naturforscher ist, doch den Forderungen des ,, naturwissenschaftlichen" Zeitalters mit Verständnis gegenübersteht. Das Buch wird ohne Ausnahme Jeder, der eine deutsche Schule besucht hat und der Sinn für die Erziehung und den Fortschritt auf geistigem Gebiet hat, mit großem Interesse lesen. Die Disposition und der Inhalt des Buches ergeben sich aus der folgenden Inhaltsüber- sicht. I. Das Bildungswesen des Mittelalters, i. All- gemeine Charakteristik. 2. Die erste Hälfte des Mittelalters. Kloster-, Dom- u. Stiftsschulen (600 — 1200). 3. Die zweite Hälfte des Mittelalters. Uni- versitäten und Stadtschulen (1200 — 1500). IL Das Zeitalter der Renaissance u. der Reformation. 1500 — . 270 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. \^ 1650. 1. Die allgemeinen Tendenzen des neuen Zeitalters. 2. Der Gang der geschichtlichen Entwick- lung und die führenden Männer der Renaissance und Reformation. 3. Die Verfassung des Bildungswesens um 1600. III. Das Zeitalter der höfisch-modernen Bildung unter vorherrschendem französischen Einfluß. 1650 — 1800. I. Die herrschenden Zeiltendenzen und das neue Bildungsideal. 2. Das Durchdringen der modernen Tendenzen im Bildungswesen. 3. Die neue Ideenwelt am Ausgang des 18. Jahrhundeits. IV. Das 19. Jahrhundert, i. Allgemeine Zeitverhältnisse und herrschende Tendenzen. 2. Die Entwicklung des Bildungswesens im 19. Jahrhundert. 3. Rückblick und Ausblick. — Literaturangaben. D 1 9 will über die wissenschaftlichen und tech- nischen Grundlagen des Obstbaues, sowie seine Natur- geschichte und . große volkswirtschaftliche Bedeutung unterrichten. D 20 gibt einen Überblick über ein gewaltiges technisches .-Arbeitsfeld , indem die Bedingungen für die Herstellung einer wirtschaftlichen Lichti[uelle und die Methoden für die Beurteilung ihres wirklichen Wertes für den Verbraucher, die einzelnen Beleuch- tungsarten sowohl hinsichtlich ihier physikalischen und chemischen Grundlagen, als auch ihrer Technik und Herstellung behandelt werden. D 2 1 schildert den Kampf der beiden hauptsäch- lichsten „Weltbilder", des die Erde und des die Sonne als Mittelpunkt betrachtenden, der einen bedeutungs- vollen Abschnitt in der Kulturgeschichte der Mensch- heit bildet, wie er schon im Altertum bei den Griechen entstanden ist, anderthalb Jahrtausende später zu Be- ginn der Neuzeit durch Kopernikus von neuem auf- genommen wurde und da erst mit einem Siege des heliozentrischen Systems schloß. D 22 versucht das Wesen des organischen Lebens nahezurücken, indem nach einer Erörterung der spe- kulativen Vorstellungen über das Leben und einer Beschreibung des Protoplasmas und der Zelle die hauptsächlichsten .Äußerungen des Lebens behandelt werden, als Entwicklung, Ernährung, .Atmung, das Sinnesleben, die Fortpflanzung, der Tod, die Varia- bilität und im Anschluß daran die Theorien über Entstehung und Entwicklung der Lebewelt, sowie die mannigfachen Beziehungen der Lebewesen unterein- ander. P. D 23. Petzoldt entwirft ein Weltbild, wie es sich von jenem Standpunkt aus darstellt, für den man das unschöne Wort Empiriokritizismus gefunden hat, der jedoch besser als P o s i t i v i s m u s oder auch Relati- vismus bezeichnet wird. Seine Hauptvertreter sind unter den Philosophen Rieh. Avenarius und W. Schuppe, unter den Naturforschern E. Mach. — Petzoldt, der sich bereits in größeren Werken als selbständiger Fortsetzer und Ausbilder jener Lehre erwiesen hat, sucht hier in ganz gemeinverständlicher Form eine Einführung in jene Denkweise zu geben. Und zwar nimmt er zu diesem Zwecke die Geschichte der Philosophie vor, betrachtet sie vom Standpunkte des Psychologen und weist nach, daß in fast allen Systemen derselbe logische Fehler sich findet, näm- lich die „Einlegung", d. h. die Annahme eines Ab- soluten. Wie dieser Fehler vermieden werden kann, das zeigt der positive Teil des Buches, den man viel- leicht ein wenig ausführlicher wünschen würde. In der Hauptsache tritt jedoch klar und scharf die Ab- sicht des Verfassers heraus, alle jene Fragen nach dem „Absoluten", der ,, Substanz", dem „Ding an sich" als falschgestellte zurückzuweisen und jeder Meta- physik den Todesstoß zu versetzen. Das Büchlein ist frisch und anregend geschrieben und besonders wertvoll gerade für den Naturforscher, der über sein Einzelgebiet hinausstrebend einen Standpunkt den all- gemeinen Problemen gegenüber zu gewinnen strebt, eine philosophische Gesamtanschauung, die nicht im Widerspruch steht mit den fortgeschrittenen Erkennt- nissen der Einzelforschung. Müller. D 24 bemüht sich, eine rein geschichtliche Dar- stellung der Beziehungen zwischen Religion und Natur- wissenschaft zu geben. E 2S. Laloy behandelt zunächst den Parasitismus, wobei er auch auf die Immunität eingeht. Der Mu- tualismus, das Zusammenleben verschiedener Organis- men wird in dem 2. Teil behandelt, wie auch die dies- bezügliclien Verhältnisse bei den Ameisen. Der Te.xt ist gut zusammengestellt, das Buch also recht brauchbar. F 26. In seiner Höhlenkunde bietet von Knebel tatsächlich eine kleine „Monographie" oder doch die Grundlagen zu einer solchen, indem er seinen Gegen- stand nicht nur geologisch -geographisch behandelt, sondern auch kurz auf die biontologischen Verhält- nisse der Höhlen eingeht. Verf hat es erreicht, eine vollständige Übersicht über seinen Gegenstand zu liefern, die gerade durch ihre Kürze den Vorzug hat, nun intensiver auf die Probleme hinzuweisen, weil da- durch ein leichteres und schnelleres Eindringen mög- lich ist und sich auch mehr Publikum für ein Stu- dium finden wird. Zum Schluß sei erwähnt, daß es sich in der Arbeit nicht etwa um eine Kompilation handelt, sondern um eigenes Studium des Gegenstandes und, man könnte sagen, zum Teil wissenschaftliche Grundlegung für eine zukünftige Behandlung der Höhlenforschung. F27. In dem Buch von Geinitz haben wir eine Darstellung der Erscheinungen , die die Eiszeit auf der ganzen Erde hinterlassen hat, also zum ersten Male eine einigermaßen eingehende, allgemeine Be- handlung des Gesamtgegenstandes. Verf behandelt zunächst die Eiszeit im allgemeinen, ihre Ursache, die diese Zeit auszeichnende Flora und Fauna, die Art der Ablagerungen etc.; sodann geht er auf das nordeuropäische Glazial • ein , auf dasjenige Groß- britanniens, auf das „Glazialphänomen der Alpen", auf ,,das Gebiet zwischen alpiner und nordi-scher Ver- gletscherung", auf die „Eiszeitgletscher im übrigen Europa", auf die Polarländer und endlich auf die „Eiszeit auf den übrigen Kontinenten". Wenn dieser letzte Abschnitt auch nur wenige Seiten umfaßt, so ist doch dankenswert, daß die anderen Kontinente überhaupt mitberücksichtigt sind. P. G 28. Dr. Schoenichen will „zoologisch weniger Geschulten ein gewisses Verständnis für die mannig- N. F. VI. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 271 faltigen Tiergestalten des Meeres ermöglichen." Sicherlich werden viele, die über das reiche und mannigfaltige Tierleben des Meeres kurz und an- ziehend belehrt sein wollen, sein Buch mit Befriedi- gung durchlesen. Er schildert die Bewegungen und Sinnestätigkeiten der wirbellosen Meerestiere an gut ausgewählten Beispielen. Er versteht das Verständnis der Organe und ihrer Arbeiten durch zweckmäßige schematische Zeichnungen und durch Vergleiche ähn- licher Einrichtungen bei Tieren verschiedener syste- matischer Abteilungen zu erleichtern. Die Abhängig- keit der Tiere von ihrer Umgebung, das Verhältnis derselben zueinander werden gut dargestellt. Die farbigen Tafeln geben den Eindruck wieder, den die Tiere machen, wenn man sie im Wasser sieht.- Es sind malerische Bilder. Die schwarze Tafel 6 stellt die durchsichtigen Tiere zu undeutlich dar. Den Textbildern Nr. 6, 7, 9, 11, 12, 13, 15, 23, 39, 44, 65 und auch manchen Tieren der malerischen Farbentafeln fehlt die Genauigkeit der Umrisse. Nr. 25 ist nicht Cardium edule (aculeatum ?). Nr. 50 ist nicht Gigantactis vanhoeffeni , sondern Mela- stomias melanops. Der Druck ist klar und hübsch verziert, der Einband geschmackvoll. Der Verfasser und der Verleger haben gezeigt, daß sie Tüchtiges geben wollten und leisten können. Es ist daher zu erwarten, daß die folgenden Bände der „Sammlung naturwissenschafdicher Monographien" keine Mängel haben werden. K. Möbius. H 2g ist eine kurze Einführung in das von Chri- stian Conrad Sprengel der Wissenschaft eröffnete Ge- biet der Blüten-Biologie. Manche der in dem Heft gebotenen Abbildungen sind nicht besonders klar. H 30. Wilhelm Foerster, der frühere Direk- tor der Berliner Sternwarte, berichtet in leicht faß- licher Weise über die höchsten Wolkengebilde, über die Sternschnuppen und Meteore, über die Polarlichter und das Zodiakallicht, sowie über die Einwirkung der Sonnenstrahlungen und der stofl'lichen Erfüllung des Himmelsraumes auf die Übergangszustände der Atmo- sphäre in den Himraelsraum. Von den Polarlichtern werden einige der neuesten und eindrucksvollsten Abbildungen gegeben, welche der Verfasser einem der verdientesten Forscher auf diesem Gebiete, Prof Paulsen in Kopenhagen, verdankt. Was F'oerster schreibt, ist stets empfehlenswert. Literatur. France, R. II.: Der heutige .Stand der Darwin'schen Fragen. Eine Wertg. der neuen Tatsachen u. Anschaugn. 2 , völlig umgearb. u. vcrm. Aufl. v. : Die Weiterentwicklg. d. Dar- winismus. Mit zahlreichen Abbildgn. u. 4 Bildnissen. (VII, 168 S.) gr. 8". Leipzig '07, Th. Thomas. — 3,60 Mk., geb. 4,50 Mk. Handlirsch, Kust. Ant. : Die fossilen Insekten u. die Phylo- genie der rezenten Formen. Ein Handbuch f. Paläontologen u. Zoologen. 4. u. 5. Lfg. (S. 481—800 m. 18 Taf. und Erklärgn. S. XXI -XXXVI.) Lex. 8». Leipzig 'o6.'o7, \V. Engclmann. — 8 Mk, Mikrographie des Holzes der auf Java vorkommenden Baumarten, im Auftrage des Kolonial-Ministeriums. Unter Leitg. v, Prof. Dr. J. W. Moll bearb. v. H H. Janssonius. Im Anschluß an „Additamenla ad cognilionem florae aiboreae Javanicae, auctoribus H. C. Koorders et Th. Valeton" (Mededeelingen uit 's lands plantentuin) , Publikation des Departements f. Landwirtschaft in Buitenzorg. I. Bd. Allgemeiner Teil v. J, \V. Moll: F.inleitung. Die Anatomie des sekundären Holzes u. die bei der Beschreibg. benutzte Terminologie. Dicotyledones, Polypetalae, Thalamiflorae. (368 S. m. Fig.) gr. 8". Leiden '06, Euchh. u. Druckerei vorm. F.. J. Brill. — 6 Mk. Briefkasten. Herrn Lehrer S. in Loslau bei Bromberg. — Der Aus- druck „spezifische Energie der Nerven" kann leicht zu Mißverständnissen führen und ein solches Mißverständnis scheint Ihrer Frage zugrunde zu liegen. Sie denken sich die spezifi- sche Energie der Nerven offenbar so, daß die Nervenendigun- gen den Reiz als solchen unmittelbar weitergeben, daß der Reiz also von Teilchen zu Teilchen des Sinnesnerven zum Gehirn gelange. Die Portleitung speziell der Lichtreize stellen Sie sich offenbar so vor, daß die Nervenendigungen im Auge durch einen Lichtreiz in Mitschwingung geraten und daß die Nervenendigungen die Schwingung im Sehnerven von Teilchen zu Teilchen weitergeben. — Diese Annahme stößt schon beim Geruchs- und Geschmackssinn auf Widersprüche: Es kann nach unseren Erfahrungen als völlig ausgeschlossen gelten, daß Teilchen der Riech- und Schmeckstoffe mit einer so unge- heuren Geschwindigkeit, wie wir sie in der Nervenleitung tat- sächlich beobachten, zum Gehirn gelangen. — Es kann sich hier also nur um Auslösung einer gewissen Energieform durch eine andere handeln und diese Annahme liegt auch ganz außerordentlich nahe, da wir tagtäglich in unserer Umgebung derartige Umsetzungen einer Energieform in eine andere be- obachten können. So löst, um nur ein B^jispiel zu nennen, der Schlag des Hahnes am Gewehr die chemische Affinität der Teile der Zündmasse aus. Durch die Entzündung der Zündmasse wird die chemische Affinität der Bestandteile des Pulvers ausgelöst und die dadurch freiwerdende kinetische Energie schleudert die Kugel fort, dieselbe setzt sich also in molare Bewegung um. r)ie bei diesem Vorgang eintretende Erwärmung ist eine Nebenerscheinung, die man gerne ver- meiden würde, wenn es möglich wäre. — Welcher Art die potentielle Energie der Nerven, die bei der Fortleitung eines Reizes ausgelöst wird , ist , darüber wissen wir nichts Siche- res. Wir haben aber allen Grund anzunehmen, daß sie auf chemischer Affinität beruht. Die Annahme , daß es sich um eine elektrische Spannung handle, welche bei der Fortleitung eines beliebigen Reizes von Teilchen zu Teilchen ausgelöst wird, scheint in neuerer Zeit weniger Beifall zu finden. Man betrachtet die elektrischen Ströme, die man in den lebenden Ge- w-eben beobachten kann, jetzt gewöhnlich alsNebenerscheinungen, ebenso wie es beim Fortschleudern der Büchsenkugel die Wärme ist (vgl. auch J. Rosenthal, Lehrbuch der allgemei- nen Physiologie, Leipzig 1901, S. 4831. Man ist zu dieser Annahme vollkommen berechtigt, weil sich bei jeder che- mischen Umsetzung elektrische Ströme zeigen. Wie dem aber auch sein möge; auf jeden Fall haben wir bei der Einwirkung der überwiegenden Mehrzahl der Reize auf unsere Sinnes- organe eine Umsetzung einer Energieform in eine andere vor uns und wir können unmöglich annehmen, daß eine derartige Umsetzung für den Körper nachteilig wäre, wie Sie glauben. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die potentielle Energie, welche in den verschiedenen sensiblen Nerven durch einen auf das Endorgan ausgeübten Reiz ausgelöst wird, eine und dieselbe ist, und daß die spezifische Energie eines bestimmten Sinnes- nerven lediglich darauf zurückzuführen ist, daß der betreffende Nerv zu einem bestimmten Ganglion oder GanglienkompIe.\ des Gehirns führt. Ist diese Annahme richtig, so würde jeder Reiz, der die Endigung des Sehnerven trililt, uns nur deshalb als Lichlreiz erscheinen, weil er durch den Sehnerven zum Sehzentrum des Gehirns fortgeleitet wird. Dasselbe gilt für die Reize, welche die Endigung der Gehörnerven treffen. — 272 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 17 Bei den anderen Nerven kann von einer spezifischen Energie eigentlich nicht die Rede sein. Ein Tasireiz, der die Ge- schmacksnervenendigung trifft, erscheint uns immer nur als Tastreiz, niemals als Geschmack. Schon an anderer Stelle wurde darauf hingewiesen , daß wir auch sonst bei Annahme einer spezifischen Energie für die Ncrvenleilungen der niederen Sinne überall auf Si-hwierigkeiten stoßen (vgl. Nalurwissensch. Wochenschr. F. F. Bd. 4, S. 335). — Ich komme nun zu dem zweiten Teil Ihrer Frage, den Sie als feststehende Tatsache betrachten und von dem Sie als solcher ausgehen. — Unser Wissen über den Einfluß des Lichtes oder gar der verschie- denen Farben des Spektrums auf den Stoffwechsel des tieri- schen Organismus ist noch äußerst unsicher und voller Wider- sprüche, was teilweise jedenfalls darauf zurückzuführen ist, daß sich Tagtiere naturgemäß dem Lichte und den verschie- denen Farben gegenüber anders verhalten als Dämmerungs- tiere oder gar Nachltiere. Man glaubte früher, daß bei länger dauerndem Aufenthalt im Dunkeln die Gesundheit des Men- schen und der höheren, bei Tage auf Nahrung ausgehenden Tiere gefährdet sei. Man schloß das u. a. aus dem mangel- haften Gesundheitszusland bei Polarfahrtcn (vgl. M. Rubner, Lehrbuch der Hygiene, 1895, S. 123). Neuere Erfahrungen haben aber gezeigt, daß bei guter Ernährung auch im Dunkeln die Gesundheit keineswegs leidet. Nur bei heranwachsenden Individuen bewirkt schon dauernder Abschluß des Sonnen- lichts eine Verlangsamung der Blutbildung (vgl. E. Grawitz, Klinische Pathologie des Blutes, 2. Aufl., Berlin 1902, S. 171). Wie unsicher übrigens die Wissenschaft auf diesem Gebiete noch ist, mag Ihnen die Ausdrucksweise eines der besten Lehrbücher der Physiologie (L. Hermann, L. d. Ph., 13. Aufl., Berlin 1905, S. 654) zeigen: ,,Der Gaswechsel ist beim Aufenthalt im Lichte größer als im Dunkeln (Moleschott, Pf!üger& v. Platen u. a., bestritten von C. A. Ewald). . . . Der erwähnte Einfluß des Lichtes soll auch nach Ex- stirpation der .\ugen, also durch Wirkung auf die Haut, noch merklich sein und sogar im Gaswechsel ausgeschnittener Ge- webe auftreten; rotes Licht soll weniger wirksam sein als blaues, violettes und weißes (Moleschott und FubiniJ. Besonders soll im Dunkeln die Hämoglobinmenge abnehmen (Graffenberger). Im Dunkeln sollen Tauben den Hunger- zustand länger ertragen (Aducco)." — Es ist klar, daß auf solcher Grundlage noch keine Theorien aufgebaut werden können. Theorien auf diesem Gebiete müssen vielmehr allen Tatsachen in weitestem Umfange Rechnung tragen. Dahl. Herrn Prof. W.J. St., Eudweis. — i) Welches ist die Zu- sammensetzung der Kayserling'schen Konservierungsflüssigkeit.' Die Kayserling'sche Konservierungsflüssigkeit setzt sich aus 3 Lösungen zusammen: Lösung I. Formalin 5 Teile. Natrium aceticum 5 "/q. Lösung II. Alkohol 80%,. Lösung III. Natrium aceticum 40"/,,. Glycerin 60"/,). 2) Literatur neuerer Werke über Kryptogamen überhaupt und im detail : Da leider aus der Frage nicht ersichtlich ist, zu welchem Zweck der Fragesteller die Literaturangaben wünscht, so gebe ich vorläufig die Werke und Bücher an, welche die Krypto- gamen systematisch behandeln. Das umfassendste Werk über alle Kryptogamen ist: Rabenhorst's Kryptogamenflora von Deutschland, Österreich und der Schweiz, welches als ersten Band die Pilze, als zweiten Band die Meeresalgen, be- arbeitet von F. Hauck und als dritten Band die Farnpflanzen, bearbeitet von Chr. Luerssen, enthält. Dann im vierten Bande sind die Laubmoose von K. G. Limpricht bearbeitet, der fünfte bringt die Characeen mit Berücksichtigung aller Arten Europas, bearbeitet von W. Migula. Als sechster Band erscheinen die Lebermoose von K. Müll er- Freiburg. Dann käme die Bearbeitung der gesamten Kryptogamen in den ,, Natürlichen Pflanzenfamilien" von Engicr und Prantl. Dieses Werk enthält die einschlägige Literatur und eine ge- naue Beschreibung der Gattungen und Species. Als eine weitere — ebenfalls die ganzen Kryptogamen — umfassende Bearbeitung wäre die Kryptogamenflora in Thome's Flora von Deutschland , ( >sterreich und der Schweiz von W. Migula zu nennen; ein Werk, welches besonders wegen der sehr guten und brauchbaren Abbildungen warm zu emp- fohlen ist. Die Moose sind bereits abgeschlossen, es erschei- nen augenblicklich die .Algen. An dritter Stelle möchte ich die Kryptogamenflora von Tirol, Vorarlberg und Lichtenstein, herausgegeben von Della Torre und SarnI h ei m erwähnen, von der bereits Algen, Pilze, Flechten, Moose als abgeschlossene Bände vorliegen und die Literatur meisterhaft verarbeitet ent- halten. Als letztes, größeres Werk der gesamten Kryptogamen- kunde führe ich die Kryptogamenflora der Provinz Branden- burg und der anschließenden Provinzen an; von dieser Flora .liegt bereits der Moosband fertig vor, die Pilze und Algen sind im Erscheinen begriffen. Sodann sind einige Werke anzuführen, die sich speziell mit einer Klasse der Kryptogamen befassen ; da sind für die Algen zu nennen : De Toni, Sylloge Algarura omnium. Oltmanns, Morphologie und Biologie der Algen. Für Laubmoose führe ich an: Roth, Die europäischen Laubmoose mit einem Nach- tragsheft: Die europäischen Torfmoose, ein Werk, welches mit sehr vielen und schönen Abbildungen ausgestattet ist. Die Laubmoose Badens von Th. Herzog erwähne ich deshalb, weil sie neben einer genauen Aufzählung aller in Baden vor- kommenden Arten auch die Moosgenossenschaften berück- sichtigen. Für Lebermoose nenne ich F. Stephan i, Species Hepaticarum. .\ls kleinere Handbücher für Flechten: Rabenhorst, 11. Abt. Lichenes aus der Kryptogamenflora von Sachsen, Oberlausitz und Nordböhmen; ferner Sydow, Die Flechten Deutschlands, und Stein: Die Flechten Schlesiens. Als größtes Pilzwerk sei hier die „Sylloge fungorum om- nium hucusque cognitorum" von P. A. Saccardo zitiert. Von deutschen Zeitschriften , welche die neue Literatur der Kryptogamen eingehend behandeln, seien die ,,Hedwigia, Organ für Kryptogamenkunde" und die ,,Annalcs Mycologici" genannt. Dr. P. Beckmann. In der Frage über die Widerstandsfähigkeit der Bambuseen gegen Kälte, über die ich in Nr. g dieser Zeitschrift berichtete, ging uns vor einigen Tagen durch die Freundlichkeit des Herrn Obergärtners Schelle in Tü- bingen noch folgende Notiz zu, die den Herrn Fragesteller interessieren wird. Hierin heißt es, daß in Deutschland Arun- dinaria, Pfiyllostachys und Bambusa nicht das Weinklima über- schreiten und daß in anormalen Wintern die oberirdischen Sprosse zugrunde gehen. Normale Winter dagegen mit — 19,5° C im Maximum werden noch von mehreren Arten, als da sind: Arundinaria japonica, A. Simonii, A. nitida; Phyllostachys aurea, Ph. bambusoides, Ph. nigra, Ph. mitis; Bambusa glaucescens, B. Fortunei ohne Schädigung überstanden. Besonders die beiden ersten Arten zeichnen sich durch große Widerstandsfähigkeit gegen Kälte aus. Bei noch höheren Kältegraden leiden ihre oberirdischen Teile. Alle übrigen Arten halten 13 — 16° Kälte ohne großen Schaden aus. Eine Deckung des Wurzelstockes ist zu empfehlen ; ebenso ist feuchte Luft für das Überwinlern der Bambuseen von Vorteil. Sodann möchte ich noch den Herrn Fragesteller auf das Hand- buch der Laubholzbauung, verfaßt von Beißner, Schelle und Zabel, erschienen im Verlage von P. Parey, Berlin, aufmerk- sam machen. In diesem Buche findet man ca. 49 Arten von Bambuseen mit der Angabe über Winterhärte und eventuelle nötige Deckung angegeben. Dr. P. Beckmann. Inhalt; Dr. F. Köhler: Krankheit und Tod in kulturgeschichtlicher und naturwissenschaftlicher Bedeutung. (Schluß.) — Kleinere Mitteilungen: I. Hadzi: Biologie von Hydra. — M. Verworn: Die cellularphysiologische Grundlage des Gedächtnisses. — E. Enslin: Die Höhlenfauna des Iränkischen Jura. — Dr. T h. Arldt: Ein neugebildeler großer See. — Ilimraelserscheinungen im Mai 1907. — Bücherbesprecbungen: Sammel-Referat. — Litteratur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge VI. Band; der ganzen Reibe XXII. Band. Sonntag, den 5. Mai 1907. Nr. 18. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen _ und Postanstalten , wie bei der Expedition. Der *ß Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate : Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei gröfieren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. [Nachdruck verboten.] Die Erforschung des Lebens. Ein Vortrag von Max Verworn. Das Problem des Lebens ist in gewissem Sinne das oberste Problem menschlicher Forschung. Wer sich die Mühe nimmt, die Fäden zu verfolgen, die von diesem Problem ausstrahlen, wird finden, daß sie früher oder später zu allen Problemen führen, die den Menschengeist beschäftigen. Das Problem des Lebens ist das zentrale Problem. Man kann es auch das Problem vom Menschen nennen. Dann setzt man den kompliziertesten P'all fürs Ganze, denn der Mensch ist die komplizierteste Form des Lebens. Er ist sich selbst das erste und letzte Problem. In ihm mündet alles mensch- liche Fragen. Mag mancher in kurzsichtigem Wühlen nach den kleinen Schätzen des Tages nichts ahnen von dem großen Problem, sein Streben ist unbewußt doch nach diesem Punkte gerichtet. Für andere blickt die geheimnisvolle Gestalt des großen Lebensproblems auf Schritt und Tritt in gewaltigem Umriß erhaben und gebieterisch aus dem dünnen Nebel der kleinen Tagesfragen her- vor. Mit Riesenarmen umspannt es alle Interessen des Menschen : das köstliche Gut seiner Gesund- heit, des Menschen Geist mit seinem hohen Flug, der seine selbstgeschaffene Gedankenwelt mit ihrem Gott bestaunt und schließlich auch die leblose Welt, der er sein Leben verdankt, denn aus Erde ist auch der Mensch gemacht und zur Erde kehrt er zurück. So birgt der Mensch in sich zugleich die Rätsel der lebendigen und der leblosen Welt. Kein Leben ohne die leblose Welt. Die Lebensforschung erweitert sich zur Weltforschung und die Welt- forschung gipfelt in der Lebensforschung. Also was ist Leben? Es hat nicht an Defini- tionen gefehlt, die kurz und knapp mit wenig Worten das Wesen des Lebens charakterisiert zu haben glaubten. Man hat gesagt: Leben ist Be- wegung oder: Leben ist ein chemisch-physikalischer Prozeß. Herbert Spencer ist nach langem tiefem Grübeln, nachdem er mehrere F"assungen gegeben und wieder verworfen hat, zu einer Definition ge- langt, die ihm als die vollkommenste erschien: „Leben ist die fortwährende Anpassung innerer Beziehungen an äußere Beziehungen." Aber so wenig auch ein moderner Naturforscher die Wahr- heiten, die alle diese Definitionen zum Ausdruck bringen, beanstanden wird, so wenig wird er doch in ihnen eine eindeutige Charakterisierung des Lebensvorganges erkennen. Bei aller Hochachtung vor der enormen Geistesarbeit, die der englische Denker geleistet hat, scheint mir doch selbst die Definition, die er für die vollkommenste hielt, nicht imstande zu sein, jemandem eine Vorstellung davon 274 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. i8 zu geben, was nun eigentlich Leben in Wirklich- keit ist. Wir sind von allen diesen Definitionen nicht befriedigt. Wir verlangen mehr. Wir wollen vorläufig überhaupt keine knappe Definition. Die findet sich vielleicht später von selbst. Wir wollen vielmehr den Lebensvorgang, wie er sich uns in den Lebensäußerungen darstellt, bis in seine letzten Tiefen ergründen. — Das war das klare Ziel aller Lebensforschung, solange eine wissenschaftliche Lebensforschung besteht. Das Ziel scheint klar, aber die Wege dahin sind oft auseinandergegangen. Da ist ein guter Führer nötig. Es ist vielleicht gerade heute nicht über- flüssig, nach einem solchen auszuschauen. Also welcher Grundsatz soll uns leiten ? Wir wollen den Lebensvorgang bis in seine letzten Tiefen ergründen. Was heißt ergründen? Man wird sagen : auf seine Ursachen zurückführen. Also man will schließlich die „letzte Ursache" des Lebens ermitteln. In der Tat ist der Gedanke an eine „letzte Ursache" des Lebens vielfach in der Physiologie wirksam gewesen. Man kann aber nicht sagen, daß er besonders glücklich war. Als fruchtbar hat er sich jedenfalls nicht erwiesen. Das Suchen nach einer ,, letzten Ursache" der Lebens- äußerungen ist es gewesen , was vor mehr als hundert Jahren die gesamte Physiologie und neuer- dings wieder einzelne Morphologen der Mystik in die Arme trieb. Man glaubte, die letzte Ur- sache der Lebensäußerungen in einer geheimnis- vollen Kraft suchen zu müssen, die den Gesetzen der Chemie und Physik nicht unterworfen und daher unerforschlich sei, die aber nach eigenen zweckmäßigen Plänen walte und aus nichts empor- wachsen und in nichts wieder vergehen könne. Es liegt auf der Hand, daß die Annahme einer solchen unerforschlichen ,,Lebensk raft" einen Verzicht auf die vollständige Erforschung desLebens- vorganges bedeutet, und es ist bekannt genug, daß dieser Gedanke in der ganzen Geschichte der Lebensforschung nicht die kleinste Entdeckung hervorgebracht hat. Wo er gewirkt hat, hat er nur lähmend, nie anregend gewirkt. So ist er mit dem Aufblühen der Naturwissenschaften im vorigen Jahrhundert aus der Lebensforschung verschwunden und nie wieder ist die wissenschaftliche Forschung zu diesem Gedanken zurückgekehrt. Der ver- einzelte Versuch in unserer Zeit, den vitalistischen Gedanken noch einmal wieder zu beleben, ist ge- scheitert. Aber ist denn die Vorstellung einer letzten „Ursache" der Lebensäußerungen eine wissen- schaftliche Vorstellung? Ist überhaupt das Suchen nach Endursachen in der Naturforschung ein wissenschaftliches Unternehmen ? Die Frage mag seltsam klingen, da man ge- wöhnt ist, gerade in der Naturwissenschaft alle Erscheinungen als den Ausdruck einer streng kausalen Gesetzmäßigkeit zu betrachten, so daß jeder Vorgang seine Ursache in einem anderen Vorgange hat und selbst wiederum die Ursache für einen neuen bildet. Dieser strenge Kausal- zusammenhang des Geschehens, der nirgends eine Unterbrechung erfährt, gilt als eines der obersten und exaktesten Prinzipien nicht bloß für die Natur- forschung, sondern für die gesamte Weltbetrachtung. Dennoch meine ich, daß es an der Zeit wäre, den Kausalbegriff einer Revision zu unterziehen, ja ihn am besten aus der exakten Wissenschaft völlig zu entfernen. Die Vorstellung von „Ursachen" in der F"orm wie sie meistens verbreitet und durch die Sprache des täglichen Lebens sanktioniert ist, verführt allzuleicht zu schiefen Auffassungen über das Geschehen und die Zusammenhänge in der Welt und täuscht vielfach Klarheit vor und fertige Erkenntnis, wo keine besteht. Es hat etwas Be- ruhigendes, wenn man glaubt, „die Ursache" einer Erscheinung nachgewiesen zu haben. So war es auch beim Vitalismus. Man sah „die Ursache" der Lebensäußerungen in der Lebens- kraft. Das war einfach, bequem und beruhigend. Man macht sich aber nicht klar, daß man Mystik treibt, wenn man sich vorstellt, daß jeder Vor- gang „eine Ursache" haben müsse. In Wahrheit gibt es keinen Vorgang in der Welt, der nur durch einen einzigen anderen bestimmt wäre. Jeder Vor- gang ist stets von einer größeren Zahl anderer Vorgänge abhängig und es liegt eine unberechtigte Willkür darin, einen von diesen als etwas Be- sonderes hervorzuheben und ihm die geheimnisvolle Bedeutung einer ,, Ursache" beizulegen. Eine solche Bevorzugung eines Faktors ist wohl begreiflich für die oberflächliche Betrachtung des täglichen Lebens, der vielfach ein einzelner Faktor aus dem Kom- plex besonders ins Auge fällt. Sie ist aber nicht wissenschaftlich. Man müßte mit derselben Be- rechtigung die ganze Zahl der anderen Faktoren, ohne die der Vorgang nicht stattfinden kann, eben- falls als seine Ursachen bezeichnen. Dann aber wird der Begriff der „Ursache" zur einfachen ,,B e - dingung" und damit gewinnt man in der Tat einen wissenschaftlichen Standpunkt. Die Mathe- matik, die sich die exaktesten Ausdrucksformen für die Wahrheiten, die sie darstellen will, aus- gearbeitet hat, und die hier geradezu als Ideal betrachtet werden muß, kennt den Begrift" der Ursache nicht. Sie kennt nur Voraussetzungen und Behauptungen und kleidet ihre Gesetzmäßig- keiten in die konditionale Form. Sie sagt: „wenn die Seiten eines Dreiecks gleich sind, so sind auch die Winkel gleich", nicht weil die Seiten gleich sind. Sind alle Bedingungen eines Vorganges gegeben, so ist der Vorgang auch eindeutig damit bestimmt, er kann nicht stattfinden, sondern er muß statt- finden, denn jede Möglichkeit einer Alternative wäre nicht Gesetzmäßigkeit, sondern Willkür. Die Erfahrung zeigt uns aber, daß das Geschehen in der Welt unabänderlich gesetzmäßig ist. Wäre nur an einem einzigen Punkte im Weltgeschehen eine willkürliche Wahl möglich, so wäre bei dem untrennbaren Abhängigkeitsverhältnis, in dem die Dinge untereinander stehen, die ganze Gesetz- mäßigkeit über den Haufen geworfen. In Wirk- lichkeit ist alles Geschehen in der Welt eindeutig N. F. VI. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 275 und unabänderlich bestimmt durch die Bedingungen, die gerade an dem gegebenen Punkte zusammen- treffen. Eine wissenschaftliche Forschung, auf welchem Gebiete der Erkenntnis es auch sei, kann daher immer nur darin bestehen, die sämtlichen Bedingungen zu ermitteln, die für das Zustandekom- men eines Vorgangs nötig sind. Sind diese bekannt, so ist der Vorgang ergründet, er- klärt. Der Vorgang ist nichts weiter als der Aus- druck für die Summe der in ihm zusammentreffen- den Bedingungen. Der Begriff der Ursache wird dadurch überflüssig und wertlos. Damit ist auch der Grundsatz bestimmt, der bei der Erforschung des Lebensvorgangs die oberste Führung haben muß. Wir wollen nicht nach Ur- sachen der Lebensäußerungen suchen, wir wollen vielmehr die Lebensäußerungen analysieren, indem wir sämtliche Bedingungen ermitteln, unter denen sie zustande kommen. Dann sind die beobachteten Vorgänge erklärt. Das ist der vor- gezeichnete Weg. Es ist auch stets der Weg ge- wesen, auf dem die Lebensforschung bisher ihre Früchte in theoretischer wie in praktischer Hin- sicht gepflückt hat. Und diese Früchte sind nicht schlecht. Wenn die praktische Heilkunde, wenn die Tierzüchterei, wenn die Land- und Forst- wirtschaft heute einen so hohen Entwicklungsgrad erreicht haben, so beruht das darauf, daß die Lebens- forschung die Bedingungen für bestimmte Lebens- vorgänge des Menschen-, Tier- und Pflanzenlebens so genau analysiert hat, daß sie diese Bedingungen beherrscht. Ich möchte hier nicht einseitig die praktische Seite der Lebensforschung betonen, denn die praktischen Ergebnisse lassen sich von den theoretischen gar nicht trennen. Was heute noch ein rein theoretisches Interesse zu haben scheint, kann morgen die größte praktische Bedeutung ge- winnen. Die Erfahrung hat das tausendfach ge- zeigt. Ich erinnere nur an die Bakteriologie. Es besteht ganz allgemein dasselbe Verhältnis wie speziell zwischen theoretischer Naturwissenschaft und Technik. Unsere großen technischen Erfolge beruhen allein auf der hohen Entwicklung der rein theoretischen Forschung, und andere Nationen, die den hohen Entwicklungsgrad unserer Technik bewundern oder beneiden, haben die Bedingungen dafür in der freien Entwicklung unserer rein theo- retischen Forschung erkannt und suchen der letzteren gleichfalls den Boden zu ebnen. Aber wir dürfen uns dabei nicht verhehlen, daß den ersten Anstoß zur Erforschung des Lebens zweifellos die praktischen Bedürfnisse des IMen- schen gegeben haben. Die Not ist die Mutter aller Überlegungen und so ist das praktische Be- dürfnis der Ursprung aller theoretischen Forschung. Von den primitiven Anfängen der Menschheit an bis auf den heutigen Tag. Bisweilen freilich hat sich, wie in der Philosophie, die theoretische For- schung so weit von ihren praktischen Anfangs- punkten entfernt, daß ihr Zusammenhang damit in Vergessenheit geriet. Aber das ist kein Fehler, denn die scheinbar abstrakteste Erkenntnis kann plötzlich die größte praktische Macht entfalten. Welche Umwälzungen haben die religiösen Spekula- tionen in der Geschichte der Menschheit herbei- geführt? Unsere Sprache mit ihrem Wortschatz, auf den wir im praktischen Leben bei Schritt und Tritt angewiesen sind, steht noch heute zum Teil unter dem sklavischen Druck uralter, aus vor- geschichtlicher Zeit stammender, theoretischer Spekulationen, die noch immer Worte wie ,, Geist" und „Körper", wie „Leib" und „Seele" und die unendliche Fülle der aus ihnen entspringenden Anschauungen und Handlungen despotisch be- herrschen. Es ist kein Zweifel, daß der Begriff des Lebens ebenfalls bereits in vorhistorischer Zeit entstand und es ist ebensowenig zweifelhaft, daß die nähere Beschäftigung mit den Lebensäußerungen dem praktischen Bedürfnis der Lebens erhaltung ent- sprungen ist. Die heute lebenden Naturvölker mit ihrem primitiven Denken zeigen uns noch deutlich das Milieu , das diese ersten naiven Vor- stellungen über das Leben und die ebenso naiven Maßnahmen zu seinem Schutz und seiner Erhaltung hervorbrachte. Die Konzeption der Seelenidee, der Idee, daß im menschlichen Körper eine un- sichtbare Seele wohne und wirke, steht an der ersten Stufe der ganzen langen Entwicklung mensch- licher Spekulation und menschlicher Sorge bezüg- lich des Lebens. Aus dieser Seelenidee, die der Beobachtung der Todestatsache und des Traum- lebensentstammt, sind alle religiösen, medizinischen, naturwissenschaftlichen Anschauungen der primi- tiven Kultur hervorgewachsen. Leben und Seele wird zunächst noch nicht voneinander geschieden. Die Seele ruft die Lebensäußerungen des Körpers hervor, und entweicht im Traum temporär, im Tode für immer. Die Seele kann aber selbständig weiter leben als Geist oder Dämon und kann Nutzen stiften und Schaden anrichten. Die Seele kann auch wieder einen anderen Körper aufsuchen, ja sie kann in einen Menschen fahren, der noch lebt und kann hier Verwirrung hervorrufen, so daß Krankheit und Besessenheit entsteht. Daher muß man die Seele und ihr Wirken, muß man das Leben kennen. Der Medizinmann oder Schamane muß Mittel finden, um die Seele, wenn sie ent- fliehen will, zurückzuhalten oder die entflohene wieder einzufangen, Mittel, um das Leben gegen die schädlichen Einflüsse fremder Seelen und Geister zu schützen oder fremde Seelen und Geister, die Schaden imMenschen anrichten, wiederauszutreiben. Das ist der gemeinsame Komplex von religiösen, medizinischen , naturwissenschaftlichen Vorstel- lungen, dem wir auf einer bestimmten Stufe bei allen Naturvölkern der Erde begegnen, der eine einheitliche Vorstellungsmasse bildet, die sich um den Kern der Seelenidee herumkristallisiert und bei den verschiedenen Stämmen im einzelnen zu den mannigfaltigsten und oft widersprechendsten Schlußfolgerungen und Gedankenverbindungen führt. Aus diesem Kristallbrei scheiden sich auf 276 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 18 höheren Kulturstufen die verschiedenen Gebiete menschlichen Wissens und menschlicher Forschung als selbständige Wissenschaften von einander ab, aber sämtlich gegründet auf besondere praktische Bedürfnisse des Menschen : Die Religion übernimmt die Sorge für die Seele; die Medizin für die Ge- sundheit; die Tierzucht, die Landwirtschaft für die Ernährung. Es ist wichtig für die Beurteilung des heutigen Standes der Lebensforschung, daß man ihre histo- rische Differenzierung in mehrere, den verschieden- artigen praktischen Zielen entsprechende Zweige im Auge behält, denn so nur wird die heterogene Entwicklung der verschiedenen Gebiete, der mensch- lichen Anatomie, Physiologie und Pathologie, der Zoologie, der Botanik verständlich. Je weiter sich die speziellen praktischen Ziele von einander differenziert haben, um so mehr haben sich auch die speziellen Ziele und Methoden der theo- retischen F"orschung von einander entfernt. Zur rein theoretischen P"orschung führt aber die Ver- folgung eines jeden praktischen Problems unfehl- bar um so sicherer, je gründlicher man ihm nach- geht, denn die praktischen Ergebnisse erwachsen ja aus rein theoretischen Studien. Damit ist aber wieder ein verbindendes Element für die einzelnen Zweige der Lebensforschung gegeben , das die Klüfte, die zwischen ihnen bei weitem Auseinander- gehen ihrer praktischen Ziele entstanden, wieder ausfüllt. Die theoretische Lebensforschung führt überall, von wo aus man sie auch in Angriff nimmt, immer wieder zu den großen allgemeinen Problemen des Lebens, denn die theoretische For- schung entwickelt sich unabhängig von äußerlich bestimmenden Momenten nur aus ihren eigenen Problemen heraus und diese führen immer wieder zu den zentralen Problemen zurück. In den all- gemeinen Problemen des Lebens treffen daher alle einzelnen Richtungen der Lebensforschung wieder zusammen. Wir befinden uns augenblicklich in einer Periode der biologischen P'orscliung, in der sich das immer deutlicher zeigt. Im vorigen Jahrhundert ist be- reits eine Station erreicht worden, an der die Wege aus allen Riciitungen der biologischen For- schung zusammentreffen. Diese Station ist die Zelle. Freilich sind liier manche Forschungs- richtungen schon sehr frühzeitig eingetroffen, manche mit starker Verspätung. Aber seitdem Seh leiden 1838 für den Pflanzenkörper, Schwann 1839 für den Tierkörper den Nachweis geführt hatte, daß der zwar seiner äußeren Gestalt nach so proteus- artige, seinem inneren Wesen nach aber doch so sehr einheitliche Elementarorganismus der Zelle den allgemeinen Baustein bildet, aus dessen mehr oder minder großer Mannigfaltigkeit vom ein- zelligen Wesen an bis zum Millionenstaat des höheren Pflanzen-, Tier- und Menschenkörpers hin- auf alles organische Leben aufgebaut ist, seitdem mußte mit unabwendbarer Notwendigkeit früher oder später alle biologische Forschung die Kon- sequenz ziehen, daß hier der Herd ist, auf dem das Feuer des Lebens brennt und daß schließ- lich alle biologische Forschung ihre speziellen Probleme bis in die Zelle ver- folgen muß. Die Morphologie hat zuerst diese Kon- setjuenz praktisch gezogen. Ihre einzelnen Gebiete der pflanzlichen, tierischen und menschlichen Ana- tomie und Entwicklungsgeschichte haben unter der Führung von Schleidcn, Nägeli, Hof- meister, Max Schultze, Kölliker, Haeckel und zahllosen anderen sehr bald mit ihrer zellularen Vertiefung eine ganz ungeahnte Blüte erzielt. Dann folgte die Pathologie. Es ist bekannt genug, wie unser alter Meister Rudolf Virchow mit seiner Zellularpathologie die Grundlage schuf, auf der sich der monumentale Bau der modernen Medizin erheben konnte, auf der auch die neuesten glänzenden Gebäude der Immunitätsforschung und Serumtherapie emporgewachsen sind. Die engere Richtung der physiologischen Forschung ist am spätesten gefolgt. Freilich war die Pflanzenphysiologie, die es mit einfacheren Verhältnissen zu tun hat, schon lange zur Zellular- physiologie geworden, aber die Physiologie der Tiere und des Menschen, die bei der ungeheuren Komplikation ihres Forschungsobjekts nur sehr langsam und schrittweise vordringen kann , hat spät erst und nur allmählich den gemeinsamen Knotenpunkt, die Zelle, erreicht. So hat sich die zellulare Forschungs- und Denkweise in der Biologie durch zahllose Schwierig- keiten hindurch, aber um so sicherer und unbestreit- barer, im Laufe des vorigen Jahrhunderts einen unvergleichlichen Sieg errungen. In der Tat: In der Zelle münden schließUch alle Probleme des Lebens, denn wir kennen Leben nur in Gestalt von Zellen und auch die Lebens- äußerungen des großen Menschenkörpers sind nichts weiter als ein Gesamtausdruck der vielen Millionen von mikroskopischen Zellen, aus denen er auf- gebaut ist. Das Zusammenwirken dieser unabseh- baren Massen von tätigen, arbeitenden Zellen, die hier zu einem natürlichen Staatswesen vereinigt erscheinen, dessen unsagbar fein geordnetes Ge- triebe des genialsten Gesetzgebers spottet, dieses Zusammenwirken bringt die erstaunlichen Taten hervor, die der Arbeiter der gewaltigen Energie seiner Muskeln, die der Dichter und Denker seinem Genius verdankt. Aber dieses geordnete Zusam- menwirken der ungezählten Scharen von Zellen setzt eine ans Fabelhafte grenzende Feinheit der Arbeitsteilung voraus und ist nur möglich bei un- bedingter Unterwerfung jeder Zelle unter das Inter- esse des gesamten Staatsorganismus. Die Ab- hängigkeit der einzelnen Zelle vom Ganzen bildet geradezu ihre Lebensbedingung. Sobald eine Zell- gruppe streikt, wie es bei einer Krankheit der F'all ist, sobald z. B. die Herzzellen oder die Nieren- zellen, die Gehirnzellen oder die Rückenmarks- zellen ihre regelmäßige Arbeit einstellen, tritt sofort eine Störung im Betriebe des ganzen Or- N. F. VI. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 2;7 ganismus ein, die unter Umständen mit unheim- licher Geschwindigkeit selbst in den entferntesten Teilen des Staatskörpers so groß werden kann, daß der ganze gewaltige Staat zugrunde geht. — Hin gesundes Staatsleben besteht nur so lange, wie alle Zellen des Körpers in harmonischer Weise zusammenarbeiten. Der Vergleich des Organismenkörpers mit einem politischen Staatswesen ist nicht neu. Bei der bis in die feinsten Einzelheiten hineingehenden, ich möchte fast sagen, vollkommenen Analogie zwischen beiden und im Hinblick auf die Tatsache, daß der Zellenstaat des tierischen und menschlichen Kör- pers ein geradezu ideal geregeltes Staatswesen ist, müßte ein tiefgehendes Studium der Organisations- verhältnisse des Zellenstaates für alle politisch- staatswissenschaftliche F'orschung von größtem Interesse sein, denn hier finden alle mensclilichen Verhältnisse ihr Gegenstück und, was das wich- tigste ist, alle Probleme staatswissenschaftlicher Forschung sind hier in glänzendster Weise prak- tisch gelöst. Kein menschlicher Gesetzgeber sollte versäumen, sich als erste Grundlage für seine staatswissenschaftliche Ausbildung eine möglichst umfangreiche Kenntnis der Organisationsverhält- nisse des Idealstaates zu erwerben, des Idealstaates, der im menschlichen Zellenstaate praktisch reali- siert ist. Mir scheint die Staatswissenschaft mit der Physiolo;;ie in allernächster Verwandtschaft zu stehen. Jedenfalls haben die beiderseitigen For- schungsobjekte die größte Übereinstimmung. In einem Punkte aber befinden wir uns in der Physiologie in einer günstigeren Lage. Wir haben den großen Vorteil , experimentieren zu können in einem Umfange, wie es in der Staats- wissenschaft nicht annähernd möglich ist. Und der experimentelle Weg hat sich in der Physio- logie als ganz ungemein fruchtbar erwiesen. Er ist es gewesen, der zu unseren Erkenntnissen von den funktionellen Leistungen der Teile des Or- ganismenkörpers geführt hat, auf ihm sind die interessanten funktionellen_ Zusammenhänge und Abhängigkeitsverhältnisse der Teile gefunden wor- den. Vor allem haben in dieser Hinsicht einige allgemeine und in der Vielseitigkeit ihrer An- wendbarkeit unerschöpfliche Methoden experimen- teller Forschung glänzende Erfolge erzielt. Die Eliminationsmethode geht darauf aus, einen bestimmten Teil des Körpers aus seinem Zusammenhange auszuschalten, sei es auf opera- tivem, sei es auf anderem Wege, um die Ausfalls- tatsachen, die Störungen festzustellen, die da- durch im Getriebe des Ganzen entstehen, und so seine Rolle im Haushalt des Körpers zu ermitteln. Mit dieser Methode sind unter anderem auch die wichtigen Entdeckungen über die zentrale Tätig- keit der obersten Verwaltungsbehörde unseres Kör- pers, des Nerv'ensystems, gewonnen worden. Das Gegenstück zu dieser Methode, das zu ihrer wesentlichen Ergänzung dient, bildet die Reizmethode. Man sucht durch Anwendung von Reizen die Tätigkeit eines Organs zu erregen. um sie schärfer und deutlicher hervortreten zu lassen. Auch diese Methode hat uns über die F'unktion spezieller Gebiete des Nervensystems wichtige Aufschlüsse gegeben. Beide Methoden, die Eliminations- und die Reizmethode haben ferner die höchst interessante Tatsache erwiesen, daß unser Zellenstaat die mannigfaltigsten Mittel be- sitzt, um Störungen, die in seinem komplizierten Getriebe unter irgendwelchen Einflüssen entstehen, wenn sie nicht über gewisse Grenzen hinausgehen, in der feinsten Weise zu kompensieren. Ich nenne von den zahllosen Einrichtungen dieser Art als Beispiel nur die Mechanismen der Temperatur- regulierung des Körpers, die selbst gegenüber den extremsten Schwankungen der Außentemperatur die Körpertemperatur des Menschen in exaktester Weise auf ihrer gleichmäßigen Höhe von 37 "C erhalten. Noch heute werden fortwährend neue Regulationsmechanismen ähnlicher Art von größter Empfindlichkeit aufgefunden. Die Methode der chemischen Unter- suchung dringt am tiefsten in die Frage nach den Leistungen der einzelnen Organe des Zellen- staates ein. Man untersucht die chemische Zu- sammensetzung eines Organs, man untersucht die Stoffe, die es produziert, die es ausscheidet, und man untersucht, welche Stoffe es für seine Lebens- tätigkeit verbraucht, welche Stoffe ihm zugeführt werden müssen. Daraus gewinnt man Schlüsse über die Vorgänge, die sich in dem Organ selbst abspielen. Schließlich sind eine große Anzahl von Re- gistriermethoden ausgearbeitet worden, die zur autographischen Darstellung von Vorgängen im Organismus und seinen Organen verwendet werden und die auch zum Teil eine quantitative Messung der Leistungen gestatten. Dazu gesellt sich eine unabsehbare Fülle von speziellen Methoden, die sich der Physiologe schafft mit den Mitteln der Physik und Chemie, der Operationstechnik und der Mikroskopie, wie das augenblickliche Problem es gerade erfordert. Die Methodik für die Erforschung des Lebens ist heute so reich und so kompliziert entwickelt, daß der Laie, der ein physiologisciies Laboratorium betritt, vor lauter Apparaten das lebendige Objekt nicht mehr sieht. Alle diese Methoden haben unsere heutigen Kenntnisse begründet von den Leistungen der einzelnen Organe und ihrem engen, einheitlichen Zusammerarbeiten im Organismus des Zellenstaates. Aber wir wollen noch weiter. Wir wollen wissen, was in den einzelnen Zellen vorgeht. Dahin zieht uns unser ganzes Interesse auf allen biologi- schen F'orschungsgebieten, denn in der Zelle liegen die Geheimnisse des Lebens verborgen. Und so ist die Lebensforschung immer tiefer ge- stiegen bis in die Zelle hinab. Auch hier mußten die Methoden erst geschaffen werden, denn es ist nicht leicht, der kleinen mikroskopischen Zelle mit den Untersuchungsmitteln des Experimentes beizukommen. Beim komplizierten Zellenstaat, 278 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 18 wie dem Menschen- oder überhaupt dem Warm- blüterkörper sind wir besonders schlimm daran, denn hier ist fast jede Zelle an ihre Arbeitsstätte gebunden. Ihr enges Abhängigkeitsverhältnis von ihrer Nachbarschaft, mit der sie gemeinschaftlich wirkt, von ihrer Nahrung, die ihr vom Blut- und Lymphstrom zu ihrer Arbeitsstätte herangeschafft wird, vom Nervensystem, das ihr das Arbeits- pensum zuweist und die Aufsicht über die Arbeit führt, gestattet es nicht, daß man die einzelne Zelle aus ihrem Verbände herausnimmt und unter dem Mikroskope beobachtet. Ganz abgesehen von der technischen Schwierigkeit, eine mikro- skopische Zelle aus ihrem Verbände zu isolieren, wäre es auch meistens unmöglich, die einzelne Zelle isoliert am Leben zu erhalten und ihre nor- malen Lebensprozesse zu studieren. Die Zelle würde in kürzester Zeit zugrunde gehen, denn ihr Leben ist bestimmt durch den Komplex von Bedingungen, unter dem sie im Zellenstaate lebt. Es bleibt also nichts übrig als das Leben der Zelle innerhalb ihres Zusammenhanges zu studie- ren. Das kann im intakten Körper geschehen. Methoden dafür sind ausgearbeitet worden. Das kann aber auch in isolierten Organen geschehen, die noch eine Zeitlang am Leben bleiben , nach- dem sie aus dem Körper herausgeschnitten sind. Für solche Versuche eignen sich in hervorragen- dem Maße die Kaltblüter, weil man beim Kalt- blüterkörper leicht die verschiedensten Körperteile aus ihrem Zusammenhange herausnehmen und längere Zeit, ja unter Umständen tagelang isoliert am Leben erhalten kann. Das ist der Grund, weshalb der Frosch das allgemeine physiologische Haustier geworden ist. Man kann aus dem PVosch das Herz, die Muskeln, die Nerven und andere Organe herausschneiden und bequem einige Stun- den lang isoliert am Leben erhalten. Aber wir haben noch günstigere Objekte für das Studium der Lebensvorgänge in der Zelle, wir haben die Pflanzenzellen und wir haben die einzelligen Or- ganismen. Die letzteren, wie das große Heer der Amöben, Infusorien und Bakterien bestehen ihr ganzes Leben hindurch nur aus einer einzigen Zelle. Sie können in großen Massen gezüchtet und untersucht und sie können einzeln unter ihren natürlichen Lebensbedingungen studiert werden. Man kann selbst operative Experimente, Zellvivi- sektionen unter dem Mikroskop an ihnen anstellen und wie am ganzen Zellenstaat, so sind auch an der einzelnen Zelle mit der Eliminations- und der Reizmethode die grundlegenden Kenntnisse über die Funktionen der einzelnen Zellteile und ihr Zusammenarbeiten gewonnen worden. Die mo- derne Zellforschung hat alle diese Wege be- schritten. So hat sich überall die Lebensforschung zur Zellforschung vertieft. Aber genug der trockenen Methodik ! Die Methoden müssen Ergebnisse liefern, sonst haben sie keinen Wert. Also was wissen wir heute von dem rätselhaften Vorgang des Lebens? Es ist nicht leicht, darauf in kurzen Worten eine Ant- wort zu geben. Die Summe der Einzelerfahrungen ist unabsehbar und jeder wird daraus das als wichtig hervorheben, was dem speziellen Ziel, das er in seiner speziellen Forscherarbeit verfolgt, am meisten entspricht. Aber mit der Verzeichnung solcher spezieller Ergebnisse ist nur wenigen Inter- essenten gedient. Was jeder will und braucht, ist ein Überblick über die allgemeinen Ergeb- nisse der Lebensforschung. Man ist ungeduldig und möchte am liebsten gleich klipp und klar hören, was Leben nun eigentlich ist. Aber da ist der Biologe in einiger Verlegenheit. Eine nichts- sagende Definition wie die obengenannten mag er nicht und eine erschöpfende Antwort kann er nicht geben. So bleibt denn nichts übrig als das allgemeine Fazit zu ziehen aus allen bisherigen Erfahrungen. Ich will versuchen es in Kürze zu tun. Was wir als lebendige Substanz allein in Form von Zellen auf der Erde kennen, stellt ein sehr wasser- reiches Gemisch einer großen Menge von chemi- schen Verbindungen in sehr verschiedenen Aggregat- zuständen vor, die zum Teil mikroskopisch un- trennbar durcheinander gemengt sind, zum Teil aber auch bereits räumlich in jeder Zelle vonein- ander gesondert erscheinen, wie die Stoffe des Protoplasmas und die Stoffe des Zellkerns. Die Zusammensetzung dieses Gemisches von Stoffen ist in jeder einzelnen Zellform versciiieden. Das beruht nicht allein auf dem verschiedenen quan- titativen Verhältnis der einzelnen Stoffe, son- dern noch mehr auf der qualitativen Ver- schiedenheit derselben. Die unabsehbare Fülle verschiedener Zellformen, welche die bunte C)rga- nismenwelt aufbaut, läßt sich allein schon ver- stehen aus der fast unendlichen Variationsmöglich- keit, die in einer einzigen Gruppe von chemischen Verbindungen der lebendigen Substanz existiert, das ist in der Gruppe von kompliziertesten Ver- bindungen, die der Chemie überhaupt bekannt sind, in der Gruppe der Eiweißverbindungen. Das Molekül einer Eiweißv.erbindung enthält eine so erstaunliche Zahl von Atomen in sich , daß hier durch Anfügung, durch Abspaltung, durch Sub- stitution dieser oder jener Atomgruppen eine un- übersehbare Anzahl von Variationen gedacht werden kann. Die ungeheuere Komplikation und Variation im Aufbau der Eiweißmoleküle ist ja auch der Grund, weshalb uns die chemische Zu- sammensetzung dieser Stoffe noch immer nicht hinreichend bekannt ist. Wir kennen zwar die elementare Zusammensetzung der Eiweißkörper, wir wissen auch , wie viel Kohlenstoff-, Wasser- stoff-, Sauerstoff- und Stickstoffatome im Molekül gewisser Verbindungen der Eiweißgruppe ent- halten sind und wir ersehen daraus auch die wich- tige Tatsache, daß selbst die kompliziertesten Verbindungen der lebendigen Substanz keinen elementaren Unterschied zeigen gegenüber den Stoffen der leblosen, anorganischen Welt, aber gerade das charakteristische Moment, die eigen- tümliche Anordnung der Atome im Molekül zu N. F. VI. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 279 den komplizierten Verbindungen der Eiweißgruppe, wie sie nirgends in der anorganischen Welt, wohl aber überall und ausnahmslos in der lebendigen Natur zu finden sind, das kennen wir nicht. Immer- hin lassen die letzten großen F'ortschritte in der Hiweißchemie, die wir dem Genius des großen Pfad- finders auf chemischem (lebiet, Emil F i s c h e r ' s verdanken, auch nach dieser Richtung hin Hoff- nungen entstehen. Wir sind vielleicht nicht mehr allzuweit von der Zeit, wo es gelingen wird, Ei- weißkörper künstlich herzustellen. Damit wäre zweifellos ein Schritt von außerordentlicher Trag- weite geschehen. Aber von der Lösung der letzten Rätsel des Lebens, die mancher schon damit ge- kommen wähnt, wären wir trotzdem noch immer sehr fern. Die lebendige Substanz besteht ja nicht bloß aus Eiweißkörpern, sie ist ein Gemisch, das zahlreiche andere, einfache und komplizierte Stoffe enthält, wie die organischen Verbindungen aus den stickstofffreien Gruppen der Kohlehydrate und Fette und ihrer Abkömmlinge, sowie das große Heer der anorganischen Salze, die alle zum Leben der Zelle erforderlich sind. Und selbst wenn wir den Eiweißkörpern als den kompliziertesten Ver- bindungen eine dominierende Stelle im Lebens- prozeß der Zelle einräumen wollten, das Leben wäre mit ihrer Kenntnis noch immer nicht völlig analysiert und noch viel weniger wäre mit ihrer Synthese die künstliche Erzeugung von Leben geglückt. Wir hätten ja doch nur tote Eiweißkörper, wie wir sie als Produkte des Orga- nismus auch jetzt schon haben. Zwischen ihnen und der lebendigen Substanz, selbst der einfach- sten Zelle, liegt aber keine geringere Kluft als der Abgrund zwischen Leben und Tod. Lim Leben künstlich erzeugen zu können, müßten wir alle Stoffe der lebendigen Substanz vollkommen kennen. Wir müßten ihre relativen Mengeverhältnisse wissen. Wir müßten ihre gegen- seitige Anordnung im Zellkörper übersehen. Wären wir dann imstande, ein solches System bis in jedes Atom genau in einem einzigen Augenblick künst- lich zusammenzusetzen und unter die ihm ent- sprechenden Lebensbedingungen zu bringen, dann würde eine solche künstliche Zellform im gleichen Moment, wo alle Bedingungen realisiert sind, zu leben beginnen, denn Leben ist nur der Ausdruck für einen bestimmten Komplex von Bedingungen, und es ist da, sobald dieser Komplex von Be- dingungen da ist. So mußte auch einst auf der Erdoberfläche Leben mit unfehlbarer Notwendig- keit entstehen, als die Bedingungen sich im Laufe der Erdentwicklung zusammengefunden hatten, so, wie Wasser in tropfbar flüssiger Form einst entstand und entstehen m ußte, als die Bedingun- gen dafür auf dem Erdkörper vorhanden waren. Es wäre gewiß ungeheuer interessant, zu sehen, wie ein künstlich hergestellter Organismus weiter leben , sich fortpflanzen , seine Eigenschaften ver- erben würde, aber leider haben wir auf ein solch interessantes Schauspiel vorläufig auch nicht die geringste Aussicht. Der Gedanke an eine künst- liche Erzeugung von Leben, der in neuester Zelt wieder in den Zeitungen sein Wesen getrieben hat, ist vorläufig eine völlige Utopie, — aus dem einfachen Grunde, weil wir den Bedingungskom- plex irgend eines lebendigen Systems noch nicht einmal annähernd kennen. Und würden wir ihn einmal erkennen, so wäre es schließlich noch sehr die Frage, ob wir so bald auch die sämtlichen Lebens- bedingungen, die sich in der Vorfahrenentwicklung des betreffenden Organismus und sei es auch nur der einfachsten Zelle im Laufe ungezählter Milli- onen von Jahren nur ganz allmählich zusammen- gefunden und von Generation zu Generation durch Vererbung fortgepflanzt haben, ob wir diese Be- dingungen in ihrer eigenartigen Kombination so bald auch künstlich verwirklichen könnten. Aber das sind Spekulationen und man soll nicht prophezeien. Uns bleibt nichts weiter übrig, als geduldig fortzufahren in der Analyse der Be- dingungen des Lebens. Was das Gemenge von Stoßen in der Zelle erst als lebendig erscheinen läßt, ist die Summe der chemischen Umsetzungen, die sich an seinen Bestandteilen abspielen. Auch darin liegt an sich kein prinzipieller Unterschied gegenüber der leblosen, anorganischen Welt, denn auch dort fin- den in den mannigfaltigsten Systemen die kom- pliziertesten chemischen Vorgänge statt, nach den gleichen Gesetzen. Das Spezifische des Lebens besteht wiederum nur in der Kombination der chemischen Elementarvorgänge, die dem charakteristischen System entspricht, an dem sie sich abspielen. Dabei liegt ein wesentliches Moment darin, daß die spezifischen Verbindungen der Zelle an- dauernd umgesetzt werden und sich fortwährend wieder in gleichem Maße ergänzen. Die lebendige Substanz der Zelle zersetzt sich, solange sie lebt und bildet sich fortwährend neu. Die Zerfall- produkte verlassen die Zelle, das Material für den Wiederersatz tritt mit der Nahrung in die Zelle hinein. Das ist der Stoffwechsel der Zelle, die Grundtatsache alles Lebens. Es spielen sich also fortwährend Aufbau- und Abbauprozesse komplizierter Verbindungen wie der Eiweißverbin- dungen ab, deren Summe man als Assimilation und Dissimilation, als die beiden Phasen des Stoff- wechsels zu bezeichnen pflegt. Beide Phasen halten sich im Stoffwechselgleichgewicht. Diese letztere, wichtige Tatsache wird verständlich da- durch, daß die verschiedenartigen chemischen Teil- prozesse des gesamten Stoffwechselgetriebes auf das engste miteinander verkettet sind, so daß, wenn ein Glied sich ändert, auch die anderen Glieder der Kette entsprechende Änderungen er- fahren. Anlaß zu solchen Störungen des Stoffwechsel- gleichgewichts ist im Zelleben fortwährend ge- geben und zwar durch die Reize. Was ist ein Reiz? Man hat in der Physiologie seit alter Zeit mit dem Begriff des Reizes gear- beitet, man ist im organischen Leben überall auf 28o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. i8 Reizwirkungen gestoßen, man hat die Reize me- thodisch fast bei jeder physiologischen Unter- suchung verwendet, aber man hat sich wenig um eine klare Definition des Reizbegriffes bemüht. Ich glaube, man kann den Begriff des Reizes, wenn er allgemein gültig sein soll, nur in der Form fassen , daß man sagt : Reiz ist jede Veränderung in den äußeren Lebens- bedingungen. Eine solche muß auf einen ge- gebenen Zustand der lebendigen Substanz immer verändernd einwirken. Demnach gibt es sehr verschiedene Reize: chemische, osmotische, mecha- nische, thermische, photische, elektrische Reize, je nach der Art der Lebensbedingungen, und der Angriffspunkt dieser verschiedenen Reize kann an ganz verschiedenartigen Gliedern der Stoffwechselkette liegen, denn die verschiedenartig- sten chemischen Prozesse sind abhängig in ihrem Ablauf von der Einwirkung chemischer Stoffe, von ihrer Konzentration, vom Druck, von der Temperatur, vom Licht, von der Elektrizhät. Wo aber auch der Reiz angreifen mag, immer wird durch ihn der Ablauf der normalen Stoffwechsel- prozesse entweder beschleunigt oder verzögert, und je nachdem besteht die Reizwirkung in einer „Erregung" oder „Lähmung" der spezifischen Lebensäußerungen. Viele Reize, wie ein großer Teil der Impulse, die in unserm Körper vom Nervensystem her den einzelnen Zellen zugesandt werden, erregen plötzlich die Zellen zu starker Aktion. Andere Reize, wie die Naikotika, wirken stets lähmend. Hat aber irgend ein Reiz das Stoffwechselgleichgewicht in irgend einem leben- digen System gestört, so stellt sich dasselbe nach dem Aufhören des Reizes von selbst wieder her. Diese merkwürdige ,,Selbstst eu erung" des Stoffwechsels beobachten wir an aller lebendigen Substanz. Wenn ein Muskel durch VVillensimpulse zu starker Arbeit veranlaßt worden ist und an- dauernd eine bis zur Ermüdung und Erschöpfung führende Erregung seiner dissimilatorischen Stoff- wechselphase erfahren hat, so erholt er sich nach dem Aufhören der Impulse von selbst und ist nach einiger Zeit wieder in demselben Zustande der Leistungsfähigkeit wie vor der Arbeit. Sämt- liche verbrauchte Substanz ist wieder restituiert worden. Man könnte denken, daß diese Selbst- steuerung des Stoffwechselgleichgewichts eine be- sondere Eigentümlichkeit der lebendigen Substanz sei. Aber wiederum finden wir hier Analoga in der leblosen Welt bei den Tatsachen der che- mischen Gleicligewichtszustände, die in neuerer Zeit besonders von der physikalischen Chemie eingehend studiert worden sind. Wenn wir in einem derartigen Fall zwei chemische Stoffe haben in dem Mengenverhältnis, in dem sie sich zu ihrem Reaktionsprodukt verbinden, und wir bringen sie zur Reaktion miteinander zusammen, so bleibt doch stets eine bestimmte Menge von beiden un- verbunden übrig derart, daß ein ganz bestimmtes Massenverhältnis zwischen Reaktionsprodukt und den beiden noch freien Konstituenten besteht. Nehmen wir aber, nachdem dieser Gleichgewichts- zustand erreicht ist, einen Teil des Reaktionspro- duktes aus dem Gemisch heraus, so verbindet sich ein entsprechender Teil der bisher noch freien Konstituenten miteinander zu einer neuen Menge des Reaktionsproduktes, so daß das alte Massen- verhältnis, wenn auch mit absolut geringeren Mengen, wieder hergestellt ist. Das Umgekehrte ist der Fall, wenn der Reaktionssumme eine neue Menge des fertigen Reaktionsproduktes hinzuge- fügt wird. Dann zerfällt soviel vom Reaktions- produkt in seine Konstituenten, daß wiederum von neuem das Gleichgewicht der Massen ent- steht. Wir haben also in dem Abhängigkeits- verhältnis der einzelnen Glieder der Stoffwechsel- kette voneinander, wie es in der Selbststeuerung des Stoffwechsels zum Ausdruck kommt, nur einen speziellen Fall des Massenwirkungsgesetzes , der chemischen Gleichgewichtszustände. Wird durch einen Reiz ein größerer Teil der lebendigen Sub- stanz zum Zerfall gebracht und werden die Zer- fallsprodukte von der Zelle ausgeschieden, so wird das alte Massengleichgewicht auf Grund des ge- nannten Gesetzes sofort wieder hergestellt. Indessen trotz aller Selbststeuerung vollzieht sich in jeder Zelle doch ganz allmählich und lang- sam , aber unaufhaltbar eine zunehmende Ver- änderung. Die Zelle entwickelt sich. Mag dieser Prozeß zunächst nur im Wachstum , mag er im Auftreten neuer Stoffwechselglieder bestehen, die Zelle ist niemals zu verschiedenen Zeiten voll- kommen das gleiche System, weil kein gegebener Zustand der Zelle derartig ist, daß er sich dauernd erhalten könnte. Er bedingt einen anderen Zu- stand des Stoffwechsels, so wie er selbst aus einem anderen Zustande hervorging. Es ist eine allgemeine Eigentümlichkeit eines jeden lebendigen Systems , daß es sich dauernd verändern m u ß. Sein Lebensgetriebe wird nie stationär. Das ist die Entwicklung. Werden im Laufe der Ent- wicklung die Störungen so groß, daß ein harmo- nisches Zusammenwirken der Teile nicht mehr möglich ist, so tritt entweder einer der vielen Regulationsprozesse ein, der einen früheren Zu- stand der Zelle wieder herstellt, oder die Zelle entwickelt sich tot. Der Tod ist nichts anderes als ein Endglied der langen Entwicklungsreihe von Veränderungen im Stoffwechselgetriebe der Zelle. Im ersteren Falle dagegen , wie er z. B. bei einzelligen Organismen im Wachstum ver- wirklicht ist, wächst die Zelle, bis der Stoffwechsel durch das wachsende Mißverhältnis zwischen Ober- fläche und Masse des Zellkörpers einen unhalt- baren Zustand erreicht hat und fällt dann in zwei Hälften auseinander, die wieder ihr Leben von vorn beginnen. Die Einzelligen sind also, wie W e i s m a n n es ausdrückt , in gewissem Sinne unsterblich. Das sind die allgemeinen Tatsachen. Machen wir uns nach alledem ein anschauliches Bild von dem Leben in der Zelle, soweit es bisher im Um- riß zu erkennen ist, so können wir uns die Zelle N. F. VI. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 281 als eine chemische Fabrik von mikroskopischen Dimensionen vorstellen, in der nach chemischen Gesetzen ganz bestimmte Rohmaterialien, die Nah- rungsstoffc, in immer gleicher Weise zu ganz be- stimmten Produkten, den Ausfuhrstofifen, verarbeitet werden. Wie jede chemische Fabrik, so hat auch jede Zelle ihre besondere Spezialität. In der einen wird Galle, in der anderen Speichel, in der dritten Pepsin produziert usf. In der Pflanzenzelle ist der Prozeß weitläufiger. Hier müssen erst aus dem allereinfachsten Roh- material , das in Form von Kohlensäure , Wasser und Salzen von außen her eingeführt wird, die Stoffe, wie Kohlehydrate, Fette, Eiweißkörper auf- gebaut werden, aus deren Umsatz die Endprodukte entstehen. Die tierische Zelle hat das ein- facher, sie erhält das Ausgangsmaterial gleich in nahezu fertiger Form, in der es die Pflanze her- gestellt hat, als Eiweiß, Kohlehydrat und Fett und verbrennt es auf dem Wege über mannigfaltige Zwischenprozesse mit dem aus der Luft aufge- nommenen Sauerstoff zu ihren spezifischen Pro- dukten wie Kohlensäure, Wasser, Schwefelsäure, Ammoniak und anderem mehr. Aber wie in keiner chemischen Fabrik der Betrieb für alle Zeiten der- selbe bleibt, sondern immer neuen Ansprüchen angepaßt werden muß, so ändert er sich auch in der Zelle mehr und mehr, bis er schließlich über- haupt nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Es fehlen uns nun freilich in diesem Bilde die feineren Einzelheiten und es ist nicht zu leugnen, daß die Zeit ganz unabsehbar ist, in der man einst das letzte Glied der Stoffwechselkette einer ge- gebenen Zellform erkannt haben wird. Aber unsere Erfahrungen zeigen uns doch nichts, was über ein mechanisches Verständnis des Geschehens in der Zelle hinausgeht. Es ist daher durchaus nicht so erstaunlich, wenn es bereits gelungen ist, ein- zelne Glieder des Lebensprozesses mit rein mecha- nischen Mitteln künstlich an leblosen Objekten nachzuahmen. In der Tat ist es möglich gewesen, für das Prinzip des Stoffwechsels, für die Bewegungen der lebendigen Substanz, für die Wirkungen der Reize, für die Erscheinungen der Ermüdung und vieles andere Analoga an leblosen Systemen herzustellen. Selbst speziellere und als spezifische Äußerungen des Lebens angesprochene Vorgänge sind vielfach künstlich nachgeahmt worden. So hat B red ig für die lähmenden Wirkungen der Gifte weitgehende Analogien bei ganz einfachen chemischen Pro- zessen aufzeigen können. So hat Rhumbler die Vorgänge der Nahrungsaufnahme, Verdauung und Exkretion der Zelle, ferner die merkwürdigen Er- scheinungen der Chemotaxis und des Skelettbaues an leblosen Chloroform- und Öltropfen nachgeahmt, so hat neuerdings Lehmann flüssige Kristalle herstellen können, die nicht nur wie die lebendige Substanz durch Intussuszeption von Stoffen aus dem umgebenden Medium her wachsen, sondern sich auch durch Teilung fortpflanzen und verloren gegangene Teile wieder regenerieren wie die leben- dige Zelle. Indessen wir dürfen nicht in den F"ehler ver- fallen, diesen Experimenten eine andere Bedeutung zuzumessen als sie wirklich besitzen. Wenn uns die flüssigen Kristalle von Lehmann einige Mo- mente zeigen, die wir von Kristallen bisher nicht kannten, die wir dagegen als allgemeine Lebens- äußerungen in der Welt der Organismen überall verbreitet gefunden haben, so dürfen wir deshalb doch noch nicht sagen, daß wir nunmehr einen Übergang zwischen lebloser und lebendiger Welt nachgewiesen hätten und daß die Grenze zwischen beiden damit gefallen sei. Das hieße die Tat- sachen gründlich verkennen und würde nur ge- eignet sein, den Fernerstehenden durchaus irre- zuführen. Alle diese künstlichen Nachahmungen von Lebensäußerungen sind nichts weiter als Analogien zu einzelnen Teilprozessen des ge- samten Lebens Vorganges. Aber selbst wenn wir einzelne dieser Teilprozesse für sich isoliert mit leblosem Material vollkommen nachahmen könnten, so wären wir doch weit davon entfernt, damit lebendige oder auch nur halblebendige Körper hergestellt zu haben. Das Charakteristikum des Lebens liegt ja nicht darin, daß der lebendige Körper den einen oder den anderen einzelnen Lebensprozeß zeigt, sondern das wesentliche Mo- ment liegt eben immer und nur in der spezifi- schen Kombination aller einzelnen Vor- gänge. Das eigenartige Spiel von Stoff- oder Energie- oder Form Veränderungen in seiner Gesamt- heit, das ist das charakteristische Wesen des Lebens. Auf der anderen Seite liefern uns aber alle diese sich immer mehrenden Analogien für ein- zelne Teilprozesse des Lebens an leblosen Systemen eine äußerst wertvolle Probe darauf daß die be- treffenden Lebensvorgänge den Rahmen mecha- nischen Geschehens nicht überschreiten. Und dieses Ergebnis vervollständigt sich mit jedem neuen Erfolg auf diesem Gebiete. Jedenfalls kennen wir keine einzige Tatsache im ganzen Getriebe des Lebens, die uns zwänge, auf ein mechanisches Ver- ständnis zu verzichten , und so haben wir auch durchaus die Berechtigung, das P'ehlende in seinen wesentlichen Zügen ebenfalls in mechanischem Sinne, wenn auch vorläufig nur hypothetisch, zu ergänzen. In der Tat sind Hypothesen in dieser Richtung aufgestellt worden, die sich als provi- sorische Arbeitshypothesen außerordentlich frucht- bar erwiesen und zur Auffindung zahlloser neuer Tatsachen geführt haben. Greifen wir also einmal voraus und stellen wir uns vor, wir hätten die Analyse bereits bis zum Ende ausgeführt. Dann läge das Lebensgetriebe der Zelle vor unseren Augen so klar, daß wir das Schicksal eines jeden Atoms, das in die Zelle eintritt, auf seinem Wege verfolgen könnten, wie es sich verbindet, wie es sich lostrennt, wie es gestoßen, wie es gezogen wird durch die Zelle hindurch, bis da, wo es wieder die Zelle verläßt. 282 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. i8 Wir würden einsehen, daß unter den gegebenen Bedingungen das Schicksal jedes Atoms sich nach chemischphysikalischen Gesetzen geradeso ge- stalten muß. Wir würden auch die energe- tischen Leistungen der Zelle verstehen, denn mit jedem chemischen Prozeß ist ein Energieumsatz gegeben, oder besser jeder chemische Prozeß ist selbst ein Energieumsatz. Wir würden ferner die Formbildung der Zelle begreifen, die sich aus dem gesetzmäßigen Bewegungsstrom der Atome und Moleküle ergibt wie die Form der Gasflamme aus dem Strome der Gas- oder wie die Form des Springbrunnens aus der Bewegung der Wasser- teilchen. Stoß-, Energie- und Formwechselerschei- nungen sind ja in Wirklichkeit ein und dasselbe. Schließlich würden wir auch klar vor unseren Augen sehen, wie das Leben der zahllosen Zellen sich kombiniert zu dem Getriebe des Millionen- staates der Zellen des menschlichen Körpers, wie in den Ganglienzellen des Gehirns von den Sinnes- zellen her Impulse eintreffen, wie diese Impulse verarbeitet werden, wie sie in neuer Form und Intensität dem Funken auf der Zündschnur gleich auf den Nervenbahnen dahinlaufen zu den Zellen des Herzens, der Muskeln, der Drüsen, wie sie in diesen das Stoffgetriebe bald heftig aufflammen lassen, bald wiederum hemmen und wie sich das Leben gesetzmäßig abspielt. Das alles würden wir sehen und wir würden verstehen, wie es unter dem hier oder dort herrschenden Bedingungs- komplex nach mechanischen Gesetzen gerade so ablaufen muß und nicht anders ablaufen kann. Ja, wir könnten diese Fiktion noch um einen Grad anschaulicher gestalten, indem wir uns die che- mische Fabrik der mikroskopischen Zelle vergrößert dächten zu den Dimensionen einer wirklichen che- mischen Fabrik, so daß wir zwischen den Atomen umherwandern könnten wie zwischen dem Räder- und Walzengetriebe eines riesigen Maschinenhauses. Dann könnten wir mit voller Klarheit das ganze Getriebe des Lebens verfolgen und uns von der Gesetzmäßigkeit seines Ablaufs im einzelnen wie im ganzen direkt überzeugen. Nur in einem Punkte wäre vielleicht mancher enttäuscht, denn die zweifelnde Frage erschiene auf seinen Lippen : Und das Bewußtsein? Ich knüpfe hier an eine Betrachtung an, die in ähnlicher Form bereits Leibnitz angestellt und die Du Bois-Reymond in seiner bekannten Rede über die sieben Welträtsel von neuem hervor- geholt hat. Du Bois-Reymond malt uns aus, wie wir bei einer solchen, wie er sich ausdrückt, ,, astronomi- schen Kenntnis" der Vorgänge im Gehirn die zu einem Rechenexempel gewordene Hirnmechanik sich absjjielen sähen wie die Mechanik einer Rechen- maschine, und er fügt hinzu ,,es wäre grenzenlos interessant, wenn wir .... wüßten, welcher Tanz von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauer- stoff, Phosphor- und anderen Atomen der Selig- keit musikalischen Empfindens, welcher Wirbel solcher Atome dem Gipfel sinnlichen Genießens, welcher Molekularsturm dem wütenden Schmerz beim Mißhandeln des N. trigeminus entspricht .... Was aber die geistigen Vorgänge selber betrifft, so zeigt sich, daß sie bei astronomischer Kenntnis des Seelenorgans uns ganz ebenso unbegreiflich wären, wie jetzt." Du Bois-Reymond verzichtet daher mit seinem „Ign orabim u s" für immer auf eine Erklärung derselben und findet hier eine unüberschreitbare Grenze für unsere Erkenntnis. Ist dieser Standpunkt begründet ? Wie wäre es, wenn die Prämissen schon falsch wären ? Man analysiert mühsam die ganze Mechanik des Ge- schehens in den Ganglienzellen der Großhirnrinde mit der Hoffnung, dort die bewußte Empfindung, die Vorstellung, die Gedankenfolge in ihrem Sitz zu entdecken und man ist enttäuscht, wenn nach Beendi- gung der Analyse doch nichts davon zu beobachten ist. War denn die ganze Hoffnung berechtigt r Durfte man denn erwarten, außer den mechanischen Vor- gängen noch einen Bewußtseinsakt in der Ganglienzelle zu sehen? Mir scheint, hier liegt eine falsche Voraussetzung vor. Wir sind seit der Konzeption der Seelenidee von den Urvölkern her gewöhnt, uns die Seele wie einen Mieter im Körper wohnend zu denken. Wir sprechen von einem „Sitz" der Seele im Großhirn. Wir verknüpfen damit die Vorstellung einer Dualität des mensch- lichen Wesens, einer körperlichen und einer geistigen Seite, und mit der Lehre vom „psych o- physi- schen Parallelismus", die behauptet, erfah- rungsgemäß ein untrennbares Parallelgehen von psychischen Vorgängen mit bestimmten körper- lichen Prozessen in der Großhirnrinde festgestellt zu haben, erteilt noch zum Überfluß die Wissen- schaft dieser naiven Idee des primitiven Urmenschen ihren Segen. Ich behaupte: die Annahme zweier Reihen von Vorgängen, einer körperlichen und einer geistigen Reihe ist ein Irrtum. Hier liegt die falsche Voraussetzung, aus der alle Wider- sprüche und Schwierigkeiten hervorquellen, aus der die zahllosen vergeblichen Lösungsversuche des angeblichen Dualismus entsprungen sind. In Wirklichkeit existiert überhaupt nur eine ein- zige Reihe von Vorgängen, mag man sie nun körperliche oder geistige Vorgänge nennen, denn in diesem Falle haben Worte wie „Körper" und „Geist", wie „Leib" und „Seele" ihre alte Bedeutung verloren. Entweder ist alles Geist oder alles Körper. Es war lediglich der Gedanke einer „Ursache" der Lebensäußerungen, der in der Urzeit die Seelenidee und damit die dualistische Spaltung des menschlichen Wesens gebar, und es liegt eine seltsame Ironie darin, daß man die Fiktion, die einst die Lebensvorgänge erklären sollte, jetzt glaubt durch die Analyse der Lebensvorgänge selbst erst erklären zu müssen, ein Unternehmen, an dem der Materialismus so glänzend gescheitert ist. Man quält sich hier mit einem Problem, das gar nicht existiert. Die Welt, das menschliche Wesen ist in Wirklichkeit von einheitlicher Art. Der Fehler, aus dem alle Irrtümer entspringen, liegt in der dualen Spaltung der Wirklichkeit, deren N. F. VI. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 283 Idee uns die graue Vorzeit erblich überliefert hat. Statt dieser naiven Konzeption blindlings zu folgen, kann eine wissenschaftliche Analyse der Bewußtseinsvorgänge nur dieselben Prinzipien verwenden, die wir vorhin für alle wissenschaft- liche Forschung in Anspruch nehmen mußten. Ihre Aufgabe kann nur allein darin bestehen, sämt- liche Bedingungen festzustellen, unter denen Empfindungen, Vorstellungen, Gedanken, Gefühle und VVillensakte zustande kommen. Sind diese Bedingungen sämtlich ermittelt, so ist der Be- wußtseinsvorgang erklärt. Er ist nichts anderes als dieser Bedingungskomplex selbst. Die Worte „Empfindung", „Vorstellung", „Gedanke" und andere mehr sind ja nur kurze Ausdrücke für bestimmte Komplexe von Bedingungen , so wie die Worte „Leben", „Wärme", „Elektrizität" auch ganz spezifische Bedingungskomplexe be- zeichnen. Was die Begründer der Lehre vom sogenannten „psycho - physischen Parallelismus" wirklich festgestellt haben, das ist ebenfalls nur die Tatsache, daß Bewußtseinsvorgänge unter an- derm bedingt sind durch bestimmte physiologi- sche Vorgänge im Gehirn. Nur dieses Ab- hängigkeitsverhältnis ist eine tatsächliche Erfahrung, nicht der sogenannte Parallelismus von zwei Reihen von Prozessen, von körperlichen und geistigen Vorgängen. Könnten wir daher, unserer Fiktion gemäß, das ganze Geschehen in den Zellen des Gehirns bis in jede Atombewegung hinein überblicken und wären uns zugleich alle außerhalb des Gehirns gelegenen Faktoren des gesamten Bedingungskom- plexes bekannt, so verständen wir auch, wie Be- wußtsein entsteht. Es liegt nur an seinem dualistischen Ausgangs- punkte, wenn Du Bois-Reymond an dieser Er- kenntnis vorbeigegangen ist. Du Bois-Reymond stellt folgende Betrachtung an. Stellen wir uns vor, daß durch mechanische Kunst mit einem Schlage alle Atome, aus denen Caesar bestand, als er den Rubikon überschritt, jedes an seinen Ort gebracht und mit seiner Geschwindigkeit im richtigen Sinne versehen sei, so wäre Caesar nicht bloß körperlich, sondern auch geistig wieder her- gestellt. „Der künstliche Caesar hätte dieselben Empfindungen, Strebungen, Vorstellungen wie sein Vorbild am Rubikon". Aber, so fährt Du Bois- Reymond fort, der Verfertiger dieses künstlichen Caesar's würde gleichwohl selbst nicht verstehen, wie die von ihm angeordneten Atome „die Seelen- tätigkeit seines Kunstwerks vermitteln". Dieser letzte Gedanke des großen Physiologen legt die Vermutung nahe, daß er im Grunde doch etwas enttäuscht darüber war, daß man die „Seele" nicht in den Gehirnzellen wahrnehmen kann, denn die- ser Gedanke Du Bois-Reymond's zeigt, daß sein Urheber die Seele noch neben dem Körper bestehen ließ, daß er unbesehen den naiven Dua- lismus von beiden als gegeben hinnahm. In der Tat, hier liegt der Punkt, und zwar der einzige Punkt, der noch heute die meisten bestimmt, an dem alten Dualismus von Leib und Seele festzuhalten. Man sagt sich, es besteht eben doch ein fundamentaler Unterschied zwischen bei- den. Die körperlichen Vorgänge sind sämtlich sinnlich wahrnehmbar, die geistigen Vorgänge nicht. Man macht sich aber nicht klar, daß es schlechterdings widersinnig wäre, wenn man versuchen wollte, die Empfindungen und Gedanken eines Anderen als eigene Emp- findungen der gleichen Art in dessen Gehirn wahrzunehmen. Diese Empfindungen und Ge- danken sind ja nur da, wo der betreffende Be- dingungskomplex realisiert ist. Das ist wohl der Fall bei dem Menschen, bei dem gerade die be- treffende Empfindung vorhanden ist, etwa die Empfindung einer Blume die er gerade ansieht, aber doch nicht bei mir, wenn ich sein Gehirn in dem Augenblicke ansehe. Wenn ich das letztere tue, so besteht ja bei mir ein ganz anderer Be- dingungskomplex als bei ihm, während er die Blume ansieht, und dementsprechend habe ich auch eine ganz andere Empfindung als er, nämlich die seines Gehirns. Stelle ich dagegen bei mir den gleichen Komplex von Bedingungen her wie er bei ihm besteht, indem ich dieselbe Blume be- trachte, so entsteht auch bei mir dieselbe Emp- findung. Man hat also im Grunde nur einen ein- zigen kleinen Fehler gemacht, wenn man versucht hat, die Empfindungen eines Anderen in seinem Gehirn zu sehen : Man hat nur „Mein" und „Dein" nicht unterschieden. Nur wo gleiche Bedingun- gen sind, da sind auch gleiche Empfindungen. Unsere ganze Aufgabe bei der Erforschung der Empfindungs-, Vorstellungs- , Gedankenmechanik besteht wie überall bei der wissenschaftlichen For- schung nur in der Ermittlung ihrer gesamten Be- dingungen. Das ist und bleibt der Weis- heit letzter Schluß. (iewöhnen wir uns doch daran, in der Welt nicht nach „Ursachen" der Vorgänge zu suchen, gewöhnen wir uns, die Bedingungen der Vor- gänge zu analysieren. Ist doch die Welt ein großer Komplex, in dem selbst das kleinste Glied eindeutig bestimmt ist. Die leblosen Dinge und die lebendige Welt, der Mensch mit seinem Dichten und Trachten und des Menschen Kultur mit ihren Idealen, die er sich selbst in gewaltiger Arbeit erschuf, sie alle sind nichts als der Ausdruck be- stimmter Bedingungen, die sich ändern und die sich entwickeln nach einem Gesetz. „Nach ewigen, ehernen, Großen Gesetzen Müssen wir alle Unseres Daseins Kreise vollenden." 284 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. i8 Kleinere Mitteilungen. Die Brutpflege von Siphonostoma Floridae. Von E. VV. Gudger (John Hopkins-University). — Bei den Seepferdchen (Hippocampus) und bei den Seenadeln (Sygnathus, Nerophis) trägt bekanntlich das Männchen die Eier in einer eigentümlichen Bruttasche, welche an der Bauchseite liegt und von Hautfalten gebildet wird. Es ist aber bisher nicht bekannt, wie diese Eier in die Tasche des Männ- chens gelangen. Daher sind die Beobachtungen sehr interessant, welche E. W. Gudger an einem Sygnathiden, Siphonostoma Floridae, über die Begattung und Eiablage gemacht hat. (E. W. Gudger, The Breeding, habils and Segmentation of the eggs of the PipeFish, Siphonostoma Floridae ; Proceedings of the United States National Museum. Vol. XXIX. Washington 1905.) Zur Zeit der Eiübernahme seitens des Männ- chens vom Weibchen sieht man das Weibchen zunächst mit vorgestülptem Ovidukt umherschwim- men. Von Zeit zu Zeit entfallen dem Weibchen schon Eier, die aber zugrunde gehen. Der eigent- lichen Kopulation geht ein merkwürdiges „Liebes- spiel" voraus. Die Tiere schwimmen vertikal gestellt herum, wobei der Kopf stark nach vorn gebogen wird. In dieser Stellung schwimmen sie langsam aufeinander zu. Kurz vor der Eiüber- tragung zeigt sich das Männchen sehr erregt. Es wendet den Kopf und Oberkörper korkzieherartig (corkscrew) und streichelt mit der Schnauze den Leib des Weibchens. Dieses Spiel wiederholt sich mehrmals. Das Weibchen wird nun auch erregter, wenn auch nicht so stark als das Männchen. Dann um- schlingen sich die Tiere plötzlich, und die Eiüber- nahme erfolgt. Nach einigen Minuten ist dies ge- schehen, und die Tiere trennen sich wieder. Die Berührung, gleichsam Umarmung (embrace), ge- schieht in „S"-förmigen Schlingen (Fig. i a). Die Berührung geschieht an drei Körperstellen, an der Brust und Schulter, nahe am Schwanzende und an der Bruttasche resp. Geschlechtspapille des Weibchens. tasche zu bringen, und so Platz für neue Eier zu schaffen , führt das Männchen merkwürdige Be- wegungen aus. Es stellt sich nahezu senkrecht, stützt sich mit der Schwanzflosse und dem hinter- sten Teil des Körpers auf den Boden auf (Fig. i b). In dieser Stellung biegt es den Körper rückwärts, vorwärts und dreht ihn spiralig von oben nach unten. Diese Bewegungen wiederholt es solange, bis alle Eier an das Hinterende der Tasche ge- bracht sind. Daß diese Bewegungen wirklich dazu nötig sind, die Eier an das Hinterende der Tasche zu bringen, wies Gudger dadurch nach, daß er über die geöffnete Bruttasche frisch getöteter Tiere Karmin streute. Eine Flimmerbewegung ließ sich dadurch nicht nachweisen. Nach der Kopulation folgt eine Ruhepause. Das Männchen nimmt eine Stellung ein, wie sie Fig. I c wiedergibt. Die Pause dauert 5 — 10 Minuten. Hierauf beginnt das ganze Spiel von vorn. Gudger hat ein Paar beobachtet, das die erste Kopulation 9 Uhr 45 Minuten vollzog, die zweite schon 10 Uhr 5 Minuten. Ein anderes Paar vollzog die Kopula- tion viermal hintereinander und zwar 10 Uhr 15 Minuten, 10 Uhr 34 Minuten, 10 Uhr 39 Minuten und 1 1 Uhr 6 Minuten. Die Beobachtungen ge- schahen zur Nachtzeit im hellerleuchteten Aqua- rium. Ist die Eiabnahme mehrmals erfolgt, so zeigen sich beide Tiere ganz erschöpft und verhalten sich längere Zeit ruhig. Die Eier fand Gudger in Reihen in der Bruttasche angeordnet. Die Be- brütungszeit gibt er auf 10 Tage an. Albrecht Hase (Jena zool. Inst.). Das Weibchen stößt den Ovidukt in die vordere Öffnung der Bruttasche ein und entleert etwa 12 oder mehr Eier auf einmal, welche wahrscheinlich sofort befruchtet werden. Um nun die Eier an das Hinterende der Brut- Über zwei neue Purpurbakterien mit Schwebekörperchen berichtet H. Molisch in Heft XII der „Botan. Zeitung" 1906. — I. Rhodo- capsa suspensa nov. gen. u. spec. M. stellte fol- genden Kulturversuch an : Er übergoß Seegras, auf welches eine tote Krabbe gelegt war, mit Triester Meerwasser und stellte die Glaszylinder ans Fenster. Schon nach 14 Tagen bildeten sich pfirsichblutrote Belege, aus Chromati um bestehend, an Stelle dessen aber nach ca. 5 Monaten ein anderes Purpur- bakterium, die Rhodocapsa suspensa trat. Es sind dies Stäbchen- oder wurstförmige Zellen mit einer ziemlich dicken , homogenen Schleim- kapsel , die sich nur nach einer Richtung des Raumes teilen. Neben diesen mit Gallerthüllen versehenen, bewegungslosen Bakterien konnte M. in denselben Kulturen auch Formen antreffen, die der Rhodocapsa vollständig glichen, jedoch keine Kapsel besaßen, dafür aber sich lebhaft bewegten. M. hält die beiden Formen für zusammengehörend, ähnlich wie dies Winogradsky bei seiner Thiothece gelatinosa gefunden hat. Die leben- den Zellen von Rhodocapsa zeigen eine bisher bei Bakterien nicht beobachtete Erscheinung: in ihrem Innern finden sich eigentümliche, stark licht- brechende Körperchen von ganz unregelmäßiger Form, welche den bei Oscillarien beobachteten N. F. VI. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 285 sog. „Gasvakuolen" sehr ähnhch sind. Daß die letzteren nicht aus Gas bestehen können, zeigte M. bereits in einer früheren Arbeit (Botan. Zeitung ig03, p. 47) und schlägt daher für dieselben im Hinblick auf ihre wahrscheinliche P\inktion den Namen „Schvvebekörperchen" oder „Airosomen" vor. Sie sind von Schwefetkörnchen leicht zu unterscheiden, indem sie bei starkem Druck auf das Deckglas verschwinden, die Schwefelkörper- chen hingegen nicht. Charakteristisch sind auch folgende Experimente: Stößt man in eine Glas- eprouvette, die mit in Wasser schwebenden Bak- terien gefüllt ist, rasch einen Korkstöpsel, so sinken die Bakterien allmählich zu Boden. Bringt man Bakterien im Hängetropfen über eine feuchte Kammer, so verschwinden die Schvvebekörperchen; dasselbe geschieht in verdünnten Säuren und Al- kalien u. a. In einer gesättigten Rohrzuckerlösung bleiben sie hingegen monatelang erhalten und treten sehr scharf hervor. Mit dem Verschwinden dieser Körperchen geht auch immer die Schwebefähig- keit der Bakterien verloren, was unzweifelhaft auf einen Zusammenhang zwischen Airosomen und Schweben dieser Zellen hindeutet. M. fand Airo- somen außer bei den zwei neuen Purpurbakterien nur bei gewissen Cyanophyceen , hauptsächlich wasserblütebildenden. Es gelang ihm bereits früher, die Airosomen von Aphanizomenon flos aquae zu isolieren, indem er die Alge in 4 oder 10% Kalisalpeter liegen ließ, wo sie alsdann faulte. Die Tatsache, daß die nicht schwebenden oder nicht wasserblütebildenden Cyanophyceen , auch wenn sie mit wasserblütebildenden Formen nahe verwandt sind, keine Schwebekörperchen enthalten, sowie der mit dem Verschwinden der Schwebe- körperchen parallel gehende Verlust der Schwebe- fähigkeit scheint Molisch's Hypothese zu bestätigen. Daß das Schweben nicht an die Lebensprozesse dieser Organismen gebunden ist, beweist der oben genannte Druckversuch, an totem Material aus- geführt. Die oft monatelang in hohen Stand- gläsern schwebenden Purpurbakterien weisen im Gegensatz zu vielen anderen Bakterien dieselben Schwebekörper auf, wie die Phycochromaceen; es treten also diese Körperchen in zwei ganz ver- schiedenen Pflanzengruppen auf. Oft verlieren sie scheinbar ihre P'unktion, nämlich dann, wenn in den Rhodocapsazellen sich viele Schwefelkörnchen bilden, was bei Gegenwart von genügend HnS möglich ist. Die Zellen sinken alsdann zu Boden, weil die Schwebekörperchen das vermehrte Ge- wicht nicht mehr zu überwinden vermögen. II. Rhodothece pendens nov. gen. und spec. Molisch fand auf ähnlichem Wege noch eine zweite neue Purpurbakterie , der er den Namen Rhodothece pendens gab. Auch diese ist von einer Gallerthülle umgeben und durch das Vorhanden- sein von Airosomen ausgezeichnet. Die h'orm dieser Zellen ist rundlich, kokkenähnlich; häufig sind Diplokokken ; oft finden sich auch kurze Ketten von 3 — 5 Individuen. Diese Bakterie kann sich im Meerwasser monatelang schwebend erhalten. Stellt man aber an ihr das genannte Druckexperi- ment an, so verschwindet die Schwebefähigkeit alsobald, und die Bakteiien beginnen zu sinken. Die Rosafarbe der Bakterienhaufen ist auch hier, wie bei Rhodocapsa, auf Bakteriopurpurin zurück- zuführen. Eigenbewegung konnte bis jetzt bei dieser Form nicht nachgewiesen werden. — Molisch bringt seine zwei neuen Formen in eine VI. Unter- familie des Winogradsky - Migula' sehen Systems, die er Rhodocapsaceae nennt, und die dadurch charakterisiert ist, daß ihre Zellen frei, aber nicht zeitlebens schwärmfähig sind. Ed. Schmid. Zu der Mitteilung „Zur Theorie der inter- mittierenden Quellen" in dieser Zeitschrift N. F. V, Nr. 51, S. 813 möchte ich bemerken: Das von Herrn B. gewünschte Modell wird häufig von Photo- graphen als Wässerkasten für Platten benutzt und arbeitet nach meiner Erfahrung sehr gut. Vom Boden des Blechkastens, in dem die Platten in besonderen Trägern stehen, steigt nach außen eine Röhre auf und biegt sich in der Höhe des ge- wünschten höchsten Wasserstandes abwärts, um unter dem Kastenboden frei zu enden. Der Zu- fluß des Wassers geschieht durch einfaches Unter- stellen des Kastens unter den Wasserleitungshahn und es ist nur dafür zu sorgen, daß die zufließende Wassermenge kleiner ist als die, welche im gleichen Zeitraum durch den Heber abfließen kann. Eine untere Grenze für die Zuflußgeschwindigkeit ein- zuhalten ist nicht nötig. Ich stellte mir ein sehr einfaches Modell aus einem mäßig großen Glastrichter her, der von einem Dreifuß getragen wird. An die Trichter- röhre setzte ich einen hinreichend langen Gummi- schlauch an, den ich aufwärts führte und in passen- der Höhe wieder abwärts bog. So konnte ich z. B. bei einem Zufluß von Wasser von 1,7 ccm in der Sekunde und einem Lumen des Schlauches von etwa 7,5 mm Durchmesser ein sicheres Ar- beiten des Modells beobachten. Den Heber durch- flössen in der Sekunde ca. 38 ccm Wasser. Absichtlich war ein sehr starkwandiger Schlauch und an der oberen Biegung ein großer Krümmungs- radius gewählt, um nicht den von Herrn B. zuerst erwähnten Fall zu verhindern. Aber selbst wenn an der höchsten Stelle des umgekehrt U-förmigen Rohres das Lumen so weit ist, daß hier ein ein- faches Überfließen stattfinden könnte, so muß doch der Abflußkanal als „Heber" zu wirken beginnen, sobald sich an irgend einer Stelle des absteigenden Astes eine den ganzen Querschnitt ausfüllende Wassersäule gebildet hat von der Höhe, daß sie nicht mehr durch Adhäsion am Sinken gehindert wird. Daß dies aber sehr leicht eintreten kann, wird erklärlich, wenn man die Abbildungen, wie sie z. B. Haas, Quellenkunde i8g5, S. 82 und 83 und Günther, Geophysik, 2. Aufl. 1899, II, S. 803, oder besser Phys. Geographie 1891, S. 344 geben, als „schematische" Darstellungen betrachtet, wie es auch der eine Autor wünscht. Denkt man sich 286 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. i8 in diesen Zeichnungen — was doch wohl eine wahrscheinliche Annahme ist — an Stelle des ein- fachen Heberrohres einen ähnlich verlaufenden Zug anastomosierender Spalten, Klüfte und Hohlräum- chen, so können Oberflächenspannung und Kapil- laritätserscheinungen leicht zur Bildung der eben geforderten kleinen Wassersäule irgendwo im ab- steigenden Ast des Abflußkanals führen und so die Tätigkeit des „Hebers" einleiten. Auch Saug- wirkungen können unter Umständen dann zur voll- kommenen Füllung höchstgelegener Bahnen bei- tragen. Auch in dem Falle, daß der Querschnitt des Hebers bis auf eine Größe herabsinkt, die dem Querschnitt des bei gleichem Zufluß sonst aus dem Sammelbecken überfließenden Wassers gleich ist, muß noch ein Intermittieren stattfinden infolge der größeren Geschwindigkeit des den Heber durch- fließenden Wassers gegenüber dem einfach über- fließenden. Denn während beim gewöhnlichen Überfließen die Geschwindigkeit lediglich den Ver- hältnissen beim freien Fall entspricht, abgesehen von der Reibung an der Röhrenwand, durchfließt das Wasser den „Heber" unter einem Druck, wie ihn eine Wassersäule ausübt, deren Höhe gleich dem Höhenunterschied der Ausflußöffnung des Hebers und des jeweiligen Wasserspiegels im Sammelbecken ist. W. Spitz. Unterwasser -Schallsignale beginnen seit einiger Zeit, sich unter den Hilfsmitteln zur Siche- rung der Schiffahrt einen hervorragenden Platz zu erobern. Es wird unseren Lesern daher willkommen sein, über diesen technischen Fortschritt nach einem in den Annalen der Hydrographie (Jan. 1907) er- schienenen Aufsatz von Baurat Peck unterrichtet zu werden. Die gute Schalleitungsfähigkeit des Wassers ist zwar seit den im Jahre 1826 von Colladon und Sturm im Genfer See angestellten Versuchen be- kannt, aber gleichwohl hat man an eine Aus- nützung dieser Eigenschaft zu navigatorischen Zwecken erst seit wenigen Jahrzehnten gedacht, Die erste praktisch bereits brauchbare Methode der unterseeischen Signalgebung wurde im Jahre 1892 dem Kapitän Neale patentiert. Eine sehr wichtige Verbesserung stellt dann das 1902 von Mundy auf Grund der Versuche von Blake und Johnson eingeführte, sogenannte Tankprinzip dar, bei dem die Schallempfänger nicht außerhalb der Schiffswandung, sondern innerhalb derselben in besonderen VVasserbehältern (Tanks) angebracht werden. Zur ."Ausbeutung der einschlägigen Patente ') wurde in Boston die „Submarine Signal Company" gegründet, die unter der rührigen Leitung von Mr. Millet das Verfahren bereits in ausgedehntem Grade in die seemännische Praxis einzuführen ver- standen hat. ') D. R. P. Nr. 162600 und 173863. .Als Signalgeber benutzt die Subm. Signal Cy. meist an Bojen oder Feuerschiffen befestigte Glocken, die durch den Seegang oder durch Preßluft zum Tönen gebracht werden. Der Signalempfänger be- steht aus den an der inneren Schiflswand ange- brachten Aufnehmertanks, in welchen in Wasser eingebettete Mikrophone angebracht sind, die durch Drahtleitungen mit Telephonen in Verbindung stehen, deren Platz in der Regel die Kommando- brücke ist. Die Schallschwingungen durchsetzen also die Schififswand, werden von dem im Tank eingeschlossenen Wasser aufgenommen und von diesem auf das Mikrophon übertragen. An beiden Seiten des Schiffes befinden sich in einiger Entfernung vom Vorsteven und möglichst tief unter der Wasserlinie je ein Aufnehmertank. Die Telephone können nach Belieben mit dem einen oder anderen derselben verbunden werden, so daß der Hörende aus dem Unterschiede der beiden Ton.stärken über die Richtung, aus der der Schall kommt, einigen Aufschluß erhält. Natürlich gehört für den Anfänger einige Übung dazu, aus dem allgemeinen Summen und Sausen des Tele- phongeräusches die scharf und in bestimmter Zahl und Zeitfolge einsetzenden, in der Nähe hell und metallisch klingenden, an der Grenze der Hör- weite dagegen nur noch einem blechern klingen- den Uhrticken vergleichbaren Signale herauszu- hören. Als größte, praktisch zu verwertende Hörweite hat sich ganz unabhängig von Wind, Wetter und Seegang die beträchtliche Entfernung von 5 See- meilen ergeben, während ohne Empfangsapparat durch bloßes Horchen des etwa \'._, Fuß von der Bordwand unter der Wasserlinie gehaltenen Ohres die Unterwassersignale bis auf etwa i bis 2 See- meilen vernehmlich sind. Die Richtung des Signal- gebers läßt sich mittels der abwechselnden Ein- schaltung des an Backbord und Steuerbord be- findlichen Mikrophons etwa bis auf i oder 2 Strich genau ermitteln. Wichtig ist auch, daß eine Ver- wechslung benachbarter und durcheinander klingen- der Unterwasserglocken nach Versuchen in der Jade mit zwei nur 5 Seemeilen auseinander liegen- den Feuerschifien ausgeschlossen ist, wofern nur für eine genügende Charakteristik der Signale Sorge getragen wird. Wenn man bedenkt, in welchem Grade die Nützlichkeit der in Luft mit erheblich größerem Energieaufwand gegebenen Nebelsignale durch un- günstige atmosphärische Verhältnisse beeinträchtigt werden kaim, und daß außerdem die Reichweite von Überwassersignalen in der Regel weit hinter den unter Wasser mit Sicherheit zu überbrücken- den Entfernungen zurückbleibt, so muß man der Entwicklung des neuen Signalisierverfahrens eine große Bedeutung zusprechen. In richtiger Würdi- gung dieser Bedeutung ist denn auch Amerika bereits in ausgedehntem Maße mit der Ausnützung der neuen Erfindung vorangegangen. Binnen kurzem wird der regelmäßige Betrieb von Unterwasser- Schallsignalen zur Warnung der Schiffahrt bei N. F. VT. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 287 Nebel auf der ganzen Strecke der atlantischen Küste von Kap Hatteras bis Portland im Gange sein und an der pazifischen Küste wird man den- selben alsbald gleichfalls einrichten. Aber auch in deutschen Gewässern hat bereits eine ausgedehnte Erprobung stattgefunden und es ist anzunehmen, daß man auch bei uns sich dieses neue Hilfsmittel der Schiffahrt bald in angemessener Weise dienstbar machen wird. F. Kbr. Bücherbesprechungen. Dr. A. Seligo , Hydrobiologische Unter- suchungen. II. Die Abhängigkeit der Produk- tivität nordostdeutscher Seen von ihrer Sohlenform. III. Die häufigeren Planktonwesen nordostdeutscher Seen. Kommissionsverlag von L. Saunier in Dan- zig (ohne Jahreszahl und Preisangabe). Wohl 1907. Der früher (1890) erschienene I. Teil behandelt die Lebensverhältnisse in einigen westpreußischen Seen. S. nennt die oberste 5 m-Schicht der Seen die tro- phogene Region, weil in der Regel in über 5 m Tiefe überhaupt keine Ernährung der Algen und grünen Pflanzen mehr stattfindet, da in größerer Tiefe die Lichtintensität nicht ausreicht, jedoch hat die größere Tiefe Bedeutung für die Planktontiere , deren Mehr- zahl lichtscheu ist und kühlere Temperatur bevorzugt. Daher gedeihen sie nicht in flachen Gewässern. Die häufigen Plankton - Species nordostdeutscher Seen macht Verf. durch Vorführung von iio Arten, die alle abgebildet werden, bekannt, namentlich finden wir die zum Plankton zu rechnenden Crustaceen be- handelt , so daß das Heft eine gute Ergänzung zu Blochmann's „Mikroskopische Tierwelt des Süßwassers" darstellt. Keindorf, Die Zustandsgieichung der Dämpfe, Flüssigkeiten und Gase. 61 Seiten. Leipzig, Teubner, 1906. — Preis geh. 2 Mk. Der Verf hat rein empirisch, nicht von der kine- tischen Gastheorie aus, Zustandsgieichungen aufgestellt und zeigt an einem sehr reichen Beobachtungsmaterial, wie gut die Resultate, die die von ihm angegebenen Gleichungen liefern, mit den Beobachtungen überein- stimmen. A. S. Prof. Dr. M. Doehler, Unsere heutigen Lehr- mittel, besonders für die Naturwissenschaften. Kindermuseen, Schulmuseen und Schulgärten. Bei- lage zum Jahresbericht des Realprogymnasium i. F. zu Lankwitz, Ostern 1907. 41 Seiten. Im Buch- handel erschienen bei Quelle und Meyer, Leipzig. — Preis 80 Pf. Nach einem kurzen Überblick über die große Mannigfaltigkeit der dem heutigen Schulunterricht zur Verfügung stehenden, naturwissenschaftlichen Lehr- mittel betont Verf die nicht unbeträchtlichen tech- nischen Schwierigkeiten, die der ausgiebigen Be- nutzung eines großen Teiles dieser Lehrmittel ent- gegenstehen. Diese nur recht unzureichende Aus- nutzung des im Besitze jeder Schule befindlichen Anschauungsmaterials hat im Verf den Wunsch ent- stehen lassen, den Schülern die freiwillige Besichtigung der Schulsammlung, die natürlich in möglichst instruk- tiver Weise daraufhin anzuordnen sein würde, an be- stimmten Tagen zu ermöglichen. Jede Schule würde so ohne Schwierigkeit in den Besitz eines lehrreichen Schulmuseums gelangen können, das ein kleines Ab- bild des vom Verf. ausführlich beschriebenen, vor- treft'lich geleiteten Brooklyner Kindermuseums zu werden streben müßte. Für größere Städte bliebe freilich außerdem auch die Gründung reicher ausge- statteter Kindermuseen nach dem Brooklyner Muster ein Gegenstand empfehlenswerten Wetteifers. Die Ausführungen des Verf, die sich am Schluß der Ab- handlung auch noch auf die botanischen Schulgärten beziehen , verdienen zweifellos tatkräftige Beachtung namentlich in den Kreisen der Schulleiter und der- jenigen Behörden , welche die nicht beträchtlichen Mittel zur Durchführung solcher Pläne bereitzustellen haben werden. Kbr. Briefkasten. Herrn E.W. in Budapest. — Woher leitet sich die Energie bei den Pflanzen her, aus welcher die gesamte Arbeitskraft derselben stammt? Zunächst müssen wir streng zwischen Kohlensäureassimi- lation und Atmung unterscheiden , zwei Lebensprozesse , die ganz unabhängig voneinander sich in der Pflanze abspielen. Nicht alle Pflanzen und auch nicht alle Teile einer Pflanze sind imstande, der Kohlensäure der Luft den Kohlenstoff zu entreißen. Nur die durch Chlorophyll grün gefärbten Organe sind zu dieser Tätigkeit befähigt, denn die Chlorophyllkörper sind die Laboratorien, in denen sich diese überaus wichtigen Prozesse ausschliefälich abspielen. Die Fähigkeit zu atmen dagegen besitzen alle Pflanzenorgane ausnahmslos sowohl bei Tage als bei Nacht. Aus diesen Kohlensloft'bildnern stammt der gesamte Kohlenstoff, der die organische Substanz aller Lebewesen, aller Pflanzen wie Tiere zusammensetzt. Kein Tier ist imstande , das wichtigste Element seiner Körpersub- stanz aus anorganischen Quellen zu gewinnen; es kann das- selbe nur in organischer Substanz aufnehmen , die in letzter Linie von Pflanzen erzeugt worden ist. Alle chlorophyllfreien Pflanzen, wie Pilze und Schmarotzergewächse, sind bei ihrer Ernährung auf fertig dargebotene organische Substanz ange- wiesen, die von den Chlorophyllkörpera höherer Pflanzen er- zeugt worden ist. In der Botanik hat man sich gewöhnt, das Wort ,,.-\ssimilation" speziell für die Kohlenstoffassimilation der Chlorophyllkörper zu gebrauchen, während im Tierreich unter ,, Assimilation" im weiteren Sinne alle Prozesse verstan- den werden, bei denen eine Umbildung von dargebotenen Nährstoffen in die Körpersubstanz stattfindet. Wie gesagt ist das Licht ein unbedingtes Erfordernis für die Kohlenstoff- assimilation der Chlorophyllkörper. Dieses liefert die Energie zur Kohlenstoffumsetzung, sowie die Wärmewellen die Energie zum Betrieb einer Dampfmaschine geben. Durch die bei der Assimilation geleistete Arbeit werden Kräfte geschafl'en, welche die Lebensvorgänge der Organismen unterhalten. Die durch die Kohlenstoffassimilation erhaltenen Endprodukte sind ein Kohlenhydrat, das entweder gelöst bleibt oder sich in den Chlorophyllkörpern als ,, primäre Stärke" ausscheidet. Die in den Chlorophyllkörpern gebildeten Assimalationsprodukte treten dann später in andere Organe über, wobei sie verschie- dene chemische Metamorphosen durchmachen, deren Gesamt- heit als ,, Stoffwechsel" bezeichnet wird. Dieser Stoffwechsel ist streng von der Assimilation zu unterscheiden. Das zweite Nebenprodukt, welches bei dem Assimilations- prozeß frei wird, ist reiner Sauerstoff; daraus folgt, daß die Kohlenstoffassimilation ein Deso.xydationsprozeß sein muß, der darin besteht, daß sauerstoffreichere Nährstoffverbindungen in sauerstoffärmere Pflanzensubstanz übergeführt werden und welcher notwendigerweise mit einer Sauerstoffabscheidung verbunden ist. Das Volumen des freiwerdenden Sauerstoffes ist ungefähr das gleiche wie das der zersetzten Kohlensäure. Der Vor- 288 Naturwissenschaftliche Wochenschrift N. F. VI. Nr. i8 gang läfit sich durch folgende chemische Gleichung darstellen : üCO, + 5H,,0 = C,iH,oCK + 12 O. Gleichzeitig wird bei dem Assiinilationsprozeß das Wasser gespalten und verbraucht. Unter der „spezifischen Assimila- tionsenergie" der Pflanzen versteht man das Vermögen , daß die eine Pflanze in der gleichen Zeit mehr, die andere weniger Kohlenhydrate unter sonst gleichen Umstünden bilden kann. Der Kohlenstoffassimilation sieht die Atmung gegenüber. Die Fähigkeit zu atmen kommt allen Pflanzenorganen zu. Die Pflanzen müssen wie die Tiere bestandig Sauerstoff aus der Atmosphäre aufnehmen und Kohlensäure abgeben; nur daß dieser Atmungsprozeß bei den Pflanzen weniger auffallend ist als bei den Tieren. Die Atmung stellt einen sehr intensiven O.xydationsprozeß dar, bei dem aus sauerst0 auftreten; damit ist sow'ohl der größte Energiegewinn erreicht als auch eine Anhäufung von schädlichen Atmungsprodukten vermieden. Wie gesagt leiten sich die bei der Veratmung organischer Kohlen- stoffverbindungen entbundenen Kräfte aus jenem Kraftvorrat her, welcher durch die Assimilation mit Hilfe des Sonnenlichtes in Gestalt chemischer Spannkräfte in Kohlenhydraten ge- speichert worden ist. .Aber nicht nur dient eine teilweise oder gänzliche Verbrennung von organischen Kohlenstoffverbindun- gen als Energiequelle, sondern auch chemische Umsetzungen können als solche angesehen werden. Während die meisten Pflanzen organische Substanz veratmen, haben sich niedere Pflanzen — die Bakterien — Energiequellen in anderen Um- setzungen geschaffen. So oxydieren die Schwefelbakterien den Schwefelwasserstoff zu Schwefel und diesen zu Schwefel- säure ; die Nitritbakterien bilden aus Ammoniak und Amiden salpetrige Säure, die Nitralbakterien hieraus Salpetersäure. Die Eisenbakterien verbrennen Eiseno.\ydulverbindungen zu Eisenoxyd. Die durch solche Vorgänge gewonnene Energie kann entweder direkt zum Betriebe und Unterhaltung der Lebensfunktiomn dienen oder sie kann wie bei den Nitro- bakterien zur Bildung geringer Mengen organischer Substanz führen. Als letzten Punkt möchte ich noch auf die bei der At- mung frei werdende Wärme kurz hinweisen. Die Verbindung des eingeatmeten Sauerstoffes mit dem Kohlenstoff der assi- milierten Substanz zu Kohlensäure und Wasser ist wie jede O.vydation mit Wärmeentwicklung verbunden. Daß sich die Pflanzen bei diesem Prozeß nicht merkbar erwärmen, rührt daher, daß die freiwerdende Wärmemenge gegenüber der übrigen Substanz, besonders des in den Geweben enthaltenen Wassers, meist zu gering ist. Jedenfalls steht soviel fest, daß die Atmung in den Pflanzen Wärme erzeugt, geradeso wie die Eigenwärme der Tiere durch Atmung entsteht. Dr. P. Beckmann. Herr Dr. A. C. O. in Arnhem bittet um Titel von Wer- ken, welche sämtliche Kulturgewächse der Welt systematisch behandeln. — Trotz aller Bemühungen und Nachforschungen ist es mir nicht ganz gelungen, auf die Frage eine exakte Antwort geben zu können , da F'ragesteller nicht den Zweck, den er im Auge hat, etwas genauer angibt. Als das beste und brauchbarste Werk ist wohl H. Semler, Die tropische Agrikultur in 4 Bänden, von dem eine 2. Auflage 1897 "' schienen ist, herausgegeben von Hindorf unter Mitarbeiter- schaft von O. Warburg und M. Busemann anzuführen. Wie der Titel besagt, enthält dieses Buch nur tropische Kulturgewächse. Nach einer botanischen Einleitung werden die Kulturangaben sowie die Ernte und ihre Erträge bei jedem Kulturgewächs angeführt. Sodann wären einige Arbeiten von Sadebeck zu nennen , die auch meist tropische Nutzpflanzen zum Gegenstande haben. 1) Die tropischen Nutzpflanzen Afrikas, ihre Anzucht und ihr eventl. Plantagenbetrieb. 2) Die wichtigsten Nutzpflanzen und ihre Erzeugnisse aus den deutschen Kolonien. Auch in dem ,,Diclionary of gardening" werden Sie etwas Diesbezügliches finden. Dieses Werk enthält alle Pflanzen, die entweder in Gärten oder auf Feldern kultiviert werden. Hieran anschließend möge das Buch betitelt: ,,Die Blumengärtnerei" von Voß-Vilmorin genannt werden. Ein kleines Buch, verfaßt von G. Giesenhagen, ,, Die Kulturgewächse" (Teub- ner, Leipzig) würde auch noch heranzuziehen sein. Dies wären die Werke, welche eine größere Anzahl von Kulturgewächsen behandeln ; demgegenüber steht eine Anzahl von Werken, die entweder erst im Erscheinen begriffen sind oder nur immer einige spezielle Kulturgewächse zum Gegen- stand der .Abhandlung haben. Da sind in erster Linie 2 Werke zu nennen, welche die tropischen Kulturgewächse behandeln. Sagot et Raoul: Cultures tropicales Bd. 1. Dy bowski: Cultures tropicales Bd. I. Dann wäre zu nennen : Paillieux et D. Bois: 200 Plantes comestibles. Über Kautschukpflanzen ist eine ungeheuere Literatur allein vorhanden; es sei hier nur das beste Werk erwähnt: H. Jumelle: Plantes ä caoutschuc et ä guttapercha. Speziell über Para-Kautschuk sei Wright: Para Rubber zitiert. Folgende Werke haben die Kultur und Verarbeitung der Baumwolle zum Gegenstande : The cotton plant, herausgegeben von dem U. S. Dep. of Agriculture. Le coton von J. Henry. Le coton von E. Jardin. Die Baumwolle von K. Kuhn. Über Zuckerrohr und seine Kultur handelt das Werk be- titelt ,,Canne ä Sucre" von L. Colson. Die ,,Fibre Plauts" von Dodge enthalten alle faser- liefernden Pflanzen. De Lanessan hat ein Werk über ,, Plantes utiles des colonies frangaises" geschrieben. Ein sämtliche Kulturpflanzen der Welt systematisch be- handelndes Werk existiert vor der Hand noch nicht. Sicher- lich glaube ich , daß ein solches Werk wohl erwünscht wäre und eine große Lücke in der technischen und Kolonial-Botanik ausfüllen würde. Dr. P. Beckmann. Inhalt: Max Verwom: Die Erforschung des Lebens. — Kleinere Mitteilungen: E. W. Gudger: Die Brutpflege von Siphonostoma Floridae. — H. Molisch: Über zwei neue Purpurbakterien mit Schwebekörperchen. — W. Spitz: Zur Theorie der intermittierenden Quellen. — Peck: Unterwasser-Schallsignale. — Bücherbesprechungen: Dr. A. Seligo: Hydrobiologische Untersuchungen. — Keindorf: Die Zuslandsgleichung der Dämpfe, Flüssigkeiten und Gase. — Prof. Dr. M. Doehler: Unsere heutigen Lehrmittel. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge VI. Band; der ganzen Reihe XXII. Band. Sonntaor, den 12. Mai 1907. Nr. 19. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen -_ und Postanstalten , wie bei der Expedition. Der *^ Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespallene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. [Nachdruck verboten.] Pilzzüchtende Borkenkäfer. Von Dr. Max Hagedorn in Hamburg. In der Familie der Borkenkäfer (Scolytidae) kann man je nach der Lebens- resp. Ernährungs- weise zwei große Gruppen unterscheiden: eigent- liche Borkenkäfer, welche zwischen Rinde und Splint des Baumes leben und brüten und sich von der Substanz des Baumes selbst nähren (bark- borers und bark-eaters der Amerikaner) und solche, welche tief ins Kernholz hinein ihre Gänge an- legen, in denen sie brüten. Diese verzehren nicht die Holzfaser selbst, sondern leben von Pilzen, welche sich in den Gängen befinden (Ambrosia Schmidberger's, daher von den Amerikanern ambrosia beetles, auch wood-borers oder timber- beetles genannt). Äußerlich sind die Arten beider Gruppen ungemein ähnlich: es sind kleine, ge- streckte Käfer von gedrungenem, walzenförmigem Körper, kurzen, starken Beinen und dunkler ¥är- bung in verschiedenen Schattierungen von braun bis schwarz. Doch gibt es charakteristische Unter- schiede zwischen ihnen, die besonders in den Freßwerkzeugen ausgesprochen sind. Die Mund- teile sind, was ja schon die verschiedene Konsi- stenz der Nahrung bedingt — die harte Holzfaser und die saftigen, weichen Pilzgebilde! — in den Teilen, welche zum Zerkleinern der Nahrung die- nen, sehr verschieden konstruiert. Während die Rindefresser Unterkiefer von respektabler Stärke, die mit 12 — 20 starken, zugespitzten Borstenzähnen besetzt sind, haben und mit diesen sehr zweck- mäßigen Instrumenten die härteste Rinde zerklei- nern können, tragen die viel schwächer gebauten gleichen Teile der Pilzfresser an Stelle der Zähne einen Wimpernkranz von 30 — 40 feinen, sichel- förmig gebogenen Haarborsten, der wohl aus- reichend ist, saftige, zarte Pilzfäden zu zerkleinern, aber viel zu schwach erscheint, um Rinde zu kauen, cf Fig. 1 2 A u. B. Wie in der Ausbildung der Mundteile, so sind auch in ihrer Lebensweise die Holz- bohrer von den Rindenbohrern verschieden, ob- wohl sie in der äußeren Gestalt sich so ähnlich sehen. Die Wohn- und Brutgänge der Rinden- bewohner sind oberflächlich zwischen Rinde und Splint gelegen, die der Holzbohrer gehen tief ins Holz hinein und sind in all ihren Verzweigungen von der gleichmäßigen Dicke, welche dem Um- fang des Mutterkäfers, der allein die Wohnung anfertigt, entspricht, und vollkommen frei von Bohrmehl und sonstigen Auswurfstoffen. Dagegen finden sich in ihren Gängen Pilz- rasen, welche an den Wänden haften und in deren Umgebung das Holz schwarz verfärbt erscheint, 290 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 19 als ob man diese Gänge mit einem glühenden Draht gebohrt hätte. Diese Verfärbung ist durchaus kennzeichnend für die Gangsysteme der Pilzzüchter resp. Holzbohrer: kein anderes holzbohrendes In- sekt zeigt die Schwarzfärbung seiner Gänge. Auch in bezug auf die Sorge für ihre Brut bieten einige hierher gehörige Borkenkäfer interessante Beson- derheiten dar, welche eng mit ihrer Pilzzucht zu- sammenhängen: sie entwickeln eine ausgebildete Brutpflege, wie wir sie wohl bei den staatenbilden- den Hymenopteren und Neuropteren, den Bienen, Ameisen und Termiten, kennen gelernt haben, wie sie aber bei diesen Käfern sehr überrascht. Von den hierher gehörigen Tieren legen die Gattungen Pla/ypus und Xylcborus Familienwoh- nungen an, in denen im nämlichen Räume Eier, Larven, Puppen, junge und alte Käfer bunt durch- einander gemeinsam leben , während bei den Gattungen Xyloteriis , Cort/iylus und Ptei'ocyclun eine wohlgeordnete Brutpflege eingerichtet ist : der Mutterkäfer nagt für jede Larve eine eigene Zelle, in welcher er diese mit dem von ihm ge- züchteten Pilze füttert. Über die Beschaffenheit der Nahrung dieser Tiere ist viel gestritten und vieles behauptet wor- den, was ungewiß und ungenügend beobachtet und bewiesen war. Schmidberger erwähnte 1836 bei der Beschreibung von Xyleborus dispar Fbr., daß dessen Nahrung ein aus dem Holze aus- schwitzender Saft sei, welcher von dem Mutter- käfer zu einer geronnenen, eiweißähnlichen Masse verarbeitet werde. Diese Substanz, welche er ,, Ambrosia" nannte, stelle die Nahrung der Larven sowie der Käfer dar. Eich ho ff, wie auch Ratze- burg und Alt um äußerten mehr oder weniger begründete Vermutungen über diese Ambrosia, der erstere kannte auch schon die in den Gängen wuchernden Pilzrasen, legte ihnen aber wenig Be- deutung bei. T h. Hart ig fand 1844 Pilze in den Gängen von Xy/eborus dispar Fbr. , welche er unter dem Namen Monilia Candida beschrieb, entdeckte ferner 1872, daß die nahen Verwandten Xylotcrus lineatus Oliv, und Xyloterus domesticus Linne , von denen der erstere nur in Nadelholz, der zweite nur in Laubholz lebt, auch verschie- dene Pilzarten in ihren Gängen beherbergen und R. Göthe gab 1895 eine gute Beschreibung und Abbildung des Pilzes von Xyleborus dispar Fbr. Dann hat sich H. G. Hubbard in Washington D. C. mit der Erforschung der nordamerikanischen ambrosia-beetles spezieller beschäftigt und in dem Bull. U. S. D e p a r t. o f A g r i c. d i v i s. o f e n - t o m o 1 o g. 1897 die Resultate seiner Beobach- tungen veröffentlicht , welche derartig viel des Neuen und Interessanten ergeben, daß es gewiß angebracht erscheinen darf darüber etwas ausführ- licher zu berichten. Hubbard findet als Hauptsätze der Pilzzüch- tung bei den Scolytiden heraus, daß die verschie- denen Borkenkäferarten auch verschiedene Pilz- arten züchten , daß höchstens einmal zwei sehr nahe verwandte Arten denselben Pilz besitzen und daß die Art des Pilzes nicht von dem Nährbaum abhängt, sondern lediglich ein Züchtungsobjekt der Käferart darstellt, d. h. daß der si>ezifische Nährpilz einer Borkenkäferart in jeder Käferwoh- nung gleich gut gedeiht, also nicht auf eine eigene Baumart angewiesen ist, so daß dann der Käfer ge- zwungen wäre, je nach der Art seines Brutbaumes verschiedene Pilze zu züchten, hier diesen, dort jenen. Vielmehr hat jede Käferart ihren spezifi- schen Pilz, den sie mitnimmt und überall da züchtet, wo sie für gut befindet ihre Wohnung aufzuschlagen, also in den verschiedensten Bäumen, sogar in Nadelhölzern ebenso wie in Laubhölzern, wenn der Käfer, wie z. B. Xyleborus saxeseni Ratz., omnivor ist und ebenso in Koniferen wie in Laubhölzern leben und brüten kann. Die Pilze lassen sich nach ihrer Gestalt und ihrem Wachstum in zwei Gruppen unterbringen : in solche mit aufrechtstehenden Fruchtträgern, die an ihrem Ende oder an denen ihrer Verzweigun- gen die Conidien in Gestalt kugelig geschwellter Zellen tragen, wie z. B. die Pilze von Xyleborus celsus Eichh. und Xyleborus saxeseni Ratz., zwei- tens in solche , welche Ketten von mehr oder weniger kugeligen Zellen bilden und in Haufen von unregelmäßiger Form zusammenliegen. Diese Form ist ausschließlich bei den Käfern gefunden worden, welche geordnete Brutpflege besitzen und demgemäß ihre Larven in getrennten Zellen oder Wiegen unterbringen, wie die Gattungen Xyloterus, Cortliylt/s, Pterocyclou, während die ersteren (Stäb- chen-jP"ormen der Pilze bei den Gattungen Xyle- borus und Piatypus vorkommen, welche gemein- schaftliche Familienwohnräume anlegen , aber kein so geordnetes Brutpflegewesen haben. Alle von den Borkenkäfern gezüchteten Pilze sind sehr saftig und zart, besonders die Conidien, die wie Tautropfen glänzen und durchsichtig sind. Die letzteren werden zur Zeit des besten Wachs- tums massenhaft produziert — entweder einzeln an den Enden der kurzen, aufrechten Stengel oder in traubenförmigen Klumpen zwischen eingefloch- tenen Mycelfäden. In einer solchen Zeit sehen die Wände der Freßgänge aus, als wären sie mit Rauhreif überzogen. Die jungen frischen Frucht- trägerspitzen mit den kugeligen Conidien bilden nun die Hauptnahrung der jungen Larven — sie rupfen sie ab, wie Kälber die Blütenköpfchen des Klees. Die alten Käfer fressen nicht so verschwende- risch : sie weiden den Pilzrasen bis zum Boden ab, von wo aus er wieder von neuem empor- sprießt. Dieses Verfahren kann passend mit den Vorgängen bei der Spargelzucht verglichen wer- den : solange der Spargel regelmäßig von Grund aus weggestochen wird, bleibt er zart und schmack- haft — schießt er aber erst ins Kraut, so ist es mit der Schmackhaftigkeit vorbei. Deshalb muß der Pilzrasen kurz gehalten werden, und ferner auch wegen der zu schnellen Reife der Sporen, die, nachdem die Conidien geplatzt sind, alles überstreuen und anfüllen, wenn sie im Übermaß produziert worden sind, und eine Erstickungsgefahr N. F. VI. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 291 für die Bewohner schaften. Derartige Erschei- Die I'ilze nun wachsen nicht zufällig oder aus nungen treten besonders dann auf, wenn eine Gelegenheitsursachen in den Wohnungen der Familie aus irgend welchen Gründen so geschwächt Käfer — vielmehr ist ihre Aussaat, ihr Wachstum, ist, daß sie 'nicht fähig ist, das Wachstum der ihre Reife ganz der Aufsicht des Mutterkäfers Pilze in Schranken zu halten, so daß Überproduk- unterworfen. Dieser pflanzt die Mycelfäden auf Xyhbonis saxeseiü Ratz. Fig. I 9. Fig. 2 c/'. Fig. 3 Fraßbild mit (a u. b) Totenl^ammcrn. F'ig. 4 u. 5 Pilzrasen und einzelnes Stämmchen. Pterocyclon fasciatum Say. Fig. 6 Fraßbild mit (a) Larvenwiegen. Fig. 7 Pilzwucherung Fig. 8 Käfer. tion Statthat ; dann ersticken die Tiere, nachdem sie in ihrer Angst und Bestürzung die ganzen Piizkulturen zu einer schlammigen Masse zerstampft und dabei Eier und Larven zertreten haben, in dieser kleisterartigen Substanz. Xyloterua retusus Lee. Fig. 9 Käfer. Fig. 10 Fraßbild. Fig. II Pilz. Fig. 12 A. Unterkiefer von Xylehorus dispar Fbr. mit Wimpernkranz. Fig. 1 2 B. Unterkiefer von Ips ( Toniicus) typograplms Linne mit Zähnen. sorgfältig zubereitete Beete von Holzbohrmehl, bald in der Nähe des Eingangs, noch in der Nähe der Rinde, meistens aber am Ende von einem Gange im Holz, so daß die Ambrosia ge- wissermassen in eigenen Kammern gezogen wird. Bei anderen Arten wieder liegen die Pilzbeete in der Nähe der Larvenwiegen und hier wird auch der Kot der Larven vom Mutterkäfer nicht voll- ständig hinausgekehrt, sondern zum Teil zur Düngung und zur Aufhöhung der Pilzbeete be- nutzt. Doch nicht nur Dung allein müssen die Pilze haben — auch eine gewisse Feuchtigkeit ist für ihr Gedeihen sehr von nöten, daher gehen die Käfer niemals in ganz ausgetrocknete Bäume hinein, sondern nur in solche, die noch Saft haben, 292 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 19 besonders wenn der Saft nicht ganz frisch ist, sondern schon im Zustande einer gewissen Gärung sich befindet, wie es bei kränkelnden Bäumen leicht der F'all ist. Einzelne Filzzüchter indessen, wie die Cö/Z/r/?«- Arten , scheinen diese Gärung nicht zu bedürfen, sie fallen daher auch frohwüch- siges Holz an, andere allerdings, wie Xyleborus perforans Woll. können sogar alkoholische resp. weinige Gärungsprodukte vertragen und legen da- her ihre Brutgänge mitunter in den Dauben von Wein- und Bierfässern an, so daß sie hierdurch, wie der obengenannte in Ostindien als „tippling tommy" berüchtigte Käfer, großen Schaden durch Leckage verursachen können. Die geschilderten schwierigen, häufig unsicheren Verhältnisse der Futterproduktion bewirken nun, daß die Pilzzüchter im allgemeinen nur eine Ge- neration haben und nur unter sehr günstigen Umständen zu 2 — 3 Generationen im selben Baume leben können, bis das Ausbleiben der Feuchtigkeit im Holze sie zwingt, andere Brut- stätten aufzusuchen. Deckt man die Wohnungen der Pilzzüchter auf, so macht man ähnliche Beobachtungen, wie wenn man ein Bienenvolk stört: die erschreckten und verwirrten Bewohner suchen das Kostbarste, was sie besitzen, zu retten — die Bienen, indem sie ihren Honig, die Borkenkäfer, indem sie von ihren Pilzen schleunigst soviel als nur möglich verzehren. Das wäre so im allgemeinen und in großen Zügen ein Lebensbild des pilzezüchtenden Borken- käfers und seiner Pilze. Im besonderen sind noch bei einzelnen Arten gewisse interessante Eigen- tümlichkeiten zu bemerken, so bei Xyleborus saxeseni Ratz, bei Pterocyclon fasciahim Say und bei Xylotcrus retusus Lee. Xyleborus saxeseni Ratz, ist ein Käfer, der nicht selten auch bei uns vorkommt und der ein- zige seiner Gattung ist, der sowohl in allen Laub- hölzern wie auch in Nadelhölzern brütet. Er ist ein kleines, dunkelschwarzbraunes Tierchen von 2,5 mm Länge beim Weibchen. Das viel selte- nere Männchen ist nur 2 mm lang und hellgelb gefärbt cf. P^ig. i $ und Fig. 2 i. Seine Wohnung ist ein blattförmig flacher und ausgebreiteter Raum, der so hoch resp. so flach ist, daß der Mutterkäfer eben durchpassieren kann, und zu welchem ein ziemlich langer, zylindrischer Zugangskanal von der äußeren Rinde her führt. Diese blattförmige Wohnkammer, Kinderstube usw. steht senkrecht parallel zu den Fasern des Holzes. Es leben in ihr ohne jede Ordnung Eier, Larven, Puppen, junge Käfer und der Mutterkäfer, welcher meistens, wenn er nicht gerade sein Haus kehrt, den Eingang mit seinem Körper verlegt. Die Larven bewegen sich in dem gemeinsamen Räume nach .Art des Schornsteinfegers im Rauchfang, vorwärts und sogar aufwärts, indem sie sich zu- sammenkrümmen und wieder ausstrecken. Die Wohnkammer ist abgebildet in Fig. 3, wo zwei Zugangsröhren zu der Familienwohnung zu sehen sind, ein etwas ungewöhnliches Vorkommnis. Die ganze Oberfläche der Wände dieser Kammer ist mit Pilzwucherungen bedeckt, die aus kurzen, auf- rechten Stäbchen bestehen, welche an der Spitze die Conidien tragen cf Fig. 4. Der frisch ge- wachsene Pilz ist farblos wie Kristall, wird aber sehr bald grüngelblich verfärbt. Alle Stände leben ohne Ordnung in dem gemeinsamen Räume und ernähren sich von den Pilzrasen. Allerdings be- teiligen sich die Larven auch an der Vergrößerung des Familiengemachs, indem sie Holzteilchen ab- kneifen und diese verschlucken. Doch werden die Holzspäne nicht verdaut, bekommen aber beim Passieren des Darmkanals der Larven eine senf- gelbe Farbe. Große Mengen dieser Exkremente werden vom Mutterkäfer zur Eingangsöffnung her- ausgekehrt, nur ein verhältnismäßig kleiner Teil bleibt zurück, um zur Düngung der Pilzbeete Ver- wendung zu finden. In individuenreichen Familien kann man noch eine besonders interessante Ab- teilung der Wohnung bemerken: nämlich eine Totenkammer cf Flg. 3 a u. b. In a ist eine solche Begräbnisstätte zu sehen, in der die Über- reste von etwa einem Dutzend und mehr Larven und jungen Käfern zusammen mit den Trümmern eines Feindes der Kolonisten, eines Raubkäfers Colydiunt lineola Say gefunden wurden. Dieser Fund gibt Kenntnis von einem erbitterten Kampfe, der zwischen dem eindringenden Feinde und den Einwohnern stattgefunden und in dem die Pilz- esser Sieger blieben. In b ist ein kurzer Gang zu sehen, in welchem ein toter Mutterkäfer steckte, welcher sich sein eigenes Grab genagt und in dem- selben seinen herannahenden Tod erwartet zu haben scheint. Die Mündungen beider Grab- kammern sind von den Überlebenden verschlossen worden. So spielt sich das Leben der in Familienwoh- nungen lebenden Borkenkäfer ab — etwas anders bei denen, welche jeder Larve eine eigene Wiege bauen, wie z. B. bei Fig. 8 Pterocyclon fasciatuni Say, ein Käfer von 3 mm Länge, der in den Ver- einigten Staaten von Nordamerika in Eiche, Buche, Ahorn, Pappel, Hickory, Apfel- und Orangenbaum lebt und mit seinem Verwandten Pt. mali P^itch die gleichen Brutbäume bewohnt, dieselben Lebens- gewohnheiten hat und den nämlichen Pilz züchtet. Die Galerien, von dem reifen Mutterkäfer gebohrt, erstrecken sich tief ins Holz cf Fig. 6, teilen sich in mehrere Arme, welche in derselben Horizontal- ebene verlaufen. In den Wänden dieser Gänge höhlt der Mutterkäfer runde Eiergruben aus, die an entgegengesetzten Stellen der Röhre und zwar nicht rechts oder links, sondern oben und unten gelegen sind. In jede Nische wird ein Ei gelegt, dieses mit Holzteilchen und Pilzfäden sorgfältig verpackt, welche von dem nächstgelegenen Pilz- beet entnommen sind, auf dem die Pilze gut zu wachsen begonnen haben. Sobald die jungen Larven ausgeschlüpft sind, nähren sie sich von den Pilzen aus den verstopfenden Pfropfen und werfen den Abfall zur Wiege hinaus. Zunächst liegen sie zusammengekrümmt in der kleinen von der Mutter N. F. VI. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 293 genagten Höhle, sobald sie aber wachsen, müssen sie selbst sich ihre Wiegen größer nagen, bis diese so groß wie die wachsenden resp. ausgewachsenen Larven sind. Die Larven verschlucken auch die abgenagten Holzspäne, verdauen sie aber nicht, denn sie werden unverändert durch den Darm- kanal befördert, und sind nur etwas zusammen- geballt und grüngelblich verfärbt. Diese Ballen werden aus der Wiege herausgeworfen und von dem Mutterkäfer durch den Eingang der Wohnung nach außen herausbefördert. Ein kleiner Teil dieser Massen wird indessen zurückbehalten und aus ihnen die Pilzbeete geformt und gedüngt. Der Mutterkäfer befindet sich in beständiger Bewegung und Wachsamkeit und hütet die jungen Larven mit Sorge und Eifer, bringt ihnen die nötige Nahrung zur Stelle, indem er Pilzfäden von den Beeten ausrauft und sie in die Mündungen der Wiegen pfiockartig hineinstopft, sie sofort er- neuernd, wenn sie von den Tieren verzehrt sind. Wenn die Larven nun von Zeit zu Zeit den Pilz- pflock durchbrechen, um ihre Exkremente heraus- zuwerfen, so paßt der Mutterkäfer sorgsam auf, entfernt den Abfall und verstopft die Röhre mit frischem Pilzmaterial. Die Larven verwandeln sich in diesen Wiegen in die Puppen, dann in den vollkommenen Käfer, worauf sie ihre Brutstätte verlassen und sich in die gemeinsamen Wohn- galerien begeben. Der Pilz der beiden Pterocyclo?i- hritn cf. Fig. 7 stellt eine Masse von mehr oder weniger zusammen- hängenden, Ketten bildenden Perlschnüren dar. In seinen Anfangsstadien hat er kurze Stengel mit rundlichen Zellgliedern, welche zu kugeligen Coni- dien werden und dann abbrechen. Kurze Zell- ketten, armleuchterförmig sich verzweigend, trennen sich oft von der Hauptmasse. Die Basis der Pilze ist grünlich verfärbt; doch ist die Verfärbung des umgebenden Holzes selbst immer schwarz. Ahnlich sind die Verhältnisse bei Xyloterus rctiisiis Lee. dem größten der erforschten Am- brosiakäfer, cf. Fig. 9. Diese schwarzbraune, glän- zende Art, 4,5 mm lang, ist bisher nur in der Popidns grandidcntata im Norden der Vereinigten Staaten Nordamerikas gefunden worden, der Ver- breitung des Nährbaumes folgend. Die Woh- nungen dieser Art zeigt Fig. 10. Mehrere Pär- chen der gleichen Art vereinigen sich zu einer Kolonie, mit gemeinsamem Eingang, aber mit eigenem Quartier für jede Familie, welches i — 2 Verzweigungen der gemeinsamen Galerie umfaßt. Diese gehen nicht sehr tief ins Kernholz hinein, sondern ziehen sich nahe dem Splint hin. Jedes Weibchen wartet seine eigene Brut, welche in Wiegen lebt, die aufwärts und abwärts recht- winkelig zu dem Hauptgange angelegt sind. Die Mutter füttert die Larven mit einen gelblichen Pilze, der in der Nachbarschaft der Larvenwiegen auf eigenen Beeten gezogen wird. Die Mündung jeder Wiege ist ständig verstopft mit einem Pflock der Futterpilze. Der Pilz, cf. Fig. 11, besteht aus ovalen Zellen, die aufrechte Stäbchen bilden , welche den stab- förmigen Pilzformen ähneln, aber sich nicht verzweigen, und die zu perlenartigen Massen zer- bröckeln, ohne ihre Wachstumsfähigkeit zu ver- lieren. Auch hier ist der Pilz gelblich, das Holz in der Umgebung aber immer schwarz verfärbt. Kleinere Mitteilungen. Im .Anschluß an den auf Seite 26 dieses Jahr- ganges unserer Zeitschrift gebrachten Artikel über eine Methode zur Bestimmung der Höhe des Vogelfluges veröffentlichen wir ähnliche Fernrohr- beobachtungen über den Wanderflug der Vögel, welche uns bereits vor dem Erscheinen jenes Artikels von Herrn Wilhelm Spill in Velbert (Rhld.) eingesandt worden sind. Sehr häufig hat der Freund der astronomischen Beobachtung Gelegenheit, beim Studium der Sonne und namentlich des Mondes Scharen wandernder Zugvögel wahrzunehmen , die im Frühjahr und Herbst, zu fast allen Tages- und Nachtstunden dahinziehend, das Gesichtsfeld des Fernrohrs durch- fliegen. LTberrascht läßt man meist das eigenartige, in lautloser Stille erfolgende Schauspiel vorüber- ziehen, um sich dann wieder in die Einzelheiten seines Untersuchungsobjekts zu vertiefen. Seit einigen Jahren habe ich nun angefangen, diese Beobachtungen aus wissenschaftlichem Inter- esse genauer auszuführen. Ich achtete auf die Art der Wandervögel , auf ihre Anzahl , auf die Flugdauer über die Mondscheibe und namentlich auf die scheinbare Größe der einzelnen Vögel, um aus diesen Schätzungen unter Berücksichtigung der jeweiligen Gestirnhöhe einiges über die Entfernung der gefiederten Wanderer, ihre Zughöhe und -Schnelligkeit, sowie, in Verbindung mit Witterungs- beobachtungen einfachster Art, über das Verhältnis des Wanderfluges zu Wind und Wetter zu er- fahren. Seit Mai 1904 habe ich etwa 60 Beobachtungen notiert und dabei mit einem zweizölligen Fernrohr bei sechzig- und neunzigmaliger Vergrößerung an- nähernd 1700 Vögel vor dem Monde, seltener vor der Sonne gesehen, die zur Berechnung dienenden Daten (scheinbare Größe und Art der Vögel, Höhe des Gestirns) genau geschätzt und die Berechnung ausgeführt. Die gewonnenen Beobachtungen und die Ergebnisse derselben stellte ich in einer Über- sicht zusammen, die ich später zu veröffentlichen gedenke. Sie ist jedoch zu umfangreich, als daß sie an dieser Stelle ganz zum Abdruck gelangen könnte. Nach der Ausführung der Berechnungen fanden sich sehr bemerkenswerte Resultate, die ich im folgenden im Auszuge mitteile. Die obere Grenze des Vogelfluges wurde bei 4731 m, die untere bei 638 m Seehöhe festgestellt. Die See- 294 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 19 hölie meiner Bcobachtungsstation ist 240 m. In geringerer Höhe (als 638 m) habe ich mit dem Fernrohr keinen Wandervogel beobachten können, da die Zeitdauer der Sichtbarkeit für die Erkennung der Art, sowie für die Schätzung der in Betracht kommenden Größen für solche in so geringer Höhe fliegenden Vögel zu kurz ist. Wohl be- merkte ich viele schnell durch das Gesichtsfeld des Fernrohrs huschende Schatten, die ohne Zweifel durch ziemlich niedrig ziehende Vögel verursacht wurden, aber im übrigen unkenntlich waren. Es wurden beobachtet: größte geringste Flughöhe Flughöhe in in Mauersegler 3 mal 4731 ml) 1 171 m Möwen 3 ., 4197 .. I3II n Brachvögel I n 32«7 .. }> Drosseln 10 „ 2913 „ 967 .. Kiebitze 4 ,. 2450 „ 1374 „ Rotkehlchen (u. ähnl.) 1 1 ,. 2307 „ 692 „ Wachteln 3 ,. 2I4I „ 1227 „ Ammern 6 „ 2II6 „ 883 „ Schwalben 3 „ 1878 „ 816 „ Bachstelzen 0 — M 1807 „ 638 „ Nachtigallen 4 „ I80I „ 892 „ Eulen ? 3 " 1765 „ 1240 „ Tauben * >f 1762 „ }t Würger I ,. 1683 „ >f Steinschmätzer ? 0 ■^ n 1403 „ II38 „ Pieper I „ II44 „ 7t Braunellen ? 2 „ 787 „ 699 - Nach der Flughöhe in Gruppen verteilt ergibt Gr. I Flughöhe bis looo m Seehöhe, 14 Beob., 196 Vögel = 11,65 7( 1000 — 1500 m 20 i^oo— 2000 m, 15 2000- 3000 m, -4000 m, - 5000 m , Beob., Beob., Beob., Beob., Beob., Gr. 2 Flughöhe 325 Vögel = 19,31 7o- Gr. 3 Flughöhe 685 Vögel = 40,7 7„- Gr. 4 Flughöhe 454 Vögel = 20,97 "/„. Gr. 5 Flughöhe 3000- 7 Vögel =0,42"/,,. Gr. 6 Flughöhe 4000 - 16 Vögel = 0,95 %. Zusammen 60 Beob., 1683 Vögel = 100%. Die Zugvögel halten also keine ziemlich ein- heitliche Höhenlage beim Wanderfluge ein; noch weniger läßt sich nach meinen Beobachtungen be- haupten, daß bestimmte Arten auch ganz bestimmte Höhen bevorzugten. So wurden z. B. Drosselflüge beobachtet in 2913 m, 1838 m, 1614 m, 1300 m, 1201 m bis herunter zu 967 m; Rotkehlchen und ähnliche Kleinvögel in 2307 m, 147 1 m, 1253 m, 1030 m bis 692 m; Mauersegler in 4731 m, 1616 m, 1171m; Kiebitzein 2450m, 1685 m, 2424m, 1374m; Schwalben in 1878 m, 1869 m 816 m; Möwen in 4197 m, 2069 m, 131 1 m; Eulen in 1765 m, 1648 m. 1240 in. Ich teile hier die genauen Rechnungs- ergebnisse mit. Fast alle in Schwärmen von über 20 Stück fliegenden Vögel zogen in Höhen von weit über 1500 m dahin. Eine deutliche Bevorzugung hat die Höhenlage von 1000 bis 3000 m Seehöhe, oder, falls die Zusammenfassung eines solchen verhältnis- mäßig sehr großen Luftraumes nicht empfehlens- wert sein sollte, diejenige von 1500 bis 2000 m aufzuweisen, auf welche 15 Beobachtungen mit fast 41 "/ii aller gesehenen Vögel entfallen. Auf den vorher genannten Raum kommen 43 Beobach- tungen mit 87 "/f, der Gesamtzahl. Demgemäß sind die größten Höhen von über 3000 m als Aus- nahmen anzusehen, die durch vogelarme Zwischen- räume von etwa 2000 m Ausdehnung von der am dichtesten besetzten Höhenlage geschieden sind. Enorme Schwankungen zeigen auch die Ge- schwindigkeiten. Nach der I-'lugdauereinzelnerVögcl über die Mondscheibe, deren mittlerer Durchmesser bei allen Berechnungen zu 31' angenommen wurde, zeigten die Vögel folgendeFluggeschwindigkeiten: ') stündl. 223 km 223 „ in I Sek. 24 m bis 62 m 20 m Mauersegler Möwen Eulen Drosseln Schwalben Ammern Kiebitze Wachteln Rotkehlchen (u. ähnl.) Tauben Nachtigallen Pieper Brachvögel Steinschmätzer Braunellen Würger Bachstelzen Die genannten Zahlen können natürlich die senkrecht zur Gesichtslinie errechneten träge angeben; die wirkliche Geschwindigkeit, die wegen der mannigfachen Abweichung der Flug- linie vom richtigen Lageverhältnis (senkrecht) zur Visierlinie, nicht genau bestimmbar ist, wird jeden- falls obige Angaben um ein bedeutendes über- treffen können. Einige der oben angegebenen Maximalbeträge dürften indes der Wirklichkeit sehr nahe kommen. Was den Wind anbetrifft, so wurden die meisten Flüge im seitlichen oder konträren Winde gesehen ; aber es wurden auch kleinere Schwärme (Schwalben und Möwen) mit dem recht schwachen Winde fliegend beobachtet.-) 20 m 8 m 24 m 7 m 10 m 15 m 6 m 18 m 10 m 9 m 62 m 43 m 36 m 35 m 35 m 34 m 28 m 28 m 26 m 25 m 25 m 22 m 22 m 21 m 16 m 14 m 155 130 126 126 •23 101 lOI 94 90 90 79 79 76 58 51 nur Be- ') Die größten Hohen könnten möglicherweise durch irrtümliche Schätzung der Vogelart zu erklären sein, so duti sie nicht reell wären. Red. ') Die Zahlen dieser Tabelle sind nur als untere Grenz- werte .aufzufassen, da die wahre Lage der Fluglinie unbekannt blieb, meist aber nicht senkrecht zur Gesichtslinic gewesen sein wird. Red. -) liier ist aber zu beachten, daß der Wind in der Luft- schicht, in welcher die Vögel ziehen, ein anderer sein kann, als über dem Erdboden. Red. N. F. VI. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 29s Heftiger Gegenwind verzögerte den Flug un- gemein; er verminderte sowohl die Anzahl der Vögel, als auch die Schnelligkeit derselben, und zwang die Vögel anscheinend, sich direkt ohne jede Abweichung gegen den Wind einzustellen. Heftiger Rückenwind verhinderte, wie an mehreren sehr klaren Mondscheinabenden beob- achtet wurde, den Zug gänzlich. Ebenso wurde bei stark dunstigem Wetter mit trübem Mondlicht, abgesehen von einigen schnell vorüberhuschenden Schatten, trotz dreistündiger, ununterbrochener Beobachtung kein einziger Vogel in größerer, bestimmbarer Höhe gesehen. Helles Welter mit ruhigem Gegenwind begünstigte die Flüge ganz außerordentlich. Am reichsten besetzt waren die Nächte, die Mondschein bis zum Sonnenaufgang hatten, d. h. die Nächte um die Vollmondszeit und nach dem- selben, eine interessante Variation des Phänomens, die mir schon vor mehreren Jahren bei meinen Mondbeobachtungen auffiel, und in der Tat un- verkennbar ist. Der Gesichtswinkel eines Vogels, im Fernglase gesehen, schwankt zwischen 5" und 45". Sein .Mittel aus 60 Notierungen ist 18,6". Die genannten Winkel (5" und 45") erscheinen bei 60 ,< Vergr. == 5' bis 45', bei 90 > Vergr. 7,5' bis 67,5' = i" 7,5' groß, erreichen also die Ausdehnung von ■ \. bis 2 ' ^ des mit freiem Auge gesehenen Mond- durchmessers. Daher bilden Gegenstände von dieser Größe, die sich in ganz charakteristischer Weise vor dem hellen Hintergrunde des Mondes in 0,5 bis 4 Sek. fortbewegen, ja auf dem hellen Cirrus- gewölk der Mondhöfe bis zu 1 1 Sek. Dauer be- obachtet werden konnten, durchaus keine schwie- rigen Erkennungsobjekte. Der Gesichtswinkel, für senkrechte Entfernung berechnet,') bewegt sich innerhalb der Grenzen von 15" bis 3,1'. Er ist zumeist 35" bis 60". Sein Mittel aus allen Beobachtungen ist 40,6". Nimmt man 60" oder i Bogenminute als Grenze der Sicht- barkeit für das normale, unbewaffnete menschliche Auge an, so folgt aus vorstehenden Angaben, daß die Vogelschwärme in ihrer weitaus größten .An- zahl sich vermöge ihrer Höhe für gewöhnlich dem menschlichen Auge entziehen. Damit stimmt auch sehr gut die Erfahrung der meisten Vogelbeob- achter überein. Vogelzüge, soweit sie nicht dem bloßen Auge am Anfang oder am Ende der Reise sichtbar werden, sind eine seltene Erscheinung, während teleskopische Schwärme in mondhellen Frühjahrs- und Herbstnächten hier so zahlreich auftreten, daß ihr Erscheinen beim Studium des Mondes mir in früheren Jahren geradezu störend war und ich sie, abgesehen von einer kurzen Be- merkung im Beobachtungstagebuche, nicht weiter beachtete. Die oben mitgeteilte Anzahl gibt daher nur einen sehr geringen Bruchteil aller gesehenen ') d. h. wenn der Beobachter den Vogel in den oben angegebenen Höhen senkrecht über sich sehen würde. Red. Wandervögel an, deren Gesamtzahl ich für die letzten 8 Jahre auf mindestens 20000 schätze. Ohne Zweifel könnten andere aufmerksame Be- obachter mit ähnlichen optischen Hilfsmitteln mindestens dieselbe Zahl notieren. Die Schätzungen selbst sind, wenn nur das kleinere Detail des Mondes dem Beobachter zwecks Vergleichung hinreichend genau bekannt ist, bei einiger Übung durchaus nicht schwierig. Ein einfaches F"ernrohr mit Höhen- kreis, eine gute Taschenuhr und vor allem ein zweckmäßig angelegtes Beobachtuiigsregister sind die einzigen erforderlichen Hilfsmittel , um mit Leichtigkeit die Fragen nach Höhe und Schnellig- keit des Wanderfluges zu beantworten, sicherer als dies Beobachtungen durch Luftschiffer, deren Ballon auf viele Kilometer als geradezu ideale Vogel- scheuche wirkt, je tun können. Es gehört nicht in den Rahmen dieser Mitteilungen, an solchen Ballonbeobachtungen Kritik zu üben, es erübrigt sich um so mehr, als man bis jetzt mit Recht zögert, derartigen Resultaten (400 m Flughöhe) allgemeine Geltung zu verschaffen. Was bedeuten denn auch 400 m gegen oben mitgeteilte Zughöhen ? In mehr als 20 Fällen habe ich mit dem Fernrohr singende Lerchen in etwa 200 m relativer Höhe gesehen; am 22. Juni 1905 einen Wanderfalken und 3 Tauben bis über 1600 m hinauf verfolgt und am 18. Mai 1904 etwa 30 Krähen in 860 m, einige Wochen später einen kleinen Schwärm Mauersegler in 550 m relativer Höhe, letztere über eine Stunde lang, spielen sehen, dem bloßen Auge nur noch als äußerst schwache dunkle Punkte sichtbar. Dies zeigt doch, daß gutfliegende Vögel Lufträume von mehreren Hundert Metern Ausdehnung als Tummel- platz für ihre P'lugkünste notwendig gebrauchen und ausnutzen. Auf einige andere interessante Einzelheiten will ich nur kurz eingehen. So schienen die Fluglinien vieler Vogelzüge Bogen oder Wellenlinien zu sein. Zweimal wurde gesehen, wie kleinere Schwärme am nordöstlichen Mondrande eintraten, sich senkten und vor dem westlich gelegenen Mare tranquillitatis sich wieder hoben, bevor sie verschwanden. In drei Fällen wurde der Eintritt am nördlichen Mondrande be- obachtet; dann sanken die Schwärme (Ammern, Rotkehlchen (.-) und Kiebitze) bis fast unter die Mondgegend Tycho und traten dann sich wieder erhebend nach einer Gesamtflugdauer von 2, 2V0 und 4 Sekunden wieder am nördlichen Mondrande heraus. Auffallend war ferner der sehr ruhige Flügel- schlag. Eine große Anzahl von Vögeln passierte die Mondscheibe, ohne auch nur die Flügel zu be- wegen. Bei niedrig fliegenden, ziemlich großen Vögeln reichte die Kraft des Fernrohrs aus, das eigenartige Gebaren derselben zu beobachten, die, den Kopf fast ununterbrochen hin und her wendend, als wenn sie Umschau hielten oder suchten, in stürmischer Eile vorwärts strebten. Eine einzelne Wolke von mäßiger Ausdehnung (220 lang und 12" breit) veranlaßte die Vögel (Drosseln) an- 296 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 19 scheinend nicht, eine Flughöhe von 1 770 m zu ver- lassen. Sie verschwanden hinter derselben , als diese von SSW her den Mond zu fast drei Vierteln bedeckte. Stets blieben die Vögel aber niedriger als dünne Cirruswolkendecken. Die Zusammensetzung der Vogelschwärme (Kiebitze unter Rotkehlchen (ähnlichen ?j, Bachstelzen und Möwen, Eulen und Ammern) war ebenfalls sehr bemerkenswert. Ich halte dies nicht für eine optische Täuschung, da durch Rechnung für die verschiedenen zusam.menreisenden Vogelarten an- nähernd dieselben Höhen gefunden wurden, (iroße Schwärme von Kleinvögcln enthielten auch eine ziemlich große Anzahl artfremder Mitwanderer. Weit davon entfernt, den Wert oben ange- gebener Feststellungen zu überschätzen, ist es mir nur darum zu tun, zu ähnlichen Beobachtungen anzuregen, da sie m. E. ganz besonders angetan sind, bei Anwendung hinreichend starker Fern- gläser das Problem in durchaus zufriedenstellender Weise zu lösen, sicherer, als dies nach den bis jetzt angewandten Methoden je geschehen kann. (Vgl. auch Naturwissensch. Wochenschrift, H. 24, 1906, die Bemerkungen des Herrn Prof. Dahl.) Der Mechanismus der Akkommodation des Auges. — In Nr. 3 war über eine Arbeit von Pflugk berichtet, die geeignet erscheint, die von Helmhol tz begründete und von der Mehrzahl der P"orscher angenommene Theorie der Akkom- modation zu erschüttern. Nach der herrschenden Theorie wird die Krümmungszunahme der Linse bei der Akkommodation erreicht durch Entspan- nung ihres Auf hängebandes, wobei die Linse ihrer natürlichen Elastizität zufolge sich der Kugelform nähert; v. Pflugk schließt sich der Ansicht derer an, nach denen die Krümmungszunahme im Gegen- teil durch Anspannung des Aufhängebandes bewirkt wird. Er begründet dies mit der Form der Linse im akkommodierten und ruhenden Auge, wie sie durch Gefrieren mit flüssiger Kohlensäure erhalten wird. Gegen diese Methode wird indessen von Frischer') in einer Arbeit: „Über Fixierung der Linsenform mittels der Gefrierpunkt- methode" der Einwand gemacht, daß es durch Gefrieren, selbst mit flüssiger Luft, nicht gelingt, die Linse in ihrer unveränderten Form zu fixieren. Fischers Versuche ergaben, daß dabei unberechen- bare Deformitäten an der Linse auftreten; es ge- lingt auf diese Weise nicht einmal mit Sicherheit die Pupillenweite festzuhalten, also wohl auch nicht den Kontraktionszustand des Akkommodations- muskels. In älteren Versuchen ist von Heine festge- stellt, daß nach Fixierung der Augen in Formalin bei Tauben das Aufhnngeband der Linse und der Akkommodationsmuskel Verhältnisse zeigen, die ') Archiv 1'. Augenheilkunde l'.d. 56, Hell 4, S. 342. in Übereinstimmung mit der Helmholtz'schen Theo- rie stehen. Auch Alessan dr o konnte dies nach Gefrieren von Affenaugen beobachten, während die Form der Linse selbst sich bisher nicht exakt fixieren läßt. Damit würden nach F'ischer sich die Schluß- folgerungen aus der Form der gefrorenen L-inse auf den Akkommodationsakt erledigen. Die H e 1 m - holtz'sche Theorie ist durch phj-siologische Be- obachtungen von Hess und anderen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, nach wie vor sicher begründet. Prof Best. In Übereinstimmung mit dem Gesagten er- halten wir noch die folgende Zuschrift: In der Naturw. Wochenschr. (1907 Nr. 3) findet sich ein ausführliches Referat der v. Pflugk- schen Untersuchungen über die Akkommo- dation des Vogelauges. Die dort entwickelte Hyjiothese ist bereits auf Widerspruch gestoßen, und eine Arbeit F'ischer 's ist besonders ge- eignet, ihr den Boden zu entziehen, auf dem sie aufgebaut wurde. („Über Fixierung der Linsen- form mittels der Gefriermethode". Arch. i. Augenh. LVI, Heft 4, 1906. Geschrieben ist die Arbeit in der Klinik des Prof Hess in Würzburg.) Fischer legt sich die Frage vor, ob die von v. Pflugk geübte Gefriermethode in der Tat im- stande sei, die Form der lebenden Linse festzu- halten und einer Untersuchung zugänglich zu machen. Er experimentierte ebenfalls mit Tauben, benutzte aber zur Kälteerzeugung nur anfangs flüssige Kohlensäure, später flüssige Luft, da das Gefrieren mit diesem Mittel schneller vor sich ging: ein Taubenkopf wurde wenige Sekunden nach dem Decapitieren steinhart und so brauchten die Bulbi nicht schon vorher enucleirt und dif- formierenden Zerrungen ausgesetzt zu werden. Die Linsendurchschnitte wurden gleich während des Schneidens der Bulbi gemessen und gezeichnet. Auf photographische Wiedergaben wurde wegen ungenügender Deutlichkeit in den Einzelheiten ver- zichtet. Fischer rief den Akkommodationskrampf durch Einträufelungen von I "/„ Stro|ihantin und I "|^, Nikotin hervor, die Akkommodationslähmung durch Strophantin, das einige Stunden nach der anfänglichen Miosis eine vollkommene Mydriasis mit Akkommodationslähmung bewirkt. Zur Unter- suchung gelangten 12 Augen in Akkommodations- ruhe, 29 akkommodierte Augen und 5 unvorbe- handelte Augen (zur Feststellung des P^influsses des Muskeltonus). Fischer fand unter den 29 Augen der zweiten Gruppe nur einmal die nach v. Pflugk für die Akkommodation charakte- ristische Linsenform (hinterer Lenticonus) und auch da nur andeutungsweise; andererseits beobachtete er eben diese P'orm in einem nicht vorbehandelten, nicht akkommodierten Auge. An vielen Linsen fanden sich regellose Diftormitäten. Um die Dickenveränderungen der verschiedenen Linsentypen zahlenmäßig zu vergleichen , hat Fischer die Linsenindices (Verhältnis des äqua- torialen zum anteroposterioren Durchmesser) be- N. F. VI. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 297 rechnet und dabei so geringe Unterschiede fest- gestellt, daß er sie ins Bereich der Fehlermöglich- keiten verlegen muß. Auf Grund dieser Untersuchungen gelangt Fischer zum Ergebnis, daß die Gefriermethode die verschiedenen Linsenformen nicht zu fixieren imstande ist. Hierdurch wird aber der v. Pflugk- schen H_\pothese die Hauptstütze genommen und es müssen neue Tatsachen herbeigeschafft werden, wenn sie weiterbestehen soll. Dr. Ischrcyt. Bildung von Quarz und Silikaten aus wäss- riger Lösung. — Zum Studium der Verhältnisse, welche in der Natur die Bildung der sog. Kluft- mineralien bewirkt haben, hat VV. J. IVl ü 1 1 e r ') eine Methode ausgearbeitet, die ihm die Trennung der bei hohem Druck und hohen Hitzegraden ent- standenen Lösung von Mineralkomponenten von deren Umwandlungsprodukten gestattet. Zuerst wurden die aus amorphen Silikaten, Glas und Ob- sidian mit Wasser, Salzlösungen, welche mit der in Quarzeinschlüssen enthaltenen Lösung überein- stimmten , und Gemischen der Lösung mit ver- schiedenen Mengen überschüssiger Kohlensäure er- haltenen Produkte untersucht. Die Erhitzung ge- schah in einem elektrisch erhitzten Ofen mit nahtlosem, mit Platin-Iridium ausgelegtem Stahlrohr mit Schraubendruckventil. In dem Rohre befand sich ein Filterrohr, durch welches beim Um- kehren des Rohres eine Trennung von Lösung und Reaktionsprodukt stattfand. Müller fand, daß sich bei der Einwirkung von Wasser Bikarbonat- lösungen, Einschlußlösung auf Glas und Obsidian bei 3 — 400", bei der Abkühlung als stabiles Pro- dukt im Filterrohr Quarz, bei reinem Wasser ev. Opal abscheidet. Bei reinem Wasser zeigte sich die stärkste Einwirkung, die mit zunehmendem Gehalt an Kohlensäure abnimmt. Aus der zer- setzten Glasmasse konnte immer Quarz, Chalce- don und amorphe Kieselsäure isoliert werden. Bei steigendem Salz- bzw. Kohlensäuregehalt der Lösung nahm die Menge der Kieselsäure ab. Außerdem fand er bei Anwendung von reinem Wasser noch Tridymit und einen Feldspat, und zwar Natron- orthoklas. Bei der Zersetzung von Obsidian- masse mit reinem Wasser entstand ein grünes plachroitisches Silikat, wahrscheinlich Ägyrinaugit. W.J.Müller faßt seine Schlüsse dahin zusammen: 1. „Die dem Glas und Obsidian zugrunde liegenden amorphen Silikate weisen chemische Unterschiede auf, die sich in verschiedenerZersetzbarkeit durch die- selbe Lösung zeigt. Die Zersetzbarkeit ist am größten bei alkalischen Lösungen, schwächer bei Bikarbonat- bzw. Einschlußlösungen und wird durch Zusatz von freier Säure stark zurückgedrängt. 2. Das im Filterrohr auskristallisierende, stabile Produkt ist Quarz. Sein .Auskristallisieren erfolgt durch Verschiebung des hydrolytischen Gleichge- wichts des gelösten .Alkalisilikates mit sinkender ') Chemikerzeitung 06, 956. Temperatur. Sind andere Salze gelöst, so wirken diese bei der Gleichgewichtsverschiebung ebenfalls mit, sie wirken in dem Sinne, daß möglichst stabile Produkte gebildet werden (Mineralisatoren). Es nimmt also die Kieselsäure schneller an Acidi- tät zu, als die anderen, in der Natur ebenfalls vor- kommenden schwachen Säuren. Quarz ist in reinem Wasser auch bei hohen Temperaturen nur in sehr kleinen Mengen löslich. 3. Im Bodenkörper entstehen je nach den Um- ständen die verschiedensten Modifikationen, Quarz und Chalcedon stets, Tridymit und Opal bei Ab- wesenheit von Kohlensäure, das gleichzeitige Auf- treten und längere Bestehenbleiben dieser labilen Verbindung nebeneinander entspricht der Regel von van'tHofif, daß hohe Valenz das Auftreten labiler Verbindungen begünstigt. Diese Tatsache beweist, daß durch Bodenkörperreaktion sehr leicht labile Verbindungen entstehen. Die Aufstellung von Diagrammen für Silikatgleichgewichte und die Anwendung der Phasenregel auf diese darf bei der Kompliziertheit der chemischen Vorgänge nur sehr vorsichtig vorgenommen werden und erscheint im allgemeinen noch verfrüht. Auf die Stabilitäts- grenzen der Feldspate lassen diese Versuche, da Feldspat nur als Produkt der Bodenkörperreaktion erhalten wurde, keine Schlüsse ziehen." Lb. Durch einen von der Firma C. Zeiß in Jena ausgeführten Spektrokomparator hatProf. J.Hart- man n die Genauigkeit, mit welcher die Linien- verschiebungen in Sternspektren gemessen werden können, unter gleichzeitiger Reduktion der dazu erforderlichen Zeit wesentlich erhöht. Während bei der bisherigen Messungsmethode ein Mikro- meterfaden auf eine einzelne Linie eingestellt wurde und so das zu untersuchende Spektrum mit dem Vergleichsspektrum Linie für Linie verglichen wer- den mußte, werden bei dem neuen Apparat gleich- zeitig zahlreiche Linien des einen Spektrums mit den entsprechenden des Vergleichsspektrums zur Coincidenz gebracht. Das von einem als Vergleich dienenden Eisenspektrum umgebene Sternspektrum wird in dem Spektrokomparator gleichzeitig mit einem ebensolchen Sonnenspektrum durch das ge- meinsame Okular eines Doppelmikroskops be- trachtet. Durch reflektierende Prismen wird näm- lich das Licht von beiden Platten derart in das Okular geleitet, daß man das Sternspektrum vom Sonnenspektrum eingefaßt sieht, während gleich- zeitig auch die Eisenspektra nebeneinander gelagert erscheinen. Durch eine geistvoll erdachte Ver- schiebungsmöglichkeit des Okularteiles mehr 'nach dem einen oder anderen Mikroskop hin kann man die Vergrößerung des einen Mikroskops verstärken, die des anderen verringern und durch dieses Ver- fahren der Bilddehnung können die beiden zu ver- gleichenden Spektra auf genau gleiche Ausdehnung gebracht werden, so daß bei einer Einstellung die Eisenspektra mit allen Linien gleichzeitig zur ge- nauen Coincidenz gelangen, bei einer anderen aber 298 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 19 das Sternspektrum mit dem Sonnenspektrum zur Deckung kommt. Der Unterschied dieser beiden Einstellungen gibt einen Wert für die Geschwin- digkeit des Sterns in bezug auf die Sonne. Die Beobachtung wird natürlich so oft an verschie- denen Stellen des Spektrums wiederholt, als die Deutlichkeit der abgebildeten Linien vorteilhaft erscheinen läßt. Die ganze Messung, sowie be- sonders auch die dazu gehörige Reduktionsrech- nung ist äußerst einfach, so daß die volle Behand- lung eines Sternspektrums, an der früher viele Tage gearbeitet werden mußte, jetzt binnen zweier Stunden erledigt werden kann. Dabei ist das Er- gebnis, nämlich die ermittelte Geschwindigkeit des Sterns in der Gesichtslinie, erheblich genauer, als wenn es nach dem älteren Verfahren gefunden wäre, da alle Fehler, die bei letzterem durch un- richtige Annahmen über die Wellenlängen von Linien entstehen können, ausgeschlossen sind. Der wahrscheinliche Fehler einer Geschwindigkeitsbe- stimmung, der früher mindestens 0,25 km betrug, wird durch den Spektrokomparator auf 0,1 km reduziert, gewiß ein sehr erfreulicher und achtungs- werter Fortschritt. Kbr. Das Zeiss'sche Epidiaskop ') ist in erster Linie zur Projektion horizon- tal liegender Objekte mit auffallen- dem Licht und durchsichtiger oder wenigstens durchscheinender Objekte mit durchfallendem Licht bestimmt. Neuerdings kann es auf Wunsch so eingerichtet werden, daß auch senk- recht stehende Objekte mit auffallen- dem Licht projiziert werden können. Das Epidiaskop zeichnet sich durch folgende Vorzüge aus I Für durchfallendes Licht kommen besonders in Betracht Diapositive , viele physikalische Er- scheinungen usw.; für auffallendes Licht Abbildun- gen (auch in Büchern), Zeichnungen, kleine Mo- delle, physikalische Apparate, kleine Pflanzen und Tiere oder Teile von größeren usw. Als Lichtquelle dient ein Scheinwerfer für 30 Amp. oder 50 Amp. Die Vergrößerung kann innerhalb ziemlich weiter Grenzen durch Verändern des Abstands zwischen Apparat und Schirm geändert werden. Um dies bequem zu ermöglichen, läuft der Apparat auf 4 Rollen. Wird der Apparat mit dem kleinen Schein- werfer (für 30 Amp.) ausgestattet, so ist — als Objekt eine Druckschrift oder eine schwarze Zeichnung auf weißem Grund vorausgesetzt — eine ca. 9 malige Vergrößerung eines gleichmäßig beleuchteten Feldes von 22 cm Durchmesser mög- lich. Ist das abzubildende Objekt kleiner, so kann man durch Verstellen des Reflektors die Beleuch- tung auf eine kleinere Fläche beschränken, zu- gleich aber ihre Stärke soweit steigern, daß eine ca. 25 fache Vergrößerung statthaft ist. Die inten- sivste Beleuchtung ist dann erreicht, wenn der gleichmäßig beleuchtete Teil des Objekts einen G jrcnzen mit auf- Der I'orm und Größe der zu projizierenden Objekte sind nur geringe gezogen. 2. Die Beleuchtung fallendem Licht ist eine sehr vollkommene. 3. Der Übergang von der Pro- jektion mit auffallendem Licht zu der mit durchfallen- dem ist rasch und bequem zu vollziehen. 4. Der Apparat läßt sich sehr leicht so einrichten, daß man schräg nach oben projizieren kann. Die einzelnen Teile des Apparats si gut gegen Staub und unbefugte Benutzu geschützt. 5- nd ') Infolge einiger Anfragen über das Epidiaskop aus dem Leserkreise geben wir in < )bigem eine Beschreibung des Apparates, indem wir bemerken, daß eine unsererseits vorge- nommene praktische Probe mit dem Apparat sehr gut ausge- fallen ist. — Red. Fig. I. ÄuiSere Ansicht des Epidiaskops. Durchmesser von ca. 8 cm hat. Das Objektiv des Epidiaskops wird in der Regel so gewählt, daß es die 9 fache Vergrößerung bei einem Ab- stand des Schirms von ca. 2'/., m, die 25 fache bei einem Abstand von etwa 6 liefert. Die Schirmabstände sind dabei vom Objektiv aus ge- messen. Wird der .'Xpparat mit einem größeren Schein- N. F. VI. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 299 Werfer (für 50 Amp.) ausgestattet, so sind ent- sprechend stärkere Vergrößerungen verwendbar. Statt einer ca. 9 — 25 fachen ist eine ca. 14 — 37 fache Vergrößerung zulässig. Der entsprechende Schirm- abstand des Apparats ist y^l^ -- bis 9' ._, m. Eine allgemeine Übersicht über die Wirkungsweise des Apparats geben die Figuren 2 und 3. Figur 2 zeigt die Anordnung bei auffallendem Licht (episko- pische Projektion). Das von dem Krater der positiven Kohle ausgestrahlte Licht fällt auf den parabolischen Spiegel des Scheinwerfers. Die- ser reflektiert es in Gestalt eines etwa zylindrischen Bündels. Das Strahleiibündcl passiert das zur Absorption der Wärme- strahlen eingeschaltete , mit Wasser gefüllte Kühlgefäß, trifft auf den Spiegel I und wird von diesem schräg nach unten durch die Blende hin- durch auf das unmittelbar da- runter liegende Objekt gewor- fen. Von dem Objekt wird ein Teil des Lichts diffus nach oben zurückgeworfen. Von diesem zurückgeworfenen Licht gelan- gen nur solche Strahlen , die ganz in dem durch die punk- tierten Linien eingeschlossenen Raum verlaufen, in das Ob- jektiv. Der aus dem Objektiv nach oben austretende Licht- kegel trifft auf den Umkehr- spiegel Sp und wird von die- sem auf den Schirm geworfen. Figur 3 gibt die .Anordnung bei durchfallendem Licht (dias- kopische Projektion). Der Spiegel I ist hier weg- geklappt, das Strahlenbündel geht daher weiter bis zum Spiegel II , wird von diesem schräg nach unten auf den Spiegel III und von diesem senkrecht nach oben geworfen. Dort trifft es unterhalb des Objekttisches die Sammellinse. Diese vereinigt die Strahlen, nachdem sie das abzubildende Objekt durchsetzt haben, in der Nähe des Objektivs zu einem verkleinerten Bild des Schein- werfer-Reflektors. Die aus dem Objektiv austretenden Strahlen treffen dann auf den Umkehr- spiegel, der auf dieser Figur mit einer Stellvorrichtung versehen dargestellt ist. Die Einstellung des Spiegels ist hier so angenommen, daß das Bild schräg nach oben projiziert wird. Zur Absorption der Wärme ist in dem mitt- 3 Durchschnitt des Epidiaskops. Stiahlengang bei auffallendem Licht. Fig. 3. Durchschnitt des Epidiaskops. Strahlengang bei durchfallendem Licht. 300 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 19 leren, nach ÜHhung der verschließbaren Türen (Fig. i) zugänglichen Raum ein Kühlgefäß ange- bracht. Eine 12 cm dicke Wasserschicht befindet sich in einem flachen Gefäß mit 2 Spiegelglas- wänden. Wird der Apparat länger als ^|^ bis '/._, Stunde gebraucht, so läßt man langsam Wasser durch das Kühlgefäß hindurchströmen. Als Objektiv dient bei der gewöhnlich gelie- ferten Einrichtung des Apparats ein Objektiv von 25 cm Brennweite. Über dem Objektiv befindet sich der Umkehr- spiegel, dessen Aufgabe es ist, das Bild des wag- Projektion einer Hand mit Hilfe des Epidiaslco|>s. rechten Objekts auf eine senkrechte oder geneigte Wand zu werfen. Er wird in 2 Ausführungen geliefert, entweder mit fester (Fig. 2) oder mit veränderlicher Neigung (Fig. i u. 3). Der feste Spiegel ist unter einem Winkel von 45 ° gcgd die Horizontale aufgestellt, er gestattet, wie schon oben erwähnt, nur die Projektion auf eine senkrechte Wand , deren Mitte i ' ;.j m über der Standfläche des Apparats liegt. Bei dem neigbaren Spiegel kann (Fig. i u. 3) der Neigungswinkel von 45" bis auf beinahe 60" ver- größert und dadurch die Achse des Strahlenkegels, der aus dem Objektiv kommt, bis zu einem Winkel von 30" gegen die Horizontale geneigt werden. Der Schirm muß dann dementsprechend höher angeordnet und soweit geneigt sein , daß er den Strahienkegel annähernd senkrecht zu dessen Achse schneidet; andernfalls würde eine störende Bildver- zerrung eintreten und die Schärfe der Bilder leiden. Der Umkehrspiegel ist ein auf der Vorderseite versilberter Glasspiegel; gegen chemische und mechanische Einflüsse kann er, solange er nicht gebraucht wird, durch einen Holzdeckel geschützt werden , auf dessen Innenseite mit essigsaurem Blei imprägniertes Fließpapier liegt. Wird der Apparat nicht gebraucht, so hebt man den Umkehrspiegel aus den Lagern , nimmt das Gestell samt dem Objektiv ganz ab und ver- wahrt alles in dem den Unterbau des Apparats bildenden , verschließbaren Schrank. Die durch Abnahme des Objektivbrettes frei werdende Öff- nung verschließt man mit einem Deckel. Bei der Projektion undurch- sichtiger Gegenstände wird der Spiegel I in die in Fig. 2 ge- zeichnete Lage gebracht. Zu diesem Zweck ist er an einer horizontalen Achse pendelnd auf- gehängt und läßt sich um diese mittels eines Hebelarmes B (Fig. i) drehen. Bei der in der Figur ge- zeichneten Lage wirft er das Licht schräg nach unten durch eine später noch näher zu be- sprechende Blende auf den Ob- jekttisch. Der Objekttisch kann von bei- den Seiten durch Offnen der bei- den verschließbaren Schiebetüren S (Fig. I ) zugänglich gemacht werden. Er besteht aus einem Rahmen, der mit zwei Führungen versehen ist. In diese kann einer der vier 'beigegebenen Schieber hineingeschoben werden. Für undurchsichtige Gegenstände wird man meist die nicht durchbroche- nen Schieber verwenden. Der Schieber gestattet, die Gegen- stände außerhalb des kastenähn- lichen Aufbaues zurechtzulegen und dann erst in den Apparat hineinzuschieben, außerdem ermöglicht er ein rascheres Wechseln der Objekte. Die Einstellung bewirkt man durch Höher- und Tieferstellen des Objekttisches, was innerhalb ziemlich weiter Grenzen möglich ist; diese Be- wegung kann von beiden Seiten her durch Drehen eines Rades S/ (Fig. i) bewerkstelligt werden. Zur Begrenzung des Sehfeldes dienen ge- schwärzte Blenden (Fig. 2) mit runden oder qua- dratischen Öffnungen von abgestufter Weite. Bei Zeichnungen und ähnlichen Objekten, die zum Einrollen neigen, kann man diesem Übelstand da- durch abhelfen , daß man solche Objekte durch Heben des Objekttisches von unten gegen die Blende andrückt; zum Einstellen hat man dann die oben erwälinte Feineinstellung für das Objek- tiv zur Verfügung. Um während des Gebrauchs störendes Seiten- N. F. VI. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 301 Hcht abzuhalten, ohne daß jedesmal die Schiebe- türen geschlossen werden , sind vor den Türen schwarze, verschiebbare Vorhänge angebracht. Bei der Projektion durchsiciitiger Objekte wird der Spiegel I mittels des Hebels B (Fig. 1) zurück- geklappt . so daß er die in Figur 3 angedeutete Lage (an der Decke des Kastens) einnimmt. Er wird in dieser Lage durch eine F^der festgehalten. Die Strahlen gelangen dann nach zweimaliger Reflexion an den Spiegeln II und III (Fig. 3) zu der großen, unter dem Objekttisch angebrachten Sammellinse. Auf ihrem Weg passieren die Strah- len zweimal eine über dem Spiegel III in horizon- taler Richtung angebrachte Rauchglasplatte Rg. Dieselbe soll infolge ihrer .Absorption bei raschem Wechsel zwischen durchfallendem und auffallendem Licht den störenden Unterschied in der Helligkeit etwas ausgleichen (vgl. F"ig. 3). Hat man weniger durchlässige Objekte mit durchfallendem Licht zu projizieren, oder will man durch Entfernen des Apparats vom Schirm die Vergrößerung steigern, so hat man natürlich das Rauchglas zu entfernen. Der Objekttisch ist zur Projektion von Glas- bildern mit einem Wechselschieber versehen. Um dem Epidiaskop eine vielseitigere Ver- wendbarkeit zu geben , hat die Firma Zeiss für dasselbe eine eigene Einrichtung für Mikroprojek- tion konstruiert. Die besondere Art der bei dem Epidiaskop verwandten Lichtquelle (Scheinwerfer) ließ es rat- sam erscheinen, das Instrument nur für schwache und mittlere Vergrößerungen einzurichten, die ja in den meisten Fällen zur Anwendung kommen. Dabei gestattet das Instrument, mit Hilfe geeig- neter Objektive besonders große Präparate zu projizieren. Bei Verwendung des schwächsten Objektivs (Planar 100 mm) darf das Präparat bis zu 8 cm Durchmesser besitzen. Mit demselben Objektiv können auch Diapositive, sofern der Aus- schnitt nicht größer ist, als ein Kreis von 8 cm Durchmesser, projiziert werden. Der Preis des Epidiaskops schwankt je nach der Ausstattung inklusive Objektiv zwischen etwa 1600 und 1800 Mark. Der Mikroskopaufsatz stellt sich ohne Optik auf etwa 200 Mark. durchzublättern und hier und da zu naschen. Wieder- holte Stichproben ergeben immer wieder eine sorg- same Redaktion des Gesamtwerkes. Bücherbesprechungen. Meyer's Greises Konversations -Lexikon. Ein Nachschlagebuch des allgemeinen Wissens. 6. gänzl. neubearbeitete und vermehrte Auflage. 16. Bd.: Plaketten bis Rinteln. Leipzig und Wien, Biblio- graphisches Institut, 1907. — Preis geb. 12 Mk. Gleich die i . (farbige) Tafel in dem vodiegenden Bande dient der Naturwissenschaft; sie stellt die beiden Planeten Jupiter und Saturn dar. .'\uch sonst ist wie bisher für die Erläuterung naturwissenschaft- licher Dinge an Illustrationen nicht gespart. Die Gleichmäßigkeit in der Bearbeitung des Werkes ist sehr zu loben. Es macht Freude einen jeden Band Prof. Dr. Hermann Schubert, Auslese aus mei- ner Unterrichts- und Vorlesungspraxis. III. 250 Seiten. Leipzig, Göschen, 1906. — Preis geb. 4 Mk. In N. F. V, Nr. 6 dieser Zeischrift ist auf die beiden ersten Bändchen dieses Schubert'schen Werkes hingewiesen, von dem jetzt das dritte vorliegt. Freunde der elementaren Mathematik und mathematischen Physik werden von ihm ebenso befriedigt werden wie von den beiden ersten. Aus dem Inhalt sei neben der Angabe , daß Schwerpunktsberechnungen und sphärische Dreiecke den Hauptteil des Buches aus- machen, auf eine sehr interessante Ableitung im III. Abschnitt verwiesen, wo als Ergänzung zu der bekannten elementaren Ableitung des Satzes, daß der gespiegelte Lichtstrahl den kürzesten Weg einschlägt, auch der weitere Satz, daß der Weg des gebrochenen Lichtstrahls ein Minimum ist, auf den Grundsatz zurückgeführt ist, daß die gerade Linie der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten ist. A. S. Literatur. Cantor, Mor. : Vorlesungen über Geschichte der Mathematik. I. Bd. Von den ältesten Zeiten bis zum J. 1200 n. Chr. Mit I [4 Kig. im Text u. I lith. Taf. 3. Aufl. (VI, 941 S.) Le.\. 8°. Leipzig '07, B. G. Teubncr. — 24 Mk., geb. in Halblrz. 26 Mk. Hammer, Prof. Dr. E. : Lehr- u. Handbuch der ebenen und spliärischen Trigonometrie. Zum Gebrauch beim Selbst- unterricht und in Schulen , besonders als Vorbereitung auf Geodäsie u. sphär. Astronomie. 3. erweit. Aufl. (XVIU, 644 S. m. I Tab.) 8". Stuttgart '07, J. B. Metzler. - 10,60 Mk. Hansen, Prof. Dr. Adph. : Goethe's Metamorphose der Pflan- zen. Geschichte e. botan. Hypothese. In 2 Tln. m. 9 Taf. V. Goethe u. 19 Taf. vom Verf. Giel3en '07, A. Töpelmann. — 22 Mk , geb., Text in Leinw.-Bd., Taf. in Leinw.-Mappe 24,50 Mk. Weyrauch, Prof Dr. Jak.: Grundriß der Wärmetheorie. Mit zahlreichen Beispielen u. .Anwendgn. Nach Vorträgen an der kgl. techn. Hochschule in Stuttgart. 2. Hälfte: VIII. Von den gesättigten Dämpfen. IX. Von den überhitzten Dämpfen. X. Über Dampfmaschinen. XI. Aerostatik. XII. Aerodynamik. Grundgleichungen. Bewegung in Kanälen. XIII. Aerodynamik. Ausfluß aus Gefäßmündgn. XIV. Über feste Körper. (XV, 412 S. m. 12S Fig.) Lex. 8». Stutt- gart '07, K. Wittwer. — 16 Mk., geb. in Leinw. 17,20 Mk. Briefkasten. Robert Chambers und die ,,Vestiges of creation". In den Nrn. 35 und 44 Ihres geschätzten Blattes, die mir von befreundeter Seite zugesandt worden sind, finde ich meinen Großvater, RobertChambers,unddas Buch „T he V estiges of Creation", als dessen Verfasser er jetzt anerkannt wird, verschiedentlich erwähnt. Vielleicht gestatten Sie mir einige Bemerkungen zur Klärung der Angelegenheit hinzuzufügen. Das Buch erschien anonym im Jahre 1844, und wiewohl die Urheberschaft Dr. Chambers oftmals zugeschrieben wurde, so wurde er doch erst 1884, bei der Veröffentlichung der 12. Auflage, bestimmt und öffentlich als Verfasser genannt, und zwar in der Vorrede, die Alexander Ireland für diese Auflage schrieb. 302 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 19 Es erheben sich nun eine Anzahl von Fragen, besonders; i) Warum wurde das Buch zunächst anonym heraus- gegeben? 2) Warum ließ man so viele Jahre verstreichen, ehe das Geheimnis der Urheberschaft enthüllt wurde? 3) Wer war Alexander Ireland ? und 4) War Alexander Ircland in der Lage, die Frage nach dem Verfasser mit Sicherheit zu beantworten? Ich werde diese l'ragen nacheinander behandeln. i) Die Gründe, die Robert Chambers veranlaßton, das Buch anonym zu veröffentlichen, werden größtenteils in Ale- xander Ireland's Vorrede dargelegt, aus der ieh folgenden Aus- zug gebe: ,,Da das Publikum zu jener Zeit über P'ragen, die sich eingehender mit den höheren wissenschaftlichen Vor- stellungen über den Bau und das Getriebe des Weltalls be- fassen, so gut wie gar nicht informiert war, so war voraus- zusehen, daß sein Werk einen Sturm von unverständigen Anfeindungen entfesseln und den Verfasser , wenn sein Name bekannt war , in viele bittere und peinliche persönliche Streitigkeiten verwickeln mußte, die ein bedäch- tiger Autor im allgemeinen lieber vermeidet. Er glaubte ferner, daß seine Theurie weit eher unparteiisch und um ihrer selbst willen beurteilt werden würde, wenn sie anonym er- schien, als wenn sie einen Namen trug, der, zu jener Zeit wenigstens, keine wissenschaftliche Autorität hatte. Noch eine andere dringende Erwägung, die nicht sein persönliches Inter- esse betraf, forderte Berücksichtigung. Das war der Umstand, daß er mit seinem Bruder gemeinsam ein Verlagsgeschäft be- trieb, in dessen Veröffentlichungen nach einer von vornherein zwischen Beiden festgesetzten Regel die Berührung mit stritti- gen Fragen der Politik und der Theologie tunlichst vermieden werden sollten." Diesen von Alexander Ireland angeführten Gründen kann ich meinerseits einen weiteren von nicht geringer Bedeutung hinzufügen. Robert Chambers war nicht nur Teilhaber eines Verlages, dessen Erfolg von dem Wohlwollen des Publikums abhing, er war auch Familienvater, und es begreift sich, daß er Bedenken trug den Ertrag des Geschäftes zu schädigen und damit die Existenzmittel für seine Familie zu verringern, was ge- schehen mußte, wenn er sich mit seinem Namen zu einem Buche bekannte, in welchem er eine Theorie entwickelte, die nicht nur der wissenschaftlichen Orthodoxie des Tages, son- dern auch den religiösen Vorurteilen des Volkes widersprach. Hierüber kann ich einen Passus aus den ,, Erinnerungen" zitie- ren, die mein Vater, der Robert Chambers' älteste Tochter geheiratet hatte, im Jahre 1884 niederschrieb: ,,Der heutigen Generation", su schreibt er, ,,die Bischof Colenso und Darwin überlebt hat und von Tyndal und Hux- ley erzogen worden ist, wird es beinahe unmöglich sein, sich die heftige Erregung vorzustellen , die die ,,Vestiges of Crea- tion" bei ihrem Erscheinen hervorriefen. Die klerikale Presse schlug Alarm, so laut sie konnte, und die zünftige Wissenschaft alter C^bservanz beteiligte sich nach Kräften. Der Verfasser konnte nicht nur des odium theologicum sicher sein, sondern lief Gefahr, als außerhalb der respektablen Gesellschaft stehend betrachtet und gemieden zu werden. ,, Einem Manne mit großer Familie und einem blühenden Geschäft, das großenteils von dem Wohlwollen des Publikums abhängt, konnte dies nicht gleichgültig sein, und ich begreife jetzt sehr wohl, warum Robert Chambers sich in ein undurch- dringliches Geheimnis hüllte. Für mich lüftete sich der Schleier einige Jahre, nachdem ich seine Tochter geheiratet hatte. Ich war sein Gast in Edinburg, und bei der Rückkehr von einem Spaziergang sagte ich zu ihm: ,, Warum haben Sie sich nie zu Ihrem größten Werke bekannt." Statt aller Ant- wort wies er auf sein Haus (in welchem er elf Kinder hatte) und fügte dann langsam hinzu: ,lch hatte elf Gründe.' Da Robert Chambers wohl der letzte war, der mich bei der Mei- nung gelassen hätte, er sei der Verfasser, wenn er es hätte in Abrede stellen können, war die Frage von jenem Augen- blicke an für mich enschieden." 2) Warum verstrichen so viele Jahre, ehe das Geheimnis der Urheberschaft enthüllt wurde ? Diese Frage wird gleich- falls in Alexander Ireland's Vorwort beantwortet, aus dem ich wiederum das Folgende zitiere: „Der verstorbene Dr. William Chambers (der Bruder und Teilhaber Roberts) war bis zum Ende seines Lebens entschie- den dagegen, daß seines Bruders Beziehung zu dem Werke bekannt gegeben würde. ,,Vor einigen Jahren, zu einer Zeit, als William Cham- bers und ich die einzigen überlebenden Besitzer des Geheim- nisses waren, drückte er mir den Wunsch aus, daß mit unse- rem Tode die Sache ganz der Vergessenheit anheimfalle. Ich sagte ihm die Geheimhaltung für seine Lebenszeit zu, erklärte mich aber aus vielfachen Gründen außerstande , darüber hin- aus seinen Wünschen zu willfahren, namentlich betonte ich, daß die Zeit kommen könnte, wo es eine Ungerechtigkeit gegen das Andenken seines Bruders Robert wäre, die Tatsache noch länger zu verbergen. Und so blieb die Sache auf sich beruhen, bis William Chambers am 20. Mai 1883 starb." 3) Wer war Alexander Ireland? Alexander Ireland war nicht der erste Beste. Er war selbst ein wohlbekannter Schriftsteller, mit vielen seiner literarischen Zeitgenossen be- freundet und lange Jahre hindurch Herausgeber des ,, Man- chester Examiner". In einem von ihm 1892 an meine Mutter geschriebenen Briefe heißt es; ,,lch beabsichtige, wenn ich am Leben bleibe, ein Büch- lein mir besonders werter Erinnerungen an bedeutende Männer zu schreiben. Ich habe Campbell, den Dichter, gekannt. Emerson (mit dem ich 50 Jahre lang bekannt war und korre- spondierte), George Dawson, Leigh Hunt, Carlyle, Lowell, Oliver Wendell Holmes, Wordsworth ; und Walter .Scott ge- währte mir als igjährigem jungen Burschen im Jahre 1829 eine Unterredung. Ihr lieber Vater wird sich auch als einer der Interessantesten darunter befinden." Diese Absicht konnte Ireland nicht ausführen. Er starb zwei Jahre danach im hohen .\lter von 84 Jahren. 4) War Alexander Ireland in der Lage, die Frage nacli dem Verfasser mit Sicherheit zu beantworten ? Auch auf diese Frage ergibt seine Vorrede die Antwort. Er war mit Robert Chambers befreundet. Robert Cham- bers' in Edinburg geschriebenes Manuskript wurde zunächst dorlselbst von einer fremden Hand kopiert, und dann an Alexander Ireland nach Manchester gesandt, der es seiner- seits nach London in die Druckerei schickte. Die Druck- bögen gingen von der Druckerei zuerst an Alexander Ireland, der sie dem Verfasser übermittelte. Dieser las die Korrektur und sandte sie an Alexander Ireland zur Weiterbeförderung nach London. Dieses Verfahren wird auf S. XVII von Ale- xander Ireland's Vorrede genau beschrieben. ,, Durch diesen Umweg", bemerkt er, ,, wurde bei der Druckerei und beim Verleger jeder Verdacht, daß das Buch aus Schottland käme, ausgeschlossen und jeder Neugier und Nachfrage nach dem Verfasser konnte wirksam begegnet werden. Ganz ebenso wurde mit den weiteren acht Auflagen verfahren, die bis 1855 erschienen." Damit glaube ich alle Fragen beantwortet zu haben, die anscheinend in den in dieser .■\ngelegenheit an Sie ergangenen Zuschriften als Schwierigkeiten empfunden wurden. London, House of Commons r. ^ 1 1 , ., K. C. Lehmann. April 1907. Herrn Schulrat Dr. K. in Münster und Herrn Lehrer M. G. in Hamburg. — Sie wollen Literatur genannt haben, welche Ihnen für den biozentrischen Unterricht in Zoologie das erforderliche zuverlässige Material an die Hand gibt. — — Da in neuerer Zeit die Ansicht, man müsse beim biologi- schen Schulunterricht den Bau der Organismen stets mit der Stellung derselben im Haushalte der Natur in Beziehung bringen, immer breiteren Boden gewinnt, da man immer mehr zu der Überzeugung gelangt, man müsse den Schüler bei Vor- führung von Tieren und Pflanzen anleiten nachzudenken , an- statt ihn die äußeren und anatomischen Unterschiede der Arten und Gruppen mechanisch auswendig lernen zu lassen (Vgl. Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 2, 1902, S. 85 ff.) , ist Ihre Frage sehr wohl berechtigt. Leider sind aber Hand- bücher der gewünschten Art, was die Zoologie anbetrifft, in neuerer Zeit nicht geschrieben worden. Die Folge ist, daß die Schulbücher, welche sich auf diesem Gebiete versucht haben, in Ermangelung eines hinreichenden Überblickes der Ver- fasser über die vorliegenden Tatsachen, vieles unrichtig darstellen und erklären. Natürlich will ich damit keinen Tadel aussprechen, sondern nur eine Tatsache konstatieren, einen Mangel, der vorderhand nicht zu vermeiden ist. — Ein Handbuch der ge- N. F. VI. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 303 I wünschten Art existiert noch nicht, weil es für einen einzelnen fast unmöglich ist, das Material zusammenzusuchen. Fast in jeder anatomischen und fast in jeder biologischen Arbeit findet man entsprechende Daten. Neben brauchbaren .'\ngaben ist aber auch viel Verkehrtes veröffentlicht worden. Der Anatom kennt nämlich meist die Lebensweise der Tiere nicht ge- nügend, der Etho- und ( )kologe ist meist über den Bau nicht hinreichend unterrichtet. Bei Verwendung der Literatur auf diesem Gebiete ist also, mehr als auf irgend einem ande- ren, Kritik erforderlich, und diese kann fast nur der Spezialist, der die zurzeit schon ins Unglaubliche angewachsene Literatur und zugleich die Tatsachen einigermaßen übersieht, üben. Möchten also bald Spezialisten sich in ausgedehntem Maße der Sache annehmen. Erst dann kann ein brauchbares Handbuch als engere Kompilation geschrieben werden. — .\n dieser Stelle möchte ich Ihnen nur einige Anhaltspunkte gellen, indem ich Ihnen einen kurzen historischen Überblick über das erste Auftreten und die Weiterentwicklung der bio- zentrischen Methode vor Augen führe. — Als erste Schrift ist zu nennen ' 1 /» / <» ro r/ / ?^ -■, Uto'i '^(öior Kooifor SiS/.ia _/ (vgl. A. V. Frantzius, .\ristoteles' vier Bücher über die Teile der Tiere, griechisch und deutsch, mit sacherklärenden Anmerkungen, Leipzig 1853). Die so wenig bekannte Aristotelische Schrift steht, obgleich sie schon mehr als 300 Jahre v. Chr. geschrieben ist, auf durchaus modernem Boden. Wenn man sie liest, glaubt man ein modernes, biozentrisch geschriebenes Schulbuch vor sich zu haben. — Freilich erklärt Aristoteles (bekannt- lich) z. T. die inneren Organe falsch. Dafür sind die äufleren Organe mit feiner Beobachtung vielfach richtiger aufgefaßt, als wir es bei neueren Autoren finden. .Vris t o tel es ist Teleologe. Unter anderen Ursachen nimmt er auch eine Endursache an. Wir begegnen hier also schon, wie noch bei manchen neueren Autoren der Zielstrebigkeit: ,,Da der Mensch bestimmt ist Mensch zu sein, besitzt er diese oder jene Teile; denn er kann ja ohne die betreffenden Teile gar nicht existieren." — Ich übergehe zahlreiche Forscher wie Leeuwenhoek (1696), Reaumur (1732—42), de Geer (1752 — 76), Swammerdamm (1752), Kirby und Spence (1S17), Blackwall (1830—40), Burraeister (1832—55) etc. eic, die alle neue Tatsachen lieferten und nenne als zweite Schrift ein äußerst bedeutungsvolles, ganz auf biozentriscliem Standpunkt stehendes Buch aus der Mitte des vorigen Jahr- hunderts; 0. Bergmann und R. Leuckart, ,, Anatomisch- physiologische Übersicht des Tierreichs, vergleichende Ana- tomie und Physiologie" (Stuttgart 1852). Da inzwischen die nichtvergleichende Physiologie, — die den Bau des Organes nur mit der Funktion, nicht, wie die vergleichende Physiologie, zugleich auch mit der Lebensweise in Beziehung bringt, — außerordentliche Fortschritte gemacht hatte, steht dieses Buch, im Gegensatz zu Aristoteles' Schrift, gerade in bezug auf die inneren Organe auch für uns noch fast auf der Höhe. In bezug auf die äußeren Organe, die für den Schulunterricht .lUerdings mehr noch als die inneren in Betracht kommen, zeigt das Buch weniger bedeutende Fortschritte. Vor allem ist, — wie in allen modernen Lehrbüchern, — eine Vernach- lässigung der Landarthropoden nicht zu verkennen. Diesem Mangel sucht V. Grab er abzuhelfen durch seine Schrift ,,Die Insekten" (München 1877 — 79). Das Grab er 'sehe Buch ist freilich etwas leicht hingeschrieben, ohne gründliche Literatur- benutzung. Es ist aber doch für die Fortentwicklung der biozentrischen Methode von ganz außerordentlich hoher Be- deutung gewesen. Da es für breitere Kreise geschrieben ist, ist es gewissermaßen das erste Schulbuch auf diesem (Ge- biete. Von Bedeutung ist besonders der Umstand, daß wir hier zum ersten Male bei der biozentrischen Behandlung des Stoffes die Zweckmäßigkeit im Bau durch die Selektionstheorie begründet finden. Den Einfluß des Graber 'sehen Buches habe ich an mir selbst erfahren müssen ; denn es hat mich auf das Thema für meine Dissertation geführt: Eine Reihe von Irrtümern in dem Graber' sehen Buche suchte ich durch meine Untersuchungen zu berichtigen (vgl. „Beiträge zur Kenntnis des Baues und der Funktion der Insektenbeine", in: Arch. f. Naturg. Bd. ,o I, 1884, S. 146 ff. und „Die Fußdrüsen der Insekten", in; .-Xrch. f. mikrosk. Anat. Bd. 25, S. 236 ff.). — Ein Jahr später erschien dann das erste biozentrisch ge- schriebene eigentliche Schulbuch (Fr. Junge, Der Dorf- teich als Lebensgemeinschaft, Kiel 1885) und wieder ein Jahr später die zweite, entschieden gründlichere. Grab er 'sehe Schrift (V. Graber, ,,Die äußeren mechanischen Werkzeuge der Tiere", Leipzig 1886). — Seit dem Erscheinen des ersten G ra b e r' sehen Buches sind verschiedene kleine Aufsätze über einzelne Organe oder Organsysteme, meist in kleineren Tier- gruppen, erschienen, die entweder auf biozentrischem Boden stehen oder doch biozentrische Ausblicke geben. Ich nenne natürlich nur diejenigen Schriften, welche sich mindestens aut ganze Ordnungen des Tierreiches erstrecken, da nur sie für den Schulmann Interesse haben. Im Jahre 1S91 erschien W. Küken thal, ,, Anpassung von Säugetieren an das Leben im Wasser", in: Zool. Jahrbücher Abt. Syst. Bd. 5, S. 373 ff- Im Jahre 1S94 folgen dann meine Auf- sätze über die biologische Stellung der Reptilien, der Am- phibien, der Säugetiere und der Vögel, in; ,,Die Heimat", Monatsschr. d. Ver. z. Pflege der Natur- u. Landesk. Schlesw.- llolst. (auch separat als: ,,Die lungenatmenden Wirbeltiere etc.", Kiel 1906). — In den Jahren 1898 u. 99 erschien das Seh meil' sehe Lehrbuch der Zoologie, als erstes Schulbuch, welches den biozentrisch behandelten Stoff in systemati- scher Anordnung bringt und welches dadurch für die weitere Aufnahme der Methode von so großer Bedeutung gewesen ist. — Zu nennen ist besonders auch W. B. Schmidt und B, Landsberg, ,,Hilfs- und Übungsbuch für den zoologischen Unterricht", Heft I (Leipzig 1901), welches die Säugetiere und einen Teil der Vögel sehr eingehend behandelt und eigentlich viel mehr ist als ein Schulbuch. Endlich nenne ich noch mein „Tierleben im deutschen Walde" (Jena 1902), in welchem einzelne Beispiele aus den verschiedenen Tiergruppen gegeben sind und mache auf die zahlreichen Aufsätze aufmerksam, die in den letzten Jahrgängen der Naturw. Wochenschr. (N. F. Bd. 2 — 6) namentlich im Briefkasten sich finden. Diesen Auf- sätzen werden sich demnächst einige schon in Druck gegebene Abhandlungen über Spinnen und das Verhältnis des Baues derselben zur Lebensweise anschließen. Hoffentlich werden meine Arbeiten dazu beitragen , daß eine durchaus biozentri- sche Behandlungsweise, wie sie bisher aus didaktischen Grün- den zur Verwendung kam, auch auf rein wissenschaftlichem Gebiete allgemein Eingang findet. Freilich kann das nur dann geschehen, wenn man mehr als bisher auch die Lebens- der Tiere studiert. Dahl. Herrn Alb. Ch. in Kiel-Gaarden. — Bei der Familie der Plantaginaceen treten sehr häufig sowohl an den vegetativen ;ds auch besonders an den fruktifikativen Organen Mißbildun- gen oder Monstrositäten auf, welche wohl als die Wirkung des allen Organismen innewohnenden Variationstriebes anzu- sehen sind. Besonders bei den beiden häufigsten Arten, dem Plantago lanceolata und dem P. major, sind vielfach Fascina- tionen des Blütenschaftes, welche auch auf die .Ähre selbst übergehen, beobachtet worden. Eine solche besonders breite Fascination der Inflorescenzen bei P. major ist von F. Buche- nau abgebildet worden. Eine andere häufig beobachtete Mon- strosität ist die Längsverwachsung zweier Blütenschäfte mit- einander. Bisweilen sind auch die Schäfte unterhalb der .\hren stark tordiert. Was die Blätter betrifft, so weisen die- selben ebenfalls geringe Abweichungen auf. Von P. Corono- pus , dessen Blätter für gewöhnlich fiederspaltig oder fieder- schnittig sind, kommen Exemplare mit ganzrandigen Blättern vor, während bei P. major von Anomalien der Laubblätter eine Gabelung der Spreite oder des Mittelnerven derselben anzuführen wäre ; bisweilen erfahren die Blattspreiten bei letzterer Species eine Reduktion zu einer schmal-lanzettlichen Form. Besonders sind es aber die Inflorescenzen, welche die verschiedenartigsten Mißbildungen aufweisen. Bezüglich der Abweichungen im Aufbau der Inflorescenzen , welche in der teratologischen Literatur außerordentlich häufig aufgeführt sind, kommt in erster Linie die Verästelung oder Verzweigung der .\hren in Frage. Dieselbe kann auf verschiedene Weise zustande kommen: erstens durch Gabelung oder Teilung der -Ahrenspindel in zwei oder mehrere gleichwertige Zweige, zweitens durch Ausbildung von sekundären, mehr oder weniger gestielten .Ähren in den Achseln der Brakteen der Hauptähre. Die Gabelung resp. Teilung findet natürlich an der Spitze der .Ähre statt und kann sich mehr oder weniger tief er- strecken, während die Prolifikationen meist auf die Basis oder die untere Hälfte der Hauptähre beschränkt sind ; auf diese 304 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 19 Weise lassen sich die beiden Formen auf den ersten Blick unterscheiden. Für P. lanceolata finden sich zahlreiche An- gaben über solche Teilung oder Agglomeration von .Ähren an der Schaflspitze in der teralologischen Literatur aufge- führt; außerdem sind auch Inflorescenzen mit langgestielten Ähren in den Achseln der Brakteen beschrieben worden. Bei P. major wäre in erster Linie als Anomalie die Verzweigung der -Ähren, die bei dieser Species viel häufiger und intensiver ausgebildet auftritt als bei P. lanceolata zu nennen. Die .Ähren können sich in vielteilige Rispen umwandeln , deren Zweige sich wiederum verzweigen können, wodurch die Pflanze ein ganz fremdartiges Aussehen erhält. Merkwürdigerweise ist diese Anomalie relativ samenbeständig; man findet sie hier und da kultiviert. Sehr oft sind in solchen verzweigten Inflorescenzen die untersten Brakteen verlaubt und die unter- sten Blüten mehr oder weniger lang gestielt. Diese Monstro- sität ist schon lange bekannt und sehr oft beschrieben und abgebildet worden. Fast ebenso häufig ist die Erscheinung, dal3 die Spindel der .Ähren an der Spitze vegetativ neu aus- treibt oder daß die Brakteen verlaubcn. Im ersteren Falle sind die Inflorescenzen von einem Schopf von Laubblättern gekrönt, im anderen in rosetten förmige Blattbüschel umge- wandelt. Falls sich das Verlaubcn, welches meistens mit einem Abort der Blüten verbunden ist, auf alle Brakteen er- streckt, erscheint die ganze .\hre in einen beblätterten Zweig umgestaltet. Bei P. major ist von Schimper eine Art von Brakteomanie an ästigen Inflorescenzen mit völligem Abort der Blüten beschrieben worden. Auch ein Vergrünen der Blüten ist hier und da beobachtet worden. Daß in unserem Falle irgendwelche fremde Körper, z. B. das Mycel eines parasitischen Pilzes oder die Eier eines In- sektes oder auch die durch den Stich eines Insektes in das Gewebe eingeführte Substanz, die Ursache dieser Anomalie sind, glaube ich nicht, obwohl die Gallenbildung und ebenso die Virescenzen , die besonders Peyritsch an vielen Pflanzen durch künstliche Infektion mit Phytoptus-Milben erzielt hat, hierauf zurückzuführen sind. In unserem Falle haben wir es lediglich mit einer Abweichung von dem normalen Typus zu tun, bewirkt durch die Veränderlichkeit der .■\rten , ohne welche überhaupt die Entstehung und die Entwicklung der so vielgestalteten Reihen von Pflanzen und Tieren nicht ge- dacht werden kann. Dr. P. Beckmann. Herrn Dr. M. W. in Plauen. — Aufweiche Weise prä- pariert man am besten Diatomeen, um möglichst reine Präparate zu erzielen? Wo sind Angaben über Fundorte, Lebensweise , etwaige Zucht von Diatomeen usw. zu finden. Welche Bestimmungswerke eignen sich am besten a) für Anfänger, b) für Fortgeschrittenere f Die Diatomeen findet man besonders zahlreich im Früh- jahr und Herbst. Sie kommen fast ausschließlich im Wasser vor, wo sie als rostfarbige, schleimige Überzüge den Boden der Gewässer bedecken. Andere sitzen an den Stengeln der Wasserpflanzen und an den in das Wasser gerammten Pfählen. Gewisse .\rten pflegen auch an feuchten Orten aufzutreten, wo sie zwischen Moosen auf feuchter Erde und an feuchten Felswänden ihr Gedeihen suchen. Viele sind Planktonformen und treiben in Gestalt bräunlich aussehender Watten an der r)berfläche des Wassers. Solche Massen [)räpariert man am besten, indem man Aut^tragungen auf Glimmer fertigt oder auch mikroskopische Präparate herstellt. Zum Sammeln der Diatomeen bedient man sich eines Löffels, der sich an einen Stock befestigen läßt. Die flottie- renden Formen fischt man mit einem feinen Seidennetz. Als Bezugsquelle für alle bei der Algenlischerei benötigten Ge- brauchsgegenstände nenne ich die Firma E. Thums, Institut für Mikroskopie (Leipzig, Johannisallee 3). Ein sehr brauch- bares und nützliches Inlrument beim Sammeln mikroskopischer Organismen ist der Algensucher, der über 100 mal vergrößert und bei fast allen Optikern zu haben ist. Bei Zeiss ist ein solcher schon für 8 Mk. zu haben. Ein etwas größerer und verbesserter Algensucher kostet bei derselben F'irma 48 Mk. Um aus dem gefischten Material die Schlammteilchen und Pflanzenreste zu entfernen, wendet man ziemlich mühselige und langwierige Schwemmungsmethoden an. Nähere diesbe- zügliche Angaben finden sich in Lindau's Hilfsbuch für das Sammeln und Präparieren der niederen Kryptogamen (Verlag (iebr. Borntraeger , Berlin) und in Strasburger's botanischem Praktikum (Verlag Fischer, Jena). Gleiche Methoden dienen auch dazu, die einzelnen Arten voneinander zu isolieren. Zur Kultur von Süßwasser-Diatomeen bedient man sich am besten möglichst flacher Gefäße, z. B. Supjienteller. Die Wasserschicht soll nicht über I cm Höhe betragen. Die Teller sind im allgemeinen an einem kühlen, schattigen (_)rle aufzustellen; doch möglichst unter Berücksichtigung der Be- dingungen, unter denen die Diatomeen im Freien leben. Ferner kann man zur Kultur von Süßwasser-Diatomeen mit gutem Erfolg Wasser, in welches man Grasstücke, Kleie und Moosstückchen tut, verwenden. Auch lassen sich künstliche Nährböden für diese und marine Formen leicht herstellen. Zu den Reinkulturen der Diatomeen benutzt man am besten die Miquel'sche Kulturzelle. Einfacher läßt sich die Kultur der Diatomeen im Hängetropfen mit Hilfe hohlge- schliffener Objektträger oder sonst üblichen , feuchten Kam- mern ausfuhren. Ebenso wichtig wie die Trennungsmethoden sind die Methoden , um das gesammelte , frische Material so zu konservieren, daß es für eine spätere mikroskopische Unter- suchung verwendbar bleibt, namentlich mit Bezug auf den Plasmaleib. Für diesen Zweck ist am besten eine gesättigte wässerige Lösung von Pikrinsäure , in die man noch feste Pikrinsäure im Überschuß hineintut, zu empfehlen; im Notfall tut es auch absoluter Alkohol. Das Auffüllen der Konser- vierungsflüssigkeit muß bald nach dem Sammeln geschehen, ehe die Zellen absterben. Statt der Pikrinsäurelösung kann eine Sublimatlösung in Wasser I : 200 benutzt werden. Nach einigen Stunden muß die Sublimatlösung wieder vorsichtig ab- gegossen werden und durch 50 "/o Alkohol ersetzt werden. Alle diese Konservierungsflüssigkeiten sind auch für die Planktonformen verwendbar. Auf die weitere Behandlung des Materials, wie Ausglühen, Auskochen mit Säuren usw. kann hier nicht näher eingegangen werden. Diesbezügliche Winke finden sich in Strasburger's botanischem Praktikum sehr ausführlich und genau angegeben. Was nun die Literatur über Diatomeen betrifl^t, so seien folgende Werke zitiert: Kützing, Die kieselschaligen Bacillarien oder Diatomeen. 1844. — Smith, A Synopsis of the british Diatomaceae. l8s3— 56. — Grunow, Über neue oder ungenügend be- kannte Arten und Galtungen von Diatomaceen, in Verhandl. d. k. Ic. zool.-bot. Ges. in Wien. 1860 — 63. — P fitzer, Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Bacillariaceen. 1871. — Ders. in Schenk, Handbuch der Botanik. Band II. 1882. — Van Heurck, Synopsis des Diatomees de Belgir|ue. 1880 — 85. — A.Schmidt, Atlas der Diatomaceen- kunde. 1874 — 90. — Migula, Kryptogamenflora, Band Algen der Thome's Flora von Deutschland, Österreich und derSchweiz. — F.Schütt, Bacillariales in Nat. Pfl.-Fam. I, I. Dr. P. Beckmann. Herrn D. in O. — Die uns zugesandten Körnchen sind nicht pflanzliche oder tierische Gebilde. Woraus sie bestehen konnte nicht ermittelt werden, da ihre Menge zu gering. Ein Zusammenhang mit dem Bier selbst scheint nicht zu bestehen, sondern sie müssen wohl zufällig in die Flasche gelangt sein. L. Herrn S. in Lostau. — .^chon auf S. 112 beantwortet. Inhalt; Dr. Max Hagedorn: Pilzzüchtende Borkenkäfer. — Kleinere Mitteilungen : Wilh elm S p ill : Fernrohrbeobach- tungen über den Wanderflug der Vögel. — Fischer: Der Mechanismus der Akkommodation des Auges — W. J. Müller: Bildung von Quarz und Silikaten aus wässriger Lösung. — Prof. J. II artmann: Spektrokomparator. — Das Zeiss'sche Epidiaskop. — Bücherbesprechungen: Meyer's Großes Konversations-Le.xikon. — Prof. Dr. Her- mann Schubert: Auslese aus meiner Unterrichts- und Vorlesungspraxis — Litteratur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichtcrfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge Tl. Band; der ganzen Reihe XXII. Band. Sonntag, den 19. Mai 1907. Nr. 20. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei gröfleren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- bandlung. Carl von Linne Sein Leben und seine wissenschaftliche Bedeutung. Von H. Harms. [Nachdruck verboten.] Im Mai feiert Schweden die 200jährige Wieder- kehr des Geburtstages eines seiner größten Söhne, der sich durch seine epochemachenden wissen- schafiUchen Werke Weltruhm erworben, und dessen Name überall genannt wird, wo Naturwissenschaften liebevolle Pflege finden. Wir meinen Carl von Linne,') den König der Blumen, einen der größten Naturforscher aller Zeiten, einen der hervorragend- sten Botaniker. Sein Vater, Nils Ingemarsson, der sich nach einer gewaltigen Linde, die in der Nähe des Gutshofes der Vorfahren .stand, den Namen L i n - naeus beilegte, war verheiratet mit Christina Brodersonia und Hilfspfarrer in dem kleinen Flecken Stenbrohult in Smäland, wo .sein Schwieger- vater SamuelBrodersonius Hauptpfarrer war. In dem äußerst anspruchslosen, torfgedeckten Pfarr- ') Näheres über Linne' s Lebensgang findet man in der vortrefflichen Biographie von Th. M. F r ies : Linne. Lefiiads- teckning. Stockholm (Fahlcrantz; 2. vol., mit vielen Illustra- tionen und interessantin Beilagen). Fries schöpft hauptsäch- lich aus den Aufzeichnungen, die Linne selbst hinterlassen hat, aus seinem umfangreichen Briefwechsel, und amtlichem Lrkundenmaterial. Sein anregend geschriebenes, auf gründ- lichen, langjährigen Studien beruhendes Werk gibt zugleich ein anschauliches Bild von dem wissenschaftlichen Leben jener Zeit. häuschen von Södra Rilshult wurde im Jahre 1707 in der Nacht des 13. Mai alten Stils (23. Mai neuen Stils) um i Uhr Carl als das erste Kind des jung vermählten Paares geboren. Kurz darauf erhielt Carl's Vater die Pfarrstelle in Stenbrohult als Nachfolger seines Schwiegervaters. Schon in seinen frühesten Kindestagen erwachte bei dem Knaben unter dem Einfluß der Eltern die Neigung, die auf seinen Lebensgang bestimmend wirken sollte. Beide Eltern waren Blumenliebhaber, und ganz besonders galt dies vom Vater, der einen wohlgepflegten Garten an seinem Pfarrhause an- legte, wo einige hundert verschiedene ausländische Arten gezogen wurden. Hier verbrachten die Eltern gern ihre Mußestunden, und hier erwuchs zunächst unter kindlichem Spiel immer mehr das Interesse für die Pflanzenwelt, das bei dem Vater verständnis- volle Pflege fand. Oft fragte das Kind den Vater nach den Namen der verschiedenen Pflanzen, der kaum sich dieser Fragen zu erwehren wußte. Mit zunehmendem Alter dehnte der Knabe auch seine Ausflüge in die prächtige nächste Umgebung des väterlichen Heims aus, immer seine Aufmerksam- keit und seine früh erwachte, wunderbare Be- obachtungsgabe der Pflanzenwelt widmend. Schon frühzeitig nannte man ihn den kleinen Botanikus. 3o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 20 Im Alter von 9 Jahren kam er auf die Schule in Vexjö, zunächst auf die Elementarschule, später auf das Gymnasium. In seiner Schulzeit übte der Arzt Dr. Roth man einen wesentlichen Einfluß auf ihn. Dieser vortreffliche Mann erkannte die ungewöhnliche Begabung des Knaben für Natur- wissenschaften und erbot sich, ihn privatim zu unter- richten. Durch ihn wurde der junge L. zuerst in die wissenschaftliche Botanik eingeführt und mit den systematischen Werken Boerhaave's und Tournefort's bekannt. Zugleich wies er die Eltern darauf hin, daß aus ihrem Wun- sche, den Sohn Pfarrer werden zu lassen, nichts werden könne, da der Jüngling sich dazu nicht eigne, vielmehr solle er Medizin studie- ren. Nach Ab- schluß der Gym- nasialzeit bezog er 1727 die Uni- versität Lund ; seine Eltern hat- ten sich nach längerem Sträu- ben seiner Nei- gung gefügt, die ihn dahin wies, „medicus" und ,,botanicus" zu werden. 1728 be- gab er sich auf dringendes An- raten von Dr. R o t h m a n auf die Universität Upsala, und dort verblieb er bis Dezember 173 1. In den ersten Studienjahren hatte er vielfach mit Geldmangel zu kämpfen; ein glücklicher Zufall errettete ihn aus den Schwierigkeiten. Er machte nämlich die Bekanntschaft des hochgeachteten Dompropstes Olof Celsius, der selber ein Blumenliebhaber war und ihm ein väterlicher Freund und Helfer wurde. Dieser nahm ihn in sein Haus auf und unter- stützte ihn nicht nur materiell, sondern öffnete ihm auch den Zugang zu seiner reichhaltigen Biblio- thek. Beide machten auch zusammen wiederholt Ausflüge. In dieser Zeit verfaßte L. seine ersten botanischen Schriften, und unter ihnen befindet Carl von Linne, nach einem (Icmiildc von 1737.' sich eine, die für seine wissenschaftliche Entwick- lung von großer Bedeutung wurde. Sie behandelte nämlich ein damals viel umstrittenes Gebiet, das von der Sexualität der Pflanzen. Seine eigenen Anschauungen hierüber legte er nieder in einer kleinen Abhandlung unter dem Titel: Praeludia Sponsaliorum plantarum 1729. Es war dies eine Neujahrsgabe für seinen Wohltäter Celsius. Diese Schrift wurde auch dem Professor der Medizin und Botanik Rudbeck bekannt, der ihn darauf mit Demonstrationen im Botanischen Garten betraute, die ungewöhnlich starken Zulauf von Studenten fanden. Zudem nahm ihn Rud- beck als Haus- lehrer seiner Söhne in sein Haus auf, so daß er ohne materielle Kümmernisse seinen Studien obliegen konnte. In diese Zeit fal- len die Vorarbei- ten für seine späteren großen Werke. Bereits im .\lter von 24 Jahren entwarf er in seinem Werke Hortus Uplandicus (1731) sein be- rühmtes Sexual- s)'stem. Auch Zoologie und Mi- neralogie trieb er mitgrößtemEifer. Angeregt durch die lebendigen Schilderungen, die Rudbeck ihm von seiner im Jahre 1695 nach Torneo Lappmark unternommenen Reise entwarf, hatte L. schon lange den Plan gefaßt, auch einmal jene Gegenden zu besuchen , die in natur- wissenschaftlicher Hinsicht noch nahezu eine terra incognita waren, da Rudbeck's Sammlungen vor ihrer völligen Aufarbeitung ein Raub der Flammen geworden waren. Auf seinen Antrag erhielt er von der Kgl. Wissenschafts-Sozietät in Üpsala Mittel für eine Reise nach Lappland, die er im Jahre 1732 ausführte. Mit reicher wissenschaftlicher Ausbeute kehrte er i>ach LTpsala zurück und widmete, soviel •) Die Cliches zu den beiden obigen Porträts wurden uns freundlichst von der Firma W. Junk in Berlin geliehen ; es sind Verkleinerungen nach größeren Blättern, die die genannte Firma für I Mk. das Stück abgibt. — Red. N. F. VI. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 307 er konnte, seine freie Zeit der Bearbeitung dieser Sammlungen. Er studierte noch zwei weitere Jahre (^1733-34) auf der Universität, wo er sich den Unterhalt haupt.sächlich durch Unterrichten von Studenten erwarb. Abgesehen von einem kurzen Aufenthalt in Fahlun, wo er emsig mineralogischen Forschungen oblag, unternahm er noch in dieser Zeit auf Kosten seines Gönners, des Baron Reuter- holm, eine Forschungsreise nach den sogenannten Dalarne. Schon längere Zeit reifte in ihm der Plan, eine größere Rei- se ins Aus- land zu unter- nehmen. Mehrere Gründe trie- ben ihn dazu. Fr war nun schon 7 Jahre Student und mußte an eine ge- sicherte Stel- lung für die Zukunft den- ken. Noch hatte er kein Examen ab- gelegt. Um als Universi- tätslehrer oder als Arzt tätig sein zu können, be- durfte er der Promotion als Doktor der Medizin. Nun galt da- mals nur der im Auslande erworbene Doktorgrad als voll, und so war eine Auslands- reise eine Notwendig- keit für ihn geworden. Dazu kam noch, daß er mehrere wissenschaftliche Werke nahezu fertig liegen hatte, die er wollte drucken lassen. Doch fand sich dafür zunächst kein \'er- leger. Er hoffte durch Empfehlungen berühmter Gelehrter des Auslandes, nachdem er zu diesen in persönliche Beziehungen getreten war, eher einen Verleger finden zu können. Wie aber die Geldmittel für eine so kostspielige Reise aufbringen: Da fand sich eine günstige Gelegenheit. Er erhielt nämlich von Sohlberg, dem Inspektor der Gruben in Fahlun, das Angebot, auf seine Kosten und als Begleiter seines Sohnes ins Ausland zu reisen. Nachdem er in Upsala das für die Reise nötige „attestatum" über ein theologisches Examen sich verschafft hatte, ver- lebte er die Weihnachtszeit 1734/35 in Fahlun, und verlobte sich dort mit Sara LisaMoraea," der Tochter des vermögenden Physikus Dr. Joh. Moraeus. Die Auslandsreise trat er am 20. Febr. 1735 an. Erst nach 3' ., Jahren sah er die Heimat wieder. Diese Reise bildet den bedeutungsvollsten Abschnitt im Leben unse- resForschers, und die Zeit, die er im Auslande verlebte, wurde für ihn ebenso reich an An- regung wie an Arbeit. Das Haupt- ziel der Reise war Holland. Hier standen damals die Wissenschaf- ten, beson- ders die Na- turwissen- schaften, in höchster Blüte, ja Holland war geradezu ein Mittelpunkt des gelehrten Lebens, wo- hin Fremde aus allen. Ländern strömten, um im Ver- kehr mit den dortigen weitberühm- ten For- schern in die verschiede- nen Gebiete de.s Wissens eingeführt zu werden. Über Helsingör, Lübeck und Hamburg wandten sich die Reisenden zunächst nach Harderwijk in Geldern, einer zu der Zeit von vielen Fremden, besonders Schweden, besuchten Universität, wo ziemlich alle Mitglieder des Collegium medicum zu Upsala ihren Doktorgrad erworben hatten. Hier promovierte auch Linne im Juni 1735 mit einer Arbeit über intermittierende Fieber (Hypothesis nova de febrium intermittentium causa), die er Carl von Linne, nach einem um 1760 gefertigten Gemälde. 3o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 20 bereits in der Heimat fertig gestellt hatte. Nun ging es über Amsterdam, wo der berühmte Bur- ma n aufgesucht wurde, nach Leiden, und hier trat er in lebhaften, anregenden Verkehr mit den hoch- angesehenen Gelehrten des Landes, die ihn, dem bereits ein guter Ruf vorausging, mit dem größten Wohlwollen aufnahmen. Auf Kosten des Dr. Gronovius und des Schotten J. L a w s o n konnte jetzt das Manuskript seines ersten bedeutenden Werkes (Systema naturae, sive regna tria naturae, systematice proposita per classes, ordines, genera et species, 1735) dem Drucke übergeben werden, eines Werkes, das zwar nur gering von Umfang war (11 Folioseiten), aber mit einem Male dem Verfasser den Ruf eines scharfsinnigen Reformators der Systematik auf allen drei Gebieten der Naturgeschichte verlieh. In Leiden erwarb er sich auch die Gunst des bereits hochbetagten Her man Boerhaave, den ganz Europa als größte medizinische Autorität bewun- derte, und dem man den Beinamen „Hippo- crates redivivus" beilegte. Schon trug er sich mit der Absicht, nach Schweden zurückzufahren, da seine Geldmittel erschöpft waren. Auf der Rückreise begriffen, besuchte er wiederum B u r - man in Amsterdam, und dieser, überrascht von den weit umfassenden Kenntnissen des jungen Gelehrten, forderte ihn auf, ihm bei der Bearbeitung der Pflanzen von Ceylon behülflich zu sein. Zu- gleich traf auch durch Sohlberg eine neue Geld- summe ein, so daß er nunmehr seinen Aufenthalt im Auslande verlängern konnte. Er übergab die beiden Werke „Bibliotheca botanica" und „Funda- menta botanica" dem Drucke, von denen er das erste verehrungsvoll Burman widmete. Zur sel- ben Zeit wurde er mit dem reichen Direktor bei der ostindischen Kompanie, Dr. jur. G. Clifford. bekannt, einem begeisterten Freunde der Pflanzen- kunde, der einen unvergleichlich schönen botani- schen Garten auf seinem Landgute Hartecamp zwischen Leiden und Haarlem angelegt hatte. Dieser übertrug L. die Aufsicht über seinen Gar- ten. Hier verlebte L. einige sorgenfreie Jahre („innocentissimos annos") in emsiger, wissenschaft- licher Tätigkeit. Sein Aufenthalt in Hartecamp währte bis Oktober 1737, nur unterbrochen durch einen kurzen Abstecher nach England , wo er zu Sloane, Miller und D i 1 1 e n i u s in Beziehungen trat. Trotz aller lockenden Anerbietungen, dauernd in Holland zu bleiben, an denen es nicht fehlte, sehnte er sich mehr und mehr nach der Heimat und seiner Braut zurück. Von Hartecamp wandte er sich wieder nach Leiden und verblieb hier den Winter, weiter mit wissenschaftlichen Forschungen und der Herausgabe seiner Werke beschäftigt. Gronovius erwarb sich großes Verdienst um die Li nne' sehen Werke, denn er stand dem Ver- fasser mit Gründlichkeit und Sorgfalt treu zur Seite , indem er das Manuskript durchprüfte. Korrekturen erledigte und alles geschäftliche mit Aufopferung besorgte. Es ist ganz erstaunlich, welche Fruchtbarkeit Li nne in dieser Zeit ent- faltete. Nicht weniger als 14 Arbeiten gab er in dem Zeiträume von 2'., Jahren heraus, und mehrere davon waren epochemachend in der Ge- schichte der Botanik. Es seien außer den bereits erwähnten besonders genannt die Werke Flora lapponica, Genera plantarum und Hortus Cliffor- tianus, die alle drei 1737 in Holland erschienen. Das erstgenannte bringt die Ergebnisse seiner lappländischen Reise, das zweite eine überaus klare und knappe Charakteristik der Pflanzen- gattungen, das dritte ist ein Prachtwerk, ein Aus- druck der Dankbarkeit gegen Clifford, „unicus Botanicorum Maccenas". Daß es bei diesen her- vorragenden Leistungen ihm nicht an Anerkennung fehlte, ist selbstverständlich. Schon im Oktober 1736 ernannte ihn die Leopoldinisch - Carolinische .Akademie der Naturforscher zu ihrem Mitgliedc mit dem Beinamen ,,Dioscorides secundus". Man sprach von ihm in gelehrten Kreisen als dem ,,lumen oriens et ingens", als ,,omnium seculi sui Botanicorum princeps". — Im Mai 1738 sagte er Leiden und den dort gewonnenen Freunden und (TÖhnern Lebewohl und begab sich nach Paris, wo er einen Monat blieb und insbesondere mit B. De Jussieu verkehrte. Dann gelangte er über Rouen in die Heimat zurück. Auf .Anraten seines künftigen Schwiegervaters ließ er sich in Stockholm als praktischer Arzt nieder. Zunächst ging es mit der Praxis nicht nach Wunsch vorwärts, denn es fehlte ihm an Patienten. Allmählich jedoch besserte sich seine Lage. Er erlangte besonders Ruf im Kurieren von Brustkrankheiten und erhielt auch den Auf- trag, die Königin UlrikaEleonora von einem Husten zu befreien. Auf diese Weise wurde sein Name in Hofkreisen bekannt. Ganz besonders wertvoll wurde für ihn die Bekanntschaft mit dem Grafen Tessin, einem eifrigen und verständnis- vollen Beförderer der Wissenschaften und Künste. Durch seine Vermittlung wurde er mit der Ab- haltung öffentlicher Vorlesungen über Botanik und Mineralogie beauftragt. Dazu erhielt er noch die Plrnennung zum Arzt bei der Admiralität, so daß ihm die angestrengteste praktische Tätigkeit er- wuchs. So war er auch hier bald zu Ansehen und einem beträchtlichen Einkommen gelangt, und er konnte im Juni 1739 seine geliebte Sara Lisa Moraea als Gattin heimführen. Kurz vor- her gründete er in Gemeinschaft mit 4 anderen Gelehrten und Freunden wissenschaftlicher For- schung eine gelehrte Akademie. Dieses war der Ausgangspunkt für die später so hochangesehene Akademie der Wissenschaften zu Stockholm, die bereits nach 2 Jahren (1741) zu einer Königlichen erhoben wurde. L i n n e war der erste Präsident der Akademie, die für die Entwicklung und För- derung wissenschaftlicher Forschung in Schweden von allergrößter Bedeutung werden sollte. Im Laufe der Zeit empfand er die ärztliche Tätigkeit mehr und mehr als eine schwere Last und Bürde, er sehnte sich zurück nach der stillen Welt der Blumen. Seine Erfolge als Redner ließen in ihm N. V. VI. Nr. 20 Natiirwissenscliaftliclic Wochenschrift. 309 den aUcn Wunsch wieder rege werden, als Uni- versitätslehrer zu wirken. Kr erhielt zu dieser Zeit von dem berühmten Dichter und Natur- forscher A 1 b r c c h t von H a 1 1 c r das Anerbieten, an seiner Stelle den Lehrstuhl in Göttingen anzu- nehmen, und es hätte nicht viel gefehlt, so wäre er Schweden entrissen worden. Lieber jedoch wollte er an der Universität Upsala wirken. Die- ser sein Wunsch wurde 174I erfüllt. Nach man- cherlei zum Teil recht unliebsamen Verhandlungen wurde er zum Professor der Medizin und Botanik in Upsala ernannt. Damit erhielt die erste Periode seines Lebens ihren Abschluß, die sein Biograph F"ries als Sturm- und Drangperiode bezeichnet. Von jetzt an kommt die Zeit gesicherter Stellung und un- ermüdlicher wissenschaftlicher Arbeit bei gleich- mäßigem, wenig Abwechslung bietendem Leben. Die ersten Jahre seines Wirkens in Upsala wurden noch durch einige im staatlichen i'\uftrage unter- nommene F"orschungsreisen unterbrochen; so be- reiste er 1741 Oeland und Gotland, 1746 Väster- götland und Bohuslän, 1749 Schonen. An der Universität hielt er von 1741 bis 1776 seine Vor- lesungen mit niemals erlahmender Begeisterung, mit unerhörtem Erfolge und unter ungewohntem Zudrang der Studenten. Abgesehen von natur- wissenschaftlichen Vorlesungen trug er auch über medizinische Themata vor, so z. B. über Diätetik. Nicht allein der Reichtum und die Neuartigkeit des gebotenen Stoffes lockte die Hörer, sondern auch die sympathische Persönlichkeit, sein frischer, lebendiger, oft von Genieblitzen durchleuchteter Vortrag übten eine magische Anziehungskraft aus. Bald galt es als ein besonderer Vorzug, Linne's Schüler gewesen zu sein, und diesen Ehrentitel wollten alle gern beim Verlassen der Universität mit auf den Lebensweg nehmen. Sehr beliebt waren seine Exkursionen (Herbationes upsalienses), wo er In anregendster Form auf alle Naturerschei- nungen aufmerksam machte und die beste Anlei- tung zur Beobachtung des Naturlebens gab. Das stets wachsende Ansehen seines Namens zog auch viele Ausländer nach Upsala. Groß war daher die Zahl der Schüler, die sich unter seiner be- geisternden Anleitung dem Studium der Botanik oder Zoologie widmeten und seinen Ruhm weit- hin verkündeten. Unter den .'\uslandern, die sich als seine Schüler bezeichneten, seien besonders die Deutschen Schreber, Giseke, Ehr hart ge- nannt. Eine größere Anzahl seiner Schüler ging auf seine Anregung in fremde, bisher unerforschte Länder, um dort wertvolles neues Material zu sam- meln, das dann später von ihm und seinen Schü- lern in zahlreichen Arbeiten aufgearbeitet wurde. Auf diese Weise trug er in umfassendster Weise zur Kenntnis neuer und interessanter Pflanzen- und Tierformen bei, und reiche Schätze häuften sich in den naturwissenschaftlichen Sammlungen von Upsala an. Unter seinen „Aposteln" , die fremde Gebiete erforschten, seien nur genannt: Löfling (Portugal, Süd- Amerika; ihn schätzte und liebte Linnc ganz besonders). Kahler, Martin, Rolander, Forskiil (Arabien), Thun- berg (Süd-Afrika, ( )stasien; später sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl in Upsala). Es war eine Zeit intensiver naturwissenschaftlicher Arbeit in Schwe- den und reichen wissenschaftlichen Gewinns, so daß E. Fries den großen Naturforscher und seine Schüler mit Gustav Adolf und seiner Helden- schar vergleichen konnte; was diese in politischer Hinsicht für Schweden einst wirkten, das leisteten jene auf dem (iebicte der Naturforschung. Beispiellos ist die schriftstellerische Tätigkeit, die er in diesen Jahren entfaltete. Eine große Anzahl selbständiger Werke ging aus seiner Feder hervor, von denen einige noch zu seinen Lebzeiten mehrmals aufgelegt wurden. Es seien hier be- sonders genannt die wiederholten Ausgaben der Genera plantarum und des Systema naturae, die Flora zeylanica (1747), Flora suecica (1745, 2. Aufl. 1761), Philosophia botanica (1751), sein botani- sches Hauptwerk Species plantarum (1753, 2. Aufl. 1762). Sein zoologisches Hauptwerk ist die 10. editio des Systema naturae vom Jahre 1758- — Neben diesen größeren Werken verfaßte er über 180 akademische Dissertationen (oder Disputa- tionen). Die Mehrzahl von ihnen ist ganz oder zum größten Teil sein Werk, andere dagegen beruhen auf Studien der betreffenden Doktoranden. Die wichtigsten dieser Dissertationen sammelte er und gab sie nebst einigen akademischen Reden und Programmen unter dem gemeinsamen Titel Amoenitates academicae (1748 — 69) heraus. Von den äußeren Lebensverhältnissen Ist wenig mehr zu berichten. Seinen dienstlichen Verpflich- tungen kam er stets mit sachlicher Hingabe nach. Viel Mühe verursachte ihm die Verwaltung des Botanischen Gartens, dessen Leitung mit allerlei Verdrießlichkeiten verknüpft war. Am Hofe des Königs Adolf Friedrich genoß er, der seiner- zeit der erste Gelehrte Europas war, hohes An- sehen, ganz besonders begünstigte ihn die Königin Luise Ulrike, die geistvolle Schwester Fried- richs des Großen, welche ein lebhaftes Interesse für naturwissenschaftliche Sammlungen bekundete. 1757 wurde er geadelt, und führte von da an den Namen von Linne, nachdem ihm schon vorher die hohe Ehre zu teil geworden war, zum Ritter des Nordsterns ernannt zu werden. Sein Adels- wappen führte den Wahlspruch : „famam extendere factis", und trug oben einen blühenden Zweig der lieblichen Linnaea borealis. 1758 erwarb er das Landgut Hammarby; hier baute er sich ein eigenes Museum, in dem er seine reichen Samm- lungen verwahrte, und das von Fremden viel be- sucht und bestaunt wurde. Im allgemeinen er- freute er sich einer starken Gesundheit. Erst in späteren Jahren begann er zu kränkeln; Atemnot und Ischias suchten ihn heim, dazu trat schließlich ein Schlaganfall, so daß sein Zustand in den letzten 3 bis 4 Jahren seines Lebens ein recht kümmer- licher war. Er starb am 10. Januar 1778 und wurde in der Domkirche zu Upsala beigesetzt. 310 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 20 Aus seiner Ehe gingen mehrere Kinder her- vor. Sein ältester Sohn, Carl von Linne der jüngere, widmete sich ebenfalls der Botanik und wurde sein Nachfolger in Upsala, starb jedoch bereits im Jahre 1783. Nach dessen Tode fielen die wertvollen Sammlungen Linne's an seine Witwe und seine Töchter. Diese verkauften sie an den damals noch jungen, später hochangesehe- nen englischen Botaniker J. E. Smith für die Summe von lOOO Guineen; sie wurden nach London gebracht und gehören jetzt der dortigen Linnean Society. Diese Überführung der Samm- lungen des Nationalheros war für sein Vaterland keine Ehre. Es knüpfte sich später daran die übrigens durch nichts begründete Legende, König Gustav IIL habe ein Kriegsschiff ausgesandt, um wenn möglich das Schiff, das die kostbare Beute entführte, noch einzuholen. Linne's Hauptverdienste liegen auf dem Ge- biete der Pflanzenkunde. „Linne war Systema- tiker, und muß als solcher beurteilt werden", sagt treffend J. G. A gardh. ^) Er war ein Reformator der Systematik, und mit ihm beginnt eine neue Periode dieser Wissenschaft. Vor seinem Auf- treten befand sich die Systematik in einer nahezu chaotischen Verwirrung. Es war im Laufe der Zeiten eine riesige Fülle von Formen beschrieben worden, zu denen mit weiterer Erforschung bis- her unbekannter l^änder immer neue hinzutraten. Da oft die gleichen P^ormen in den verschiedenen Systemen verschieden benannt wurden, so war es oft schwer festzustellen, ob eine Art schon be- schrieben war oder nicht. Es fehlte in vielen Fällen an einer klaren Umgrenzung der höheren und niederen systematischen Einheiten, man unter- schied nicht scharf genug zwischen dem, was wir heutzutage Gattung, Art oder Varietät nennen. Dazu kam, daß die gleichen Namen bei den ver- schiedenen Systematikern oft etwas ganz ver- schiedenes bedeuteten, und umgekehrt wurden dieselben Pflanzen in verschiedenen Werken oft ganz anders benannt. Die Gattung Stapelia wurde von Tournefort Asclcpias, von R i v i n u s Crassa, von Kramer Aizoides genannt; Euphorbia hieß bei Rivinus Esula , bei Tournefort Tilliy- mallus. Es fehlte an Klarheit darüber, welche Merkmale für die Klassifizierung ausschlaggebend sein sollten; Gebüsche und Bäume wurden in andere Klassen gestellt als die Kräuter, und dieses kam sogar noch bei Rajus und Tournefort vor. Einige vi^enige, leicht charakterisierbare grö- ßere Gruppen waren freilich in den verschiedenen Systemen dieselben , sonst jedoch befolgte man bei der Gruppierung ganz verschiedene Grundsätze. Kein botanisches .System konnte sich allgemeinere Geltung verschaffen ; man hatte gleichzeitig zwei Schulen, Rivinianer und Tournefortianer. Dazu trat noch recht erschwerend eine Schwer- fälligkeit in der Terminologie, die ja für die Aus- einanderhaltung der zahllosen Pormen von aller- größter Wichtigkeit ist. Linne's erste epochemachende Arbeit war sein Systema naturae. Er stellte hier ein neues, auf klaren, einfachen Prinzipien beruhendes System der Pflanzen auf, das es gestattete, mit Leichtig- keit die unzähligen bereits bekannten P~ormen über- sichtlich zu gruppieren, und das alle neu ent- deckten leicht einordnen ließ. Sein Sexual - System gründete sich, wie bekannt, in erster Linie auf Zahl und Anordnungsweise der Befruch- tungsorgane der Blüte. Es war ein künstl ic hes System, wie Linne selbst gut wußte, d. h. ein auf bestimmte, herausgegriffene Merkmale (Staub- gefäße und Griffel, die Befruchtungsorgane) ge- gründetes System, aber es war gegenüber denen der Vergangenheit ein Fortschritt, indem es noch mehr als diese den Schwerpunkt auf die inneren Teile der Blüte legte, die zugleich für die Er- kenntnis der verwandtschaftlichen natürlichen Be- ziehungen der Pflanzen zueinander in erster Linie in Betracht kommen. Zu seiner Zeit war es jeden- falls ein genial erdachtes Mittel, um die Unzahl der Formen überblicken zu können, und es diente noch lange als unentbehrlicher Ariadnefaden bei der fortschreitenden Entwicklung der besclireiben- den Botanik, und von diesem Gesichtspunkte aus dürfte man auch jetzt noch sein Sexualsystem als ein Meisterstück in seiner Art anerkennen. Neben dem künstlichen System stellte L. bereits 1738 und später in seiner Philosophia botanica das Fragment eines natürlic he n Systems auf, das die Pflanzen nach ihrer natürlichen Verwandtschaft anordnen will. Es ist ein oft nicht genügend anerkanntes Verdienst') von ihm, daß er zu den verschieden- sten Zeiten immer wieder hervorhob, das natür- liche System aufzufinden sei die Hauptaufgabe der Botanik. Sein Sexualsystem benutzte er bloß deshalb, weil es äußerst bequem sich für die Einzelbeschreibung brauchen ließ, den eigentlich wissenschaftlichen Wert aber verlegte er in das natürliche System, und wieviel er auch in dieser Richtung leistete , ist daraus zu entnehmen , daß B. de Jussieu seine allerdings viel bessere Fa- milienreihe nach dem Linne' sehen Fragment auf- stellte und daß auf diese Weise sein Neffe A. L. de Jussieu die Hauptidee, die dem natürlichen System zugrunde liegt, einfach aufzunehmen brauchte, um sie weiterzuführen. Zweifellos be- kundete L. ein feines Gefühl für die innere Ver- wandtschaft der Formen; seine Bemühungen um Aufstellung eines natürlichen Systems erhellen wohl am besten aus den von seinem Schüler Giseke herausgegebenen Praelectiones in ordines naturales 1792. Manche natürliche Gruppen sind bereits in seinem Sexualsystem enthalten, wie die Cruciferae, die den größten Teil der Tetra- dynamia bilden, die Papilionaceae (in den Diadelphia steckend). Andere natürliche Grup- ') Über die Bedeutung Linne's in der Geschichte der Botanik (Acta Univ. lund. XIV (1878) Nr. 5). ') Sachs, Geschichte d. Bot. p. 98. N. F. VI. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 3" pen wurden auseinander^erissen , doch ist dies ein Fehler aller künstlichen Systeme. \'iel schärfer als seine Vorgänger faßte Linne den Hegriff der Gattung und den der Art. Er bemühte sich, aus einer größeren Anzahl von Arten das sie vereinigende zu ermitteln, und be- nutzte diese Merkmale zur Charakteristik der Gattung, wobei er auch hier den Hauptnachdruck auf die Blütenverhältnisse legte. Daß er hier manchmal fehlgriff, ja daß spätere Forschungen in mancher Hinsicht von ihm wieder abwichen und zu den Gattungen Tournefort's und an- derer zurückkehrten, kann seine Verdienste nicht schmälern. Seine Genera plantarum sind vielleicht sein gediegenstes Werk, das mit großer Sorgfalt gearbeitet ist, und in dem er in vorbildlich klarer Weise die Gattungscharaktere festlegte. Ebenso bemühte er sich in seinen Species plantarum, zu einem scharfen Artbegriff zu gelangen. Früher hatte man in den systematischen Werken oft eine Menge F"ormen unterschiedslos hintereinander auf- gezählt und benannt, ohne sie deutlich voneinander zu sondern oder ihre gegenseitigen Beziehungen aufzudecken. Diese Formen bestanden oft eben- sowohl aus verschiedenen Altersstufen und Varie- täten einer Art, wie aus wirklichen Arten, die wiederum verschiedenen Gattungen angehören konnten. Die Charaktere waren unzuverlässig und ohne Kritik auf wichtige oder unbedeutendere Merkmale begründet. Es galt also festzustellen, was Art, was nicht Art sei, und die trennenden Merkmale zwischen den Arten hervorzukehren. Linne legte großen Wert darauf, bei jeder Art den ,,Character essentialis" aufzusuchen und mit möglichst wenig Worten anzugeben, wodurch sich die Art von anderen unterschied. Er schuf eine sorgfältige methodische Charakteristik der Genera und Arten, seine Methode wurde für die Folge- zeit maßgebend und auch auf die Gruppen höhe- ren (irades angewandt. Er war überhaupt ein klassifikatorisches Genie, in dessen Geiste sich alles in Gruppen verschiedenen Ranges und in Rubriken ordnete, die er scharf und deutlich zu kennzeichnen wußte. Diese glänzende Gabe der Charakterisierungskunst und der Einteilung betätigte er auf allen wissenschaftliciien Gebieten, die er behandelte. Die oben erwähnte Schwerfälligkeit in der Be- zeichnungsweise der Lebewesen wurde durch die Einführung der Binome in ebenso einfacher wie genialer Weise beseitigt. Vor Linne wurden die Formen mit einer längeren, oft aus mehreren Wörtern bestehenden Phrase bezeichnet. Die Gänseblume hieß z. B. früher Bellis scapo nudo unifloro, jetzt nennen wir sie viel ein- facher mit zwei Namen Bellis perennis. Die Reform der Nomenklatur führte Linne zuerst im großen Maßstabe in seinen Species plantarum vom Jahre 1753 durch. Er gab jeder Pflanze einen Gattungsnamen und einen Speciesnamen, den er Trivialnamen nannte, bezeichnete also jede Art mit zwei Namen, einem sog. Binom. Es wurden so die unbequemen, dem Gedächtnis sich schwer einprägenden Phrasen der Vorzeit beseitigt und an ihre Stelle traten die übersichtlichen, leicht zu merkenden Binome, deren wir uns noch heute zur Bezeichnung der Arten bedienen. Die Ein- führung der binomialen oder binären Be- zeichnungsweise ist ein so wichtiger Merkstein, daß wir heutzutage das Jahr 1753 zum Ausgangs- punkt der Nomenklatur in der Botanik wählen. Demnach führen die Autorschaft Linne's nicht nur die von ihm zuerst benannten und beschrie- benen Gattungen und Arten, sondern auch solche, die bereits seine Vorgänger mit Namen versehen und gekennzeichnet hatten, soweit sie bei ihm Anerkennung fanden. In die Zoologie führte Linne die binäre Nomenklatur im Jahre 1758 (Systema naturae, ed. 10), ein, und daher datieren die Zoologen ihre heutige Nomenklatur von dem genannten Jahre. Seine neue Nomenklatur fand nicht sogleich Eingang, und es traten gewichtige Gegner derselben auf, so besonders Albrecht von Haller. Allmählich jedoch drang sie durch und wurde schließlicli allgemein angenommen. Es gewann durch ihn die beschreibende Botanik im engeren Sinne eine völlig neue, klare und präzise F'orm. Wie sehr die Zeitgenossen seine Reform in der Anordnung der Lebewesen und in der Namen- gebung bewunderten, geht aus dem Worte her- vor: ,,Deus creavit, Linnaeus disposuit", das auch bisweilen in der Form überliefert wird : „Deus creavit, Linnaeus nominavit." Noch heute werden seine Werke studiert, und für den Systematiker sind sie in vielen Phallen maßgebend für die Be- urteilung der Formen und besonders der Namen. Nicht zu unterschätzen sind ferner seine Ver- dienste um die Sexual -Theorie bei den Pflanzen. Wie aus seiner Lebensbeschreibung hervorgeht, beschäftigte er sich schon frühzeitig mit der Frage, ob die Pflanze Sexualorgane habe und welche dies seien. Er sammelte seit seinen Studienjahren eifrig Material zur Ausarbeitung dieser Lehre, und in seinen späteren Werken wird eine Menge Be- obachtungen über das Verhältnis der Staubfäden und Pistille zueinander mitgeteilt. Er kam durch seine Anschauungen über die Sexualität der Pflanzen in wissenschaftlichen Streit mit dem Petersburger Botaniker Siegesbeck, der mit Heftigkeit die Ansicht bekämpfte, daß in der Blüte Geschlechtsorgane vorhanden seien. Linne war wohl nicht der Begründer der Sexual-Theorie, hat jedoch durch eigene Beobachtungen sowie durch sein Sexual-System zu ihrem weiteren Ausbau und ihrer Verbreitung sehr viel beigetragen. Die Aufzählung der oben genannten Werke dürfte schon allein genügen, um zu beweisen, welch eine Unsumme von Detailarbeit auf syste- matischem und floristischem Gebiete er geleistet hat. Viele Pflanzen wurden ja zuerst von ihm be- schrieben und in die Wissenschaft eingeführt, und seine Flora lapponica und Flora suecica bilden die wichtigste Grundlage für die Kenntnis der skandinavischen Flora. Daneben vergesse man 312 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 20 nicht, daß sich überall in L i n n e ' s Schriften geist- reiche Andeutungen finden, die auf ein tiefes Ver- ständnis des inneren Zusammenhanges der Orga- nismen und auf Kenntnisse vom Baue und den Lebenstätigkeiten schließen lassen, die weit über das hinausgehen, was man in Schriften mancher Zeitgenossen findet. Es ist daher nicht zu ver- wundern, daß man schon bei ihm die Anfänge zu Wissenschaftszweigen findet , die später durch andere Forscher eine tiefere, selbständige Begrün- dung und -Ausarbeitung finden sollten. So finden sich bei ihm schon Spuren zu einer Pflanzen- geographie. Auch Andeutungen für die soge- nannte Metamorphosenlehre, die im allgemeinen und mit Recht C. F"r. Wolff und Goethe zu- geschrieben wird, will man bei L. gefunden haben, indessen ist das, was er über die Morphologie der Pflanze lehrte, doch wesentlich verschieden von den späteren Anschauungen über Metamorphose.^) Man findet nämlich bei ihm zwei neben- und durcheinanderlaufende Theorien , die in der Ge- .schichte der Morphologie unter dem Namen der Metamorph osis und Prolepsis bekannt sind. Die erstere sucht die konzentrischen Blattkreise der Blüte mit den ebenfalls konzentrischen Gewebe- zonen des Stammes in genetische Beziehung zu bringen, den Kelch mit der Rinde, die Corolla mit dem Baste, die Staubgefäße mit dem Holze, das Pistill mit dem Marke; sie vergleicht die Ent- faltung der Blüte, in der diese im Stengel ver- borgenen Elemente auffällig zutage treten sollen, mit der Metamorphose des Schmetterlings aus der unscheinbaren Raupe. Die zweite Theorie erklärt dieselben Blattkreise im Sinne der damals heir- .schenden , erst durch die entwicklungsgeschicht- lichen Untersuchungen Wolff ' s in ihrer Geltung erschütterten Evolutionstheorie für Produktionen ') Wigand, Kritik u. Gesch. Melam. Tfl. (1S46) 27; Ascherson in lier. Deutsch, bot. Ges. II. (1S84) 293. mehrerer voneinander abstammender, eigentlich für ebensoviel Jahrgänge bestimmter, aber für die lufüllung des Fortpflanzungszweckes vorweg ge- nommener Sproßgenerationen. Der zweiten Theo- rie, der Prolepsis, liegt jedenfalls die gesunde, naturgemäße Idee zugrunde, daß Kelch- und Blumenblätter, Staubgefäße und Stempel aus ver- änderten Blättern hervorgehen. Ascherson meint bei der Besprechung der Ansichten, die gelegentlich Linne's Schüler Forskäl über die 2 Morphologie der Blüte äußerte, und die sich " schon deutlich unseren Auffassungen nähern, die , Linne'sche gekünstelte Einschachtelungstheoric der Prolepsis verhalte sich zu der klaren Wolff- Goethe' sehen Theorie der Blüte ungefähr so, wie die ebenso gekünstelte Epicyclen- Theorie Tycho de Brahe's zu der einfachen Klarheit der Lehre des Copernicus. Die „scientia amabilis" war Linne's Hauptarbeits- gebiet. Doch hat er sich auch um Zoologie und Mineralogie wesentlich verdient gemacht. Welche Bedeutung man seinem Tier-System beimißt, geht daraus hervor, daß das Jahr 1758 zum Ausgangs- punkt für die Nomenklatur der Tiere gewählt worden ist. .'\uf medizinischem Gebiet bemühte er sich um eine bessere Klassifikation der Krank- heiten; seine Materia medica gilt als eines der klassischen Werke der Heilmittelkunde. So feiert Schweden und mit ihm die ganze gebildete Welt in Linne einen jener großen Geistesheroen, die von nachhaltigem Einfluß auf die Geschichte der Naturerkenntnis gewesen sind. Sein Wirken war, wie Fries sagt, einem frischen Winde vergleichbar, der die Nebel verjagte und den Blick frei dahin schweifen ließ über eine im Sonnenglanz erstrahlende Landschaft. Möge Linne's klarer Geist, sein begeisterter Drang nach Er- forschung der unendlichen Mannigfaltigkeit der Lebewesen, seine unermüdliche Arbeitsfreudigkeit ein Vorbild bleiben für alle Jünger der von ihm geliebten und geförderten Wissenschaften! Kleinere Mitteilungen. Die Gliederung der urgeschichtlichen Men- schenrassen behandelt Dr. L. Wilser in der ,, Politisch -Anthropologischen Revue" (5. Band, S. 387 — 401). Er verweist auf die im letzten Vierteljahrhundert gemachten überraschenden Ent- deckungen, durch welche die Kenntnis der aus- gestorbenen Menschenrassen in hohem Maße ge- fördert wurde und die nun ermöglichen, „die be- zeichnenden Merkmale der fossilen Rassen klarer zu erfassen und schärfer zu unterscheiden;" aller- dings ist unser Wissen auf diesem Gebiete noch immer recht lückenhaft und die Aufgabe, „aus den zerstreuten Gliedern ein einheitliches Ganze zu gestalten", „den ursächlichen, entwicklungs- geschichtlichen Zusammenhang herzustellen", ist keine leichte. — Das Geschöpf von Trinil auf Java, für welches Wilser die Bezeichnung Vor- mensch (Proanthropus erectus) entsprechender findet als die von Dubois, seinem Entdecker, ge- wählte Benennung Pithecanthropus erectus, ist eine den gemeinsamen Vorfahren des Affen und des Menschen noch sehr nahestehende Vorstufe des Menschen. Es darf jedoch 'durchaus nicht als wahr- scheinlich angesehen werden, das der Proanthropus von Java der ,, unmittelbare Vorfahr des wirklichen Menschen" war, denn „schon der von allen übrigen Fundstätten der ältesten Menschenknochen so weit abliegende Entdeckungsort, dann aber auch die verhältnismäßig junge, pleistozäne Fundschicht, nötigen uns zu der Annahme, daß diese einzig- artigen Überbleibsel zu einer vom Ursprungsgebiet unserer vormenschlichen Vorfahren ausgestrahlten und ohne Nachkommen ausgestorbenen Verbrei- tuncfswelle gehören müssen." — Abgesehen von N. F. VI. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 313 dem Vormenschen unterscheidet Wilscr fünf prä- historische Menschenrassen ; davon ist der Ur- menscli (Homo priinigenius) die tierähnhchste. Zu dieser Rasse gehören die Scliädcl- und Glied- niaßenknochen von Ncandertal, Spy und Krapina. die Kiefer von La Naulctte, Gourdan, Arcy und anderen Orten. Das hohe Alter der h'unde wurde bis in die jüngste Zeit häufig angezweifelt; doch ist es namentlich durch die verdienstvollen Unter- nehmungen Prof. (jorjanovic-Krambergcr's erwiesen, der das geologische Alter des Homo von Krapina in einwandfreier Weise feststellte,') was um so notwendiger war, als der Krapinamensch in den allerwichtigsten Charakteren mit den Schädeln des Neandertales, Spy I und II, übereinstimmt. Nach- dem alle diese Schädel unzweifelhaft einer ein- zigen Gruppe, ja einer einzigen Spezies angehören, so kann man folgerichtig auch für die übrigen Schädel ein hohes diluviales Alter annehmen. Die fast das ganze Skelett umfassenden Knochenstücke geben ein ungefähres Bild von der Leibesbeschaffen- heit des Homo primigenius. Er hatte „eine kräf- tige aber plumpe und gedrungene Gestalt, wenig über I ' ., m, stärkere Beine als Arme, vollkommen aufrechte Haltung, einen langen flachen und ziem- lich engen Schädel, eine fliehende Stirn, stark vor- springende Augenwülste, kräftige, vorstehende Kiefer und Zähne, ein zurückweichendes Kinn." Gorjanovic-Kramberger nimmt für den Menschen von Krapina einen breiten Schädeltypus an, was Wilser nicht gelten lassen will, mit der Be- gründung, daß sich aus den vorhandenen Schädel- bruchstücken kein sicherer Index berechnen läßt. Es scheint gewiß zu sein, daß bereits während des älteren Diluviums mehrere Varietäten oder Rassen in Europa existierten. — Das Verbreitungsgebiet des Urmenschen ist das ältere Diluvium Frank- reichs, Belgiens, Deutschlands, Mährens und Kro- atiens, der Teil Mitteleuropas zwischen dem süd- lichen Rand der großen nordischen Vereisung und dem Nordrande der Alpen und der Pyrenäen. Ungefähr demselben geologischen Alter gehört der „Urneger" an, der vor einigen Jahren in der Höhle bei Mentone gefunden wurde; er repräsen- tiert ,,eine Rasse von mittlerem Wuchs, die nach den Untersuchungen von Verneau und Gaudry ausgesprochen langschädlig und durch ihre Schädel- und Gesichtsbildung sehr negerähnlich war". Jeden- falls müssen erst weitere Funde abgewartet werden, um über die Körpergestalt und das Verbreitungs- gebiet dieses Zweiges des prähistorischen Menschen Sicheres sagen zu können. Als die Stammrasse der seit vorgeschichtlicher Zeit bis in die Gegenwart die Mittelmeerländer bewohnenden Völker betrachtet Wilser den „Löß- menschen" (Homo mediterraneus var. foss.). Diese Rasse betrat viel später als die beiden vorher- genannten den Boden Europas und sie war ur- sprünglich viel weiter nach Norden verbreitet, was ') Vgl. ,,Dcr paläolithische Mensch und seine Zeitge- nossen aus dem Diluvium von Krapina in Kroatien." Vierter l'eil. Mitteil, der Anthr. Ges. in Wien, 35. Bd., S. 197 ff. aus den Funden auf den britischen Inseln, an der Ostsee, im nördlichen (isterreich usw. hervorgeht. Die Reste sind bereits mit den Charakteren des modernen Menschen ausgestattet, ob zwar manche davon auch noch gewichtige Anklänge an den Homo primigenius bieten. ') ,,Wo die Rasse ihre völlige Reinheit bewahrt hat," sagt Wilser, „ist sie ungemein schmalschädelig, von mittlerem Wuchs, aber schlanker und feingliedriger als Homo primigenius. Die Stirnwölbung ist auch bei ihren ältesten Vertretern beträchtlich höher, der Schädel- raum erheblich größer und dem der heutigen Kulturvölker näherstehend; auch der Unterkiefer zeigt den Kinnvorsprung schon in vollendeter Aus- bildung. Mit Sicherheit dürfen wir ihr schwarzes Haar und dunkle Augen zuschreiben, da eine Ver- mehrung des Farbstoffes bei ihren Abkömmlingen nicht anzunehmen ist." Das Verbreitungsgebiet umfaßt fast ganz Europa. Die Zwerge vom Keßler- loch, Schweizersbild und von Chamblandes werden als eine Kümmerform des Lößmenschen angesehen. — Zurückgedrängt und durchsetzt wurde die Mittelmeerrasse durch die Vorfahren des Homo europaeus, welche mit zunehmender Kälte „aus nördlichen, heute nicht mehr bewohnten Ge- bieten" nachrückten. Sie lebten während der Eis- zeit in den von der Vereisung freigebliebenen Gegenden unseres Erdteils und sind viele Jahr- hunderte hindurch ,,den umgestaltenden und züch- tenden Einflüssen derselben ausgesetzt" gewesen, deren Ergebnis eine weitere Vervollkommnung der geistigen und körperlichen Fähigkeiten war. Man hat diese Rasse, die sich durch hohen, kräf- tigen Wuchs, sowie längliche, wohlgebildete und geräumige Schädel auszeichnete, nach dem Hau])t- fundort zumeist Rasse von Cro-Magnon genannt; aber sie verdient, „da die Fundstätten: La Made- leine, Bruniquel, Solutre, Laugerie-Basse, Chance- lade, Duruthy, Mentone, Predmost , Lautsch, Stiingenaes, sich bedeutend vermehrt haben und noch immer vermehren, eine allgemeinere, der natur- wissenschaftlichen Namengebung entsprechende Bezeichnung." Wilser schlägt hierfür „Renntier- jäger" oder Homo priscus vor. Noch später drangen die ,, ältesten Rundköpfe" (Homo brachycephalus var. foss.), die auch durch kleinere Körpergestalt von Homo priscus zu unter- scheiden sind, nach Europa vor. Die Frage ihrer Herkunft und ihres Alters ist eine umstrittene; immerhin sind die brachycephalen Schädel von La Truchere, Grenelle bei Paris, Furfooz in Bel- gien usw. sehr alt. Nach Ouatrefages stammen sie aus der Periode, da Nashörner und Mammute verschwunden und das Renntier als bezeichnender Vertreter der Tierwelt übrig geblieben war. Dort jedoch, wie z. B. in den Steinbrüchen von Grenelle, wo ,, Langköpfe und Rundköpfe in verschiedenen Schichten übereinanderliegen, sind letztere immer die oberen und jüngeren." Fehlinger. ') Gorjanovic-Kramberger, ,,Uer p.-ilüolithische Mensch etc.", S. 225 — 226. 314 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 20 Über die auf den Philippinen gebräuch- lichen Fischgifte si)riclit Reymond Foß Bacon gelegentlich einer Abhandlung über gewisse Medi- zinalpflanzen der Philippinen in „The Philij^pine Journal of Science", Bd. I, 1906, p. 1007 — 1036. Die Methode, Fische durch Vergiften des Wassers zu fangen, ist bei allen wilden Stämmen und auch bei einigen als zivilisiert zu betrachtenden Völker- schaften der Philippinen allgemein gebräuchlich. Das Wasser wird unter feierlichen Zeremonien von dem Dorfhäuptling vergiftet, indem Gift- pflanzen zusammengebündelt in den Strom oder Teich geworfen werden; Steine und Erde dienen dabei als Beschwerungsmittel. Kleine Fische treiben sehr bald danach auf der Oberfläche des Wassers, die größeren schwimmen schwerfällig in betäubtem Zustande umher. Die Eingeborenen stürzen sich dann in das Wasser und fangen so viel sie können, hierauf wird ein großes Fest ab- gehalten. Eins der wirksamsten Gifte ist das von Entada scandens Benth., einer Leguminose, die auf den Philip]jinen recht häufig ist und übrigens in allen tropischen Ländern gedeiht. Die Pflanze wird von den Eingeborenen gogo, bayogo und balogo genannt. Das wirksame Prinzip des Gogo gehört zu den Glukosiden und zwar zu den Saj)0ninen, ist aber sehr schwer rein zu gewinnen. Das vom Verfasser auf umständlichem Wege gewonnene Saponin ist ein weißes Pulver, das sich leicht im Wasser löst. Eine schwache Lösung von i : 20000 genügte, um drei kleine Fische, die hineingesetzt wurden, in 2 — 3 Stunden zu töten. Eine Lösung von 0,005 g in i ccm Wasser wurde einem Meer- schweinchen intraperitoneal eingeimpft und be- wirkte den Tod in 2 Stunden, während bei intra- venöser Impfung schon 0,0002 g den Tod eines Kaninchens herbeiführten. Ein anderes viel gebräuchliches Fischgift ist tuba oder tangan-tangan tuba, auch macasla, ca- misa oder tuba-camisa genannt, mit welchen Namen die Eingeborenen die Frucht von Croton tiglium L. bezeichnen. Diese zu den Euphorbiaceen ge- hörende, offizinelle Pflanze wird überall angepflanzt und ist auch in verwildertem Zustande häufig. Ihre Samen enthalten Crotin, ein sehr giftiges Toxalljumin. Fische, die mittels Tuba gefangen wurden, können aber ohne Schaden genossen werden. Anamirta cocculus W. und A., eine Menispermacee, die von Indien bis über den Malayischen Archipel verbreitet ist und von den Eingeborenen suma oder lactang genannt wird, liefert in ihren Früchten, die Pikrotoxin enthalten, gleichfalls ein Fischgift, wird aber jetzt weniger angewandt, da nach dem Genuß der auf diese Weise gefangenen Fische schon Vergiftungserschei- nungen beobachtet wurden. Die Leguminosen Albizzia saponaria Blume und Pithecolobium acle Vid. , die Lecythidacee Barringtonia luzoniensis Vid. und die Myrsinacee Maesa denticulata Mez. enthalten in ihrer Rinde Saponin und werden da- her ebenfalls als Uschgift verwendet, so auch Ganophyllum obliquum Merr. , eine Pflanze, die auf den Philippinen, auf Neu-Guinea und in Nord- australien vorkommt. Sie wurde früher zu den BLirseraceen gerechnet, aber Radlkofer hat sie kürzlich auf Grund morphologischer Untersuchun- gen zu den Sapindacecn gestellt. Dieser P'amilien- wechsel findet auch darin seine Begründung, daß die Pflanze wie so viele Sapindaceen Saponin enthält, während diese Substanz bei keiner ein- zigen Burseracee aufgefunden wurde. Ein Meer- schweinchen, dem I ccm Wasser mit 0,033 K Gonophyllum-Saponin intraperitoneal eingeimpft wurde, war in einer Stunde tot. Bei Verwendung von nur 0,004 g Saponin trat der Tod am folgen- den Tage ein. Intravenös angewandt, tötet das Gonophyllum - Saponin bei sehr geringer Dosis innerhalb weniger Minuten. Zur Betäubung der Fische wird ferner ver- wendet Diospyros canomoi D. C, eine Ebenacee, die auf den Philippinen überall häufig ist. Der verwendete Teil ist die Frucht, die schwarz wird, wenn sie einige Tage der Einwirkung der Luft ausgesetzt wird. Die Eingeborenen halten die Frucht für äußerst giftig und behaupten, sie töte die Fische fast augenblicklich, ja sie treibe sogar die Krokodile aus dem Wasser. Auf der mensch- lichen 1 laut soll der Fruchtsaft Blasen und eine schwarze P'ärbung hervorrufen. Seh. Im „Archiv für Rassen- und Gesellschafts-Bio- logie" (1906, Heft 6) spricht Prof H. E. Ziegler- Jena über ,,Die Chromosomentheorie der Ver- erbung in ihrer Anwendung auf den Men- schen". — Den Grundgedanken der Chromo- somentheorie — daß das Chromatin der Träger der Vererbung sei — haben Strasburger, Oskar Hertwig und Weismann im Jahre 1884 unabhängig voneinander ausgesprochen. Während sicli nun die Ziegler'sche Chromosomentheorie auf diese sichtbaren Bestandteile der Geschlechtszelle be- schränkt, gebrauchen die genannten P'orscher noch hypothetische Hilfsbegriffe (Determinanten, Idio- blasten, Pangene). Die wesentlichen Grundzüge der Chromosomentheorie sind in Ziegler's Schrift „Die Vererbungslehre in der Biologie" (Jena, G. Fischer 1905. Referat in dieser Zeitschr. 1905, p. 606) zu finden; hier sollen nur die Ausführungen des Verfassers über die Anwendungen der Chromo- somentheorie auf den Menschen kurz wiederge- geben werden. Die Normalzahl der Chromosomen des Men- schen beträgt 24. Die Anzahl der Chromosomen in den reifen Geschlechtszellen muß also 12 sein. Die Halbierung der Zahl wird durch die sog. Reduktionsteilung erreicht. Das entstehende Individuum empfängt also 12 Chromosomen vom Vater und ebensoviel von der Mutter, woraus sich erklärt, daß im Kinde stets die Eigenschaften beider PLltern gemischt sind. Die Chromosomen der Eltern — also auch ihre Eigenschaften — stammen von den Großeltern. Durch den Reduktionsvor- N. F. VI. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 315 gang erhalten aber die Sexualzellen der l^ltern nicht gleichviel väterliche und mütterliche Chro- mosomen, sondern die Teilung erfolgt in schwan- kenden Mischungsverhältnissen. Obwohl zwar die väterlichen und mütterlichen Chromosomen am häufigsten in gleicher oder fast gleicher Zahl vor- handen sind (6:6 = 22,55 %, 5:7= 19.33 "/o). so kann es doch zu erheblichen Differenzen zwischen beiden Anteilen kommen. Hieraus läßt sich der so oft beobachtete Rückschlag auf Groß- eltern erklären. Durch diese Kombinationsmethode wird auch leicht verständlich, daß die Kinder einer Ehe untereinander nie ganz gleich sind. Nimmt man an, daß die Chromosomen unter sich gleichen Wert für die Vererbung besitzen, so sind 169 Kombinationen möglich. Neben den Eigenschaften der Eltern zeigen die Kinder wech- selnde Kombinationen der Eigenschaften der Groß- eltern; dabei sind die Großeltern in ungleichem Maße beteiligt, hifolgedessen wird die alte Theorie hinfällig, daß jeder Mensch Vi der Anlagen von einem der Großeltern, " s von einem der Urgroß- eltern erhalten habe. Manche F"orscher sind geneigt, jedes Chromo- som als Träger einer oder mehrerer bestimmter Eigenschaften des Individuums anzusehen. Sie legen besonderen Wert auf die Größenunterschiede der Chromosomen, wie sie z. B. bei manchen In- sekten zu beobachten sind. Beim Menschen sind jedoch die Chromosomen nahezu von gleicher Größe. Aus diesem Grunde und aus verschiedenen anderen theoretischen Gründen lehnt der Verfasser die Ansicht ab, daß die Chromosomen des Menschen von ungleicher Wertigkeit für die Vererbung seien; vielmehr ist er der Meinung, „daß jedes Chromo- som ebensoviel Einfluß auf den entstehenden (Or- ganismus ausübt wie jedes andere, und daI3 dem- entsprechend ein Chromosom nicht ein einzelnes (Vgan, sondern den ganzen Organismus beeinflußt. Die Chromosomen sind demnach nur insofern untereinander verschieden, als sie von verschiedenen Vorfahren stammen und folglich verschiedene Ver- erbungstendenzen mitbringen.'' Durch diese An- nahme der Gleichwertigkeit der Chromosomen ist die Vererbung von Krankheiten besser erklärbar, als wenn man voraussetzt, daß die Chromosomen ungleichwertig und Träger bestimmter Eigen- schaften sind. Wenn man nämlich annimmt, daß die Chromosomen eines Menschen aus 8 Familien stammen, so wird er wahrscheinlich einige Chro- mosomen besitzen, die mit der Disposition zu häufig vorkommenden Krankheiten belastet sind. Es kommt nun darauf an, in welchem Verhältnis die Zahl der belasteten Chromosomen zu der aller Chromosomen steht. Je größer dieses Verhältnis ist, desto größer ist auch die Disposition zu der betreffenden Krankheit. Daraus läßt sich erklären, daß die Neigung zu der Krankheit dann besonders groß ist, wenn in den Sexualzellen beider Eltern belastete Chromosomen vorhanden waren. Durch ein fingiertes Beispiel sucht der Verfasser seine Theorie anächaulich zu machen und zugleich die verschiedenen Fälle zu erklären, welche bei der Vererbung von Krankheiten vorkommen. Die Chromosomentheorie ist von großer Be- deutung in praktischer Hinsicht. Verfasser kommt zu folgenden Forderungen und Folgerungen, die z. T. schon von einsichtigen Ärzten aufgestellt worden sind. 1. Die Verminderung der auf erblichen An- lagen beruhenden Krankheiten wird am besten dadurch erreicht, daß die belasteten Individuen von der Fortpflanzung ausgeschlossen werden ; so sollten z. B. dauernd Kranke, geisteskranke und moralisch-schwachsinnige Personen in nach Ge- schlechtern getrennten, human eingerichteten An- stalten dauernd versorgt werden. 2. Vom moralischen Standpunkte kann es nicht gebilligt werden, wenn sich Personen ver- heiraten, die an schweren vererbbaren Krankheiten leiden. 3. Personen, die mit Anlagen zu einer vererb- baren Krankheit belastet sind, sollen sich — falls sie sich überhaupt verheiraten wollen — solche Ehegatten wählen, die in der betr. Hinsicht nicht belastet sind. 4. Es ist empfehlenswert, P"amilienstammbücher anzulegen, in die auch die Krankheiten der Familienmitglieder eingetragen werden. 5. Verwandtenheiraten, besonders auch die Ehen zwischen Geschwisterkindern, sollen gesetz- lich verboten werden. 6. Der Staat soll den Personen den Ehekonsens verweigern, die mit schwerer Krankheit belastet sind. Der Verfasser zieht zum Schluß einige Kon- sequenzen für das politische Leben, auf welche hier nicht weiter eingegangen werden soll. P. Brohmer, Jena. Vergleichende Beobachtungen über Stärke- und Zuckerblätter und über Transpiration hat Prof. Detmer in Jena an tropischen und ein- heimischen Pflanzen angestellt und in seinen „Botanischen und landwirtschaftlichen Studien auf Java, Jena, G. Fischer, 1907" veröffentlicht (vgl. Naturw. Wochenschr. 1907, Nr. 8). a) Stärke- und Zuckerblätter. Detmer's Beobachtungen bestätigen den von Schimper ausgesprochenen Satz, daß die Menge der Glykose in den Blättern derjenigen der Stärke umgekehrt proportional ist. Seine weiteren Untersuchungen dienen der bereits von Stahl angeregten Frage, ob die Neigung zur transitorischen Stärkespeicherung in den Chloro- phyllkörpern bei verwandten Pflanzen als eine konstante, vererbte Eigenschaft oder als ein un- mittelbarer Ausdruck der Anpassung anzusehen ist. D. untersuchte die Blätter vieler tropischer und einheimischer Pflanzenarten aus verschiedenen ökologischen Gruppen auf ihr Vermögen , mehr oder weniger leicht Stärke anzuhäufen. Nach Stahl ist die Stärkebildung ein Mittel zur Förde- rung der Transpiration, während die x'Vnhäufung 3i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 20 lösHcher Körper in den Zellen eine Herabsetzung der Verdunstungsgröße und nach Meyer und Saposchnikoff auch der assimilatorischen Tätigkeit bedingt. Die Untersuchung von Wasser- und Sumpfpflanzen, sowie von Pflanzen mit besonders bedeutendem Produktionsvermögen und von Kletter- pflanzen ergab, daß sie reichlich Stärke speichern, ein Vorgang, der darauf abzielt, daß Assimilations- größe und Transpiration gefördert werden , was für die genannten Gewächse von ökologischer Bedeutung sein muß. Die Halophyten haben zu- folge des salzhaltigen Substrats, auf dem sie ge- deihen, erhebliche Schwierigkeiten bei der Wasser- aufnahme; daher tragen sie in ihrem Bau den Charakter der Xerophyten und vermögen ihre Wasserökonomie auf diese Weise genügend zu regulieren. Sie entbehren oft des wichtigen Mit- tels des Spaltöffnungsverschlusses und sind auch nicht imstande, lösliche Assimilate anzusammeln. Sie produzieren vielmehr reichlich Stärke. Ebenso tun dies die Schattenpflanzen und viele der Epi- phyten, die häufig bei ungenügender Beleuchtung vegetieren. Bei ilinen ist die Stärkeanhäufung leicht erklärbar. Von Interesse ist Detmer's mit A. Meyer übereinstimmende Beobachtung, daß exotische Orchideen mit fleischigen Blättern reich- liche Stärkeansammlung zeigen, während tropische Formen mit relativ dünnen Blättern zur Herab- setzung der Verdunstungsgröße lösliche Kohle- hydrate führen. Bei typischen Sonneiipflanzen tritt die Stärkespeicherung zurück, während reich- beblätterte Bäume und Sträucher mit ausgedehn- tem Wurzelsystem reiche Stärkemengen ansammeln. Nach D. wird das Vermögen einer Pflanze, Amy- lum in den Blättern zu speichern , einerseits vor- wiegend durch erbliche Eigentümlichkeiten be- stimmt, andererseits sind besondere Anpassungen die Hauptursache. Zu geringer Stärkespeicherung neigen z. B. Liliaceen, Gramineen, Palmen, Carex, Orchis; zu reichlicher Anhäufung z. B. Solaneen, Papaveraceen, Cruciferen, Paijilionaceen (vgl. auch A. Meyer). Bei den beiden letztgenannten Fami- lien speichern auch die xerophilen Formen reich- lich Stärke. Den F"amiliencharakter durchbrechen infolge bestimmt gerichteter Anpassungen z. B. Smilax unter den Liliaceen als Kletterpflanze, Oryza unter den Gräsern als Sumpfpflanze, Xantho- phyllum als Baum unter den sonst m)-korrhiza- führenden xerophilen Polygaleen. b) Die Beobachtungen über Transpi- ration beziehen sich auf die Transpirationsgröße der Pflanzen in feuchtwarmen Tro]ienländern und Gegenden mit gemäßigtem Klima. Haberlandt fand, daß die Transpiration der Gewächse in den feuchten Tropenländern bei Ausschluß des direkten Sonnenlichts erheblich geringer ausfällt, als bei uns im Hochsommer, eine Tatsache, die sich durch den Einfluß der erheblichen l.uftfeuciitigkeit erklärt. Stahl bchaui)tet jedoch , daß dieses Be- obachtungsergebnis nicht auf solche Pflanzen über- tragen werden darf, die direktem Sonnenlicht aus- gesetzt sind, da sich die Stomata der Blätter trojiischer Gewächse bei Besonnung und großer Luftfeuchtigkeit am weitesten öffnen. Detmer's Beobachtungen bestätigen diese Behauptung. Die mit Maispflanzen in Buitenzorg und Java angestellten Untersuchungen ergaben, daß dieselben bei direkter Besonnung in den Tropen mehr Wassergas abgeben, als bei uns im Hochsommer. Die Untersuchung der Stomata zeigte, daß die- jenigen der besonnten Blätter in Buitenzorg viel weiter geöffnet waren, als die in den Blättern der Jenaer Pflanzen. „Es ergibt sich daher das paradox klingende Resultat, daß ein hoher Feuchtigkeits- gehalt der Luft die Wasserdampfabgabe der Pflanzen unter Umständen begünstigen kann" (Stahl). Jena. F. Schleichert. Der Nachweis der durcli den Mond erzeugten Gezeiten in der Atmosphäre ist lange Zeit schwer zu erbringen gewesen, da man stets nur die Luftdruckkurven zu diesem Zwecke untersuchte. Allerdings glaubte eine ganze Reihe von Forschern, von Sabine bis van Bebber, in den Luftdruck- kurven sehr geringe, der Mondflut entsprechende Schwankungen nachgewiesen zu haben, aber die minimale Höhe dieser Schwankungen (im Maxi- mum 0,1 mm) läßt doch den sicheren Nachweis der atmosphärischen Fluterscheinung von einer anderen Seite her recht wünschenswert erscheinen. Bereits Rykatchew, Poincare, Garcigon-Lagrange und Leyst suchten daher die Luftflut in den Wind- beobachtungen zu finden und in dieser Richtung hat kürzlich Arctowski bemerkenswerte Erfolge gehabt, über die er im Bull, de la societe Beige d'astronomie (F"ebr. 1907) ausführlich berichtet. Indem A. die in Uccle von 1889 — 1902 ane- mometrisch gemessenen Windgeschwindigkeiten nach dem Stundenwinkel des Mondes anordnete, konnte er durch ausgleichende Mittelbildung deut- lich eine echte Fluterscheinung zur Evidenz bringen. Etwa 1 1 Stunden vor der Mondkulmination zeigt die Windgeschwindigkeit mit einem Durchschnitts- wert von 16,6 km pro Stunde das Hauptminimum, dem ein sekundäres Minimum von 17,0 km i — 2 Stunden vor der Kulmination gegenübersteht. Zwischen diesen beiden Minima zeigt die Wind- geschwindigkeit zwei Maxima von 17,1 km und 17,25 km, die 5 Stunden vor und 6 Stunden nach der Mondkulmination liegen. Die immerhin noch geringen Beträge dieser Schwankungen (etwa ein Drittel der täglichen Variation) veranlaßten Arctowski, die auf dem Säntis während des Jahres 1903 aufgezeichneten Windstärken im gleichen Sinne zu gruppieren, denn es ist ja von vornherein wahrscheinlich, daß die Flutbewegung der Atmosphäre in höheren Schichten derselben regelmäßiger und deutlicher in die Erscheinung treten wird als am Grunde des Luftmeeres. In der Tat ergab sich für den Säntis eine Schwankung von doppelt so großer Amplitude wie in Uccle. Das Hauptminimum (24,7 km) fällt hier genau mit der Mondkulmina- N. F. VI. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 317 tion zusammen, das Nebenminimum von 25,8 km liegt II Stunden später; dagegen treten zwei Maxima von 26,7 km und 26,1 km 10 Stunden vor und 8 Stunden nach der Kulmination auf. jedenfalls scheint sonach durch diese Unter- suchungen, die freilich noch für andere Stationen und längere Zeiträume fortzusetzen sein werden, der Einfluß des Mondes auf die Luftbewegung nachgewiesen zu sein. h. Kbr. Wetter Monatsübersicht. Mit trockenem, ziemlich mildem Frühlingswcttcr fing der vergangene Monat in ganz Deutschland an. Bald aber nahm die Witterung den dem April eigentümlichen unbeständigen Charakter an und behielt ihn bis zum Schlüsse überall bei. Die Temperaturen waren anfangs etwas höber, als der Jahrcs- ^ifiTcrs Icmi^crafiirsn einiger ©iTs im^^^riTlSO?. f.Apnl I I I 25. Vi. IZZUS. 9.5° 9.5' I S,5' Breslau. j ^^t--^^ j^'^'^<,..^^- fälle statt, die sich oft auch auf die Umgebung des Mittel- rheins ausdehnten, wogegen sie im größeren Teile Nurddeutsch- lands mehr vereinzelt auftraten. Am geringsten waren die Niederschläge lange Zeit hindurch im westlichen Küstengebiete. Erst seit dem 12. verteilten sie sich gleichmäßiger auf ganz Norddeutschland, wurden aber von den im Süden nieder- gehenden Regengüssen noch bei weitem übertroffen. Beson- ders am 9. und 10., vom 16. bis 19. und wiederum vom 26. bis 28. .^pril kamen auch verschiedentlich Gewitter und zahl- zeit entsprach, gingen jedoch, wie aus der nebenstehenden Zeichnung ersichtlich ist, ungefähr seit dem 8. ein wenig herunter und schw-ankten später hin und her, ohne sich im Durchschnitt erheblich zu ändern. Ebenso wie die Erwärmung der Luft, machte auch die Vegetation nur langsame Fort- schritte, da sie namentlich durch die kalten Nächte sehr zurückgehalten wurde. Bis zum Ende des Monats kamen in allen Gegenden Nachtfröste vor, die oft ziemlich strenge waren. Noch in der Nacht zum 27. hatte Löningen 3, in der folgenden Nacht Dahmc 4 Grad Kälte ; bei Rheinsberg in der Mark bildete sich aufstehenden, geschützten Gewässern bis zu I cm starkes Eis. Im Miinatsmittel waren die Temperaturen überall zu tief und zwar lagen sie im Norden 1 bis 2 , im Süden sogar 3" unter ihren normalen Werten. Der Wärmemangel wurde zum Teil durch die besonders um Mitte des Monats vorherrschen- den kalten nordöstlichen Winde, zum Teil durch die starke nächtliche Ausstrahlung verursacht. In Süddeutschland fehlte es auch an Sonnenwärme, die hingegen in Norddeulschland sogar etwas reichlicher als gewöhnlich bemessen war ; bei- spielsweise hatte Berlin im ganzen 179 Stunden mit Sonnen- schein zu verzeichnen gegen 165 solcher Stunden in den früheren Aprilmonaten. Noch größer als in den Temperaturverhältnissen war der Unterschied zwischen dem Norden und Süden des Reiches in der Menge und Häufigkeit der Niederschläge. Zwar war die Trockenheit bis zum 6. April m Deutschland fast allgemein. Von da ab fanden jedoch im Süden immer zahlreichere Regen- •73 J>J-f ^ -^ W M S " ^3 S) -S c-O-3 w 5 -^ - - -T- P D> = =1-5 -f ■5-^ i:s * ä:S SS s'fe e e^^ s.g isi ^itdererWertfür Deu^chbnd. Moratssumme im April 1907 08. 05. 0"». 03. 02. reiche Hagel- und Graupelschauer vor. Am 11., später wieder am 19. und 30. fiel in verschiedenen Gegenden Schnee und zwischen dem 26. und 28. Apiil stellten sich im größ- ten Teile Süd- und Mitteldeutschlands Schneestürme ein, wobei z. B. in Metz, Freiburg, Karlsruhe, Stuttgart ebenso wie in Koburg große Schneemassen herniederfielen. Die durchschnittliche Niederschlagsmenge des Monats war in Nord- deutschland noch nicht halb so groß wie im Süden, für den Durchschnitt aller berichtenden Stationen betrug sie nur 34,4 mm, während die gleichen Stationen im Mittel der früheren April- monate seit Beginn des vorigen Jahrzehntes 46,6 mm Nieder- schlag geliefert haben. Die allgemeine Anordnung des Luftdruckes in Europa änderte sich längere Zeit hindurch nur wenig. Bis zum 10. .'\pril befand sich ein barometrisches Minimum beständig in Nordruflland, während eine tiefe Depression zunächst in der Nähe von Island lag und ganz langsam südwärts nach Eng- land, von da durch Mittel- und Südeuropa weiterzog. Für Deutschland hatte diese Luftdruckverteilung andauernd trockene (Ostwinde zur Folge, die mehr in Nordost übergingen, als am II. April bei Island ein neues Hochdruckgebiet erschien und das alte sich weiter nach Osten entfernte. Um Mitte des Monats zog ein tiefes Barometerminimum von Süden her mitten durch Deutschland hindurch nach der Ostsee. Während sich dann ein noch viel tieferes Minimum der isländischen Westküste näherte, wurde das dortige Hoch- druckgebiet südostwärls verschoben und verblieb dann dauernd in den mittleren Breiten Europas. Der Norden wurde darauf von einer Reihe mehr oder weniger tiefer Depressionen durch- wandert, die zunächst eine gerade östliche, später mehr süd- liche Straße einschlugen. Diesen Depressionen, von denen eine am 27. April aus Rußland nach Westen zurückkehrte, gesellte sich noch ein aus Süd- nach Mitteleuropa vordringen- des Minimum hinzu, so daß das Wetter gegen Ende des Mo- nats immer unbeständiger wurde. Dr. E. Leß. 3i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 20 Bücherbesprechungen. Wissenschaftliche Ergebnisse der deutschen Tiefsee-Expedition auf dem Dampfer „Valdivia" i8g8 — 1899. Im Auftrage des Reichsamtes des Innern herausgegeben von Carl C h u n , Leiter der Expedition. (Jena, G. Fischer.) XIII. Band. i. Lieferung: W. Küken thal (Breslau): Alcyonacea. Mit 12 Tafeln. Die Al- cyonarien oder Octocorallen sind mit ihren beiden Gruppen Gorgonaceen und Pennatulaceen vorwiegend Tiefseebewohner, während die Unterordnung der Al- cyonaceen fast durchweg Litoralbevvohner enthält. Daher ist das Material der deutschen Tiefsee-Expedi- tion an Alcyonaceen auch nicht so reichhaltig. 1 2 .\rten wurden nur heimgebracht, aber von diesen 1 2 Arten sind nicht weniger als 1 1 neu für die Wissenschaft. Von diesen 1 2 Arten ist nur eine einzige, Clavidaria cluiiii Kükth., in einer Tiefe von über 1000 m gefunden worden, die anderen Arten sogar alle in weniger als 600 m Tiefe. Alle Arten wiesen nur eine geringe Anzahl von Individuen auf, die erwähnte Clavidaria aus der Tiefe war nur in einem Exemplar vertreten. Daraus geht hervor, daß unter den ."Mcyonaceen Tiefseebewohner selten sind. Die überwiegende Mehrzahl der Alcyonaceen findet sich im flachen Litoral. Nach einer Zusammenstellung der bathymetrischen Verbreitung der bis 1899 bekannt gewordenen Alcyonaceen- Arten von May sind 117 Arten aus Tiefen von o — 100 Faden, 28 Arten aus Tiefen von 100 — 200 Faden gefunden worden, während nur 37 Arten als Tiefseeformen in Betracht kommen, die in Tiefen von 200 — 1700 Faden vorkommen. Das Material der deutschen Tiefsee-Expedition stammt größtenteils aus Gegenden, die bis dahin in bezug auf ihre Alcyonaceenfauna noch unerforscht waren, ist also in geographischer Hinsicht äußerst wertvoll. Aus der Umgebung der B o u v e t - Inseln sind 3 Arten darunter. In Clavidaria chiini lernen wir die echte Clavularia aus der Tiefe des Indischen Ozeans kennen, so daß also der Verbreitungsbezirk der Gattung durch diesen Fund ganz außerordentlich erweitert wird. Die Verbreitung der Gattung wie der gesamten Familie der Xeniiden war bis dahin mit einer .•\usnahme auf den Indopazifischen Ozean be- schränkt ; der Fund von Kenia antarctica dehnt das Verbreitungsgebiet bis in die Antarktis aus. Am interessantesten ist aber das Vorkomruen einer typi- schen Eunephtliya im antarktischen Gebiet. Die zahl- reichen, bisher beschriebenen Arten dieser Gattung stammen fast ausnahmslos aus dem nördlichen Eis- meer. Die aus den Tropengegenden, sowie von der Südostküste Australiens beschriebenen Formen ge- hören meist zu der von K ü k e n t h a 1 schärfer um- . grenzten Gattung Eunephtliya. Eunephtliya antarctica ist die erste antarktische Form einer Gattung, deren Hauptverbreitungsgebiet in der Arktis liegt. Unter den neuen Arten fällt durch die Größe der Polypen Anthomastus antarcticus Kükth. auf, bei welcher Form einzelne Polypen bis :;7 mm lang sind. .■\lle Arten zeichnen sich durch lebhafte Farben aus, wie die prachtvollen Tafeln aus der lithographischen Anstalt von Werner & Winter zeigen. Leider können diesem Referat keine Abbildungen beigegeben werden. Die .Arbeit enthält aber nicht nur die ausführliche Beschreibung der neuen Arten. Prof Kükenthal, der sich bereits 10 Jahre lang mit dem Studium der Alcyonaceen beschäftigt und als Vorarbeiten für eine Monographie der Alcyonaceen für die einzelnen Fa- milien derselben seine Ergebnisse in einer Reihe von Publikationen als „Versuch einer Revision der Al- cyonaceen" niedergelegt hat, fügt dieser Arbeit ein Kapitel über „Die stammesgeschichtliche Entwicklung und die geographische Verbreitung der Alcyonaceen" bei, dem wir einige Hauptresultate entnehmen. Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Alcyonaceen ist der K ol on i enb ildu n g zu/.uschreiben und zwar darf man dabei nicht nur die äußere Form berück- sichtigen, sondern man muß auch den inneren Aufbau mit in Betracht ziehen. Der Bau der Polypen kann wohl innerhalb gewisser Grenzen bei den ver- schiedenen Gattungen variieren, eine \A'eiterentwick- lung der Organisation läßt sich aber nicht konstatieren. Die Größenverhältnisse innerhalb einer Kolonie schwanken bei den nur wenige Polypen aufweisenden, durch einfachere Kolonienbildung ausgezeichneten Formen weit mehr, als bei den komplizierter gebauten Kolonien. Die Alcyonaceen stammen von Einzel- polypen ab, die durch Stolonenknospung neue Polypen bilden, die zusammen die Kolonie aufbauen. Am einfachsten ist die Stolonenknospung bei den Cornu- lariden, da sie auf die Basis der Polypen beschränkt ist; bei allen anderen Familien entspringen sie in verschiedener Höhe der Polypenwand. P'ür die Weiterentwicklung der Kolonie ist maß- gebend gewesen das Bedürfnis, die Zahl der Polyjjen, welche allein die Nahrungszufuhr besorgen, zu ver- mehren, und das konnte nur geschehen durch eine Vergrößerung der polypentragenden Oberfläche. Diese kann schraubenförmig werden, sich kugelig bis walzen- förmig hochwölben, in Falten legen oder lappen- förmige Fortsätze entwickeln. Eine sehr bedeutende Oberflächenvergrößerung wird durch eine baumförmige Gliederung erzielt. Mit der .^usbildung einer baura- förmigen Kolonie wie bei den Nephthyiden ist aber der Endpunkt der Entwicklung noch nicht erreicht. Indem sich der Unterschied zwischen Hauptstamm und Asten mehr und mehr verwischt, kommt es zur .'\usbildung von gorgonidenähnlichen Formen. Bei den Siphonogorgien ist diese Umwandlung zu gorgo- nidenähnlichen Formen noch weiter vorgeschritten, ein Teil zeigt noch einen nephthyidenartigen Aufbau, ein Teil ist aber den Gorgoniden äußerlich sehr ähn- lich geworden, so daß hier in bezug auf die äußere Form eine Konvergenzerscheinung vorliegt. Mit der Entwicklung der Kolonien ungefähr parallel geht die Ausbildung eines stützenden Skelettes. Bei den niedersten Formen wie Corniilaria ist das Skelett ektodermalen Ursprunges und erscheint als eine hornige Hülle. Sehr frühzeitig entwickelt sich aber ein mesodermales Skelett, ausgeschieden von Zellen ektodermalen Ursprungs, die in das Mesoderm ein- gewandert sind. Die Skeriten oder Spicula ge- N. F. VI. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 319 nannten Skelettbildungen sind einzelne Köiper von verschiedener Größe und Form, die aus einer orga- nischen Grundsubstanz bestehen, welche in verschieden hohem Grade mit kohlensaurem Kalk imprägniert ist. Die Spicula bilden regelnicäßig geformte Körper, deren Gestalt für die einzelnen Gruppen und Arten charak- teristisch ist. Für die ursprünglichsten Spiculaformen hält Kükenthal die biskuit- oder scheibenföimige der Xeniiden. Die nächsten F'ormen sind einfache Stäbchen und gestreckte Spindeln. Die Spicula können aber recht verschiedene Formen annehmen. Bei den Tubiporiden, den sog. Orgelkorallen, kommt es durch Verschmelzung der Spicula zur .Ausbildung eines festen Skelettes von Kalkröhren und horizontalen Kalk- platten, während die Helioporiden ihr festes Skelett nicht durch Verschmelzung von Spicula, sondern durch ektodermale .Ablagerung von Kalkmassen, ähnlich wie die Madreporiden, erzeugen. Bei einzelnen Formen kommt es zu einer geringen Ausbildung und selbst zum Schwunde des Spiculaskelettes. Vornehmlich sind es jene Formen, welche in der Brandungszone leben, und durch ihre Biegsamkeit dem Zerbrochenwerden entgehen, während in größeren Tiefen das Skelett nicht nur zur Befestigung der Kolonie, sondern auch zum Schutze dient. Als Schutz gegen das Gefressen - werden können große Nadeln aufgesetzt werden, welche weit aus dem Stamm herausragen, wie z. B. bei A'iiialia macrospina Kükth. Unter dem Tentakel- kranz findet sich fast stets zum Schutze des Köpfchens eine größere Anhäufung von Spicula in regelmäßiger Anordnung. Bei Formen mit geneigtem Köpfchen ist die den Gefahren der .Außenwalt besonders aus- gesetzte dorsale Seite stärker bewehrt, als die innere, ventrale Seite. F^s kann auch ein anderer Schutz des Polypen durch Ausbildung eines besonderen Schutz- bündels erreicht werden, das aus Spicula von besonderer Größe, die das Köpfchen überragen, gebildet wird. In enger Beziehung zur Skelett- wie Kolonienbildung steht die Retraktilität der Polypen und ihrer Tentakel, für die bei manchen Formen besondere Polypenkelche ausgebildet sind. Bei den Alcyoniden können sich die Polypen völlig in das Cönenchym zurückziehen. Mit der zunehmenden Differenzierung der Kolonien sinkt im allgemeinen auch die Größe der Polypen, während ihre Zahl zunimmt. Innerhalb der Alcy- onaceen tritt nun ein Dimorphismus der Polypen ein, indem neben den eigentlichen Polypen , den A u t o - ZOO i den, noch viel kleinere auftreten, die eine ge- wisse Größe nicht überschreiten und sich durch eine verschiedenartige Reduktion ihres Baues auszeichnen. Das sind die sog. Si p h on ozo oida. Von jungen Autozooiden lassen sie sich durch die verschieden- gradige Rückbildung der Tentakeln unterscheiden, die vollkommen schwinden können. Nach allgemeiner Annahme sollen die Siphonozooide die Zufuhr und Zirkulation des Wassers in der Kolonie besorgen, doch stehen in dieser Frage entscheidende experimentelle Untersuchungen noch aus. Auch diese Lieferung des Reisewerkes der Tiefsee- Expedition enthält also nicht nur eine Beschreibung und Abbildung der von der Expedition gesammelten Formen, sondern der Bearbeiter, Prof. K ü k e n t h a 1 , faßt hier gewissermaßen den gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse über die Stainmesgeschichte und Verbreitung der Alc\onaceen zusammen, gestützt auf seine eigenen, mühsamen Einzeluntersuchungen der letzten 10 Jahre. F. Römer. Literatur. Kunz, Priv.-Doz. Dr. Jak.: Theoretische Physik auf mecha- nischer Grundlage. (X, 499 S. m. 29 1 Abbildgn.) Le-x. 8". SluUgart '07, F. Enke. — 12 Mk., geb. in Leinw. 13,40 Mk.- Lehrbuch der Psychiatrie, bearbeitet von Dirr. Proff. DD. A. Cramcr, A. VVeslphal , .'\. Hoche, K. Wollenberg und den Herausgebern Dirr. Geh. Med. -Räten Proff. DD. O. Bins- wanger u. E. Siemerling. 2. vermehrte Aufl. (VI, 386 S.) Lex. 8". Jena '07, G. Kischcr. — 5,50 Mk., geb. 6,50 Mk. Lee, A. 11, u. Paul Mayer: Grundzuge der mikroskopischen Technik f. Zoologen u. .Analomen. 3. Aufi. (VII, 522 S.) gr. S". Berlin '07, R. Kriedländer & Sohn. — 15 Mk., geb. 16 Mk. Lorentz, Prof. Dr. H. A. : Lehrbuch der Differential- u. In- tegralrechnung, nebst einer Einführung in andere Teile der Mathematik. Mit besond. Berücksicht. der Bedürfnisse der Studierenden der Naturwissenschaften bearb. Unter Mit- wirkg. des Verf. übers, v. Prof. Dr. G. C. Schmidt. 2. Aufl. (VI, 562 S. m. 129 Fig.) gr. 8". Leipzig '07, J.A.Barth. — 12 Mk., geb. in Leinw. 13 Mk. Maas, Prof. Dr. Otto: Lebensbedingungen u. Verbreitung der Tiere. Mit Karten u. Abbildgn. (V, 138 S.) Leipzig '07, B. G. Teubner. — l Mk., geb. in Leinw. 1,25 Mk. Rothmund, Prof. Dr. V.: Löslichkeit und Löslichkeitsbeein- llussung. Mit 65 Fig. (XI, 196 S.) Leipzig '07, J. .\. Barth. — 8 Mk., geb. in Leinw. 9 Mk. Sommer, Prof. Dr. J. : Vorlesungen üb. Zahlentheoric. Ein- führung in die Theorie der algebraischen Zahlkörper. (VI, 361 S. m. 4 Fig.) gr. 8". Leipzig '07, B. G. Teubner. — Geb. in Leinw. 1 1 Mk. Sommerfeldt, Priv.-Doz. Ernst : Physikalische Kristallographie vom Standpunkt der Strukturtheorie. Mit 122 Abbildgn. im Text u. auf eingehefteten Taf. (VII, 132 S.) gr. 8". Leipzig '07, Ch. II. Taucbnitz. — Geb. in Leinw. 6 Mk. Briefkasten. Herrn R. in Alexandria. — 1) Heijerinck hat über Bak- terien, welche sich im Dunkeln mit Kohlensäure als Kohlen- stoffi|ueIle ernähren können, im Centralblatt für Bakteriologie II. .\bt. Bd. XI 1904 S. 593 berichtet. Die Literatur über die Frage : Können die Fische hören? (Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 6 S. 46) ergänzt uns Herr Dr. O. Zacharias in Plön freundlichst durch zwei weitere Titel, nämlich: O. Körner, ,, Können die Fische hörenf", (Berlin 1905) und eine Besprechung dieses Buches mit weite- ren Literaturangaben von W. Ko el 1 reutt er, in; Arch. f. Hydrobiologie u. Planktonkunde Bd. 2, 1906, S. 9-20. Das in meiner .\ntwort gegebene Resultat wird durch diese beiden Arbeiten nicht geändert. Wer aber über den Gegenstand ar- beiten will, muß dieselben kennen. In der Maulwurffrage verdanken wir Herrn Dr. H. Reeker in Münster eine wichtige Ergänzung zu meiner Notiz (vgl. S. 142 und 213 ds. Bds.), den Hinweis nämlich auf eine eingehende Arbeit von L. E. Adams, die mir entgangen war. Zu dem R e e k e r ' sehen Aufsatz möchte ich hier nur berich- tigend hervorheben, daß ich selbst auch auf einer Wiese die Wohnung des Maulwurfs niemals über dem Niveau des Erd- bodens gefunden habe. Natürlich will ich damit nicht be- streiten , daß gelegentlich auf noch feuchterem Gelände eine höhere Lage vorkommt. Ich glaube aber, daß dieser Fall ' ein verhältnismäßig seltener ist. — Ich hoffe, daß der Reeker- sche kleine Aufsatz es noch dringender nötig erscheinen läßt, das Phantasiegebilde eines Maulwurfbaues endlich aus unse- ren Schulbüchern verschwinden zu lassen. Der auf S. 207 ds. Bds. angedeutete Fall einer schein- . bar hohen Intelligenz bei Radnetzspinnen hat einige Leser 320 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 20 veranlaßt, mir in freundlichster Weise Mitteilung über einige weitere ähnliche Fälle zu machen. Die Mitteilungen sind mir um so wertvoller, da es sich hier um mein Hauptforschungs- gebiet handelt. Sie zeigen aber auch , daß ein Einzelner die zerstreute Literatur auch auf einem engeren Gebiete nicht vollständig übersieht. Man sollte ein Organ haben, in dem man sich gegenseitig im Aufsuchen der Literatur, namentlich von zerstreuten und doch wichtigen Literaturstellen, unterstützt und ich erlaube mir, dafür die außerordentlich weit ver- breitete und vielgelesene Natur w. Wochenschr. vorzuschlagen. Gerade das, was weitere Kreise inter- essiert, was also für unsere Zeitschrift besonders geeignet ist, ist am schwersten zusammenzusuchen. — Zu dem vorliegenden Fall teilt mir zunächst Herr Prof. Dr. K. Kraepelin in Hamburg eine eigene Beobachtung mit, die er vor etwa 20 Jahren in einem Obstgarten im Böhmerwald machte. Von Wert ist l'ür uns besonders, daß Herr Kraei)elin, den wir als vorzüglichen Naturbeobachter kennen , hinzufügt , er habe sich damals den von ihm selbst beobachteten Fall in gleicher Weise erklärt, wie es in meiner kleinen Notiz geschehen ist. — Auf eine größere Zahl von Fällen verweist mich Herr D. Wetterhan in Freiburg i. Hr., ein hervorragender Literatur- kenner. Die Fälle sind, bis auf einen, schon von G. J. Ro- man es zusammengestellt (in seinem Buche ,,Anim.al Intelli- gence'*, London 1892, [k 220 — 222). Ein weiterer in Buenos Ayres zur Beobachtung gelangter Fall ist mitgeteilt in der englischen Zeitschrift ,,Nature" (Vol. 49, 1S94, p. 4S1). Im wesentlichen sind alle Fälle gleich. Zwei Beobachter, J. G. (rleditsch und ein ungenannter Freund von J. G. Wood heben ausdrücklich hervor, die Herstellung eines unten durch ein Steinchen bzw. Holzstückchen gespannten Netzes beobachtet zu haben. Die Spinne ließ sich bis auf den Boden hinab und holte das Steinchen bzw. Holzstückchen mittels eines Fadens herauf. (Auch das ,,seize" von Gleditsch kann wohl nur so verstanden werden.) — Die wichtige Frage ist nun die: Haben wir hier Fälle von Intelligenz vor uns? — In neuerer Zeit, namentlich seit dem Erscheinen des genannten R o m an es ' sehen Buches hat die Tierj^sychologie große Fortschritte gemacht. Während sich das Wissen über die geistigen Fähigkeiten der Tiere früher aus gelegentlichen, mehr oder weniger verbürgten Beobachtungen verschiedener Autoren aufbaute, beobachtet der Forscher auf diesem Gebiete jetzt planmäßig selbst und macht Experimente. Gelegentliche Beobachtungen haben meist den großen Fehler, daß sie nicht von Anfang bis zu Ende durchgeführt sind und deshalb in hervorragendem Maße zu Mißverständnissen Anlaß geben können. — Der moderne Psychologe unterscheidet zweierlei Handlungen, welche uns als zweckmäßig erscheinen, die Ver- standeshandlungen und die Instinklhandlungen. Bei ersteren steht der Zweck dem die Handlung ausführenden Wesen vor .'\ugen, bei letzteren ist demselben der Zweck nicht bekannt. Ob das eine oder das andere zutrifft, läßt sich in den meisten Fällen durch Beobachtung an jungen Tieren oder durch ein geeignetes E.xperiment feststellen. — Die Triebfedern bei den Instinkthandlungcn sind , .Hunger und Liebe", wenn wir diese Begriffe mit Schiller im allerweitesten Sinne auffassen dürfen, wenn wir uns darunter die Summe aller Unlust- und Lustgefühle als Trieb- und Zugkräfte vorstellen. Der Fehler, den man bei der Definition des Wortes Instinkt gewöhnlich begeht, ist der, daß man von einem Triebe spricht, während eine einzelne Instinkthandlung oft durch zahllose geistige Druck- und Zug- kräfte zustande kommt. Ein leicht übersehbares Beispiel bietet uns die Nahrungsaufnahme bei den höheren Tieren und beim Menschen. Zweck derselben ist natürlich die Ausbildung und Erhaltung des Körpers und seiner Kräfte. Das Kind kennt diesen Zweck noch nicht. Es ißt , weil es hungrig ist, weil die Nahrung seinen .Appetit erregt und weil ihm dieselbe gut schmeckt. Das Kind handelt also instinktiv. Das In- stinktive ist aber durch Verstandesäußerungen , die an Erfahrungen anknüpfen , verdunkelt. — Das Radnetz einer Spinnenart wird von einer jungen Spinne , die nie ein Netz sah, meist bis ins Detail so hergestellt wie das der Mutter. Da Fäden verschiedener Art miteinander wechseln, können der Bau der Spinne und die äußeren Verhältnisse den Aufbau des Netzes nicht bedingen {vgl. Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philosophie Bd. 9, 1884, S. 162 ff). Es handelt sich also um angeborene geistige Druck- und Zugkräfte, um einen Instinkt. Zur Herstellung des Netzes gehört auch das Spannen desselben durch äußere Fäden (vgl. auch P. Westberg, ,,Das Netz der Kreuzspinne, in: Natur und Schule Bd. 4. 1905, Separat S. 13). Verstandeshandlungen fehlen übrigens den Spinnen keineswegs ganz. Wie in den allermeisten Fällen, so sind auch bei ihnen die Instinkthandlungen von Verstandesäußerungen niederer Art begleitet. Man nennt diese Verstandesäußerungen einfach- ster Art, bei denen der zu erreichende Zweck jedenfalls nur dunkel zum Bewußtsein kommt, jetzt gewöhnlich Assozia- tionen. Sie sind die Vorstufe von Schlußfolgerungen und gehen beim Kinde unmerklich in diese über. Bei der An- passung des Netzes an die äußeren Verhältnisse sind derartige niedere Verstandesäußerungen in einem gewissen Maße er- forderlich. Sie stehen aber, wie ich aus zahlreichen Experi- menten schließen muß, bei den Spinnen sehr tief. Ich halte es für völlig ausgeschlossen , daß sich die Spinne eine Vor- stellung von der Wirkung eines am unteren Teile des Netzes hängenden Steincheus machen kann. Zudem reicht die Seh- fähigkeit, wie ebenfalls Experimente zeigen, gar nicht aus, von oben die Steinchen am Boden erkennen zu lassen (vgl. Viertel- jahrsschr. f. wiss. Phil. Bd. 9, S. 94 ff.). Der vorliegende Fall läßt sich also nur so erklären, daß die Spinne beim Spannen des Netzes zufällig kleine, am Boden liegende Stein- chen zur Befestigung des spannenden Fadens wählt. Es ist keineswegs unmöglich , daß dabei gelegentlich ein Steinchen von geringem Gewicht mittels des angehefteten Fadens un- mittelbar gehüben wird, vermutlich aber ohne Wissen der Spinne; jedenfalls hat die Spinne den Zweck, der durch He- ben des Steines erreicht wird, nicht im Auge , und darauf kommt es hier allein an. In den meisten Fällen wird wahr- scheinlich die Hebung des Steinchens auch erst bei der wei- teren Spannung des Netzes erfolgen. Jedenfalls liegt es sehr nahe, das anzunehmen. — Nachdem das Vorstehende schon gesetzt war, geht noch eine weitere Mitteilung von Herrn Garteninspektor Schelle in Tübingen ein. Auch Herr Schelle beobachtete wiederholt ein gehobenes Steinchen, ein Stückchen Holz , Schlacke etc. am unleren Rande eines Spinnennetzes. Herr Schelle erklärt sich den Fall zwar ebenso, wie ich in meiner ersten Notiz, hält es aber doch lür verwunderlich, daß ein Steinchen von der Größe des Nagels am kleinen Finger lediglich durch die Spannung des Netzes nicht nur 5 — lo cm, sondern öfter 30 und sogar 50 cm hoch, wie er es beobachtete, gehoben werde. — Ich verweise hier auf das oben schon Mitgeteilte. — Soviel scheint hier durch das Zusammentragen der Erfahrungen vieler zutage zu treten, daß der vorliegende Fall gar nicht so außerordentlich selten ist. Immerhin kann man ihn nicht als Regel hinstellen ; denn ich selbst habe, obgleich ich mein Hauptaugenmerk den Spinnen zuwende, auch unter ähnlichen Verhältnissen, nichts Derartiges beobachtet. Definiert man also die instinktive Handlung als eine solche, die ,,von allen normalen Individuen in fast derselben Weise ausgeführt wird" (vgl. H. E. Z i e gl e r, in: Zool. Jalirbücher Suppl. Bd. 7, 1903, S. 7 18), so muß man hier notwendig hochentwickelte Verstandestätigkeit vermuten, die ein gründliches Studium der geistigen Fähigkeiten bei der Spinne, wie schon gesagt, völlig ausschließt. Variationen im Instinkt kann man von Verstandestätigkeit durch ein rein äußeres Merkmal, wie Z i e g 1 e r es will , niemals unter- scheiden. Dahl. Inhalt: H. Harms: Carl von Linne. — Kleinere Mitteilungen: Mr. L. Wilser: Die Gliederung der urgeschichllichen Menschenrassen. — Reymond Foß Bacon: Über die auf den Philippinen gebräuchlichen Fischgifte. — Prof H. E. Ziegler: Die Chromosomentheorie der Vererbung in ihrer Anwendung auf den Menschen. — Prof Detmer: Vergleichende Beobachtungen über Stärke- und Zuckerblätter. . — Arctowski: Gezeiten in der Atmosphäre. — Wetter-Monatsübersicht. — Bücherbesprechungen: Wissenschaftliche Ergebnisse der deutschen Tiefsee-Expedition auf dem Dampfer ,,Valdivia" 189S — 1899. — Litteratur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H, Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neae Folge VI. Band; der ganzen Reihe XXII. Band. Sonntag, den 26. Mai 1907. Nr. 21. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten , wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate : Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. Die Seenrinne des Grunewalds und ihre Moore.') Von Geheimrat Prof. Dr. F. Wahnschaffe. Um eine Vorstellung von der Entstehung der Grunewaldseen zu gewinnen, ist es notwendig, sich die geologischen Verhältnisse der Umgegend von Berlin zu vergegenwärtigen. Unser nord- deutsches Flachland verdankt bekanntlich seine Ablagerungen und seine Oberflächenformen einer Bedeckung von Inlandeismassen, die sich von Skandinavien aus bis zum Nordrande der deut- schen Mittelgebirge ausgebreitet haben. Auf Grund wissenschaftlicher Tatsachen können wir annehmen, daß diese Eismassen Norddeutsch- land während der großen diluvialen Eiszeit dreimal überzogen und daß in den Zwischenzeiten, in denen das Eis weithin zurückwich, mildere kli- matische Bedingungen herrschten. In der Umgegend Berlins sind die Ablage- rungen der letzten Vereisung über weite Flächen ausgebreitet und bestehen entweder aus der unter dem Eise gebildeten Grundmoräne, die wir als Geschiebemergel bezeichnen, oder aus den Ab- sätzen der Gletscherschmelzwasser, die aus der aufgearbeiteten und umgelagerten Moräne ent- standen sind. Die nördlich und südlich von Berlin sich ausdehnenden Hochflächen zeigen den oberen Geschiebemergel in weiter Verbreitung. Er ruht hier in einer 3 — 6 m mächtigen Decke auf geschichteten Sanden und ist von einer sandig- lehmigen Verwitterungsrinde bedeckt, die den Ackerboden bildet. Innerhalb der Geschiebe- mergelhochfläche kommen jedoch auch vielfach rein sandige Ablagerungen vor, die den Geschiebe- mergel überlagern, z. T. aber auch ersetzen. Es sind dies, wie aus ihrer Geschiebeführung hervor- geht, durch die Schmelzwasser bearbeitete sandige Äquivalente der Grundmoräne, die auf den geolo- gischen Karten als obere Sande bezeichnet worden sind. Ferner durchragen die unter der Grund- moräne lagernden Sandmassen, von denen gleich ausführlicher die Rede sein wird, in vereinzelten flachen Kuppen die Geschiebemergelplatte. Diese Sande kommen auf der Barnim- und Teltowhochfläche aber nicht nur als eng um- grenzte Durchragungen, sondern auch als ausge- dehnte, nicht von Geschiebemergel bedeckte Sand- gebiete vor, als welche die Schönewalder Forst nördlich und der Grunewald südlich von Berlin zu nennen sind. Als die Eismassen '■) Dem Aufsatze liegt ein Vortrag zugrunde, den Verf. in der Freien Vereinigung der Kolonie Grunewald (Dez. 1906), in der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde und im Touristenklub für die Mark Brandenburg (Febr. und April 1907) gehalten hat. 322 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 21 der letzten Vereisung heranrückten, wurden durch die dem Eisrande entströmenden Schmelzwasser die vorliegenden, noch eisfreien Gebiete mit Sanden und Kiesen überschüttet. Je nach der wechselnden Wassermenge und der dadurch bedingten Ge- schwindigkeit transportierten die Gletscherflüsse und -bäche bald feineres, bald gröberes Material und verlegten dabei ihren Lauf in der mannig- faltigsten Weise, so daß diese Sande keine regel- mäßige Horizontalschichtung, sondern innerhalb der parallel abgelagerten Sandbänke eine deutlich sichtbare Kreuzschichtung aufweisen. Auch die meist fein- bis mittelkörnigen Sande des Grune- walds zeigen überall in den tieferen Aufschlüssen, z. B. in der großen Sandgrube östlich vom Rien- meistersee, in der zwar flachen, jetzt aber erweiter- ten Grube westlich vom Sauwärterhaus, in der neuen Sandgrube südlich vom Torf- oder Teufels- graben nahe der Havel und in einem frischen Abstich an der Bahn zwischen Eichkanip und Grunewald diese charakteristische Beschaffenheit der sogenannten diskordanten Parallel- struktur und müssen daher als Absätze von Gletscherschmelzwassern betrachtet werden. Diese Vorschüttungssande wurden nachher von dem nach Süden vorrückenden Inlandeise überschritten, jedoch nicht immer gleichmäßig mit Grundmoräne bedeckt. Vielmehr tritt in den beiden eben er- wähnten Sandgebieten der Geschiebemergel fast ganz zurück, doch bildet eine dünne Decke block- führender, an der Ostgrenze des Grunewaldes z. T. lehmig ausgebildeter Sande einen Vertreter des- selben. In der Sandgrube am Rienmeistersee ist auch noch ein Rest Geschiebemergel auf den ge- schichteten Sanden der Westwand sichtbar, ferner am Bahnhof Eichkamp oberhalb des neuen Via- duktes. Der Geschiebesand ist in den Gruben beim Sauwärterhaus und beim Torfgraben gegen- wärtig deutlich aufgeschlossen. Der Grunewald ist der östliche Teil eines größeren Sandgebietes im Süden des Berliner Tales, das von der Havel in zwei ungleiche Teile zerlegt wird. Das größere Gebiet westlich der Havel umfaßt die Groß - Glienicker Heide und Fahrlander Porst und erstreckt sich über Döberitz bis Rohrbeck und Dyrotz an der Lehrter Bahn. Südlich von Potsdam setzt sich dieses Sandgebiet, das als eine größere Aufschüttungszone des vor- rückenden Inlandeises aufzufassen ist, bis in die Belitzer Gegend fort. Der Grunewald selbst wird östlich durch die Geschiebemergelplatte der Teltow- hochfläche begrenzt, die beiWilmersdorfSchmargen- dorf, Dahlem und Zehlendorf an den Grunewald heranreicht. Er gliedert sich in einen flacheren, östlichen Teil von etwa 55 m Meereshöhe, in den die Seenrinne eingesenkt ist und in einen höheren mit starkwelligen Oberflächenformen, der sich an der Havel entlang zieht. Diese Höhen setzen sich auf dem Glienicker Werder fort und werden neuer- dings von Keilhack z. T. zu den endmoränenartigen Aufschüttungen gerechnet. Bei einer Betrachtung der geologischen Über- sichtskarte der Umgegend von Berlin im Maßstab i:iooooo') sieht man, daß die Barnim- von der Teltowhochfläche durch ein breites Tal ge- trennt ist. Dieses Tal, das südlich von Frank- furt a. O. das heutige Odertal verläßt und sich von OSO. nach WNW. über Berlin durch das havelländische Luch bis zur unteren Elbe verfolgen läßt, gehört zu den Urstromtälern, deren Bildung mit der Abschmelzperiode des letzten Inlandeises zusammenfällt. Der Erstreckung dieses Tales folgt in ihrem Unterlaufe die Spree, während es von dem heutigen Havellaufe durchkreuzt wird. Die Stadt Berlin ist in eine Talverengung zwischen der Teltow- und Barnimhochfläche hineingebaut. Der alte Boden dieses Berliner Urstrom- tales wird durch feinkörnigen Talsand gebildet, der ausgedehnte ebene P^lächen bedeckt. Seine Neigung nach WNW. ist nur gering und beträgt zwischen Köpenick und Spandau wenig mehr als 2 m, so daß seine Höhenlage sich hier im Mittel von 35 auf 32,5 m über NN. herabsenkt. Dieser Talsand wird von dem unteren Spreelauf durch- schnitten, und in denselben sind teils im Anschluß an die Spree, teils parallel mit ihr verschiedene alluviale Rinnen eingesenkt, die mit kalkhaltigem Diatomeenschlamm, bzw. wie besonders im Unter- grunde Berlins mit Diatomeen führendem Kalk- faulschlamm und humosen Bildungen (Moortorf und Moorerde) erfüllt sind. Über dieses Tal erhebt sich das Teltowplateau im Mittel bis zu 50, bei Dahlem bis 54 m, wäh- rend einzelne Höhen im westlichen Grunewald bis 70 m aufragen und der Havelberg sogar 96,9 m erreicht. Die Hochfläche ist flachwellig ausge- bildet und zeigt nur nach der Havel zu eine stärkere Modellierung. Ihre Hauptgliederung er- hält sie durch die sie durchziehenden Wasserläufe und Rinnensysteme, sowie durch kesselartige Ein- senkungen, die z. T. vereinzelt oder auch reihen- weise in Rinnen liegen. Für uns kommen hier vor allen Dingen der Havellauf und die Grune- waldseenrinne in Betracht, während das Bäketal mit dem Teltower See einen flacheren und kürzeren Einschnitt des Plateaus darstellt, der neuerdings durch den Bau des Teltowkanals wesentlich ver- ändert worden ist. Was zunächst die Havel betrifft, so hat sich ihr gegenwärtiger Lauf erst nach der Eiszeit unter Benutzung verschiedener, bereits in der Abschmelzperiode entstandener Talabschnitte und Seenrinnen herausgebildet. Daß sie als ein voll- ständiges Flußsystem mit mehreren Nebenflüssen bereits vor der Ausbildung des Berliner Tales vor- handen gewesen sei, wie Berendt ") annimmt, halte ich für ausgeschlossen, da das Oranienburger Ver- bindungstal einen völlig anderen Charakter besitzt und zweifellos jünger ist, als die Rinne der ') Herausgegeben von der Kgl. Preuß. Geologischen Landesanstalt. ") G. Berendt, Geognostische Beschreibung der Umgegend von Berlin. (Erläuterung zur geologischen Übersichtskarte der Umgegend von Berlin.) 1899, S. 14. N. F. VI. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 323 Kette von Seen Havelseen. Von Norden her aus den mecklen- burgischen Seen kommend, folgt die Havel nach Durchi]uerung des ostwestlichen Kberswalder Ur- stromtales in südlichem Lauf dem breiten Ver- hindungstalc zwischen Oranienburg und Hennigs- dorf, durchsetzt dann das gleichfalls westlich ge- richtete Berliner Tal und tritt südlich von Spandau in die diluviale Hochfläche ein. (Vgl. Fig. i.) Hier ergießt sie sich in eine bereits durch die letzte Vereisung vorgebildete und Rinnen, deren Hauptrich- tung sich von NO. nach SW. und von SO. nach NW. erstreckt. Diese Rinnenseen sind noch als volle Wasserflächen erhalten, die flachen Becken aber zum großen Teil vertorft. Es er- scheint völlig ausgeschlossen, daß die heutige Ha\el mit ihrem geringen Gefäll die mit zahlreichen Buchten versehenen Seen ausgefurcht haben könnte. Die eigentliche Havel hat nur geringe Tiefen, durchschnittlich 2 — 3 m, aufzuweisen. Die den Grunewald westlich begrenzen- den Havelseen zeigen aber nach den Messungen von Herrn Dr. E. Brasse sehr verschiedene Tiefen. Die scharfe Lanke bei Fichelsdorf hat allerdings nur eine größte Tiefe von 4,5 m, der Stössensee von nur 3,8 m. Bei Gatow beginnt jedoch eine tiefere Rinne mit 5 m, die nördlich von Sandwerder durchschnittliche Tiefe m erreicht. Südlich 2 — 3 m. Auch die in den Großen Zernsee von Norden her einmündende Wublitz ist nur 1,5 — 2 m tief. Größere und vor allen Dingen anhaltendere Tiefen zeigen die Seen der Potsdamer (iegend, die nicht von der Havel durchflössen werden, so der Große Plessower See (größte Tiefe 12,3), der Glindower See (13 m), sowie ferner die von Norden her auf Potsdam stoßende Seenrinne, der Große Glienicker See (12 m), der Sakrower See, / eme von von eine Kladow befindet sich schmale langgestreckte Rinne \on 10 m mit dem tiefsten Punkt von 11,5 m, während der Wannsee eine größte Tiefe von 10,5 m besitzt. Westlich der Pfaueninsel hat Dr. Brasse 7, 8 und 9 m gelotet, während südlich Sakrow 7,5 m als größte Tiefe erreicht wurde. Im Babelsberger See erreicht die Havel 9 — 10 m, bei Templin 6 — 7 m, während der schmale Teil bei Kaputh an zwei eng umgrenzten Stellen 10 m auf- weist. Der Schwielow-See ist in seinem nördlichen Teil tiefer (6 — 9 m), als in seinem südlichen, wo er sich von 5 auf 3 m ver- flacht. An Werder vorbei zieht eine Rinne von 5 — 6 m Tiefe, die bei Alt-Geltow mit 8 — II m beginnt, im Großen Zernsee 7 m (ver- einzelt 10 m), bei Phöben sogar 10 — 11 m er- reicht. Von Göttin ab ist der Havellauf sehr flach und hat bis Deetz eine mittlere Tiefe von HcweiLau/. 7500000. Fig. I. der die hier ganz ungewöhnliche Tiefe von 37 m erreicht, und der Heilige See (14 m). Vielleicht läßt sich daraus folgern, daß die Havel den Seen- boden während jjer Alluvialzeit durch mitgeführte Sedimente ganz allmählich erhöht und besonders die tiefsten Stellen mehr und mehr zugeschwemmt hat, wodurch diese jetzt in den Havelseen meist eine nur geringe Ausdehnung aufweisen. 324 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 21 Die Rinne, in der die Grunewaldseen liegen, stellt einen schmalen, im Maximum 300 m breiten, stark gewundenen alten VVasserlauf der Eiszeit dar. Die in der Kolonie Grunewald aus ausgebaggerten Torfmooren hergestellten Seen, der Dianasee und Thcrcsc Wahnschaffe phot. Nov. 1902. Fig. 2. Westufer des Grunewaldsees bei hohem Wasserstande. die Rinne nicht erst in jüngerer Zeit durch Wasser ausgefurcht sein kann, sondern daß sie einen alten, jetzt toten Wasserlauf darstellt. Da dieser vor- wiegend in durchlässige Sande eingesenkt ist, so stellt der Wasserspiegel dieser Seen zugleich den Spiegel des in diesen Sand- schichten zirkulierenden Grundwassers dar.') Schwan- kungen dieses oberen Grund- wasserhorizontes, wie sie nach niederschlagsreicheren oder niederschlagsärmeren Jahren eintreten müssen, machen sich natürlich auch in den Schwan- kungen dieser Seespiegel be- merkbar, wofür aus den letzten Jahren ein lehrreiches Bei- spiel vorliegt. Von der Militärbadeanstalt des Garde-Schützenbataillons ist festgestellt worden, daß der Spiegel des Grunewald- sees seit igo2 um 68 cm ge- fallen ist; in der Zeit vom 6. Juni 1905 bis zum 24. Mai 1906 betrug die Senkung! des Wasserspiegels 17,2 cm. Auch von der Kgl. Oberförsterei Grunewald ist angegeben wor- den, daß seit 3 — 4 Jahren Sen- Königssee, vermitteln den Zu- sammenhang zwischen dem nördlich gelegenen Haiensee und dem südlich sich anschlie- ßenden Hundekehlensee. Wei- ter nach Südwesten zu folgen der Grunewaldsee, Rienmeister- see, die Krumme Lanke, der Schlachtensee und Nicolassee. Das Gefäll dieser Rinne ist im allgemeinen nach Südwest zum Wannsee hin gerichtet, wie dies auch der mittlere Wasserstand der Seespiegel anzeigt, der auf Blatt Teltow beim Haiensee 35,2, beim Hundekehlensee 33, bei der Krummen Lanke eben- falls 33 , beim Schlachtensee 32,5 und beim Nicolassee 30,6 m, beim Wannsee 29 m über NN. gelegen ist. Der Boden der Riime zeigt keine gleichmäßige Austiefung, denn es wechseln teils durch Sand gebildete Schwellen (am Südende der Krummen Lanke und des :. Schlachtensees) mit den tiefer eingesenkten See- becken ab, teils sind diese durch vertorfte Zwischen- stücke miteinander verbunden. Gerade diese Aus- füllung durch Torfmassen deutet darauf hin, daß rh. W. phot. Nov. 19C6. Fig- 3. Westufer des Gruncwaldsees bei niedrigem Wasserstande. ') Tiefbohrungen am Nicolassee und Schlachtensee liaben ergeben, daß im Untergrunde des Grunewaldes zwei Ge- schiebemergelbänke auftreten, die durch mächtige, den unteren Grundwasserhorizont einschließende Sand- und Kiesschichten getrennt sind. N. F. VI. Nr. 2 t Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 325 kimgen der Sinegcl des Mundekehlen- und Schlachtensees eingetreten seien. Von der Ge- meinde Zehlendorf sind einige Nivellements aus- geführt worden, die die Höhe des Wasserspiegels des Schlachtensees im Jahre 1899 auf 32,15 m feststellten, (die kgl. preußische Landesaufnahme von 1901 gibt auf der Generalstabskarte Blatt Teltow, wie schon erwähnt, 32,5 m an) am 23. Okt. 1905 auf 31.50 m und am 28. Juni 1906 auf 31,67 m. Es ist demnach nach der Senkung inn 65 cm bereits wieder eine Hebung um 17 cm eingetreten. Die Krumme Lanke hatte nach diesen Nivellements am 27. Sept. 1905 eine Wasser- standshöhe von nur 32,16 m über NN, also gegen 1901 eine Abnahme von 84 cm. Die beiden Auf- nahmen des Grunewaldsees vom Nov. 1902 (Fig. 2) und Nov. 1906 (Fig. 3) zeigen deutlich das Zu- rücktreten des Seespiegels vom westlichen Ufer. Um das starke Sinken der Grunewaldseen zu erklären, war von verschiedenen Seiten darauf hingewiesen, daß wahrscheinlich durch bedeutende Wasserentnahme in der Umgebung eine Senkung des gesamten Grundwasserspiegels stattgefunden habe, durch welche die Grunewaldseen in Mit- leidenschaft gezogen seien. So wurde die Wasser- entnahme der Eisenbahnverwaltung am Haiensee, sowie diejenige durch das Wasserwerk der Stadt Charlottenburg am Teufelssee dafür verantwortlich gemacht. Andererseits wurde die Meinung ver- treten, daß die Anlage der Seen in der Kolonie Grunewald, sowie die Senkung des Lietzensees durch die Stadt Charlottenburg, vor allem aber die Anlage des Teltowkanals die Seenspiegel der Grunewaldseen erniedrigt habe. Auf Grund einer eingehenden Prüfung des gesamten vorliegenden Materials glaube ich jedoch annehmen zu dürfen, daß die für die Senkung angeführten Ursachen nicht in F"rage kommen können, sondern daß das Sinken des Wasserspiegels der Grunewaldseen einzig und allein auf eine allgemeine Senkung des Grundwasserspiegels zurückgeführt werden muß, die durch eine Reihe niederschlagsarmer Jahre und besonders schneearmer Winter entstanden ist. Bekanntlich ist im Jahre 1904 infolge des trocknen Sommers der niedrigste Wasserstand in unseren Flußläufen erreicht worden. Ebenso haben wir in den letzten Jahren mehrere ungewöhnlich schneearme Winter gehabt. Seit dem Sommer 1906 ist aber schon wieder eine Hebung des Wasserspiegels im Grunewaldsee und in den üb- rigen Seen eingetreten, und es steht daher zu er- warten, daß dieselben nach einigen niederschlags- reichen Wintern, wie wir im letzten sehr schnee- reichen schon einen gehabt haben, ihr früheres Niveau wieder erreichen werden. Nach den Mitteilungen des Herrn Fischerei- pächters Hensel sind auch schon in früheren Jahren Schwankungen des Schlachtenseespiegels beob- achtet worden. Seit 1896 fiel der Seespiegel um 1 m, der stärkste F"all trat 1897 — 1898 ein. In den Jahren 1899 — 1900 hob sich der Wasserstand um 30 cm, dann erfolgte wieder ein Sinken bis 1904, in welchem Jahre nochmals ein Tiefstand erreicht wurde. Was den Teltow-Kanal betrifft, so liegt sein Wasserspiegel innerhalb der Teltowhochfiäche bei 32,30 m, während seine Sohle 29,80 m über NN. hat. Nach den Beobachtungen der Teltow-Kanal- Bauverwaltung hat sich beim Bau des Kanals kein namhaftes Absinken des Grundwasserspiegels inner- halb der Hochfläche selbst nachweisen lassen. Ein Absinken des Grundwassers in südöstlicher Richtung von den Seen nach dem Teltow-Kanal zu ist deshalb nicht möglich, weil hier innerhalb des Teltowplateaus eine Grundwasserscheide liegt, von der aus der obere Grundwasserstrom nach Südost zum Teltower See und nach Nordwest zur Havel absinkt. Was nun die Entstehung der Grunewald- seen rinne anlangt, so ist schon hervorgehoben wor- den, daß die heutigen Niederschläge nicht imstande sind, eine so tiefe und ungleichmäßig gestaltete Rinne auszufurchen. Die teilweise durch Torf- massen ausgefüllten Verbindungsstücke der Seen zeigen uns, daß auch diese flacheren Rinnenteile vor der Bildung des Torfes entstanden sein müssen und früher ebenfalls von Wasser bedeckt waren. Die unregelmäßigen Tiefenverhältnisse des Bodens der Seenkette weisen darauf hin, daß hier kein gleichmäßig fließender Wasserstrom die Aus- schürfung bewirkt haben kann, denn gewöhnlich strömendes Wasser pflegt in leicht zerstörbaren Ablagerungen eine sich gleichmäßig vertiefende Rinne zu schaffen. Wir werden die Bildungszeit wohl am besten in die Zeit der zurückschmelzen- den letzten Eisdecke verlegen und annehmen, daß hier am Eisrande aus einem Gletschertore ein Schmelzwasserbach hervortrat, dessen Lauf bereits unter dem Eise von Nordosten her seinen Anfang nahm. Die unregelmäßige Erosion des Bodens erklärt sich am besten durch fließendes Wasser unter dem Eise, wo es unter Druck ähnlich wie in einer geschlossenen Röhre fließt und bald mehr ablagernd, bald mehr erodierend auf den Untergrund einwirken kann. Berendt ') hat die Grunewaldseenrinne als eine F"ortsetzung des nörd- lich vom Berliner Haupttale das Barnimplateau durchziehenden Panketales ansehen wollen. Gegen diese Auffassung spricht aber schon die ganz andere Ausbildungsweise des Panketales, welches beträchtlich breiter ist und Schotterterrassen mit grobem Gerolle aufweist, die in der Grunewaldrinne völlig fehlen. Das diluviale Panketal ist als Ab- flußrinne des großen Schönwalder Sandgebietes aufzufassen und ist als Seitental des Berliner Ur- stromtales erst entstanden, als die Grunewaldseen- rinne schon ausgebildet war. Dagegen spricht vieles dafür, den am Nordrande des Berliner Tales ') G. Berendt, Geognostische Beschreibung der Umgegend von Berlin. S. 14. — E. Fidicin (Die Gründung Berlins) hat bereits darauf hingewiesen , daß sich zwischen dem Lietzen- und dem Haiensee eine so erhebliche Bodenerhebung befindet, daß eine Wasserverbindung zwischen beiden Seen nicht mög- lich gewesen sei. 3^6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 21 gelegenen Tegeler See, der jetzt nicht zum eigent- lichen Havellaufe gehört, sondern nur an seinem Th. W. phot. Okt. Fig. 1906. 4. Kaulschlammkalkablagerung 1 u n g zu verfolgen , und der Botaniker findet zu seiner Freude die für die verschiedenen Moorarten charakteristischen Pflanzen- formationen zum großen Teil erhalten. Man unterscheidet jetzt nach der äußeren h^orm und Kntstehungsweise drei Arten von Mooren: die Flach- moore (Niedermoore) , die Zwischenmoore (Übergangs- moore) und die Hochmoore. Die Flachmoore bilden sich meist aus offenen Seen oder in stagnierenden Flußläufen im Niveau des obersten Grund- wasserspiegels , während die Hochmoore sich über den Grundwasserstand erheben und, wo sie eine gewisse Ausdehnung erreichen , z. T. in uhrglasartiger Form über ihre nähe.'e Umgebung hinaus- wachsen. Der die Flachmoore zu- sammensetzende Torf bildet im Schhichtcnsee. sich aus den im Wasser wach- Südende von der Havel an- geschnitten wird, als alte nördliche Fortsetzung der Havelseen zu betrachten, die später vom Talsande nur teilweise ausgefüllt wor- den ist. Während das flache Südende des Tegelers Sees fünf Inseln enthält, zeigt der nördliche Teil eine breite Rinne von 10 — 15,6 m Tiefe. Die Grunewaldseenrinne ist als alte eiszeitliche Neben- rinne der viel bedeutenderen Havelseen entstanden und hat sich aus Mangel an Zu- fluß sehr bald in einzelne Seen aufgelöst, ') während die Havelseen durch die alluvialen Gewässer der Havel dauernd miteinander verbunden wurden. Beide Rinnen gehören zu dem von Berendt aufgestellten glazia- len Seentypus der Schmelz- wasserrinnen, der im nord- deutschen Flachland weit verbreitet ist. Ein besonderes Interesse gewährt die Grune- waldseenrinne durch die nach der Eiszeit einge- tretene Vertorfung einzelner Teile derselben. Der Geologe und Botaniker hat hier Gelegenheit, den ganzen Prozeß der Vermoorung von seinen ersten Anfängen an durch die verschiedenen Stadien seiner Entwick- l'h. W. phot. Okt. 1906. Fig. 5. Nordbucht der Krummen Lanke mit Einmündung des Rienmeistertales. ') Die alte .Angabe, daß zum Bau des Jagdschlosses Rüdersdorfer Muschelkalk auf dem Wasserwege hierher trans- portiert worden sei, kann nur so verstanden werden, daß die Kalksteine von Rüdersdorf auf der Spree, vielleicht auch bis in die Havel zu Schiff an eine Ablagestelle gebracht worden sind, denn die Annahme einer zusammenhängenden, für Kähne befahrbaren Rinne im Verlaufe der Grunewaldseen in histori- scher Zeit ist, wie die geologischen Verhältnisse zeigen, eine Unmöglichkeit. N. F. VI. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 327 senden Pflanzen, die nach ihrem Absterben unter doch ist er zur Heizung nicht mehr brauchbar, teilweisem Luftabschluß einen Gärungs- und Humi- wenn der Aschengehalt 25 7o überschreitet, fizierungsprozeßdurclimachen, bei dem die Pflanzen- Der erste Beginn der Vertorfung eines See- faser mehr oder weniger umgewandelt und ihr bcckens, wie er an den Grunewaldseenjvortrefflich Nach Potoniii. l"'ig. 0. Krlen-Brucli in Gr. Licliterfeldi;. Alnus glutinosa, der mittlere mit Humulus lupulus, rechts davon Cornus sanguinea, links Sanibucus nigra, im Vordergrunde Urtica dioeca. Kohlenstoffgehalt angerei chert wird. Die Pflanzen- gemeinschaft, die zur Bildung der Flaclimoore Veranlassung gibt, ist durchweg nährstoff- und namentlich kalkliebend; sie findet diese Pflanzennähr- stoffe in den stagnierenden Gewässern , die mit dem Grundwasser in Kommuni- kation stehen. Alle Glacial- ablagerungen sind ursprüng- lich kalkhaltig und liefern durch die Verwitterung der kristallinischen Gesteine Kali und Phosphorsäure. Diese Nährstoffe werden durch die Regen und Schneeschmelzen ausgelaugt und den stagnie- renden Gewässern zugeführt. Der Torf der Flachmoore ist meist reich an Kalk und Stick- stoff', der Rückstand nach der Verbrennung (sog. Asche) kann z. B. 50 '% betragen. 'I'li. W. phot. Febr. 1906. l'ig. 7. Kiefernbrucliwald aul dem Zwischenmoor südl. von l'aulshorn. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 21 zu beobachten ist, tritt dadurch ein, daß sich an den flachen Uferrändern Vegetationszonen von Sumpf- und Wasserpflanzen ausbilden. „In der Flora der Ufer und des Wassers, sagt Graebner,') lassen sich 3 Abteilungen gut unterscheiden, die natürlich unter Umständen sich mischen können, aber auch dann sehr leicht in den 3 Abteilungen gesucht werden können. Zunächst ist die Flora der nassen, dauernd besiedelten Ufer zu unterscheiden, charakterisiert durch hohe Rohrgräser und Stauden, meist in dichtem Bestände. Daran schließt sich die Flora des nicht stabilen Bodens, also des zeit- weise vom Wasser überfluteten, mit Sand und Schlick bedeckten, an, charakterisiert durch lockere Bodenbedeckung niedriger oder mittelhoher Stauden, und einjähriger Arten. Als dritte Gruppe käme dann die Flora der normal untergetaucht oder schwimmend lebenden Pflanzen." Zu dieser Hora der Ufer und des W^assers ge- hören im Grunewald namentlich das Schilfrohr (Phragmites communis), das gemeine Schilf (Cala- magrostis Epigeios), Cladium mariscus (am Schlach- tensee) und der Rohrkolben (Typha); Binsen-, Bidens- und Scirpus- Arten, Calmus, Wasserlilie (Nymphaea alba) und Teichrose (Nuphar luteum), Froschlöffel (Alisma plantago) und P'roschbiß (Hydrocharis morsus ranae), Wasserschere (Stra- tiotes aloides), Laichkräuter usw. In vielen Seen bildet sich auf dem Grunde ein breiiger bis gallertartiger Schlamm , der aus den zu Boden sinkenden abgestorbenen Algen (z. B. „Wasserblüte" von Microcystus flos aquae) und auch Resten von höheren Pflanzen gebildet wird , die von den Wassertieren z. T. zernagt worden sind. Außerdem finden sich in diesem Schlamm Samen von Wasserpflanzen, Reste niederer und höherer Wassertiere und die Exkremente der lebenden. Durch Regengüsse gelangen außerdem häufig tonige und sandige Partikel hinein. Unter Luftabschluß erleidet derselbe einen Fäulnisprozeß, bei dem sich Sumpfgas bildet. Diese von Potonie -) als Faul- schlamm oder Sapropel bezeichnete Masse bildet u. a. auch den Nährboden für das Röhricht und die anderen im Wasser lebenden Pflanzen, die im Seeboden wurzeln. Am Südostufer des Schlachten- sees ist unterhalb des Bahnhofes, dem Bootshause gegenüber, eine interessante .«Ablagerung von Faul- schlammkalk zu beobachten, auf der sich eine Flora niedriger und mittelhoher Stauden angesiedelt hat, wie Fig. 4 zeigt. Herr E. Schorrig, der die Sap- ropelablagerungen des Schlachtensees auf Anregung von Prof. Potonie eingehend untersucht hat, konnte feststellen, daß das hier unreine Sapropel beinahe *) P. Graebncr, Botanischer Führer durch Norddeutsch- land. BerUn, Gebr. Borntraeger. 1903, S. 75. ■-) H. Potonie, Entstehung der Steinkohle. l'>erlin, Gebr. Borntraeger, 3. Aufl., 1905, S. 13ff. — Klassifikation und Termino- logie der rezenten brennbaren Biolithe und ihrer Lagerstätten. Abhandlungen der Kgl. Preuß. Geologischen Landesanstalt und Bergakademie. 1906. Neue Folge, Heft 40, S. 35. — Am ausführlichsten in desselben .Autors Buch ,,Die rezenten Kausto- biolithe" (ebenda 1907). den ganzen Seeboden bedeckt und daß die eben erwähnte Verlandungszone, die an dieser schmälsten Stelle des -Sees fast die Hälfte seiner ursprüng- lichen Breite einnimmt, aus Sapropelkalk besteht. Die von Herrn Schorrig ausgeführten Lotungen haben ergeben, daß der Schlachtensee durch- schnittlich 4 — 6 m tief ist und seine größte Tiefe im südwestlichen Teil mit lo m erreicht. Wenn nun ein solcher See sich selbst über- lassen wird, so schiebt sich die Pflanzenzone vom Rande aus immer weiter nach der Mitte vor, die abgestorbenen Pflanzenreste gehen in Torf über imd bewirken durch die Bildung eines Sumpfes die immer mehr zunehmende Verlandung der Wasserfläche. Über den weichen Torfgrund schieben sich Seggenwiesen vom Ufer aus gegen das offene Wasser vor und bilden z. T. schwimmende Rasen. In diesem Zustande bezeichnet man die P'läche als ein S u m pfm 00 r , das alsbald den geeigneten Standort für die Erle (Alnus glutinosa) bildet. Ein Beispiel dafür ist die Verlandungszone am Südende des Hundekehlensees, die durch einen Kranz von Erlen und Weiden umsäumt wird. Auch der Grunewaldsee zeigt am Nord- wie am Südende deutliche Verlandungen durch dichten Rohr- und Schilfbestand an ; sowohl die schwim- mende Flora des Wassers (Nymphaea alba), als auch die hochstaudige der Ufer sind bei Pauls- born gut zu beobachten. Beide Pflanzengemein- schaften sind auch vortrefflich entwickelt in der Nordbucht der Krummen Lanke, die das nächste Bild (Fig. 5) darstellt. Auf dem Wasser sind die runden Blätter des Froschbiß (Hydrocharis morsus ranae) in ganzen Kränzen sichtbar, während der Uferrand vom üppig gedeihenden Röhricht um- geben ist. Das Flachmoor des Rienmeistertales, dessen Einmündung in die Krumme Lanke durch die Erlcnreihe rechts angedeutet wird, ist durch die Kultur des Menschen z. T. in eine Moorwiese umgewandelt. Ein typisches F" 1 a c h m o o r haben wir in dem Erlenbruch nördlich der Sandgrube beim Rien- meistersee vor uns. Die Erlen haben in diesem Stadium die Sumpfgewächse mehr und mehr verdrängt; nach Paulsborn zu sind sie schon reich- lich mit Moorbirken untermischt. Ein besonders charakteristisches Erlenbruch, das das östliche und westliche Lichterfelde voneinander schied, ist durch den Bau des Teltow-Kanals zerstört worden (vgl. F"ig. 6). Hier fanden sich nach Potoniö ') an Hölzern die Erle, das Pulverholz (Rhamnus fran- gula), die Cornelkirsche (Cornus sanguinea) und von Weiden Salix aurita und alba. Dazwischen wucherte in ungeheurer Lippigkeit Hopfen (Hu- mulus lupulus), während die Brennessel (Urtica dioeca) ein undurchdringliches Dickicht bildete. Höht sich das Erlenbruch durch Torfbildung mehr und mehr auf, so wird dadurch sein Boden dem Grundwasserspiegel entzogen, und es finden ') H. Potonie, Uic Fichte als Moorbaum und über unsere Moore. Diese Zeitschrift 1906, Nr. 20, S. 307. N. F. VI. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 329 Th. W phot. OUt. Fig. 1906. aucli andere Waldbäume, außer den Moorbirken (Betula jiubcscens) namentlich Kiefern (Pinus sil- vestris) auf ihm ihr I'^ortkommen. Ein solches Moor bezeichnet man jetzt als Zwischenmoor. Auch hierfür bietet die Senke der Gruncwaldseen gute Bei- spiele dar. So schließt sich an das zuerst erwähnte süd- liche Erlenbruch nach Nord- westen ein mit Birken unter- mischter Kiefernbruchwald an, den Fig. 7 veranschau- licht. In der Mitte dieses Kiefernbruches ist noch viel Rohr vorhanden, aber in den etwas höheren Randgebieten finden auch schon die Torf- moose günstige Existenz- bedingungen, auf ihnen ha- ben sich bereits charakteri- stische Heidemoorpflanzen, Leduni palustre, Vaccinium oxycoccus, vereinzelt Andro- meda polifolia angesiedelt, und an einer Stelle sind schon die ersten Anfänge eines Hochmoores zu er- kennen. Einen dritten Typus der Moore stellen die Hoch- moore dar, die hauptsäch- lich in den regenreicheren Gebieten des nordwestlichen Deutschlands sowie in den Küstengebieten von Pom- mern und Ostpreußen vor- handen sind. Da sie sich über den Grundwasserspiegel erheben und ihr Wachstum im wesentlichen durch nähr- stoffarmes Regenwasser be- dingt ist, so hat man diese Moore im Gegensatz zu den im Hartwasser sich bilden- den Flachmooren auch als Weichwasser- oder Über- wassermoore bezeichnet. Die Pflanzen, welche hauptsäch- lich zur Bildung der Hoch- moore beitragen , sind die Torfmoose oder Sphagnen. Sie bilden dichte, schwam- mige Polster und können infolge ihres maschigen Baues große Mengen von Wasser aufsaugen und fest- halten. Sehr häufig voll- zieht sich der Vorgang der Torf bildung in einem offenen stagnierenden Gewässer in der Weise, daß aus dem Sumpfmoor ein Erlenbruch sich bildet, und dieses bei weiterer Aufhöhung dann in ein Zwischeimioor , d. h. einen Bruch- wald mit Moorbirke, Kiefer und Fichte übergeht. Erhöht sich ein solcher Bruchwaldtorf mehr und mehr, so kann das für die Ernährung der Bäume Knüppelkiefern in MoosbuUcn (mit Porstbest;ind). lli. \V. (jliut. nkt. 1906. Fig. 9. Das Hochmoor nördlich vom Grunewaldsce. erforderliche, fruchtbare Grundwasser den nicht mehr genügend zugeleitet werden. Bäumen Sie be- 330 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 21 ginnen zu kränkeln , abzusterben und spärlichen Nachwuchs zu erzeugen. In den Lichtungen aber siedeln sich die in ihren Ernähruiigsbedingungen weit anspruchsloseren Moose , wie das Haar- moos (Polytrichum) an. Hat das Gebiet viel Regenzufuhr, so erscheinen sehr bald die noch anspruchsloseren Torfmoose (Sphagnum), die schließlich alles überwuchern, und da sie ein un- begrenztes Spitzen Wachstum haben, zur schnellen Aufhöhung des IVIoores beitragen. Dabei sterben die unteren Partien ab und bilden einen lockeren schwammigen Moostorf, der in lOO Teilen Trocken- substanz 97 — 98 "11 verbrennbare Stoffe und nur 2 — 3"/,, Asche enthält In manchen ausgedehn- teren Hochmoorgebieten, wie im großen Bourtanger Moor an der Westgrenze Hannovers und im Gif- horner Moor ^) im südöstlichen Teil dieser Provinz, kann man einen jüngeren oberen Moostorf von hellerer Farbe und einen unteren, weit mehr humi- fizierten und fest zusammengepreßten unterscheiden. Der jüngere Moostorf wird gewöhnlich als Torf- streu verwertet, während der ältere Torf zum Brennen gestochen wird. In unserer Seenrinne findet sich nördlich vom Grunewaldsee ein kleines, im wesentlichen aus Torfmoosen gebildetes Hochmoor, auf das bereits Potonie -j hingewiesen hat. Es ist aus dem Zwi- schenmoore hervorgegangen, das südlich von Hundekehle seinen Anfang nimmt und dort als Kiefern - Birkenbruch ausgebildet ist. Dieses Hochmoor mit seinem schwammigen, besonders im Frühjahr außerordentlich nassen und unzu- gänglichen Roden ist durch mehrere charakteristi- sche Pflanzen ausgezeichnet, wie z. B. den in der Berliner Gegend immer mehr verschwindenden Porst (Ledum palustre) (Fig. 8), der sich auf den hohen Moosbulten angesiedelt hat, ferner die Rosmarinheide (Andromeda polifolia) und die Moosbeere (Vaccinium oxycoccus). Von Stau- den erwähne ich nur den Sonnentau (Drosera rotundifolia und anglica), Scheuchzeria palustris und das Wollgras (Eriophorum vaginatum). Ebenso finden sich hier die für Hochmoore ganz charakteristischen Krüppelkiefern. Die Kiefer zeigt nämlich auf diesem nährstoffarmen nassen Boden eine völlig andere Entwicklung. Während sie sonst auf Sandboden eine lange Pfahlwurzel ausbildet, [verkümmert diese bei den ^) F. Wahnschaffc, Das Git'horner Hochmoor bei Triangel. Diese Zeilschrift 1904, Nr. 50. — Ein in diesem Aufsatz vor- kommendes Versehen ist dahin zu berichtigen, daß nicht Erica tetrali.t (die Glockenheide) (Fig. 3), sondern Andromeda poli- folia (Fig. S) als Rosmarinheide zu bezeichnen ist. Dement- sprechend muß es auch S. 790, Zeile 8 von oben Andromeda polifolia heißen (anstatt Erica tctralix). ''} Diese Zeitschrift 1906, Nr. 20, S. 309. Fig. 4. Moorkiefern, und statt dessen bilden sich lange, flach unter der Oberfläche sich erstreckende Seiten- wurzeln aus, die im Verhältnis zum ganzen Baum oft eine sehr bedeutende Stärke und Ausdehnung erlangen. Sie dienen namentlich auch zur festen Verankerung des Baumes in dem lockeren Boden. Wegen der geringen Nahrungszufuhr ist das Wachs- tum ein sehr langsames, so daß der Baum trotz hohen Alters über ein Zwergstadium nicht hinaus- kommt. Die Torfmoose, welche um den Stamm herum einen Buk bilden, schließen den unteren Teil desselben von der Luft ab und bringen den Baum dadurch zum Absterben. Die Krüppel- kiefern sind auf dem kleinen Hochmoor nördlich vom Grunewaldsee, wie Fig. 9 zeigt, in charakte- ristischer Weise ausgebildet. Der Grunewald bietet alljährlich vielen Tausen- den der Berliner Bevölkerung Erholung, Belehrung und erquickenden Naturgenuß. Während die mannigfach gegliederten Höhen des westlichen Grunewaldes von den weiten Wasserflächen der Havelseen begrenzt werden, verdankt der bei weitem eintönigere östliche Teil seinen eigent- lichen Reiz der idyllischen Schönheit der Seenkette. In einer Zeit, in der die rastlos fortschreitende Ausdehnung Berlins und seiner Vororte eine völlige Umgestaltung der ursprüng- lichen Oberfläche in weitem Umkreise bewirkt hat, müssen wir uns um so glücklicher schätzen, daß wir nahe vor unseren Toren im Grunewald noch ein Stück sich selbst überlassener Natur be- sitzen. Hier können wir die in ihrer schlichten Schönheit so überaus reizvollen märkischen Seen zu jeder Jahreszeit in ihrem wechselnden Schmucke und ihren mannigfaltigen Stimmungen genießen, und es wäre in der Tat für die Großstadt und besonders für ihre [heranwachsende Jugend ein unersetzlicher Verlust, wenn ihr die Gelegenheit geraubt werden sollte, die Liebe zur märkischen Heimat und das Verständnis für ihre eigenartige Natur an diesem bevorzugten F"leckchen Erde immer von neuem zu wecken und zu vertiefen. Die Seenkette des Grunewaldes bietet mit ihren anmutig wechselnden Landschaftsbildern und ihren charakteristischen Mooren für jeden Naturfreund und Naturforscher eine unerschöpfliche Quelle reinen Genusses und anregenden Studiums dar, solange ihre Ursprünglichkeit nicht durch die schonungslos vordringende Bebauung, die seit kurzem leider schon das Ostufer des Hundekehlen- sees ergriffen hat, zerstört wird. Angesichts dieser drohenden Gefahr möchte ich daher zum Schluß ein warmes Wort für den sorgsamen Schutz und die unveränderte Erhaltung dieses überaus wert- vollen Naturdenkmales einlegen. Kleinere Mitteilungen. Geisterschriften. — Unter allen spiritistischen Manifestationen ist die der sog. „Schreibmedien" wohl diejenige, die der spiritistischen Lehre am häufigsten neue Anhänger aus den Kreisen des Laienpublikums zuführt. Auch richtet sie viel- leicht am meisten Unheil durch Aufregung der N. F. VI. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 331 Gemüter und dadurch hervorgerufene geistige Er- krankungen an. Während die meisten spiritisti- seilen Manifestationen erst eines umfangreicheren Apparats und eines besonderen, geeigneten „Me- diums" bedürfen, um Erfolg zu haben und den .Anschein der Mitwirkung von „Geistern" zu er- wecken, braucht man für das „automatische Schrei- ben" oft nicht viel mehr als Papier und Schreib- zeug, da die Menschen, welche die hierzu erforder- lichen „medialen" Fähigkeiten besitzen, verhältnis- mäßig recht häufig vorkommen. Abergläubische Personen, die an das Vor- kommen von Geistern glauben und die Überzeu- gung hegen, daß diese Geister schriftliche Kund- gebungen mit Hilfe menschlicher Hände produ- zieren können, werden sich in der großen Mehr- zahl der Fälle infolge von Autosuggestionen leicht zu Schreibmedien entwickeln können. Sobald sie nämlich Papier und Feder oder Bleistift zur Hand nehmen, in der .Absicht, zu versuchen, ob nicht ein geisterhaftes Wesen in sie fahren und durch ihre Hand irgend etwas schreiben werde — genügt in der Regel diese angespannte, oft mit großer Gemütserregung verbundene Erwartung, die Hand wirklich etwas niederkritzeln oder niederschreiben zu lassen, ohne daß ihr Besitzer den Willen dazu hatte. Das Gelingen des Experiments pflegt dann naturgemäß bei Neu- lingen die Erregung auf den höchsten Grad zu steigern, und diese krankhaft erhöhte Nervosität ist wieder dem „automatischen Schreiben" ent- schieden förderlich und ruft immer längere und immer wunderlicliere, scheinbare ,, Geisterkund- gebungen" hervor. Bei häufigerer Wiederholung und ausreichender Übung produzieren solche Schreibmedien oft lange Erzählungen oder Gedichte oder auch ,, wissen- schaftliche" (freilich stets fürchterlich konfuse und ganz wertlose) -Abhandlungen. Nachher erklären sie dann, sie hätten nicht ein einziges Wort aus eigenem Antrieb geschrieben; ihre Hand sei nur das willenlose Werkzeug einer fremden, unsicht- baren Intelligenz gewesen, und damit ist dann die „Geisterkundgebung" fertig und dient als neuer, sensationeller Beleg für die Richtigkeit der spiri- tistischen Theorie. Zweifellos wirkt jede derartige Produktion auf laienhafte Teilnehmer und Zuschauer, die mit den Gesetzen der psychischen Vorgänge nicht vertraut sind, mit geradezu zermalmender Wucht. Sie überzeugt sie unbedingt von der scheinbaren Wahr- heit der spiritistischen Lehre von der Existenz unsichtbarer, übermenschlicher Intelligenzen. Denn nur mit Hilfe dieser Annahme scheint ihnen eine Erklärung des Unerhörten möglich, das sie soeben mit erlebt und mit angesehen haben. Dennoch aber ist diese .Annahme falsch. Der Psychologe und Kenner der abnormen Seelenzustände hat eine ganz andere Erklärung für das automatische Schreiben. Diese andere Erklärung hat obendrein den großen Vorzug, daß ihre Richtigkeit sich auf experimentellem Wege einwandfrei er- weisen läßt. Die spiritistische Deutung des automatischen Schreibens geht nämlich von der durchaus irrigen Ansicht aus, daß zu jeder Handlung eines Men- schen notwendig ein bewußter Willensantrieb er- forderlich sei. Daß diese Annahme verkehrt ist, lehrt uns schon das alltägliche Leben: wenn wir in flottem Tempo losmarschieren, um nach irgend einem bestimmten Ziel zu gelangen, so führen wir die richtigen Bewegungen der Beine aus und voll- führen auch an den Wegkreuzungen die richtigen seitlichen Schwenkungen, ohne uns auch nur im mindesten unseres vernünftigen Handelns bewußt zu werden. Oder wenn wir uns abends schlafen legen, so schließen wir mechanisch die Wohnungs- tür ab, löschen alles Licht, ziehen unsere Uhr auf usw. und werden uns dieser Handlungen so wenig bewußt, daß wir uns oft genug die Frage vorlegen: habe ich denn die Tür verschlossen, das Licht gelöscht ? Wir möchten einen Eid darauf leisten, wir hätten es heute nicht getan und wenn wir noch einmal aufstehen, um nachzusehen, so finden wir, daß wir die gewohnte Handlung genau so wie sonst ausgeführt haben, aber offenbar ganz unbewußt, „in Gedanken". Ein ähnliches un- bewußtes Handeln begegnet uns nun in sehr mannigfachen Formen in verschiedenen abnormen psychischen Zuständen, gelegentlich selbst schon im normalen Schlaf und Traum, vor allem aber in der Hypnose, die uns die komplizierten Gesetze des Unterbewußtseins experimentell zu erforschen gestattet. Aus allen diesen Erfahrungen und Experi- menten heraus ist die moderne Wissenschaft zu der Erkenntnis gelangt, daß beim automatischen .Schreiben nicht unsichtbare, mächtige Wesen sich der Hand des Mediums bedienen, um irgendwelche Kundgebungen niederzuschreiben, sondern daß das Schreibmedium selber es ist, welches die von seiner Hand niedergeschriebenen Sätze unbewußt produziert, obschon es sich irgend eines geistigen Schaffens dabei nicht bewußt wird. Die Richtig- keit dieser Erklärung leuchtet ein, wenn wir hören, daß auch Hypnotisierte, wenn ihnen ent- sprechende Suggestionen gegeben werden, oft lange schriftliche Kundgebungen verfassen oder auch große Reden halten, ohne sich dessen be- wußt zu werden und ohne nach dem Erwachen das Geringste davon zu wissen. Können wir doch die gleiche Erscheinung gelegentlich selbst schon bei Berauschten beobachten: sie produzieren zu- weilen mit einer verblüffenden Leichtigkeit Ge- dichte oder Vorträge, die sich oft durch Geist und Witz in ungewöhnlicher Weise auszeichnen, aber sie wissen nichts davon und erinnern sich un- mittelbar nach Beendigung ihrer Leistung nicht mehr daran, daß sie überhaupt etwas gesprochen oder geschrieben haben 1 Bei ihnen wird natürlich niemand auf die Idee kommen, daß ein anderer Geist als der des Alkohols in ihnen mächtig sei. Jedermann wird zugeben, daß sie ihre Leistung 332 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 21 aus sich selbst heraus vollbringen, auch wenn sie nichts von ihrer Tätigkeit wissen. Dasselbe gilt auch für die verschiedensten anderen Zustände gestörter Bewußtseinstätigkeit, insbesondere auch für die sehr mannigfachen For- men der Ekstase und der Besessenheit. Auch beim spiritistischen Schreibmedium ist nun aber das normale Bewußtsein stets gestört — sei es durch Erregung, sei es durch die Autosuggestion, daß jetzt ein Geist in ihm mächtig werden müsse und die Hand zum Schreiben zwingen werde. Wie der Berauschte, der allerhand geistige Lei- stungen vollbringt, ohne daß er sich seines Tuns bewußt wird, so befindet sich auch das Schreib- medium infolge von krankhaft angespannter Er- wartung in einer Art von Seelenrausch, in dem es oft lange Kundgebungen zu Papier bringt. Seiner Angabe nach kann es diese nicht selber produziert haben, weil es nichts von einer solchen geistigen Tätigkeit gemerkt hat, und es greift des- halb stets zu der kindlich-naiven Erklärung, daß nur ein Geist die betreffenden Leistungen voll- bracht haben kann. Tatsächlich aber handelt es sich, wie gesagt, beim automatischen Schreiben nur um eine spe- zielle Form der von der Wissenschaft längst er- kannten und gründlich durchforschten unter- bewußten Seelen tätigkeit, die nichts Wunderbares an sich hat, nichts Wunderbareres jedenfalls als unsere normale Seelentätigkeit. Die abnormen psychischen Leistungen bilden neben offenbaren betrügerischen Taschenspielerstückchen das Hauptkontingent im angeblichen Beweismaterial der spiritistischen Lehren. Aus dem Vorher- gesagten geht aber auch hervor, wie leicht solche abnormen psychischen Zustände für das Urteil des Laien den Anschein erwecken können, als seien tatsächlich unsichtbare, geisterhafte Wesen dabei im Spiele, obwohl in Wirklichkeit alles ganz natür- lich zugeht. Die Frage der Geisterschriften ist übrigens mit vielen lehrreichen Beispielen in dem Buche „Der moderne Spuk und Geisterglaube" von Dr. Richard Hennig (Gutenberg-Verlag, Hamburg) besprochen, das eine überaus klare und anschauliche Behand- lung aller spiritistischen Phänomene überhaupt und ihrer Erklärung gibt. Die Bakterien des Bienenstockes behandelt Dr. Gershom Franklin White in Nr. 14 (technische Reihe) der Bulletins des Ackerbau- Departements der Vereinigten Staaten, igo6. Er stellte Kulturen her unter Benutzung von Waben, Pollen, Honig, von Larven und von Teilen der Bienen, und konnte so eine große Anzahl Bakterien isolieren, aber nur ein Teil derselben war nach den Beschreibungen zu identifizieren, und einige schienen neu zu sein. White hat die letzteren aber nicht benannt, sondern er registriert sie ein- fach unter Anwendung von Buchstaben. Eine be- stimmte Anzahl Bakterien kommt normalerweise immer im Bienenstocke vor, ohne daß sie irgend welche schädliche Wirkung ausübten. In Waben konstatierte der Verfasser die Gegenwart von Bacillus A (der vielleicht mit B. mesentericus iden- tisch ist) und Bacterium acidiformans, ferner den Pilz Saccharomyces roseus. Im Pollen fand sich der Bacillus B. Im Honig und auf gesunden Larven konnten keine Bakterien gefunden werden. An lebenden Bienen konstatierte White den oben angeführten Bacillus A, das Bacterium (Micrococcus?) cyaneum und den Micrococcus C. In den Ein- geweiden gesunder Bienen fanden sich Bacterium D Bacillus B, B. cloacae, B. coli communis, B. cholerae suis, B. E, B. subgastricus, Bacterium mycoides und Pseudomonas fluorescens liquefaciens, ferner der Pilz Saccharomyces F. Besonders eingehende Untersuchungen widmete White der Faulbrut der Bienen und deren Ur- sachen. Mit diesem Namen sind bisher zwei ganz verschiedene Krankheiten der Bienen bezeichnet worden. A. G. Schirach, der 1773 als Pastor in KleinBautzen in der Lausitz starb, hat im Jahre 1769 den Terminus Faulbrut zuerst angewandt; heute läßt sich nicht mehr nachweisen, welche der beiden erwähnten Krankheiten er darunter verstand. White schlägt vor, diese Krankheiten als europäische Faulbrut und amerikanische F"aul- brut auseinander zu halten. Diese Namen sollen keineswegs die geographische Verbreitung der Krankheiten kennzeichnen, denn beide kommen sowohl in Europa als in Amerika vor. Im Jahre 1885 fand Cheyne in England in Larven, die an der Faulbrut zugrunde gegangen waren, einen neuen Bacillus, den er Bacillus alvei nannte. Die von demselben erzeugte Krankheit soll den Namen europäische Faulbrut erhalten, weil der Erreger derselben zuerst in Europa beobachtet und studiert wurde. Acht Jahre später fand White beim Studium der zweiten Art Faulbrut, die nun den Namen amerikanische Faulbrut erhalten soll, einen anderen Bacillus, dem er den Namen B. larvae gab. Der Unterschied zwischen der europäischen und der amerikanischen Faulbrut ist kurz folgender. Die von der europäischen P'aulbrut befallenen Larven zeigen gleich im Beginn der Krankheit hinter dem Kopfe einen kleinen gelben Fleck und werfen sich unruhig in ihrer Zelle hin und her; nach dem Tode wird der ganze Körper gelb, dann braun und immer dunkler, zuletzt fast schwarz. Die toten Larven geben nur einen schwachen Ge- ruch von sich. Auch die Larven der Drohnen und Königinnen werden leicht von dieser Krank- heit befallen. Die europäische Faulbrut tritt am schlimmsten im Frühling und Anfang Sommer auf; mitunter verschwindet die Krankheit plötzlich von selbst wieder. — Die an der amerikanischen Faul- brut erkrankten Larven sehen gleich hell schoko- ladenbraun aus und werden nach und nach dunkler, bis sie die Farbe von geröstetem Kaffee haben. Die toten Larven haben einen starken, sehr charak- teristischen Geruch, der an schlechten Leim er- innert. Drohnenlarven und Königinnenlarven N. F. VI. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 333 werden nur selten von der Krankheit ergriffen. Es wurde bisher niemals beobachtet, daß die amerikanische Fanibrut von selbst wieder ver- schwunden wäre. In ilen Hienenstöcken, in denen die europäische l-'aulbrut herrschte, fand der \^erfasser stets in und an toten Larven und lebenden Bienen sowie auch im Honig und im Pollen den Bacillus alvei, der als der Erreger der Krankheit angesehen werden muß, während die amerikanische Faulbrut durch Bacillus larvae hervorgerufen wird. Mit dem \amen „pickle brood" bezeichnen die amerikanischen Bienenzüchter eine Krankheit des Stockes, bei welcher die Larven einen schwar- zen Kopf und eine schlüpfrige Haut bekommen, und an der sie bald zugrunde gehen. W. R. Howard von Fort Worth, Texas, stellte als Ur- sache der Krankheit einen Pilz fest, den er Asper- gillus pollinis nannte, aber bei späteren Unter- suchungen hat niemand diesen Pilz wieder ge- funden, es wurde nur die Gegenwart einiger un- bekannter Mikrokokken und Bazillen konstatiert. Auch die von Howard entdeckte und benannte „New Yorker Bienenkrankheit" oder „Schwarzbrut", als deren Erreger der Entdecker den Bacillus millii beschrieb, läßt White nicht gelten und erklärt sie für weiter nichts als die echte europäische F"aul- brut, da er trotz jahrelanger Untersuchungen keine dem genannten Bacillus entsprechende Mikrobe konstatieren konnte, sondern immer nur den Bacillus alvei auffand. Lähmung oder Paralyse ist eine andere Krankheitserscheinung, die bei er- wachsenen Bienen vorkommt; welches Bakterium oder sonstiger Mikro-Organismus die Krankheit hervorruft, ist noch nicht nachgewiesen. S. Ansiedelung einer subtropischen Spinne bei Hamburg. — Der Liebenswürdigkeit des 1 lerrn Prof Dr. h'r. Dahl vom Zoolog. Museum in Berlin verdankt Verfasser die Bestimmung einer bisher in Deutschland noch nicht beobacjiteten Spinne subtropischen Ursprungs, nämlich von Tmeticus dentichelis Simon. Diese Spinne kommt in unseren Breitengraden meines Wissens nur in der Versuchskläranlage für Abwasserbeseitigung in Hamburg-Eppendorf vor, da Literaturangaben über ihr weiteres Vorkommen in Deutschland nicht vorhanden sind. Die eigentliche Heimat von Tmeticus ist das Mittelmeergebiet, wo sie von E. Simon ') auf der Insel Porqueroles und in Menton gefunden worden ist. Es ist anzunehmen, daß sie mit den Ab- wässern des Eppendorfer Krankenhauses, welche in der Eppendorfer Versuchskläranlage gereinigt werden, in die Kläranlage gekommen ist. Hier wurde die Spinne zuerst im Jahre 1903 beobachtet und hat allem Anscheine nach sehr günstige Lebensbedingungen gefunden, da sie sich in we- nigen Jahren außerordentlich vermehrt hat. ') Les Arachnides de France T. 5 p 390. Von den zahlreichen, verschiedenen Oxydations- körpern der Sielklärversuchsanlage bevorzugt Tme- ticus als Wohnstätte die sog. Sprinkler, welche aus groben Schlackestücken in ca. i */o m Höhe aufgebaut sind, und deren horizontale Oberfläche beständig mit Abwasser besprengt wird, das dann langsam durch den Körper hindurchsickert. Wie sich gelegentlich des Abbaues eines solchen Oxydationskörpers herausstellte, lebt Tmeticus dentichelis Simon nicht nur an der Oberfläche des Sprinklers, sondern ist auch häufig im Inneren der ca. 4 m Durchmesser haltenden Sprinkler zu finden. An der Oberfläche zeigt die Spinne sich ver- hältnismäßig selten; sie scheint also das Licht nicht sehr zu lieben. Ein eigentliches Netz, resp. Nest, spinnt sie nicht; man findet zwischen den einzelnen Schlacken- stücken nur wenige, unregelmäßig gezogene Fäden. In den vielfach sich bietenden, zum Teil tiefen Löchern der porösen Schlacke sucht Tmeticus Unterschlupf, sie läuft aber auch frei auf den Steinen umher. Starker Feuchtigkeitsgehalt der Umgebung, man möchte fast sagen , das Wasser selbst, scheinen für ihr Leben notwendig zu sein. Selbst die schneeweißen, kugeligen, etwa V-2 cm Durch- messer habenden und an wenig Pfaden an der porösen Schlacke frei aufgehängten Cocons finden sich mit Wassertropfen benetzt durch den ganzen Schlackenkörper. Besonders viele Cocons wurden im Monat Juli gefunden; am 10. Juli 1906 wurde beobachtet, wie junge Spinnen einen Cocon verließen. Tmeticus dentichelis nährt sich von der in Unmenge an und in den Sprinklern vorkommenden Psychoda phaelaenoides und da diese Fliege auch im Winter in ihrer Entwicklung in dem warmen Oxydationskörper nicht gehindert wird, also für Nahrung genügend gesorgt ist, darf man sich nicht wundern, daß die Spinne auch im Winter zu finden ist. Sie wurde selbst während der großen Kälteperiode Ende Januar d. J. unter den oberen Steinen des Sprinklers gefunden, hatte sich also nicht einmal weiter ins Innere desselben zu- rückgezogen. Verhältnismäßig häufig scheint sie von Schimmelpilzen, hauptsächlich von 2 Arten derselben, befallen zu werden. Daß die Spinne sich hier im norddeutschen Klima überhaupt hat ansiedeln und dann so intensiv vermehren können, ist wohl in den ihr gebotenen günstigen Temperaturverhältnissen an Ort und Stelle bedingt. Das über die Sprinkler fließende Abwasser hat im allgemeinen eine lauwarme Temperatur; in dem Sprinkler selbst herrscht auch den Winter über eine Pemperatur von rund 20" C; außerdem steht der Sprinkler in einer geschlossenen Halle, ist also gegen Wind geschützt. Die Spinne trifft hier demnach Verhältnisse, die vielleicht noch als günstiger anzusehen sind, als die ihr in der Heimat am Mittelmeer ge- 334 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 21 botenen, so daß die intensive Vermehrung nicht auffallend ist. Aus dem staatlichen hygienischen Institut zu Hamburg (Direktor : Prof Dr. Dunbar). Dr. Nottbohm, Assistent am Institute. K. Hannig, „Über pilzfreies Lolium temu- lentum". (Bot. Zeitg. 1907, Heft 2.) Es ist be- kannt, daß die PVüchte von Lolium temulentum zwischen Samenschale und Aleuronschicht stets ein dichtes Geflecht von Pilzfäden enthalten, die, wie die Untersuchungen von Free mann be- wiesen, durch das Nucellargewebe in den jungen Embryo einwandern und alsdann die heranwach- sende Pflanze nicht mehr verlassen. Der Pilz vegetiert so von einer Generation in die andere, ohne jemals Fortpflanzungsorgane anzulegen. Selbst bei Früchten aus ägyptischen Königsgräbern, die ein Alter von mindestens 4000 Jahren besitzen, wurde die Pilzschicht gefunden. Nun weiß man aber, daß die Früchte von L. temulentum ein giftig wirkendes Alkaloid, das Temulin, ent- halten, welches, da die Bestandteile dieser F'rüchte sich zuweilen unter den Verunreinigungen des Mehles finden, schon epidemische Erkrankungen verursacht hat. Daher vermuteten die Entdecker des Pilzmycels, der Pilz möchte die Ursache der Giftigkeit der Loliumfrüchte sein. Es gelang aber bisher nicht, denselben aus den Früchten heraus zu kultivieren. Da die Frage jedoch von gewisser praktischer Bedeutung ist, suchte sie Hannig auf anderem Wege, durch Aufziehen pilzfreier Lolium- pflanzen und Vergleichung dieser mit den pilz- haltigen, zu entscheiden. H. versuchte zuerst durch Kultivieren von Embryonen, die von den Endospermresteii befreit waren, auf einer Zuckerlösung (10 '^„ mit den nötigen Mineralsalzen) pilzfreie Pflanzen zu ge- winnen. Es zeigte sich aber, daß die daraus ge- zogenen Pflanzen und Früchte alle verpilzt waren. Doch ergab sich zugleich auch die für die weiteren Versuche wichtige Tatsache, daß die Lolium- embryonen auch ohne das Endosperm zu voll- kräftigen, fruktifizierenden Pflanzen auswachsen können. H. unterwarf hierauf zahlreiche Lolium- früchte einer mikroskopischen Prüfung auf das Vorhandensein des Pilzes, indem er sie quer durch- schnitt und alsdann dünne Schnitte herstellte; denn es war nach den Befunden früherer Autoren zu erwarten, daß solche Früchte, die auf einem Quer- schnitt durch das Endosperm den Loliumpilz nicht zeigten, ganz und gar pilzfrei seien, was sich in der Folge auch bestätigte. Die so gefundenen wenigen pilzfreien Früchte wurden nun, des größten Teils ihres Endosperms beraubt, zur Keimung ge- bracht und daraus neue Pflanzen gezogen, die leb- haft wuchsen und fruktifizierten. Ihre Früchte er- wiesen sich alle als völlig pilzfrei. Samenproben aus Cambridge, die nach F r e e m a n n einen größeren Prozentsatz pilzfreier Früchte enthalten sollten, lieferten in der Tat bis zu 30 ",0 solcher. so daß eine größere Anzahl pilzfreier Pflanzen und Früchte gezogen werden konnte. Die damit durch 4 Generationen geführten P'reilandkulturen pro- duzierten stets nur pilzfreie Früchte; eine Neu- infektion erfolgte in keinem Falle. Da die Darstellung des Temulins z u großer Mengen beider P'ruchtsorten bedurft hätte, be- gnügte sich H. mit dem einfachen Nachweis eines Alkaloids, das, wenn es sich im einen Falle vor- fand, im anderen nicht, mit ziemlicher Wahr- scheinlichkeit als Ursache der Giftwirkung an- gesprochen werden konnte. Die Prüfung auf Alkaloide erfolgte nach der Methode von Hof- meister. Gleich zu Anfang der chemischen Behandlung ergaben sich LTnterschiede zwischen der pilzführenden und der pilzfreien Substanz, die sich auch während des ganzen Verlaufes verfolgen ließen. Die Alkaloidreaktionen mit Jodquecksilber- Jodkalium, Phosphor wolframsäure, Phosphor- molybdänsäure und Jodjodkalium wiesen unzwei- deutig nach, daß in den pilzhaltigen Körnern ein Alkaloid vorhanden war, in den pilzfreien dagegen nicht. Daraus darf weiter geschlossen werden, „daß in der Tat die Giftigkeit der gewöhnlichen Körner von L. temulentum durch die Anwesenheit des Loliumpilzes bedingt ist." Im Anschluß hieran erörtert H. noch die Frage nach der Verbreitung des Loliumpilzes. Nach den ersten Untersuchungen (1898) hatte es geschienen, als ob die Früchte von L. temulentum durchweg vom Pilz infiziert seien. G u e r i n fand ihn in Früchten aus Bolivien, Chile, Brasilien, vom Kap der guten Hoffnung, aus Abessinien, Afghanistan, Persien, Syrien, von der Insel Kreta, aus Dal- matien, Spanien, Portugal und Schweden. Nur unter französischem Material entdeckte er 3 Früchte ohne Mycelschicht. ErstFreemann fand einen größeren Prozentsatz pilzfreier Körner, der aber nach den verschiedenen Lokalitäten stark variierte. Am meisten pilzfreie Früchte enthielten die Samen- proben von Upsala und Cambridge. Die Frage, ob dieselben von ganz pilzfreien Pflanzen oder von pilzhaltigen, bei denen einzelne Früchte nicht verpilzt sind, stammen, blieb aber vorläufig offen. H. vermochte hierüber Klarheit zu verschaffen, indem er einzelne seiner aus Cambridger Früchten gezogenen, pilzhaltigen Loliumpflanzen auf das Vorkommen von pilzfreien PVüchten untersuchte. Es konnten in der Tat an verpilzten Pflanzen Rückschlagsbildungen von pilzfreien Körnern nach- gewiesen werden. Letztere können also zweierlei Ursprung besitzen: ,,Der eine Teil derselben ent- steht durch Rückschlag an der pilzführenden Pflanze, der andere entstammt pilzfreien Lolium- ,, Rassen"." Es muß daher auffallen, daß die pilz- führenden Früchte in so großer Zahl vorkommen, denn konsequenterweise müßte ihre Zahl sich mehr und mehr vermindern. Welche Faktoren dies verhindern, kann vorläufig nicht entschieden werden. Die Verschiedenheit des Prozentsatzes der pilzfreien Früchte in verschiedenen Gegenden dürfte einen Fingerzeig zur Lösung der Frage N. F. VI. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 335 geben. Wenn man annimmt, daß diese verschie- dene Prozentzahl durch das Auftreten |)ilzfreier Körner an verpilzten Pflanzen bedingt ist, was höchst wahrscheinlich erscheint, so könnte dies dadurch erklärt werden, daß das Vegetations- punktsgewebe des Embryo verschieden wider- standsfähig gegen das Eindringen des Pilzes wäre, wobei es sich entweder um klimatische Einflüsse oder um verschiedene Rassen handeln könnte. Ed. Schmid. Bücherbesprechungen. Dr. Robert Wiedersheim, o. ö. Prof. der ver- gleichenden Anatomie, Direktor des anatomischen Instituts der Universität Freiburg i. Br., Einfüh- rung in die vergleichende Anatomie der Wirbeltiere, für Studierende bearbeitet, 471 S. mit I lithogr. Tafel und 334 Textabb. in 607 Einzeldarstellungen, Jena 1907, Verlag von Gustav Fischer. — Preis 12,50 Mk. Einer besonderen Empfehlung bedarf das vor- liegende Buch nicht. — Obgleich es sich um eine erste Ausgabe handelt, ist es hinreichend bekannt und anerkannt. Der Name des Verfassers und der Zu- satz „eine neue .Ausgabe für Studierende" sind eine hinreichende Empfehlung. — Die Wiedersheim - sehe Vergleichende Anatomie der Wirbeldere hat eine eigenartige Geschichte hinter sich. Ursprüng- lich erschien sie in zwei Ausgaben. Die kleinere, der sog. Grundriß, wurde mehr gekauft und öfter aufgelegt, sie wurde allmählich immer umfangreicher. In der 5. u. 6. Auflage konnte der Titel der großen Ausgabe auf den Grundriß übertragen werden. Damit war aber wieder das Bedürfnis einer kleinen Ausgabe, für Studierende, gegeben. — Diesem Bedürfnis kommt der Verfasser im vorliegenden Buche nach. — Von der letzten größeren Ausgabe unterscheidet sich die vorliegende allerdings nicht lediglich in negativem Sinne. Was in den letzten Jahren durch neue For- schungen sichergestellt ist , wurde ergänzt. Fortge- lassen wurde in der kleinen Ausgabe das, was noch nicht völlig spruchreif ist, und außerdem die Literatur- angaben. Beides findet der Fortgeschrittenere in der letzten großen Ausgabe. Infolge dieser Einschrän- kung konnten dem Studierenden die sichergestellten Forschungsresultate für einen erheblich geringeren Preis übergeben werden und zwar in einer leicht ver- ständlichen Fassung. Als Vorkenntnis setzt das Buch nur den Besuch einer Vorlesung über Anatomie und Zoologie voraus, bzw. den Besitz eines Buches über Anatomie, und Zoologie zum Nachschlagen. Möge die neue Ausgabe in demselben Maße wie die früheren Ausgaben zur Verbreitung vergleichend - anatomischer Kenntnisse beitragen, möge sie vor allem denjenigen, die sich auf deszendenztheoretischem Gebiete unter- richten wollen , in bezug auf die anatomische Seite der Theorie eine sichere Grundlage schaffen. Dahl. Literatur. Bach's, M., Wunder der Inseklcnwelt. Das Insekt, sein Le- ben u. Wirken in dem Haushalte der Natur, gemeinverständ- lich dargestellt. 5., völlig umgearb. Aufl. v. Gymn.-Oberl. II. Brockhausen. \V1II , 256 S. mit 59 Abbildungen.) 8». Paderborn '07 , F. Schöningh. — 3,20 Mk., geb. 3,60 Mk. Deussen, Prof, Dr. P.aul ; Die Elemente der Metaphysik. Als Leitfaden zum Gebrauche bei Vorlesgn. sowie zum Selbst- studium zusammengestellt. Nebst e. Vorbetrachtg. über das Wesen des Idealismus. 4. Aufl. (XLVI, 284 S.) gr. 8". Leipzig '07, F. A. Brockhaus. — 5 Mk., geb. 6 Mk. Lotsy, J. P. : Vorträge üb. botanische Stammesgeschichte. Ein Lehrbuch der Pflanzensystematik. I, Bd. Algen u. Pilze. (IV, 828 S.) Lex. 8°. Jena '07, G. Fischer. — 20 Mk. Briefkasten. Herrn Lehrer K. V. in Bremen. - Frage i; A. Weis- mann hat zuerst daraufhingewiesen, daß einzellige Tiere, die sich einfach durch Teilung vermehren, unter dauernd günstigen Lebensbedingungen niemals eines natürlichen Todes sterben. Er meint , das Zerfallen eines Individuums in zwei neue lebende Individuen könne man doch nicht als den Tod des ursprünglichen Individuums betrachten (vgl. A, Weismann, „Über die Dauer des Lebens", Jena 1882, neue Ausg. S. 3ofT. , „Über Leben und Tod", Jena 1884). Das- selbe gelte auch für die Keimzellen der mehrzelligen Tiere. Unter dauernd günstigen Umständen leben auch sie unbe- schränkt weiter. Einzelne der Tochterzellen , die bei der Teilung der Eizelle entstehen , werden — das läßt sich mit aller Sicherheit schließen — nach oft wiederholter Teilung schließlich in dem fertigen, neuen Organismus wieder Keim- zellen liefern. Die neue Keimzelle ist also durch fortgesetzte Zweiteilung aus der ursprünglichen Keimzelle der vorher- gehenden Generation entstanden. — Nur diejenigen Zellen gehen zugrunde , die bei dieser fortgesetzten Teilung den Körper aufbauen. Sie können unter Umständen, namentlich bei niederen Organismen ein neues Individuum liefern, tun das aber bei höheren Tieren unter normalen Verhältnissen nicht und bei den höchsten Tierformen sind sie dessen ganz unfähig. Die Unsterblichkeit der Keimzellen ergab sich mit logischer Notwendigkeit, als man erkannt hatte, daß der Körper aus zahlreichen Zellen besteht, die aus einer Zelle durch fortgesetzte Teilung hervorgehen. — Weis mann hat die eigentlich selbstverständliche Schlußfolgerung, daß ein- zellige Tiere, die sich durch Teilung fortpflanzen , nicht ster- ben, zum ersten Male klar ausgesprochen. Er stieß mit diesem Satz auf Widerspruch , weil man sich erst über die Fassung der Begrifte ,, Leben" und ,,Tod" vom Standpunkte der neuen Forschungsresultate aus einigen mußte, — Der Gedanke , daß das Keimplasma unter günstigen Umständen unsterblich ist, gab Weismann .Anlaß zur Aufstellung seiner Keimplasma- tlieorie. Die Annahme einer Kontinuität des Keimplasmas ist eigentlich keine Theorie, sondern, wie gesagt, eine logi- sche Notwendigkeit. Sie liegt der Keimplasmatheorie zu- grunde. Die Theorie beschäftigt sich mit der Erwägung, wie man sich die Zusammensetzung des Keimplasmas zu denken habe. Vorläufig kommt auch noch die Frage hinzu , wie weit das Keimplasma im Körper verbreitet ist und in welchem Teil der Zellen es zu suchen ist, welche Teile des Körpers also fähig sind unter günstigen Umständen einen ganzen Or- ganismus mit allen seinen durch Vererbung übertragenen Eigenschaften zu liefern (vgl. Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 5, S, 96). — Sicher ist, daß nicht alle Zellen dazu im- stande sind. Einige Zellen (z. B. die Hornzellen) verlieren ihr Protoplasma ganz, sie sind also von vornherein ausge- schlossen. Aber auch von denjenigen Zellen, die Plasma be- sitzen, sind — das ist ebenso sicher — die meisten nicht im- stande einen neuen Organismus zu liefern. — Weismann nahm ursprünglich an, daß dies auf erbungleiche Teilung der Zellen zurückzuführen sei. Durch zahlreiche Untersuchungen von O. He rtwig und anderen, neuerdings besonders von G. Tor- nier (vgl. Sitzungsber. Ges. naturf. Fr., Berlin, Jahrg. 1906, S, 50 — 66 u. S. 264 — 287) scheint hervorzugehen, daß eine erbungleiche Teilung niemals eintritt, daß vielmehr, wie Tornier ausführt, nur die Druck- und Ernährungsverhält- nisse, die wieder durch die gegenseitige Lagerung der Zellen 336 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 21 zueinander bedingt sind , die verscliicdene Fähigkeit zu rege- nerieren und eventl. einen neuen Organismus zu liefern zur Folge haben. Diese Annahme wird durch sovielc aus Ex- perimenten sich ergebende Erfahrungen gestützt, daß man sie fast als eine Tatsache betrachten kann. — Natürlich bleibt für theoretische Betrachtungen immer noch Kaum genug. Man fragt weiter, wie es kommt, daß bei der Teilung eines Eies einer bestimmten Tierart stets diejenige Lagerung der Tochter- zellen eintritt, welche schließlich die Entwicklung eines dem mütterlichen so ähnlichen Organismus zur Folge hat. — Die Ursache muß natürlich schon in der Zusammensetzung der Keimzelle in irgend einer Weise gegeben sein und da es sich bei den konstanten Artcharakteren und vor allem auch bei den Rassencharakteren und Familenähnlichkeiten um eine Unzahl von Einzelheiten handelt, muß schon die Ei- und Spermazelle außerordentlich kompliziert gebaut sein. — Wir dürfen wohl kaum hoffen, daß wir den äußerst feinen Aufbau des Keimplasmas jemals der Beobachtung werden zugängig machen können und werden deshalb vielleicht dauernd vor der Alternative stehen, entweder ganz darauf zu verzichten, • den Vorgang unserem Verständnis näher zu führen oder aber uns die Sache so zurechtzulegen, wie sie sich den Tatsachen am engsten anlehnt und wie es unser KausalbedUrfnis verlangt. Die einzige der bisher bekanntenTheorien, die mir diesen Anforde- rungen einigermaßen zu entsprechen scheint, ist die Weis- mann'sche Determinanten- und Biophorentheorie (vgl. A. Weismann, Vorträge über Deszendenztheorie, 2. Aufl., Bd. I, Jena 1904, S. 291 ff.). Gewisse Träger der Vererbung, wie sie die W e isma n n ' sehen hypothetischen Determinanten und Biophoren darstellen sollen, werden wir in irgend einer Form annehmen müssen. Die Frage ist nur die , ob diese Träger der Vererbung im ganzen Zellkörper ihren Sitz haben oder ob sie auf einzelne Teile der Keimzellen beschränkt sind (vgl. Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 5, S. 96). Es ist das eine Frage , über die man immer noch nicht einig ist. Wir dürfen aber wohl annehmen, daß sie in nicht zu ferner Zeit mit Sicherheit beantwortet werden kann. Frage 2 : Eine Zeitschrift, welche ausschließlich oder auch nur in erster Linie Aufsätze über Fragen der gröberen Tech- nik, wie d.as Konservieren von Tieren etc. bringt, ist mir nicht bekannt. Einzelne Aufsätze der Art findet man in fast allen zoologischen Zeitschriften. Wir können Ihnen also eine nähere .Auskunft in Ihrem Falle nicht geben. Dahl. Herrn W. B. in Leipzig. — Über die Fauna von Rügen gibt uns Herr Dr. A. Thienemann in Gotha, der sich spe- ziell mit dem Gegenstand beschäftigt hat, freundlichst folgende Ergänzung: ,,I) Boll, Die Insel Rügen, Reiseerinnerungen (um 1860 erschienen), ein sehr hübsch und interessant ge- schriebenes Büchlein, gibt eine ganze Anzahl von Notizen zur Rügener Fauna (und Flora). Die Lektüre des Büchleins ist für jeden , der sich wissenschaftlich auf bzw. mit Rügen be- schäftigen will, unbedingt zu empfehlen. 2) Zur Entomologie von Rügen findet sich ein kleiner .Artikel im Kosmos (Hand- weiser für Naturfreunde) II, 1905, Heft 8 und 10 und beson- ders III, 1906, Heft 2, unter dem Titel Insektenniassen am Strande von Rügen." — Der Titel der H omeye r 'sehen Arbeit muß heißen: A. v. Homeyer, Neu-Vorpommern und Rügen vor 50 Jahren und jetzt, in: Ornithol. Monatsber. Bd. i, 1893, S. S-9, S. 21 — 23 und S. 63—64. Dalü. Herr A. P. in .Arco. — Ihr Gedanke, die größere Aus- dehnung derGletscher zur Eisz ei t dadurch zu erklä- ren, daß damals die Berge, da die Erosion sie seitdem abgetragen hat, noch höher waren und demgemäß mehr Schnee sammelten, ist auch von geologischer Seite bereits erörtert worden. Zu- letzt hat ihn St. Meunier (La cause de la disparition des anciens glaciers. Ass. fr. avancement Sc. .Ajaccia. 1901. p. 362 — 373) sehr scharf vertreten. Meunier sagt; Es gib keine Eiszeiten und wärmeren Interglazialzeitcn, die Schwan- kungen der Gletscher, als deren Tendenz er einen allmälilichen Rückzug betrachtet, beruhen auf der Erniedrigung des Firn- gebietes durch die erodierende Wirkung des Gletschers selbst. Der Rückzug ist also eine Alterserscheinung des einzelnen Gletschers, kein Zeichen allgemein wärmerwerdenden Klimas, umgekehrt mag das Klima durch den Rückzug der Gletscher wärmer geworden sein. — Wie Sie richtig empfunden haben, werden dadurch die warmen Interglazialzeitcn nicht erklärt. Für diese müßte man periodische Hebungen der Gebirge an- nehmen, wie Sie dies anführen. Hebungen von geologisch so jugendlichem Alter, die die Sclmeegrenze um rund 1000 m verschoben hätten, müßten sich aber auch durch entsprechende Spuren im Vorlande der Gletscher nachweisen lassen. Vor allen Dingen aber erklärt eine solche .Anschauung nicht die ungeheure nordische Inlandsvereisung. Mag man bei Nord- europa noch der Ansicht sein , daß eine größere Höhe der skandinavischen Gebirge zur Erklärung der Vereisung ausreiche (ein Gedanke, der der rechnerischen Prüfung nicht Stand hält), so ist für Amerika an derartiges sicher nicht zu denken. Aber auch für die Alpen ergeben sich Schwierigkeiten. Die Formen des Hochgebirges sind nur zu verstehen, wenn wir vor der glazialen Erosion eine Wassererosion als wirksam annehmen, deren l'albildungen das Eis nur verstärkt bzw. umarbeitet. Wir würden also zu sehr verwickelten Annahmen über den Hebungsvorgang geführt werden, für die uns im Grunde jeder tatsächliche .Anhalt fehlt. Die Annahme einer klimatischen .Änderung an Stelle lo- kaler Änderungen der Höhenlage verdient den Vorzug des- wegen, weil sie unverhältnismäßig viel einfacher ist; denn sie erklärt mit einem Schlage die ehemals größere Vergletscherung in Nordeuropa, den Alpen, dem Himalaya , den Neuseeländi- schen Gebirgen, Nordamerika, Ecuador, Patagonien und Afrika, zugleich aber auch die stellvertretende Erscheinung einer regenreichen Pluvialzeit in den Teilen Afrikas, in denen die Hohenverhältnisse die Bildung von Gletschern nicht gestatteten. Die Erniedrigung der Temperatur ist auch nicht auf die Eiszeit allein beschränkt , sondern beginnt bereits in der älteren Tertiärzeit und zeigt sich dort in der .Aufeinander- folge von Floren immer kälterer Klimate z. B. in unseren deutschen Braunkohlenbildungen. Ja die Tatsache der Braun- kohlenbildung scheint überhaupt erst durch eine Abkühlung nach dem heißen Klima des .Alttertiärs möglich geworden zu sein. Die Folgen der Erosion, so weit sie eine Änderung der Schneegrenze herbeiführt, können also höchstens als Zusatz- erscheinungen zu den Folgen der unleugbar vorhandenen Klimaschwankungen in Betracht kommen. Welche Bedeutung , sie hier haben, läßt sich zurzeit noch nicht beurteilen. Bisher sind noch nirgends Erscheinungen beschrieben worden , die mit Sicherheit auf einer Veränderung der Schneegrenze durcli Erosion beruhen. F. .Solger. Herrn A. A. in Steglitz. — Literatur über Wurzeln, Wurzelstöcke, Knollen und Zwiebeln. Angaben über die Entwicklung dieser Organe und ihre Bedeutung sowie Funk- tion für die Pflanze finden sich äußerst zerstreut in der ganzen Literatur. .Als größere, physiologische Handbücher wären zu nennen: Haberlandt, Physiologische Pflanzenanatomie. (Verlag von W, Engelmann, Leipzig). Sachs, L., Vorlesungen über Pflanzenphysiologie. Ders., Lehrbuch der Botanik. Pfe f fcr, Pflanzenphysiologie. Detmer, Das physiologische Praktikum. Strasburger, Das botanische Praktikum. (Verlag G. Fischer, Jena). Dr. P. Beckmann. Inhalt: Prof. Dr. F. Wahnschaffe: Die Seenrinne des Grunewalds und ihrer Moore. — Kleinere Mitteilungen: R, Hennig: Geisterschriften. — Dr. Gershom Franklin White: Die Bakterien des Bienenstockes. — Dr. .Nott- bohm: .Ansiedlung einer subtropischen Spinne bei Hamburg. — E. Hannig; Über pilzlreies Lolium temulentum. — Bücherbesprechungen: Hr. Robert Wiedcrshcim: Einführung in die vergleichende Anatomie der Wirbeltiere, lür Studierende bearbeitet. — Litteratur : Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft iür volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge VI. Band; der ganzen Reibe XXII. Band- Sonntaff, den 2. Juni 1907. Nr. 22. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten , wie bei der Expedition. Der fi' Halbjahrspreis ist M. 4. — . Fringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespallene Kolonelztile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- ■^S) handlung. Kultureinflüsse auf Sumpf und Moor. Von H. Potonie. mir der Professor der [Nachilruck verboten.] Sehr zutreffend schrieb Geographie am eidgenössischen l'olyteciinikiim in Ziiricii Herr J. Früh einmal'): „Wir stehen im Zeitalter großer Entwässerungen, anthropomorpher Umformungen". Diese Tatsache wird eindringlich gemacht durcii das Studiimi unserer Gewässer, Sümpfe und Moore: geradezu erschreckend für den Naturfreund, der CS wünschte, daß zukünftigen Geschlechtern wenigstens Etwas von der ursprünglichen, eigentlichen Natur erlialten bliebe, für den, der die Empfindung hat, daß der Mensch ein Recht an der unverfälschten Natur hat. Überall haben im Dienste von h'orst- und Landwirtschaft tiefgreifende Veränderungen statt- gefunden oder sind im Gange, mindestens ist so gut wie überall, wo Menschen wohnen oder ge- wohnt haben, der Versuch zu meliorieren gemacht worden imd so wurde die ursprüngliche Natur vernichtet oder mehr oder minder arg gestört. Dinch Kanalisationen, Ausbaggerungen, VVasser- spiegelsenkungcn und Ablassen von Seen und Teichen -) werden Faulschlamm-(Sapropel-)Bildun- ') Unterm 4. September igo6. ■-) Bezüglich des Verschwindens von Seen durch die Kultur siehe u. a. die Zusammenstellung von \V. Ilallilaü in gen beseitigt, jene für das Verständnis der Ent- stehung gewisser Koiilen (Gaskohlen, Cannelkohlen der Engländer) wichtigen Schlammablagerungen, die aus der brennbaren Substanz der im Wasser lebenden Organismen und ihren Ausscheidungen bestehen, oder es wird ihre Weiterbildung unter- brochen, ebenso die der Torfmoore, die im Be- griffe standen viele dieser Gewässer vollständig auf natürlichem Wege zu verlanden. Hermann Walser hat auf Grund eines Vergleichs einer guten älteren Karte (der Gygerkarte) des Kantons Zürich nachgewiesen ^), daß wesentlich durch ,,das Über- wiegen der der Kaumgewinnung wegen seefeind- liciien Interessen der Bevölkerung über die see- erlialtenden Interessen" es kommen konnte, daß in dem genannten Kanton ,,eine lange Reihe von Jahrtausenden nicht genügt hat, alle wassererfüllten Becken des Gebietes auf natürlichem Wege zum Verschwinden zu bringen, während innerhalb der letzten 250 Jahre fast 50"',, der kleinen Seen der seiner Abh. ,,Klimalologisclie Probleme im Lichte moderner Seenforschung" (Jahresber. des Gymnasiums z.u Neuhaldens- leben 1907). ') Veränderungen der Erdoberfläche im Umkreis des Kantons Zürich seit der Mitle des 17. Jahrhunderts. Bern 1896. 338 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 22 Gygerkarte erloschen". Und dabei ist zu berück- sichtigen, daß die aus 56 Blättern bestehende Gygerkarte sehr viele Wasserspiegel angibt, ,,von denen auf der modernen Karte entweder gar nichts mehr, oder nur eine dürftige Spur in der Form einer Ortsbenennung wie Weierthal, Biber- see, Weier, Egelsee, oder aber, und zwar in den meisten Fällen, in Form einer Signatur für sum- pfiges Gelände sich findet." Wo die brandende Tätigkeit des Wassers Küstenstrecken zerstört , wird nach Möglichkeit durch Schilfpfianzungen wie z. B. am Stettiner Haff und Bodensee das Land geschützt oder gar Land gewonnen. Im Interesse der Fischwirtschaft wird andererseits unter Umständen Schilfbestand zerstört, weil sich Teiche mit weniger Schilf schneller erwärmen '); auch werden die Schwing- moorbiklungen auf der Luvseite von Seen, um ihre Verlandung usw. zu verhindern, beseitigt. Die heutigen Moore sind ganz überwiegend tote Moore. Mir selbst ist trotz vieljähriger Reisen in Moorgebieten Zentraleuropas noch nie- mals ein vollkommen von der Kultur unbe- rührt gebliebenes Moorgelände begegnet, obwohl ich gerade auf diesen Punkt besonders geachtet habe; es handle sich denn um ganz kleine Moore von höchstens einigen hundert Ouadratruten, die aber dann meist durch hallen von Bäumen, Ge- winnung der Streu u. dgl. ebenfalls in ihrem natürlichen Zustande gestört sind. In allen Kultur- ländern ist es dasselbe; so teilte mir der oberste Forstbeamte von Dänemark Herr Kammerherr Dr. P. E. Müller in Kopenhagen mit: in Dänemark gebe es wohl keine jungfräulichen Flachmoore mehr, es seien denn die durch Neuverlandung erst entstehenden. -) Der P'ernerstehende wird zunächst an die Zer- störung der Moore durch Ausbeutung des Torfes denken und früher war die Torfproduktion auch in Norddeutschland recht beträchtlich, heute be- trägt sie in Rußland nach Larson und Wallgren jährlich noch rund 4 Millionen Tonnen, die Tonne zu 20 Zentnern, in Holland und Schweden je über I Million usw.; aber so groß diese Zahlen auch sein mögen : sie bedeuten nur sehr wenig gegenüber den — wenn auch ganz gelegentlich mißglückten — Entwässerungen und Entwässerungs- versuchen, die man überall an Mooren beobachten kann. In Nordwestdeutschland (westlich der Elbe) insbesondere geht der menschliche Einfluß so weit, daß dort sogar überliaupt nur noch zum Absterben gebrachte, nicht mehr Torf erzeugende, d. h. ,,tote" Hochmoore (dort Heidemoore) vor- handen sind. In Süddeutschland , besonders in Bayern, ist infolge seiner noch größeren Regen- höhe als sie Nordwestdeutschland besitzt, die Ent- wässerung etwas schwieriger, aber auch hier durch alte Kultur sehr weit vorgeschritten. Über das allcrnördlichste Deutschland haben wir schon eine fast 2COO Jahre alte Nachricht, nämlich von Plinius dem Älteren. Er schreibt in seiner „Historia naturalis" (16, i — 2) von den „Chauken": ,,Ein bedauernswürdiger Volksstamm wohnt an den Ufern des Meeres, das zweimal binnen Tag und Nacht unübersehbare Strecken überflutet, auf Erd- hügeln'), die nach den Erfahrungen der höchsten Flut erbaut sind. '') Wenn das Wasser die Um- gebung überschwemmt, dann gleichen ihre Hütten Schiffenden, Sciiiffbrüchigen aber, wenn das Wasser zurückgegangen ist. . . . Mit den Händen formen sie feuchte P^rde '') und trocknen sie mehr durch Wind als durch die Sonne, und mit dieser Erde kochen sie ihre Speisen und wärmen ihre vom Nordwinde erstarrten Glieder." ^) Hiermit sind deutlich die Nordsceküsten des heutigen Deutsch- land gekennzeichnet, mit ihr Ebbe und Flut. Mit der zum P'euermachcn dienenden ,,Erde" kann nur Torf gemeint sein. Die Gewinnung von Torf ist demnach sehr alt und damit der Beginn zur Vernichtung der Moore. Sicherlich war Norddeutschland ursprüng- lich durch das Vorhandensein vieler Sümpfe und großer Moore ausgezeichnet. Cornelius Tacitus sagt 98 n. Chr. in seiner „Germania" (5), das Land sei ,,im allgemeinen mit finsterem Urwald oder wüsten Sümpfen" "') bedeckt. Nach Angabe der Historiker wurde die Trockenlegung der Moore und Sümpfe im Brandenburgisch-jireußischen Staat besonders seit dem Einzug des Christentums z. Z. Albrechts des Bären (1134 — i'/O) energischer ins Werk gesetzt. Große Moore waren aber noch oft Hindernisse beziehungsweise Schutzmittel bei der Kriegführung. So war für die Friesen der Nordseeküste, — das sind ja die ,, Chauken" der Alten — , das Moorgebiet im Süden ilirer Heimat ein wichtiger Schutz gegen Einfälle. Der 70 km lange Havelländische Hauptkanal, angelegt 17 18 bis 1725 unter iMiedrich Wilhelm I., dient in erster Linie der Entwässerung der großen Moorgelände des Havellandes. Der Nieder - Oderbruch wurde '747" 5*5 unter PViedrich dem Großen entwässert und urbar gemacht und später die Warthe- und Netzebrücher. Mitte des vorigen Jahrhunderts, unter Friedrich Wilhelm IV., war noch so viel unkultiviertes Land vorhanden, daß damals (von 1S49 — 51) nicht weniger als rund 1 1 500 qkm Landes urbar gemacht werden konnten. Heute gibt es — wie gesagt — kaum noch ein Moor, ') Rössing in der Fischerei-Ztg. Neudamm 30. Hl. 1907 |i. 201. ^) ,,F1 a c h m o u re" entwickeln sich, wo für die Pflanzen nährstoffreiches ruhiges Wasser vorhanden ist, im Gegensatz zu den ,,H och nio oren", die — genugende Feuchtigkeit vor- ausgesetzt — auf nährsloffarmen Böden entstellen. Meide Moorlyjjen unterscheiden sich demgemäß auifällig in ihrem Vegetationsbestand. ') Die ,, Warften" oder ,, Werften" der heuligen Ilallig- P.ewohner ! -) . . . tumulos optinet altos ceu Iribunalia extrucla ma- nibus ad experimenta altissimi aestus. ') lulum. *) . . . ventis magis quam sole siccantes terra cibns et ri- gentia septentrione viscera sua urunt. '')... in Universum . . aut silvis liorrida aut paludibus foeda . . . N. F. VI. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 339 das nicht durcli die Kultur angeritzt oder beein- flußt wäre. Die seit 1876 bestehende preußische Zentral-Moorkommission, als beratendes Organ des Landwirtschaftsministers, sorgt eifrig weiter für die vollständige Vernichtung des in wissen- schaftlicher Beziehung so sehr interessanten Land- schaftstypus der Moore, so daß es nunmehr höchste Zeit geworden ist daran zu denken, eine der charakteristischsten Gelände- fornicn unserer Heimat an passenden Stell LMi in hinreichender Ausdehnung dauernd zu erhalten: eine Landschaftsform, die — wo sie uns jugendfrisch in ihrer natürlichen Kraft entgegentritt — zu den stimmungsvollsten gehört, die die Erde bietet. I'Vüh berechnet für die Schweiz ') 5464 größere ,, Sümpfe und Moore", die ehemals vorhanden ge- wesen sind, \on denen aber heute nur noch 2083 der Kultur noch nicht unterlegen sind: 3381 sind demnach bis jetzt schon verschwunden. Unter diesen Umständen ist es beim Studium von Mooren eine Pflicht sich ständig zu bemühen Einflüsse der Kultur zu erkennen, wohin u. a. außer der Entwässerung gehören : Düngung, künst- liche l'bersandung (= „Moordammkultur") oder wie bei den Mooren der Marschgebiete Beschüttung mit W'ühlerde, oder, wie es in den Marschen heißt, ,, Kuhlerde", weil dort durch Anlage von Gräben und Gruben (,, Kuhlen") kalkhaltiger Boden des Untergrundes zum meliorieren benutzt wird, ferner auch die Ausbaggerung von tiefer liegenden Mooren zur I Icrstcllung von Seen wie z. B. in der Kolonie Grunewald und in Zehlendorf-Beerenstraße bei Berlin, oder zur Herstellung von Fischteichen wie u. a. vielfach in der Lüneburger Heide. Es ist nicht immer leicht, unter Umständen fast oder ganz unmöglich, den dichten Schleier, den der Fortschritt der Kultur über die ursprüng- liche Natur gebreitet hat, sich wieder beseitigt zu denken, wie man dies beim Studium von Sumpf und Moor leider so oft versuchen muß. i'ber die rein materielle Nützlichkeit der Vernich- tung von Mooren und ihrer Umgestaltung zu Kultur- land ist schon so viel gesagt und geschrieben worden und eine .Anzahl eigener Zeitschriften beschäftigen sich ausschließlich mit der Frage der Kultivierung der Moore, daß es gut ist, sich auch die unter L^mständen vorhandenen .Schattenseiten , die der Kami)f gegen die Moore mit sich bringt, zu ver- gegenwärtigen. Durch die mit der Beseitigung der Moore ver- bundene Entwässerung sind meteorologische Ver- änderungen bedingt, die für die Kultur der an- liegenden Ländereien von Bedeutung sein können, wie die unheilvollen Entwaldungen, die mitgewirkt haben frühere Kulturländer dem Rückgange ent- gegenzuführen und in heutigen Kulturländern viel- fach das Klima schädigen. Auf der Leeseite großer Moore ist ein reichlicherer Niederschlag vorhanden, der sich mit der Entwässerung vcr- ') Die Moore der Schweiz. Berq 1904, p. 250. ringert. ,, Stark und zwar stärker als von offenen Wasserflächen — sagt Eduard Brückner ') — ist die Verdunstung von Moorflächen aus.-) So üben Vegetationsflächen in feuchten Klimaten ähnliche Wirkungen aus wie Seen, indem sie der Luft Wasserdampf zuführen; sie sind Gebiete gestei- gerter Verdunstung. Ein großer Irrtum aber wäre es, wollte man die Wirkung dieser gesteigerten Verdunstung im Regenfall derselben Gegend zu erkennen suchen. F^bensowenig, wie große Land- seen, z. B. der Ladogasee, der Onegasee, von kleineren .Seen ganz zu schweigen, eine deutliche Steigerung des Regenfalls an ihren Ufern erkennen lassen, ebensowenig die Wälder. Der Wind ver- trägt den durch Verdunstung erzeugten Wasser- dampf, so daß die Mehrung des Regenfalls gar nicht dem Walde selbst, sondern leewärts in größerer Entfernung gelegenen Gebieten zugute kommt." Die Moore, die demnach in einem Moorlandc wie Norddeutschland die klimatischen Verhältnisse stark milbedingen, regeln außerdem vielfach die Bewässerung weiter Länderstrecken. An einzelnen Stellen sind die Nachteile von Moorentwässerungen so auffällig, daß für engere Landbezirke ein Zweifel an der Nützlichkeit der unversehrt gebliebenen (leben- den) Moore nicht besteht, so insbesondere dort, wo sich als Folge verheerende Überschwemmungen ergeben haben, die sich früher nicht in dem Maße betätigten, als noch Moorbildungen in der Lage waren das Wasser aufzunehmen und langsam wieder abzugeben. Man sehe sich nur einmal gründlich die Meßtischblätter des Generalstabes z. B. von der Lüneburger Heide an, um zu sehen, wie viele der kleinen Bäche, die die Zuflußadern der Flüsse sind, Mooren ihren L^rsprung verdanken. Der Würmsee (^= Starnberger See) hat nach Ule ■) seinen Wasserstand erhöht durch die großen Entwaldungen, Entwässerungen vieler Moore und das Ablassen vieler Seen in seiner Umgebung. Bei A. Sauer lesen wir zu unserer Frage:*) ,,Es erscheint dem Verf. in vielen F'ällen oft recht fraglich, was von volkswirtschaftlichem Stand- punkte aus mehr zu befürworten sei, eine gründ- lich durchgeführte Drainage der hochgelegenen Sumpfgebiete in der Waldregion unserer Mittel- gebirge oder die Belassung des natürlichen Zu- standes. Denn es ist ganz auffallend, in welcher hervorragenden Weise diese Sümpfe und nassen Stellen des Waldes den Wasserabfluß der sommer- lichen Niederschläge zu regulieren vermögen. Cierade hierüber war Verf gelegentlich seiner langjährigen geologischen Aufnahmen im Grenz- gebiete des Erzgebirges zwischen Sachsen und ') Über die Herkunft des Regens (llettner's Geographische Zeitschrift. Leipzig 1900, p. 95). *) Vgl. z. B. Humen in Hidrag tili Känncdom af Finn- lands Natur och folk. Heft 54. Helsingfors 1894. ') Der Würmsec (Wiss. Veröffentl. d. Vcr. f. Erdkunde in Leipzig 1901). *) Zirkussecn im mittleren Schwarzwalde als Zeugen ehe- maliger Vcrglctscherung desselben. (Globus. Braunschweig März 1894 p. 201 — 202, Anmerk. 2.) 340 Natiii-wisscnscliaftliclic Wochcnschiift. N. F. VI. Nr. 22 Böhmen in der Lage, vergleichende Beobachtungen anzustellen, wo auf der sächsischen Seite eine mit intensiver Waldwirtschaft bis ins einzelne durch- geführte Drainage nach jedem starken Sommer- regen ein plötzliches, starkes Anschwellen, aber auch ein eben so schnelles Zurückgehen der Rinnsale zur Folge hat, während auf der böhmischen, weniger rationell bewirtschafteten Seite die Bäche weder übermäßig anschwellen, noch schnell aufhörten zu fließen. Beseitigt der Mensch die natürlichen Re- gulatoren, so hat er auch die Verpflichtung, in gewissem Grade für Ersatz zu sorgen, wenn nicht das natürliche Gleichgewicht der hydrologischen Verhältnisse in empfindlicher Weise gestört und die hierauf begründeten menschlichen, im Erz- gebirge vorwiegend industriellen Einrichtungen dauernd geschädigt werden sollen. Und dieser Ersatz kann nur in der Anlage von Talsperren zur Herstellung von großen Staubecken geboten werden, welche das zu Zeiten des Überflusses schnell abfließende Wasser zurückhalten." Jetzt baut man tatsächlich künstliche Regu- latoren in der Form von Stauwerken, \md es ist allen Ernstes vorgeschlagen worden in geeigneten Gebirgen, z. B. dem Riesengebirge nach einem bestimmten Verfahren künstliche Gletscher zu er- zeugen, die die Bestimmung haben würden, als nützliche Regulatoren des Wasserabflusses zu dienen.') Besser war's wohl in diesem Falle die Moore des genannten Gebirges, die schon viel- fach angeritzt oder vernichtet sind, zu schützen und zu pflegen. Im Widerspruch mit dieser Forderung findet man Angaben, nach denen Torf durchaus nicht imstande sein soll, Wasser wie ein Schwamm auf- zunehmen und dadurch festzuhalten, um es lang- sam und allmählich wieder abzugeben. Hierbei wird aber ein wichtiger Punkt über- sehen. In der Tat ist reifer Torf für Wasser un- durchlässig, und auf diese Eigenschaft gründet sich eine Methode beim Torfstechen in weniger entwässerten Mooren, indem in solchen Fällen eine Torf-„Stauwand" stehen bleibt, um das Wasser von der auszubeutenden Grube zurückzuhalten. Hier handelt es sich in den ganz überwiegenden Fällen um tote Moore, die die Eigentümlichkeiten der lebenden Moore, die für die Wasserregu- lation zunächst in Frage kommen, nicht mehr aufweisen. Bei der Untersuchung eines Sonder- falles muß daher in erster Linie festgestellt werden, ob es sich um tote oder lebende Moore handelt. Denn ganz anders wie der reife Torf, der bei toten Mooren bald nur noch allein vorhanden ist, verhalten sich halbreife und unreife Torfe, insbe- sondere der unreife Mochmoortorf, der tatsächlich wie ein Schwamm in der angegebenen Weise wirkt, so daß in ständigerer Regenzeit eine Er- hebung und bei dauernderer Trockenheit eine Senkung der Oberfläche zu beobachten ist, nicht zu verwechseln mit der selbstverständlich dem Wasserstand folgenden Hebung und .Senkung von Schwingmoorstrecken, die als Etappe verlandender Seen, mit dem jeweiligen Wasserstande schwim- mend auf und nieder gehen. Auch die lebende Pflanzendecke der Moore, insbesondere wenn sie fast ganz aus Moosen be- steht oder die Moose in ihr eine hervorragendere Rolle spielen — und das ist häufig, bei Hoch- mooren sogar stark überwiegend der Fall — wirkt hervorragend Wasser haltend. Das hat schon I'^ried. Oltmanns exakt nachgewiesen.') Fug. Warming gibt in seinem „Lehrb. der öko- logischen Pflanzengeographie" '') auf Grund dieser Untersuchung direkt die Überschrift: ,,Der Moos- teppich wirkt wie ein Schwamm." Die dichten Moospolster nehmen in ihren kleinen Zwischen- räumen atmosphärisches Wasser auf, aber durch Aufsaugen aus dem Boden gar kein oder sehr wenig Wasser. „Daher schlucken und verdunsten die lebenden und die toten Moosteppiche unge- fähr gleichviel Wasser" (Warming), wohl bemerkt : auch die toten Moosteppiche. A. Csercy stellte fest, •') daß eine Wassermenge, welche ungefähr das sechsfache des Eigengewichtes beträgt, von den Moosen sehr schnell (innerhalb einer Minute) aufgenommen und im Laufe von etwa sieben Tagen wieder abgegeben wird. Da die Moosdecke soviel Wasser rasch aufzunehmen und der Umgebung sukzessive wieder abzugeben imstande ist, so kommt ihr dort, wo sie eine große Bodenfläche bedeckt, eine doppelte Bedeu- tung zu und zwar einesteils, indem sie die zer- störende Kraft starker Niederschläge durch rasche Aufnahme und Festhalten einer großen Menge Wassers herabsetzt, anderenteils aber, indem sie durch Abgabe von P^euchtigkeit an die Luft sicher- lich auch auf die hydrometeorologischen Verhält- nisse einwirkt. C. hatte in Selmeczbenya Ge- legenheit, den großen Unterschied zwischen einer mit Moos bewachsenen und einer nackten Berg- lehne im Pralle eines Wolkenbruches zu beob- achten ; während das Wasser von den kahlen Berg- lehnen in Sturzbächen ungestüm herabläuft, wird es auf den mit Moos bewachsenen Berglehnen von der Moosdecke zum großen Teil aufgesogen und dadurch festgehalten. Schließlich sei zu dieser Sonderfrage noch C. Wollny angeführt,') der, daran erinnernd, daß die aus abgestorbenen Pflanzenteilen bestehenden Bodendecken die Verdunstung aus dem Boden in ausgedehntem Maße herabdrücken, daraus die Tatsache erklärt, daß das Grundwasser im brach- liegenden, aber mit einer Moosschicht bedeckten Boden schneller und höher ansteigt als in dem nackten. A. Kirschmann, Physika!. /Zeitschrift 1904, Nr. 27. ') Über die Wasserbewegung in der Moospflanze und ihren Einfluß auf die Wasserverteilung im Boden. Breslau 1884. -) 2. Dcutsclic Ausgabe. Berlin 1902, p. 92. ^) Nach Kümmerle's Referat im Botanischen Centralblatt vom 16. X. 1906, p. 390-91. ') „Untersuchungen über den Einfluß der Pflanzendecken auf die Grundwasserstände" in Wollny's Forschungen a. d. G. der Agric. Physik. 1895, ^^- '^t ^' 39*- N. F. VI. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 341 Die Frage, inwieweit die mit unglaubhcher Schnelligkeit schwindenden Torflager berufen sein würden, Ersatz für die einmal abgebauten Kohlen zu sein, kommt hier nicht in Betracht, jedoch soll wenigstens erwähnt sein, daß auch dieser Punkt in Beiücksichtigung zu ziehen ist, wenn es sich darum handelt zu entscheiden, ob die Erhaltung der Moore zweckdienlicher ist als ihre generelle Vernichtung. Schon Dau sagt 1823,') indem er gegen die Nutzung der Torfmoore zu Ackerland „aufs stärkste protestiert", man sollte „alles ver- meiden, was den noch vorhandenen X'orrat [an Mooren vermindert". So ist es denn jetzt nun wirklich an der Zeit, durch einen Stab von Gelcliiten, unter denen u. a. außer Torfmoor-Kundigen auch Geologen und Meteorologen vertreten sein müßten, welche nicht nur das Jetzt, sondern gewissenhaft — soweit die Historie Aufschluß gibt — auch die ehemaligen Zustände wieder vor dem geistigen Auge erstehen ') Neues Handbuch über den Torf. Leipzig 1823, p. 216. ZU lassen imstande sind, die aufgeworfene Frage eingehend prüfen zu lassen, ehe es ganz zu spät ist. Das ist doch wohl für den, der nicht nur das Heute, sondern auch die Zukunft im Auge hat, nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. So kommen wir denn zu dem Schluß; Für den Einzelnen bedeutet allerdings ein in Kultur genommenes Moor Landerwerb, für das Ganze aber können vernichtete Moore eine Schädi- gung sein. Mag dem aber sein wie ihm wolle; eins kann von keiner Seite bestritten werden, sie sei noch so „praktisch" gesonnen: Gemüt und Geist, Kunst und Wissenschaft, haben das höchste Interesse an der Jungfrau liehen Erhaltung von Mooren. Gewiß: die Kultur wird das Land weiter be- siegen, aber es sollten doch Stücke der Urheimat in ihrem alten Zustande bewahrt bleiben; hoffen wir, daß unseren Nachkommen noch stille Flecke übrig bleiben, wo sie sich in die natürlichen Ur- zustände der Heimat versenken können! Das Streben zum molekularen Gleichgewicht in der Mineralwelt. LNachtiruck, verboten." Von Salvador Calderön. I. Dem Chemiker ist wohlbekannt, daß die in einer F'lüssigkeit gelösten Salze so lange mitein- ander reagieren, bis ein Gleichgewichtszustand er- reicht ist und sich die unter den obwaltenden Umständen beständigsten Verbindungen gebildet haben. In gleicher Weise erklärt die Geologie die Entstehung gewisser Mineralien durch Mit- wirkung des in den zutage tretenden oder tiefer liegenden Schichten zirkulierenden Wassers und der in ihm aufgelösten Substanzen. So entstehen z. B. beim Zusammentreffen von Natrium- oder Kaliumkarbonat mit Calciumlösungen Nieder- schläge von Calciumkarbonat, und Lösungen von Alkalisilikaten scheiden bei Berührung mit kohlen- sauren Gewässern Kieselsäure ab, während in der Lösung Karbonate zurückbleiben. Dasselbe Streben zum Gleichgewicht beherrscht unserem Erachten nach nicht nur die chemische Zusammensetzung der Mineralwelt, sondern auch ihre Kristallform. Von diesem Gesichtspunkte aus wollen wir einen kurzen prüfenden Blick auf die Umwandlung der amorphen in kristallinische Sub- stanz, auf den Übergang von einem Kristallsystem zu einem anderen während und nach der Kristalli- sation, auf die Anordnung der einzelnen Mineral- indi\iduen gleicher oder verschiedener Art und auf die Umlagerung einiger Mineralien in andere von derselben chemischen Zusammensetzung, aber von verschiedener Konstitution werfen, um zu er- mitteln, ob alle die angeführten Vorgänge wirk- lich Einzeltatsachen oder nur besondere Fälle eines alltremeinen Gesetzes sind. II. Schon seit langem sind sich die Naturforscher darüber einig, daß die kristallinische Struktur der Mineralwelt eigentümlich und für sie charakte- ristisch ist. Heute sieht man in dem Kristall einen regelmäßigen Komplex von in Netzen an- geordneten Molekülen, ein symmetrisches Gebäude, in dem die Entfernung jedes einzelnen Moleküls von seinen Nachbarn in derselben Richtung kon- stant, in verschiedener Richtung verschieden ist. Das ist der Aufbau der sog. anorganischen Körper; aber man kennt auch einige, wenn auch nur wenige, wahrhaft kolloidale Mineralien, deren Moleküle sich, anstatt regelmäßige Netze zu bilden, in regellos wechselnden Entfernungen voneinander befinden. Zwischen diesen beiden Strukturformen, der regelmäßigen, symmetrischen einerseits, der un- regelmäßigen, chaotischen andererseits, hat man eine noch wenig bekannte Zwischenform gefunden, deren Studium auf die Lösung wichtiger Probleme helles Licht zu werfen verspricht, die Globular- struktur. Wir müssen kurz daran erinnern, daß nach Vogelsangs ') Entdeckungen auf mikroskopischem Gebiete die kristallinischen Teilchen durch Zu- sammentritt von kleinen Kugeln, Globuliten, ent- stehen, eine Vorstellung, welche durch die Experi- mente über das Verhalten löslicher Körper beim ') Mit Genehmigung des Verfassers aus der Revista de la Real Acadenaia de Ciencias de Madrid, Bd. IV, S. 180, üliersetzt von Werner Mecklenburg. 2) Sur les cristalliles (Archiv. Neerland., V, 1870). 342 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 22 Verdunsten des t.ösungsmittels (Chlornatrium auf- gelöst in Wasser, Schwefel aufgelöst in Schwefel- kohlenstoff, dem etwas Kanadabalsam beigemischt ist, usw.) bewiesen wird. Zuerst treten unter dem Einflüsse der kristallbildenden Kraft viele dunkle Punkte oder kugelförmige Teilchen auf, die sofort an Volumen zunehmen. Bald zeigen sie polare Eigenschaften, verändern ihre Lage und rollen wie Billardkugeln nach allen Richtungen, aber stets auf geraden Linien, durcheinander. Dann be- ginnen die Kugeln sich in Reihen anzuordnen (Margarite), und diese treten zu festen, gleich- mäßig dicken, wenn auch verschieden langen Stäbchen zusammen. Auf die Bildung der Stäb- chen folgt in weniger als einer Sekunde eine all- gemeine Bewegung der Masse, jedes Stäbchen zieht, wie mit Magnetismus begabt, die anderen in rechten oder sonstigen bestimmten Winkeln an, so daß eine winzig kleine, symmetrische Mauer entsteht. Mauer legt sich an Mauer, und mit der Präzision eines aufmarschierenden Regimentes bilden sich im Gesichtsfelde kleine schöne Kri- ställchen, würflige, wenn es sich um gewöhnliches Salz, rhombische, wenn es sich um Schwefel handelt. Bei der Kristallisation durch Schmelzen und darauffolgendes Erkalten ist der Vorgang im wesentlichen derselbe. In den Schlacken und künstlichen Gläsern treten ebenfalls die soeben besprochenen Globulite und Margarite auf und gruppieren sich oft zu den in vielen Gläsern vor- handenen pflanzenähnlichen Gebilden, Dendriten. Bekannt sind auch die klassischen Arbeiten von Zirkel ') über die verschiedenartigen Teilchen (Mikrolithe), welche das Mikroskop in den glasigen Felsen vulkanischen Ursprungs erkennen läßt. Die Mikrolithe zeigen nämlich den beginnenden Über- gang der amorphen Masse in den kristallinischen Zustand, eine während und nach dem Erkalten und Festwerden vor sich gehende Umwandlung (Entglasung) an. Schreitet diese Veränderung fort, so geht schließlich die ganze Masse in ein kri- stallinisches Aggregat über. Ähnliches geschieht mit der gelatinösen Kieselsäure, dem Kaolin, der geschmolzenen arsenigen Säure, welche zunächst zu einer porzellanartigen und weiter zu einer kri- stallinischen Substanz wird und schließlich auch — allerdings gehört dies Beispiel nicht mehr in die Mineralwelt — mit dem geschmolzenen Zucker, der sich spontan in kristallisierten umlagert. Alles dies beweist, daß der amorphe Zustand eine Übergangsphase darstellt, daß er aber auch in den kristallinischen und in den kristallisierten Körpern der Individualisierung vorausgegangen ist. Auch die Umwandlung der flüssigen Lava in den vulkanischen Felsen, wie den Basalten, An- desiten, Trachyten und Phonoliten gehört ganz und gar in die Reihe dieser Erscheinungen. An der Oberfläche eines erstarrten Lavastromes herrscht die glasige Materie vor, welche große und kleine Kristalle von Feldspat, Leuzit, Augit usw. um- schließt. In größerer Tiefe, dort, wo die Erstarrung langsamer vor sich gegangen ist, ist das Glas seltener und die Kristalle häufiger und auch größer als in den Oberflächenschichten. Die Kristalle sind, wie Fouque und Michel Levy ') experimentell gezeigt haben, erst nach Festwerden der Lava und zwar infolge ihres langsamen Erkaltens entstanden. Hält man nämlich eine geschmolzene amorphe Masse von entsprechender chemischer Zusammen- setzung genügend lange auf einer nur wenig unter- halb des Schmelzpunktes liegenden Temperatur, so verwandelt sie sich in eine Art Lava, welche nach dem Erkalten eine Menge kleiner Kristalle, hauptsächlich solche von Feldspat, Leucit und Augit enthält und die eigenartige Struktur der vulkanischen Felsen besitzt. Wenn wir von vulkanischen Felsen sprechen, so beschränken wir uns nicht auf die der modernen und tertiären Eruptionen, sondern meinen auch ihre älteren Brüder (Porphyre, L^iabase, Mela- phyre usw.), deren Grundmasse porzellanartiges, also kristallinisches, von unvollkommener Ent- glasung einer ursprünglich amorphen Masse her- rührendes Aussehen hat. Aus den vorstehenden Betrachtungen ergibt sich, daß die mineralische Substanz, wenn sie auch in amorphem oder kolloidalem Zustande auftreten kann, doch in allen Fällen über eine globulare Zwischenphase in kristallinische Form überzugehen strebt. Ist dieser Übergang einmal vollzogen, so tritt spontane Rückverwandlung in die vorher- gehenden Zustände , den globularen und den amorphen, nicht ein, und damit ist bewiesen, daß die kristallinische Struktur dem liöchsten mole- kularen Gleichgewicht entspricht und der Mineral - weit als wesentliche Eigenschaft zukommt. III. Nicht immer erreicht die mineralische Substanz den Gleichgewichtszustand durch einfache Kristalli- sation. In einigen Fällen ist es erwiesen, für andere wahrscheinlich gemacht, daß sie vor An- nahme der definitiven I'orm zwei oder mehrere, ver- schiedenen Kristallsystemen entsprechende Phasen durchläuft, d. h., daß sie ihr molekulares Gefüge ein oder mehrmals umbaut. Darum bedeutet Polymorphismus für uns eine Reihe von Umformungsstadien, die die Substanz vor Erlangung der definitiven Gleichgewichtslage durchmacht. Zum Beweise dieser Vorstellung wollen wir einige Beispiele anführen. So hat Mitscherlich, von dem bekanntlich die erste genauere Vorstellung des Heteromorphismus herrührt, die Eigenschaft des Schwefels entdeckt, aus dem Schmelzflusse in monoklinen Formen zu erstarren, während dieses Element in der Natur und auch beim Verdunsten seiner Lösungen im Schwefelkohlenstoff oder bei der Sublimation in ') Lehrbuch der l'clrographic, Bonn, 1866. ') ProdiK'tion artificielle d'une Icucolcphrite, etc. (CR. 18S0, XC, Nr. 12). N. F. VI. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 343 rhombischen Kristallen auftritt. Diese rhombische Form entspriclit wegen ihrer höheren Symmetrie dem Zustande des Schwefels in der Natur, und aus demselben Grunde wandeln sich, wie Barilari gezeigt hat, die monoklinen Formen in rhombische um. Dieser F'orscher erhielt nämlich beim Ver- dunsten einer Mischung von Alkohol und Schwefel- ammonium monokline Kristalle, welche bald ihre Durchsichtigkeit verloren, indem sie in rhombische übergingen. Bezeichnende Beispiele liegen bei den Sulfiden vor. Das in der Blende reguläre Schwefelzink zeigt im VVurtzit hexagonale F'ormen; künstlich hat man einen der Blende vollkommen analogen Körper von derselben Dichtigkeit, jedoch äußerlich von hcxagonaler F^orm erhalten. F2s scheint also, daß das Ziiiksulfid bald schnell bald langsam eine hexagonale Phase durchläuft, um schließlich den höchsten Grad der Symmetrie, der seinen defini- tiven Kristallen möglich ist, zu erreichen. Hin- gegen hat man das Kupfersulfür CunS, welches in natürlichem Zustande nur rhombisch als Chalkosin bekannt ist, künstlich aber auch regulär erhalten worden ist, in regulären Kristallen in der Natur noch nicht aufgefunden. Ferner existieren in der Natur zwei Substanzen von der Zusammensetzung des Schwefelsilbers, der rhombische Akanthit und der reguläre Argentit, aber dieser ist so häufig, wie jener selten ist. Einen der am längsten bekannten Fälle von Dimorphismus zeigt das Calciumkarbonat, und doch sind wir noch weit davon entfernt, alle Be- dingungen zu kennen, welche seine — rhombische oder hexagonale — Kristallform bestimmen. Die hexagonale Form entspricht vermutlich der defi- nitiven Phase, denn die Menge des Calcits ist außer- ordentlich viel größer als die des Aragonits. Jeden- falls setzt das Calciumkarbonat durch diesen Dimorphismus die Reihe der hexagonalrhom- boedrischen mit derjenigen der rhombischen Kar- bonate, beide von der Formel R"C03, in Beziehung. Gewisse Gründe sprechen dafür, daß jene Kar- bonate, welche bis jetzt nur in rhombischer Form bekannt sind, auch im hexagonalen System kri- stallisieren und die anderen, nur rhomboedrisch bekannten auch dem Aragonit analoge F"ormen annehmen können. Naumann führt den Plumbo- calcit, eine Mischung von CaCO.; und PbCO., an; dieses Mineral kristallisiert wie der Kalkspat, woraus man schließen darf, daß vom Bleikarkonat auch rhomboedrische Formen möglich sind. Schließlich ist es eine wohlbekannte Tatsache, daß manche Kalkspäte auch SrCO^ und BaCO., enthalten. Der Quarz, den man bis vor verhältnismäßig kurzer Zeit nur hexagonal kannte, kommt, wenn auch nur unter Ausnahmebedingungen, rhombisch als Tridymit vor, eine Modifikation, die G. Rose durch starkes Glühen des normalen Quarzes künst- lich dargestellt hat. Das rhombische Kaliumsulfat wird, wie Mallard nachgewiesen hat, bei 650" hexagonal. Interesse bietet auch der Dimorphismus des Magnesium- sulfates MgS04 -)- 7^-20; in natürlichem Zustande als F^psomit ist es rhombisch, läßt man es aber aus seiner gesättigten Lösung kristallisieren, so ist es monoklin ; jedoch verändern sich die monoklinen Kristalle schnell unter Bildung der beständigen rhombischen Form. Diese Tatsache ist wichtig, weil die Sulfate des Eisens und des Kobalts, welche dieselbe Konstitution wie das des Magnesiums und ebenfalls 7 Moleküle Wasser haben, mit den künst- lichen monoklinen Kristallen des letztgenannten isomorph sind. Daraus ergibt sich, daß das Magnesiumsulfat den Übergang zwischen den analog zusammengesetzten Salzreihen, der rhom- bischen und der monoklinen, vermittelt. Ebenso erscheint die Substanz F^eSO, + jH^O gewöhnlich monoklin als Melantcrit, findet sich aber auch, nach Volgcr, an der Windgälle in schönen Kri- stallen, die denjenigen des Epsomits entsprechen, vor; sie heißt dann Tauriscit. Der trikline Disthen verwandelt sich in den rhombischen Andalusit ') (beide sind Aluminium- silikate von gleicher Zusammensetzung), und in analoger Weise geht das monokline Wismutsilikat in den regulären Flulytin über. Wir wollen die Zahl der Beispiele für Di- und Polymorphismus, welche bei den Mineralien und noch viel mehr bei den künstlich dargestellten Substanzen bekannt sind, hier nicht vermehren, denn unser Thema behandelt nicht den Polymor- phismus, sondern die Entwicklung der Form in der Richtung zur Stabilität. Aber wir wollen doch daran erinnern, daß die Auffindung so vieler durch optische Untersuchungen bestätigter Fälle zu der Annahme führt, daß das, was man früher für Aus- nahmen hielt, im Gegenteil allgemeine Regel ist. Wenn sich bisher viele Spezies nur in einer kri- stallinischen Form gefunden haben, so liegt es zweifellos daran, daß diese Form der stabilsten Gleichgewichtslage der Moleküle entspricht und die vorhergehenden Übergangsphasen des mole- kularen Baus rasch verschwunden sind. Die Tatsache der Kristallisation und des Über- ganges von einem Kristallsystem zum anderen ist Äußerung eines und desselben Strebens, des Strebens zum Gleichgewicht im Kristallnetz. Jedoch können sich die Kristallindividuen durch Ver- wachsung oder Zwillingsbildung zu einer noch größeren Symmetrie ordnen, durch die sie den höheren Systemen entsprechende Charaktere er- werben.-) So die bemerkenswerten Leucitkristalle, der Mikroklin, verschiedene Zeolithe und andere Spezies, welche Gegenstand interessanter Unter- suchungen in dieser Hinsicht geworden sind.'') ') Beruht wohl auf einem Irrtum. D. L'. ') Lapparent: Cours de Mineralogie, 3. Aufl. Paris 189g P. 319- ') Das beachtenswerteste Beispiel bildet der Harmoton. Seine nach Groth monoklinen Kristalle gruppieren sich zu Gefügen von rhombischem .Nnstrich, und diese treten weiter zu vierfach verzwillingten, pseudoquadratischen Gruppen zu- sammen, so daß schließlich ein in den drei Richtungen des Raumes vollkommen symmetrisches System mit drei aufein- ander rechtwinkligen .Achsen entsteht. 344 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 22 Der Aragonit kommt bekanntUch nur sehr selten in Einzelkristallen vor, gewöhnlich tritt er zu Gruppen zusammen, die einen hexagonalen, [in Aragon ,, Türmchen" (torrecita) genannten! Kom- plex bilden und in denen die Einzelindividuen vollkommen verschwunden sind, so daß das Ganze ebene Flächen aufweist. Noch beachtenswerter sind die Fälle von mine- ralischer Symbiose, in denen zwei verschiedene Spezies eng zusammentreten, um einen höher symmetrischen oder wenigstens beständigeren Komplex zu bilden. So sind z. B. im Pseudo- leucit von Williams ') Orthit und Nephelin zu einem homogenen Ganzen zusammengetreten. Die Wachstumserscheinungen bei den Kristallen sind ebenfalls nichts anderes als eine Äußerung des Gesetzes vom Streben zur Stabilität. Schon seit langem ist bekannt, daß verstümmelte Salzkristallc in einer Lösung, die ihre Komponenten enthält, wieder zu vollständigen Kristallen ausgebessert werden. Ebenso verwandeln sich gewisse klastische in kristallinische Aggregate: der Quarzsand wird zu Ouarzit; kompakte Mineralien oder ihre Ge- mische, z. B. vom Steinsalz oder Gips, werden grobkristallinisch, wie sie in älteren Lagern er- scheinen. Alle diese Erscheinungen von Systemwechsel, von mimetischer Gruppierung zu höherer Sym- metrie, von Symbiose und Wachstum der Kristalle sind, wie Lapparent bei der Besprechung der Zwillingsbildungen gesagt hat, Beweise für das Streben der Materie „zum höchstmöglichen Grade der Symmetrie." Wenn dieser Forscher auch nur einen Teil unseres Problems bespricht, so kommt er doch zu dem Schlüsse, daß die Ursache dieses Strebens in dem Schutz gegen äußere, zerstörende Einflüsse zu suchen ist, denn wenn in dem Ge- bäude des Kristalls Richtungen existieren, welche von denjenigen der anderen merklich verschieden sind, so werden auch leichter angreifbare Teile vorhanden sein. Im Raumnetz des Würfels aber sind die drei Dimensionen gleichwertig. Be- merkenswert ist in dieser Hinsicht der Diamant, in dem sich durch die Krümmung der Flächen die regelmäßige Form soweit als möglich der Kugel nähert und dadurch eine um so größere Widerstandsfähigkeit erlangt. IV. Schließlich müssen wir noch zeigen, daß die Mineralien sich in der Art entwickeln können, daß sie sich in andere von größerer Beständigkeit und im allgemeinen von einfacherem Bau ver- wandeln, von denen sie sich nicht nur durch ihr Kristallsystem, sondern auch durch andere Attri- bute unterscheiden. Derartige Veränderungen sind von komplizierterem Charakter als die bisher be- sprochenen, denn sie betreffen gleichzeitig die molekulare Gruppierung und auch die chemische Konstitution. Die Aufklärung dieser Fragen wird durch die Bestimmung des Anteils, den die Verwittrungs- prozesse an der allgemeinen Veränderung haben, erschwert, da es sich für uns nur um die der Substanz des Minerals selbst innewohnende Ent- wicklung handelt. Allerdings kennen wir bisher nur wenige Beispiele, aber es ist zu hoffen, daß sich ihre Zahl mit den Fortschritten der geolo- gischen Mineralogie vermehren wird.'} Die in den Felsen, besonders in solchen von vulkanischem L'rsprunge, vorherrschenden Doppel- silikate bilden den besten und wichtigsten Beweis für derartige Umformungen. Das anfangs in den genannten Felsen vorhandene Ferromagnesium- silikat ist die Hornblende; von ihr leiten sich durch Umwandlung der Biotit und der Augit ab, während gleichzeitig Magnetit entsteht. Die landläufige Theorie zur Erklärung der Veränderungen in den vulkanischen Preisen ist die von Zirkel aufgestellte Theorie von der „kaustischen Wirkung des Magmas" auf Hornblende und Biotit.-) Sie nimmt an, daß die bereits gebildeten Kristalle im Schmelzfluß von dem umhüllenden Magma resorbiert und gelöst werden und sich dann in Form von einzelnen Augitkristallen wieder ab- scheiden. Was den Magnetit anbelangt, so meinen einige Petrographen, daß er gelöst bleibt und sich erst später abscheidet, andere, daß er kristallisiert, wenn der Augit sich gebildet hat. Die Entstehung des Augits der vulkanischen Felsen aus der Hornblende läßt sich gelegentlich in den Präparaten Schritt für Schritt verfolgen ; man sieht nämlich, daß die Umwandlung von außen nach innen fortschreitet. Diese Erscheinung be- obachtet man in der Regel in den basischen, sehr viel seltener in den sauren Gesteinen. Trotz dieser Gründe hat Washington ■') die Theorie Zirkels durch eine andere zu ersetzen ge- sucht. Sie gründet sich auf die Bedingungen, die in dem vulkanischen Magma herrschen, wenn es langsam erkaltet und der Druck nachläßt. Der genannte Forscher macht nämlich darauf aufmerk- sam, daß die Hornblende und der Biotit in ihrer Molekularstruktur viel komplizierter gebaut sind als der Pyroxen, so daß deren Bildung den Ein- fluß eines hohen Druckes auf das feurige Magma und vermutlich auch, wie andere Petrographen gezeigt haben , die Wirkung gewisser, mineral- ') Gcol. Suro. Arkansas, iSgo, II, 26 ') Für das Phänomen, mit dem wir uns hier befassen, existiert keine besondere Hezeichnung. Waslüngton spricht von Veränderung im Sinne von magmatischer Veränderung und Resorption, wenn die Vorgänge sicli im Schöße eines Fels- magmas abspielen. Dieses Wort drückt aber die Idee einer physikalisch-chemischen, von der Einwirkung äußerer Materie unabhängigen, ohne Hinzu- und Wegführung von Substanz vor sich gehenden Veränderung im molekularen Bau der Mine- ralien nicht aus. Da indes die Naturwissenschaften an be- sonderen Ausdrücken schon so reich sind, wollen wir, um keine neue Bezeichnung zu schaffen, hier einfach von Ent- wicklung (Evolution) reden. '^) Mikroskop. Petrogr. U.S. G. Expl., 40 th parallel, 95, 1876. ') The magmatic altcrat. of hornblende and biotite. (The Journ. of Geol., IV, num. 3. Cliicago, 1896.) N. F. VI. Nr. 22 NaUirwissen.schaftliche Wochenschrift. 345 bildender Katalysatoren (Ag^ents niineralisateurs) voraussetzt.') Dies sind die während der ersten Periode in den Tiefen der Krde herrschenden Be- dingungen. Gelangt nun das Magma in die Nähe der Erdoberfläche, so läßt der Druck schnell nach, und die Temperatur sinkt ebenfalls, wenn auch langsamer, bis ein Moment kommt, wo die Horn- blende nicht länger beständig ist. Dann beginnt eine molekulare Umwälzung, indem die physi- kalisch und chemisch homogene Masse sich in ein körniges-heterogenes Gemenge von Augit und Magnetit verwandelt. In letzter Linie beruhen beide Theorien auf der Unbeständigkeit der Hornblende und des Bintits, einer Unbeständigkeit, die schon vor langem von anderer Seite experimentell erwiesen worden ist, indem geschmolzene Hornblende beim Er- kalten zu Augit erstarrt und dieser sich nicht wieder in Hornblende zurückverwandelt. Im Granit und Gneis ist der l'yroxen viel seltener als in den vulkanischen Gesteinen, jedoch kennt man pyroxenhaltigen Gneis mit wirklichem Augit, eläolithische Syenite mit Akmit und Agirin, augitische Diorite und besonders Ophite, wie sie in Andalusien eine so große Bedeutung gewonnen haben, ohne von den Augit-Porphyren, Diabasen, Gabbros und Melaphyren zu sprechen, welche ja als echte Gesteine vulkanischer Entstehung anzu- sehen sind. Der Ursprung der Pyroxene aller dieser verschiedenen Felsen ist sehr wahrschein- lich in der Hornblende zu suchen, und wenn diese Ansicht auch noch nicht vollständig bewiesen ist, so spricht doch der Gehalt derselben vulkanischen Felsen an Augit, welcher sich offenbar erst nach Erstarren der Lava ausgebildet hat, sehr zu ihren Gunsten. Die Umwandlung der Hornblende in Glimmer ist in den Amphiboliten häufig. Der Amphibol im Gneis der Tauern ist unter Beibehaltung seiner eigenen Form vollständig in Biotit verwandelt, während F"eldspat und Quarz unverändert ge- blieben sind, woraus sich ergibt, daß es sich um eine Entwicklungserscheinung und nicht um Ver- änderung durch äußere Einflüsse handelt. Ähn- lichen Umwandlungen verdanken die Kristalle von Quarz, Adular, Glimmer, Albit, Epidot, Chlorit, Apatit und verschiedene andere Mineralien, welche die Hohlräume der alten kristallinischen Felsen ausfüllen und als Produkt seitlicher Ausscheidung (L,ateraIsekretion) betrachtet werden, ihren Ursprung. Man nimmt an, daß die Ursache für diese Bil- dungen noch heute unter den Bedingungen, unter denen der scheinbar tote Fels lebt, vorhanden ist, so daß also die erforderliche Energie in der Sub- stanz der Mineralien selbst ihren (irund hat. V. Die Wichtigkeit der hier nur oberflächlich ge- streiften Fragen für das große Problem der Ent- wicklung der Mineralien ist oft'enbar. Sterry Hunt') sagt, daß die anorganischen Spezies sich in dem Maße, wie sie in ihrer Ent- wicklung fortschreiten, in andere, beständigere verwandeln. Indem er sich mit Vorliebe auf die Erscheinungen bei den wichtigsten petrographischen Mineralien und ihre Beziehungen zu ihrer Um- gebung und die Veränderung stützt, die sie im Schöße der Erde durch heißes Wasser und andere Agcntien erleiden, hat er in der chemischen Geologie die Hypothese begründet, nach der zwischen der Entwicklung der Mineralien und der astronomischen und biologischen Entwicklung Parallelismus besteht. Die Spezies der anorganischen Welt sind einer wirklichen Zuchtwahl unterworfen, durch die die beständigsten, deren Unveränder- lichkeit im allgemeinen auf der mechanischen Härte oder Festigkeit der Substanz beruht, übrig bleiben. Und da die Kondensation umgekehrt proportional dem sog. Atomvolumen ist, so drückt eine einfache Formel den Zusammenhang zwischen der Kondensation und dem Grade der Unver- änderlichkeit besonders bei den Silikaten und Oxyden aus. Tschermak -j weist hauptsächlich auf die Pseudomorphosen als auf eine Bestätigung der Unbeständigkeit der Mineralwelt und auf die Ent- stellung der einen und den Untergang der anderen Arten hin, welche eine ununterbrochene Erneue- rung im Laufe der Zeit und die Entstehung der gewöhnlichen Varietäten bewirken. „Die fort- dauernde Zunahme der Mannigfaltigkeit kann als Entwicklung des Mineralreiches bezeichnet werden." Von diesem Gesichtspunkte aus und in be- stimmterer Form bei Sterry Hunt wird die Ur- sache für die Umwandlung der mineralischen Sub- stanzen in Beziehung zu den aufeinanderfolgenden Altern des Planeten gesetzt, dessen innere und äußere Kräfte die angeführten Veränderungen be- wirken. Bei der Besprechung des Phänomens der Zwillingsbildungen findet Lapparent '') seinerseits, daß sie einem Gleichgewichtsprinzipe folgen. Der Zwilling nimmt durch die bloße Tatsache des Zusammentretens seiner Komponenten scheinbar eine Symmetrie höherer Ordnung an, als dem Netz der Bestandteile und damit dem Molekül ent- spricht. Daher sind die Zwillinge die Wirkung eines beständigen ,,Strebens der kristallisierten Materie zum höchstmöglichen Grade der Sym- metrie". Dieses Streben bildet ein Mittel zur Er- haltung, und darum ist es überhaupt vorhanden. ,,Es sichert dem Kristallbau den höchsten Grad der Beständigkeit; es ist also eine einfache Folge des großen und fruchtbaren Prinzips vom kleinsten Zwange, das die gesamte Naturwissenschaft zu beherrschen scheint." Wie man sieht, kann die Entwicklung der ') Michel Levy ; Structure des roches eruptives, Paris, 1889 — 90. ') Miner. Physiol. and l'liysiogr., 2. Aufl., New- York, 1891,1). 688. -) Tschermak, Lelirbucli der Mineralogie, V. Aufl., 1S97, p. 290. •') Loc. cit. 346 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 22 Mineralien ihre Ursache sowohl in der allgemeinen Tätigkeit des Planeten haben, als auch in dem der Substanz innewohnenden Streben zum mole- kularen Gleichgewicht. Sicherlich besteht zwischen diesen Vorgängen kein Widersiiruch. Sie sind im Gegenteil der Ausdruck eines und desselben all- gemeinen Gesetzes und bestätigen somit den Schluß, zu dem ich schon vor vielen Jahren ge- langt bin, ') daß sich nämlich die mineralischen Individuen (die Kristalle) zeitweilig dem geolo- gischen Einflüsse ihrer Umgebung durch das Streben ihrer Moleküle zum Gleichgewicht, unter Bildung widerstandsfähiger Formen, entziehen können — eine Entwicklung des Individuums inner- halb der Gesamtentwicklung des Planeten. ') Calder6n : La evoluciün terrestre. Hist. Nat., Bd. X, 1881). (Anal. Soc. Esp. de Kleinere Mitteilungen. Die Beziehungen zwischen Intelligenz und körperlichen Merkmalen. — Prof. K. Pearso n veröffentlicht in „Biometrika" (Bd. 5, Heft 1 — 2, S. 105 — 146) weitere Ergebnisse der an mehr als fünftausend englischen Schulkindern vorgenom- menen Beobachtungen und Messungen,') die hier Erwähnung verdienen, da sie viel umstrittene Prob- leme betreffen. Auf Grund der Hypothese, daß die Intelligenz in enger Wechselbeziehung sowohl zum Hirngewicht als zur Kopfgröße und Kopf- form steht,'-) könnte man voraussetzen, daß das Wachstum, welches die physischen Charaktere be- trächtlich modifiziert, die geistigen P"ähigkeiten beeinflußt. Es erschien Pearson deshalb wichtig, die etwa in den einzelnen Altersstufen hervor- tretenden Verschiedenheiten der Intelligenz zu er- mitteln, wobei er die Kinder ihrer Befähigung entsprechend in sechs Klassen gruppiert : sehr verständige, verständige, wenig verständige, schwer begreifende, sehr schwer begreifende und unver- ständige. — Das mittlere Alter beträgt bei den sehr verständigen Knaben zwölf Jahre, bei den übrigen fünf Intelligenzgraden ist es um etwa ein halbes Jahr höher, ohne daß zwischen ihnen ein nennenswerter Unterschied bestünde. Das geringere Alter der sehr verständigen Knaben sieht Pearson als eine Folge davon an, daß aufgeweckte Kinder frühzeitiger in die Schule geschickt werden als träge. Von den Mädchen weisen die drei schwach befähigten Klassen ein höheres mittleres .\lter auf (13 — 13^/4 Jahre) als die besser befähigten (12 \,, bis 12-/3 Jahre). Der Unterschied zwischen Kna- ben und Mädchen ist wahrscheinlich der Tatsache zuzuschreiben, daß die Mädchen mit dem 13. — IS- Jahr in eine Lebensperiode eintreten, in welcher die an sie gestellten physischen Anforderungen häufig zu einer zeitweisen intellektuellen Trägheit führen. Das Alter der befähigten Gruppen beider Geschlechter ist mehr variabel als das der wenig und unbefähigten. Knaben wie Mädchen zeigen größere intellektuelle Fähigkeit in der Kindheit, die sich zwischen dem 8. und 9. Lebensjahr ver- mindert, um vom 10. — II. Jahre wieder stärker hervorzutreten; vor der Geschlechtsreife und bis zum 17. Jahre ist abermals eine Herabminderung und hierauf ein ununterbrochenes Steigen der In- telligenz zu merken. Die Differenzen sind jedoch im Vergleiche zur gesamten geistigen Ausrüstung des Durchschnittsindividiums so gering, daß ihnen nicht viel Gewicht beigelegt werden darf. Die Kopfmaße der Schulkinder wurden auf ein Normalalter von 12 Jahren reduziert, um die voll- ständige Vergleichbarkeit zu ermöglichen. Im all- gemeinen nimmt die Intelligenz mit der Kopf- größe zu; die Variabilität ist aber so groß, daß bei etwa einem Viertel der nichtbefähigten Indi- viduen die Kopfgröße den Durchschnitt der .sehr verständigen übertrifft, während von diesen etwa ein Viertel hinter dem Durchschnitt für die niedrigsten Intelligenzgrade zurückbleibt. Die V'ariabilität der Kopfmaße ist bei den meisibe- fähigten Kindern am geringsten. Als auffallend muß hervorgehoben werden, daß bei den Knaben ein geringer Längen-Breitenindex des Kopfes höherer Intelligenz entspricht, wogegen bei den Mädchen ein Zusammentreffen höherer Indices mit höherer Intelligenz zu beobachten war. Die fol- gende Tabelle faßt das Ergebnis Pearsons zu- sammen. ') Vgl. „Erblichkeit geist. u. mor.il, Kigenscliaften". Naturw. Wochenschr. 1905, Nr. 28. ') Vgl. ,, Bezieh, d. Kopfumf. usw." ; Naturw. Wochenschr. 1906, Nr. 5. — „Beitr. z. Anthrop. Nord- und Mitteleuropas" ; Naturw. Wochensch. 1906, Nr. 21. — „Gehirn und Kultur"; Naturw. Wochenschr. 1907, Nr. 4. IntcUigenz- erad Kopfbreite mm (Mittel) Kopfindex (Mittel) a) Kn aben : iS5,45 146,40 78,96 184,70 145,39 78,92 184,67 145,31 78,83 183.93 144,45 78,68 182,25 144,23 79,12 180,19 143,36 79,48 b) Mädch en: i8o;83 140,97 78,50 180,35 140,86 78,43 179,89 140,85 78,57 179,87 140,19 78,46 178,61 138,72 77,74 J78,57 136,55 76,96 N. F. VI. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 347 Auch hier sind die Dilferciizen , die sich in bezug auf Größe und Gestalt des Kojifes bei den einzelnen Intelligenzgraden herausstellen, unbe- deutend. Im weiteren werden die Beziehungen zwischen Kör]) er kraft und geistiger Fähigkeit untersucht. Von der Gesamtzahl der Knaben waren 37,7 "/„ kräftig, 43,2",, normal gesund und 17,1 " ,, schwäch- lich. Unter den sehr verständigen Knaben betrug der Prozentsatz der Kräftigen 38,8, bei den folgen- den Intelligenzgraden 42,3, 41,2 und 35, bei den zwei untersten Graden (zusammengefaßt) jedoch nur 30,8, dafür sind hier die Schwächlichen mit 27,4" ji \'ertreten, gegen 16,8",,, bei den sehr ver- ständigen und 13 " u bei den verständigen Kindern. Bei den Mädchen entspricht dem luichsten In- telligenzgrade auch die größte Zahl der körperlich kräftigen Individuen. Die Farbe der Augen war bei 38,6 "/„ der Knaben hell, bei 39,8 "/o mittelfarben und bei 2i,6"„ dunkel. Am bemerkenswertesten ist, daß die beiden untersten Intelligenzgrade die meisten hellen und eine ziemlich weit unter dem Durch- schnitt bleibende Proportion mittelfarbener Augen aufweisen (42,7 und 34,7 ",„), während die Häufig- keit der dunklen Augen dem Durchschnitt bei- läufig gleichkommt (22,6 "'g). Im übrigen waren keinerlei regelmäßige Beziehungen zwischen Augen- farbe und Intelligenz zu beobachten. Blondes Haar ist bei den sehr verständigen Kindern am öftesten angetroffen worden (39,5 % der Knaben und 39"/,, der Mädchen); in den bei- den untersten Intelligenzgraden weisen wohl die Knaben die geringste relative Zahl Blonder auf (31,4 "„), die Mädchen aber eine höhere Zahl als in jedem der Intelligenzgrade 2 — 4. Der größte Prozentsatz Dunkelhaariger fällt in keinem Fall mit der geringsten Intelligenz zusammen. In bezug auf die Verschiedenheit der Intelligenz der Kinder nach ihrem Temperament ergibt sich die folgende Gegenüberstellung; es waren von je hundert: a.) 21,1 20,6 19,3 12,4 14.9 '5.4 Knaben : 74.4 4.5 71.9 7.S 67,8 12,9 68,6 19,0 55.7 29,4 49.9 39.7 b) Mädchen: 1 : . . . . 24,0 2 : . . . . 20,3 3: . . . . 15,6 4: . . . . 14,1 5 : . . . . 10,9 6: . . . . 12,7 Freilich kommt Lehrer, welche die 68,2 68,8 69,7 64,2 57.3 54,'S dabei in Angaben Betracht, lieferten, 7,8 10,9 14.7 21,7 32.8 32.5 daß die in ihrem Urteil nicht selten gerade durch das Temperament der Kinder bei deren Einteilung in Intelligenz- klassen beeinflußt wurden. Doch kann kaum be- zweifelt werden, daß mit dem lebhafteren Tem- perament häufig eine größere Intelligenz gepaart ist, als mit dem mürrischen. Das Selbstbewußt- sein ist namentlich bei den intelligenten Knaben stärker ausgeprägt als bei den übrigen. I'^ür die Mädchen war eine solche Regel nicht festzustellen. Fehlinger. II. v. Ihering, Die Cecropien und ihre Schutzameisen. (h.ngler's Botan. Jahrbücher, Bd. 39, Heft 4 u. 5, 1906.) — Die Arbeiten von Fritz Müller und von Schimper haben die Symbiose zwischen den Cecropien und ihren Schutzameisen, den Aztecas, nur ungenügend klar gelegt. H. v. I. stellte sich daher die Aufgabe, diese Lücke auszufüllen. Seine Beobachtungen wurden in der Umgebung von Säo Paulo und bei Rio de Janeiro ausgeführt. 1. Botan. Vorbemerkungen. Die ge- wöhnliche ameisenführende Cecropienart von Süd- Brasilien ist Cecropia adenopus Martius. Aus- gewachsen erreicht sie eine Höhe von 12 — 15 m, hat aber einen relativ dünnen Stamm. Altere Stämme weisen in der Nähe der Mitte eine Gallenbildung auf, die durch das Nest der Aztecas verursacht wird. An der Basis der Blattstiele findet sich das sog. Trichilium, ein schildförmiges Polster aus kurzen, steifen, braunen Haaren. Stamm und Blätter erfahren im Laufe des Wachs- tums mancherlei Modifikationen. An jungen Bäumchen ist die Blattunterseite weißgrau, filzig; bei den Blättern älterer Bäume verschwindet der Filz. — Eine zweite im Staate Säo Paulo vor- kommende Cecropienart, C. hololeuca Miq. ent- hält keine Ameisen, dagegen wieder die Sumpf- cecropie, C. lyratiloba Miti. 2. Untersuchungsmethoden. Da die meisten Vorgänge im Leben der Cecropia-Ameisen sich im Innern des Stammes abspielen, erfordert ihr Studium ein Offnen desselben, wobei aber die Ameisen austreten und durch ihre Bisse höchst lästig werden. Daher nahm H. v. I. seine Unter- suchungen im Laboratorium vor und brachte die Sproßstücke mit den Ameisen entweder in Gläser oder tötete die Tiere durch Giftstoffe ab, wo dies zulässig war. Letztere Methode wurde auch für das Aufziehen cecropienfreier Stämmchen ver- wendet. Solche konnten auch erhalten werden, indem junge, ameisenfreie Pflanzen an Orte ver- pflanzt wurden, wo Cecropien nicht vorkommen. Um einen guten Einblick in die Lebensweise der Azteca Muelleri Emery, der Bewohnerin von C. adenopus, zu bekommen, muß die biologische Be- obachtung mit den durch Experimente gewonnenen Erfahrungen kombiniert werden. 3. Lebensgeschichte der Azteca Muelleri. Azteca Muelleri findet sich fast immer in den hohlen, von Septen durchsetzten, älteren 348 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 22 Stämmen und Asten der C. adenopus. Ihre Nahrung gewinnt sie teils aus dem die obersten, dicht unter dem Vegetationspuiikt gelegenen Kammern begrenzenden Markparenchym, teils in Form der IVI u e 1 1 e r ' sehen Körperchen, welche als ovale, weiße, i — i Y2 Tini lange Gebilde im Trichilium entstehen. Am oberen Ende der jungen Internodien kann eine kleine, weich bleibende Vertiefung, das Prostoma, beobachtet werden, welche von den Ameisen durchbohrt wird, um die Kommunikation mit der Außenwelt herzustellen. Da die unteren Stomas aber allmählich verwachsen, wird später eine lange, schlitzförmige Öffnung im Stamme angebracht, die in der Nähe des Metro- politannestes liegt. In jungen Stämmchen von 2 — 5 m Höhe bewohnt die Brut eine Reihe oft ziemlich weit auseinander gelegener Kammern, die dann teilweise zum IWetropolitanneste ver- schmelzen. Von Interesse ist die erste Anlage des Nestes. Das junge befruchtete Weibchen bohrt sich nach Abwerfen der Flügel durch das Pro- stoma in eine beliebige Kammer einer jungen Cecropia und verstopft dann die ( )frnung von innen mit klebriger Markmasse. Als Nahrung dient der Königin während ihres Aufenthaltes das IVIarkparenchym und eine Wucherung des Innen- randes des Stomas, das Stomatom. Hat sie die ersten Arbeiter, meist 6 — 8, aufgezogen, so wandert die kleine Kolonie aus und siedelt sich in den obersten Kammern an, wobei es, wenn diese schon besetzt sind, oft zu erbitterten Kämpfen kommt. Die Zahl der Arbeiter eines Hauptnestes wurde in zwei Phallen festgestellt: bei einer 2,92 m hohen Cecropie betrug sie 878, bei einer 3,2 m hohen 1697 nebst einer Königin. Manche andere Insekten, wie z. B. Blattschneiderameisen, werden von den Aztecas sofort angegriffen und vom Baume heruntergeworfen, wenn sie sich heranwagen. Die Cecropien genießen also durch die Aztecas einen gewissen Schutz gegen andere Ameisen, nament- lich Blattschneider. Blattfressende Käfer und deren Larven werden hingegen nicht belästigt. Der Schutz gegenüber den Blattschneidern ist aber nach H. v. I.'s Beobachtungen gar nicht notwendig; denn sowohl junge ameisenfreie Pflanzen, als auch ältere ameisenfreie Bäume sollen niemals von Blattschneidern geschädigt werden. „Die Cecropie bedarf zu ihrem Gedeihen der Azteca-Ameisen so wenig, wie der Hund der Flöhe." Verf will dar- aus Schlüsse auf die Wertlosigkeit der Selektions- theorie ziehen. 4. Das Nest im älteren Stamm. In einem älteren Stamm von 6,5 m Höhe befand sich das Zentralnest in einer Höhlung, die etwa 2,5 m über dem Boden lag und durch Abtragen der inneren Holzschichten erweitert worden war. Es bestand aus graubraunen, biegsamen Lamellen, die teils konzentrisch, teils horizontal lagen und die niederen, untereinander anastomosierenden Kammern ein- schlössen. P2s fanden sich darin Eier, Larven, Nymphen und eine Königin. In den großen Nestern älterer Bäume können während des ganzen Sommers Geschlechtstierc in Menge angetroffen werden. 5. Das Nest im jüngeren Stamm. In jüngeren Stämmen von ca. 3,5 m Länge trifft man die erste Kammer mit Querlamellen für die Brut in einer Höhe von ungefähr 1,5 m. Zwischen den Lamellen liegen Eier, Larven und Nymphen. Die obersten zwölf Kammern enthalten keine Brut- lamellen. 6. Erste Anlage und Metamorphose des Nestes. Die Besiedelung der Cecropien durch die Ameisen erfolgt meist, wenn sie eine Höhe von I — 2 m erreicht haben. Doch scheint dies lokal stark zu variieren, indem oft ganz junge und schwache Pflanzen schon von den Ameisen besetzt werden. Das vom Hochzeitsfluge kommende Weibchen sucht eine geeignete kleine Cecropia- [jflanze auf und beginnt alsbald, nachdem es sich der nun entbehrlichen Mügel entledigt hat, ein Loch durch ein Prostoma zu bohren und in das Innere der Kammer einzuschlüpfen. Wahrschein- lich geschieht dies bei Nacht. Dann verstopft es das Prostoma mit einem Pfropfen klebriger, weißer, von der Innenwand der Kammer abgeschabter Parenchymmasse. Aus den Eiern schlüpfen fuß- lose, unbewegliche Larven, die vom Weibchen mit Speisebrei gefüttert werden. Sobald die ersten -Arbeiter ausgeschlüpft sind, verläßt die ganze Kolonie die Kammer, wobei das inzwischen zu- gewachsene Stoma durch Abtragen des Stomatoins wieder geöffnet wird. Aus den (manchmal bis lo) Vorkolonien eines Stammes geht ein einziges, den oberen Teil der Cecropia bewohnendes Volk mit einer Königin hervor. Wo etwa zwei Köni- ginnen zusammentreffen, setzt es einen Kampf auf Leben und Tod ab. Die Beseitigung der über- zähligen jungen Königinnen der Vorkolonien dürfte indes wahrscheinlich durch die .»Arbeiter ge- schehen. Abgehauene junge Stämmchen mit lebenden Ameisen werden von diesen nicht ver- lassen, sie sterben nach 5 — 10 Tagen mangels Nahrung. Auch bei den Cecropia-Ameisen zeigt sich, daß jede Kolonie ihren spezifischen Geruch hat, an welchem jedes Individuum als P'eind oder Freund erkannt wird. Bringt man nämlich Aztecas eines anderen Baumes auf die Blätter des Baumes einer Kolonie, so werden sie von den angestammten Tieren hinuntergestoßen und fortgejagt. An jungen Stämmchen mit zaiilreichen Primordial-Kolonien ist dagegen das Verhältnis der .^Arbeiter unter- einander kein feindseliges. Durch das Dickenwachstum der Cecropia- stämmchen werden die Stomata sukzessive ver- schlossen, die funktionierenden liegen mehr gegen den Gipfel hin. Dadurch kommen sie aber in weite Entfernung vom Metropolitanneste zu liegen. Es wird daher nun ein Haupteingang in Form einer 2 mm breiten und 3 — 8 cm hohen Spalte in der Nähe des Nestes hergestellt. — Zu er- wähnen ist noch, daß auch etwa außen am Stamm liegende Nester angetroffen werden. Die Arbeiter der jungen Pflanze sind von N. F. VI. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wocliciischrift. 349 schwarzer, diejenigen der älteren von rotbrauner Farbe. Erstere werden als Azteca nigella, letztere als A z t e c a M u e 1 1 c r i bezeichnet. Nigella- Arbeiter finden sich aber nicht nur in den Primor- dialkolouien, sondern werden auch in der Dauer- kolonie noch eine Zeitlang von der Königin er- zeugt. Übergangskoloniecn konnten nicht be- obachtet werden; doch hält H. v. I. die beiden Formen nicht für verschiedene Arten, da in alten Stämmchen stets nur Muelleri-.'\rbeiter, in jungen nur Nigella-Arbeiter angetroffen werden. Die Ur- sachen dieser Erscheinung erblickt 1 1. v. I. im be- deutenden Wechsel der lunährung , dem das Weibchen in verschiedenen Stadien seiner Ent- wicklung unterworfen ist. In der Primordialkolonie ernährt es sich von dem zuckerhaltigen Gewebe des Markes und des Stomatoms, im Metropolitan- nest dagegen hauptsäcJilicii von den eiweiß- und fetthaltigen Müller'schen Körperchen. Merkwürdig ist auch das hohe Alter vieler Nester, die nach vielen Dezennien, wo nicht gar nach Jahrhunderten zählen. Da es kaum wahr- scheinlich erscheint, daß dieselbe Königin 30,50 und mehr Jahre im Neste funktioniere, darf wohl angenommen werden, daß eines der ausgeschwärm- ten jungen Weibchen nach dem Hochzeitsfluge ins Nest zurückkehre und die Stelle der einge- gangenen Königin einnehme. Wenn dies nicht geschieht, geht die ganze Kolonie zugrunde, wie aus denjenigen Fällen hervorgeht, wo das Nest von anderen Ameisen eingenommen war. 7. Die Müller'schen Körperchen. Sie sprossen zwischen den Haaren des Trichiliums hervor und werden von den Ameisen gesammelt und in den Bau getragen. Offenbar dienen sie zur Ernährung, denn sie werden meist in die Nähe der Brut gebracht, oft auch von den P'indern sofort aufgefressen. Larven, die ein Müller'sches Körper- chen oder einen anderen Nahrungskörper im Munde gehabt hatten, konnten indes nie beob- achtet werden. Sie liegen auch immer steif und unbehilflich im Neste, werden daher wohl nur durch Ätzen seitens der Arbeiter oder Weibchen ernährt. Da die junge Königin und ihre Larven während der ganzen Zeit, da sie in den Primor- dialkammern eingeschlossen sind, ohne Müller'sche Körperchen leben müssen und auch beobachtet werden konnte, daß das Brutgeschäft auch bei längerem Mangel (i ' ., Monate) an Müller'schen Körperchen keine Unterbrechung erleidet, so glaubt H. V. L, daß die Ameisen nicht notwendig auf diese Körperchen angewiesen seien. 8. Die Stomatombildung. Nach der Durchbohrung des Prostomas tritt an seiner Innen- wand eine lebhafte Wucherung des Parenchyms ein, das zu einem rundlichen oder konischen Körper heranwächst, dem Stomatom. Es repräsen- tiert ein wertvolles Nahrungsmittel, das während des Brutgeschäftes bis auf die Wurzel abgekaut wird. Nachdem die Primordialkolonie die Kammer verlassen hat, wächst das Stomatom wieder heran und verschließt die Öffnung. Auch an den Septen der Wohn- und Hrutkammern können Stomatome angetroffen werden, ebenso an anderen Stellen, wo ein Durchbeißen der Kammerwand erfolgt ist. 1 1. V. I. suchte sie auf künstlichem Wege zu er- zeugen, indem er sich sagte, daß offenbar die mechanische Verletzung der Wand und der Ein- fluß des Speichels des beißenden Insekts dabei in Betracht kämen. Bloße Durchbohrungen der Wandung blieben erfolglos, dagegen konnte mit einer Speichellösung (100 Köpfe mit 6 g Leinwasser zerrieben) in einigen Phallen die Bildung eines Stomatoms veranlaßt werden. Noch bessere Resultate wurden erzielt, indem mit einer feinen Messerklinge ein kräftiger Längsschnitt in das Prostoma gemacht oder ein kleines Loch heraus- geschnitten wurde. Eine chemische Untersuchung des Stomatoms ergab, daß dieses hauptsächlich aus einer fettigen, weißen Substanz, ähnlich vege- tabilischem Wachs, und aus mindestens zwei ver- schiedenen Zuckerarten, wahrscheinlich Glukose und Saccharose, zusammengesetzt ist. 9. Verhalten der Aztecas gegen an- dere Insekten. Setzt man eine Blattschneider- ameise (Atta) auf ein Blatt einer von Aztecas be- wohnten Cecropia, so wird sie alsobald von diesen angegriffen und fällt schließlich samt den An- greifern auf den Boden. Ebenso ergeht es an- deren Ameisen, so daß also nicht etwa an eine „besondere Abneigung" der Aztecas gegenüber den Blattschneidern zu denken wäre. Sie wollen einfach, wie andere Ameisen, ihr Nest verteidigen. Gegen ungefährliche Gäste, wie viele Käfer und deren Larven, Schmetterlingsraupcn, das Faultier, Ameisen, die abgestorbene Teile der Pflanze be- wohnen, verhalten sie sich dagegen völlig neutral, auch wenn jene den Baum durch Abnagen der Blätter oder sonstwie schädigen. Es ist indes nicht zu leugnen, daß die Aztecas den Cecropien einen gewissen Schutz angedeihen lassen; aber damit ist nicht erwiesen, daß diese eines solchen Schutzes überhaupt bedürfen. H. v. I. konnte nie Blattschneider oder Spuren ihrer Tätigkeit an Cecropien beobachten. Im allgemeinen werden Blätter, die sonst nicht abgetragen werden, von den Attiden geschnitten, wenn sie welk sind. Verf. konnte eine ameisenfreie Cecropia ganz nahe einem riesigen Neste von Atta sexdens aufziehen, ohne daß sie jemals durch diese beschädigt worden wäre. Wenn trotzdem Schimper und Fritz Müller angeben, gelegentlich ameisenfreie Cecro- pien gesehen zu haben, deren Blätter von Attiden zerfressen waren, so erklärt sich dies dadurch, daß es sich eben um verschiedene Arten von Blattschneidern handelt. Die Immunität einer Pflanze gegenüber den Blattschneidern ist immer nur eine relative. 10. Symbiose und Selektion. Das von verschiedenen Autoren als „Symbiose'' bezeichnete Verhältnis zwischen Cecropien uud Aztecas wurde bekanntlich von Fritz Müller und Schimper als durch natürliche Zuchtwahl entstanden erklärt. Ule wies dann darauf hin, daß die Biologie der 350 Naturwissenschaftliclic Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 22 Aztecas noch zu ungenügend studiert und es nicht erwiesen sei, daß die Attas eine Vorliebe für Cecropienblätter besäßen. H. v. I.'s Resultate tun nun dar, daß eine Schädigung der Cecropien durch die Attiden von Säo Paulo nicht erfolgt. Wie sich die Arten von Sta. Catharina verhaken, wo Fritz Müller und Schimper ihre Beobachtungen angestellt hatten, vermag er allerdings nicht zu sagen. Wenn jene Attiden sich auch anders ver- halten würden, so „können doch derartige Aus- nahmefälle nicht als Grundlage für eine Theorie dienen". Entgegen den Schimper'schen Angaben konnte H. v. I. überhaupt nie eine Verwüstung der Vegetation in der Nähe von Atta-Nestern be- obachten. Die durch Attas entblätterten Ge- wächse treiben rasch neue Blätter und erholen sich schnell. Auch Gräser können geschnitten werden, und zwar konsumieren 183 Attakolonien dieselbe Grasmenge wie eine Kuh. Auch die importierten Gewächse werden bald angegriffen, bald nicht. ,,Es ist daher auch schwer zu glauben, daß die natürliche Zuchtwahl Pflanzen in Menge schaffen könnte, welche resistent oder immun den Blattschneidern gegenüber wären." Es ist zwar nicht zweifelhaft, daß die Trichi- lien und MüUer'schen Körperchen, die sich nur bei älteren Cecropien finden, als eine Anpassung an die Myrmccophilic aufzufassen sind. Es ist dabei aber zu beachten, daß weder der Königin, noch einem Teil der Dauerkolonie Müller'sche Körperchen zur Verfügung stehen. Ihre phylo- genetische Ausbildung bleibt noch dunkel. Die vorliegenden Beobachtungen tun dar, daß die ameisenführenden Cecropien von anderen Tieren geschädigt werden können. Der Vorteil bei dem Zusammenleben liegt also fast ausschließlich auf Seiten der Ameisen. „Geht eine ameisenführende Cecropia ein, so verhungert, resp. stirbt die Azteca- Kolonie, stirbt aber letztere oder bleibt ein Baum von vornherein ameisenfrei, so hat das auf das Gedeihen des Baumes nicht den geringsten lün- fluß." H. V. I. will daher das Verhältnis zwischen Cecropien und Aztecas eher als Parasitismus, denn als echte Symbiose auffassen. Er verwirft die Fritz Müller-Schimper'sche Theorie, der zufolge es sich um ein für beide Teile unentbehrliches Zusammenleben, das auf dem Wege der natür- lichen Zuchtwahl entstanden wäre, handelt. Eine Erklärung des ganzen Verhältnisses kann auf Grund der zurzeit bekannten Tatsachen noch nicht gegeben werden. Ed. Schmid. Über schwefelsäurehaltige, heifse Quellen, die ihren Thermalcharakter menschlicher Bau- tätigkeit verdanken, berichtet Dr. Wagner- Bad Salzbrunn in der Chemiker-Zeitung (06, 1 194). Am Fuße eines 600 m hohen Hügels nahe dem Orte Dittersbach im niederschlesischen Kohlenrevier liegt ein Güterbahnhof, der vor einigen Jahren durch Aufschütten großer Massen von Halden- material bedeutend vergrößert wurde. Quellen, die auf dem Hügel entspringen, sind teils auf künstlichem Wege unter dem Bahndamm hin- durchgeführt, teils bahnen sie sich selbst nach den nahe befindlichen Teichen den Weg. Seit der Vergrößerung des Bahnhofs nun beobachtete man ein Absterben der früher in großer Menge die Teiche bevölkernden Fische und Krebse und sah sich genötigt, dieses Unglück mit dem Er- weiterungsbau in Zusammenhang zu bringen. Aber wie ? Der zur Aufklärung herbeigerufene Dr. Wagner fand zunächst eine Verunreinigung des Teich- wassers durch einen ziemlich hohen Gehalt an Schwefelsäure. Die Wasserläufe verfolgend , ge- langte man bis zum Bahndamm, dem zwei Quellen mit ca. 40 — 50" heißem Wasser entströmten, welches ebenfalls reich an Schwefelsäure war und außerdem viel Eisen enthielt. So war denn die Lösung des Rätsels gefunden: das Haldcn- material, welches zur Herstellung des Bahndammes verwendet worden war, mußte der Übeltäter gewesen sein. Als Schuttgestein hatte nämlich die Kohlen- flöze begleitendes Gestein gedient , sog. Kohlen- sandstein, Schieferton etc., in dem sich vielfach schmale Bänder von Steinkohle vorfinden. Solche eingesprengte Steinkohlenteile neigen gern zur Selbst- entzündung. Auf diese Weise ist z. B. im Walden- burger Revier ein Stollenbrand entstanden, der seit 30 Jahren nicht zum Stillstand gekommen ist. So ist auch jenes Haldenmaterial durch Selbstentzündung in Brand geraten. Die Hitze wirkte zersetzend auf den begleitenden Schwefelkies ein, Luftsauerstoff hat durch das poröse Material von außen ein- dringen können und so sind alle Bedingungen für die Entstehung der Schwefelsäure vorhanden ge- wesen. Bis zur Bildung freier Schwefelsäure kann CS aber nur in beschränktem Maße gekommen sein. Namentlich wird das Wasser die Salze einfach aufgenommen haben, die sich bereits bei der vorher- gegangenen langen Lagerung der Gesteine an der Luft durch Oxydation des Schwefelkieses gebildet hatten : Ferrosulfat und basisches Ferrisulfat. — Der Vorgang hat in der Tat Ähnlichkeit mit der vulkanischen Bildung von Schwefelsäure, die sich z. B. in Amerika an einer Stelle zu 0,1 "/„ frei im Wasser vorfindet. Denkt man sich solche Quellen, im Erdreich versickernd, auf Karbonatgestein auf- treffen, so müssen sie Kohlensäure freimachen, und diese wird entweder in Form von Gas als Mofetten die Oberfläche erreichen oder auch von unterirdischen Wasseradern aufgenommen werden. Letztere können dann leiclit als Mineralquellen zutage treten, denn CO.,- haltiges Wasser vermag, namentlich unter Druck, besonders leicht Mineralien zu lösen. ."Xlin- lich erklärt man sich neuerdings die Entstehung der Mineralquellen. Lb. Himmelserscheinungen im Juni 1907. Stellung der Planeten: Merkur und von Mitte des Mt.in.Us üb auch | u j^ i t c r sind unsichtbar. Venus und Sa- turn sind morgens sichtbar, erstere etwa '4 Stunden lang, letzterer (in den Fischen) anfangs '/j, am Schluß des Monats N. F. VI. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 351 .aber mehr als 2 Stunden Uing. Mars steht im Schützen und kann von tier iMitte iles Monats an die ganze Nacht hindurch heohachlfl werden. Algol-Minima linden statt am l8. um li L'hr 46 Min. M.l''../. al'cnds und am 2 1. um 8 Uhr 3^ Min. aliends. Bücherbesprechungen. Dr. Julius Kollmann, o. ö. Prof. der .\natomie an der l'niversität üascl , Handatlas der Ent- wicklungsgeschichte des Menschen, 2. Teil, embryologia intestinoruin , enibryologia cordis et vasoruni, embryologia cerebri et nervornm, Organa sensuuin, nomina auctorum , index rerum, index auctorum; 429 zum Teil mehrfarbige Ab- bildungen auf Tafeln , mit einem kurzgefa(3ten er- läuternden Texte. Jena 1907, \'eiiag von Gustav Fischer. • — Preis 13 Mk., geb. 15 Mk. Schon nach kurzer Zeit ist dem ersten IJande dieses vurztiglichen Werkes der zweite gefolgt und zwar in derselben klaren, schönen Ausführung, hi wie hohem ^laße das, was über die Embrxologie des Menschen sicher bekannt ist, nicht nur den Mediziner und den angehenden Embryologen , d. i. nicht nur diejenigen, für die der Atlas eigentlich bestimmt ist, sondern auch weitere Kreise, wie sie unter den Lesern der Naturw. Wochenschr. zahlreich vertreten sind , interessieren muß , darauf halte ich schon bei Besprechung des ersten Bandes (Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 6 S. 203 f.) hingewiesen. Dort ist auch Näheres über die .A.usführung des Werkes und die .'\nordiiung des Stoffes gesagt. Was in diesem Bande sich findet, ergibt sich schon aus dem Titel. Beson- ders aufmerksam machen möchte ich nur noch auf die 67 Textseiten, die dem Atlas gleichsam ange- hängt sind, da ein solcher Anhang ähnlichen Werken meist fehlt. Wir finden in diesem Anhange einer- seits ein sehr ausführliches alphabetisches Sachregister und andererseits ein recht ausführliches Literatur- verzeichnis. Das erstere wird, namentlich demjenigen, der sich nicht so speziell dem Gegenstande widmen kann , die Benutzung des Werkes ungemein erleich- tern; (lis letztere bietet demjenigen, der sich ein- gehender mit der menschlichen Flmbryologie be- schäftigen will, die wichtigsten .Anhaltspunkte. Dahl. Dr. Otto Krümmel, o. Prof. d. Geogr. a. d. Univ. in Kiel, Handbuch der Ozeanographie. Bd. L Die räumlichen, chemischen und ]jhysikalischen Verhältnisse des Meeres. .Mit 69 Abb. 2. völlig neubearb. Aufl. des im Jahre 1884 erschienenen Bd. I des Handb. d. üz. von weil. Prof". Dr. Georg v. B o g u s 1 a w s k i (Bibliothek geographischer Handbücher. Begründet von Prof. Dr. I-"ried. Ratzel. Neue F'olge. Heraus- gegeben von l'rof. Dr. Albrecht Penck. J. Engel- horn in Stuttgart, 1907.) — Preis 22 Mk. Die vorliegende schöne, fachmännische Zusammen- stellung unserer Kenntnisse über den genannten Ab- schnitt der Ozeanographie ist sehr wertvoll für jeden Geographen, Geologen und Biontologeii , wie denn immer wieder betont werden muß, daß heutzutage bei der unglaublich zersplitterten und übergroßen Literatur die Veröft'entlichung guter verläßlicher Hand- bücher mit dem größten Dank anzuerkennen ist, wenn sie — wie hier — von trefflichen Kennern geschaffen werden. Wie viel Zeit und Plage sparen solche Bücher nicht demjenigen , der einen Gegen- stand wie z. B. eben die Ozeanographie, die in so vieles hineinspielt, für irgend welche Studien als Orientierung gebraucht, und wie viele Enttäuschungen vor allem dem, der genötigt wäre, dazu die Spezial- literatur vergleichen zu müssen , deren kritische Be- urteilung doch nur dem Fachmann möglich ist. Das Buch zerfällt nach einer allgemeinen Ein- leitung in 3 große Kapitel : 1 . „Die Meeresräume", 2. „Die ozeanischen Bodenablagerungen" und 3. „Das Meerwasser". Von dem reichen Inhalt ließen sich in einem Referat nur durch Berücksichtigung von Einzelheiten Proben geben. Leider ist eine Einheit- lichkeit der Längenmaße auf der Erde nicht durch- geführt, deshalb gibt Krümmel als Anhang sehr zweck- dienliche Tabellen zur Umwandlung von englischen Faden in Meter und umgekehrt, sowie zur Umwand- luntj von Seemeilen in Kilometer. P. Literatur. Köthner, l'riv.-Doz. Dr. P. : Aus der Chemie des Ungreif- baren. Ein Blick in die Werkstätten moderner Forschg. Mit 5 färb. u. 3 schwarzen Taf., sowie 8 Textabbildungen. (147 S.) Osterwieck '07, A. W. Zickfeldt. — Kart. 2 Mk. Meyer's, Lolh., Grundzüge der theoretischen Chemie. 4. Aull. Neu bearb. v. Prof. Dr. E. Rimbach. (.\1, 287 S. m. Fig. u. 1 lith. Taf) gr. 8". Leipzig '07, Breitkopf & Härtel. — 5 Mk., geb. in Halbfrz. 6,50 Mk. Richter, Ingen. Max : Leitfaden der allgemeinen Chemie und der h'.lektrochemie, nebst e. Auswahl slöchiometrischer Auf- gaben f. technische Mittelschulen. (VIII, 112 S. ra. 9 Ab- bildgn.) Lex. 8". Leipzig '07, B. F. Voigt. — 3 Mk., geb. 4 Mk. Schaffer, Dr. Frz. X. : Geologischer Führer f. E.xkursionen im inneralpinen Becken der nächsten Umgebung von Wien. Hierzu II Abbildgn. im Text. (VIII, 127 S.) Berlin '07, Gebr. Piorntraeger. — Geb. in Leinw. 2,40 Mk. Schulz, Prof. Dr. Fr. N. : .Mlgemeine Chemie der Eiweißstoffe. [Aus: „Samml. ehem. u. chemisch-techn. Vorträge".] (84 S.) Lex. 8". Stuttgart '07, F. Enke. — 2,40 Mk. Briefkasten. Herrn H. — WieerklärensichdieNamenBerlinund Köln (an der Spree)? — P.ei der Erklärung des Wortes Berlin dürfte davon auszugehen sein, daß dieses Wort nicht bloß zur Bezeichnung von Städten, sondern auch von Seen und Plätzen gebraucht wird. Es gibt bei Wittstock zwei Seen, welche der große und der kleine Berlin heißen, in Halle zwei Plätze, die diese Namen fuhren (vgl. Dr. Rillisch, Berlin, der Name der deutschen Kaiserstadt S. 8 u. 9). .'\uch wird daher Berlin in alten Urkunden öfters ,,der Berlin" genannt (1392 wird ge- schrieben ,,An die vier Gewerke und die ganze Gemeinheit tu dem Perlin). Ich bin deshalb auf den Gedanken gekommen, daß der Name Berlin mit dem Namen Warbelin oder Werbelin, identisch und aus diesem Namen durcli Metathesis entstanden sein könnte. Bekannt ist ja der VVerbellin-See und das an diesem .See liegende Dorf gleichen Namens und die durch den Sieg des Großen Kurfürsten über die Sciiweden berühmt gewordene Stadt F'ehrbellin, die noch im Jahre 1217 urkund- lich Warbelin heißt. ') Daß nun Werbelin oder Warbelin mit dem wendischen Wort für die Weide (salix) , das wrba heißt (der zwischen w und r liegende Vokal schwankt zwischen a 35- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 22 und e und hat überdies ein leises j vor sich , weshalb das Wort auch oft wjerba oder wjarba geschrieben wird) zusammen- hängt, ist wohl als sicher anzunehmen. Im Alt- Wendischen wird wjerb(o)liny jasor der Weiden-See, wjerblina wass das Weidendorf wjerblino mesto der Weidcnplatz geheißen haben, und wie wir im Deutschen statt Lindendorf oder Lindenau einlach Linden (bei Hannover] und statt Eichenplatz einfach l'jche (in Niederbarnim) oder Eich (Luxemburg und Hessen) und statt Weidendorf Weiden (Bayern) sagen, so ließ wohl auch der Wende jasor (See) wass (Dorf) oder mesto (Platz) fort und brauchte einfach wrblin (wjerblin) (Werbelin), um einen mit Weidenbäumen bepflanzten und umpflanzten Ort (Gau, See, Niederlassung usw.) zu bezeichnen. Daß nun aber aus dem wendischen Wrblin sehr leicht Berlin im deutschen Munde werden konnte, dafür sprechen viele Analogien. Wie aus dem mons Vosegns die Vogesen wurden, so konnte aus dem wrblin das bequemer zu sprechende Berlin werden. Wurde doch aus dem serba (reka) — dem sorbischen Fluß — durch Metathesis Sbr(e)a, unsere Spree. Der Sorbenfluß hieß die Spree, weil das Volk, welches der Deutsche die Wenden nannte und heute noch nennt, sich selbst die Sorben nannte und heute noch nennt. ^) Für diese Ableitung des Namens Berlin aus Wrblin spricht aber auch noch der Umstand, daß das Ländchen Beilin — sein Hauptort ist Fehrbellin , weshalb der Name dieser Stadt auch als ,, Fähre im Lande Beilin" er- klärt worden ist — noch heute seinem Namen Ehre machen würde durch die Fülle seiner Weidenbäume , wenn auch ,,Bellin" nur eine Zurechtmachung des wendischen Wortes wrblin wäre. Endlich sei darauf hingewiesen, daß die heutigen Wenden unsere und ihre Hauptstadt nicht Berlin sondern Bariin nennen. Ist also die Deutung ,, Weiden" richtig, dann träte hier wieder, wie in dem für Fehrbellin bezeugten „War- belin" das a in wrba (wjarba) hervor. Da KöUn, wie wohl jetzt allgemein anerkannt ist, nichts anderes als ,, Pfahlbau" bedeutet, (Kolina heißt noch heute jedes Haus im Spreewald , da es auf Pfählen steht (kol der Pfahl, kolk Pfählchen, Schandpfahl am alten Berliner Rat- hause) so wird Berlin seinen Namen vielleicht schon von den im Spreetal sich in der Urzeit ansiedelnden wendischen Pfahlbauern erhalten haben. Immanuel Hoffmann. ') Bergau, Bau- und Kunstdenkmälcr der Provinz Bran- denburg — Artikel Fehrbellin. 2) Der wendische Titel des Lausitzisch- Wendischen Wörterbuches von Pfuhl lautet Luziski Serbski Slownik. Herrn Prof. Dr. Z. in Potsdam. — In bezug auf das S. 56 der Naturw. Wochenschr. referierte Buch; G. Buschan, Gehirn und Kultur, meinen Sie, daß absolute Gehirngewichte wegen der verschiedenen Körpergrößen der verschiedenen Menschenrassen doch wenig beweisen und fragen, wie man wohl die brauchbarsten Verliältniszahlen gewinnen könne. — — L.Hermann (Lehrbuch der Physiologie, 13. Aufl., Berlin 1905, S. 297) sagt: ,,Das Verhältnis des Gehirns zum Körper kann durch Wägung beider ermittelt werden. Da aber ein Teil des Gehirns etwa der Anzahl der abgehenden Nerven- fasern entsprechen wird, und diese wieder im wesentlichen der Körperoberfläche entsprechen muß, so erscheint es richtiger, das Gehirngewicht mit letzterer zu vergleichen. Annähernd wird man, da die Oberfläche eine quadratische, das Gewicht p eine kubische Funktion der Länge ist, die Oberfläche der Größe p'^ proportional setzen dürfen; em- pirisch hat der I'^xponent den Betrag 0,68 (SneU). Die so erhaltenen Verhällniszahlen lassen das Übergewicht des psy- chischen Hirnanteils beim Menschen viel deutlicher erkennen als die einfachen relativen Gehirngewichte und geben nament- lich auch den kleinen Tieren eine weniger günstige, den großen weniger ungünstige, beiden olfenbar eine richtigere Stelle." — J. Ranke (Der Mensch, 2. Aufl., Lei|)zig 1S94, S. 256) sagt: „Bei der unzweifelhaften Abhängigkeit der Größe des Schädelinnenraumes von der Körpergröße haben die absoluten Kapazitätsbestimraungen der Schädel , ohne Kenntnis der Körpergröße, die zu jedem betreffenden Schädel gehölte, einen nur geringen vergleichend - anthropologischen Wert. ... Es ist längst bekannt und festgestellt, daß einer bestimmten Körpergröße bei den Säugetieren derselben Spezies auch eine bestimmte Massenentwicklung der Zeutralnerven- apparate, namentlich des Rückenmarks, aber auch des Gehirns entspricht. Wenn wir die Gruppe der Säugetiere durch- blicken, so wird uns bei der Verschiedenheit der Ausbildung der Extremitäten aber sofort klar, daß es nicht sowohl die Körperhöhe als die Länge des Rumpfes ist, zu welcher die Längenentwicklung des Rückenmarks , d. h. der nervösen Zentralorgane in direktem Verhältnis steht. Indem man diese Beziehung bei dem Menschen bisher außer acht gelassen hat, bei welchem ja, wie wir oben ausführlich dargelegt haben, die Längenentwicklungen der Extremitäten und damit die Gesamtkörperhöhe individuell und rassenhaft so bedeutende Schwankungen erleiden können, haben bisher die Vergleichun- gen der Schädelkapazität mit der Körpergröße noch eine weitere, relativ große Fehlerbreite in sich. Auch beim Men- schen muß die Entwicklung der nervösen Zentralorgane: Rückenmark und Gehirn, mit der Gesamtrumpflänge einschließlich des Kopfes, verglichen werden. Auf diese Weise ist es dann einerseits möglich, die einzelnen Individuen und Völker trotz der verschieden langen Beine miteinander exakt zu vergleichen. . . . Leider fehlen uns solche Bestim- mungen noch ganz." Dahl. Herrn cand. W. L. in Posen. — Frage I : Der in einer dortigen Kiesgrube gefundene Zahn, von dem Sie eine Zeich- nung einsenden, gehört, wie Sie ganz richtig vermuten, einer ausgestorbenen Rhinoceros-Art an. Es ist einer der mitt- leren Backenzähne aus dem rechten Oberkiefer. Weiteres läßt sich nur durch Vergleichung des Objektes mit den schon veröffentlichten Abbildungen von Rhinozeroszähnen oder noch besser mit den Objekten, nach denen die Abbildungen herge- stellt wurden, feststellen. Ich verweise Sie auf folgende Lite- ratur: E. Beyrich, llhinoccrus leptorhinus im Diluvium der norddeutschen Ebene, in; Zeitschr. d. deutsch, geol. Ges. Bd. 12, 1860, S. 522; II. V. Meyer, Die diluvialen Rhino- ceros-.Arten, in Palaeontographica Bd. II, 1863 — 64, S. 233 — 283 m. 9 Taf. ; T. S t e r z e I , Hhinoceros tichorhinns Cuv. aus dem Diluvium bei Chemnitz, in : 10. Ber. nat. Ges. Chemnitz S. 140 — 43 m. I Taf.; J. F. Brandt, Versuch einer Mono- graphie der tichorhincn Nashörner, in; Mem. Ac. Imp. Sc. St. l'etcrsbourg (7) T. 24, 1877, 135 S. m. II Taf.; J. Kie- s o w , Beiträge zur Kenntnis der Backzähne von Jihinoceros tic/mrliiHtis, in: Sehr, naturf. Ges. Danzig, N. F. Bd. 4, Heft 4, 1880; T. Toula, (jbcrkiefer- Backenzähne von Rlunoceros iichorliiims, in: Verh. geol. Reichsanst., Jahrg. 16, 1882, S. 279. Frage 2 : Ein Buch, nach dem man die Fährten aller einheimischen Säugetiere, den Kot usw. bestimmen könnte, ist mir nicht bekannt. — Für Winterexkursionen wäre ein solches Buch sehr erwünscht. — Ich kenne nur Bücher, welche die Fährten jagdbarer Tiere geben. Dahin gehören vorzüglich die Jagdzoologien und Jägerbücher. Ein Buch, das sich aus- schließlich mit den Fährten jagdbarer Tiere beschäftigt, ist E. V. d. Bosch, ,, Fährten- und Spurenkunde" (2. Aufl., Ber- lin 1886J. — Fährten- Ab d rücke von allen jagdbaren Tieren liefert Ihnen Förster H. Gehricke in Kaiscrwi.ldc bei Reinerz. Vielleicht liefert dieser Ihnen auch die Fährten nicht jagdbarer Tiere. — Die von Ihnen roh skizziert eingesandte Fährte dürfte nicht, wie Sie meinen, von einem Maulwurf herstammen, da der Maulwurf stark erweiterte Vorderfüße hat und dies bei der Fährte zum Ausdruck kommen muß. Es scheint sich um einen kleinen Nager zu handeln. Ihre dritte Frage bitte ich genauer zu formulieren. Dahl. Inhalt: II. Potonie: Kultureinflüsse auf Sumpf und Moor. — Salvador Calder..n; Das Streben zum molekularen Gleichgewicht in der Mincralwelt. — Kleinere Mitteilungen: Prof. K. Fear so n: Die Beziehungen zwischen Intelli- genz und körperlichen Merkmalen. — H. v. Ihering: Die Cecropien und dire Schutzameisen. — Dr. Wagner; Über schwefelsäurehaltige, heiße Quellen, die ihren Thermalcharakter menschlicher Bautätigkeit verdanken. — Himmels- erscheinungen im Juni 1907. — Bücherbesprechungen: Dr. Julius Kollmann: Handatlas der Entwicklungs- geschichte des Menschen. — Dr. < )tto Kriim mel: llandl)uch der Ozeanographie. — Litteratur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur; Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Maturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge VI. Band; der ganzen Reihe XXll. Band. Sonntag, den 9. Juni 1907. Nr. 23. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten , wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespaltene Koloneheile 40 Pfg. Bei gröfleren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- bandlung. [Nachdruck verboten.] Frühlingsvegetation am Gardasee. Von K. Bernau, Halle a. S. Wenn man aus eigener Anschauung eine Vor- stellung von der mediterranen Flora in bezug auf Physiognomie und floristisclie Zusammensetzung erlangen will, so ist es nicht unbedingt nötig. Reisen nach dem äußersten Süden unseres Erd- teiles zu machen, schon die Riviera und sogar das Gebiet der oberitalienischen Seen gewähren davon ein Bild, wenn auch in kleinerem Maßstabe, .allerdings ist es zu diesem Zwecke durchaus nicht gleichgültig, in welcher Jahreszeit man diese Land- schaften aufsucht, wollte man z. B., verleitet durch die Redensart „vom ewigen Frühling Italiens", im Hochsommer oder Herbst sich dorthin begeben, so würde man meist arg enttäuscht sein, denn infolge der langen Dürre erscheint dann die Flora von der Glut der Sonne versengt und die Blätter der Gewächse sind mit so dicken, weißlich-grauen Staubschichten bedeckt, daß von dem ihnen eigen- tümlichen, dunklen, immergrünen Laub nicht viel zu erkennen ist. Wer die Flora in ihrer vollen Schönheit genießen will, der muß Italien im Früh- jahr besuchen , denn auch dort ist der Wechsel der Jahreszeiten noch deutlich zu erkennen und das Frühjahr die Zeit der eigentlichen Blüten- pracht, nur tritt diese Jahreszeit infolge der süd- licheren Lage einige Wochen früher ein als bei uns. Der Gardasee, dessen Frühlingsvegetation hier geschildert werden soll, wird von Deutschland am bequemsten erreicht mit der Brennerbahn. Schon die Fahrt durch die Alpen ist recht interessant und durchaus zu dieser Zeit nicht so schaurig, wie man häufig denkt. Im März und April herrscht im Gebirge oft schon einige Wochen herrliches, sonniges Wetter, der Vorfrühling, dem allerdings später meist noch eine längere rauhe Periode folgt. Während die Gipfel der Berge und die Abhänge noch mit gewaltigen Schneemassen be- deckt sind, ist die Talsohle bereits frei, und die saftig grünen Matten sind geschmückt mit tausen- den von weißen und bläulichen Krokus oder ,, Frühlingszeitlosen", wie sie der Tiroler sehr be- zeichnend im Gegensatz zur Herbstzeitlose nennt. Die Ufer der wildschäumenden, mit Schmelzwasser gefüllten Bäche sind vielfach bewachsen mit .Sol- weiden, deren gelbe, duftende Blütenkätzchen schon von den ersten Hummeln besucht werden, und hier und da lugt aus dem kahlen Gestrüpp die rote Blütentraube des Seidelbastes hervor, während das dürre Laub am Boden bedeckt ist mit den blauen Sternen des Leberblümchens und den gelben Dolden der Schlüsselblumen. Einen anderen Charakter und einen wesentlichen Fort- 354 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 23 schritt zeigt die Vegetation auf der Südseite des Gebirges, besonders von Bozen ab, dessen weiter Talkessel durch die Alpenkette vor rauhen Nord- winden geschützt ist und infolgedessen mitWein- geländen und Obstplantagen bepflanzt ist, von welchen besonders die Pfirsich- und Mandelbäume um diese Zeit durch ihren Blütenschmuck auf- fallen. Eine rechte Vorstellung von der südlän- dischen Flora bekommt man jedoch erst, wenn man die Brennerbahn und somit das Etschtal ver- läßt und von Station Mori aus mit der Kleinbahn wenige Kilometer nach Westen fährt. Die Bahn, die in scharfen Windungen über karstähnliches, wild zerklüftetes Kalkgestein hinweggeht, erreicht nach kurzer Zeit die Wasserscheide zwischen Etsch und Gardasee. Am großartigsten präsentiert sich der See, wenn man bald darauf von Station Nage zu Fuß demselben zuwandert, die Straße macht bald hinter dem Ort eine scharfe Biegung und nach Umgehung eines Felsvorsprunges erscheint plötzlich der „Lacus Benacus" der Alten in seiner ganzen Längsausdehnung, die in dieser Richtung 52 km beträgt, während seine Breite zwischen 4 und 17 km schwankt. Am Nordende steigen die Felsen steil bis über 2000 m empor und hindern den rauhen Nordwinden den Zutritt, während das Südende weit in die lombardische Tiefebene hinein- reicht, die übrigens viel weniger südländischen Charakter zeigt als das Gebiet der oberitalienischen Seen. Was den Nord-Europäer hier in Italien am fremdartigsten berührt , das ist neben den reinen Formen und bunten F"arben der Landschaft vor allem die mediterrane Vegetation, die infolge der Anpassung an die Regenarmut des heißen Sommers wesentlich von der unsrigen abweicht und sogar oft erst einige Enttäuschung hervorzurufen ver- mag. Man sieht keine Wiesenflächen , keine zu- sammenhängenden Waldungen wie in den Ländern nördlich der Alpen, sondern, so weit das Auge reicht, graue Felsflächen, auf denen hier und da kleine Bestände stehen oder auch nur einzelne Gewächse hervorsprossen. In allen Formationen zeigt sich die Neigung zur Weitständigkeit , die einzelnen Pflanzen stehen nie dicht nebeneinander und zeigen nirgends den dichten Wuchs immer feuchter Gebiete, sie sind stets so weit voneinander entfernt, daß zwischen ihnen der Boden sichtbar ist. Der Wald, der vermutlich auch hier einst die herrschende Vegetation war, ist infolge der uralten Kultur meist verschwunden, nur in einzelnen Seiten- tälern zeigen sich noch kleine ursprüngliche Be- stände, die aber auch licht gestellt sind, nur aus wenigen Baumarten bestehen und fast gar kein Unterholz haben. An Stelle des ursprünglichen Baumwuchses be- finden sich in den Ebenen und breiten Tälern in der Nähe des Sees ausgedehnte, allerdings zu die- ser Zeit noch kahle Rebenpflanzungen , zwischen denen in geringen Abständen Maulbeerbäume stehen, welche dem Weinstock Schutz vor Sonnen- brand gewähren sollen, und die das Land wie einen lichten Hain erscheinen lassen. Während die Rebe bei uns an der Nordgrenze ihrer Ver- breitung auf möglichst trockenen und sonnigen Abhängen gezogen wird, um die Traube zur Reife zu bringen , muß sie umgekehrt bei den dürren Sommern Italiens möglichst flachen, tief- gründigen Boden haben, damit ihre Wurzeln ge- nügend Feuchtigkeit finden. Zwischen den Wein- stöcken steht häufig der unserem Aronsstab nahe verwandte Arum italicum, der durch die großen, weiß geäderten Blätter leicht aufiälit. Die Bergabhänge, die bis zu beträchtlicher Höhe terrassenförmig angelegt sind, sind bewachsen mit Ölbaumhainen, denen der Kalkboden besonders zusagt, und die stellenweise einen solchen Umfang angenommen haben, daß sie bis zu einem gewissen Grade den Wald ersetzen. Einen sonderbaren Anblick gewähren die in Stücke gespaltenen, hohlen Stämme, aus denen aber überall die schlanken jungen Triebe hervorsprossen, die in kurzer Zeit zu neuen Bäumen heranwachsen. Die schmalen, graugrünen Blätter, die zum Schutz gegen Sonnenbrand meist mit der Kante dem Licht zugekehrt sind, lassen ungehindert das tiefe Blau des südlichen Himmels durchscheinen , so daß nur gedämpfte Helligkeit entsteht und nicht das geheimnisvolle Dunkel des deutschen Waldes. Zwischen dem Laub bemerkt man auch hier und da die kleinen, schwarzen, Schlehen nicht unähn- lich sehenden Steinfrüchte, während an den Zweig- enden schon die jungen Knospen angelegt sind, die im Mai ihre weißen duftenden Blütensträuße entfalten. Am Südende des Sees befindet sich in Gesellschaft des Ölbaumes häufig auch der Lorbeer (Laurus nobilis), dessen gelbe aromatisch duftende Blüten im ersten Frühjahr in Menge zwischen den tiefdunkeln immergrünen Blättern erscheinen. Auch die Steineiche (Quercus Hex) mit ihren lederartigen, in P'orm und Größe sehr wechselnden Blättern bildet an Abhängen oft kleine buschartige Bestände. In ihrer Gesellschaft befindet sich mit- unter als niederes Gestrüpp der Mäusedorn (Rus- cus aculeatus), dessen blattähnliche Stiele (Phyl- locladien) scharlachrote Beeren tragen und manch- mal auch die eigentümliche, zu den Gymnospermen gehörige Ephedra. An besonders steinigen und steilen Stellen, wo andere Gewächse nicht mehr Wurzel fassen können, sieht man auch die dunkeln, immergrünen Büsche des Buchsbaums (Buxus sempervirens), die sich schon aus der Ferne scharf von dem hellgrauen Kalkgestein ablieben. Alle hier aufgezählten Holzgewäclise sind so- genannte Hartlaubpflanzen , deren Blätter eine feste, dunkelgrüne oder graue Oberhaut besitzen und dadurch vor zu starker Verdunstung in den dürren heißen Sommern geschützt sind. In ganz anderer Weise sind einige Fremdlinge dem Klima angepaßt, die durch ihre abenteuerliche F'orm zu den auffallendsten Pflanzen des ganzen Mittel- meergebietes gehören und deshalb auch leicht die Aufmerksamkeit des Nicht-Botanikers erregen. Es N. F. VI. Xr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 355 sind die Agaven (Agave americana), fälsciilich .■\ioe genannt, und die Opuntien. Beide Fflanzen- gattungen sind Kinder der amerikanischen Wüsten, die, als KuUurpflanzen eingeführt, ein ihrer Heimat ähnliches Substrat hier gefunden haben und darum vielfach verwildert sind. Die Opuntien haben stark verbreitete, mit Stacheln besetzte, blattlose Stämme, in denen in großer Menge Wasser auf- gespeichert wird, am Gardasee ist am häufigsten die große Opuntia ficus indica, an deren .\sten man im Frühjahr mitunter auch die rötlichen, eß- baren Früchte findet; die am weitesten nach Norden vorgedrungene .^rt ist die kleine Opuntia vulgaris, die schon an sonnigen Felswänden bei Bozen ver- wildert vorkommt. Die Agave besitzt als Wasser- speicher meterlange, rosettig gestellte, graugrüne Riesenblätter, aus denen bei alten Exemplaren im Frühjahr der 5 — 6 m hoch werdende Riesenschaft hervorsproßt, eine interessante Staffage der Steil- ufer des Sees, die v'on unwissenden Künstlern aber auch mitunter für Gemälde, die Szenen aus dem klassischen Altertum darstellen, gebraucht wird. Alle Gewächse, deren Laub nicht Schutzmittel gegen die trockene Sommerhitze besitzt, besonders die Kräuter und Gräser, sind in ihrer Vegetation ganz auf die feuchte Frühjahrszeit angewiesen. Viele von ihnen besitzen Zwiebeln oder Knollen, wie die zahlreichen Liliengewächse und Orchideen, die im Frühjahr schnell Blätter und Blüten treiben, von denen aber im Sommer keine Spur mehr zu sehen ist. Nur an schattigen Stellen und wo der Boden durch Wasser reichlich befeuchtet wird, da gedeihen auch Pflanzen mit zarterem Laub und ohne Schutzeinrichtungen, da entfaltet z. B. Adian- tum Capillus veneris seine zarten Wedel, da hängen die zierlichen rankenähnlichen Stengel von Linaria Cymbalaria , von Fumaria capreolata, die langen, dünnen Zweige des Capernstrauches und viele andere zartblättrige Kräuter, von denen als am häufigsten noch Parietaria ramiflora zu erwähnen wäre. Von den unmittelbar am Seeufer stehen- den Gewächsen wirken am auffälligsten die Be- stände des bis 4 m hoch werdenden Pfahlrohres (Arundo Donax), der Seeboden dagegen ist in der Nähe der Ufer dicht bedeckt mit der aus .'\quarien bekannten und durch ihre Bestäubung interessanten Vallisneria spiralis. Eine wesentlich andere Flora findet man, wenn man etwas höher die Berge hinauf steigt. Auf den trockenen Geröllhalden stehen die kleinen prächtig blühenden Büsche von Erica carnea, ferner Polygala Chamaebuxus mit gelben und roten Schmetterlingsblüten, an etwas feuchteren Stellen die Primula-Arten. Durch schöne weiße Ahrchen fällt ein sonst seltenes Riedgras auf, Carex baldensis, das seinen Namen nach seinem Hauptvorkommen hier am Monte Baldo erhalten hat. Einen auffallenden Schmuck der F"elsen bildet auch die strauchige Kronenwicke, Coronilla emerus, und die Felsenbirne, Amelanchier vulgaris, beides sind etwa Meterhohe Sträucher, von denen ersterer durch die goldgelben Schmetterlingsblüten, letzterer durch die weißen, rötlich angehauchten Blüten- trauben und durch die jungen, eben hervorbrechen- den Laubblätter auffällt; während nämlich im Sommer das entwickelte Laub völlig kahl ist, ist das junge, noch längs der Mittelrippe gefaltete mit weißen, seidenweichen Haaren dicht bedeckt. Die größte Mannigfaltigkeit in der Vegetation zeigen allerdings am Gardasee die Gärten und Parkanlagen. Sie befinden sich meist dicht am Seeufer oder empfangen reichliche künstliche Be- wässerung von benachbarten Bergabhängen, so daß in ihnen außer einheimischen auch Gewächse gezogen werden können, die anderen Zonen an- gehören, und die neben großer Sommerhitze auch noch viel Feuchtigkeit bedürfen. Ohne besondere Pflege gedeihen hier Pflanzen, wie wir sie sonst nur in unseren Gewächshäusern sehen. Am meisten Eindruck machen neben Oleander, Feigen, Granatbäumen, Cypressen und Bambusbüschen aber auf den Reisenden die Citronen -Plantagen, die in größerem Maßstabe an der ( )stküste des Sees angelegt sind, und ferner die Palmen, von denen eine Art, Chamaerops humilis, in den europäischen Mittelmeerländern heimisch ist. ') Schon aus den wenigen hier aufgezählten Pflanzenarten wird jeder den Eindruck gewinnen, daß hier am Gardasee bereits eine von der unseren in jeder Hinsicht verschiedene Flora vorhanden ist, und daß keine Reise uns so schnell in ein von dem nordischen wesentlich abweichendes Pflanzengebiet führen kann als eine solche nach den oberitalienischen Seen. ') Über die ursprüngliclie Heimat verschiedener für das MiUelmeergebiet jetzt charakteristisclier Gewächse vgl. auch die Abhaudlung: , .Mittelmeergebiet" vun H. Potonie (Natur- wissensch. Wochenschr. vom 13. VII. 1890). [Nachdruck verboten.^ Das Licht in der Tiefe des Weltmeeres. Von Dr. Max Wolff (Bromberg). Undurchdringliche Finsternis, eisige Kälte und eine durch keinen Laut unterbrochene Grabes- stille , keine Spur einer Bewegung der Flut, — kurz, eine Summe von Wesenlosigkeiten , von uns völlig unbegreifbaren, unvorstellbaren Dingen : das ist das Bild, das uns bis vor nicht zu langer Zeit die Forschung vom Zustande auf dem Boden der Ozeane entrollte. F'ür unbewohnbar und allem Lebendigen feind mußten in der Tat diese Tiefen gelten. Ist doch der Druck der auf ihnen lastenden Wassersäule so enorm, daß die Ther- mometer des „Challenger", die auf einen Druck 356 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 23 von 3500 kg pro Quadratzoll geprüft waren, in einer Tiefe von 7000 m zerquetscht wurden. Oder, um an die anschauliche Berechnung Wyville Thomson's zu erinnern : schon in einer Tiefe von etwa 1000 m lastet ein Druck, der dem Gewicht von 20 Lokomotiven gleichkommt, deren jede einen langen, mit Eisenschienen belasteten Güter- zug hinter sich führt. Ein Druck, der es bewirken muß, daß die Kohlensäure in der Schwimmblase der TiefseeFische nicht als Gas, sondern als Flüssigkeit eingeschlossen ist, — wenn es zutrifft, daß die Schwimmblase dort, wie bei den Flachsee- bewohnern , wesentlich mit Kohlensäure gefüllt ist. Ein Druck, dessen Gewalt in den Polar- meeren ausreicht , um das Bodenwasser am Ge- frieren zu hindern, indem er eine ganz ungewöhn- liche Überkältung möglich macht. Schon in den Tropen beträgt die Grundtemperatur o" C und weniger, in den I^olarmeeren sinkt sie bis unter — 3" C. Bei solchen Temperaturen würde das See- wasser gefrieren. Hierbei müßte es sich aber ausdehnen und das verhindert mit übermächtiger Gewalt der Druck der auf dem eiskalten Boden- wasser lastenden Wassersäule. Noch manches ließe sich anführen, um mit Zahlen und Beispielen das Ungewöhnliche der in der Tiefsee sich bietenden Bedingungen anschau- lich zu machen. Allein, ich will den Leser nicht länger mit Angaben dieser Art aufhalten, — der forschende Menschengeist wird doch nie ganz den Schleier lüften, der über dem Geheimnis der Tiefe ruht, — es wird sich vor allem, so sicher wir uns auch von der, nach dem Gesagten fast unbegreif- lichen Tatsache haben überzeugen können , für immer unserer biologischen Erkenntnis entziehen die Frage wie es möglich ist, daß in diesem, schein- bar allem Lebendigen Tod und Vernichtung drohenden Inferno eine Tierwelt wunderbarster Art lebt und webt, ja ewig in der eisigen Nacht der Tiefe ein rätselhaftes Dasein fristet , oder, — was noch wunderbarer ist, — zum Teil wenig- stens zum Licht der oberflächlichen Meeresschichten erst auftaucht, wenn es seine Jugendentwicklung in der Tiefsee vollendet hat. Wie merkwürdig muß sich allein der Chemismus des Stoffwechsels, Atmung und Verdauung besonders, bei dieser Tierwelt gestalten, die niemals den Experimentier- tisch des Physiologen bevölkern wird ! Denn in einem traurigen Zustande befördern die Netze des Zoologen die kostbare Beute aus der rätsel- vollen Tiefe : tot, die Gewebe zerfetzt und zer- rissen, die Eingeweide zerplatzt. Die gesamte lebende Substanz des Körpers ist ja der Existenz unter jenem ungeheuren Druck angepaßt. Sobald dieser wegfällt, schaffen die in den Körperflüssig- keiten und Gewebssäften gelösten und in den Körperhöhlen eingeschlossenen Gase sich gewalt- sam, explosionsartig Bahn. Wir werden also nie die Lebensbedingungen der Tiefsee künstlich vor- stellen und die Vorgänge, die sich dort abspielen, direkt beobachten und analysieren können. Aber indirekt können wir, - — zwar nicht das Leben der Tiefsee begreifen, denn unserer Erfahrung geht so ziemlich alles ab, was zum Vergleich herangezogen werden könnte, — doch gewisse dort unten wirkende Faktoren feststellen. Und so vermögen wir der Phantasie gute Bausteine zu bringen, daß sie daraus ein Gebäude schaffe, wie es unsere Sinne bis zu einem gewissen Grade zu begreifen vermögen. Die Vorstellungen, mit denen die neuzeitliche Ozeanographie operiert, stehen in völligem Gegen- satz zu den früheren Lehren. Die von Dumont d'Urville, Wilkes und James Ross angenommene, gleichmäßige Grundtemperatur (von 4" C) existiert ebensowenig, wie die beiden homothermen Gürtel, die sich mauerartig zwischen die Polarmeere und die Ozeane der gemäßigten und tropischen Zonen einschieben sollten. Und statt der leblosen Öde hat das Tiefsee- netz uns eine Fülle wunderbarster Tierformen er- schlossen. Was uns an diesen am meisten über- rascht ist die Farbenpracht, die wir an sehr vielen von ihnen bewundern können, und sind ihre Augen ! Augen, Licht und Farbe, — das sind Dinge, die nicht voneinander getrennt werden können '. Also muß es in der Tiefsee auch Licht geben. Aber aus welcher Quelle fließt dort unten der leuchtende Strahl.? Wie sicher meinten wir doch noch bis vor ganz kurzem zu wissen, daß dem Vordringen von leuchtenden Ätherwellen schon in Tiefen von wenigen hundert Metern eine Grenze gesetzt sei ! Direkt haben wir nur bis etwa 500 m Tiefe Spuren von Licht nachweisen können. Petersen versenkte im Golfe von Neapel einen besonders konstruierten photographischen Apparat, dessen außerordentlich hochempfindliche Platte in jeder beliebigen Tiefe exponiert werden konnte. Er exponierte die Platte an einem hellen November- tage bei Capri in einer Tiefe von 480 m eine halbe .Stunde lang. Sie ließ beim Entwickeln eine deutliche Schwärzung erkennen. Über diese Tiefe hinaus lassen sich chemisch wirksame Strahlen nicht mehr nachweisen. Damit ist aber nicht gesagt , daß darum auch allen anderen Strahlen- gattungen des Sonnenspektrums der Weg in tiefere Schichten versperrt sein müßte. Daß es so nicht sein kann, beweisen geradezu die Augen der Tiefsee-Tiere. Nicht nur, daß sie vorhanden, daß sie nicht oder doch nur bei einer relativ ge- ringen Zahl von Arten der Verkümmerung anheim- gefallen sind, ähnlich den Sehwerkzeugen vieler Höhlenbewohner, gibt uns ein Recht, auf das Vorhandensein von Licht zu schließen , wir sind sogar imstande, etwas Bestimmteres über die Qualität jenes Lichtes auszusagen. Verril hat zuerst auf die Tatsache hingewiesen, daß die Augen der Tiefsee-Krebse und -Ringelwürmer ein rotes Pigment haben. Das Pigment hat die Auf- gabe, das Licht zu absorbieren. Danach müssen der Komplementärfarbe, ( jrün, angehörige Strahlen auf dem Meeresgrunde wirksam sein. Das Sonnen- licht soll nach Verril in jene tiefsten Gründe des N. F. VI. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 357 Weltmeeres als ein sanfter, grüner, der 1 Iclligkeit einer Sternennacht etwa gleichkommender Schim- mer dringen. Auch die, wie erwähnt, vielfach sehr lebhafte Färbung der TiefseeTiere beweist das Vorhandensein eines grünen Lichtes. Hell- gelb, Grün und Blau fehlen fast vollkommen. Ein recht ansehnlicher Teil der dort lebenden Fische und die meisten wirbellosen Tiefsee-Bewohner, — Krebse, Ringelvvürmer, Echinodermen etc., — zeigen eine intensiv purpurne , braunrote oder orangegelbe Färbung. Damit werden sie für ihre Feinde, — wenn wir die mit unserem mensch- lichen Auge gewonnene Erfahrung auf diese über- tragen dürfen, — genau so unsichtbar, wie die tief sammetschwarz oder gar nicht infolge der glashellen Durchsichtigkeit ihres Körpers, gefärbten Tiefsee- Bewohner. Kann die grüne Dämmerung des Meeresgrun- des vom Sonnenlicht herrühren, ist es möglich, daß nur die geringe Empfindlichkeit unserer Augen und photographischen Platten bisher den Nachweis von tiefer als 500 m eindringenden Strahlen ver- eitelt hat ? Diese Frage läßt sich jetzt doch, wie ich überzeugt bin, mit einiger, wenn auch noch nicht mit völliger Sicherheit entscheiden. Die Verbreitung der Pflanzenwelt beweist uns direkt, daß grünes Licht wesentlich tiefer in das Wasser eindringt, als es nach den gewöhnlichen Versuchen der Fall zu sein scheint, bei denen unser Auge als Indikator dient. Bei den Versuchen von Wolf und Luksch, die verschiedenfarbige Scheiben im adriatischen Meere versenkten und die Tiefe feststelhen, bis zu der sie sichtbar blieben, ergab sich folgendes Resultat: die weiße Scheibe verschwand bei etwa 50 m Tiefe, die grüne schon bei 30 m. Das Licht hatte jedesmal natürlich eine Wassersäule von der doppelten Höhe durch- dringen müssen, — von der Wasserfläche bis zur Scheibe und von dort zurück bis zum Auge des Beobachters. Hiernach also hätten die grünen Strahlen, die unser Auge wahrnimmt, nur eine Tiefe von 60 m erreicht. Grünes Licht dringt aber ganz sicher in Wirklichkeit viel tiefer. Das geht, wie gesagt, aus der vertikalen Verbreitung der Pflanzenwelt hervor. Nur an der Oberfläche und in den obersten Wasserschichten gibt es grüne und braune Algen. Durch die Unter- suchungen des Berliner Physiologen W. Engelmann kennen wir die Ursache, die einer Ausbreitung dieser Pflanzenwelt in größere Tiefen unüberwind- liche Schranken entgegenstellt. Das assimilierende Pigment jener Siphoneen und Fucaceen wird am lebhaftesten durch die roten und blauen Strahlen erregt, da es nur das komplementär gefärbte Licht ausgiebig absorbieren kann. Aus der Ver- breitung der grünen und Braun-Algen erkennen wir daher, wie tief rotes und blaues Licht in jener Intensität vordringt, die zum Betrieb des chemi- schen Lebenslaboratoriums der Phäoph}xeen- und Siphoneenzellen gerade noch ausreicht. Und es zeigt sich, daß die Pflanze hier ein empfindlicherer Indikator, als unser Auge ist, für das die roten und blauen Strahlen weit schneller im Meereswasser verschwinden. Aber nun weiter! Wie steht es mit den grünen Strahlen ? Mit zu- nehmender Tiefe, von dort ab, wo der Existenz der Algen-Familien, von denen eben die Rede war, eine Grenze gesetzt ist, tritt eine eigenartige Plora auf deren magische Pracht noch jedes Auge entzückt hat, das ihre wunderbar schön geformten und gefärbten Geschöpfe schauen durfte. Es sind die herrlichen Florideen, deren purpurne und röt- lichvioletten Geäste den tieferen Meeresgrund be- decken. Das Rhodophyll, ihr assimilierender Farb- stoff, ist auf grünes Licht abgestimmt! Und dringt bis zu den letzten Florideengründen, das ist etwa bis zu 200 m , das grüne Strahlensystem des Sonnenlichtes, dann dürfen wir freilich nicht allzu- viel auf das Urteil unseres, sonst getreuesten Mit- arbeiters, des Auges geben, das nur bis zu 60 m etwa grünes Licht zu erkennen vermochte. Die Florideen mit ihren so auffallend auf Grün korri- gierten Pigmenten nötigen uns, in der Purpur- färbung vieler Tiefseebewohner, von der wir vor- hin sprachen, mehr als etwas Zufälliges, Bedeu- tungsloses zu sehen. Ja, je mehr wir ver- suchen, uns ein Bild von dem bizarren, unge- heuerlichen Treiben auf dem Grunde der Ozeane zu machen, desto mehr drängt sich uns die Über- zeugung auf, daß dort, -— mindestens für das Auge seiner abenteuerlichen Bewohner, das ja sicher anders sieht, eine andere Empfindlichkeit besitzt, als das unsere, — ein schwaches, gleich- sam matt phosphoreszierendes grünes Dämmer- licht herrschen muß. Wohl ist eine Grabesstille in der dämmernden Tiefe, eine atemlose Stille, — aber es ist nicht die Stille eines Friedens, nein die eines atemlosen, entsetzlichen Vernichtungskampfes aller gegen alle. Eine maßlose Mordgier scheint einzig und allein die Gestalt jener ungeheuerlich gearteten Tiefsee-Fische geprägt zu haben, die von den Netzen des „Challenger" und der „Valdivia" er- beutet wurden. Lebenden Trichtern oder Reusen gleich, das ganze Tier ein gräßlicher, zähnestarren- der Rachen, vernichten sie alles, was ihnen auf ihrem ziellosen Wanderzuge in den Weg kommt. Da rettet vor der Vernichtung nur eine schützende Tarnkappe, und die ist in der roten Färbung ge- geben. Die vielen, sammetschwarz gefärbten Tiefsee-Fische sind natürlich in dem jedenfalls sehr matten Dämmerlicht fast ganz unsichtbar, — ebenso sind es aber die, deren Parbe zu grün komplemen- tär ist, denn das sie treffende Licht wird restlos verschluckt, sie erscheinen also auch als schwarz. Wäre überhaupt kein Licht in jener Tiefe, müßten entweder ausgesprochene, klare Färbungen ganz fehlen, wie es bei den Höhlenbewohnern tatsäch- lich der Fall ist, oder es müßten alle möglichen Farben vorkommen. Beides bestätigt sich nicht, sondern es ist gewiß, daß der Kampf ums Dasein P'ärbungen gezüchtet hat, die nur Sinn haben, wenn ein, zwar für unser Auge wohl kaum noch wahrnehmbares Licht den Meeresgrund erreicht: 358 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 23 völlige Durchsichtigkeit, Sammetschwärze, Purpur und Rotbraun. Also fragt es sich nur noch, ob das grüne Licht der Tiefsee nicht zum Teil wenigstens einer anderen Quelle, als der Sonne entstammen könnte. Daß es überhaupt nicht von der Sonne stammt, dürfen wir kaum noch behaupten, nachdem wir sahen, wie ungleich uns photographische Platte, Pflanzenzelle und Auge über diese Frage unter- richten. Aber die Tiefsee hat wirklich noch ihr eigenes Licht und keine Phantasie mag wohl mit ihrem kühnsten Fluge die Wunder der märchen- haften Wirklichkeit dort unten erreichen. Die Tierwelt, die mit ihrem Leuchten in stillen Nächten, besonders in den Tropen, die Wasserfläche in ein flüssiges Feuermeer verwandelt, — sie ist nur ein Gruß, ist nur abgesandt von dem verzauberten Volk der Tiefe. Da sind Seesterne, Anneliden, Salpen und Tintenfische, über und über mit grün phosphoreszierenden und aufblitzenden Funken besäet, oder von smaragdenen Lichtschauern über- rieselt. Da sind Fische, die, gleich den Ozean- dampfern auf dem nächtlichen Meer, mit langen Reihen von Lichtpunkten besetzt, deren Augen mit wahren Scheinwerfern ausgestattet sind. Da sind unter ihnen lauernde Ungeheuer, die, im Schlamm vergraben, lange, leuchtende Fäden be- wegen , um die ahnungslose Beute in die Nähe des ewig unersättlichen Rachens zu locken. Da ist noch die ganze Welt mikroskopischer Wesen, — kurz, wer sie sehen könnte, die Tiefe mit ihrem magischen Licht, der müßte meinen, in ein smarag- denes Märchenschloß voller grausig-schöner Wun- der verzaubert zu sein. Kleinere Mitteilungen. E. Küster, „Über die Beziehungen der Lage des Zellkerns zu Zellenwachstum und Membranbildung." (Flora, Bd. 97, Heft i, 1907.) — Unsere Kenntnis der physiologischen Bedeutung der einzelnen Bestandteile des lebendigen Zell- körpers und deren Beziehungen zueinander ist immer noch sehr gering. Dies hängt zum großen Teil mit der Schwierigkeit einer experimentellen Behandlung dieser P>agen zusammen. Zwar ist es in den letzten Jahren gelungen, einzelne Zell- bestandteile zu eliminieren und das Verhalten solcher Zellen zu prüfen, teilweise auch den sich alsdann bemerkbar machenden Einfluß gewisser Zellbestandteile durch äußere Faktoren zu ersetzen. Im Jahre 1887 veröffentlichte Haberlandt die Ergebnisse einer Reihe von Untersuchungen über „die Beziehung zwischen der Funktion und Lage des Zellkerns bei den Pflanzen." (Jena, G. Fischer.) Er kommt dabei zu dem Schlüsse, daß der Kern einer lebendigen Zelle sich meist an derjenigen Stelle finde, wo das Wachstum — sei es nun Wachstum der ganzen Zelle als solcher oder Dicken- oder Flächenwachstum der Zellhaut — am lebhaftesten erfolge oder am längsten andauere. Daraus schließt Haberlandt, daß der Kern beim Dicken- und Flächenwachstum der Zellhaut eine bestimmte Rolle spiele. Beispiele hierfür finden sich nach Haberlandt beim Verdicken der äußeren oder inneren Wände junger Epidermiszellen, bei der Bildung der Wurzelhaare von Pisum sativum, u. a. Doch scheint diese Tatsache doch nicht so allgemein zu sein, wie man aus den Untersuchungen Haberland t 's zu schließen ge- neigt wäre. Wenigstens konnte Küster neben solchen, welche die Angaben Haberlandt's bestätigen, noch eine Reihe von Beispielen er- mitteln, wo der Kern bezüglich seiner Lage der Haberlandt 'sehen Regel nicht folgt. So liegt er bei der ganzen Entwicklung der Wurzelhaare zahlreicher Wasserpflanzen, wie Hydrocharis morsus ranae, Trianea bogotensis, Potamogeton lucens, Stratiotes aloides, etc. stets an der Basis, also oft in sehr beträchtlicher Entfernung von der fort- wachsenden Spitze der Haare. Es fragt sich da- her angesichts dieses Fehlens einer örtlichen Be- ziehung zwischen Zellkern und wachsender Spitze, ob in jenen Wurzelhaaren, wo der Kern stets die Spitze einnimmt, er auch wirklich die ihm zuge- schriebene Bedeutung für das Wachstum habe, oder ob diese Erscheinung nicht ebensogut eine Folge des Wachstums sein könnte. Die Entschei- dung dieser Frage kann nur durch das Experiment angestrebt werden. Doch verliefen alle derartigen Versuche bis anhin resultatlos. — Bei einer weiteren Gruppe von Pflanzen nimmt der Kern in den Wurzelhaaren überhaupt keine bestimmte Lage ein, so bei Amaryllis, Vanda, Philodendron, An- dreanum. Haberlandt schreibt in seiner oben zitierten Arbeit auch den Kernen der Zellen des Spalt- öffnungsapparates eine bestimmte Funktion bei der Bildung des Apparates zu, da nicht nur die Kerne der beiden Schließzellen den sich verdicken- den Innenwänden dicht anliegen, sondern auch die der Nebenzellen in auffallender Weise den Rückenwänden der Schließzellen angeschmiegt seien. Küster kommt hingegen auf Grund seiner Untersuchungen an diesbezüglichen Objekten zu der Ansicht, daß kein zwingender Grund vorliege, einen bestimmten Einfluß der Kerne der Neben- zellen auf die Ausbildung der Schließzellen anzu- nehmen. Er fand, daß nicht nur die Kerne der einem Stoma zunächst liegenden Nebenzellen diese eigentümliche Lagerung zeigen, sondern auch Kerne weiter entfernter Epidermiszellen. In an- deren Fällen wiederum liegen die Kerne teils den Schließzellen genähert, teils unregelmäßig in den Nebenzellen verteilt. Und schließlich gibt es auch Beispiele, wie Osmunda regalis, wo die Zellkerne überhaupt keine Annährung an die Schließzellen zeigen. Vielmehr glaubt Küster schließen zu dürfen, daß die F'orm der Zellen es ist, welche N. F. VI. Nr. 2^ Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 359 „wenigstens indirekt die Lage des Zeilkerns be- stimmt;" denn in den Fällen, wo der Kern den Schließzellen genähert ist, handelt es sich um bogenförmiggekrümmteNebenzellen, deren konkave Seiten den Schließzellen anliegen, während in jenen Beispielen, wo der Kern diese Lage nicht aufweist, die Nebenzellen unregelmäßige Gestalt haben und die beiden Schließ/.cllen nur auf kurze Strecken begrenzen. Vür diese Beziehung zwischen Lage des Zellkerns und F'orm der Zelle sprechen auch noch andere Befunde, so z. B. die Lagerung des Kerns in den hörnchenförmig gekrümmten Mesophyllzcllen der Nadeln von Pinus pumilio. Wahrscheinlich bleibt der Kern bei der Ausbildung dieser Zellen von Anfang an an der konkaven Seite liegen und entfernt sich so von der gegen- überliegenden Wand mit fortschreitendem Wachs- tum der Zelle. Nach Haberlandt besteht ferner eine Be- ziehung des Zellkerns zur Membranverdickung, so daß z. B. in Epidermiszellen mit verdickter Außen- wand der Kern der Außenwand, in solchen mit verdickter Innenwand der Kern der letzteren an- liegt. Neben vielen Beispielen, die mit der Haber- landt'sehen Theorie in Übereinstimmung stehen, konnte Küster wiederum genug solche finden, welche dartun, daß der Kern den sich verdicken- den Wänden immer fern bleibt. Als Fälle dieser Art mögen genannt sein die Epidermiszellen von Hakea acicularis, die Endodermen von Aspidium articulatum, die Epidermen vieler Fruchtknoten und Fruchtschalen, usw. Oft tritt auch eine Wanderung der Kerne von der Innen- zur Außen- wand ein, sei es, nachdem sich die letztere ver- dickt hat oder überhaupt unverändert bleibt. — Diese Beispiele sind also nicht beweiskräftig für die Ansicht, daß der Zellkern beim lokalen Dicken- wachstum der Zellmembran eine bestimmte Rolle spiele. Welche Faktoren für diese Wanderung und Lagerung des Zellkerns maßgebend sind, ist vorläufig noch ganz unbekannt. Ed. Schmid. Die Flora des Grunewaldes. — Schon seit weit über loo Jahren bildet der Grunewald unter den nicht gerade zahlreichen floristisch hervor- ragenden Punkten der näheren Umgebung Berlins einen, wenn nicht gar den Hauptanziehungspunkt für die Botaniker der Hauptstadt. Tausende von jungen Studierenden haben den Grund zu ihren botanischen Kenntnissen durch den Besuch des Grunewaldes gelegt, und trotz des eifrigen Sam- meins, trotz der zahllosen in die Herbarien ge- wanderten Pflanzen ist fast keine Pflanzenart da- durch aus dem Bestände des Grunewaldes ver- schwunden, wohl aber haben Kultur und Chaussee- bau schon mehrere empfindliche Lücken geschaffen. Der floristische Reichtum des Grunewaldes ist hauptsächlich bedingt durch den starken Wechsel der Pflanzen-Vereine, die man selten in so großer Zahl und in so verschiedenartiger Aus- bildung beieinander findet. Der HaujUbestand, Kiefernwald, beherbergt unter seinem Schutze zahl- reiche Waldpflanzen, und zwar solche trockener, sandiger und solche moosiger Wälder, ihnen schließen sich, wenn auch nicht gerade zahlreich, an den mit Laubholz, besonders Eichen bestan- denen Plecken Laubwaldbewohner an. Die un- bcwaldeten Hänge der Diluvialhöhen und die auf- gewehten Dünen sind bedeckt mit der charakte- ristischen Vegetation der sonnigen Hügel und der Sandfluren, oder auch mit nicht ganz kleinen Mecken offener Heide, wie sie namentlich früher bei Haiensee und Schlachtensee zu finden waren. Das größte botanische Interesse aber bieten die Moore des Grunewaldes dar, in ihnen finden sich alle Zonen und Horizonte, alle Moorformen noch lebend vor. Von der Wasserflora, stehender und fließender Gewässer, die an ihren Rändern die Stadien der Verlandung von der zerstreuten Vege- tation am kahlen Ufer bis zur schwimmenden und festliegenden Kämpe (die den See schon um ein beträchtliches Teil verkleinert hat) erkennen läßt, bis zu dem bereits zum größten Teile zugewachsenen Riemeistersee und den völlig geschlossenen Moor- niederungen finden sich alle Übergänge. Auch die Moore selbst zeigen die weitgehendste Gliede- rung. Das aus dem Wasser hervorgewachsene Flachmoor findet sich längs der Fließe und an den Ufern der Seen in schönster Ausbildung, stellenweise als ausgedehnte Erlenmoore ent- wickelt. Auf dem Flachmoor aufgelagert haben wir die im mittleren Norddeutschland schon recht seltenen Hoch- oder Heidemoore, die mit den Übergangs- oder Zwischenmooren die Hauptträger der am meisten interessierenden Moorfloren sind. 1894 habe ich allein im Fenn zwischen Paulsborn und Hundekehle (ohne Moose usw.) 85 Arten von Pflanzen notiert.') Die Flora der Kiefernwälder entwickelt sich meist erst im Laufe des Sommers, im Frühlinge finden wir dort außer einigen Seggen [Cfrrex- Arten) und den Simsen [Liizula cavipestris und L. pilosa) in großen Mengen die gelben Blütenstände der Cypressenwolfsmilch {Euphorbia cyparissias). Von selteneren Arten sind zu finden die blumenblattlose Sternmiere (Stellar ia apetala), die namentlich auf Waldwegen, an Abstichen usw. ihre gelbgrünen Blät- ter und Zweige entwickelt, dann eine Simse {Lnziila siulftica pallcsccns) mit ihren weißlichen Blüten. Im Sommer erst entwickelt sich eine reichlichere Flora, die zahlreiche Charakterpflanzen der Kiefern- waldflora enthält. Neben dem Adlerfarn, der überall häufig ist, sind namentlich an Einstichen und Gräben die Mehrzahl der einheimischen Wald- farne zu finden, Aspidium filix vias, A. phegopteris und A. dryopteris , Athyriuin filix feinina, Cysto- ptcris fragilis (an Grabenrändern) u. a. An den trockneren, lichteren Plätzen, namentlich an Holz- schlägen und Lichtungen ist oft alles überzogen mit dem zierlichsten unserer Gräser, der rötlichen ■) Vgl. Engl. Jahrb. XX (1S95)- 535' 36o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 2- Acra flexnosa mit den geschlängelten Ästchen der Blütenrispen. An feuchteren Stellen herrschen oft größere Brombeerdickichte vor. Um die Eichen, die oft zahlreich eingestreut sind, findet man fast stets einen Kranz von großen Brennesseln {Urtica dioccd). •Nach H. Potonie (Naturw. Wochenschr. vom 2. 1 Einzeln stehende Eichen im Kiefernforst, am Fuße mit Brennesseln .\. 1906). Grunewald bei Berlin. Erheblich blumenreicher als die bewaldeten Teile sind die kahlen, besonders steilen Abhänge, die eine Flora meist der sandigen, sonnigen Hügel beherbergen. Sobald der Schnee geschmolzen ist und die ersten Sonnenstrahlen wärmend auf den Boden gewirkt haben, erwacht hier das Leben, kleine sternmierenartige Blüten des behaarten Ccrasthun scmidecandnim, der Spcrgida vcnialis, auch die sehr seltene 5. pcntandra mit 5 Staub- fäden, mit den nadeiförmigen, rjuirligen Blättern und später den kugeligen Früchten, Holostcnin umbellatiun mit graugrünen, zu zweit stehenden Blättern u. a. öffnen sich bald, auch die Sand- seggen Carex arenaria, C. praecox, C. ligerica, lang im Boden kriechend und daher in geraden Zeilen stehende Triebe entwickelnd, kommen bald hervor, darunter die seltenere C. supina auf und bei Picheiswerder, niedrig mit den schön roten Scheiden der Blätter. Von Kreuzblütlern trifft man allent- halben das Hungerblümchen und das ähnliche, aber linealische Schoten tragende Stenophragma Tlia- lianunt , sowie Tcesdaica nudicaulis mit seiner Rosette fast gefiedert-eingeschnittener Blätter. Zu- gleich färben sich schon die gelben Polster der Frühlingsfingerkräuter, am häufigsten Potentilla arenaria mit den grausternhaarigen Blättern, und P. riibem mit den schlaffen, roten Stengeln und den weichen Haaren, am seltensten ist P. Tabcr- nacmontani, durch die grasgrünen, abstehend be- haarten Blätter leicht kenntlich. Ein wenig später blüht Vcronica prostrala, ein seltenerer Ehren- preis mit dichten, blauen Blütenähren, in dichten Polstern, eine prachtvolle Zierde der Abhänge. Zu ihnen gesellt sich später (auch im Walde) der kleine rasenbildende Ginster Consta pilosa, der vor dem Besenginster seine gelben Blüten ent- faltet. Wo die Hänge durch mancherlei Buschwerk, nament- lich eine Reihe von Laub- sträuchern , bedeckt werden, trifft man viel den am Grunde Zwiebelchen tragenden Stein- brech Saxifraga granulata und in seiner Gesellschaft die große Fetthenne Sediiin viaxiimun mit den dicken, fleischigen Wur- zeln, erst im Juli und August blühend, ferner ein Gras mit jun- gen Pflänzchen in der Rispe, Poa bnlbosa var. vivipara. Wenn mit der zunehmenden Sonnen- hitze die Trockenheit des Bo- dens zunimmt, fängt die Vege- tation an unansehnlich zu wer- den, außer grauen Gräsern wie Schafschwingel Festuca oviiia, ]Vei>igärtneria canescens (bläu- lichgraue Büschel bildend) etc. bilden dann einige tiefwurzelnde Kräuter mit den genannten Sandseggen oft die einzige auf- fälligere Vegetation. Offene Heide fand sich früher in ausgedehnteren Flächen als jetzt, teils ist sie der Bebauung, teils den Forstkulturen zum Opfer gefallen. An mäßig feuchten, sandigen Stellen hatte sich unter dem Schutze der Kiefern das Heidekraut, Calluna vul- garis, so dicht angesiedelt, daß es geschlossene kleinere Bestände bildete, in denen sich, wenn auch in geringem Maße, eine charakteristische Heiderohhumusschicht abgelagert hatte. Wurde die Stelle dann später aus irgend einem Grunde licht gelegt, dann kräftigte sich das Heidekraut und die Formation glich auf kleineren Flecken vielen Flächen der Lüneburger Heide. Beige- mischt waren verhältnismäßig wenige Arten, in größeren Mengen nur mitunter Solidago virga aurea, die spätblühende Goldrute und das Weiden- röschen Epilobiiivi aiig?/stifoliuvt oder auch Habichtskräuter, Hier aciiaii- Arten, wie das kleine //. pilosella mit den unterseits weißen Blättern oder das große, schmalblättrige H. uinbcllatuin. Werden die Waldflächen abgeholzt, ehe eine starke Heideansiedlung stattgefunden hat, so sieht man nicht das Heidekraut (wie im nordwestdeutschen Flachland) die Oberherrschaft erstreiten, sondern das schon oben genannte Gras Acra flcxuosa tritt in großen Massen auf. Die Moore des Grunewaldes nun sind, wie bereits bemerkt, von einer außergewöhnlichen Mannigfaltigkeit. Herr Geheimrat VVahnschaffe hat in seinem Vortrasj über die Seen des Grüne- N. F. VI. Nr. 23 Natiirwissenscliaftliche Wochenschrift. 361 waldcs die Entstehung der einzelnen Moore durch Verlandung der Gewässer etc. auseinander- gesetzt, es erübrigt deshalb hier darauf näher ein- zugelien, es sei hier nur auf die liauptsäciilichsten und interessantesten Pflanzenarten liingewiescn, die die Gewässer und Moore bewolincn. Die Seen des Grunewaldes selbst, soweit sie noch ansehnliche Wasserflächen aufweisen, beher- bergen eine Reihe seltenerer Wasserpflanzen, so namentlich l^taiiipgctoii-hxitn, die besonders früher im Schlachtensee in großer l'ppigkeit entwickelt waren, aber seit der Eröffnung des regelmäßigen Motorbootsbetriebes sehr stark abgenommen haben. Als Eigentümlichkeit der Grunewaldflora ist be- sonders zu nennen Potamogctoii Bcroliiifiisis, eine sehr eigenartige Pflanze mit großen, länglich lanzettliclicn, sämtlich untergetauchten, durch- scheinenden Blättern, die bisher nur aus den Grunewaldseen bekannt geworden ist, dort sich aber in allen der Seenkette zalilreich findet. Ihm gesellen sich v^on selteneren Arten namentlich /'. praeloiigus, P. vtucronaius etc. zu. Von großen Arten sind zu nennen : der langblättrige P. liicciis, der breitblättrige P. perfoliatus mit (wie der längliche /'. pracloiigus) stengelumfassenden Blättern ; mit Schwimmblättern P. natans und /'. fhiitans. Die großblättrigen Arten sind im Sommer oft ganz mit dicken Kalkkrusten bedeckt, mit aus dem Wasser niedergeschlagenem Kalk. Diese sich los- lösenden oder im Herbst mit den Blättern unter- sinkenden Kalkkrusten reichern die am Boden sich bildenden Schlammablagerungen stark mit Kalk an. Außer den PotainogetoH-A.r\.&n sind dann noch Xyiiipliat-a alba, die weiße, und Niipliar lutcuin die gelbe Seerose oder Mummel, als auffällige Wassergewächse zu nennen und neben ihnen namentlich auch Stratiotcs aloides, die Wasser- schere oder Wasseraloe (wegen ihrer auffälligen an Aloe erinnernden Tracht), die große Bestände, im Sommer schwimmende Bänke bildet. Ruhige Buchten sind oft ganz mit der weißblühenden, mit kleinen, seerosenähnlichen Blättern schwimmenden Hydrocharis nwrsits ranae bedeckt. Im Teufels- see findet sich massenhaft die gelbe Gentianacee Liiiinanthcnnttn uyiiiphaeoides mit gleichfalls see- rosenähnlichen, aber kleinen, unterseits punktierten Blättern das Wasser stellenweise verbergend. — Neben der Brücke zur Militärschwimmanstalt am Grunewaldsee findet sich der Wasserschlauch Utriadaria vulgaris mit insektenfangenden Schläu- chen an den fein zerteilten Blättern. Auch die Uferflora bietet manches Interessante, sie ist eine der Pflanzenvercine, die eine große Zahl von Ca r ex -Arten beherbergen. Die Grune- waldexkursion des Juni ist bei den Studierenden berühmt (oder berüchtigt), weil man in kurzer Zeit nicht weniger als über 20 Cariccs sam- meln kann und natürlich auch kennen soll. Der Hauptbestand der Ufervegetation wird wie überall von hohen Rohrgräsern, namentlich Phragmites und Glyceria (Schwaden) gebildet, daneben Rohr- kolben Typlia angustifolia schmal- und T. lati- folia breitblättrig, Teichbinsen, und zwar der dunkelgrüne Scirpus laciistris und der kleinere graugrüne Sc. Pabcrnaeniontani (am Ufer des Grunewaldsees vereinzelt auch der seltene, früher ausgepflanzte sehr hellgrüne Sc. Duvalii). Am Ufer des Schlachtensees treffen wir ziemlich zahl- reich das große kräftige Cladiiiin niarisciis mit sehr scharf sägezähnigen Blättern, dichte Rasen bildend. Durch sehr dünne, feine Blätter ist aus- gezeichnet Carcx lasiocarpa (früher fälschlich C. filifonnis genannt). Zwischen den hohen Gräsern etc. finden sich zahlreiche die Verlandung be- fördernde kleine Arten, Gräser, Cyperaceen und auch viele dicotyle Gewächse, so z. B. das weiß- blühende, stark bittere Gnadenkraut Gratiola offi- cinalis, Lysiinachia tliyrsiflora mit den gelben, fast kugeligen blattachselständigen Blütenständen, stellenweise häufig Bidcns coniiatiis , ein aus Amerika eingeführter Zweizahn , dessen Früchte oft in Menge an den Kleidern haften bleiben. Das Schweineohr Calla palustris, mit weißem Tragblatte des Blütenkolbens ist gleichfalls stellenweise häufig. Von selteneren Arten wären noch zu nennen eine kleine einjährige C)peracee Cypcrus fuscus, der wilde Reis Ory::a claitdcstina, mit seinen meist in die Blattscheiden der scharfen hellgrünen Blätter eingeschlossenen Blüten, der sich namentlich (mit dem großährigen hängenden Carcx pseudocypenis) unter einer über den See liegenden Birke am Wiesenzaun gegenüber Paulsborn findet. Am Ufer, welches schon stärker verlandet ist, also den Übergang zu echten Wiesen bildet, mischt sich die Uferflora häufig mit der der Plach- moore, die auch stellenweise die Gewässer be- gleiten. Diese Strecken sind oft außerordentlich blumenreich, aus zahlreichen Arten zusammen- gesetzt, ohne doch (außer eben ihrer typischen Ausbildung als Wiese) ein höheres botanisches Interesse darzubieten. An den Rändern, die oft als schwebende Kämpen (Schwimm- oder Schwing- rasen) ausgebildet sind, kriecht oft ein zierliches hellgrünes Farnkraut Aspidium thelypteris bis ins Wasser vor. Ihm folgen gewöhnlich die fein- blättrigen und -stengeligen Fioringräser (Agrostis). Sobald durch Ansiedelung von Spliagnuui oder auch schon des einköpfigen Wollgrases, Erjopho- ruvi vaginatuin, der Beginn der ersten Übergangs- stufe zum Hochmoor angezeigt ist, beginnt für den Botaniker das Suchen nach Seltenheiten, an denen die Zwischen- (Übergangs-) und Hochmoore hier so reich sind. Unter den Erlengebüschen mit sumpfigem, moorigem Untergrunde (so südlich von Paulsborn) findet sich die blattlose Orchidee Coralli- orrliiza iiinata, Korallenwurz, mit grünlichen Blüten und korallenähnlich verzweigten Grundachsen; wo die Erlen durch Kiefern ersetzt werden , wächst Pirola unißora mit einer nickenden, nach Alpen- veilchen duftenden, weißen Blüte, auf der dabei liegenden, freien, wiesenähnlichen Fläche die gelb- liche Orchidee Liparis Locsclii mit der (wie bei vielen tropischen) oberirdischen, grünen Knolle; in manchen Jahren tritt hier sehr zahlreich das 362 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 23 zierliche Wollgras Erioplioniiii gracile mit der spärlichen, gelblichen Wolle auf, dazwischen kriecht der kleine einährige, entweder nur männliche oder nur weibliche Blüten tragende Carcx dioeca. Die Gräben in der Nähe beherbergen Sparganiitui diversifoliuDt , einen sehr schlaffen hellgrünen Igelskolben, und die kleine Ulricularia iiiiiior. Je mehr nun die Hochmoorvegetation sich aus- prägt, desto unebener und buckliger wird das Gelände, am typischsten entwickelt zwischen Paulsborn und Hundekehle. Kleine, krüppelhafte Kiefern treten auf dem Moore auf und bilden dichtere bis lichtere Bestände und zeigen die interessantesten Stellen an. An den Rändern schon treten die Drosera- , die Sonnentauarten auf, die wegen ihrer insektenfangenden Blätter auch das Interesse des großen Publikums erregen. Es sind alle 3 Arten, der rundblättrige D. rotiin- difolia, der langblättrige D. Aiiglica {D. longi- folid) und der mittlere D. intervicdia (mit den kurzen Blütenständen und ziemlich schmalen Blättern) vorhanden, zwischen D. rotundifolia und den beiden anderen Arten finden sich zahlreiche Bastarde. Gleichfalls schon an den Rändern wächst eine sehr zierliche, nur etwa meterhohe, schmalblättrige, silberige Weide Salix rosinarim- folia und dazwischen kriecht wieder der schon genannte Carcx dtocca. An feuchten Senken bildet die weißblühende Cyperacee Rhyiichospora alba ganze Bestände und auf einem noch mit Schilfrohr bewachsenen Teile entwickelt sich im Spätsommer die grünlich blühende, gleichfalls mit oberirdischen Knollen versehene Orchidee Malaxis palndosa und hin und wieder, leider durch die Berliner sehr dezimiert, leuchtet im Juli und August eine herrlich blaue Enzianblüte von Gcii- tiana piieuiiwnanthe heraus. Vielfach wird der Teppich des Randes von kleinen Cyperaceen (so von der grünen, rasenbildenden Carex Oederi, der graugrünen kriechenden C.paniceae^ic.) und Gräsern, darunter n^vatniWch Sieg lingia decuDibens, gebildet. Betreten wir das eigentliche, bebuschte Hochmoor, so treten uns zwischen den dichten Polstern der Sphagnen und Polytrichen zunächst die zahlreichen Büsche des stark riechenden Sumpfporstes (Motten- krautes) Lcduiii palustre entgegen, welches im Mai seine zahlreichen kleinen, R/iododciulron-Ähn- lichen, weißen Blüten entwickelt. Leider wird auch ihm viel nachgestellt. Am Boden verspinnt in großen Mengen die zierliche Moosbeere Vacci- fiiitiii oxycoccos mit den dünnstieligen rötlichen Blüten und den großen roten Beeren ihre feinen Zweige zu kleinen Polstern. Vereinzelt blüht im Mai Andromcda polifolia mit den i;>/Vrt-ähnlichen, prachtvoll rosa gefärbten Blüten und unterseits weißen Blättern. Neben dem schon erwähnten Eriophornin gracile ist dann noch besonders der grünlich blühenden Juncaginacee Schcitchzcria pa- lustris Erwähnung zu tun, von der C. A. Weber in seiner trefflichen Arbeit über das Augstumal- moor nachgewiesen hat , daß sie einen ganz bestimmten Hochmoortypus bildet. Die zierlichste der einheimischen Seggen C. liuiosa mit ihren hängenden bräunlichen Ahrchen, findet sich hier wie stellenweise auf den früher beschriebenen Übergangsformationen. Das kleine Sumpfveilchen Viola palustris ist gleichfalls nicht selten. Die Kiefern leiden, wie man sieht, in der Sumpfformation sehr stark, sie zeigen schwachen und krüppelhaften Wuchs. Untersucht man ihren Stammgrund, so findet man ihn ganz tief im Moose versteckt und durch die dauernde P'euchtig- keit mit stark mißbildeter Rinde bedeckt. Nach stärkerem Anwachsen des Mooses gehen die Kiefern daher allmählich zugrunde, sie ersticken im Moose. Durch das Absterben der Kiefern wird der Sonne nun der Eintritt in den Bestand gestaltet, die Moose werden stärker bestrahlt, die Verdunstung nimmt zu, sie trocknen stärker aus und bleiben deshalb in ihrem Wachstum zurück. In dieser Periode der Hemmung sehen wir dann wieder zahlreiche Kiefern aufsprießen , die all- mählich wieder Schutz und Schatten spendend den Moosen ein kräftigeres Gedeihen ermöglichen. Die Moose bringen dann natürlich wieder durch ihr üppiges Wuchern die Kiefern zum Absterben. Diesen Kreislauf kann man auf den Grunewald- mooren gut beobachten. P. Graebner. Herr L. Loeske bemerkt uns über die Moose des Grunewaldes folgendes: Die Moose sind im allgemeinen sehr genüg- same Gewächse. Sie verlangen von der Unterlage, auf der sie wachsen, sehr wenig und in vielen Fällen weiter nichts als mehr oder weniger Feuchtig- keit, einen bestimmten Grad der Beschattung oder eine gewisse physikalische Beschaffenheit. Jede Art stellt aber ihre eigenen Bedingungen und verschwindet, wenn sie sich ändern. Auf den breiten Wegen nach Schildhorn sieht man kaum ein Moos; die Trockenheit und der durch das fortgesetzte Begehen aufwirbelnde Staub haben sie vertrieben. Auch wo das Gras unter den Kiefern weite Bestände bildet, ist kein Reich der Moose. Steigen wir aber höher hinauf auf die Kuppen, die die Seenkette begrenzen, oder gehen wir tiefer hinein in den Wald, so finden wir bald die Strecken, wo unter den Kiefern einige wenige Moosarten (Dicrannm, Hypnuin Schrcberi, Hypniim splendens usw.) die charakteristische Moosvegeta- tion des norddeutschen Kiefernnadelwaldes bilden. Wo sie sich zusammenhängend auf weiten Flächen ausbreiten, halten sie vermöge einer allen Moosen eigenen Fähigkeit große Mengen Wassers fest, die sie nur allmählich wieder abgeben. Wie wichtig diese wasserhallende Moosdecke in trockenen Klimaten für die Kiefern ist, kann man in solchen Kiefernheiden entdecken, in denen die Bauern das Moos vom Boden fortharken, um es als Streu zu verwenden. In solchen Wäl- dern (Bauernheiden) trocknet der Boden sehr stark aus und die Bäume verkümmern. Man darf daher behaupten , daß bei uns die Moosdecke unter den Kiefern mit diesen eine Lebensgemein- schaft bilde; die Moose erhalten von den Bäumen N. F. VI. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 363 den Schatten und den Boden, den sie brauchen und .sie verhindern dafür eine Austrocknung des Bodens, die beiden Teilen schädlich wäre. Ganz anders sehen die Moose aus, die im Hochmoor südlich vom Hundekehlesec unter Birken und niedrigen Moorkiefern ihr Reich entfalten. Hier sinkt der Fuß in die großen, weichen und tiefen Polster der bleichgrünen, bräunlichen, röt- lichen usw. Torfmoose ein. Bei diesen Moosen geht die Fähigkeit, Wasser festzuhalten, am weite- sten, wie wir leicht erkennen, wenn wir versuchen, ein Büschel davon auszudrücken. Zwischen den Torfmoosen erheben sich Kuppen von anderen Moosen, die gewöhnlich den Grund der Bäumchen umgeben und fester gewebt sind (Polytricliuin strictuni, Sphagimin fusciim usw.) und die in ihren Zwischenräumen manches seltene Gewächs bergen, das sich durch die Polster hindurchzwängt. Am schönsten ist das Moor im Sommer, wenn die zierlichen Ranken der Moosbeere ihre reizenden Blüten entfalten und später ihre Früchte auf den Moospolstern reifen lassen und die Torfmoose in der Sonnenhitze ihre volle Farbenpracht ent- wickeln. F.in Torfmoos als vollständiges Indivi- duum zu erhalten, ist nur bei jungen Exemplaren möglich; die älteren Pflanzen \erlieren sich nach unten ohne unterscheidbare Grenze in den Torf des Untergrundes, den sie hier zu einem Haupt- teile bilden halfen. Nach oben wachsen sie schein- bar unbegrenzt weiter. Auch hinter Paulsborn, gegen den Riemeistersee, spielen die Torfmoose an- fangs noch eine große Rolle. Mit dem allmäh- lichen Überwiegen der Erlen treten sie jedoch mehr und mehr zurück. Der Boden wird nähr- stoffreicher und gewährt nun anderen Moosen Unterkunft, die dafür empfänglicher sind als die Torfmoose. In den .Seen selbst treffen wir nur ein Moos an, das Ouellmoos {Fontiiialis), das von den ins Wasser tauchenden Wurzeln der Ufer- bäume aus ins Wasser hineinflutet und an der scharf dreikantig angeordneten Beblätterung leicht erkannt wird. Alles in allem ist die Moosvegetation der be- waldeten, trockenen Teile des Grunewaldes ebenso einförmig, wie diejenige der moorigen Gelände zwischen den Seen abwechslungsvoll und arten- reich. Sie enthält hier sogar Erscheinungen, die zu den größten Seltenheiten der deutschen Moos- flora gehört. Die Helligkeit der Atmosphäre in unmittel- barer Nachbarschaft des Sonnenrandes ist von Ceraski im letzten November photometrisch mit der Helligkeit der Sonnenscheibe verglichen wor- den. Dabei ergab sich, daß die Scheibe nahe ihrerh Rande nur ca. 35 mal so hell ist als das diffus reflektierte Licht in unmittelbarer Nachbar- schaft. (Astr. Nachr. Nr. 4164). den, die abseits von den Verkehrslinien wohnen und aus irgendwelchen Gründen ein Interesse an der genauen Kenntnis der Zeit haben. Für den Fachastronomen bildet bekanntlich das Meridian- fernrohr dasjenige Instrument, das ihm die Zeit genau zu bestimmen gestattet, denn die Sternzeit des Meridiandurchganges irgend eines Gestirns ist seiner aus den Jahrbüchern bekannten Rekt- aszension gleich. So einfach demnach die Zeit- bestimmung am Meridianfernrohr ist, erfordert dieselbe doch eben eine vorangegangene, genaue Meridianbestimmung und feste Aufstellung, und die richtige Orientierung der Fernrohrachse muß mit Hilfe möglichst weit entfernter Meridianmarken dauernd kontrolliert werden können , wenn eine ausreichende Genauigkeit der Zeitbestimmung gewährleistet werden soll. Einfache Instrumente zur Zeitbestimmung werden nicht nur von I-^orschungsreisenden, son- dern auch von allen denen als Bedürfnis empfun- i'ig. I. Das Chronodeik. Transportable Zeitbestimmungs - Instrumente müssen natürlich ihre Aufgabe ohne die Kenntnis des Meridians erledigen, und dies ist wegen der Symmetrie der scheinbaren, täglichen Gestirnbahnen in bezug auf den Meridian zunächst dadurch mög- lich, daß vor und nach der Kulmination gleiche Gestirnshöhen beobachtet werden. Das Mittel der Zeiten, zu denen von einem und demselben Ge- stirn ein beliebiger Höhenkreis passiert wurde, gibt dann sofort die Zeit des Meridiandurchgangs. Natürlich kann nun jeder Theodolith ohne weiteres zu dieser Art der Zeitbestimmung „durch korre- spondierende Höhen" benutzt werden, aber es ge- hört schon ein größeres und daher kostspieliges Instrument dazu, wenn die Bestimmung bis auf die Sekunde genau werden soll. Wird von dem Beobachtungsinstrument nun keine andere Leistung 3^4 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 23 als die Zeitermittlung verlangt, so läßt es sich diesem besonderen Zwecke entsprechend anpassen und ganz wesentlich vereinfachen, resp. verbilligen. Ein solches, ausschließlich der Zeitbestimmung mit Hilfe korrespondierender Sonnenhöhen dienen- des, recht brauchbares Instrument ist nun das sog. Chronodeik, das nach den Angaben von Dr. J. Palisa zurzeit von der Urma R. und A. Rost in Wien (XV, Märzstr. 7) fabriziert und zu dem niedrigen Preise von 130 Kronen geliefert wird. Unsere Abbildung dieses Instruments (Fig. i) zeigt ein schräg nach abwärts gerichtetes Fern- rohr, das um eine mit Hilfe der F'ußschrauben und zweier Libellen vertikal zu orientierende Achse gedreht werden kann. Die am unteren Ende des Rohres sichtbare Schraube dient dazu, einem hier im Inneren angebrachten Spiegel ver- schiedene Neigung erteilen zu können, so daß derselbe das durch einen Spalt des Rohres ein- dringende Sonnenlicht in die Rohrachse reflektiert. Im Brennpunkte des Fernrohrs befindet sich ein mit drei oder fünf horizontalen und zwei ver- tikalen, eingeritzten Linien versehenes Glas- plättchen. Bei der Beobachtung sind nun zunächst am Vormittage die Zeiten zu notieren, an welchen der obere und untere Sonnenrand über die Hori- zontallinien hinwegschreitet. Ohne daß der Spiegel im geringsten verstellt wird, wartet man dann den Zeitpunkt ab, zu welchem des Nach- mittags die Sonne durch Drehung des Instruments um die Vertikalachse wieder in das Gesichtsfeld gebracht werden kann. iVIan notiert nun wiederum die Zeiten des Antritts der Sonnenränder an die Horizontallinien und hat dann das arithmetische Mittel aller Antritte nur noch um die sog. Mittags- verbesserung, eine aus beigegebener Tafel zu ent- nehmende, wegen der in der Ekliptik fortschreiten- den Bewegung der Sonne erforderliche Korrektion, zu verbessern, um den wahren Mittag und alsdann mit Hilfe der Zeitgleichung den mittleren Mittag zu finden. Die konstante, nur von der geo- graphischen Länge des Beobachtungsortes ab- hängende Korrektion „Mitteleuropäische Zeit minus mittlere Zeit" liefert dann schließlich den ge- wünschten Uhrstand, der bei einiger Übung nur um wenige Sekunden von dem richtigen Werte differiert. Einen dem gleichen Zwecke dienenden „Sonnen- spiegel" verfertigt die F'irma C. Bamberg in I'Viedenau bei Berlin für 1 50 Mk. Wie unsere Durchschnittszeichnung dieses Instruments (Fig. 2) sofort erkennen läßt, ist das Prinzip dieses Apparats genau dasselbe wie beim Chronodeik, nur wird nicht der Spiegel (G) gedreht, sondern dem ganzen Rohre die geeignete Neigung erteilt, indem es um die Achse C drehbar ist und durch die Schraube E festgestellt werden kann. Das Diopter NN dient dabei als Sucher. Das Fern- rohr ist ein Gregory'sches Spiegelteleskop, wodurch eine stärkere Vergrößerung als beim Chromodeik erzielt wird, die es ermöglicht, noch etwa eine Stunde vor und nach dem Mittage zu beobachten. Eine Beobachtung mit diesem Instrument wird in der Regel die Richtigkeit der Sekunde verbürgen können. Über ein ganz einfaches, als „Sonnenrohr" be- zeichnetes Durchgangs -Instrument, das der Me- chaniker G. Halle in Rixdorf bei Berlin (Knesebeck- straße 145) für 40 Mk. liefert, berichtet Geh.-Rat Förster im Mai-Heft (1907) der „Mitt. der Vereinigung von Freunden der Astronomie und kosm. Physik". Dieses Sonnenrohr enthält keiner- lei Linsen, sondern bildet die Sonnenscheibe durch eine Lochkamera auf einer mit Fadenkreuz ver- sehenen Glasplatte ab. Das Sonnenbildchen hat 3,2 mm Durchmesser und es läßt sich mit einer Genauigkeit von 1 — 2 Sekunden der Zeitpunkt beobachten, zu welchem das Fadenkreuz das Bild- chen in vier gleiche Quadranten zerteilt. Dieses Instrument erfordert allerdings eine feste Auf- Fig. 2. Der Sonnenspiegel. Stellung auf einer in die Mauerwand eingegipsten, eisernen Stativkonsole und muß, ehe es zur Zeit- bestimmung dienen kann, mit Hilfe der richtig zeigenden Uhr so justiert werden, daß das Rohr sich um eine genau horizontale Achse nahezu in der Meridianebene bewegt. Dafür ist dann nur eine Beobachtung im wahren Mittag zu machen, um die Uhrkorrektion bis auf wenige Sekunden genau zu erhalten. Allerdings erfordert die Re- duktion noch das Aufschlagen zweier trigonome- trischer Funktionen, die von der Sonnendeklination abhängen. Diesen mehr populären Instrumenten gegen- über beansprucht das gleichfalls nur der Zeit- oder Polhöhenbestimmung angepaßte „Astrolabe" von Claude und Driencourt den Rang eines wissenschaftlichen Präzisionsinstruments. Dieses von A. Job in in Paris (rue de l'Odeon 21) kon- struierte Instrument, das wir in Fig. 3 abgebildet sehen, trägt vor einem horizontal montierten Fernrohr ein Prisma C, dessen Querschnitt ein N. F. VI. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 365 gleichseitiges Dreieck ist und dessen dem Objektiv "zugewandte Fläche vertikal steht. Schräg unter- iialb des Prismas befindet sich noch der (Jueck- silberhorizont 1 1. Die Zeichnung Fig. 4 läßt nun unschwer erkennen, daß von einem Gestirn, das genau die Höhe von 60" passiert, Strahlen sowohl nach einmaliger Reflexion (an der unteren Prismen- oben nach unten, das andere umgekehrt bewegen und nur in dem Momente in eines zusammen- fließen, wenn die Gestirnshöhe genau den Wert von 60" (oder, falls der Schliff des Prismas nicht ganz genau war, einen diesem sehr nahe liegenden, aber ein für allemal konstant bleibenden Wert) erreicht. Nun besteht zwischen der Gestirnshöhe h, i'ig Das Prismen-Astrolabium. flächel, als auch nach zweimaliger Reflexion (bei H und an der oberen Prismenfläche) horizontal in das Fernrohr geleitet werden, so daß das Ob- jektiv alle diese parallel eintretenden Strahlen zu einem Brennpunktsbilde des Sterns vereinigen wird. Sowohl vor als nach dem Zeitpunkte jedoch, zu welchem die genaue Höhe von 60" erreicht wurde, werden die in die obere Objektivhälfte eintretenden Strahlen, die in H reflektiert wurden, den nur an der unteren Prismenfläche reflektierten Strahlen nicht parallel sein. Im Gesichtsfelde des Fernrohres beobachtet man demnach zwei Bilder des Sterns, die sich entgegengesetzt, das eine von Kig. 4. 366 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 23 dem Stiindenwinkel t und der Deklination d eines Gestirns die aus dem sphärischen Dreieck Pol- Zenit-Stern sofort folgende Beziehung sin h — sin ip sin ö cos t = r . cos fp cos 0 Demnach ist der zur Höhe h gehörige Stunden- winkel t und damit auch die Sternzeit 0 ^ l -\- a bekannt; der Vergleich der Stern-Uhrzeit der Be- obachtung mit dem durch Rechnung bestimmten Werte von !} gibt also unmittelbar die Uhrkorrek- tion. Der dem Prismenastrolabium angefügte, eingeteilte Azimutalkreis dient dazu, das Azimut vor der Beobachtung auf den durch Rechnung (oder graphisch) ermittelten Wert einzustellen. Natürlich kann die Beobachtung zur Erhöhung der Genauigkeit mehrmals mit anderen Sternen wieder- holt werden, auch kann bei Forschungsreisen, wenn die Grcenwicher Zeit durch ein mitgeführtes Chrono- meter bekannt ist, nach der Sumner-Methode zu- gleich die Polhöhe und die Ortszeit, resp. geogr. Länge ermittelt werden. Prof Hammer gibt in der Zeitschrift für Instrumentenkunde (Bd. 28, S. 18) an, daß es leicht möglich sei, mit diesem Instrument innerhalb einer Stunde etwa 40 Sterne zu beobachten und dadurch die Polhöhe oder Zeit bis auf wenige Zehntel der Bogensekunde bzw. Hundertel der Zeit- sekunde sicherzustellen. Die Einfachheit der Be- obachtung und die Genauigkeit der Ergebnisse sind demnach ganz hervorragend. Das Prismenastrolabium wird in drei Größen ausgeführt, bei denen das Fernrohr 22, 45 und 61 mm Objektivdurchmesser besitzt und eine 30-, 75- und I 50 fache Vergrößerung liefert. Die Brennweiten dieser drei Modelle sind 210, 365 und 570 mm, der Preis stellt sich auf 1200, 2500 und 4600 fr. Vereinswesen. Deutsche Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde(E.V.). — AmMittwoch, den 16. Januar, hielt im Bürgersaale des Rathauses Herr Prof Baum von der Königl. Bergakademie einen Vor- trag über: „Die Gefahren des Bergbaues und deren Verhütung". Der Vortrag war durch ein sehr reichhaltiges Demonstrationsmaterial unterstützt. Am Mittwoch, den 23. Januar, sprach im großen Hörsaal VI der Königl. Landwirtschaftlichen Hoch- schule Herr Prof. Dr. G. Fischer über: „Die Elektrizität und die .Ausnutzung der Naturkräfte." Jahrtausende lang, führte der Vortragende aus, konnten die Menschen keine andere Kraft für ihre Zwecke verwenden als die ihres Körpers; bei dem Bau der Pyramiden waren hunderte von Sklaven viele Jahre tätig, um ein Bauwerk zu errichten, das heute unter Benutzung mechanischer Trans- port- und Hebevorrichtungen in weit kürzerer Zeit und von viel weniger Menschen \ollendet werden würde. Eine der größten Erfindungstaten war es, als zum erstenmal ein Mensch eine Naturkraft in seinen Dienst zwang und so leitete, daß sie ihm Arbeit verrichtete. Aber auch als die Wasser- und die Windkraft längst ausgenutzt wurden und dort, wo Wasserkräfte und Rohstoffe beieinander waren, wie im Eisenlande Westfalen, schon lokale Industrien bestanden, blieb die Verwendung der Naturkräfte in engen Grenzen, die erst unter dem Einfluß des Dampfes überschritten wurden. Die Dampfmaschine ist nicht, wie das Wasserrad, an die Stelle gebunden, sie kann der Industrie an den Gewinnungsort der Rohstoffe oder an die Stelle des Bedarfs folgen, wenn nur die Kohlen herangebracht werden können, ihre Größe kann unbeschränkt der verlangten Leistung angepaßt werden, ihre Kraft steht jederzeit zuverlässig zur Verfügung, während Wind und Wasser wechseln. Da man die Dampfmaschine auch als Loko- mobile und Lokomotive beweglich zu bauen lernte, so schien die Herrschaft des Dampfes gesichert, obwohl die Ausnutzung der in den Steinkohlen aufgespeicherten Sonnenwärme durch die Dampf- maschine höchst ungünstig ist. Die besten Dampf- maschinen setzen nämlich nur etwa 20* der durch die Verbrennung der Kohlen erzeugten Wärme in mechanische Arbeit um, die meisten sogar noch viel weniger, gegenüber den 75 — 80 'Y,,, die eine gute Turbine von der Arbeit des Wassers nutzbar macht. Mit der Erfindung des dynamo- elektrischen Prinzips durch Werner Siemens im Jahre 1866, das die Herstellung großer Dynamomaschinen und Elektromotoren mit hohen Wirkungsgraden bis über 90% und bequemer Übertragung der Kraft durch Kupferdrähte ermöglichte, gewann man ein Mittel, um von den großen Wasserkräften aus ent- fernt gelegene Orte mit Kraft zu versorgen. An- fänglich war der Umkreis, der an ein Elektrizitäts- werk angeschlossen werden konnte , nicht groß, weil man bei den Gleichstromdynamomaschinen nur niedrige Spannungen anwenden durfte und daher die Stromstärke bei höheren Leistungen so groß wurde, daß sehr dicke und teure Leitungen erforderlich waren. Die Verwendung von Wechsel- strom erleichterte die Ausführung der Isolierung und bot so die Möglichkeit zur Verwendung höherer Spannungen. Besonders der dreiphasige Wechselstrom (sog. Drehstrom), bei welchem in jeder der drei zur Kraftübertragung dienenden Lei- tungen die Stromwechsel im gleichen Takt, aber gegeneinander um je ' ., Takt versetzt erfolgen, hat wegen der großen Einfachheit seiner Maschinen bahnbrechend für die Ausdehnung der elektrischen Kraftübertragung gewirkt. Spannungen von 50 bis 60000 Volt sind schon ausgeführt, unter Be- nutzung von Transformatoren hat man in den Leitungen sogar 100 000 Volt erprobt. Dadurch sind Leitungslängen von 300 km (in Kalifornien) möglich geworden, und allen Ernstes ist der Plan erwogen worden, vom Sambesi loooo PS nach den Goldminen im Randgebirge, also auf etwa 1200 km, zu übertragen. Das macht die Wasserkräfte dem Dampf gegen- über konkurrenzfähig, schon der Niagarafall allein liefert heute iioooo PS auf dem der Union ge- N. F. VI. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 367 hörigen Ufer. \'oii noch wesentlicli größerer Bedeutung sind die Talsperren, deren Bau in Deuschland dank der Tätigkeit Intzes in ausge- dehntem Matie unternommen wurde. Durch eine starke Mauer wird ein P"lußtal abgesperrt, so daß oberhalb ein See entsteht, in dem bei Hoch- wasser der sonst zerstörende t'berfluß sich sammelt, um in trockener Zeit Wasserleitungen und Kraft- werke zu speisen. Im Ruhrgebiet werden bald 31 Millionen cbm Wasser in den Stauseen der Talsperren Platz finden, die Urfttalsperre in der Hifel faßt 45,5 Mill. cbm. und sendet elektrische Kraft bis nach Achen und Düren. Und nocli liarren im Harz und den schlesischcn Bergen und an den deutschen Abhängen der Alpen viele Millionen PS ihrer ErscJiließung durch die Elektrizität. Auch andere Naturkräfte nehmen mit Hilfe der Dynamomaschine den Kampf mit dem Dampf auf. In den Gasmotoren ist es die Wärme, die aus Kohlen, flüssigen Brennstoffen oder den Ab- gasen der Hochöfen entsteht, und selbst der Wind treibt schon Dynamomaschinen, doch hindert seine Unbeständigkeit die Ausnutzung dieser scheinbar billigen Kraft. In diesem Kampf wuchsen nun aber auch dem Dampf neue Kräfte. An die älteren Verbesse- rungen der Dampfmaschine, Kondensation des ausströmenden Dampfes und Verringerung der Abkühlungsverluste durch Verwendung zweier Dampfzylinder mit abgestufter Expansion, schlössen sich andere. Der Dampf wird stark überhitzt und dadurch von mitgerissenen Tröpfchen heißen Wassers befreit, das verringert die Verluste an Wärme, so daß gute Heißdampfmaschinen über 20 "1, der Wärme in nutzbare Arbeit verwandeln. Die letzten Jahre haben auch in der Dampfturbine eine Maschine ausgebildet, die wie die Wasser- turbine ein umlaufendes Schaufelrad, aber nicht die hin- und hergehenden Teile der Kolbendampf- maschine besitzt, sparsam im Dampfverbrauch und Raumbedarf und leicht zu bedienen ist. Ganzjung sind endlicli die Abwärmekraftmaschinen, die, gleich Dampfmaschinen gebaut, mit dem Dampf von schwefliger Säure oder anderen Stoffen mit niedrigem Siedepunkt betrieben werden. Sie nutzen die Wärme aus, die auch bei den besten Dampfmaschinen mit dem Abdampf verloren geht, indem die schweflige Säure im Kondensator der Dampfmaschine verdampft und auf 10 — 12 Atm. Spannung gebracht wird. Das oft gebrauchte Wort vom Kampf zwischen Elektrizität und Dampf trifft also nicht zu, denn der Dampf versorgt selbst eine große Zahl von elektrischen Zentralen mit Kraft, während die Elektrizität nur als Mittel zur Übertragung dieser Kraft dient. L'nd trotz der gewaltig gestiegenen .Anwendung anderer Naturkräfte ist die Dampf- kraft nicht zurückgedrängt worden, weil mit der gesteigerten Möglichkeit zur Ausnutzung neuer Kräfte auch das Bedürfnis dafür gewachsen ist. I. A.: Dr. W. Greif, 1. Schriftführer, Berlin SO 16, Köpenickerstraße 142. Bücherbesprechungen. Dr. Adolf Mayer, Lehrbuch der ,\grikultur- cheniie. 6. verb. Aufl. 3. Bd. Die Gärungs-' chemie. Neubearb. von Dr. Jakob Meisen- heim e r. Mit Abb. Heidelberg , Carl Winter's Universitatsbuchh. 1 906. — Preis (),6o Mk. Das Buch von 248 Seiten beschäftigt sich nach der sehr brauchbaren Definition des Begriffes „Gärung" auf S. 1 1 mit der „mehr oder weniger tiefgreifenden Umsetzung organischer, in selteneren Fällen auch anorganischer Substanz, veranlaLU durch niedere, ein- zellige, chlorophyllose Organismen". Es ist eine gut zusaramengestelhe Arbeit eines Autors, der auf dem Gebiete selbst gearbeitet hat. Nach einer geschicht- lichen Entwicklung des Begriffes „Gärung" bespricht Verf. die alkoholische Gärung, die Frage nach der Möglichkeit einer Urzeugung, die Hefeorganismen, ihre Ernährung und Lebensbedingungen, die Zymase- gärung, die Bakterien, den Kreislauf des Kohlenstoffs und des Stickstoffs. Die Fortschritte der letzten Zeit auf dem Gebiet der Gärungschemie haben ordent- liche Berücksichtigung erfahren. Müller -Pouillets Lehrbuch der Physik und Meteorologie, lo. Aufl. 11. Bd. i. Abt. Die Lehre von der strahlenden Energie (Op- tik), von O. Lummer. 880 Seiten mit 8 Taf. und 754 Figuren. Braunschv/eig, F. Vieweg & Sohn, 1907. — Preis 15 Mk. Obgleich bereits die vorige Auflage der Optik von Prof. O. Lummer fast gänzlich neu bearbeitet worden war , sind doch auch in der vorliegenden Neuauflage recht beträchtliche Veränderungen vor- genommen worden , um der Lehre von der strahlen- den Energie eine einheitliche Bearbeitung zuteil werden zu lassen. Es ist mit Dank zu begrüßen, daß dabei auf eine Beschränkung des Volumenzuwachses Bedacht genommen wurde. So wurde die nach Ansicht des Verfassers in der vorigen Auflage zu ausführlich ge- ratene Abbildungslehre erheblich gekürzt. Die An- ordnung des Stoffes wurde ferner vollkommen ver- ändert und die Abbildung im Sinne der Wellenlehre weit nach vorn genommen. Von neueren Fort- schritten, die in der neuen Auflage eingehend be- rücksichtigt wurden , seien hier nur genannt die Theorie von v. Kries über die Funktionen der zweierlei Netzhautelemente, Chun's Ergebnisse in bezug auf die Augen der Tiefseefische, der Strahlungsdruck, die neueren Sonnentheorien von Schmidt und Julius, die Interferenz-Spektralapparate von Michelson, Fabry, Lummer -Gehrcke, und die auf den Gesetzen der „schwarzen" Strahlung beruhenden Temperaturbestim- mungen. Sehr erheblich erweitert und auch nach der astrophysikalischen Seite hin ergänzt wurden die spektralanalytischen Kapitel , in denen auch die in der Verteilung der Spektrallinien aufgefundenen Ge- setzmäßigkeiten eingehend besprochen wurden. Ein etwa 300 Seiten umfassender und noch für den laufenden Sommer in Aussicht gestellter Schlußteil wird die treffliche, durchaus modern gestaltete Lummer'sche Optik zum Abschluß bringen. F. Kbr. 368 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 23 Literatur. Knauer, Dr. Frdr.: Zwicgestalt der Geschlechter in der Tier- welt (Dimorphismus). Mit 37 Abbildgn. im Text. (IV, I2Ü S.) Leipzig '07, B. G. Teubner. — 1 Mk., geb. m Leinw. 1,25. Weinschenk, Prof. Dr. Ernst: Die gesteinsbildenden Mmera- lien. 2., umgearb. Aufl. (IX, 225 S. m. 204 Fig. u. 21 Tab.) &". Freiburg i. Br. '07, Herder. — Geb. in Leinw. 9 Mk. Briefkasten. Herrn K. S. in Odessa. — Der ,, lebende Cenlaur", der in Ihrer russischen Zeitschrift abgebildet ist und, nach der Unterschrift, im zoologischen Garten zu Amsterdam gezeigt werden soll, stammt, wie mir einige Herren hier am Museum mitteilen, aus der .^ p r ilnummer einer Berliner illustrierten Zeitung. Dahl. Herrn Lehrer W. in Styrum. — Über die Geschwindig- keit der Ringelnatter sagt J. Olshausen (Geschwindig- keiten in der organischen und anorganischen Welt, Hamburg 1903, S. 83): ,, windet sich in Schlangenlinien gewöhnlicli langsam schleichend über den Boden hin, mit einer Geschwin- digkeit von 10 cm in der .Sekunde, auf der Jagd nach Beute ist aber '/a — ' ™ '° '^^'' Sekunde nichts Besonderes. Eine noch größere Geschwindigkeit erreicht sie, wenn sie sich plötzlich wurfartig auf kurze Strecken fortschleudert oder springt, auf der Flucht oder auf ihr Opfer losschießend." Ein galoppierendes Pferd bewegt sich nach demselben Autor (S. 62) 4'/.,— 8 m und noch mehr in der Sekunde. — Die Beantwortung der anderen Fragen folgt. Dahl. Herrn A. in Friedenau. — Ist die geologische Beschaffen- heit von Udabis bei Warmbad in Deutsch-Südwestafrika be- kannt, daß die Möglichkeit gegeben werden kann, das Trink- wasser von dem bitteren Geschmack zu befreien? Udabis östlich Warmbad wird vermutlich Granit oder andere archaische Gesteine im Untergrund haben, jedoch scheint die Wasserstelle den Angaben nach, wie gewöhnlich, im Kies des Fluß-Trockcnbettes zu liegen. Der Salzgeschmack vieler südwestafrikanischer Wasserstellen beruht nicht auf dem Gehalt an „Salpeter", sondern an Glaubersah (Naj SO4), Koch- salz (Na Gl) und Gips (CaSOj). Abkochen oder Destillieren hilft natürlich nicht ; man kann unter Umständen dadurch Abhilfe schaffen, daß man den Brunnen oder die .Ausflußstelle vertieft und die oberen Wasserschichten durch Letten, Ton oder Zement abschließt, da der Salzgehalt nahe der Oberfläche vielfach größere Konzentration zeigt. Auch wechselt der Salz- gehalt öfter nach den Seiten des Trockenbettes hin , so daß der Farmer am besten mehrere Versuchsbrunnen in wechseln- den Abständen voneinander anlegt. Lotz. Herrn W. in R. — Weshalb sind Pflanzen , die bei uns auch im Winter vegetieren , wie z. B. Sphagnen und Moor- Hypnaceen gern rot oder rötlich, während sie sonst grün sind ? Die Blätter der Sph.ignaceen bestehen aus zwei verschie- denen Elementen, von denen die einen, die Chlorophyll füh- renden Zellen, das assimilatorische oder ernährungsphysiolo- gische System darstellen, während die anderen, die hyalinen Zellen, das mechanisch wirksame System bilden. Diese beiden Zellformen sind miteinander zu einem Maschenwerk verbunden, bei dem bald die einen bald die anderen der Oberfläche der Sphagnumblätter näher liegen. Die hyalinen Zellen erscheinen etwa quadratisch, die Chlorophyllzellen rectangulär. Die letzteren erhalten ihre Festigkeit und Standhaftigkeit durch eine genügende Dickwandigkeit sowie durch den Turgor, während die hyalinen Zellen durch Aussteifung vermittels ring- oder schraubenförmig verlaufender Leisten oder Fasern die erforderliche Festigkeit erlangen. Die den assimilatorischen Zwecken dienenden Chlorophyllzellen zeigen meistens eine bestimmte Anordnung und Lage im Sphagnumblatte. Man sollte meinen, daß bei der Dünne und Durchsichtigkeit der Blätter die Chlorophyllzellen in jeder Lagerung die ihnen nötige Lichtmenge erhalten würden. Im Gegenteil, die Lage- rung der Chlorophyllzellen hat den Zweck, die Chloroplasten vor allzu starkem Lichtgenuß zu schützen, da dieselben sonst der Zerstörung durch zu intensives Licht anheimfallen würden. Die Chloroplasten der Moose sind bekanntlich sehr lichtscheu im Vergleich zum Chlorophyll der meisten höheren Gewächse. Wir finden daher die Mehrzahl der Laub- wie namentlich der Lebermoose an mehr oder weniger schattenreichen Orten ja im tiefsten Waldesdunkel gedeihend und wir wissen, daß bei diesen Gewächsen das die Chlorophyllkörner einschließende Protoplasma infolge Lichtreizes Bewegungen ausführt, durch welche die Chlorophyllkörner aus der Lichtlage in die Schattenlage versetzt werden, d. h. in eine Stellung gebracht werden, bei der sie viel weniger Licht empfangen als vorher. Unter der Voraussetzung nun, daß das Chlorophyll der Torfmoose ebenso lichtempfindlich ist und nicht ungeschützt den direkten, im Sommer fast rechtwinklig auffallenden Sonnen- strahlen ausgesetzt werden darf, werden uns die Form- und Lagerungsverhältnisse der Chorophyllzellen sowohl als auch die gerade bei den Sphagnen sehr verbreiteten Pigmentierun- gen ihrer Zellwände verständlich. Schon dadurch, daß sich die hyalinen Zellen bald auf der Innen-, bald auf der Außen- fläche der Blätter über die Chlorophyllzellen vorwölben, wird verhindert, daß das Licht direkt zu den letzteren gelangen kann. In noch höherem Maße sind n.atürlich die von den hyalinen Zellen vollkommen eingeschlossenen Chlorophyll- zellen gegen zu grelles Licht geschützt. Im Falle, daß dieser durch die Hyalinzellen gewährte Lichtschutz nicht ausreicht, treten an besonders exponierten Standorten in den Wänden der Chlorophyllzellen gelbe, braune, rote oder violette Farb- stoffe auf, die als ,, Lichtschirm" zu deuten sind ; so besonders in der Cymbifoliumgruppe und bei den Acutifoliis. Während des Herbstes und Winters, wo die Lichtintensilät in unseren Breiten bedeutend nachläßt, verblassen auch die Farbentöne der Torfmoore und werden erst wieder lebhafter, wenn im Frühling die Sonne höher steigt. Im Hochsommer sind die Farbentöne der Sphagna stets am lebhaftesten. So ist die auf sonnigen Hochmooren verbreitetste Art Sphagnum fuscura, wie der Name sagt, tiefbr.aun gefärbt; Formen derselben Art , welche an beschatteten Stellen wach- sen , sind lichtbraun bis hellgrünbräunlich gefärbt. Die an sonnigen Stellen des Hochmoores ebenfalls sehr verbreiteten Formen des Sph. tenellum Klingg. var. rubellum (= Sph. rubellum Wils.) sind tiefrot gefärbt, desgleichen die hier wachsenden Formen des Sph. cymbifolium Ehrh. (Sph. medium Limpr.), während andere dieser Art angehörende Formen wie das nahverwandte Sph. Au-4ini SuUiv. braun bis tiefbraun ge- färbt sind. Die 'rote Farbe ist ferner bei den Acutifoliis, mit Ausnahme des schattenliebenden Sph. fimbriatum Wils. und Sph. Girgensohnii Russow, sehr verbreitet, ja fast stets vor- handen, zumal bei den an sonnigen Plätzen wachsenden Formen. Bei Sph. Girgensohnii Russ. tritt, wenn es an freien, lichten Plätzen wächst, ein gelbbrauner bis brauner Farbstoff auf Eine andere, ganz ausgezeichnete Lichtschutzvorrichtung tritt uns in den Papillen bei Sph. papiUosum, Sph. leres, Sph. squamosum und Sph. Wulfianum entgegen. Diese Papillen, die sich auf den Innenwänden der hyalinen Zellen befinden, bewirken eine Verdunklung der Längswände der Chlorophyll- zellen. Alle diese Einrichtungen dienen in erster Linie dazu, die Chlorophyllzellen vor allzu starker Besonnung zu schützen und vor der Zerstörung zu bewahren. Einen anderen Nutzen als den eines „Lichtschirmes" können die Chlorophyllzellen wohl kaum aus diesen Einrichtungen ziehen. Dr. P. Beckmann. Inhalt: K. Bernau: Frühlingsvegetation am Gardasee. — Max Wolff: Das Licht in der Tiefe des Weltmeeres. — Kleinere Mitteilungen: E. Küster: Über die Beziehungen der Lage des Zellkerns zu Zellenwachstum und Membran- bildung. — P. Graebner: Die Flora des Grunewaldes. — Geras ki: Die Helligkeit der Atmosphäre in unmittel- barer Nachbarschaft des Sonnenrandes. — Einfache Instrumente zur Zeilbestimmung. — Vereinswesen. — Bücher- besprechungen: Dr. Adolf Mayer: Lehrbuch der Agrikulturchcmie. — M üller-Pouil 1 e ts Lehrbuch der Physik und Meteorologie. — L.itteratur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof Dr. H. Polo nie, Grofi-Lichlerfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge VI. Band; der ganien Reibe XXII. Band. Sonntag, den 16. Juni 1907. Nr. 24. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten , wie bei der Expedition. Der Halbjabrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespallene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung, Die Pflanzenwelt der Antarktis nach den Ergebnissen der Deutschen Südpolar - Expedition. [Nachdruck verboten.] Von Dr. Emil Werth, Im Gebiete der Antarktis im weiteren Sinne wurden von der Deutschen Südpolar-Expedition botanische Sammlungen angelegt auf Possessio n- Insel der Crozet-Gruppe, auf Kerguelen , Heard-Eiland und auf dem Gauß-Berg an der Kaiser Wilhelm II. -Küste. Letztere, in der Hochantarktis gelegene Lokali- tät bot als isolierter, aus dem Meere und dem unabsehbar ausgedehnten Inlandeise des Ant- arktisch enKontinentes hervorragender Berg- kegel nur eine sehr spärliche Flora. Neben drei, z. T. weit verbreiteten Flechten trägt der Basalt- berg nur ein als neu beschriebenes Laubmoos {Bryiim filicaule), welches in dichten, festen Polstern dem unwirtlichen Klima trotzt. Reich- licher gestaltet sich die Flora auf den drei ge- nannten, der gemäßigteren Antarktis mit ozeani- schem Klima angehörenden Inseln: Kerguelen, Heard- und Possession -Insel. Wie wir aus dem vor kurzem erschienenen ersten Teile des Botanischen Bandes der wissenschaft- lichen Ergebnisse der Deutschen Stid- polar-Expedition^j ersehen können, hat durch die Sammlungen der Expedition die Cryptogamen- flora der genannten Inseln eine wesentliche Be- reicherung erfahren. Interessant ist die große Menge von Pilzen mit mehr oder weniger aus- gesprochen parasitischer Lebensweise, welche auf den Blütenpflanzen, vornehmlich den Gräsern, Kerguelens und der C r o z e t s erbeutet wurden. Poa Cookii, ein großes üppiges Gras, beherbergt allein 12 verschiedene Pilze, die fast sämtlich als neue Arten beschrieben werden mußten. Nur 2 Spezies davon sind den beiden genannten Inseln gemeinsam, sonst scheint das Gras auf jeder Insel seine eigenen pilzlichen Bewohner zu besitzen. Jujicus scheuchzerioides und Lycopodium inagella- niciim tragen je einen, beiden Inseln gemein- samen Pilz. Namentlich angeführt seien zwei neue Brandpilze: Urocystis Anemones forma Kerguelensis und Tilletia Sclicnckiaua, sowie ein neuer R o s t p i 1 z : Urcdo Kerguelensis, die beiden letzten auf Gräsern, der erstere auf einer Ranun- ') Deutsche Südpolar-Expedition 1901 — 1903. Im Auf- trage des Reichsamtes des Innern herausgegeben von Erich V. Drygalski, Leiter der Expedition. VIII. Bd. Botanik, Heft 1. I. P.Hennings: Die Pilze, z. A. Zahlbruckner : Die Flechten. 3. V. Schiffner: Die Lebermoose. 4. V. V. Brotherus: Die Laubmoose. 5. H. Schenck: Die Gefäßpflanzen. 6. E. Werth: Die Vegetation der subantarktischen Inseln, I. Teil. 370 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 24 ciilus-Art schmarotzend. Von Kerguelen waren bisher drei endemische Pilzarten bekannt; ein- schließlich Possession-Insel (Crozets), auf welcher bisher noch keinerlei Pilze gesammelt waren, er- höht sich die Zahl der Endemismen um 37 Arten. Die auf den genannten Inseln auch im Land- schaftsbilde stark hervortretende Flechtenflora wurde um 20 neue P'ormen bereichert. Die kleine Gruppe der Lebermoose gestattet in der vor- liegenden Verarbeitung von Prof V. Schiffner einen interessanten Einblick in die pflanzengeo- graphischen Beziehungen der Kergueleninsel. Es sind von dort überhaupt 37 Spezies von Leber- moosen bekannt, eine Zahl, welche beispielsweise Fig. I. Vegetationsbild von den Kerguelen (,,Grünc Insel"). Im Vordergrunde Strand formation von Cotiila jilumosa, mit eingestreuten Exemplaren von Pringlea; im Hintergrunde dieselbe und die großen Polster von Azorella Selago. E. Philippi phot. Fig. 2. Riesen polstcr v ii n A:.urella Selaijo. E. Philippi pliot. N. F. VI. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 371 gegenüber den nur 28 Gefäßpflanzen Kerguelens immerhin als recht stattlich erscheinen muß. Ent- sprechend der isolierten Lage der Insel ist die Zahl der endemischen Formen sehr groß; es sind 15 Spezies und 5 Varietäten, also fast 41 "/o der gesamten Lehermoosflora. Im übrigen bestehen starke Beziehungen zu den Magellanländern ; je eine Art hat Kerguelen gemeinsam mit Süd-Afrika und dem australisch-neuseeländischen Gebiete, ab- gesehen von fünf südlich zirkumpolaren Formen. Das Verhältnis zum nördlich zirkumpolaren Ge- biete, bezüglich zur europäischen Flora ist noch etwas unsicher und vielleicht nur durch nahver- wandte Formen ausgeprägt. Dagegen beherbergt Kerguelen zwei kosmopolitische Spezies. Die Laubmoosflora von Kerguelen, Possession- Insel (Crozet-Gruppe) und HeardEiland konnte durch die Sammlungen der Südpolar-Expedition Fig. Spärliche Vegetation von Acacita adscendens in exponierter Lage. E. Fhilippi pliot. *• Fig. 4. Dichte Decke von Acaena ad sc ende n$ an windgeschütztem Hange. K. Luyken phot. 372 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 24 um 29 Arten bereichert werden, hiervon sind 13 bisher noch nicht beschriebene Spezies. Die Untersuchung der Gefäßpflanzen-Flora der genannten Inseln, unter denen Possession -Eiland bisher noch von keiner wissenschaftlichen Expe- dition angelaufen war, bestätigte von neuem die Zugehörigkeit der Heard-Insel und der Crozets zum Kerguelenbezirk. Für die Crozet-Gruppe konnten 11, für Heard-Eiland 2 neue Arten fest- gestellt werden, welche sämtlich von Kerguelen bereits bekannt waren. Für Kerguelen selbst bietet einiges Interesse eine Anzahl eingeschleppter eu- ropäischer Blütenpflanzen, welche z. T. auch zur Blüte gelangten. Sechs unter 26 können als be- reits früher hergebracht und eingebürgert gelten. Die Beziehungen der Vegetation zum Klima Kerguelens sind namentlich seit den Untersuchungen Schimpers bei Gelegenheit der Deutschen Tief- see-Expedition wiederholt erörtert worden. Auch die Südpolar-Expedition hatte durch Einrichtung einer festen Station auf Kerguelen Gelegenheit dieser Frage näher zu treten. Der maßgebendste Faktor im pflanzengeographischen Klima Ker- guelens ist der Wind. Im Verein mit der nied- rigen Sommerwärme des Landes hat er einen deutlichen Einfluß auf die Vegetationsformen derselben ausgeübt. Form und Verteilung der höheren Pflanzen stehen unverkennbar unter seiner Herrschaft. Seine Wirkung ist jedoch weniger eine umgestaltende als eine auslesende gewesen. Das heutige Vegetationsbild Kerguelens ist sehr jung. Bis in allerjüngste Zeit hinein — geolo- gisch gesprochen — war die Hauptinsel mitsamt den zahlreichen kleinen küstennahen Nebeneilanden von einer zusammenhängenden Eismasse über- flutet. Die alte Flora konnte sich nur in sehr reduzierter Form an steilen und dadurch eisfreien Felswänden der Küstengebiete und vor allem auf den weiter ab vom Hauptlande liegenden Neben- inseln erhalten. Ein Teil der heutigen Flora Kerguelens dürfte erst nach der Eiszeit mit Ein- tritt der heutigen klimatischen Verhältnisse ein- gewandert sein. In jedem einzelnen Falle läßt sich natürlich nicht feststellen, ob diese oder jene Art die Ver- eisung der Insel überdauert hat oder erst später nach Kerguelen gelangt ist; es dürfte jedoch die An- zahl der ersteren größer sein, als gewöhnlich an- genommen wird. So möchte ich z. B. unter an- deren auch die beiden Charakterpflanzen des Strandlandes: Tillaea vioschata und Cotula plumosa hierher rechnen. Sehr bemerkenswert ist die Tat- sache, daß zwei der auffallendsten, über den ganzen Kerguelenbezirk (Kerguelen, Prinz Eduard-, Crozet- Inseln, Heard-Eiland) verbreitete und dort ende- mische Arten, Pringlea antiscorbutica und Poa Cookii, unter allen sich am stärksten durch den Mangel an Schutzeinrichtungen gegen die schäd- lichen Einflüsse des heftigen Windes auszeichnen. Beide Arten aber bevorzugen heute geschütztere, luftfeuchte Standorte und treten nur an solchen in üppiger Wuchsform auf. Daneben zeigen andere endemische Formen, Poa kei'giielensis, Lyallia kerguelensis, ColobantJius kerguelensis in ihrem ausgesprochen xerophilen Bau deutliche Anpassungen an den Wind. Alles dieses spricht für ein hohes Alter der Windformen, die ver- mutlich zunächst in besonders exponiertem Gelände unter im übrigen günstigeren klimatischen Verhält- nissen, etwa im Gebirge, entstanden sind. Für eine nachträgliche Einwanderung in postglazialer Zeit käme mit größter Wahrscheinlichkeit zunächst das südamerikanische Gebiet in Betracht, da nicht nur die größten verwandtschaftlichen Beziehungen zu demselben bestehen, sondern auch die heutigen Windverhältnisse eine Einwanderung von dort her — sei es direkt durch den Wind oder indirekt mittels Vögel, Eisberge u. a. — noch am erklär- lichsten erscheinen läßt. Immerhin gemahnt uns die Reliktnatur der niederen Flora und Fauna Kerguelens zur Vor- sicht, und die isolierte Stellung einer allem An- schein nach so wenig anpassungsfähigen Pflanze, wie Pringlea, stellt es außer Zweifel, daß auch für Vertreter der höheren Flora die Möglichkeit eines Überdauerns während der Eiszeit ge- geben war. Nur eine Blütenpflanze Kerguelens, Acaena adscendens, zeigt in ihren Hakenfrüchten eine An- passung an die Verbreitung durch Tiere, vielleicht auch noch Uncinia. Alle anderen hierher gerech- neten Fälle erweisen sich bei näherer Prüfung als irrtümlich. Nun ist aber gerade die Verbreitung der Acaena zirkumpolar und die Uncinia compacta Kerguelens finden wir wieder nicht im Westen, sondern in dem australisch-neuseeländischen Ge- biete. Auch Schwimmvorrichtungen vermissen wir an den Früchten oder Samen der Kerguelen- gewächse; selbst die typischen Strandpflanzen des Insellandes lassen nichts dergleichen erkennen. Ebensowenig auch werden Flugfrüchte angetroffen. Dürfen wir so dem Winde schwerlich einen allzugroßen direkten Einfluß auf eine Wieder- respektive Neubesiedelung Kerguelens zuschreiben, so ist er doch, wie schon gesagt, für die heutige Form des Vegetationsbildes in hohem Grade ver- antwortlich zu machen. Das beweisen uns die Struktur der in der allgemeinen , klimatischen Vegetations-Formation tonangebenden Gewächse, sowie die Verteilung der Pflanzen an den ver- schiedenen Stellen im Gelände. Charakteristische Formen der Kerguelenflora sind die Polstergewächse. Allen voran steht Azorella Selago , welche das Vegetationsbild in den größten Teilen der Insel vollkommen be- herrscht. Sie bildet dichte, einen Fuß bis einen Meter und mehr im Durchmesser haltende Polster, welche in größeren oder kleineren Zwi- schenräumen auf dem steinigen Schuttboden auf- ragen. Die Polsterform ist vorzüglich geeignet, gegen die mechanische wie austrocknende Wir- kung des Windes den denkbar besten Schutz zu gewähren. Von halbkugeliger bis gewölbt kuchen- förmiger Gestalt, mit glatter, dichter Oberfläche, N. F. VI. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 373 I die flache Basis dem Boden dicht angeschmiegt und durch eine lange, verzweigte Pfahlwurzel tief verankert, bietet sie den mechanischen An- griffen des Windes den größten Widerstand. Außerdem wird durch das dichte Aneinander- liegen der Verzweigungen, welche nur ihre ins- gesamt die kugelige Oberfläche des Polsters bil- denden Spitzen der freien Luft aussetzen, das Maß der Verdunstung möglichst gemindert und im Innern des Polsters zugleich ein vorzügliches Feuchtigkeitsreservoir geschafien. Die Polsterform kommt durch Verkürzung der Achsenorgane bei gleichzeitiger reichlicher Verzweigung zustande. Neben der Azorella bilden Polsterform auch die beiden endemischen Caryophyllaceen Lyallia kcrgiiflciisis und Colobantliiis kcrguclcnsis. Die letztere Pflanze erreicht nur die Größe einer Faust und bevorzugt besonders exponierte Standorte. Auch ein endemisches Gras, die Poa kergueleiisis, tritt in kleinen, polsterförmigen, von den Blüten- ähren überragten Büschelchen auf. Die Blätter der Pflanze sind überdies zum Schutz gegen zu starke Transpiration , die Hauptschädigung der heftigen Winde, rinnenförmig gestaltet. In aus- geprägterer Weise noch zeigt diese Anpassung die größere, starre Festuca erecta, welche stellen- weise in großen Mengen die Azorella begleitet. Die Pflanze zeigt zwar dichten Wuchs, doch keine eigentliche Polsterform ; sie vertritt vielmehr den Typus der Trockenheit liebenden Steppengräser auf Kerguelen. Ihre Blätter sind in der Mittelrippe zusammengefaltet, und die entstandene Rinne, in deren Tiefe die Spaltöffnungen liegen , ist über- dies mit Haaren ausgekleidet. Nächst Azorella ist die am meisten vorherr- schende Pflanze Kerguelens ein Rosengewächs, die an unser Poteriinn erinnernde Acaena adscendens. Sie vertritt als kriechender Halb- Strauch auf dem unwirtlichen Insellande den in den Hochgebirgswüsten und in der arktischen Tundra so häufigen Typus der Kriechsträucher. Den Hauptschutz erreicht die Pflanze durch ihren niedrigen Wuchs und durch das Absterben des Laubes mit Beginn der ungünstigen Jahreszeit. Durch letztere Eigenschaft steht Acaena innerhalb der Kerguelenflora ganz vereinzelt da. Den meisten Kerguelengewächsen ist ein hoch- gradiges Variationsvermögen eigen und sie wissen sich damit den verschiedenartigen Stand- orten vorzüglich anzupassen. Acaena liegt an exponierten Orten platt auf dem Boden und wird höchstens 5 cm hoch. Ganz anders an den wind- geschützten Ost- wie Südosthängen der Berge : hier erreicht die Pflanze bis mehr als 30 cm Höhe, wobei nur die Hauptachse am Boden kriecht, der ganze beblätterte Trieb aber aufgerichtet ist. Im Schutze dieser „üppigen" Acaena werden beispiels- weise RaniiiiCHlus biternatus und die auch bei uns vorkommende Montia fontana zu hohen sparrigen Kräutern mit langen Internodien, bezüglich Blatt- stielen, während dieselben Arten an offenen Stellen winzige Rosettenpflänzchen darstellen. Poa ker- giiclensis verliert an geschützten Standorten voll- ständig den Polsterwuchs und wird zu einem lockeren Grase von mehrfacher Größe der expo- niert wachsenden Individuen. Galiuin antarcticum, unter der Acaena als weitverzweigtes, zartes Pflänz- chen auftretend , treffen wir an trockenen Fels- standorten in dichter, polsterförmiger Gestalt an. Als lehrreiches Beispiel einer in allerneuester Zeit zustande gekommenen, bedeutenden Verände- rung des Vegetationscharakters einer Gegend ist der augenscheinliche Einfluß bemerkenswert, den die in den siebziger Jahren auf Kerguelen einge- führten Kaninchen auf die Pflanzenwelt der Insel ausgeübt haben. Wie erwähnt, besitzen die Acaena- Arten Hakenfrüchte, welche leicht im Pelze eines Säugers, viel schwieriger im Gefieder eines Vogels hängen bleiben. Da bisher kein Landsäugetier auf Kerguelen existierte, so hat durch die Ein- führung der Kaninchen, welche mit Leichtigkeit die Früchte der Acaena verschleppen, diese Pflanze einen bedeutenden Vorsprung vor den anderen Arten auf Kerguelen gewonnen. Es kommt hinzu, daß das gerbstoffiialtige Laub der Pflanze sehr ungern von den Nagern gefressen wird, während andere Pflanzen: Prniglea, Poa Cookii , Cotiila plumosa etc. durch die Tiere an den ihnen zu- gänglichen Stellen so gut wie ausgerottet sind. Es trägt daher in dem Hauptverbreitungsgebiete der Kaninchen die Vegetation durch das ganz erhebliche Vorwiegen der Acaena und das fast vollständige Fehlen bestimmter anderer Arten einen charakteristischen und auffallenden Zug. Daß diese Änderung des Vegetationsbildes wirklich ganz neuen Datums ist, erkennen wir daran, daß wir in dem bezeichneten Gebiete auf Schritt und Tritt unter der Acaena den vertorften Resten einer früheren dichten y^sörcZ/rt-Vegetation begegnen. Erst wenn auch die von der Deutschen Süd- polar-Expedition gesammelten Meeresalgen ver- arbeitet vorliegen werden und ein Vergleich mit den Resultaten der übrigen Expeditionen, welche zugleich mit dem deutschen Unternehmen im hohen Süden weilten , in ganzem Umfange mög- lich sein wird, wird es an der Zeit sein, von neuem die vielumstrittene Frage nach der Herkunft der heutigen antarktischen und subantarktischen Flora zu diskutieren. Kleinere Mitteilungen. Das Schwinden der Schwimmblasen bei den Schollen. (Dr. med. Otto Thilo, im Zoologischen Anzeiger, Bd. XXXf, Nr. 13/14.) — Bei jungen Schollen entwickelt sich, wie schon Ernst Ehrenbaum (1896) erwähnt, bald nachdem sie aus dem Ei entschlüpft sind, eine relativ große 374 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 24 Schwimmblase, aber sie verschwindet sehr bald wieder, wenn das Tier eine Größe von ca. 2,5 cm erreicht hat und die Asymmetrie des Kopfes sich geltend macht. Das schnelle Entstehen und Wiederverschwinden eines so wichtigen Organes ist sehr merkwürdig und nur dann einigermaßen zu verstehen, wenn man die Entwicklung des Fisches im Zusammenhang mit seiner ganzen Lebensweise und seine stammesgeschichtliche Ver- wandtschaft betrachtet. In seiner früheren Arbeit über „die Vorfahren der Schollen" (1901) hat Thilo darauf hingewiesen, daß die Schollen von Fischen abstammen, die nicht Seitenschwimmer waren. Die Vorfahren der Schollen waren bilateral symmetrisch; sie hatten einen breiten und flachen Körper, den sie beim Schwimmen mit ihren außerordentlich großen Flossen aufrecht balancierten. Wenn sie auf dem Grunde lagen, so suchten sie einen steinigen, klippen- reichen Boden auf, welcher ihrem flachen Körper beim Aufrechterhalten Stütze bot. Unter den recenten Formen ist Zeus ein derartig gebauter Fisch. Er läßt sich häufig in der Seitenlage von den Meeresströmungen treiben; auf dem Grunde bevorzugt er rauhen, steinigen Boden. (Nach Boulenger und Thilo steht Zeus der phylogene- tischen Ausgangsform der Schollen sehr nahe.) Als diese Fische, welche Thilo als Vorfahren der Schollen betrachtet, auf den flachen Sand des Meeresbodens gerieten, der ihnen keine Stütze bot, legten sie sich auf die Seite. Sie bildeten sich so zu Seitenschwimmern aus ; die breiten Flossen wurden schmäler und schwächer, dagegen erhielten sich die mächtigen Flossenträger, denen einst die großen, harten Flossenstrahlen aufsaßen. So er- klärt sich die auffallende Tatsache, daß die Schollen, welche ja bekanntlich schmale, mit knorpeligen Strahlen versehene Flossen haben, mächtige Flossen- träger besitzen. Die Stammform der Schollen besaß harte, stachelige Flossenstrahlen. Nach Thilo's Ansicht sind die Schollen stammesgeschicht- lich von Formen abzuleiten, die in der Flossen- bildung den recenten Stachelmakrelen (Caranx, Psettus) und vor allem dem Zeus ähnlich waren. Auch Boulenger hält diese Auffassung für richtig. Demgegenüber steht die Ansicht hervorragender älterer Forscher wie Joh. Müller, Steenstrup, Parker u. a., welche annehmen, daß die Schollen von Schellfisch-ähnlichen Formen abstammen. Diese Annahme erscheint aber wenig gerechtfertigt, wenn man bedenkt, daß die Schellfische weiche Flossen und dünne, schwache Flossenträger haben. E. Ehrenbaum beobachtete Schwimmblasen bei Rhombus, Solea und Annoglossus, jedoch nur bei Tieren von 5 — 17 mm Länge. Auch Thilo hat nie an längeren Exemplaren Schwimmblasen gefunden. Diese Fischchen können nur wenige Wochen alt sein, da sie sehr schnell wachsen. Hält man so ein junges Tier gegen das Licht, so sieht man schon mit bloßem Auge die Schwimm- blase durchschimmern, besonders deutlich, wenn sie viel Luft enthält. Sie hat einen Ausführgang, der wie bei den Heringen in den Enddarm mündet (Fig. I). Ein ebensolcher Ausführgang kommt auch an den Schwimmblasen des Zeus vor (Fig. 2). Bei diesem Fische ist es Thilo gelungen durch den Gang Luft einzublasen und Sonden einzuführen. Die Schwimmblasen der jungen Schollen sind ge- nau so gebaut wie die des Zeus, abgesehen davon, daß letzterer eine leichte Elinschnürung im hinteren Ende der Blase besitzt. Bei Solea ist der End- darm oft sehr stark mit Luft aufgetrieben, so daß leicht eine zweite Blase vorgetäuscht wird und die ganze Schwimmblase auf den ersten Blick sanduhrförmig erscheint. Schwininiblase Träger der After- flosse Fig.""!. Junger Steinbutt. Schwimmblase mit Ausführgang. Fig. Träger der Afterflosse 2. Zeus. Schwimmblase mit Ausführgang. Wie kommt es nun, daß diese gut ausgebildete Schwimmblase bald so vollständig schwindet, daß nichts mehr von ihr nachweisbar ist? Eine Ant- wort auf diese Frage gibt uns die Entstehung und die ganze Lebensweise der jungen Schollen, welche eine ganz andere als die der erwachsenen Tiere ist. Die Scholleneier schwimmen bekanntlich auf der Oberfläche des Meeres. Anfangs leben natür- lich auch die ausgeschlüpften Fischchen als Ober- fläch en formen. Sie bedürfen deshalb eines Organes zur Aufnahme bedeutender Luftmengen, denn sonst würden sie einfach infolge ihrer Schwere zu Boden sinken. Die reichliche Luftaufnahme begünstigt jedenfalls in hohem Grade die schnelle Entwicklung der Schwimmblase bei den jungen N. F. VI. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 375 Schollen. Bald aber werden sie aus Oberflächen- fischen zu Gru ndfisc heil. Sie suchen den Boden auf und bringen dort den übrigen Teil ihres Lebens 7,11. Hierin liegt offenbar die Ursache der Rückbildung der Schwimmblase bei den älter werdenden Schollen. Bei P'ornien, welche fortan dauernd auf dem Meeresboden leben, ist die Existenz der Schwimmblasen ohne jede Bedeutung, ohne jeden Zweck. Aus eben diesem Grunde haben viele andere Grundfische des IVIeeres keine Schwimmblase (Zoarces, Cottus, Cyclopterus usw.). Um auf den Meeresboden zu gelangen, pressen die jungen Schöllen durch Muskelkontraktion die Blase zusammen und entleeren die Luft durch den von Thilo bei diesen Tieren aufgefundenen Ver- bindungsgang mit dem Enddarm. Der Druck des festen Seesandes und vor allem der gesteigerte Wasserdruck in der Tiefe, der ja pro 10 m ca. i Atmosphäre beträgt, begünstigen hierbei das Schwinden der Schwimmblase außer- ordentlich, besonders da den Schollen die Neigung zum Blasenschwund ohnehin angeboren ist. Hierzu kommt noch ein Druck, den die Eingeweide da- durch erleiden, daß die Bauchhöhle der Schollen mit zunehmendem Alter sehr eingeengt ist. Der After wird sehr weit nach vorn verlagert. Bei jungen Tieren liegt er in der Körpermitte, bei er- wachsenen Schollen dagegen ganz in der Nähe des Schultergürtels. Die damit einhergehende Verengerung der Bauchhöhle bewirkt einen be- deutenden Druck auf die Eingeweide, der wohl auch das Schwinden der Blase begünstigt. Aus alledem geht hervor, daß der Schwund der Schwimmblase bei den Schollen durch An- passung an die Lebensweise in der Tiefe auf flachem, sandigem Meeresboden bedingt wurde. Der starke Afterflossenträger und die in der Ent- wicklung auftretende Schwimmblase, die sich ana- tomisch genau so verhält wie die von Zeus, recht- fertigen die Folgerung, daß die Schollen abstammen von Hartflossern (makrelenartige Formen), welche an der Meeresoberfläche lebten. Gustav Rolle, Jena. Über die europäischen Myrmekochoren. — Soeben erschien in Upsala und Stockholm eine Abhandlung von Rutger Sernander „Entwurf einer Monographie der europäischen Myrme- kochoren", auf deren interessanten Inhalt wir in Kürze aufmerksam machen möchten. Sernander unterscheidet 3 Fälle, wie im allgemeinen die Tierwelt an der Verbreitung der Pflanzen beteiligt ist: a) Endozoische Verbreitungsweise. Die Fortpflanzungseinheiten werden von pflanzen- fressenden Tieren verschluckt, durch den Ver- dauungskanal abgesondert und wachsen, wenn sie unbeschädigt geblieben sind, in den Exkrementen weiter, bj Synzoische Verbreitung. Die Fort- pflanzungsindividuen werden durch Tiere absicht- lich von der Mutterpflanze nach anderen Stellen transportiert, wo sie sich weiter entwickeln. c) Epizoische Verbreitung. Samen oder Früchte sind so beschaffen, daß sie sich an Tieren an- heften, welche mit der Pflanze in Berührung kommen und auf diese Weise längere oder kürzere Strecken fortgetragen werden. Eine her- vorragende Rolle in der synzoischen Verbreitungs- weise spielen die Ameisen. Beobachtungen hierüber sind bereits von einer großen Zahl von Forschern angestellt worden, und auch an wissen- schaftlichen Erklärungsversuchen der beobachteten Erscheinungen hat es nicht gefehlt. Auf Grund zahlreicher experimenteller Studien und Beobach- tungen in der freien Natur hat Sernander die Frage nach der Bedeutung der Ameisen für die Verbreitung der Samen und Früchte bereits vor einigen Jahren behandelt und jetzt zu einem rela- tiven Abschluß gebracht. Unter Myrmekochoren versteht S. die- jenigen Pflanzen, deren Verbreitungseinheiten wegen besonderer Eigentümlichkeiten in der Organisation von Ameisen aufgesucht und transportiert werden. Eine ,, Verbreitungseinheit" ist nach Kirchner jedes von der Mutterpflanze abgetrennte, der Vermeh- rung dienende Organ, welches dem passiven Trans- port zum Zweck der Verbreitung unterliegt, es kann ein Same, eine Frucht oder Teilfrucht oder auch ein vegetativer Vermehrungssproß sein. An einer reichen Anzahl von Pflanzen und Ameisen- arten hat S. in verschiedenen Gegenden Europas die Beziehungen beider untersucht und gefunden, daß der größere Teil der durch Ameisen trans- portierten Samen mit besonderen Lockmitteln ver- sehen ist, meist mit ölhaltigen Gebilden, die der Verf. als El aiosome (Ölkörper) bezeichnet. Ex- perimente stellte er in der Weise an, daß er wieder- holt auf Ameisenstraßen entweder eine bestimmte Menge von Samen (10), und zwar a) von der zu untersuchenden , b) von einer als myrmekochor bekannten, c) von einer dritten, den Ameisen gleich- gültigen Art, teils unpräpariert, teils durch Ent- fernen gewisser Teile präpariert, oder auch nur die anlockenden Teile von Samen niederlegte und in bestimmten kleinen Zeitabschnitten beobachtete, wie viele Verbreitungseinheiten jeder Art von den Ameisen noch zurückgelassen worden waren. Die Zahl der angestellten Beobachtungen und Versuche ist eine so große, und sie sind so exakt durchgeführt, daß die Resultate wohl auf sicherer empirischer Grundlage ruhen und voreilige Spe- kulationen ausgeschlossen sind. Auf Grund seiner Studien teilt S. die myrmekochoren Synzoen in 1 5 Typen, die in 2 Gruppen untergebracht sind. Der ersten Gruppe fehlen andere Verbreitungs- einrichtungen, z. B. Viola odorata-, Hepatica-, Ajuga- Typus; bei der zweiten sind außerdem Anord- nungen vorhanden, durch welche die erste Ent- fernung von der Mutterpflanze vermittelt wird, z. B. Euphorbia-, Polygala-Typus. Um die Größe der transportierenden Tätigkeit der Ameisen annähernd zu bestimmen, stellte der Verf. Beobachtungen und Zählungen bei Formica rufa an. Es ergab sich unter Berücksichtigung aller etwa eintretenden Hinder- 376 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 24 nisse und bei Annahme minimaler Werte für alle Faktoren, daß ein Formicastaat in den mittel- schwedischen Wäldern jährlich im Minimum 36480 Samen transportiert. Weiter stellte der Verf an einem kleinen, am Rande eines Haferfeldes befind- lichen Lasius niger-Baue fest, daß in ungefähr 8 Wochen oder einem Teile dieser Zeit min- destens 638 Veronicasamen eingesammelt und nach Vertilgung der Elaiosome von den Ameisen wieder herausbefördert worden waren. Bei Be- obachtungen darüber, wie weit bestimmte Ver- breitungseinheiten von den Ameisen transportiert werden, konnten außer einem Transport von i m solche von ca. 10, sogar von 27 und 70 m kon- statiert werden. Gewöhnlich finden sich myrme- kochore Synzoen in der Nähe von Ameisenbauten oder Ameisenstraßen vor, oft in Reihen angeordnet. Zuweilen wurden Samen durch Ameisen auf Bäume transportiert, wo die entstehenden Pflanzen epi- phytisch leben. Auch das Vorkommen gewisser Ruinen- und Mauerpflanzen ist auf Ameisentrans- port zurückzuführen. Kerner gibt bereits in seinem „Pflanzenleben" an, daß Chelidonium majus im botanischen Garten zu Wien in den Spalten ver- tikaler Mauerflächen wächst, welche die Ameisen passieren. An derselben Mauer beobachtete R. V. Wettstein außer Chelidonium und Corydalis auch Helleborus foetidus. Die Pflanzen standen ursprünglich auf einem in der Nähe befindlichen Erdhaufen und sind jedenfalls durch die die Mauer- ritzen bewohnenden Ameisen nach dort transpor- tiert worden. Es steht nach den bereits angeführten Beobach- tungen und Experimenten fest, daß die Ameisen auf die Verbreitungsökologie der europäischen Vegetation einen großen Einfluß ausüben, und es fragt sich nunmehr, welche Eigentümlichkeiten der Organisation zu dieser Verbreitungsart in un- mittelbarer Beziehung stehen. In allen myrme- kochoren Verbreitungseinheiten ist das E 1 a i o s o m als Anlockungsmittel von besonderer Bedeu- tung. Dasselbe bildet sich an verschiedenen Samenteilen aus: der Samenschwiele (Caruncula) oder Fadenschwiele (Strophiole), oft auch ent- wickelt sich der Funiculus zum Elaiosom. In be- sonders deutlich ausgeprägter Form treten Elaio- some auf z. B. an den Samen von Viola odorata, Luzula pilosa. Bei Chelidonium majus besteht das Elaiosom aus einer die ganze Raphe entlang lau- fenden Anschwellung, welche in der Hilumregion in eine große dorsiventrale Strophiole übergeht. Bei Melampyrum pratense, bei dem die Samen äußerlich eine gewisse Ähnlichkeit mit Ameisen - kokons haben (vgl. Lundström , Pflanzenbiol. Schilderungen), besteht das Elaiosom teils aus einer eigentümlich entwickelten Chalazaregion, teils aus der Samenschale. Borragineen, z. B. Borrago, Pulmonaria, Symphytum sind mit einem Elaiosom ausgerüstet, welches sich an der Basis der Frucht als ein Teil der Blütenachse befindet und mor- phologisch als Pseudostrophiole bezeichnet wird. Für Symphytum officinale hat bereits Schmeil auf das Elaiosom und seine Funktion aufmerksam ge- macht (vgl. Abbildung im Lehrb. der Botanik, i. Aufl. p. 133). Bei Lamium album und verschiedenen anderen Myrmekochoren zeigt sich eine scharfe Kontrastwirkung des ähnlich wie vorher gebildeten Elaiosoms und der dunkelgrünen Fruchtwand. In den meisten Fällen führt das E. fettes Öl als wirk- samen Bestandteil ; zuweilen ist dieses Öl auch in der Samenschale enthalten. Viele Samen und Früchte myrmekochorer Gewächse zeigen auf- fallend starke Behaarung und zwar häufig an den Elaiosomen und in deren unmittelbarer Umgebung. Nach Sernander ist wohl die Annahme nicht un- berechtigt, daß infolge der Behaarung bei Ameisen analoge Empfindungen geweckt werden wie bei der Berührung mit einem ihnen bekannten oder angenehmen Insekt oder einer Insektenlarve und daß dadurch ihr Sammeltrieb angeregt wird. Von Interesse dürfte es sein, zu untersuchen, ob etwa auch die Kontrastwirkung der Färbung des Elaio- soms und der Samenschale von Bedeutung ist. Die Elaiosome sind oft mit besonderen Schutz- einrichtungen ausgestattet. Bei Carex digitata oder montana z. B. ist das E. von einer stark- wandigen Epidermis umgeben. Bei Viola odorata, Lamium album besitzen die ölführenden Zellen starke Membranen. Andere E. führen Raphiden. Bei den myrmekochoren Veronicaarten liegen sie in einer Höhlung des Samens. Die Elaiosome werden von den Ameisen mit Vorliebe verzehrt. Während die ungeschützten, locker gebauten vollständig vertilgt werden, bleibt bei solchen, die mit Schutzgeweben versehen sind, ein mehr oder weniger durchbrochenes Häutchen zurück. Von hohem Interesse ist ein Blick auf die Entwicklungsgeschichte dieser Elaiosome. Es ist nach den vorhergegangenen Betrachtungen klar, daß diese eigenartigen Gebilde Ökologismen sind. ,,Ist es nun auch sicher, daß die Ameisen selber die Selektionsfaktoren der Ökogenese gewesen sind, oder sind diese andere, und ist der von ihnen gezüchtete Ökologismus den Ameisen sekundär zugute gekommen.-" Die Myrmekochoren verteilen sich nach S. auf 2 Gruppen: Waldpflanzen und Ruderalpflanzen. Für die Waldpflanzen hat der Verf zunächst auf Grund geologischer Be- weise festgestellt, daß diejenigen Waldtypen, in denen jetzt die hauptsächlichsten Vertreter der Myrmekochoren zu finden sind, von der älteren Tertiärzeit an in ungeheuren Gebieten fortgelebt haben und daß darin auch mehrere Ameisenarten, die den jetzt lebenden nahe verwandt sind, vor- kamen, die jedenfalls in ähnlicher Weise tätig waren, wie die heutigen. Sind nun die heutigen Waldtypen, um die es sich hier handelt, in ihrer Natur gleich denen aus geologischer Vorzeit, so entsteht die neue Frage: Ist in unseren heutigen Wäldern, z. B. im Eichenmischwald, der Transport der Verbreitungseinheiten durch Ameisen für ge- wisse Pflanzenindividuen im Kampf ums Dasein wichtig ? Bereits in der „Spridningsbiologie" des N. F. VI. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 377 Verf. liat derselbe nachgewiesen, daß die Ver- teilung der verbreitungsbiologischen Typen der Phanerogamen unserer heutigen europäischen Wälder in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe über der Unterlage steht. In der Hoch- waldschicht finden wir meist anemochore, bei den Bäumen und Sträuchern der Unterwald- und Gebüschschichten endozoe, in der höchsten und mittleren F'eldschicht wieder anemochore Pflanzen. Dagegen treten in den untersten Schichten vorzugsweise Antochoren und Myrmekochoren auf, während Epizoen gleichmäßig auf die I""eldschichten verteilt sind. Eine solche Verteilung der ver- breitungsbiologischen Typen entspricht aber den Verbreitungsmöglichkeiten derbetreffendenSchicht. Die höchste Baumgruppe ist dem Winde am meisten ausgesetzt ; ebenso vermag der Wind mit voller Kraft in den oberen Feldschichten zu wirken. In der Region der niederen Bäume und Gebüsche nisten sich meist die beerenfressenden kleinen Singvögel ein, da sie hier am meisten gegen Witterung und Feinde geschützt sind. In den untersten Schichten ist der Wind fast ohne Ein- fluß, und hier herrscht die größte Mannigfaltigkeit in der Ausbildung der Verbreitungseinheiten. Hier hat sich unter dem Einfluß der den Boden be- wohnenden Ameisen auch die Erscheinung all- mählich entwickelt, die uns jetzt als Myrme- kochorie bekannt ist. Viele der Myrmekochoren sind, wie der Verf. zahlenmäßig nachweist, typische Schattenpflanzen, also auf ein Lebensgebiet an- gewiesen, in dem anemochore Verbreitungsvor- richtungen zurücktreten müssen. So scheinen also die Myrmekochoren einem gewissen Vereinstypus angepaßt, und es ist wohl auch anzunehmen, daß sie unter den äußeren Verhältnissen dieser Pflanzen- gesellschaft ihre biologischen Eigentümlichkeiten sich erworben haben. Dies gilt auch für die myrmekochoren sog. „F'rühlingspflanzen" (Corydalis, Ficaria, einige Liliaceen), von denen man annimmt, daß sie ursprünglich Steppen- oder Glazialpflanzen gewesen sind. An diese graue Vorzeit mag der morphologische Aufbau der Gewächse im all- gemeinen erinnern; aber nach der Meinung Ser- nander's ist die biologische Ausgestaltung im Detail wohl meist erfolgt unter dem Einfluß der speziellen Naturverhältnisse derjenigen Typen, denen sie seit dem Tertiär angehört haben. Entwicklungsge- schichtlich betrachtet, kann das Elaiosom in man- chen Fällen als die primäre Erscheinung, in an- deren als sekundär erworben, oder als sekundärer und primärer Besitz zugleich gedacht werden (Primula acaulis). .\us dem höchst interessanten Schlußkapitel des Werkes, welches die Phylogenie der Myrme- kochoren behandelt, heben wir heraus, wie sich der Verf. die Phylogenie von Primula acaulis denkt. , .Zuerst ist eine Tatsache in der individuellen Variationsbreite von Pr. acaulis zu beachten. Die Pflanze erhält, wie H. de Vries hervorgehoben, atavistisch dann und wann Blütenschirme mit kurzen Stengeln. Dies muß ein noch besseres Zeugnis, als die reduzierten Organe, davon sein, daß P. acaulis tatsächlich von einer F'orm ab- stammt, deren Stengel einen Blütenschirm trug. Diejenige Mutation der Hainpflanze P. elatior oder einer verwandten Art, die eine so durchgreifende habituelle Veränderung des Organismus herbei- geführt, daß der Stengel verloren ging, ist auch wahrscheinlich der primäre Anstoß, der indirekt die übrigen Charaktere hervorrief, welche P acaulis von einer Form wie z. B. P. elatior unterscheiden. Die Blüten der neuen Mutante gerieten in dem dichten beschatteten Vegetationsteppich, der sie nun verbarg, in doppeltem Sinne in sehr ungünstige äußere Verhältnisse. In der Anthese waren sie den die Pollination bewerkstelligenden Insekten und nach der Samenreife den ihre Samen ver- breitenden Winden schlecht exponiert. Diejenigen Exemplare der neuen Mutante, die nicht von neuem so mutierten, daß der Kronsaum größer und der Blütenstiel länger als an der Mutterpflanze wurden, und der Funiculus sich in ein Elaiosom umwandelte, starben dann auch aus. .\ber sobald die Myrmekochorie erworben war, konnten Mu- tanten, die auch noch andere degenerative Charak- tere als die Stengellosigkeit besaßen, nicht nur am Leben bleiben , sondern auch wegen der Material- und Arbeitsersparnis, welche die Degene- ration bedeutet, in einer noch größeren Aus- dehnung fortleben, als die Mutterform mit ihrem aus der anemochoren Stufe übernommenen, aber jetzt überflüssigen postfloralen Apparat. Als das letzte Glied der Entwicklung, die die heutige Art erzeugt hat, oder vielleicht als Zeitgenossen der Elaiosomerwerbung denke ich mir demgemäß die Verminderung der mechanischen Gewebe des Blütenstieles und sein Verharren im Verstärkungs- stadium der Anthese auch noch während der Samenverbreitung, das Ausbleiben der Verholzung in der inneren Epidermis des Kelches, die Schwä- chung der Kapselwand usw. Es läßt sich jedoch auch sehr wohl ein mehr oder minder umgekehrter Verlauf dieser angenommenen phylogenetischen Entwicklungsreihe denken, aber mein Erklärungs- versuch ist der einfachste von den theoretisch möglichen." Wenn die Pflanzenbiologie der Zukunft ihre wichtigste Aufgabe darin erblickt, ihre Forschung durch direkte Beobachtung und Experiment auf die Basis einer rationellen Entwicklungsgeschichte zu stellen, so ist ein Teil der Aufgabe in Sernander's Arbeit in mustergültiger Weise gelöst. F. Schleichert, Jena. Die in historischer Zeit erfolgten Berg- stürze in Bayern. — Der Naturmensch ver- läßt seinen starren Glauben an die ewige Un- vergänglichkeit der Berge und an die Unbeweg- lichkeit des Bodens erst dann, wenn die feste Erd- schichte unter ihm zu schwanken beginnt. „Wenn sich da", schreibt A. v. Humboldt, „plötzlich der Boden erhebt, so vernichtet bei solchen Menschen 37J Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 24 ein Augenblick die Illusion des ganzen früheren Lebens. Enttäuscht ist da der Mensch über die Ruhe der Natur, er fühlt sich in den Bereich zer- störender unbekannter Kräfte versetzt. Er traut gleichsam dem Roden nicht mehr, auf den er tritt." Die Wissenschaft hat diesen Glauben des Naturmenschen noch nie geteilt und war von jeher von den beständigen Umwandlungen unseres Erd- körpers überzeugt. Sie wußte stets, daß unsere gesamte Erdentwicklung einer nivellierenden Ten- denz unterliegt, daß drinnen in unseren Gebirgen Agentien ständig an der Arbeit sind, die unsere Berge abtragen und daß drunten in den Ebenen und Meeren durch die F'lüsse Land aufgeschüttet wird, wodurch wieder die Basis zu neuen Gebirgen gelegt wird. Fast ausschließlich erfolgen diese Prozesse nicht sprungweise, sondern allmählich, und nur hier und da ereignen sich katastrophenartige Um- wälzungen im Antlitz der Erde, die oft innerhalb weniger Minuten bedeutende Veränderungen unserer Bergreliefs zur Folge haben können. Wir denken hier im letzteren Falle an die Bergstürze, die namentlich in unseren Hochgebirgen ihre furcht- barsten Wirkungen zeigen. Nach der Verschieden- heit des Vorganges bei solchen Katastrophen unterscheidet man mehrere Arten: Felsstürze, Schuttstürze, Bergbrüche, Felsschlipfe, Schutt- rutschungen u. s. f. Über die Kenntnis der näheren Unterschiede dieser Naturvorgänge gibt jedes Lehr- buch der physikalischen Geographie Aufschluß, so daß wir hier von einer näheren Erörterung ab- sehen können. In dieser Abhandlung handelt es sich dagegen um eine Registrierung der in Bayern beobachteten Bergstürze und Erdrutschungen, da bis jetzt ein solches literarisches Unternehmen nicht vorliegen dürfte. Einer der größten Bergstürze in Bayern war wohl jener, der durch sein Material den Obersee von dem jetzigen Königssee trennte. Diese Katastrophe soll im Jahre 11 17 stattgefunden haben. Ob diese Zeitangabe urkundlich belegt werden kann, dürfte ziemlich zweifelhaft sein ; da- gegen dürfte die Annahme, daß das Ereignis in der historischen Zeit eintrat, weniger Bedenken begegnen. Ein sehr bedeutender Erdschlipf fand am 22. Februar 1625 zwischen Gasseidorf und Eber- mannstadt statt. Ein Flugblatt der damaligen Zeit berichtet über diese Katastrophe : ') Demnach dieser Wunderberg, so im Bisthumb Bamberg / zwischen Ebermannstadt und Gaiseldorff / auf der linken Hand ligt / vnd die Trudenleiden genant wird hier vor Dienstags den 22. Februarii, dieses instehenden 1625 Jahres zwischen 10 vnd 11 vhr vormittags durch sonderliche Wirkung sich mit schrecklichem Krachen / vnd geprassel auffgethan vnd von einander gerissen hat, also das die vmb- wohnenden solches mit grosser forcht vnd schrecken / angehört u. gesehen / wie dan die tägliche Er- fahrung mit sich bringt / das sich derselbe noch immer vnd augenscheinlich von oben herab sanken / vnd fort schieben thut / vnd auch gegen Thal die Felder / so er antrifft in die höhe hebt vnd gleich- sam auss der Ebnen Berg vnd Hügel macht / wie dann auss bey gedruckter Figur mit mehrem vmbständig zu sehen ist. Es haben sich auch allbereit auf bemeldtem beweglichem theil des Bergs so bey die 20 Morgen oder Jauchert in dem Vmbkreihs hell / vnd begreifift / bei 200 Bäumen von geschlachten vnd wilden Obssfrüchten versenkt / zu Boden gerissen / vnd gar verschüttet. Dieses Flugblatt ist in Nürnberg bei Hans Philipp Walch erschienen. Eine nähere Betrach- tung des Bildes zeigt, daß man es hier ohne Zweifel mit einer ganz ansehnlichen Geländever- schiebung zu tun hat. Vielleicht durch unter- irdische Auslaugung, wie es in diesen Kalkgegen- den sehr häufig vorkommt, entstand eine über 300 m lange und bis zu 10 — 20 m tiefe Erdspalte. Damit verbunden und hervorgerufen wurde ein sog. Bergsturz oder Bergschlipf, indem der lockere, auf den festen Gesteinsmassen aufliegende Boden aus seiner Gleichgewichtslage gebracht und ab- wärts getrieben wurde. Diese Abwärtsbewegung dauerte, wie aus der Erläuterung des Flugblattes zu ersehen ist, noch tagelang fort, ein Zeichen, daß unsere Annahme für einen Bergschlipf wohl stichhaltig sein dürfte. Nach v. Amonn ') sind die schweren Bergmassen auf dem Ornatenton abgerutscht. In den Aufzeichnungen eines Schöllanger Bauern wird berichtet, daß am 3. April 1781 am Bronenberg (bei Bödmen im Walsertal) ein Schrofen gebrochen sei; da seien ,, Steine gekommen wie Speicher und Bachöfen". Weiter talauswärts zwischen Hirschegg und Riezlern stürzte zwei Jahrzehnte später ein Felsblock zu Tal und nahm unter gewaltigem Gepolter seinen Weg durch den Wald, so daß die Bäume zersplitterten und der Boden erbebte. Nur wenige Schritte vor einem Bauernhause machte er Halt, und da kann man ihn noch heute mitten im Wiesengrunde ruhen sehen. -) Im Jahre 1809 ereignete sich ein größerer Bergrutsch am Haselberge bei Ebermannstadt,") 1831 ein solcher am Krapfelberge unweit Krapfel- berg. ^) Bedeutender noch war der im Jahre 1851 bei Brannenburg stattgefundene Bergsturz. Ratzel gibt uns hierüber in seiner ausgezeichneten Arbeit „der Wendelstein" eingehenden Aufschluß.^) Nach dessen Ausführungen öffnet sich zwischen Sulz- berg (1149) und Schrofen (105 1 m) hinter dem ') Dieses Originalblatt befindet sich im Besitze des Herrn Antiquars Kosenthai in München. Es veranschaulicht jene Katastrophe durch einen beigegebenen Holzschnitt. ') V. Amonn, ,, Kleiner geolog. Führer durch einige Teile der fränkischen Alb." 1899. ') Förderreuther M., die Allgäuer Alpen, Kempten 1907. ') Walther Fr., Topische Geogr. Bayerns, 1844, S. 215. *) Ebenda. '') Zeitschrift des Deutschen und Österr. Alpenvereins, 1886, S. 402. N. F. VI. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 379 Oberdorf und Brannenburg eine bewaldete Mulde, aus welcher eine (schon von der Eisenbahn aus sichtbare) bloßgelegte Stelle, eine Bergwunde, in den hellen Farben mergeligen Gesteins hervor- leuchtet. An der Seite des Sulzberges hat der Kirchbach sich in den Boden gesägt und gleichsam ein Stück des Abhanges dieses Berges losgelöst. Dieser Bach, der bei der Lechner Alpe am Fuß der Hochsalwand entspringt, entwässert die Mulde, aus welclier er in einem tiefgerissenen Graben austritt. Zwei ähnliche trockene Gräben laufen neben diesen her und sind höchst wahrscheinlich früher Rinnsale des Kirchbachs gewesen. Das Tal des Kirchbachs läuft in den Grenzen der eocänen Flyschgesteine und triassischen Schichten von dem Knie oberhalb der Schlipfgrubenalpe bis zur Kirch- bachmühle. Jene sind Schiefer von verschiedener Schichtungsdicke, in diesen lagert der Haupt- dolomit über einer sehr porösen Rauchwacke, die noch unten an Mergelgehalt und Verwitterungs- fähigkeit zunimmt, um endlich in gipsführende Schichten überzugehen, welche bei Wasserzufuhr sich aufblähen, in breiartige Massen verwandeln und dadurch den darüber liegenden Gesteinen die feste Stütze entziehen. So sind die Bedingungen für ein bald langsames, bald plötzliches Abstürzen dieser ohnehin zerklüfteten Gesteine gegeben, und der Bergsturz erfolgt hier ganz ebenso wie unter gleichen geologischen Verhältnissen jenseits des inn bei Kirchwald, nur daß die minder steile Schichtenlage ihn dort in viel größerem Maße ein- treten läßt. Den letzten großen Abbruch, der 1851 stattfand, berechnet man auf erheblich über I 000000 cbm ; derselbe hat durch Aufstauung des Kirchbachs, welche große murenartige Ausbrüche veranlaßte, nicht geringen Schaden an Feldern und Wiesen und in geringem Maße auch an Häusern der Brannenburger Gemarkung angerichtet; da er glücklicherweise nicht plötzlich, sondern innerhalb drei Tagen stückweise stattfand, so war es möglich, manches zu retten, und überhaupt wurde die Katastrophe in ihrer Wirkung dadurch abge- schwächt. Im Jahre 1853 fanden nach Sendtner zahlreiche Bergschlipfe im Raintale (Zugspitzgebiet) statt,') welche sich auf größere Flächen erstreckten und sich insgesamt auf entwaldeten Boden beschränkten. Am 3. Oktober 1872 weilte Prinz Luitpold, der jetzige Regent von Bayern, mit seinen Jagdgästen im Oytal nahe dem Stuibenfall. Da ging plötzlich von den Hängen des Himmelhorns ein Felssturz nieder und schleuderte seine furchtbaren Geschosse bis zur erschreckten Jagdgesellschaft, die nur knapp dem Verderben entrann. Ein Metallkreuz ist auf einem der herabgestürzten Blöcke errichtet zum Andenken an die Errettung aus drohender Gefahr. Ganz besonders brüchig ist das Gestein an der Urbeleskarspitze in der Hornbachkette. Im Jahre 1881 brach der ganze Gipfel zusammen und stürzte in das Kar hinab. So furchtbar war das Getöse und so dicht hüllten die Staubwolken den Berg ein, daß man im Lechtal allen Ernstes glaubte, es habe sich hier ein Vulkan gebildet. Übersät mit Gesteinstrümmern sind auch die Gehänge, die vom Steinsberg zum Gunzesrieder Tale nieder- gehen. Der letzte Felssturz erfolgte hier im Jahre 1882, wobei zimmerhohe Blöcke herabgewälzt wurden, die ein schönes Wäldchen völlig ver- nichteten.') Ein großer Felssturz erfolgte ferner 1885 im Berchtesgadener Land. Penck schreibt hierüber :-) „Fast in allen Tälern, welche sich in den Bereich des Dachsteinkalkes erstrecken, finden sich enorme Trümmermassen, welche postglazialen Bergstürzen ihr Dasein verdanken. Von größter orographischer Bedeutung war jener Sturz, welcher den Obersee vom Königssee trennte. Ahnliche Sturzgebiete finden sich im Bereich der Saugasse, vor allem aber oberhalb des Hintersees. Noch 1885 brach ein Stück von der Größe des Schlosses St. Bar- tholomae in den Königssee." 1892 fand im AUgäu ein Bergsturz statt. „Das Gebiet einer großen lokalen Erdrutschung", schreibt Rösch, „ist das Sommerhaus, wo im Juni des nassen Sommers 1892 mächtige Bänke von Nagel- fluh und Knauermolasse zur Tiefe stürzten. Die Ursache des Schlipfes ist in einer mehrere Meter mächtigen, damals stark mit Wasser durchtränkten Mergelbank, aus graulichen und roten Mergeln be- stehend, zu suchen, auf welcher die mit 50" gegen Süden einfallenden Nagelfluhen und Sandsteine abgerutscht sind. Die Blöcke erreichen z. T. die Größe eines Zimmers, einige sogar die eines Hauses; mehrere rollten das Gehänge bis in das Wiesachtal abwärts, wo mitten auf der Terrasse ein haushoher Block liegt." Ebenso erblickt man im Hintersteiner Tale, nahe bei dem „Rauhen Weg", der seinen Namen von uralten, mit hochstämmigem Wald über- kleidetem Trümmerwerk erhalten hat, die Zeugen eines Felssturzes, der im Jahre 1902 niedergegangen ist. Dicht am Wege liegt ein blühweiser, großer Block Aptychenkalk, und die schön gebänderte Bruchfläche zeigt so tadellose Frische und Rein- heit, als sei der Stein eben erst aus dem Berge losgebrochen. Man erzählt sich, daß unter ihm ein Rind begraben sei, das nicht mehr rechtzeitig zu entfliehen vermochte. — Im gleichen Sommer (1902) brachen auch von der Rotspitze ansehnliche Felsmassen ins Rettenschwanger Tal nieder. Man sieht noch deutlich die hellfarbige Abbruchsteile und die schmale Sturzrinne.*) Zahlreiche Bergschlipfe kommen endlich im Flyschgestein bei Schlier- und Tegernsee vor. ') Sendtner, O., Die Vegetationsverhältnisse Südbayerns, München, 1858, S. 578. ') Förderreuther M., a. a. O., S. 38. -) Zeitschrift des Deutschen und Österr. Alpenvereins, i88^, S. 257. ') Rösch A., Kontakt zwischen dem Flysch und der Mo- lasse, Mittig. der Geogr. Ges. München, 1905, Bd. I, 3. Heft, s. 341. ■'■) Förderreuther a. a. ü., S. 38. 38o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 24 Fast jedes Jahr kommen hier größere oder kleinere „Schlipfe" vor, namentlich am Gschwendtner- und Abwinkelberg und am Westabhang des Kreuz- bergköpfels. Im Jahre 1903 war ein besonders großer Bergrutsch im Flyschgebiet des benach- barten Schliersees, worüber alle größeren Tages- zeitungen berichteten, -j Da die Entwässerung in diesem Gebiete nicht genügend ist, so unterspült das eingesickerte Wasser die festeren Schichten, wodurch Bergrutsche sehr zahlreich werden. Nach diesen wenigen Aufzeichnungen könnte man fast der Meinung sein, daß die in historischer Zeit in Bayern erfolgten Bergstürze und -Schlipfe nur eine höchst seltene Erscheinung seien. Wohl dürfte diese Anschauung für einen größeren Teil Bayerns zutreffen, für das Alpengebiet schlechter- dings aber nicht; denn wenn man bedenkt, daß in früheren Zeiten überhaupt wenige Aufzeich- nungen von Naturereignissen stattfanden, und wenn man ferner bedenkt, daß vor Jahrzehnten, ja sogar größtenteils heute noch die höheren Lagen unserer Gebirge soviel wie unbewohnt waren und sind, so begreift man lebhaft, daß die zeitliche Fest- stellung von derartigen Katastrophen, namentlich von kleineren, äußerst schwierig ist. Dr. Jos. Reindl, München. ') Breu G., Der Tegernsee, Mittlg. der Geogr. Ges. Mün- chen, 1906, Bd. II, Heft 1, 1906, S. 110. Katalytische Wirkung des Aluminium- chlorids. — Die katalytische Wirksamkeit vieler Körper, d.h. die Eigenschaft, durch ihre bloße Gegenwart eine Reaktion einzuleiten, zu beschleu- nigen oder zu verzögern, ist bekanntlich von Döbereiner zum ersten Male beim Platin- schwamm beobachtet und an dem nach ihm be- nannten Feuerzeug praktisch verwertet worden. Die Bedeutung der katalytischen Wirkungen wächst heute immer mehr, sowohl in technischer Be- ziehung wie in wissenschaftlicher Hinsicht. Dort wird die Katalyse bereits z. B. bei der .Schwefel- säurefabrikation im großen angewandt und hier sucht man durch zahlreiche Untersuchungen etwas mehr Licht in die früher als rätselhaft bezeich- neten Vorgänge zu bringen. Zu den bisher als katalytisch wirksam bekannten Körpern ist jetzt das Aluminium hinzugekommen. Und zwar vermag es, wie Roland in der Chemikerzeitung (06, 1173) mitteilt, im doppelten Sinne auf die Reaktions- geschwindigkeit gewisser Vorgänge einzuwirken. Namentlich sind diese Verhältnisse bei der Hydra- tisation gewisser Körper, wie des Calciumoxyds, ferner verschiedener Gipsarten und endlich der des Portlandzements bedeutsam. Die Bindungs- geschwindigkeit des Kalks wird bei Gegenwart von im Wasser gelöstem A 1 u m i n i u m c h 1 o r i d bedeutend gesteigert. Die hierbei jedenfalls ein- tretende Nebenreaktion 2 AlCl.j + 3 CaO -f- 3 H.^O = 3 CaClj -|- Al.j(OH)c kann schon wegen ihrer ge- ringen Menge zur Erklärung der katalytischen Wirksamkeit kaum in Frage kommen. Da- gegen scheint nach Roland hydrolytisch gebildete Chlorwasserstoffsäure der Träger jener Eigen- schaften zu sein. Denn diese beschleunigt an sich schon die Bildungsgeschwindigkeit des CaO. Außer- dem aber gehen solche Hydratisationsbeschleuni- gungen namentlich von Lösungen aus, die VVasserstoftionen enthalten, weil sie die Oberfläche der einzelnen Kalkpartikelchen frei halten und die Löslichkeit beschleunigen. Die katalytische Wirksamkeit des Aluminium- chlorids kommt, wenn auch weniger scharf als im ersten Beispiel, auch bei der Hydratisation des gewöhnlichen, sog. Stuckgypses zur Geltung, welcher der F"ormel CaSO^ • i '/.i H.3O entspricht. Die katalytische Wirkung steht auch hier mit der Änderung der Löslichkeit des Gipses im Wasser im Zusammenhang, ähnlich wie bei NaCl, CaCI.,, NH^Cl, MgCl,, Na.,SO^, (NHj).-,SO„ NaNO.;, NH.NO'g u. a. Die Reaktionsbeschleunigung tritt ein infolge der durch die Gegenwart des AICI.5 erhöhten Lös- lichkeit des CaSOj • i ^l.^ H.,0 und der verminderten Löslichkeit des entstehenden Produkts, des Di- hydrats CaSO^ -2 1^,20. So scheidet sich letzteres, nunmehr in der Lösung zweier Elektrolyten sich befindend, fest ab, denn die Lösung ist schnell übersättigt , und der Vorgang kann sich wieder- holen. Anders beim sog. Estrich gips, dem wasserfreien CaSO^. Hier wirkt der Zusatz von AICI3 auf die Löslichkeit hindernd und damit auf die Hydratisationsgeschwindigkeit verzögernd ein. Endlich wirkt die Gegenwart von AlCL auch auf die Bindung des Portlandzements, und zwar je nach der Konzentration im positiven oder negativen Sinne ein. Dieselbe wird nämlich be- schleunigt in verdünnten Lösungen, verzögert in konzentrierten, und wird nach den Versuchen Roland's bei 2,91 "/o aufgehoben, d. h. sie ist bei dieser Konzentration nicht größer und nicht kleiner als ohne Zusatz von AlCl.,. Auch hier wird die katalytische Wirkung des AICI3 auf Löslichkeits- änderungen zurückgeführt. Ähnlich wie beim Gips ist der wasserfreie Zement löslicher als der hydratisierte. Das Alu- miniumchlorid erhöht nun die Löslichkeit des ersteren, während es die der letzteren vermindert. Die Abscheidung im festen Zustande kann also in der schnell übersättigten Lösung schnell erfolgen. Versuche mit Kaliumdichromat, Gips, Soda, Borax bewiesen, daß die Zusätze im gelösten Zustande überhaupt eine bessere Wirkung auf die Hydra- tisation erzielen, als solche in fester Form, was obiger Annahme entspricht. Auch beiorganischenReaktionen macht sich die katalytische Wirksamkeit des Aluminium- chlorids bemerkbar. Namentlich bei den F r i e d e 1 - Kraft' sehen Reaktionen, bei denen es sich um Entziehung des Halogens aus Alkylhalogenen und des Wasserstoffs aus einem Kohlenwasserstoff handelt. Bei solchen organischen Verbindungen beruht nach Gattermann die katalytische Wirkung auf dem Auftreten von Doppelverbindungen des N. F. VI. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 381 AICI3 mit organischen Verbindungen, also auf Zwischenreaktionen. Auch die Reaktionsgeschwindigkeit bei der Darstellung von Schwefelchlorid bzw. -dichlorid und schwefliger Säure aus Sulfurylchlorid -|- Schwefel wird durch AlCl.. erhöht. In den meisten Fällen ist AlCL als positiver Katalysator wirksam. Es verhält sich also ähn- lich dem Wasser. Letzteres vermag aber auch wie AICI3 negativ zu wirken, wie erst kürzlich erkannt worden ist. So wird der Zerfall wasser- freier Oxalsäure durch ihren wenn auch ana- lytisch nicht mehr festzustellenden Gehalt an Wasser aufgehalten und auch die Esterbildung wird durch sehr geringe Mengen Wasser verzögert. Lb. Vereins'wesen. Deutsche Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde (E. V.). — Am Mittwoch, den 30. Januar, abends 6 Uhr sprach im großen Hör- saal 50 des Erweiterungsbaues der Köiiigl. Tech- nischen Hochschule, Charlottenburg, Herr Prof. O. Kammerer über: „Die modernen Hilfsmittel eines Stahlwerkes". Während um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Herstellung des Stahls noch im wesentlichen durch Handarbeit geschah, sind die großen Leistungen der Stahlwerke und die heute üblichen Verfahren der Stahlbereitung über- haupt nur durch maschinentechnische Hilfsmittel möglich geworden. Nach dem Gang der Herstellung lassen sich die Hilfsmaschinen in folgende Gruppen teilen : I. Maschinen zum Betrieb der Hochöfen, 2. Hilfs- mittel zur Durchführung des Bessemer- Verfahrens, 3. Einrichtungen für das Siemens-Martin -Verfahren, 4. Hilfsmaschinen im Walzwerk, 5. Maschinen zur Verladung. Für den Betrieb der Hochöfen sind abgesehen von den Gebläsemaschinen — auf die hier nicht näher eingegangen werden soll — Maschinen zur Begichtung — sog. Gichtaufzüge — erforderlich. Für einen Hochofen mittlerer Größe, der täglich 150 t Roheisen erzeugt, muß der Gichtaufzug stündlich 14 t Koks und 31 t Erz und Kalkstein auf eine Höhe von etwa 20 m fördern. Bis gegen das Ende des 19. Jahrhunderts wurden ausschließ- lich lotrechte Aufzüge gebraucht, die anfangs durch die von den Hochofen Gebläsen erzeugte Druck- luft, später durch Dampf betrieben wurden. Diese Aufzüge vermittelten nur den lotrechten Trans- port; es waren daher auf der Gicht mehrere Ar- beiter erforderlich, die die Transportwagen von der Aufzugbühne bis zur Gicht schoben und dort entleerten. Diese Hilfsarbeit war nicht nur kost- spielig, sondern wegen der entweichenden Gicht- gase auch gefährlich. In Amerika tauchte zuerst das Bestreben auf, diese Handlangerarbeit durch Schrägaufzüge zu beseitigen, deren I<"örderkübel in höchster Stellung sich selbsttätig in die Gicht entleeren. Diese Schrägaufzüge sind im letzten Jahrzehnt auch in Deutschland vielfach ausgeführt und so vervollkommnet worden, daß zum Betriebe nur ein Steuermann erforderlich ist. Das Bessemer-Verfahren läßt sich überhaupt nur dann durchführen, wenn durch Hilfsmaschinen ein rasches Füllen, Kippen und Ausgießen der Bessemerbirnen ermöglicht wird. Eine Birne, die 10 t Stahl aufnehmen kann und lOOO t in 24 Stunden liefert, muß alle 15 Minuten eine Füllung erhalten. Von dieser Zeit stehen 4 Minuten zum Füllen und Aufrichten zur Verfügung, 9 Minuten zum Blasen und 2 Minuten zum Senken, Aus- gießen und Wiederaufrichten in die Füllstellung. Die Einhaltung dieser kurzen Zeiten erfordert Be- wegung der Birne durch Maschinenkraft, Zufuhr des Roheisens durch Gießwagen und Ausgießen aus der Birne in die Kokillen durch rascharbeitende Gießkrane. Die vor Einführung des elektrischen Antriebes üblichen feststehenden Druckwasserkrane und fahrbaren Dampf krane sind jetzt nahezu überall durch elektrisch betriebene Laufkrane verdrängt worden, die den ersteren gegenüber den Vorteil bieten, daß sie nahezu die ganze Grundfläche der Gießhalle bestreichen können, daß sie keinen Platz fortnehmen, daß sie wirtschaftlich arbeiten und geringe Wartung und Unterhaltung erfordern. Die neuesten Bestrebungen gehen darauf hinaus, den an den Drahtseilen hängenden Gießkübel durch einen in starrer Führung zwangläufig bewegten zu ersetzen, um die Betriebssicherheit und die Ge- nauigkeit der Bewegung zu erhöhen und jedwede Handlangerarbeit entbehrlich zu machen. Das Siemens - Martin- Verfahren bietet dem Bessemer-Verfahren gegenüber den Vorteil, daß es infolge der genaueren Regelbarkeit Stahl von besonders guter und gleichmäßiger Beschaffenheit herzustellen gestattet; es war aber so lange un- wirtschaftlich und wenig leistungsfähig, als das Laden der Martinöfen durch Handarbeit geschehen mußte. Durch Einführung von Beschickkranen, die die gefüllten Mulden mittels eines wagrechten Stiels erfassen, anheben, in den Ofen schieben und durch Umkippen entleeren, wurde das Siemens- Martin-Verfahren zu einem so leistungsfähigen und wirtschaftlichen gestaltet, daß es das Bessemer- Verfahren zum großen Teil verdrängt hat. Der Betrieb von Walzwerken erforderte bis in die jüngste Zeit eine Schar von gut eingearbeiteten Hilfsarbeitern, die für die richtige Einführung der Blöcke zwischen die Walzen sorgen mußten. Diese Arbeit war eine höchst anstrengende und verteuerte die Herstellung um so mehr, je höher die Löhne stiegen. Die wesentlich höheren Löhne in den Vereinigten Staaten führten dort zuerst zu dem Versuch, die Hilfsarbeit durch Maschinen- arbeit zu ersetzen. Der Transport der Blöcke aus den Wärmöfen zu den Walzen wird durch Zangen- krane bewirkt, die den glühenden Block mit einer in Führungen zwangläufig beweglichen und vom Kranführer gesteuerten Zange ohne Mithilfe von Handlangern fassen. Den Transport von einem Walzenpaar zum nächsten besorgen fahrbare Roll- 382 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 24 gänge mit elektrischem Antrieb. Die Ausgestal- tung dieser Hilfsmittel hat dazu geführt, daß in einem modernen Walzwerk nur ein Walzmeister und zwei auf einer Bühne stehende Steuerleute zu sehen sind, die mittels einer Batterie von Steuerhebeln sämtliche Haupt- und Hilfsmaschinen des Walzwerks von einem Punkt aus beherrschen. Zur Verladung wurden ursprünglich Krane mit kleinem Arbeitsfeld und geringen Geschwindig- keiten benützt, an deren Haken die zu hebenden Lasten mittels Schlingketten von Handlangern be- festigt werden mußten. An ihre Stelle sind die modernen Brückenkrane getreten, d. h. fahrbare Brücken, die den Lagerplatz in ganzer Breite über- spannen und über seine ganze Länge hin gefahren werden können. Die Blöcke, .Schienen und Träger werden durch Zangen oder Elektromagnete selbst- tätig gefaßt, mit großer Geschwindigkeit gehoben und seitwärts bewegt und selbsttätig in die Eisen- bahnwagen niedergelegt, so daß auch hier alle Lastträgerarbeit entbehrlich geworden ist und ein Steuermann zur Beherrschung der ganzen Maschine genügt. Die gesamte Entwicklung im Stahlwerk ist gekennzeichnet durch das Bestreben, nicht mehr die Körperkraft allein, sondern vor allem die menschliche Einsicht und Willenskraft arbeiten zu lassen, die Tätigkeit des Menschen also auf eine höhere Stufe zu heben und dadurch die Weiterentwicklung des Menschengeschlechtes zu fördern. In der Zeit vom 7. Januar bis 11. Februar hielt Herr Prof Dr. P. Sorauer in den Räumen der Königl. Landwirtschaftlichen Hochschule für die Mitglieder der Gesellschaft einen sechsstündigen Vortragszyklus über „Pflanzenkrankheiten" ab. I. A. : Prof. Dr. W. Greif, I. Schriftführer. Berlin SO 16, Köpenickerstraße 142. Bücherbesprechungen. Prof. Dr. B. Weinstein, Die Philosophischen Grundlagen der Wissenschaften. Vor- lesungen gehalten an der Universität Berlin. Verlag von B. G. Teubner in Berlin und Leipzig. 1906. — Preis geb. 9 Mk. Verf. ist Physiker ; er berücksichtigt dementsprechend in erster Linie die Naturwissenschaften, geht aber auch auf anderes ein. Er sagt in der Vorrede: „Über den philosophischen Standpunkt, den ich einnehme, und von dem aus die hier vorgetragenen Untersuchungen zu beurteilen sind, möchte ich an dieser Stelle nicht sprechen. Ein System ist weder durch ein land- läufiges Wort noch durch einen Satz zu kennzeichnen, sondern allein durch die Durcharbeitung, die es ge- funden hat. Jedes Autors Wunsch ist es vor allem, gelesen zu werden, und er darf diesen Wunsch um so mehr hegen, wenn er nicht ein Buch aus Büchern, sondern aus Eigengedachtem und Eigenersonnenem geschrieben hat. Sollte es, insbesondere einige meiner Fachgenossen der naturwissenschaftlichen Disziplinen, befremden, daß ich die so bequem ausgetretenen Bahnen der materialistisch - mechanistischen Schulen kaum einschlagen , geschweige verfolgen konnte , so glaube ich durch den vorgetragenen Inhalt selbst hinreichend gerechtfertigt zu werden." Seine Anschauungen berühren sich mit denjenigen von Rehmke, Ostwald, Wundt. Es ist zu loben, daß Verf. als Naturforscher sich ein Weltbild zu ver- schaffen versucht, wie überhaupt die heutige Natur- forschung glücklicherweise philosophische Neigungen mehrfach kundtut; es ist aber zu sagen, daß W. — wie z. B. aus seinen Auseinandersetzungen über den Seelenbegrifif hervorgeht — nicht streng genug auf dem Boden der Erfahrung bleibt. i) Prof. Dr. Otto Schmiedeknecht, Custos des F. Naturalienkabinetts in Rudolstadt, Die Hyme- nopteren Mitteleuropas, nach ihren Gat- tungen und zum großen Teil auch nach ihren Arten analytisch bearbeitet, 804 S. mit 120 Figuren im Text, Jena 1907, Verlag von Gustav Fischer. — Preis 20 Mk. 2) Prof. Fr. Klapälek, Die Hummeln Böhmens 58 S. mit IG Textabbildungen, Prag 1905, Kom- missionsverlag von Fr. Rivnäc. — Preis 2 Mk. 3) W. A. Schulz, Hymenopteren-Studien, 148 S. mit 13 Abbildungen im Text, Leipzig 1905, Verlag von Wilhelm Engelmann. — Preis 4 Mk. 4) W. A. Schulz, Spolia hymenopterologica, 356 S. mit I lithographierten Tafel und n Ab- bildungen im Text, Paderborn 1906, Verlag von der Junfermannschen Buchhandlung (Albert Pape). — Preis 8,50 Mk. 5) Dr. R. Burri, Bakteriologische Unter- suchungen über die Faulbrut undSauer- brut der Bienen, für Bienenzüchter gemein - faßlich dargestellt, 40 S. mit einer Figurentafel, Aarau 1906, Verlag von H. R. Sauerländer & Co. — Preis 0,80 Mk. Von allen Insektenordnungen sind die Hautflügler bisher am wenigsten durchgearbeitet. Sie sind die einzige Ordnung, in welcher wir noch keine analy- tische Übersicht der deutschen oder mitteleuropäischen Arten besitzen. Dieser Mangel macht sich um so fühlbarer, da manche Hautflügler zu den interessan- testen Tieren gehören. Schließt die Ordnung doch die Ameisen und die Bienen ein, zwei Familien, die wegen ihres vollkommenen Staatenlebens die Auf- merksamkeit so sehr auf sich gelenkt haben und die z. T. auch von hoher praktischer Bedeutung für den Menschen sind. Wenn die Ordnung trotz des hohen Interesses so wenig durchgearbeitet ist , so liegt das namentlich an der Unzahl von kleinen Formen, die dem Sammler leicht entgehen und die sich der bis- herigen Präparations- und üntersuchungsmethode nicht so recht fügen wollten. Die Formen sind so äußerst klein, weil sie in den kleinen Larven anderer Insekten von geringer Größe, teilweise sogar in den Eiern von Landarthropoden schmarotzen. Sie sind so schwer unterscheidbar, weil die Verhältnisse, unter denen sie leben, so einförmige sind. Für weitere Kreise hat die N. F. VI. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 383 Unterscheidung gerade dieser Kleintbrraen, soweit es sich nicht um Parasiten von Schädlingen oder Nutzungen handelt, t'reilich ein nur geringes Interesse. — Die vorliegenden fünf Schriften sind Beiträge zur Kenntnis der Hymenopteren. 1 ) Das Schmiedeknecht' sehe Buch ist für weitere Kreise von ganz besonderem Interesse , weil wir hier zum ersten Male eine umfangreichere Zu- sammenfassung der mitteleuropäischen Hymenopteren vor uns haben. Da der Verfasser auf diesem Gebiete in ausgedehntem Maße als Spezialist tätig war, dürfen wir wohl mit Bestimmtheit auf Zuverlässigkeit rechnen. — Schon im Jahre 1S66 wurde von E. L. Taschen- berg ein ähnliches Buch veröfifenthcht. Damals war aber die Ordnung der Hautflügler noch zu wenig durchgearbeitet, so daß jenes kleine Buch jetzt total veraltet ist. — Während Taschenberg nur in der Familie der Grabwespen bis auf die Art führende Bestimmungsschlüssel gab , finden wir in dem Seh m i e deknecht' sehen Buche die Bienen, die Grabwespen und Verwandte , die Faltenwespen , die Goldwespen, die Ameisen und einen Teil der größeren Schlupfwespen und Blattwespen bis auf die Art ana- lytisch behandelt. In allen Familien führen die Be- stimmungstabellen bis auf die Gattung und überall ist auf weitere Literatur verwiesen. Der äußere Bau ist an der Hand einiger Textabbildungen so weit zur Darstellung gebracht, daß der Anfänger über die zur Bestimmung nötigen Kunstausdrücke unterrichtet ist. 2) K 1 a p ä 1 e k behandelt die Hummeln und Schraarotzerhummeln, also gerade diejenigen Formen, mit denen der Hymenopteren - Sammler gewöhnlich beginnt. Da die Farben in dieser Gruppe im höchsten Grade abändern, gibt der Autor Bestimmungstabellen nach Formmerkmalen begleitet von den erforderlichen Abbildungen. Namentlich die für die sichere Be- stimmung so wichtigen Kopulationsorgane des Männ- chen werden bildlich dargestellt. 3) und 4) Die beiden Schriften von Schulz haben besonders für Spezialisten Interesse, da sie sich mit der Systematik , der Synonymie und der Ver- breitung exotischer Formen befassen. In 3 werden Beiträge zur Kenntnis der Hymenopteren-Fauna Afrikas, neue Gattungen und Arten der Trigonaliden und Beschreibungen von Hymenopteren Amazoniens ge- geben. 4 behandelt die Hymenopteren der Insel Greta, gibt zahlreiche Berichtigungen des bekannten Dalla Torre'schen Katalogs aller bis jetzt be- schriebenen Hymenopteren und eine Hymenopteren- fauna der Insel Fernando Po. 5) Das Burri'sche Schriftchen wird besonders den Bienenzüchter und den Bakteriologen interessieren. Die Untersuchung der Faul- und Sauerbrut hat er- geben, daß es sich um Bakterien als Krankheitserreger handelt. Für die Faulbrut macht der Verfasser zwei verschiedene Formen von Bakterien bekannt, für die Sauerbrut eine Form. Wenn man früher glaubte, daß der Faulbrutbazillus mit dem Kartoft'elbazillus identisch sei, so hat sich das als unzutreffend erwiesen. Für den Praktiker ergibt sich aus den Untersuchungen die Lehre, daß er sich vor allem gegen Ansteckung zu schützen hat. Dahl. Vegetationsbilder, herausgegeben von Dr. G. Karsten, Prof an der Universität Bonn, und Dr. H. Schenck, Prof an der Technischen Hochschule Darmstadt. Verlag von Gustav Fischer in Jena. — Preis des Heftes (Quartformat) mit 6 Tafeln in Subskription 2,50 Mk. Von dem schönen Werk liegen 10 weitere Liefe- rungen vor. Heft 6 der 3. Reihe bringt ,, Mittelmeer- bäume" von H. Schenck, jedoch — wie immer — die Pflanzen in ihrer landschaftlichen, natürlichen Um- gebung. Heft 5 bietet Tafeln über die Flora von Sokötra von R. v. W e 1 1 s t e i n , Heft 6 Vegetations- bilder aus Kleinasien von Emerich Zeder hauer, Doppelheft 7/S Vegetationstypen von der Insel Koh Chang im Meerbusen von Slam von Johs. Schmidt, Heft I der 4. Reihe Ameisenpflanzen des Amazonas- gebietes von E. Ule, Heft 2 das südliche Togo von Walter Busse, Doppelheft 3 u. 4 Vegetationsbilder aus Feuerland, von den Falkland-Inseln und von Süd- georgien von CarlSkottybery, Heft 5 westafrika- nische Nutzpflanzen von Walter Busse. Es sind durchweg instruktive und schöne Tafeln, die geboten werden ; sie geben treffliche Anschauungen bei Vege- tationstypen. Es sind auch wahrhaft künstlerisch wirkende Abbildungen unter den Tafeln, wie diejenige mit säulenförmigen Cypressen bei Gardone am Garda- see. Von den Tafeln mit Ameisenpflanzen haben wir den Lesern bereits mit Erläuterung aus der Feder Ule's selbst seinerzeit Beispiele geboten (vgl. Naturw. Wochenschr. 1906 p. 145 nebst der zugehörigen Licht- drucktafel u. Fig. 2 u. 3). Unter den vielen inter- essanten Darbietungen sind diesmal u. a. auch Man- groven mit prächtigen Atemwurzeln. 1) A. Krisch, Barometrische Höhenmes- sungen und Reduzierungen. 44 Seiten. Wien und Leipzig, A. Hartleben, 1907. — Preis 2 Mk. 2) J. G. Schoen, Anleitung für die Manipula- tionen bei den barometrischen Höhen- messungen. 18 Seiten. Leipzig und Wien, F. Deuticke, 1907. — Preis i Mk. i) Die Schrift will jedermann in den Stand setzen, einerseits bei bekannter Meereshöhe die Barometer- angaben auf den Meeresspiegel zu reduzieren, anderer- seits auf Reisen mit Hilfe des Barometers Höhen- messungen auszuführen. Zu diesem Zwecke sind die 8 Jelinek'schen Tafeln reproduziert und ihr Gebrauch wird durch einige Zahlenbeispiele erläutert. 2) ist eine ganz kurze Anweisung zur Aufstellung und Ablesung der Barometer. Die Benutzung der Höhenformel wird an einem Beispiel gezeigt. Hilfs- tafeln sind nicht beigegeben. F. Kbr. Dr. R. Hennig, Die Wetterrose. Anleitung zur leichten Selbstbestimmung des kommenden Wetters. Berlin, Otto Salle. — Preis 20 Pf Die auf ein Quartblatt in Rosettenform gedruckten Wetterregeln wollen das kommende Wetter ausschließ- lich aus der Barometerbewegung und Windrichtung 384 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 24 bestimmen. Die Prognosen für steigendes Barometer sind rot gedruckt. Natürhch läßt daher die Wetter- rose im Stich, wenn keine ausgesprochene Barometer- bevvegung zu beobachten ist , oder der Wind unbe- ständig bzw. sehr schwach ist. Es wird wohl auch niemand erwarten, für so niedrigen Preis ein nie ver- sagendes Orakel erstanden zu haben, ist doch selbst die öftentliche Wetterprognose, die mit allen Hilfs- mitteln der Wissenschaft und des telegraphischen Nachrichtendienstes arbeitet, leider immer noch von recht problematischem Wert. Für jeden Beobachter des Barometers werden die auf vorliegendem Blatt zusammengestellten Angaben willkommen sein, denn durch sie kann jedenfalls eine sehr gesteigerte Ver- wertung der Barometerangaben erzielt werden. F. Kbr. Literatur. Arndt, Priv.-Doz. Dr. Kurt: Teclinische Anwendungen der physikalischen Chemie. (VII, 304 S. m. 55 Abbildgn.) gr. 8°. Berlin '07, Mayer & Müller. — 7 Mk., geb. in Leinw. 8 Mk. Dönitz, Geh. Med.-R. Prof. Dr. \V. : Die wirtschaftlich wich- tigen Zecken m. besond. Berücksicht. Afrikas. Mit 38 Ab- bildgn. auf 6 Taf. (VII, 127 S.) Lex. 8». Leipzig '07, J. A. B.irth. — 5 Mk., geb. in Leinw. 5,80 Mk. Hennings, Priv.-Doz. Dr. Curt : Tierkunde. Eine Einführg. in die Zoologie. Mit 34 Abbildgn. im Text. (IV, 137 S.) Leipzig '07, B. G. Teubner. — I Mk. , geb. in Leinw. 1,25 Mk. Kränzlin, Fr. : Scrophulariaceae-Antirrhinoideae-Calceolarieae, m. 142 Einzelbildern in 21 Fig. (128 S.) Leipzig '07, W. Engelmann. — 6,40 Mk. Briefkasten. Herrn A. in Friedenau. Das Ohrenklingen entsteht im Corti'schcn Organ und stellt einen Reizzustand der Endaus- läufer des Nervus acusticus dar, welcher meist durch Druck- steigerung im Labyrinth oder im Schallzuleitungsapparat ver- anlaßt wird. Dr. H. K. Herrn Str. in Waszeninken. i) Die Analyse des Wassers und anderer Flüssigkeiten finden Sie ausführlich behandelt in E. Schmidt's pharmazeutischer Chemie (Braun- schweig, F. Vieweg u. Sohn, Bd. I, Preis 22 Mk.). Über das Wasser allein handeln auch besondere Werke, z. B. Thiemann u. Gärtner, Die ehem. Unters, des Wassers (Braunschweig, Vieweg, 4. Aufl., Preis geb. 26 Mk.); Ziegler, Analyse des Wassers (Stuttgart 1887). 2) Eine gesicherte Erklärung der Eiszeiten gibt es bis jetzt noch nicht. Wenn Sie die letzten Bände dieser Zeit- schrift studieren wollen, werden Sie die Frage nach den Ur- sachen der Eiszeiten mehrfach berührt finden. Vgl. Sie z. B. P- 336. 3) Die stark elliptischen Bahnen der Kometen stehen im besten Einklang mit der Gravitation. Ein Himmels- körper, der aus unendlicher Entfernung in den Anziehungs- bereich der Sonne gelangt, müßte sogar eine hyperbolische oder parabolische Bahn durchlaufen, je nachdem seine .Anfangs- geschwindigkeit in bezug auf die Sonne einen von Null ver- schiedenen Wert hat oder Null ist. Diejenigen Kometen, welche elliptische Bahnen haben, beweisen dadurch ihre längere Zugehörigkeit zum Sonnensystem. Ein aus weiter Entfernung sich der Sonne nähernder Körper erlangt bei großer Sonnen- nähe eine so große Geschwindigkeit, daß die Schwungkraft die Anziehungskraft wesentlich übersteigt und der Körper sich daher wieder von der Sonne entfernt. 4) Die Selbst verd auung des Magens wird durch den Magenschleim verhütet, der beständig in erheblichen Mengen abgesondert wird und die Berührung der Verdauungs- säfte mit der Magenwandung verhindert. 5) Der ,,D ianenbaum" oder Silberbaum entsteht in- folge dendritischer Silberabscheidung, wenn man Quecksilber mit einer Lösung von salpetersaurem Silber (Höllenstein) über- gießt. Ähnlich kann man einen ,, Bleibaum" auf rein chemi- schem Wege oder auch durch elektrolytische Zersetzung einer Bleizuckerlösung erzeugen, und in mehr oder minder zierlicher Weise lassen sich auch andere Metalle aus ihren Lösungen ausfällen. 6) Kristalle wachsen im Gegensatz zu den organischen Wesen nicht durch Intussuszeption, sondern durch Apposition, d. h. durch .Anlagerung gleichartiger Substanz von außen. Natürlich kann dieses Wachsen nur stattfinden , wenn der Kristall sich in einem gesättigten Lösungsmittel befindet und dieses z. B. durch Verdunstung gezwungen wird, weitere feste Substanz auszuscheiden. Besonders reizvoll ist die Beobach- tung dieses Wachstums oder Anschießens von Kristallen mit Hilfe des Mikroskops oder Epidiaskops. F. Kbr. Herrn St. in Waßeninken. — Der eingesandte Zweig stammt von Evonymus japonica, wahrscheinlich von der var. radicans. — Sie fragen, ob man Hutpilze in natürlichen Farben und Stellungen präparieren kann? Die Farben kann man vollständig konservieren, aber es ist bisher nicht möglich, einen Hutpilz in natürlicher Form zu erhalten. Man behilft sich dann so, daß man von dem Pilze Längs- und Flächenschnitte anfertigt und sie auf Papier klebt, indem man möglichst die natürliche Form und Stellung auszudrücken ver- sucht. Was nun die Erhaltung der Farben betrifft, so existiert darüber ein kompliziertes Präparationsverfahren, das sich aber im kurzen Rahmen einer Briefkastennotiz nicht ausführlich darstellen läßt. Sie finden Genaueres darüber in meinem Büchelchen „Hilfsbuch zum Sammeln und Präparieren der Kryptogamen," Berlin, (Gebr. Bornträger), Preis 1,60 Mk. Ich habe dort die verschiedenen Methoden besprochen und ver- weise Sie auf die Darstellung. G. Lindau. Herrn Dr. B. in Met'lach. — Wie verhält es sich mit dem neu entdeckten Volksslamm, den nach der Berl. illustr. Zeitung Nr. 13 1907 Dr. Lark von S. M. S. „Spree" auf den Kennel- Inseln (.Australien) entdeckt haben will? Daß es sich bei dem von der Berl. Illustr. Ztg. Nr. 13 abgebildeten „neuentdeckten Volksstamm" um einen wissen- schaftlichen Aprilscherz gehandelt hat, mußte jeder Natur- kundige merken. Solche Geschöpfe könnte es entwicklungs- geschichtlich nicht geben. Die Abbildungen sind offenbar nach photographischen Aufnahmen vermummter Menschen hergestellt. Dr. w. Herrn K. in Mitau. — Geologie: E. Fraas , Sammlung Göschen. Paläontologie: Steinmann u. Döderlein, Leipzig, 1 888— 90. Ehe: Westermark, Gesch. d. menschl. Ehe, Jena 1893. Urgeschichte: Schwalbe, Vorgeschichte des Menschen, Braunschweig 1904; Wilser, Menschwerdung, Stuttgart 1907. Völkerkunde : Wilser, Stammbaum der indogermanischen Völker und Sprachen, Jena 1907. Inhalt: Dr. I', mil Werth: Die Pflanzenwelt der Antarktis nach den Ergebnissen der Deutschen Südpolar-Expedition. Kleinere Mitteilungen: Dr. med. Otto Thilo: Das Schwinden der Schwimmblasen bei den Schollen. Rutger Sernander: Über die europäischen Myrmekochoren. — Dr. Josef Reindl: Die in historischer Zeit erfolgten Bergstürze in Bayern. — Roland: Katalytische Wirkung des Aluminiumchlorids. — Vereinswesen. Bücher- besprechungen: Prof. Dr. B. Weinstein: Die Philosophischen Grundlagen der Wissenschaften. — Sammel-Referat über Hymenopteren-Literatur. — Karsten und Schenck: Vegetationsbilder. — i) A. Krisch: Barometrische Höhenmessungen und Reduzierungen. 2) J. G. Schoen: Manipulationen bei den barometrischen Höhenmessungen. — Dr. R. Hennig: Die WeUerrose. — Literatur : Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfclde-West b. Bcrlii Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge Tl. Band; der ganzen Reihe XXII. Band. Sonntag, den 23. Juni 1907. Nr. 25. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der i. Halbjabrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- '•^^ handlung. Betrachtungen über ozeanische Inseln. [Nachdruck verboten.] Von Prof. Dr. E. Wohl wenig geographische Begriffe umfassen so viel Verschiedenartiges wie der der Insel. England und St. Helena, Grönland und die Atolle der Südsee werden unter dieser gemeinsamen Bezeichnung zusammengefaßt , die kaum etwas mehr besagt , als daß ein Stück Land , mag es groß oder klein sein, rings von Wasser umgeben wird. Zugleich ist aber augenscheinlich die Ab- grenzung von Insel und Kontinent keine scharfe und beruht im wesentlichen auf Konvention; man darf darüber streiten, ob man Australien besser als Insel wie als Kontinent anzusehen hat und ob man nicht Madagascar , trotz seiner geringeren Größe, denselben Platz anweisen muß wie Austra- lien. Die Vielartigkeit dessen, was man unter dem Begriffe ,, Insel" zusammenfaßt, hat frühzeitig zu dem Versuche gereizt, weitere Trennungen vorzu- nehmen. Schon Strabo hat sich an dieser Auf- gabe versucht und der große Geograph des XVII. Jahrhunderts , Bernhard Varenius , ' j „stellt ein Inselsystem auf, das mit manchem der neueren Zeit wohl einen Vergleich aufnehmen kann". Die Methoden, die zur Klärung des Insel- ') F. G. llalin, Insrlstudien. Leipzig 1SS3. S. 2. Philippi-Jena. Problems angewendet werden, kann man als die morphologische und die biologische bezeichnen. Die Anhänger der ersteren ') „betrachten Form, Küstengestaltung, Relief und geologischen Bau der Inseln, dann die Tiefenverhältnisse des umgeben- den Meeres sowie die Lage der Inseln in bezug auf andere Gruppen oder auf das Festland". Die biologische Methode untersucht hingegen die Fauna und Flora der Inseln, sie prüft, ob diese einen ehemaligen Zusammenhang der heutigen Insel mit Festlandsmassen erkennen lassen oder ob erst in nicht weit zurückliegender Zeit die Neubesiede- limg eines bis dahin unbewohnten Terrains er- folgte. Es ist müßig, darüber zu streiten, welcher Methode der Vorrang gebührt; eine solche Ent- scheidung dürfte nur von Fall zu I'all zu treffen sein und kein Naturforscher wird, wenn er auch die eine Methode bevorzugt, die andere entbehren wollen. Ihr Ziel ist ein gemeinsames: die Ent- stehung und Entwicklungsgeschichte einer Insel aufzuklären und uns dadurch zu einer natürlichen Einteilung zu verhelfen; jedes System der Inseln, das nicht auf genetischer Grundlage beruht, darf man als gekünstelt ansehen. Aus diesem Gnmde scheint mir die alte Ein- 3S6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 25 teiliing der Insehi die beste, die kontinentale und ozeanische unterscheidet; Unterabteilungen lassen sich nach Bedürfnis leicht abgliedern und die geographischen Lehrbücher kargen nicht mit ihnen. Die Unterschiede zwischen den beiden Insel- gruppen sind auf den ersten Blick außerordentlicli tiefgreifende. Die kontinentalen Inseln sind einst Teile einer größeren, zusammenhängenden Land- masse gewesen , die ozeanischen aber in relativ junger Zeit im Meere entstanden. Die Entstehung einer neuen Insel in einem oft sehr tiefen und küstenfernen Meeresteil will uns wie ein ungeheuerlicher und fast unglaub- würdiger Vorgang erscheinen; allein dieses Er- eignis ist gar nicht einmal so selten und ist zuweilen in allen Einzelheiten beobachtet wor- den. Am bekanntesten sind die Vorgänge im Mittelmeere; besonders die in vulkano- logischer Hinsicht klassische Inselgruppe Santorin hat wiederholt das Beispiel neuentstehender Inseln geboten. In einem weiten, von Meerwasser er- füllten Krater, dessen Ränder heute mehrfach durch- brochen sind, entstanden hier durch vulkanische Ausbrüche in großen Intervallen die drei Kameni- Inseln, 198 v. Chr. Palaea, 1573 n. Chr. Mikra und 1707 Nea Kameni; eine besonders heftige Eruptionsperiode begann mit dem 26. Januar 1866, im Laufe des Februar tauchten 2 glühende Lava- klötze, Georgios und Aphroessa aus dem Meere unweit Nea Kameni auf, später entstand noch eine dritte Insel, Reka, und am Schlüsse bildeten sich die kleinen Mai-Inseln. Im Juli 1831 wurde durch einen vulkanischen Ausbruch zwischen Sizilien und Nordafrika an einer Stelle, die mindestens 100 Faden tief war, die neue Insel Ferdinandea aufgeschüttet; da sie nur aus Schlacken und Aschen bestand, verschwand sie noch im Laufe ihres Geburtsjahres. Auch auf den liparischen Inseln ist in histori- scher Zeit, 183 V. Chr., eine neue Insel, Volcanello, entstanden, die sich erst im 16. Jahrhundert mit Volcano vereinigt haben soll. Wahrscheinlich hat in anderen Meeren, die reichere Vulkangebiete umfassen als das Mittel- meer, das Auftauchen einer neuen Insel noch häufiger stattgefunden. Da aber unsere Kennt- nis außereuropäischer Meere erst wenige Jahr- hunderte umspannt, für die meisten hier in F'rage kommenden Gebiete sogar aus dem vergangenen Jahrhundert datiert, so fließen die Quellen über diesen Punkt verhältnismäßig spärlich. Immer- hin wissen wir einiges nicht Uninteressante. Von den Azoren werden uns mehrfach Neu- bildungen berichtet, die aber wieder verschwunden sind; am bekanntesten ist die Insel Sabrina, die 181 1 gebildet wurde. Etwas solider gebaut ist die Insel Joanna Boguslawska, die im Mai 1796 in der Kette der Aleuten entstand; 1883 tauchte in ihrer Nachbarschaft ein neuer Vulkankegel auf, der nach dem Geologen Grewiiigk benannt wurde und 1890 erschienen in derselben Gegend 3 kleine Inseln von angeblich mehr als 300 m Höhe. Im Jahre 1885 tauchte die 3 km lange und 76 m hohe Falken-Insel in der Tonga- Gruppe auf Bei dem Ausbruch des Krakatau bildeten sich 2 neue Inseln , Steers und Calmeijer Eiland , von 3 und 4 (]km Größe, die aber seither wieder verschwun- den sind. Die Zahl der neuentstandenen Inseln ist mit diesen Beisiiielen längst noch nicht er- schöpft. Alle in historischer Zeit neuentstandenen In- seln sind vulkanischer Natur, sei es, daß sie em- porquellende Lavamassen darstellen , sei es, daß sie sich aus losen Aschen oder Agglomeraten zu- sammensetzen. Diese rein empirisch gefundene Tatsache darf man auf alle ozeanischen Inseln übertragen; es ist zwar theoretisch nicht ausge- schlossen, daß neuentstandene, d. h. ozeanische Inseln auch aus anderen als jungvulkanischen Ge- steinen bestehen können und möglicherweise existieren solche Typen. Sie sind aber sicher, wenn vorhanden, nur ganz vereinzelt und als Aus- nahmen zu betrachten, die die Regel bestätigen. Schon von weitem verraten viele ozeanischen Inseln ihren vulkanischen Aufbau. Selbstverständ- lich erscheint das bei denen, die noch einen tätigen Vulkan tragen, wie Hawai, mehrere Azoreninseln und viele andere. Aber auch manche andere, die nicht mehr zu den tätigen Vulkanen gerechnet werden dürfen, lassen über ihren Ursprung nicht im Zweifel. Verhältnismäßig selten sind die In- seln, bei denen der Kraterboden bis unter den Meeresspiegel hinabreicht und von Wasser erfüllt ist; zu ihnen gehören im Mittelmeer Santorin und eine der kleinen Columbretes-Inseln an der spani- schen Ostküste, am vollkommensten aber ver- körpert diesen Typus die Insel St. Paul im indi- schen Ozean. Weiter verbreitet sind jungvulkanische Inseln, die etwa die Form eines Buckelschildes haben; in der Mitte liegt der Haujitkrater, die meist flach abfallenden Seiten bedecken häufig parasitäre Ausbruchsstellen. Dieses Bild bietet Neu-Amster- dam, die Possession- Insel in der Crozet-Gruppe, Jan Mayen und die Bouvet-Insel. Aber auch bei älteren Vulkanruinen, wie sie z. B. die Capverden- Insel St. Vincent, St. Helena und manche anderen darstellen, läßt sich die ehemalige Form meist ohne große Schwierigkeiten rekonstruieren. Im Gegensatz zu den jungvulkanischen, ozeani- schen Inseln bauen sich die kontinentalen aus den gleichen Gesteinen auf, aus denen die Konti- nente zu bestehen pflegen. Es überwiegen auf ihnen alte Tiefengesteine, kristalline Schiefer und Sedimente, die sich entweder auf den Kontinenten selber oder an ihrem Rande in flacherem Wasser gebildet haben. Jungvulkanische Gesteine brauchen aber naturgemäß nicht zu fehlen , da sie ja auch auf den Kontinenten vorkommen. Es grenzt also augenscheinlich bereits die Gcsteinsbeschafifenheit die beiden Inselgruppen sehr scharf gegeneinander ab; dazu kommen aber N. F. VI. Nr. 25 Naluf Wissenschaft liehe Wocheiischiifl. 387 noch zahlreiche binlogisciie MoinciUc.') Die I'"aima und I'lora der kontinentalen Inseln ist aiiiiäheri\d ebenso mannigfahij.,^, als die der l'"esllandsnia.sscn, von denen sie sich ablösen; Landsäiigetiere und Amphibien sind stets vorhanden. Fand die Ab- trennung der Insel sehr frühzeitig statt, so kann diese Formen behci bergen, die auf den großen Land- massen längst ausgestorben sind, oder es sind auf der Insel neue Arten von besonderem Ge- präge entstanden. Im Gegensatz dazu ist die I.ebevvelt der ozeanischen Inseln meist eine recht spärliche und lückenhafte. Landsäugetiere und Amphibien fehlen ganz, Reptilien treten nur ver- einzelt auf. In den meisten Milien erkennt man deutlich, daß erst in jüngster Zeit eine Besiedelung erfolgte, bei der der Zufall eine gewisse Rolle spielte. Die Ausbildung neuer, durch die insu- laren X'crhältnisse bedingter .-Vrten hat noch keinen erheblichen Umfang erreicht. Die Grenze zwischen den beiden Inselklassen scheint also auf biologischem Gebiete nicht weni- ger scharf zu sein, als auf morjihologischem. Und trotzdem ist man heute noch bei einzelnen Inseln im Zweifel, ob man sie zu den kontinentalen oder ozeanischen zu zählen hat. Theoretisch sind die Gründe für ein solches Dilemma sofort ersichtlich. \'ulkaiie umkränzen vielfaclT die Kontinentalränder ; wird nun ein solcher Vulkanberg von der Fest- landsmasse durch Erosion oder jugendliche Ver- werfungen abgetrennt, so entsteht eine Insel, die wie die ozeanischen rein vulkanischen L'rsprungs sein kann. Wird nun vollends durch einen er- neuten Vulkanausbruch oder andere Katastrophen die ehemals kontinentale Lebewelt ganz oder großenteils vernichtet, so haben wir eine Insel vor uns, deren Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Gruppe durchaus fraglich sein kann. Einen solchen Typus scheint die merkwürdige Insel Kerguelen zu verkörpern. Soweit wir bis- her von ihr Kenntnis haben, stellt sie keinen Stratovulkan mit nach außen geneigten, perikli- nalen Schichten dar, sondern baut sich aus vielen, flach übereinander lagernden Lavaströmen auf. Diese machen eine nahezu ebene Unterlage not- wendig; zwar kann sie von einem völlig ab- radierten Vulkankegel gebildet werden , die Ge- steine, die aber hin und wieder unter den Basalt- decken Kerguelens auftauchen, sprechen nicht für diese Auffassung. Es sind nämlich vorwiegend Trach\'te und Phonolithe, die isolierte Kuppen zu bilden scheinen , daneben aber auch alte Tiefen- gesteine und Sedimente, die eine kontinentale Unterlage nicht unwahrscheinlich machen. Dazu kommt eine F"auna und Flora , die teils alte Relikte , teils sehr stark angepaßte Formen enthält, aber, wie es scheint, keine neue F^inwan- derung erkennen läßt. Von botanischen Relikten ist am bemerkenswertesten Pringlea, der Kerguelen- kohl, der ganz auf Kerguelen und die benach- barten Inseln beschränkt ist; eine den klimatischen ') Vgl. besonders Wallace, Island Life, London 1880. Verhältnissen stark angepaßte F'orm ist Azorella, eine Umbcllifcre, die gleich manchen hochalpincn Hlüte[ii)flanzen Polster bildet. Das Vorkommen von Rüsselkäfern deutet auf eine weit entlegene Zeit hin, in der Kerguelen mit Wäldern bedeckt war, während heute jeder Baumwuchs durch die furchtbaren Stürme ausgeschlossen ist. Reste dieser sicher tertiären Baumvegetation finden wir in Gestalt von verkieselten Coniferenstämmen in einzelnen Zwischenlagen der Basaltströme. Auf eine sehr intensive und lange andauernde An- passung an das Klima weist aber besonders der Verlust oder die Reduktion der Flügel bei einigen Fliegen und einer Motte hin. Kerguelen stellt uns vor ein sehr eigenartiges Problem; das submarine Plateau, dem die Insel und die benachbarte Heard-Insel aufsitzen, fällt nach allen Seiten zu Tiefen von 3 — 5000 m ab und ist von allen Festlandmassen durch ungeheure Entfernungen getrennt. Die Lebewelt Kerguelens weist die nächsten Beziehungen zu der der Magel- haes Länder auf; wollen wir aber einen früheren Zusammenhang mit Südamerika annehmen, wie dies Hooker und Studer fordern, so kommen vvfir zu dem Schlüsse, daß im südatlantischen und indischen Ozean außerordentlich viel P^estland in sehr große Tiefen versunken ist. Chun stellt da- her neuerdings Kerguelen zu den ozeanischen Inseln und meint, daß sie sich im Tertiär aus dem Meere erhoben habe. Eine Entscheidung wird erst die genauere geologische Erforschung des noch gänzlich unbekannten Inneren der Insel ergeben, wo man hoffen darf, die Unterlage der Basaltströme in größerer Ausdehnung anzutreffen. Wie hoch Chun die Probleme, deren Lösung noch in Aussicht steht, bewertet, geht daraus hervor, daß er, der die Tropenwelt an ihren schönsten Punkten gesehen hat, Kerguelen als das gelobte Land für einen Naturforscher bezeichnet. Ähnlich schwierige Probleme bieten die F"älle, in denen kontinentale Gesteine mitten aus dem Welt- meere, aus Tiefen und in einer Entfernung von den nächsten Küsten aufragen, wo wir nur ozeanische Inseln vulkanischen Ursprungs zu sehen gewohnt sind; es sind dies die eingangs erwähnten Ausnahmefälle. Ich sehe ab von den Sechyellen, bei denen trotz großer dazwischenliegender Meeres- tiefen ein einstmaliger Zusammenhang mit Mada- gascar erkennbar zu sein scheint, ebenso von Neu- caledonien, den Fidschi-Inseln, Neuen Hebriden und Salomons-Inseln, die man mit Neuseeland zu zu einem allerdings stark unterbrochenen Gürtel alter Kontinentalgesteine verbinden kann. Schwieriger liegt das Problem für die deutschen Palau-Inseln, von denen alte Hornblende-Gesteine bekannt wurden, obgleich sie rings von Wasser von 4 — 5000 m umschlossen werden. Die Cap- verdischen Inseln werden vom afrikanischen F'est- lande durch eine breite Wasserstraße von 2 bis 3000 m Tiefe getrennt und bieten ganz das Bild einer ozeanischen Inselgruppe, trotzdem besteht eine ihrer Inseln, Mayo, aus geschichteten Kalken 388 Naturwissenschaftliche Wociienschrift. N. F. VI. Nr. 25 und kristallinischen Schiefern, während die anderen vulkanisch sind. Auch auf einigen der kanarischen Inseln und Madeira treten ältere Gesteine unter jungen vulkanischen Bildungen zutage. Das merkwürdigste Beispiel einer der Lage nach echt ozeanischen, aber aus alten kontinen- talen Gesteinen aufgebauten Insel bietet der St. Pauls - Felsen in der Mitte des Atlan- tischen Ozeans, der von Darwin, J. C. Ross und der Challenger-Expedition besucht worden ist. Er liegt etwa an der engsten Stelle des Atlantischen Ozeans nahe dem Äquator, Südamerika etwas mehr genähert als Afrika; von beiden Kontinenten wird er durch Tiefen von über 4000 m getrennt. Der St. Pauls-Felsen besteht etwa aus einem Dutzend kleiner Inselchen und Felsen, die auf einen Raum von 450 m Breite und 230 m Länge zusammengedrängt sind; die höchste Erhebung über dem Meerespiegel beträgt nur 3 1 m. Das Gestein ist nach Renard's Untersuchung ein Olivinfcls mit 75 "/„ Olivin und 25"/,, Enstatit; solche Gesteine sind unter den jungeruptiven völlig unbekannt, teils werden sie als alte Erup- tivgesteine, teils als Glieder der kristallinen Schiefer- gruppe gedeutet. Für St. Paul dürfte das letztere am wahrscheinlichsten sein , was auch Zirkel ausspricht. Übrigens ist es für unseren Zweck belanglos, wohin man das Gestein stellt, solange man es nicht für eine moderne Lava ansieht. Ist nun der einsame St. Pauls-Felsen der Rest eines versunkenen Kontinents, wie Neumayr, Schwarz ') u. a. glauben möchten, oder ist es die Spitze eines aus tiefem Meere dem Lichte ent- gegenstrebenden Berges, der durch tektonische Kräfte in die Höhe gepreßt wird ? Relikte einer früheren Tierwelt finden sich nicht auf dem St. Pauls-F'elsen ; alles, was beob- achtet werden konnte, waren Seevögel und ihre Parasiten. Ebensowenig findet sich eine Spur von Vegetation. Besonders der letztere Umstand scheint mir anzudeuten, daß der Felsen frisch aus dem Meere auftauchte. Von großem Interesse wäre es, an ihm feste Marken anzubringen, um eventuelle Niveauverschiebungen wahrzunehmen; immerhin scheint aber das Fehlen einer Strand- terrasse gegen das Aufsteigen in allerletzter Zeit . zu sprechen. Die hier angedeuteten Probleme sind aber nicht auf den St. Pauls-Felsen beschränkt, sie sind ohne weiteres zu übertragen auf die mittel- atlantische Schwelle, jene eigentümliche Boden- erhebung, die auf beiden Seiten von tiefen De- pressionen begleitet sich durch den ganzen .Atlan- tischen Ozean von Island bis in das südliche Eis- meer in annähernd Nordsüd-Richtung hindurch- zieht. Auch für sie gilt die PVage, ob sie ein Stück stehengebliebenes oder weniger tief ver- sunkenes Land zwischen zwei tiefen Gräben dar- stellt, oder ob sie ein im Aufsteigen begriffenes Gebirge ist, das in Richtung und Länge mit den Anden verglichen werden kann. Die Beantwortung dieser Frage erscheint auf den ersten Blick unmöglich; aber es scheint einen Weg zu geben, der mit Erfolg betreten werden kann. Die deutsche .Südi)olar- Expedition lotete mit schwereren Gewichten und längeren Schlamm- röhren, als bisher üblich war und erzielte dadurch Grundproben von ungewöhnlicher Länge. Auf der Station 4, nahe dem Äquator und östlicii vom St. Pauls-Felsen wurde in einer Tiefe von 7230 m (Romanche-Tiefe) ein sehr eigenartig geschichtetes Sediment gelotet. Die obersten Lagen der 46 cm langen Grundprobe glichen in einzelnen Punkten dem roten Tiefseeton, dem normalen Sediment so großer Tiefe, und wären gänzlich kalkfrei ; die unteren Lagen waren jedoch grau gefärbt, zu unterst kalkhaltig, und entsprachen in ihrer Beschaffenheit durchaus den Ablagerungen, die sich vor den Mündungen der großen west- afrikanischen Ströme niederschlagen. Es scheint dies darauf hinzudeuten, daß in jugendlicher Zeit an der westafrikanischen Küste gewaltige Ab- senkungen oder Brüche stattgefunden haben, die das Mündungsgebiet der westafrikanischen Riesen- ströme nach Osten drängten. Trotzdem dürfte dieser Schluß allzu kühn er- scheinen, wenn er nicht in einer anderen Beob- achtimg seine Stütze fände. Der Unterlauf des Congo ') zeigt sehr auf- fallende Verhältnisse; fast 40 km oberhalb der Mündung mißt man bereits eine Tiefe von 275 m, und an der Mündung, die 5,5 km breit ist, bereits 609 m. Diese tiefe Furche läßt sich abör weit in die See hinaus verfolgen; ,,in 65 km Abstand vom Gestade hat sie 1047 m Tiefe, ist 850 m tief in ihre Umgebung eingesenkt und hat 1 1 km Breite." Die einfachste Erklärung für die Bildung dieser submarinen Hohlform, scheint mir zu sein, ein P'lußtal anzunehmen, das durch eine jugend- liche Erdbewegung tief unter den Meeresspiegel versenkt wurde. Auch auf Gran Canaria -) und La Palma sind Täler ohne wesentliche Änderung ihrer Form bis zu Tiefen von 1500 m verfolgt worden und scheinen auch hier für sehr junge Senkungen zu sprechen. Neben diesen Tatsachen, die erhebliche Absen- kungen an der afrikanischen Westküste vermuten lassen , scheinen andere Grundproben darauf hin- zudeuten, daß möglicherweise Hebungen oder ge- birgsbildcnde Kräfte im Bereiche der mittelatlan- tischcn Schwelle und vielleicht auch des Walfisch- rückens stattgefunden haben; es ist nicht undenk- bar, daß beide Bewegungsrichtungen der Erd- kruste einander kompensierten. Noch ist leider ') E. H. L. Schwarz, The rocks of Tristan d'Acunha etc. Transact. S. Ah. Philos. Soc. 1905, S. 9. ') Penck, Morphologie der Erdoberfläche, II, S. 615 nach Buchanan , On the Land-slopes scparating Continent and Ocean-Basins. Scott. Geogr. Mag. III, 1887, S. 217. ") Buchanan, A Petrospect of Oceanography Rep. VI. In- ternat. Geogr.-Kongr. 189=;. Separatabzug S. 31. N. F. VI. Nr. 2$ Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 380 nicht genügend Material vorhanden, um diese Be- hauptung mit einiger Sicherheit aufstellen zu können; als zweifellos darf aber nach den bis- herigen Erfahrungen angesehen werden, daß tief in den Meeresboden eindringende l.otuiigeii am Rande der mittelatlantischen Schwelle für die Lösung dieser so hochwichtigen Frage von großer Bedeutung sein können. Es ist augenscheinlich, daß mit dieser Frage, die zunächst nur für den Atlantischen Ozean gilt, eine andere von größerer Bedeutung auf das engste verknüpft ist: die nach der Permanenz der Kon- tinente und Ozeane. Dana, A. Geikie und VVallace haben angenommen, daß sowohl die tiefen Ozean- hecken wie die Kontinente im wesentlichen immer ihre heutige Form und Lage gehabt haben und daß in der Vorzeit lediglich lokale Grenzver- schiebungen zwischen Meer und Land eintraten. Im Gegensatz dazu glaubt eine andere Schule, deren wichtigste Vertreter Lyell und Sueß sind, daß in vergangenen Erdperioden die Verteilung der Meere und Landmassen eine ganz andere ge- wesen ist als heute, und daß sehr große Stücke alter Kontinentalmassen auf den Boden der Tiefsee hinabgesunken sind. Für die Theorie, die die Permanenz der Ozeane und Kontinente verficht, muß der St. Pauls-Felsen verhängsnisvoll sein, sobald man sein Gestein nicht als jungvulkanisch ansieht. Stieg er in junger Zeit empor, so muß der Meeresboden der Tiefsee als veränderlich angesehen werden, ist er der letzte Rest eines versunkenen Festlandes, so ist es um die Permanenz der Kontinente geschehen. Angesichts dieser und anderer Tatsachen neigt man daher neuerdings wieder vielfach der Ansicht von Lyell und Sueß zu. Burckhardt ^) nimmt mit guten Gründen einen einstigen Zusammenhang zwischen Südamerika, Neuseeland, Neuguinea und Australien an, der bis zur Kreidezeit bestand. Schwarz -) konstruiert wenigstens für das Devon einen von ihm Flabellites-Land genannten Kontinent, der den größten Teil des heutigen atlantischen Ozeans einnahm. Daß die Verteilung fossiler Pflanzen auf der Südhemisphäre ausgedehnte zir- kumpolare Landmassen am Ende des Paläo- zoikums, die der heutigen Tierwelt solche noch im Tertiär nahelegt, ist immer und immer be- hauptet worden. Die letzte Frage, die uns die ozeanischen In- seln vorlegen, ist die: was wird aus ihnen in der Zukunft? Bis zu einem gewissen Grade ist das Schicksal aller ein gemeinsames; Wogenprall und Atmosphärilien nagen unaufhörlich an ihnen, und früher oder später muß jede Insel verschwinden, wenn nicht erhaltende oder aufbauende Prozesse den zerstörenden entgegenwirken. Die Schnelligkeit, mit der sich der Abtragungs- prozeß vollzieht, ist natürlich abhängig von der Härte des Gesteines, der Stärke der Brandung, klimatischen Bedingungen u. a. m. Die neuentstandene Insel Ferdinandea ver- schwand bereits nach einem halben Jahre und an der Stelle, die sie eingenommen hatte, war das Meer 20 Jahre später bereits 30 m, weitere 35 Jahre später 44 m tief; das 1861 nahe den Tonga-Inseln entdeckte Pelorus-Riff war 1887 bis 26 m unter das Meeresniveau abgetragen. Auch der St, Pauls-Felsen wird in absehbarer Zeit auf- hören zu existieren. Im allgemeinen wird man annehmen dürfen, daß sich der Abtragungsprozeß bis etwa zu einer Tiefe von 200 m vollzieht, da bis zu diesem Niveau die Wellenbewegung noch imstande ist, Sandkörner zu verfrachten. Der Prozeß der Abtragung kann aber auf- gehalten oder sogar in das Gegenteil verwandelt werden, wenn sich organisches Leben auf den Inselstümpfen ansiedelt, insbesondere wenn sich riffbildende Korallen auf ihnen niederlassen. Nach meiner Auffassung ist für jede Koralleninsel ein fester, nicht koralligener Gesteinskern anzunehmen, der sich allerdings, entsprechend den Niveauver- schiebungen, die die meisten Inseln betroffen haben, in sehr verschiedenen Meerestiefen vorfinden kann. Wenn man die ungeheure Menge von sub- marinen Inselbergen, die uns durch die Korallen- riffe im westlichen pazifischen Ozean angezeigt werden, mit den Verhältnissen in anderen Meeren vergleicht, so erscheint das Relief des Meeres- bodens in diesen sehr ruhig. Vielfach nehmen auch die neuesten kartographischen Darstellungen der Meerestiefen über weite Strecken submarine Ebenen oder sehr sanft geneigte Flächen an. Es darf jedoch als fraglich angesehen werden, ob diese Auffassung den natürlichen Verhältnissen entspricht und ob nicht viele submarine Berge durch das noch sehr weitmaschige Netz der Lotungen hindurchgeschlüpft sind. Wie man submarine Piks aufzusuchen hat und wie leicht sie sich auch bei ziemlich enggedrängten Lotungen unserer Beobachtung entziehen, zeigen die Fahrten der Kabeldampfer ') Dacia und Inter- national im Oktober 1883, die die Strecke zwischen den Canaren und Spanien, also einen bereits leid- lich bekannten Meeresteil, zwecks Legung eines Kabels auf das genaueste abloteten. Der eine Dampfer fuhr in großen, der andere in kleinen Zickzackkursen, Lotungen erfolgten in durchschnitt- lichen Abständen von 5 zu 5 Seemeilen. Das Ergebnis war, daß nicht weniger als drei bis dahin unbekannte submarine Berge entdeckt wurden, die aus Tiefen von 4000 m bis zu 795, 179 und 91 m unter dem Meeresspiegel aufragen. Mancherlei deutet darauf hin, daß der Boden des südatlan- tischen Ozeans, von dem wir noch sehr wenig wissen, mindestens ebenso unruhig ist, als der des nordatlantischen. ') Burckhardt, Trace.s geolog. d'un anrien Contincnt PacifiLjue. Kevista Museo La Plata X, 1900, S. 177. -) Schwarz, 1. c, S. ig. ') VVissenschaftl. Ergebnisse d. deutsch. Tiefsee-E.Npedit. 1. 1 )/e;uiogr. und maritime Meteorologie v. G. Schott, S. 100. 390 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. I'. \'I. Nr. 25 So sehen wir denn, daß am Boden der Welt- meere noch große Aufgaben ihrer Lösung harren. Unsere Kenntnis des submarinen Bodenreliefs ist in großen Gebieten noch eine sehr unvollkommene und jede neue Lotreihe kaim dort überraschende Ergebnisse liefern. Lotungen in küstenfernen Tiefseegebieten, falls sie genügend tief in den IVIeeresgrund eindringen, können uns aber auch von jugendlichen Krustenbeweguiigen Mitteilung machen und dadurch das Feld geologischer Lor- schung in ungeahnter Weise vergrößern. Kleinere Mitteilungen. Sogenannter Schwefelregen, d. h. Pollen- regen. - Es geht mir ein Ausschnitt aus einer Tageszeitung zu lautend: „Am 13. Mai mittags trat in San Remo nach einem längeren Regen- fall ein kurzer Schwefelregen ein, der die Straßen der Stadt mit einer Schwefelschicht bedeckte." Es handelt sich bei dem genannten Schwefelregen offenbar um die nicht seltene Erscheinung eines Regens von Blütenstaub (Pollen), der bei der schwefelgelben Farbe dieses Staubes unter dem Na- men „Schwefelregen" bekannt ist und alsPollen- Wasserblüte zu bezeichnen ist, wenn der Blütenstaub ins Wasser gerät, zum Unterschiede von der ebenfalls Wasserblüte genannten Erschei- nung so massenhafter Anhäufung von Mikro- organismen (Klein - Algen) , die das Wasser gewöhnlich intensiv grün färbt. Man wird daher gut tun, Algen- und Pollen-Wasser- blüte terminologisch zu scheiden. Ich wähle absichtlich ,,VVasserblüte" an Stelle des kürzeren „Seeblüte", weil die Erscheinung auch in Flüssen wie z. B. der Havel stark auffällig ist. Eine Unter- scheidung ist schon deshalb angebracht, weil die Pollen-Wasserblüte (bei Betrachtung der Genesis) bei der Drift, die Algen- Wasserblüte bei der aquatischen Autochthonie abzuhandeln wäre, wozu noch die große Verschiedenheit der Materialien (Pollen einerseits und Algen andererseits) kommt. Ich benutze die Gelegenheit, auf den Gegen- stand näher einzugehen. P^s handelt sich um Blütenstaub von Windblütlern, die den „Schwefel- regen" erzeugen. Die Coniferen, die Erlen und Betulaceen überhaupt sind im Frühjahr durch Massenproduktion von Pollen ausgezeichnet, daher denn auch die „Schwefelregen" in Zentraleuropa gerade im Mai vorkommen. Kirchner (Veget. des Bodensees 1896, p. 29 '30) gibt für die Wasserblüte des Bodensees den Pollen von Fichten (Picea excelsa) und Kiefern (Pinus silvestris) an ^). Die halbkugeligen Luftsäcke des Nadelholzpollen (s. unsere Fig.) füllen sich mit Wasser und die Pollen- körner sinken dann unter (Kirchner 1. c. p. 30). Ich selbst liabe das allerdings nicht beobachten können. Pollen von Pinus silvestris, den ich monatelang in Wasser (im Reagenzglase) hielt, sank nicht ') Früh (1885, p. 697 Anmerkung) sagt, daß der Boden- see zur Blütezeit der Obstwälder ,, blühe" und zu dieser 7,cit blühen jn auch die Kiefern und Fichten ; die Annahme, daß der Pollen vun Obstbäumen sich wesentlich an der Wasserblütc beteilige, ist wohl nicht zutreflend und dürfte auch von dem genannten Autor selbst jetzt nicht mehr angenommen werden. unter, obwohl das Glas von Zeit zu Zeit geschüttelt wurde; es scheinen daher solche Pollenkörner eher mit anderen untersinkenden Organismen init- gerissen zu werden. So fand sich im Grunewald- See (Anfang VI, 1904) eine Pollen-Algen- Wasser- blüte zusammengesetzt aus Pinus silvestris -Pollen und Algen, wesentlich Aphanocapsa pulchra, aber auch Pediastrum, Scenedesmus u. a., die im Pollenkorn von Pinus silvestris 400 mal vergrößert. Rechts und links je ein durch Aufwiilbung der Außenmembran ent- standener Luftsack zur Erhöhung der Flugfähigkeit. Reagenzglase schließlich untersank und den KiefernpoUcn mitnahm. Pollen-Wasserblüte ist außerordentlich häufig und man sollte bei der Kleinheit der Pollenkörner kaum glauben, welche großen Quantitäten davon so ins Wasser geführt werden. Zum Verständnis ist zu beachten, daß die Pollen- und Sporenproduktion vieler Pflanzen (Erle, Haselnuß, Birke, Fichte, Kiefer, Lycopodium usw.) eine ganz immense ist, wird doch sogar von unseren kleinen Lycopodium-Pflanzen das Sporen- material für den Handel als Bärlapp-Samen (Hexen- mehl) gesammelt. Green ') berichtet von einem großen 1858 stattgehabten Schwefelregen in Schott- land (Inverness Shire), verursacht durch die Kiefer. Der Boden, sagt er, war an manchen Stellen \., Zoll (half an inch), also 1,5 cm hoch mit Pollen be- deckt und die Erscheinung wurde von Ortlich- keiten notiert, die 33 engl. Meilen voneinander lagen. Die ganze Oberfläche der großen Seen in Canada und in anderen Ländern werden, nach dem genannten, nicht selten durch einen dicken Schaum desselben Pollens bedeckt , und derselbe Autor erinnert ferner ebenfalls an die so überreiche Pro- duktion von Sporen in den Blüten von Lycopo- dium, um schließlich an die mit großen Bäumen bestandenen Wälder (von Lepidophyten, also Ver- wandten von Lycopodium) des Paläeozoicums zu erinnern, die übersät mit großen zapfenförmigen Blüten gewaltigeSchwefelregen verursachen mußten. Wenn man diese große Produktion von .Sporen und Pollen mit der Tatsache zusammenhält, daß sie durch die chemische Beschaffenheit ihrer Mem- branen der Zersetzung ganz außergewöhnlich zu widerstehen vermögen, so ist es wohl verständlich, ') Coa], its Ilislory and Uses. London 1878, p. 24— 25. N. F. VI. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 391 daß sich i,felc^'entlich geradezu I^olleu- und Sporen- lager eriialten finden. Bureau und l'oisson be- schreiben ' ) ein solches ockerfarbenes Lager, das de risle auf Reunion bemerkt hat, und zwar in etwa 1 m Mäciitigkeit den I^oden einer Höhle bildend (es soll ilort noch eine zweite Höhle mit Sporenlager vor- handen sein), de l'Isle teilt mit, daß die Lyco- podium-Sporcn auf Reunion unter Umständen in solchen Massen in der Luft vorhanden sein können, daß die Atemtätigkeit leidet. B. u. P. halten die Sporen des Lagers für solche von Farn und zwar wahrscheinlich von einer Polypodiacee. Vermut- lich sind die Sporen in den Höhlen von Wasser zusammengeschwemmt worden. Wichtiger für uns als dieser „Sporit" ist ein gewisser „lichter Leuchttorf" im Großherzog- tum Oldenburg, von dem Früh berichtet (1885, p. 716) und dem er bei seiner Besonderheit auch einen eigenen Namen, nämlich Fimmenit (zu Ehren von F'immen) gegeben hat (1885, p. 721). Dieses Gestein ist — wie ich mich ebenfalls über- zeugen konnte — aus PoUenkörnern und zwar wohl von der Erle zusammengesetzt; anderes ein- gedriftetes Material (insbesondere Hautgewebe- reste (Periderm), Holz-, Zweigstückchen u. dgl.) ist mehr untergeordnet vertreten. Alkohol zieht viel Wachs und Harz aus und der Torf brennt anhaltend und gleichförmig für sich wie eine Kerze. Fimmenit von gelbbrauner Farbe, den ich im Liegenden von Moortorf des Großen Moors bei Wietzendorf in der Lüneburger Heide fand, bestand neben Feinsand und Ton aus Pflanzen- cpidermen, Holzkohlenstückchen, die sehr viel vorhandenen gelben Stellen des Gesteins aus Pollen von Alnus in größter Menge, ferner auch aus Betula- und Pinus-Pollen, Moos- und Pteri- dophyten -Sporen. Da ein bewegtes Wasser eine Separation der von ihm transportierten Trübe und Teile überhaupt vornimmt, ist die Zusammen- ablagerung spezifisch etwa gleich schwerer Objekte leicht erklärlich. Ein Rinnsal eines Erlenmoores wird zur Blüte- zeit der Erlen dicht mit Pollen bestreut; nehmen wir an, daß der VVasserlauf an einer ruhigen Stelle münde, so ist die Bildung eines Pollenlagers wohl verständlich. Dabei ist zu beachten, daß — wie man sich leicht bei Versuchen im A(]uarium über- zeugen kann — der Pollen der Betulacen (Alnus, Corylus, Betula) sofort schwebend untersinkt, im Gegensatz zu dem Pollen der Windblütler mit Luftsäcken wie dem der Nadelhölzer (Pinusu. Picea). Getrocknet ist der Fimmenit so leicht, daß er auf dem Wasser schwimmt. Aus dem Paläozoicum sind Sporen - Pollen- Kohlen (charbons sporopollinicjue von Bertrand) ebenfalls, wenn auch nicht verbreitet, bekannt. Wenigstens werden wir gern diejenigen Kohlen hierherrechnen, deren mikroskopisches Bild ein massenhaftes Vorhandensein von Sporen oder Pollen erkennen läßt, wobei freilich immer fest- zuhalten ist, daß die amorphen Kohlensubstanzen die Hauptmasse ausmachen können, deren Her- kunft aber nicht mehr zu erschließen ist. Hierher gehört von alten Bildungen z. B. der permo-carbone Tasmanit (A. H. Church 1864), der ein sehr stark Sporen enthaltender sandiger Schieferton (spore-bearing shale) des Mersey River in Tas- manien ist.') R. M. Johnson (1877) bezeichnet den Tasmanit als Gelbe Kohle (Y e 1 1 o w Goal) und Braune Kohle (Brown Goal), auch der Name Weiße Kohle (White Goal, Liversidge 1888) und Australian White Goal (E. T. Newton 1876) kommt vor. Das Material hinterläßt beim Brennen natürlich ein weißes Gestein, das seine ursprüngliche Form beibehält; ungebrannt ist es hellbräunlich, durch die Sporen wie mit gelblichem grobem Staub bedeckt und durchsetzt. Der Tas- manit muß wohl in einem ruhigen Wasser am Meeresstrande entstanden sein, denn mit ihm in seinem direkten Hangenden und Liegenden finden sich Meerestiere, und seine Eigenschaften, die ihn für die Technik wertvoll maclien, sind daher viel- leicht auch auf das Vorhandensein von Meerestier- produkten zurückzuführen. P>eilich genügen schon Pteridophyten- Sporen -Ansammlungen allein, um wertvolle Lager zu bilden, enthalten doch z. B. die Lycopodium clavatum-Sporen nach A. Langer über 49 "/u Fett. -') H. Potonie. ') Carne 1903. z. B. p. 80. -) Vgl. Czapek, Biochemie d. Ptl. 1905, p. 150—151. ') Sur une röche d'origine vegetale (C. Paris 1876). hologie, die bei der Spärlichkeit und Lücken- haftigkeit der geologischen Zeugnisse das meiste zur Ermittlung der Abstammung tun muß, und da auf sie schon die früheren sog. natürlichen Systeme aufgebaut wurden, so ist auch in ihnen schon der Versuch zu erkennen, den Stammbaum des Pflanzenreichs auszudrücken. Ja wenn wir auch gar keine versteinerten Pflanzenreste hätten, so würden wir doch versuchen, auf Grund der vergleichenden Morphologie einen .Stammbaum aufzustellen, und mit dieser Methode würden wir Fig. I. Verschiedene Flagellaten im beweglichen und ruhenden Zustand. (< 'lt.) Stammbaum aber muß so gewiß vorhanden sein, wie für jeden einzelnen Menschen bis zum An- fang des Menschengeschlechtes, wenn ihn der einzelne auch vielleicht nicht weiter als bis zum Großvater verfolgen kann. Im (Irganismenreiche können wir bei kurz- lebigen Pflanzen und Tieren auch die Abstam- mung der einzelnen Individuen \erfolgen und dar- aus Schlüsse auf die Vererbung und Artbildung ziehen, wie das neuerdings de Vries in seinem Werke über die Mutationstheorie getan hat. Die Ergebnisse sind von großer Bedeutung, aber es handelt sich hier nur um gewisse Prinzipien der Artbildung und der experimentelle Weg kann nur einige Generationen weit gehen. Wir wollen aber hier den Zusammenhang der Familien und größeren Gruppen in den Hauptzügen kennen lernen, wir wollen wissen, welches die ältesten und welches die jüngsten Pflanzen sind und in auch zunächst die Frage zu beantworten suchen, welche Pflanzen die ältesten und welche die jüngsten sind. Als älteste Pflanzen werden wir jedenfalls die einfachsten anzusehen haben und am einfachsten sind die einzelligen Algen und zwar die sog. Flagellaten organisiert (Mg. i). Daß solche Flagellaten den Organismen am nächsten stehen, die dem ganzen Pflanzen- und Tierreich den Ursprung gegeben haben, kann als ein ge- sicherter Satz in der Abstammungslehre ange- nommen werden. Da ferner die Algen noch viele einzellige und sehr einfache, etwa nur aus Zellfäden bestehende Formen enthalten, so werden wir sie direkt von den F"lagellaten ableiten und an das untere Ende des Stammbaums setzen können. Auf sie folgen die anderen Sporenpflanzen nach der Höhe ihrer Organisation, die Moos- und tlie F a r n p f 1 a n z e n. Der Übergang von den N. F. VI. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 403 letzteren 7.11 den (iyninospermen hat nun durch das Studium der Entwicklungsgeschichte und vergleichenden Morphologie VVilhelm Hof- meister 1851, also zu einer Zeit, als die eigent- liche Deszendcnzilieorie durch Darwin noch gar nicht verkündet war (1859), so klar und über- zeugend nachgewiesen, daß an der Abstammung der Gymnospermen und weiterhin auch der Angiospermen, also der Phanerogamen überhaupt von den höheren Kryptogamen nicht zu zweifeln war. Die Angiospermen sind also danach die jüngsten Pflanzen, und es wird weiter zu untersuchen sein, wie sich inner- halb dieser großen Abteilung die einzelnen Ord- nungen und Familien aneinanderreihen. Es soll hier zunächst daraufhingewiesen werden, daß das bisher durch die vergleichende Morpho- logie gewonnene Ergebnis über die Abstammung der Hauptgruppen durch die Paläontologie durch- aus bestätigt wird, soweit es möglich und zu er- warten ist. Denn von den ältesten und einfachsten Formen, den Flagellaten, können wir bei der Zartheit ihrer Organisation natürlich nicht erwarten, versteinerte Reste zu finden. Es ist überhaupt unmöglich festzustellen, wann das pflanzliche und damit das organische Leben beginnt: daß es be- reits in der archäolithischen Periode, aus der noch gar keine Versteinerungen bekannt sind, ange- fangen habe, läßt uns das \'^orkommen von Graphit vermuten, denn dieser dürfte, da er aus Kristall- schüppchen von Kohle besteht, aus den Resten der ersten Pflanzen hervorgegangen sein.*) Reste von einfach gebauten Wasserpflanzen, von Algen und speziell Meerestangen finden sich dann im Cambrium, Unter- und Obersilur; vom Obersilur an treten die ersten Landpflanzen auf, die aber von den jetzt lebenden ganz verschieden waren. Es entwickeln sich nun, besonders in der Stein- kohlenformation, die P"arne, Bärlappe und Schachtelhalme in außerordentlicher Reich- haltigkeit und Üppigkeit, während die Gymno- spermen erst anfangen sich zu entwickeln und zwar vom Devon an, mit den jetzt ausgestorbenen Cordaitaceen beginnend. Sie dominieren am Ende der paläozoischen und in der unteren Hälfte der mesozoischen Periode; in den oberen Schichten der letzteren, von der Kreidezeit ab treten neben ihnen die Angiospermen auf, die später wiederum über die Gymnospermen überwiegen. So würden wir denn aus der Paläontologie ebenfalls die Grundzüge des Pflanzenstammbaums lernen und finden, daß er mit den Algen beginnt, daß diese zu den übrigen höheren Kryptoganien führen, daß aus diesen die Gymnospermen und aus diesen wieder schließlich die Angio- spermen entstehen. Daß wir aber durch die einzig zuverlässige Urkunde, durch die paläonto- logischen Befunde, unsere aus der vergleichenden Morphologie gewonnene Anschauung über die Abstammung der Pflanzen im großen und ganzen bestätigt sehen, ist für uns von außerordentlich hohem Wert. Außerdem liefert uns die Paläon- tologie noch mehrere Beiträge zur Kenntnis des Stammbaums, besonders in Hinsicht auf den Über- gang von den Farnpflanzen zu den Gymnospermen, wie wir nachher sehen werden. Verhältnismäßig wenig lehrt sie uns über die niederen Krypto- gamen und über das Verwandtschaftsverhältnis bei den Familien der Mono- und Dicotyledonen. Hier sowie überhaupt bei der genaueren Aus- arbeitung des Stammbaums sind wir mehr auf die vergleichende Morphologie angewiesen, wobei unter Morphologie sowohl die äußere wie die innere verstanden wird, also die Anatomie und Ent- wicklungsgeschichte inbegriffen ist. Indem wir nun mit dem unteren Ende beginnen, ist zunächst zu bemerken, daß wir uns dieses nicht als einen einzigen kräftigen Stamm vorzu- stellen haben, sondern vielmehr unter dem Bilde eines im Boden kriechenden und aufrechte Sprosse treibenden Wurzelstockes, als welcher eben das F"lagellaten reich gelten kann, von dem sich auch durch die eigentlichen Infusorien usw. das Reich der Tiere erhebt. Solche niedrige, von der gemeinsamen Basis mehr oder weniger dicht nebeneinander aufsteigende Sprosse sind, wie ich schon früher einmal ausgeführt habe,') die Bak- terien und Spaltalgen, die Peridineen und Diatomeen, die Conjugaten, Chytri- diaceen und Schleimpilze. Nur ein Sproß setzt sich nach oben fort und verzweigt sich weiter, nämlich die Chlorophyceen oder Grünalgen. Von ihnen schließen sich direkt an die Flagel- laten die Volvocaceen an, deren einfachste Form, wie Chlamydomonas, in der Organi- sation ganz einer F'lagellate gleicht und nur in der Art der Zellteilung einen Unterschied zeigt, den man benutzt, um Flagellaten und Volvo- caceen zu trennen. Die kleine Familie der Volvocaceen endigt nach oben hin blind mit dem bekannten Kugeltierchen Volvox, aber ver- mutlich gehen aus ihren einfacheren, beweglichen Formen die unbeweglichen hervor, wie sie in der I<"amilie der Protococcaceen repräsentiert sind. Diese entwickeln als einen Ast die Familie der Slphonaceen, indem die Zellen zu Fäden aus- wachsen ohne sich zu teilen, aber durch reich- liche Verzweigung die kompliziertesten Formen ') Potonie, Lehrbuch der l'fianzenpaläontologic (Berlin 1899) p. 9. ') Die untere Grenze des Pflanzenreichs. (Bericht der Senckenberg. Naturforsch. Gesellsch. 1899, p. CV. Protokoll- auszug). Ich möchte jetzt noch hinzufügen, daß ich annehme, die Spaltalgen seien nicht direkt von den Fl agel late n, sondern durch Vermittlung der B a k t e r i e n abzuleiten. Diese haben sich mit Reduktion in der inneren Organisation, viel- leicht wegen ihrer geringen Größe, aus den Flagellaten entwickelt und die Beweglichkeit durch Geißeln noch bei- behalten ; aus ihnen sind dann unter Verlust der Geißeln aber mit anderen progressiven Merkmalen die Cyanophycccn liervorgegangen; denn nur so scheint es mir verständlich, daß diese Algen keine normalen Kerne und keine Chromatophorcn besitzen, die doch schon bei den Flagellaten vorhanden waren. Von den eigentlichen Bakterien leiten sich dann auch noch die Myxobakterien ab. 404 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 26 annehmen können. Als ein anderer, von den Protococcaceen ausgehender Ast entwickeln sich die grünen Fadenalgen mit geteilten Fäden: sie bleiben in ihrem Aufbau sehr einfach, zeigen aber sehr deutliche Fortschritte in der Ausbildung und Differenzierung der Fortpflanzungsorgane, wo- durch sie, wie wir nachher sehen werden, vermut- lich zu den höheren Kryptogamen hinüberführen. der Mannigfaltigkeit und Schönheit ihrer Formen hervorgeht. Wo sie sich anschließen, ist nicht ganz sicher, wahrscheinlich aber auch an die grünen Fadenalgen: nach der einen Ansicht (Olt- manns) leiten sich die eigentlichen Florideen von derselben Algenform ab, von der wir auch die Moose ableiten, nämlich von Coleochaete nach der 'anderen Ansicht der 'auch ich 'mich w^ Kig. 2. Rechts ein Ectocarpus (mikroskop. Bild) oben Macrocystis (stark verkl.). (Olt. Lehrb.) Von den grünen Fadenalgen leiten sich wahr- scheinlich auch die braunen und roten Meeres- tange, die Fhaeophyceen und Florideen ab. Es gibt zwar auch einzellige Fhaeophyceen, die also direkt von den F 1 a g e 1 1 a t e n abgeleitet werden könnten, aber sie sind nur in wenigen Arten vertreten und es fehlt an deutlichen Über- gängen zu den höheren Formen, so daß die An- sicht mehr für sich hat, diese einzelligen von den eigentlichen Fhaeophyceen auszuschließen und die letzteren von den einfachen grünen Faden- algen abzuleiten. Die Ec tocarpaceen als ein- fachste würden sich fortsetzen einerseits durch die Tilopteridaceen und Cutleriaceen zu den F'ucaceen,') die durch die Differen- zierung ihrer Geschlechtsorgane eine hohe Stellung einnehmen, andererseits zu den Laminariaceen, die sich zwar einfach durch Schwärmsporen fort- pflanzen, aber zu riesigen, dann natürlich auch anatomisch höher differenzierten F"ormen werden (Fig. 2). Diese Lam in ariaceen sind deswegen noch besonders bemerkenswert, weil sie die höch- sten Formen darstellen, die die Pflanzenwelt bei ihrer Entwicklung im Meere erreicht, während die Ausbildung der Blütenpflanzen erst mit dem Leben außerhalb des Wassers vor sich ging. Ebenso zeigen sich die Florideen {Fig. 3) als ein hoch entwickelter Formenkreis der an das Meeresleben angepaßten Algen, wie aus der großen Zahl ihrer Arten (ca. 3000 in ca. 300 Gattungen) und ') Die Dicyotaceen dürften einen Seitenast dieser Reihe bilden ; sie pflanzen sich durch Eibefruchtung und un- geschlechtliche Sporen, die unbeweglich sind und zu vier ent- stehen (Tetrasporen), fort und haben einen Generationswechsel. lieber anschließe tmd die ich schon früher vertreten habe,') bilden die Ba ngiaceen ein Zwischenglied zwischen den eigentlichen Florideen und der I-'amilie der Ulvaceen unter den Grünalgen, denn die Bangiaceen stimmen mit den P'lori- deen in der roten Färbung und in der Bildung ') Beiträge zur Lehre von der Fortpflanzung der Gewiichse (Jena 1897), p. 189. N. F. VI. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 4ÖS der F'ortpfianzungsorgane am meisten überein, wenn sie auch in letzterer Hinsicht gewisse typische Unterschiede zeigen. Von den Algen bleiben somit nur noch die Characeen oder Armleuchtergewächse übrig, die eine kleine, scharf in sich abgeschlossene Gruppe mit hoch ent- wickelten Fortpflanzungsorganen bilden : nach ihrem vegetativen Aufbau dürften sie am ersten von den oben genannten S i p h o n e e n abzuleiten sein, aber es ist bisher noch nicht gelungen, Zwischensflieder aufzufinden. Chondrus, eine Floridee. (Olt.) Die Siphoneen sind außerdem noch bemer- kenswert, weil aus ihrem Aste als ein sich reich verzweigender Seitenast die große Gruppe der Fadenpilze herauswächst. Die Pilze sind bekannt- lich Pflanzen, die von dem Prinzip der Pflanzen- ernährung,-die organischen Stoffe aus anorgani- schen aufzubauen, abgewichen und zu saprophyti- scher oder parasitischer Lebensweise übergegangen sind. Dafür sind sie von den anderen Pflanzen direkt oder indirekt abhängig , sog. H y s t e r o - phyten geworden, haben das Chlorophyll ver- loren und eine Reduktion in ihren Fortpflanzungs- organen erfahren. Es ist nun die Frage, ob sich dieser Vorgang nur einmal oder mehrmals im Laufe der phylogenetischen Entwicklung abgespielt hat, d. h. ob die Pilze einen mono- oder polyphy- letischen Ursprung haben. Da wir zur Lösung dieser P'rage nur auf die vergleichende Morpho- logie angewiesen sind, so können wir nicht er- warten zu einem sicheren Ergebnis zu kommen, wir haben aber für die Pilze im weitesten Sinne wohl einen polyphyletischen Ursprung insofern anzunehmen, als, wie wir schon gesagt haben, die Schleimpilze oder My xomycet e n , die Bakte- rien und die C h y t r i d iac e e n wohl als kleine selbständige Reihen anzusehen sind, die sich di- rekt von den F"lagellaten erheben, die Faden- pilze aber von den Siphoneen ausgehen; für diese F'adenpilze oder eigentlichen Pilze liegt kein zwingender Grund vor, noch einen anderen Ausgang anzunehmen als den eben genannten, ja mög- licherweise können sich auch die Chytridia- c e e II von ihnen durch Reduktion abgezweigt haben. Unter diesen Fadenpilzen steht die Gruppe der Phycomyceten, wie schon der Name sagt, den Algen (P h y c i) und zwar den Siphoneen, die wie jene aus ungegliederten Zellfäden bestehen, so nahe, daß wir hier sozusagen den Ursprung direkt vor uns sehen. Die Veränderungen, die sich bei den Pilzen finden , lassen sich teils aus der parasitischen Lebensweise , teils aus dem Übergang zum Leben in der Luft erklären. In Hinsicht auf letzteren Punkt sehen wir besonders, daß die für die Fortpflanzung der Algen so charakteristischen Schwärmsporen nur noch bei einigen Phycomyceten gebildet werden (Fig. 4), nämlich bei den Wasserschimmelpilzen Fig. 4. SchwärnisporeobilduQg von Saprolegnia. (Lehrb.) (Saprolegniaceen und Monoblepharida- ceen) und gelegentlich bei den Pero n ospora- c e e n ; bei den übrigen und bei den höheren Pilzen (Eumyceten), deren Fäden durch Quer- wände gegliedert sind, fehlen sie ganz. Diese höheren Pilze können wir sehr wohl von den Fig. 5. Frulitifiliation der Schiauchpilze: .Sporen in Schläuchen. (I.ehrb.) 406 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 26 Phycomyceten ableiten, die also das Zweig- stück darstellen , das sich an den Ast der Algen ansetzt , wir sehen dann den Zweig sich gabeln in die zwei Gruppen der Schlauchpilze (As- comyceten) (Fig. 5) und Basidienpilze (Ba- sidiomyceten) (Fig. 6), die ganz unabhängig von den Algen beiderseits unter weiterer Ver- Fig. 6. Fruktifikation der Basidienpilze: Sporen auf Basidien. (I.ehrb.) zweigung zu hohen Entwicklungsstufen gelangen und dabei merkwürdigerweise miteinander korre- spondierende Formen bilden, nämlich die Mor- cheln und ähnliche (Ascomy cet e n) mit den Champignons u. a. (Basidiomyceten), die Trüffeln (Ascomyceten) mit den Bovisten (Basidiomycete n). Von den Pilzen wiederum, leiten sich die Flechten ab und da die Flechtenpilze ihren F"ort- pflanzungsorganen nach größtenteils zwar den Ascomyceten, zu einem kleineren Teile aber auch den Basid iomyceten und unter ersteren wieder teils den Discomyceten teils den Pyrenomyceten angehören, so ist es klar, daß die Flechten nicht aus einem Zweigstück ent- springen , sondern , indem sie sich von verschie- denen Abteilungen der Pilze aus entwickeln, sicher einen polyphyletischen Ursprung haben. Dagegen sehen wir auch bei den Flechten insofern eine selbständige Entwicklung, als die eigentümliche Ausbildung ihres Körpers, des Flechtenthallus, nichts mit den Pilzen zu tun hat, sondern sich aus einfachen, undifferenzierten Krusten zu den höheren Krusten-, Blatt- und Strauchflechten erhebt. Fig. 7. Coleochaete pulvinala. I Junges Zoosporangium. 2, 3 Antheridienstände und junges Oogon. 4 Oogonium kurz vor der Öffnung. 5 Dasselbe nach der Öffnung. 6 Zygote noch zweikernig. 7 Zygote, durch Umwachsung zur ,, Frucht" entwickelt. 8 Keimende Zygote, a .-Xntheridiuni. o Oogonium. sk Spermakern, ek Rikern- ehr Chroniato])hor. py l'yrenoid. k Kern. (Olt.) N. F. VI. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 407 Wir verlassen jetzt diesen Seitenzweig und wenden uns wieder dem Stamm der Grünalgen zu, da wir in ihm den Ausgang für die höheren Kryptogamen zu suchen haben. Leider betreten wir damit wieder ein sehr dunkles Gebiet, denn i'bergangsformen zwischen Algen und Moosen sind nicht mehr vorhanden. Höchstens können wir bei der schon genannten Süßwasseralge Co- Icochaete .Anklänge an die Entwicklungsver- hältnisse der Moose finden (Fig. 7). Der Ei- behält er (Oogonium) von Coleochaete hat, obwohl er einzellig ist, mit dem Eibehälter (.A rch ego n iu m) der Moose (Fig. 8), der immer mehrzellig ist, eine gewisse Ähnlichkeit durch die Bildung des Halses, durch den das befruchtende Spcrmatozoid bei beiden seinen Weg nehmen muß. Ferner sehen wir bei Coleochaete aus dem befruchteten Ei und der daraus gebildeten Oospore nicht direkt wieder eine Coleo- chaete - Pflanze hervorgehen, sondern einen kleinen Gewebekörper (Mg. 7, 8), dessen Zellen je eine Schwärmspore entlassen : diese werden dann erst bei der Keimung zu den Coleochaete- Pflanzen. Man könnte also hierin einen Generations- wechsel wie bei den Moosen erblicken und i-ig. .•\rchegonium von Marchantia, geschlossen, geöffnet und nach der Befruchtung. (Lehrb.) den Gewebekörper als Homologon zu der S p o - renka])sel der Moose betrachten, die ja eben- falls aus der befruchteten Eizelle hervorgeht. Da- gegen hat man eingewendet, daß, wenn bei C o - leochaete ein wirklicher Generationswechsel stattfände, die aus der Keimung der Zygote ge- bildete ungeschlechtliche Generation doppelt so viel Chromosomen bei den Kernteilungen zeigen müßte, wie die die Zygote bildende geschlecht- liche Generation, denn bei den Moosen treten im Sporogonium bei Kernteilungen doi)pelt so viel Chromosomen auf, wie in der eigentlichen Moos- pflanze.') Dies scheint nun nicht der Fall zu sein, sondern die Reduktion in der Chromosomen- zahl tritt schon in der zweiten Teilung, die bei der Zygotenkeimung erfolgt, ein '-), und danach wäre die Bildung der Keimscheibe mit Zoosporangien nur ein Keimungsvorgang. Zwingend ist diese Folgerung aber nicht, denn man könnte sagen, daß hier der Generationswechsel erst morpholo- gisch, noch nicht cytologisch ausgebildet sei, und daß bei der phylogenetischen Weiterentwicklung, also den wirklichen, ausgestorbenen Vorläufern der Moose, die Reduktionsteilung weiter hinausge- schoben sei bis zur Bildung der neuen Sporen.^) Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, daß wir noch recht wenig über die Phylogenie der Moose selbst wissen. Früher betrachtete man die Leber- moose als die tiefer stehenden und leitete die Laubmoose von jenen ab, neuerdings (v. Weit- ste i n) neigt man sich mehr zu der Auffassung, die Lebermoose vom Stamm der Laubmoose abzuleiten, aber nicht von bestimmten noch jetzt lebenden F"ormen der Laubmoose, sondern von ausgestorbenen Stammformen, und solche uns unbekannte Stammformen müssen es auch sein, die den Anschluß an die Algen gebildet haben. Meiner Ansicht nach haben wir in gewissen Lebermoosen, nämlich den Ricciaceen (F"ig. 9)^die einfachsten Fig. 9. Riccia fluitens. a subnierse, b Landform. (Lehrb.) und ursprünglichsten Formen vor uns, die sich dann in drei Richtungen weiter entwickelten : i) ohne Differenzierung des Thallus in Stamm und Blatt aber mit weitgehender Gewebedififerenzierung: die Marchantiaceen; 2) mit Differenzierung in ein zweireihig beblättertes Stämmchen : die J u n ge r m a n n i a c e e n (Fig. 10); 3) mit geringer morphologischer und histologischer Ausbildung des Thallus, aber mit höherer Entwicklung des in den beiden ersten Reihen sehr einfach gebauten Sporo- gons : die Anthoceroteen (Fig. 1 1 j, diese letzte Reihe dürfte, wie wir hier gleich sagen wollen, '■) Vgl. P. Lotsy, Über den Kinfluti der Cytologie auf die Systetnatik. (Wissensch. Ergebnisse des internal, botan. Kongresses Wien 1905, p. 297 — 312. Wien 1906.) ^J Chr. E. .Mlen, Die ICeimung der Zygote bei Coleo- chaete (Berichte d. deutschen bot. Gesellsch. XXIll. 1905. p. 285). ') Daß man sich bei den -Algen nicht ausschließlich an die cytologischen Verhältnisse halten darf, scheint mir auch aus den Schlüssen hervorzugehen, die S t r asb u rg e r liinsicht- lich der Phaeophycecn daraus gezogen hat (Botan. Zeitung 1906, II, sie stimmen keineswegs zu denen der vergleichenden Morphologie. 4o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 26 am ehesten den Uebergang zu den höheren Kryptogamen, denFarn pflanzen, bilden. Von den Lebermoosen und zwar von den imaginären Formen, aus denen sich die Ju nger manniaceen entwickelt haben, würde ich die Laubmoose ableiten, die in der geschlechtlichen und unge- schlechtlichen Generation höher als die Lebermoose stehen. Hier haben wir zunächst noch in den Andreäaceen und Sphagnaceen (Torf- lig. 10. Eine Jungermanniacee fruktitiziereud. (Lehrb.) Fig. II. .\nthoceros. Oben: fruktifiäerende Pflanze in naL Gr. , unten : Querschnitt durch die Sporenkapsel. (Goebel, Orc;anooraphie H. Pfl. moose) kleine von der Basis des Zweiges aus- gehende Seitenzweige, bis sich der Hauptzweig der Bryaceen in seiner vollen Kraft entfaltet. Hier finden wir ein deutlich beblättertes Stämmchen mit den Anfangen der Gefäß - bü ndelbildung und mit Leitsträngen, die in die Blätter hineingehen, an Stelle der Wurzeln finden wir mehrzellige Wurzelhaare, während diese bei den Lebermoosen noch einzellig sind, und wir finden ein Sporogon mit innerer Differen- zierung, mit Deckel und der berühmten Bildung des Mundbesatzes oder Peristoms. Die hohe Entwicklungsstufe der Laubmoose gibt sich auch zu erkennen in der großen Anzahl ihrer Arten, denn wir kennen von ihnen ca. 1 2 000, die über die ganze Erde verbreitet sind. Das Verhältnis in der Entwicklung von ge- schlechtlicher und ungeschlechtlicher Generation ist nun von Bedeutung dafür, wo wir an die Moose die nächsthöhere Gruppe des Pflanzenreichs, die Farnpflanzen oder Pteridophyten an- schließen sollen, bei denen die geschlechtliche Generation äußerst reduziert, die ungeschlechtliche zur eigentlichen Pflanze geworden ist. Am nächsten steht ihnen in dieser Hinsicht das Lebermoos Anthoceros (Fig. il\ denn hier ist die ge- schlechtlicheGeneration ein kleiner, undifferenzierter Thallus, ähnlich dem Prothallium der Farne, und das Sporogon zeigt eine besonders hohe Ent- wicklung dadurch, daß es an seinem Grunde längere Zeit weiterwachsen und immer neue Sporen pro- duzieren kann, was bei keinem anderen Moose vorkommt. Wenn man nun auch nicht annehmen kann, daß die Pteridophyten direkt von Antho- ceros abstammen, so dürfte doch wohl bei dessen uns nicht bekannten Aszendenten oder Deszen- denten der Ursprung zu suchen sein. So haben denn die Pteridophyten vermut- lich einen einheitlichen Stamm, trennen sich aber dann in die drei Ordnungen der Fili einen (Farne s. s.), Lycopodinen (Bärlappe) und Equisetinen (Schachtelhalme). In jeder Gruppe sind zwei Stufen vorhanden: gleichsporige und ungleichsporige. Bei der Beurteilung der Pteridophyten liefert uns die Paläontologie wertvolles Material, gehören doch überhaupt die ältesten, mit voller Sicherheit festgestellten höheren fossilen Pflanzenreste zu dieser Gruppe. Wir finden ferner, daß die ältesten Pteridophytenreste den Ophioglossac ee n und Marattiaceen an- gehören (Fig. 121 und somit können von ihnen die anderen Filicinen direkt abgeleitet werden, während die Equisetinen und Lycopodinen auf noch frühere hypothetische Formen zurück- geführt werden müssen. Schließlich ist die Palä- ontologie hier so wichtig, weil manche Familien aus den genannten Ordnungen nur noch in fossilem Zustand vertreten sind, nämlich die S p h e n o - phy Haies, Cycadofilices, die Calamarien und die Lepidophy t en, d. h. Lepidodendren und S i g i 1 1 a r i e n. Die aus dem Carbon bekannten Cycadofilices N. F. VI. Nr. 26 Naturwi.ssciiscliaftliclic Wochenschrift. 409 hat man früher ohne weiteres den Fterido- phytcn zugerechnet, nach den neueren Unter- suchungen, besonders von Scott'), gehören sie aber eigcnthch gar nicht mehr den Kryptogamen an, denn sie sollen sich nicht durch Sporen sondern durch Samen fortpflanzen und werden deshalb von ihm Tteridospermen genannt. Ihrem Kig. 12. Botrychium Luna- ria , eine Ophioglossacee. (Lehrb.; ,». Kig. 13. üben: Längsschnitt durch die Samenknospe (Macrosporan- gium) von Ginkgo, m Mikropyle, i Integument , p Pollenkammer, e Erabryosack oder Macrospore. In der Mitte ; Oberes Ende des Pollenschlauchs vonZamia floridana mit den sich entwickelnden Sper- matozoidien. Unten : I'rei schwim- mendes, reifes Spermatozoid von Zamia floridana. (Lehrb.) vegetativen \^erhalten nach können wir sie als Baumfarne bezeichnen, deren Stämme aber bereits ein sekundäres Dicken Wachstum besitzen. ') The Fern-like seed-plants of the carboniferous flora. (Wissenschaftl. Ergebnisse des Internat, bot. Kongresses Wien 1905, p. 279 — 296. Wien 1906). Nach ihm wären dann fast zwei Drittel der scheinbaren Farne der Steinkohlcnperiode aller Wahrscheinlichkeil nach Samenpflanzen. wie es jetzt nur für die Phanerogamen bekannt ist: sie vermitteln infolgedessen den IJbergang von den Farnen zu den Cycadeen, die unter die Gymnospermen gerechnet werden. Selbst nach Scott stehen sie aber den Farnen noch näher als den Cycadeen. Die vom Carbon bis zum Perm gefundenen Calamarien sind die einzigen V'ertreter der heterosporen Equisetinen, da alle jetzt lebenden Schachtelhalme homospor sind. Nun sind zwar die Calamarien geologisch älter als die homosporen Equisetinen, aber trotzdem sind sie als die höhere Stufe zu betrachten, so daß wir eben annehmen müssen, daß uns die zu den homosporen Equisetinen gehörenden Vorfahren der Calamarien nicht erhalten sind. Jedenfalls ist die Verwandtschaft der jetzigen Equiseten und der großenteils baumförmigen Cala- marien zweifellos. Dem frühzeitigen Absterben der heterosporen Equisetinen entspricht auch der Umstand, daß wir keine F'amilie unter den Phanerogamen kennen, die sich von jenen ableiten ließe, wie die Cycadeen von den Fili- cinen und — wie wir gleich sehen werden — die Coniferen von den Lepidodendren; die Equisetinen gehören also zu jenen sozusagen von der Natur wieder aufgegebenen Reihen, und die wenigen krautigen Arten der einzigen Gattung Equisetum sind die letzten Reste, die sich bis in die Gegenwart erhalten haben. Die Lepidodendren aus dem Devon, Carbon und Perm waren baumförmige Lycopodinen mit zweierlei Sporen, ihre Stämme zeigen sekun- däres Dickenwachstum wie die der Calamarien und der Cycadofilices, und wie die letzteren von den Filicinen zu den Cycadeen, so leiten jene (die Lepidodendren) von den Lycopodien zu den Coniferen über, wie wenigstens auch von mehreren anderen Autoren (Eichler, Hock) angenommen wird.3[Diese Ab- leitung gründet sich zum Teil auf die vegetative Entwicklung, die reiche Verzweigung und die nadel- oder schuppenförmigen Blätter, zum Teil auch auf die Stellung der Sporangien in der Achsel oder auf der Oberseite der Blätter, was bei den Coniferen allerdings nur für das weibliche Geschlecht zutrifft, während im männlichen Ge- schlecht eine gewisse Ähnlichkeit mit den Sporan- gien der Equiseten nicht zu verkennen ist. Ziehen wir nun noch die zapfenförmigen Blüten- und Fruchtstände bei Lepidodendrenund Coni- feren in Betracht, so ist es auch meiner Meinung nach natürlicher, diese beiden Ordnungen anein- anderzuknüpfen, als die Coniferen durch Ver- mittlung von Taxus, Ginkgo und den später zu erwähnenden Cordaitaceen auch von den Cycadofilices abzuleiten, wie Scott, v. Wett- stein u. a. wollen. So haben wir jetzt schon den großen Schritt von den Kryptogamen zu den Phanero- gamen getan, die lange durch eine tiefe Kluft getrennt zu 'Sein schienen, bis durch die schon oben erwähnten Untersuchungen vonHofmeister 4IO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 26 der Übcrgaii«^' gezeigt und die Analogie klar gelegt wurde, die man sich am besten an einer Tabelle veranschaulicht.') Hier muß nun vor allem darauf hingewiesen werden, wie seit noch nicht 10 Jahren diese Analogien in der eklatantesten Weise sich vervollkommnet haben durch die Ent- deckung der Spermatozoidien bei den Cy- c a d e e n und Ginkgo und der spermatozoid- ähnlichen Gestalt der männlichen Be- fruchtungszellen bei den Angiospermen. Früher hatte man angenommen, daß eigentliche Spermatozoidien, also mit Cilien bewegliche Be- fruchtungszellen nur bei den Kryptogamen (,,Zoidiogame n") auftreten, während bei den l'hanerogamen die ruhenden männlichen Kerne oder Zellen durch das Wachstum der Pollenschläuche zu den weiblichen (Organen befördert würden: nun kennen wir auch die Ubergangsform, bei der die Pollenschläuche sehr kurz bleiben und Spermato- Fig. 14. Lirks: Befruchtung von Liliutn Martagon, limbryu- sack ; einer der männlichen Kerne ist oben neben dem Kikern, der andere neben den Kernen in der Mitte sichtbar. Rechts .A Embryosack von Helianthus annuus, B die männlichen Kerne daraus stärker vergrößert. (Lehrb.) zoidien entlassen ! 1897 entdeckten die japanischen Gelehrten Ikeno und Hirase, daß bei Cycas und Ginkgo je zwei sehr große, annähernd kuge- lige, mit einem Wimperkranz versehene Spermato- zoidien aus den kurzen Pollenschläuchen austreten und im gleichen Jahre fand Webber dasselbe für eine amerikanische Cycadee, für Zamia (Fig. 13). 1898 und 1899 fanden sodann Na wa- sch in und Guignard zunächst bei Lilium, daß die aus dem Pollenschlauch austretenden beiden Kerne eine wurmförmige Gestalt besitzen und derart gedreht sind, daß eine Bewegungsfähigkeit erwartet werden kann, und sie, wenn auch ohne Cilien, doch ebensogut wie die männlichen Ga- meten der Farne und Cycadeen den Namen von Spermatozoidien verdienen (Fig. 1 4). Diese Entdeckungen geben eine geradezu glänzende Be- stätigung von der Übereinstimmung, die zwischen den analogen Organen bei den höheren Krypto- gamen und den Phanerogamen vorhanden ist.') Immerhin kann doch die Trennung in K r y p t o - gamen und Phanerogamen als wichtigste Unter- scheidung der Pflanzen bestehen bleiben, darauf begründet, daß die ersteren als F'ortpflanzungs- organe einzellige Sporen, die letzteren aber bereits den Keimling einschließende Samen benutzen. Die Bildung des Samens kann man sich aus der Ent- wicklung einer höheren Kryptogame, etwa einer Se lagi n e 1 1 a (P'ig. 1 5), dadurch ableiten, daß man sich denkt, die einzelne, im Makrosporangium rj//6 Fig. 15. Selaginella Martensii. Aus der geöffneten Membran der Macrospore (spm) tritt das Prothallium heraus ; ar Arclic- gonium, emb in das Prothalliumgewebe eingesenkte Embryonen. Die der Samenschale entsprechende Macrosporongiumwand fehlt. (Lehrb.) eingeschlossene Makrospore bleibe während der Ausbildung des weiblichen Prothalliums, während der Befruchtung und der Entwicklung des Embryos an der Mutterpflanze sitzen, dann aber werde sie, indem eine Pause in der Weiterentwicklung der Keimpflanze eintrete, abgelöst und stelle somit einen Samen dar. ') Eine solche findet sich in der 2., von mir bearbeiteten Auflage von Warming's Handbuch der systematischen Bota- nik (Berlin 1902). S. 174. M Wegen der Literatur vergleiche man meinen referierenden .Aufsatz im biologischen Zcntralblatt, Bd. XIX, 1899, p. 473 und sodann H. J. Webber, Spermatogenesis and Fecundation of Zamia (U. S. Departm. of Agriculturc, Bureau of Plant Industry, Bull. Nr. 2. Washington 1901). (Schluß folgt.) N. F. VI. Nr. 26 Naturwis.senschaftliche Wochenschrift. 411 Kleinere Mitteilungen. Noch einmal Geisterschriften. — Der Artikel in der Nummer vom 26. Mai der Naturwissensch. Wocheiisclir. veranlaßt mich, meine Erfahrungen über das automatische Schreiben mitzuteilen. Nachdem ich in früheren Jahren , unter dem Bann neuer und mir ungewohnter Erscheinungen nahe daran gewesen war, hinter manchen sog. spiritistischen Phänomenen unsichtbare Intelligenzen zu vermuten, bin ich gerade durch das automati- sche Schreiben und Zeichnen, in dem ich eine gewisse Fertigkeit erreichte, verbunden mit genauer Selbstkontrolle zu derselben natürlichen Erklärung gelangt , die der Verfasser des Artikels vertritt. Die Fähigkeit, automatisch zu schreiben, scheint mir vom Temperament abhängig zu sein, insofern, als kontemplative Naturen viel leichter in Gedan- ken versunken sind, d. h. den Willen auszuschalten vermögen als reine Verstandesmenschen. Jeden- falls gehört aber auch hier Übung dazu, und, wenn einem auch oft die Nichtsnutzigkeit der Produkte die Versuche verleiden, wird man doch stets Stunden finden , in denen man zu wirklicher Ar- beit unfähig ist und die sind gerade die besten zur Ausbildung dieser Fähigkeit. Es ist nun nicht schwer zu konstatieren, daß, wie beim Kinde, beim Geistiggestörten , beim Träumer oder Be- trunkenen, die Zusammensetzung der Sätze und Worte hauptsächlich nach dem Prinzip der Asso- ziationen erfolgt. Ein Buchstabe gibt den andern, ein Wort das andere, allgemeine Redensarten, die sozusagen stereotypiert imGedächtnis aufgespeichert liegen, kommen zum Vorschein und — das Ganze ist Unsinn. Unsinn, aber nicht in der Bedeutung von sinnlos, die Sätze sind vielmehr vollständig, es gruppiert sich meist alles um einen bestimmten Gedanken, aber das Ganze entbehrt der Anwen- dung auf einen bestimmten Fall und man merkt ihm an, daß nicht der Wille die Tätigkeit des Verstandes zu harter Arbeit gezwungen, sondern untätig zugesehen hat. Und doch liegt gerade darin das für Neulinge Verführerische an der Sache: die Sätze sind oft im Orakelton vorge- tragen, ins allgemeine gehalten und, was noch schlimmer ist, gar oft, namentlich bei Anfängern und natürlich besonders bei „Gläubigen", kommt Tod und Geist, Gott und Mensch dabei ins Spiel. Es ist aber leicht einzusehen, warum dem so ist. Einmal kann keiner, auch der Aufgeklärteste nicht, bei solchen Versuchen im Anfang die Beziehung zu dem, was man Spiritismus nennt, ganz ver- gessen, und unwillkürlich drängen sich ihm darum ungewollt und ungerufen die damit verbundenen Vorstellungen auf und werden zu Papier gebracht. Dann aber bezeichnen diese Vorstellungen doch das, was von Kindheit auf unserer Psyche so tief eingeprägt ist, so daß, wo bewußte Verstandestätig- keit nicht Hemmungen bringt, sie stets an die Oberfläche steigen müssen. Denken wir nur an Momente der Gefahr, an Stunden reinsten selbst- verlorenen Genusses bei Musik oder Naturbetrach- tung. Ob und inwiefern fernseherische Fähig- keiten, über deren Existenz und Verbreitung inmierhin noch gestritten werden kann (ich er- innere nur an die von Kant kritisch beleuchteten Fälle), beim automatischen Schreiben leichter und ungehinderter zum Ausdruck kommen können, lasse ich dahingestellt, da ich darüber keine Er- fahrungen gemacht habe. Immerhin wäre es be- greiflich, wenn dem so wäre. Interessanter als das automatische Schreiben war mir das auto- matische Zeichnen. Dabei beobachtete ich sehr häufig, daß die auf automatischem Wege aus- geführten .Skizzen bekannter Personen z. B. das Typische entschieden besser trafen als die ab- sichtlich hergestellen, oder wenigstens, daß Einzel- heiten, wie Augen und Ohren anatomisch richtiger gezeichnet waren, daß sogar Fehler, die ich mir beim bewußten Zeichnen angewöhnt hatte, korrigiert wa- ren. Doch auch das hat im Grunde nichts Auffallendes. Wie vieles von dem, was wir sehen, nehmen wir ohne vorherige Verarbeitung durch verstandes- mäßige Zergliederung in uns auf, und gerade das Alltäglichste ist oft das, worüber wir uns am allerwenigsten mit Willen klare Auskunft geben können ! Und doch ist uns das Bild dieser Dinge fest eingeprägt und kann darum mechanisch, ohne die Hemmung angelernter Verstandesoperationen richtiger zum Ausdruck kommen. Der Gedanke, daß das künstlerische Schaffen z. T. wenigstens mit dieser Art des anatomischen Zeichnens ver- wandt sei, ist gewiß nicht von der Hand zu weisen. Von den Erfahrungen im automatischen Schreiben aus lösen sich auch sehr leicht die Rätsel des sog. Tischrückens und Glastanzens, die halb als Spielerei, halb mit einigem Gruseln als Ernst immer wieder in Teekränzchen und Abend- gesellschaften veranstaltet werden. Der Vorwurf, es betrüge stets einer, ist ganz entschieden falsch und plump und kann durch das Experiment, daß einer absichtlich als Betrüger am Versuche teil- nimmt, nicht erhärtet werden. Das ist eines der kurzsichtigsten Experimente, das aber leider immer noch vielfach als stichhaltig angesehen wird. In Wirklichkeit ist freilich immer einer der Leiter, das Medium, aber er braucht nicht im geringsten zu betrügen, sondern einfach eine dem automa- tischen Schreiben analoge Fähigkeit zu unwill- kürlichen Muskelbewegungen zu besitzen, so wird er stets auf alle Fragen nicht nur unter dem Be- wußtsein eine Antwort bereit haben, sondern sie auch zum Ausdruck bringen können. Die mini- men Muskelzuckungen, die ohne sein Wissen und seinen Willen seine Finger ausführen, wirken nämlich als Anstoß zur Auslösung ähnlicher Be- wegungen bei den übrigen Teilnehmern, die, in gleichem Sinne wirkend, sich summieren und so das Glas nach den verschiedenen Buchstaben schieben oder selbst schwere Tische in scheinbar tanzende Bewegung versetzen können. Gerade das aber, daß die anderen durch seinen gering- fügigen, ihm selber unbewußten Anstoß zum Mit- machen angeregt werden, täuscht oft das „Medium" 412 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 26 selber, so daß auch es glaubt, von einer magischen Kraft gezogen zu werden und sich selber gar nicht als den Urheber vermutet. Bei Behandlung „spiritistischer Phänomene" sollte man noch viel mehr, als dies bis heute der Fall war, die Vorwürfe plumper Betrügerei und Schwindelei äußerst vorsichtig gebrauchen. Sicher sind ja genug solcher Fälle vorgekommen und werden aus naheliegenden Gründen immer wieder vorkommen, aber das sind doch nur selten die, auf denen die Glaubenssätze der Spiritisten basieren ; diese fühlen sich darum auch durch ihre Aufdeckung keineswegs in ihren Anschauungen erschüttert. Es handelt sich nur darum, nicht, wie die Spiritisten es tun, gleich die Antwort auf die Frage geben zu wollen, sondern vorerst die Pro- bleme richtig zu formulieren, und diese werden stets psychologische oder psychopathische sein. Dr. W. Brenner. Prof. Dr. Halbfaß erörtert im Schulprogramm des Gymnasiums zu Neuhaldensleben 1907 klima- tologische Probleme im Lichte moderner Seen- forschung und leugnet entschieden einen ununter- brochenen Zusammenhang der höheren Wasser- stände vieler Seen in der Diluvialzeit mit einer allgemeinen Austrocknung in der Gegenwart. Bei der großen Mehrzahl der afrikanischen Seen han- delt es sich nicht um eine mehr und mehr zu- nehmende Austrocknung, sondern um eine Klima- schwankung etwa im Sinne der bekannten Brückner- schen Periode. Gegenteilige Anschauungen rühren vielfach daher, daß Reisende in langen Zwischen- räumen einen See zufällig gerade wieder zu einer Trockenperiode besucht haben, so daß sehr leicht die Ansicht auftauchen konnte, als ob die Trockenzeit immer bestanden hätte, weil sie eben die da- zwischen liegenden feuchten Perioden nicht kennen gelernt haben. Die Verminderung resp. Verkleinerung zahl- reicher Wasserspiegel in allen Gegenden der Erde rührt vielfach von geologischen und botanischen Geschehnissen her, die als solche mit zunehmender Trockenheit gar nichts zu tun haben, und daher nicht als Beweisstücke solcher gelten können. Dazu kommt der Umstand, daß die Tätigkeit des Menschen vielfach diese natürlichen Vorgänge ab- sichtlich beschleunigt hat, was der Verfasser an mehreren eklatanten Fällen überzeugend nach- weist. Andererseits sind die Anzeichen höherer Wasserstände, als sie vor einer Reihe von Jahren beobachtet wurden, weit verbreitet und zahlreich, namentlich in Mittelasien und am Toten Meer. Im 2. Teil soll untersucht werden, ob die wechseln- den Wasserstände der Seen für eine nach einer bestimmten Zahl von Jahren zu berechnende Periode der Schwankungen sprechen, eine Frage, welche mit der Theorie der Brückner'schen Klima- schwankung auf engste zusammenhängt. (x) Kanalstrahlen. — Wohl kein Gebiet der Phy- sik hat uns in neuester Zeit eine solche P'ülle von Aufschlüssen gebracht, wie das Gebiet der Strah- lungserscheinungen im Anschluß an die Ergebnisse der Elektronentheorie. Besonders die aus negativ elektrischen Teilchen bestehenden Kathodenstrahlen und die ihnen nahe verwandten ("iJ-Strahlen des Radiums haben eine außerordentlich eingehende Untersuchung erfahren und zu höchst wichtigen Ergebnissen geführt, die im wesentlichen als be- kannt vorausgesetzt werden dürfen. Wenn auch die Forschung über die positiv- elektrischen Strahlen , die Kanalstrahlen und die ihnen verwandten «Strahlen des Radiums, nicht eine so reiche Mannigfaltigkeit von Arbeiten ge- zeitigt hat, so sind doch ihre Ergebnisse so inter- essant und wichtig, daß die Betrachtung derselben an dieser Stelle wohl berechtigt erscheint. Die Kanalstrahlen wurden im Jahre 1886 von Goldstein entdeckt, als er in einer Vakuum- röhre die Kathode durchbohrte und ein kleines Röhrchen ansetzte. Dann traten an der der Anode abgewandten Seite Strahlen aus , die der Ent- decker wegen der Art ihrer Entstehung als Kanal- strahlen bezeichnete. Das Wesen der Kanalstrahlen wurde erst viel später, im Jahre 1897 erkannt, in- dem W.Wien die Kanalstrahlen als positiv- elek- trisch geladene Teilchen erwies und auch das Verhältnis von elektrischer Ladung zu Masse fest- stellte. Dieses Verhältnis läßt sich bestimmen, wenn man die Ablenkung der Strahlen durch ein magnetisches und ein elektrisches Feld bestimmt, und dabei zeigte es sich, daß dies Verhältnis gegen das bei Kathodenstrahlen gefundene bedeutend abwich. Während es bei letzteren etwa i bis 2 X 10' beträgt, findet man für Kanalstrahlen 7 bis 10 X 10^ also einen der Größenordnung nach ganz anderen Wert. Wir haben es also hier bei den positiven Strahlen mit etwas ganz anderem zu tun als bei den negativen. Der Wert des Ver- , •., . e Ladung , .,,.., , haltnisses — = ^r^; ^, der sich bei Kanal- m Masse strahlen ergibt, ist nun gleich dem bei der Elek- trolyse bestimmten. Da wir nun bei der Elektro- lyse die .'\tome mit den Elektrizitätsquanten be- haftet annehmen, müssen wir auch bei den Kanal- strahlen Atomionen als Träger der Ladungen an- nehmen. Tatsächlich hat sich auch für die Kanal- strahlen in Wasserstoff ein größerer Wert für e ergeben als in Sauerstoff. Wenn wir Atomioiien m '' hätten, so müßten sich die Werte wie 16:1 ver- halten. Tatsächlich fand W. Wien für Wasserstoff 9,5 )x lO'', während für Sauerstoff sich einmal 075 X 10^ und einmal 0,47 X lO" ergab, woraus als Mittel 0,61 folgt. Das ist wirklich ungefähr ' ,,■ von 9,5. Interessante Erscheinungen bietet ferner das Licht der Kanalstrahlen. Schon die einfache Be- obachtung mit dem Auge zeigt hier Verschieden- heiten. Während nämlich in Luft die Kanalstrahlrn N. F. VI. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 413 goldgelb erscheinen, sind sie in Wasserstoff schön rosa und wieder andere F"arben zeigen sich in anderen Gasen. Betrachtet man die Lichterschei- nungen spektroskopisch, so zeigen sich die Spektra der Gasfüllung der Röhre und gleichzeitig die des Elektrodenmetalls. Was leuchtet nun in der Röhre? Die ruhenden Gasmoleküle, oder die bewegten Kanalstrahlenteilchen ? Zur Beantwortung dieser Frage hat Stark eine Reihe von äußerst interessanten Versuchen gemacht, die, hauptsäch- lich ins vorige Jahr fallend, eine ganze Fülle von sehr wichtigen Resultaten ergeben haben. Wenn nämlich die bewegten Kanalstrahlen- teilchen die Träger der Lichtemission sind, so muß wegen ihrer schnellen Bewegung ein Doppler- effekt eintreten. — Das Doppler'sche Prinzip sagt ja bekanntlich aus, daß eine Wellenbewegung, deren Emissionszentrum sich uns nähert, scheinbar eine Verkleinerung der Wellenlänge erfährt. Die Erscheinung ist plausibel, wenn man folgende Überlegung anstellt: Geht vom Erregungszentrum eine VVelle aus , so wird dieselbe in einem be- stimmten Augenblick in einem Punkte ankommen; eine zweite Welle würde dieselbe Zeit brauchen, wenn Erregungszentrum und Beobachtungspunkt unverändert ihre Lage gegeneinander behielten. Hat sich aber inzwischen das Erregungszentrum auf den Beobachtungspunkt zu bewegt, so wird diese Zeit verkürzt werden, d. h. die Zeit der Aufeinanderfolge zweier Wellen oder die Schwin gungsdauer wird kleiner werden; infolgedessen wird die Schwingungszahl, d. i. die Anzahl der Schwingungen pro Sekunde größer. Da nun die Wellenlänge gleich der Fortpflanzungsgeschwindig- keit dividiert durch die Schwingungszahl ist , so wird die Wellenlänge durch die Bewegung des Emissionszentrums verkleinert. Sind nun in unserem Falle die schnell be- wegten Kanalstrahlenteilchen die Träger der Licht- emission, so muß im Spektrum ein Unterschied eintreten, je nachdem man in Richtung der Kanal- strahlen oder senkrecht dazu beobachtet. Die .Siiektrallinien, die bei Beobachtung in der Längs- richtung auftreten, müssen gegen die bei Beobach- tung in der Querrichtung auftretenden verschoben sein und zwar nach dem Doppler'schen Prinzip in der Richtung zu kürzeren Wellen hin. Die Beobachtung Stark's ergab nun, wenn man den Spalt eines Spektroskops in die Längsrichtung der Strahlen brachte, im Wasserstoffspektrum eine Anzahl von Doppellinien ; d. h. für die verdoppel- ten Linien verschobene und unverschobene Linie gleichzeitig. Andere Linien zeigten dagegen nui die ruhende Linie. Daraus zog nun Stark ver schiedene Schlüsse. Zunächst erklärt er das gleich- zeitige .Auftreten von ruhender und bewegter Linie damit, daß infolge der Zusammenstöße der Kanal- strahlenteilchen mit Gasmolekeln alle möglichen Geschwindigkeiten in der Längsrichtung hervor- gebracht werden. Die andere Tatsache, daß nur ein Teil der Wasserstofiflinien den Dopplereffekt zeigt, hat nach Stark ihre Ursache darin, daß die Emission der verschiedenen Linien des Wasser- stoffs verschiedene Träger hat. Die Linien , die den Dopplereffekt zeigen , haben jedenfalls die Kanalstrahlenteilchen zu Trägern. Nun kennen wir vom Wasserstoff zwei verschiedene Spektren. Das eine ist das bekannte , aus wenigen Linien bestehende Serienspektrum , dem die Fraunhofer- schen Linien C und F angehören. Außerdem existiert noch ein aus vielen Linien bestehendes Wasserstoffspektrum, das sogenannte Viellinien- spektrum, oder, wie Stark es nennt, das Banden- spektrum des Wasserstoffs. — Stark's Versuche haben nun ergeben , daß nur das aus wenigen Linien bestehende Spektrum den Dopplereffekt zeigt, während das Bandenspektrum keine Ver- doppelung der Linien ergibt. Daraus ist zu schließen, daß die Träger dieses Bandenspektrums nicht die Kanalstrahlenteilchen sein können. Ganz ähnlich sind die Erscheinungen bei anderen Gasen wie Wasserstoff. Die Erscheinungen geben nun Stark Veran- lassung, folgende Theorie aufzustellen : Die einzigen elektrischen Atome sind die ne- gativen Elektronen. Ein neutrales Atom hat eine bestimmte Anzahl dieser Elektronen. Sind mehr als diese Anzahl vorhanden , so ist das Atom negativ elektrisch, sind dagegen zu wenig vorhan- den, so ist das Atom positiv geladen. Die Träger des Linienspektrums nun sind die positiven Atom- ionen. Auf ihnen verursachen die Bewegungen der noch vorhandenen Elektronen die Emission der Spektrallinie. Daß nämlich die negativen Elektronen die Emissionszentren der Spektrallinien sein müssen, ergibt sich aus der Betrachtung des Zeemanneffektes. Anders ist es für das Banden- spektrum. Dies entsteht nach Stark bei der Ver- einigung des Systems positives Restatom — nega- tives Elektron zu einem neutralen Atom. Stark nimmt nämlich an, daß während des Fluges der positiven Atomionen in dem Raum, in dem sich eine Menge negativer Elektronen befinden, diese sich wieder mit den Restatomen (d. h. den posi- tiven Atomen mit zu wenig Elektronen) vereinigen und so wieder ein elektrisch neutrales System bilden. Eine Stütze für diese Theorie hat Stark noch durch eine Reihe von Versuchen über die Ablenk- barkeit der Träger des Linien- und Bandenspek- trums durch elektrostatische Ladungen gegeben. Sind nämlich nur die Träger des Linienspektrums elektrisch geladen, während die des Bandenspek- trums neutral sind, so dürfen durch ein elektro- statisches Feld nur die Träger des Linienspektrums abgelenkt werden. In einer entsprechend einge- richteten Geißlerröhre, in der gleichzeitig Linien- und Bandenspektrum erzeugt wurde, ergab sich nun tatsächlich die Richtigkeit dieser Hypothese. Wir wollen zum Schluß noch die Frage be- handeln, in welchem Teil einer Kanalstrahlenröhre die Strahlen nun eigentlich erzeugt werden; denn es ist doch immerhin merkwürdig, daß sich positiv geladene Teilchen von der Kathode entfernen. Es 414 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 26 ist verschiedentlich angenommen worden , die Kanalstrahlen gingen von der Anode aus und durchsetzten die Kathode. Daß diese Annahme nicht richtig ist , zeigt schon die Tatsache , daß die Richtung der Kanalstrahlen von der Lage und Gestalt der Anode ganz unabhängig ist und nur von der der Kathode abhängt. Deshalb hat die Annahme mehr Berechtigung, die die Entstehung der Strahlen an die Kathode verlegt. Die Teil- chen sollen von ihr neutral oder negativ-elektrisch ausgehen und durch Verlust von Elektronen in der negativen Glimmschicht positiv - elektrisch werden. Dadurch wird ihre Richtung umgekehrt, sie fliegen auf die Kathode zurück und sind infolge ihrer kinetischen Energie imstande, die Öffnungen der Kathode zu durchdringen und jenseits der- selben auszutreten. Eine Bestätigung dieser An- nahme bietet die von Wehnelt gefundene Tat- sache, daß ein in den negativen Dunkelraum ge- brachter Schirm das Auftreten der Kanalstrahlen jenseits der Kathode verhindert. Auch direkt haben Kanalstrahlen vor der Kathode nachgewiesen werden können. Das ist kurz das Wesentliche unserer heutigen Kenntnis über die Kanalstrahlen. Dr. L. Grebe. Himmelserscheinungen im Juli 1907. Stellung der Planeten: Merkur und Jupiter sind unsichtbar. Venus ist als .Morgenstern etwa ^j Stunden lang sichtbar. Mars kommt am 6. in C)pposition und kann daher die ganze Nacht hindurch im Schützen, allerdings nur wenige Grade über dem Horizont, gesehen werden. Saturn steht in den Fischen und kann gegen Ende des Monats be- reits die ganze Nacht hindurch beobachtet werden. Die Ebene des Ringes geht am 25. durch die Sonne, für schwächere Fernrohre erscheint der Planet daher in diesem Sommer ringlos. Finsternisse: Eine in Europa unsichtbare, ringförmige Sonnenfinsternis ereignet sich am Nachmittag des 10. Sie ist in Südamerika am besten zu beobachten. Eine partielle Mondfinsternis findet am 25. statt, ist jedoch nur in ihrem Beginn in Westdeutschland sichtbar. Für Berlin geht der Mond bereits 2 Minuten vor dem Beginn der Verfinsterung (4h 4m morgens M.EZ.) unter. Sternbedeckungen: Am 31. wird der Stern c" Ceti für Berlin um 1 1 Uhr 37,2 Min. M.E.Z. abends durcli den Mond bedeckt. Der .\ustritt findet 20,4 Min. nach Mitternacht statt. Ein Algol -Minimum findet statt am II. um lo Uhr 18 Min. M.E.Z. abends, .\m 12. ist das Minimum von o Ceti zu erwarten. Bücherbesprechungen. A. Hildebrandt: Die Luftschiffahrt nach ihrer geschichtlichen und gegenwärtigen Entwicklung. München. R. Oldenbourg. — Preis 15 Mk. „Das lebhafte Interesse, welches sich in den letzten Jahren , namentlich nach dem großen Aufschwünge der wissenschaftlichen Luftschiffahrt und nach den Aufsehen erregenden Fahrten von Santos Dumont und der Gebrüder Lebaudy allerorten für die Aero- nautik bemerkbar gemacht hat, ist die Veranlassung gewesen, ein neues Buch zu verfassen, das auf Grund bisher noch unbenutzter Quellen und gestützt auf langjäiirige eigene Tätigkeit ein für weitere Kreise bestimmtes Gesamtbild der Luftschiffahrt zu bieten versucht.'' Das sind die Einleitungsworte, welche der Ver- fasser selbst seinem Werke voranschickt. In der Tat finden wir heute kaum eine Tageszeitung, welche der ausgeführten Luftfahrten nicht Erwähnung tun, seien es nun sportliche , seien es wissenschaftliche, seien es endlich Versuchsfahrten mit neuen Fahr- zeugen. Aber zumeist beschränken sich derartige Notizen auf kurze Berichte, an denen der Laie acht- los vorübergeht , entweder weil er , namentlich bei wissenschaftlichen Fahrten, deren Bedeutung nicht zu würdigen weiß, oder aber, bei sportlichen Fahrten, in der Regel eine Luftballonfahrt als waghalsiges Unternehmen ansieht. Darum hat sich der Verf. vornehmlich das Ziel gesetzt, den Laien über Zweck tnid .Aufgaben solcher Fahrten aufzuklären; darum hat er auch bei allen Fragen auf technische und theoretische Erörterungen verzichtet, und lediglich in allgemein verständlicher Form geschrieben. Den ersten Teil des Werkes bildet ein geschicht- licher Überblick über die Entwicklung der Luft- schiffahrt überhaupt , wie im besonderen eine kurze Übersicht über die Versuche der letzten Jahrzehnte, dem Ballon eine Eigenbewegung zu geben, d. h. ihn zu lenken. Besonders gewürdigt sind hierbei die neueren Versuche des Grafen Zeppelin sowie von Santos Dumont, Lebaudy und Parseval. Auch der Anwen- dung der Flugmaschinen und Drachen ist gedacht. Einen bedeutenderen Raum umfaßt die Entwicklung der militärischen Luftschiffahrt zunächst bis 1870, dann während des Krieges 1870 — 1871 und endlich nach Beendigung des Krieges. Namentlich sind die Arbeiten des letzteren Zeitraumes vornehmlich ins Auge gefaßt. Denn die Verwendung des Ballons im Kriege 1S70 — 71 hat deutlich bewiesen, von wie großer Bedeutung die Ballons im Falle einer Belagerung werden können. Würde das Buch mit den folgenden Kapiteln, die den Bau und die Ausrüstung der Luftfahrzeuge zum Gegenstande haben, abschließen , so würde es sich von dem bekannten Werke von „Moedebeck : die Luftschiffahrt, ihre Vergangenheit und Zukunft", nur dadurch unterscheiden, daß theoretische Erörterungen ganz außer acht gelassen sind. Der Wert des Buches liegt in den folgenden neuen Kajüteln , die uns etwas vollkommen Neues bieten. Und darum soll auf diese genauer eingegangen werden. Zunächst hat der Verfasser in dem Kapitel : „Der Sport in der Luftschiftahrt" an der Hand ein- zelner und interessanter Fahrten, von denen besonders eine Fahrt über die Ostsee weit nach Schweden hinein erwähnt sein mag, gezeigt, was hier unter Sport zu verstehen ist. Sport ist nach dem gewöhn- lichen Sprachgebrauch das Bestreben, Hervorragendes zu leisten. Und so haben wir auch hier den .Ausdruck zu ver- stehen. Wie aber jede Sportleistung einen erfahrenen und besonnenen ]\Ienschen voraussetzt, der mit allen Feinheiten vertraut ist, und alle Zufälligkeiten genau auszunützen weiß, so muß auch bei dem Sport in der Luftschiftahrt die gleiche Voraussetzung gelten. Auf- stiege unter allen Umständen, die häufig nur gemacht N. F. VI. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 415 werden, um der Schaulust des Publikums zu dienen, müssen daher ausgeschlossen werden , und können eher als waghalsige Unternehmungen angesehen werden. Alle Witterungsumstiinde müssen vielmehr vorher genau geprüft, namentlich die Windrichtungen in verschie- denen Luftschichten festgestellt werden; erst dann kann entschieden werden, welche Leistung man sich als Ziel stecken will. Häufig genug lassen die Be- obachtungen von der Erde aus das nicht zu und da ist es schon mehrmals vorgekommen , daß geplante Fahrten erst im Verlauf der Fahrt selbst sich ganz anders gestaltet haben. Hier kommt der Sport zu seinem Recht. Der Luftschiffer, der bei völlig be- decktem Himmel aufstieg, kann erst, wenn er sich über den Wolken befindet , zu einer Entscheidung gelangen, und hier erst läßt sich feststellen, ob eine Hochfahrt, Weitfahrt oder Zielfahrt als größere Leistung gelten kann. Alle günstigen Chancen ausnützen, un- günstigen Verhältnissen aus dem Wege gehen, ist erstes Erfordernis. Daß hier mehr als bei anderen sport- lichen Leistungen vor allem Erfahrung und Umsicht nottuen, liegt in der Natur der Sache. Würde dieser Umstand mehr beachtet, so würde die Luftschiffahrt sicher nicht so sehr in Mißkredit geraten sein. Eng damit im Zusammenhang steht die „wissen- schaftliche Luftfahrt", deren Zweck die Erforschung der höheren Luftschichten ist. Nach kurzem Über- blick über die bisherige Entwicklung, namentlich in den letzten Jahrzehnten , schildert der Verfasser alle bisher in Betracht gezogenen Hilfsmittel: Auffahrten mit bemannten und unbemannten Ballons und Drachen, die in den letzten Jahren besonders auch zu ge- meinsamen internationalen Vereinbarungen geführt haben. Einem bisher wenig oder gar nicht bekannten Gegenstande, der „Ballonphotographie", sind die fol- genden Kapitel gewidmet. Dem Photographen und späteren Luftschiffer Nadar- Vater gebührt das Ver- dienst, die Ballonphotographie (1858) zur Anwendung gebracht zu haben. Waren auch die Ergebnisse dieser ersten Versuche nur sehr bescheiden, so hat der Fort- schritt, der in der Photographie überhaupt eingetreten ist, auch hier sich geltend gemacht, trotzdem die Ballonphotographie eine Reihe von Schwierigkeiten zu überwinden hat, die sonst gewöhnlich nicht be- rücksichtigt zu werden brauchen. Dahin sind in erster Linie die Einflüsse der Strahlenbrechung an den verschiedenartig erwärmten Luftschichten und die der Absorption zu rechnen. Was das Material anbetrifft, so müssen die Apparate möglichst einfach und fest, trotz- dem aber leicht sein, die Verschlüsse sicher funk- tionieren, und die Objektive lichtstark genug sein, um unter allen Umständen, bei heiterem Wetter so- wohl wie bei trübem, Momentaufnahmen zu gestatten. Denn nur solche können bei Aufnahmen vom Ballon aus, besonders wegen der häufigen Drehungen in Betracht kommen. Einige Schwierigkeiten macht das Lesen der Photograrame, woran vor allen Dingen der geringe Unterschied zwischen Licht und Schatten Ursache ist. Je höher man sich im Ballon befindet, um so mehr verflacht sich dieser Unterschied und um so größer wird die Schwierigkeit. Gewisse Merk- male aber , die der Verfasser eingehend erörtert, können, zumal bei einiger Ubiuig, über manche Punkte hinweghelfen. Einen wesentlichen Vorteil für die Ballonphotographie und für das Lesen der Photo- gramme erwartet der Verfasser von der Farbenphoto- graphie und wer das dem Buche beigegebene Titel- bild betrachtet, wird dem ohne weiteres beiptlichten. Vom Ballon aus wird die Farbenphotographie bei weitem leichter ausführbar sein, als zur ebenen Erde, weil die Entfernung der nächsten Objekte, die aufgenommen werden sollen, vom Korbe aus so groß ist, daß die Aufnahme mit drei nebeneinander ge- lagerten Objektiven gleichzeitig ausgeführt werden kann , ohne daß eine parallaktische Verschiebung merklich ist, somit also das Erfordernis für Anwendung der Farbfilter ohne weiteres ermöglicht wird. Sodann geht der Verfasser näher auf die Ver- wendung der Brieftauben für Ballonzwecke ein. Nicht so einfach wie gewöhnlich gestalten sich hier die Ver- hältnisse. Hauptsächlich ist es der Gesichtssinn, der den Tauben zur Orientierung dient und sie in dem Gelände zurechtweist. Bei Ballonfahrten ist es aber oft nötig, Tauben auch oberhalb der Wolken los- zulassen und so ist es zunächst erforderlich , die Tiere daran zu gewöhnen, sofort durch die Wolken- schichten hindurchzustoßen, damit sie sich nicht ver- fliegen. Auf Dressur in dieser Hinsicht ist besonderes Gewicht zu legen. Das Schlußkapitel behandelt endlich das Luft- schififerrecht. Wie der Verkehr zu Wasser und Lande geregelt und bestimmten Vorschriften unterworfen ist, so wären analoge Bestimmungen auch für Luftschiffe am Platze. Von Wert wären internationale Verein- barungen über die Behandlung der I^uftschifter nach Überfliegen der Landesgrenze , möglichste Erleichte- rungen bei Zollabfertigung u. dgl. Vor allem aber sollte bei jeder Fahrt von einem Teilnehmer wenig- stens ein Befähigungsnachweis verlangt werden. Dann würden manche Unglücksfälle vermieden werden. Unsachgemäße Führungen des Ballons sind es meist gewesen, die tödlich verlaufene Landungen verursacht und dadurch dem Ansehen der Luftschiffahrt ge- schadet haben. Das ganze W'erk ist außerordentlich fesselnd ge- schrieben und wird sicher manchen Leser veranlassen, weiterhin den Bestrebungen mit Interesse zu folgen. Einen Fehler des Buches wollen wir freilich nicht verschweigen. Wenn der Verfasser die Absicht ge- habt hat, „vornehmlich den Laien über das Wesen dieses umfangreichen Gebietes aufzuklären, um ihm das Verständnis und die Beurteilung der in der Tages- presse auftauchenden Nachrichten zu erleichtern", so dürfte wohl der hohe Preis des Buches (15 Mk.) dieser Absicht Eintrag tun, wenngleich nicht verkannt werden soll, daß die schöne Ausstattung und das reichliche Abbildungsmaterial diesen Preis rechtfertigen. Dr. Paul Schulze. Literatur. Krümmel, Prof. Dr. Otto: Handbucli der Ozeanographie. 1. Hd. Die räuml., ehem. u. physikal. Verhältnisse d. Meeres. Mit 69 .Abbildgn. im Text. 2. völlig neu bearb. Aufl. des 4i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 26 im J. 1884 erschienenen Bd. I. des Handbuchs der Ozeano- graphie von weil. Prof. Dr. Geo. v. Boguslawski. (XVI, 526 S. m. 2 Tab.) Stuttgart, '07, J. Engelhorn. — 22 M. ; Einbd. in Halbfrz. nnn 1.50 .M. , Lockemann, Priv.-Doz. Assist. Dr. G. : I'intülirung in die analytische Chemie m. Berücksicht. der oflizinellen anorgani- schen Präparate. Ein Leitfaden f. das ehem. Praktikum. Mit 30 Abbildgn. u. I Spektraltaf. (IX, 265 S.) 8". Heidel- berg, '07, C. Winter. — Geb. in Leinw. 7 M. Post's chemisch-technische Analyse. Handbuch der analyt. Untersuchgn. zur Beaufsichtigg. ehem. Betriebe, f Handel u. Unterricht. In 3. verm. u. verb. AuH. hrsg. v. Prof. Dr. Bernh. Neumann. I. Bd. 2. Heft. (S. iS 1—488 m. Abbildgn. gr. 8". Braunschweig, '07, F. Vieweg & Sohn. — 7.50 M. Briefkasten. Im Briefkasten von Nr. 24 der Naturw. Wochenschrift findet sich eine .»\ntwort betreffend Selbstverdauung des Magens. Nach Voit, Virchow u. a. wird diese vor allen Dingen durch die Alkalescenz des Blutes verhindert. Denn unterbindet man eine kleine Magenarterie, so tritt im Ver- sorgungsgebiet derselben Erweichung der Schleimhaut und des darunter gelegenen Gewebes ein. Die Salzsäure des Magensaftes wird eben nicht mehr durch das alkalische Blut unschädlich gemacht. Nach anderen ist die Hauptursache des Schutzes die, daß die Verdauungsenzyme auf die leben- den Zellen des eigenen Körpers keine Wirkung besitzen, vielleicht durch Absonderung von Antipepsin. Carl Gail, München. Herrn W. in .Styrum. — Was versteht man unter der botanische nBezeichnung,,Schraubel"r — Die Schrau- bel (bostryx) ist eine cymöse Infloreszenz, d. h. ein Blütenstand, bei weichem sich die Seitensprosse kräftiger entwickeln als der liauptsproß (letzterer schließt gewöhnlich mit einer Blüte ab) und zwar ein Monochasium, dessen Seitenachsen transversal zur relativen Hauptachse und immer auf die relativ nämliche Seite fallen. Meist treten die Schraubel als Partialinflores- zenzen in Pleio- oder Dichasien auf; die Schraubel kann als diejenige Reduktionsform des Dichasiums aufgefaßt werden, bei welcher nur die homodromen Blüten zur Entwicklung ge- langen. In einer Schraubel angeordnet stehen z. B. die Blüten von Hypericum perforatum. P. Beckmann. Herrn Oberlehrer R. R. in Kolberg. — Über Libellen- Wanderungen existiert bereits eine sehr umfangreiche Lite- ratur. Ich muß Sie also bitten, sich durch einige .\ngaben weiter leiten lassen zu wollen. — Alle Tiere (und Pflanzen) besitzen Mittel, sich nach neuen Lokalitäten hin auszubreiten. Diese Mittel sind um so vollkommener entwickelt, je zer- streuter die Ortlichkeiten sich finden, an denen jene fort- existieren können und je wandelbarer bzw. vergänglicher diese sind. — Unter den einheimischen Wolfspinnen ist z. B. Dolomedes ßmhriatus einer der besten Wanderer, weil diese Spinne nur an sehr lichten Waldsümpfen vorkommt. Derartige Plätze finden sich nämlich nur sehr zerstreut und werden meist durch Heranwachsen des Gestrüpps für die Spinne schnell unbewohnbar. — Von diesem Gesichtspunkte aus muß man auch das Wandern der Libellen zu erklären suchen; denn daß sich so etwas ausgebildet haben sollte, ohne für die Er- haltung der Art von irgendwelcher Bedeutung zu sein, läßt sich mit unseren heutigen Anschauungen nicht recht mehr ver- binden. — Wanderungen scheinen bei Libellen in einem ge- wissen Maße fast alljährlich vorzukommen. Massenhaft aber jjflegen die Tiere nur dann zu wandern, wenn auf einen trockenen und kalten Frühling plötzlich die Temperatur er- heblich steigt (vgl. z. B. A. Lankaster, Les passages des libelles des 5 et lo juin 1900 in: Annuaire meteorolo- gique pour 1901, ref. von A. Acloque in: Le Cosmos, T. 44, 1901, p. 523). — Auch in diesem Jahre fand ich Jdbelhda quadrimaculata, eine Art, deren Wanderungen immer besonders auffielen, weit von Gewässern entfernt. Da aber nach einigen heißen Tagen wieder kühles Wetter eintrat, ist es zu Massen- wanderungen vielleicht nicht gekommen. — Die Richtung bei den gemeinsamen Wanderungen scheint durch den Wind be- stimmt zu werden. Wenigstens berichten die meisten neueren Beobachter, daß die Tiere gegen den Wind flogen, bisweilen gleichzeitig mit verschiedenen anderen Insekten (vgl. T. Eimer in: Biol. Centralbl. Bd. I, 1882, S. 54911'.). Was den Aus- gangspunkt derartiger Wanderungen anbetrifft, so ist ein sol- cher, soweit ich sehe, bisher nur einmal beobachtet worden (vgl. H. Hagen in: Entom. Zeitung Bd. 22, Stettin 1861, S. 73 ff.). In diesem Falle war der Zug nur 60 Fuß breit (und 10 Fuß hoch) und bewegte sich mit der Geschwindigkeit eines kurzen Pferdetrabes vorwärts. Er war von Königsberg aus nach einem eine Viertelmeile entfernten Teiche bei Dewau zu verfolgen. Es handelte sich, wie der frische Glanz der Tiere zeigte, um Individuen, die soeben der Puppenhülle ent- schlüpft waren. Zur Nacht hörte die Wanderung auf. Viele Tiere übernachteten auf den Dächern Königsbergs und setzten am anderen Morgen ihre Wanderung fort. Auch auf Tele- graphendrähte sah man wandernde Libellen am Abend sich niederlassen (vgl. C. Ja et et R.Martin in: Bull. Soc. entom. France T. 1896 p. 25- 26). Die meisten Wanderzüge, die man beobachtete, hatten einen größeren Umfang als der Königsberger und konnten dann wohl kaum aus einem Teiche hervorgegangen sein (vgl. Cornelius in : Ent. Zeit Bd. 23, Stettin 1862, S. 463—66). Wie weit die einzelnen Wanderer gelangen, darüber liegen noch keine sicheren Daten vor. Der Königsberger Zug konnte am nächsten Tage in der Richtung über Karschau 3 Meilen weit verfolgt werden. — Vielfach sind weit voneinander entfernt beobachtete Züge miteinander in Beziehung gebracht worden. So wurde ein Zug, der in den letzten Maitagen des Jahres 1881 bei Bielefeld beobachtet wurde mit einem anderen in Verbindung gebracht, den man zwei Tage früher bei Dresden beobachtet hatte (vgl. K. Sajö in: lUustr. Zeitschr. f. Entomol. Bd. 2, 1897, S. 61). Einen Zug, der in den ersten Junitagen 1897 in Hamburg beobachtet wurde, brachte man mit einem Zuge in Bremerhaven in Ver- bindung (vgl. K. Vieweg in: III. Ztsch. f. Ent. Bd. 2, S. 464). Demgegenüber ist zu bemerken, daß die gleichen Temperatur- verhältnisse annähernd gleichzeitig an verschiedenen Orten die- selbe Erscheinung zur Folge haben können und müssen. — Das ausgedehnteste Wanderungsgebiet, das bisher beobachtet wurde, war das schon oben angedeutete in Belgien (vgl. A. Lankaster a.a.O.). Es hatte eine Ausdehnung von 170 km Länge und 100 km Breite und erstreckte sich also über einen großen Teil des inneren Belgiens. Fünf Tage später, am 10. Juni, wurde eine zweite Wanderung beobachtet und zwar diesmal an den Küsten Belgiens, Hollands und Englands (vgl. auch W. J. Lucas in: The Entomologist Vol. 33, 1900, p. 210 f.) Da diese Wanderung von der Seeseite kommend beobachtet wurde, hat man geglaubt, daß die Wanderer vom 5. Juni auf die See hinausgeflogen und am 10. Juni zurück- gekehrt seien. Allein die Beobachtung, daß die Libellen sonst während der Nacht rasten, steht mit dieser Vermutung in Widerspruch. — Die Dichtigkeit eines Libellenzuges wird ver- schieden angegeben. Hagen gibt an, daß die Tiere dicht- gedrängt daherzogen. Lucas l)crichtet, daß nach Schätzung 5 — 10 Tiere in der Minute beobachtet seien. W. Wagner zählte zwei in der Minute (vgl. 111. Zeitschr. f. Entom. Bd. 2, S. 479). — Nach den bisher vorliegenden Beobachtungen scheint mir also festzustehen, l) daß derartige Massenwande- rungen durch die Witterungsverhältnisse bedingt sind, 2) daß die Richtung des Zuges, wenigstens in der Regel, durch den Wind gegeben ist, 3) daß die Wanderung in der Nacht unter- brochen wird und 4) daß die Dichtigkeit und Ausdehnung der Züge verschieden groß sein kann. — Sorgfältige Beobach- tungen sind natürlich in allen diesen Punkten sehr erwünscht. Besonders aber ist noch festzustellen, wie weit die einzelnen Individuen fliegen. Dahl. Inhaltt M. Möbius: Der Stammbaum des Pflanzenreichs. — Kleinere Mitteilungen: Dr. W. Brenner: Noch einmal Geisterschriften. — Prof. Dr. Halb faß: Klimatologische Probleme im Lichte moderner Seenforschung. — Stark: Kanalstrahlen. — Himmelserscheinungen im Juli 1907. — Bücherbesprechungen: A. Hildebrandt: Die Luft- schiffahrt nach ihrer geschichtlichen und gegenwärtigen Entwicklung. — Literatur: Liste. — Briefkasten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. II. Potonie, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena, Nene Folge Tl. Band; der ganien Reihe XXII. Band. Sonntag, den 7. Juli 1907. Nr. 27. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Posl 15 Pfg. extra. Inserate : Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseralenannahme durch die Verlags- handlung. [Nachdruck verboten. Der Stammbaum des Pflanzenreichs. Von M. Möbius. Mit 20 Figuren im Tc.it und einer Tabelle. (Schluß.) Von den Phanerogainen haben wir nun bereits gesehen, daß die Gymnospermen die älteren sind und daß unter diesen sich die Cycadeen von den Filicinen und Cycadofilices, die Coniferen von den Lycopodien und Lepi- dodendren ableiten lassen (Fig. 16). Größere Schwierigkeitmacht diedritte der jetzt noch lebenden hamilien der (jymnospermen, die der Gne- taceen; es läßt sich unter ihnen die Gattung Kphedra vielleicht noch von Taxus ableiten, die ganze I'^amilie also an die Coniferen an- schließen.') Bemerkenswert sind die Gnetaceen (l'iR- '/) dadurch, daß sie unter den Gymnosper- men am meisten Ähnlichkeit mit den Angio- spermen besitzen, nämlich netzadrige Laubblätter (Gne tum), echte Holzgefäße im sekundären Holz, fruchtknotenähnliche Hüllen um die Samenknospe und griffel- und narbenähnliche Gebilde, kreis- förmige Anordnung der Staubgefäße, den Anfang einer Blutenhülle und noch weiter gehende Reduk- tion der geschlechtlichen Generation innerhalb der Makrospore (des Embryosacks) imd ') conf. Eich 1er in Engler- Prantl, Natürliche Pllanzen- familien II, i. p. 65. der Mikrospore (des Pollenkorns). Trotz- dem ist es schwierig, von einer der drei unter sich so verschiedenartigen Gattungen der Gnetaceen die Dicotylen abzuleiten, wenn man nicht etwa Casuarina an Ephedra ansciiließen will, wo- rauf freilich zunächst nur die Ähnlichkeit im Ha- bitus deuten würde. Doch kommt Casuarina noch insofern in Betracht, als sie jedenfalls wegen der größeren Anzahl von Makrosporen (Embryo- säcken) in einer Samenknospe (wie beiKrypto- gamen) und wegen des Mangels einer echten Blütenhülle an den männlichen wie an den weib- lichen Blüten ganz am Anfange der Dicotylenreihe steht ; in dem System E n g 1 e r ' s bildet sogar Casuarina als Vertreterin der Reihe derVerti- cillatae den Anfang der D icoty len.') VVahr- ') Bald nachdem icli diesen Gedanlien über die mögliche Ableitung der Casuarina von E]>hcdra niedergeschrieben hatte, wurde ich zufällig aufmerksam gemacht auf einen kleinen koleopterologischen Aufsatz von K. Flach in der Societas entomologica (XXI. 1906. Nr. 3. p. 17). Hier wird mitgeteilt, daß in Spanien auf Ephedra nebrodensis der Käfer Buprestis sanguinea vorkommt, dessen nächste Verwandte auf den Casuarinen Australiens leben. Was Verf. über Ephedra und Casuarina sagt, ist zwar zum Teil irrtümlich und wird später von ihm selbst korrigiert, besonders daß 415 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 2 / scheinlicher ist es, daß die Angiospermen überhaupt nicht von den jetzt lebenden Gneta- ceen abzuleiten sind, sondern daß diese in einigen Punkten nur bereits zu einer Stufe der Kntwick- ^ I 3 4 Fig. i6. Rekonstruktion eines Lepidodendron-Baumcs (nach Potonie). Fig. 17. a Männliche Blüte von Ephedra altissima. b Längsschnitt durch eine weibliche Blüte von Gnetum Gnemon, ii das innere, in ein grilfelförmiges Organ ausge- zogene Integument. (Lehrb.) Ephedra ein Rest der prätertiären Flora in Europa sei, allein es spricht doch dieses Insektenvorkommen für eine Verwandt- schaft der beiden Pflanzengattungen und ist insofern interessant. Übrigens ist nach mündlicher Mitteilung des Herrn Prof. Dr. L. V. Hey den, dessen Güte ich die Einsicht in die Societas entomologica verdanke, dieBuprestis sanguinea Vertreterin einer eigenen Gattung Vamina. Hock (bot. Zentralbl. LXXVI, 1898) möchte Casuarina an die Equise- tales, speziell an die Calamitcs anschließen; ,,als Seiten- zweig der ausgestorbenen gymnospermen Zwischenstufe wird wohl kaum E p h ed ra gelten können", fügt er in der Anerkennung hinzu. Doch wird diese .\nsicht nicht näher begründet. lung gelangt sind, die von den Angiospermen mit den einfaclisten Blüten auch eingenommen wird. Solche sind nun außer den isoliert stehenden Ca- s u a r i n e n, die früher als J u 1 i f 1 o r a e oder Kätzchen- träger zusammengefaßten Familien, zu denen unsere wichtigsten Laubwaldbäume, die Weiden u. a. gehören. Die Familien (besonders der Amenta- ceae Eichler 's) bestehen aus wenigen Gattungen, und es sind alles holzige, meistens baumartige Pflanzen, was darauf hindeutet, daß sie eine alte Gruppe darstellen. Die Blüten sind eingeschlecht- lich, sehr einfach, noch nicht zu wirklichen Blumen entwickelt und gewöhnlich, wenigstens die männ- lichen, kätzchen- oder zapfenförmig, was an die Coniferen erinnert, so daß wir vielleicht hier einen Übergang von den Gymnospermen zu den .'\ngiospermen vermuten dürfen (Fig. i8). Fig. l8. .\ 1 n u s gliitinosa. I Blühender Zweig mit weiblichen (aufrechten) und männlichen (hängenden) Kätzchen, 2 männliche Blüten, 3 weibliches Kätzchen, 4 weihliche Blüten, 5 Kruchtstand, 6 Früchtchen. (Lelirb.) Eine dritte Annahme hat Hans Hai Her ge- macht, der eine ganze Reihe von Gründen dafür anführt, daß die Gruppe der Polycarpicae (Ranunculaceen, Magnoliaceen und Ver- wandte) die älteste unter den Dicotylen ist und in dieser wiederum die Familie der Magnolia- ceen, deren Vertreter auch holzig oder baum- förmig sind. Diese Magnoliace e n leitet er nun von einer ausgestorbenen P'amilie der Gymno- spermen iier, nämlich von den Bcnnctitaceen, indem er sich besonders auf die weibliche Blüte von Bennetites beruft (Fig. 19), wie sie uns aus dem Jura (Oxford) erhalten ist.') Näher auf diese Hypo- ') Das Nähere in 11. Hallier's ,, Beiträge zur Morphogenie der Sporophylle und des Trophophylls in Beziehung zur Phylogenie der Kormophyten." (Jahrbuch der Hamburg, wissensch. Anstalten. Xl.\. 1901. 3. Beiheft.) N. F. VI. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 419 these einzugclicii uuixlc uns zu weil fiihrcn; wir müssen gestehen, daß wir über den Ursprung der Angiospermen und ihre Ableitung von den (i )-m nospcrmen noch sehr im unklaren sind. Die ralaontologic gibt uns hier keinen genügenden Aufschluß, denn wo die Angiosper m en zuerst auftreten, geschieht das gleich in einer größeren Zahl von sehr verschiedenartigen Typen, soweit die unvollständigen Reste, vielfach nur Hlattfrag- mentc, eine Hcstimmung zugelassen. Indessen H' Fig. 19. Längsschliff durch eine Blüte von Bennelites Gibsonianus (nach Figuren und Angaben von Solms restauriert von Potonie). gehören, wie auch E i c h 1 e r betont (Blütendia- gramme II. p. I. Anm.) die ältesten Dicotylenreste vorwiegend den apetalen Familien der C u p u 1 i - feren, Salicineen, Juglandeen undMyri- caceen an, was für die vorhin erwähnte Annahme, daß die Juliflorae am Anfange der Dicotylen- reihe stehen, sprechen würde. Freilich kann auch Hall ier zugunsten seiner Ansicht geltend machen, daß die Magnoliaceen sich ebenfalls schon sehr frühzeitig nachweisen lassen. Aber eines zeigt uns wenigstens die Paläontologie, daß nämlich die Dicotylen, die zuerst in der ältesten Kreide, im Neocom, vorkommen, älter sind als die M o n o - cotylen, die erst nach dem Neocom auftreten und von vornherein, wie ja auch heute noch, hinter den Dicotylen weit an Artenzahl zurückstehen. Die Paläontologie bestätigt uns hier, was uns auch die vergleichende Morphologie lehrt. Diese zeigt uns, daß sich die Dicotylen näher an die Gymnospermen, speziell Coniferen an- schließen als die Monoco tylen, denn die Ähn- lichkeit der Palmen mit den Cycadeen ist doch rein äußerlich, im Habitus vorhanden. Da- gegen haben die Coniferen und andere Gym- nospermen nicht nur dieselbe Art des Dicken- Wachstums im Stamm wie die Dicotylen, was bekanntlich den Monocotylen fehlt, son- dern auch in der Zweikeim blättrigkeit stimmen viele G \' m n o s p e r m c n mit den Dico- tylen überein, während Finkeimblättrigkeit bei den (i}' ni n os pc r m e n nicht gefunden wird. Demgemäß waren es auch in den drei Aiinalimen, die wir für den Ursprung der Angiospermen von den Gymnospermen angeführt hatten, jedesmal Dicotylen gewesen, die zunächst von den letzteren abgeleitet wurden. Was nun den Stammbaum der Angiosper- men betrifft, so können wir zunächst nur soviel sagen, daß sich offenbar sehr frühzeitig von dem Hauptast der Dicotylen der große Seitenast der Monocotylen abgezweigt hat, über die weitere Verzweigung haben wir nur Vermutungen, die sich hauptsächlich auf die vergleichende Mor- phologie, zum Teil auch auf die Ergebnisse der Pflanzengeographie stützen. Wir suchen zu er- mitteln, welche Zustände, und vor allem natürlich in den Fortpflanzungsorganen, als alt und ursprüng- lich und welche als jung und neuerworben anzu- sehen sind, und suchen danach die P^amilien an- zuordnen. Hier gilt es dann vielfach zu entschei- den, ob eine einfache Bildung ursprünglich ist oder ob sie nachträglich durch Reduktion aus einem komplizierteren Zustand hervorgegangen ist. So finden wir bei vielen, wenn auch nicht bei allen phanerogamen Schmarotzerpflanzen die Blüten oder wenigstens die Samenknospen und Keiinlinge von sehr einfachem Bau , so daß man vermuten könnte, sie gehörten zu den ur- sprünglichsten Formen. Eine genauere Unter- suchung zeigt jedoch , daß es sich hier wie bei den Pilzen verhält und daß diese einfache Blüten- bildung eine Reduktion ist und in allerdings noch nicht ganz aufgeklärter Weise von dem Parasitis- mus abhängig ist.M Ferner ist das Fehlen der Blumenkrone nicht immer ein Zeichen von ursprünglicher P^infachheit, sondern es kann als eine nachträgliche Reduktion in verschiedenen F"amilien eintreten : deswegen werden nicht mehr die blumenblattlosen F"ormen in eine Gruppe, die der Apetalen, zusammengefaßt, sondern in die anderen (iruppen, wohin sie nach ihren übrigen Merkmalen gehören, verteilt. Man hat nun eine ganze Anzahl progressiver Merkmale oder Merk- male höherer Entwicklungsstufen aus einer gründ- lichen Vergleichung der Blütenverhältnisse und anderer Pligenschaften der Pflanzen zusammen- gestellt ■-) und danach bestimmt, in welcher Weise die zahlreichen Ordnungen und Familien der Angiospermen anzuordnen und welche an die äußersten Enden des Stammbaumes zu setzen sind. Als solche progressive Merkmale in ') Vgl. meinen Aufsatz über Parasitismus und sexuelle Reproduktion im Pflanzenreiche (Biolog. Centralblatt. XX. 1900. p. 561 und p. 785.) ') Vgl. A. Engler, Syllabus der Pflanzenfamilien, 4. Aufl. 1904. G. Senn, Die Grundlagen des Hallier'schen Angio- spermensystems. (Beihefte z. botan. Centralblatt. Bd. XVII. 1904. p. 129.) 420 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 2 / den Blüten gelten unter anderem: eine kleine Zahl der einzelnen Blütenkreise , bestimmte Zahl der Glieder in den Kreisen und Verwachsung dieser Glieder miteinander, wie wir Verwachsung der Blumenblätter und Vereinigung der Staub- gefäße mit der Krone bei den meisten Sym- petalen finden, die deshalb an das obere Ende der Dicotylen gestellt werden. Früher hat man sie als eine gemeinsame Gruppe , als einen Ast aufgefaßt, jetzt gewinnt die besonders von H. Hallier ') verfochtene Ansicht mehr Geltung, daß die Ordnungen der Sympetalen nur zum Teil zusammengehören, einige aber sich an gewisse Ordnungen der Choripetalen anschließen und so an anderen Asten die letzten Zweige darstellen. Wohl mit Recht betrachtet man die C o m p o - siten als die am weitesten fortgebildeten Sym- petalen und stellt sie deswegen an die Spitze der Dicotylen überhaupt, denn bei ihnen kom- men noch zwei Merkmale hinzu , die wir bereits als progressive kennen gelernt haben : die große Artenzahl der Familie und die krautige Ausbildung ihrer Vertreter. Was den letzten Punkt betrift't, so finden wir bei uns bekanntlich nur Kräuter, Stauden und höchstens kleine Sträu- cher, in den Tropen kommen auch strauchige und baumartige Formen vor, aber wenige; ein haben dürften, müssen aber gestehen, daß uns das Wie noch recht im Dunkeln liegt. Es ist zunächst wahrscheinlich, daß die vorwiegend durch Bäume vertretenen I^andanaceen und Palmen alte Gruppen darstellen; daß erstere „wegen vorherr- schender Nacktblütigkeit und wegen großer Un- bestimmtheit in der Zahl der bisweilen auch noch spiralig angeordneten Staubblätter die niederste Stufe einnehmen", ist nach Engler sicher, aber wie sie an die Dicotylen anzugliedern sind, erklärt uns Engler nicht. Jedenfalls am besten vorstellen kann man sich die Art und Weise, wie H. Hallier') die Monocotylen ableitet, näm- lich durch die Gruppe der Helobiae, die uns durch Sagittaria, Butomus, Potamogelon, Elodea u. a. bekannt ist, von den Polycarpi- cae (Nymphaeaceen undRanunculaceen): in Blüten-, Blatt- und Stammbildung sind un- zweifelhafte Ähnlichkeiten vorhanden (Fig. 20), auf die wir nicht weiter eingehen können. Aber auch das weitere System der Monocotylen läßt sich von den Helobien aus entwickeln. Denn Potamogeton mit seinem ährenförmigen Blütenstand kann den Übergang zu den Aroi- deen und vielleicht zu der ganzen früher (Eichler) als Spadiciflorae zusammengefaßten Gruppe bilden, zu der auch die Palmen und Panda- Fig. 20. Links Sagittaria sagittifolia, a Blüten, b Frucht nach F.ntfcrmmg eines Teiles der Carpelle. Rechts Kanunculus sceleratus, a Blüte, b Blüte im Längsschnitt. (Lehrb.) hoher Compositenbaum (Synchodendron ra- miflorum) wächst auf Madagascar, die anderen Bäume sind meistens klein und die berühmten Kohlbäume auf St. Helena sind fast oder ganz ausgestorben. Dabei sind die Compositen mit 10 — 20000 Arten in über 800 Gattungen die größte Pflanzenfamilie und bilden ungefähr den zehnten Teil aller Angiospermen. Unter den Dicotylen ist die zweitgrößte P'amilie die der Rubiaceen mit 4500 Arten, die ebenfalls zu den Sympetalen gehört und neben den Com- positen ihre Stelle findet. Nach der Zahl der Arten folgen aber unmittel- bar hinter den Compositen die Orchideen mit 6 — lOOOO Spezies, also eine Familie der Monocotylen, auf die wir damit übergehen. Wir haben bereits erwähnt, daß sie sich von den Dicotylen gleich bei deren Ursprung abgezweigt ') H. Hallier, Über die Verwandtschaftsverhältnisse der Tubifloren und Ebenalen etc. (Abhandl. aus d. Gebiete der Naturwissenschaften. Hamburg. Bd. XVI. 1901.) naceen gehören. Dagegen führen die Formen mit blumenähnlichen Blüten, wie der Frosch- löffel (Alisma) und die Blumenbinse (Bu- tomus) zu den Liliengewächsen (L i 1 i i - florae) über und von diesen ist der Übergang zu den Scitamineen und Orchideen ziem- lich klar. Die Unterständigkeit des Fruchtknotens, die Reduktion in den Gliedern der Blütenkreise (Staubblattkreis), die symmetrische Ausbildung der Blüte sind Eigenschaften, die auch als progressive Merkmale zu bezeichnen sind, die also die schon oben den Orchideen angewiesene Stellung am Ende der Reihe bestätigen. Auch sind die Orchideen meistens krautig, die holzigen sind immer niedrig, und Sträuchcr oder Bäume fehlen ganz. Andererseits scheinen mir von den Lilia- ceen durch Vermittlung der Binsen (Jun- caceae) und Riedgräser (Cyperaceae) die echten Gräser (Gramina) sich abzuleiten.-) ') Siehe Anmerkung I auf Seite 418 Spalte 2. ^) Vgl. Warming, Handbuch der systematischen Bo- tanik, 2. Aull. (Berlin 1902), S. 202. N. F. VI. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 421 Diese sind fast alle ein- oder mehrjährige Kräuter und nur einige (Bambus) in den Tropen werden baumförmig; mit ihren 3500 Spezies nehmen sie die vierte Stelle unter den nach der Artenzahl geordneten Familien ein. Ihre einfache Blüten- bildung scheint zunächst mehr einem ursprüng- lichen r\-pus zu entsprechen, kann aber auch durch Reduktion entstanden sein,') wenn wir an- nehmen, daß die Blüten aus uns unbekaiuiten Gründen kleiner wurden und dadurch die übrigen Merkmale bedingten: nämlich sie treten dafür in größerer Anzahl in Ständen zusammen und es bilden sich zum Schutz der Blüten Hochblätter aus, die die Hüllen der einzelnen Blüten entbehr- lich machen. Daim haben wir eine gewisse Ana- logie mit den Compositen: auch hier werden die Blüten klein, drängen sich in ein Köpfchen zusammen, das im Involucrum einen gemein- samen Kelch erhält; deshalb ist der Kelch der Einzelblüte als Schutzorgan nicht mehr nötig und wird bei den Compositen zum Flugorgan für die Frucht, zum sog. Pappus verwendet.-) Bei den Gräsern übernehmen die Spelzen den Schutz der Blüte, deren eigene Hülle infolgedessen ganz verschwindet, wenn man nicht die zwei, Lodiculae genannten Schüppchen als ihren Rest auffaßt. Die Gräser sind über die ganze Erde verbreitet, zu ihnen gehören die äußersten Vorposten der Phanerogamen sowohl gegen die Pole als gegen die Schneegrenze der Hoch- gebirge hin; sie treten nicht nur in großer Arten-, sondern auch in großer Individuenzahl auf und spielen dadurch eine dominierende Rolle. Ebenso sind die Compositen über die ganze Erde ver- breitet und sind auffallend reich an Arten und Individuen. Beide Pflanzenfamilien also sind recht typisch für die gegenwärtige Erdperiode als die jetzt in höchster „Blüte" stehenden Gruppen. Man könnte andererseits aus dem großen Verbreitungs- areal einer Pflanzenfamilie auf deren Jiöheres Alter schließen, allein es scheint mir, daß die Zeit, in der sich eine Pflanzenfamilie auf der Erde aus- breiten kann, doch verhältnismäßig gering ist gegen den Zeitraum, in dem sie sich aus einer anderen Familie entwickelt. Indessen müssen wir uns hier mit Meinungen und Vermutungen be- gnügen und nicht viel besser geht es uns mit der ganzen phylogenetischen Entwicklung des Systems der Mono- und Di coty 1 en. Hierüberläßt sich nur sprechen, wenn man sorgfältig auf alle Einzel- heiten eingeht und dazu ist hier nicht der Ort. Indem ich mich also mit den wenigen An- deutungen, die ich über diesen Gegenstand ge- macht habe, begnüge, möchte ich mit der Be- merkung schließen, daß wir in der phylogene- ') Mir scheint, daßF. ngler auf die Fälle, wo zahlreiche Staubgefäße in der GrasbUite vorhanden sind, zuviel Gewicht legt, weil das doch Ausnahmen von dem überwiegenden Typus mit 3 Staubgefäßen sind. (Abhandl. d. Akad. d. Wissensch. Berlin 1892). *) Bei den weiblichen lilülen von.Xanthium umschließt das Involucrum die Blüten so dicht, daß auch deren Blumen- krone verschwindet. 0 8/§ 0 1 ;a >^ ./ u t' s y3 •0 0 / g u' 0 >-, 1 U ! 4- U Po. 1/// Flagellatae 422 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 27 tischen Entwicklung des Tier- und Pflanzenreichs eine Entwickhing vom Niederen zum Höheren, vom Einfachen zum Komplizierteren nach uns unbekannten Gesetzen vor uns haben, die der Entwicklung des einzelnen Organis- mus analog ist. Wie und warum die vielen verschiedenen Sippen entstehen, ist uns ein Ge- heimnis. Bekanntlich hat Darwin die Ent- stehung der Arten durch sog. natürliche Zucht- wahl erklären wollen. Da aber, wie N ä g e 1 i längst gezeigt hat, durch diesen Vorgang nur eine Ausmerzung des unbrauchbar Gewordenen statt- findet und nichts Neues erzeugt werden kann, so vermag uns die Darwin sehe Theorie die Ent- stehung der Arten und die Entwicklung des Systems nicht zu erklären. Man braucht über- haupt nur ins Einzelne und Greifbare zu gehen, man braucht z. B. nur an die ca. 6000 Arten von Diatomeen und 3 — 4000 Arten von Desmi- diaceen zu denken, um zu erkennen, daß mit solchen Prinzipien, wie sie uns der Darwinismus in seinen Theorien von der zufälligen Variation und der natürlichen Auslese liefert, nichts zu machen ist weder für die Erklärung des Systems noch für die der vorhandenen Zweckmäßigkeit. Zu dem Verständnis der letzteren haben wir keine bessere Theorie als die zuerst von Lamarck aufgestellte des aktiven Anpassungsvermögens, aber auch damit ist für das Verständnis des Systems wenig geleistet, denn wir können wohl verstehen, dalj durch ihre Verschiedenartigkeit die Menge der Organismen leichter nebeneinander existieren kann, indem sie sich in verschiedener Weise verschiedenen Verhältnissen anpassen, daß aber die Anpassung eine Erklärung für die Ent- stehung des Stammbaums liefert, kann nur bei ganz oberflächlicher Betrachtung angenommen werden. Gewiß ist die Entstehung der landbe- wohnenden Pflanzen eine Anpassung an die stärker aus den Wassermassen hervortretenden Land- komplexe in der Urzeit und vielleicht kann man damit auch in Zusammenhang bringen den Über- gang von der Sporenbildung zur Samenbildung, aber für die Spaltung der Angiospermen in Mono- und Dicotylen und noch mehr für die Spaltung in alle die vielen einzelnen Familien und Arten fehlt uns das Erklärungsvermögen gänzlich. Wir kommen vielmehr zu der Annahme, daß Anpassung und phylogenetische Entwicklung als ganz getrennte Prinzipien nebeneinander her gehen und wir hüten uns daher, P'ormen, die sich gleichen Verhältnissen in gleicher Weise angejiaßt haben, wie z. B. die Cacteen und die sukkulenten Euphorbien, voreilig für systematisch verwandt zu erklären: das sind Konvergenzerschei- nungen, die nichts mit wirklicher Verwandtschaft, mit dem Stammbaum zu tun haben. Dagegen suchen wir gerade in den von der Anpassung möglichst wenig berührten Verhältnissen syste- matische Merkmale aufzufinden. So ist es bio- logisch irrelevant, aber systematisch wichtig, ob die zum Transpirationsschutz dienenden Haare ein- oder mehrzellig sind, und dasselbe ist der Fall mit der h~in- oder Zweizahl der Integumente an der Samenknospe.') iMn genaueres Studium aller Verhältnisse an der Pflanze wird uns immer näher an das Ziel führen, die wirkliche Verwandtschaft der Pflanzen, also ihren Stammbaum kennen zu lernen, und wir haben damit noch ein großes Arbeitsfeld vor uns. Vielleicht werden wir nach Lösung dieser Aufgabe auch allmählich zum Verständnis der Gesetze kommen, nach denen sich der Stamm- baum selbst entwickelt. Zum Schluß machen wir den Versuch, den Stammbaum des Pflanzenreichs in einer Tabelle darzustellen (siehe vorige Seite), und bemerken dazu, daß die punktierten Linien die größere Lln- siclierheit in der Abstammung angeben sollen, und ein Kreuz vor dem Namen bedeutet, daß die Pflanzengruppe ausgestorben ist. ') Im allgemeinen haben die Choripetalen zwei Integu- mente, die Sympetalen eines. Im übrigen ist das System van Tieghem's {1^'auf des plantes considere comme base de leur Classification, in Annalcs d. scienc. nat. Bot. Ser. VIII, T. 14, 1901) ein durcliaus willkürliches und, weil es auf einem Meikmal beruht, künstliches. Es verdient meiner Ansicht nach die allgemeine Nichtbeachtung, die ihm bisher geschenkt worden ist, vollkommen. [Nachdruck verboten.] Zur Frage : Was ist Leben ? Von Prof. Dr. Friedr. Dahl. Den Aufsatz : M. V e r w o r n , „Die Erforschung des Lebens" (auf S. 273 bis 283 ds. Bds. der Naturw. Wochenschr.) wird jeder, der über diese höchste aller Fragen nachgedacht hat, mit großem Interesse gelesen haben. In derartigen allgemeinen Fragen schweben jedem Forscher in erster Linie die eigenen Er- fahrungen vor und da diese Erfahrungen sich wohl niemals bei zwei Forschern auf biologischem Gebiete völlig decken, wird auch der Gedanken- gang, den die Forscher nach ihren Erfahrungen wählen, etwas verschieden sein. Ja, auch die Schlußresultate werden sich in den meisten Fällen nicht völlig decken. Es sei mir deshalb gestattet, das Fazit dessen, was sich aus meinen Erfahrungen und meinem Denken ergeben hat , hier in aller Kürze darzu- legen. Durchaus beistimmen muß ich den Verworn- schen Darlegungen in bezug auf die Bewertung der Forschungsresultate, welche uns die Erschei- nungen des Lebens in der anorganischen Welt zeigen sollen. Nur einige der allereleinentarsten Grundlagen dessen, was wir am lebenden Orga- N. F. VI. Nr. 2/ Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 423 nisnuis sehen und auch immer nur einzehic dieser Grundlagen hat man an anorganischen Körpern zeigen können. Was man auf diesem Gebiete hergestellt hat, war stets einem Uhrwerk vergleich- bar: Nach kurzer Zeit war es abgelaufen und mußte dann wieder aufgezogen werden. Dem wichtigsten Vorgange bei allen Lebewesen, der Assimilation, hat man bisher noch keinen Vorgang in der anorganischen Welt an die Seite stellen können und dann bleibt noch das Charak- teristischste , der vollkommene Automatismus. ') Immerhin sind die genannten Forschungen äußerst wichtig. Sie haben uns gezeigt, daß vieles von dem, was man früher nur durch Annahme einer Lebenskraft erklären zu können glaubte, im Prinzip auch in der anorganischen Welt vorkommt. Wenn uns die mit einfachen chemischen Ver- bindungen gemachten Experimente z. T. recht roh erscheinen, so müssen wir bedenken, daß die verschiedenen chemischen Verbindungen ganz ver- schiedene Eigenschaften besitzen. Wir dürfen mit aller Sicherheit annehmen, daß die äußerst leicht zersetzbaren Eiweißkörper im lebenden Organis- mus, auch abgesehen von der leichten Zersetzbar- keit, durch Eigenschaften ausgezeichnet sind, die den einfacheren chemischen Verbindungen nicht zukommen. Wegen ihrer leichten Zersetzbarkeit sind uns diese Körper chemisch noch völlig un- bekannt. Was man chemisch analysiert hat, sind nach der Ansicht der Forscher Umwandlungs- und Zersetzungsprodukte. Auf den Eigenschaften der der chemischen Forschung noch völlig unzu- gänglichen Eiweißkörper im lebenden Organismus mögen gewisse Fähigkeiten der lebenden Zellen beruhen, die wir bei anorganischen Körpern nicht kennen und die man sehr wohl als Lebenskraft bezeichnen mag. Im Grunde genommen ist es dasselbe, was man von jeher mit dem Ausdruck Lebenskraft bezeichnet hat, wenn man sich auch über die Grundlagen des Begriffes nicht völlig klar war. Man sieht jedenfalls, daß in dem Aus- druck Lebenskraft an und für sich nichts Mysti- sches liegt. Eine der wichtigsten Aufgaben der organischen Chemie wird es sein, die als Lebens- kraft zu bezeichnenden Eigenschaften jener äußerst unbeständigen Eiweißkörper aufzudecken. Nach dieser Fassung wäre die Lebenskraft auf der Erde aufgetreten, als die ersten so äußerst unbeständigen Eiweißkörper entstanden. Meute können diese nicht mehr entstehen, weil erfahrungs- gemäß jeder Eiweißkörper sofort von Bakterien vernichtet wird. Früher aber, als es noch keine Organismen, also auch keine Bakterien gab, konnten sie existieren. Das ist eine nach unseren Erfah- rungen durchaus zulässige, ja, man möchte sagen, logisch notwendige Annahme. Man sieht, daß mein Gedankengang hier zu etwas anderen Resultaten führt, als derVerworn- sche. Vollkommen einverstanden bin ich wieder mit den Ver worn 'sehen Ausführungen, wenn in den- selben angenommen wird, daß es uns kaum je gelingen wird, einen Körper iierzustellen, den wir als lebenden Organismus bezeichnen können. Wir müßten eine Reihe von Entwicklungsstufen , die auf der Erde vielleicht Millionen von Jahren in Anspruch nahmen, eine Reihe, die von den ersten so unbeständigen Eiweißkörpern bis zu sehr kom- plizierten Zusammensetzungen führten, in der Re- torte nachmachen, um einen Körper zu bekommen, der automatisch assimiliert und sich nach einer bestimmten Zeit teilt. Diese beiden Eigenschaften müßten wir von einem einfachsten Lebewesen notwendig verlangen. Auch in der anorganischen Welt gibt es man- ches, was wir bisher nicht nachmachen können und vielleicht nur deshalb nicht, weil große Zeit- räume zur Herstellung erforderlich sind. Keiner zweifelt aber daran, daß diese Körper bei der Entwicklung des Erdkörpers automatisch entstan- den sind. Möglicherweise werden wir stets da- mit zufrieden sein müssen , wenn es uns gelingt, die automatische Entstehung des Lebens auf der Erde immer wahrscheinlicher zu machen. Eins dürfen wir bei unseren naturwissenschaft- lichen Forschungen nie außer acht lassen : Den Boden der Erfahrung dürfen wir als Forscher nie verlassen. Auch unsere wissenschaftlichen Theorien und Hypothesen müssen sich stets auf Erfahrungen stützen und dürfen niemals mit sicheren Erfahrungen in Widerspruch kommen. — Eng- herzig wäre es freilich , wenn wir einem Natur- forscher verargen wollten, daß er als Nicht- forscher einmal den Boden der Erfahrung ver- läßt, daß er einmal seiner Phantasie und seinen Gefühlen freien Lauf läßt, daß er einmal als Dichter, als Künstler, als Philosoph oder als Theo- soph sich ausspricht. ■ — Verlangen kann und muß man nur, daß er in diesem Falle frei bekennt: Ich habe hier das Gebiet der Naturforschung ver- lassen.^) Zu den Tatsachen der Erfahrung, die der Na- turforscher nie außer acht lassen darf, können wir auch die Kausalität zählen. Nach unseren Erfahrungen hat jeder Vorgang, den wir beobachten, seine Ursache. Freilich gibt es Vorgänge, deren Ursachen wir nicht völlig übersehen. Je tiefer die Forschung aber in dieselben eindringt, um so klarer wird uns, daß auch hier Ursachen nicht fehlen. Es ist gerade die höchste Aufgabe der Wissenschaft, überall nach den Ursachen zu suchen, und sehr bedenklich wäre es, wenn wir anfingen, uns bei unseren naturwissenschaftlichen Forschun- gen damit zu beruhigen, daß gewisse Vorgänge vielleicht keine Ursachen haben oder daß die Ur- sachen unerforschbar sind. Gibt es Grenzen, so werden diese sich uns schon von selbst aufdrän- gen. Daß wir uns bei Erforschung der Ursachen ') Vgl. Naturw. Woclicnschr. N. V. Bd. 4, 1905, S. 63. ') Man vgl. das letzte Ka]ntel meiner kleinen Schrift: Notwendigkeit der Religion, eine letzte Konsequenz der D^r- win'schen Lehre. Heidelberg 1886, 424 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 27 streng an Erfahrungstatsachen halten müssen und nicht Ursachen aus der Luft greifen dürfen, be- darf eigentlich keiner Erwähnung. Scharf unterscheiden müssen wir bei allen Vorgängen zwischen den Ursachen und den Bedingungen, unter welchen ein Vorgang zu- stande kommt. In der anorganischen Welt hat man diese Unterscheidung schon lange scharf durchgeführt. — Eine elastische Kugel wird, wenn sie auf eine andere stößt, diese veranlassen, fort- zurollen, aber nur unter bestimmten Bedingungen. Eine dieser Bedingungen ist die, daß die zweite Kugel nicht befestigt ist. Die Ursache des Fortrollens aber bleibt in diesem Falle einzig und allein der Stoß. — In der organischen Welt liegen die Fälle oft viel verwickelter als in der anorga- nischen Welt und daraus ergibt sich denn , daß man Ursachen und Bedingungen oft verwechselt hat. Mehr als in der anorganischen Welt mag es in der organischen Welt auch vorkommen, daß verschiedene Ursachen gleichzeitig einwirken. Die Feststellung der Ursachen und Bedingungen mag oft sehr schwierig sein. Immer aber bleibt es die letzte Aufgabe der Forschung, diese auf- zudecken. Eine Theorie, die uns instand gesetzt hat, vieles auf Ursachen zurückzuführen, was bis dahin un- erklärbar schien, ist die Selektionstheorie. Die überall in der organischen Welt zu beobachtende Zweckmäßigkeit wird durch sie auf einfache Ur- sachen zurückgeführt. Wir müssen diese Theorie deshalb anderen Deszendenztheorien vorziehen, die nicht das gleiche leisten, vorausgesetzt natür- lich, daß sie nicht mit Tatsachen der Erfahrung in Widerspruch kommt. Daß die Widersprüche, die man bisher entdeckt zu haben glaubte, nur scheinbare sind, habe ich an anderer Stelle darzu- legen gesucht. ') In meiner Stellung zur Kausalität stehe ich also wieder auf einem anderen Standpunkt als der V e r w o r n ' sehe Aufsatz. Wir kommen jetzt zu dem schwierigsten Pro- blem in unserer Frage, zu den psychischen Vor- gängen. — Ich meine, daß wir uns auch hier streng an unsere Erfahrung halten müssen. Die Erfahrung lehrt uns das Psychische nur in uns selbst kennen. — Gehen wir von den ein- fachen psychischen Vorgängen aus, so können wir in unserem Bewußtsein Wahrnehmungen und Vorstellungen scharf voneinander unterscheiden. Da unsere Wahrnehmung uns zugleich die Organe kennen lehrt, mittels deren wir wahrnehmen, haben wir allen Grund , die Objekte unserer Wahrneh- mung im Gegensatz zu den Objekten unserer Vorstellung als etwas Wirkliches, außer uns Exi- stierendes aufzufassen. Diese Annahme wird uns durch die lückenlose kausale Verkettung aller Wahrnehmungen gleichsam zur Gewißheit und schafft uns die feste Basis für alle unsere For- schungen. ') Vgl. Biolog. ZenUalbl. Bd. 20, 190b, S. I (if. Durch unsere Wahrnehmungen lernen wir unsere Mitmenschen kennen, Wesen, die in ihrem ganzen Bau uns gleichen. Durch unsere Wahrnehmungen lernen wir auch ihre Handlungen kennen , ihre Sprache usw., die uns zu dem sicheren Schluß berechtigen , daß in ihnen dieselben psychischen Vorgänge sich vollziehen wie in uns. Diese An- nahme, so gewiß sie uns erscheint und erscheinen muß, beruht, das läßt sich nicht leugnen, streng genommen auf einem Analogieschluß. — Ein weiterer Analogieschluß, der einen sehr hohen Grad von Wahrscheinlichkeit besitzt, führt uns zu der Annahme, daß auch bei den höheren Tieren psychische Vorgänge einfacherer Art nicht fehlen. In ihren Handlungen erkennen wir manches, was wir uns e rf ah r u n gs mäßig ohne die Annahme eines Bewußtseins nicht erklären können. Das- selbe gilt für alle Tiere , denen ein Gehirn , ein Zentralorgan des Nervensystems zukommt. Da das Gehirn beim Menschen erwiesenermaßen das Organ der psychischen Vorgänge ist, erhält unsere Annahme von dieser Seite eine weitere sichere Stütze. Anders ist es, wenn wir noch einen Schritt weiter gehen, zu den Tieren, welche kein Zentral- organ des Nervensystems besitzen, und zu den Pflanzen. Auch bei ihnen beobachten wir oft zweckmäßige Bewegungen. Diese gleichen aber völlig denjenigen Bewegungen, welche wir selbst ohne Einschaltung des Bewußtseins ausführen, unseren Reflexbewegungen. Wollen wir auch diesen Organismen psychische Vorgänge zuschreiben, so haben wir den Boden der Erfahrung, der Natur- wissenschaft verlassen. Wir würden verallgemei- nern, ohne daß dazu die Erfahrung den geringsten Anlaß gibt. Es mag hinzugefügt werden, daß das Bewußtsein für die Erhaltung jener Organismen nicht die geringste Bedeutung haben würde, wäh- rend es bei den höheren Tieren das harmonische Funktionieren der verschiedenen Organe herbei- zuführen hat. Was ist nun das Psychische in uns? - Man hat gesagt, es sei eine Form der Bewegung in unserem (jehirn. Die neuere Forschung hat näm- lich ergeben, daß das, was wir früher als Wärme, als Licht, als Elektrizität, als chemische Einwir- kung usw. unterschieden, nur verschiedene Formen der Bewegung sind. Was lag näher als diese Er- fahrung zu verallgemeinern und auch auf die psychischen Vorgänge auszudehnen. Und doch handelt es sich um eine naturwissenschaftlich un- zulässige Verallgemeinerung. Wenn man die an- deren genannten Vorgänge auf Bewegung kleinster Teile zurückführte, so stützte man sich auf ganz bestimmte Erfahrungstatsachen. Dafür aber, daß das Psychische Bewegung sei, sprichtauch nicht eine einzige Erfahrungstatsache, im Gegenteil, es steht, wie wir gleich sehen werden, mit unserer Erfah- rung in Widerspruch. Wohl haben wir allen Grund anzunehmen, daß im Gehirn Bewegungs- vorgänge sich vollziehen. Allein, wenn man sich die Bewegung im Gehirn, in welcher F'orm sie N. F. VI. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 42 s sich auch immer vollziehen mag, vorstellt, sie bleibt immer etwas von dem, was man im Be- wußtsein kennt, total Verschiedenes. Halten wir uns also streng an die Erfahrung, so müssen wir beides für etwas Verschiedenes halten. Unsere Erfahrung lehrt uns lediglich einen Parallelismus. Machen wir daraus eine Identität, wie die Monisten es tun, so haben wir den Boden der Erfahrung verlassen und befinden uns auf dem Gebiete der Mystik. Nicht eine einzige Erfahrungstatsache können wir zur Stütze der Identität anführen. Aber noch eine weitere Klippe gibt es, an welcher der Monismus scheitern muß. Es ist das Einheitsgefühl in unserem Bewußtsein. — Unser Körper und auch unser Gehirn besteht, wie wir wissen, aus zahllosen Zellen. Jede Zelle besteht wieder aus zahllosen Molekülen und Atomen. Trotz dieser Vielheit, aus welcher der Körper und das Gehirn besteht, fühlen wir uns als Einheit, nicht nur als Zusammengehörigkeit, wie die (ilie- der eines Staates, sondern als absolute Elinheit. — Man hat die Tragweite dieser Tatsache erkannt und hat an der Einheit zu rütteln gesucht. Allein mit wenig Erfolg. Die wenigen krankhaften I'^älle von Doppelbewußtsein, die man angeführt hat, zeigen uns, daß ein lückenhaftes oder sogar inter- mittierendes Gedächtnis vorhanden sein kann, weiter nichts. Immer fühlt sich der Mensch zu einer bestimmten Zeit als Einheit. Nach der monistischen Weltanschauung würde man sich diese t-rfahrungstatsache nur so erklären können, daß man annimmt, ein Atom übernehme die Herrschaft über die anderen. — Gegen diese An- nahme spricht aber eine zweite Erfahrungstatsache, nämlich die, daß man jeden beliebigen Teil aus dem Gehirn entfernen kann, ohne daß das Ein- heitsgefühl notwendig gestört würde. Das einheitliche Bewußtsein in uns beweist uns also, daß das Psychische in uns etwas ist, was sich den Gesetzen, die wir sonst in der Materie kennen, nicht ohne weiteres fügt. — Wir brauchen keineswegs anzunehmen, daß die Ein- heit etwas wirklich Einheitliches ist. Es kann sehr wohl ein Teil einer Vielheit sein. Es muß sich dann aber um ein Etwas handeln, das zu der Materie und zu der Bewegung der Materie als Drittes hinzukommt. Ein Etwas, das vielleicht alle Körper, auch die anorganischen, durchdringt, das aber bisher nur da für uns nachweisbar ist, wo sich die so leicht zersetzbaren E^iweißmoleküle des Gehirns finden. Vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus läßt sich über dieses Etwas vor- derhand gar nichts sagen, als daß es existiert. So sehr man sich auch gegen den Dualismus sträubt, man wird nicht um ihn herumkommen, wenn man, wie es einem Naturforscher zukommt, streng auf dem Boden der Erfahrung bleibt. Kleinere Mitteilungen. Mit mehr oder weniger Skepsis werden die Zoologen vorläufig die Mitteilungen von Th. Krum- bach, Assistent am zoologischen Institute in Breslau, aufnehmen, der im zoologischen Anzeiger') in einer Arbeit: ,,Trichoplax , die umgewandelte Planula einer Hydromeduse", den Nachweis zu führen versucht, daß der wohlbekannte Trichoplax zum Ausgangspunkte „die thigmotaktisch gewor- dene Planula der Hydromeduse Eleutheria" habe. In mehrere Monate altem Seewasser mit ab- gestorbenem Plankton, lebender Eleutheria, Clava- tella etc. beobachtete Krumbach das plötzliche Auf- treten von Trichoplax adhaerens F. E. Schulze. Da ihm bei gelegentlicher Untersuchung die Ähn- lichkeit in den Geweben zwischen Trichoplax und Eleutheria und weiter der Umstand auffiel, daß der erstere erst erschienen war, nachdem die letzt- genannte geschlechtsreif geworden war, kam er auf die Vermutung, daß Trichoplax ,,ein Glied im Zeugungskreis der Meduse" sein könnte. Es gelang ihm vor allem kleinere Trichoplax aufzufinden bis zu einem sehr kleinen frreischwimmenden Stadium. Um nun festzustellen, ob dieses mit der Planula von Eleutheria identisch sei, verglich er einmal Schnitte durch eine Planula und durch Trichoplax — das Resultat bestärkt ihn in seiner Vermutung — , weiters trachtete er zu beobachten, wie sich eine frisch ausgeschlüpfte Planula zu jenem Ausgangs- punkte des Trichoplax verhalte. Hier erhielt er kein exaktes Resultat. Schließlich bemerkte er noch, daß sich eine andere Planula, die sich auf Detritus festgesetzt hatte, nicht zum Trichoplax ausbildete. Auf die Frage, ob der Trichoplax ein notwendiges Glied im Zeugungskreise der Eleutheria oder eine aus der normalen Entwicklung gedrängte Larve ist, geht er nicht ein. Dem Referenten scheint der aus den mitge- teilten Beobachtungen gezogene Schluß keineswegs genügend durch diese gestützt und zum mindesten verfrüht, hoffentlich werden exakte Untersuchungen und Beobachtungen bald Aufklärung bringen. Dr. F. Urban (Plan). Zool. Anz. 1907, Nr. 13/14, pp. 450—454. Die Nahrung der Hochmoorpflanzen. — Auf t^rund des wiederholten Eingehens auf den Begriff Hochmoor in der N. W. werde ich aus dem Leser- kreise gefragt, wo denn nun die Hochmoorpflanzen • — nachdem sich der Torf angehöht hat, so daß terrestrische Wässer keine mineralische Nalirung zuzuführen imstande sind — ihre mineralischen Bestandteile herbekommen. Darauf gebe ich folgende Antwort. In der Tat vermögen die Hochmoorpflanzen durchaus nicht ohne mineralische Nahrung aus- zukommen und sich ausschließlich von Luft 426 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 27 und Wasser zu ernähren: dem widersprechen die chemischen Analysen sowohl des Hochmoortorfes als auch der Hochmoorpflanzen, die mineralische Aschenbestandteile enthalten. Die einzige mineralische Nahrung, die den Hochmoorpflanzen zur Verfügung steht, ist die- jenige, die sie dem Moorboden, der Asche der vertorften und vertorfenden Pflanzen, entnehmen und der Staub der Atmosphäre. Mineralischer Staub ist stets vorhanden und oft genug ist er sehr auffällig bemerkbar, namentlich wenn er plötzlich vom Regen niedergeschlagen wird, auch dann, wenn der Staub von weither kommt wie aus dem nordafrikanischen Wüstengebiet bis nach Norddeutschland. Meist ist er nur mit Zuhilfe- nahme besonderer Veranstaltungen nachweisbar, aber stets vorhanden. Die Zahl der Staubteilchen in der Atmo- sphhäre hat vor etwa 20 Jahren John Aitken zu bestimmen versucht. Er hatte die auch von anderen bestätigte Erfahrung gemacht, daß bei der Kondensation übersättigten Wasserdampfes in der Luft die Nebelkörperchen sich auf den Staub- teilchen als festen Kernen niederschlagen. Diese Voraussetzung, daß jedes Nebeltröpfchen ein Staubteilchen als Kern enthält, ist indes, wie R. V. Helmhol tz nachgewiesen hat, nicht streng richtig, indem auf die Kondensierung übersättigten Dampfes in der Luft noch andere Momente von Einfluß sind. Gleichwohl kann Verfassers Ver- fahren dazu dienen, annähernd die Anzahl der Staubteilchen in der Luft zu ermitteln. Dasselbe beruht auf folgender Überlegung: Wird die zu untersuchende I.uft in ein Glasgefäß gebracht und mit Wasserdampf gesättigt, alsdann durch Ver- dünnung mit der Luftpumpe übersättigt, so bildet sich ein Nebel, von dem jedes Tröpfchen ein Staubteilchen als Kern enthält. Durch Zählung der Tröpfchen erhält man die Anzahl der Staub- teilchen. Wiederholt man diese Nebelbildung sehr vielmal und zählt man jedesmal die Nebeltröpfchen, so erhält man die Anzahl der Staubteilchen. So- bald die Luft staubfrei ist, findet keine Nebel- bildung mehr statt. Letzteres ist aber nur be- dingungsweise richtig, indem auch viele Nebel- tröpfchen sich ohne festen Kern bilden durch Er- schütterung der stark übersättigten Luft. Einige Messungen haben folgende Resultate ergeben: Zahl der Staubteilchen im Kubikzentimeter Außenluft, Regen 32000 „ schön Wetter 130 000 In roherer Weise, aber sehr bequem und in- struktiv, kann man (nach G. von dem Borne) den Staub in der Atmosphäre konstatieren durch eine große mit Glyzerin bestrichene Porzellanschüssel, die man mehrere Stunden dem Winde aussetzt; durch Abwaschen der Schüssel mit destilliertem und filtriertem Wasser sammelt man den angeklebten Staub und kann nach dem Verdampfen des Wassers sein Gewicht bestimmen. (Aus Joh. Walther, Vorschule der Geologie 1905, p. 29.) Solche Erfahrungen sind für uns insofern wichtig, weil sie darauf hinweisen, daß den Mooren stetig durch die Niederschläge mineralische Staub- teile zugeführt werden müssen, wie allen Böden, die von Regen getroffen werden. Diesbezüglich sei auf die bekannte luftreinigende Wirkung von (jewittern aufmerksam gemacht, die auch experi- mentell von Aitken bestätigt wurde. Er kon- statierte ') an einem Tage auf dem Rigi-Kulm vor einem ganz nahen Gewitter ca. 4000 Staubteilchen in I ccm Luft, als das Gewitter herannahte (6 Uhr) fiel ihre Zahl auf 3000, um 7 Uhr 10 Min., als das Gewitter nahezu vorüber war, sank die Zahl auf 725. Oft genug aber ist Staubfall auch ohne weiteres sowohl auf Hochmooren als auch auf dem Meere weit entfernt von den Kontinenten nachweisbar. So begegnete der Passagierdampfer „Prinz Eitel I'riedrich" der Hamburg - Amerika - Linie Ende Januar 1905 auf seiner Reise von Santos nach Hamburg, unweit der Cap Verdischen Inseln in etwa 400 km Entfernung von der afrikanischen Küste einer von dieser herüberwehenden Staub- wolke von großer Ausdehnung und Dichtigkeit. Die Luft wurde so dick, daß der die Straße zwischen St. Antonio und St. Vincent ansteuernde Dampfer seinen Kurs ändern und ihn westlich um St. Antonio herum nehmen mußte. Trotz des veränderten Weges und der wachsenden Ent- fernung vom Lande kam der Dampfer erst nach 40 Stunden aus der Staubwolke, während welcher Zeit sich das Deck mit einer dichten Staubschicht bedeckt hatte.-) Hervorragendere Staubfälle sind aber durchaus nichts Ungewöhnliches; Ch. Darwin hat vielmehr schon gezeigt, ■^) daß alljährlich wäh- rend 4 Monaten eine große Menge Staub von dem nordwestlichen Afrika durch den Wind sehr weit in den Atlantischen Ozean hinausgeführt wird. Die äolischen Löß-Ablagerungen Norddeutsch- lands und Chinas sind ferner Beispiele, wie ge- waltig auf den Kontinenten Staub-Ansammlungen mit der Zeit werden können und gelegentliche größere und dadurch auffällige Staubfälle erläutern uns, daß der Staub überall hinkommt. So der große Staubfall im Jahre 1901.^) Ein riesiger Sturm hob in der Wüste südlich lieh von Tunis ungeheure Massen von Staub empor und führte sie mit einer Geschwindigkeit von 70 km in der Stunde nach Norden. Hierbei fielen ^) Vgl. die englische Zeitschrift ,,Naturc" 1892, Bd. 45, p. 299. -) Vgl. auch z. B. E. Herrmann ,,Die Staubfälle vom 19. bis 23. Februar 1903 über den Nordatlantischen l>zcan, Großbritannien und Mitteleuropa" (Ann. der Hydrographie und maritimen Meteorologie. Berlin 1903, p. 425 ff.) ■') Besprechung des feinen Staubes, der oft auf Schiffe im Atlantischen Ozean fallt. (Quart. Journ. Geol. Soc. Lon- don 1846. *) Vgl. Hellmann und Meinardus, Der große Staubfall vom 9. — 12. März 1901 (Abt. d. K. meteorol. Instituts Berlin II, Nr. l). — Häpke in den Abhandl. des naturw. Vereins zu Bremen 1902. — J. Walthcr, „Der große Staubfall von 1901 und das Lößproblem" (Naturw. Wochenschr. vom 20. Sept. 1903, Nr. 51, p. 603—605), N. F. VI. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 427 die quari^reichercn, schweren Mengen zuerst nieder, so daß man die Menge des in Nordafrika ge- fallenen Staubcs auf 1 50 Mill. Tonnen berechnen konnte. Die feineren Staubteilchen wurden bis nach der Ostsee getragen, und wurden auf ihrem Weg durch sehr verschiedenartige Kräfte zu Boden geführt. Ein Teil fiel als trockener Staub nieder, andere Mengen wurden durch Regen (Hlutregen) und eine nicht unbeträchtliche Menge durch Schnee herabbefördert. Grolie Mengen von Salzstaub wurden ') bei einem gewaltigen Sturm am 22. Dezember 1894 tief im Innern Englands beobachtet. Selbst in Birmingham wurden noch Pflanzen, ja selbst h'enster von einer Salzkruste überzogen. Das Salz stammte von den in der Luft zerstäubenden Wellen der Meeresbrandung und war vom Sturm bis in diese Gegenden mitgerissen worden. Prof Dr. O. Mügge in Münster teilte ferner der deut- schen Seewarte mit,'-) daß er am Morgen des 23. Dezember die Fensterscheiben von einer weiß- lichen Masse überzogen gefunden habe, welche er als einen Salzrückstand der in der Nacht ge- fallenen Regentropfen erkannt habe, und welche natürlich denselben Ursprung hatte, wie die in England beobachteten Salzkrusten. Der Münster zunächstliegende Teil des Meeres, die Küste der Zuyder-See, ist nicht weniger als 135 km entfernt. Besonders augenfällig sind Staubmassen auf Eis , so weit entfernt vom Lande , daß man wie Nordenskiöld für Grönland an Meteorstaub gedacht hat. Aber auch auf Hochmooren selbst kann man unter Umständen trotz der den Staub so ungemein leicht verdeckenden dunklen Farbe des Torfes Verstaubung mit bloßen Augen be- obachten. So schreibt P. Vageier: •'■) „Ein gutes Beispiel für ein „verstaubtes" Hochmoor bietet Karolinenfed (im südl. Bayern). Der ganze Torf ist mit Glimmerblättchen durchsetzt." Eine wichtige Tatsache — worauf Wilh. Graf zu Leiningen mit Recht aufmerksam macht *) — ist die F'ilterwirkung randlicher Waldbestände von Hochmooren für den durch Horizontalwinde mit- geführten Staub, wodurch in solchen Fällen eine Anreicherung am Rande stattfindet. Aber auch in Wasser lösliche Verbindungen nimmt das Regenwasser aus der Luft auf und zwar kann das N-Bedürfnis der Pflanzen dadurch zum Teil befriedigt werden. A. Levy'') hat ge- zeigt, daß der Gehalt der meteorischen Wässer an Ammoniakstickstoff größer ist als an Nitrat- ') Nach einer Mitteilung in Symon's „Monthly Meteoro- logical Magazine" (Januarnummer 1S95). *) Vgl. ,,Annalen der Hydrographie und maritimen Meteoro- logie" (Aprilnummcr 1895) in einem Aufsatz von W. Koppen über den „Sturm vom 22. Dezember 1894." ') Unters, über den Kaligehalt des Moorbodens, Bernau 1904, p. 5 (des Separatabzuges). *) Die Waldvegetation praealpiner bayer. Moore (Naturw. Zeitschr. f. Land- und Forstwirtschaft, München 1907, p. 18 des Separats). ^) Wollny's Forschungen auf dem Gebiete der Agrikullur- physik 1894, Bd. XVll, S. 217 und 218. stickstofi', wie aus folgenden Durchschnittswerten, zu denen er durch 1 6 jährige Beobachtungen (1876 — 1891) gelangt ist, hervorgeht. Die mittlere Ammoniakstickstofi'menge beträgt hiernach, pro Liter berechnet, 1,88 mg, pro ha berechnet, 0,863 kg ; die mittlere Nitratsstickstoffrnenge, pro Liter berechnet, 0,71 mg, pro ha berechnet, Oi3-7 ''^g- Durch nachstehende Zahlen zeigt der genannte Autor, daß die Wässer während der kälteren Jahreszeit an Stickstoff reicher sind als während der wärmeren, trotzdem im erstereii halle die Niederschlagsmenge eine geringere ist als im letzteren : Niederschlags Gebundener .Stickstoff höhe jiro Liter November- —April 246.0 mm 2.83 mg Mai— Oktober 304.5 „ 2.43 „ Dies findet seinen Grund darin, daß die Nieder- schläge während der kälteren Jahreszeit, welche als Nebel, Schnee, Tau und Reif auftreten, sich durch einen hohen Gehalt, besonders an Ammo- niakstickstoft', auszeichnen. Während im Mittel ein Gehalt von 1,88 mg Ammoniakstickstoff und 0,71 mg Nitratstickstoft" gebunden wurde, ent- hielten Nebelwässer im Mittel an Ammoniakstick- stoff pro Liter 24,7 mg, an Nitratstickstoff nur 0.7 mg, und Reifwasser an Ammoniakstickstoff pro Liter 10,6 mg, an Nitratstickstoff 1,0 mg. Hinsichtlich der absoluten Menge des in den Niederschlägen zugeführten Stickstofis ergibt sich während der wärmeren Jahreszeit ein kleiner Überschuß im Vergleich zur kälteren. Dies er- hellt aus folgenden Zahlen : Niedersclihigshöhe Stickstoff pro ha November — April 246,0 mm 6,935 kg Mai— Oktober 304,5 „ 7,348 „ Die dem Boden zugeführte Stickstofifmenge steigt demnach mit der Niederschlagshöhe, wäh- rend der prozentische Stickstoftgehalt zu letzterer in einem umgekehrten Verhältnis steht. Dem- gemäß ist die Niederschlagsmenge für die Stick- stoffmenge vornehmlich maßgebend, welche dem ])oden zugute kommt. Der geringen Nahrungsmenge, die der Hoch- moorvegetation aber dennoch im ganzen zur Verfügung steht, entsprechen besondere Eigen- tümlichkeiten im Bau und Leben von Hochmoor- pflanzen, die gerade offenbar in erster Linie um des Stickstoffs willen vorhanden sind, den zu ge- winnen für diese Organismen sehr nützlich ist. Am merkwürdigsten erscheint diesbezüglich der Insektenfang durch die Laubblätter, wie das u. a. bei Drosera der P'all ist, die sich durch ihre Car- nivorie von der sonst dem Boden entnommenen Nahrung unabhängig gemacht hat. Außer Drosera ist bei uns als Moorpflanze, resp. Art, die auf nahrungsarmen Böden wächst, zu nennen Pingui- cula vulgaris und ferner ist im Wasser auf die Arten von Utricularia hinzuweisen. „Indessen kommt — sagt A. F. W. Schimper^) — die ') Pflanzengeographie, Jena 1S98, p. 695. 428 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 27 fleischfressende Flora unserer Moore neben der- jenigen der nordamerikanischen gar nicht in Be- tracht. So sah ich auf den Hochmooren von Massachussets, außer großen Droseren, Sarracenia purpurea und die bodenbewohnende Utricularia cornuta einen wesentlichen Teil der Vegetation bilden, und in Florida stattliche Insektenfresser, wie Pinguicula lutea, elatior und pumila, Sarra- cenia variolaris die Moorvegetation geradezu be- herrschen. Außerhalb der Moore bewohnen die fleischfressenden Pflanzen vorwiegend sterilen Sand, also ein Substrat, welches, wie der Torfboden, durch große Armut an Nährstoffen ausgezeichnet ist." Es ist sehr leicht, sich davon zu überzeugen, daß die carnivoren Pflanzen energisch stickstoff- haltige animalische Nahrung aufnehmen. Wenn man ein Stückchen Moorboden (Moos etc.) mit Drosera oder Pinguicula in stagnierendem Wasser kultiviert und die Blätter mit kleinen Stückchen von hartgekochtem Ilühnereiweiß belegt (zur Kon- trolle sind auch daneben auf den Boden eben- solche Stückchen zu tun), sieht man — z. B. bei Pinguicula schon über Nacht — das Eiweiß er- weichen und schließlich verschwinden, indem es vom Blatt aufgenommen wird (während die Stück- chen auf dem Boden völlig intakt bleiben). Das Tierleben ist in den Hochmooren zwar vergleichsweise gering, aber manche gesellige In- sekten wie die Mücken sind nur gar zu oft ebenso wie in Flachmooren eine Plage, so daß die car- nivoren Hochmoorpflanzen in der Zeit ihrer größten Lebenstätigkeit sehr reichlich Gelegenheit haben Insekten zu fangen und dadurch insbesondere ihren Stickstoffbedarf zu decken; es sind von Insekten nicht selten Käfer, P^liegen, Hautflügler und Motten, ja sogar große Schmetterlinge (Pieris Daplidice und Rapae) sind von H. v.Klinggraeff ') in Massen durch Drosera gefangen beobachtet worden. Dann ist noch als besondere lugentümlichkcit nahrungsarmer Böden, also auch von Hochmoor- böden , zu erwähnen , daß die sie bewohnenden Pflanzen gern verpilzte Wurzeln (Mycorhizen) be- sitzen. Man ist der Meinung, daß durch die Ver- mittlung der Pilze (Bakterien und P'adenpilze) eine zweckdienlichere Phnährung der Moorpflanzen zur Gewinnung von Stickstoff aus der Luft ermöglicht wird, indem die ,, Stickstoffbakterien" den gasför- migen Stickstoff der Atmosphäre zu binden und für die höheren Pflanzen nutzbar zu machen wissen. H. Potonie. ') Schmetlcrliugsüing der Drosera anglica (Nalurwissensch. Wochenschr. vom 27. IV. 1890). 4'' 12™, d'=-|-28° (nordöstlich der Plejaden) auf- genommene Platten zeigen in denjenigen Teilen, in welchen die Sterne zahlreich und dicht gedrängt sind, auch zwischen den Sternen einen allgemeinen, feinen Lichtschleier; dieser ist jedoch in unregel- mäßig verlaufenden Bändern von dunklen P'urchen durchzogen , in denen sowohl der Lichtschleier, als auch die lichtschwächeren .Sterne völlig fehlen. Bereits bei den großen Nebeln in der Nähe von Q Ophiuchi sowie v Scorpii hatte die nahe Be- ziehung zwischen Nebelmassen und den diese oft umsäumenden sternarmen Gegenden (Sternwüsten) die Aufmerksamkeit erregt und den Gedanken nahe gelegt, daß jene Sternarmut gewisser Stellen des Himmels hervorgerufen sein könnte durch die Absorption des Lichtes schwächerer und weiter entfernter Sterne durch das nicht mehr leuchtende Material „abgestorbener" Teile des Nebels. Das „Absterben" (dying-out) der Nebel ist nach Bar- nard ebenso wahrscheinlich wie das Verlöschen der alternden Sterne, denn die ausgedehnten Nebel- massen des Himmels braucht man gewiß nicht durchweg im Sinne der Kant-Laplace'schen Theorie als Entwicklungsstadien künftiger Fixsterne auf- zufassen. Inmitten der Haupt-Sternwüste, welche die Barnard'schen Platten zeigen, steht ein ziemlich großer Nebel, und von diesem erstreckt sich eine der dunklen Furchen über mehrere (xrad gen Süd- westen. Der helle Teil dieses Nebels scheint nur ein kleiner Teil des ganzen Objekts zu sein, die sternarme P'urche bezeichnet seine weitesten Aus- läufer, die allerdings auf der vorliegenden Auf- nahme keine Schwärzung der Platte bewirkten, sondern sich nur durch die Absorption des Lichtes dahinter stehender Milchstraßensterne verraten. Der größte Teil dieses Nebels dürfte demnach als tot oder nichtleuchtend aufzufassen sein. Die wenigen, in der Furche sichtbaren Sterne stehen vermutlich vor dem abgestorbenen Nebel. Kbr. Über ein nebliges Streifensystem im Stern- bilde des Stiers berichtet E. E. Barnard im Aprilheft des Astrophysical Journal. Mehrere bei 5 ^/„ -stündiger Exposition mit lO- und 6- zölligen Porträtlinsen in der Umgebung des Punktes a = Vereinswesen. Deutsche Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde (E. V.). — Im großen Hörsaal der Königl. Landwirtschaftlichen Llochschule sprach am Donnerstag, den 7. März, Herr Prof Dr. A. Zimmermann, Botaniker an dem Kaiserl. Biologischen Institut zu Amani (Usambara) über: „Urwald und Kulturen in Deutsch-Ostafrika". Er betont zunächst, daß wir in unserer Deutsch- Ostafrikanischen Kolonie Urwälder besitzen , die mit zu den üppigsten Urwäldern der Welt ge- hören und , wie die vorgeführten Lichtbilder er- kennen lassen, reich sind an interessanten Pflanzen- formen und landwirtschaftlichen Schönheiten. Cie- zeigt wurden u. a. Lichtbilder von kräftigen Lianen, Bretterwurzeln, verschiedenen Epiphyten, Baum- würgern, Baumfarnen u. dgl. Allerdings zeigt natürlich nur ein Teil unserer N. F. VI. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 429 Kolonie eine so üppige Vegetation. Daß aber auch die an Ausdehnung bedeutend überwiegen- den lichten lUischsteppcn, Grasflächen u. dgl. sehr gut zu nutzbringenden Kulturen zu verwenden sind, beweisen zur Genüge die h'rfahrungcn, die, namentlich in den letzten Jahren, gerade auf der- artigem Gelände mit verschiedenen Kulturiiflanzen gemacht sind. Zu erwähnen ist in dieser Be- ziehung in erster Linie der Sisalhanf, der auf ver- schiedenen l'lantagcn bereits sehr günstige Resultate geliefert hat. Daß auch die Baumwolle in ver- schiedenen Teilen von Deutsch-Ostafrika gut ge- deiht, wurde durch zahlreiche Versuche nachge- wiesen. Günstige Resultate wurden ferner in ver- schiedenen Gegenden auch mit Manihot Glaziovii, der Stammpflanze des Ceara-Kautschuks, erzielt. Der Redner zeigt auch an einer Anzahl von Licht- bildern , wie schnell sich Manihot Glaziovii und verschiedene andere Kautschukbäume in Deutsch- Ostafrika entwickeln und wie aus denselben der Kautschuk gewonnen wird. Außerdem demonstrierte Redner noch ver- schiedene Bilder, auf denen zahlreiche andere, namentlich in Amani gezüchtete Nutzpflanzen abgebildet sind. Erwähnt seien unter diesen na- mentlich Chininbäume, von denen bereits versuchs- weise Rinde geerntet wurde. Dieselbe ist nach den in Deutschland ausgeführten Analysen den entsprechenden, aus Java stammenden Rinden voll- ständig gleichwertig. Von Faserpflanzen werden auch die in Deutsch- Ostafrika einheimischen Bastbananen vorgeführt, von denen in Amani bereits kleine Versuclispflan- zungen angelegt sind , ebenso auch von der den echten Manila-Hanf liefernden Musa textilis. Außer- dem werden zahlreiche Nutzhölzer, Kampferbäume, Kaffee, Pfeffer, Bambus, Rottan, Fruchtbäume und andere Nutzpflanzen in Lichtbildern vorgeführt. Am 14. März hielt der Vorsitzende der Gesell- schaft, Herr Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. L. Kny im großen Hörsaale der Königl. Landwirtschaftlichen Hochschule einen durch zahlreiche Wandtafeln erläuterten Vortrag über „Bau und Leben der W a s s e r ]i f 1 a n z e n ". Nachdem er hervorgehoben hatte , daß alles Lebendige aus dem Wasser geboren sei und daß die Pflanzenwelt erst allmählich vom festen Lande Besitz ergriffen habe, ging er auf die Lebensbe- dingungen der im Wasser untergetaucht lebenden Pflanzen im Gegensatz zu den Landpflanzen ein. Neben der Temperatur, der Art des Gasaustausches und der eigenartigen Form der Nährstofifgewinnung ist in allererster Linie das Licht von I3edeutung. Den Landpflanzen stehen die Sonnenstrahlen, so- weit sie nicht durch die Atmosphäre absorbiert oder durch Beschattung gemindert sind, unge- schmälert zur Verfügung. In das Wasser aber vermögen sie unter den günstigsten Verhältnissen nur bis wenig mehr als 500 m Tiefe einzudringen. Dies ist die Tiefengrenze für alle chlorophyll- haltigen Wasserpflanzen. Doch liegt dieselbe, falls das Wasser nicht vollständig klar ist, in Wirklichkeit erheblich höher. Die Wasserpflanzen müssen also, wenn sie nicht am Ufer befestigt sind, mit besonderen Einrichtungen ausgestattet sein, um sie in günstiger Stellung zum Lichte zu erhalten. Bei niederen Pflanzen geschieht dies entweder dadurch, daß sie ihr spezifisches Gewicht je nach Bedürfnis zu ändern vermögen (Wasser- blüten), oder durch erhebliche Vergrößerung ihrer Oberfläche (viele Bacillariaceen des Planktons) oder durch die Fähigkeit eigener Ortsbewegung, bei deren Richtung das Licht von maßgebender Be- deutung ist. Von diesen verschiedenen Arten, die niederen Pflanzen schwimmfähig zu erhalten, wurden vom Vortragenden eine Anzahl besonders interessanter Beispiele an der Hand der zur Vei^- fügung stehenden Wandtafeln vorgeführt. Im zweiten Teile des Vortrages wurde eine Anzahl bekannter, in oder auf dem Wasser lebender Blütenpflanzen (Elodea, Ceratophyllum , Ranun- culus aquatilis, Cabomba, Valisneria, Utricularia) besprochen und die Anpassungen der äußeren Form, des inneren Baues und der Art der Fort- pflanzung an das flüssige Element geschildert. Am Sonntag, den 24. März, wurde unter Füh- rung des Herrn Prof. Dr. Plate dem Berliner Aquarium ein Besuch abgestattet. I. A. : Prof. Dr. W. Greif, I. Schriftführer. Berlin SO 16, Köpenickerstraße 142. Bücherbesprechungen. Deutsche Südpolar-Expedition 1901— 1903. Bd. IX. Zoologie I.Band, Heft 4, Berlin, Ci. Reimer, 1907. Subskrip.Preis 21 Mk., Einzelpreis 2 5 Mk. 1. O. Schröder: Neue Radiolarien (Cyto- cladus gracilis u. C. major) mit Taf. 11 — 13 u. I Abb. i. Text. 2. O. Schröder: Eine gestielte Acantho- m e t r i d e (Podactinelius sessilis) mit Taf. 1 4 u. 1 5. 3. O. Bütschli: Chemische Natur der Skeletsubstanzdes Podactinelius und der Acantharia überhaupt, mit 4 Abb. i. Text. 4. F. Richters: Die Fauna der Moosrasen desGaussbergsund einiger südlicher Inseln, mit Taf. 16 — 20. Dies neue Heft umschließt 4 Arbeiten, von denen 3 die Radiolarien-Ausbeute der Expedition betreffen, während sich die 4. auf die Bevölkerung der von der Reise heimgebrachten Moosrasen bezieht. Aus dem umfangreichen Radiolarien-Materiale sind hier zunächst nur 2 Formen von besonderem Inter- esse ausgewählt, die eine ganz isolierte Stellung unter den vielen bisher bekannt gewordenen Arten ein- nehmen: die neuen Gattungen Cytocladus und Podac- tinelius. Erstere ist eine Warmwasserform und wurde in nur ganz wenigen Exemplaren im atlantischen Oceanbecken bei 17" N. und 32" S. Breite mit dem Planktonnetz gefangen. Neuerdings hat auch Dofiflein an der japanischen Küste im Stillen Ocean einen Cytocladus erbeutet. Die Tiere fallen zunächst schon durch ihre riesige Größe von 8 — 14 mm Durchmesser 430 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 27 auf, und genauere Untersuchung zeigt, daß sie sich in keine der bekannten Familien einreihen lassen, sondern eine neue Familie der Cytocladiden bilden müssen, eine Familie, die allerdings vorläufig nur aus 3 Arten sich zusammensetzt. Charakteristisch ist der Bau des Skelettes und der Zentralkapsel ; ersteres besteht aus 1 2 radiär angeordneten, massiven Kiesel- stacheln , die zentral wie die Nadeln der Acantho- metriden fest zusammengefügt sind, distal sich ver- zweigen und so angeordnet sind, daß um 2 die Achse bildende Polstacheln 2 Stachelkränze von je 5 Stacheln stehen. Die Zentralkapsel ist außerordentlich zart, entbehrt jeder Poren und wird in Anlehnung an den Bau des Skelettes aus 5 distal verästelten , zentral verschmolzenen, fingerförmigen Lappen gebildet; sie liegt, da im Zentrum des ganzen Tieres die Stachel- basen liegen, exzentrisch. Im zentralen Abschnitt der Zentralkapsel liegt ein linsenförmiger Kern; umgeben wird sie von einer mächtigen, von Plasmafäden durch- zogenen Gallerthülle. Noch merkwürdiger ist die 2. (lattung Podacti- nelius, die nur i Art (sessills) enthält und in erheb- licher Individuenzahl (250 Exenipl.) auf Bryozoen und den Stacheln von Seeigeln an der Überwinterungsstation der Gauss im antarktischen Gebiete gefunden wurde. Es ist dies nämlich die einzige bis jetzt bekannt gewordene Radiolarie, die nicht pelagisch lebt, sondern mit einem Stiele festgewachsen auf dem Meeresboden wohnt. Seinem ganzen Bau nach ist Podactinelius ein Acanthometride aus der Familie der Actineliden. Der kugelige Körper hat i mm Durchmesser, der Stiel ist mehrmals länger; beide Teile enthalten eine große Zahl langer, feiner, nadei- förmiger Stacheln (4 — 500). Zwischen den Stacheln der gestielten Tiere werden viel kleinere und un- gestielte Exemplare gefunden, die vermutlich aus Schwämmen entstanden sind und an denen Teilungs- stadien beobachtet wurden. Wahrscheinlich sind auch die gestielten Exemplare noch teilungsfähig. Ein in Flg. 6 auf Taf. 1 5 abgebildetes Individuum läßt ver- muten, daß gelegentlich eine Plastogamie erwachsener Exemplare erfolgt. Das .Skelett dieser Acanthometride ist von Bütschli sehr sorgfältig auf seine chemische Beschaftenheit hin untersucht (.Abhandlung 3). Während Haeckel und andere die Skelettsubstanz der Acanthometriden für organisch hielten (Acanthin), sollte nach Schewiakofts 1Q02 veröffentlichten Untersuchungen diese Substanz namentlich aus Aluminium- und Calciumsilikaten ge- bildet werden. Bütschli kommt nun zu dem in- teressanten Resultat, daß das Skelett von Podactinelius sich fast ausschließlich aus Strontiumsulfat zusammen- setzt und die von Schewiakoff gefundene Kieselsäure und Tonerde auf Verunreinigungen des Materiales zurückzuführen ist. Da das Skelett von Podactinelius sich chemisch genau so wie das der von Schewiakoff untersuchten typischen Acanthometriden verhält , so gilt das Resultat auch für diese letzteren. Außerdem aber kommt offenbar Strontiumsulfat auch noch bei anderen Radiolarien in Form von Kristallen vor, so bei den koloniebildenden Sphärozoen (innerhalb der Zentralkapsel bei der Sporenbildung). Da Strontium- sulfat bereits 1S66 von Forchammer im Meerwasser nachgewiesen ist, hat die Verwendung desselben zum Skelettbau nichts Rätselhaftes; bemerkens- wert ist aber, daß dasselbe in den Skelettsubstanzen der marinen Gewebstiere (Schwämme, Coelenteraten, Echinodermen, Mollusken etc.) sicher fehlt und also, wie es scheint, nur bei dieser einen Gruppe einzelliger Tiere Verwendung gefunden hat. In ein völlig anderes Gebiet führt uns die Arbeit von Richters, die das Ergebnis äußerst mühsamer Untersuchung der Moosrasen der subantarktischen und antarktischen Gebiete, die die Expedition besuchte, bildet. In den Polarländern und im Hochgebirge jenseits der Baumgrenze , wo die übrige Vegetation fehlt oder nur mit äußerster Mühe sich noch hält, gedeihen immer noch die Moose, die eng dem Boden angeschmiegt dem Austrocknen und dem Frost wider- stehen und mit dem dürftigsten Untergrunde vorlieb nehmen. Man hat daher jene beiden Gebiete auch als die Reiche der Moose bezeichnet. Daher sind alle Untersuchungen über das tierische Leben , das unter dem Schutze der Moose in diese unwirtlichen Gebiete noch vordringt, von ganz besonderem Interesse. Richters fand nun in den verschiedenen Proben, die abgesehen von dem Possession-Eiland, den Kerguelen, Heard-Eiland und dem Gaussberge auch noch von St. -Helena, Neu - Amsterdam und St. -Paul stammten, nicht weniger als 1 00 verschiedene Arten. Tardigraden (18 Sp.), Rotiferen (i6 Sp.) und Acarinen (24 Sp.) bildeten die Hauptmasse der Moosbewohner, ihnen folgten an Bedeutung Nematoden (11 Arten), Rhizo- poden (11 Sp.), Copepoden (9 Sp.) und Insekten (5 Sp.), während die Spinnen, Isopoden, Oligochaeten, Ciliaten und Mollusken nur durch je i Art vertreten waren. Das Gesamtbild dieser Fauna war dem der mittel- europäischen und arktischen Moosfauna sehr ähnlich ; manche Arten sind kosmopolitisch ; so kamen von den iS Tardigraden -Species S auch im nordischen Gebiete vor. Trotzdem war eine große Zahl von Arten neu, was aber wesentlich unserer Unkenntnis der Moosfauna überhaupt entspringt und nicht zur Annahme führen kann , daß hier endemische Arten vorliegen. Von großem Interesse ist die außerordentliche Armut der am Gaussberge gesanuiielten Moose, die nur 2 Rhizo- poden, 4 Rotatorien und i Tardigraden enthielten; selbst von diesen äußersten Pionieren waren beide Rhizopoden auch aus Europa bekannt ; der Tardigrad war neu und durch die Ablage und den Bau seiner Eier sehr merkwürdig (M. antarcticus). Ferner kam die große F'euchtigkeit der subantarktischen Inseln, die die Moospolster fast dauernd von Wasser durch- tränkt sein läßt, in der großen Zahl der Copepoden und in der reichen Besiedelung dieser Krebse sowie mancher Milben mit Epistylis-Kolonien zum Ausdruck. Von den Copepoden wurden auch Nauplien gefunden, so daß also die Metamorphose bei den moosbe- wohnenden Copepoden dieselbe geblieben ist wie bei den im Wasser selbst lebenden ursprünglichen Formen. Auffallend war auch, daß nur i Callidina-Art bei Be- feuchtung wieder auflebte (nach 2 '^j^ Jahren), so daß vielleicht die Fähigkeit völlige Austrocknung zu ertragen, bei den südlichen Moosbewohnern weniger ausgebildet N. I-". VI. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 431 ist als bei denen des Nordens. Eine auffällige Häufigkeit, der sonst meist seltenen S bei den Gama- siden und Uropodiden der antarktischen Moosrasen bringt der Verfasser mit der sehr niedrigen Temperatur in Zusammenhang, die der Parthenogenese ungünstig sein könnte. 5 Tafeln, von denen 3 l'hotogramme nach der Natur enthalten, begleiten die interessante _.\fl,eit. H. l>ohmann. Literatur. Kükenthal, t'rol. \V. : Hie marine Tierwelt des arktiselien u. antarktischen Gebietes in ihren gegenseitigen Beziehungen. OlTentlicher Vortrag. (28 S.) Berlin, '07, K. S. Mittler &. Sohn. 1.20 M.; geb. 2.70 M. Ramsay, Prof. Sir William : Die Gase der Atmosphäre und die Geschichte ihrer Entdeckung. 3. Aufl. Deutsch, v. Chem. Dr. Max lUith. (Vll, 160 S. m. 8 Abbildgn.) gr. 8°. Halle, "07, W. Knapp. — 5 M. Roth, Prof. Dr. W. A.: Physikalisch-chemische Übungen. (XU, 174 S. m. 44 Abbildgn.) 8". Hamburg, '07, L.Voss. — Geb. s M. Salmon, George: Analytische Geometrie der Kegelschnitte m. bcsond. Beiücksicht. der neueren Methoden. Nach S. frei bearb. v. Prof. Dr. Wilh. Fiedler. 7. Aufl. I. Tl. (XXXV, 444 S. m. Fig.) gr. 8". Leipzig, '07, B. G. Teubner. — Geb. in Leinw. lO M. Schmidt, l'rof. G. C. : Die Kathodenstrahlen. 2. verb. u. verm. Aufl. Mit 51 eingedr. Abbildgn. (VII, 127 S.) Braunschweig, '07, F. Vieweg »V Sohn. — 3 M. ; geb. in Leinw. 3.60 M. Anregungen und Antworten. Auf Grund einer Besprechung mit Freunden der „Naturwissenschaftlichen Wochenschrift", insbesondere aus dem Kreise der akademisch Gebildeten, hat sich die Redaktion entschlossen diefrühereÜberschrift„Briefkasten" in „Anregungen und Antworten" zu verändern und zwar aus dem Grunde , weil diese Rubrik der Naturwissensch. Wochenschrift sich im Verlaufe der Jahre so entwickelt hat, daß sie Vielerlei enthält, was über die üblicherweise in den anderen Zeitschriften gebrachten Briefkasten- notizen hinausgeht. Eine Briefkastennotiz im eigentlichen Sinne pflegt im allgemeinen nur den Einzelnen, an den sie gerichtet ist, zu interessieren; die Mitarbeiter hatten jedoch auf Wunsch der Red. von vorn herein ihr Augen- merk darauf gerichtet, nach Möglichkeit die Antworten so zu geben, daß diese auch für weitere Kreise nützlich wären. Mit Rücksicht darauf hatte früher (vgl. z. B. Bd. igor 2) eine Trennung in 2 Rubriken, nämlich in „Fragen und Antworten" und in „Briefkasten" stattgefunden, die dann aber zur Vereinfachung wieder aufgehoben wurden. Die beachtenswerteren Mitteilungen waren damit aber zu wenig hervorgehoben. Indem wir dies durch den Titel „Anregungen und Antworten" — dem Wunsche unserer Freunde folgend — wieder gut machen, haben wir bei der Wahl dieser Überschrift noch ins Auge ge- faßt, gelegentlich Anregungen zu bieten oder solche weitere Kreise interessierende Mitteilungen , die in un- serer Rubrik „Kleinere Mitteilungen" nicht gut unter- gebracht werden können. Es ist dadurch u. a. Gelegen- heit geboten auch auf ältere, weniger bekannte Forschungs- resultate u. dgl. einzugehen. — Red. Herrn H. P. in Erfurt. — Während die Entbindung von Wärme an allen lebenden Pflanzen vorkommt und eine natür- liche Folge der Atmung, beziehentlich der Verbrennung von Kohlenstoffverbindungen ist, wird bei Pflanzen die Entwicklung von Licht, welche sonst mit den Verbrennungsvorgängen viel- fach verbunden ist, nur äußerst selten beobachtet. Mit Sicher- heit ist sie nachgewiesen bei jenen Spaltpilzen, durcli welche das Leuchten von Heisch veranlaßt wird, ferner bei Meeres- algen (z. B. Pyrocystis noctiluca), welche das Meeresleuchten verursachen und insbesondere bei mehreren Hutpilzen. Von diesen letzteren sind zunächst jene hervorzuheben, bei welchen die oberirdischen Sporenträger, zumal das Sporenlager, bis- weilen auch der ganze Stiel das Leuchten zeigen. Hierher gehören namentlich einige Agaricineen, z. B. Agaricus Gardneri, A. noctilucens, A. olearius. An diese Gruppe schließt sich eine zweite, bei welcher das Leuchten nicht von den Sporen- trägern, sondern von dem Mycel ausgeht, z. B. bei dem Hallimasch, Agaricus melleus. Das Mycel dieses BläUerpilzes bildet vielfach verbundene Stränge, die sich in Holz und Rinde hinziehen und somit das ganze Holz förmlich durchspinnen. Diese feinen Fäden und Gespinnste des Mycels sind es, welche das merkwürdige Leuchten zeigen. Dort, wo die Ilolzzellen ganz von dem Mycel durchwuchert sind, macht es den Ein- druck, als ob das Holz selbst leuchtet, und im Volksmunde spricht man daher auch von „leuchtendem Holz" und „leuch- tendem Moder" der Baumstrünke. Veranlaßt durch eine vor kurzem erschienene Mitteilung in dieser Zeitschrift, welche das Leuchtvermögen faulender BläUer behandelte, ist von anderer Seite eine das gleiche Thema betreffende Mitteilung eingegangen. Es handelt sich hier um einen Wurzelstock, der ein lebhaftes Leuchten zeigte. ,, Interessant war es zu sehen, daß beim Ablösen der Rinde an Wurzeln und Zweigen neue leuchtende Stellen sichtbar wurden, daß also das Leuchten nicht nur der von der Sonne beschienen gewesenen Oberfläche eigen war, sondern auch das Innere des Wurzelstockes die gleiche Befähigung zu Leuchten besaß. Die Rinde erwies sich als vollkommen lichtundurchlässig. Versuchshalber wurden einige Stücke dieses Holzes ungefähr '/a Stunde in die brennende MiUagssonue gelegt; diese zeigten, in die Dunkelkammer gebracht — kaum noch eine Spur von Leuchten. Bei wieder angefeuchtetem Holze trat die Erscheinung wieder stark hervor. Am Fund- orte war das Leuchten so stark, daß die Faltung der Haut- fläche deutlich erkennbar war." Am schönsten beobachtet man das Leuchten in der freien Natur im Hochsommer und Herbste nach mehrtägigem Regen- wetter, wenn das von dem Mycel durchwucherte Holz von den atmosphärischen Niederschlägen befeuchtet wurde. Eine zu starke Durchnässung des Holzes verhindert die Lichterschei- nung gerade so wie eine zu weit gehende Austrocknung. Im Walde kann man, wenn die Feuchtigkeitsverhältnisse ungefähr die gleichen bleiben, das Leuchten länger als eine Woche hindurch Nacht für Nacht an dem gleichen Holzslrunke be- obachten. Bringt man leuchtendes Holz, welches im Freien in der Nacht aufgelesen worden ist, in eine Stube oder in einen Keller, so zeigt es in der ersten Nacht die Licht- erscheinung noch ungeschwächl, um aber schon nach 24 Stunden das Ende zu erreichen. Gibt man leuchtendes Holz in einen abgeschlossenen Raum, wo die Erneuerung der atmosphärischen Luft, beziehentlich des Sauerstoffes nicht ausgiebig genug stattfindet, so hört das Leuchten sehr bald auf. Ebenso wirkt eine Erhöhung der Temperatur nicht befördernd auf das Leuchten ein, was besonders seinen Grund darin haben dürfte, daß die Erhöhung der Temperatur eine .\nderung des Feuchtig- keitsgehaltes des Holzes herbeiführt. Die Farbe des Lichtes, welche von dem Mycel ausgeht, läßt sich schwer mit irgend einer anderen vergleichen; es ist ein weißes, mattes Licht; am meisten nähert es sich jenem des reinen, unter Wasser gehaltenen Phosphors. Es ist nicht so grün wie jenes der Leuchtkäfer und h.it nicht jenen Schimmer, wie er beim Meerleuchten vorkommt. Im Dunkel des Waldes macht es einen befremdenden und darum unheimlichen Eindruck. Die „Irrlichter" dürften zum Teile wenigstens auf leuchtendes Holz zurückzuführen sein. Zerstört man einen von dem leuchtenden Mycel durchwucherten morschen Baumstrunk, so zeigen die Splitter ebenfalls das Leuchten und der dunkle Waldgrund ist mit größeren und kleineren Lichtpunkten wie besät. Das 432 Naturwissenschaftliche Woclienschrift. N. F. VI. Nr. 27 Leuchten solcher Bruchstücke hat aber bis zur nächsten Nacht gewöhnlich schon sein Ende erreicht. Noch ist zu bemerken, daß das Sporenlager der Blätter- pilze sowie das Mycel die Eigenschaft des Leuchtens, sowohl bei Nacht als bei Tage zeigt; nur wird es am hellen Tag in der freien Natur niclit gesehen. Sobald man das beireifende Stück in einen dunklen Kaum bringt, kann man die I.icht- erscheinung beobachten. Infolge von Besonnung während des Tages wird das Leuchten in der darauffolgenden Nacht nicht verstärkt, und die Erscheinung hat daher mit jenem eigentüm- lichen Phosphoreszieren, welches der am Tage der Sonne aus- gesetzte Flußspat in der nächsten Nacht zeigt, nichts gemein. P. Beckmann. Herrn Prof M. T. in Kruschewatz (Serbien). — Frage 1: Können Löwen und Tiger, wie unsere Hauskatze, Bäume und Mauern erklettern? — — C. G. Schillings sagt (Mit Blitzlicht und Büchse, Leipzig 1905, S. 258): „Mit Vorliebe nehmen die Löwen ihren Standort an einem hochgelegenen Punkte, etwa dem steilen Ufer eines Baches, um von dort auf die Beute schräg herabzuspringen. Bäume vermögen sie nicht zu erklettern im Gegensatz zu den Leoparden." — Der Tiger entspricht in seiner Lebensweise dem Löwen und vertritt diesen in Asien. Auch er kann, wie aus allen mir bekannten Schil- derungen von Tigerjagden hervorgeht, normal gewachsene Bäume nicht ersteigen. Es steht damit in Zusammenhang, daß der Jäger seinen gedeckten .\nsitz häutig auf Bäumen nimmt. Frage 2 : Alle volkstümlichen Bezeichnungen für den „fliegenden Sommer" in den verschiedenen Sprachen können wir Ihnen hier unmöglich nennen. Nur einige seien genannt. In Deutschland am verbreitetslen sind : .Alter Weiber Sommer oder Altweibersommer, Sommerfäden, Sommerweben und Marienfäden. In Meyer 's Konversalionsle.'iikun finde ich außerdem: Klugsommer, Sommerflug, Graswebe, Mariengarn, Frauensommer und Gottesschleppe. In einer Zeitung fand ich : Herbstfäden und Mädchensommer. Französisch nennt man ihn : fils (oder filets) de la Vierge, fils de Notre-Dame und filandres; englisch : gossamer, air threads und St. Martin's summer ; italienisch : filamenti della Madonna und filamenti di Santa Maria ; lateinisch : aestas volitans etc. etc. Frage 3 : Wirft das Weibchen des Grönlandwals nur je ein Junges, wie es in Claus Lehrbuch steht oder mehrere zugleich? — — W. Kückcnthal sagt (Die Wale der Arktis in: F'auna Aretica Bd. I, Jena 1900, S. 202): ,,Daß die Wale nur ein Junges, in sehr seltenen F'ällen Zwillinge zur Welt bringen, hat seinen guten Grund in der enormen Größe, welche die Jungen bei der Geburt haben und die fast die halbe Größe der Mutter erreichen kann." Frage 4: Wirft das Riesenkänguru nur ein Junges zur Zeit? — — Soweit ich die Literatur übersehe, dürften auch beim Känguru Zwillinge äußerst selten sein (vgl. z. B. Leise ring. Über die Fortpflanzung des Känguru in: Arch. f. Naturg., Bd. 15 I, 1S49, S. 18 fl'.). Der Grund ist offenbar ein ähnlicher und doch anderer als beim Wale. Geboren werden die Jungen in einem Zustande, der fast einem Embryo- nalzustande entspricht. Im Beutel aber erreicht das Junge eine recht bedeutende Größe. Es verlangt das otfenbar der gefährdete Aufenthalt. Dahl. Herrn J. T. in Bernau, Kußland. — Sie fragen, ob es allgemein bekannt sei und wie es zu erklären sei, daß das brütende Rebhuhn sowohl für den Fuchs als für den Hund so gut wie gar keine Witterung habe. — -- Naumann sagt (Naturgeschichte der \'ögel Mitteleuropas, Neue .^usg., Bd. 6, S. 136): ,,Man will behaupten, daß die Rebhühner in dieser Zeit keine Witterung (Geruch) von sich geben, weil sonst die Raubtiere die legenden und brütenden Weibchen unfehlbar aufspüren und nur selten eine Brut aufkommen lassen würden." — Auf der folgenden Seite heißt es dann weiter, das Huhn laufe, wenn es sich abends eine Schlafstelle suche, nie vorher an der Stelle umher, sondern fliege hin, um sich plötzlich an der Stelle niederzuwerfen. Es bewirke da- durch, daß es nicht von weitem aufgespürt werden könne. — Ich meine wir brauchen diese beiden Angaben nur mit ein- ander in Beziehung zu bringen, wir brauchen nur anzunehmen, daß das Huhn beim Neste ebenso verfährt wie beim Nacht- lager, um alles erklären zu können. Hund und Fuchs werden nämlich weniger durch den durch die Luft verbreiteten als durch den der Spur anhaltenden Geruch geleitet. Dahl. Herrn Dr. E. in Fürth i. B. — Frage: An niederen Wiesen- pllanzen findet man während der ganzen warmen Jahreszeit sehr häutig kugelige hellgelbe Gespinnste von der Größe einer kleinen Kirsche. Aus denselben kommen geflügelte Insekten in größerer Zahl hervor. Wie heißt das Insekt ,> — — Es ' handelt sich um eine kleine Schlupfwespe, eine Braconide. Die eingesandte Art scheint Apantehs solümius Ratzeb. zu sein (vgl. T. A. Marshall in: E. Andre, Species der Hymen- opteres d'Europe et d'.'Mgerie, T. 4, Beaunc 1888, p. 406). Die sehr artenreichen Familien der Kleinschlupfwespen sind noch verhältnismäßig wenig durchgearbeitet und deshalb ist die ganz sichere Bestimmung etwas umständlich. Von der genannten Art sagt Mars hall, daß sie ihre F.ier auf junge Raupen lege, welche mit den R.iupen der Wespe infiziert schon im Anfange des Sommers zugrunde gehen. Als Wirte nennt er mehrere Spinner und Spanner z. B. den .Sacktr.äger, den Weidenspinner, den Ungleichspinner, die Nonne, den Wald- lindenspanner etc. Es sind das freilich sämtlich Kaupen, die auf Holzgewächsen leben. Die Raupe, aus denen die von Ihnen eingeschickten Stücke hervorgingen, dürfte also, nach Ihrer Angabe über das Vorkommen zu urteilen, einer noch anderen Art angehört haben. Über die Beziehungen zwischen Bau und Lebensweise bei Apanteles finden Sie Naturw. Wochen- schr. N. F'. Bd. 4, S. 287 f. einige Notizen. Dahl. Herrn L. S. in Znaim (Mähren). — Sie schreiben uns, es sei eine völlige Verkennung der Tatsachen, wenn in den Fachschriften für F'orstwirtschaft auch neuerdings noch be- hauptet werde, die Spinnen seien als Vertilger von Schäd- lingen bedeutungslos. Sie meinen, daß das Wirken vieler Spinnen unter dem Dunkel der Nacht der Beobachtung ent- gehe und fanden, daß namentlich Wolfspinnen und Buckel- spinnen fast ausschließlich von den ärgsten Schädlingen z. B. von Bostrychus , Curculionidae , Tlylesinus ^ Lymexylon naeale und deren Larven leben. Sie möchten gerne die Spinnenarten sicher bestimmen und bitten um Angabe geeigneter Schriften. — — Literatur zur Einführung in die Spinnenkunde finden Sie S. 32 ds. Bds. der Naturw. Wochenschr. angegeben. — Ihre Buckelspinne ist jedenfalls ('yclosa conica. Bei dieser Art läßt sich in der Tat die Nahrung leicht feststellen, weil sie die Leichen aller Beutetiere in Form eines Vertikalstreifens in ihrem Netze befestigt, um sich selbst mit ihrer buckeligen Gestalt und infolge ihrer unbestimmten Farbe in diesem Streifen unsichtbar zu machen. Bei anderen Radnetzspinnen kann der Nutzen leicht entgehen, da sie die Insektenleichen sorgfältig wieder aus ihrem Netze entfernen, z. T. auch während der Dämmerung und Dunkelheit ihre Ilauptbeute machen. Man müßte die Leichen also schon mittels eines Schirmes unter ihrem Netze auffangen. Am wichtigsten sind entschieden die Wolfspinnen und gerade auf diese hat scheinbar bisher noch kein F'orstzoologe geachtet. Ja, manche F'orstzoologen wissen wohl nicht einmal, daß es auch .Spinnen gibt, die kein F'ang- netz herstellen. — Die Weberknechte, von denen Sie sprechen, kommen höchstwahrscheinlich als Nützlinge nicht in Betracht, weil sie nach neueren Beobachtungen nur die Leichen der Insekten fressen dürften (vgl. A. Menge in: N. Schrift, d. naturf. Ges. FJanzig, Bd. 4 Hft. 3, 1850, S. 45 ff. und H. Henking in: Zool. Jahrbücher Abt. Syst. Bd. 3, 1888, S. 319 ff.). Dahl. Inhalt: M. Möbi us: Der Stammbaum des Pflanzenreichs. (Schluß.) — Prof Dr. Friedr. Dahl: Zur F'rage : Was ist Lcl>en? — Kleinere Mitteilungen: Th. Krumbach: ,,Trichoplax , die umgewandelte Pia lachen; — Meinere miiienungen : in. Krumoacn: ,, i ricnopiax , üie umgewanaeJte Planula einer Hydromeduse". — H. Potonie: Die Nahrung der llochmoorpflaiizen. — K. F.. Barnard: Über ein nebliges Streifensystem im Stern- bilde des Stiers. — Vereinswesen. — Bücherbesprechungen: Deutsche Südpolar-F'xpedition 1901 — 1903. — Lite- ratur: Liste. — Anregungen und Antworten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pälz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neae Folge Tl. Band; der ganzen Reihe XXll. Band. Sonntag, den 14. Juli 1907. Nr. 28. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. Der elektrische Ofen. fNachdinck veiboten,] \'nn Hr. R. Loebe. I. D i e U m \v a II dl u n L,f e 1 e k t r i s c h e r E n e r g i e in Wärme. Wenn man den elektrischen Strom durch einen homogenen, festen Leiter, etwa Metall oder Kohle, hindurchschickt, so erfährt dieser Leiter eine Temperaturerhöhung. In seinem Inneren wird somit Arbeit geleistet, und zwar verwandelt sich die elektrische Energie, sofern sie nicht in Form von Bewegung (einer Maschine) sichtbar zur Geltung kommt, ausschließlich in Wärme. Die in der Zeiteinheit (pro Sekunde) in einem geschlossenen Leiter entwickelte Wärmemenge muß also der aufgewendeten elektrischen Energie äquivalent sein. Der elektrische Effekt ist nun, in Watt ausgedrückt, Q = V-JWatt, worin V die Potentialdifferenz zwischen den Enden des Leiters und J die Strom- intensität bedeutet. Nach dem Ohm'schen Gesetz ist aber V = J-W, worin W den durch die Natur des Leiters, sowie durch dessen Querschnitt und seine Länge bedingten Widerstand angibt. Setzt man diesen Wert für V in die erste Gleichung ein, so ergibt sich Q^J--W. J drücken wir durch Ampere aus, V durch Volt, W durch Ohm. Da nun das Wärmeäciuivalent für 1 Amp. = lO' Erg = I Joule 0,239 g-Calorien beträgt, so können wir den kalorischen Effekt des elektrischen Stromes durch die Gleichung Q ^= J' • W • 0,239 S'^^^- pro Sekunde ausdrücken. Nach dem Entdecker ihrer Gesetze nennt man die durch den galvani- schen Strom erzeugte Wärme Joule'sche Wärme. II. Die Nutzbarmachung elektrischer Wärmewirkungen. Wir machen im täglichen Leben von dieser Joule'schen Wärme Gebrauch, und auf ihrem Prinzip beruht eine große Zahl von Anwendungs- formen der Elektrizität. Die bekannteste ist die Glühlampe, in welcher der elektrische Strom dünne Metall- oder Kohlefäden im Vakuum bis zur hellen Rotglut erhitzt. Damit hatte die Joule- sche Wärme bis vor wenigen Jahren ihre wich tigste Verwendung gefunden. Ihre Benutzung zu Heizzwecken beschränkte sich bis dahin auf galvanokaustische Zwecke, bei denen durch elek- trisch erhitzten Platindraht Durchbrennungen von organischen Gebilden vorgenommen werden, und auf die Sprengtechnik, bei der durch die Tempe- ratur eines glühenden Drahtes die Sprengstoffe zur Zündung gebracht werden. In neuerer Zeit hat nun die Joule'sche Wärme als Heizmittel namentlich für die wissenschaftliche und technische Chemie 434 Natui wissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 28 besondere Bedeutung erlangt. Die Vorrichtungen, in denen die elektrische Erhitzung zweckmäßig vorgenommen wird, heißen elektrische Öfen. Diese können Widerstandsöfen im engeren Sinne sein, d. li. solche, bei denen in der be- sprochenen Weise durch den Widerstand eines Leiters Wärme entwickelt und diese direkt oder indirekt auf den zu erhitzenden Körper übertragen wird, oder dieser selbst das Widerstandsmalcrial bildet, oder Flammenbogen öfen, bei welchen man die hohe Temperatur des elektrischen Bogen- lichts zur Arbeitsleistung heranzieht. Doch ist im Grunde genommen, auch diese letztere Er- hitzungsart auf Widerstandserhitzung zurückzu- führen, indem die benachbarten Kohleteilchen der sich gegenüberstehenden Kohlenspitzen infolge ihres hohen Widerstandes ins Glühen geraten. Die Hitze steigt dabei in kurzer Zeit soweit, daß Weißglut eintritt und endlich die Kohle ver- dampft. Hierdurch erst entfernen sich die Kohlen- spitzen und die zwischenliegende Luftschicht bildet nunmehr das slromleitende Mittel. Trotz dieses gemeinsamen Grundprinzips beider Ofengattungen wollen wir aber im Hinblick auf die damit aus- gedrückte Art der Stromverwendung die obigen Begriffe beibehalten. Alle nicht elektrischen Erhitzungsarten beruhen auf der Nutzbarmachung chemischer Energie, und zwar auf der Verbrennung natürlicher oder künstlicher, fester, flüssiger oder gasförmiger Heiz- materialien, insbesondere von Kohle und Kohlen- wasserstoffen. Die Anwendung der Elektrizität bietet diesen älteren Wärmequellen gegenüber mancherlei Vorteile, die zu klar auf der Hand liegen, als daß wir uns hier näher damit zu be- fassen brauchten. Für uns ist namentlich das von Wichtigkeit, daß wir mit Hilfe des elektrischen Stroms einmal imstande sind, eine absichtlich ge- wählte Temperatur längere Zeit konstant zu halten, dehn die Wärmewirkimg in einem Leiter dauert so lange an, als er vom Strome durchflössen wird. Zweitens, daß wir in der Lage sind, jede beliebige Temperatur bis zur Höchstleistung eines Ofens herzustellen, wenn wir nur durch Vorschallung einesWiderstandes die Stromstärke dementsprechend ändern. Und endlich lassen sich mit gewissen elektrischen ' )fen Temperaturen erreichen, die jene durch chemische Prozesse hervorgerufenen weit in den Schatten stellen. Deshalb ist heute der elektrische Ofen gerade für die Chemie der hohen Temperaturen wie auch sonst für chemische, physikalisch-chemische und chemisch-metallurgische Zwecke ein unentbehrliches Hilfsmittel geworden. Wir wollen zunächst die wichtigsten Erhitzungs- arten und (^fenty[)en kennen lernen, um dann anschließend die Bedeutung des elektrischen Ofens für Laboratorium und Praxis eingehend zu würdigen. A. W i d e r s t a n d s c r h i t z u n g. Die Widerstandserhitzung im engeren Sinne kann eine doppelte sein. Bildet das zu erhitzende Material selbst den vom Strom du'chflosscncn Widerstand, so haben wir es mit direkter Widerstandserhitzung zu tun. Sie ist aber eine indirekte, wenn sich der zu erhitzende Körper mit dem Erhitzungswiderstand in Berührung be- findet, oder wenn letzterer seine Wärme auf die Ofenwandung überträgt und somit indirekt auf den zu erhitzenden Körper einwirkt. Zu der crsteren Art der elektrischen Heizung gehört die vor fast einem Jahrhundert gemachte Ent- deckung eines Engländers Pepys. Diesem ge- lang der allerdings unbeabsichtigte Nacliweis von Zementation eines Stückes Eisendraht, das er, an einer Stelle mit Diamantpulver umgeben, dem elek- trischen Strom aussetzte. Hierdurch wurde zum ersten Male auf elektrischem Wege aus weichem Eisen Stahl erhalten. Die direkte Widerstands- erhitzung benutzten die Gebr. Cowles vor etwa 20 Jahren zur Heizung der Zinkretortenbeschickung. Die Retorte war an dem einen Ende mit einer Kohleplatte verschlossen, vor dem anderen war ein Graphittiegel vorgelegt. Kohle und Tiegel bildeten die Elektroden und der Strom brachte durch Passieren des Erzgemisches dieses zum Glühen. Diese Versuche blieben ohne praktischen Erfolg. Dagegen wird dieses Erhitzungsprinzip heute noch bei der Darstellung der Aluminium- legierungen angewendet. In einem feuerfesten Raum aus Chamotte stehen sich Kohleelektroden in geneigter Stellung gegenüber. Vor der Be- schickung dieses Ofens werden die Elektroden durch eine Brücke aus Kohle verbunden und P^rz aufgeschüttet. Beim Stromdurchgang kommt zu- erst diese Brücke zum Glühen, und wenn sie an das Erz genügend Wärme abgegeben hat, um dieses selbstleitend zu machen, verbrennt sie all- mählich mit dessen Oxydsauerstoff, bis schließlich die Beschickung selbst die Rolle des Widerstandes übernimmt. Auch in der Praxis der elektrischen Schmelzverfahren im Heroult'schen Ofen wird direkte Widerstandserhitzung angewendet. Hier bildet der Tiegel, in dem die Verschmelzung stattfindet, selbst die Kathode, während von oben her die Stromzuführung durch eine in das Reaktionsgemisch eintauchende Kohlenenanode erfolgt. Diese Ofenform ist im Laufe der letzten Jahre, wie wir weiter unten sehen werden, für die Eisenerzeugung auf elektrischem Wege be- deutsam geworden. Doch würde es hier zu weit führen, auf ihre zahlreichen Modifikationen für die metallurgische Praxis einzugehen. Auch die Carbidfabriken bedienen sich für ihre Ofenkon- struktionen des direkten Erhitzungsprinzips. So bestehen die Ofen der ehemaligen Compagnie Electro-Metallurgi(]ue des Procedes Gin & Le- leux nach Borchers aus fahrbaren Schmelzgefäßen, deren mit Kohle ausgekleideter Boden die eine Elektrode bildet, während für die Dauer des Arbeitsprozesses als zweite Elektrode ein Kohlen- körper eingehängt wird. Von oben her erfolgt auch die Beschickung und diese selbst bildet den Strom- übeiträtjer und Erhitzunfj-swidersfand. N. 1'". VI. Nr. 28 Natur wisHeiischaftlichc Wochensclirifl. 435 Auch dort wird tlic besprochene Art der Er- hitzunjj mit Vorteil verwendet, wo es sich gleich- zeitii,' um elektiolytische Vorgänge des Schmelz- flusses handelt. So bei der elck-lrolylischen Dar- stellung der Alkalimetalle nach Castner, so für die elektroI\-lische Verarbeitung geschmolzener Salze u. a. Wie erwähnt wurde, hat das Ileroult'sche W-rfahren Eingang in die Technik der liisen- \erhüttung gefunden. Denselben Zweck, na- mentlich die Darstellung von Stahl auf elektrischen Wege, verfolgt der sog. Induktionsofen, der in seiner Form nach Kjellin in neuester Zeit namentlich in Schweden Anwendung findet, und der in l'"ig. 1 u. 2 |.\\\\\\i:^/////.^^^ Kig. I. liululitiunsofcn von Kjellin (nach Borchers.) Durchschnitt. Kig. 2. Induktionsofen von Kjellin (nach Borchers). Aufriß. schematisch dargestellt ist. Der Ofen wird ge- bildet durch eine ringförmige Mulde a in Mauer- werk M, die mit Roheisen beschickt wird. Im Ringinnern befindet sich ein Elektromagnet E, dessen Spule mit einem Wechselstromgenerator verbunden ist. Wird nun der .Strom geschlossen, so wird der Kern magnetisch, und der Magnetis- mus, der mit jeder Phase seine Richtung ändert, bringt in dem in der Mulde befindlichen Metall einen Induktionsstrom hervor. Da die Schicht nur einmal um den Kern herumgeführt ist, kann man die Stromstärke daselbst aus dem Produkte aus der Zahl der Windungen und der im Gene- rator erzeugten Intensität berechnen. Der erste derartige Stahlofen wurde 1900 in Geysinge er- richtet. Der Wechselstromgenerator hat 3000 Volt. Die Ofentemperatur beträgt ca. 2000". Das Prinzip der indirekten Widerstands- erhitzung, bei welcher das Reaktionsgemisch den Erhitzungswiderstand direkt umgibt, benutzt Acheson zur Herstellung von Carborundum. Der Ofen, welchen Fig. 3 im (Juerschnitt zeigt, ist bei der Carborundumdarstellung weiter unten näher beschrieben, .ähnlich ist auch der Ofen für die elcklrothermische G ra p h i t erzeugung im Großen zusammengestellt. Zur Überführung von Schmirgel in Corund benutzt llaUlacher eine t)fenform, bei der das Reaktionsgemisch gegenüberstehende Kohle- clcktroden umgibt. Der Hoden ist mit einer Glas- plalle verschlossen, die nach einiger Zeit schmilzt. Auf diese Weise entleert sich der Ofen, während die erkalteten Schlacken die Ofifnung verschließen und so den Ofen für einen kontinuierlichen Betrieb geeignet machen. I'ig. 3. Acheson'scher Ofen für Widcrstandscrhitzung zur Darstellung von Carborundum (nach Borchers). Querschnitt. Während sich bei den bisher beschriebenen Ofentypen die zu erhitzende Substanz in immittel- barer Berührung mit dem FIrhitzungswiderstand befindet, gibt es noch andere Apparate, bei denen die Joule'sche Wärme durch die Ofenwandung hin- durch, also ebenfalls indirekt, auf den Körper ein- wirkt: die sog. Röhren- und Muffelöfen. Hier verwendet man als Leiter mit Vorteil dünne Metalldrähte, welche spiralförmig um einen Hohl- körper aus nicht leitender Masse , wie Porzellan, Hartporzellan, Marquard'scher Masse, herumgeführt sind. Die Verluste, welche durch Abfluß eines Teils der entwickelten Wärme an die Um- gebung eintreten, kann man durch gute Isolierung auf ein Minimum reduzieren, so dal.3 ein ziem- lich hoher Prozentsatz derselben auf das Rohr- innere übertragen wird , in welches man dann den zu erwärmenden Körper bringt. Als Heiz- widerstand kann man die verschiedensten Metalle anwenden, und es lassen sich damit Temperaturen erreichen, die theoretisch in dem Schmelzpunkte des betreffenden Metalls ihre Grenze haben. Doch ist es aus mehrfachen Gründen unzweck- mäßig, des öfteren und auf die Dauer den Ofen bis nahe an diese Grenze zu beanspruchen. Denn das Metall wird durch den Gebrauch stets angegriffen und brennt leicht an einer weniger widerstandsfähigen Stelle durch. Selbst Platin verträgt nur mäßige Temperaturen. Dazu kommt noch, daß z. B. bei Platinbewicklung schon bei 1400" Elektrolyse des Rohrmaterials eintritt. Hierdurch bildet sich leicht Silicium, welches seinerseits mit dem Platin eine Legierung gibt, und da der Schmelzpunkt einer Legierung im allgemeinen tiefer liegt als der der reinen Metalle, so schmilzt das Metall und der Ofen ist zerstört. 436 Natuiwisscnscliaftliche Wochenschrift. N. 1<". VI. Nr. Derartige Widerstandsöfen, besonders solche mit Platinwiderstand, sind heute als Röhren-, Muffel- und Tiegelöfen im I landcl und finden namentlich in der Laboratoriumspraxis ausgedehnte Verwendung. Fig. 4 und 5 zeigen einige der gebräuchlichsten Laboratoriumsöfen von Heraus in Hanau. Diese „Heräusöfen" eignen sich für die verschiedensten Arbeiten, z. B. für Schmelzungen, Schmelzpunkts- und Haltepunktsbestimmungen von Metallen und Legierungen, Mineralien, keramischen Produkten u. a. Selbst Reaktionen mit Gasen lassen sich ist bei dem Tiegelofen Fig. 7 zur Anwendung gekommen.') In einem Ofen (Fig. 8), welcher zum Härten von Stahlwerkzeugen dient, können selbst im weißglühenden Zustand des Chamotte- körpers kalte Stahlstücke eingebracht werden, ohne daß dieser zerspringt. ') Neuerdings wird auch der Hcizwiderstaiid in die als < ifcn dienenden Körper aus Chamottc so eingebcUet, daß er vt_>n dieser völlig eingeschlossen ist. So wird das Platin vor Überhitzung geschützt und eine gute Wärmeübertragung her- lieigeführt. Hg. 4. Elektrisch geheizter Ilorizontalofen mit Flanschen, Kohrstutzen und Pyrometer, daneben Millivoltmctcr zum Ablesen der Temperatur. darin ausführen, wenn man an die Enden des Erhitzungsrohres Planschen ansetzt, die, gut ge- dichtet , mit Rohrstutzen für Ab- und Zuleitung des Gases sowie für Einführung des Thermo- meters bzw. Thermoeleinentes versehen sind. (Fig. 4). (Arbeiten im H-strom, im CO.,-strom, im N- Strom; Erzeugung von N durch Glühen von Kupfer im Luftstrom u. a.). Man kann den Ofen durch Drehung um seine Achse horizontal oder vertikal stellen, auch läßt er sich durch Aufhängung vermittels Drahtseils, welches durch eine Kurbel verlängert und verkürzt werden kann, höher und tiefer lagern. Bei diesen Heräusöfen hat sich die Anwendung von Platinfolie statt des Drahtes sehr bewährt, weil man durch Veränderung ihrer Breitenlage den Ofen für verschiedene Stromstärken und Sjjannungen geeignet machen kann. In der ana- lytischen Praxis hat sich neuerdings der elek- trische Röhrenofen als Verbrennungsofen bei der Elementaranalyse gut bewährt. Wie Fig. 6 zeigt, sind hier zwei kleinere der eben beschriebenen Ofen nebeneinander angebracht, welche jeder für sich zu bedienen sind und durch deren Rohrinneres das Verbrennungsrohr hindurchführt. Dasselbe (.;„ Prinzip der Widerstandserhitzung mit Platinfolie 5. Elektrischer Laboratoriurasofen (,, Heräusöfen"), drehbar angeordnet. N. F. VI. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 437 Zur rcmpcrauunicssuug in den bcsciuiebcncn Laboratoriumsöfen dient am besten ein Tyrometer nacli Le Chatelier in Verbindung mit einem Fräzisionsvohmcter, welches die eielei diesem prächtigen Schauobjekt die Namen und Fundorte nicht ange- geben, so daß es eben nur ein Schaustück ist und eigentlich in ein der Belehrung dienendes Museum nicht hinein gehört. F. Kbr. u. Scheibe. ') Es gibt auch noch andere Sammlungen , dort ist das Material, z. B. in der Bergakademie. Herrn F. B. in Brüssel. — An erster Stelle empfehlen wir Ihnen als Schulbuch für die Oberstufe die ,, Oberstufe der Naturlehre" von F. Poske (Braunschweig 1907, Vieweg & Sohn, Preis geb. 4 Mk.). Dieses Buch ist in Anlehnung an llöflcr's, für österreichische Mittelschulen bestiiiinilc Natur- Ulire unter Benutzung der reichen, dem Schriftleiter der Zeit- schrift für den physik. und ehem. Unterricht zur Verfügung stehenden Erfahrung bearbeitet und zeichnet sich durch kurze Zusammenfassung des im Unterricht ausführlicher zu begrün- denden und zu veranschaulichenden Stoffes aus. Übungs- aufgaben enthält dieses Buch allerdings nicht. Als Hiifsbuch für physik.alische Übungen , namentlich aus der Elektriziläls- lehre, würden wir den Leitfaden der Physik von Bremer (Leipzig, B. G. Teubner, 1904, Preis geb. 3,20 Mk.) empfehlen, der von uns in Bd. IV, S. III ausführlicher besprochen wurde. Kbr. Herrn G. B. in Nürnberg. — l) Unter galvanischer Polarisation versteht man die durch chemische Verände- rungen im Elektrolyten entstehende, elektromotorische Gegen- kraft, welche stets auftritt, wenn ein elektrischer Strom durch eine Flüssigkeit geleitet wird. Es gibt also streng genommen keine ,,unpolarisierbaren Elektroden". Bestimmte Elektroden- anordnungen zeigen indes eine verhältnismäßig sehr geringe Polarisation und werden daher für die Praxis als unpolarisier- bar bezeichnet. Dahin gehört z. B. amalgamiertes Zink in konzentrierter Lösung von Zinksulfat oder mit Kalomel über- schichtetes Quecksilber. Besonders wichtig sind die unpola- risierbaren Elektroden für Untersuchungen über tierische Elektrizität, da hier die Polarisationsströme die zu beobach- tenden Spannungsdifferenzen verdecken könnten. Du llois- Reymond, d'Arsonval und Fleischl haben geeignete Elektroden für Versuche über tierische Elektrizität angegeben. Einzel- heiten wären in Spezialwerken über diesen Wissenszweig nachzulesen. 2) Spezial werke über Thermoelektrizität sind uns nicht bekannt. Sie finden alles Wesentliche in Wiedemann's Lehre von der Elektrizität. Im Winkelmann'schen Handbuch der Physik hat F. Braun die Thermoelektrizität in Bd. VI, S. 730—758, behandelt. 3) Eine kurze Beschreibung von Birkeland' s elek- tromagnetischer Kanone finden Sie im dritten Bande N. F. dieser Zeitschrift (1903/4), S. 201. Weitere Literatur hierzu ist uns nicht bekannt. 4) Welche heute für Elemente gehaltenen Körper sich ,, wahrscheinlich" einmal als chemische Verbindungen erweisen werden , vermögen wir Ihnen nicht zu verraten , da uns die Gabe des Weissagens nicht verliehen wurde. Literatur über diese Frage ist uns nicht bekannt. F. Kbr. Herrn R. L. in Warnsdorf. — Soviel man aus Ihrer Mit- teilung ersehen kann, handelt es sich in den ,, porösen, schwachen Zwischenschichten" des Oybiner Sandsteins um ein verwittertes, eisenschlüssiges Quarzkonglomerat. Die Herauslösung (es handelt sich mehr um einen chemischen (Lösungs-) als einen physik.alischen (Erosions-)Vorgang) der Eisenverbindung durch Wasser hat sicherlich das schlackenartige, zerrissene Aussehen des restierenden Kieselzements verursacht. Sickerwasser wird bei der Durchlässigkeit des Sandsteines neben der Verwitte- rung auch eine Rolle gespielt haben. Daß solche eisen- schüssigen Schichten durch Verwitterung aufgeschlossen wer- den, ist eine häufige Erscheinung; ich erinnere an den eng- lischen Cornbrash, aus dem man die zahllosen darin stecken- den Fossilien meist nur dann heil herausbekommt, wenn die Eisenverbindungen darin durch die Atmosphärilien zu Ferri- oxydhydrat verwittert sind. W. Gothan. In der Naturwiss. Wochenschrift Nr. 22 fragt am Schluß jemand nach einer brauchbaren Fä h r t e n k un d e. Gegen- wärtig ist Herr Jagdschriftsteller Karl Brandt in Osterode a. IL damit beschäftigt, ein Fährtenbuch der jagdbaren Tiere herauszugeben , das , nach dem , was ich gesehen habe , sehr genau und gut gearbeitet ist — die Bilder — Fährten — sind z. B. vom Tiermaler Karl Wagner geliefert. L. Schwarz, Professor in Rinteln. Inhalt; Dr. R. Loebe: Der elektrische Ofen. — Kleinere Mitteilungen: II. II. Wilder: Die Wiederherstellung mensch- licher Mumien. — Dr. M. Marcuse: Gesetzliche Eheverbote für Kranke und Minderwertige. — Kaunhowen: Die Sttirungen in der Erdkruste. — Jentzsch; I'ane neue Insel. — Slip her; Das Spektrum des Sternes Mira Ceti. — K. E. K. Schmidt: Periodische Störungen der drahtlosen Telegraphie. — Bücherbesprechungen: i) Dr. Otto Zacharias: Das Süßwasser-Plankton. 2) Derselbe: Das Plankton als Gegenstand der luilurkundlichen Unterweisung in der Schule. — Karte der nutzbaren Lagerstätten Deutschlands. — Prof. Dr. .A. K o r n : Elektrische Fern|ihotographie und .Ähnliches. — Literatur: Liste. — Anregungen und Antworten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. l'otonie, «Irüß-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. l'ätz'sche Huchdr.), Naumburg n. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. F. Koerber Nene Folge VI. Band; der ganxen Reihe XXII. Band. Sonntag, den 21. Juli 1907. Nr. 29. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Halbjabrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespaltene Koloneheile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. Der elektrische Ofen. [Nachdruck verboten.! \'on Dr. R. Loebe. (Schluß.) III. Die Bedeutung des elektrischen Ofens für die Chemie und Metallurgie. Die Anwendung des elektrischen Ofens auf dem Gebiete der wissenschaftlichen und technischen Chemie hat eine von Jahr zu Jahr wachsende Be- deutung erlangt. In ihm ist den älteren chemi- schen und hüttenmännischen Prozessen ein Kon- kurrent entstanden, mit dessen Hilfe es erst gelang, zahlreiche Elemente in reiner Form und in größe- ren, der Untersuchung zugänglichen Stücken zu gewinnen. Eine erschöpfende Darstellung aller Fortschritte, welche auf der Nutzbarmachung elektrischer Wärmewirkungen beruhen, würde, ob- wohl ihre Entwicklung nur wenige Jahrzehnte zurückreicht, allein den Umfang eines größeren Werkes ausmachen. Deshalb soll es hier nur unsere Aufgabe sein, in Kürze die wichtigsten Ent- deckungen zu besprechen, welche die Chemie und die Metallurgie dem elektrischen Strom als Wärme- quelle verdanken. A. Elemente. Unter den Produkten des elektrischen Ofens nehmen die einfachen Körper und von ihnen wiederum die Metalle die erste Stelle ein. Woissan war es, wie bereits erwähnt, dem der Nachweis gelang, daß sich alle Metalle bei extrem hohen Temperaturen verdampfen lassen, und er gewann völlig reine Metalle, indem er z. B. C-haltige mit Hilfe des elektrischen F"lammenbogens destillierte. Kupfer verdampft sehr leicht, schwerer Gold, welches in destillierter F"orm purpurn aussieht. Noch schwieriger gestaltete sich die Destillation der Platinmetalle. Sehr widerspenstig verhalten sich auch die Metalle der Eisengruppe, aber auch sie gehen schließlich in den dampfförmigen Zu- stand über. Bei looo Amp. und iio Volt gingen von 400 g Eisen in 20 Minuten 200 g über, Uran verschwand vollständig. Auch Kohlenstoff, Sili- cium, Titan und Bor konnten verflüchtigt werden. Aus diesen Erfahrungen kann man schließen, daß die Sonnentemperatur 3500" kaum überschreitet. Denn da feststeht, daß die Sonne nicht ganz gas- förmig sein kann, muß die Temperatur ihres flüssigen Kernes einige hundert Grade weniger betragen als die des Lichtbogenofens. Es unter- liegt keinem Zweifel, daß auch alle Verbindungen bei genügend hohen Temperaturen durch Dissozia- tion in ihre Elemente zerlegt werden können. Bei den meisten ist dies bereits nachgewiesen worden. Daß sich einige Verbindungen wie Quarz und 4SO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 29 Kieselsäure solchem Zerfall scheinbar widersetzen, erklärt sich durch die starke Affinität ihrer Ele- mente, welche im Augenblick der Abkühlung eine Wiedervereinigung derselben herbeiführt. Wir werden im Verlauf unserer Betrachtung öfter Ge- legenheit haben, den Wert des elektrischen (Ifens für dieses, einfach auf thermischen Wirkungen be- ruhende Prinzip der Bildung eines Elementes kennen zu lernen. Aber den meisten Nutzen zieht zweifellos das zweite, wichtige Verfahren der Anwendung der Joule'schen Wärme, nämlich das- jenige, welches sich auf die Umsetzung einer Ver- bindung mit einem anderen Körper gründet. In ganz hervorragendem Maße gilt dies von der re- duzierenden Wirkung glühenden Kohlenstoffs. Durch elektrisch erhitzte Kohle ist es bereits ge- lungen, zahlreiche Metalle in reinem, mehr oder weniger kohlenstofffreiem Zustande herzustellen. Diese Darstellungsweise eines Metalls ist ohne Zuhilfenahme elektrischer Heizvorrichtun- gen in vielen Fällen gar nicht durchzuführen. Daher kam es, daß man früher annahm , viele Metalloxyde seien überhaupt nicht reduzierbar. Erst 1891 gelang Borchers der Nachweis, daß sich durch elektrisch erhitzten Kohlenstoff in der Tat alle bekannten Metalloxyde reduzieren lassen. Dieser Nachweis war das Ergebnis zahl- reicher Laboratoriumsversuche im elektrischen Ofen, und wir werden sehen, daß bei den verschiedenen Prozessen bald Widerstandserhitzung, bald die Hitze des Lichtbogens nutzbar gemacht wird. Die Reduktion des Zinkoxyds, eine stark endothermische Reaktion, wird mit Hilfe der Widerstandserhitzung technisch durchgeführt. Die oxydischen Erze werden mit Kohle gemengt und das Gemisch, von Kohle umgeben, in eine zj'lindrische Retorte eingebracht. Wird der Strom geschlossen, dessen Elektroden in Gestalt einer Graphitplatte und eines Graphittiegels den Ver- schluß der Retorte bilden, so wird das reduzierte Zink zuerst verflüssigt, danach verdampft, und diese Zinkdämpfe gelangen durch eine (jffnung in den vorgelegten Graphittiegel, der seinerseits noch durch eine Kohlenplatte verschlossen ist, wo sie sich kondensieren. Die Reaktionsgase entweichen aus dem oberen Teil derVorlage, während das flüssige Zink abgestochen werden kann. Der hierbei statt- findenden starken Verunreinigung der Zinkdämpfe durch Kohlenoxyd sucht man durch Anwendung einer rohrförmigen Elektrode zu begegnen, die von der Beschickung umgeben wird. Auch wird durch Anwendung einer Glockenelektrode die durch den Zersetzungsvorgang entwickelte Wärme in ge- schickter Weise zur Vorwärmung der Rohprodukte verwendet, eine sonst leicht eintretende stoßweise Gasentwicklung vermieden und der Gasdruck reguliert. Die Anwendung des elektrischen Licht- bogens bei der Zinkdarstellung ist, obwohl auch sie empfohlen wird, als Verschwendung anzusehen, da zu der Reduktion die Widerstandserhitzung vollkommen ausreicht. Dagegen benutzt man in der Technik zuweilen die elektrische Energie neben der gewöhnlichen h'euerung, um die Destillation teils zu beschleunigen, teils vollkommen zu machen. Als Rohprodukte für die Zinkverhüttung dienen außer oxydischen Erzen auch kieselsaure Verbin- dungen. Deren Verarbeitung läßt sich mit Hilfe der Elektrizität insofern lukrativ gestalten, als da- bei ein wichtiges Nebenprodukt, das Siliciumcarbid, gewonnen wird, ein Körper, der als ,,Karborundum" bereits eine vielseitige Verwendung gefunden hat, und weil die Reduktionstemperatur der Kieselsäure nur wenig höher liegt als die des Zinkoxyds, die Temperaturerhöhung also nicht allzu groß zu sein braucht. Neben diesen Silikaten kommen auch sulfidische und pyritische Erze zur Verwen- dung. Aus letzteren, welche bisher hauptsächlich auf Schwefelsäure verarbeitet wurden, gewinnt man jetzt in ähnlicher Weise Ferrosilicium als Nebenprodukt. Man benutzt zu diesem Zwecke als Zuschlag ein Gemisch von Glaubersalz, Kalk- stein und soviel Kohle, daß das entstehende Car- bid nur das Zinksulfid, nicht aber das F~errosulfid zersetzt. De Laval benutzt zur Darstellung von Zink den elektrischen Strahlungsofen, in welchem er ein Ge- misch von pulverisiertem Zinkerz mit Kohle, Eisen- erz und Kalkstein erhitzt. Bei solcher ununter- brochenen Destillation destillieren Zink und andere wertvolle Metalle ab, die dann nach ihrer Kon- densation weiter verarbeitet werden müssen. Das Verfahren ist auch bei Blei, Kupfer, Nickel und Kobalterzen anwendbar. Was die Erdalkalimetalle betrifft, so hatte zwar Borchers 1891 die Reduzierbarkeit auch ihrer Oxyde mit Hilfe elektrisch erhitzten Kohlen- stoffs festgestellt. Doch ist noch kein Verfahren ge- funden, das die Herstellung dieser Metalle in ein- wandfreier Weise ermöglichte. Die Reduktion im elektrischen Ofen liefert im allgemeinen kein Erd- alkalimetall, sondern nur deren Carbide, selbst bei Anwendung äquimolekularer Mengen von Kohlenstoff. Daß schließlich bei andauerndem Erhitzen bei den höchsten Temperaturen unter Abscheidung von Graphit etwas Metall gebildet wird, ist eine Ersclieinung, deren Erklärung bei der Behandlung des Calciumcarbids nähergetreten werden soll, die aber praktisch keine besondere Rolle spielt. Die technischen Verfahren der Aluminium- darstellung beruhen meist auf elektrolytischen Prozessen, bei denen auch die Wärmewirkung der Elektrizität zur Anwendung kommt. Die hohe Re- duktionskraft des Aluminiums selbst erschwert seine Darstellung aus dem Oxyd mit Hilfe glühen- den Kohlenstoffs. Die zu dieser Reaktion erfor- derliche Reduktionswärme ist so hoch , daß sie überhaupt nur durch elektrische Energie geleistet werden kann. Der Gedanke einer solchen Re- duktion war nicht neu. Schon 1862 brachte Monckton einen Widerstandsofen für Aluminium- darstellung in Vorschlag. Bei den damaligen Verhältnissen ließ sich das Verfahren aber praktisch nicht verwirklichen. Erst 1884 N. F. VI. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 451 wurde dann von Gebr. Cowles festgestellt, daß es unmöglich sei, durch Kohle Tonerde zu redu- zieren, um ein brauchbares Metall zu erhalten, weil es sich sofort mit dem Kohlenstoff zu Carbid verbindet, resp. ein Gemisch von Metall und Carbid gebildet wird. Sie legieren deshalb das Metall im .Augenblicke seiner Entstehung mit einem anderen Metall und verhindern damit die Auf- nahme von Kohlenstoff Bei diesem Verfahren liefert die Reaktionsmasse selbst infolge ihres Widerstandes beim Stromschluß die erforderliche Wärme. Auf diese Weise haben die Gebr. Cowles die Möglichkeit einer Reduktion des Aluminium- oxydes durch elektrisch erhitzte Kohle dargetan. Doch entliielt ihr Produkt noch Kohlenstoff ge- bunden. Dagegen erhielt Gin ein reines Produkt durch Erhitzen eines Gemisches aus Aluminiumnatrium- fluorid und Aluminiumnatriumsulfid im elektrischen Ofen. Die dabei entstehenden Nebenprodukte Pluornatrium und Schwefel werden bei diesem Prozeß wieder verwendet. Das dem Aluminium verwandte Titan erhielt man durch Glühen vonChlorcalcium und Titansäure im elektrischen (Jfen. Das blaue Titanoxyd gibt bei höherer Temperatur ein Nitrid Ti.iN.,, welches bei steigender Temperatur dissoziiert und schließlich ein Carbid liefert, das nicht völlig rein erhalten worden ist. Die Schmelze mit 2 "„ C ritzt Quarz. In dem Bestreben ferner, reines sog. kristallisiertes Zirkon im elektrischen Ofen darzustellen, gewann neuer- dings Wedekind durch Schmelzen von Aluminium- Kalium-Pluorid ZrF^3KF mit metallischem, ge- körntem Aluminium eine sehr feste Legierung des Zirkons mit Aluminium von der Formel ZrAl.,. Dieses geht beim Schmelzen im Quarzrohr im elektrischen Ofen in eine andere Legierung Zrg Al^ über , die an Widerstands- fähigkeit jene noch übertrifft. Analog den Sili- ciden kann man diese Legierungen als Zirkonide auffassen. Mit Magnesium behandelt, ergab das Doppelsalz ein 94,12 ",, haltiges Zirkon. Das reine Zirkon, das man durch wiederholtes Zusam- menschmelzen von Kohlenstoff' mit einem Über- schuß von Zirkonerde erhalten kann, ritzt Rubin und ist ein antimonartiger Regulus (Moissan). Eine ähnlich hohe Reduktionskraft wie das Aluminium besitzt auch das Magnesium. Des- halb resultieren bei der schwer durchführbaren Reduktion seines Oxyds nur unerhebliche Quan- titäten dieses Metalls. Beryllium erhielt man nur durch elektrisches Verschmelzen des natürlich vorkommenden Berylls im Kohletiegel. Hierbei entweicht Kieselsäure dampfförmig, während ein Gemenge von Aluminiumcarbid und Beryllium- carbid, außerdem noch Ferrosilicium und Silicium- carbid gebildet werden. In ähnlicher Weise wurde auch eine Legierung von Kupfer mit Si und 1,32 "„ Beryllium erhalten. Die Cermetalle sind durch Reduktion ihrer Oxyde mit Kohle noch nicht C-frei her- gestellt worden. Das Cer hat eine zu große Affinität zu Kohlenstoff und dem Stickstoff der Luft, sein Oxyd bildet daher, mit Kohlenstoff bei den Temperaturen des elektrischen Ofens er- hitzt, zu leicht Carbide bzw. Nitride. Als Legie- rung ist das von Stockem erhaltene Cercarbid- oxyd-Gemisch anzusehen, welches kristallinisches Gefüge besitzt und mit Wasser und Säuren Kohlen- wasserstoffe liefert. Derselbe stellte durch redu- zierendes Verschmelzen eines Gemisches von Cer- oxyd, Kupferoxyd und Kohlenstoff analog den sog. Cowles'schen Aluminiumlegierungen solche von Kupfer mit 5,5 "/n und 10,3 % Cer her. Dagegen läßt sich Eisen nicht mit Cer legieren. Daß man aber durch Reduktion des Ceroxyds durch Alu- minium das Metall bekommen kann, dafür bietet die Existenz der Legierungen von Cer mit Kupfer und Aluminium die Gewähr. Beim Aluminium und einigen seiner Verwandten beobachten wir also eine sehr starke Reduktions- kraft, die der Darstellung dieser Metalle auf rein elektrothermischem Wege entgegensteht und daher technisch keine Bedeutung erlangen konnte. Die Reduktionskraft des .Aluminiums wird im elektrischen Ofen wie beim Cer auch zur Darstellung von Vanadium erfolgreich an- gewendet. Smith benutzt es als Reduktions- mittel neben Kohle, um aus Vanadiumerzen eineVanadium-Eisen-Legierungim elektrischen Ofen zu erhalten. Denn auch beim Vanadium ist das Verschmelzen zu Legierungen zweckmäßiger, weil das reine, kohlenstofffreie Metall schwierig dar- stellbar ist. Die Reduktion seines Oxyds gelang Borchers leicht im Widerstandsofen, also bei mäßig hohen Temperaturen. Wenn dagegen Moissan bei der Darstellung des Metalls im Lichtbogenofen Schwierigkeiten begegnete, so liegt das wohl an der Flüchtigkeit des Vanadiums bei diesen Hitze- graden. Bei Anwendung stärkerer Ströme ent- stand Carbid bzw. ein Gemisch von diesem mit Metall. Schließlich resultierte ein Vanadium mit 9 bis 25",, Kohlenstoff Eine andere Methode beschäf- tigt sich mit der Elektrolyse eines Schmelzflusses von Vanadiumfluorid unter Verwendung von Anoden aus Vanadiumtrioxyd und Kohle, worauf hier nur hingewiesen sein mag. Jedenfalls ist noch kein gänzlich C-freies Vanadin hergestellt worden. Das auf elektrischem Wege gewonnene Metall ist äußerst widerstandsfähig. Die Reduktion der Tantalsäure gelang Moissan mit Hilfe seines elektrischen Ofens. Er erhielt bei Anwendung von überschüssigem Kohlen- stoff ein Metall mit nur 0,5 % Kohlenstoff. Eine große Schwierigkeit bei der Darstellung des Tantals liegt in seiner großen Flüchtigkeit. Um dem zu begegnen, verwenden Siemens & Halske Elektroden, deren positive aus dem zu erschmel- zenden Metall selbst besteht und nahe am Liclit- bogen eine größere Metallfläche besitzt. Zur Reinigung des Metalls von Oxyden wird es im Vakuum durch den Lichtbogen zwischen Stäben von Tantal als Elektroden erhitzt. Bekanntlich hat das Metall wegen seiner Verwendung vor- 452 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 29 nehmlich zu Glühlampenfäden neuerdings beson- dere Beachtung gefunden. Eine große Bedeutung hat die Wärmewirkung des elektrischen Stromes in der Technik bei der Verhüttung des Eisens erlangt. Wir haben hier zu unterscheiden die Prozesse, welche sich mit der Darstellung von Roheisen aus den Erzen beschäftigen, zweitens diejenigen, welche die Überführung dieses letzten in schmied- bares Eisen bzw. Stahl, und endlich solche, die die Herstellung des Stahls direkt aus den Erzen auf elektrischem Wege bezwecken. Zur Darstellung des Roheisens werden nach Heroult die Erze in einem hochofenähn- lichen Schachtofen durch Abgase vorgewärmt und gelangen von dessen Sohle aus auf schräger Bahn in den elektrischen Ofen, wo die Reduktionsarbeit selbst vor sich geht. Die Reduktionskohle wird deshalb nicht von Anfang an mit den Erzen ver- mischt, sondern gelangt auf besonderem Wege in den Ofen. Das Prinzip besteht also wesentlich darin, den Reduktionsvorgang durch Elektrizität zu unterstützen und die Wärmeenergie des Kohlen- stoffs vollkommen auszunutzen. Der erste Gedanke, die Vorgänge des Hoch- ofens in dieser Weise zu fördern, ging von Stassano aus, der heute den elektrischen Flammenofen zur Verarbeitung von Eisenerzen direkt auf reineres, also schmiedbares Eisen an- wendet. Bei diesen Öfen werden mehrere Licht- bogen über der Masse erzeugt. Das Verfahren ist aber bisher nur dort mit Erfolg angewendet worden, wo, wie in Italien, billige elektrische Kraft und Billigkeit der Rohstoffe gleichzeitig vorhanden sind. Das Roheisen auf elektrischem Wege zu einem gewissen, willkürlichen Reinheitsgrad zu raffinieren, kann nur dadurch ermöglicht werden, daß eine direkte Berührung des Metalls mit den Kohlenelektroden vermieden wird. Des- halb verwendet Heroult als eigentlichen Heiz- widerstand Schlackenschichten, die er zwischen das Metall und die Elektroden bringt. Der Hitze des Lichtbogens bedarf es zu diesem Zwecke des Raffinierens nicht. In der gegebenen Weise kann natürlich auch C-ärmeres Eisen mit C angereichert werden. Heroult erschmolz in seinem Ofen bei 300 PS. mit einer elektrischen Pferdekraft in 24 Stunden 50 kg Stahl. Der Gedanke einer elektrothermischen Um- wandlung von Eisen in Stahl ist, wie schon erwähnt, beinahe ein Jahrhundert alt. Im Jahre 181 5 berichten, wie Borchers mitteilt, die,,PhilosophicalTransactions" (London), daß Pepys einen aus reinem, weichem Eisen bestehenden Draht zu einem Winkel bog, ihn an der Biegung der Länge nach mit einer Säge zerschnitt und in den entstandenen Spalt Diamantspäne streute. Nachdem er die betreffende Stelle in Talkblätter eingepackt hatte, schaltete er den Draht in einen Stromkreis. Nach 6 Minuten war der Draht rotglühend geworden und bei näherer Beobachtung war der Diamantstaub ver- schwunden. Der betreffende Teil des Drahtes aber war in Stahl verwandelt. Schließlich sei noch an das bemerkenswerte Verfahren von Kjellin erinnert, welches beim Kapitel der direkten Widerstandserhitzung besprochen wurde. Was nun die übrigen, zur Ei se n grupp e ge- hörigen Metalle betrifft, so interessiert uns deren elektrothermische Herstellung besonders deshalb, weil sie in der Metallurgie des Eisens eine her- vorragende Rolle einnehmen. Da sie aber dort nur in Form ihrer Legierungen verwendet werden, so arbeitet man bei ihrerErschmelzunginderTechnik praktisch gleich auf solche hin. Denn völlig kohlen- stoff- und carbidfreie Metalle sind wegen ihrer Flüchtigkeit bei extrem hohen Temperaturen durch Reduktion mit elektrisch erhitzter Kohle noch nicht dargestellt worden. Will man daher das Metall rein erhalten , so muß es noch raffiniert werden. (Auf den Gehalt an Carbid z. B. ist die geringe Haltbarkeit sog. reinen Mangans zurückzuführen.) Nach Schuckert geschieht dies z. B. dadurch, daß das im elektrischen Ofen ver- dampfende Metall über eine auf hohe Temperatur erhitzte Schicht seines Oxydes geleitet wird, wo- bei ein ziemlich C-armes Metall resultiert. Ein Mangan mit weniger als 4 "!„ Kohlenstoff ist noch nicht hergestellt worden. Das sogenannte reine Mangan läßt sich leicht bearbeiten und ritzt Glas nicht. Eine französische Gesellschaft läßt, um wieder einen Kontakt des flüssigen Metalls mit den Kohlenelektroden zu vermeiden, letztere in eine spezifisch leichtere Schlackenschicht eintauchen. Nach diesen beiden Methoden wird übrigens auch reines Chrom hergestellt. Das erste geschmolzene Chrom hat Borchers erhalten. Die beste Vorschrift für die Herstellung C-freien Chroms gab Moissan , der es in seinem elek- trischen Bogenlicht-Ofen erzeugte. Borchers emp- fiehlt, bei Benutzung der Widerstandserhitzung eine dem AloO., äquivalente Menge von Chromoxyd über eine Mischung von AIjOo und Kohle zu schichten und die untere Schicht elektrisch auf die Reduktionstemperatur des AloO., zu bringen. Hierbei wird letzteres reduziert, während sich das bei der hohen Temperatur flüchtige Metall in der oberen, kälteren Schicht verdichtet. Daneben entsteht Alu- miniumcarbid, durch welches bei Erreichen einer gewissen Temperatur das überlagernde Chromoxyd zugleich unter Reduktionswirkung des xAluminiums unter starker Wärmeentwicklung zu Chrom reduziert wird. Dieses umständliche Verfahren kann bei der Be- deutung des Chroms für die Metallurgie des Eisens schwerlich in Frage kommen. Dagegen hat Moissan in sinnreicher Weise das basische Martin-Verfahren des Stahlbetriebs auf die Raffination des kohle- und siliciumhaltigen Chroms angewendet. Eine basische Substanz, erhalten durch Erhitzung von Kalk mit Chromoxyd (also ein Calciumchromit) benutzt er als Futter für den elektrischen Herd eines Schmelzofens, um auf diese Weise die Oxy- dation und Verschlackung der Verunreinigungen N. F. VI. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 453 herbeizuführen und somit zu entfernen, — also ganz entsprechend dem Vorgang im Martinofen, wo die Verunreinigungen mit Eisenoxyd entfernt werden. Das reine Chrom läßt sich, wie Mangan, leicht bearbeiten. Bei einem Gehalte von 1,5 — 3 " „ C aber wird es sehr hart und nur vom Diamant an- gegriffen. Der Schmelzpunkt des reinen Chroms liegt höher als der des Platins. Industriell könnte man übrigens auch Ferrochrom auf Kalkfutter reinigen. In ähnlicher Weise wie die vorherbesprochenen Eisenmetalle kann auch Molybdän durch Re- duktion seines Oxyds im elektrischen Ofen er- halten werden, aber auch dieses nur in mehr oder weniger C- freier Form. Borchers stellte das Metall in seinem Widerstandsofen dar, aber neben einer überwiegenden Menge von Carbid. Moissan dagegen, der seine Versuche im Lichtbogen ausführte , er- hielt ein 99,98 ",, haltiges, reines Molybdän, wenn er weniger C anwendete als zur Reduktion nötig ist und den Lichtbogen immer nur auf Teile des Tiegelinhalts einwirken ließ. Die Gewinnung des Molybdäns kann aber auch durch d issozi ierendes Verschmelzen er- möglicht werden. Dies ist der Fall bei Verwen- dung von Molybdänglanz, der, unter Luftabschluß im elektrischen Ofen erhitzt, in Molybdän und Schwefel gespalten wird. Die rohe Schmelze ritzt Quarz, das- reine Molybdän aber nicht einmal Glas. Man kann es wie Eisen hämmern und schmieden. Wie dieses läßt es sich auch zementieren, d. h. es nimmt durch Diffusion bei hoher Temperatur C auf und gewinnt dadurch an Härte. Es könnte beim Bessemcr- oder Martinverfahren als Reduk- tionsmittel dienen und würde ein leicht entfern- bares, flüchtiges Oxyd geben. Fast frei von Kohlenstoff stellte Moissan auch das Wolfram her, und zwar auch wieder durch Reduktion seines Oxyds mit Kohlenstoff bei der Temperatur des elektrischen Ofens. Hier muß einerseits, ganz wie beim Molybdän, eine zur Re- duktion theoretisch unzureichende Menge Kohlen- stoffbenutzt werden. Andererseits soll die Tempera- tur nicht soweit gesteigert werden, daß der Schmelz- punkt des Metalls erreicht wird. Das Wolframmetall ist in reinem Zustande widerstandsfähiger als Chrom und Molybdän und ritzt Glas nicht. Es läßt sich ebenfalls zementieren und erhält dadurch solche Härte, daß es Quarz ritzt. Unter gleichen Bedingungen gelang Moissan dann auch die Dar- stellung von C-freiem, wenn auch nicht ganz sauerstofffreiem Uran. Man muß aber bei der Herstellung durch titanhaltigen Kohlenstaub den Luftstickstoff unschädlich machen. Das Metall läßt sich leicht bearbeiten und ebenfalls durch Zementieren härten. Schließlich wäre noch der elektrothermischen Darstellung des Nickels zu gedenken, während hinsichtlich der Anwendung der elektrischen Wärmewirkung für die übrigen hier nicht er- wähnten Metalle höchstens noch einzelne neuere Verfahren für Kupfer und Zinn in Frage kommen. Bei der elektrischen Reduktion von Nickeloxyd mit Kohle ist es wieder von Wichtigkeit, die direkte Berührung der Elektroden mit dem Schmelzfluß des entstehenden Metalls zu vermeiden. Deshalb hat man vorgeschlagen, einen Körper wie Magnesia mit Zuschlägen von Flußspat o. a. auf dem Boden der unteren Elektrode herzustellen. Hierdurch wird zugleich die Leitfähigkeit des Materials erhöht. Ein zur Reduktion im elektrischen Ofen geeignetes Nickeloxyd stellen Siemens & Halske durch Aus- fällen von Nickelsalzlauge mittels kohlensaurer Erd- alkalien her. Das entstehende Nickeloxyd bzw. -carbonat wird dann calciniert und anhaftende Salze werden- ausgelaugt. Ein französisches Patent endlich behandelt die Ausgewinnung des Nickels aus Garnierit, der, mit einem Flußmittel und Kohle ■ versetzt, in einem elektrisch erhitzten, aus dem Material des Erzes bestehenden Tiegel reduziert wird. Wenn wir von den Produkten des elektrischen Ofens in erster Linie die Elemente besprechen wollten, deren vereinfachte oder Reindarstellung wir seiner Anwendung verdanken, so erübrigt es sich nächst den Metallen die wichtigsten Metalloide zu streifen. Von ihnen sind es namentlich Kohlen- stoff und Silicium, deren Herstellung bei den auf elektrischem Wege erreichbaren Temperaturen ge- lungen ist. Der Kohlenstoff existiert in drei allotropischen Modifikationen , von denen wir den Diamant als die reinste ansehen. Um den Wärmewert der Umwandlung aus der einen Modifikation in die andere zu bestimmen, brauchen wir uns nur den kalorimetrischen Heiz- wert der einzelnen Modifikationen zu vergegen- wärtigen. Bei der Verbrennung ergeben: amorphe Kohle 97650J Differenz 2840 1) Graphit 94 810 Diamant 94 3iO| " 500 Daraus kann man entnehmen , daß beim Über- gang molekularer Mengen, d.h. von 12g, amorpher Kohle in Graphit 2S40 cal., bei weiterer Umwand- lung zu Diamant 500 cal. frei werden. Der Kohlen- stoff bietet somit ein interessantes Beispiel solcher Körper, welche, in ihren einzelnen allotropischen Zuständen einer direkten Untersuchung im Kalori- meter zugänglich, durch Angabe ihrer Energie- differenz die Umwandlungswärme leicht erkennen lassen. Die praktische Verwirklichung dieser Um- wandlungen auch in größerem Maßstabe ist nun seit einer Reihe von Jahren der Gegenstand zahl- reicher Untersuchungen gewesen. So ist Frank die Darstellung von Graphit aus amorpher Kohle ge- lungen. Dieser fand, daß schon bei ziemlich niedrigen Temperaturen (200 — 250") Calciumcarbid durch Überleiten von Kohlenoxyd oder Kohlendioxyd unter Bildung von CaO und C zersetzt wird, und daß sich bei Einwirkung dieser Gase unter höherem 1) Nach Kernst, Theuret. Chemie IV, A. S. 583. 454 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 29 Druck und bei hoher Temperatur der Kolilenstoff als Graphit abscheidet. Ein viel wichtigeres und pral und von Bunet de Jassoncis MnB hinzugefügt. Als Beispiel für im elektrischen Ofen darge- stellte Nitride mag das Titannitrid gelten, welches durch Reduktion des O.xyds bei gleichzeitigem Einblasen von Stickstoff resultiert. Von Phosphiden wurde in letzter Zeit das Carbophosphid des Calciums durch Reduktion von Calciumphosphat mit Kohle im elektrischen Ofen erhalten. N. F. VI. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 459 Von allen Erfolgen, die seither mit Hilfe der durch Elektrizität erreichbaren hohen Temperaturen erzielt worden sind, ist zweifellos die Nutzbar- machung des I.uftst ickstoffes zur Her- stellung von Salpetersäure einer der bedeutendsten. Der Stickstoff war bis dahin dasjenige Element, welches, zu ^/, in der Luft enthalten, wegen seiner Inaktivität noch nicht verwertet werden konnte. Durch Anwendung äußerst stark ge- spannter Ströme aber ist dieses Problem gelöst worden. Nach dem Gleichgewicht N.^ -\- O., ^r± 2 NO verbindet sich bei sehr hohen Temperaturen der Stickstoff mit dem Sauerstoff. Von 1200" an, wo die Gleichgewichtskonzentration gleich Null ist, nimmt dieselbe mit steigender Temperatur zu. Nernst hat die Gleichgewichtskonstante ermittelt. (Nachrichten der K. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, math.-phys. Klasse, 1904, Heft 4). Muthmann und Hofer (D. ehem. Ges. Her. 1903, 36,438) untersuchten die Stickoxydkonzentrationen, welche sich in einem mit Luft gefüllten Kolben bilden, worin Ströme von 3000 Volt und 0,1 At. zur Entladung kamen. Von den Verfahren, welche sich mit der Nutz- barmachung des Luftstickstoffes beschäftigen, sei hier als Beispiel dasjenige von Birkeland Eyde kurz geschildert. Es ist bekannt, daß sich bei jeder Bogenlampe chemischeVerbindungen zwischen dem Stickstoff und Sauerstoff der Luft vollziehen. Es entsteht zuerst Stickoxyd, das sich sofort durch O-Aufnahme in NO,, resp. N.,0.; verwandelt. Bei dem genannten Verfahren nun speist hochgespannter Wechselstrom einen Flammen- bogen , der unter dem Einflüsse eines mag- netischen Feldes Scheibenform annimmt und somit eine besondere Form des elektromag- netischen Gebläses darstellt. Die magnetischen Kräfte sind bestrebt, die beständig neugebil- deten Flammen auszublasen, und so kommt eine Flamme zustande, die einmal nach der einen, das anderemal nach der anderen Seite hin entflieht. Der Eindruck, den diese Flamme erweckt, ist mit dem der ruhig fortbrennenden Sonne verglichen worden. Im Bereich dieser ca. 3700" betragenden Flammen- sphäre wird nun die Verbrennung des Luftstickstoffs in hohem IVIaße befördert. In der Praxis wird die Wechselstromscheibe in einem feuerfesten, mit Kupfer stark gepanzerten Ofen montiert und durch den Ofen hindurch ein starker Luftstrom ein- geblasen. Solche Öfen waren ein halbes Jahr lang ununterbrochen im Betriebe und arbeiteten mit ca. 500 KW. Es sind mächtige Apparate, denn die Flammenscheiben allein haben einen Durchmesser von über 2 Metern. Man kann sie füglich mit Recht als die größte elektrische Ent- ladung auffassen, die jemals andauernd im Gang erhalten wurde. In der großen Zahl der Ent- ladungsflächen liegt der Vorzug des beschriebenen Verfahrens gegenüber anderen Methoden. Denn nur so ist die Ausbeutung großer Mengen von Luftsfickstoff bei Anwendung großer Energie- mengen ermöglicht. In Notodden im Hitterdal ist ein dauernder technischer Betrieb auf dieser Grundlage errichtet. Große Wasserkräfte ermög- lichen einen Durchschnittspreis von 12 Mark pro PS und Jahr für elektrische Energie. Der aus dem Ofen austretende Gasstrom , ein Gemisch unverbrannten Sauerstoffs und Stickstoffs mit kaum 2 "/ß NO verwandelt seinen NO wegen des Über- schusses an O von selbst in N.,0.5. Dies liefert mit Wasser sofort Salpetersäure, indem wieder NO dabei entsteht. Dies letztere bildet weitere Mengen HNO3. In Absorptionstürmen reichert sich diese bis zu einem Gehalt von 50 "/(, an, und wird durch Neutralisation mit Kalkstein in Calcium- nitrat übergeführt, welches man in eisernen Trom- meln erstarren läßt. In Notodden werden täglich mehr als 1 500 kg wasserfreier Salpetersäure her- gestellt. Bekannt ist auch, daß in neuester Zeit die elektrische Oxydation des Luftstickstoffes zur Dar- stellung wichtiger Verbindungen, namentlich des in der Landwirtschaft bereits als Düngemittel viel benutzten Calciumcyanamid, im großen durch- geführt wird. Kleinere Mitteilungen. Einen wichtigen Beitrag zur Frage der Ge- schlechtsbestimmung liefert R. C. Punett. (Sex-determination in Hydatina, %vith some remarks on Parthenogenesis. Proceedings of the Royal Society 1906.) — Das schon von mehreren Autoren untersuchte Rotator Hydatina senta erzeugt 3 Arten von Eiern: große parlhenogenetische Eier, die sich zu Weibchen entwickeln, kleine partheno- genetische Eier, aus denen Männchen entstehen und befruchtete Eier, die sich immer zu Weib- chen entwickeln. Jedes Weibchen legt nur eine Art von Eiern, so daß man 3 Typen von Weib- chen unterscheiden kann. Auf die Weibchen, die parthenogenetische Eier legen, aus denen sich Weibchen entwickeln, hat die Befruchtung keiner Einfluß; auf die Weibchen, die männliche Eien legen, hat sie nur Einfluß, wenn sie während der ersten Stunden nach dem Ausschlüpfen geschieht. Tritt dieser Fall ein, so legt das Weibchen anstatt der parthenogenetischen männlichen Eier be- fruchtete Eier, aus denen Weibchen entstehen. Die Weibchen der dritten Art sind somit eigent- lich männchenerzeugende, die in ihren ersten Lebensstunden befruchtet werden. Von großem Interesse ist die Tatsache, daß nur das Ei, aus dem sich ein Männchen entwickelt, einen Rich- tungskörper ausstößt. — Aus den parthenogene- tischen weiblichen Eiern werden teils Weibchen, 460 Naturwissenschaftliche Wocliensch rift. N. F. VI. Nr. 29 die wieder Weibchen, teils solche, die Männchen erzeugen, jedoch in verschiedenem Prozentsatz. Die Ursache zu dieser Variation ist nach Mau- pas die Temperatur, und zwar sollen bei größerer Wärme nur Männchen, bei Temperatur- erniedrigung nur Weibchen entstehen. Nuß- baum dagegen ist der Meinung, daß der aus- schlaggebende F"aktor zur Geschlechtsbestinimung die Ernährung ist. Beiden Erklärungen stimmt Punett nicht zu; er glaubt, daß der Fehler dieser Ergebnisse in der Untersuchungsmethode der ge- nannten Forscher liege. Daher zog der Verfasser selbst Kolonien von Hydatina und konnte folgende 3 Typen von Weibchen unterscheiden : A) Weib- chen, aus deren parthenogenetischen Eiern sich ein hoher Prozentsatz von männchenerzeugenden Weibchen entwickelt, B) Weibchen, aus deren parthenogenetischen Eiern sich ein niedriger Pro- zentsatz von männchenerzeugenden Weibchen ent- wickelt, C) Weibchen, aus deren Eiern sich keine männchenerzeugenden Weibchen entwickeln. Er konnte ferner feststellen, daß Temperatur und Er- nährung nicht die Rollen spielen, die in ihnen Maupas und Nußbaum zuschreiben; beide Faktoren haben bei Hydatina keinerlei Einfluß auf die Geschlechtsbestimmung. Diese Frage bedarf vielmehr noch erneuter Untersuchungen (beson- ders der Ovogenese) und kann vorläufig noch nicht entschieden werden. Der Verfasser glaubt, daß sich die Weibchen- und männchenerzeugenden Weibchen morphologisch unterscheiden, worauf das Hervorbringen verschiedener Arten von Eiern beruhe. Punett faßt die Weibchen, aus deren partheno- genetischen Eiern sich wieder Weibchen entwickeln, als wirkliche Hermaphroditen auf, obwohl keine Befruchtung zustande kommt. l""ür diese Ansicht spricht zwar die Tatsache, daß bei den weiblichen Eiern die Ausstoßung eines Richtungskörpers unterbleibt, doch genügt dieser Grund allein nicht, um eine solche gewaltsame Hypothese aufzustellen. Sie muß deshalb aufs schärfste zurückgewiesen werden. P. Brohmer, Jena. Die Bahn des spektroskopischen Doppel- sterns ß Arietis, die kürzlich von Dr. H. Luden- dorf f auf Grund der Ausmessung von j6 Spektral- aufnahmen der Potsdamer Sternwarte bestimmt wurde (Sitzungsber. der preuß. Akad. der Wissensch. igo/, XXII), weist in mehrfacher Beziehung inter- essante Eigentümlichkeiten auf Zwar waren die Messungen der Linienverschiebung infolge der in der Gesichtslinie stattfindenden Bewegung wegen der Verwaschenheit der Linien recht schwierig, und es konnten überhaupt nur zwei Linien (H7 und die Mg-Linie X 4481) hinreichend sicher einge- stellt werden, so daß die Unsicherheit der aus der Messung an einer Platte sich ergebenden Ge- schwindigkeit wohl 10 km betragen kann, — trotz- dem aber gelang doch eine recht zweifelsfreie Bahnbestimmung, wenn für die Umlaufszeit der Wert von 107,0 Tagen angenommen wurde. Die Geschwindigkeitskurve von ß Arietis hat eine sehr außergewöhnliche Form, indem die Änderungen der Geschwindigkeit während eines Zeitraums von 80 Tagen sehr gering bleiben, dann aber plötzlich sehr starke Beträge annehmen, so daß die Geschwindigkeit in bezug auf die Sonne binnen wenigen Wochen von den wenig unter Null liegenden Werten jenes Zeitraums mit schwacher Änderung zu einem sehr scharf aus- geprägten Maximum von -|- 60 km ansteigt, um dann sogar noch schneller zu dem äußerst flachen Minimum von etwa — 6 km zurückzugehen. Die Bahnbestimmung erklärt dieses merk- würdige Verhalten vollkommen durch die ganz außergewöhnlich große Exzentrizität der Bahn- ellipse der optisch allein wahrnehmbaren Kom- ponente des Systems, denn diese beträgt nämlich 0,88, während unter den 26 Bahnen der bisher bekannten, spektroskopischen Doppelsterne sich 15 befinden, deren Exzentrizität kleiner als 0,15 ist, und die größten bisher bekannten Werte 0,55 (bei ß Herculis) und 0,52 (bei t Ursae majoris) waren. Während bei visuellen Doppelsternen sehr große Exzentrizitäten mehrfach vorkommen, aller- dings nur bei Systemen von sehr langer Umlaufs- zeit (;' Virginis: e = 0,90, U = 194 Jahre; I'2525; e = 0,96, U = 307 Jahre etc.), ist die stark gestreckte Bahn von ß Arietis für spektrosko- pische Doppelsterne und in Hinsicht auf die Kürze der Umlaufszeit generell ein ganz exzeptioneller Fall. Da nun außerdem der Durchgang des Sterns durch den Knoten (d. h. durch eine auf der Ge- sichtslinie senkrecht zu denkende Ebene, welche durch den Schwerpunkt des Systems gelegt ist) nahezu mit dem Periastron , d. h. der Zeit der schnellsten Bewegung, zusammenfallt, so wird ge- rade diese Phase des Umlaufes eine sehr starke Linienverschiebung im positiven Sinne, d. h. ent- sprechend einer von der Sonne fortgerichteten Bewegung, bewirken, während sich die Phase der Annäherung an die Sonne über einen großen Zeitraum erstreckt, da sie mit der Periode der langsamsten Bewegung des Gestirns in seiner Bahn zeitlich zusammenfällt. Von den sonstigen Ergebnissen der Bahnbe- stimmung sei hier nur noch erwähnt, daß sich die Radialgeschwindigkeit des Schwerpunkts des Systems zu — 0,6 km ergab, daß die auf die Sphäre projizierte große Halbachse der Ellipse sich auf 22 880ü00km beläuft und daß unter der Voraussetzung gleicher Massen beider Kompo- nenten und unter der Annahme, daß die Bahn- ebene durch die Sonne ginge, jedem der beiden Gestirne eine Masse gleich 0,17 der Sonnenmasse zukommen würde. F. Kbr. Aus dem wissenschaftlichen Leben. S. Czapski -f. Am 29. Juni starb im Alter von niir 46 Jahren der derzeitige Leiter des Zeißwerkes, S. Czapski, der bedeutendste Schüler Ernst Abbe's , der dessen Theorie der optischen Instrumente in meisterhafter Weise im Winkel- N. F. VI. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 461 mann'schen Handbuch der Physik zur Darstellung gebracht und ihr dadurch die gebührende Beachtung unter den Physi- kern verschatTt hat. Czapski war 1861 zu Obra (Provinz Posen) geboren, besuchte die Schule in Breslau und absol- vierte seine Studien in Göttingen, Breslau und Berlin. Bald nach seiner 1884 erfolgten Promotion ward er an das Zeifl- werk berufen , wo er Abbc's Mitarbeiter nicht nur auf dem wissenschaftlichen, sondern auch auf sozialem Gebiete wurde und an der Begründung der mustergültigen Karl Zciß-Stiftung, deren Bevollmächtigter er in den letzton Jahren war, lebhaften Anteil nahm. 1904 wurde er zum Professor ernannt. Wetter-Monatsübersicht. Im vergangenen Juni war das Wetter an der deutschen Küste im allgemeinen trübe, kühl und regnerisch, während es im Binnenland einen etwas freundlicheren, aber sehr veränder- lichen Charakter hatte. Wie aus der beistehenden Zeichnung ersichtlich ist, blieben sogar die höchsten Temperaturen an 1eniperafur-5Raxima einiger Or^ im Öuni 18C7. • ' • - - 16. " 1 I 1 I I ( I '1 1 1 i"i I I ( 1 1 1 1 1 1 1 Berlintf W»ftBrl]urtau . einzelnen Tagen unter 15° und überschritten nur an wenigen 25 ° C. Erst kurz vor Schluß des Monats stellte sich bei mäOigen südöstlichen Winden stärkere Hitze ein, am 28. und 29. Juni stieg das Thermometer an verschiedenen Orten Südwest- und Mitteldeutschlands bis auf 31" C, jedoch ging es am letzten Monatstage, namentlich im Westen, wieder stark herab. Im Monatsmittel lagen die Temperaturen im Nordwesten und Süden ungefähr zwei, östlich der Elbe weni- ger als einen Grad unter ihren normalen Werten. Ebenso war die Zahl der Sonnenscheinstunden, deren z. B. zu Berlin im diesjährigen Juni 218 aufgezeichnet wurden, überall ge- ringer als in den früheren Junimonaten. In desto größerer Häutigkeit und Menge traten im letzten Monat die Niederschläge auf, die unsere zweite Zeichnung veranschaulicht. In seiner ersten Hälfte waren sie ziemlich gleichmäßig über ganz Deutschland verteilt und fielen der Mehrzahl nach als länger anhaltende Landregen, die zwischen dem 5. und 9. an der Nordsee und in der Umgebung der Weichsel besonders ergiebig waren, .^m 11. abends und in der Nacht zum 12. kamen zwischen der Oberspree und Oder wolkenbruchartige Regengüsse mit etwas Hagel vor. Zu Burg im Spreewalde fielen während eines zweistün- digen schweren Gewitters 67 mm Regen, durch die alles Getreide niedergeschlagen wurde; um die gleiche Zeit fielen zu Kottbus bei Südsturm 32 mm Regen. Bald darauf gingen im größten Teile Nordwest-, Süd- und Mitteldeutschlands heftige Gewitterregen hernieder, an die sich zweitägige Regen- fälle im Odergebiet und an der östlichen Ostseeküste an- schlössen. Seit Mitte des Monats wechselten trockene Tage und Tage mit mehr oder weniger ausgedehnten Gewittern sehr häufig miteinander ab. Das trockene Wetter überwog in .Süd- und Mitteldeutschland, während namentlich im west- lichen Küstengebiet oftmals und in großen Mengen Regen fiel. Die immer sehr lebhaften westlichen Winde wuchsen an der Küste wiederholentlich zu Stürmen an. .Xber auch im norddeutschen Binnenland kamen am 21. und 25. Juni Gewitterstürme zum Ausbruche, wobei am 21. namentlich KicisCcr^sl^^l^o^c im 3uni 1907. ..•I' J» t. i4-^M E -5 ^3 .5 ■ ?K ' "5 T» ..y -S ■ ?<.3"5 I-P, E 3:5c«jaS-ca=SCQc3cB SicttLtCü JSitHererWerfftii. PeiilsdilanJ . <+> e.ri..r Wt-tlr! die Provinz Sachsen und die Lausitz, am 25. die Umgebung der mittleren Oder, ebenso wie das westliche und mittlere Küstengebiet von schweren Hagelschlägen betroffen wurden. Die gesamte Menge der Niederschläge betrug für den Durch- schnitt aller berichtenden Stationen 73,2 mm, während die gleichen Stationen im Mittel der früheren Junimonate seit Be- ginn des vorigen Jahrzehntes 65,1 mm Niederschlag ergeben haben. Während des ganzen Juni rückte ein barometrisches Mi- nimum nach dem andern vom atlantischen Ozean nacli der Nordsee vor und zog mit frischen westlichen Winden ostwärts oder nordostwärts weiter. Dabei waren die Minima, nament- lich am Anfang und gegen Ende des Monats, tiefer, als sie in den Sommermonaten zu sein pflegen und nahmen auch beim Fortschreiten nur wenig an Tiefe ab. Hochdruckgebiete befanden sich in der ersten Zeit in Südwesteuropa und in Rußland , doch wurde das russische Maximum durch die at- lantischen Depressionen und eine andere Depression, die zwischen dem 7. und 9. Juni vom schwarzen Meere unter weit ausgedehnten Regenfällen nordwestwäits vordrang, all- mählich weiter nach Osten oder Norden entfernt. Das süd- westliche Hochdruckgebiet hingegen breitete sich , besonders in der zweiten Hälfte des Monats, nach Vorübergang jedes Minimums nach Mitteleuropa aus , wo dann die Winde sich nach Süden drehten, die Niederschläge und Wolken abnahmen. Jedoch wurde das Barometerma.ximum immer schon nach kurzer Zeit durch das folgende Minimum nach Süden zurück- gedrängt, so daß das trockene Wetter in Deutschland nie lange anhalten konnte. Dr. E. Leß. Bücherbesprechungen. Dr. Ludwig Wilser, Menschwerdung. Ein Blatt aus der Schöpfungsgeschichte. Mit vierfarbigem 462 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 29 künstlerischem Umschlagbild, 7 farbigen Tafeln und 21 Textabbildungen. S", VIII, 144 S. Strecker & Schröder, Verlagsbuchhandlung. Stuttgart 1907. — Preis I Mk. ,,.\us der langen und wechselvollen Entwicklungs- geschichte des Menschengeschlechts," schreibt Verf. in der Vorrede , „ist nur ein einzelnes Blatt heraus- gegriffen, allerdings das wichtigste, auf dem die eigent- liche Menschwerdung, der allmähliche Übergang von tierähnlichen Vorstufen zur ältestbekannten Gestalt der wirklich diesen Namen verdienenden Menschen verzeichnet steht." Im ersten Abschnitt wird im Zu- sammenhang mit der allgemeinen Lebensentwicklung die „.Abstammung" von den niedersten Lebewesen bis zur vormenschlichen Stufe übersichtlich behandelt; der zweite schildert nach dem Fund von Trinil den noch ziemlich tierähnlichen „Vormenschen" (Pro- anthropus erectus), der, ,, obwohl im Stammbaum auf der Menschenseite stehend , doch nicht der Stamm- vater der lebenden Menschen, sondern nur der Ver- treter einer früheren Verbreitungswelt, eines ausge- storbenen Seitenastes ist , der uns aber von der Be- schaffenheit unserer richtigen Vorfahren eine gute Darstellung gibt" ; nach den Funden von Neandertal, von Spy, Krapina u. a. wird im dritten Teil der „Urmensch" (Homo primigenius), wie er im älteren Diluvium auf europäischem Boden gelebt hat, be- schrieben und beurteilt ; der vierte Abschnitt , „.Aus- blicke", sucht die große Bedeutung der Wissenschaft vom Menschen für Völkerkunde , Geschichte , Volks- wirtschaft und Gesundheitspflege gebührend hervor- zuheben. Alle bisherigen, zum Teil noch nicht ver- öffentlichten Versuche , den Vormenschen und Ur- menschen bildlich oder künstlerisch darzustellen, sind in den Abbildungen wiedergegeben und im Te.\t vom anthropologischen Standpunkte aus beurteilt. (x). Prof Dr. Hans Molisch, Direktor des pflanzenphys. Institutes der k. k. deutschen Univ. in Prag, Die Purpurbakterien. Nach neuen Untersuchungen. Eine mikrobiologische Studie. Mit 4 Tafeln. Jena (Gustav Fischer) 1907. — Preis 5 Mk. Rote Bakterien sind lange bekannt. Molisch, der sie studieren wollte , versuchte sich von der freien Natur zur Beschaffung von Material unabhängig zu machen durch den Versuch sie zu kultivieren. Es gelang ihm: man hat dabei hauptsächlich zu beachten, daß verschiedene organische Substanzen am Lichte bei erschwertem Sauerstoffzutritt faulen. Es ergab sich durch so angestellte Kulturversuche, daß es 2 Gruppen von Purpurbakterien gibt: i. solche, die regelmäßig Schwefelkörnchen in ihrem Körper ab- lagern, genau so wie die farblose Beggiatoa und an- dere farblose Schwefelbakterien, und 2. solche, die zwar unter denselben Verhältnissen vorkommen wie die ersten, sich aber von dieser dadurch unterscheiden, daß ihnen die Fähigkeit, Schwefelkörnchen in ihrem Körper einzulagern , vollständig abgeht. Durch die ange- gebene, überraschend einfache Kulturmethode kann man eine Zahl .Arten leicht erhalten und dabei hat M. nicht weniger als etwa i Dutzend neue entdeckt. Die Purpurbakterien („Rhodobacteria") können eine ganz anacrobe Lebensweise führen; im allgemeinen sind sie mikroacrophil ; sie leben besonders gut bei Lichteinfluß, aber auch im Dunkeln. Stets bedürfen die Rhodobakterien zu ihrem Leben organischer Sub- stanz als Nahrung. Es lassen sich 2 Farbstoffe ge- winnen : ein grüner (das „Bakteriochlorin"), der von Chlorophyll verschieden ist, und ein roter (das Bakteriopurpurin). Chlorophyll ist nicht vorhanden und dementsprechend vermögen die Purpurbakterien CO., nicht zu assimilieren. Über die Bedeutung der Farbstoffe vermag M. vorläufig nur zu sagen , „daß die Ernährungsversuche mit Purpurbakterien uns mit einer neuen Art von Photosynthese bekannt gemacht haben, bei der organische Substanz im Lichte assi- miliert wird", und wobei die 2 Farbstoffe vielleicht eine analoge Rolle spielen dürften wie Chlorophyll und Karotin bei der CO„-Assimilation der grünen Zelle. " P. Prof H. Hahn, Physikalische Freihandver- suche. II. Teil : Eigenschaften der Flüssigkeiten und Gase. 293 S. mit 569 Fig. Berlin, Otto Salle, 1907. — Preis geh. 5 Mk. Die unter Benutzung des Nachlasses von B. Schwalbe ausgeführte Zusammenstellung einfachster Versuche, die zum Teil unter die Rubrik des Spieles fallen, aber sämtlich geeignet sind physikalische Tatsachen und Gesetze zu erläutern , ist mit dem vorliegenden Heft in erfreulicher Weise weiter gefördert worden. Gerade die Lehre von den Flüssigkeiten und Gasen bietet eine außerordentliche Fülle von Möglichkeiten hüb- scher Versuche, die jeder Knabe mit einigen Flaschen, Glasröhren und Gummischläuchen leicht wiederholen kann und die ihm sicherlich viele Stunden segens- reicher, freudiger Tätigkeit verschaffen können. Na- türlich sind auch die reizenden Versuche über Ober- flächenspannung und Kapillarität, die Boys in seinen berühmten „Seifenblasen" angegeben, im vorliegenden Buche mit verwertet. Die für dieses Heft benutzte Literatur ist eine so reiche, daß allein für 37 Publi- kationen abgekürzte Bezeichnungen eingeführt werden mußten. Die überaus zahlreichen Zeichnungen sind durchweg sauber ausgeführt und werden den Text in der Regel ohne weiteres jedem verständlich machen. Das Buch kann für Schülerbibliotheken und als Geschenkvverk bestens empfohlen werden. Kbr. Literatur. Loria, l'rof. Dr. Gina: Vorlesungen über darstellende Geo- metrie. .■\utoris. , nach dem Italien. Mskr. bearb. deutsche .\usg. V. Gymn.-Oberlehr. Fritz Schütte. I. Tl.: Die Dar- stellungsmethoden. Mit 163 Fig. im Te.xte. (XI, 219 S.) Leipzig '07, B. G. Teubner. — Geb. in Leinw. 6,80 Mk. Mayr, Dr. Gust. L. : Die mittel - europäischen Eichen-Gallen in Wort u. Bild. 2. [durch e. Vorwort u. e. Inde.K verm.| Fksm.-.\usg. [Aus dem 9. u. 10. Jahres-Bericht der Wiener Kommunal-Oberrealschulc in der Rossau. Wien 1870 — 71.^ (VI, 70 S. m. 7 Taf. u. 7 Bl. Erklärgn.) Berlin '07, W. Junk. — 15 Mk. Müller-Pouiliet's Lehrbuch der Physik u. Meteorologie. 10. umgearb. u. verm. Aufl. Hrsg. v. Prof. Leop. Pfaundler. (In 4 Bdn.) Mit üb. 3000 .\bbildgn. u. Taf., z. Tl. in N. F. VI. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 463 Karbendr. 11. IVI. I. Abtlg. 111. Huch. Uic I.olirc von der strahlenden Energie (Optik) von Prof. Dir. Otto Lum- nier. (XXll, SSo S.) Lex. 8". Braunsehweig '07, F. Vieweg \- Sohn. — 15 Mk. Neuhauss, Dr. Rieb. : Lehrbuch der Mikrophotographie. Mit 63 Abbildungen in Holzschnitt, I .\utotypietaf., I Tafel in Lichtdr. u. I Heliograv. 3., umgearb. Aufl. (XVI, 282 S.) gr. 8". Leipzig '07, S. Hirzel. — 9 Mk., geb. 10 Mk. Rabius, Dr. Wilh.: Kritische Betrachtungen zur voraussicht- lichen Lösung der StickstotTfrage. (III , 44 S.) gr. 8". Jena '07, G. Fischer. — I Mk. Rubner, Prof. Geh. Med.-R. Dir. Dr. Max: Lehrbuch der Hygiene. Systematische Darstellg. der Hygiene und ihrer wichtigsten Untersuchungsmethoden. Zum Gebrauche für Studierende der Medizin, Physikats - Kandidaten , Sanitäts- Beamte, .\rzte, Verwaltungs-Beamte. 8. Aufl. (Xll, 1029 S. ni. 295 Abbildgn.) Lex. S". Wien '07, F. Deuticke. — 25 Mk. Zacharias, Dir. Dr. Otto: Das Süßwasser-Plankton. Einfüh- rung in die freischweb. Organismenwelt unserer Teiche, Flüsse und Seebecken. Mit 49 Abbildungen. (IV, 131 S.) Leipzig '07, B. G. Teubner. — I Mk. , geb. in Leinw. 1,25 Mk. Anregungen und Antworten. Bemerkungen zu dem in Nr. 13 gegebenen Referat über ,,H. Miehe, Die Selbsterhitzung des Heus." — Im Interesse der Sache, und da ich annehme, daß die Leser dieser Wochenschrift dem auffallenden Phänomen der Selbst- erhitzung ein gewisses Interesse entgegenbringen , möchte ich mir einige Bemerkungen zu dem Referat erlauben , welches die Nr. 13 über meine Schrift gebracht hat. Der Herr Refe- rent hat leider in einem wichtigen Punkte ungenau referiert. Er läßt mich zu dem Resultat kommen, daß „die Ursache der Selbsterhitzung sein kann I. rein chemischer Natur, d. h. eine physiologische Verbrennung (Atmung), wenn es sich nämlich um noch lebende Pflanzenteile handelt", sonst seien ,,2. die auf den abgestorbenen Teilen lebenden Pilze und Bakterien durch ihre Lebenstätigkeit die Ursache". Ich habe nun aber gerade meine Experimente angestellt, um zwischen der rein chemischen und der biologischen Natur der Selbsterhitzung zu entscheiden, und habe nachgewiesen, daß die Selbsterhitzung nicht rein chemischer Natur ist, sondern unter allen Um- ständen auf p h y s i ol o g is ch e n , mit Wärmeentwicklung ver- bundenen Prozessen beruht. Diese können allerdings i. be- wirkt werden durch die lebenden Pflanzen selber und 2. durch Mikroorganismen, die sich auf toten Pflanzenresten ansiedeln. Die beiden hauptsächlich in Betracht kommenden Mikroben habe ich in Reinkulturen auf diese Befähigung geprüft. In beiden Fällen ist also der Prozeß physiologischer Natur. Der Sache nach ist das ja auch in der angeführten Stelle zum Ausdruck gekommen, nur wirkt hier eine falsche Ausdrucks- weise verwirrend. Denn dem physiologischen Sprachgebrauch entsprechend enthalten die Worte : ,,rein chemischer Natur, d. h. physiologische Verbrennung" eine Contradiclio. Bei der Gelegenheit mochte ich auch betonen, daß ich nicht von ,, pathologischen" sondern von „pathogenen" Bakterien ge- sprochen habe.') Was dann schließlich die von mir gestreifte eventuelle Beziehung zwischen Kohlenbildung und Selbst- erhitzung anbetrifl't, so wäre ich hier für eine wirkliche Be- lehrung von selten des Herrn Referenten, dessen Autorität ich mich selbstverständlich unterordne , besonders dankbar ge- wesen. Wenn aber die Abweisung der zuerst von Ranke angedeuteten Möglichkeit sich hauptsächlich darauf stützen sollte, daß die Verkohlung bei der Selbsterhitzung reine Kohle liefere im Gegensatz zu der Kohlebildung in den Kohlelagern, so muß ich darauf aufmerksam machen, daß nach den auf S. 13 mitgeteilten Analysen von einer Entstehung reiner Kohle keine Rede ist. F.s geht aus ihnen, wie ich das auch hervor- hob, nur hervor, daß die Umwandlung in eine kohlenstoffreichere Masse unverkennbar ist. Also auch hier sind, um die Worte des Referates zu gebrauchen, ,,die gewonnenen Produkte kein Kohlenstoff, sondern Kohlenstoffvcrbindungen" und zwar, wie ich hinzusetze (analog der dort gegebenen Aufzählung: Humus, Braunkohle, Steinkohle) Heukohle oder allgemeiner Pflanzenfermentationskohle. Wenn also in tVüheren Erd- perioden wirklich hier und da unter gewissen Umständen ge- waltige Massen von Pflanzenteilen aufgeliäuft worden sind, so hat sich daraus mit Notwendigkeit die Entstehung einer sol- chen Kohleart ergeben müssen, und der Kernpunkt der Frage ist der, ob in der Tat gelegentlich solche Umstände zusammen- wirken konnten. Daß dies nur gelegentlich geschah, daß also keinesfalls auf diesem Wege die Entstehung von Kohlen- lagern allgemein erklärt \\'erden soll , habe ich selbst nach- drücklich betont, wie es sich überhaupt nur um eine bei- läufige Bemerkung gehandelt hat, die im Rahmen meiner auf ganz andere Ziele gerichteten Untersuchung nicht so betont wurde, wie es nach dem Referat scheinen könnte. Miehe. Es kommt bei dem Vergleich mit Steinkohle etc. auf die gewonnenen zurückbleil) enden, festen Produkte an; demgemäß sollte in dem Referat in Nr. 13 nur darauf hin- gewiesen werden, daß bei der Selbsterhitzung, die schließlich zur Selbstentzündung führen kann, als fester Rest, da bei dichter Packung eine natürliche trockene Destillation der inneren Massen erfolgt, wesentlich C (-|- Asche) zurückbleibt. Verf. sagt denn auch selbst ganz richtig (p. l2o), daß bei der Selbstentzündung ,,das Heu gewissermaßen trocken destil- liert" werde. Er fährt fort: ,, Dabei setzen sich die Elemente der organischen Verbindungen um, es entstehen neue flüchtige Verbindungen einfacherer Zusammensetzung, welche entweichen, und die zurückbleibende Masse nähert sich immer mehr der reinen Kohle." Darauf kam es dem Referenten .an, also zu betonen, daß bei Selbsterhitzung, die in Entzündung übergeht, schließlich als fester Rest C zurückbleibt, währendes sich in der Steinkohle etc. um C -Verbindungen handelt, wie daraus hervorgeht, daß Steinkohle, unter Luftabschluß erhitzt, schmilzt, wobei Gase entweichen und dann erst C, d. h. Koks, zurück- bleibt. Der Gebrauch des Terminus ,, Verkohlung" für zweierlei verschiedene Prozesse ist mißlich ; ich habe daher neuerdings begonnen (vgl. ,,Die Entstehung der Steinkohle" 4. Aufl., Gebrüder Borntraeger in Berlin 1907 und früher) scharf zu scheiden zwischen ,,Ve r k oh lung", d. h. Zersetzung in der Richtung, daß C zurückbleibt wie im Holzkohlenmeiler, und ,,In kohlung" (im Anschluß an Gümbel), d. h. langsamere Zersetzung in der Richtung, daß C- Verbindungen zurückbleiben. Bei der Entstehung von Humus , z. B. des Torfs, findet eine Selbsterhitzung nicht statt, und Steinkohle ist fossiler Humus. P. ') Das Wort pathologisch anstatt pathogen ist — wie leicht ersichtlich — nur ein Schreib- oder Druckfehler in dem Referat, dessen Verbesserung trotzdem dankenswert ist. — P. Herrn W. D. in Magdeburg-Neustadt. — Sie fragen, ob das Verhältnis des Pilzes zur Alge bei den Flechten als Symbiose oder als Mutualismus aufzufassen ist? — Nachdem Schwendener nachge- wiesen hatte, daß der Flechtenthallus ein komplexes Gebilde ist, wurden über das Verhältnis der beiden Komponenten zu- einander verschiedene Meinungen laut. Schwendener selbst faßte es als Parasitismus auf, indem er annahm, daß der Pilz auf der Alge parasitiere und ohne sie nicht zur Fruktifikation kommen könne. De Bary dagegen stellte sich das Verhältnis so vor, daß jeder Teil dem anderen etwas nimmt und gibt. So erzeugt die .Mge durch ihre Assimilation Stärke, die dem Pilz geliefert wird, umgekehrt speichert der Pilz zwischen seinen Fäden Wasser, das er der Alge liefert etc. Durch diese gegenseitige Ergänzung ihrer Tätigkeit ist es dann möglich, daß die Flechte noch an Orten zu wachsen vermag , wo Pilz oder .'Mge für sich zugrunde gehen würde. Später wurde dieses Verhältnis als mutualistische Symbiose bezeichnet. Diese Auffassung beruht also einzig auf der Berücksich- tigung der Ernährungsverhältnisse. Zieht man dagegen die Fruktifikation mit in Betracht, so entrollt sich doch ein wesentlich anderes Bild. Die gewöhnliche Flechtenalge, Cystococcus humicola, pflanzt sich außerhalb der Flechte aus- schließlich oder wenigstens fast ausschließlich durch Schwärm- sporen fort zum Unterschied von Pleurococcus, der sich nur durch Zellteilung vermehrt. Wenn Cystococcus unter nor- malen Verhältnissen im Thallus wachsen würde, so müßte er 464 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 29 ebenfalls Schwärmsporen bilden. Das tut er aber im Ver- bände nicht, sondern die Zellen teilen sich nur; wird er da- gegen von den Hyphen isoliert, so findet die Schwärmsporen- bildung wieder statt. Dieses Verhalten läßt darauf schließen, daß die .'Mge sich nicht normal befindet und daß es der Pilz, der allein zur Fortpflanzung kommt, ist, welcher Vorteil von dem Zusammenleben hat. Auch anatomische Grunde , wie das Vorkommen toter .-\lgen in der Rinde , sprechen für die Auffassung, daß der Pilz auf der Alge schmarotzt. Aus diesen Gründen sind wir berechtigt, das Verhältnis der beiden Komponenten als Parasitismus aufzufassen, aller- dings als einen gelinden, denn der Pilz schützt und hegt die Alge und saugt sie nur ganz allmählich aus. Die .Alge ge- nießt also eine Art Gefangenschaft; man könnte vielleicht an die Blattläuse in Ameisenbauten erinnern, wenn man so ver- schiedene Vorgänge überhaupt in Vergleich ziehen will. Sie finden nähere Angaben in der Einleitung zu den Flechten in dem Sammelwerk Engler-Prantl ; Die natürlichen Pflanzenfamilien. Dort ist auch die weitere einschlägige Lite- ratur angegeben, worunter meine Abhandlung in der Hedsvigia 1895 zu vergleichen wäre. G. Lindau. Zur Beantwortung der Anfrage von Herrn Dr. M. W. in Plauen über Präparation von Diatomeen in Nr. 19 erlaube ich mir folgendes hinzuzufügen. Die in Straßburger's Praktikum angegebenen Präparations- methoden setzen fast alle einen Abzugsschrank für schädliche Gase voraus. Die nachfolgende Behandlung erfordert einen solchen nicht. In einem Becherglase übergießt man das Ma- terial mit Salzsäure, um den fast immer vorhandenen Kalk zu lösen. Man läßt I Tag stehen und wäscht dann mit Wasser aus, bis jede Spur von Säure entfernt ist. Nachdem man das Wasser so gut wie möglich abgegossen hat , fugt man der Masse ungefähr den 5 fachen Betrag von stärkster Schwefel- säure hinzu. Nach i Tage wirft man in diese geschwärzte Masse etwas pulverisiertes Kaliumbichromat. Man läßt das- selbe bei öfterem Umrühren 8 Tage einwirken, dann wäscht man wieder sorgfältig aus. Das gereinigte Material bildet einen weißen Bodensatz. Wenn die mikroskopische Prüfung ziemliche Reinheit ergibt, besonders dürfen sich keine flockigen Bildungen mehr zeigen, so kann dasselbe zur Herstellung von Präparaten benutzt werden, sonst ist noch eine alkalische Be- handlung erforderlich. Man kocht das Material mit einem erbsengroßen Stück venetianischer Seife und wäscht dieselbe wieder aus. Das Kochen muß sehr vorsichtig geschehen , da durch zu langes Kochen leicht alles zerstört wird. Bei der Herstellung der Präparate muß das Material noch mechanisch durch leises Schütteln oder Schwenken im Uhrglas vom Sand befreit werden. Als Einschlußmittel dient für gröbere Formen Kanadabalsam in Monobromnaphthalin gelöst, für feinere Monobromnaphthalinstyra.x. Präparate mit Monobromnaphtha- linstyra.\ erfordern , da derselbe nicht fest wird , einen Lack- ring. Da die Präparate mit der Immersion beobachtet werden, so darf dieser nicht vom Zedernöl gelöst werden ; dieser Be- dingung leistet nur ein mit Schellacklösung hergestellter King Genüge. .Alle diese Flüssigkeiten sind von E. Thun, Leipzig, Johannisallee 3, zu beziehen. Einschlußmittel, die ich bei gut renommierten Firmen bezogen habe, zeigten später in den Prä- paraten gricsige Ausscheidungen. Ein vorzüglicher Diatomeen- sucher ist ebenfalls bei obiger F'irma für 8 Mk. zu haben. Das beste Werk zum Bestimmen europäischer Arten ist H. v. Heurck, Traite des Diatomees, Anvers 1S99, in Kommissions- verlag von Karl Steinert, Weimar , mit 2000 Abbildungen. Preis 60 Mk. A. Franke, Töchterschullehrer in Dortmund. Herodot und der Einfluß äußerer Ursachen auf den Organismus. — Nach Herodot, dem ältesten Geschichtsschreiber, dem ,, Vater der Geschichte" (geb. um 500 v. Chr. zu Halikarnaß in Karien), sind die Arten der Or- ganismen von Anfang an in ihrer Vollkommenheit da. Ich fand aber, als ich seine Geschichte vor kurzem wieder durch- las, um seine Spekulationen über die organische Natur zu studieren, eine merkwürdige Stelle, die an die Lamarck'schen Meinungen erinnert. Bekanntlich sind es nach Lamarck die äußeren Ursachen, die Veränderungen der Lebensbedingungen, auf welchen die Umwandlung der Arten, ihre Umbildung zu neuen Arten beruht; jedes Organ wiid durch Übung gekräf- tigt und durch Untätigkeit geschwächt. Eine ähnliche Bemer- kung — selbstverständlich nicht im Sinne der Deszendenz — macht auch Herodot. Indem er in den Paragraphen 1 1 und 12 des dritten Buches seiner Geschichte die Schlacht zwischen .Ägyptern und Persern erzählt, sagt er:') ,,Die Schädel der (gefallenen) Perser sind so schwach, daß, wenn du sie mit einem Kiesel schlägst, so wirst du sie durchbohren ; im Gegen- teil sind diejenigen der .Ägypter so stark, daß du sie schwer durchbrechen wirst, wenn du sie auch mit einem großen Stein schlägst. Man hat mir die Ursache dafür mitgeteilt und es wurde mir nicht schwer, daran zu glauben. Die Ägypter rasieren von frühester Kindheit den Kopf und die Sonne macht den Schädel hart; dieselbe Ursache bewahrt sie vor der Kahlheit und wahrlich nirgendwo sind so wenige kahlköpfige Männer. Hier ist also die Ur- sache, daß ihre Schädel so hart sind. Im Gegen- teil, der Schädel der Perser ist etwas zart, weil sie von frühester Kindheit an im Schatten bleiben und auf dem Kopf wollene Tiaren (Mützen) tragen." Es finden sich noch einige ähnliche Bemerkungen in der Geschichte Herodots. Aber wir wollen, was Herr Dr. E. Rolfes-) für Aristoteles annimmt, auch für Herodot wieder- holen, daß alles, was er über den Einfluß des Klimas und Wohnorts auf die Organismen sagt, von ihm nicht im Sinne der Abstammungslehre gemeint ist. Ath. E. Tsakalotos, Athen. ■) Herodoti Historiarum Libri I.X. Curavit H. R. Dietsch (Lipsiae, Teubner). Vol. I. Buch III, 12, S. 216 — 217. ") Naturw. Wochenschr. N. F. Nr. 3, S. 40 — 42. Herrn Dr. S. in Mödritz. — Die Berechnung der Höhe der Atmosphäre aus der Dauer der Dämmerung ist eine einfache Anwendung der ebenen Trigonometrie, läßt sich aber mit wenigen Worten ohne Figur und mathematische Formeln hier nicht entwickeln. Die Methode ist die gleiche , wie sie zuerst 1744 von BernouUi und in neuerer Zeit von Vettiii zur Bestimmung von Wolkenhöhen aus der Zeit des Erblassens derselben in der Dämmerung angewendet wurde. Eine aus- führliche Darstellung des Ganges der Rechnung findet sich im Zenker'schen meteorologischen Kalender für 1887 (Berlin, Asher & Co.), woselbst auch Tabellen gegeben sind , welche die mathematische Rechnung unnötig machen. S. Günther gibt in seiner physikalischen Geographie folgende Formel für diese Berechnung an, bei der h die Höhe der reflektierenden Schicht, r den Erdradius und a den negativen, aus der seit dem Sonnenuntergang verflossenen Zeit zu berechnenden Höhenwinkel der Sonne bedeutet : h = Auf Grund der Beobachtung leuchtender Nachtwolken fand Jesse nach dieser Methode Werte von 70 bis 80 km. Durch Beobachtungen von Sternschnuppen und Meteoren ist dagegen sicher festgestellt, daß auch in Höhen von 200 bis 250 km noch soviel Luft vorhanden ist, daß mit Geschwindig- keiten von 30 bis 60 km pro Sekunde eindringende kosmische Körperchen infolge des Luftwiderstandes zum Aufglühen ge- bracht werden. Inhalt; Dr. R. Loebe: Der elektrische Ofen (Schluß.) — Kleinere Mitteilungen: R. C.Punett: Geschlechtsbeslimmung. Dr. IL Ludendorff: Die Bahn des spektroskopischen Doppclsterns ß Arietis. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Wetter-Monatsübersicht. — Bücherbesprechungen: Dr. Ludwig Wilser: Menschwerdung. — Prof. Dr. Hans Molisch: Die Purpurbakterien. — Prof. 11. Hahn: I'liysikalische Freihandversuche. — Literatur: Liste. — Anregungen und Antworten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonid und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge Tl. Band; der ganzen Reihe XXII. Band. Sonntag, den 28. Juli 1907. Nr. 30. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten , wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei gröfleren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. Psychobiologische und biologische Beobachtungen an Ameisen, Bienen und Wespen. [Nachdruck verboten.] Von Dr. H. v. Buttel-Reepen, CJldenburg i. Gr. t"tw j /-. ^ • ^,-, ,..,., sind kaum 3 mm lang. Färbung grüngelblich bis Über den Ortssinn (Ortsgedachtnis). blaugrünlich: Es waren die Opfer der ebenfalls Crahro gonager he'p. Am 29. Juni 1905 be- winzig kleinen, äußerst schlanken, i mm breiten merkte ich auf meinem nach Südwesten gelegenen und 7 mm langen Grabwespe {Crabro gonager Balkon sehr kleine schwarze Wespen, welche eil- Lep. = avibiguus Wesm.*) Beim Fliegen preßt fertig in eine ungefähr i m lange, nur 2 — 3 mm breite, horizontale Spalte der Balustrade hinein- flogen und nach kurzer Zeit sich wieder entfernten. Ich zählte ungefähr 30 — 35 Individuen, die be- sonders während der heißen IVIittagsstunden blitz- sie die Zwergzirpe, die offenbar vorher durch Stiche gelähmt wurde, mit den Beinen der Unter- seite des Körpers an und das lichtere Grün er- zeugte jenen eben erwähnten helleren Schimmer. Übrigens liegt hier anscheinend der erste beob- schnell hin und her huschten. Die einfliegenden achtete Fall vor, daß Crabro-^x\.t'[\ sich Cicaden zeigten fast immer einen helleren Schimmer an als Opfer wählen. der Unterseite des Körpers. Es war mir aber unmöglich herauszubekommen, woher derselbe rühre. Auch das Fangnetz brachte mir zuerst keine Aufklärung, denn alle gefangenen Exem- plare waren gleichmäßig glänzend schwarz, ohne eine Spur hellerer Färbung am Körper, bis ich bei genauerer Besichtigung des grünen Netzes in der Saumfalte am Grunde einige winzige, grün- liche, blattlausähnliche Insekten entdeckte, die alle lebensfrisch, aber bewegungslos waren. Sie er- wiesen sich als Zwergcicaden {Cicadellidae\ deren nähere Bestimmung mir bisher nicht möglich war. Sie gehören der Gattung Typhlocyba an und Die horizontale Spalte, in die die Räuber ihre Beute hineintrugen, war ca. 10 — 12 cm tief Sie klaffte zwischen zwei Brettern, die ganz gleich- mäßig eine graue VVetterfarbe angenommen hatten, so daß sich, zum mindesten dem menschlichen Auge, keinerlei Merkmale boten. Offenbar schlüpften die kleinen Wespen aber stets an ganz bestimmten Stellen in die Spalte hinein, obgleich allem Anschein nach auch Irrungen vorkamen. * Herr Wagner vom Hamburger Museum hatte die Freundlichkeit, die Spezies festzustellen. Nach Schmiede- knechts „Hymenoptcren Mitteleuropas" ^ Coelocrabro gonager Lep. (C. capito Dahlb. $. C. ambiguus Dahlb. ,f^ 466 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 30 denn nicht so ganz selten sah man, wie eine Wespe nach kurzem Verweilen wieder herauskam, um dicht dabei mit schnellem Anflug wieder in der Tiefe zu verschwinden. Daß sich hier tatsächlich eine Orientierungs- gabe durch die Augen, ein scharf ausgeprägter Ortssinn bemerkbar machte, gelang mir, auf fol- gende Weise festzustellen. Am 30. Juni befestigte ich einen langen, weißen Papierstreifen von 10 cm Breite unterhalb der Ritze. Er verursachte eine große Verwirrung. Die Orientierung war gestört, obgleich nur das Holz unterhalb der Spalte dadurch verkleidet wurde. Schließlich flogen die Wespen in die Ritze hinein, aber viele offenbar an falscher Stelle, denn während sonst die Einflieger geradlinig im dunklen Hintergrunde verschwanden, sah ich sie jetzt vielfach in der Spalte umherirren, bis jede ihr Nest gefunden hatte. Wie dasselbe beschaffen und ob überall ein „Nest" gebaut wird, vermag ich nicht zu sagen, da eine nähere Untersuchung aus mancherlei Gründen nicht ermöglicht werden konnte. Während der Abflug früher ohne weiteres stattfand, wurde nunmehr beim Abfluge eine Orientierung vorgenommen, indem genau wie bei der Honigbiene,^) — der Kopf der Abflugstelie zugewandt, — ein mehrfaches Hin- und Herfliegen ausgeführt wurde. Dennoch dauerte es Stunden, bis der Anflug wieder glatt von statten ging. Um bei der fast absoluten Gleichmäßigkeit der Fläche einen Anhalt zu schaffen zur Prüfung eines event. Farben- und Formensinnes, wurde an einer beliebigen Stelle ein 3 cm großes rotes Kreuz auf den Papierstreifen gemalt. Es ergab sicli durch längere Beobachtung, daß damit zu- fällig eine Einflugstelle markiert war, denn mehrere Male flog eine Wespe genau senkrecht über dem Kreuz in die Spalte hinein und heraus. Am I. August bemerkte ich leider, daß die Zahl der Wespen schon beträchtlich abgenommen hatte, da offenbar die Nester genügend mit Beute- tieren versorgt waren, doch war zum Glück die über dem Kreuz einfliegende Wespe noch in an- dauernder Tätigkeit. Während emsigsten Fluges — mittags um 12^., Uhr — wurde der Papier- streifen zur Seite gerückt, so daß das Kreuz jetzt ca. 1 5 cm vom ursprünglichen Platze verschoben war. Als die Wespe nach ungefähr drei Minuten heimkehrte, flog sie ohne bemerkbares Zögern über dem Kreuz in die Spalte hinein, kam aber fast sofort mit der Beute wieder heraus, um noch weiter seitwärts, also noch entfernter von der richtigen Einflugstelle, einen Einflug zu ver- suciien. Ich schob nun schnell das Kreuz an die alte Stelle und beim dritten Einflugsversuch wurde noch einmal das Kreuz gewählt und damit dieses Mal der richtige Eingang getroffen. Dieses Ex- ') Sind die Bienen Reflexraaschinen? Biolog. Zentralbl. 20. Bd. 1900. Flrwcitcrtcr Abdruck Leipzig 1900. periment wurde mit Variationen mehrere Male mit dem gleichen Erfolge wiederholt. Besondere Umstände verhinderten leider eine Weiterführung des Versuches. Die Reparatur der Balustrade ließ dann die Spalte verschwinden, so daß eine Fortsetzung nicht vorgenommen werden konnte. Jedenfalls geht aus dem Geschilderten klar hervor, daß der Crabro gonagei- das Kreuz als Nestmarke diente und sich mit dem verschobenen Kreuz die ganze Orientierung verschob. Ob die rote Farbe als Besonderes perzipicrt wurde, ließ sich bei der Kürze des Versuches nicht entscheiden. Des weiteren dürfte aus dem Verhalten der Wespen ersichtlich sein, daß die Orientierungsgabe eine sehr weitgehende ist und offenbar die mensch- lichen Fähigkeiten in gewissem Sinne überragt, denn bevor der Papierstreifen befestigt wurde, konnte man auf der ganz gleichmäßigen, wetter- grauen Fläche oberhalb und unterhalb der ver- hältnismäßig schmalen Balustradenbrüstung, in der sich die Spalte befand, nicht die geringsten Orientierungsmerkmale auffinden. Trotzdem mußten solche für die Insekten vorhanden sein. Macroiner i s sp lend i da Lep. Ein Holländer, Herr Edward Jacobson, der lange Jahre in der Nähe von Samarang auf Java in Tjandi lebte, welches i V., Stunden von der Meeresküste ca. 50 m über dem Meeresspiegel gelegen ist, sendet mir einige interessante Beobachtungen mit der Bitte um Veröffentlichung. Jacobson ist offen- bar ein guter Beobachter und seine sorgfältigen, genauen und umsichtigen Angaben machen einen sehr zuverlässigen Eindruck. Ich gebe im Nachstehenden seine Darlegungen mit einigen Kürzungen und redaktionellen Ände- rungen. „Unweit meines Hauses befand sich ein Bambus- dickicht, das sich aus vielen gesondert stehenden Büschen zusammensetzte, die mit ihren langen Zweigen ineinandergriffen und so ein dichtes Dach bildeten, unter welchem der Boden mit trockenen Bambusblättern und nur spärlich mit Gras und niederen Pflanzen bewachsen war. Am Fuße eines dieser Bambusbüsche wurde ich eines Exemplares der großen schwarzen Grab- wespe Ulacroincris splendida Lep. gewahr, wie sie eine große feiste Spinne am Boden fortschleppte, nachdem sie dieselbe durch einen Stich betäubt haben mußte. Die Wespe zog die Spinne mit sich fort, dabei rückwärts schreitend. Die Spinne mochte wohl viel zu schwer sein, um im Fluge transportiert zu werden, weshalb die Wespe gezwungen war, ihre Beute nach ihrem Nest zu schleifen. Die Spinne, welche sich mit ihren langen Beinen oft an Blättern und Pflanzen verfing, wurde von der Wespe, so gut es ging, über alle Hindernisse hin- weggezerrt, wobei sie einen fast geraden Weg innehielt. Das Interessante an der Sache war jedoch, daß die Wespe, jedesmal wenn sie eine Strecke von i — i','., m rückwärts schreitend zu- N. F. VI. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 467 rück-crelegt hatte, ihr Opfer liegen heß und eine kleine Strecke vorauslief, um dort einen erhöhten Tunkt zu ersteigen, von welchem aus sie sich über den weiter zu verfolgenden Weg orientieren konnte. Zu diesen .-Xussichtspunktcn wurden aufwärtsge- bogene Rambusblätter und kleine Zweige gewählt, welche am Boden lagen, und nicht mehr wie ein oder zwei Dezimeter in die Höhe ragten. Sie kletterte an denselben schnell hinauf und spähte von dem erhöhten Standpunkte nur wenige Se- kunden nach dem weiteren Wege aus. Sie drehte sich dabei schnell einige Male nach rechts und links. Diese Bewegungen waren sehr typisch und unverkennbar dienten dieselben zur Orien- tierung. Danach kehrte sie schnell zur Spinne zurück, welche sie nun eine Strecke weiter schleppte, um sodann dasselbe Manöver zu wiederholen. — Auf diese Weise legte sie einen \\ eg von ungefähr 26 m zurück bis zu einem Bambusbusch, an dessen Fuß sie mit der Spinne in einem Loch in der Erde verschwand. Ich stülpte eine Flasche mit weitem Halse, die ich bei mir hatte, über das Loch und wartete geraume Zeit, bis die Wespe wieder zum . Vor- schein kam und in der Flasche eingefangen wurde. Bei vorsichtigem Nachgraben fand ich in der Erde eine im Durchmesser ca. 3 V-, cm große kugel- förmige Lehmzelle, welche an der einen Seite offen war und in welcher die Spinne eingebettet lag. Die Innenwand der Zelle war geglättet, die Außenseite unregelmäßig, doch viel fester zu- sammengedrückt als der umliegende Lehmboden. Auf den Hinterleib der Spinne hatte die Wespe ihr 4 mm langes, gelbliches Ei gelegt. Leider zerbrach die Lehmzelle teilweise beim Heraus- graben. Nach dem oben geschilderten Vorgang ur- teilend, unterliegt es meiner Ansicht nach keinem Zweifel, daß die Wespe den Weg nach ihrem Versteck nur auf Grund von Erinnerungsbildern und ausschließlich durch ihre Augen geleitet, zurückfinden konnte. Die unmittelbare Umgegend muß ihr bekannt gewesen sein, da sie vorher das Loch in der Erde ausgekundschaftet und ferner auf der Jagd nach der Spinne manchen Winkel des Bambusdickichts abgesucht haben mußte. (Das Loch war nicht von der Wespe selbst ge- graben, wenigstens nicht der Eingang, das war deutlich an dem darin wachsenden Moos zu sehen.) Das Absuchen des Terrains geschieht durch diese Wespen teilweise im Fluge und zum Teil zu Fuß, was ich öfters Gelegenheit hatte, wahrzunehmen. Wie weit die Stelle, an welcher die Spinne ge- fangen wurde, sich von dem Loch in der Erde befand, kann ich nicht angeben, da ich die Wespe erst gewahr wurde, als sie sich der Spinne bereits bemächtigt hatte und sich auf dem Rückweg be- fand. Sie war jedoch noch immer so weit von ihrem Nest entfernt, daß kaum anzunehmen ist, daß sie von dort aus den Bambusbusch, an dessen Fuß sich ihr Schlupfwinkel befand, hätte sehen können. Sie mußte deshalb jedesmal von einem geeigneten Standpunkte aus den W eg überblicken um sich zu orientieren. Von ebener Erde aus konnte sie dies nicht, da von allen Seiten die trockenen Bambusblätter und Schößlinge empor- ragten und ihr die freie Aussicht benahmen. Ganz unzulässig wäre hierbei die Annahme einer „unbekannten Kraft", wie Bethe ") sie für die Bienen annimmt, die unwiderstehlich wie ein Magnet zu der Stelle im Raum hinziehen soll, an welchem sich gewöhnlich der Stock befindet. — Eine gleiche Kraft wäre dann auch bei den Wespen anzunehmen, bei welchen die Nester die Stelle des Stockes vertreten würden. Wie erklärt es sich dann aber, daß diese ,, unbekannte Kraft" jedesmal ver- loren ginge, sobald eine Lehmzelle vollendet und mit einem Ei und Nahrung für die zukünftige Larve versehen wäre ? Bei der betreffenden VVespenart erfordert jedes Ei die Herstellung einer neuen Lehmzelle, wobei jedesmal ein neuer Ort, oft in weiter Entfernung von dem vorhergehenden, erwählt wird. Die ,, ge- heimnisvolle Kraft" würde dann jedesmal auf den neugewählten Ort übergehen , was die Sache noch unerklärlicher machen würde. Eine Eigentümlichkeit dieser selben Wespenart will ich hier beiläufig erwähnen. Beim Fliegen läßt diese Art einen sehr lauten rasselnden Ton hören, welcher wahrscheinlich durch das Anein- anderschlagen der Flügel hervorgerufen wird. Ich weiß nicht, ob diese Tatsache schon von früheren Beobachtern erwähnt ist. Eine nahverwandte, größere, gelbbraune Art, Priocnemis anrosericea Guer., läßt dieses Rasseln im Fluge nicht vernehmen. Jacobson legt dann noch ausführlich und überzeugend dar, daß der Geruchssinn beim Heim- finden der Macromcris nicht in Frage kommen könne, da man dann annehmen müsse, daß die Wespe geraden Weges auf die mehr als 26 m entfernte Spinne, von deren Vorhandensein sie nichts wissen konnte, losmarschiert sei usw. Trigona emeriiiaY. In den kühlen Herbsttagen ließ ich ein aus Paraguay stammendes Völkchen stachelloser Bienen, das sich in einem fast 8 cm starken Bambusstamme befand, bei Sonnenschein zwischen einem Doppelfenster meiner Studierstube fliegen. Das Verhalten der Bienen änderte sich innerhalb weniger Tage. Während anfänglich alle abfliegenden direkt gegen das Außenfenster flogen, nachdem zuvor ein kurzer Orientierungsausflug vor dem Flugloch gemacht war und sich dort müde „krabbelten", ohne den Rückweg zum Nest zu finden, lernte es eine Anzahl Bienen nach 3 — 4 Tagen in dem schmalen hohen Räume ergiebig zu fliegen und dann das Flugloch wiederzuge- winnen. Hier haben wir ein sehr befriedigendes Beispiel von Lernvermögen. Die Bienen überwanden den ") A. Bethe, Arch. für die ges. Physiologie, Bd. 70, li Dürfen wir Ameisen und Bienen etc. 468 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 30 starken Lichtreiz, der sie stets gegen das Außen- fenster zog und durch sorgfältiges Orientieren im Räume, das genau so vor sich ging, wie bei dem früher geschilderten der /ipis inel/ißra,^)'-^-^) lernten sie die vom Normalen so außerordentlich abweichenden Flugbedingungen kennen und adap- tierten sich in verhältnismäßig kurzer Frist. Beachtenswert erscheint, daß nicht alle Indi- viduen dieses schnelle Lernvermögen zeigten. Viele mußten abends stets wieder an das Flugloch gesetzt werden. Während sich die Alellifica in wenigen Stunden am Fenster zu Tode abmühen kann, sind die von mir beobachteten Trigonen [Trigona rußcrus und emerinä), so sehr viel emp- findlicher sie gegen Kälte sind, viel widerstands- fähiger in dieser Beziehung. Wie sie bei geeig- neter Temperatur z. B. bei -|- 20" C überraschend lebendig, tatkräftig und fieberhaft tätig zu sein [pflegen und hierin die stets fleißige, aber doch schwerfälligere Honigbiene übertreffen, so ertragen sie stunden- ja tagelanges Eingesperrtsein etc. z. B. in einem Glase recht gut. Farbensinn der Apis mcllifica L. Bei dieser Gelegenheit machte ich rein zufällig eine Beobachtung, die uns in eklatanter Weise zeigt, daß es in erster Linie die Farben der Blumen sind, welche die Honigbiene herbeilocken.^) '") Ich füge dieses hier nachträglich ein. Nach mühseliger Überwinterung des erwähnten Trigona-Völkchens ließ ich die kleinen, nur 4 mm großen Tierchen an sonnigen März- und April- tagen (1907) wiederum im Doppelfenster fliegen, das sich unmittelbar neben meinem Schreibtisch befand. In den Apriltagen gab es für die Honigbiene draußen wenig zu holen. Die Krokus- blüten waren schon dahin. An geschützten Haus- wänden zeigten sich spärlich die ersten Obstblüten. Auf einem Beete in meinem Garten, das ich mit der außerordentlich früh blühenden Arabis alpina (Alpengänsekraut) bepflanzt hatte, um mich früh an dem emsigen Treiben der Lieblinge erfreuen zu können, summten zahlreiche Bienen auf den weißen, duftenden Blüten wie auch einige wenige Hummeln und Anthopliorae accrvornm. Um den Trigonen ebenfalls Blumenweide zu gewähren, pflückte ich eine gute Handvoll von Arabis-^XvX^xx und legte sie so zwischen das Doppelfenster, daß die Blumenblätter die äußere Scheibe berührten, damit die an den Fenstern niedergleitenden Trigonen in die Blüten niederfallen mußten. Diese Blüten waren daher im leuchtenden Sonnenschein von außen sehr gut zu erblicken. In das Treiben ^) ,,Die phylogenetische Entstehung des Bienenstaates." Biol. Zentralbl. 23. Bd., 1903. '") Stark erweiterter Abdruck unter dem Titel: ,,Stammcs- gesch. Entst. d. B. Staates" sowie Beiträge zur Lebensweise der solitären und sozialen Bienen (Hummeln, Meliponinen usw). Leipzig 1903. *) Vgl. a. Eugen Andreae, Inwiefern werden Insekten durch Farbe und Duft der Blumen angezogen? Beiheft z. Botan. Zentralbl., 15. Bd., Heft 3, 1903. ') Carl Detto, Blütcnbiol. Untersuchungen I u. 11 in Flora oder AUg. bot. Zeitung, 94. Bd., Heft 2 u. 3, 1905. der Tropenkinder versenkt, bemerke ich auf ein- mal, wie eine Apis mellifica sich dem Fenster nähert und geraden Weges auf die weißen Blüten zufliegt. In Handbreitnähe verlangsamt sie den Flug, um mit stark gebreiteten Flügeln sich offen- bar auf die Blüten niederzulassen. In unmittel- barster Nähe, — ob eine Berührung der Scheibe stattgefunden, vermag ich nicht zu sagen, — strich sie dann schnell seitwärts davon. Da hier eine Geruchswirkung vollkommen aus- geschlossen ist, kann man nur schließen, daß die Farbe der Blüten die Anziehung bewirkte. Ich bemerke, daß sich am Nachbarhaus an derselben Südostseite ein hoher Spalierbaum befand, der be- reits einzelne (weiße) Blüten aufwies. Orientierungsvermögen der Osiiiia p ap av e r i s LXr. Ein verblüffendes Beispiel haar- scharfer Orientierungsgabe auf einer nach mensch- lichem Ermessen völlig merkmalfreien Stätte bot sich mir am 20. Juni 1906 in der Nähe des Städtchens Treptow a. Tollense in Vor- pommern. Dort liegen an der Chaussee nach Demmin einige sandige Erhebungen, die zur Sandabfuhr dienen. Die Oberfläche liegt brach; sie ist mit Unkräutern aller Art bewachsen und zeigt stellenweise den nackten weißen Sand. — An einer solchen völlig unbewachsenen, mehrere Quadratmeter großen Stelle hatte ich das Glück, den Anfang des Nestbaues von Osmia papaveris zu beobachten. In der blendenden Sonnenglut war die stark summende Biene auf das angelegentlichste be- schäftigt, an einer bestimmten Stelle die Sand- körner zu entfernen, um die flaschenförmige Nest- vertiefung herzustellen. Die besondere Art und Weise der Ausführung legte mir auch sofort klar, warum man bei den Nestern niemals den ent- fernten Sand findet, dessen Anhäufung unter Um- ständen leicht zum Verräter der Neststelle für die Schmarotzerbienen werden könnte, wie es z. B. bei Halictus-hritn der Fall sein mag. Die Osmia senkt sich im Fluge auf die aus- erwählte Stelle, ergreift mit den Mandibeln ein Sandkörnchen und trägt es fliegend ungefähr i — I '/ä rn fort und läßt es dann immer im Fluge herabfallen. Mit elegantem Bogen ist sie schnell wieder zur Stelle, ergreift, fast ohne den Flug zu unterbrechen, ein weiteres Körnchen, befördert es fliegend abseits und so geht es rastlos und eifrig summend fort. Gleichmäßig flimmert der Sand. Wo war das Körnchen fortgeholt ? Die Stelle ist nicht zu ent- decken. Da summt die Osmia wieder heran und holt mit unfehlbarer Sicherheit ein zweites Sand- körnchen fort und ein drittes usw. Warum wählte sie gerade diese Stelle, die sich absolut nicht von der Nachbarschaft unterscheidet? Wie konnte sie sie so genau wiederfinden? Ist erst eine Vertiefung hergestellt, ist freilich das Wiederfinden leicht, aber im Anfang müssen doch so minimale Merkmale als Wegleiter dienen, N. F. VI. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 469 daß diese blitzschnelle OrieiUieiuiijj während des FluL^es in der Tat etwas X'erblüft'eiidcs hat. l^ber den .Nestbau einer Osiiiia /'dpdvrris gebe ich weiterhin noch einen seltsamen Befund. Apisindica Fabr. Edward Jacobson machte über den Ortssinn der indischen Honig- biene folgende briefliche Angaben. I-j'n von Ameisen angefallener Bienenstock wurde zum Schutz auf einen Tisch gestellt, dessen Beine in mit Wasser gefüllten Gefassen standen. Zu gleicher Zeit wurde dem Tisch ein besserer Platz im Schatten eines Baumes gegeben. Der Kasten wurde dabei ungefähr 3 m fortgerückt, doch nicht auf einmal, sondern jeden Tag nur einen halben Meter. Die Bienen fanden jedesmal so- gleich den Kasten wieder. Wohl sah man auf der alten Stelle noch viele Bienen nach dem Kasten suchen, doch von dieser sah ich die meisten nach einiger Zeit dem neuen Standort zufliegen. Eine Woche später bemerkte ich immer j noch einige wenige Bienen am alten Ort herum - suchen. Dieses sofortige Zurückfinden zum Stocke stimmt nicht mit dem, was von Apis viellifica in Büchern gesagt wird. (? v. B. Ist von B e t h e -) behauptet worden.) Danach heißt es, daß die Bienen den Stock nicht finden, wenn man den- selben um eine kleine Strecke verrückt ; dreht man das Flugloch nach einer anderen Seite, so würden die Bienen dasselbe nicht mehr finden. (r V. B.) — IVIit Apis indica ist solches bestimmt nicht der F"all, wie aus der oben beschriebenen X'ersetzung des Kastens hervorgeht. Außerdem habe ich oft absichtlich den Kasten umgedreht und fanden die heimkehrenden Bienen das Flug- loch sehr bald wieder. Auch machte ich folgen- den Versuch. Mitten am Tage, als viele Bienen ausgeflogen waren, verschloß ich das Flugloch vollständig und hob den Deckel des Kastens etwas ab. Die heimkehrenden Bienen flogen alle nach dem Flugbrett und es entstand dort ein sehr großes Gedränge. Nach einiger Zeit umflog eine Biene nach der anderen den Kasten, bis sie die obere Öffnung gefunden hatten. Diese wurde nun von den Bienen während einiger Tage benutzt, solange ich das untere Flugloch verschlossen hielt. Diesen Versuch habe ich oft wiederholt, stets mit demselben Erfolg. — (Die A. viellifica macht es genau so. v. B.) Über die Schlafstellung von Wespen und Bienen. Tetrapedia diver sipe sYAg. und Tetra- pedia peckoltiiVnzse:. Der seltsamen Nachtruhe der Männchen dieser beiden Arten, die gemeinschaft- lich übernachten, erwähnte ich in einer früheren .Arbeit (Stammesgesch. Entsteh, d. Bienenstaates, Buchhandelausgabe, Zusatz 2). „Bei Sonnenunter- gang setzen sie sich auf eigentümliche Weise auf . den Zweig eines Urwaldstrauches, stets dasselbe Bäumchen wählend, dicht angereiht eine hinter der anderen, sich mit den Mandibeln festheftend, der Hinterleib erhöht, auf diese Weise mehrere 30—50 cm Länge dicht bedeckend, im ersten Anblick mit den gelbrötlichen Haaren des Hinter- teiles einem Zweige mit Blüten ähnlich." Auch die Männchen mancher in Deutschland heimischen solitären Bienen und Schmarotzer- bienen schlafen des Nachts und während der größten Hitze, indem sie sich in die Büsche an die Blattstiele hängen (Friese). Sie beißen sich mit den Kiefern fest und lassen Leib, Flügel und Beine regungslos nach unten hängen oder sie ruhen in den glockenartigen Blüten der Campanu- laceen usw. Zu diesem Kapitel gibt Herr Edwardjacob- son einige interessante Ergänzungen. Er schreibt mir folgendes hierüber: Crocisa emarginata Lep. und Lahies spiniger Sauss. In dem Werk „De Insecten van Nederland" von J. Th. O udemans finde ich fol- gende Beschreibung über das Benehmen der Weib- chen sozialer Wespen, wenn sie sich zum Winter- schlaf anschicken: (welche übersetzt lautet) „Jedes Individuum sucht sich dazu einen ge- schützten Ort auf, nicht selten in unseren Woh- nungen, verbeißt sich fest mit den Oberkiefern an einen Gegenstand, drückt ferner Fühler, Beine und Flügel an den Körper und fällt allmählich in einen Zustand der Betäubung." Dieses eigentümliche Benehmen zeigen aber manche Bienen- und Wespenarten auch schon, wenn sie sich zur Ruhe begeben, dies ist wenigstens der Fall bei zwei Arten, welche ich im November 1905 in Samarang (Java) beobachtete. Von der einen Art, einer Schmarotzerbiene Crocisa emarginata Lep.,*) welche blau auf schwar- zem Grund gezeichnet ist, fing ich ein Exemplar, welches sich mittags um 4 Uhr (also am hellen Tage, da die Sonne dort um ca. 6 Uhr untergeht) auf einem Grashalm zur Ruhe begeben hatte. Die Biene hatte sich ganz an der äußersten Spitze des Grashalms festgebissen und dabei die Fühler, Beine und Flügel eingezogen. Die Biene war augenscheinlich eingeschlafen, da ich sie, obwohl es sonst eine ziemlich scheue Art ist, mit den Fingern abfing, dabei aber einen tüchtigen Stich erhielt. — Die andere kleine Art mit gelblicher Zeichnung auf schwarzem Grund, eine Eumenide: Labies sp i ni g e r Sauss., fand ich in zahlreichen Stücken auf einer bestimmten Grassorte. Dieses Gras hat sehr feine Wedel, von welchen die Blütenköpfchen schnell abfallen, so daß nur die sehr fein ver- zweigten Stielchen übrig bleiben. Die betreffen- den Wespen beißen sich nun an die Spitzen der Stielchen fest und ziehen alle Gliedmaßen ein. Da sich auf einem Graswedel oft eine größere Anzahl niederlassen, sieht es aus einiger Entfer- nung aus, als ob die Graswedel kleine ?'rüchte trügen. Von dieser Wespenart fand ich an *) Die Bestimmungen verdanke B u y s s o n (J .1 c o b s 0 n). ich Herrn K o i). du 470 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 30 einer bestimmten Stelle, wo das betreffende Gras wuchs, jeden Abend bei Sonnenuntergang eme große Anzahl in der bezeichneten Weise. Diese beiden Arten sind in Samarang und Umgegend sehr gemein. Zur Biologie von Apis indica F. Die folgenden Beobachtungen wurden alle von Herrn Ed ward Jacobson in den Jahren 1904 und 1905 ebenfalls in Tjandi gemacht. Ich über- mittle diese Beobachtungen um so lieber, als wir über die Apis indica Fab. biologisch nur wenig wissen. Das Wesentliche uns Bekannte gab ich in der „stammesgeschichtlichen Entstehung des Bienenstaates" •=) •'^) sowie in einer jüngeren Arbeit. 1=) Apis indica wird in der Umgegend von Sa- marang (und wahrscheinlich auch auf der ganzen Insel Java) nur vereinzeh von Eingeborenen ge- halten. Als Bienenkörbe werden Stücke aus- gehöhlter Baumstämme oder leere Petroleumkisten benutzt. In der freien Natur nistet Apis indica in hohlen Bäumen, unter Dächern und an anderen geeigneten Schlupfwinkeln. Frei hängende Waben wie "bei Apis dorsata und A. florea habe ich nie von A. indica gesehen. A. dorsaia und A. florea sind mir auf Java nie zu Gesicht gekommen, vielleicht weil sie andere Gegenden bewohnen, als die von mir aufgesuchten. Unter dem Wellblechdach der Veranda meines Hauses in Tjandi befand sich ein Nest von Apis indica, das ich schon lange Jahre beobachtete. Wegen der unerreichbaren Lage des Nestes ließ es sich jedoch nicht ausheben. Von dem Nest selbst konnte man auch nichts wahrnehmen, nur sah man die Bienen den ganzen Tag ein- und ausfliegen. Oft wurde meine Aufmerksamkeit durch ein lautes Summen auf das Nest gelenkt, was meistens während des wärmsten Teiles des Tages statt- fand; es stellte sich dann heraus, daß die Bienen in dichtem Schwärm vor dem Eingang des Nestes durcheinander schwirrten, ohne sich jedoch weit zu entfernen. (Offenbar das „Vorspiel" der jungen Bienen, v. B.) Nach ungefähr 5 Mmuten war die Aufregung vorüber und kehrten die Bienen in das Nest zurück. Ob dieser Vorgang täglich stattfand, kann ich nicht sagen, da ich nur an Sonn- und Feiertagen während des ganzen Tages zu Hause war. Feinde der Indica. Eines Tages bemerkte ich, daß das Bienennest von Ameisen überfallen und beraubt wurde. — Es waren Scharen der roten Ameise {Occophylla sniaragdina Fab.), die den Raubzug unternahmen. Sie hatten ihre aus Blättern zusammengesponnenen Nester auf einem nahen Baum, von welchem ein Telephondraht 0) Apistica. Kciträgc zur Systematik, Biologie, sowie zur geschichtlichen und geographischen Verbreitung der Honig- biene (.\pis mellificaL.), ihrer Varietäten und der übrigen Apis-Arten. Mitt. a. d. Zool. Mus. z. Berlin, III. Bd., 2. lieft, igo6, p. 1 18 - 20 1. nach dem Rande des Daches führte, unter welchem die Bienen hausten. Längs dieses Drahtes kamen Hunderte von Ameisen anmarschiert und zogen die Bienen aus dem Nest. Diese Ameisen haben nicht besonders scharfe Kiefern und es ist darum ihre Gewohn- heit, daß eine Anzahl derselben sich auf ein Opfer stürzt, das sie dann mit vereinten Kräften fest- halten und nach allen Seiten auseinander zerren. So wird die Beute lebend nach dem Nest ge- bracht und erst nach längerem Hin- und Herziehen zerstückelt. Kleine und weiche Insekten werden natürlich gleich auseinander gerissen. So sah ich an dem, dem Rande des Daches entlang führenden Balken zahlreiche Bienen, die alle von einer größeren Anzahl Ameisen an Beinen, Flügeln und Fühlern angepackt, mit aus- gespreizten Gliedmaßen weitergezerrt wurden. Die Bienen schienen wenig gegen die Eindring- hnge machen zu können und schwirrten unruhig vor dem Nest hin und her, soweit sie noch nicht eingefangen waren. Dieser Raubzug dauerte einige Tage. Ein Kastenvolk, das ich später hielt, wurde besonders von einer großen braunen Ameisenart [Camponotus viaculatiis Fabr., subsp. mitis Smith), welche eine nächtliche Lebensweise hat, ange- griffen. Während einer Nacht war eine große Anzahl in den Kasten eingedrungen und hatten viele Puppen und Larven aus den Zellen gerissen. Ich sah mich deshalb genötigt, im November 1905 den Kasten auf einen Tisch zu stellen, dessen Beine in Behältern mit Wasser stan- den. Es seien dann auch verschiedene Arten Eidechsen als Feinde erwähnt, nämlich Hemi- dactylus fraenatus und Ä mutilans, sowie Gecko verticillatus. Gegen diese nützte es nichts, den Tisch mit den Beinen in Wasserbehälter zu stellen. Von Zeit zu Zeit fand ich immer wieder neue Eidechsen, welche sich im Kasten niedergela.ssen hatten und dort von den Bienen lebten. So viel wie möglich wurden diese Tiere von mir auf- gespießt und getötet. Der schlimmste Feind war jedoch die Wachs - motte (die kleine Art), welche sich im März 1905 zum erstenmal im Stock zeigte und zwar auf einer verlassenen, leeren Wabe. Durch die Raupen wurde eine große Zerstörung auch an den anderen Waben angerichtet. Gegen alle diese Feinde, Ameisen, Eidechsen, Wachsmotten und ihre Raupen verhielten sich die Bienen völlig passiv und verteidigten sich gar nicht, sondern ließen sie ganz ruhig gewähren. — Ob diese Gleichgültigkeit gegen ihre Feinde ihren Grund hatte in der Schwäche des Volkes oder in der Gutmütigkeit der Art, kann ich nicht sagen, da ich noch nicht in der Lage war, ein starkes Volk zu beobachten. Vielleicht, daß in einem gut besetzten Stock auch bei Apis indica Feinde besser abgewehrt werden. Außer den genannten Feinden fand ich auch einige Male Scorpione und Schaben [Periplancta oricntalis) im Bienenstock. N. F. VI. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 471 Milben als Parasiten. Auf dem Ilals- schlld dieser Bienen, die ich mir später in einem Kasten hielt und die aus einem hohlen Baume stammten, entdeckte ich damals eine Milbenart, welche ich dem bekannten Acaralogen Herrn A. C. Qu dem ans schickte. Es stellte sich heraus, daß diese Milben eine ganz neue Gattung bildeten, und wurden dieselben von Herrn Oudemans Varroa jacobsonii benannt (Notes of the I.eydenMuseum Vol. XXIV, 1904). Später entdeckte ich auf den Bienen eines anderen Stockes von Apis indica eine zweite Milbenart, eine neue Hypoaspis-kx\., welche jedoch von Herrn C^udemans noch nicht näher benannt wurde. Ich hebe hervor, daß dieses überhaupt die ersten und bis jetzt einzigen Acariden sind, welche auf Apidac gefunden sind.*) — Weder in Europa noch in Amerika wurden bis jetzt Milben auf Apis niellifica oder einer anderen ///«-Art ent- deckt. Von beiden Milbenarten fand ich bis jetzt nur 5$; von Varroa fing ich nur 4 Stück. Als ich später nach weiteren Exemplaren in demselben Xest im hohlen Baum suchen wollte, kam ich zu spät, da die Eingeborenen den Baum umgehauen und das Nest herausgeholt hatten, nachdem sie die Bienen durch Rauch betäubten. Bei den Ein- geborenen gelten die Puppen und Larven als be- sonderer Leckerbissen; sie werden mit Tamarinde und Salz in Kokosöl gebacken. Der Honig wird von den Eingeborenen als Medizin gebraucht, nicht als Speise, da der Ge- schmack viel zu aromatisch und etwas bitter ist. (Sollte hier nicht ein Irrtum vorliegen? v. B.) Im Oktober 1904 kaufte ich dann für einen Gulden einen Bienenschwarm von einem Einge- borenen, welcher einige Stunden w^eit von meinem Hause entfernt wohnte. Dieser Schwärm war untergebracht in einer leeren Petroleumkiste und setzte sich zusammen aus 7 Waben. Die Dicke der Waben beträgt 21 — 22 mm und die hori- zontale Länge der größten Wabe betrug 18 cm. Größe der Zellen. Hierunter folgen einige Messungen der Zellen (Brut und Honigzellen). Das Maß ist lotrecht von der einen Zellwand bis zur anderen genommen, also nicht die Diagonale des Sechsechs. 2,30 mm 2,37 2,25 2,28 2,4 2,5 Neun Messungen an verschiedenen Zellen er- gaben die Maße : 2,33 mm 2,33 ., 2,33 „ *) Soll heißen; ,,Apinae". Bei den „Apidae", zu denen z. B. die Hummeln gehören, sind Milben als Parasiten nichts Seltenes, v. B. also 2,34 mm im Durchschnitt. Drohnenzellen habe ich nicht gemessen. Unterschiede zwischen A.indicawwA A. me llific a. In den meisten Hinsichten kommen diese beiden Bieiienarten in ihren Gewohnheiten sehr stark miteinander überein, und ich werde in folgendem nur die Punkte hervor- heben, die nach meiner Meinung einige Unter- schiede zeigen. Der Vergleich beider Arten ist für mich ziemlich schwer, da ich Apis ine/lifica nie gehalten habe, und ihre Gewohnheiten fast nur aus Büchern kenne. Temperament und Stechweise der Indica. Im allgemeinen hat Apis indica ein sehr gutartiges Temperament; die Bienen sind nicht schnell gereizt und man kann dieselben sehr leicht behandeln. Nach inzwischen gemachten Er- fahrungen scheint es mir, als ob A. mellifica viel schneller gereizt ist, als Af^is indica. Bei der Behandlung der Bienen gebrauchte ich fast nie Rauch. Zur größeren Sicherheit bediente ich mich jedoch immer eines Schleiers und der Hand- schuhe. Dabei beobachtete ich eine Tatsache, die ich in den Büchern über die gemeine Honigbiene nicht erwähnt finde. Es ist bekannt, daß bei einem Stich in die menschliche Haut die Biene ihren Stachel samt der Giftblase in der Wunde stecken läßt, da die menschliche Haut (und wahr- scheinlich auch die anderer Säugetiere) den Stachel zurückhält und die Biene sich dann mit einem Ruck losreißt. Dies geschah auch, wenn meine Bienen mich an unbedeckten Stellen der Körperhaut stachen. Hatten sie jedoch in das dicke Leder meiner Handschuhe ihren Stachel versenkt, dann konnten sie sich nicht ohne weiteres befreien. Sie rissen sich dann aber nicht los mit Hinterlassung ihres Stachels, sondern wirbelten solange sehr schnell im Kreise herum, bis sie den Stachel dadurch aus dem Leder herausgedreht hatten. (Geschieht auch bei A. mellifica, wenn auch seltener, v. B.) Man muß sich fragen, warum gebrauchen die Bienen dieses ingenieuse Mittel nicht, wenn sie sich in die lebende Haut festge- stochen haben. (Im weichen Handschuhleder haftet der Stachel nicht so fest. v. B.) Ich habe diese Manöver hunderte Male beobachtet und oft saßen 5 oder mehr Bienen im Handschuhleder fest und drehten sich alle mit großer Schnelligkeit im Kreise, bis sie sich ohne Schaden befreit hatten. Königin der Indica. Über die Zeit des Schwärmens kann ich von Apis indica nichts be- richten, da ich an meinem Stock nie etwas in dieser Hinsicht bemerkt habe. Erstens waren in demselben keine jungen Königinnen vorhanden. 4/2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 30 und überhaupt war das Volk auch viel zu schwach, um einen Schwärm abzugeben. Die Königin ist bei A/>is indica schwer zu unterscheiden, wenn sie auf den Waben herum- kriecht, da sie sich nicht viel von den Arbeite- rinnen unterscheidet. Sie ist nur etwas größer und ohne die gelbe Zeichnung. Erst einen Monat, nachdem ich den Schwärm gekauft hatte, glückte es mir, die Königin zu sehen, und später habe ich sie nur selten zu Ge- sicht bekommen. Im Dezember 1904 bauten die Bienen am untersten Rande der einen Wabe 2 Weiselzellen, doch einige Tage später hatten sie dieselben wieder entfernt. Später habe ich nie wieder solche Zellen gesehen. Die Bevölkerung des Stockes war wahrscheinlich durch allerlei Um- stände zu viel geschwächt, so daß die Bienen keine Königinnen erziehen wollten. Drohnen der Indica. In der 2. Hälfte von 1905 sah ich zum ersten Male Drohnen im Neste, welche gegen Ende des Jahres sehr zahl- reich wurden. kn den Drohnen machte ich noch folgende Beobachtung. Wenn man bei einer Drohne auf den Hinterleib drückte, traten die Kopulationsteile hervor und zugleich auch häutige Membranen, welche dieselben einfaßten und welche orangefarbig und klebrig waren. (Bei der Mellifica tritt dieselbe Erscheinung auf. v. B.) Über die Entwicklungsdauer vom Ei bis zur Imago habe ich leider keine Beobachtungen an- stellen können, da es mir an der nötigen Zeit fehlte. Noch sei hier bemerkt, daß die Drohnenzellen sich auszeichneten durch einen mehr gewölbten Deckel, welcher in der Mitte etwas spitz ist und in dieser Spitze ein feines Loch hat. (Es scheint mir, daß hier ein Irrtum vorliegen dürfte. Der Zellendeckel wird bei der Mellifica zuletzt in der Mitte geschlossen. Ständig durchlöcherte Zellen- deckel gibt es im normalen Zustande nicht. Eine bleibende Öffnung widerspricht dem ganzen Deck- lungsverfahren. v. B.) Die Brutwaben tragen in der größeren, unteren Hälfte die Brutzellen, darüber einige Reihen Zellen mit Pollen und andere mit Honig. Das Wachs dieser Brutwaben war teilweise von dunkelbrauner Farbe; die Waben, in welchen nur Hon'g und Pollen aufgespeichert wurden, waren ganz rein und von heller Farbe. Von Honig war nur immer ein sehr kleiner Vorrat im Stock vorhanden. (Das Volk war eben sehr schwach, v. B.) Propolis wird durch diese Bienenart nicht abgesetzt. Nähr ungs quellen. Was die Blumen an- geht, aus welchen Apis indica ihren Honig und Pollen holt, so kann ich darüber wenig berichten. Man konnte die Bienen auf allerhand Blumen und blühenden Bäumen Nahrung sammeln sehen. Be- sonders bevorzugt wurde ein Blimbingbaum (Conna- ropsis nwnopliylla PI.), welcher fast das ganze Jahr hindurch in meinem Garten blühte. Sobald das Alang-Alang-Gras {Impcrata cxaltata Brngn.) blühte, sammelten die Bienen an demselben viel Pollen. In den Waben waren oft Pollen in ver- schiedenen Farben zu finden. Bei den Reishändlern, welche geschälten rohen Reis in Körben feilbieten, habe ich oft auf dem Reis in den Körben zahlreiche Bienen gesehen. Ich glaube, daß sie dort den Mehlstaub sammelten, welcher immer an geschältem und noch nicht gereinigtem Reis haftet. Ungesäuberter Reis, den ich den Bienen in einem Behälter unten in den Stock stellte, wurde jedoch nicht angerührt.*) Tonvermögen. Apis indica bringt sehr verschiedene Töne hervor; ob dieselben überein- stimmen mit den Tönen, welche die europäische Biene bei verschiedenen Gemütslagen vernehmen läßt, kann ich nicht beurteilen. (Vgl. ') v. B.). Die Töne der Unruhe und der Wut sind leicht von dem gewöhnlichen Ton der Ruhe zu unterscheiden. Ein bestimmter Ton, einem kurz gehaltenen Brausen ähnlich, welchen Apis indica in bestimmten Fällen vernehmen läßt, scheint bei der euro- päischen Biene nicht vorzukommen. Ich habe mich darüber wenigstens bei einigen Imkern, welche ihr ganzes Leben Bienen gezüchtet hatten, erkundigt, doch hatten sie den von mir beschrie- benen Ton und das ihn begleitende Benehmen der Bienen nie wahrgenommen. Ich will darum auf diesen Punkt näher eingehen. Wenn nämlich die Bienen, welche im Stock auf den Waben und auf den Holzrahmen sowie an den Wänden des Kastens saßen, beunruhigt wurden, z. B. durch das Aufheben des oberen Deckels oder das Entfernen eines der Brettchen, welche die Glaswände des Kastens verdeckten, dann erklang jedesmal sehr plötzlich ein starker summender Ton, welcher von den Bienen nur kurz angehalten und mit sehr regelmäßigen Intervallen einige Male hintereinander wiederholt wurde. Dieser Ton ist sehr verschieden von dem ge- wöhnlichen Gesumm. Er wurde von allen Bienen im Stock gleichzeitig oder fast gleichzeitig angestimmt und hörten alle im selben Augenblick damit auf Das eigentümlichste an der Sache war jedoch, daß alle Bienen beim Einsetzen dieses Tones ihre Flügel ein wenig ausbreiteten, doch nicht so viel, daß sie lotrecht auf die Längsachse des Körpers zu liegen kamen. Hörte der Ton auf, dann waren die Flügel wieder in der Ruhe- lage. Da alle Bienen im Stock diese Bewegung zu gleicher Zeit machten und alles schön im Takt ging, machte dieses Gebaren einen sehr eigen- tümlichen Eindruck. (Findet sich, soweit sich nach der Schilderung beurteilen läßt, genau so bei der Mellifica, aber meist nur bei schwachen Völkern, v. B.) *) In pollenarmen Gegenden wird die Honigbiene viel- fach mit Mehl gefüttert, aber nur im Freien. In den Stock gestelltes Mehl beachten die Bienen nicht, v. B. N F. VI. Nr. ^,o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 473 Ich koiiiUe dieses Gcsumin mit der begleiten- den Mügelbewegung auch hervorrufen, wenn ich leise über die Bienen blies oder atmete. Bei jedem neuen Atemzug ließen sie den Alarmton hören. Dieselbe Wirkung hatte auch leiclites Klopfen gegen die Glasscheiben. Wenn ich jedoch den Deckel viele Male hinter- einander aufhob oder fortwährend gegen die Scheiben klopfte, hörten die Bienen bald auf, dar- auf zu reagieren. Der menschliche Atem schien sie jedoch jedes- mal zu beunruhigen. Biologisches über Nestbau, Instinkts- modifikation usw. Abnorme T a p e z i e r k u n s t einer Osinia papavcris. Inst i nktsänder u ii g? In der Abteilung über den Ortssinn wurde dieser Mohn- biene bereits Erwähnung getan, die durch ihre, man möchte beinahe sagen, ästhetische Nest- tapezierkunst besonderes Interesse in An- spruch nimmt. Schon früher habe ich an anderer Stelle ^*) auf den eigentümlichen Nestbau hingewiesen.*) Ist die einfache — meist auf ebener Erde angelegte — senkrechte ampuUenförmige Vertiefung hergestellt, so werden die Wandungen mit den roten, leuch- tenden Blütenblättern der Papaver rhoeas (Klatsch- mohn) ausgekleidet und alsdann von der Korn- blume— Ccntaiircacyanus — Blütenstaub und Nektar eingetragen. Ich muß auf meine damaligen aus- führlichen Angaben verweisen und auf die da- selbst angeführte Literatur. Aus der Summe der mir damals zu Gebote stehenden Beobachtungen — eigenen und fremden — glaubte ich schließen zu dürfen, daß die Nestauskleidung und das Ein- sammeln des Larvenfutters stets wie eben ge- schildert vor sich ginge. Inzwischen hat sich mir das Beobachtungsfeld aber in überraschender Weise erweitert. Auf jenen pommerschen Erhebungen, die aus stark sandigem Lehm bis zu reinem Flugsande bestehen und deren vorhin gedacht wurde (s.S. 468), sowie an den Lehmwänden alter Scheunen, strichen an heißen Tagen (Juni 1906) zahlreiche Schma- rotzerbienen und Schmarotzerwespen suchend um- her. Clirysis austriaca, — viridula, — integrella, — cyanea, — ignita; Hedychruni roseum. Zu diesen prachtvollen Goldwespen gesellte sich die Trauerbieiie Melecta liictnosa und die schlanken Kuckucksbienen Nomada obtusifrons, — lineola, — albogiittata, — succincta; ferner die Kegel- bienen CocHoxys rufescens, — quadridcntata und einige Sphecodes- Arten.**) Alle diese Schma- rotzer wiesen darauf hin, daß Hymenopteren-Nester der verschiedensten Art vorhanden sein mußten. So entdeckte ich bei der Suche das Einschlüpfen einer Osiiiia papaveris in ihr Nest. Nach kurzer *) Biol. Zentralbl. 23. Bd., Xr. i, p. 15 ff. In der Buch- handelausgabe, Leipzig 1903, p. 8 ff. **) H. Friese haue die Güte, das mir Unbekannte zu determinieren. Zeit kam sie wieder heraus, blieb aber, wie sie das Netz sah, das ich in einer Entfernung von einem halben Fuß vom Eingang hielt, in der Nestöffnung, um bei geringer Bewegung des Netzes sofort wieder zu verschwinden. Ich goß nun etwas Äther in die Öffnung, sofort kam sie halb betäubt hervor, so daß sie mit der Hand gefangen werden konnte. Beim Ausgraben des Nestes erlebte ich nun eine Überraschung. Statt des erwarteten, leuch- tend roten Nestes erschien eine blaue Tapezierung und nur am Halse des Nestes zeigte sich ein ein- zelner Mohnblattausschnitt. Eine genaue Prüfung ergab, daß Blütenblätter der Kornblume be- nutzt waren. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß die fast gar keine ebene Fläche bietenden, tief ausgezackten, kleinen Randblüten der Korn- blume eine ganz andere Schneide- und Tapezier- technik verlangen als die glatten, großen Blumen- blätter des Klatschmohns, so haben wir es hier anscheinend mit einer beachtenswerten Modifika- kations- und Anpassungsfähigkeit des Tapezier- instinktes zu tun oder aber lediglich mit dem Auftauchen alter Instinkte, d. h.: in früheren Zeiten dürfte es vermutlich bei dieser Osiiiia-hri Ge- brauch gewesen sein, sich der Blumenblätter der Kornblume meistens oder gar ausschließlich zu bedienen. Daß solitäre Bienen sich nur auf eine einzige Pflanze beim Einsammeln der Nahrung resp. des Proviantes beschränken, ist auch sonst bekannt. Ich erinnere an die Andrena florea, die nur die Zaunrübe {Bryottia) befliegt. War nun einmal der Instinkt entstanden, das Nest mit Blumenblättern zu tapezieren, so war es wohl naheliegend, daß hierzu nur solche der Nährpflanze benutzt wurden. Wie aber konnte es geschehen, daß heutzutage durchweg zum Auskleiden der Wiege für die Nachkommenschaft nur Blumen- blätter des Papaver rhoeas verwendet werden ? Seit vielen Jahrtausenden dürften Kornblumen und der Mohn vergesellschaftet aufgetreten sein. Man findet sie stets zusammen, sie blühen zur selben Zeit und ihre Samen sind uns aus der Pfahlbauten- zeit überliefert. Werden aber nur die Blumen- blätter der Nährpflanzen benutzt, wie dasFerton, der vortrefi"liche korsikanische Hymenopterologe, bereits von anderen Osinia-hvitn behauptete, ^) '^'■^) so müßte auch der Mohn beflogen werden. Das ist aber bis jetzt, soviel mir bekannt, nicht beob- achtet worden. So schreibt auch Friese,') wie er es mir auch mündlich bestätigte, daß in den Mohnblattnestern „Pollen und Nektar" der Centaurea aufgespeichert wird (p. 832). Überdies besitzt Papaver rhoeas keinen Nectar ! Als ich damals in Sinnen das Cen/aitrea-Nest betrachtete, war ich bei diesem Punkte mit meinem Philosophieren vor einem Hindernis. Konnten aber die bisherigen Beobachtungen nicht unge- nügende sein und die Hypothesen dennoch be- ') Friese, H., Beiträge zur Biologie der solitären Blumen vespen (ApidaeJ. Zool. Jahrb., 5. Bd., p. 751 — 860. 474 Naturwissenscliaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 30 gründete? Ich beschloß diesen Punkt zu klären. Und siehe da, es gelang mir, verschiedene Exem- plare der Osiiiia papaveris zu erwischen, wie sie eifrig den Pollen des M o h n s in ihrer Bauchbürste sammelten. Ein Irrtum ist vollkommen ausge- schlossen, da die noch jetzt in meiner Sammlung befindlichen Exemplare den Blütenstaub des Papavcr rhocas im Sammelapparate in reichlicher Menge aufweisen. Offenbar hat die starke Pollenerzeugung des Mohns infolge besonderer Umstände schon früh- zeitig zur Ergänzung des Proviantes gelockt und der Instinkt, von den Nährpflanzen die Nesttapete zu beziehen, ließ alsdann auch die Blütenblätter dieser Pflanze zur Verwendung gelangen. Vielleicht vorerst gemischt mit denen der Centaurca cyaiius, wie ja das von mir gefundene abnorme Nest auch die Verwendung beider Blattarten zeigt. Nun aber enthalten die Mohnpflanzen Giftstoffe und ich komme hier auf meine bereits früher ausge- sprochene Hypothese zurück, daß „diejenigen In- dividuen, welche sich toxisch wirkender Blätter, in diesem Falle also der Mohnblätter bedienten, im Kampfe ums Dasein insofern Vorteile erzielten, als vielleicht Eindringlinge dadurch abgehalten wurden und die Wucherung von Schimmelpilzen" (den vielleicht schlimmsten Feinden der erdbewoh- nenden Bienen) „unterdrückt oder eingeschränkt wurde".-') •'^) So konnte es geschehen, daß all- mählich der Instinkt, nu r Mohnblütenblätter zu verwenden, der dominierende und schließlich allein- herrschende wurde. Ich traf aber auch eine Osmia papaveris auf dem blauen Natternkopf (Echimii vulgare). Daß die Blumenblätter dieser Pflanze nicht zum Nest- bau verwendet werden, ist leicht verständlich, da sie zum glatten, dichten Austapezieren wegen ihrer rauhen, stark behaarten Oberfläche nicht geeignet erscheinen. Ich bemerke noch, daß das abnorme Nest in fast ebenem, vegetationslosem Terrain von lehm- haltigem Sande angelegt war. Es war anscheinend völlig fertig austapeziert. Pollen befand sich noch nicht darin. Mehrere andere^ halbvollendete und eben be- gonnene Nester zeigten ausschließlich die normale Auskleidung mit Mohnblumenblättern. Im Jahre 1902 fand ich in der Nähe von Jena einen abnormen Nestbau, der offenbar auf eine große Anpassungsfähigkeit der P^rbauerin schließen läßt. Während bis dahin nur bekannt war, daß die Osmla papaveris auf mehr oder weniger hori- zontalem Terrain senkrecht in die Tiefe gräbt, so entdeckte ich Nester derselben an stark ab- schüssiger Wegböschung. Das eine untersuchte Nest zeigte folgende Form, der zum Vergleich die normale beigefügt sei. Das gekrümmte Ei von Halictus quadricinctiis F. Ebenfalls bei Treptow a. d. Tollense (s. S. 468) kamen mehrere Nester diesei großen Furchenbiene an südlichem Weghange zui Beobachtung. Ich verweise auf das früher an anderer Stelle über den hochentwickelten, waben- förmigen Nestbau Ei wähnte. •') ''•') In jeder Zelle lag auf nektardurchtränkter Pollenkugel, die etwa die Größe einer kleinen Haselnuß hatte, das enorm lange, ganz außerordentlich stark ge- krümmte Ei und zwar derart, daß es nur auf den beiden Enden aufruhte. Dieser aufrechte Normaler Bau '/i J'^r Osmia papaveris Ltr. auf ebener Erde. Schematisch. Moditizicrter Bau '/i '^'^'' Osmia papaveris Ltr. in einer Wegbfischung. Scliematisch. Eibogen hatte eine Länge von 4 mm und dürfte ausgestreckt fast 5 '/., mm erreichen. Die Biene selbst ist ca. 1 5 mm lang. Die ovariale Entwick- lung dieser Eikrümmung dürfte von Interesse sein, wahrscheinlich tritt sie aber erst im Moment der Eiablage in die Erscheinung. Die biologische Be- deutung beruht augenscheinlich darin, das Ei mit der Unterlage möglichst wenig in Berührung zu bringen, der biologische Wert dieser Vorkehrung erscheint aber rätselhaft. Es wurden Cirsiimi- Arten und Papavcr beflogen. Eine absonderliche Nest modifikation von Vcspa vulgaris (?). In dem in meinem Garten stehenden Pavillon baute im P""rühling 1906 ein Wespenweibchen ein Nest absonder- licher Art. Das Vorgehen dieses Weibchens würde von den Tierpsychologen der alten Rich- tung (Büchner, Brehm usw.) zweifellos als „raffinierte" Baukunst, als „Schlauheit", , .erstaunliche Klugheit" usw. bezeichnet worden sein. Bekannt- lich hängt jedes Wespennest an einem kleinen, sehr zähen Stiel, der seine große biologische Bedeu- tung hat, indem er einerseits dem senkrecht her- abhängenden Bau eine feste und doch elastische Verankerung gibt und dann das Andringen von Parasiten etc. verringert, zumal sich das Wespen- weibchen in der Ruhe mit Vorliebe um diesen Stiel herumlegt*) und so als Wächter an dieser Säule harrt. Ich nehme hierbei selbstverständlich nicht an, daß es sich hier um ein irgendwie mehr oder weniger bewußtes Wachehalten handelt. Das hier in Frage kommende Wespenweibchen hatte sich die mühselige und große Sorgfalt for- dernde Anfertigung des Stielchens geschenkt, in- dem es einfach die ersten Zellen einem senkrecht nach unten stehenden, aus dem Holz ungefähr I cm herausragenden Nagel auf den Kopf baute. s) S. a. Jan et. Charles, Sur le Vespa crabro L. in: C. R. d. Seances d. l'Acaderaic d. Sc, T. 120, p. 3S4, Paris 1895. N. F. VI. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 475 Der Drahtstift iiattc ungefähr die mittlere Dicke und Länge eines normalen Stielchens. Die Nest- hülle schloß dann unmittelbar an die Nagelkopf- platte. Es bedurfte schärferen Hinsehens, um über- liaupt dieses Ersatzmittel als Nagel zu erkennnen. Das Weibchen blieb eines Tages aus und ich kann daher nicht mit Sicherheit sagen, ob es sich hier um l'is/>a vii/gtiris oder f. gcnnanica handelt, die allein hier in Frage kommen. Auffällige Eiablage bei Ves/'// media. Ein von einem mehrschichtigen Mantel umgebenes Nest von Vcspa media zeigte folgenden eigentüm- lichen Befund. Es enthielt eine Wabe mit 52 be- deckten Zellen, aus denen im Verfolg weniger Tage eine Anzahl Arbeiter auskrochen. Um diese fertigen Zellen waren noch ca. 90 mehr oder weniger ausgebildete Zellen angelegt, die alle mit Larven oder P^iern besetzt waren. Dabei hatte die Wabe nur einen Durchmesser von 5 cm. Die offenbar sehr bau- und legeeifrige Königin hatte überdies, was ich sonst noch nie beobachtet oder erwähnt gefunden habe, oben auf dem horizon- talen Wabenboden in der Nähe des Stielchens, also unmittelbar unter der dicht darüberliegenden Mantelschicht, drei muschelförmige, außergewöhn- lich breite Zellenanfänge gebaut, die alle drei mit Eiern belegt waren. Diese drei Zellen mußten also in horizontaler Lage weiter gebaut werden, völlig abweichend von der Norm. Auch hier also eine Instinktsmodihkation, eine auffällige Anpassung an die Verhältnisse. Zur Biologie von l^espa analis Fabr. Der erwähnte Herr Jacobson gibt mir über ein Nest dieser Wespenart, das er ebenfalls in Tjandi beobachtete, einen eingehenden Bericht. Die Bau- weise ist genau wie z. B. bei Vespa crabru und kann daher zum Teil übergangen werden. „Das Flugloch befand sich an der Unterseite, doch änderte es fortwährend seinen Platz, durch die Änderungen, welche an der Hülle vorgenommen wurden. Man konnte oft wahrnehmen, wie die Wespen beim Verrücken des Flugloches den einen Rand desselben abtrugen, während sie am anderen Rande ein neues Stück ansetzten, hi gleicher Weise geschieht auch die Verräumung des Nestes im Innern; die Innenwand wird im selben Maß abgebaut, wie die Außenwand vergrößert wird. Unter gewöhnlichen Umständen sind diese Wespen nie aggressiv, nur wenn man das Nest an- greift, zeigen sie sich gereizt. Diese Art fliegt sehr spät; lange nach Sonnenuntergang (6 Uhr) zwischen 7 und 8 Uhr hörte ich oft noch das Summen der heimkehrenden Arbeiterinnen. Ich war einmal Zeuge eines eigentümlichen Benehmens dieser Wespen. Ein Nest derselben Art war, wie dies viel vor kommt, ebenfalls unter dem Dachrande eines Hauses angebracht. Ein heftiger Regenschauer hatte alle Bewohner des Nestes in das Innere desselben gescheucht, als ein schwerer Donnerschlag alles erzittern ließ. Dadurch augenscheinlich beunruhigt, kroch plötz- lich eine grotie Anzahl Wespen aus dem Mugloch und bedeckte die Außenseite des Nestes völlig. Als sie jedoch gewahr wurden, daß das Nest nicht angegriffen wurde, zogen sie sich allmählich wieder ins Innere zurück. Als ich das Nest, von dem zuerst die Rede war, nach seiner Vollendung abnehmen wollte, mußte ich erst alle Bewohner desselben abfangen, was kein Leichtes war. Ich hatte anfänglich versucht, die Wespen zu töten durch das Hinein- stecken eines in Chloroform getränkten Watte- bausches in das Flugloch, doch dies hatte nicht die gewünschte Wirkung. Als das Chloroform verdampft war, zogen die Heimkehrenden den Wattebausch heraus, indem sie kleine Flöckchen abrissen und dieselben in einiger Entfernung vom Nest fallen ließen. Ich fing nun alle VVespen einzeln ein, wobei ich mich eines Netzes an einem langen Stiel bediente. Hatte ich mit dem Netz fehlgeschagen, dann stürzte die betreffende Wespe jedesmal in heller Wut auf das Netz zu, in das sie sich verbiß und das sie mit zahllosen Stichen durchbohrte. Einige Wespen schössen jedoch auch auf mich nieder, und erhielt ich einen sehr schmerzhaften Stich am Hinterkopf, der noch am folgenden Tage Kopfweh verursachte. Das Quantum an Gift, das bei einem Stich ausgegossen wird, ist sehr bedeutend. Holte ich die gefangenen Wespen mit der Pinzette aus dem Netz, dann spritzten sie ihr Gift in großen Tropfen auf einige Entfernung weg, so daß dieselben auf den steinernen Fliesen deutliche Flecken machten. Nachdem ich alle Wespen eingefangen hatte, wurde das Nest vom Balken gelöst. Die Waben enthielten zahlreiche Larven, Eier und Puppen. Gerade wie bei Vcspa crabro bildet das weiße, seidenartige Gespinst, womit die Larve die Zelle schließt, eine stark gewölbte, weit hervorragende Kuppe. E'ast ausnahmslos lagen die Larven so in den Zellen, daß sie mit der Bauchseite nach dem Zentrum des Nestes gekehrt waren. Nur sehr einzelne machten eine Ausnahme davon. Das eigentümliche Geräusch, welches Wespen- larven machen, und welches unter mehreren auch du Buysson beschreibt (Monographie des Guepes ou Vespa, R. du Buysson, Annales Societe Entomol. de France 1903, pag. 281), wird auch durch diese Art hervorgebracht. In einem Punkt weichen meine Beobachtungen von denen du Buysson's ab. Derselbe schreibt: „Une particularite des grosses larves, c'est de temoigner leur faim ou leur irritabilite par un bruit etrange qu'elles produisent en grattant for- tement les parois des alveoles avec leur man- dibules. Elles renversent leur tcte et vont ainsi atteindre le paroi qui touche leur dos." Die von mir beobachteten Larven jedoch streckten sich aus, krümmten sich nach vorn, und während sie mit einem Ruck den Körper zurückzogen, kratzten sie mit den Kiefern an der 476 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 30 Zellwand, welche an der Bauchseite lag." *) Soweit der Bericht Jacobsons. Zur Biologie von Vespa germanica. Am 29. Juli des Jahres 1904 erhielt ich ein Nest von Vespa germanica, welches in einen sonst leeren Bienenkorb eingebaut war. Das Nest war anscheinend gut bevölkert, die Insassen vermehrten sich mit der Zeit aber noch beträchtlich. Orientierungsvermögen. Das Flugloch im Bienenkorbe diente auch den Wespen zum gleichen Zwecke. Nach Entfernung der das Flug- loch schließenden Drahtgaze auf halbe Breite (die eine Hälfte des Flugloches blieb also noch von der Gaze bedeckt) hielten eine Anzahl Arbeiter ein Orientierungsvorspiel genau so, wie ich es im Biol. Centralbl. (20. Bd., Nr. 7, vom i. April 1900, p. 215. Sind die Bienen Reflexmaschinen ? Buch- handelausgabe p. 5 5) beschrieben habe. Die Wespen, die offenbar gewohnt waren, die volle Breite des I'luchloches zu benutzen, flogen in den ersten Stunden in einzelnen Exemplaren stets wieder gegen die die eine Hälfte noch versperrende, sehr durchsichtige Gaze an, bis sie den modifizierten Einflug genügend kennen gelernt hatten und die Veränderung im Gedächtnis behielten. Am I. Aug. gebe ich einen Untersatzring von 5 cm Höhe unter den Korb, um dem Bau mehr Platz zu schaffen. Dieser Untersatz war von hellerem Stroh als das stark verwitterte, graue des Korbes. Das Flugloch wurde hierdurch um 5 cm erhöht. Trotz der im ganzen den Bienen über- legenen, schnelleren Orientierungsgabe, die sich auch dadurch zeigte, daß sofort einige Wespen gegen den heller gefärbten Untersatz flogen und ihn musterten, was die Honigbiene nicht getan haben würde, suchten die Wespen bei der Rück- kehr noch in der Mehrzahl mehrere Tage in der- selben Höhenlage in den Stock zu dringen, wo sich früher das Flugloch befunden hatte. Also ebenfalls genau so, wie ich es bei der Biene be- schrieben. Am 7. Aug. muß ich einen zweiten, 12 cm hohen Untersatzring geben, da der erste bereits ausgebaut ist. Merkwürdig ist, daß diese zweite Erhöhung kaum eine Flugstauung bewirkt. Die Wespen fliegen fast glatt ein. Bis zum 19. Sept. hielt mich eine Reise fern. Am 22. Sept. schwefle ich das Nest ab. Zahl der Ne st Insassen bei V e sp a ger- manica. Ich verweise auf meine früheren An- gaben über die Zahl der Einwohner von Wespen- nestern'''i) (p. 103 ff.). Das gewaltige Nest im Bienenkorbe enthielt io(!) Waben, die sich nach der bekannten Form des sich oben verjüngenden Korbes richteten, d. h. die untersten Waben waren die größten und wiesen einen Kreisdurchmesser von 31 cm(!) auf Die sehr mühevolle Zählung ergab ungefähr 5000 Königinnen- und Männchen- zellen, die sich nicht voneinander unterschieden. Der Inhalt der noch bedeckelten Zellen, — es krochen während der Untersuchung noch eine Menge Insassen aus — , war von vornherein nicht mit Sicherheit anzugeben. An Arbeiterzellen zählte ich ca. 10 000. Männchen in Arbeiterzellen, wie Paul Marchai beobachtete, fand ich nicht. Ein großer Teil der Bevölkerung hatte sich offenbar schon vor der Untersuchung aus dem Neste entfernt, resp. war der Witterung oder F'eindenzum Opfer gefallen. Die jungen Königinnen kehren nach dem Hochzeitsflug anscheinend nicht wieder in das Nest zurück und auch die Männchen dürften sich, soweit sie nicht durch den Befruch- tungsprozeß abgängig waren, in der Mehrzahl zer- streut haben und irgendwie zugrunde gegangen sein. So zählte ich an Arbeiterinnen nur noch ca. ]6oo; von Königinnen war noch die enorme Zahl von 700 vorhanden und von Männchen die verblüffende Menge von 1600! — In Summa also noch 3900 Bewohner. Die Zählung ging am 30. Sept. und I. Okt. vor sich. Bemerkenswert war das Fehlen jeglicher Hülle, die im Freien die Waben stets mehrschichtig um- gibt.'') Dafür war der unterste Strohring — und ein kleiner Teil des darüber befindlichen — fast ganz mit der bekannten Nestmantel masse in stark spongiöser (muschelartig angeordneter Lamellen-) Form von 10 cm Dicke ausgefüllt. Das Boden- brett war bedeckt mit einem fast i '/., cm tiefen Schlamme, der sich aus allem möglichen Detritus und Niederschlägen gebildet hatte. Nest Parasiten. In diesem Schlamme wim- melten zahllose Larven von Dipteren der ver- schiedensten Art. Psychoda spec. .-, Homalomya canicularis, Anihontya- und Phoridenlarven.*) Eine mikroskopische Untersuchung des Schlammes er- gab eine besondere Art durch Hämatoxylin stark färbbarer Bakterien, die anscheinend ausschließlich vorherrschend in ungeheurer Menge das Gesichts- feld bedeckten. Später dem etwas angetrockneten Schlamme entnommene Proben zeigten die Bak- terien nicht mehr. Die Stäbchen wiesen Eigen- bewegung auf und erzeugten durch ihre enorme Menge ein ständiges, minimales Vibrieren der Ober- fläche. Ich wurde hierdurch aufmerksam. Das Fächeln am Flugloch geschah eben- falls, wie ich es bei der Honigbiene beschrieben (Biol. Zentralbl. 23. Bd., Nr. 3, p. 106; Die stammesg. Entsteh, d. Bienenstaates, Buchhandelausgabe p. 40), doch sah ich stets nur eine einzige Wespe in dieser Beschäftigung. Trotz des starken lamel- lösen Abschlusses des Nestes nach unten, mußte der leicht säuerliche Geruch des Schlammes den' Wespen anscheinend unangenehm sein, denn nicht gar selten bemerkte ich an der Vorderseite des *) Hier dürfte ein Irrtum du Buyssun's vorliegen, wenigstens soweit die Hornisse (Vespa crabro L.) in Frage kommt, da nach meinen Bcobaciitungen die Larven die b aucl) ständige Zellenwand kratzen, v. B. ") Vgl. hiermit den Befund von Janet bei V. germanica in einer Holzhöhlung. Observations sur les guepes. Paris 1903. *) Die Bestimmung verdanke ich Herrn Dr. Grünberg, vom Berliner Museum. , N. F. VI. Nr. 30 Naturwisscnschaftliclic Wochenschrift. 477 Korbes an einer kleinen länglichen ( )ft'nung, die sich dort befand, wo der zweite Untersatzring den ersten berührte, eine Wespe in eifriger Fächel- tätigkeit. Diesen Vorgang könnte man leicht als eine besondere „intelligente" Überlegung, den Geruch auf dem kürzesten Wege zu entfernen, betrachten. Ich glaube aber, daß hier einfach folgender Vor- gang Platz hat. Einzelne auf der Außenseite des Korbes umherlaufende Wespen kamen hin und wieder auch an die erwähnte Öffnung. Der her- ausdringende Geruch veranlaßte instinktiv das Fächeln. Dieser h'ächelpostcn wurde oft stunden- lang innegehalten. Zur Biologie der Baumameise Dolichoderus quadripunctatus L. Wir verdanken Aug. Forel'") die Kenntnis der Nestverstecke seltener heimischer Ameisen, wie Dolichoderus quadripunctatus L., Colobopsis truncata Spin., Leptotliorax affinis Mayr. Forel stellte fest, daß die langgesuchten Nester in hohlen, vertrockneten Zweigen von Walnußbäumen zu finden sind. So entdeckte Forel in weniger als einer Stunde 9 Nester von Z*. quadripunctatus, 7 Nester von L. affinis und 2 Nester von C. truncata. Es ist jetzt daher verhältnismäßig leicht, diese früher so seltenen Arten in größerer Anzahl zu erlangen. Künstliches Ameisennest für Baum- ameisen. Während eines Aufenthaltes bei Forel in Chigny am Genfersee (Sept. 1904) kam ich in den Besitz eines winzigen Völkchens von D. quadripunctatus. Die Gemeinschaften sind an- scheinend stets sehr klein, zumal sie in den Höhlungen kaum fingerdicker Zweige hausen und diese Höhlungen, die oft nur 2 — 3 mm im Lichten messen, sich wohl häufig nur 10 — 15 cm und weniger erstrecken dürften. Die hohlen Zweig- stücke kamen in ein Glas mit etwas feuchtem Moos, das von Zeit zu Zeit wieder angefeuchtet wurde. Feuchtigkeit ist anscheinend den meisten .■\meisen unerläßlich, ohne diese gehen sie schnell zugrunde. So gelang die Überwinterung vortreff- lich. Zur Beobachtung erwies sich der Aufent- haltsort aber als ungünstig. Die bisherigen künst- lichen .Ameisennester der verschiedensten Systeme von Lubbock, Janet, F'ielde, Wasmann etc. erwiesen sich als ungeeignet für diese Ameisen. So konstruierte ich ein Baumnest in folgender Weise. Ein gut i cm dicker und ca. 35 cm langer, reich verästelter Zweig des bekannten Garten- strauches Dcutzia wurde in eine schwere, 12 cm hohe, mit Wasser gefüllte Flasche gestellt und diese wiederum in eine flache, Wasser enthaltende Porzellanschale, wie man sie zum Entwickeln der photographischen Platten braucht. Um das Hin- einkriechen der Ameisen in die Flasche zu ver- meiden, wurde die größere Halsweite mit Papier '") Faune Mjrmecologique des Noyers dans le Canton de Vaud. Bull. d. 1. Soc. Vaudoise d. sc. nat. Vol. 39, Nr. 146, 1903. ausgefüllt. Ein passend geschnittener Kork wird dieselben Dienste leisten. Da sämtliche Zweige der Deutzia hohl sind, gab es also reichlich Unter- kunft. Die Höhlungen waren natürlich durch Ab- .schneiden der Seitenzweige in geeigneter Ent- fernung vom Stamm freigelegt und reichten mehr oder weniger tief bis zum nächsten Internodium. Der Hauptstamm bot an seiner oberen Abschnitt- steile die größte, I cm im Durchschschnitt hal- tende und ca. 2 cm tiefe Höhlung. In diese brachte ich etwas sehr feines, vermulmtes Holz, das an- gefeuchtet wurde und sich ständig durch den Safttrieb des Zweiges feucht erhielt. Über diesen Stamniabschnitt stülpte ich ein kurzes, passendes Reagenzglas und umgab dieses zur Verdunkelung mit einer anliegenden, aber leicht auf- und abglei- tenden Papierhülse. Eine kleine Eintrittspforte wurde dicht unter dem Rande des übergestülpten, den Stamm ziemlich fest umschließenden Gläs- chens, durch einen Einschnitt gemacht. Zur be- t|uemen Fütterung wurden zwei kleine Nebenäste dicht über dem Internodium abgeschnitten, so daß die Hohlräume kleine Näpfe darstellten. In den einen Nampf kam Honig, in den anderen Wasser. Beim Erlangen des kleinen Völkchens in Chigny war es mir aufgefallen, daß man, — es war gegen 12 Uhr an einem sonnigen Tage — , nirgendwo am ganzen Baume eine einzige Ameise sah, ob- gleich zweifellos eine ganze Anzahl Völkchen vor- handen sein mußte. Es lag mir nun daran fest- zustellen, ob Dolichoderus quadripunctatus viel- leicht die Dämmerungs- oder gar Nachtstunden zu seinen Streifereien bevorzugt. Das ist aber nicht der Fall, wenn es überall gestattet ist, von diesen Verhältnissen im künstlichen Nest auf die natürliche Lebensweise zu schließen. Allerdings näherte sich das geschaffene Baumnest dem Naturzustande möglichst vollkommen. Da der Zweig stets im Wasser stand, fing er bald an aus- zutreiben und eine ganze Anzahl Blätter zu er- zeugen. Die Übersiedelung geschah am 1 2. März. Nur bei Sonnenbestrahlung und mindestens 18" C im Zimmer kamen fast alle Arbeiter aus den verschiedenen Hohlräumen heraus und naschten eifrig vom Honig, den sie sehr bald aufgespürt hatten. In der Dämmerung und in der Nacht sah ich niemals eine Arbeiterin draußen. Trotzdem im ganzen nur ca. 30 Individuen vorhanden waren, 14 waren im Laufe des Winters gestorben, kann ich nicht sagen, ob eine Königin dabei war; bis Mai, wo das Völkchen durch Un- vorsichtigkeit des Personals die Freiheit gewann, war jedenfalls kein Ei gelegt worden und die schön eingerichtete Glaskammer, die in erster Linie als Kinderstube ausersehen war, blieb in dieser Hinsicht ihrer Bestimmung entzogen, doch wurde sie stets mit besonderer Vorliebe — wohl infolge des feuchten Mulms — in Anspruch ge- nommen. Merkwürdig war, daß sich nachts das Völk- chen nicht zusammenzog, sondern stets in ver- schiedenen Hohlräumen oft weit auseinander 478 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 30 stehender Aste in Gruppen von 10, 5, 6 usw. übernachtete, auch tags war dieses Verhalten zu bemerken. Diese sehr auffällige Erscheinung dürfte wohl als Anpassungserscheinung aufzufassen sein. Die oft minimalen Hohlräume, wie sie diesen Baumameisen in den Zweigen der Walnußbäume zur Verfügung stehen, werden oft notgedrungen zu einer Verteilung der Kolonie führen, sowie sich dieselbe durch Zuwachs vermehrt. So bin ich fast der Überzeugung, daß das von mir gefundene Völkclien, das in einem nach beiden Seiten völlig abgeschlossenen Hohlräume saß, nur ein Teil einer Kolonie war, deren IVIutter- stätte, wenn ich es so bezeichnen darf, vielleicht an einer ganz anderen Stelle des Astes sich befand. Es ist also wahrscheinlich nicht jedes abge- schlossen für sich gefundene Völckchen auch als eineKolonie für sich zu betrachten. Da Dolkliodcrus in meiner Heimat nicht vorkommt, bin ich außerstande, diese Frage weiter zu ver- folgen. Diese Ameisen sind dem Baumleben insofern vorzüglich angepaßt, als sie sich auffällig fest auf der jeweiligen Unterlage zu halten wissen. Es hält z. B. schwer, eine auf dem Finger kriechende Dolichodertts durch Abschütteln zu entfernen. Auch das Abstreifen mit einem weichen Pinsel ist viel schwieriger als bei anderen Ameisen, die in der Erde nisten. Vielleicht veranlaßt die Beschreibung dieses künstlichen Baumameisennestes andere Beobachter, der Lebensweise dieser interessanten, seltneren Formen nachzuspüren. Inhalt. Über den Ortssinn (Ortsgedächtnis) Crabro gonatjer Lep. Macromeris $}ü(indlda Lep. Trigona emcriua F. Karbensinn der Apis mellißca L. Ortssinn der Osmia papaveris Ltr. Apis indica F. Über die Schlafstellun g von Wespen und Uicnun Tetrapedia divcrsipes Klg. u. T. pecholtii Friese (Jrocisa emarginata Lep. u. Labies spiniger Sauss. Zur Biologie von Apis indica F. Feinde der Indica Milben als Parasiten Größe der Zellen Unterschiede zwischen A. indica u. .1. mcUlflca Temperament und Stcchwcisc der Indica Königin der Indica Drohnen der Indica Nahrungsejuellen Tonvermögen Biologisches über Nestbau; Instin ktsmodifika - tionen etc. Abnorme Tapezierkunst und abweichender Nestbau bei Osmia impaceris Ltr. Kikrümmung bei Halictns quadricinctus F. Absonderliche Nestmodifikalion von VcS2>a vulgaris Vz.. {}) Auffällige Eiablage bei Vcspa media de Gccr Zur Biologie von Vespa analis F. Zur Biologie von Vesjia germanica F. Orientierungsvermögen Zahl der Nestinsassen Nestparasiten Das Ventilieren (Fächeln) Zur Biologie der Baumameise l>oli cliodcrus i/na- dr ipunctatus L. Künstliches Ameisennest für Baumameisen. Kleinere Mitteilungen. Eine biologische Methode zur Entdeckung von Fluoriden in Nahrungsmitteln. S. Am- berg und A. S. Loevenhart. (Transactions Am. Chemical Society, New York, 27. — 29. Dez. 1906. Nach „Science" vol. 25, pag. 458.) — Die Entdeckung der hochgradigen antiseptischen Pligen- schaften der Fluoride, die vor einer Reihe von Jahren gemacht wurde, hat der Verfälschung von Nahrungsmitteln in gewissen Richtungen Tür und Tor geöffnet, da dieselben in weitem Maße zur Verdeckung minderwertiger oder verdorbener Waren herangezogen wurden. Die unleugbare Schädlichkeit dieser Drogen einerseits, die große Schwierigkeit ihrer Nachweisung andererseits, ließen es schon lange wünschenswert erscheinen, eine ein- fache und empfindliche Probe auf dieselben zu be- sitzen, und die Verfasser haben vor obiger Versamm- lung ein Verfahren bekannt gegeben, das freudigst als beachtenswerter Beitrag zur öffentlichen Hygiene zu begrüßen ist. Dieselben haben gezeigt, daß Pluornatrium, auch in sehr kleinen Mengen, in weitem Umfange die Hydrolyse der Ester der niederen organischen Säuren gegen die Extrakte verschiedener tierischer Gewebe verhindert. Es wurde die Einwirkung einer großen Zahl anderer Substanzen verschiedensten Ursprungs auf diese Hydrolyse untersucht und gefunden, daß keine von allen sich mit den Fluoriden in verzögernder Wirksamkeit messen können. Fluorammonium und freie Flußsäure verhielten sich ganz ähnlich dem Fluornatrium, und das auf diese Tatsachen gegründete Verfahren war kurz folgendes: reiner Leberextrakt wurde nach der Methode von Loevenhart und Peirce dargestellt, i cm hiervon zur Prüfung seiner Wirksamkeit mit 4 cm Wasser verdünnt und unter Zugabe von 0,26 cc Essigsäure- butylester und etwas Toluol 16 — 24 Stunden einer Temperatur von 35— 40'^^' C ausgesetzt, hierauf die Säurebildung durch Titriren mit ^20 Normalnatron- lauge bestimmt. In einem gleichlaufenden Ver- such wurden zur Verdünnung des Extraktes (i cm ; 5 cm) möglichst neutrale Auszüge von Nahrungsmitteln anstatt des Wassers angewendet und in einem weiteren dem Ganzen verschiedene Mengen von Fluoriden zugesetzt und verfahren wie zuvor. Fluornatrium verhinderte in einer Verdünnung von i : 5000 die Säurebildung, i. e. den hydrolytischen Prozeß in Milch um 89,5 "/o, in i: looooo um 87,8 "/o und in i : loooooo um 66,5 "/„. In dieser Weise war es möglich, in einem N. F. VI. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 479 Kilo l""leisch 6 mgr Muoniatrium nachzuweisen. Manche Stoffe wie Getreide, Bier usw. müssen vor der Untersuchung verascht und die .\sche ausgezogen werden, einesteils um die Fluoride zu konzentrieren, andererseits um gewisse organische Stoffe zu zerstören, die, wenn in größerer Menge vorhanden, die Wirkungen der Enzyme verzögern. Dr. Th. H. Walther-Chicago. Neues vom Mammut. Das Mammut ist so ziemlich das einzige l""ossil, von welchem uns nicht nur Hartgebilde des Körpers, sondern auch Fleisch- teile erhalten sind. Im sibirischen Eise sind sie ,, konserviert" und in mancher Beziehung besser kon- serviert, als es der bestgeschulte Präparator eines Museums zu tun vermöchte. Denn das Mam- mutfleisch kann heute noch den Tieren zum Fra(3e und nicht minder dem Physiologen zur Anstellung physiologisch chemischer Versuche dienen. Trotz dieser verhältnismäßig guten Erhaltung aber sind wir über die äußere Erscheinung des Mammut vielleicht noch nicht ganz ausreichend unterrichtet. So frappierend ehemals die Kunde wirkte, daß das Mammut sich, zum Unterschiede von den an- deren Elefanten und zum Schutze gegen die nor- dische Kälte, einen dichten Haarpelz zugelegt hatte — so bemerkenswert wird auch eine andere, beinahe komisch -anmutende Schutzvorrichtung gegen Kälte am Mammutkörper sein, nämlich eine — Afterk läppe. Es ist vielleicht noch erinnerlich, daß vor einigen Jahren die Nachricht von einem aus dem Eise am Ufer der Beresowka hervorgetauten Mammut- kadaver die Blätter durchlief. Der Fund war in mehrerer Hinsicht interessant, so z. B. durch den Nachweis, daß das Tier mitten im Fressen in eine Eisschlucht gestürzt und an den Verletzungen gestorben ist und dann einfror, noch mit F'utter- resten im Maule und Magen, die uns Aufschlüsse über die Pflanzendecke und das Klima der Mam- mutzeit geben. Über den Schwanz dieses Tieres berichtet nun Prof. A.Brandt Näheres im Biolog. Zentralblatt. Der Schwanz des Mammut gleicht nicht dem uns bekannten peitschenförmigen Elefantenschwanz, sondern er ist erstens kürzer, und zweitens ist seine obere, der Schwanzwurzel benachbarte Partie derartig verbreitert, daß man sie am ehesten mit dem aufgeblasenen Nacken einer Brillenschlange vergleichen kann. Oberseits mit einer derben, wohl auch behaarten Haut bekleidet, ist dieser verbreiterte Teil des Schwanzes auf der Unterseite zart behäutet und zugleich mit Fett weich aus- gepolstert und derartig geformt, daß er sich vor- züglich in die Rinne zwischen den beiden Hinter- backen hineinlegt. Er deckt auf diese Weise, wie der Name Afterklappe besagt, die nicht ganz kleine, 28 cm im Durchmesser betragende, hintere Körperöffnung und stellt offenbar eine wichtige W ä r m e a n p a s s u n g vor. Diese Afterklappe des Mammut wird auch noch für den Kulturhistoritiker von Interesse sein. Im Paläontologischen Museum des Jardin des plantes hebt, man bekanntlich eine im Perigord an der Dordogne gefundene Elfenbeinijlatte auf, die ein- geritzte Zeichnungen vom Mammut aufweist und eins der schönsten Zeugnisse künstlerischer Betäti- gung des vorweltlichen, spätdiluvialen Menschen repräsentiert. Man hat zwar die Echtheit dieses wert- vollen kulturhistorischen Dokuments mitunter an- gezweifelt, und tatsächlich hätten ja die richtig dargestellten kleinen Ohren, die lange Behaarung und was sonst für das Mammut charakteristische Eigenschaften sind, auch auf einer ziemlich ge- schickten, verständnisvollen Fälschung beruhen können. Aber ganz abgesehen davon, daß recht wenig Grund zurAnnahme einer Fälschung vorhanden war und die Echtheit des Fundstückes vielmehr durch ähnliche P'unde aus anderen Gegenden nahe- gelegt wurde, kann Prof. Brandt aufs deutlichste zeigen, daß der vorweltliche Graveur auch den Schwanz des Mammuts mit der charakteristischen breiten Afterklappe unverkennbar wiedergegeben hat. Dies merkwürdige Organ war also schon dem Menschen der Eiszeit aufgefallen und wurde viel- leicht sogar von ihm nicht wenig geachtet. Prof. Brandt meint nämlich, der Mammutfettschwanz sei wahrscheinlich auf jenem Bilde übertrieben groß dargestellt, und gibt der Vermutung Raum, der Künstler habe sich durch gastronomische Sym- pathien leiten lassen, wie ja auch heutzutage der Schwanz des Fettsteißschafes bei manchem Volke hohen kulinarischen Wert besitzt. V. F"ranz. Photographischer Nachweis von Ver- änderlichkeit bei Planetoiden. — Im fünften Bande dieser Zeitschrift berichteten wir (S. 590) über das Verfahren, welches J. H. Metcalf bei der photographischen Aufsuchung von Planetoiden einschlägt und dessen wesentliche Eigentümlich- keit darin besteht, daß er dem Fernrohr eine derartig verzögerte Drehbewegung erteilt, daß zwar die Fixsterne sich als Striche abbilden, Planetoiden aber von mittlerem Sonnenabstande ihr Licht beständig auf dieselbe Stelle der Platte werfen und daher ein punktförmiges Bild erzeugen. Neben dem Gewinn , der sich dadurch für die Auffindung lichtschwächerer Objekte ergibt, können zugleich auch zeitliche Helligkeitsschwankungen auf diesem Wege leicht bemerkt werden, wie M. im Maiheft (1907) des Astrophysical Journal an Hand einer reproduzierten Beispiel-Aufnahme des Planetoiden 1906 W E zeigt. Um vor allem etwaige Plattenfehler nicht mit Planetenbildchen zu verwechseln , macht M. stets auf derselben Platte unmittelbar nacheinander zwei Aufnahmen derselben Himmelsregion von je 35 Minuten Expositionsdauer, zwischen denen der Platte eine kleine Verschiebung in Richtung der täglichen Bewegung erteilt wird. Die entwickelte Platte läßt dann die Fixsterne als unterbrochene Striche, den Planetoiden aber als Doppelpunkt erscheinen. Nun zeigt die am 6. November 1906 48o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 30 gewonnene Aufnahme des genannten Planeten, daß die beiden Planetenpunkte von ziemlich stark differierender Intensität sind, während in den bei- den Hälften der Sternstriche kein wahrnehmbarer Unterschied festzustellen ist. Daraus geht aber hervor, daß bei unveränderter Durchsichtigkeit der Luft der Planetoid während der Zeit der zweiten Aufnahme eine andere Lichtsumme aus- gestrahlt hat, als während der ebenso langen Dauer der ersten, daß er also im Zeitraum von 71 Minuten eine deutliche Helligkeitsschwankung durchmachte. Von demselben Planeten wurden bis jetzt im ganzen vier Aufnahmen erzielt. Noch zwei weitere von diesen zeigen merkwürdigerweise, wenn auch in schwächerem Grade als die reproduzierte Platte, Veränderungen der Helligkeit in jenem kurzen Zeitraum einer Stunde. Das Studium der Plane- toidenrotationen wird voraussichtlich durch aus- giebige Benutzung der neuen Methode erheblich gefördert werden. F. Kbr. Literatur. Burrau, Dr. Carl: Tafeln der Funklioneo Cosinus und Sinus, ni. den natürl. , sowohl reellen als rein imaginären Zahlen als Argument. (Kreis u. Hyperbelfunktion.) (XX, 63 S.) gr. 8». Berlin '07, G. Reimer. Geb. in Leinw. 4 Mk. Hell, Dr. Beruh.: Ernst Mach's Philosophie. Eine erkenntnis- krit. Studie über Wirklichkeit und Wert. (130 S.) gr. 8°. Stuttgart '07, F. Frommann. — 2,50 Mk. Jerusalem, Prof. Dr. Wilh. : Lehrbuch der Psychologie. 4. Aufl. (XII, 213 S. m. 20 Abbildgn.) gr. 8°. Wien '07, W. Brau- müller. — Geb. in Leinw. 3,60 Mk. Wundt, Wilh.: Grundriß der Psychologie. 8., verb. Aufl. (XVI, 414 S. m. 23 Fig.) 8". Leipzig '07, W. Engelmann. — Geb. in Leinw. 8 IMk. Zacharias, Dir. Dr. Otto : Das Plankton als Gegenstand der naturkundlichen Untcrweisg. in der Schule. Ein Beitrag z. IMethodik des biolog. Unterrichts u. seiner Vertiefg. (VII, 213 S. m. 28 Abbildgn. u. i Karte.) gr. 8". Leipzig '07, Th. Thomas. — 4,50 IMk., geb. 5,50 Mk. Anregungen und Antworten. Herrn Prof. J. — Über das, was man ,,p h ysi ol ogi - sehe Arten'' nennt, hat die Naturw. Wochenschrift schon wiederholt berichtet, z. B. im .Artikel Detto in der Nummer vom 2. März 1902 p. 255. wo gesagt wird: Draba verna L. umfaßt in Europa nicht weniger als 200 konstante Formen. In allen besseren Floren unterscheidet man bei Viola tricolor, dem wilden Stiefmütterchen, mindestens zwei Formen als sog. Varietäten , V. tricolor v. vulgaris mit großen blauen und v. arvensis mit kleinen gelblichen Blüten; es sind aber nicht etwa Varietäten im Sinne von Standortsabweichungen, sondern echte Arten, denn aus dem Samen der einen geht niemals die andere Form hervor, es sind sogar Linne'sche ."Xrlen, wenig- stens die Form arvensis, da sie unter ihrem Namen wiederum eine ganze Reihe von samenbeständigen, festen Formen ver- einigt. Für Frankreich und Deutschland kommen auf eine Linne'sche Art im Mittel 2 — 3 solcher Formen, für ganz Europa etwa 10. Des großen Interesses wegen sei auch an- geführt, daß man bei den Rostpilzen fUredineen, häufigen parasitischen Pilzen) Formen kennt, die morphologisch-mikro- skopisch überhaupt nicht unterscheidbar sind , die man aber sicher feststellen kann auf Grund der Tatsache , daß sie nur auf ganz bestimmten Pflanzenarten zu gedeihen vermögen I Ericksson, Klebahn); man hat sie species sorores oder noch zweckmäßiger ,, physiologische Arten" genannt. Über die Zerstörung beider Augen eines Men- schen durch Fliegenlarven berichtet Schultz-Zeh- den in der Bcrl. klin. Wochenschr. (1906, Nr. 10, p. 286). Eine 47 Jahre alte Landstreicherin , dem Trünke stark ergeben , wurde in verwahrlostem Zustande aufgelesen , das rechte Ohr und beide Augen waren zerstört, ein tiefes, bis auf den Knochen reichendes Geschwür befand sich im Nacken. Die Untersuchung ergab, daß alle diese Zerstörungen einzig und allein durch die Larven der gewöhnlichen Schmeißfliege erzeugt worden waren; etwa ein Litermaß voll von diesen Larven wurden vom Körper der Kranken abgelesen. Die Bulbi, deren einer noch eine große Larve im Glaskörper be- herbergte, mußten beide entfernt werden. Die Kranke erholte sich zunächst vorzüglich , erlag aber dann ihrer Arteriosklerose. W, v. Brunn fügt diesem der Zeitschr. f. Bakteriologie entnommenen Referat hinzu : Schwere Schädigungen durch Fliegenlarven sind ja bei uns ungewöhnlich, werden aber z. B. in Spanien .auch bei peinlich sauberen Menschen nicht selten beobachtet. Herrn C. B. in Strausberg. — Eichler, Blütendiagramme (Leipzig, W. Engelmann). Herrn M. in B. — Der auffällige Unterschied in der Tracht der Landform und Wasserform von Riccia fluitans, wie sie in Nr. 26 dieser Zeitschrift auf Seite 407 abgebildet sind, beruht, wie Sie richtig vermuten, auf einer Verwechselung. Zwar sind bei Moosen sehr große Unterschiede der Traclit von Wasser- und Landformen nichts Seltenes, im vorliegenden Falle aber liegt die Sache so, daß Fig. 9b nicht Riccia fluitans, sondern Ricciocarpus natans darstellt. Der Fehler stammt, wie Dr. Carl Müller im vierten Heft der von ihm bearbeiteten ,, Lebermoose" (Rabenhorst's Kryptogamenflora) feststellt, aus Goebel's Organographie und ist von hier in verschiedene Bücher übergegangen. Mir war die Verwechslung zuerst im Viermänner-Lehrbuch .aufgefallen. L. Loeske-Berlin. Herrn D. in St. Petersburg. — Deutsche Zeitschriften für Physik und Chemie sind: .\nnalen der Physik und Chemie (Leipzig, J. A. Barth). Zeitschrift für Mathematik und Physik (Leipzig, Teubner). Physikalische Zeitschrift (Leipzig, Hirzel). lahrbuch der Radioaktivität und Elektronik (Leipzig, Hirzel). Zeitschrift für physikalische Chemie (Leipzig). Elektrochemisclie Zeitschrift (Berlin). Chemische Zeitschrift (Leipzig, Hirzel). Liebig's Annalen der Chemie. Leipzig. Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. Berlin. Zeitschrift für Elektrochemie. Halle. Zeitschrift für angewandte Chemie. Berlin. Zeitschrift für anorganische Chemie. Hamburg und Leipzig. Zeitschrift für Instrumentenkunde. Berlin. Chemisches Zentralblatt. Berlin. Zeilschrift für analytische Chemie. Wiesbaden. Zeitschrift für die Chemie der Kolloide. Agrikulturchemischcs Zentralblatt. Berlin. Inhalt: Dr. II. v. B uttel- Reepen: Psychobiologische und biologische Beobachtungen an Ameisen, Bienen und Wespen. — Kleinere Mitteilungen: S. Amberg und A. S. Loe venhart: Eine biologische Methode zur Entdeckung von Fluoriden in Nahrungsmitteln. — Prof A. Brandt: Neues vom Mammut. — J. H. Metcalf: Photographischer Nach- weis von Veränderlichkeit bei Planetoiden. — Literatur: Liste. — Anregungen und Antworten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. T)ruck von Lippert & Co. (G. Fätz'sche Buchdr ), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion; Professor Dr. H. Potonife und Professor Dr. in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. F. Koerber Neue Folge VI. Band; der ganzen Reihe XXll. Band. Sonntag, den 4. August 1907. Nr. 31. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen imd Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate : Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannabme durch die Verlags- handlung. Über Bodenbakterien. Nach einem in der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin am 15. Okt. 1906 gehaltenen Vortrage. [Nachdruck verboten.l Von Dr. Hugo Fischer. Zwar rechnet man die Bodenbakteriologie zu den angewandten Zweigen der Naturwissen- schaft, doch kann von einer Anwendung in der landwirtschaftlichen Praxis bisher nur in einem Punkte die Rede sein, im übrigen befinden wir uns auf der ganzen Linie noch durchaus im Stadium theoretischer Forschung. In den Einzelfragen fehlt es noch sehr an ge- nauer Kenntnis: das liegt größtenteils an den außerordentlichen in der Natur der Verhältnisse begründeten Schwierigkeiten der Untersuchung. Im Boden lebt ein buntes, wechselndes Gemisch vieler Bakterienarten, wohl stets auch mit Sproß- und Fadenpilzen untermischt; die letztgenannten überwiegen im Wald- und Moorboden. Die Zahl der in einem Gramm Bodens enthaltenen Bakterien- keime ist ungeheuer; man hat bis über 50000000 gezählt, wobei aber noch alle die nicht mitgelten, die auf Gelatine oder dgl. nicht wachsen. Es kann gar kein Zweifel sein, daß diese Bakterien sich gegenseitig durch ihre Stoffwechselprodukte in hohem Maße beeinflussen, teils antagonistisch, schädigend, teils fördernd, indem die einen Stoffe erzeugen, welche von anderen weiter verarbeitet werden; diese Fragen sind nur erst in einigen, allerdings wesentlichen Punkten, erhellt. Jene Stoffwechselprodukte sind vielfach wohl kompli- ziertere organische Körper, die auch wegen ihrer mutmaßlichen leichten Zersetzbarkeit wenig Hoff- nung auf eingehendere Erkenntnis geben. Zunächst fehlt es uns noch an einer genauen Analyse und Charakteristik der Bak- terienflora der verschiedenen Böden, in ver- schiedenen Schichten, in den verschiedenen Jahres- zeiten usw.; diese wird, in möglichst vielerlei ver- schiedenen Böden unter verschiedenen Verhält- nissen untersucht, vermutlich ebenso vielseitige, physiologisch aber noch weit interessantere Be- ziehungen ergeben als die Untersuchung der Phanerogamendecke. Es wird noch Jahre müh- samer Arbeit brauchen, bis dieses Ziel erreicht ist.*) Eine solche Analyse können wir teilweise, soweit die Mikroben auf unseren künstlichen Nährböden angehen, erreichen durch die altbewährte Platten- methode nach Robert Koch. Haben wir aber die einzelnen Arten isoliert (und deren relative Häufig- ') Solche Arbeit ist also nichts für Institute, die darauf angewiesen sind, durch ihre Veröffentlichungen bei Nichtfach- leuten Eindruck zu machen. 482 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 31 keit festgestellt), dann entsteht die weitere F"rage : wie wirkt jede Art im natürlichen Boden ? Daß sie sich dort genau so verhalte wie in unseren künstlichen Zuchten, ist höchst fraglich ; z. T. haben wir direkten Anlaß, hier sehr beträcht- liche Unterschiede zu statuieren. Die Wirk- samkeit im natürlichen Boden zu verfolgen ist aber unmöglich, weil es unmöglich ist, n a t ü r - liehen Boden ohne chemische Verände- rung zu sterilisieren. Durch heiße Wasser- dämpfe wird der Boden (d. h. die Humusstoffe desselben) merklich verändert, worauf man zuerst durch das veränderte Wachstum höherer Pflanzen aufmerksam wurde. Trockene Hitze, die man bis mindestens 160'' längere Zeit wirken lassen muß, um Sterilität zu erreichen, führt zu teilweiser Ver- kohlung der organischen Substanz. Chemische Sterilisation ist ebenfalls kaum anwendbar, weil die etwa in Frage kommenden Gifte zu einem beträchtlichen Teil von den Bodenteilchen (kolloi- daler Natur?) absorbiert werden, also in recht großen Mengen angewendet werden müssen und eben auch den Boden chemisch verändern. Und schließlich wäre auch die Reinkultur im sterilisierten, aber chemisch und physikalisch unveränderten Bo- den wiederum unnatürlich, weil das Natürliche eben das Zusammenleben vieler Arten ist. Doch kommt es nicht allein auf die vorhan- denen Arten von Mikroorganismen an, sondern auch auf deren relative Wirkungskraft. Hier verfügen wir über ein Verfahren, das darin be- steht, abgewogene Bodenmengen in bestimmte Lösungen einzutragen und nach Tagen oder Wochen die eingetretene Umsetzung quantitativ zu prüfen. So hat sich gezeigt, daß abnorm u n - fruchtbare Böden eine äußerst geringe bakterielle Tätigkeit verraten, daß diese wesentlich gesteigert wird durch Zufuhr von or- ganischer Substanz und von Kalk, u. a. m. Auch in den verschiedenen Jahreszeiten machen sich auf diese Art wichtige Unterschiede geltend. Die so gewonnenen Ergebnisse stimmen teilweise, aber nicht immer und nicht völlig überein mit denen der Bakterienzählung. Doch ist es dabei wiederum unnatürlich, daß die Bakterien in Lösungen wach- sen, nicht im Erdboden, wodurch nachweislich (z. B. bei der Denitrifikation) ganz andere Ver- hältnisse erzeugt werden. Will man die Bakterien im Boden wirken lassen, so stellen sich analytische Schwierigkeiten ein, weil man hier nur immer mit kleinen Bodenmengen arbeiten kann. Aus einem Ackerstück zuverlässige Durchschnittsproben 7x\ gewinnen, ist überhaupt kaum möglich. Aber selbst aus dem gründlich durchgemischten Inhalt eines Vegetationsgefäßes entnommene Proben geben bei der Analyse (insbesondere in der wich- tigsten aller Fragen, der Stickstofiffrage) noch Unterschiede, die auf die Bodenmengen eines Ackerlandes umgerechnet, für den Ernteertrag be- reits recht wesentlich sein würden. Darum ist es fast unmöglich, im Boden die Umsetzungen stickstoffhaltiger Substanz, sofern deren Quan- tität normalen Verhältnissen entsprechen soll, analytisch zu verfolgen. Aus solcher Schwierigkeit kann man sich nur helfen durch eine sehr große Zahl paralleler Versuche und Analysen; jede Arbeit, die hieran sparen zu können glaubte, ist in ihren Endergebnissen und den etwa daraus gezogenen Schlüssen un- sicher und deshalb mehr oder weniger werllos, bestenfalls als Vorarbeit für exaktere Unter- suchungen zu brauchen. Wollen wir die mannigfachen Einzelerschei- nungen in der Biochemie der Bakterien in ein System bringen, so wäre die wissenschaftlich korrekte Einteilung die nach der physiolo- gischen Rolle, die ein jeder Vorgang im Leben der Zelle spielt; für eine kurze Darstellung übersichtlicher ist jedoch das Einteilungsprinzip, welches die hauptsächlichsten Grundstoffe, Kohlen- stoff und Stickstoff, in ihrem Kreislauf verfolgt. K o h 1 e n s t o ff -Verbindungen dienen der großen Mehrzahl der Bakterien sowohl zum Auf- bau der Leibessubstanz, als auch zum Ge- winn der Betriebsenergie durch Atmung oder Gärung. Eine Ausnahme sei schon hier erwähnt: die „Seh wefelbakterien" brauchen organische Substanz nur zum Aufbau,^) ihre At- mung besteht in der Oxydation von Schwefel- wasserstoff. Solche Bakterien sind bisher nur in Sumpfwasser und in Schwefelquellen gefunden, ein ähnliches Vorkommen im Erdboden ist noch fraglich, auch kaum wahrscheinlich, da es im Boden kaum zur Anhäufung wesentlicher Mengen von Schwefelwasserstoff kommen dürfte. Fast alle Bakterien decken ihren Kohlenstoff- bedarf aus mehr oder weniger zusammengesetzten organischen Verbindungen, nur die Nitro- bakterien und die neuerdingsentdeckten Wasserstoff- bakterien (vgl. u.) verarbeiten Kohlensäure, eine Art sogar Kohlenoxyd. Diese sind also autotroph, wie die grüne Pflanze, doch ohne deren Chloro- phyll - Apparat. Für eine Anzahl von Bodenbakterien ist es in neuerer Zeit bekannt geworden, daß sie sich mit Vorliebe an den unterirdischen Organen von Pflanzen, vielleicht auch in deren nächster Um- gebung, aufzuhalten pflegen. Es ist wohl sicher, daß die absterbenden äußersten Zellschichten der Pflanzenorgane den Bakterien organische Nahrung liefern; nicht unwahrscheinlich ist ferner, daß Ab- falls- und Ausscheidungsprodukte der verschiedenen Pflanzenarten, wohin auch die graduell verschiedene Säureausscheidung der Wurzeln zu zählen wäre, verschiedenartige Bedingungen schaffen, unter welchen sich, innerhalb ihres Wirkungsbereiches, verschiedenartige Mikroorganismen - Floren ansiedeln würden. In welcher Weise sich nun aber diese Floren tatsächlich von einer zur anderen Pflanzenart, und andererseits von der ') Vielleicht sind die Schwefelbaklerien auch hinsichtlich ihrer Kohlenstofternälnung autotroph, worauf ihr Versagen auf organischen Nährböden hindeuten würde; der e.xakle lie- wcis steht noch aus. N. F. VI. Nr. XI Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 483 eines sonst gleichartigen, nicht bepflanzten Bodens unterscheiden, das ist noch eine durchaus offene und erst durch sehr lange Untersuchungsreihen zu beantwortende Frage. Auch darüber wissen wir z. Z. noch gar nichts, ob irgend eine praktische Bedeutung, und welche, diesen ,,R h i z osphäre n" bzw. ihren Mikroorganismen zukommt. liine wesentliche Rolle in der Bakterien-Bio- logie spielt das Verhältnis von Atmung und Gärung. Bezüglich des letzteren Begriffes herrscht noch eine große Meinungsverschiedenheit, so daß noch neuerdings der Vorschlag gemacht werden konnte, auf eine genauere F'estlegung des- selben überhaupt zu verzichten! Es ist sehr wohl angängig, die Gärungen zu definieren als der Bioenergetik dienende Vorgänge, deren Wesen in einer Umlagerung der Sau erstoffatom e innerhalb der gleichen (dabei natürlich zerfallenden) Substanz besteht, unter Vermehrung der Bindungen zwischen Kohlenstoff und Sauerstoff Ist diese Umgrenzung vielleicht nicht unfehlbar, so bietet sie doch den großen Vorzug, zwei entschieden heterogene Gruppen von Erscheinungen grundsätzlich auszuschließen : erstens alle Oxydationen mittels atmosphärischen oder durch Reduktion (vgl. u. : Denitrifikation) ge- wonnenen Sauerstoffes, und zweitens alle verdauen- den, die Stoffaufnahme vorbereitenden Spaltungen, Invertierungen usw. Hat man zu wählen zwischen Klärung und Verwirrung der Begriffe, so ist, in der Wissenschaft wenigstens, der erstere Weg vorzuziehen. Jede Gärung ist also eine Energiequelle, als solche zwar, weil aus Oxydation und Reduk- tion gepaart, schwächer als die nur exothermische Atmung, dieselbe aber im Bakterienleben in ver- schiedener Weise ersetzend oder vertretend. Die physiologischen Gruppen der Aeroben, Anacroben und Fakultativ- Anaeroben werden häufig nur definiert als Mikroorganismen, die I. nur bei Luftzutritt, 2. nur bei Luftabschluß, 3. unter beiderlei VerJiältnissen wachsen, d. h. sich vermehren. Damit sind nur die Tatsachen gegeben, ohne ihren tieferen Sinn. Physiologisch gesprochen sind Aerobe solche, die der Atmung notwendig bedürfen; Anaerobe solche, die nur durch Gärung vitale Energie gewinnen, zur Atmung aber unfähig sind und oft durch Sauer- stoff geradezu geschädigt werden; P'akultativ- Anaerobe diejenigen, die bei Luftzutritt at- men, bei Luftabschluß die Atmung durch Gärung ersetzen. Daß es Mikroben gibt, die auch bei Luftzutritt lebhaft gären, wie z. B. die Hefenpilze, ist eine besondere biologische Anpassung: die Gärprodukte sind ein Schutz- und Trutzmittel wider die Mitbewerber im Kampfe ums Dasein. Unter den Bodenbakterien sind die meisten und verbreitetsten Arten zur Atmung befähigt, viele streng aerob, wohl die Mehrzahl fakultativ anaerob, andere wieder streng anaerob. Natur- gemäß finden sich die letzteren in den tieferen Bodenschichten vorwiegend; doch hat sich gezeigt, daß strenge Anacrobe auch bei Luftzutritt wachsen können, wenn sie in Symbiose mit Sauer- stoff verbrauchenden Bakterien leben: wieder ein Beitrag zu der Tatsache, daß an un- seren künstlichen Reinkulturen gewonnene Ergeb- nisse nicht ohne weiteres auf die Verhältnisse im natürlichen Boden übertragen werden dürfen. Das relative Sauerstoft'bedürfnis, bzw. die optimale Sauerstoffspannung ist übrigens von Art zu Art ungeheuer schwankend; zu aerobem Wachs- tum wohl befähigte Bakterien können doch einem viel geringerem Sauerstoffmaß angepaßt sein, als dem der normalen Luft. Gärungserreger sind im Erdboden verbreitet, namentlich häufig Buttersäurebakterien, die als weitere Produkte der Gärung Essigsäure, Kohlensäure, Methan und freien Wasserstoff er- zeugen ; auch die Milchsäuregärung ist eine weit verbreitete Eigenschaft. Die organischen Säuren verbleiben unter normalen Verhältnissen nicht im Boden, sondern werden weiterhin durch Bakterien zu Kohlensäure und Wasser veratmet, vielleicht unter Zuhilfenahme von Nitratsauerstofif (vgl. u.), wo der Luftsauerstoff nicht mehr genügend Zu- tritt hat. Die Säurebildung im Boden ist von einer sehr wesentlichen Bedeutung insofern, als sie zur Aufschließung schwer löslicher Mineralstoffe, so der besonders wichtigen Phosphate, mitwirkt — ein Ziel, welchem ja auch die Säureausscheidungen der Pflanzenwurzeln dienen. Daß langsam aber stetig wirkende Kohlensäure viel zur Auflösung von Bodenbestandteilen zu leisten vermag, ist bekannt; in welchem Verhält- nis die Leistungen der aus der Gärung entspringen- den organischen Säuren zu der der Kohlensäure stehen, ist noch zu prüfen. Die durch Bakterien- tätigkeit erzeugte Kohlensäure ist aber weiterhin von Bedeutung für die Assimilation der grünen Pflanzen. Der aus dem Boden auf- steigende Strom der spezifisch schweren Kohlen- säure, die sich nur langsam im Luftraum verteilt, ist gewiß nicht ohne Einfluß auf die Pflanzenwelt: der Rosetten wuchs ist wohl als eine Anpassung für das Auffangen der kohlensäurereicheren Boden- luft anzusehen, und der besonders häufig rosetten- förmige oder sonst niederliegende Wuchs der Alpenpflanzen ist, wenngleich von noch an- deren Faktoren mitbedingt, so doch auch ein Hinweis auf die in den dünneren Luftschichten herrschende Schwierigkeit der Kohlensäuregewin- nung für den Assimilationsvorgang. Kohlenstoff finden die Bakterien nur selten in Form der direkt verwertbaren Hexosen, Pentosen usw.; neben Eiweißkörpern kommen wesentlich die polymeren Kohlenhydrate, Amylum, Pektine, Cellulosen i. w. S. in Betracht. Alle drei genannten Gruppen werden vorwiegend von anaeroben Bakterien, besonders Buttersäure bilden- den (vgl. o.) hydrolysiert. Als Cellulose auflösend kennen wir zwei morphologisch sehr ähnliche, anaerobe Bakterien, die sich physiologisch da- 484 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 31 durch unterscheiden, daß neben Buttersäure und Kohlensäure von dem einen Methan, von dem anderen Wasserstoff erzeugt wird. In neuerer Zeit ist auch ein aerober, Cellulose auflösender Spaltpilz beschrieben worden, der wegen seines rostroten Farbstoffes Bacillus ferrugineus van Iterson heißt. Von .-Xuflösung verholzten Zellstoffes durch Bakterien ist bisher noch nichts bekannt geworden, obwohl solche in Ackerboden höchst wahrscheinlich vorkommt; im Walde sind es zahllose Arten, höherer Pilze, die das Holz, z. T. schon am lebenden Baum, zerstören. Auch von der Art, wie die verkorkte Zellwand, Kutikula und ähnliches wieder verwertet wird, wissen wir noch nichts; diese Stoffe sind besonders wider- standsfähig, im Torf z. B. finden sich Kutikula, Exine von Pollenkörnern u. dgl. noch voll- ständig erhalten ; im Ackerboden dürfte doch eine sehr langsame Zersetzung stattfinden. Wir haben Methan und freien Wasser- stoff als Erzeugnisse des Bakterienlebens kennen gelernt; was aus diesen weiter wird, haben wir erst in neuester Zeit erfahren. Ein Bacillus methanicus Söhngen verbraucht Methan als Kohlenstoffquelle für Aufbau und Atmung. Der Methanverbrauch wurde zuerst an Wasserpflanzen beobachtet, doch zeigte sich bald, daß nicht diese, sondern anhaftende Bakterien die Ursache sind. Hier vollzieht sich ein Kreislauf in engem Raum: aus den vermodernden Pflanzenresten entsteht Methan, dieses wird von den Methanbakterien zu Wasser und Kohlensäure oxydiert, letztere wieder zu Pflanzensubstanz assimiliert, und so fort. Ge- nannter Spaltpilz wurde übrigens auch im Erd- boden gefunden. Noch merkwürdiger ist der neu entdeckte Wasserstoffbacillus, B. pantotrophus Kaserer genannt, weil er sowohl auf organischen wie an- organischen Nährböden, heterotroph oder auto- troph zu leben vermag. In letzterem Fall ver- langt er neben Sauerstoff, denn er ist streng aerob, und Kohlensäure vor allem Wasserstoff, der an- scheinend unter Bildung von Formaldehyd ver- arbeitet wird : 1 . CO. + 2 H., = H . COH + H.,0 2. H-COH + 0.J = CO2 + H.3Ö. Wenigstens ist bewiesen, daß er den stark giftigen Formaldehyd in der verhältnismäßig hohen Kon- zentration von 1:20000 verträgt, und daß bei- gefügter Formaldehyd langsam verschwindet. Ein dritter interessanter Spaltpilz des Erd- bodens ist der Bacillus oligocarbophilus Beijerinck, der ebenfalls Wasserstoff oxydiert, aber in Reinzucht schlechter als in Mischkultur — warum, ist noch fraglich. Er ist streng proto- troph, wächst nicht auf organischen Nährböden, und ist empfindlich gegen mäßige Konzentrationen von Kohlensäure, die ihm aber, wie auch Kohlen- oxyd, als Nahrung dient. Dank seiner Fähigkeit, Kohlenoxyd zu verwerten, gedeiht er besonders gut in der Laboratoriumsluft. Jene Vorgänge seines Stoffwechsels dürften den Formeln ent- sprechen : 1. CO„-l-H., =CO + H.,0 2. 2 CO + Ö., = 2 CO;,. Wir kommen zum Kreislauf des Stick- stoffes, der sich bezüglich der Bakterientätig- keit fast noch vielseitiger gestaltet, als der Kreis- lauf des Kohlenstoffes. Die Betrachtung jener Tätigkeit können wir beginnen rnit den Erschei- nungen der Fäulnis, d. i. der Überführung or- ganischer Stickstoffverbindungen in einfachere, bis zum Ammoniak herab. Die Umsetzungen sind mannigfacher und meist komphzierter Art; eine der einfachsten ist die Umwandlung des Harn- stoffes (der ja schon ein Produkt weitgehenden Abbaues ist) in kohlensaures Ammoniak, ein Vor- crano-, der unserer Definition des Gärungsbegriffes entspricht. Bei der Eiweißfäulnis kommt es nun auf folgendes an: Die elementare Zusammen- setzung der Bakterienkörper deckt sich ziemlich genau mit einer der bekannten empirischen Ei- weißformeln. Da aber stets ein M e h r v e r b r a u c h von Kohlenstoff für Atmung und noch mehr für Gärung stattfindet, so müssen, wenn Eiweiß das .\usgangsmaterial ist, Stickstoff, Schwefel und Phosphor enthaltende Gruppen a u s f a 1 1 e n , Körper von meist sehr üblem Geruch, der die Fäulnis charakterisiert. Gibt man zu fäulnisfähiger Sub- stanz leicht lösliche Kohlenhydrate im Überschuß, dann unterbleibt die Bildung jener Riechstoffe (wie Indol, Skatol usw.), die vorhandenen Eiweiß- körper werden zum Aufbau glatt verbraucht. Im Ackerboden besteht der größte Teil der gebotenen Kohlenhydrate aus schwer angreifbaren Cellulosen, solche können die Fäulnis nur wenig aufhalten. Sind Ammoniakverbindungen im Boden ent- halten, dann setzt die Nitrifikation, die Oxy- dation des Ammons zu Nitriten und dieser zu Nitraten ein. Die nur erst in wenigen .Arten be- kannten, schwierig in Reinzucht zu gewinnenden, streng aeroben ,,Nitrobakterien" sind durchaus autotroph, in Kulturen vertragen sie nur sehr geringe Spuren organischer Substanz, sind aber sicherlich im natürlichen Boden weit weniger empfindlich. Ihre einzige Kohlen- stoffquelle ist das Kohlendiox3-d, das jedoch nur zum Aufbau verwertet wird, ihre Atmung ist eben die Oxydation des Ammoniakstick- stoffes. Ob eine neuere Hypothese, nach wel- cher Kohlenoxyd intermediär auftritt, und die Umsetzung nach den beifolgenden Formeln ver- laufen würde, das richtige trifft, steht noch dahin : für die Nitritbildner: 1 . H • NH, . CO3 + O., = CO + HNO., + H..0 2. 2 CO 4- O., = 2 CÖ._, für die Nitratbildner: 1. CO., + HNO.3 = CO + HNO3 2. 2 CO -1-0.,= 2 CO.,. Die Frage nach dem Wert der Nitrifikation für den Pflanzenwuchs ist nicht eindeutig zu be- N. F. VI. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 48s antworten : zwar wird Nitrat als Dünu;cr besser ausgenutzt wie Amnionsulfat, was jedoch z. T. auf die I'lüchtigkeit der Ammonsalze zurückzu- führen ist. Andererseits aber werden gerade Nitrate besonders leicht aus dem Boden ausge- waschen, der sie so gut wie gar nicht zu absor- bieren vermag. Bei sehr durchlässigem Unter- grund ist der Verlust an NitratstickstolT bedeutend. Der Nitrifikation entgegengesetzt ist die Deni- trifikation, wobei wir eine eigentliche und eine uneigentliche unterscheiden müssen. Die un- eigentliche Denitrifikation besteht in der Auf- nahme des Salpeters tickst off es und in dessen Verarbeitung zu Bakteriensubstanz; zahlreiche Bodenbakterien vermögen mit einem Kohlen- hydrat und Salpeter als Stickstoffquelle auszu- kommen (andere bevorzugen Ammoniaksalze als solche). So verarbeiteter Stickstoff geht natürlich, als im Boden festgelegt, der nächsten Ernte verloren; doch haben neuere Versuche gelehrt, daß (nach gleichzeitiger Düngung mit Salpeter und Stroh) nicht immer ein Rückgang der Ernte erfolgt; stets aber kommt der festgelegte Stick- stoff der Ernte des nächstfolgenden Jahres zugute, nachdem er durch weitere Bakterientätigkeit aufgeschlossen und wieder nutzbar gemacht worden. Ein Vorgang ganz anderer Art ist die eigent- liche Denitrifikation, bei welcher der Sal- peter als Sau erst off quelle dient, während der Stickstoff als Element entweicht. Man hat große Befürchtungen an diese „Stickstoffverluste" ge- knüpft, die zwar in künstlichen Lösungen recht beträchtlich sind, die aber imAckerboden unter normalen Bedingungen kaum in Betracht kommen. Jedenfalls gehen dem Acker weit größere Stickstoffmengen durch das Versickern der Nitrate verloren. Diese versickern- den Nitrate dürften aber andererseits dazu den Anlaß geben, daß in Bodentiefen, in welche der atmosphärische Sauerstoff wenig Zugang findet, noch ein reicheres Bakterienleben und raschere Umsetzung der organischen Substanzen ermöglicht wird, eben durch die Ausnützung des Nitratsauer- stoffes. Den Stickstoffverlusten wirken nun wiederum entgegen die Stickstoff sammelnden, kurzweg die „Stickstoffbakterien"; sie verarbeiten den atmosphärischen Stickstoff zu ihrer Leibes- substanz — auf welchem Wege das geschieht, ist noch unbekannt; daß nascierender Wasserstoffsich mit dem freien Stickstoff zu Ammoniak verbinde und dieses weiter verarbeitet werde, ist z. Z. noch ganz Hypothese. Unter ihnen ist die eine Gruppe, die der sym- biotischen oder Knöllchenbakterien der Leguminosen, hinsichtlich ihrer segensreichen Tätigkeit längst über jeden Zweifel erhaben, ihre Stickstoffanreicherung ist sehr beträchtlich und von hohem Werte. Die Symbiose ist wohl ur- sprünglich, phylogenetisch, als eine Art Krankheit (analog den \'iclerlei Gallenbildungen) aufzufassen, aus welcher dann allmählich eine wichtige Quelle der Ernährung geworden ist. Mit Stickstoff gut ernährte Pflanzen sind immun gegen die In- fektion, die nur in .stickstoffarmem Boden zustande kommt. Auf gedüngtem VViesenboden aber gehen die Hülsenfrüchter an Arten- wie an Individuen- zahl zurück, im Wettkampf um den Bodenstick- stofif halten sie nicht Stand mit den Mitbewerbern. Diese Erscheinung ist für die Entwicklungslehre nicht ohne Interesse; es dürfte die Erwerbung der neuen, eigenartigen Stickstoffquelle vorangegangen, die Unzulänglichkeit im VVettbewerb um den Bodenstickstofif sich danach entwickelt haben; anderenfalles hätten die Leguminosen wohl aus- sterben müssen. Ein weiterer interessanter Bei- trag zur Deszendenzlehre liegt in der Verwandt- schaft der Knöllchenerreger. Systematische Gruppen, wie die Lupinen, die Kleearten, die Erbsen, die Bohnen usw. haben je ihre beson- deren Bakterien, die nicht ohne weiteres, oder doch nur schwach, Vertreter anderer Gruppen in- fizieren; jedoch ist es gelungen, nach zwei bis drei Vegetationsperioden die Bakterien u m z u - züchten, also aus Kleeknöllchen etwa Erbsen- bakterien zu erziehen. — Die SpezifitätderKnöllchen- erreger hat Anlaß gegeben, als „Ni trag in" einen Bakteriendünger einzuführen, der gegebenen Falles von Vorteil ist : ein Boden, der längere Zeit keine Leguminosen oder keine aus der bestimmten Gruppe (vgl. o.), getragen hat, wird inzwischen an den spezifischen Knöllchenerregern verarmt sein, so daß auch die ausgesäte Hülsenfrucht nicht zu voller Entwicklung gelangen kann ; bringt man die zugehörigen Bakterien gleichzeitig in das Erdreich, so ist dem Übelstande abgeholfen. Neben diesen symbiotischen kennen wir auch freilebende Stickstoffbakterien, doch sind wir über deren Wirksamkeit, wie sie sich unter natürlichen Verhältnissen im Boden abspielt, noch sehr wenig unterrichtet. Der eine dieser Stickstofisammler ist das Clostridium Pasteurianum Winogradsky, ein Buttersäurebakterium, das anaerob lebt, also den Sauerstoff flieht, dafür aber Luftstickstoff zu assimilieren vermag ; die Angabe, daß alle Butter- säuregärer die gleiche F"ähigkeit besitzen sollen, harrt in dieser Verallgemeinerung noch der Be- stätigung. Die Menge des gewonnenen Stick- stoffes ist übrigens gering, im besten Falle einige Milligramm auf jedes Gramm verbrauchten Kohlen- hydrates. Die genannte Art ist wohl als Sammel- spezies aufzufassen, die in eine Reihe nahe ver- wandter Unterarten zerfällt. Ein recht merkwürdiger Organismus ist der von Beijerinck entdeckte Azotobacter Chroo- c o c c u m. Morphologisch steht er gewissen Blau- algen (Chroococcaceen, besonders der Gattung Aphanocapsa) recht nahe; daß er aber am Licht ergrünen und so selbst zur Alge werden könne, gehört wohl ebenso in das Gebiet der reinen Phantasie, wie die Angabe, daß er die frei- lebende Zwischenform der Knöllchenbakterien sei. Auffallend ist seine Polymorphie: in den 486 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 31 braunen Decken, die er in Rohkultur auf Mannit- lösung- bildet, tritt er in sarcinaähnlichen Paketen, zuweilen auch in Form von Täfelchen auf, speziell die Sarcinaform darf als die charakteristische angesehen werden; in jüngeren Zuchten findet man ihn aber oft (nicht immer, die Ursachen des Auftretens oder Ausbleibens sind noch ungewiß) in Streptokokken form, in Perlenschnüren, die bis zu 16 Zellen zählen können, ehe sie durch weitere Teilungen zu Paketen werden; sein erstes Entwicklungsstadium aber ist durch ausgesprochene Stäbchen form und lebhaftes Schwärmen, mittels je einer polaren Geißel, ausgezeichnet. Azotobacter geht also durch alle Gattungen der Coccaceae hindurch und zeigt in der leb- haftesten Vermehrungstätigkeit die Merkmale der Bacteriaceen gattung Pseudomonas (Migula). Darum das bestehende System, wie verschiedent- lich aus ähnlichem Anlaß (z. T. allerdings aus direkten Beobachtungsfehlern) versucht worden ist, umzuwerfen und alle Bakteriengattungen in eine zusammenzuziehen, wäre indessen verkehrt; nur kann Azotobacter, weil in keines jener Genera passend, eine Gattung für sich beanspruchen; das Merkmal der Stickstoffsammlung allein würde zur Aufstellung einer neuen Gattung nicht berech- tigen. In Amerika sind indessen zwei andere Arten der Gattung beschrieben worden, deren eine, Azotobacter Vinelandii,. außer dem Schwärmstadium nur in Sarcinaform, die andere, Az. Beijerinckii, nur als Streptococcus vorzukommen scheint; Aus- sehen und physiologische Eigenschaften der Zellen stimmen mit Az. Chroococcum überein. Dieser, die am besten studierte Art, ist auch physiologisch sehr variabel. Daher rührt wohl die große Schwierigkeit ihn reinzuzüchten ; wohl nur aus einer Abschwächung durch die Kultur erklärt es sich, daß er oft in Dutzenden von Agarplatten auch nicht mit einer Kolonie aufgeht ; häufig wächst statt seiner ein bewegliches Stäbchen, das treffend als Bacillus molestus Thiele bezeichnet worden ist, und das in Misch- kultur mit jenem eigentümliche Involutionsformen hervorruft. Selbst in Rohkultur ihn zu züchten mißlingt oft, wenn man es mit Bodenproben ver- sucht, die im Sommer entnommen sind, während es im Winter sofort zu glücken pflegt. Obwohl er Austrocknung vortrefflich erträgt, und obwohl sein Temperaturoptimum bei ßo" liegt, scheint es, als ob er im Sommer trotz seiner ausschließlich aeroben Eigenschaften in die tieferen Boden- schichten flüchte — was des genaueren noch zu untersuchen ist. Auch in seiner auffälligsten Eigenschaft, den atmosphärischen Stickstoff zu binden, ist Azotobacter sehr veränderlich. Die gefundenen Stickstoffmengen schwanken zwischen 1% und weniger als 0,1 %, bezogen auf das Gewicht des verbrauchten Kohlenhydrates; einer neueren Notiz zufolge, die aber wohl der Nachprüfung bedarf, würde sich dies Verhältnis auf 9,5 "/„ stellen — hier kann nur eine sehr große Zahl von Analysen wirklich überzeugen. Außer der letzterwähnten Angabe sind indessen meist Versuche, in natürlichem Boden eine wesentliche Anreicherung nachzuweisen, negativ ausgefallen. Zweifellos findet eine solche auch nur in sehr stickstoffarmem Substrate statt; gebundenen Stickstoff hingegen verarbeitet Azoto- bacter, und verzichtet dann auf die Assimilation aus der Atmosphäre; am besten sagt ihm Nitrat, sodann Ammoniak, am wenigsten Pepton zu, doch wächst er selbst auf Gelatine, die Zucker enthält ; der günstigste künstliche Nährboden ist Agar mit Zucker (bzw. Mannit oder Glyzerin) und etwas Salpeter. Danach sind die Hoffnungen, die man für den Ackerbau auf unseren wissenschaftlich gewiß hochinteressanten Organismus gesetzt hat, gegen- wärtig stark zusammengeschmolzen. Die Meinung, daß die Brach wir t seh aft den Boden mit atmosphärischem Stickstoff anreichere, bedarf mindestens noch sehr des Beweises. Die nach Brache erzielten höheren Ernten lassen sich sehr wohl erklären durch die bei stärkerem Luftzutritt und infolge der zugeführten organischen Sub- stanz angeregtere Bakterientätigkeit und die Auf- schließung der schwer angreifbaren Bodenbestand- teile, insbesondere auch des Stickstoffkapitals. Brachwirtschaft und Kalkung des Bodens ohne Stickstoffzufuhr (durch Düngung oder durch An- bau von Hülsenfrüchtern) bewirken aber mit Sicherheit allmähliche Verarmung des Bodens, obwohl gerade das Vorkommen von Azotobacter nachweislich an Kalk gebunden, und die Durch- lüftung ihm sicher förderlich ist. Gegen Azoto- bacter spricht weiter der sehr große Verbrauch an Kohlenhydraten, von denen er obendrein selbst nur die leichter löslichen anzugreifen vermag, höchstens bis zu gewissen löslicheren Pektinen hinauf Da nun weiter die Verarbeitung von atmosphärischem Stickstoff nur bei Mangel an gebundenem zur Geltung kommt, mindestens nur in einem sehr stickstoffarmen Boden, so ist kaum anzunehmen, daß es ihm, selbst unter sonst günstigsten Bedingungen, gelingen sollte, dem Acker soviel Stickstoff zuzuführen, als zu einer durchschnittlichen Ernte nötig ist. In einem stick- stoffreichen Boden wird aber andererseits die Nitrifikation mit ihren unvermeidlichen Stickstoff- verlusten einsetzen : es scheint, als ob die Stick- stoffmehrer und die Stickstoffzehrer unter den Bakterien auf ein gewisses, je nach den Boden- verhältnissen wechselndes Gleichgewicht im Stickstoffgehalt hinarbeiteten, das künstlich nur vorübergehend verschoben werden kann ; ein Gleichgewicht, das aber wesentlich niedriger liegt, als den Bedürfnissen eines lohnenden Ackerbaues entspricht. Die Akten sind noch nicht geschlossen, aber zurzeit ist wenig Hoffnung dafür vorhanden, daß wir den freilebenden Stickstoffbakterien jemals eine ähnliche praktische Bedeutung würden bei- messen können wie den Knöllchenbakterien. N. F. VI. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 487 Kleinere Mitteilungen. y. Ku/. icka, Der morphologische Meta- bolismus des lebenden Protoplasmas. (Arch. f. Entwicklungsmechanik der Organismen, 1906, Bd. XXI, H. 2). — Genaue Beobachtungen der lebendigen Sub- stanz zeigen, daß einzelne morphologische Bil- dungen derselben (die Strukturelemente des Cyto- plasmas oder des Kerns; das Cytoplasma, der Kern als Ganzes genommen ; das Centrosonia, die Spindel, die Grundsubstanz der Gewebe und die Zellen derselben) sich in lebende Bildungen von anderem morphologischen Charakter umwan- deln können, welche wiederum die ursi>rünglichen Bildungen liefern können. Diese Fähigkeit des Protoplasmas zu zweckmäßigen morphologischen Umwandlungen bezeichnet R. als morphologi- schen Metabolismus. Das X'^ersch winden vorhandener morphologischer Gebilde wird von R. iMorpholyse — die Ausbildung neuer Bildungen Morphogenese genannt. Der Verfasser führt in den ersten 6 Abschnitten der vorliegenden Arbeit zahlreiche Beispiele des Auftauchens und Vergehens der geformten Ele- mente der lebendigen Substanz an. So ist z.B. seit langem bekannt, daß die Granula und Fäden des Cytoplasma untergehen und von neuem entstehen können. Sie werden aber von manchen Autoren (M. Schultze, KöUiker, Apathy) als StofFwechsel- produkte betrachtet, von anderen (Heitzmann) wird die strukturlose Substanz, in der sie unter- gehen, für tot gehalten. R. hat dagegen mit Hilfe seiner Färbemethode (äquimolekulare Mischung von Methylenblau und Neutralrot) nachgewiesen, daß man das lebende Protoplasma vom toten ganz bestimmt unterscheiden kann, da das lebende das Methylenblau, das tote aber das Neutralrot redu- ziert. Die genannten Gebilde (Granula und Fäden) haben sich in allen vom Verf. beobachteten Fällen als lebend erwiesen, sie tauchen in dem struktur- losen Paraplasma unter, aus dem sie sich heraus- differenzieren können. Diese Veränderlichkeit ist nicht nur an den allgemeinen, sondern auch an den speziellen Struk- turen zu verzeichnen. R. hat im Mitom eines Meerschweinchenleucocyten die Umwandlung der Radien in Granula beobachtet. Diese Tatsachen stimmen mit den Beobachtungen anderer I'orscher überein (Brandt, Ausbildung der Achsenstäbchen bei den Heliozoen; Verworn, Die Entwicklung der Pseudopodialäste bei den Foraminiferen). Dieselbe Veränderlichkeit der Strukturen ist an den Kernen zu beobachten. Korscheit hat zu- erst darauf hingewiesen, ohne es jedoch zu er- klären. Die Mitose selbst liefert wichtige Belege für die VVandelbarkeit der Kernstrukturen. Die Be- standteile des Kerns, die von Tellyesniczky be- obachteten Nuclcosomen, sowie der Nucle- olus selbst sind keine stabilen Gebilde. Das Centrosoma, welches bekanntlich für die Zell- teilung besonders wichtig ist, konnte man bisher in den Eizellen vieler Amphibien nicht nachweisen (Carnoy, Lebrun, Fick). Die letzten P"orschungen haben auch erwiesen , daß das Eicentrosoma an der Bildung der Furchungsspindel nicht teilnimmt, sondern spurlos verschwindet. Dagegen wurde das Auftauchen des Centrosoma aus dem Cyto- plasma durch Experimente festgestellt. J. Loeb gelang es, unbefruchtete Seeigeleier mittels Lösun- gen von Zucker, Harnstoff oder Magnesiumchlorid zur parthenogenetischen Entwicklung zu veranlassen. Nach den Beobachtungen verschiedener Forscher baut sich das Centrosoma aus verschiedenen Ele- menten der Zelle auf. R. Hertwig hat bei den Cysten des i^ctinosphaerium das Centrosoma sich aus der Kerngerüstsubstanz aufbauen gesehen ; nach Wassiljew dagegen bildet sich das Centrosoma aus der achromatischen Kernsubstanz; Wilson end- lich hat bei kernlosen Fragmenten von Echino- dermeneiern die Bildung des Centrosoma be- obachtet. Auch der Ursprung der Spindel ist bisher verschieden gedeutet worden. Nach den Beobach- tungen mancher Autoren (Heidenhain, Boveri) ent- steht dieselbe aus dem Centrosoma, nach den Beobachtungen anderer (Calkins, Wilson) durch radiale Aneinanderreihung der cytoplasmatischen Strukturkörner. Ebenso wird die nucleäre Spindel (die am häufigsten bei den Pflanzen vorkommt) von dem Caryoplasma oder vom Nucleolus (Stras- burger) abgeleitet. Das Verschwinden und Auf- tauchen des ganzen Kerns wurde seit den Beobachtungen Strickers (Froschleucocyten) von vielen Forschern bestätigt, von manchen aber als eine postmortale Erscheinung gedeutet. Der Verf. hat an einer aus einem Grasaufguß gezüchteten Amöbe das Verschwinden des Kerns während der Teilung, sowie die Neubildung desselben aus dem undifferenzierten Protoplasma beobachtet. Die Beziehungen der Zellen zu den Intercellu- larsubstanzen versucht der Verf. an dem Sehnen- gewebe als dem geeignetsten Objekte zu erklären. Die Hüllen und die Ausläufer der Sehnenzellen bestehen aus elastischen Fibrillen und, da mit dem zunehmenden Alter eine Verflachung der Zellen und Verminderung ihrer Ausläufer, gleichzeitig aber eine Vermehrung der intercellulären Substanz beobachtet wurde (die aus ebensolchen elastischen Fibrillen besteht), so liegt der Schluß nahe, daß eine direkteTJmwandlung der Zellen in die Grund- substanz stattgefunden hat. Derselbe Prozeß aber in entgegengesetzter Richtung findet bei der Sehnenentzündung statt — sein Resultat ist das Schwinden der Grundsubstanz, deren Fibrillen- bündel sich in angeschwollene Zellenausläufer und später in einzelne Eiterzellen verwandeln (Spina). Analoge Erscheinungen sind an anderen Geweben beobachtet worden und beweisen, daß einerseits Zellen sich in die Grundsubstanz verwandeln können, andererseits durch Umwandlung derselben entstehen können. Aus den eben angeführten Tatsachen geht da- 488 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 31 her ganz deutlich hervor, daß „jedwede Proto- plasmadifferenzierung der Umwandlung in das undifferenzierte Protoplasma und dieses letztere selbst wieder einer Umwandlung in jedwede an- dere Protoplasmadifferenzierung fähig ist." Zur näheren Charakteristik des morphologischen Meta- bolismus wendet der Verf. den von Driesch ge- schaffenen Begriff der prospektiven Potenz an und weist nach, daß, — da, wie oben gezeigt wurde, die morpholytische und morphogene pro- spektive Potenz aller Teile des lebenden Proto- plasmas gleich sind — „das Protoplasma ein har- monisch-äquipotentielles System bildet". Der morphologische Metabolismus weist alle Charaktere eines elementaren Gescliehens auf: zuerst dadurch, daß er an den elementaren Struktur- teilen des Cytoplasmas und Karyoplasmas sich abspielt, daß er nicht nur bei Vorgängen, die mit der Entwicklung zusammenhängen, sondern auch bei solchen, die im Substrate der Entwick- lung oder im Protoplasma, dessen Entwicklung vollendet ist, stattfindet und, was am wichtigsten ist, daß jede Metamorphose des Protoplasmas eine chemische Umwandlung begleitet. Die chemische Umwandlung des Protoplasmas weist der Verf. mittels der vitalen Färbung nach, (die, wie er be- wiesen hat, chemischer Natur ist), welche bei der Morphogenese der cytoplasmatischen Strukturen erscheint, bei der Morpholyse dagegen verschwin- det. Die Unzertrennlichkeit der chemischen und morphologischen Charaktere der protoplasmatischen Differenzierungen geht aus den vom Verf. am Milzbrandbakterium gemachten Beobachtungen und Versuchen hervor. Wie bekannt besitzen die reifen Sporen des Milzbrandbakterium keinen Kern, in der keimen- den Spore wird aber stets ein Kern nachgewiesen. Durch Anwendung entsprechender Agentien (chro- matinolytischer Substanzen) hat R. zuerst den Nachweis erbracht, daß das Bakterium aus Kern- substanz besteht, die Spore desselben nur Linin enthält. Die Doppelfärbung mit Fuchsin und Indophenolblau bestätigte diese Versuche, die Netzstrukturen der Bakterienkörper und die Ecto- granula färbten sich rot, die Entogranula und die Sporen blau. Da die Sporen unmittelbar aus den vegetativen Stäbchen entstehen, so liegt der Ge- danke nahe, daß eine Umwandlung der Chromatin- substanz in das chemisch und morphologisch von ihm verschiedene Linin stattgefunden hat. Bei der Keimung der Lininspore muß das Chromatin durch ein über die Grenze des Auflösungsver- mögens des Mikroskopes stattfindendes Wachstum entstehen, da man es in Form eines mit Fuchsin färbbaren Körnchens aus der achromatischen Sub- stanz auftauchen sieht. Aus den zitierten Ver- suchen ergibt sich der Schluß, daß die letzte Ur- sache des morphologischen Metabolismus chemische Vorgänge sind. Aus den Erscheinungen des morphologischen Metabolismus an den cyto- und caryoplasmatischen Strukturen folgt, daß die homogene mikroskopische strukturlose Grundsubstanz (welche der in den Maschen der Schaumstruktur von fixierten Präpa- raten enthaltenen Substanz entspricht), die von manchen Autoren (Heitzman) als tot bezeichnet wurde — lebendig ist. Das lebende Protoplasma ist daher ursprünglich strukturlos und bildet im physikalisch-chemischen Sinne ein einphasiges System. Obwohl der morphologische Metabolismus von äußeren Reizen unabhängig ist, so ist doch die Lokalisation (Driesch) dieses Geschehens nicht konstant. Nach der Morpholyse können neue Kerne an beliebiger Stelle, Form und Anzahl ent- stehen. Die Ursache dieser Umwandlungen sind stets chemische Vorgänge, sie können daher nie- mals als vitalistisches Geschehen betrachtet werden. Karoline Reis. Die Buschmänner der Kalahari schildert Prof. Dr. S. Passarge in einer jüngst erschiene- nen Schrift '), in welcher er über persönliche Be- obachtungen und Erkundigungen im Zusammen- hang mit der bisherigen Literatur berichtet. Die Buschmänner waren einst in Südafrika die herr- schende Rasse. Doch wurden sie von überlegenen Nachbarn allenthalben zurückgedrängt und in weiten Gebieten vollständig vernichtet. Im Kap- land gibt es nur mehr vereinzelte Relikte; in Großnamaland existieren mehrere Stämme, die stark mit Hottentotten gemischt sind. Am zahl- reichsten erhielten sie sich in der Kalahari, nament- lich in der MittelKalahari in dem Striche zwischen dem Damarabergland und dem Okawangosumpf- land, sowie im Gebiete zwischen dem 'Oasplateau und dem Makarikaribecken. In der Nord-Kalahari werden Buschmänner bloß in geringer Zahl und in unterdrückter Stellung angetroffen. In der Süd- Kalahari wohnen einige Stämme dem West- rande entlang, im Rietfonteiner Gebiet und im Bakalaharifeld. Die Zahl der heute noch lebenden Buschmänner ist schwer festzustellen; eine Schät- zung P.'s ergibt, daß sie 5000 — lOOOO betragen kann. Die Rasse schmilzt beständig zusammen, woran die Kämpfe mit Hottentotten, Negern und Europäern, noch mehr aber die infolge der Ab- nahme des Wildreichtums sich stets ungünstiger gestaltenden Ernährungsverhältnisse die Schuld tragen. Der Kampf ums Dasein, den die Busch- männer heute zu führen haben, ist ein furchtbar harter und die Sterblichkeit groß; von den Kin- dern vermögen nur die kräftigsten zu überleben und man darf als sicher annehmen, daß die phy- sische Konstitution vieler dieser Überlebenden durch die in der Kindheit ausgestandenen Leiden und Entbehrungen eine dauernde Schädigung er- fährt. Neugeborne werden nur dann aufgezogen, wenn die Mutter genügend Nahrung hat und das ') Die Buschmänner der Kalahari. Berlin 1907. Dietrich Reimer (Ernst Vohsen). VII u. 144 S. Mit 2 Tafeln, 14 Ab- bildungen und I Karte. N. F. VI. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 489 letzte Kind bereits so weit entwickelt ist, um selbst an der Nahrungssuche teilnehmen zu können. Im anderen Falle wird das Neugeborne lebendig begraben. Diese Vernichtung des Lebens trägt, wenn sie in beträchtlichem Umfang geübt wird, unfraglich viel zur Beschleunigung des Unter- ganges der Rasse bei. Die Körpergröße der Buschmänner schwankt zwischen 140 und 165 cm. Große Menschen hat P. unter ihnen nie beobachtet; ganz kleine Leute (150 cm oder darunter) sind aber keineswegs die Regel. Bei den Frauen dürfte eine Körperlänge von 150 cm dem Mittel entsprechen. An der Gestalt fallen auch die kindlichen Formen, die dünnen Gliedmaßen auf. Kräftige, muskulöse Gestalt kommt vor; die betreffenden Individuen lassen meist Anzeichen von Vermischung mit Negern erkennen. Zu erwähnen ist die häufige Auftreibung des Unterleibes, die besonders bei schlechtgenährten Individuen und im Kindesalter zu beobachten ist , bei guter Ernährung jedoch wieder zurückgeht. — Der Schädel ist mäßig lang und platt, die Stirn breit und niedrig, die Augen gerade stehend , die Jochbogen breit und vorspringend. Der Nasenrücken ist flach und die Nasenwurzel tiefliegend. Das Gesicht erscheint dadurch flach. Der Unterkiefer ist an der Basis breit, das Kinn nichtsdestoweniger spitz. Die Lippen sind weniger fleischig als beim Neger. Trotz der oft schnauzenförmig vorgeschobenen Lippen — sagt P. — machen die Gesichter nicht den Eindruck von starkem Prognathismus, wo- gegen z. B. Fritsch die Buschmannschädel stark prognath fand. Infolge der Vermischung mit den umwohnenden Rassen ergeben sich bei den ein- zelnen Individuen bedeutende Abweichungen der Gesichtsform. Die Hände sind klein , die Füße klein, breit und stets invertiert. Bei den Frauen gleicht die Form der Brustwarze jener der Euro- päerinnen. Steatopygie ist bei ihnen nicht so sehr ausgeprägt als bei den Hottentottinnen ; sie fällt aber umso mehr auf, als der Körper sonst nicht zu Fettbildung neigt. — Die Haut hat ein gegerbtes, lederähnliches Aussehen. Charakteristisch ist ihr Faltenreichtum und ihre Trockenheit; „sie ist soweit ausdehnbar, daß sie sich in Runzeln legt. Auf dem Bauch des hungrigen Buschmanns finden sich tiefe Furchen, aber diese verstreichen nach einer guten Mahlzeit." Die Farbe der Haut ist gelbbraun, dunkler als bei den Hottentotten und heller als bei den Bantu-Negern. Die Grup- pierung und Knötchenbildung des tiefschwarzen Kopfhaares ist stärker als beim Neger. Schwach entwickelte Schnurbärte sind nicht selten. Körper- behaarung fehlt fast gänzlich. Der Sprache nach werden in der Mittel-Kala- hari zwei Buschmannvölker unterschieden : die Kaukau-Buschmänner im Westen und die Ngami- Buschmänner im Osten. Beide Völker zerfallen wieder in eine Anzahl Stämme, die zwar ab- weichende Dialekte reden, sich aber untereinander gut verständigen können. Die Einheit der sozialen und wirtschaftlichen Organisation bildet eine exo- game Gruppe, die 'Ai. Jeder 'Ai ist ein kleines Revier im Stammesgebiete zugeteilt; über die gegenseitigen Eigentumsrechte sind ganz bestimmte Gesetze vorhanden. — Es besteht Polygamie, und zwar heiratet der Mann sehr häufig die Schwestern und Cousinen seiner ersten Frau ; drei bis vier Frauen sollen keine Seltenheit sein. Solche \ auf Erkundigung bei den Eingebornen beruhende Angaben muß man vorsichtig aufnehmen ; denn Polygamie in großem Umfange würde einen er- heblichen Frauenüberschuß voraussetzen, was spe- ziell bei Völkern, die Säuglinge absichtlich töten, nicht wahrscheinlich ist, denn sie sind eher ge- neigt, Knaben am Leben zu lassen als Mädchen. Der Kulturbesitz der Buschmänner an Kleidung, Schmuck und Geräten ist außerordentlich dürftig. Die Kleidung der Männer wie der Frauen besteht aus einem Schamtuch und einem Ledermantel; der Kopf ist meist unbedeckt, Sandalen werden nur ausnahmsweise benutzt. Von Schmuckgegen- ständen sind Ketten aus Glasperlen, Moletsaketten (aus Straußeneierschalen mühevoll gefertigt), Ringe aus Fellstreifen oder geflochtenem Gras etc. die beliebtesten. Amulette werden häufig getragen. Die Ausrüstung des Buschmannes besteht ge- wöhnlich aus einer Ledertasche, die alle möglichen Kleinigkeiten enthält, einer Köchertasche, Bogen, Pfeilen, Speer, Spatenstock, den beiden Feuer- hölzern, eventuell Steinen zum Schleifen von Eisen- spitzen oder zum Glätten von Knochenstücken, Pfeilgift und einem eisernen Beil, das sowohl als Waffe wie als Gerät dient. Die Ausrüstung der Frauen ist noch einfacher. Zum Schutz gegen schlechtes Wetter werden Windschirme hergestellt; vollkommene Hütten sind unbekannt. — Ihren Lebensunterhalt bestreiten die Buschmänner vor- nehmlich durch Sammeln von Knollengewächsen und Früchten, sowie durch den Fang kleiner Tiere; die Jagd ist gegenwärtig nur noch nebensächlich, obzwar sie früher die wichtigste Unterhaltsquelle bildete. Schlimme Zeiten brechen an, wenn der Regen später als gewöhnlich eintritt. Man be- greift dann überhaupt kaum, wovon die Busch- männer leben, wie sie ihr Dasein fristen. In sol- chem Jahr gehen zahlreiche Leute zugrunde. Wenn jene Beschäftigungen zusammengefaßt werden, in welchen der Buschmann wirklich Be- achtenswertes leistet , so resultiert , daß sie sich alle auf die Jagd beziehen. Die für den Jäger notwendigen Eigenschaften sind in hervorragen- dem Maße entwickelt. Bezüglich des Charakters der Buschmänner wird bemerkt, daß sie der Europäer als freund- liche, gefällige und harmlose Menschen kennen lernt. Unter ihren schlechten Eigenschaften sind Unbeständigkeit, Mangel an Selbstbeherrschung und Gleichgültigkeit zu nennen; manchmal zeigen sie sich auch grausam, nicht nur ihren P'einden, sondern den Angehörigen des eigenen Stammes oder der eigenen Familie gegenüber. Fehlinger. 490 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 31 „Über die Aurnahme der Spermatophoren bei Salamandra maculosa Laur." gibt W. Doc- ters van Leeuwen in Nr. 21/22 des zoologischen Anzeigers eine interessante Schilderung. Die be- obachteten Tiere lebten in einem geräumigen Terrarium, worin üppig wachsendes Moos und vermooste Holzstücke sich befanden, die den Tieren als Schlupfwinkel dienten. Während des Tages waren die Salamander sehr langsam und träge, um erst gegen Abend und zur Begattungs- zeit lebhaft zu werden. In dem Terrarium war ferner ein größeres Wasserbecken. Einige Steine, die aus dem Wasser hervorragten, wurden von den Salamandern dazu benutzt, ihre Larven im Wasser abzusetzen. Wie bekannt ist, geht Salamandra maculosa, ausgenommen während der Laichzeit, nur selten ins Wasser. Van Leeuwen ist es gelungen, fest- zustellen, daß sie auch während der Kopulations- zeit nicht ins Wasser kommen. Waren sie jedoch durch einen Zufall während ihrer Liebesspiele in dasselbe gefallen, so kletterten sie wieder schnell auf die Steine und von hier aus auf das trockene Land. Bei Tritonen weiß man schon seit Spallan- zani, daß keine eigentliche Kopulation stattfindet, und durch Zell er wurde der genauere Vorgang bei der Aufnahme der vom Männchen abgesetzten Spermatophoren beschrieben. Jedermann kann die Beobachtung machen, wie das Männchen sich langsam an das Weibchen heranschleicht und es mit seiner Schnauze an verschiedenen Stellen des Körpers, am Schwanz, an der Kloakengegend, be- tastet. Dann öffnet es seine Kloakenspalte und macht mit nach vorn umgelegten Schwanz rasche, wedelnde Bewegungen. Dieses Spiel wird von dem Männchen oft stundenlang betrieben. Das Weibchen schenkt diesem Treiben anfangs gar keine Aufmerksamkeit. Später jedoch schreitet es mit großen Schritten auf das Männchen zu, indem es seine Schnauze immer dicht an den nach der Seite gebogenen Schwanz des Männchens an- drückt. Dieses dreht seinen Schwanz nun so, daß er flach zu liegen kommt und die so weit wie möglich aufgesperrte Kloakenöffnung frei wird. Nun stößt daß Weibchen mit seiner Schnauze gegen diese, und in demselben Augenblick preßt das bis aufs Höchste erregte Männchen seinen Spermatophoren heraus. Sofort geht das Männ- chen weiter, und das Weibchen stellt sich so auf, daß es mit den geöffneten Lippen der Kloaken- mündung die Samenmasse aus der glockenförmigen Gallerthülle, in welcher diese nur locker einge- senkt ist, herausheben kann. Die Samenmasse hat bei Triton alpestris z. B. das Aussehen von Fig. I a, während die zurückbleibende Gallerthülle die hübsche Form von i b hat. Die aufgenommene Samenmenge dient zur Befruchtung von etwa 100 Eiern, welche inner- halb 8 — 14 Tagen abgelegt werden. Danach er- folgt erneute Samenaufnahme von selten des Weibchens. W. Docters van Leeuwen hat den ent- sprechenden Vorgang auch bei dem Landsala- mander studiert und berichtet folgendes. In der Dämmerung kamen die Tiere aus ihren Schlupf- winkeln, um ihr Futter aufzusuchen und ihre Liebesspiele auszuführen. Er hatte 3 Paare Sala- mander und hat diese jeden Abend im Spätsommer, als er im Laboratorium arbeitete, kopulierend ge- D Fig. I. a Die stiftförrnige Samenmasse von Triton alpestris in nat. Größe, b Die glockenförmitrc Gallerthülle, ca. S mal vergrößert. (Nach Zcller.) sehen. Die Salamander bewegten sich ruhig im Terrarium nebeneinander. Dann lief das Männ- chen plötzlich schnell hinter das Weibchen und ver- suchte mit seinem Kopfe unter den Bauch des Weibchens zu gelangen. Sobald ihm dies ge- lungen war, kroch es unter dem Weibchen ganz nach vorn, so daß sich die Köpfe der Tiere be- rührten. Mit großer Schnelligkeit und Geschick- lichkeit schlug das Männchen seine Arme um die des Weibchens. In dieser Stellung schleppten sich die Tiere eine Strecke über das Moos hin. Dann kamen sie zur Ruhe, und das Männchen strich mit seiner Nase die Unterseite des Kopfes des Weibchens. Während dessen führte es mit dem Hinterleibe schlangenartige Bewegungen aus. Dar- auf ging ein heftiges Beben durch seinen ganzen Körper, und es setzte einen hellen Tropfen, einen Spermatophoren, auf dem Moose ab. Dieser hat das Aussehen einer dreiseitigen Pj-ramide von 8 — 10 mm Höhe und 4 — 6 mm Breite. Er ist von einer gallertigen Substanz gebildet, welche im Wasser anschwillt. Nach Ablage des Sperma- tophoren änderte das Männchen schnell seine Haltung. Er schlug den Leib um etwa 90" zur Seite, aber die Arme der beiden Tiere blieben fest miteinander verbunden. Ebenso berührten sich die Köpfe noch. Durch diese Entfernung des Hinterleibes des Männchens kam das Weibchen mit der Kloaken- mündung gerade auf den Spermatophoren, den es nun in sich aufnahm. Danach entfernte sich das Männchen, während das Weibchen noch eine Zeit lang ruhig und gerade ausgestreckt auf dem Moose sitzen blieb. N. F. VI. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 491 Man könnte nun den Einwand maclicn, daß die Tiere im Terrarium nicht normal leben, und daß sie im F'reien ihre Spermatophoren im Wasser absetzen, wie solche auch schon von Z e 1 1 e r dort gefunden sind. Dagegen sprechen jedoch die ratio- nellen Bewegungen des Männchens, die eine sichere Aufnahme des Spermatophoren garantieren. Außerdem hat van Leeuwen beobachtet, daß, wenn die beiden Tiere zusammen ins Wasser fielen, sie sofort wieder ans Land gingen, um hier erst den Spermatophoren abzusetzen. H. van der Vaart ist es gelungen, die in der Gefangenschaft abgesetzten Jungen zu er- wachsenen Tieren zu züchten. Von diesen hat er wieder Larven erhalten. Es muß also eine Ko- pulation stattgefunden haben. Da er nun die Tiere im feuchten Moose, ohne Wasserbecken, hielt, so ist bewiesen, daß die Salamander die Spermatophoren vom trocknen Boden aufnehmen. Die Befunde van derVaart's und die Beob- achtungen van Leeuwens stimmen also sehr gut überein. Dr. Wilke-Jena. Über Reproduktions- und Regenerations- vorgänge bei Pilzen berichtet P. Köhler (in der „Flora" 1907, Heft 2). — Die beiden genannten Ersatztätigkeiten sind schon vielfach Gegenstand wissenschaftlicher Forschung gewesen. Trotzdem ist das, was wir von ihnen bei den Pilzen wissen, recht wenig. Einige Resultate zeitigten die Unter- suchungen von Klebs, Brefeld, de Bary, Goebel, Hennings und Magnus. Es ist deshalb mit Freu- den zu begrüßen, daß der Verfasser die Repro- duktions- und Regenerationsfähigkeit der Pilze einer systematischen Bearbeitung unterzog. Mögen die gefundenen Resultate Veranlassung zu weiteren Untersuchungen auf diesem wenig durchforschten Arbeitsfelde geben. Von den niederen Pilzen waren Gegenstand der Untersuchung folgende: Mucor stolonifer, Ph\comyces nitens, Penicillium glaucum, Asper- gillus niger. Von den höheren Pilzen wurden Coprinus ephemerus, Agaricus campestris, Xylaria arbuscula und hypoxylon, Daedalea unicolor, Polyporus ver- sicolor, Polyporus caudicinus, Polyporus Braunii und das Sklerotium von Claviceps purpurea unter- sucht. Zur Methodik der Untersuchungen sei folgendes angeführt. Um den schädigenden Einfluß von Mikroorganismen zu hindern, mußten alle Ope- rationen möglichst steril ausgeführt werden ; es wurden nur sterilisierte Messer, Nadeln, Scheren, Schalen, Glocken usw. verwandt. Die Untersuchungen an Mucor stolonifer er- streckten sich zunächst auf das vegetative Myzel. Wird eine Hyphe gedrückt oder zerquetscht, so färbt sich das Protoplasma an der verwundeten Stelle dunkler und stirbt bald ab. Entsteht aber bei der Verwundung eine Öffnung, so fließt das Proto- plasma durch diese aus. In einiger Entfernung von der Wundstelle bildet sich nun in kurzer Zeit eine Abschlußniembran. Die Bildung einer solchen tritt auf beiden Seiten der Wunde ein, so daß dadurch eine vollständige Isolation der verletzten Stelle erreicht wird. Eine solche Membran ent- steht auch, wenn Hyphenstücke auf zwei Seiten verletzt sind. Die Abschlußmembran ist, soweit die Beobachtungen schließen lassen, nicht zu weiterem Wachstum fähig. Die durch sie be- grenzten Hyphenstücke wachsen weiter und bilden schließlich Fruktifikationsorgane. Die abgetrennten Hyphen können also einen ganzen Organismus reproduzieren. Auch bei den verletzten Lufthyphen bildet sich eine Abschlußmembran. In weiterer Entfernung von dieser läßt die Hyphe starke Seitenzweige hervorgehen. Das Sporangium war nur dann zur Repro- duktion geneigt, wenn es vom Sporangiumträger durch eine Kolumella getrennt war und die Diffe- renzierung des Protoplasmas zu Sporen noch nicht erfolgt war. Sporangiumträger , Stolonen und Rhizoiden erwiesen sich nicht reaktionsfähig. Von Phycomyces nitens wurden Lufthyphen, Sporan- giumträger und Sporangium untersucht. An den verletzten Stellen der Lufthyphen bildet sich eben- falls eine Abschlußmembran, wie bei Mucor, doch mit dem Unterschiede, daß aus ihr zahlreiche Prolifikationen hervorgehen. An den Stellen der Lufthyphen, die infolge leichten Druckes defor- miert waren, bildeten sich zahlreiche Seitenzweige. Die eben angeführten Reaktionen wurden am Sporangiumträger beobachtet. Nach der verletzten Seite hin bildete er eine proliferierende Vernar- bungsmembran und unter Umständen auch Seiten- zweige. Die Sporangien reagierten in keiner Weise, sondern starben ab. Ein weiteres Untersuchungsobjekt war Peni- cillium glaucum. Die Regenerationsfähigkeit ist bei diesem Pilze jeder Zelle eigen; ganz gleich ob sie dem Myzel, den Lufthyphen oder dem Konidienträger entnommen war. Dasselbe Re- sultat zeitigten die Untersuchungen an Aspergillus niger. Von den höheren Pilzen diente Coprinus ephe- merus zur Untersuchung. Halbierte Fruchtkörper zeigten nach etlichen^ Tagen Wucherungen von selten der Hyphen. Sie waren von einem lockeren Hyphengeflecht gebildet. Allmählich verdichteten sich die Wucherungen und ließen Hut und Stiel erkennen, reife Sporen erzeugten sie jedoch niemals. Dieselben Erscheinungen zeigten sich auch, wenn der Pilz in mehrere Teile zerlegt wurde. An allen Teilstücken entstanden i — 2 neue Frucht- körper. Zur Reproduktion sind alle Zellen des Fruchtkörpers fähig, jede kann Ausgangspunkt eines neuen Organismus sein. Wurde aber der Hut vom Stiel getrennt, und blieb dieser auf seinem Nährsubstrat stehen, so war der Stiel nicht im- stande, den Hut zu regenerieren. Dieses Resultat dürfte dadurch bedingt sein, daß „eine korrelative Hemmung von der reproduktiven Ersatztätigkeit ausgeht" (Pfeffer, Pflanzenphysiol. Bd. 2, p. 208). 492 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 31 Weiterhin wurde Agaricus campestris untersucht. An Fruchtkörpern von 1,5 — 3,5 cm Größe wurde der Hut vom Stiel getrennt. Nach 3 — 4 Tagen entstand auf der Schnittfläche des Stieles eine Sprossung der den Stiel aufbauenden Hyphen. Das stärkste Wachstum zeigten diese im Zentrum der Schnittfläche. Die Bildung eines Frucht- körpers aus der Sprossung unterblieb. An einem Zwilling bildete sich aber außer dem Hyphen- schopfe noch ein stark deformierter Fruchtkörper. Die Hyphensprossung ist jedenfalls so zu deuten, ,,daß am isolierten Stiele von Agaricus campestris innere Einflüsse vorliegen, die auf Bildung eines neuen Fruchtkörpers hinzielen." Teilstücke des Fruchtkörpers zur Bildung von Myzel zu bringen gelang nicht. Von tropischen Pilzen untersuchte Verfasser Xylaria arbuscula und X. hj'poxylon. Xyl. arbus- cula lieferte ein Beispiel für echte Regeneration. Die durch einen Schnitt freigelegten Hyphen re- generierten den Fruchtkörper in 3 — 4 Tagen so vollkommen, daß auf Längsschnitten der Ort der Verwundung nicht wiedergefunden werden konnte. Teilstücke von Fruchtkörpern, die noch nicht fruktifiziert hatten, reproduzierten auf den Schnitt- flächen 1,0 — 1,5 mm lange Hyphenschöpfe, die Konidien bildeten. An dieser Sprossung waren nur die weißen Markhyphen, nicht aber die gelben Rindenzellen beteiligt, da letztere abgestorben sind. Sonst zeigten alle lebenden Zellen Reproduktions- fähigkeit. Die Reproduktion von Fruchtkörpern wird auch an älteren Objekten ausgeführt, die schon beide Fruktifikationsformen, nämlich Koni- dien- und Askussporenbildung, durchlaufen hatten. Die Sprossungen erwiesen sich auch hier als An- lagen zu neuen Fruchtkörpern, die nach 3 Tagen ihre volle Ausbildung erreicht hatten. Die Ver- suche mit Xylaria hypoxylon ergaben, daß eine Reproduktion nur von den jüngeren Zellen in der Nähe des Scheitels ausgeführt werden kann. Von Polyporus versicolor wurden Teile des Thallus- randes durch Schnitte entfernt. Von der Schnitt- fläche aus wurden nach kurzer Zeit neue P"rucht- körper reproduziert, an deren Bildung nur die Markhyphen beteiligt waren. Der auf seiner natür- lichen Unterlage (Kirschbaum) belassene Thallus von Daedalca unicolor reagierte gar nicht ; auf Teilstücken zeigten sich nur einzelne Wucherungen, die von den Markhyphen ausgingen. Bei Polyporus caudicinus zeigte sich nach der Verletzung eben- falls eine Neubildung, die als neuer Fruchtkörper aufzufassen ist. Fs erwiesen sich alle Zellen wachstumsfähig. Blieb jedoch der Pilz auf seinem Nährsubstrat, so kam nur ein Teil der Zellen an der Wandfläche zum Auswachsen. Es spielen auch hier jedenfalls korrelative Einflüsse eine Rolle. Es wird also nicht immer eine Regeneration aus- geführt, wo die Fähigkeit dazu vorhanden ist. Polyporus Braunii reproduzierte auf der Wunde eine neue Oberfläche, die ihren Ursprung Hyphen- sprossungen verdankte. Bei allen Polyporus-Arten zeigte sich die Fähigkeit zur Reproduktion und Regeneration nur dann, wenn die Pilze während des Versuches auf ihrem natürlichen Substrat verblieben. Schließlich wurde das Sklerotium des Mutterkorns (Claviceps purpurea) untersucht. Die Versuche mit diesem Objekt reihen sich an die von de Bary ge- machten. Letzterer beobachtete schon, daß an der Wundfläche Markhyphen hervorwachsen, die „über die Wundfläche Zweige treiben, welche sich zu einer dünnen Filzdecke verflechten". Das Wesen dieser angegebenen Reaktion näher zu er- forschen, bezweckten des Verfassers Versuche. Es wurde mit Teilstücken experimentiert, die vor jeder Infektion durch Schimmelpilze sorgsam ge- schützt waren. Nach 3 Wochen zeigte sich, daß die Wundfläche dicht mit länglichen Hyphen be- setzt war, die eine dünne Membran hatten und sich dadurch und durch ihre Form wesentlich von den normalen Hyphen, die dickwandig und poly- gonal sind, unterschieden. Die neugebildeten Hyphen gingen aus unverletzten Zellen hervor. An abgebrochenen Fruchtstielen, die im I<"rühjahr aus dem Sklerotium hervorgehen, entwickelten sich „seitlich halbkuglige Köpfchen". So zeigte sich auch dieser Teil embryonal. Alfred Bogen. Anodenstrahlen. — Wir stehen offenbar im Zeitalter der neuen Strahlen. Kaum, daß man seinerzeit die Kathoden- und Röntgenstrahlen ge- funden hatte, wurde die Welt auch durch die merkwürdigen Strahlen des Radiums und der radioakti\en Körper überhaupt überrascht. Kurze Zeit darauf tauchten die Kanalstrahlen auf. Es kamen die N-Strahlen, welche die merkwürdige Eigenschaft hatten, daß sie nur in Nancy beob- achtet werden konnten, und über deren Existenz die Physiker sich viel gestritten haben. Kein Wunder, wenn man da der Entdeckung „neuer" Strahlen etwas skeptisch gegenüberzutreten ge- wöhnt wurde, insbesondere wenn es sich um Strahlen handelte, deren Existenzmöglichkeit ganz von unseren gegenwärtigen, physikalischen An- schauungen losgelöst erschien. Dies ist nun mit den erst kürzlich von G e h r k e und Reichenheim entdeckten Anodenstrahlen nicht der F"all. Schon lange war man auf der Suche nach Strahlen, welche etwa in derselben Weise von der Anode der Vakuumröhre ausgingen, wie die Kathodenstrahlen von der Kathode. Nun scheint in der Tat der Nachweis solcher Strahlen gelungen zu sein. G e h r k e und Reichenheim beobachteten die Erscheinung zunächst in einer evakuierten Glasröhre, in welche ein Platinblech als Kathode, ein Platindraht als Anode eingeführt waren. Während dann von der Kathode, die aus ander- weitigen Gründen durch einen besonderen elek- trischen Strom zum Glühen erhitzt wurde, Katho- denstrahlen ausgingen, zeigte sich am Platindraht, der mit dem positiven Pol der Elektrisiermaschine verbunden war, eine fackelartige Lichterscheinung. N. F. VI. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 493 Die Intensität derselben nahm aber bald ab, was auf die Vermutung führte, da(3 die Ursache der Krscheinung eine geringfügige V^erunreinigung auf dem Draht, die dann wcgdestillierte, war. Ähnliche Beobachtungen wie die beschriebene, sind nun bereits von verschiedenen Physikern ge- macht worden, doch ohne daß man näheres über das Wesen dieser Erscheinung erfahren hätte. Erst die neuen Versuche von G e h r k e und R 0 i c h e n - heim scheinen nun zu zeigen, daß es sich hier um neue Strahlen handelt, denen die Autoren den Namen Anodcnstrahlen gegeben haben. Die Vermutung, daß die Ursache derselben etwa eine Spur eines Salzes auf dem Platindraht sei, bestätigten die genannten Physiker zunächst durch folgenden Versuch. Ein Hohlz)-linderchen aus Platinblech wurde mit Kochsalz oder einem anderen Salz aufgefüllt, und diente dieses als eine Elektrode in der Vakuumröhre. Die andere Elek- trode, an welcher der Strom austrat, bestand wie früher aus einem glühenden Platinblech. Wurde nun auch das Hohlzylinderchen mit dem Salz künstlich erhitzt und mit dem positiven Pol der Batterie verbunden, dann ging von ihm eine gelbe Lichlfackel aus, während gleichzeitig von der an- deren Elektrode, wie sonst, die Kathodenstrahlen ausgingen. Die gleiche Erscheinung trat auf, wenn mit anderen Salzen aufgefüllt wurde, und erglänzten die Strahlen jeweils lebhaft in den Farben, mit welchen sonst die betreffenden Salze die Bunsen- flamme färben. Bei der beschriebenen Versuchs- anordnung ließ sich die Erscheinung längere Zeit beobachten. Sie dauerte so lange, bis alles Salz aus dem Zylinderchen verdampft war. Ganz kürzlich ist es nun den genannten Autoren gelungen, die Anodenstrahlen auf eine viel ein- fachere Art zu erzeugen, was nun auch ein leich- teres Studium dieser Strahlen ermöglicht. Es zeigte sich hier wieder, wie so oft in der Geschichte der Wissenschaft, daß man erst zum Komplizierteren und dann zum Einfacheren ge- langt. Bei der neuen Versuchsanordnung ist es nicht nötig, die Anode und die Kathode besonders zu erhitzen, was vorher dadurch geschehen mußte, daß man durch jede einen besonderen elektrischen Strom schickte. Bei der neuen Anordnung ist es nur nötig, eine Anode aus festem Salz und eine gewöhnliche Kathode in die Vakuumröhre einzu- führen. Ein Salzzylinderchen, das durch einen Metalldraht mit der positiven Spannung verbunden wird, ist bis auf eine kleine Öffnung rings in Glas eingeschlossen. Durch diese Öffnung treten dann die Strahlen aus. Besonders günstig für solche Versuche erwies sich die Verwendung von Lithium- und Natriumsalzen. Auch wurde die Beimischung von gutleitenden Substanzen, wie Graphit und Zinkstaub als zweckmäßig befunden. Bei mäßiger Luftverdünnung in der Röhre sind die Anodenstrahlen stark leuchtend, wird die Verdünnung immer weiter getrieben, so tritt die Helligkeit der Strahlen selbst zurück, die F'luores- zenz der von ihnen getroffenen Glaswand ninnnt aber an Intensität zu. In dieser I linsicht verhalten sie sich ähnlich wie die Kathodenstrahlen, deren Luminosität bei gesteigertem Vakuum abnimmt, deren Fluoreszenzwirkung aber wächst. Während hier jedoch die Fluoreszenzfarbe des Glases eine grün-blaue ist, wechselt sie bei den Anodenstrahlen mit dem verwendeten Salz und stimmt mit der Farbe des leuchtenden Salzdami)fes überein. Dies hängt damit zusammen, daß mit den Anodenstrahlen ein Substanztransport verbunden ist. Dies ließ sich daran erkennen, daß ein den Strahlen entgegengestelltes Glimmerplättchen zunächst nur schwach fluoreszierte, nach und nach aber immer lebhafter in der dem Salz entsprechenden Farbe leuchtete, bei Kochsalz also gelb, bei Lithium- bromid rot etc. Befindet sich auf dem Glimmer- plättchen etwa bereits schon Lithiumkarbonat, dann fluoresziert dies in rotem Lichte. Wie der Name Anodenstrahlen schon sagt, pflanzen sich dieselben in gerader Richtung fort. Sie werfen infolgedessen von Körpern, die ihnen entgegengestellt werden, scharfe Schatten. Diese Eigenschaft teilen sie mit den Kathodenstrahlen. Sie unterscheiden sich aber wieder von diesen da- durch, daß sie durch Heranbringen eines Magneten nicht merklich abgelenkt werden. Dies würde darauf hindeuten, daß die Teilchen, die von der Anode ausgehen, elektrisch neutral sind. Doch haben die genannten Autoren nachgewiesen, daß die Anodenstrahlen positive Ladung mit sich führen. Eine geringe Ablenkung durch den Mag- neten dürfte also immerhin zu erwarten sein. Daß diese nicht so groß ausfällt, wie bei den Kathoden- strahlen, läßt sich darauf zurückführen, daß die Anodenteilchen bedeutend größere Masse, also größere Trägheit besitzen. Damit kommen wir dann auch zur Frage, welcher Natur die Anodenstrahlen sind. So kurze Zeit seit ihrer Entdeckung verflossen ist, so scheint man nach allem wohl berechtigt, die Erscheinung dem Wesen nach bereits als bekannt zu betrachten. Nicht zum wenigsten trägt dazu der Umstand bei, daß die Versuche die Anschauung nahelegen, daß man es mit den längst gesuchten, positiven Strahlen zu tun hat, welche zu den Kathoden- strahlen etwa in einem ähnlichen gegensätzlichen Verhältnis stehen, wie die /i-Strahlen des Radiums zu den «-Strahlen desselben. Man hatte allerdings bereits Kenntnis von positiven Strahlen, welche von der Kathode selbst in entgegengesetzter Richtung wie die Kathoden- strahlen ausgingen. Diese sog. Kanalstrahlen be- sitzen positive Ladung und bestehen aus Teilchen von Atomgröße, allein die analogen, von der Anode ausgehenden Strahlen, waren bisher nicht bekannt. In dieser Beziehung schienen die Eigen- schaften der Anode von der der Kathode grund- verschieden zu sein. Nun ließen sich in der Tat unter den sonst üblichen Versuchsbedingungen, wo die Anode aus einem Metall besteht, auch keine solchen Strahlen nachweisen. Es reichen 494 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 31 unter diesen Umständen die elel) Die Figuren 1—6 sind entnommen aus Schimper's l'flanzengeographie (Gustav Fisclier in Jena in den Tropen die Schmetterlinge sich unterhalb der dichten Masse der Blätter in der Höhe der stammbürtigen Blüten bewegen. Die Blüten wären nur deshalb stammbürtig, um sich durch Sclimetterlinge befruchten zu lassen, die nicht zu hoch im Wald fliegen. Wenn diese Behauptung erklären kann, wie die zum erstenmal so ent- N. F. VI. Nr. 32 Naluiwisseiischaftlichc Wochenschrift. 499 .standencn Blüten die abnorme, aber für die Pflanze vorteilhaftere Lage weiterhin vorgezogen haben, so erklärt sie aber nach Beccari doch nicht, wes- halb jene Blüten, die gewöhnlich am PJnde der S[)rosse sich bilden, auf einmal am Stamm er- schienen. Ks ist ferner zu berücksichtigen, daß die Blüten der caulifloren W'aldbäume im allge- meinen wenige Anlockungsmittel besitzen und daher der Entomophilie wenig angejiaßt sind. Dann ist noch zu erwägen, daß die Bestäubung cntomo- philer Blüten nicht nur durch Schmetterlinge, son- dern meist durch andere Insekten befördert wird sieht kann aber nicht auf alle caulifloren Pflanzen verallgemeinert werden; denn sonst würde die Erscheinung nicht auf das tropische Gebiet be- schränkt, sondern viel weiter verbreitet sein. Haberlandt's Ansicht wird übrigens durch eine andere Hypothese gewissermaßen erweitert. Johow meint nämlich, daß bei der räumlichen Trennung der vegetativen und reproduktiven I-\inktionen — wobei besondere, unbelaubte oder schwach belaubte, aus dem Stamm entspringende Äste alleinfertil sind, während die Krone rein vegetativ bleibt- — die Caulifloric als eine biologische Anpassung Fig. 2. Kicus Minahassae. Cauliflor. Botanischer Garten zu Buitenzorg. und daß die Schmetterlinge keine Bedeutung für Pflanzen beanspruchen können, deren männliche Blüten in der Nähe des Bodens sitzen, wie z. B. bei Stelechocarpus Burahol. Daraus schHeßt Haberlandt, daß man für die Erklärung der Stammbürtigkeit der Blüten und F'rüchte nach einem tiefer liegenden, im Haus- halte der Pflanze selbst wurzelnden lirklärungs- grund wird suchen müssen. Haberlandt weist auf die bei höheren, beson- ders aber bei tropischen Pflanzen waltende Arbeits- teilung hin, infolge derer die Blüten vielfach aus der grünen, assimilierenden Laubkrone verbannt und an andere Orte verlegt wurden. Diese .-^n- anzusehen ist, welche im Zusammenhang mit der Bestäubung und Befruchtung durch Insekten steht. Diese ebenfalls auf Arbeitsteilung begründete Ansicht läßt sich wie jene von Haberlandt nicht verallgemeinern, denn es gibt sowohl cauli- flore Arten mit kleinen Blüten, als nicht cauliflore mit mächtigen Blüten und Früchten, abgesehen davon, daß bei der von Eichler näher untersuchten Anona rhizantha die fertilen l^lüten an ihrer Basis unterirdisch sind und nur mit den blühenden Spitzen aus dem Boden hervorragen. Die javani- sche Liane Kadsura cauliflora (Fig. 4) trägt cauliflore Früchte, die im Vergleich zur Dicke der Äste ziemlich groß erscheinen. 500 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 3: Schimper, der Haberlandt's Ansicht vertritt, glaubt eine Erklärung noch darin zu finden, daß die Rinde der Pflanzen der feuchtwarmen Länder keine so mächtige Entwickelung erreicht und wegen ihrer geringeren Zähigkeit sehr leicht von den entsprossenden adventiven Blutenknospen durch- brochen wird. Schimper's Ansicht findet inTrinchieri's neuesten Untersuchungen eine gewisse Bestätigung. Diese zielen darauf hin, die VVasserabsorption der Rinde cauliflorer und nicht cauliflorer Pflanzen des botanischen Gartens in Catania zu vergleichen. Halleria lucida, eine cauliflore Scrophulariacee des tropischen und subtropischen Afrikas, zeigt auch in Catania vorzügliche Schutzeinrichtungen gegen zu starken Regen, darunter kugelige, glatte, an langen Stielen hängende Beeren, deren persi- stierende Narbe als Träufelspitze funktioniert. Ver- gleichende Untersuchungen haben festgestellt, daß der, Stamm und Äste umhüllende Kork im Ver- gleich zu demjenigen anderer, nicht cauliflorer Pflanzen längere Zeit nach dem Regen feucht verbleibt, in trockenem Zustand größere Wasser- menge absorbiert und nur langsam das absorbierte Wasser abgibt. Diese anatomisch-physiologischen Eigentüm- lichkeiten würden die Entwickelung ruhender Blüten- knospen erleichtern. Jedoch möchte ich hinzufügen, Fig. 3. Pneumatophoren von Avicenna officinalis. Mangrove, Java '/^ °at. Größe. Fig. 4. Kadsura cauliflora. Javanische Liane in Frucht. Nat. Größe. N. F. VI. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 501 daß nach Hcccari's Hcobacl)tune;cn die f^lallcn, am raj;c sehr erwärnUcii Ivindcn vieler Wald- bäume Borneo's in der Nacht sich abkühlen und Wasserdampf kondensieren, während poröse oder korkreiche Rinden als schlechte Wärmeleiter sich nicht so stark abkühlen und daher keinen Wasser- dampf kondensieren. Eine zusammenfassende Darlegung der ver- schiedenen Bedingungen zur Cauliflorie verdanken wir Huscalioni, der die alten Anschauungen mit den paläobotanischen Angaben Potonie's in Zusammenhang zu bringen strebt. Die Cauliflorie läßt sich bis ins Paläozoicum zurückverfolgen, denn Potonie gibt diese Er- scheinung bei Calamariaceen, Bothrodendraceen, Lepidodendraceen , Sigillariaceen und Cordaita- ceen an. Bekanntlich war in jener Epoche die Tem- peratur des Erdballes höher als jetzt, während das Klima infolge der häufigeren Regengüsse feucht und zugleich warm war. Wie leicht begreiflich, mußten die Pflanzen in jener Zeit („Plasma- tivzeit" nach Beccari) sich derart gestalten, daß Blüten und F"rüchte vor den heftigen Regen- güssen und den starken Niederschlägen in ge- bührender Weise geschützt waren. Die kegel- förmige Gestalt der Früchte bei Selaginella, Lepidodendron und anderen Pflanzen, bei welchen die Hauptbestandteile durch die Hoch- blätter geschützt werden, die von Potonie be- schriebenen Aphlebien und aphleboVden Bildungen, die namentlich paläolitische Pecopteriden aus- zeichnen und die ihrer Form nach an weit entlegene Bauverhältnisse der Vorfahren erinnern, sind spezifische Beispiele der eigenartigen Gestaltung dieser Organe zum Schutz vor heftigen Regen- güssen. Potonie hat gerade darauf hingewiesen, daß die Blätter der alten Farntypen sich durch eine besondere Gestaltung und Zerteilung ihrer Lamina auszeichnen, was eine deutliche Anpassung an den Überfluß von Feuchtigkeit jener Zeit dar- stellt. Je tiefer, meint dieser P^orscher, wir in die geologischen Formationen der Vorzeit hinab- steigen, um so schmäler resp. zerteilter und klein- fiederiger finden wir im allgemeinen die uns über- kommenen Blattreste, eine Tatsache, die im Lichte der K n y - S t a h 1 ' sehen Untersuchungen betrachtet mit der Anschauung im Einklang steht, daß die Regengüsse der früheren Erdperioden im großen und ganzen stärker waren als jetzt. Infolge dieser Klimaverhältnisse waren — nach Potonie — die Blätter der Calamariaceen und anderer Pflan- zen schmal und dünn, daher imstande, dem Schlag des Regens leicht auszuweichen. Auch die Blüten der Sigillariaceen waren durch einen Blattbusch geschützt und zwar derart, daß die Blätter oberhalb des Blütenstandes zahlreicher als unterhalb des- selben standen. Dieselben Klimaverhältnisse überdauerten in den nachfolgenden Perioden, wie im Perm, in der Trias, im Jura und in der Kreidezeit, während deren die Pflanzen wieder eiinnal die gleichen An- passungen gegen heftige Regengüsse aufweisen. In diesen Perioden, in denen die tiymnospcrmen zuerst erscheinen, waren die Blüten- und P'rucht- stände kegelförmig gestaltet. Die Zapfenform stellte, wie bei den heutigen Coniferen, ein vor- zügliches Schutzmittel gegen Regenwasser und P^euchtigkeit dar. Andere wichtige, biologische Anpassungen, welche den Sumpfpflanzen vergangener Zeit- perioden eigen sind, treffen wir in den sog. „K n i e w u r z e 1 n" der Sumpfcypresse, T a x o d i u m distichum. Sowohl die Taxodien früherer geologischer Epochen als die heutigen, im über- schwemmten Boden der Sümpfe des südlichen Nordamerikas lebenden zeigen derartige als Pneu- matophoren (Jost) wirkende, in Größe und Gestalt von Zuckerhüten aus dem Sumpfboden hervorragende Seitenwurzeln (Fig. 3). Diese in die Luft hineinragenden Atemwurzeln zeigen andere Eigenschaften als die unter dem Wasser wachsen- den Wurzeln und haben eine ähnliche ökologische Bedeutung wie die in mannigfacher Weise modi- fizierten Wurzelbildungen der IVIangrovevegetation. (Vgl. die Pneumatophoren von Jussiaeaperuviana P'g- 5-) ^ Andere Schutzvorrichtungen sind in der Bil- dung sog. Synkarpien, d. h. der verwachsenblättrigen Früchte, wie bei Artocarpeen, Magnoliaceen, Mo- nimiaceen, Rosaceen, Saxifragaceen, Rubiaceen, Anonaceen, Melastomaceen u. a. m., zuweilen in der Bildung von Arillen oder arillenartigen Ge- bilden zu treffen, wie bei Dilleniaceen, Sapinda- ceen, Celastraceen, Anonaceen, Rubiaceen, Nym- phaeaceen, Euphorbiaceen, Leguminosen, Myristica- ceen, Connaraceen. Die Blätter vieler Hygrophyten der feuchten tropischen Wälder besitzen dünne Laubspreiten und sind in zweckentsprechender Weise gestaltet und modelliert, besonders aber mit einer „Trau- fe 1 s p i t ze" ausgestattet, durch welche das Wasser schnell entfernt wird (Fig. 6). Der Besitz von Hydathoden, d. h. von Organen zur Ausscheidung flüssigen Wassers, deren Verbreitung, Mannigfaltig- keit und Bedeutung durch Haberlandt klar- gelegt wurde, abgesehen von anderen anatomischen Merkmalen für die Beschleunigung der Transpira- tion, ist für diese Gewächse charakteristisch. Allen diesen Vorkehrungen, um sowohl die vege- tativen als die reproduktiven Organe vor dem heftigen Regen und der starken Feuchtigkeit zu schützen, ist noch nach Buscalioni die Cauli- florie anzureihen. Auf Grund der paläontologischen Befunde Potonie's und anderer Gelehrten verfolgt dieser Forscher die Erscheinung der Cauliflorie durch die verschiedenen geologischen Vorzeiten, um fest- zustellen, wann sie aufgetreten ist und wie sie sich den Klimaverhältnissen gegenüber verhalten hat. Er folgert aus diesen Untersuchungen, daß die caulifloren Pflanzen ältere, meist ,, degradierte" P'ormen darstellen und daß die „organische De- 502 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 32 gradation" meist mit dem Alter ihrer Ausbildung zusammenfällt. Von den 34 Familien mit caulifloren Ver- tretern erschienen nach Buscalioni 22 in der Kreide, 3 im Eocän und 2 im Oligocän. Von den 126 caulifloren Dicotylenarten gehören 20 zur Oberkreide, 4 zum Palaeocän, 6 zum Eocän und 13 zum Oligocän. Sämtliche Arten stammen aus immerfeuchten, warmen Gegenden. Unter den Monocotylen führt Beccari die Zingiberaceen und zwei Palmen, Pinanga bre- vipes und P. crassipes, unter den Gymno- spermen einige Gnetum - Arten als cauliflore an. Letztere Angabe hat nach Buscalioni einen großen Wert, denn die Gnetaceen besitzen im allgemeinen breitere und daher zum Schutz der Blüten geeignetere Blätter als die übrigen Gymno- spermen, von denen viele im Carbon und Post- carbon cauliflor waren. ten : Weshalb erscheint sie nicht mehr bei den heutigen Coniferen und Cupuliferen ? Von dem Umstand abgesehen, daß die Cor- daiten , welche Beziehungen einerseits zu den Cycadeen, andererseits zu den Coniferen, speziell zu den Gingkoaceen und Taxaceen zeigen, und lang oder kurz bandförmige, auch verkehrt eiför- mige bis länglich elliptische Blätter besaßen, stammbürtige Blüten trugen; abgesehen ferner davon, daß die heutigen Coniferen einen sehr ge- ringen Vorteil von der Cauliflorie erzielen könnten, da ihre Nadeln keinen genügenden Schutz vor dem Regen bieten, gilt für die Cupuliferen der Umstand, daß sie borealen Ursprungs sind und bis zu den Regenwäldern nicht reichen. jy) -OJI) Fig. S- Jussiaea peruviana Mit Pneumatophoren (aw." unter dem Wasserniveau sp. '/:! n^t. Größe. Fig. 6. lilatt von Ficus religiosa mit Träufelspitze. Die Pflanzen der Regenwälder mit ihren ver- schiedenartigsten Vorrichtungen, um sich vor dem starken Regenfall zu schützen, konnten diese An])assung nur erreichen, weil sie infolge ihres geologischen Alters Zeit genug zu ihrer Ausbil- dung hatten. Die heutigen Regenwälder geben — obwohl in minder ausgeprägtem Grad — die meteorischen und klimatischen Verhältnisse der geologischen Vorzeit wieder, besonders jener Zeitperiode, in welcher die ersten Dicotylen erschienen. Eine Frage ist aber hier nocli zu erörtern. Wie läßt sich nämlich erklären, daß die Cauliflorie trotz ihres Alters sich nicht durch alle Floren fortge- pflanzt hat, die seit der Steinkohlenzeit bis P^nde der Kreidezeit oder des Tertiär nacheinander folg- Die meisten, bis jetzt erwähnten Schutzvor- richtungen zeigen nähere I^eziehungen zur Geo- karpie. In der Tat sind nach Koorders und U 1 e viele cauliflore Pflanzen zugleich auch geo- karp. Ein widersprechender Fall ist hier zu berück- sichtigen. Unter den caulifloren Pflanzen treten auch die Cactaceen auf, die bekanntlich echte Xerophyten sind und als solche keinen Schutz gegen Regen und Feuchtigkeit brauchen. Der Umstand aber, daß diese Gewächse sehr wasser- haltige Gewebe besitzen, läßt nach Buscalioni den Widerspruch nur als einen scheinbaren er- kennen. Unter den Cactaceen verdient O p u n - tia Ficus indica insofern hier erwähnt zu wer- den, als die zuerst auftretenden Blüten von den N. F. VI. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 503 sizilianischcn Hauern re^elmäßiif abf^chaucii wer- den, um die Bildung von neuen zu befördern und dadurch größere, haltbarere Feigen zu be- kommen. Ein derartiges, in Sizilien einst zufällig eingeführtes, jetzt regelmäßig verfolgtes Verfahren wird als „S CO c c ol a t u ra" bezeichnet und seiner guten Hrfolge wegen jetzt überall angewendet. In diesem Fall wird die Bildung neuer Rlüten durch traumalische Einwirkungen veranlaßt und findet ein Analogon auch bei anderen Kulturgewächsen des Südens. Ein Faktor, der überhaupt nicht genügend beach- tet und der neuerdings durch T r i n c h i e r i auch nur gestreift wurde, ist in den traumatischen Wirkungen zu suchen. Ich habe nicht selten beobachtet, daß in sie Kristalle von Kupfersulfat hereingebracht. Zugleich wurde die Krone und sämtliche Haupt- äste in einer I löhe von 2 m abgeschnitten. In der darauffolgenden Blütezeit entfalteten sich die Rispen am Rand der glatt geschnittenen Aste in solcher Anzahl, daß diese stellenweise verdeckt erschienen. Da nun ramiflore Blüten bei Man- gifera indica so selten sind, daß sie von Koorders in seinem zwanzigjährigen Aufent- halt auf Java nur ausnahmsweise und zwar auf jungen, höchstens 5 cm dicken Zweigen beobach- tet worden sind, so ist ihr Vorkommen als eine Folge traumatischer Einwirkungen anzusehen. Wenn man nun bedenkt, daß traumatische Einwirkungen in der Pflanzenwelt durch andere Fig. 7. Ficus capensis. Cauliflor. Botanischer Garten zu Catania. (Nach einer Photographic von Herrn Dr. Trinchieri.) wenn der Weinstock stark zurückgeschnitten wird oder er infolge von Peronosporainfektion zeitig die Blätter verliert und mit Rordeauxbrühe weiter bespritzt wird, stammbürtige Blüten und Trauben trägt. Ahnliche Fälle, ohne nähere Angabe über die Ursache, wurden von Beccari und Mon- temartini, ferner bei stark zurückgeschnittenen Citrus- Arten von Trinchieri beobachtet und abgebildet. Meine Beobachtungen werden nun durch einige Versuche bestätigt, die mir Herr Dr. Koorders freundlichst mitteilt. Im Jahre 1900 hat dieser Forscher in seinem Garten auf Buitenzorg im Stamm von Mangifera indica mittels eines Zuwachsbohrers Löcher in Brusthöhe gemacht und Pflanzen oder durch Tiere wie auch durch at- mosphärische Einflüsse und das anorganische Substrat, in welchem die Pflanzen leben, ausge- löst werden, so ist ihre weitgehende Bedeutung leicht einzusehen. Auf Grund dieses Gedankens wollte ich feststellen, ob die Castration der Blüten an den mächtigen Schäften von Agave ameri- cana zur Bildung schaftbürtiger Blüten führte. Die negativen Resultate lassen deshalb auch die Versuche Mattirolo's, der durch Abstreifen der Blüten von Vicia P'aba nicht nur die Blütendauer bedeutend verlängert, sondern die Cauliflorie hervorgerufen hat, einer Nachunter- suchung wert erscheinen. Da nun die traumatischen Wirkungen allein 504 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 3; bei Vitis und Citrus als Ursache der Cauli- florie nicht angesehen werden können , obwohl einige Citrus -Arten in den Regenländern des Indo-Malayischen Archi]iels — wo die Caulifloric so stark auftritt — verbreitet sind, so muß nach einem anderen Grund geforscht werden. Vom morphologischen Gesichtspunkt aus betrachtet sind die stammbürtigen Blüten Adventivknospen, welche erst nach langer Zeit zur Entwickelung kommen. Außer dem morphologischen kommt noch ein anatomischer Faktor in Betracht, nämlich das Vor- handensein großer Markstrahlen , nach P r u n e t „rayonsmeduUaires gemmaires", wodurch die adven- tiven Knospen der llolzpfianzen mit dem Markgewebe in Verbindung treten. Wenn nun durch traumatische Wirkungen die Laubkrone beschädigt und damit die transpirierende Fläche vermindert wird, so muß das emporgehobene Wasser nach den adven- tiven Knospen streben und sie zur Entwickelung bringen. Kommt zu den zwei genannten I'ak- toren noch der biologische hinzu, wodurch die Erscheinung vererbt wird, so ist leicht einzusehen, weshalb die Cauliflorie bei uns eine seltene, in den Tropen eine häufigere Erscheinung ist. Echt cauliflore Pflanzen verbleiben auch sol- che, wenn sie von den tropischen in die tempe- rierten Gegenden eingeführt werden. So ist der in Afrika sehr verbreitete P^icus capensis auch im botanischen Garten zu Catania cauliflor und zeigt wie der F. Minahassae (Fig. 2) am Stamm und an den dicksten Ästen dünne, ruten- artige, schuppenblättrige Zweige, an welchen kleine Feigen köpfchenartig gruppiert sind. Die Zweige enden gewöhnlich in einer lilattknospe, die nicht zur Entwickelung kommt, während die seitlichen Feigen derart ihre Öffnung nach unten richten, daß das Regenwasser nicht hineindringen kann. Trotz dieser Schutzvorrichtungen fallen die Blüten- stände aus anderen Gründen ab, ohne befruchtet zu werden. (Vgl. Fig. 7.) Der besondere Fall der Cauliflorie des Judas- baums, Cercis sili(iuastrum, verdient hier eine kurze Erwähnung. Unter den Sonnenkindern des Südens fällt diese Pflanze durch den Schmuck ihrer schönen, rosigen. Stamm und Aste kleiden- den Blüten am meisten auf Judas, der sich nach der Sage an diesem Baum aufhing, hat gewiß unter einem Regen von Blüten seinen letzten Seufzer in die Frühlingsluft ausgehaucht. Diese erst Blüten, dann Blätter treibende Pflanze lebt nun nicht in den tropischen, sondern in den tem- perierten Gegenden Asiens, Europas und Amerikas, wo starke Regengüsse fehlen. Daher können die später treibenden Blätter zum Schutz der Blüten nicht dienen. Wenn man nun bedenkt, daß Über- reste dieser Pflanze in der Kreide fehlen und erst im Eocän erscheinen, so scheint dieser F'all noch sonderbarer zu sein. Buscalioni hält nun das ungleichzeitige Auftreten von Blüten und Blättern als eine spätere F^rwerbung, der gegenüber die Cauliflorie eine vererbte, mit der Zeit unnütz ge- wordene Eigenschaft ist. Dementsprechend wei- chen die Blätter vom normalen Typus der Legu- minosen ab und nähern sich dem von Saporta als emb ryophy 1 lar bezeichneten Typus. Eine derartige Organisation der Blätter beweist, daß C. siliciuastrum eine sehr alte Art ist. Möglicher- weise wird die paläontologische Forschung noch Überreste auch in der Kreide entdecken. Aus der obigen Darstellung der verschiedenen Ansichten über Cauliflorie geht hervor, daß diese Erscheinung nicht durch ein, sondern durch meh- rere Momente und zwar solche morphologisch- anatomischer und biologischer Natur — z. B. durch Arbeitsteilung — bedingt wird. Zu den ererbten Fällen kommen noch die gelegentlich beobachteten , auf traumatischen Wirkungen be- ruhenden F"älle hinzu. Das Experiment kann gewiß viel Licht in die F"rage bringen und den Rahmen bilden , in wel- chen die paläobotanische Forschung neue Bilder vergangenen Lebens einzeichnen wird. Nur so kann der Widerspruch, nach welchem die Cauliflorie bald als eine Schutzvorrichtung gegen zu starken Regen, bald als eine Folge desselben erscheint, seine endgültige Lösung finden. Literatur. Beccari, Nelle foreste di Borneo. Firenze 1902. Buscalioni, Sulla caulitloria. Malpighia XVlIl. 1903. Delpino, Ascidi temporanei della Sterculia platani- folia e di altre piante. Ibidem HI. 1889. Haberlandt, Eine botanische Tropenreise. Leipzig 1893. Humboldt, Ansichten der Natur. Tübingen 1849 — 55. Johow, Zur Biologie des floralen und extrafloralen Schau- apparates. Jahrb. d. K. botan. Gartens zu Berlin 1888. Kny, Über die Anpassungen der Laubblätter an die mecha- nischen Wirkungen des Regens und Hagels. Ber. d. deutsch, bot. Ges. 111 1885. Koorders, Notizen mit Abbildungen einiger interessanter cauliflorcn Pflanzen. Bull, du Jardin botanlijue de Buitenzorg, 2. Ser. v. III 1892. Lopriore, Biologia dei processi di rigenerazionc delle Cor- mofite prodotti da azioni traumatiche. Atti Accad. Gioenia, Catania 1906. Mattirolo, SuU' Influenza che 1' estirpazione dei fiori esercita sui tubcrcoli radicali delle leguminose. Malpighia Xlll. 1899. Monte martini, Un caso di „caulifloria'' ncUa vite. Italia agricola XL. 1903. Potonie, Die Blattformen fossiler Pflanzen in Beziehung zu der vermutlichen Intensität der Niederschläge. Naturw. Wochenschrift 1893. — Jahrbuch der Pflanzenpaläontologie. Berlin 1899. — Die Entwicklung der Pflanzenwelt. Krämer's Weltall und Menschheit. 1903. Rumphius, Herbarium amboinense. Amsterdam I750- Schimper, Pflanzengeographie auf physiologischer Grund- lage. Jena 188S. Stahl, Regenfall und Blattgestaltung. Ann. du Jardin de Buitenzorg XI. Trinchieri, Contributo allo studio della caulifloria. .^tti Accad. Gioenia, Catania 1906. — Intorno a due piante cauliflore. Malpighia 1907. Ule, Ein bodenblutiger Baum Brasiliensund über unterirdische Blüten überliaupt. Die Natur 1900. WaUace, Tropcnwelt. Verhandlungen des naturhist. Vereins des Rheinlandcs und \\'cstphalens 18S7. N. F. VI. Nr. 32 Natutwisscnschaftliclie Wochenschrift. 50s Kleinere Mitteilungen. Betrachtungen über die Chromosomen, ihre Individualität, Reduktion und Vererbung vcrüffeiitlirht R. l'"icl< in dem .Archiv f. Anatomie und Ph)-siologie (Anat. Abteil. Suppl. 1905), wobei er darauf hinweist, daß die modernen Reduktions-, Hefruchtungs- und Vererbungstheorien auf der Annahme basieren, daß die Chromosomen die eigentlichen Vererbungsträger sind. Die Mitwir- kung des Protoplasma wird von vielen ange- zweifelt , obwohl CS wenigstens quantitativ einen „vererbenden" Einfluß ausüben dürfte, da es für die Entwicklung des Embryo nicht gleichgültig sein kann , ob das Plasma der beiden elterlichen Zellen assimilationsfähig und kräftig, oder schwach und atrophisch ist. Aus der Tatsache, daß (beim Axolotl) das Mittelstück des Spermatosoms ins Ei eintritt, glaubt V. schließen zu dürfen, daß auch protoplasmatische Bestandteile des Spermas nicht allein bei der Befruchtung, sondern auch bei der Vererbung eine Rolle spielen. Jedenfalls scheint es dem Verf. sehr unwahrscheinlich, daß der Kern resp. das Chromatin der alleinige Vererbungs- träger sei, da außer allen Merkmalen der Art auch individuelle Eigenschaften vererbbar sind. Jede vererbbare Eigenschaft aber muß ein materielles Substrat in den Geschlechtszellen resp. im Chro- matin derselben haben. Es entsteht daher die Frage, wie die vielen vererbbaren Eigenschaften in den Chromosomen gelagert sind. Roux hat aus der Längsspaltung der Chromo- somen bei der Kernteilung den Schluß gezogen, daß die Erbeinheiten in den Ciiromosomen nach- einander aufgereiht sind. Das Teilungsresultat wird daher davon abhängen , ob die Teilung in I^ngs- oder Ouerrichtung stattgefunden hat, im ersten Falle werden die Tochterzellen ungleich (Reduktionstheorien), im letzteren identisch sein. Die ungleiche Zellteilung hat, indem sie einer Summierung der Erbeinheiten vorbeugt, bei den Reifeteilungen eine große Bedeutung. F. weist aber auf die außerordentlich widersprechenden Angaben über Längs- oder Ouerteilung der Chro- mosomen der beiden Richtungsteilungen. Auch hat sich bisher die Annahme, daß die erbgleiche (Längs-)Teilung bei Bildung gleichartiger Zellen und die erbungleiche (Ouerteilung) bei der F"ur- chung v^orkommen , bisher nicht in allen Fällen bestätigt. Der Verf. sucht ferner mittels Messungen zu beweisen , daß die Vererbungseinheiten im Chro- mosom nicht nur nacheinander, sondern auch neben- einander aufgereiht sind. Die Breite eines Chro- mosoms (Salamander, Axolotl, Ascaris) beträgt I — 2 /(, der Durchmesser eines Eiweißmoleküls aber wird nur auf -/,o,ig ;< geschätzt; in der Breite des Chromosom haben daher gegen looo Eiweiß- moleküle Platz. Nun sind die Erbeinheiten (und darüber ist man einig) sehr klein, enthalten höch- stens einige Moleküle, es müssen daher in der Breite des Chromosoms viele Erbeinheiten sich befinden. Es besteht daher kein prinzipieller Gegensatz zwischen Quer- und Längsteilung. Die Bedeutung der ('hromosomen, als mit (jualitativen Erbverschiedenheiten begabter Indi- viduen, wird durch die Tatsache widerlegt, daß bei naheverwandten Tieren eine verschiedene Chromo- somenzahl vorkommt, während bei ganz verschie- den organisierten Individuen eine gleiche Zahl be- obachtet wurde. Gegen die Qualitätsverschieden- heit spricht ferner die Tatsache, daß die Embryo- nal- und Geschlechtszellen die gleiche resp. ver- minderte Chromosomenzahl haben, wie die difife- renziertesten Körperzellen , obwohl sie unendlich mehr Qualitäten besitzen als die letzteren. Auch kommt die Chromosomenzahl im Tierreiche ganz gesetzlos vor, obwohl sie, die Vererbungseinheiten repräsentierend, von den einfach zu den kompli- zierter gebauten Tieren zunehmen sollte. Die Form und Größenunterschiede der Chromosomen sind zwar sclion mittels des Mikroskops zu kon- statieren, sie können aber durch Verzögerung oder Beschleunigung in der Umformung einzelner Chromosomen bestimmt werden (Helen Dean King, Lebrun). So wie die Qualitätsdifferenz der Chromosomen, so ist ihre Individualitätshypothese (Bo- veri) unhaltbai-. Schon die Zahlenverhältnisse bei der Eireifung (die erste Spindel zeigt die Hälfte der Normalzahl), dann die von Boveri entdeckten Diminutionsvorgänge, wo aus dem früheren Chro- mosomenindividuum nicht nur morphologisch, sondern qualitativ etwas ganz anderes wird, kön- nen als Beweis gegen die Individualität der Chro- mosomen dienen. Auch die neueren Entdeckungen von R. Hertwig, Goldschmidt sprechen dafür, daß die Chromosomen keine stabilen Gebilde sind, sondern entstehen und vergehen können. Bei der Verschmelzung der mütterlichen und väterlichen Chromosomen geht aber vollends die Individualität der Chromosomen zugrunde. Die Chromosomen sind daher nach F. keine selbständigen, sich durch Zellgenerationen hindurch erhaltenden Gebilde, sondern eine für den Mecha- nismus der Zellteilung praktische Verteilung des Chromatins. Der Verf. setzt daher an Stelle der Boveri'schen Individualitätshypothese eine Manö- vrierhypothese, die er schon im Jahre 1899 auf dem Anatomenkongreß in Tübingen ange- deutet hatte. Die Chromosomen sind taktische F'ormationen, mobile Manövrierverbände des Chro- matins. Jede Tierart hat eine ihr angepaßte Chromosomenzahl, d. h. eine bestimmte Chromatin- Manövrierart. Das Chromosom besteht aus un- zähligen assimilations- und teilungsfähigen Lebens- einheiten, die nurzurTeilungszeitzusammenströmen, nach derselben aber den Verband (Chromosom) verlassen. Diese Lebenseinlieiten bzw. Erbeinheiten sind stark veränderlich. Die Geschlechtszellen haben die Fähigkeit, aus den ererbten Ahnenplas- men neue Kombinationen zu bilden, in denen Eigenschaften der Ahnen enthalten sind, ohne daß 5o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. I-'. VI. Nr. 32 individuelle chemische Moleküle derselben vor- handen sein müssen. Die Manövrierhypothese versucht F. auch in Einklang mit denjenigen Tat- sachen zu bringen, die für die Individualitäts- hypothese zu sprechen scheinen , wie Henking- sche Sonderchromosomen, das Auftreten kurzer und langer Chromosomen bei Kreuzung von Fundulus und Menidia und die acht Aussackungen des Ruhekernes bei Ascaris. Ferner entgegen der Annahme mancher Autoren, daß erst bei den Reifungsteilungen die Reduktion der Vererbungs- potenzen in Gestalt von Chromosomen stattfindet, behauptet der Verf., daß dieselbe allmählich im Laufe der Geschlechtszellenentwicklung durch Atrophie erfolgt. In dem Ruhestadium sieht F. den entsprechenden Zeitpunkt für einen Kampf ums Dasein und eine natürliche Auslese zwischen den Erbeinheiten (Germinalselektion), die zur Re- duktion und Kombination der Erbeinheiten führen. Ganz analog betrachtet F. den Kampf ums Dasein einzelner Geschlechtszellen als Hauptursachc der Verschiedenheit der Kinder desselben Elternpaares — während nach der allgemein herrschenden An- nahme die Verschiedenheit durch die letzten Reifungsteilungen der Geschlechtszellen verursacht wird. Auch die Gonom eri ehy pothesen (Rückert, Hacker), d. h. die Erhaltung der väter- lichen und mütterlichen Kernsubstanz während der Furchung, erscheinen F. viel zu kühn, da manche Befunde (Baum, Child) gegen das Vor- handensein besonderer Keimbahnzellen sprechen, h'ür ebensowenig bewiesen hält F. die Konjuga- tionshypothese (Rückert) der Chromosomen, da man mit den jetzigen Hilfsmitteln die merkwür- digen Vorgänge, welche bei der Verschmelzung der aus unendlich kleinen Einheiten zusammen- gesetzten väterlichen und mütterlichen Erbmasse in den Zellen des kindlichen Körpers stattfinden, nicht verfolgen kann. Zum Schluß gedenkt der Verf. der Bastar- dierungsversuche und unterzieht die Deutung der Mendel'schen Experimente einer Kritik. Aus den Kreuzungsversuchen schließt F., daß die Keim- zellen der Bastarde beide alternative Merkmale enthalten, daß aber für die direkten Nachkommen der Bastarde das dominierende Merkmal dreimal so günstige Aussichten hat zur Herrschaft zu ge- langen, wie das rezessive; dagegen hält F. die Mendel'sche Annahme, daß eine Anlagenspaltung in den Geschlechtszellen stattfindet, nicht für be- wiesen, auch nicht geeignet, die Prävalenzregel zu erklären, d. h. die Tatsache, daß bei Kopulation zwischen zwei Individuen mit gegensätzlichen Merkmalen, im entstehenden Bastard immer nur das sog. dominierende Merkmal zur Herrschaft kommt. Außerdem betont der Verf., daß die Mendel'schen Versuche und Regeln jetzt noch nicht zu deuten seien, da es sich bei den Merk- malen um mikroskopisch unsichtbare Vererbungs- einheiten handle und daß das Mendel'sche Gesetz überhaupt nur eine bedingte Gültigkeit habe, da es bei manchen Bastarden nicht zutrifft. Die verschiedenen Erbkombinationen in den Keimzellen sind weder auf dem von Ziegler ein- geschlagenen Wege des Würfelspiels, noch mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung zu lösen, weil das Zustandekommen der Kombinationen von inneren physiologischen Umständen abhängig ist. Karoline Reis. Internationale Übereinkunft zur Einführung einheitlicher Schädel- und Gehirnmaafse bei anthropologischen Messungen. — Das reiche Beobachtungsmaterial, welches von Forschern und Gebildeten aller zivilisierten Nationen zusammen- getragen worden ist und sich stets vermehrt, gibt erfreuliche Kunde von dem stetig wachsenden Interesse, dessen sich die junge Wissenschaft der Anthropologie erfreut, leider aber ergeben sich oft fast unüberwindliche Schwierigkeiten zu dessen nutzbarer Vergleichung, da bisher fast jede Ein- heitlichkeit in denselben fehlte und Versuche zur Herbeiführung einer solchen bislang zu keinem Resultat führten. Auf Anregung der Herren H a m y, Papillault und Verneau wurde während der letzten internationalen Versammlung der Anthropologen und Archälogen in Monaco im April 1906 eine Kommission gewählt, welche während des Kon- gresses Vorschläge ausarbeiten und in der letzten Sitzung zur Begutachtung vorlegen sollte. Die Kom- mission, welche als Präsidenten Prof. Waldeyer, Berlin, als Vizepräsidenten Prof. Sergi, Rom, und als Sekretär Prof. Papillault, Paris, erwählt hatte, beschränkte sich wegen der Kürze der zur Ver- fügung stehenden Zeit auf die Maßbestimmungen des Kopfes, arbeitete aber so fleißig, daß sie in der letzten Sitzung des Kongresses ein vollstän- diges Vermessungsschema vorschlagen konnte, welches dann einstimmig zur Annahme gelangte. Es dürfte die Leser dieser Zeitschrift interessieren, in kurzen Zügen die Hauptpunkte dieser Bestim- mungen dargelegt zu finden. P^ür die anzuwendenden Meßinstrumente wurden folgende Einheitsbezeichnungen gewählt: C. G. Schiebzirkel, C. E. Tastzirkel, R. M. Meßband. Dieselben sind jeder Nummer besonders beigefügt. L Schädelmaße. 1. Größte Länge, Diameter anteroposterior maximus. C. E. Von der Glabella zu dem am meisten vorspringenden Punkte des Hinterhauptes. 2. Größte Breite. C. E. 3. Höhen, a) Baroparietal-Höhe. C. E. Vom Vorderrande des Hinterhauptlochs zur Mitte der Sutura sagittalis. b) Auriculo-parietal-Höhe. C. E. Vom oberen Rande des äußeren Gehörgangs zur Mitte der Sutura frontalis. 4. Mindestbreite zwischen den beiden Schläfe- beinen. C. G. 5. Größte Breite zwischen den Schläfebeinen. C. G. 6. Größter Bimastoidaldurchmesser. C. E. Ge- messen an der Außenfläche der Processus mastoidei N. V. VI. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 507 in der I lohe der Mitte des äußeren Gehörgangs. 7. Jochbcinilurchniesser. C. G. Gemessen an der äußeren Fläche der beiden Jochbeine. 8. Nasobasilardurchmesser. C. E. Gemessen von der Sutura nasofrontaUs zur Basis des Hinter- hauptes. 9. Alveolobasilardurchmesser. C. G. Vom Vorderraiid des Alveolarbogens zur Basis des Hinterhauptes. 10. Nasomentaldurchmesser. C. G. Von der Sutura nasofrontaUs zum Kinn. (Der Zustand der Zähne ist zu beachten.) 11. Nasoalveolardurchmesser. CG. Von der Sutura nasofrontaUs zum Unterrand der Alveolen zwischen den 2 ersten Schneidezähnen. NB. Der Geschichtsindex ist ausgedrückt durch die Größe: Nasoalveolardurchmesser X 100 Jochbeindurchmesser 12. Nasenhöhe. C. G. Von der Sutura naso- frontaUs zur Mitte der Verbindungslinie der bei- den tiefsten Stellen der Apertura pyriformis narium. 1 3. Nasenbreite. C. G. Größte Querweite der Apertura pyriformis. 14. Interorbitalbreite. C. G. Entfernung der Punkte, in denen die hintere Tränenleiste sich mit dem Stirnbein vereinigt. 15. Orbitalbreite: innere : die Tränengrube (oder Punkte, in denen die Näthe gebildet vom Frontale, Lacrymale und aufsteigenden Ast des Maxillare superior sich treffen), äußere : äußerste Punkte der Orbita. 16. (~)rbitalhöhe. C. G. Gemessen am oberen und unteren Rand. 17- Breite des oberen Alveolarfortsatzes. C. G. Gemessen an den äußeren Flächen. 17a. Höhe des Alveolarbogens, gemessen mit einem Faden vom Oberrand des Alveolarbogens zwischen den 2 ersten Schneidezähnen zum Hinter- rand des harten Gaumens. 18. Länge und Breite des Hinterhauptlochs. 19. Sagittalkurve des Schädels. R. M. Von der Sutura nasofrontalis zum Processus occipitalis. 20. Ouerkurve. R. M. Vom Hinterrande der Ossa zygomatica genau über dem äußeren Gehör- gang, über die größte Wölbung des Schädels ge- messen. 21. Horizontalkurve. R. M. Vorn über die Brauenbogen, hinten über den unteren Teil des Occipitale den größten Dimensionen nachgemessen. 22. Schädelkapazität, die Broca'sche Messungs- methode kann beibehalten werden, es empfiehlt sich aber, wenn immer möglich, eine direkte Be- stimmung mit Wasser und Gummiblase vorzu- nehmen. Unterkiefer. 23. Größte Entfernung der beiden Condylen. C. G. 24. Kiefernbreite. C. G. Wird außen ge- messen an der Spitze der Winkel, welche vom Kiefer und dessen aufsteigenden Ästen gebildet werden. 25. Länge des aufsteigenden Astes. C. G. Von obigem Winkel bis zum Oberrand des Condylus. 26. Geringste und größte Breite der aufsteigen- den Aste. C. G. Von vorn nach hinten in ver- tikalem Sinne gemessen. 27. Breite des Kiefernastes zwischen dem ersten und zweiten Backenzahn. C. G. 28. Winkel der Kiefernäste. II. Kopfmaße. NB. Beim Anlegen der Meßinstrumente ist Druck zu vermeiden. 1 . Größte Länge! . t^ , ■■ , , 2. Größte Breite) ^^'^ ^"^ Schädel zu messen. 3. Schädelhöhe, vom oberen Rande des äußeren Gehörgangs zum Scheitel gemessen. C. E. 4. Geringste Stirnbreite. 5. Größter Bimastoidaldurchmesser wie am Schädel gemessen. 6. Größter Jochbeindurchmesser wie am Schä- del gemessen. 7. Kiefernwinkel, wie am Schädel. 8. Gesamtgesichtshöhe, vom Rande der Haare zum Kinn. C. G. 9. Nasenkinndurchmesser, wie am Schädel. 10. Nasolabialdurchmesser, vom Nasenursprung zur Lippenspalte. 11. Nasoalveolardurchmesser. C. G. Wie am Schädel. 12. Nasenhöhe, vom Nasenursprung zum Nasen- lippenwinkel. 13. Nasenbreite, an der Außenseite der Flügel gemessen. C. G. 14. Hervorragung der Nase, von der Kuppe zur Basis am Nasenlippenwinkel gemessen. 15. Äußere! ^, ^ 1 a • 1 1 /- /- 16. Innere ! Entfernung der Augenwinkel. C. G. 17. Mundbreite. C. G. 18. Lippenhöhe. C. G. Vom oberen zum unteren Rande der fleischigen Lippen in der Medianlinie bei geschlossenem Munde gemessen. 19. Ohr, größte Höhe. C. G. Vom oberen Rande der Helix zum Unterrande des Lobulus. größte Höhe des knorpeligen Ohres, vom Oberrande der Helix zum Unterrande des Fragus. Breite, vom vorderen zum hinteren Rande der Helix. (Nach der Revue de l'ecole d'anthropologie de Paris.) Dr. Walther-Chicago. Über ,,die marine Tierwelt des arktischen und antarktischen Gebietes in ihren gegen- seitigen Beziehungen" bericlitet Professor Dr. Kükenthal. (Veröffentlichungen des Institutes f. Meereskunde und des geographischen Institutes an der Universität Berlin, Heft 11). Obgleich die Zahl der bisher aus den ver- schiedenen Meeren bekannt gewordenen Tierarten 5o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 32 schon eine enorme Hölie erreicht hat, so bringt doch immer noch jede I'orscliungsreise in ent- ferntere IVleere eine Fülle neuen Materials zur Be- arbeitung mit. Die leicht zugänglichen Meere sind bezüglich ihrer Fauna schon recht genau be- kannt und neue Funde gehören zu den Selten- heiten. So ist z. B. die P'auna des arktischen Gebietes in der „Fauna arctica" (herausgegeben von Römer und Schaudinn) bis ins einzelne genau dargestellt. Während also das Norpolar- gebiet gut durchforscht ist, klaffen bezüglich unserer Kenntnis der Südpolarregion noch immer große Lücken, trotzdem durch die Erforschung sub- arktischer Gebiete (Feuerland, Falklandsinseln, Ker- guelen) und die Reisen des „Challenger" und der „Valdivia" schon viele antarktische Tierformen bekannt geworden sind. Bei der Vergleichung der beiden polaren Faunen ergibt sich eine unverkennbare Ähnlich- keit, die man als „Bipolarität" bezeichnet. Diese Erscheinung ist um so bemerkenswerter, als ja die Meeresbewohner durch klimatische Einflüsse in ihrer Verbreitung beeinflußt werden. Es zeigt sich, daß eine zonare Anordnung der Meeres- faunen vorhanden ist, die man als arktische, tro- pische und antarktische unterscheidet ; zwischen ihnen liegt eine nördliche und eine südliche ge- mäßigte Zone. Wenn man nun annimmt, daß eine jede Art nur einmal an einem Zentrum ent- standen sei und sich von da aus verbreitet habe, so beansprucht die Erscheinung der „Bipolarität" ein hervorragendes Interesse für die biologische Forschung. Unter „Bipolarität" versteht der Verfasser „eine auf innerer Verwandtschaft beruhende Ähnlichkeit der arktischen und antarktischen Tierwelt, die größer ist als die Ähnlichkeit mit dazwischen liegenden Faunen wärmerer Gebiete". Die Ähn- lichkeit kann in verschiedener Weise ausgeprägt sein. Es gibt bipolare „Arten", d. h. solche, die in beiden Polarmeeren gleich sind, den dazwischen liegenden Faunenzonen aber fehlen. Auch Gattun- gen und F'amilien können bipolar sein, wenn sie nur auf die Polargebiete beschränkt sind. ,, Bipolar im weiteren Sinne" nun sind Formen, die in den Polargebieten und in den gemäßigten Zonen gleichzeitig vorkommen , während sie nur im Tropengürtel fehlen. Nicht bipolar sind dagegen solche Formen, die zwar in den polaren Gebieten vorkommen, aber auch alle dazwischen liegenden Zonen bevölkern. Wenn nun in einer Abteilung des Tierreiches „wirklich bipolare" Gattungen und Arten fehlen, so können die polaren Faunen in- soferne noch sehr ähnlich sein , als die Gattung oder Art in den polaren Meeren sehr zahlreich, in den Zwischenzonen jedoch nur spärlich sein kann. Es können sich von den wärmeren Ge- bieten aus Gattungen in den polaren Zonen ent- wickeln und wenn diese Entwicklung in etwa gleicher Richtung erfolgt, so kann „durch solche parallele Entwicklung eine nahezu an Identität grenzende Ähnlichkeit räumlich weit getrennter Arten einer (iattung hervorgerufen werden". Die Ähnlichkeit beruht dann auf Verwandtschaft zur Gattung, von der die Entwicklung ausging und auf Konvergenz, d. h. auf ähnlicher Anpassung an ähnliche Lebensbedingungen. Schon James Roß hat die Ähnlichkeit an polaren Faunen beobachtet. Nachdem dann die Angaben solcher Pormen, die beide polare Meeres- gebiete bevölkern, zahlreicher geworden waren, kamen auch Versuche, die merkwürdige Erschei- nung zu deuten. Aber heute noch ist die Frage nicht allgemein gültig gelöst und auch die Liste der bipolaren Arten und Gattungen ist bedeuten- den Schwankungen unterworfen. Der Grund hier- für liegt I. in der Verschiedenheit der Auffassung des Begriffes der Bipolarität und 2. in der Un- sicherheit der systematischen Wertung der Formen. Oft erschwert auch ein mehr oder weniger starkes subjektives Empfinden bei der Festlegung der Gattungen und Arten die Lösung des Problems. Da endlich unsere Charakteristik der Bipolarität ein negatives Merkmal einschließt, das Fehlen einer Form in warmen Zonen, so ist leicht ein- zusehen, daß durch Neufunde in den warmen Zonen die Zahl der bipolaren Formen geringer werden kann. Die Tiergruiipen der kalten Zonen, deren Bi- polarität geprüft werden soll, betrachten wir nach ihren Wohnbezirken , dem Litoral , dem Abyssal und dem Pelagial. Das Litoral ist die Bodenfauna flacherer Meere, besonders der Küsten, bis zu ca. 400 m Tiefe. Bei diesen Litoraltieren fehlt Bipolarität in folgen- den Gruppen: den Kalkschwämmen, Seesternen, Schlangensternen, Haarsternen, Seeigeln, Seegurken, Amphipoden, Isopoden und Fischen. Spuren von Bipolarität zeigen sich bei Mollusken, Dekapoden, Pantopoden, Nemertinen und Bryozoen; echte Bi- polarität bei den Hydroiden, Gephyreen, Poly- chäten, Cumaceen und Schizopoden. Demnach ist „Bipolarität keine allgemeine Erscheinung polarer Litoraltiere". Die E'auna der Tiefsee, des Abyssal wurde früher als kosmopolitisch angesehen. Dagegen suchte John Murray den Nachweis zu führen, daß Tiefseebewohner nicht viel weiter verbreitet seien als solche der Flachsee. Dagegen ergaben aber die Ergebnisse der Tiefseeexpeditionen doch eine weitere Verbreitung der Arten, als Murray annahm. Während es sicherlich einige bipolare Tiefsee- gattungen und -Arten gibt, nimmt Ortmann eine kosmopolitische Verbreitung der gesamten Tiefseefauna an, da nach den bisherigen Ergeb- nissen nur 8 " j bipolar scheinen. Er erachtet es für rein zufällig, daß diese für bipolar gehaltenen Formen bisher noch nicht in warmen Zonen ge-- fanden worden sind. — Für die Annahme kosmo- politischer Verbreitung der Tiefseeformen soll auch die Annahme gleicher Lebensbedingungen im gesamten Abyssal beweisend sein. Letzterer Annahme widerspricht aber der Verfasser, indem er darauf hinweist, daß zum Begriff gleicher N. F. VI. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 509 Lebensbedingungen nicht nur gleiche Temperatur gehört, sondern auch z. B. dieselbe Nahrung, die sich in letzter Instanz aus den abgestorbenen Be- wohnern der höheren VVasserschichten zusammen- setzt. Da nun das Plankton der polaren Meere einander weit mehr ähnelt als dem der Zwischen- zonen, so müssen auch die Tiefseebewohner der Polarmeere sehr ähnliche Nahrung haben im Gegen- satze zu denen der wärmeren Zonen. In Anbe- tracht der ungenügenden Kenntnis der Fauna des Abyssals ist die Frage nach der Bipolarität der Tiefseefauna noch nicht endgültig zu beantworten. Sehr stark ausgeprägt ist die Bipolarität des Planktons, der Bewohner des Pelagials. Ua finden wir Bipolarität bei Medusen, Pteropoden, Appen- dicularien, Copepoden und vielen Pflanzengruppen. Die Erscheinung der Bipolarität, die als sicher vorhanden zu betrachten ist, wird, wie schon ge- sagt, verschieden erklärt. Der erste Erklärungs- versuch ist die ,, Reliktenhypothese" von Iljalmar Theel, dem Bearbeiter der Holothurien der Chal- lenger- Expedition. Auf Grund seiner Befunde sucht er den Nachweis zu erbringen , daß es in der Arktis und in der Antarktis Verwandte gebe und daß ein Austausch der F'ormen wegen der riesigen Entfernungen unwahrscheinlich sei. Nach Theel waren die heute auf Arktis und Antarktis beschränkten Formen in früheren l^pochen sehr weit verbreitet und wurden erst langsam , durch veränderte Bedingungen veranlaßt, auf die Polar- zonen zurückgedrängt. Während sie in den war- men Zonen zugrunde gingen oder sich umbildeten, ließen die gleichmäßigeren Bedingungen der po- laren Meere eine Änderung der Art nicht zu. Georg Pfeffer hat später diese Gedanken wieder aufgenommen und weiter ausgebaut. Er geht von dem Satze aus, daß isolierte Vor- kommnisse „Relikte" eines früheren Verbreitungs- bezirkes einer Art seien , daß also „die Vor- fahren der heutigen Litoralfaunen hoher Breiten einst über das Litoral der ganzen Erde hin ver- breitet waren". Es ist nun bekannt, daß in der Kreidezeit in den kalten Meeren Formen wohnten, deren nächste Verwandte jetzt auf das Gebiet zwischen den beiden Wendekreisen beschränkt sind. — Weiter waren die Vorfahren der jetzigen Tropenfauna bis ins .Alttertiär hinein fast kosmo- politisch. .\us diesen beiden Tatsachen schließt Pfeffer, daß es bis zum Alttertiär keine zonare Anordnung der Faunen, sondern nur eine große zusammenhängende Fauna gegeben habe. Diese „Universalfauna" macht aber die Annahme eines gleichmäßigen Klimas auf der ganzen Erde nötig. Nur soll nach Pfeffer zu jenen Zeiten die Sonne die Erde intensiver bestrahlt haben als heute, wodurch das Wasser stärker erwärmt, die Menge des Wasserdampfes in der Luft erhöht und dem- zufolge die Ausstrahlung verringert wurde — kurz, die Temperatur des Meeres soll tatsächlich viel gleichmäßiger als heute gewesen sein. Als dann die Strahlungsintensität der Sonne nachließ , er- folgte eine Sonderung des Klimas in verschiedene Zonen und damit wurde auch die „Universalfauna" differenziert. Dabei gingen natürlich manche Tierformen, die die Temperaturverringerung nicht ertrugen , zugrunde. Andere wanderten in wär- mere Regionen, wie z. B. die Riffkorallen und die mit ihnen vergesellschafteten Tiere, deren Tempe- raturminimum ja bei 20 "C liegt. Wieder andere paßten sich den neuen Verhältnissen an, besonders die Bewohner des tieferen Wassers. So erfolgte eine zonare Anordnung der marinen Tierwelt ent- sprechend der Anordnung der Klimazonen. Da man nun annehmen muß, daß die langsame Ab- kühlung der Erde und mithin auch der Meere auf eine gleichmäßig gestaltete und verbreitete Fauna wirkte, so erhielten sich im Norden und im Süden die gleichen Formen. So sind also die heutigen polaren Faunen gleichartig gestaltete Relikte der alttertiären Universalfauna. Daß sich diese polaren F'aunen durch so lange Zeiten hin- durch gleichmäßig erhalten haben, beruht nach Pfeffer auf der Einförmigkeit der Lebensbedingun- gen, die zu einer LImbildung der Arten keine Veranlassung gab. Dagegen haben die wechseln- den Bedingungen der warmen Meere eine regere Artenumbildung veranlaßt. Etliche Zeit später kam John Murray zu der gleichen Hypothese wie Pfeffer. Auch er nimmt an, daß früher die gesamte Wassermasse gleichmäßig warm war, selbst bis in die Tiefsee hinab. Gegen Ende des Mesozoikums begann die Differentialion des Klimas. Zuerst wurden die Pole abgekühlt, die früher wegen des viel größeren Sonnendurchmessers gleichmäßig mit den anderen Gebieten bestrahlt wurden. Infolge dieser Ab- kühlung sank dichteres, mit Sauerstoff beladenes Wasser in die Tiefe ab und machte das Abyssal bewohnbar. Die Abkühlung brachte aber auch vielen litoralen Formen , die sich an das kühlere Klima nicht anpassen konnten, den Tod, besonders solchen Formen, deren Larven pelagisch leben und solchen, die viel Calciumkarbonat zum Aufbau von Schalen usw. brauchen. So blieb in den Polarmeeren eine artenärmere F'auna zurück, deren Vertreter im Schlamme des Litorals lebten und sich ohne pelagisches Larvenstadium direkt ent- wickelten. Gegen die besprochene Reliktenhypothese sind verschiedene Einwände erhoben worden , so von A. Ortmann, der nur 2 bipolare Arten und 2 bipolare Gattungen gelten läßt. Nach ihm müssen die klimatischen Veränderungen an den Polen die Umbildung der Arten nicht gehemmt, sondern vielmehr gefördert haben. Die Ände- rung des Klimas an den Polen muß in mehreren Stufen vor sich gegangen sein. Zuerst herrschten in der damals dort tropischen Temperatur keine bemerkenswerten Schwankungen. Dann wurden die Schwankungen erheblicher unter gleichzeitigem Falle des Temperaturmittels, dann folgte eine Abnahme der Schwankungen, bis sie endlich an ihrem Minimum anlangten. Die Tropentiere blieben nun in annähernd gleichmäßigen Verhält- 510 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 32 nissen, während die Bewohner der Polarmeere durch den großen Wechsel der klimatischen Ein- flüsse stark umgebildet werden mußten. Es ist nun nicht einzusehen, warum sicli bei dieser nötigen Umbildung der Polarformen Relikte er- halten haben sollen. — Gegen die Reliktenhypo- these spricht ferner der Umstand, daß es bei den Pteropoden ausgeprägte Bipolarität gibt, obwohl sie erst in der 2. Hälfte des Tertiärs auftreten. Die Bipolarität kann hier also nicht durch die Reliktenhypothese erklärt werden. Gegen die erwähnte Hypothese spricht auch der Umstand, daß viele Tiergruppen, die schon vortertiär sind, die also den Einflüssen, die die Reliktenhypothese annimmt , unterworfen waren , keine Bipolarität zeigen. Ein weiterer Erklärungsversuch ist die Migra- tionshypothese. Die Bipolarität beruht dar- nach auf einer früheren Wanderung jetzt bipolarer Formen von Pol zu Pol, wobei als Weg für die Litoralformen der Boden der Tiefsee und die Küsten von Amerika und Afrika angenommen werden. Ort mann hat darauf aufmerksam ge- macht, daß viele arktische Tiere sowohl auf dem Boden flacherer Meere als auch in sehr großen Tiefen vorkommen, so daß eine Grenze zwischen Tiefseebewohnern und polaren Ufertieren nicht zu ziehen ist. Wahrscheinlich sind nach Ort- mann also eine Anzahl bipolarer Tiere am Grunde der Tiefsee von Pol zu Pol gewandert und das würde auch erklären, daß nur manche Tiergruppen bii)olar sind, solche eben, die zur Tiefseewanderung befähigt waren. — F"ür die Wanderung längs der Westküsten von Amerika und Afrika fehlen überzeugende Beweise. Bei der pelagischen Tierwelt ist nach C h u n der Austausch arktischer und antarktischer P^or- men durch die tieferen, kälteren Wasserschichten der verbindenden Ozeane vor sich gegangen und zwar durch bis jetzt noch unbekannte Strömungen. Als Beweis für diese Ansicht wird das Beispiel eines Pfeilwurmes, Krohnia hamata, erbracht, der im atlantischen Teile der kalten Region, in den subantarktischen Gewässern, in den tieferen Schich- ten der Zwischengebiete und in den Tiefen des Indischen Ozeans bisher gefunden worden ist. Nach Kükenthal ist Krohnia nur eine weit verbreitete Tiefseeform. Den einfachsten Weg zur Erklärung der Bipo- larität des tierischen Planktons gibt Vanh offen an: „jedenfalls läßt sich die Übereinstimmung der die kalten Meere belebenden Organismen durch gemeinsame Abstammung aus dem gleich- artigen Plankton des warmen Gebietes nach meiner Ansicht weit einfacher erklären als durch kompli- zierte Wanderungen zum Wandern nicht befähigter Organismen mit Hilfe hypothetischer Tiefenströme". P"ür die Annahme Van hoffen 's spricht u.a. die Verbreitung der schon erwähnten Pteropoden. Die größte Zahl dieser Tiere lebt in der Warm- wasserzone, einige kommen nur im wärmsten Gürtel vor, andere gehen in etwas höhere Breiten und sind im Tropengürtel schon spärlich und endlich gibt es bipolare Formen. Die Bipolarität planktonischer Organismen hat also ihren Grund wahrscheinlich in einem gemein- samen Ursprünge aus einem begrenzten, einheit- lichen Warmwassergebiet. Von da aus sind die Formen in die kalten Zonen vorgedrungen und später sind sie im Zwischengebiet ausgestorben. Ob daneben noch eine Wanderung in tieferen Wasserschichten in Betracht kommt, ist fraglich. W. Effenberger, Jena. Neueste Erdmessungen. — In einem inter- essanten Vortrag, gehalten vor der „Mechanical, science and enginering section of the American association for the advancement of science" am 28. Dezember 1906 in New York berichtete J. ¥. Hayford aus Washington, Chef der geodätischen Vermessungsabteilung der Vereinigten Staaten, über die neuesten Bestimmungen der Größe und Gestalt der Erde nach Vermessungen in Nord- amerika. Die angewendeten Untersuchungs- methoden unterscheiden sich wesentlich von den bisher gebräuchlichen, und es ergaben sich Be- weise für die überraschende Tatsache, daß das Material, aus dem die Erdrinde sich aufgebaut hat, ein verhältnismäßig schwaches und wenig stabiles ist. Die Untersuchungen stellen qualitativ wie quantitativ einen sehr bedeutenden Beitrag einer Einzelnation zu den in Rede stehenden Problemen dar. Sie sind gegründet auf 507 Reihen von astronomischen Beobachtungen und Bestimmungen, ausgeführt auf verschiedenen Stationen, und auf zusammenhängende Triangulierungen vom atlan- tischen zum pazifischen Ozean und von den großen Seen zum Golf von Mexiko. Sie zeigen, daß, entgegen der gewöhnlichen, stillschweigenden An- nahme, der Boden der Vereinigten Staaten und der umliegenden Länder durchaus nicht den nötigen Grad der Starrheit hat, um sich im vertikalen Sinne selbst in der Lage zu erhalten, daß vielmehr die Erde in isostatischem Zustande sich befindet, so daß der Kontinent so zu sagen schwimmend erhalten wird, indem die Oberfläche bis zu einer Tiefe von etwa 70 Meilen (engl.) aus Material von ver- hältnißmäßig geringer Dichte zusammengesetzt ist. Für die Ab[)lattung der Erde wurde ein Mittel- wert zwischen den Bestimmungen von Clark und Bessel gefunden und für den Polar- und Äquatorial- durchmesser wurden etwas höhere Werte ermittelt, als von den beiden genannten F'orschern. (Scientific American.) Aus dem wissenschaftlichen Leben. Dr. Ciustav Seile f. — ; Am 8. Juni d. J. starb nach langem Leiden Dr. Gustav Seile, dem wir in erster Linie den modernen Aufschwung der Dreifarbenphotographie zu danken haben. Freilich war das Prinzip schon jahrzehntelang bekannt, als Seile (189s) mit seinen wundervollen Arbeiten an die I iffentlichkeit trat, oder sagen wir richtiger ; an die Öffentlich- keit gezogen wurde. .\ber niemand hatte vor Seile auf dem N. F. VI. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 511 Gehiclc der Tiirbij^cii l>iapüsilivc mul r.ipicrbildcr clwas /.u sl;iiuli- gclir;u'hl, was an die Leistungen von Seile ;iucli nur annähernd heranreicht. Seile war ein grundbescheidener Mann, der seine präch- tigen Sachen — lediglich aus persönlicher Abneigung gegen die ÖlVentlichkeit — am liebsten im Kasten behalten hätte. Ende des Jahres 1895 zeigte er in einer Hier Nachsitzung der „Freien photographischen Vereinigung zu Berlin" dem Unterzeichneten ganz heimlich seine neuen Karben- bilder. Da war es natürlich mit weiterem Zurückhalten vor- bei: Bei dem außerordentlichen Aufsehen, welches die ötTcnt- liche Vorzeigung der l^ilder allerwärts machte — Seile hatte auch die l-'.hre, vor Sr. Majestät dem deutschen Kaiser einen Vortrag über sein Verfahren zu halten — konnte es natürlich nicht ausbleiben, daß Hasser und Neider (von denen es in der Photographie bekanntlich stets eine besonders bösartige Sorte gab) die Verdienste ScUe's zu verkleinern suchten und behaupteten, daß alles längst bekannt sei. Wo waren denn aber die nach dem angeblich längst bekannten V^erfahren lier- gestellten Bilder? Es ist häufig ein höheres Verdienst, ein Verfahren lebensfähig zu machen, als die Grundideen des- selben anzugeben. Der spekulative Kopf legt sich alles schön zurecht; die Sache hat nur einen Haken : sie geht nicht. Wenn nun jemand nach jahrelangen Mühen — auch Seile hat an der Ausarbeitung und Vervollkommnung mehrere Jahre rast- los gearbeitet — die Unmöglichkeiten beseitigt und die Schwierigkeiten überwunden hat, dann heißt es allerwärts: Ja, das wissen wir alle schon sehr lange. Die Veröffentlichung der Selle'schen Bilder inszenierte einen Sturmlauf in der Ausbildung ähnlicher Verfahren. Zu- erst war es Sanger-Shepherd in England, welcher das immer noch recht schwierige Verfahren mundrechter machte. In Deutschland sind die durch Sanger-Shepherd eingeführten .Ab- änderungen durch Hesekiel in den Handel gebracht, daher der ganz unsinnige Name Hesekiel'sches \'erfahren , welcher sich noch jetzt vielfach in der Literatur findet. Es würde zu weit führen, auf die übrigen verwandten Verfahren, welche durchweg der Veröffentlichung der Seile-Bilder ihre Entstehung verdanken, einzugehen. Es ist ein seltsames Geschick, daß der stille Mann in dem Augenblicke in die Erde sinkt, wo ein nach der Dreifarben- methode von Lumiere in Lyon ausgearbeitetes Verfahren im Begriff steht, die Dreifarbenphotographie wiederum einen ge- waltigen Schritt vorwärts zu bringen. Der Name Seile wird unvergeßlich bleiben. Neuhauß (in der Photographischen Rundschau, Halle a. S.) Wir fügen hinzu, daß Dr. Seile in der Naturwissensch. Wochenschr. seiner Zeit — nämlich in der Nr. vom 15. März 1896 — über den oVien erwähnten Gegenstand einen Artikel veröffentlicht hat, betitelt: ,, Theorie eines \'erfahrens zur Her- stellung von ,,Liclitbildern in naturgetreuen Farben."" Red. Literatur. Becher, Priv.-Doz. Dr. Erich: Philosophische Voraussetzungen der esakten Naturwissenschaften. ( VU, 244 S.) gr. 8". Leipzig '07, J. A. Barth. — 6,50 Mk. Burckhardt, Prof. Heinr. : Vorlesungen üb. die Elemente der Differential- u. Integralrechnung u. ihre Anwendung zur Be- schreibung von Naturerscheinungen. (XI, 252 S. m. 38 Fig.) gr. 8". Leipzig, '07, B. G. Teubner. — Geb. in Leinw. 6 Mk. Graetz, Prof. Dr. L. : Die Elektrizität u. ihre .Anwendungen. 13. u. 14. Aufl. (47.— 56. Taus.) (XVI, 666 S. ra. 590.\bbildgn.) gr. 8". Stuttgart '07, J. Engelhorn. — Geb. in Leinw. 8 Mk. Lehmann, Prof. Dr. O.: Die scheinbar lebenden Kristalle. Anleitung zur Demonstration ihrer Eigenschaften sowie ihrer Beziehungen zu anderen fiüss. u. zu den festen Kristallen in Form e. Dreigesprächs. (V, 68 S. m. 109 z. Tl. färb. Fig.) Eßlingen '07, J. F. Schreiber. — In Leinw. kart. 2.20 Mk. Marsball, Prof. William, Spaziergänge eines Naturforschers. Kleine Ausg. 2. Aufl. Nach der 4. Aufl. der großen Ausg. f. Schule u. Haus bearb. vom Verf. (HI, 172 S.) gr. 8". Leipzig '07. E. A. Seemann. — 2,25 Mk., geb. 3 Mk. Prahl, Dr. P. : Flora der Prov. Schleswig-Holstein, des an- grenzenden Gebietes der Hansestädte Hamburg u. Lübeck u. des Fürstent. Lübeck. 4. neubearb. u. verb. .'\ull. des i. Tis. ilcr krit. Flora der l'rov. Schleswig-Holstein etc. 4. u. 5. Taus. (Vll, 336 S.) 8". Kiel, '07, Universitäts-Buchh. — Geb. in Leinw. 4 Mk. Warming u. Johannsen : Lehrbuch der allgemeinen Botanik. Hrsg. von Dr. E. P. Meinecke. I. Tl. (III— V u. S. 1—480 m. .\bl>ildgn.) Lex. 8°. Berlin '07, Gebr. Borntraeger. — I2Mk. Weber, Heinr., u. Jos. Wellstein, Proff. : Encyklopädie der Elementar-Mathematik. Ein Handbuch f. Lehrer U.Studierende (In 3 Bdn.) Angewandte Elementar-Mathematik. Bearb, v. Heinr. Weber, Jos. Wellstein u. Kud. H. Weber. (XIII, 666 S. ni. 358 Fig.) gr. 8°. Leipzig '07, B. G. Teubner. — Geb. in Leinw. 14 Mk. Windelband, Prof. Wilh.; Präludien. Aufsätze u. Reden zur läiileitg. in die Philosophie. 3. verm. Aufl. (Vll, 463 S.) 8". Tübingen '07, J. C. B. Mohr. — 7,50, geb. 9 Mk. Wundt, Wilh. : System der Philosophie. 3. umgearb. Aufl. 2 Bde. (XVII, 436 u. VI, 302 S.) gr. 8». Leipzig '07, W. Engelmann. — 14 Mk., geb. in Leinw. 16 Mk., in I Halbfrz.-Bd. 17 Mk. Anregungen und Antworten. Wenn mehrere .\ntragen gestellt w*eri.len, bitten wir diese auf nur einseitig beschriebenem Papier ein- zusenden, da die Beantwortung oft durch verschiedene Herren geschehen und daher das Schriftstück zerschnitten werden muß. — Red. Herrn L. T. in Culm. vorliegenden Bandes. Beantwortung auf p. 20S des Krähe als Feind des Engerlings. — Bei Prof. L. Carl- Dresden lesen wir in ,, Natur und Kultur" (München d. 15. V. 07): Wirksame Unterstützung erfahren wir bei der Vernichtung des Engerlings durch seine natürlichen Feinde, wenn er auch den größten Teil des Jahres für manche von von ihnen unerreichbar ist. Mehrere Käferarten, besonders die Laufkäfer, ferner die Krähen, Raben und Dohlen, die Neuntöter, die Spechte u. a. stellen den Engerlingen nach. Namentlich ist die Krähe in dieser Hinsicht nicht genug zu schätzen; sie wandert in den Gärten, auf den Wiesen und Feldern umher, nach welken Pflanzen spähend. Freudig springt sie nach einer solchen hin und fährt mit ihrem scharf- kantigen Schnabel neben der Pflanze in die Erde , wo der Engerling an der Wurzel nagt. Ohne ihn zu sehen, trifft sie ihn so sicher, daß sie ihn augenblicklich hervorzieht und ver- zehrt. Herrn Th. W. in Trier. — Frage: i) Über die chemische Theorie der Berührungselektrizität von Davy, Berzelius, de la Rive, Faraday und V. Exner. Unterscheiden sich diese fünf in ihren Theorien? Indem sie die unmittelbare Elektrizitäts- erregung zwischen Metallen leugnen, nehmen sie an, daß ein Medium (Feuchtigkeit, verdichtete Gase) die chemische Ein- wirkungherbeiführt. Daß poröse Körper (z. B. Platinschwamm) Gase verdichten, ist bekannt; aber woher entsteht eine Gas- verdichtung oder Feuchtigkcitsschicht bei polierten, sorgfältig gereinigten Metallplatten und läßt sich dies experimentell zeigen ? Es würde dann wohl im luftleeren Raum der Strom gar nicht Zustandekommen? Ferner, muß die Einwirkung der Metalle notwendig eine chemische sein? Erleiden zwei Leiter erster Klasse, die sich ohne jedes Medium (angenommen !) berühren, absolut keine Veränderung? Sind dann auch die Metallstäbe eines Thermoelementes nach längerer Stromabgabe genau so wie vorher? (Ich weiß wohl, daß auch ohne Ver- änderung der Metalle der Thermostrom dem Energieprinzip nicht widerspricht). 2) Welches sind die Vorzüge und Nachteile des von Laland erfundenen „Cupron-Elementes" und gibt es eine ein- fachere Herstellung der dabei verwandten CuO-1'latte? Ich habe schon in manchem größeren Werk vergebens nach die- sem Sekundärelement gesucht. 3) Zum Schluß bitte ich um Angabe eines guten Werkes zum Studium der Analyse (hauptsächlich der (,)ualitativ-A.) etwa im Preise von 5—8 Mk. Th. W., Trier. 512 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 32 Antwort: 1. l'.ci dircktci BciUhriiuj; zwiicr Mclallr kann auch ohne irgend eine eigcntliclie clcUtrolylisclie Wir- kung infolge der Diffusion der Elektronen eine elektromoto- rische Kraft (E. M. K.) zustande kommen, wie 1'. Drude theoretisch bewiesen hat (Ann. Phys. i, 588, 1900). Die E. M. K. derartiger „Elcktronen-Diffusionsketten" dürfte ziemlich gering sein, da sich die Potentialdifferenz einer „Oxydations- elektrode" als unabhängig von dem Material der ,, unangreif- baren" Elektrode erweist; beispielsweise ist die E. M. K. der Kette Zn / ZnSOj — FeClg / Me fast die nämliche, wenn die mit Me bezeichnete Elektrode aus Platin, Palladium, Gold oder dgl. besteht. Das wäre nicht möglich, falls sich zwischen Pl, Pd, Au etc. irgend welche größere Potentialdifterenzen beim blofien Berühren herstellten. Die bei dem Volta'schen Fundamentalversuch gemessene E. M. K. (,,Volta-Efi'ekl") ist wohl zum allergrößten Teil auf wirkliche clektrolytische Vorgänge zurückzuführen, indem sich unter Mitwirkung eines als Elektrolyt fungierenden Mediums von sehr geringer Dicke die sog. Ilelmh ol tz'sche Doppel- schicht ausbildet. Dafür spricht u. a. die von W. Gaede (.Ann. Phys. 14, 641 , 1906) nachgewiesene Polarisierbarkeit des „Volta-Effektes". Das elektrolytische Medium wird bis- weilen aus den an der Oberfläche der Metalle infolge mole- kularer Anziehung adsorbierten Gasschichten bestehen, die sich unter sehr hohen Drucken beffnden und deshalb auch im Vakuum nicht zu beseitigen sind, sehr häufig aber auch aus einer adsorbierten Wasserschicht. E. Warburg und II. Greinach er haben nämlich gezeigt (Ann. Phys. 16, 70S, 1905), daß sehr oft die bei Berührung zweier Metalle sich ausbildende E. M. K. den gleichen Wert hat, welchen man beim Eintauchen der nämlichen Metalle in Wasser erhält, und daß beim Volta-Versuch nach dem Trocknen der die Platten umgebenden Gase (mittels PjO,, bei iSo") die E. M. K. fast Null wird, dagegen nach dem Zutritt feuchter Zimmerluft ihren ursprUngliclien Wert wieder erreicht. Über die Kondensation von Gasen bzw. von Wasser auf metallischen Oberflächen haben E. Warburg und T. I h m o r i (Ann. Phys. 27, 506, 1S86) und J- Giesen (Ann. Phys. 10, 890, 1903) Versuche angestellt. Der Nachweis derartiger .Schichten ist recht schwierig. Es ist wohl über keine wissenschaftliche Krage so lange, so heftig und so erfolglos gestritten worden, wie über die Frage nach dem Sitz und der Ursache der E. M. K. im gal- vanischen Element. Der fast hundertjährige Streit hat eine befriedigende Beendigung durch die N ernst 'sehe Theorie vom ,, elektrolytischen Lösungsdruck" gefunden, die höchst seltsamerweise noch immer in vielen guten Physikbüchern ignoriert wird. Mit jener Frage ist das Problem des Volta- Effektes aufs engste verknüpft — sollte doch Volta's Versuch gerade den Zweifel heben, ob beim galvanischen F'lcment die E. M. K. zwischen den beiden Metallen bzw. diejenige zwi- schen den Metallen und den Flüssigkeiten die Hauptsache ist. Ob der Volta-Effekt nun wirklich restlos auf Grund der Nernst'schen Theorie zu interpretieren ist, oder ob man der „Elektronen - Diffusionskette" eine erhebliche Mitwirkung zuschreiben muß, oder ob noch sonstige, zur Zeit nicht ge- nügend bekannte Vorgänge maßgebend sind , läßt sich nicht mit Sicherheit entscheiden. Ohne Zweifel haben die schönen Versuche von Gaede, War bürg und Greinacher das Problem außerordentlich gefördert; aber es bleibt noch man- ches zu erklären, z. B. die Tatsache, daß die E. M. K. des Volta-Effektes ihren Wert fast unverändert beibehält, wenn das System auf — 180° (in flüssiger Luft) abgekühlt wird. Man weiß zwar, daß der Temperaturkoeffizient der E. M. K. mancher Elemente fast Null ist, und daß man auch bei Ver- wendung fester Elektrolyte erhebliche Werte der E. M. K. beobachten kann — immerhin bleibt jene Erscheinung sehr auffallend. Ob Thermoclemente"'etc. mit der Zeit eine Veränderung ci leiden, i.-,t mir nicht bekannt; eine gewisse Diffusion zwi- schen feiten Metallen ist in einzelnen Fällen von Spring nachgewiesen worden ; für die sehr konstant bleibende E. M. K. der Thermoelemente haben derartige Vorgänge wohl keine Bedeutung. Die elektrolytischen Theorien des Volta-Effektes, die außer von den in der Frage genannten Forschern besonders noch von J. Brown und O. Lodge vertreten worden sind, ent- sprachen dem jeweiligen Stand der elektrochemischen Kennt- nisse; sie müssen jetzt durch die Nernst'schc Aulfassungs- weise ersetzt werden. 2. Das Cupron - Element ist für Laboratorien etc., die keine .Akkumulatoren bzw. nicht die Möglichkeit zu häufiger Ladung derselben haben, eine recht zweckmäßige Stromquelle. Bei sauberem Arbeiten sind wesentliche Nachteile nicht vor- handen. Die Selbstherstellung der Elektroden ist schwierig und nicht empfehlenswert, da die Elemente preiswürdig ge- liefert werden (von Um breit und Matthes in Leipzig). Nähere .Angaben über diese Zelle findet man z. B. in F. Foerster, I'llektrochemie (Leipzig, J. A. Barth, 1905). 3. Für das praktische Studium der Analyse ist recht emp- fehlenswert das Werk von TreadweU (Leipzig, Dcuticke). Bd. I enthält die qualitative Analyse und kostet 8 Mk. Die theoretische Begründung analytischer Methoden hat in muster- gültiger Weise W. Ostwald auf physikochemischer Grund- lage in seiner (bei W. Engelmann, Leipzig, erschienenen) ,, Analytischen Chemie" gegeben. Karl Schaum. Die Seh w a d engr ütz e. — In Sümpfen, auf nassen Wiesen und an Cjräben findet man recht häufig das mit einem liegenden Stengel und einer einseitwendigen Rispe versehene Mannagras (Glyceria fluitans'l, auch flutender Schwaden ge- nannt, in den Sommermonaten l)lühend vor. Vor kaum einem Jahrhundert bedeckte genannte Grasart in Ostpreußen weite Strecken sumpfigen Landes und lieferte in ihren Samenkörnern ein allgemein geschätztes Nahrungsmittel, die ,, Seh Wadengrütze". Deren Gewinnung lag gewöhnlich in den Händen der Bauern- frauen. In der Morgenfrühe eines Junitages, wenn die Sonnen- strahlen sich noch in den hellen Tautropfen spiegelten , ging die ,, Hausmutter" barfuß hinaus auf die zum Hofe gehörenden feuchten Wiesengelände , bewaffnet mit einem feinhaarigen Siebe und einem Getreidesacke. Mit kräftigem Schwünge schlug sie alsdann mit dem Siebrande gegen die Fruchtträger des Grases. Dadurch fielen die reiten , kleinen Kürner aus den Ahrchen heraus in das darunter befindliche Sieb. Vom Taue angefeuchtet, blieben sie haften. Es gehörte je- doch einige Fertigkeit dazu, die Grütze nicht wieder beim zweiten Schöpfwurfe zu verschütten. Manch GroßmUtterchen meiner Heimat rühmt sich noch jetzt dieser ihrer Geschick- lichkeit. Eine geübte ,, Schöpferin" brachte es an einem Mor- gen auf einen Scheffel und darüber. Die so gewonnenen Körnchen wurden in den bercitgehaltenen Sack getan, zu Hause auf der Tenne getrocknet und dann in die Stampfe geschüttet. Diese bestand zumeist aus einem ausgehöhlten Baumstamme. Ihre Gestalt glich dem heute zur Zerkleinerung von Gewürzen dienenden Messingmörser. In der Stampfe wurden die Hülsen der Samenkörner abgestoßen. Die ge- reinigte Schwadengrütze bereitete man mit Milch oder Butter zu. Sie stand als leckeres Mahl bei den Landleuten in gutem Rufe. Auch die Städter wußten die kräftige Kost zu schätzen ; bezahlte man doch z. B. zu Königsberg in der letzten Zeit, als die Schwadengrütze noch käuflich zu haben war, für ein Liter 2 Mk. Durch die fortschreitende Wiesenkultur ist das Mannagras mehr und mehr verdrängt und ausgerottet worden und so mußte auch die Gewinnung der Schwadengrütze vor etwa 30 Jahren in Ostpreußen ihr Ende nehmen. B. Lange. Inhalt: Prof. Dr. G. Lopriore: Die Cauliflorie nach allen und neuen Anschauungen. — Kleinere Mitteilungen: R. Fick: Betrachtungen über die Chromosomen, ihre Individualität, Reduktion und Vererbung. — Internationale Überein- kunft zur Einführung einheitlicher Schädel- und Gehirnmaße bei anthropologischen Messungen. — Prof. Dr. KUken- thal: Die marine Tierwelt des arktischen und antarktischen Gebietes in ihren gegenseitigen Beziehungen. — J. F. Ilayford: Neueste Erdmessungen. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Literatur: Liste. — Anregungen und Antworten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge Tl. Band; der ganien Reihe XXII. Band. Sonntag, den 18. August 1907. Nr. 33. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. Am Ostrande des Parehgebirges entlang zum Kilimandscharo. Eine allgemein naturwissenscbaftlulie Skizze'), mit 12 Vegetationsbildein. (Nachdruckverboten,] y^^ p, Christoph Schröder, Schöneberg - Berlin. Sechzehn Träger, deren fünfzehn dem von H. Stanley als „Coming race" bezeichneten be- deutendsten Bantustamme des mittleren Deutsch- Ostafrika, dem der als Beförderungsmittel viel- gerühmten Wany am wesi („Kinder des Mondes") angehören, der letzte ein Swaheli wie auch die weiteren drei Diener („boys") und der für den nächsten Tag zu erwartende Koch : eine stattliche Begleitmannschaft zu einer entsprechend umfang- reichen Ausrüstung an Zeltgerät, Kleidung, Mund- vorrat, Gerätschaften zum Sammeln wie Erhalten der erwarteten naturwissenschaftlichen Ausbeute, an Waffen, photographischen Apparaten nebst Zu- behör und mancherlei physikalischen Hilfsmitteln, wie es so ein Spaziergang von mehr als 250 km des einfachen Weges durch eine nahrung- und wasserarme, von Gast- und Warenhäusern bisher gemiedene Gegend des tropischen Afrika erfordert. Die bedrohlichen Schwierigkeiten bei derBeschaffung der nötigen Träger infolge des chronischen Ar- beitermangels in der Kolonie, den der langwierige Krieg in den südlicheren Teilen derselben auf ein unerträgliches Maß erhöht hatte, waren glücklich überstanden, Menschen und Gepäck wohlbehalten mit der Usambarabahn nach Mombo, ihrem der- zeitigen Endziele, befördert, mit dem erstmaligen Aufschlagen des Zeltes hat die mit einer F'ülle neuer Eindrücke zaubrisch lockende Reise ihren Anfang genommen. Nach der blendenden Lichtfülle und der sengen- den Glut des Tages winkt das geheimnisvoll düstere Halbdunkel unter dem von Lianen durch- schlungenen Laubdome vielleicht 30 m hoher Baumriesen, mächtiger wie aus zahlreichen Einzel- stämmen zusammengewachsener Ficus-, Parkia-, Pt ery gotastämme, Er(]uickung. Doch die Luft liegt feucht und drückend über dem schwellenden schwarzen Boden, sie ist erfüllt von den Ver- wesungs- und Fäulnisdünsten, die die Regengüsse der letzten Tage aus ihm befreit haben, und vom ') Benutzte Literatur: \. Engler, „Über die Vegetationsformen Ost -Afrikas auf Grund einer Reise durch Usarabara zum Kilimandscharo" (Vortr. 7. III. '02, Berlin), Hans Meyer, „Der Kilimandscharo" (Berlin, 1900); seltener auch C. G. Schillings, „Mit Blitzlicht und Büchse" (Leipzig, '05), Georg Volke ns, ,,Der Kilimandschani" (Berlin '97). 514 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 33 nahen M o m b o fliisse Iier drohen Fiebergespenster. Schwere Wolkenmassen ballen sich zusammen, es währt nicht lange, die Wasser stürzen prasselnd hernieder, als ob der Himmel seine Fluten für immer erschöpfen wolle. Mit dem Umjiacken von Lasten, kleinen Besorgungen und der Annahme des Koches ist es der nächste Nachmittag ge- worden , bevor der Abmarsch zu dem etwa 3 Stunden entfernten Masinde erfolgen kann. Die .Sonne hat längst jede Spur der nächtlich ge- fallenen Regenmassen verwischt, unerbittlich gießt sie ihre Strahlen über das schon wieder dürstende Land. Es ist gemischte Dorn- und Buschsteppe, stellenweise reinere, immergrüne Dornbuschsteppe, die sich auf dem porösen, roterdigen Verwitte- rungsprodukt des Gneises, dem Lateritboden, aus- geprägt hat, welcher den ganzen Weg bis zum Fuße des Kilimandscharo beherrscht. Ganze Be- stände von 4 — 8 m hohen und bis ^^ m Stamm- dicke messenden, succulenten Kandelabereuphor- bien {Euplwrbia nyikac u. ReinJiardti) begleiten den VVeg, neben ihnen die baumförmige Euplior- hia //;-//("(?/// mit fingerdickem, langgliedrigen, besen- artig dicht stehenden Gezweig, Erscheinungen wie aus einer fernen Jugendzeit der Erde, ihrer Triasperiode. An besonders trockenen Stellen stehen Tausende stammloser, gefleckt blättriger Aloe. Noch vereinzelte dichte Sansevierengruppen, wegen ihrer wertvollen Faser bedeutungsvoll, er- höhen das Fremdartige der Vegetation : Sanseviera cylindrica, in ganz ebenem Gelände, für diese Steppenstrecke von mir nicht vermerkt, die aus unterirdischem Wurzelstock einzeln in handbreiten Abständen grüne, glatte, stielrunde, mehr als i ^2 i" lange und unten faustdicke „Blätter" mit harter scharfer Spitze hervorstarren läßt; Sans. Ehren- l'ergii, fast gleich hoch mit Iris ähnlich zweizeiligen, unten scheidig umfassenden flachen Blättern und langer stechender Spitze, Sans. Volkensii, unschein- barer, in Form kniehoher fast zylindrischer Blätter. Den Eindruck des Tropischen erwecken nament- lich zerstreut stehende, meist buschförmig niedrige Palmen, Hyphacna coriacea\ auch i — i'., m hohe Kakteen ähnliche Euphorbien mit vierkantigem, wenig verzweigten Stengel, die meist am Grunde der Euph. -Bäume wachsen. Schlingi)flanzen, be- sonders Cissusarten [cactiforinis, die kleinen Blätter abwerfende Rebe mit starkem, vierkantigen Stengel; rotundifolia, mit dick fleischigen Blättern an her- unterhangenden Zweigen), umfassen und durch- ziehen die Bäume allerseits, am auffallendsten hier und da (später häufiger) ein dichtes Gewirr von 3 — 4 cm langen, bleistiftdicken und plötzlich zu- gespitzten, rechtwinklig aus grauen Zweigen her- vorkommenden Dornen, die aus einem bis i m im Durchmesser fassenden, rundlichen, graugrünen, steinähnlichen und mit zahlreichen kurzen Stacheln bedeckten Stamme sprossen und bisweilen bis in die Kronen der Euphorbien hinaufsteigen; sie ge- hören der den Passifloren entfernt verwandten Adenia globosa an, die unscheinbare grüne Blüten besitzt und deren junge Schößlinge noch bald ab- fallende Blattanlagen zeigen. Hoch hinauf klimmt auch die blattlose Asclepiadacee Sarcostemiiia viiiiiiialis mit langen dünnen zylindrischen Asten und ir Scheindolden stehenden wachsgelben Blüten. Inmitten dieser „immergrünen" Vegetation mit häufig graugrünen, assimilierenden Stengeln und ausdauernden Blättern treten verstreut Bestände der laubwerfenden Dornbuschsteppe auf, die in typischerer Ausbildung noch wiederholt den Weg bezeichnen wird. Gras deckt nur recht dürftig in einzelnen Buken den Boden, und Sträucher finden sich nur spärlich. Dagegen nehmen einzeln, aber allerorten emporragende Bäume noch lebhaften Anteil an dem Vegetationsbild: namentlich statt- liche Acncia albida mit rissiger Rinde und breiter, leicht gewölbter Krone, auch starke, weitkronige Kigc/ia fiinnata , Sterculien u. a. Nur dort, wo von den Usambar abergen etwas Wasser her- niederfließt, sieht man freundlicheres Grün mit Mais- und Hirsefeldern von Wasagua und W a s c h a m b ä a, und wo sich das Wasser in flacher Mulde fängt, unterbricht die Steppenflora hoher Schilfwuchs, Panicum und Scirpu sbulte, von dem zur Trockenzeit nur ein verdorrtes Blätterwerk auf trockner, schwarzgrauer, von unzähligen tiefen Rissen und Sprüngen durchzogener Schlammasse übrig bleibt, aus der übelriechende Miasmen em- porsteigen. Wenn dann das Auge sich frei macht von dem fremdartigen, durch die Anpassungserscheinungen an die anhaltende Trockenheit merkwürdigen Pflanzenbilde, sieht es sich zur Rechten durch die Südwestfront der malerisch schönen, wechselvollen gneisischen U s am bara berge von neuem ge- fesselt, die den Wanderer im flutenden Lichtmeer der Tropensonne in nächster Nähe zu grüßen scheinen. Flache, langauslaufende Schuttkegel führen hinauf zu in horizontalen Linien aufgebauten, 3 oder 4 stufigen nackten Steilwänden, deren dunkehvaldigen Oberrand gleich mächtigen Warten gigantische, durch PLrosion ausgeschnittene und durch Denudation gerundete Felskuppen gebietend (bis an 2000 m Höhe) überragen. In den Ero- sionsrissen und auf den Stufenabsätzen herrscht kräftiger Waldwuchs, unterbrochen von den hell- grünen Bananenfeldern und den wie den Felsen angeklebt erscheinenden Hüttengruppen der Wasch ambäa. Nirgends eine stärkere vertikale Gliederung, nur bei Mombo und Masinde tiefere Bachtäler, sonst nur unscheinbare Rinnsale: der Typus eines Schollengebirges, das fast nach allen Seiten auf tektonischen Bruchlinien zum Panganital in Staffeln abfällt. Der Ort Masinde liegt auf halber Höhe eines der größten dieser Schuttkegel angesichts einer kesselartigen Schlucht, in welche die 6- und mehr staft'ligen Berge machtvoll mit jähen Steil- wänden herabstarren, ein einfaches Motiv, doch von gewaltiger Wirkung. Schon erheben sich mit dem Anstieg die bis an die Spitze bewaldeten, von Osten her sanfter ansteigenden Mafi- und N. F. VI. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. SIS Euphorbien-Bestand in Dorubuschslcppe nahe Kumbara, 7- '• 06. Ngaiberge zur Linken in voller Höhe aus der Nashornvogels {Bycttßiislcs cyistatiis)\ das bellende Ebene, ein Strich lebensfreudigen Grüns inmitten Blöken des Lärmvogels {Chizaerhis Icucogastra) der schwermütigen Steppenfarben zu ihren Füßen, unterbricht jäh die Ruhe des nahenden Morgens, das Papyrusdickicht des Mkomasi, und der „Nataka dawa, bana mkubwa", diese Bitte um Lagerplatz ist alsbald erreicht, umgeben von IVIedizin erscholl mir bereits mehrstimmig ent- riesigen abgestürzten Gneisblöcken unter weithin schützendem Laub- dache. Die Dämmerung senkte bereits ihre Schleier, als das Zelt aufgeschlagen war, die untertänige Begrüßung durch den „jumben" (Ortsvorsteher) und sein lärmen- des Gefolge, eine regelmäßig im Verlaufe der Reise wiederkehrende Aufmerksamkeit, die ich wohl mehr dem Goüvernementszelte als mei- ner Rasse und Nation verdankte, war allseitig befriedigend verlaufen, die tägliche Löhnung („poscho") gezahlt und die Mahlzeit ge- nossen, ein kühlender Fallwind begann von den Bergen zu wehen und in die abendliche Stille hin- aus flackerten die Feuer. Eine Welt von neuen Ein- drücken hatte der Tag gebracht: von eigenartigem Reize eine fremde Pflanzenwelt, fremd auch die Er- scheinungen der Tierwelt, das Ge- leite einer großartigen Gebirgs- natur, im Lichtmeer der Tropen- sonne, auf dem Marsche begleitet von in allem fernstehenden Men- schen, die Kräfte des Körpers und Geistes auf das äußerste gespannt, um den herandrängenden Auf- gaben gerecht zu werden ; da sinkt man mit einem wohligen Empfinden sondergleichen in den Feldstuhl vor dem Zelte, der Blick verliert sich in die krönen- den Nebel, welche die letzten Strahlen der geschiedenen Sonne purpurn küssen und spielend jagen, die wallenden grauen Schleier senken sich, Nacht ist es. Aber oftmals noch stören ungewohnte Laute den müden Schläfer; in Scharen umsummen Mosquitos die gegen ihre Angriffe geschützte „kitanda", Mäuse (J///.v niiniiiius) haben sich gerade das Mosquito- netz zum Turnplatz erkoren und erfrischen sich an dem noch un- präpariert gebliebenen Teil der Laubwerfende Dornbuschsteppe zwischen Usambara- und Par e h- Gebirge, 8. 1.06 Tagesausbeute, das weinerlich klin- gende Geschrei von Mzk\s,{Galngo ii-assicaudatns) durchdringt von den Baumkronen gegen, als ich kaum aus dem Zelte herausgetreten her in F"rage und Antwort die nächtliche Stille, war. Meine Kuren mit Rizinusöl, Dower'schen vereinzelt schallt aus der Nähe Hyänenschrei, das Pillen, Opium und Kampfertropfen, Salep, Aloe, gelle Gelächter eines Spotthopfes [Irrisor seiiega- Augensalbe, Verbandszeug u. a., deren Gebrauchs- Iciisis sovialcnsis) oder das lärmende Geklage des anweisung die „Apotheke" enthielt, müssen recht 516 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 33 erfolgreich gewesen sein ; noch desselben Tags wurde ich zu dem sterbenskranken, völlig abge- zehrten Akiden (Dorfschulzen), einem Inder, ge- beten, der erst 6 Wochen später, am Tage vor meiner Rückkehr verschieden war — ich hatte nämlich gefürchtet, er werde die verordneten Kampfertropfen unverdünnt auf einmal nehmen und so sein Ende beschleunigen ! — , und der Zu- lauf in meine ärztliche Behandlung wurde weiter- hin förmlich belästigend, da zu sehr zeitraubend. IMein Vorrat an Rizinusöl war so ziemlich erschöpft, als ich erkannte, daß der Neger das als Schleckerei genießt; da er im Essen ganz Unglaubliches zu leisten vermag und sich zuzeiten buchstäblich bis an den Hals vollpfropft, ziemlich einerlei, was er auch dafür hat, leidet er besonders an Verdauungsstörungen. Sonst scheinen Hauterkran- kungen sehr verbreitet zu sein, die bei der herr- schenden außerordentlichen Unsauberkeit nicht selten entzündlich vereitern. Schwierigeren Fällen begegnete ich, als einer meiner Träger von der gefürchteten, äußerst giftigen PufTbtter [Clotho ariitans) in die Wade gebissen wurde, dem eine extemporierte Behandlung nach Dr. Eisenbart- scher Art (kräftiger Kreuzschnitt durch die Wund- stelle, Karbolwaschung, Petroleumverband) über die üblen Folgen hinweggeholfen haben dürfte, und als mir ein Dorfbewohner Gonjas die Re- paratur seiner von einem Krokodil schwer ver- letzten Hand anvertraute. Übrigens, alle Achtung vor der Schmerzbeherrschung des Negers, keiner von ihnen zuckte mit der Wimper; und dabei ist er ein großes Kind an abergläubischer Furcht- samkeit vor ganz harmlosen Tierchen, z. B. den Chamäleons. Man rechnet auf den Weg M o m b o - M o s c h i , der Militärstation am Kilimandscharo, in der Regel lo Marschtage; meine biologischen Unter- suchungen verlangten gelegentliches Verweilen am gleichen Orte zu Exkursionen in die Umgebung, ich erreichte Moschi erst nach 3 Wochen. So sah mich auch der nächste Abend noch in Ma- sin d e , als Zuschauer einer mir zu Ehren ver- anstalteten „ngoma". Qualmende ( )llampen warfen ihren rötlich flackernden, dürftigen Schein geheim- nisvoll auf den sich langsam im Tanzschritt seit- lich bewegenden Kreis von vielleicht 80 dunkel- farbigen Gestalten, Männern und Weibern im P'estgewande, deren strojihen weise ins Endlose wiederkehrender, melancholisch gleichmäßiger, aber kreischend hoher Sang nur durch den Freuden- schrei „kigelegele" oder das Händeklatschen der Umstehenden übertönt und von dem Lärm zweier mit den Fäusten zwischen den Knieen un- aufhörlich bearbeiteter großer Trommeln durch- dringend begleitet wird. Nur 2 Einzeltänzer, mit h'edern und Fellen am Kopf und um die Lenden phantastisch aufgeputzt, das Gesicht mit weißer und roter Farbe fratzenhaft bemalt, Schellen um die Knöchel befestigt, mit gezücktem, langem Messer, toben in wilden Sprüngen umher, um sich mit Wut drohendem Ausfalle plötzlich gegen den Gast zu wenden, mit dem Messer zu wuchtigem Stoße ausholend, ein Bild wildester Begierden in Haltimg, Bewegung, Zügen, um dann aber im letzten Augenblick wie zu Stein erstarrt völlig bewegungslos zu verharren, den Mund weit auf- gerissen, um in ihm den für dieses Kunststück erwarteten „bakshish" zu empfangen und zu bergen. Aber auch die übrigen Teilnehmer ge- rieten immer mehr in den Bann ihrer Leiden- schaften ; lauter wurden die Trommeln, ohren- betäubender der Sang in gellend hoher Stimm- lage, kreischender die Schreie und immer mehr verrieten die nicht ungraziösen, an Lebhaftigkeit zunehmenden Bewegungen die ganze ungebundene Sinneslust dieser Menschen. Mein Gastgeschenk, I Rupie für „pombe" und die vielen in den Tanz- kreis geworfenen Heller, um deren Besitz stets ein kindisch wüstes Raufen stattfand, mochten das Ihrige hierzu beigetragen haben. Ich verabschiedete mich mit einer Aufmerksamkeit an Kakes, Schoko- lade, Bonbons für seine „Bibi" vom Jumben und dem Dorfe. Noch bis spät nach Mitternacht schallte der Lärm der ngoma in abgerissenen Lauten zu dem dumpfen Taktschlage der Trom- meln durch die Stille der Nacht ins Zelt hinüber, eigenartige Vergleiche weckend mit den dezenteren, aber vielleicht meist weniger anmutvoll in der Bewegung gehaltenen Tanzweisen der Heimat, die höhere Kultur, eine abweichende Sitte, dasselbe in verfeinerter, überzuckerter Form, Gedanken, Erinnerungen, umklungen von heimischen Melodien, die leise hinüberführten ins Reich der Träume. Der Feuerball der aufgehenden Sonne grüßte kaum aus den purpurn übergossenen Wolken der verschleierten Bergeshöhen zum Lagerplatze her- nieder, als der .\usmarsch bereits begann. Ma- sin de war bald den Augen der in die Steppe herniederziehenden Karawane entschwunden. Ma- sin de, vor kaum 20 Jahren unter dem berüch- tigten Häuptling Sembodja ein gefürchteter Ort ; die „Dynastie" der W a k i 1 i n d i ist heute nicht mehr, noch gibt es grüße Häuptlinge, und die kleinen hoch oben in den Bergen halten P'rieden. Die straffe deutsche Herrschaft hat das Land be- ruhigt; man kann heute ohne jede Bewaffnung in Sicherheit wie auf einem (etwas langen) Spazier- gange Moschi erreichen. Allerdings, das Ge- fühl der Sicherheit will, wenigstens zunächst nicht recht, vollkommen werden. Inmitten eines Haufens zusammengewürfelter, mit vor Schmutz starrenden Lumpen dürftig bedeckter, schmierig dunkelglän- zender Gestalten, gegen welche die gleichzeitigen erbitterten Rassenkämpfe noch mißtrauischer ge- macht haben, plagt man sich, zuerst unbedingt erfolglos, den fremdartigen, leidenschaftsvoll er- scheinenden Gesichtsausdruck auf böse Absichten hin zu enträtseln; ich ließ meine lo-schüssige Mauserpistole, meine einzige Wafife, nicht aus der Hand. Aber man muß die Wanyam wesi, diese grof3en Kinder an naiver Gutmütigkeit, heiterem Sinn und unverdrossener Folgsamkeit, bald lieb gewinnen; die schwere Pistole wanderte in die N. F. VI. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. SI7 Hände meines Koches hinter mir, uiui nur einmal habe ich ihrer zur Verteidigung bctlurft, am Abend dieses selben Tages, als mich ein Rudel von etwa 12 Stück der einfarbig schwarz erscheinen- den Wildhundc [l.ycaon /'ittus) in scheuer Haltung gell kläffend auf dem Pfadwege stellte. Meine Begleitung hielt es für geratener, dem Ausgange des Zwischenfalles aus sicherer I'^erne zuzuschauen; und wahrhaftig, die räubernden Köter schlugen sich erst auf etwa 15 Schritt Entfer- nung seitlich in die Büsche bis auf einen , der erst durch eine Kugel zur Ruhe gebracht werden mußte. Es muß ein äußerst fesseln- des Bild sein , diese Wildhunde in langen Sprüngen hinter ihrem in Todesängsten entfliehenden Jagdopfer dahinsausen zu sehen, 2 bis 3 dicht auf den Fersen, die übrigen weiter zurück, um ihm gelegentlich den Weg abzuschnei- den ; selbst die riesige Elenantilope {Oreas /iviugstoni) bewältigen sie, zum Rudel vereint. Etwa 13 Stunden Steppen- marsches bis nach K i h u i r o am Mkumasi, nur einmal und schon 2 Stunden hinter Masinde von einer Wasserstelle, dem armseligen Dorfe M k u m b a r a am gleich- namigen , zur Trockenzeit mehr oder minder versiegenden Bache unterbrochen. Der hierfür mit- geschleppte, blecherne, alte Petro- leumtinn wurde voll des gelblich schmutzigen, dicklich unreinen, riechenden Wassers getan , auch die Träger füllten ihre Flaschen (ausgehöhlte Kürbisse, gelegentlich auch aufgelesene Weinflaschen aus „ulaya") und kauften Mundvorrat : ein Säckchen Mehl , Zuckerrohr, Mais, Maniokknollen, Bananen (diese in Blättern verschnürt), auf einen Stock gespießte, gedörrte Pleischstücke u. a. ; noch einmal schlemmten sie im Viel - Essen und -Trinken, und weiter ging es hinein in die Wärmefülle, Licht- menge, in die unüberschaubare Ferne, den einsamen PVieden der Steppe. Einer hinter dem ande- ren auf dem gewundenen Pfade, die 60- bis yopfündige Last auf dem Kopfe, außerdem mit dem dürf tigsten Kochgeschirr, ihren geringen Habseligkeiten, Mund- undWasservorrat beladen, schreitendieseMen- schen unverdrossen ihres Weges, den sie sich mit Sang und Scherz kürzen; das für eine „shahara" von 10 Rp monatlich und ein „poscho" von 8 Pesa = 12'._, Heller (kaum 17 Pf) täglich. L'nd wie sie sich sehr schnell mit ihrer Last befreunden; man mag ihnen später eine leichtere geben, sie wollen nicht tauschen. Wenigstens solange die Straßen meist nur Pfade und den klimatischen Gefahren Succuleiitensleppe hinler Kihuiro, 10. i. 06. Gemischte Dorn- und Huschsteppe vor Gonja, 11. i. 06. wirklich gewachsene Zugtiere nicht zu haben sind, kann ich mir ein bequemeres Verkehrsmittel nicht denken als diese gutwilligen Wanyamwesi (und Wasukuma). Nach Kinderart konnten sie sich von den P'leischtöpfen Mas indes und später 5i! Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 33 K i s u a n i s nicht sogleich trennen, das eine IVIal un- gestillten 1 lunger, das andere Mal durchlaufene I'üße vorschützend, nach Kinderart ließen sie sich auf dem Rückwege in Kihuiro von dem warmen Lager und aus dem liebreichen h'amilienleben der Hütten erst hervorholen, ehe sie sich zum Nacht- marsche bei IVIondenschein über einen Teil dieser selben Durststrecke, dann aber auch mit frohem Lied verstanden ; ein einziges Mal jedoch habe ich einem von ihnen einen handgreiflichen Denk- zettel geben müssen, als er, von „pombe" völlig betrunken, inmitten einer ngoma mich in im- provisiertem Sang zu verhöhnen suchte. Der Weg führt nordwärts zum Einbruchstale zwischen den Usambara- und Parehbergen, in dessen tiefster Senkung der Mkomasi fließt. Die langgestreckte, stellenweise 2- und 3-fache llügelreihe in diesem Tale bezeichnet die Spitzen und Kämme der in die Grabentiefe versunkenen Schollen, die einst die beiden Forstgebiete ver- banden. Die zunehmende Trockenheit beherrscht das Vegetationsbild. Nach Süden und Norden den trocknen Winden völlig preisgegeben, sieht dieses Gebiet die I'euchtigkeit der Seewinde an den U s a m - bara-, die Regen der Südwestwinde an den Parehbergen niederschlagen; und da die Zeni- thalregen bisweilen ganz aussetzen, muß sich die Flora dieser Regenlosigkeit durch dichte Behaarung und Verkleinerung der Blätter anbec]uemen. Erst von Gonja ab, wo die Usambara berge zu- rückgetreten sind, begegnet man üppigeren Gras- fluren. Die immergrüne Dornbuschsteppe verliert sich stetig mehr; besonders auf weniger kieseligem Boden verdrängt die laubwerfende Dornbusch- steppe sie, die ihr meist kleinblättriges, glänzendes, ledriges Laub fallen läßt und während der kleinen Regenzeit anfangs Oktober Blätter und Blüten entwickelt. Es sind knorrige, krüppelhafte, 2 — 4 m hohe Gehölze einiger Akazien [lucllifera, inasin- deiisis, spiuocarpa^ sjibalatd), von Commiphora- arten mit rissiger grauer Rinde, der eigenartige Pedaliaceenstrauch Scsamothamims F.rlangcri mit großen, weißen, langgespornten Blüten, die Caesal- piniacee Poinciana data mit leuchtend goldgelben, von den Staubfäden weit überragten Blüten, u. a. ; Gehölze, über die vereinzelt stattliche, 8 bis 10 rr) erreichende Akazienbäume, den genannten Arten angehörend, unvermittelt hochstrebend hinaus- schauen. Unter den dauerblättrigen Gehölzen treten Balanitcs aegyptiaca mit unpaarigen Blättern, grünen Blüten und eiförmigen, gelben Steinfrüchten und die graugrüne Salvadora persica hervor. Ganz absonderlich mutet die Gestalt der Pyrenacantlia vialvifolia an, eines Seitenstückes zu der auch hier nicht fehlenden Adenia glohosa , mit einem knolligen, i m Durchmesser haltenden, mehr flach- gedrückten, glatten, hellgrauen Stamm, dessen Scheitel meist einige windende Stengel mit sehr langen Internodien und schwach gelappten Blättern entsprossen. Sansevieren dürfen naturgemäß in dieser Gesellschaft nicht fehlen; auch 1 bis 2 m hohe, strauchige Capparidaccen, Boragineen, u. a., wie ferner von Schlingpflanzen die ungemein zier- liche, dickblättrige Cissns linglcri mit fein ver- teilten, rötlichen Blättern, Cissiis apliyllantlta mit zwar von Blüten besetzten, aber blattlosen Zweigen und die Cucurbitacee Corallocarpiis spiiiosiis mit leuchtend orangefarbenen, eiförmigen, stachlichten Früchten verleihen dem Vegetationsbilde einen weiteren charakteristischen Inhalt. Am Boden finden sich nicht selten dichte Bestände der gelb- blühenden succulenten Portulaccacee Talinuui cajfnnn. Dort, wo jede Bewässerung durch Plußläufe ermangelt, wo nur ganz selten dürftige Nieder- schläge den porösen, bröcklichen Laterit tränken, begegnet man stellenweise, so am Nordfuß der U sambaraberge gegen Kihuiro, einer wahr- haftigen Wüstenform, der Succulentensteppe, die des Graswuchses fast ganz entbehrt, ihn nur in einzelnen Büscheln trägt, welche namentlich starke Büsche von succulenten Asclepiadaceen, die eigen- artige Caralluina codoiioidcs mit 2 bis 3 cm dicken und 30 cm hohen, verzweigten Stengeln und dichten Scheindolden von schwarzvioletten, glockenförmigen, aasartig stinkenden Blüten, wie die Apocynacee Adeniinn somalense mit glocken- förmigen, prächtig karminroten Blüten und von unten an verzweigte, kakteenartige Pluphorbien als Charakterpflanzen führt. Unsagbar trostlos und artenarm aber erscheint hiergegen erst die Vegetation der Salzsteppe vor dem Uferwaldbande des Mkumasi (und späterhin nahe den Uguenobergen): bis 2 m hohe Büsche der Chenopodiacee Siiaeda monoica und reichlich die bläuliche Acanthacee NairacantJiKs scaber; h'lorengebiete, die auf einstigen bedeutenderen Wasserreichtum hinweisen, gleich dem Vorkommen von dichtem Kalk in einer Gneißmulde nordöstlich vom Lassa berge, einer einsam zwischen Usambara und Pareh aufragenden Höhe. Mühelos eilte die Schilderung der Vegetation schon an den Mkumasi voran, nur ein lichter Akazienhain auf völlig überschwemmtem Grunde, das duftige Grün zauberisch durchflutet vom strahlenden, auf den furchig rissigen, ehrwürdig graufarbenen Stämmen in milden Tönen spielenden Lichtmeere das farbenhelle Bild im geheimnisvoll düsteren Wasser wiedergespiegelt, nur ein kurzer, gleichfalls völlig unter Wasser stehender Weg durch Zuckerrohr- und Maisfeldcr hindurch noch, und Kihuiro wäre erreicht. Doch langsam nur. Schritt um Schritt fördert den Wanderer der mühevolle Marsch, und kaum merklich hebt sich ihm die lichtblau getönte Kontur der Pareh- berge am Horizont hervor, ihre Einzelheiten ge- winnen kaum an Klarheit. Die Sonne hat den Zenith bereits durchlaufen; nur 2 mal hat eine kurze Rast unter dem spärlichen Schatten eines gewalten Affenbrotbaumes {.Idansonia digitata, die, überall dort in Trockenland vorkommend, wo Grundwasser in erreichbarer Tiefe steht, hier und da die Landschaft krönen) eine nur zu schnell N. F. VI. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 519 vergangene Kr(|uickuag gewährt. Die Mittags- hitzc wird iincrträglicli ; das I.uftthermometcr zeigt kaum mehr als 29" C, aber die Strahlung vom nackten Boden her erreicht selbst meiir als 50" C, die blendende Lichtfülle, welche die Pflanzenwelt wicderstrahlt, wirkt vollends läii. mend, und die Schleimiiäute von .Augen, Nase, Mund und Lippen werden schmerzhaft trocken. Es geht aber stetig weiter selten von einer knappen Ruhe- pause unterbrochen, den Blick sehn- süchtig auf das weitab verborgene Ziel gerichtet; immer weiter. Der Schritt wird maschinenmäßig, das Auge sieht, das Ohr vernimmt kaum noch etwas, das Denken erscheint in völlige Apathie ge- bannt. Fast interesselos prüft der Blick die Ferne auf das Sichtbarwerden des frisch grünen LTferwaldstreifens, der die Lage und bald die Nähe der erstrebten Lagerstellc bezeichnen würde, fast unbewußt entfährt matt die Frage „Wapi kambi ya safiri", ja nur, um immer wieder die verhaßte Antwort zu erhalten „Badokidogo" oder „quaribu, si mbali"; denn diese Auskunft: „Bald, ein wenig weiter" wird einem 5 bis 6 Stun- den vor dem Ziele so sehr wie ganz nahebei, gleich einem gut- mütigen Trostzuspruche. Der F"uß stolpert ermattet über die Steine, er versinkt in eine der zahlreichen, in den schlammigen, nun rissig festgedörrten Boden tief hinein ge- stampften Elefanten- oder Rhino- zerosspuren ; kein Wettern darüber, es wird alles gleichgültig, Tod wie Leben. Eine Wasserstelle von der kürzlichen Regenzeit her? Gleichmütig geht es hindurch, reicht das lummrige Wasser auch bis an die Hüften, drohen auch unsichtbar in der Tiefe Löcher Verderben. Öder ein Fluß, der von den Bergen in gigantischem Wasserfall herunterkommt und noch jetzt in der Steppe schnellen Laufes dem baldigen Versiegen entgegeneilt ? Mitten hindurch ; warum sollten gerade dort Kro- kodile, diese widerlichen Bestien, sein, warum sollten sie gerade den Weißen zum Fraß begehren, wo sie sich an so vielen „Schwarzen" delek- tieren könnten. Stumpfsinnig, auf die Erde geschaut, ohne aber die kleinen Hemmnisse zu bemerken und zu vermeiden, stolpert der Schritt den Pfad entlang. Mühselig ist eine sanfte Boden- schwelle erstiegen, mühselig als wäre sie ein steiler Grat; die Kräfte drohen endgültig zu ver- sagen. Da öffnet sich plötzlich der .Ausblick auf einen Streifen erfrischenden Grüns inmitten der dürstenden, müden Steppe, auf einen waldähnlichen GebUschgiuppc der laubwcrfenden Dornbuschsteppe hinter Gonja, 12. i. 06. Gemischte Durn- und Buschsteppe hinter Kisuani, 14. i. 06. Bestand mächtiger Bäume in üppigstem Laub- schmucke näher der Bergesbucht. Alle Mattigkeit schwindet wie auf Geheiß. Nur wenn die außer- ordentliche Trockenheit der Luft das Ziel gar zu nahe getäuscht, die Entfernungsschätzung zuerst 520 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 33 einmal gar zu arg hintergangen hat, mag wohl der Gedanke auftauchen, die Stejipe mit allem Zubehör zum Kuckuck, sich selbst aber in den Schoß stiller Häuslichkeit zu wünschen. Doch, das Ziel wird, ist bezwungen. Nur dieses eine Mal wollte es nicht gelingen. Schon steigen zwar die Südostgipfel der Pareh- berge mit ihren dunkel waldigen Hängen, nackten im Abendsonnenlichte duft violett tönigen I'"els- abstürzen und lichtgrünen Hochweiden malerisch seitlich zur Linken auf; aber immer noch ist von dem Mkomasi in der endlos sich dehnenden Steppe auch mit dem Glase nichts zu finden. Die Dämmerung steht bevor, die Trägerkette hat sich in mehr als einstündiger Entfernung auseinander- gezogen, schwere Wolken ballen sich drohend am Himmel zusammen. Das Zelt muß mitten in der Steppenwildnis aufgeschlagen werden, ob des Un- gewohnten mit leichter Beklemmung. Eine ganze Anzahl von Holzhaufen türmen sich in kurzem auf und bald lodern die prasselnden Flammen zum schwarzen Nachthimmel empor, gleichermaßen zum Schutze gegen die Kälte wie gegen die Steppe durchstreifende reißende Tiere. Noch ist das Abendbrot nicht bereitet, kaum das Zelt auf- geschlagen, ein Teil der Lasten erst liegt ge- schützt unter dem Überdache des Zeltes geborgen, da fallen wenige große Regentropfen, und wie auf Zauberwort stürzen die Muten prasselnd her- nieder; der Himmel bildet ein blendendes Flammen- meer, betäubende Donner machen die Erde er- zittern und rollen in gewaltigem Echo zurück von den Bergen. Und dort, wo noch vor kurzem der durstende Wanderer den staubigen, gelblich weißen Quarzitsand müde durchmaß, stürzt jetzt ein schlammiger Gießbach daher, in dem er bis an die Knie versinkt. Das Zelt droht unter der Wucht der Wassermassen von oben und unten zusammenzustürzen ; alle Hände sind vollauf be- schäftigt, es zu stützen und die Lasten zu bergen. Die große Azetylenlaterne leistet vorzügliche Dienste; sie erstrahlt eine Stunde später in die beruhigte, klare, kalte Nacht hinaus über den Schauplatz des stürmischen Kampfes wie die freundliche Sonne nach tosendem Wetter. Nur noch einige Maisfelder trennen die Kara- wane von K i h u i r o , vordem ein Muster ostafri- kanischer Befestigungskunst; schon grüßen laute Zurufe der Träger die erwarteten F'leischtöpfe des Ortes. Auch der Europäer darf auf eine Zugabe zur Konservenkost rechnen. Hühner fehlen kaum irgendwo (je Vi Rp- = V:\ ^^•), allerdings von unglaublicher Dürftigkeit und so ältlicher Jahr- gänge, daß sie die größte Kunst des Koches nie mürbe zu bekommen vermochte. Zu dem aus- gekochten F'leisch dann Reis, dessen Genuß un- gezählte Larven und Raupen erfolgreich streitig zu machen suchten, so daß die frechen Eindring- linge erst mühsam heraussortiert werden mußten, und Currysauce : ein fast tägliches Essen. Auch Eier von winziger Größe sind meist für je i Ps. (etwa 2 Pf.; 64 auf i Rp.) erhältlich, aber, so wie sie geliefert werden, sicher zur Hälfte verdorben. Zur willkommenen Abwechslung bot sich hier auch eine Gelegenheit P'ische zu erstehen (4 St. von gegen 28 cm Länge für Yi Rp-)i allerdings, auch auf diese Delikatesse, in der „Kochkiste" aufbewahrt, machten Ameisen nächtlicherweise einen Massenangriff, und es bedurfte am nächsten Morgen erst der Mithilfe heißen Wassers, um ihnen die Beute für die höchsteigene Person zu ent- reißen. Die größeren Dörfer liefern sogar Milch ; die des dortigen Buckelrindes wird zwar den kleinsten Beitrag stellen, mehr jene der massen- hafter gezüchteten Schafe und Ziegen. Auch die heimische Wasserplantscherei feiert dort Triumphe, wie der unglaubliche Schmutz am Boden der ebenso schmutzigen Schüsseln erwies. Doch immer noch besser, als wenn die Gefäße vordem mit Kuhurin gespült worden wären, wie es die Geschmacksrichtung der Massai verlangt; immer- hin etwas anderes als der gewohnte, aus dem Dreckwasser gebraute Tee. Bananen , roh zu essen, junge Maiskolben, in Wasser geweicht mit etwas Butter am I'^euer leicht zu rösten, vielleicht auch einmal Bohnen, mit Butter zu schmoren, und Zuckerrohr, gegen den Durst zu kauen, in Kisuani sogar zartmilchige Kokosnüsse, das waren so die zu machenden Einkäufe, wenn nicht noch etwas „pombe", gegorener Kokosnuß- oder Zuckerrohrsaft, zum Backen des Brotes erstanden wurde, das übrigens schon am nächsten Tage den härtesten SchüTszwieback zu übertreffen pflegte. Wie eine Oase liegt Kihuiro am Sasse ni, einem Nebenfluß des Mkomasi, in der Steppe, dem Süd-Pareh angeschmiegt. Und ähnlich sichern sich auch die weiter folgenden Dörfer das vom Pareh in mitunter schönen Fällen (Thorton- fall bei Gonja) zu Tal stürzende, in der Steppe zur Trockenzeit schnell versiegende, unentbehrliche Wasser durch ihre Lage im Grunde einer Ge- birgsbucht, inmitten einer üppigen Pflanzenwelt und fruchtbarer, wohlgepflegter F'elder mit Bana- nen-, Mais-, Zuckerrohr- u. a. Anbau : N d u ng u am Gomafluß nahe dem majestätisch aufragenden Gomaberge, das eine reine Succulentensteppe vor Kihuiro trennt und bald darauf Gonja, drei Dörfer am Zusammenfluß dreier Bäche ver- eincr.d, in ungesunder Nähe des Mgandusumpfes, eine riesige Sykomore am Rastplatze; Kwa F'eradji und alsbald Kisuani, eine frühere Mililärstation am Mkongoflüßchen, zu dem ein chausseebreiter Weg mit seitlichen Gräben und eine Akazicnallee führt, mit einer prachtvollen Doppelreihe hoher Kokospalmen; Maji ya yuu jenseits einer flachen, riesigen Mulde schwarzgrauen Bodens (einst ein Süßwassersee nach dem Vor- kommen von Kalken jüngeren Alters) im Steppen- busch, die Wascheguahütten abseits des Rast- platzes am Bergeshang; Mikuyuni und etwas später Mu an am ata in schilfiger Sumpfniederung des Tsc hu n gu 1 i fl üßche ns , ein unvergeß- liches Wegestück dort, wo von einem nie- deren Bergriegel aus der Blick auf die mächtige N. V. VI. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 521 Rasis des seine I lölicn in eine hocligelürmte weiße Cumuluswolke liüllciiden Kilimandscharo fällt, zur Rechten die drei oder vier meridionalen Parallelketten gleichmäßig nebeneinander ver- sunkener Schollen von P a r e h M d i m u mit steilem, westlichen Abbruche, links die hohen Fclsmauern von Pareh Kisungu mit gewaltigen Fels- abstürzen in mannigfacher Gliederung zerbrochener Schollen und zu l'^üßen lange, leicht geböschte Schutthügel, gegen Norden die kahlen Ügueno- horste von mehr als 2100 ni Höhe und wciter- Kleinere Mitteilungen. Der Bifs der Gila-Echse. — Im Widerspruch mit der Ansicht vieler Naturforscher, welche die Giftigkeit der Gila, einer in Mexiko und dem Süd- westen der Vereinigten Staaten lebenden Eidechse bestreiten oder wenigstens stark bezweifeln, schreibt ein aufmerksamer Beobachter aus Arizona, daß iiim zahlreiche Todesfälle bekannt geworden seien, die durch den Biß des Tieres verursacht wurden, und daß dieses von Weißen wie Indianern fast mehr gefürchtet werde, wie die Klapperschlange. Die Gila {I^cloderma suspcctiitii) erreicht erwachsen bis zu 60 cm Länge, ist von sehr plumpem Bau mit dickem, muskulösen Schwanz und, als echter Steppenbewohner, auf sandfarbigem Grunde mit dunkleren Flecken und Ouerbinden gezeichnet. Die Trägheit des Tieres ist nur eine scheinbare; denn gereizt oder auf der Flucht vermag es blitzschnelle Bewegungen und meterweite Sprünge auszuführen, wobei es sich des kräftigen Schwanzes nach Art der Kängurus als Stütze bedient. Der Bericht- erstatter war Augenzeuge, wie eine Gila, die an einer Schnur angebunden war, mit einem Sprunge sich einem Zuschauer, der sich zu nahe heran- gewagt hatte, in die Hand verbiß; der Mann schwebte einige Zeit in großer Gefahr, wurde aber wieder hergestellt. Die Wunden sind ver- hältnismäßig lang und tief, da die Gila nach Art der Bulldoggen sich verbeißt, und, was sie einmal gefaßt hat, nicht mehr loslassen will. Eine andere Gila riß einem Manne, der sie, um sie am Beißen zu verhindern, fest im Genick, dicht hinter dem Kopf gefaßt hielt, mit einem Biß ein Stück seiner dicken Beinkleider heraus, die Ränder des Defektes waren wie mit scharfem Messer ge- schnitten. Da es bis jetzt nicht möglich war, mit Sicher- heit Giftdrüsen oder eigentliche Giftzähne bei dem Tier nachzuweisen, so glaubt der Beobachter, daß es sich bei den betreffenden Vergiftungen um faulige Infektion handelt, hervorgerufen durch die Zersetzung der Naiirung in den Eingeweiden des Tieres; denn die gesättigte Gila pflegt tagelang regungslos im glühenden Sande in der Sonne zu liegen, und was das heißen will, ist verständlich, wenn man bedenkt, daß jene Landstriche mit zu den heißesten der Erde zählen. Das Maul des Tieres ist bei dieser Siesta immer mit einem übel- hin, soweit das Auge sieht, die blautlunslige, flim- mcrndc, öde N yikas t e p pe, im Vortlcrgrund als matt schimmernder Streifen der Djipesee, von den scharf umrissencn Pyramiden der Kersten- hügel bezeichnet, den südlichsten Zeugen der vulkanischen Tätigkeit des Kilimandscharo; Kambi ya Simba, ein kleines Waguenodorf, die Rasthütte, wie vordem, mitten im Sumpf, auf dunklem Alluvialboden, von wo aus der Weg die P a r e h b e r g e bald zurückläßt. (Schluß folgt.) riechenden Schaum bedeckt, und für die geäußerte Ansicht spricht vor allem der bösartige Verlauf derartiger Vergiftungen, der ganz das Bild von Wundinfektionen durch Leichengift darbietet. Das Tier ist außerordentlich zählebig und niemand wagt eine getötete Gila zu berühren, aus Furcht, sie könne wieder erwachen und von neuem beißen. (Scientific American.) Dr. WalthcrChicago. Schläft der Hase mit offenen Augen? — Bei der Erörterung dieser F'ragc (Jahrgang 1906, S. 351) weist Herr Prof. Dr. Friedr. Dahl dar- aufhin, daß die Augenlider des Hasen verhältnis- mäßig klein sind, so daß ein völliger Schluß des Auges erschwert sei, daß der Schlaf des Hasen draußen im P"reien ein sehr leichter ist, und daß bei leichtem Schlafe gelegentlich sogar der Mensch die Augen nicht völlig schließt. Wir seien daher zu der Annahme berechtigt, „daß diejenigen Be- obachter, welche behaupten, den Hasen mit halb- offenen Augen schlafend gesehen zu haben, im Rechte sind". — Obwohl Prof. Dahl mit Recht sagt, daß man von gefangen gehaltenen Tieren nur äußerst vorsichtig Schlüsse auf das Verhalten des Hasen in der freien Natur mit ihren mannig- faltigen Gefahren ziehen dürfe, scheint mir doch folgende Beobachtung von Herrn Dr. ¥,. Schaff, Direktor des Zoologischen Gartens in Hannover, sehr wohl zu Schlußfolgerungen benutzt werden zu dürfen. Dr. Schaff äußert sich folgender- maßen zu der angeschnittenen I'Vage: „Von einigen Fällen, in denen ich im Freien sich drückende und sehr fest liegende Hasen mit offenen Sehern sah, aber ohne daß die Hasen schliefen, will ich absehen. Dagegen habe ich an Hasen, die ich hier in dem von mir geleiteten Zoologischen Garten pflegte, des öfteren fest- stellen können, daß sie gerade so gut ihre Seher schließen, d. h. die Augenlider über den Aug- apfel ziehen können, wie andere Tiere. Wenn Lampe im Herbst oder Winter zur Zeit, wo wenige oder gar keine Besucher im Garten waren, be- haglich in der warmen Mittagssoinic saß, so konnte ich, nachdem ich eine Zeitlang ruhig vor dem Käfiggitter gestanden, häufig bemerken, wie sich die Augenlider des I lasen langsam schlössen, gerade wie bei einem nach Tisch schläfrig werden- den, in bequemer Sofaecke sitzenden Menschen. 52: Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 33 Scliließlicli blieben die anfänglich hier und da halb wieder geöffneten Lider geschlossen, Lampe schlief. Doch war der Schlaf sehr leicht, und jedes mäßige Geräusch genügte, um den Schläfer zu wecken. Ich habe diese Beobachtungen schon vor mehreren Jahren an anderer Stelle veröffent- licht und hierbei hervorgehoben, es wäre a priori höchst unwahrscheinlich, daß ein so empfindliches und andererseits für das Tier so notwendiges Organ wie das Auge während des Schlafes gänz- lich ohne Schutz wäre." (Deutsche Jäger-Zeitung Bd. 44.) — Im gleichen Bande finden sich noch zwei weitere Berichte von Interesse. Der eine stellt fest, daß ein in Gefangenschaft gehaltener Feldhase regelmäßig mit geschlossenen Augen geschlafen habe ; der andere bringt auch noch eine längere Erörterung, die sich mit meinem Standpunkte deckt. Diesem Artikel sei daher folgendes entnommen: „Sein Lieblingsplatz war auf dem Schöße seiner Herrin. Hier kauerte er sich zusammen und ließ sich gern von der weichen Damenhand streicheln. Wie im Wohlbehagen schloß er dann die Seher bis auf einen geringen Spalt, so daß man kaum die Hornhaut durch- schimmern sehen konnte ... Es ist dies ein Be- weis, wenn auch nur an einem Exemplar, daß der Hase die Seher schließen kann, wenn er will ; warum sollte er sie denn nicht schließen, wenn er schläft? Daß aber schon irgendjemand, außer in der Gefangenschaft vielleicht, einen schlafenden Hasen gesehen hat, glaube ich nicht. Bei unserem Lepus timidus ist eben das Gehör so unendlich fein ausgebildet, daß ihm auch im Schlafe nicht das leiseste Geräusch entgeht ; wie sollte sich ihm wohl ein Mensch nähern können, ohne daß er rechtzeitig erwacht ? Wie der Hund vor der Türe seines Herrn das leiseste Geräusch auch im Schlafe hört und sofort durch Knurren oder Bellen kund- gibt, so ist dem Hasen von der weisen Mutter Natur die Fähigkeit gegeben, selbst im Schlafe vermittels seines Gehörs auf seine Sicherheit be- dacht zu sein. Daß er dann doch nicht aufsteht, ja sich im Lager fast treten läßt, wenn auch der Mensch, sein P'eind, schon auf Schrittnähe heran- gekommen ist, rührt aus ganz anderen Gründen her. Der Hase hofft, in seinem Lager nicht ge- sehen zu werden, er drückt sich immer mehr zu- sammen, und weit öffnen sich die Seher in starrer Angst. Sieht er dann aber keine Rettung mehr, so fährt er wie ein geölter Blitz in einer ganz be- stimmten, ich möchte sagen vorher überlegten Richtung heraus." — Ich könnte noch mehr ähn- liche Äußerungen hier anführen. Doch scheinen mir die vorstehenden zu genügen, um den Schluß zu ziehen: auch freilebende Hasen schließen beim Schlafen die Augen, erwachen aber beim ge- ringsten Geräusche ; wenn sie dann vielfach nicht sofort vor dem Feinde die Flucht ergreifen, so liegt das daran, daß sie zu jenen Tieren gehören, die sich in der Gefahr gern bis zum letzten Augen- blicke zu ducken oder zu drücken suchen. Dr. H. Reeker, Münster i. W. Über abnorme Formen von Primula elatior Jacq. — In Nr. 24 der Naturwissenschaftlichen Wochenschrift (vom 16. Juni 1907) geht der Referent der interessanten Arbeit über europäische Myrmekochoren von Rutger Sernander auf die Frage der Abstammung von Primula acaulis Jacc]. ein und spricht des Autors Ansicht dahin aus, daß die genannte Art von einer Mutation von Primula elatior JaC(]. oder einer verwandten Art sich ableite. Im Anschluß hieran dürfte folgende Mitteilung von Interesse sein. Am 27. April 1888 fand ich in Gebüsch am ."Xbhang des Ütlibergs bei Zürich zwei Exemplare von Primula elatior, die folgende Eigentümlich- keiten aufweisen. Der Stengel ist in dem einen F'all nur i cm hoch, in dem anderen 1,7 cm. Die einzelnen Blütenstiele (im ganzen ,,zehn") sind dagegen ver- hältnismäßig lang; zwei erreichen eine Länge von 2 cm, einer sogar die von 2,5 cm. Dabei stehen die Blüten völlig aufrecht; nur eine hängt etwas über. Die Blunienkronen sind so groß, wie bei normalen Exemplaren von P. elatior, die ich in der Gegend von Zürich gesammelt habe. Die Blätter, die bei dem kleineren Exemplar bis 6 cm, bei dem anderen bis 8 cm lang wurden, sind zwar am Grunde plötzlich in den Stiel zu- sammengezogen, letzterer ist aber bis unten hin deutlich, teilweise sogar verhältnismäßig breit ge- flügelt. Ähnliches habe ich allerdings auch an typischen Exemplaren von P. elatior in der Ge- gend von Zürich st el len weise wahrgenommen. Im übrigen stimmen die abnormen F"ormen völlig mit normalen überein. Sie sind nur Ab- normitäten. Bastardierung mit P. acaulis ist aus- geschlossen, da die letztere Art nach Gremli dem Kanton Zürich völlig fehlt, und da die Fundstelle weit von menschlichen Behausungen und Gärten ablag. Und doch erinnern die beschriebenen Primeln entschieden etwas an die stengellose Art, besonders an die seltenen Vertreter mit kurzem Stengel und einer Blütendolde. Und wenn Ser- nander's Ansicht richtig ist, könnten die .Stamm- eltern von P. acaulis ähnlich ausgesehen haben, wie die von mir am Utliberg gesammelten ab normen Formen von P. elatior. Dr. A. Schlickum, Köln. Percival Lowell, Mars and its canals. (393 S. mit vielen Figuren. Macniillian & Co., 1907). — Zwölf Jahre sind jetzt verflossen, seit- dem „Mars" von Lowell erschien, worin er zuerst mit seiner Vegetationshypothese hervortrat, um die Veränderlichkeit der Marsfiecke zu erklären. In der Zwischenzeit kam der Planet fünfmal in Erd- nähe und bei jeder Opposition fand Lowell, be- günstigt von der reinen Atmosphäre Arizonas und ausgerüstet mit den reichen instrumentalen Mitteln des Flagstaff-Observatory, neue Bestätigungen seiner Ansichten. Diese Resultate vereinigt geben den Inhalt des vorliegenden Werkes. Da die Ergeb- N. F. VI. Nr. V3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 523 iiissc tlcr ( )ii]>üsitioncn 1S94, 1S9697 und 190001 i,'röL5tciUcils scht)n \crötTcntlicht sind , sollen im folgenden besonders die der beiden letzten, 1903 und 1905, berücksichtigt werden. Aus seinen neuesten Messungen (1905) findet l.owell die Neigung des iVIarsäquators zur Mars- bahn 23" 59' groß. Schiaparelli hatte dafür 24" 52' gefunden. Der Südpolarfleck erreichte 1903 eine enorme Ausdehnung. Seine längsten Ausläufer erstreckten sich bis zu 44" s. Hr., 1905 sogar bis 41" in einer Jahreszeit , der auf der Erde Anfang März ent- spricht. Die Nordkalotte wies nicht annähernd solche Größe auf. Im Maximum reichte sie 1897 bis 55'^ n. Br. (iegen das Ende des Marssommers 1903 erschien überraschend schnell die ganze Gegend zwischen dem Lacus Solls (28 " Breite) und dem Pole mit einem weißen Überzug ver- sehen, der sich mehrere Wochen lang erhielt. Der Ort solcher Ereignisse und die Zeit bis zum Schmelzen des Schnees gestatten einen Schluß zu machen auf die Temperatur der Marsoberfläche, vorausgesetzt, daß die Zusammensetzung jenes ,, Schnees" bekannt ist. Feste Kohlensäure, wie manche Forscher vermuteten, kann es nicht sein; dem widersprechen die Beobachtungen. Wenn nämlich die Polarflecke abschmelzen , so zeigen sie sich von einem dunklen Ringe umgeben, dessen Eigenschaften verraten, daß wir es mit einer Flüssig- keit zu tun haben. Feste Kohlensäure geht aber beim Schmelzen gleich in den gasförmigen Zustand über, kann also hier nicht in Betracht kommen. Daraus schließt Lowell , daß wir es höchstwahr- scheinlich mit Wasser und Eis zu tun haben. Ist dies der I'^all, dann herrscht auf dem größten Teil der Marsoberfläche eine Temperatur, die nur wenig über o" liegt. Ist Wasser und daher auch Wasser- dam.pf auf Mars vorhanden, so folgt aus der kine- tischen (iastheorie, daß es dort auch Sauerstoff und Stickstoff als freie Elemente in der Atmo- sphäre geben kann. An dem Nordpolarfleck hat Lowell 1903 eine bedeutsame Beobachtung gemacht, die er 1905 wiederholen konnte. Beim Abschmelzen bildeten sich rings um den Fleck ausgedehnte grauweiße Nebel, die bis zum Sommersolstitium andauerten und sich dann allmählich auflösten. Ähnliches wurde bei dem Südfleck vergeblich gesucht. Lowell erklärt dies damit, daß das Schmelzwasser der ganz von Kontinenten umgebenen Nordpolarkalotte nicht genügenden Abfluß hat und bei der starken Verdunstung sich bald Nebel bilden müssen. Kleine weiße l'lecke von ähnlicher Beschaffen- heit wie die Polkappen wurden 1903 und 1905 mehrfach gesehen. So in Elysium (nur 10" vom Marsäquator entfernt!), Tempe, bei Lacus Phoenix, auf Pons Hectoris usw. 1903 war auch der „Nix Olympica" wieder sichtbar, den Schiaparelli schon 1879 und 18S8 gesehen hat. (Lowell führt irr- tümlich auch noch 1881 an.) Zweifellos sind in dieser Gegend lokale Ursachen vorhanden, welche die Ablagerung von Schnee oder Reif begünstigen. Nur darf man niciu an ausgedehnte Gebirge und hohe Plateaus denken, denn es ist nicht wahr- scheinlich, daß auf Mars große (icbirge von mehr als 1000 m Höhe existieren. Lowell hat in allen fünf letzten Oi^positionen die Lichtgrenze und den Rand der Marsscheibe mit den stärksten zulässigen Vergrößerungen des 24 ZöUcrs der Flagstaffstern- warte nach Hervorragungen abgesucht, wie sie Gebirge erzeugen müßten. Er glaubt, daß ihm dabei Erhebungen von über 2500 Fuß kaum ent- gangen wären. Wenn an der Lichtgrenze helle Hervorragungen erschienen, so haben sie sich als außerordentlich hoch — bis zu 16 engl. Meilen — und von wolkigem Charakter erwiesen, da sie ihren Ort von Tag zu Tag \eränderten und sich bald auflösten. In seinen Messungen findet Lowell systemati- sche Unterschiede zwischen dem A(|uatorial- und dem Polardurchmesser. Er ist geneigt diese darauf zurückzuführen, daß unbewußt ein Dämmerungs- bogen mitgemessen wurde, der die Größe der Phase natürlich beeinflussen muß. Ist diese Er- klärung richtig, so folgt eine Dichte der Mars- atmosphäre an der Oberfläche entsprechend einem Druck von 120 mm Quecksilberhöhe. Daß die hellen, gelben Flecke der Marsscheibe „Kontinente" darstellen , wird gegenwärtig wohl von keinem Astronomen mehr bezweifelt. Auf Grund seiner Untersuchungen über die Farbe irdi- scher Wüsten schließt Lowoll, daß jene , .Konti- nente" große Wüsten sind. Die ganz dunkeln F'lecke hält er für Wasserflächen. Die übrigen Flecke von einem meist grünlich-blauen Farben- ton, sonst für seichte Meere gehalten , erklärt er als Vegetationsgebiete. Daß es sich bei den letzteren nicht um Meere handelt , leitet er aus dem Fehlen einer Reflexion des Sonnenbildes, aus ihren Veränderungen mit der Jahreszeit (Schia- parelli) und last not least aus dem Vorkommen von Kanälen in diesen dunkeln Gebieten her. Um dem Leser ein Beispiel für die Veränderungen mit der Jahreszeit zu geben, sei hier das Verhalten des Marc Erythraeum angeführt, das Lowell mit farbigen Marsskizzen erläutert. Opposition 1903: bis zum 16. Dezember (im Marsdatuni) ist das Mare grün. Am 16. Januar aber schokoladenbraun, bleibt so bis zum 22. Februar, wo der erste grün- blaue Schimmer wieder erscheint, der allmählich immer stärker wird. Opposition 1905: die Farbe ist grün bis zum 16. Januar, dann braun bis Ende Februar, am 23. März wieder blaugrün und bleibt nun so. Zweifellos ein enger Zusammenhang der Farbe mit der Jahreszeit. Ähnlich verhält sich das Mare Acidalium. Zu bemerken ist, daß sich die nördlichen und südlichen Teile eines „Meeres" in der Dauer der braunen Farbe verschieden ver- halten. Hier hat wohl die Vegetationshypothese den Vorzug vor der Ansicht Schiaparcllis, Perro- tins u. a., wonach diese jährlichen Variationen durch Überschwemmungen und Wiederauftrocknen großer Gebiete erklärt werden. Im nächsten Hauptteil behandelt Lowell die 524 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 33 Kanäle. Auf Grund seiner Versuche über die Sichtbarkeit dünner Drähte in großen Entfernun- gen schätzt er die Breite der schwächsten Kanäle auf 2 engl. Meilen, die der größeren auf 1 5 bis 20. Eingehende Experimente zeigen , daß die Kanäle und ihre Verdopplungen weder durch Illusion, noch durch ungenaue Einstellung der Augenlinse, noch durch Interferenz entstehen, sondern dem Marsglobus angehören müssen. Über die Beweise muß auf das Original verwiesen werden. Das nächste Kapitel behandelt die Photographie der Kanäle. Trotz der negativen Versuche Gould's (1S77), Cmomon's (1879) und Pickering's (1890) stellte Lowell umfassende Vorarbeiten schon seit Jahren an. Indem das Uhrwerk des Fernrohrs dei- Marsbewcgung angepaßt, die Brennweite des 24-zölligen Objektivs durch Einschaltlinsen auf 143 Fuß verlängert, die günstigsten Farbenfilter und Expusitionszeiten bestimmt wurden, gelang es im Mai 1905 Lowell's Assistenten Lampland, alle hellen und dunklen Flecke der Marskugel, Kanäle (38 an der Zahl) und Seen mit ungeahnter Schärfe zu photographieren. Über 700 gute Bil- der wurden erlangt. Beachtet man, daß die Mars- scheibe damals nur 1 7" groß war (d. i. \ , o^ des Mond- durchmessers) , die Breite der Kanäle gar nur wenige Hundertstel einer Bogensekunde, so kann man die Leistungsfähigkeit des 24-zölligen Objek- tivs ermesssen. Ein Kanal (Nilokeras) hat sich als doppelt abgebildet. Auf die Fülle der Be- obachtungen Lowell's betr. Verdopplungen, Sicht- barkeitsverhältnisse, Veränderungen mit den Jahres- zeiten (p. 174 — 333) kann hier nicht eingegangen werden. Nur so viel sei erwähnt, daß 1903 und 1905 jedesmal mehr als 100 Kanäle beobachtet wurden, darunter 37 bzw. 31 doppelt. Im letzten Teil behandelt Lowell seine bekannte Marshypothese. Der Planet ist -:;in relativ alter Körper, ohne Gebirge, ohne große Meere, zu ''/;. mit Wüsten bedeckt. Bedingungen für animali- sches Leben sind vorhanden. VVeiter kann man nichts sagen, ohne zu bloßen Hypothesen seine Zuflucht zu nehmen. Dem durchweg gemeinverständlich geschrie- benen Werke ist eine große Marskarte nach Be- obachtungen 1905 beigegeben, sowie mehrere Tafeln in Buntdruck. Zu wünschen gewesen wäre nur, daß die Marskarten: Lowell 1901, 1S96 und 1894, Schiaparelli 1879, 1881 und 1884 der Deut- lichkeit halber etwas größer hätten dargestellt werden können. R. Sommer. Ein heller Komet ist zur Zeit im Sternbilde der Zwillinge mit dem Opernglas oder auch mit bloßem /Xuge schon zu sehen. Dieser Komet (1907 d) wurde am 13. Juni von Daniel in Prince- ton entdeckt und ist in weit stärkerem Grade, als man nach der Lage seiner Bahn erwarten durfte, bis zu seiner größten Erdnähe (Anfang August, 120 Millonen km) heller geworden. Da der Periheldurchgang (bei 80 Millionen km Sonnen- abstandj erst am 4. September stattfinden wird, so kann im Laufe des August noch eine weitere Steigerung seiner Helligkeit erwartet werden. Wir geben hier einige genauere Positionsangaben nach der von Kritzinger berechneten Ephemeride: Aug. 15, a = 6" 40-", d' = + I7"9' „ 17, 6''57'" -(- i6"56' „ 19, t H" + i6"38'. Die Sichtbarkeit beschränkt sich demnach aller- dings vorläufig auf die Morgenstunden. Kbr. Aus dem wissenschaftlichen Leben. Die astionomisciu- Wissenschaft Init in diesem .Summer zwei sclimerzliclie Verluste erlitten. Am 15. Juni starb Egon von Oppolzer, ordentlicher Professor der Astronomie in Innsbruck. Als Sohn des genialen Theodor von Oppolzer am 13. Okt. 1869 geboren, wurde derselbe schon früh in die astronomische Wissenschaft eingeführt. Während seiner Studien gab er sich mit besonderem Eifer unter Hann's Leitung meteo- rologischen Untersuchungen hin, die er später bei seinen astro- physikalischen, sich namentlich auf die Sonne beziehenden Forschungen in sinnreicher Weise verwertete. Nach einem mehrjährigen .Aufenthalt in München wurde O. 1897 Assistent der Prager Sternwarte und kam 1901 als außerordentlicher Professor der Astronomie nach Innsbruck. Hier wurde er 1906 zum Ordinarius ernannt und errichtete auf eigene Kosten eine schöne Sternwarte, nach deren Vollendung ihn leider allzu früh das Schicksal ereilte. Außer seinen Sonnenfor- schungen seien von den wissenschaftlichen .Arbeiten genannt die Entdeckung der Veränderlichkeit des Eros und eine ge- naue Diskussion der Polhöhenbestimmungen in Prag. Seine Mitarbeit am Winckelmann'schen Handbuch der Physik zeigte ebenso, wie die Herausgabe der Dopplerschen Abhandlungen in Ostwald's Klassikern, daß ihm auch kritische Befähigung eigen war. Am 13. Juli starb Heinrich Kreutz, Professor der .Astronomie in Kiel. Am 28. Sept. 1854 zu Siegen geboren, wurde K. bei seinen in Bonn absolvierten Studien Schüler und Assistent von Schünfeld. 1882 ward er am Recheninstitut zu P.erlin beschäftigt, aber schon im folgenden Jahre durch Krüger zum Observator der Kieler Sternwarte berufen. Die Beziehungen zu Krüger wurden durch die Verheiratung mit dessen Tochter besonders nahe. l888 habilitierte sich Kr. an der Kieler Universität und wurde dann 1891 zum außerordent- lichen Professor der .Astronomie ernannt. Nach Krüger's Tode übernahm er 1897 die Redaktion der „.Astronomischen Nach- richten", bei welcher verantwortungsvollen .Aufgabe er sich bis zum Tode bestens bewährte. Die wissenschaftlichen Ar- beiten von Kreutz erstreckten sich fast ausschließlich auf Kometen, insbesondere haben die .Abhandlungen über das Konietensystem 1S43 1, 1S80I und 1S82 11 als Musterleistungen allgemeine Anerkennung gefunden. Kbr. Wetter-Monatsübersicht. Wegen seiner kühlen, unfreundlichen, überaus nassen Witterung, die eine etwa zweiwöchentliche Verzögerung der Ernte zur Folge haben dürfte, wird der diesjährige Juli allen noch lange in Erinnerung bleiben. Nur in der Provinz Ost- jireußen herrschte zu Beginn des Mon.ats starke Hitze. Zu Königsberg, Osterode und Memel stieg die Temperatur am 2. Juli bis auf 32 " C , während sie gleichzeitig an einzelnen l Irten im westlichen Binnenlande, z. B. in Essen, nicht ein- mal 12" C erreichte. Später wurden in ganz Deutschland nur an wenigen Tagen 25 " C überschritten. In den Nächten zwisclien dem 20. und 24. sank das Thermometer an vielen ( )rtcn bis auf 4 Grad oder noch etwas darunter, im Thü- ringer Wald und oberen Voigtlande traten Nachtfröste — bis zu 2 (Jrad Kälte — auf, die den größten Teil der (Jurken- und Kartotfelcrntc vernichteten. N. F. VI. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 525 Die Durchschnittstempcruturen des Monats lagen östlich der Elbe ungefähr 3 , in Nordwest- und Süddeutschland bei- nahe 4 Grad unter ihren normalen Werten. Zu Berlin z. B. betrug das Tcmperaturmittcl 16,1 °C, während 19,0" für den Julimonat normal sind. Uiescr bedeutende Temperaturmangcl ist innerhalb der letzten 60 Jahre hier nur ein einziges Mal übertreffen worden, nämlich im Juli 1S98, der noch um einen halben Grad kühler als der diesjährige Juli war. Auch die Dauer des Sonnenscheins war überall , besonders im Nord- westen, bedeutend geringer als gewöhnlich. Während des ganzen Juli herrschten in Deutschland mit Wasserdämpfen beladene, oft recht starke westliche Winde vor, unter deren Einflüsse bis zur Mitte des Monats überall, aufier an der Nordsee, sehr reichliche Niederschläge fielen. In seinen ersten Tagen kamen namentlich in der Gegend zwischen der Elbe und unteren Oder heftige Gewitter zum .\usbruch, die an vielen Orten von wolkenbruchartigen Regengüssen begleitet waren. Beispielsweise betrugen die Regenmengen bis zum 3. Juli in der Stadt Berlin 91, zu Brück in der Mark sogar 113 mm und überschritten bereits die Mengen der Niederschläge, die gewöhnlich im ganzen Monat bei uns vorzukommen pflegen. Nach kurzer Pause wiederholten sich die Gewitterregen, wenn auch in etwas ge- ringerer Stärke, im größten Teile West- und Mitteldeutsch- lands und breiteten sich weiter nach Osten aus. Zwischen dem 5. und 7. wurden verschiedene Gegenden der Thüringi- schen Staaten sowie in den Provinzen Sachsen, Branden- burg und Posen auch von schweren Hagelscblägen heim- gcsuclit. Etwa seit dem 10. gingen die Gewitter in lange anhal- tende, heftige Landregen über, von denen zunächst wiederum das Gebiet zwischen der p>lbe und Oder am stärksten be- troffen wurde. Bald jedoch breiteten sich die Unwetter mit stürmischen nordwestlichen Winden über ganz Ost- , Mittel- und Süddeutschland aus und führten besonders in Schlesien und dem Königreich Sachsen verhängnisvolle Überschwem- mungen herbei. Zu Breslau fielen am 13. und 14. Juli ins- gesamt 80 mm Regen; die (Jder stieg bei Ratibor vom 14. bis zum 16. morgens um reichlich 4'/2 Meter. Zwischen dem 16. und 22. Juli lilieben die Nordseeküste und Süddeutscliland von Niederschlägen nahezu verschont. Auch im westlichen und mittleren Binnenlande ließen sie be- trächtlich nach, wogegen sich über Schlesien und l'osen noch mehrmals kräftige Gewitter entluden. Namentlich aber traten jetzt in den Provinzen Ost- und Westpreußen sowie in Hinterpommern sehr starke Gußregen auf, die sich längere Zeit hindurch täglich wiederholten. Z. B. hatte Königsberg i. Fr. am 21. eine Regenhöhe von 44, am 23. von 26 mm, Köslin und Lauenburg i. P. hatten am 25. Juli 51 bis 52 mm Regen. Gegen Ende des Monats wurden die Regenfälle wie- der allgemeiner und nahmen besonders im äußersten Süden Deutschlands an Stärke zu. Die gesamte Niederschlagshöhe des Monats ergab sich für den Durchschnitt aller berichtenden Stationen zu 91^,5 mm, 18 mm höher als im Mittel der früheren Julimonate seit Beginn des vorigen Jahrzehnts. Allein für Nordostdeutschland berechnet, hat die Regenhöhe dieses Juli sogar 136,7, dagegen im Nordwesten nur 56,0 mm betragen. Wie es d.as regnerische Wetter schon vermuten läßt, wurde Europa im vergangenen Monat von einer großen An- zahl barometrischer Depressionen durchzogen. Anfangs traten sie fast ausnahmslos auf dem Atlantischen Ozean auf und zogen in östlicher oder nordöstlicher Richtung weiter, wäh- rend sich gewöhnlich in Südwesteuropa und Ostrußland baro- metrische iMaxima befanden. Seit dem 12. Juli aber drang ein Minimum aus dem Innern Rußlands langsam nach Nord- westen vor; später erschienen neue, zum Teil recht tiefe De- pressionen in Nordrußland , sclilugen nach Süden oder Süd- westen gerichtete Straßen ein und nahmen in ihr Gebiet all- mählich den größten Teil von Mitteleuropa auf. Gleichzeitig verweilte auf dem Atlantischen Ozean längere Zeit ein Baro- metermaximum. Erst als dieses sich mehr und mehr nach Norden verschoben hatte, gelangten neue Depressionen vom (Jzean nach den britischen Inseln liin, von da nach der Nord- see und den skandinavischen Ländern und setzten in ihrer weiten Umgebung die Regenfälle bis zum Schlüsse des Mo- nats fort. Dr. E. Leß. Bücherbesprechungen. Martii Flora Brasiliensis. — Über dieses hervor- ragende Werk macht sein letzter Redakteur, der Geheime Regierungsrat Prof. Dr. I g n. U r b a n , 2. Dir. d. Kgl. bot. Gart. u. Mus. in Berlin-Dahlem, in den Abhandlungen des Botanischen Vereins der Provinz Brandenburg (IL 1907) die folgende Mit- teilung. Am I.April 1906 ist nach 66-jähriger Arbeit ein Werk zum Abschluß gekommen, das durch die Zahl und wissenschaftliche Bedeutung der Mitarbeiter, 526 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 33 seinen Umfang, seine künstlerische Ausstattung und besonders durch den Einfluß , den es auf die syste- matische IJotanik in Deutschland und anderen Län- dern ausübte, den hervorragendsten Platz in der ein- schlagigen Literatur aller Zeiten und Völker einnimmt. Es ist die Flora Brasiliensis, Leipzig und München 1840 — 1906, 40 Bände in Folio. Ohne jede buch- händlerische Reklame nach und nach in 130 Fas- zikeln veröffentlicht, wurde sie nur den engsten Fach- kreisen bekannt. Um so mehr erscheint es geboten, am Schlüsse der gewaltigen Arbeit über Entstehung, Fortführung und Beendigung dieses Denkmals deut- schen Fleißes und internationalen Zusammenarbeitens einen kurzen Bericht zu erstatten. Auf dem Kongresse zu Wien war im Jahre 18 16 eine Heirat zwischen der österreichischen Erzherzogin Leopoldina und dem Kronprinzen, nachmaligem Kaiser Dom Pedro L von Brasilien, verabredet wor- den. Als nun ( )sterreich sich anschickte, im Gefolge der hohen Braut eine naturwissenschaftliche Expedi- tion nach Brasilien auszurüsten , beschloß der König Max Joseph von Bayern nach Übereinkunft mit dem Wiener Hofe, ihr zwei bayerische Naturforscher bei- zugesellen. Die Wahl fiel auf den Akademiker Spix als Zoologen und C. F. Ph. Martins als Botaniker. Während der Jahre 181 7 — 20 erforschten diese den größeren Teil der östlichen Provinzen, drangen dann auf dem Amazonenstrom und seinem nördlichen Zu- flüsse, dem Rio Negro, bis an die peruanischen Grenzen vor und brachten reiche zoologische und botanische Sammlungen und zahlreiche Aufzeichnungen über die Sitten und Gebräuche sowie über die Sprachen der Urbewohner zusammen. Nach seiner Rückkehr widmete sich Martius der Bearbeitung der mitgebrachten Schätze. Groß an Zahl und überaus vielseitig waren seine einschlägigen Schriften, und nicht nur die Naturgeschichte, auch die Geographie, Ethnographie und Linguistik Brasiliens verdanken ihm Bereicherungen. Nachdem er die interessante- sten auf seiner Reise entdeckten Pflanzen in dem dreibändigen \\erke : Nova genera et species planta- rum (1824 — 32) veröffentlicht hatte, plante er die systematische Aufzählung und Beschreibung der ge- samten brasilianischen Pflanzenwelt. Eine mit dem berühmten Wiener Botaniker Endlicher hierüber ge- pflogene Beratung halte zur Folge , daß für jenes Unternehmen das Interesse des Fürsten Metternich und damit die Möglichkeit gewonnen wurde , das Werk nach einem großartigen Maßstabe anzulegen, einem Maßstabe, würdig in der Tat der königlichen Pflanzenwelt, deren Darstellung es gewidmet war, und würdig der hohen Monarchen , unter deren huldvoll zugesagten Auspizien es erscheinen sollte : des Königs Ludwig L von Bayern und des Kaisers Ferdinand I. von Osterreich, denen in der Folge noch der Kaiser von Brasilien, Dom Pedro IL, als tatkräftiger Protektor zur Seite trat. Zur Durchführung des gefaßten Planes aber war sowohl eine längere Zeit als auch das Zu- sammenwirken zahlreicher Kräfte erforderlicli. INIartius hatte sich daher gleich anfangs des Beistandes an- derer bewährter Botaniker versichert, die sich durch Übernahme einzelner Pflanzenfamilien mit ihm in die Arbeit teilten. So entstand die Flora Brasiliensis, ein Werk , das in der botanischen Literatur einzig dasteht, teils weil es ein ungleich größeres Floren- gebiet umfaßt als irgend ein anderes ähnlicher Art, teils weil es sie alle hinsichtlich der Ausführlichkeit und Vollständigkeit der Stofterschöpfung, wie auch an Zahl der beigegebenen Abbildungen übertrifft. Jede hier abgehandelte Pflanzenfamilie ist als eine Mono- gra|)hie zu betrachten, die zunächst die in Brasilien und den angrenzenden Ländern aufgefundenen Ge- wächse aufzählt und genau charakterisiert, dabei aljer zugleich die ganze Familie und das besondere Ver- hältnis ihrer brasilianischen Glieder zu ihr in Betracht zieht und endlich auch ihre geographischen und statistischen Verhältnisse und den Gebrauch ihrer nutzbaren Arten schildert. Eine so vollständige und vielseitige Behandlung der Aufgabe war nur dadurch zu erreichen , daß den einzelnen Mitarbeitern sämt- liches in den großen öff'entlichen und Privatsamm- lungen Europas enthaltene Material sowohl an Pffan- zen als auch an ergänzenden handschriftlichen Notizen, sowie die Zeichnungen , welche die verschiedenen Sammler an Ort und Stelle selbst gemacht, zur Ver- fügung gestellt wurden. So gelang es, daß fast sämt- liche bis dahin in Brasilien beobachteten Pflanzen nach den Originalien und meist nach zahlreichen, in verschiedenen Lokalitäten und Entwicklungsstufen ge- sammelten Exemplaren studiert und beschrieben wer- den konnten ; dadurch wurde es möglich, in der Ab- grenzung und in der Charakterisierung der Arten einen höheren Grad von Sicherheit und Schärfe zu erreichen, als bei den meisten anderen ähnlichen Werken zu finden ist. Die großen Opfer an Zeit und Mühe, welche die Oberleitung des Werkes in Anspruch nahm, gestalteten nicht , daß Martius selbst an der wissenschaftlichen Arbeit in bedeutenderem Maße mitwirkte; nichts- destoweniger hatte er außer zwei Monographien (Ano- naceen und Agaveen) sehr zahlreiche Beiträge ge- liefert durch Einschaltungen über die geographische Verbreitung und die Nutzpflanzen einer jeden Familie, sowie durch eine Reihe landschaftlicher Bilder, be- gleitet von einem beschreibenden Texte zur Erläute- rung der ])flanzengeographischen Regionen und For- mationen Brasiliens. So war das Werk unter seiner Leitung auf die große Zahl von 46 Heften ange- wachsen, welche die Beschreibung von fast 9000 Arten nebst mehr als 1 1 00 Foliotafeln umfassen. Als er im Jahre 1868 starb, hinterließ er die Forlführung einem jungen, tatkräftigen und kenntnisreichen Bota- niker , den er selbst zu diesem Zwecke ausgebildet hatte. A. W. Eichler , damals Dozent der Botanik in IMünchen, später Professor in Graz, Kiel und Berlin, nahm sich der Flora Brasiliensis mit großem Eifer und Erfolge an. Nicht nur zog er zahlreiche Mit- arbeiter heran, sondern förderte das Werk auch durch eigene gediegene Monographien von nicht weniger als 25 Familien. Auch die pekuniären Verhältnisse der Flora Brasiliensis waren damals sehr günstig. In hochherziger Weise bewilligte die brasilianische Regierung unter dem nachhaltigen Einflüsse des Kaisers N. F. VI. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 527 Dom Pedro II. eine jahrliche Subvention vun 20000 Marie, wofür ihr durchschnittlich 70 Bogen Text und 125 Tafeln .-Vbbildungen in 103 Exemplaren zu lie- fern waren. Das für damalige Zeiten recht erhebliche Honorar, das die Mitarbeiter bezogen, setzte manchen jungen Bot.aniker in den Stand, auch ohne eigenes Vermögen die ersten Stufen der akademischen Lauf- bahn zu erklimmen ; denn besoldete Assistentenstellen bei Museen und botanischen Instituten, die jetzt ge- wöhnlich von Privatdozenten bekleidet werden, sind erst in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren ge- schaffen worden, ^^'ährend seiner Berliner Laufbahn hatte Eichler sich als Hilfsarbeiter bei der Redaktion den Verfasser dieses Artikels, damals Kustos des botanischen Gartens, zugesellt ; dieser war der brasi- lianischen Regierung auch als eventueller Nachfolger namhaft gemacht worden. Daß letzteres nur eine Sache der Form war, lag auf der Hand ; denn jeder- mann setzte voraus, daß der noch verhältnismäßig junge Eichler das Werk zu Ende führen würde. Es kam Jedoch anders. Bereits Anfang März 1887 ent- riß die unheilbare Krankheit der Leukämie den streb- samen Forscher im Alter von 47 Jahren der botani- schen Wissenschaft. Bei der Übernahme der Leitung der Flora Brasi- liensis fand ich eine größere Anzahl von noch nicht studierten Familien vor, für welche wegen der Schwierigkeit , an Herbarmaterialien zu wünschens- werten Ergebnissen zu kommen, trotz aller Bemühun- gen bis dahin keine Bearbeiter zu gewinnen gewesen waren. Andererseits waren mehrere große F'amilien, wie die Orchideen, Malvaceen, Bignoniaceen, in der Hand von tüchtigen Spezialisten, die zwar eingehende Vorarbeiten gemacht hatten, sich aber bei ihrem vor- gerückten .Mter nicht entschließen konnten, die Re- sultate ihrer Studien in einer ordnungsgemäßen Dar- stellung und Beschreibung der Gattungen und Arten niederzulegen. Der Herausgeber selbst konnte nur noch einige kleinere Familien übernehmen, da er seit dem Jahre 1884 mit dem verstorbenen Konsul Krug eine planmäßige Erforschung Westindiens und eine floristische Darstellung dieser Inseln in Angriff ge- nommen hatte , die seine freie Zeit fast vollständig ausfüllte. So galt es denn, den Stab der INIitarbeiter ihren besonderen Eigenschaften entsprechend in ge- schickter Weise zu verwenden , aus der Reihe der jungen Botaniker neue Kräfte heranzubilden und vor- sichtig, ohne zu verletzen, die Kontrakte mit jenen älteren, nicht mehr leistungsfähigen Spezialisten zu lösen. .'Ml das gelang zu allseitiger Zufriedenheit, so daß auch die letzten schwierigsten Familien , von denen allein die Orchideen drei starke Foliobände füllen, nach und nach aufgearbeitet wurden. So er- freulich es nun auch war, den Abschluß der Flora Brasiliensis immer näher rücken zu sehen , so wenig befriedigend gestalteten sich nach und nach die pekuniären Verhältnisse. Mit der Entthronung des Kaisers Dom Pedro IL im November 18S9 war dem Werke der einflußreichste Gönner genommen ; die Republik zahlte zwar noch einige Male die Subvention; allein seit 1899 versiegte trotz wiederholter und ein- dringlicher Mahnung diese Quelle. Man war auf die Gelder der Subskribenten und die Reservefonds ange- wiesen ; und als auch diese aufgebraucht waren, steuerten die Martius'sche F'amilie und der Heraus- geber bei, in der Hoffnung, daß die brasilianischen Staaten nach der Vollendung des Werkes ihre Ver- ])flichtungen erfüllen würden, was auch zum größten Teil später geschah. Trotz dieser mißlichen Lage wurde rüstig weitergearbeitet, so daß endlich am i. April 1906 das letzte Heft der Orchideen zugleich mit der von mir verfaßten F-inleitung fertiggestellt und damit das Werk zu Ende geführt werden konnte. Dieser Einleitung, welche wie die ganze Flora in lateinischer Sprache geschrieben ist und für sich allein einen stattlichen Oktavband bilden würde, mögen noch einige Mitteilungen von allgemeinerem Interesse entnommen werden. In ihr finden sich die Lebensbeschreibungen von 137 Botanikern und Rei- senden, die in Brasilien gesammelt haben, nebst ihren ausführlichen Reiserouten, biographische Notizen über die Mitarbeiter nebst Angabe ihrer wichtigsten Werke und der über sie veröffentlichten Biographien , die Aufzählung der einzelnen Hefte in der chronologischen Reihenfolge ihres Erscheinens, das in der Flora Bra- siliensis angewandte System und endlich ein Index der Familien nebst zahlreichen statistischen Notizen. Aus letzteren entnehmen wir, daß auf den 20733 Halbfolioseiten und 381 1 Foliotafeln 2253 Gattungen (darunter 160 hier zum ersten Male beschriebene) und 22767 Arten abgehandelt werden, von welch letzteren 5689 für die Wissenschaft neu waren, 19629 den brasilianischen Staaten, 3138 den Nachbargebieten angehören und 6246 abgebildet wurden. Die arten- reichsten Familien sind die Orchidaceen mit 1455, die Compositen mit 131 2, die Leguminosen mit 1234, die Myrtaceen mit 1067, die Melastomaceen mit 986, die Rubiaceen mit 974, die Euphorbiaceen mit 859, die Gramineen mit 682 Arten. Die 65 Mitarbeiter, von denen nur noch 2 i leben, sind zum größten Teile Deutsche (38) ; außerdem beteiligten sich 7 Öster- reicher , 5 Schweizer , 5 Engländer , 4 Franzosen, 2 Belgier , 2 Dänen , i Holländer , i Ungar. Von diesen lieferte Professor Cogniaux in Belgien den größten Beitrag (Cucurbitaceen , Melastomaceen und Orchidaceen) mit 3105 Halbseiten und 648 Tafeln; ihm folgen Professor Schumann-Berlin mit 1407 Halb- seiten und 228 Tafeln, Professor Joh. Müller aus Aargau mit 1371 Halbseiten und 224 Tafeln usw. Der Ladenpreis des ganzen Werkes beträgt 4372 Mk. (jetzt auf 6000 Mk. erhöht). Trotz dieser bedeuten- den Summe war die Anzahl der Abonnenten nicht gering; denn außer den 103 vertragsmäßig an Brasilien zu liefernden Exemplaren wurden noch 140 in allen Teilen der Welt , meist an Bibliotheken und botani- sche Museen, aber auch an mehrere Privatpersonen abgesetzt; einige Hefte mußten sogar auf photo- graphischem Wege neu hergestellt werden. Wenn in der Flora Brasiliensis die Vegetation fast des ganzen östlich der Anden gelegenen Süd- amerika durch Wort und Bild zur Darstellung ge- langte, und zwar in einer Artenzahl, welche die Europas fast um das Doppelte übertrifft, so beruht darin doch nicht allein die Bedeutung des Werkes 528 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 33 für die botanische Wissenschaft. Sehr viele der Mit- arbeiter hatten ein dauerndes Interesse für die von ihnen behandelten Familien gewonnen und dehnten ihre Studien auch auf die Pflanzen anderer Gegenden der Erde aus, so daß schließlich aus ihren Unter- suchungen erschöpfende Monographien der betreffen- den Pflanzengruppen hervorgingen. Andere wandten ihre Aufmerksamkeit dem morphologischen Bau, wie- der andere den biologischen Eigentümlichkeiten der von ihnen studierten Familie zu und forderten deren Kenntnis auch nach dieser Richtung hin. Die Pflanzen- geographie endlich wurde bei der Verschiedenartig- keit der Regionen Brasiliens durch die genaue Fest- stellung der Arten und ihrer Verbreitung sowohl im einzelnen wie im ganzen bereichert. (x). Literatur. Lafar, Prof. Dr. Frz. : Technische Mykologie. Ein Handbuch der Gärungsphysiologie f. techn. Chemiker, N.ihrungsmiUel- Chemiker, Gärungstechniker, Agrikulturcheniiker, Pharma- zeuten u. Landwirte. 2. Bd.: Eumyceten-Gärungen. 3. Drittel. Mit 19 Abbildgn. im Text. Ked. Sonderabdr. aus L., Hand- buch der techn. Mykologie. (S. 715 — 871, III, S. 93 — 149 u. X S.) Lex. 8". Jena '07, G. Fischer. — 5,50 Mk. Nernst, Prof. Dir. Dr. Walth. : Theoretische Chemie vom Stand- punkte der Avogadroschen Regel u. der Thermodynamik. 5. Aufl. 2. Hälfte. (X\T u. S. 431 — 784 m. 17 Abbildgn.) Lex. 8". Stuttgart '07, F. Enke. — S,6o Mk. (Vollständig: lS,6o; in i Leinw.-Bd. 20 Mk. Anregungen und Antworten. Herrn Dr. F. St. in Luzern. — In dem ,, flexible stone" handelt es sich um den sog. Gelenkquarz, auch Gelenk- sandstein, elastischer Sandstein genannt. Das indische Vorkommen ist weit weniger bekannt als die amerikanischen (Brasilien, Georgia, Süd-Carolina). Der Gelenkiiuarz ist als eine Varietät des Itakolumites aulzufassen; vielfach versteht man auch unter Itakolumit den eigentlichen Gelenkijuarz. Dieser kommt als schmale Einlagerung im eigentlichen (nicht biegsamen) Itakolumit von Minas Geraes (Süd-Brasilien) vor, wo dieses Gestein ganze Berge, u. a. den Itakolumi zusammen- setzt, der dem Gestein den Namen gegeben hat. Der Ita- kolumit besteht aus einem schiefrigen Gemenge von (Juarz- körnern nebst kleinen Feldspatpartikeln, Glimmer-, Talk-, Chlorit-. auch Sericitschüppchen. Die Quarzkörner sind mit- einander innig verzapft und verzahnt, aber nicht verwachsen. Durch die Zersetzung der letztgenannten Mine- ralien zerfällt der Itakolumit nicht wie etwa gewöhnlicher Sandstein bei Schwund des Zements in die einzelnen (Juarz- körner, da ein solcher Zerfall durch die eigenartige Verzah- nung der Quarzkörner verhütet wird ; dagegen nimmt das Gestein durch die Auflockerung nunmehr eine gewisse Bieg- samkeit an, eine Eigentümlichkeit, die das Gestein so bekannt gemacht hat ; eben wegen dieser Verzahnung hat natürlich die Biegsamkeit eine bestimmte Grenze. Geologisch gehört der Itakolumit und damit auch der Gclcnkquarz zu den kristallinen Schiefern ; als Glied dieser Schichtenreihe tritt er an den Punkten auf, wo er vorkommt. Obwolil geologisch von untergeordneter Bedeutung, ist für die amerikanischen Punkte, wo der Itakolumit vorkommt, er von hoher Bedeutung, da er neben anderen Mineralien (Eisen- glanz, Rutil, Arsenikkies, Lazulith u.a.) gediegenes Gold und Diamanten führt ; er ist ein wichtiges Diamantenmuttergestein für Brasilien u. a. Lokalitäten. Nach Weinschenk ist der Itakolumit ein metamorphes Gestein, aber nicht druckmcta- morph, da er von der sog. kataklastischen Struktur gepreßter Sandsteine nichts erkennen läßt. Dr. W. G. Ist die Annahme berechtigt, daß die Nadelwälder, ins- besondere Kielern- und Fichtenwälder, im allgemeinen un- günstiger für die Wasserzufuhr zu den (Quellen sind als die Laubwälder? Dr. A. in Weimar. Das Verhallen der Kiefern- und Fichtenwälder gegenüber der Wasserzufuhr zu den Quellen wird je nach den klimati- schen Verhältnissen der betreffenden Gegend verschieden sein. In Gebieten höheren Niederschlages, insbesondere aber feuch- ter Luft, wie nir sie beispielsweise in vielen Gebirgen, im nordwestdeutschen Flachland in den Heidegebietenbesitzen, ist die Bodenbeschaffenheit in den meisten alten Nadelwaldungen für die Wasserabfuhr in den Untergrund zweifellos ungünstig. Beide genannte Nadelhölzer bilden durch den Nadelschutt eine sich beständig verdickende, saure Humusschicht (Trocken- torf oder Rohhumus) , die mitunter eine Dicke von mehreren Dezimetern erreicht. Auf dieser Schicht siedeln sich nun be- sonders in den Kiefernwäldern, wenig in Fichtenwäldern, Waldmoose an, die sehr häufig ganz dicke Teppiche liilden, oft in Gemeinschaft mit Beerkräutern (Vaccinium myrtillus, V. vitis Idaea etc.). — Ganz anders sind die Bodenverhältnisse in den meisten Laubwaldungen. Das verwesende Laub hinter- läßt meist einen milden Humus, der namentlich durch die Tätigkeit der Regenwürmer und anderer Tiere im Boden locker und porö.s gehalten wird, ein Tierleben , welches den Trockentorfböden ganz oder fast ganz fehlt. Größere Niederschläge werden deshalb natürlich in den Boden des Laubwaldes schneller und besser einsickern, von den Moosen und der Trockentorfdecke der Nadelwälder wird sehr viel zurückgehalten. Sind die Nadelwaldungeii auf ge- neigtem Terrain oder auf welligem hügeligem Boden gewach- sen, so fließt außerordentlich viel Wasser bei starken Nieder- schlägen oder besser bei Niederschlagsperioden seitlich ab und sammelt sich da in den Senken, wo es meist bald zur Moorbildung führt. Daher ist häufig die absolute Quellen- armut und der Moorreichtum in manchen Ileidegegenden zu erklären. p. Graebner. Herrn M. G. in Geisa. — Die von Ihnen eingesandten Konchylien-(Gastropoden-)reste sind Litoriiiella (Hydrubin) acvla Drap, aus den Litorinellenkalken ((Iber-Miocän) des Mainzer Beckens; diese Schnecke ist in diesen Schichten massenhaft vorhanden und ein Leitfossil dieser. Die kleinen Kügelchen sind Oolithkörner. Näheres über die Geologie und Paläonto- logie des Mainzer Beckens erfahren Sie besonders aus folgen- den Werken : 1) Sandberger, F., Die Konchylien des Mainzer Ter- tiärbeckens. Wiesbaden 1863. Mit 35 Tafeln. 2) Lepsius, R. , Das Mainzer Becken geologisch be- schrieben. Darmstadt 1S83. Das letztere Werk enthält eine geologische Karte des Mainzer Beckens, aber nur Aufzählungen der in den einzelnen Schichten vorkommenden Fossilien oline Abbildungen. Dr. W. G. Inhalt: Dr. Christoph Schröder: Am Ostrande des Parehgebirges entlang zum Kilimandscharo. — Kleinere Mit- teilungen: Der Biß der Gila-Echse. — Dr. E. Schaff: Schläft der Hase mit offenen Augen? — Dr. A. S c h 1 i k- kum: Über abnorme Formen von Primula clatior Jacq. — Percival Low eil: Mars and its canals. — ■ Ein heller Komet. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Wetter-Monatsübersicht. — Bücherbesprechungen: Prof. Dr. Ign. Urban: Martii Flora Brasiliensis. — Anregungen und Antworten. — Literatur: Liste. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Gro6-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonife und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neae Folge Tl. Band; der ganien Reihe XXll. Band. Sonntag, den 25. August 1907. Nr. 34. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten , wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate : Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. Am Ostrande des Parehgebirges entlang zum Kilimandscharo. Eine allgemein naturwissenschaftliche Skizze , mit 1 2 Vegetationsbildern. (Nachdruck verboten.] Von Dr. Christoph Schröder, Schöneberg -Berlin. Fünf weitere Tage also zu je 7 bis 10 Stunden angestrengten Marsches. Eine eindrucksvoll in die Stille der Nacht laut tönende Stimme, die ein mächtiges Echo von den Bergen weckt, ruft die Rechtgläubigen zum Gebet, noch bevor die Höhen in sattem leuchtenden Morgenrot erglühen; es ist kurz nach fünf Uhr. Das Tagewerk beginnt. Der Koch, die boys und so allmählich auch die Träger, die da alle im nahen Dorfe den Lüsten des Fleisches gefröhnt haben, stellen sich ein. Das F"rühstück ist zu bereiten, die Sammelgerätschaften erfordern eine Nachprüfung, eine Flasche Tee mit einigen Kakes, etwas irocknem Brot oder Schoko- lade werden in den Rucksack beigepackt, noch vor beendeter Mahlzeit erfolgt der Abbruch des Zeltes und sein Zusammenschnüren in vier Lasten, als letztes die Herrichtung der Kochlast. Es steht alles zum Aufbruch bereit, ein scheidender Blick noch auf die vom Kusse der Morgensonne er- wachenden Berge, auf das in Schweigen liegende Dorf und die vielleicht in mehrtägigem Aufent- halte lieb gewordene Stätte des Lagers: fort geht es. Die Natur wie neu erstanden aus kristallnem Tau, die Luft so rein, der Körper durch die Kühle der Nacht im Schlafe erquickt und frohen Her- (Schluß.) zens die Sonne begrüßt, so marschiert es sich leicht auch über Steppe und Berg in den klaren Morgen dahin. Mag auch die ganze Kleidung bis an die Hüften und höher im tauschweren, hohen Schilfgrase nach kaum 10 Minuten wie aus dem Wasser gezogen sein, der Sonne Gluten werden sie ja in einer weiteren Stunde getrocknet haben. Die Natur erscheint niemals so schön und rein, so lebensvoll in ihrer weltentrückten, erhabenen Stille wie dann; und die Sinne bemächtigen sich ihrer mannigfaltigen Erscheinungen mit wunder- barer Frische. Ein Raubadler {Aqicila rapax) zieht seine Kreise hoch hinauf in den blauen Äther, ein Schreiseeadler {Haliaetus vocifer) verliert sich in weite Fernen zu einem winzigen Punkte, der verwegen räuberische Schmarotzermilan [Afilvits aegyptius) schwebt über der Karawane und gierige Geier sind sein Gefolge, schneeweiße Edelreiher streichen über den Sumpf und Racken [Coracias caztdatus) in schmelzender F"arbenpracht ziehen mit lautem Schreien daher, eine große Trappe i^Otis kori) erhebt sich schwankenden Fluges, mit lautem schnarrenden Gackern fliegt eine Kette Perlhühner [Niimida sp.) auf, um nach wenig hundert Schritten wieder niederzufallen, Flughühner 530 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 34 [PtirocliS s/>.), Frankoline [Francolinus sp.) und Tauben der verschiedensten Arten bringen sich vor dem Sang der Träger schnell in Sicherheit, ein Nashornvogel {Loplwceros crytJirorhynchus) mit gewaltiger, helmförmiger Schnabelkrönung weh- klagt über die Störung seines Friedens, ein paar Hornraben {Bucorax cafer), von häßlichem Äußern wie ihre Aasnahrung, entfliehen krächzend, farben- schillernde grüne Papageien [l^occoccplialus sp.) in Mengen blicken neugierig vom munteren Spiel auf, langschwänzige, Papageien ähnliche Mausvögel {Colins sp.) unterbrechen jäh die Beerensuche, der charakteristische Kurrukurru {Fiiracus liartlaubi) mit grün und dunkelblau getöntem Gefieder zu purpurroten Schwingen schaut stumm hernieder, Honigsauger [Nectarinieii], die Kolibris Afrikas, schwirren Honig saugend vor langröhrigen Blüten; Bartvögel, Spechte, Eisvögel in prachtvoll bunten Farben, Fliegenfänger, Würger, Pirole, Stare und Webervögel, die da oft die Akazien förmlich be- hängen mit ihren kunstvollen Nestern, eine fesselnd mannigfaltige Ornis in Formen und Farben, wo- hin sich das Auge auch wendet. Mit ihr wett- eifert an Schönheit die Zahl der leichten Pluges vorbeigaukelnden Falter, besonders Pieriden, die da an der Blütenmenge ihren reich gedeckten Tisch finden und sich am Naß der von der Regen- zeit noch gebliebenen Tümpel oft zu Scharen ver- eint gütlich tun ; Libellen fliegen Beute erspähend pfeilschnell dahin; Cicaden zirpen im Grase, be- gleitet von schnarrenden Akridiern und quietschen- den Grillen ; Scharen von Dipteren und Hyme- nopteren naschen an den Blumen, erheben sich zu weiterem Fluge auf der Nahrungssuche oder zu kosendem Spiele ; am Boden ziehen Treiberameisen {Anomvia uiolesta) in geschlossenem Zuge ihres Weges; vielgestaltige Coleopteren sitzen an Blüten und Laub oder laufen geschäftig über den Boden. Eine Eidechse huscht blitzschnell über den Weg, ein Erdeichhörnchen {Xerus rntilits) stürzt furcht- sam in sein Schutzloch, ein paar spielender Streifenmäuse {Mus harbarus) jagt erschreckt da- von, dort entflieht vielleicht ein Steppenhase {Lepus oc/iropiis) in wildem Zickzacklaufe, auch wohl eine Zwerggazelle (Ncsotragiis iiioschatus) flüchtigen Laufes, während träge eine der oft handlangen Acliaüna ^^öj'r^/- Schnecken dahin schleicht. Und wie sich der Blick von neuem den Baumkronen zuwendet, sind es Meerkatzen {Cercopitliecus sp.), die dort ihr munteres Wesen treiben ; einige Paviane {Papia ibeanits) schauen gespannt lauernden Auges auf die Karawane herab. In dieser unermeßlichen Öde doch ein wechsel- volles Tierleben. Weiter schweift der Blick, bis er sich verliert in dem unbestimmten Blau der Ferne, dorthin, wo er das Ziel des Tages hinter dem Bergriegel weiß; nicht mit dem Wunsche, es möchte doch schon erreicht sein. So möchte man weiter wan- dern, immer welter, bis ans Ende der Welt, frei im Entschlüsse, unabhängig von Ziel und Weg oder doch nur bestimmt durch die physikalischen Verhältnisse des Landes, unbeengt von einer Kultur nervöser Überspannung, im engsten Zu- sammenleben mit einer unberührten Natur voll ursprünglicher Schönheiten in ausgeglichen har- monischer Wirkung, unter einfachsten Verhält- nissen inmitten großer Menschenkinder. Die tausendfältigen Entbehrungen, die unausgesetzten Mühseligkeiten, die stündlichen Gefahren, sie er- scheinen gering zu achten gegen dieses Empfinden, gegen das Bewußtsein, aus eigener Kraft siegen zu können, ohne des Wohlwollens dieser zu be- dürfen, ohne andere zurückdrängen zu müssen. Das Individuum erlangt sein unterdrücktes Recht der Selbstbestimmung wieder, als könnte es spielen mit dem Schicksalsgetriebe von Himmel und Erde; frei der Mensch in der freien Natur, zu deren friedvoller, feierlicher, ernster Einsamkeit es ihn mit magischen Gewalten zurückdrängt aus dem liebfremden Plasten seines Kulturlebens. So wird ihm der Bergeszug zu einem lieben treuen Begleiter, zu dem er grüßend zurückschaut, dort wo er von ihm scheiden muß. Sechs Tage- märsche führen am Parehgebirge nach Nord- westen entlang, das in seinen höheren Teilen immergrüne Dornsteppe mit reichem Euphorbien- wuchs, nur selten bergwaldähnliche Streifen und offenbar nicht sehr kräftige Weiden auf den Plateaus zeigt. Die besiedelte Zone des fast 2100 m erreichenden Südteiles liegt hinter dem Oberrand der Abhänge, sie ist daher von der Steppe aus nicht zu bemerken; erst nördlich von Gonja unterbrechen lichtgrüne Streifen üppiger Bananen- haine die düstere Tönung der Bergesvegetation. Eine vielfältige Zerklüftung durch Abbrechen der zur Tiefe gesunkenen Schollen in nordöstlichem Schichteneinfall verleiht dem Gebirge hohen land- schaftlichen Reiz. Die Kette des äußeren Pareh wird nach Norden immer niedriger; dahinter aber erscheint oft ein höherer, bewaldeter Kamm. Schon vor Kisuani beginnen zur Rechten dem Pareh parallel die Tussoberge mit nordöst- lichen Seitenkämmen, nur spärlich an den höchsten Kuppen bewaldet; sie mögen noch vor kaum zwei Jahrzehnten bewohnt gewesen sein, bis die zunehmende Dürre den Kulturen ein Ende setzte. Bald hinter Kisuani endet Südpar eh in mäch- tigen Steilfällen, ein niedriger, mit Baumsteppe bestandener Sattel führt westwärts zurPangani- ebene hinab. Nördlich führen die kaum über 1400 m steigenden Höhen von Pareh Kisungu den unübersehbaren Bergeszug fort, und zur Rechten erhebt sich der hohe Wall von Pareh Mdimu; zwischen beiden, dem Mittelpareh, schlängelt sich der Pfad, gelegentlich über ver- bindende Ouerriegel dahin. Bei Muanamata nehmen schon die hohen P'elsmauern von Nord - pareh und weiterhin der Uguenoberge ihren Anfang, um nordwärts zu den Füßen des Kili- mandscharo mit zwei massigen Armen in einem steilwandigen Gebirgskessel zu enden, dessen Ebene, mit Gerollen und Sedimenten be- deckt, einem alten Seeboden angehört, wie auch N. F. VI. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S3I die Niederung am Ostabfall des Uguenoge- birges. So folgt der Wanderer dem Weg weisenden P a r e h bergeszugc , oft hart zu dessen Füßen, über die weit in die Ste|)pc vorspringenden, sanft geböschten Schutthalden durch eine freundlichere, mannigfaltigere Vegetation hindurch, als sie die Steppe zu bieten vermag. Denn nur zu den eigentlichen Regen- zeiten (die große etwa März -April, die kleine November De- zember) empfängt die Steppe mit einiger Sicherheit belebendes, er- quickendes Naß. Sonst erstreckt sich der Regenfall nicht über die Höhe besonders der steilen Außen- wände des Gebirges hinaus, das die Luftfeuchtigkeit verdichtet, während die Öde rings umher unter den sengenden Sonnen- strahlen ertötet liegt. Es ist vielfach gemischte Dorn- und Buschsteppe, der das Auge hier begegnet. In ihr treten ver- einzelt die meisten Gehölze der laubwerfenden, bisweilen ebenfalls .Arten der immergrünen Dorn- steppe auf; daneben auch viele andere Sträucher: dauerblättrige Capparidaceen , an Leguminosen besonders ]\htndiilea suhcrosa mit seidig behaarten Fiederblättchen und Cassia sp., die Euphorbiaceen Flueggca und Bridclia, RIiiis glau- cesccns , zahlreiche Grewien mit schief eiförmigen oder schief läng- lichen, unterseits graugrünen Blät- tern, Combrctum cxalatum, dauer- blättrige Ebenaceen, die Labiate HosUtndia vcrticillata, Rubiaceen, Sapindaceen u. a. Hier und da überragen einzelne Bäume, nament- lich Acacia alhida und Affenbrot- bäume, das Gestrüpp, welches zahl- reiche Schlingpflanzen zu einem undurchdringlichen Dickicht ver- flechten : Pliascolus Schiinpcri, Dolic/ios sp.,YA2iCte:n, die Rham- nacee Helinus mystacimis, Jasmi- num tetteiise, Thunbergia alata mit leuchtend orangefarbenen Blüten, eine Scrophulariacee mit pracht- voll karminroten, großen Blüten, Senecio scandois, mehrere Cucur- bitaceen, u. a. Im Gebüsch wach- sen auch einige Amarantaceen, und Flechten in mehreren Arten auf dem Geäst der Sträucher, bis- weilen auch epiphytischc Orchideen und parasitische Loranthaceen. F"erner finden sich einige charak- teristische Stauden : Vertreter der Araceen -Gattu ngen Anclwmanes und Hydrosme , die Liliacee Gloriosa vircsccns mit langem Stengel und rankenden Blattspitzen, Asparagus raceinosiis und asiaticns mit sehr angenehmem Dufte zur Blütezeit, die Orchidaceen-Gattung Eulopia. In den Lichtungen Sansevieren-Bestand in Dornbuschsteppe nahe Maji ya yuii, 15. i. 06. ^^ 1 ^ M ^ ka ■^>y- Jj^^^^^^^^^^^^^CmQ^^ '*- Ü i-J^ > ■»■■-: ■■'^)V.,- ' .;.. :^ Abbruch des unter einer Akazie neben einem Rasthaus aufgeschlagenen Lagers; Maji y a y uu, 15, 1. 06. herrschen Labiaten : die mehr als mannshohe Lconotis velutina mit prächtig orangefarbenen Blüten, dann Leucas niartinicensis, das oft 3 bis 4 m 532 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 34 hohe, in Gestalt der Blätter sehr an Brennesseln erinnernde Aloschosma polystachyuni und einzelne Plectranthus; öfters auch Solanum sp., zahlreiche Acanthaceen, von Compositen einige Vernonien, auch die Passifloracee . \dcnia keraiiianthus mit kurzem dicken Stamm und aufrechten Asten, die fast kreisförmige, dicht behaarte Blätter und lang krugförmige, gelbe Blüten tragen. Während hier der Graswuchs sehr zurücktritt, hat er anderenorts am Vegetationsbilde lebhaftesten Anteil. So ist es bei den verbreitet anzutreffenden Buschgrassteppen, wo in flachen Niederungen das Wasser nach Regenfällen nicht sofort abläuft. Die vereinzelten Büsche gehören meistens nur der Acacia seyal und Ac. Engler i an, die fast stets am Grunde knollig angeschwollene, von Ameisen bewohnte Stipulardornen tragen. Auf trocknerem, sanft ansteigendem Boden bemerkt man auch ver- einzelte Capparidaceen und andere Sträucher der gemischten Dorn- und Buchsteppe. Ein abweichen- des Bild, doch auf ähnlicher Grundlage gewähren die gleichfalls nicht seltenen Baumgrassteppen, mit nur sehr vereinzelten Bäumen in wenigen Arten, besonders der Acacia suhalata, bis 20 m hoch, der Ac. spirocarpa, bis 25 m hoch, der mit weißen Blüten und eiförmigen Hülsen besetzten Ac. Senegal und mit 3 bis 4 m im Durchmesser starken Affen- brotbäumen, deren fleischiger Stamm mit wenig verholzter Substanz vorzüglich zum Wasser- ansammeln dient und binnen kurzem zur Regen- zeit an den 10 bis 20 m langen Ästen große ge- fingerte Blätter wie bis 1 5 cm Durchmesser haltende Blüten treibt. Von dieser Vegetations- form unterscheidet sich die der grasreichen Obst- gartensteppe, welcher man überall am Bergfuße an Orten mit reichlicher Luftfeuchtigkeit begegnet, durch gedrängteren Baumbestand (wie in einem Obstgarten) und größere Artenzahl. Besonders vorherrschend erscheinen Coinbretii in- ArXcn, aber auch Couuniphora, fast stets die gelbblütige Rubiacee Gardcnia tJiunbergia, Bauliinia rctiatlata mit zweilappigen Blättern, eine in violetten Rispen blühende Bignoniacee Stereospermum integrifoliuin, die Rhamnacee Zisyphus jujuba u. a. Die Gräser und Stauden erreichen durchschnittlich I m Höhe; es sind Arten, die auch sonst in Hochgrassteppen vorkommen, namentlich der Gattungen Andropogon, Triclwlacna, Cliloris, Era- grostis. Unter den Stauden treten Leguminosen und Compositen hervor. Kurz vor der Regenzeit trifft man auch einzelne Liliaceen {Clorophytum) und Amaryllidaceen (Haemanthus) an. Offene (jrassteppen kommen erst auf den Niederungen und flachen Senkungen mit lockerem, feinsandigen Boden hinzu, wie sie der nördlichere Teil des Weges gelegentlich hat. Es sind nament- lich Andropogoneengräser {Andropogon sp. und Tlievieda triandra), welche wechselseitig in größeren Beständen wachsen und mit ihren I bis I '/■_> m hohen Halmbüschcln ein von Ferne dicht erscheinendes Grasfeld bilden, das durch die reichliche Ausbildung grau oder grauviolett ge- färbter Ähren mit rötlichen Brakteen freundlich ausschaut. Die Lücken zwischen ihnen füllen zur Regenzeit andere Gräser {Eragrostis , Alelinis, Setaria, Sporobolus, C/iloris sp.) aus. Inmitten dieser Fläche bemerkt man überall die [trächtige Amaryllidacee Crinutu Kirkii mit 15 cm langen, trichterförmigen, weiß- und rotstreifigen Blüten an ' .j m messenden Stengeln, Tausende der Com- meliacee Anthericopsis sepalosa mit zarten, weiß- oder rosafarbenen Blüten, an anderen Stellen die weithin leuchtenden weißen Blüten von Cldoro- pliytuui tuberosum, auch andere Chlorophytum, Scilla, Ilypoxis villosa u. s. f. Zu Anfang Oktober sind es an dikotylen Pflanzen besonders Acliy- rantlics aspersa, die reichverzweigte sukkulente Portulaccacee Talinum peiens mit violetten Blüten, eine hellstrauchige Cassia, die Gentianacee Enico- sleminaverticillatutn,A\eConvo\\'u\a.cctAstrochlaena inalvacea, Asclepiadaceen u. a. Später treten na- mentlich zahlreiche Leguminosen, Labiaten, Acan- thaceen und Compositen zwischen den Gräsern auf Diese mit Gräsern bestandenen sonnigen Fluren bilden das Weidegebiet des afrikanischen Groß- wildes, das hier auch gelegentlich noch vom Karawanen pfade aus gesichtet werden kann, oder vielleicht infolge der Schongesetze und -Gebiete wieder zu neuem Leben erwacht ; freilich in so dürftigen Zahlen, die in Wahrheit wie eine schwere Anklage gegen die rohe Vernichtung dieser eigen- artigen Tierwelt mit Hilfe der Feuerwaffen klingen. Es wurden je einmal Elefanten und Giraffen zu 3 bis 4, wiederholt Zebras in Rudeln von etwa 20 und zweimal Strauße zu 8 bis 10 Stück, An- tilopenformen nur ganz vereinzelt angetroffen. Von Raubtieren fanden sich öfters Losungen am Wege, die meist als Hyänen, Schakalen oder Wildkatzen angehörend bezeichnet wurden; die Tiere selbst wurden nicht angetroffen. Nur einmal, bei Muanamata um die mitternächtliche Stunde, kündete der Löwe seine Anwesenheit an ; furcht- bar, elementaren Gewalten gleich, Ehrfurcht ge- bietend scholl es hinaus in die einsame Stille der Nacht, dröhnend, dumpf grollend, allmählich ver- löschend, die Stimme des „Königs der Tiere". Riesige F"ährten im festgetrockneten Schlamm- boden wurden wiederholt als solche des Nashorns, „kifaru", genannt, während solche des Flußpferdes, ,,kiboko", am weiterhin erreichten Papyrussumpf besonders zahlreich waren, an dem auch das ge- waltig dumpf rollende Brüllen eines Bullen in den fin- steren dunklen Abend hinaus die Deutung bestätigte. Krokodile sollen dort überall in den Flüssen und Sümpfen ihrer grausigen Mordsucht fröhnen ; man übersieht sie sehr leicht, wie sie regungslos, von der Strömung kaum getrieben, die Schnauze leicht aus dem Wasser gestreckt, selbst schlammfarben, im weihevollen Halbdunkel des Uferwaldes auf ihre Beute lauern. Kaum 14 Tage später, und da, wo vordem eine grünende Flur, geschmückt mit unzählbaren buntfarbenen, leuchtenden Blütensternen, unter- N. F. VI. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. C *> "i brechen von laubfrischeii Büschen, überragt von Schatten spendenden Baumkronen, von VVild- herden belebt, vom Sonnenschein überflutet lag, war alles Leben erstorben, die höhere Tierwell geflüchtet in die freundlicheren Gelände der Ufer- und Schluchtenwälder, da herrsch- ten graugelb und gelblich braun getönt unumschränkt die fahlen P"arben des Todes unter den sengenden Gluten der Sonne. Und gleich einem Wahrzeichen des vergangenen Lebens schlagen am Horizont dichte Rauchwolken gen Himmel, den zur Nachtzeit ein schaurig schönes Flammen- meer blutig rötet. Der Mensch dann ein vereinsamtes Leben in dieser trostlosen Ode, die ihm Zeit läßt, seinen Gedanken über Urgrund und Ziel des Weltcn- werdens und -Vergehens nach- zuhängen. Nichts stört diesen Todes- frieden. In weiter Ferne erst er- scheint als feine grüne Linie der nächste Uferwald. Doch schon bestimmt er das Sinnen, und immer wieder durchmißt das Auge die noch gebliebene Entfernung, wie der Nomade nach der Wasser bergenden Wüstenoase ausblicken mag. Am ü[)pigsten treten diese Galleriewälder am Fuße des Ge- birges auf; hier bergen sie auch einzelne riesige Bäume, die denen der Schluchtenwälder Usambaras nahe kommen: die bis 40 m hohe und 2 m stammstarke Moracee Chloropliora cxcelsa , Ficus syco- niorus u. a. Nicht selten finden sich auch mächtige Angehörige der Mimosengattung Piptadenia, häufig Albizzia Broivnei mit Fie- derblättern und ansehnlichen lila- farbenen Blütenköpfchen, auch die bis 20 m hohe Sorindcia obtusi- folia mit großen, eiförmigen Fieder- blättern, die 20 m erreichende Croton macrostachys mit großen herzförmigen Blättern, Ulmaceen-, Apocynaceen- und Myrtaceen- formen. Unmittelbar am Bachufer begegnet man hochaufsteigenden Lianen: Entadn scandens , die durch strahlend weiße Blüten- stände auffallende LandolpJiia scan- dens, Dioscorea- hr\.er\ und in be- sonders reicher Entwicklung die Passifloracee Ophiocaulon guininifcrinn. Den Boden bedeckt reichliches Unterholz, öfters besonders Ricinus sodann mannigfache Schlingpflanzen und Stauden, unter ihnen schön blühende Acanthaceen, die Zingibaracee Ainomimi mala und der stattliche Piper subpcltatuni. Mit der Entfernung vom Wasser werden die Stauden weniger üppig, das Unterholz lichter. Nach kaum mehr als 10 Minuten sind selbst die bedeutenderen Uferwälder durch- Offene Grassteppe bei Kwasingiwa, 16. I. 06. Hygrophile Vegetation bei Kambi ya simba, 18. I. 06. schritten, nun trifft man noch einige riesige Ta- marinden mit mächtig breiter, gewölbter Krone an und einzelne, oft gleichfalls sehr dickstämmige wie breitkronige Kigelia pinnata mit '/2 '^ langen Trauben großer violetter Blüten oder fußlangen, 534 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 34 lebervvurstförmigen Früchten an i m messenden Stielen. Noch einige Schritte, und es treten statt- liche Exemplare von Acacia alhida auf, denen aber bald 3 bis 4 m hohe Bestände von Albizzia anthchnintica wie Dobera loranthifoUa folgen, welche wieder in die gemischte Dorn- und Busch- steppe hinüberführen. Kambi ya Simba! Vielleicht die ödeste, an- strengendste Strecke stand für den Weitermarsch bevor; bis an die Uguenoberge und weiterhin den Pa[)yrussumpf an ihrem Nordostfuße dürftigste Grassteppe, der auch das Mehr oder Weniger an kümmerlichen Büschen oder Bäumen keine Ab- wechslung verleihen, die nicht einmal die hier und da auftretenden Hypliaena coriacca-YsXvn&Vi freundlicher gestalten konnten. Bisweilen be- herrschte der gclbJichweiße, vom Winde zu welligen Streifen zusammengetriebene Quarzitsand, des Gneises körniges Überbleibsel, vollkommen das Landschaftsbild. Die Hitze wird unerträglich; der Sand erscheint glüiiend heiß, er ist es auch und erzeugt wahrhaftige Brandblasen an den nackten Füßen mehrerer Träger. Immer von neuem kreuzt eine mühsam zu durchschreitende, 3 bis 4 m tiefe Trockenschlucht von den Bergen herab den pfadlosen Weg, mit nur sehr schmalem Uferwaldstreifen , der aus wenig kräftigen Ficus , ^-JiTrtc/rt- Arten , Albizzia Brownei, Syzygiuin guinense, Tenninalia Hildebrandtii u. a. mit teils aber sehr mächtiger Kronenentwicklung, an steinigen Ufern auch aus Kandelaber Euphorbien, Aloe- und Kalanclwc-KxXe.n besteht. Nahe östlich liegt der Djipesee hinter den fast überall un- nahbaren Ufern verborgen, und wo er sichtbar wird, zeigt er sich bleigrau todesfarben inmitten des sonnversengten Gelb und Braun der flimmern- den Steppe, durch die sich von Norden her zu ihm der schmale grüne Waldstreifen des L u m i - flusses von der Oase Taweta her hinzieht. Sobald aber der Regenschatten der U g u e n o - berge erreicht wird , iselebt sich die Vegetation zusehends; sie erreicht eine geradezu typische Üppigkeit, wo der Papyrussumpf, der sich von Ost nach West der Nordspitze des Djipesees anlegt, die Uguenoberge berührt. So hervor- ragend schön eine einzelne dieser bis 4 m hohen Cypenis /rz/jT/M-Pflanzen wirkt, im ganzen Be- stände wird der Eindruck einförmig, gleich einem Kornfelde, wie die andere hygrophile Formation Deutsch -Ostafrikas, die der Schilfdickichte. Aber Phönixpalmen und Crotonbäume mit hohem Schilfrohr Fhragiiiitcs conimunis am Sumpfrande, zwischen denen jene grünende Fläche anmutig hindurchschimmert, und die durch die Sonnen- wärme und Luftfeuchtigkeit zu kraftvollster Ent- faltung gelangenden Gehölze der immergrünen, auch laubwerfenden Dornsteppe mit dichter Boden- decke von Stauden und Kräutern machen diese Strecke vielleicht zu der eindruckreichsten des ganzen Weges. Hier entwickelt sich auch ein reiches Tierleben. Weiße Pelikane (Pclecanus rufescens), Enten [Anas crytliyorhyncha), Höcker- gänse [Sarcidiornis melanotos), Nilgänse {Clicna- lopex aegyptiacus) und Sporngänse {Plectropterus ganibciisis), weißflüglige Seeschwalben [Hydroclicli- don Icncoptera), die vom südlichen Europa her zum Winteraufenthalt kamen, Schlangenhalsvögel {Flotiis Lcvailhvitii), Schnepfen und Rallen zu Tausenden, Kraniche (z. B. Balearica gibberiscps mit einer Krone spiralig gedrehter Borstenfedern auf dem Hinterkopfe, und Marabus), Ibisse (der heilige Ibis acthiopica), Störche, Reiher, Regenpfeiffer, Schatten- vögel iScopus umbrcttä) mit einem Schopf ver- längerter h'edern hinten am Kopfe u. a. ziehen vom und zum brackigen Wasser des Djipesees herüber und hinüber. Auf zwei kurzen Brücken hintereinander wird alsdann nahe der Nordwestspitze Uguenos der rasch strömende Ablauf des Papyrussumpfes, ein Quellfluß des Pangani, überschritten und aus dem tiefen, feuchtschweren Schatten des schmalen Waldstreifens fällt der Blick auf eine von blen- denden Lichtmengen erfüllte, weite, ausgeprägte Dumpalmensteppe; Hyphaena coriacca einzeln und gruppenweise, auf dem feinstaubigen, grauen Boden Buhe von hohem Gras, besonders Chloris iiiyrio- stacliya und Sporoboliis robiistus. Nach dieser Glutstrecke deuchte selbst der dürftige Schatten der weiter zur gemischten Dorn- und Buschsteppe führenden Akazien eine Erquickung; freudiger grün, dichter, höher gestaltet sich die stellenweise heimatlichen Gehölzen ähnelnde Vegetation, bis sie kurz hinter einem über und über mit Kan- delaber-Euphorbien bedeckten Gneishügcl, nahe dem Dorfe Mtochimu in dem mächtigen Ufer- wald des Himo das Ziel des Tages erreicht. F"reilich, das zur Versorgung mit den nötigen Lebensmitteln bestimmte Dorf Mtochimu war nicht mehr, oder es standen doch nur noch die verlassenen Hütten inmitten der verwahrlosten F"elder. Der M p a r e h , der sich der Karawane nach Moschi angeschlossen hatte, behauptete, die Bewohner seien auf Regierungsbefehl an die westlich des Parehgebirges ziehende, neue, etwas kürzere und scheinbar bequemere Straße Mombo-Moschi, welche in die alte wenige Stunden vor Moschi einmündet, exmittiert worden. Dieser östliche Pfad steht, gewiß mit Recht, als äußerst verseucht in schlechtestem Ruf; eine andere Wegführung erwies sich daher als dringend geraten, sie durfte aber nicht durch ein siedlungs- und wasserarmes Gebiet leiten, auch nicht während des größten Teiles des Jahres auf Kilometer weit vom Pangani hoch überschwemmt werden, ganz abgesehen davon, daß die massenhaften Krokodile kaum als angenehme Gesellschafter gelten. So er- scheinen die Zehntausende für die neue Straße nutzlos vergeudet. Allerdings, in Moschi behauptete man, von diesem Auszuge der Bewohner Mt ochi mus selbst überrascht worden zu sein. Wenn der Neger nur nicht so unglaublich faul wäre, und der Hüttenbau bringt Arbeit! Seine gesamte Hauseinrichtung kann er dagegen ohne große Mühe auf dem Kopfe tragen: die „kitanda", seine N. F. VI. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 535 Lagerstätte, ein mit Baststreifen überspannter auf niedrigen Füßen ruiiender, viereckiger Rahmen von Bettgröße, mit Matten belegt, auf der er von dem Hocken im Schatten seines zu einer Art ,,baraza" vorspringenden Hüttendaches oder vom Umherliegen auf dem sonnver- brannten „schauri"-Platze eine Ab- wechslung im Faulenzen findet; wenige tönerne Töpfe , an der Karawanenstraße statt ihrer auch schon öfters emaillierte euro- päische , ein paar Kürbisgefaße, ein Mörser zum Getreidestampfen, Kokosnußsch«"ipfkelle und Holz- löffel, vielleicht noch einzelne aufgesammelte Flaschen oder Blechbüchsen. Seine ganze Aus- stattung an Kleidung und Wäsche aber vermöchte er bequem in ein Taschentuch aus „ulaya" zu knoten und über dem Arm gehängt mit- zutragen. Da am nächsten Mor- gen noch am U g u e n o gebirge Beobachtungen zu wiederholen waren , erhielten die Leute erst am folgenden Abend Essen. Sie suchten sich zum Teil einige küm- merliche Waldbeeren zusammen, die auch durch die liebevolle Zu- bereitung nicht nahrhafter werden konnten und hungerten im übrigen mit viel Würde; satt zu trinken lieferte ihnen ja der Himofluö. Die Nacht ist nach kurzer Dämmerung hereingebrochen, der schmerzend grellen Lichtfülle über der Steppe Waldesschweigen in tiefem Dunkel gefolgt. Leise mur- melt der Fluß von Werden und Vergehen , von seiner Wiege in kalten Höhen am P"uß des K i b o - gipfeis, von seinem Laufe durch den im Behang lang herabwallen- der P'lechten altehrwürdig erschei- nenden, moosbewachsenen Gürtel- wald des Kilimandscharo als munterer Gebirgsbach mit neckischen Sprüngen, wie er durch Menschenhand in zahllose Rinnen verteilt wurde, um die Felder zur Zeit der Dürre zu erquicken, von Freud und Leid , das er hierbei geschaut; er plaudert von seinem mühsamen Weg durch die Steppe im Kampf mit dem durstenden Boden und der Sonne heißen Gluten, siegreich wie mit zaube- rischer Allgewalt Leben erwek- kend und erhaltend , wohin er sich wendet ; er träumt von seinem Niederlaufe, dem Pangani vereint, von seiner Wiederkehr in den Schoß des unermeßlichen Ozeans, von dem als Urgrund er aus dem Eise des Berges geboren, zu dem er zu- rückkehrt in Erfüllung seiner Bestimmung, ein Nichts zu jenem. Durch die Wölbung des Laub- domes hoch oben blickt kein Stern, kaum eines Leuchtkäfers mildes Liebeslicht erstrahlt in diesen ^^^B^HK^iJSSHl^^^^^ll^^^^^ ''^r^ '^I^^H^'^'^^ r" ■ y ■■■"■ . ' 'i^T' ^^B Succulentenvegetation am Nordabhange iles U gu en o - Gebirges, 19. 1. 06. Dunipalmensteppe M loch im u, 19. I. 06. PVieden. Nur die flackernden Lagerfeuer huschen mit magischem Schein über das schattengleiche, niedrige Laub und die körperlos erscheinenden Stammriesen. Stille ringsum, weihevolle Stille, 536 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 34 welche kaum das Knistern und Prasseln der brennenden Scheite zu stören wagt. Die fremd- artigen, dunkelfarbenen Gestalten der Neger lagern, vom Feuer vieltönig übergössen, schweigend, schlafend in Gruppen ; es fällt kein Wort. Und in des H i m o leis rauschenden Fluten spiegelt sich wieder der Flammen seltsames Spiel. Das Ich, so klein in diesem erhabenen Schweigen, so klein und doch die Welt umspannend im Sinnen und Sehnen. Das Flüstern im Laube und das Murmeln des Baches im schimmernden Lichte, es weckt der Heimat teure Bilder, es trägt aus der Ferne der Lieben Grüße. Und über den Ein- samen senkt sich der Schlaf. Kaum merklich steigt der Boden weiterhin gegen den K lim and schar o an. Den braunen, tiefstaubigen Tuffboden durchwindet ein breiter, vielfach stark durchlöcherter Pfad, an zwei fer- neren, gleich charakteristisch geprägten Felshügeln vorbei, den Spitzen der in die Kilimandscharo- Niederung versunkenen Fortsetzung des U g u e n o - Westrandes. Die lichten Haine der Hyphaenen, Akazien, Tamarinden und Kigelien weichen als- bald am Muebache offener Grassteppe. Der Blick öffnet sich unbehindert auf den ganzen ge- waltigen, dem Harzgebirge an Umfang gleich- kommenden Sockel des Bergriesen mit seinen zu Gruppen und Reihen geordneten vielen runden Kuppen und Kraterkugeln ; eine unabsehbare weiße Strichwolke verbirgt die Höhen und beiden Gipfel Kibo, Mawensi. Kurz hinter einem breiten Lava- strom mit massenhaft verstreuten Blöcken östlich der Nangaschlucht nahe einer besonders typischen Obstgartensteppe wird das Ziel des Nachmittags- marsches, Mbujuni, angesichts der weithin sicht- baren , weiß glänzenden Gebäude der Station Moschi erreicht, das Ziel, dessen Namen ,,Am Affenbrotbaum" ein geradezu riesenhafter Baobab glänzend rechtfertigte, der das ganze Zelt auf seinem Stammijuerschnitt hätte aufnehmen können. Ein unvergeßlicher Abend ! Das Ziel greifbar nahe, eine erfrischende Kühle nach des Tages erschlaffender Hitze, die fesselnden, farbenreichen Bilder des zur Ruhe sich bereitenden Lagerlebens, am klaren Himmel inmitten der blinkenden Sterne- schaaren hell erstrahlend der Mond, die Erde zaubrisch übergössen von seinem milden Scheine, in gewaltigen Konturen geheimnisvoll hoch auf- ragend das Bergmassiv, in dessen Gletscherkrone zu Häupten des Kibo gipfeis das Mondlicht taucht, um in märchenhaft schönem Glänze neu zu erstehen : ein Bild geklärter Harmonie und un- endlicher Erhabenheit. Drei Stunden teils steileren Weges durch Steppenbuschformation mit öfteren tiefen, nun wasserlosen Erosionsschluchten, die den Boden wegen seiner großen Durchlässigkeit eher drainieren als bewässern mögen , führten am nächsten Mor- gen nach Moschi. Das Massenw^irkungsgesetz und seine Bedeutung. [Nachdruck verboten.] Von A. Orechow. Das Massenwirkungsgesetz, von dem im fol- genden die Rede sein wird, gehört zu den wich- tigsten Gesetzen der modernen Chemie. Es ist ein Gesetz von sehr allgemeiner Bedeutung, weil es uns einerseits viele Erscheinungen von einem einheitlichen Gesichtspunkte aus zu erklären ge- stattet, und andererseits die exakte Unterlage für unsere Vorstellungen über die „chemische Affinität" bildet oder doch bilden muß. Unter „Affinität" versteht man bekanntlich die „Kraft" oder ,, Ener- gieart", durch deren Wirkung die chemischen Vor- gänge zustande kommen. Es hat niemals an Ver- suchen gefehlt, gewisse Vorstellungen über das Wesen dieser Kraft zu gewinnen. Früher, ehe die wissenschaftliche Chemie existierte, wurden die verschiedensten Theorien aufgestellt, die in das dunkle Gebiet der Affinitätserscheinungen einzu- dringen versuchten. Ich will jedoch hier auf alle diese Spekulationen nicht eingehen; bevor ich aber zum eigentlichen Gegenstande meines Vor- trages übergehe, seien noch einige Worte über die Grundzüge einer Theorie eingeschaltet, die sich zu ihrer Zeit unter den Chemikern des größten Ansehens zu erfreuen hatte, und deren letzte Bruchstücke man zuweilen noch in den modernen Lehrbüchern finden kann. Diese, von Bergmann im Jahre 1775 aufgestellte Theorie ging von der Voraussetzung aus, daß die chemische Affinität von zwei Substanzen nur von deren Natur und von der Temperatur abhängig ist. Dement- sprechend mußte sich die Affinität von je zwei Stoffen durch eine Zahl ausdrücken lassen, und es wurden auch Versuche gemacht, die relative Größe der Affinität für einige Klassen von Sub- stanzen, insbesondere für die Säuren und Basen, experimentell zu ermitteln. Die Ergebnisse dieser Versuche wurden in sog. „Affinitätstabellen" zu- sammengestellt, in denen die betreffenden Stoffe nach der Größe ihrer Affinität zu einem und dem- selben Körper angeordnet wurden. Da es aber an Methoden zur quantitativen Bestimmung der Affinität fehlte, so drückten die „Affinitätstabellen" nur die qualitative Seite der Erscheinungen aus. Wenn wir also auf einen zusammengesetzten Körper AB einen anderen Körper C einwirken lassen, so wird für den Reaktionsverlauf nur die relative Größe der Anziehung oder Affinität von A zu B einerseits und von A zu C andererseits maßgebend sein. Überwiegt die Affinität des Körpers A zum Körper C diejenige von A zu B, so wird der Körper B durch C aus seiner Ver- N. F. VI. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Woclienschrift. 537 biiidung mit A „verdrängt" und die Reaktion wird im Sinne des Schemas : AB -f C = AC + B und zwar (juantitativ, d. h. bis zum vollen Ver- brauch der Substanz AB vor sich gehen. Über- wiegt aber die Affinität des Körpers B zu A, die- jenige von A zu C, so wird im vorliegenden h'alle überhaupt keine Umsetzung stattfinden. Nach dieser Theorie müssen also alle Reak- tionen immer in demselben Sinne und zwar quan- titativ verlaufen, und die zu jener Zeit bekannten Tatsachen entsprachen auch dieser Folgerung. Es war z. B. bekannt, daß die Kohlensäure aus ihren Salzen durch Essig-, Salpeter-, Salz- oder Schwefel- säure verdrängt wird, daß Essigsäure ihrerseits durch Salz- oder Salpetersäure in Freiheit gesetzt wird, und daß die zwei letzteren endlich durch Schwefelsäure aus ihren Verbindungen ausgetrieben werden. In einer Affinitätstabelle konnte man demgemäß diese Säuren in bezug auf ihre relative Affinität zu irgend einer Base folgendermaßen anordnen : Schwefelsäure Salpetersäure Salzsäure Essigsäure Kohlensäure. Gegen diese Betrachtungsweise wurde bald lebhafter Widerspruch erhoben, und zwar gingen die Gegner von dem Gedanken aus, daß die che- mische Affinität der allgemeinen Schwerkraft sehr ähnlich, wenn nicht ganz identisch mit ihr sei und daß sie ebenso wie diese der Masse der an der Reaktion beteiligten Stoffe proportional sein sollte. Zuerst wurde dieser Gedanke von Wenzel im Jahre 1777 ausgesprochen. Im Anfang des 19. Jahrhunderts wurde er besonders von dem französischen Chemiker Berthollet vertreten, der die wichtige Rolle, welche die Masse der reagierenden Stoffe sowie ihre physikalischen Eigenschaften bei chemischen Vorgängen spielen, richtig erkannte. Nach Wenzel und Berthollet ist die Affinität von zwei Substanzen, die mitein- ander reagieren können, von deren relativer Masse abhängig, und jede Reaktion kann, theoretisch gesprochen, je nach den Versuchsbedingungen, vor- und rückwärts verlaufen. Nehmen wir an, wir hätten zwei Stoffe AB und C, die miteinander, unter Bildung von zwei neuen Stoffen AC u. B reagieren können: AB + C = AC + B . . . (i) Im ersten Augenblick nach dem Zusammen- bringen der Stoffe AB und C wird deren relative Masse groß, und die der daraus entstandenen AC und B klein sein. Während des Verlaufes der Umsetzung wird die relative Menge von AB und C stetig ab- und die von AC und B stetig zunehmen. Infolgedessen wird die Neigung der Körper AB und C, miteinander zu reagieren, immer schwächer werden, während das Bestreben der Stoffe AC und B sich miteinander umzusetzen immer größer wird. Daher werden die neugcbildeten Körper AC u. 1! miteinander immer stärker unter Rück- bildung von AB u. C, nach dem Schema: AC + B = AB + C . . . (2) reagieren. Wir haben also zwei Vorgänge vor uns: einer- seits die Reaktion zwischen AB u. C (Gleichung i) und andererseits die Rückverwandlung von AC u. B in AB u. C. Die Reaktion wird solange dauern, bis die Geschwindigkeiten der beiden entgegen- gesetzten Reaktionen einander gleich werden, bis also in einer Zeiteinheit ebensoviel AC u. B, wie AB u. C gebildet werden, es wird also ein Gleich- gewichtszustand eintreten, in dem alle vier Stoffe, AC, B, AB und C nebeneinander vorhanden sind. Gehen wir jetzt von den Körpern AC u. B aus und lassen sie unter denselben Bedingungen wie früher aufeinander einwirken, so werden sie sich z. T. nach der Gleichung (2) umsetzen, und es ist leicht einzusehen, daß wir nach einiger Zeit zu demselben Gleichgewichtszustande kommen werden, wie vorher. Solche Reaktionen die in zwei Richtungen ver- laufen können und zu einem Gleichgewichtszu- stande führen, der von beiden Seiten erreicht werden kann, bezeichnet man allgemein als um- kehrbare Reaktionen und deutet sie nach van't Hoff durch das Zeichen ~^ ^n- I™ oben er- örterten Falle würden wir die Reaktion durch das Schema AB + C : AC + B ausdrücken können. Ganz anders gestaltet sich aber die Reaktion, wenn eines der Reaktionsprodukte AC oder B unlöslich resp. flüchtig ist. Dann wird es im Moment seiner Entstehung aus dem Kreise der Wechselwirkung entfernt, eine Anhäufung der Reaktionsprodukte und die dadurch hervorgerufene entgegengesetzt gerichtete Reaktion können nicht mehr stattfinden und die Umsetzung zwischen AB u. C wird quantitativ im Sinne von links nach rechts verlaufen. Die Wenzel-Berthollet'sche Theorie erfordert also die Existenz von umkehrbaren Reaktionen; damals aber waren solche so gut wie unbekannt, und außerdem zog Berthollet aus seinem richtigen Grundgedanken einige falsche Schlüsse, die den Beobachtungstatsachen nicht entsprachen, was zur Folge hatte, daß die ganze Theorie in Mißkredit kam, von anderen Anschauungen verdrängt wurde und schließlich ganz in Vergessenheit geriet. Erst im Jahre 1867 wurde die Bertholet'sche Lehre von der Massenwirkung wieder aufgenommen, und zwar sind es zwei skandinavische Forscher, Guldberg und Waage, ^) die den richtigen Kern der Berthollet'schen Ideen erkannt und in mathematischer Form ausgedrückt haben. Früher waren einzelne Untersuchungen ausge- ') Im Auszug: Journ. pr. Chem. (2) 19, 6g. Auf deutsch mit Anmerkungen von Dr. Abegg in Ostwald's Klassiker, Nr. 104. 538 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 34 führt worden, die den Kinfluß der Massen der reagierenden Stoffe klar legten. Es sei hier auf die Arbeiten von Wilhelmy über die Inversion des Rohrzuckers, die vonHarcourt undEsson über die Reduktion der Permanganate, die von J e 1 1 e t über die Verteilung einer Säure zwischen z\^ei Alkaloiden hingewiesen. Den zwei oben- genannten Gelehrten gebührt aber das Verdienst, die allgemeine Bedeutung des Massenwirkungs- gesetzes in richtiger Form zuerst hervorgehoben zu haben. Nach dem Bekanntwerden der Guldberg- Waage'schen Arbeiten sind zahlreiche, umfassende Untersuchungen ausgeführt worden, zu dem Zwecke, das Gesetz auf seine Genauigkeit zu prüfen. Es wäre zu weitläufig, alle bis jetzt aus- geführten Arbeiten auf diesem Gebiete hier auf- zuzählen. Es sei nur an die klassischen Arbeiten von Berthelot und P. de St. Gilles über die Esterbildung, an die Untersuchungen vonLemoine, Hau tefeu ille und Bodenstein erinnert, Unter- suchungen, die in unzweideutiger Weise die all- gemeine Gültigkeit des Massenwirkungsgesetzes beweisen. Denken wir uns ein beliebiges Volum, in dem sich Moleküle von verschiedenen Substanzen A, B, C, D . . . befinden, die miteinander unter Bildung von neuen Körpern A', B', C . . . rea- gieren können. Die Reaktion sei umkehrbar, sie kann also durch das Schema: A + B + C + D + . . . :: A' -f B' + C' + D' -(- . . . veranschaulicht werden. Unter „Molekularkonzentration" oder „aktiver Masse" eines Stoffes wollen wir die Zahl der Grammoleküle (als „Grammolekül" bezeichnet man diejenige Anzahl von Grammen, die dem Mole- kulargewicht gleich ist) in einem Liter verstehen und die Molekularkonzentrationen der Stoffe A, B, C . . . durch a, b, c . . . und die der Stofte A', B', C . . . durch a', b', c' . . . bezeichnen. Nach der kinetischen Theorie stellen wir uns die Moleküle als in fortwährender Bewegung befind- lich vor. Damit aus zwei Molekülen ein oder mehrere neue Moleküle entstehen können, müssen natürlich die betreffenden Moleküle in einem Punkte des Raumes zusammenstoßen. Nicht jeder von diesen Zusammenstößen muß unbedingt zu einem Zerfall der ursprünglichen Moleküle und zur Bildung neuer Moleküle führen. Es leuchtet nun ohne weiteres ein, daß, je größer die Anzahl von Molekülen in einer Volumeinheit (oder je größer die Molekularkonzentration) ist, desto häu- figer auch diese Zusammenstöße erfolgen werden. Da aber ein Zusammenstoß zu einer Reaktion führen kann und da die Zahl der Moleküle un- endlich groß ist, so ist ohne weiteres klar, daß, je größer die Molekularkonzentration ist, desto mehr Moleküle in der Zeiteinheit miteinander in Reaktion treten werden, mit anderen Worten : die Reaktionsgeschwindigkeit (unter letzterer versteht man die in einer Zeiteinheit umgesetzte Menge der reagierenden Substanz) wird der Molekular- konzentration des betreffenden Stoffes proportional sein. Die Geschwindigkeit der Gesamtreaktion von links nach rechts muß also den Molekular- konzentrationen aller an der Reaktion beteiligten Stoffe, also dem Produkt ihrer Molekularkonzen- trationen, proportional sein. Bezeiciinen wir die Reaktionsgeschwindigkeit von links nach rechts durch V, so haben wir folgende Gleichung; V:^k-a-b-c-d . . . wo k ein Proportionalitätsfaktor ist. Dasselbe gilt natürlich auch für den Reaktions- verlauf von rechts nach links: je größer die Zahl der Moleküle A', B', C, D' ... in der Volum- einheit ist, desto häufiger werden die Zusammen- stöße zwischen den Molekülen stattfinden, desto größer wird auch die Reaktionsgeschwindigkeit sein. Bezeichnen wir die Reaktionsgeschwindig- keit von rechts nach links durch v,, so haben wir: V, =ki-a'b'c'-d' . . . Die Geschwindigkeiten v u. Vj können für sich nicht beobachtet werden; wir nehmen ja nur das Resultat ihrer gleichzeitigen Wirkung d. h. die Differenz beider Gesciiwindigkeiten wahr. Als Gleichgewichtszustand haben wir aber einen Zustand des Systems bezeichnet, in dem scheinbar nichts verändert wird, also in einer Zeiteinheit ebensoviel Moleküle A', B', C . . ., wie A, B, C . . . gebildet werden. Das Gleichgewicht ist also nicht ein Zustand, in dem im System gar keine Vor- gänge stattfinden, sondern ein Zustand, wo die zwei entgegengesetzt gerichteten Vorgänge mit gleicher Geschwindigkeit erfolgen und in ihrer Wirkung einander kompensieren. Ein solches Gleichgewicht bezeichnet man allgemein als ,, dyna- misches Gleichgewicht". Im vorliegenden F'alle wird also Gleichgewicht eintreten, wenn die Reak- tionsgeschwindigkeiten V und V, gleich werden, wenn also v == v, oder oder k • a ■ b • c . . . ^ k, • a' • b' • c' . . . a-b-c . = v^ = Konst. a'-b'-c'. wird. Nehmen wir nun weiter an, daß in unserer Reaktionsgleichung : A-f B-f-C-f D + ...:: n' A' + n,' B' -fn,'C+... so iiininit die Gleichgewichtsformel die Porm: a"-b"'-c'"d"»... ,^ n ; '. — i — ; =^ Konst. aj"'bi"''-c,°ä'- dl "»'... an. Die vorstehende Ableitung kann natürlich keine Ansprüche- auf große Exaktheit und Strenge machen ; sie ist vielmehr nur ein Mittel zur an- schaulichen DarstellungdesMassenwirkungsgesetzes. Dieses kann jedoch auch streng-mathematisch aus den Grundsätzen der Thermodynamik abgeleitet w'erden — den besten Beweis aber für seine Richtigkeit bilden die zahlreichen Tatsachen, die ohne seine Hilfe nicht verständlich sind und zum Teil sogar erst mit ihr entdeckt worden sind. Als Beispiele seien hier die Dissoziation des Jodwasserstoffs und die des Phosphorpentachlorids angeführt. Jener zerfällt beim Erhitzen in Jod und Wasserstoff, letzterer in Chlor und Phosphor- trichlorid : 2 HJ = J., -f H, ; PCI, = PCI. + Cl, Bezeichnen wir die Molekularkonzentrationen von Jod und Wasserstoff resp. PCI., und CI.3 durch a u. b und die von Jodwasserstoff res]). Phosphor- pentachlorid durch c, und setzen diese Werte in die oben abgeleitete allgemeine Formel ein, so bekommen wir : a-b ,^ b-b „ = Konst. resp. = Konst. c- c Vergrößern wir c, d. h. die Molekularkonzen- tration des nichtdissoziierten HJ resp. PCI,, so müssen a u. b auch zunehmen, d. h. die Disso- ziation wird stärker. Lassen wir dagegen a u. b wachsen, so muß auch c, d. h. die Konzentration des nichtdissoziierten Teils, zunehmen — ein l^berschuß der Dissoziationsprodukte drängt die Dissoziation zurück. Ich will die Zahl derartiger Beispiele nicht vergrößern und wende mich zu einer anderen Klasse von Reaktionen, die von großer Bedeutung, besonders für die anorganische Chemie, sind, näm- lich zu der Dissoziation der Elektrolyte in wässe- riger Lösung. Nach der bekannten, von Arrhenius im Jahre 1887 aufgestellten Theorie der elektro- lytischen Dissoziation zerfallen die Elektrolyte in wässeriger Lösung in ihre Ionen. Chlorkalium KCl zerfällt z. B. in wässeriger Lösung in das positiv geladene Kaliumion K+ und das negativ geladene Chlorion Cl KCl: ;K-+C1- undissoziierten Teils durch c, so haben wir die Gleichung = Konst. Da aber die Ionen immer in äquivalenter Menge vorhanden sein müssen, so muß a = b sein und unsere Gleichung nimmt die noch einfachere F'orm - = Konst. an. c Um nun den Einfluß der Verdünnung auf den Dissoziationsgrad des gelösten Elektrolyts besser zu erkennen, können wir dieser Gleichung eine etwas andere Form geben. Nehmen wir an, die Gesamtmenge des gelösten Elektrolyten wäre gleich I, der Dissoziationsgrad x und das Volumen der Lösung v, so wird die Molekularkonzentration jedes Ions gleich - und die des nichtdissozi- ierten Teils gleich — -' sein; setzen wir diese Werte in obige P'ormel ein, so bekommen wir: X- a- c V- I X V oder Konst. oder (i — x)v =: Konst. : V ■ Konst. Wenden wir nun das Massenwirkungsgesetz auf diesen F'all an und bezeichnen die Konzen- trationen der Ionen durch a u. b und die des Jetzt ist es leicht den Einfluß des Volumens v d. h. des Grades der Verdünnung auf den Disso- ziationszustand zu sehen : mit wachsendem v d. h. mit zunehmender Verdünnung muß auch x wachsen ; je verdünnter die Lösung ist, desto stärker ist der Elektrolyt in seine Ionen gespalten. Die Größe der „Dissoziationskonstanten" k ist für zahlreiche chemische X'erbindungen experimentell ermittelt worden, und zwar bedient man sich zu diesem Zwecke hauptsächlich der elektrischen Leitfähig- keit der Lösung, da aus zahlreichen, experimen- tellen sowie auch theoretischen Untersuchungen sich das Resultat ergeben hat, daß diese beiden Größen in einfacher mathematischer Beziehung zueinander stehen , so daß aus der Größe der Leitfähigkeit sich der Dissoziationsgrad ohne weiteres berechnen läßt. Das wichtigste Resultat dieser Forschungen besteht darin, daß das, was man gewöhnlich unter „Stärke" einer Säure oder Base versteht, sich proportional der Größe der Dissoziationskonstanten ändert und in dieser also seinen zahlenmäßigen Ausdruck findet. Die starken Säuren resj). Basen enthalten also eine große, die schwachen eine geringe Zahl von H+ resp. OH^ -Ionen. Was die Größe der Konstanten anbelangt, so ist sie für die meisten neutralen Salze ziemlich gleich, und zwar so, daß bei mäßiger Verdünnung (etwa 1'^ normal) etwa die Hälfte des Salzes ionisiert ist. Nur wenige Salze, wie z. B. das außerordentlich schwach dissoziierte Hg(CN),_, bilden Ausnahmen von dieser allgemeinen Regel. Für die Säuren und Basen ist ihre Größe da- gegen sehr verschieden. Man kann die gewöhn- S40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 34 Hchsten Säuren und Basen nach der Größe ihrer Dissoziationskonstante resp. nach ihrer „Stärke" folgendermaßen anordnen : Stärke Säuren Basen I. Stark. In Lösuns lo sind ca. 50 "/o der Substanz dissoziiert HCl, HBr, HJ, KOII, NaOIl HNO3, HCIO3, LiOH HCIO4, HaSOi 2. Mäßig stark. In — ^ 10 Lösung sind weniger als ioO/d dissoziiert . . . H,,P()^, HjSCX, NH^dH, CH3COOII Ag(. >H), Mg(OH)., 3. Schwach. Weniger als I °/o dissoziiert .... HXOj, HCN, Al(OH)„ H^S, H3BO, Fe(OH)3 Interessante Erscheinungen treten beim Ver- mischen von zwei Elektrolytlösungen ein. Sind die beiden Elektrolyten, sowie die daraus durch Wechselwirkung entstehenden Verbindungen gleich stark dissoziiert, so tritt keine bemerkenswerte Än- derung im Zustande der Lösung ein. Vermischen wir z. B. NaNOg -Lösung mit KCl-Lösung, so werden sich in der Lösung folgende Reaktionen abspielen : NaNOg -f KCl :«=> NaCl + KNO3 NaNOo ::Na+ + N03 KN03::K+ + N03 NaCl: KCl: : Na+ -}- CL .^K+4-Cl- Da aber alle vier Salze: NaNOs, KCl, KNO, und NaCl fast gleich stark dissoziiert sind, so werden wir in der Lösung alle vier Na+ , Cl- und NO, alle vier Ionen K+ , neben den vier undissoziierten Molekülen NaNOg, KNO3, NaCl und KCl neben- einander haben. Ganz anders gestaltet sich aber der Vorgang, wenn aus den zu vermischenden Ionen eine schwach dissoziierte Verbindung entstehen kann. Das beste Beispiel für diesen Fall bildet die Neu- tralisation von Säuren durch Basen, z. B. von HCl durch NaOH. Diese Verbindungen zerfallen in ihre Ionen nach folgenden Gleichungen: HC1:<=>: H'r + Cl- resp. NaOH :: Na 1^ + OH- Beim Vermischen dieser zwei Lösungen müßten wir also die vier Ionen: H+, Cl~ , Na+ und OH" nebeneinander haben; aber aus den Ionen H+ und OH- kann Wasser entstehen: 2H++O- = H.,0 — eine Verbindung, die äußerst schwach dissoziiert ist. Daher werden sich die vorhandenen H+ - und OH~ -Ionen sofort zu nichtdissoziiertem Wasser verbinden, während die zwei anderen Ionen Cl^ und Na+ in der Lösung bleiben werden. Der Vorgang kann also durch das Schema: Na+ + Cl- + OH- + H+ = H.-,0 -f Na+ + Cl- Bezeichnen wir allgemein das Metall der Base durch AI und das Radikal der Säure durch M, so haben wir: H+ -|- N- -I- M+ + OH- = H.,0 + M+ + N" Daß der Vorgang in Wirklichkeit so ver- läuft, kann man u. a. daraus sehen, daß die Neu- tralisationswärme (d. h. Wärmemenge, die beim Neutralisieren von Säuren durch Basen entwickelt wird) für beliebige Säuren und Basen immer den- selben Wert hat — vorausgesetzt, daß die be- treffenden Säuren und Basen gleich stark ionisiert sind. Beim Vermischen von zwei Elektrolyten mit gleichen Ionen treten ebenfalls bemerkenswerte Änderungen auf. Setzen wir z. B. zu einer Säure- lösung die eines neutralen Salzes derselben Säure zu, so wird dadurch die Konzentration der Säure- Ionen vergrößert und die Dissoziation der Säure selbst zurückgedrängt. Nehmen wir z. B. Essig- säure, die in die Ionen H ^^ und CHgCOO" zer- fällt, und setzen wir Natriumacetatlösung, also Na+ und CH.jCOO" -Ionen hinzu. Für die Essigsäure a-b haben wir die Gleichung = Konst., wo a u. b die Konzentrationen der Ionen, c die des un- dissoziierten Teils ist. Durch den Zusatz von Natriumacetatlösung wird die Konzentration der CH3COO- -Ionen stark vergrößert, und damit das a-b Verhältnis - - konstant bleibe, muß a, die Kon- c zentration der Wasserstoffionen, ebenso stark ab- nehmen. Durch den Zusatz eines neutralen Salzes wird also die Dissoziation einer Säure zurückgedrängt, mit anderen Worten — die Säure wird abge- schwächt. In der analytischen Praxis macht man von dieser Erscheinung vielfach Gebrauch, wenn man eine Säure „abstumpfen" d. h. die Konzen- tration der H-Ionen zurückdrängen will. Betrachten wir jetzt noch einen analytisch wichtigen Fall, die Ausfällung und Auflösung eines Niederschlages. Absolut unlösliche Körper existieren überhaupt nicht; in neuerer Zeit ist es gelungen, die Löslichkeit selbst der unlöslichsten Substanzen wie Bariumsulfat, Chlorsilber u. a. nicht nur zu beweisen, sondern auch ihre Größe fjuantitativ zu ermitteln. Die folgende Tabelle gibt die Löslichkeit einiger von diesen „unlös- lichen" Verbindungen an.^) A<»Br . . ein Teil der Substanz löst sich in 1971 650 Teilen Wasser AgJ . . . BaSOj BaCO.) SrCO, CaCO, 1074040 429 700 64070 121 760 99500 Haben wir eine Flüssigkeit in Berührung mit einem daraus gefällten Niederschlage, so ist die Lösung in bezug auf diesen Körper gesättigt. Ein sehr geringer Teil befindet sich in Lösung und da die Löslichkeit sehr gering ist, und die Lösung also sehr verdünnt — ist er fast vollständig in seine Ionen gespalten. Nennen wir wie früher die Konzentrationen der Ionen a u. b, die des un- ') HoUemann, Z. f. phys. Ch. 12, 125, Kohlrausch u. Rose, Wied. Ann. 50, 127. N. F. VI. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 541 dissoziierten Teils c, so haben wir wieder unsere ab vielgebrauchte Gleichung = Konst. Jede Ver- größerung von a oder b bedingt auch eine ent- sprechende Vergrößerung von c und, da die Lö- sung bereits gesättigt ist, eine neue Ausscheidung des Niederschlages. Das Massenwirkuiigsgesetz und die Theorie der clektrolytischen Dissoziation erklären uns also, warum man einen Überschuß des Fällungsmittels anzuwenden hat, um einen praktisch unlöslichen Körper aus einer Lösung möglichst quantitativ abzuscheiden. Das Produkt a-b bezeichnet man nach Ost- wald als Löslichkcitsprodukt. Ein analytisch brauchbarer Niederschlag muß natürlich ein mög- liclist kleines Löslichkcitsprodukt haben, da sonst die Größe c — die Konzentration des undisso- ziierten gelösten Teils — zu groß wird und ein zu großer Teil der Substanz in Lösung bleibt. Ist in einer Lösung die Größe des Löslichkeitsprodukts überschritten, so ist die Lösung in bezug auf den betreffenden Körper übersättigt ; ist seine Größe noch nicht erreicht, so wird die Lösung auf den Niederschlag solange lösend einwirken, bis die kritische Größe des Löslichkeitsprodukts erreicht wird. Die Zahl der Anwendungen des Massenwir- kungsgesetzes auf die Reaktionen in wässeriger Lösung ließe sich noch stark vermehren , wir wollen uns aber darauf nicht weiter einlassen und verweisen nur auf das Werk Ostwalds : ,,Die wissenschaftlichen Grundlagen der analytischen Chemie", in dem diese Anwendungen systematisch behandelt werden. Kleinere Mitteilungen. Zur Anthropologie der Samoa-Inseln. — W. v. Bülow bemerkt in einer Studie über die Anthropologie der Samoa-Inseln (Internationales Archiv für Ethnographie, Band i8, Heft 3), daß die Samoaner keineswegs „ein Volk aus einem Gusse" sind. Die Hautfarbe ist nicht gleichmäßig; sie zeigt verschiedene Schattierungen von braun, wobei die dunklere Färbung bei den ältesten Häuptlingsfamilien auffällt. Diese Familien, welche nach längerem Zusammenwohnen mit dunkel- häutigen Stämmen auf den indonesischen Inseln Blutmischungen mit den letzteren eingegangen sind und als erste P^inwanderer nach Samoa gelangten, sind durchwegs dunkler als die Durchschnitts- Samoaner der späteren Einwanderung. Die Haar- farbe ist gewöhnlich schwarzbraun oder schwarz; es kommen jedoch Familien vor, ,,in denen der ganze oder ein großer Teil des Nachwuchses blonde Haare hat, ohne daß man zu der Ver- mutung eine begründete Annahme finden könnte, daß einer der Eltern oder Vorfahren von einem Nicht-Samoaner abstammte." Die Form des Haares ist leicht gekräuselt oder gewellt, seltener glatt und straff. Personen mit dunkler Hautfarbe haben stärkeres, dichteres und längeres Haar als die hellhäutigen. Die Augenfarbe differiert sehr. Die Mongolenfalte ist nicht vorhanden, wie denn zu der Annahme einer mongolischen Blutbei- mischung gar kein Grund besteht. Es werden drei bestimmte Gesichtstypen unterschieden: Die melanesische Form mit breiten, stark gewölbten Lippen, breiter großer Nase, breitem unschönem Munde, großen abstehenden Ohren und im allge- meinen harten Zügen; für den melanesischen Typus ist ferner mäßige Prognathie charakteristisch. Die polynesische Form zeichnet sich aus durch halbrundes Gesicht, großen Mund, leicht gewölbte Lippen, kurze etwas aufgestülpte Nase, kleine, nicht besonders abstehende Ohren und weiche Züge. Die dritte Gesichtsform wird die arische benannt ; das 'Gesicht ist lang, die Nase schmal und lang, der Mund klein und leicht geschweift, die Zähne sind regelmäßig, die Ohren klein und anliegend. Die Augen stehen bei allen Typen gerade. Über die Kopfform wird nichts mitge- teilt. — Die Samoaner bilden mit den Tonganern einen Stamm, der sich nach v. Bülow's Meinung vor etwa tausend Jahren gespalten hat, doch sind die Abspaltungen in unausgesetztem Verkehr mit- einander geblieben. Der Stamm kam auf seinen mehrhundertjährigen Wanderungen wahrscheinlich auch mit Angehörigen der nordischen Rasse in Berührung; er gelangte nach seinen jetzigen Wohn- sitzen „auf dem Wege über Viti und erhielt seine melanesischen Beimischungen zugleich mit den Vitiern auf den Wanderungen durch Melanesien und zuletzt auf den Viti-Inseln". — Prof. Dr. Krämer, einer der besten Kenner Samoas, ist da- gegen der Ansicht, daß die Besiedelung dieser Inselgruppe vom Osten her erfolgte. Fehlinger. Zur Herkunft unserer Ziffern liefert Dr. K. Mischke in Yokohama einen interessanten Bei- trag durch einen bei Nößler in Bremen unter dem Titel „Naturgeschichte der Ziffern" im Druck er- schienenen Vortrag,') den er am 6. Juni 1906 in der deutschen Gesellschaft für Natur- und Völker- kunde Ostasiens zu Tokio gehalten hat. Nachdem Mischke die römischen Zahlzeichen als Fingerziffern den griechischen, reinen Symbol- ziffern gegenübergestellt, bei denen das die Schrei- bung großer Zahlen so wesentlich vereinfachende Prinzip des Stellenwertes wenigstens teilweise schon in dem Koeffizientenschreiben bei der Myriade zur Anwendung gelangte, weist er auf die große Bedeutung hin, welche die Erfindung der Null, die wir einem unbekannten indischen Weisen vermutlich des vierten, nachchristlichen Jahrhun- Preis I Mk. 542 Naturwissenschaft! iclie Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 34 derts verdanken, für die Ermöglichung unserer lieutigcn , einfachen Schreibweise mit festem Stellenwerte besitzt. Auch die Chinesen und Japaner, die das bereits bei den Griechen teil- weise angewendete Prinzip des Koeffizienten- schreibens (Angabe der Anzahl der Tausende, Hunderte usw.) vollständig durchgeführt haben, kennen die Null nicht und sind deshalb gezwungen, bei jeder Ziffer besonders anzugeben, ob sie Tau- sende oder Hunderte usw. bedeute. Erst die in- dische, durch die Araber in das Abendland ein- geführte Zahlenschreibweise, bei welcher die Null die Stelle fehlender Hunderter, Zehner usw. be- zeichnet, macht es möglich, nur noch die Koeffi- zienten ohne weitere Bezeichnung der als Faktor dazu zu denkenden Potenz von Zehn hinzuschreiben und damit jene Vollkommenheit zu erreichen, die nach dem Erscheinen des Rechenbuches von Adam Rieß (1518) bei uns das größte Aufsehen erregte und die weitere Entwicklung der Rechnung, die Erfindung der Dezimalbrüche (16. Jahrh.) und Logarithmen (17. Jahrh.) ermöglichte. Was nun unsere heutigen, sog. arabischen Ziffern selbst betrifft, so wäre zu untersuchen, ob dieselben bloße Symbole wie die griechischen Ziffern sind, oder aber ähnlich den römischen aus Fingerziffern, d. h. aus mehr oder weniger deut- lichen Bildern der die betreffende Ziffer dar- stellenden Pingerstellung her- , _ ^ yi vorgegangen sind. Auf diese ' Frage wirft Mischke durch eine genauere Betrachtung der chi- nesischen Ziffern ein neues 1^ 9 3 Licht. Abgesehen von der „^— %. .»i*» «-> chinesischen 8, die jeder Ab- ^^_. \ / /j. leitung bis jetzt spottet, gelingt vü V' y^ es, ohne allzu gekünstelte An- i-r /C* nahmen die chinesischen Ziffern Jj~ ^ als aus Fingerzeichen hervor- j / /• gegangen aufzufassen. Die uns K' \ "u O unbeholfen erscheinenden, weil 1 /^ 'y ^'" rnehrmaliges Absetzen nötig ^\ L. / machenden chinesischen Ziffern , n O ^'"*^ durchaus zweckentspre- y \^ -^ Q chend, wenn man bedenkt, daß •i- £~) ^1 sie mit dem Pinsel geschrieben ilS '^ ^ werden. Stellt man nun den chi- nesischen Ziffern die indisch- arabischen gegenüber, so erscheint es nicht un- wahrscheinlich, daß die letzteren aus den ersteren hervorgegangen sein könnten und daß die Um- bildung, die bei einigen (6, 8, 9) sogar bis zur Unkenntlichkeit fortgeschritten ist, auf das Be- dürfnis, die Ziffern in einem Zuge zu schreiben und von oben zu beginnen, zurückgeführt werden könnte. Um unseren Lesern ein eigenes Urteil hierüber zu ermöglichen reproduzieren wir eine Abbildung des Mischke'schen Vortrages, welche uns links die chinesischen Ziffern, in der Mitte hypothetische Übergangsformen und rechts die arabischen Ziffern jn. 2 ^ vorführt. Nähere Ausführungen über Einzelheiten bitten wir Interessenten in dem anregend ge- schriebenen Vortrage selbst nachzulesen. Wir werden jedenfalls dem Verf. voll zustimmen dürfen, wenn er vorsichtig als Ergebnis ausspricht: „Es ist möglich, daß die arabisch-indischen Ziffern von den chinesischen abstammen; es ist auch möglich, daß beide von einer gemeinsamen Quelle abstammen, von der sich aber dann die chinesischen Ziffern weniger entfernt haben würden als die indischen." Am Schlüsse seines Vortrages läßt uns Mischke auch noch einen Blick werfen auf die gegen- wärtig in indischen Drucken üblichen Ziffern, sowie auf die in älteren Handschriften und In- schriften vorkommenden Zeichen. Wir erhalten dadurch einen Begriff davon, wie interessant, aber auch schwierig zugleich solche paläographische Studien sind. Es bleibt auf diesem Gebiete sicher- lich noch Vieles zu durchforschen, ehe man er- warten kann, die Entstehung unserer Zahlzeichen mit voller Klarheit und Sicherheit ergründen zu können. V. Kbr. Über den Arsengehalt der „Maxquelle" in Bad Dürkheim a. d. Haardt berichtet E. Ehler in den V^erhandlungen des Naturhistorisch - medi- zinischen Vereins zu Heidelberg. Das Wasser dieser Quelle wird zu Badezwecken und für den Gradier- und Eindampfbetrieb zur Herstellung des Dürkheimer Salzes und der Dürkheimer Mutterlauge verwandt. Die Mutterlauge kommt nur als Material für Solbäder in den Handel und ist nicht für Genußzwecke geeignet. Ehler weist nun an der Hand von Analysenresultaten nach, daß dies ebenso wie die Unverträglichkeit größerer Mengen des Wassers auf den Gehalt an Arsen zurückzuführen ist. Die Maxquelle fördert täglich mit 20 kg Sedimenten 2 kg Arsenik zutage. Letz- teres ist im Wasser gelöst und scheidet sich beim Stehen an der Luft ab. Im Liter Wasser fand P^bler 17,4 mg As,,0.., im Sediment 10,7%. Dem- gegenüber enthalten die Sedimente der anderen bisher beschriebenen arsenhaltigen, natürlichen Quellsedimente geringere Mengen, und zwar das Sediment der Ulrich- und Conradinsquelle in Val Sinestra (Engadin) 6,9 " „ As.iOg Quellen Enclos des Celestin in Vichy 6,0 „ „ Quellen von Cusset 4,4 bis 7,2 „ „ Quellen von Sylvanes 1,57 „ „ Quelle von Wattweiler (Elsaß) 1,4 „ „ Quelle von Birresborn (Eifel) 1,4 „ „ Quelle von Luxeuil 1,4 „ „ Durchschnittlich entsteht aus 5 Litern frischen Wassers der Maxquelle i g Sediment. Da die Quelle pro Minute 70 Liter Wasser fördert, so liefert sie täglich rund 20 kg Sediment, die also fast 2 kg Arsenik enthalten. Da seit ihrer Er- bohrung 50 Jahre vergangen sind, hat sie somit N. F. VI. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 543 in diesem Zeitraum die ganz bcträchtüchc Menge von 700 Zentner Arsenik gefördert. Die Dürk- heimer Maxquelle ist sonach die arsenreichste aller bisher beschriebenen arsenhaltigen Quellen. Sie ist auf Grund der jüngst von Hinz und Grünhut gemachten Vorschläge für die Einteilung der Mineralquellen vom Standpunkte der lonentheorie, sowie auf Grund der alten Bunsen'schen Analyse und des jetzt von Ebler ermittelten Arsengelialtes als ein a r se n h a 1 1 iger , warmer, erdmuria- tischer, einfacher Kochsalzsäuerling zu bezeich- nen. Denn ihre Temperatur von 19,5 " (nicht, wie im Deutschen Bäderbuch fälschlich angegeben ist, 15,5") übersteigt das Jahresmittel der Um- gebung (i 1,8 "). Auch finden sich neben Na- und Cl-Ionen noch solche der Erdalkalimetalle daher („erdmuriatisch"), während unter den Anionen die Cl-, unter den Kationen die Na-Ionen überwiegen. Lb. Bücherbesprechungen. Meyer's Grofses Konversations- Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. 6., gänzl. neubearb. u. verm. Aufl. 17. Band. Rio bis Schönebeck. Leipzig und Wien. Bibliographi- sches Institut 1907. — Preis geb. 12 Mk. Man kann nur immer wiederholen, daß jeder fol- gende Band des Großen Meyer ganz auf der Höhe der vorausgehenden steht , sowohl an Auswahl der Artikel , Inhalt derselben und illustrativem Beiwerk, unter welchem wie bisher das Naturwissenschaftliche in erster Reihe steht. Nicht weniger als 1 2 bunte Kärtchen der Erde sind gegeben zur Veranschau- lichung der Verbreitung der Säugetiere. Den Schmetter- lingen sind 2 farbenprächtige Doppeltafeln gewidmet. Den .Artikeln Schmarotzerpflanzen, Schlingpflanzen, Schnecken , Schlangen, „Schaugebilde" (damit sind Blumen im eigentlichen Sinne und die mit ihnen oft als Wirtshausschilder für die Insekten mit- wirkenden Hochblätter gemeint) sind ebenfalls schöne bunte Tafeln beigegeben. Der Band enthält wieder reichlich geographische Karten (Schleswig -Holstein, Rußland, Rom und Altitalien, Rumänien usw.). Georg Klebs, Über künstliche Metamor- phosen. Mit 12 Tafeln und 21 Textfig. Abh. naturforsch. Ges. Halle. Bd. 25. 1906. S. 132 bis 2Q4. Separat. Stuttgart, E. Schweizerbart (E. Naegele). igo6. — Preis 10 Mk. Verf. untersucht seit langem die Einflüsse der Außenbedingungen auf die Gestaltung der Pflanzen durch Anstellung von Experimenten und liefert in der vorliegenden Arbeit einen weiteren , wichtigen Beitrag hierzu. Zunächst behandelt er Versuche an Sempervivum, dessen Reaktionen auf veränderte Be- dingungen beschrieben werden. Sodann geht Verf. ein auf die Hervorbringung von Laubsprossen an den Stellen , die sonst von Blütenständen eingenommen werden. — Es ist schwierig in einer kurzen Anzeige auf den sachlichen Inhalt einer Schrift einzugehen, die so viele Einzelblätter enthält wie die vorliegende ; wir wollen daher nur das Resultat des Verfassers angeben , das er in die Worte formuliert : „Neue Rassen können dadurch entstehen, daß Änderungen der Außenbedingungen innere Veränderungen der Pflanzen herbeiführen , infolge deren je nach dem Grade und der Zeit der Einwirkung Potenzen der vorauszusetzenden Struktur als neue Merkmale sicht- bar werden, sich steigern und sich in verschiedenem Grade der Erblichkeit erhalten". Dr. Fritz Eisner, Kgl. Sachs. Hofrat und Apotheken- revisor, Gerichts- und Nahrungsmittelchemiker, Die Praxis des Chemikers bei Untersuchung von Nahrungs- und Genußmitteln, Gebrauchsgegen- ständen und Handelsprodukten , bei hygienischen und bakteriologischen Untersuchungen sowie bei der gerichtlichen und Harnanalyse. 8. durchaus umgearbeitete und wesentlich vermehrte Auflage. Mit 194 Abbildungen und zahlreichen Tafeln. Leopold Voß in Hamburg und Leipzig. 1907. — Preis 20 Mk. Das bekannte wichtige Buch von Elsner umfaßt jetzt einschließlich des umfangreichen Registers 1092 Seiten. Wiederum hat Verfasser fleißig das Neueste berücksichtigt, soweit es von Wert war; er hat sich bei der Neubearbeitung stellenweise der Hilfe des Dr. H. Haupt, Vorstand der chemischen Untersuchungs- stelle zu Bautzen, zu erfreuen gehabt. Das Buch ist, um mit dem Autor selber zu reden, „aus der Praxis heraus für die Praxis" geschrieben, ein Wort, das voll zutrifft; aber auch der theoretische Chemiker wird das Buch vielfach mit Nutzen zur Hand nehmen, um W'inke hinsichtlich der Untersuchungsmethodik zu erhalten. Wer von dem schönen Nachschlage- und Handbuch verlangt, was der Titel verspricht, wird sich in keinem Fall vergeblich an „die Praxis des Chemikers" wenden; er findet bei der klaren Dispo- sition schnell, was er braucht, und das in kurzer, präziser Ausdrucksweise. So ist denn das Buch für Viele ein unentbehrliches Hilfsmittel geworden. Literatur. De-Toni, Dr. J. Bapl. : Sylloge Algarum omnium luicusque cognitarum. Vol. V. Myxophyceae , curante Dr. Achille Forti. (VIII, 761 S.) gr. 8». l'atavii ('07.) (Berlin, R. Friedländer & Sohn. — 38,40 Mk. Diels, Priv.-Doz. Prof. Dr. O.: Einführung in die organische Chemie. (XII, 315 S. m. 34 Abbildgn.) gr. 8». Leipzig '07, J. J. Weber. — Geb. in Leinw. 7,50 Mk. Goldschmidt, Priv.-Doz. Dr. Rieh.: Die Tierwelt des Mikro- skops (die Urtiere). Mit 39 Abbildgn. (IV, 100 S.) Leipzig '07, B. G. Teubner. — I Mk., geb. in Leinw. 1,25 Mk. Klebs, Geo: Über künstliche Metamorphosen. [.\us : „Ab- handlgn. d. naturforsch. Gesellsch. zu Halle".] (162 S. m. 21 Fig. u. 12 Taf.) Lex. S". Stuttgart '06, E. Schweizer- bart. — 10 Mk. Klimpert, Rieh. : Lehrbuch der Akustik. Für das Selbst- studium u. zum Gebrauche an Lehranstalten bearbeit. nach .System Kleyer. gr. 8°. Bremerhaven, L. v. Vangerow. III. Bd. 2. Tl.; Praktische Akustik, d. i. die Akustik in großen begrenzten Räumen, in Konzert- u. Hörsälen, in 544 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. NT. F. VI. Nr. 34 Kirchen u. Theatern. Mit 136 Erklärgn. u. 85 in den Text gedr. Fig. (VÜI, 143 S.) ('07.) — 3,50 Mk. Korscheit, Prof. Dr. E.: Regeneration und Transplantation. (VI, 286 S. m. 144 Fig.) gr. 8". Jena '07, <;. Fischer. — 7 Mk. Lorentz, Prof. H. A. : Lehrbuch der Physik. Zum Gebrauche bei aUadem. Vorlesgn. Nach der 4., v. IL A. Lorentz u. L. H. Siertsema bearb. Aufl. u. unter Mitwirkg. des Verf. aus d. Holl. übers, v. G. Siebert. 2. Bd. (III, 621 S. m. 257 Abbildgn.) gr. ü". Leipzig '07, J. A. B.irth. — 10 Mk., geb. in Leinw. 1 1 Mk. Koblrauscb, Doz. Dr. F. L. : Einführung in die Diflerential- u. Integralrechnung nebst Differentialgleichungen. Mit 100 Texttig. u. 200 Aufgaben. (VII, 19 1 S.) 8°. Berlin '07, J. Springer. — 6 Mk., geb. in Leinw. 6,80 Mk. Anregungen und Antworten. Herrn Dr. H. K. in Innsbruck. — Sic fragen wegen eines größeren Abbildungswerkes für Pilze an. Für deutsche Pilze existieren solche Werke aus der neueren Zeit nicht, doch dürften Ihnen die nachfolgend aufgeführten Werke von Nutzen sein. Am empfehlenswertesten ist das achtbändige Werk von Cooke, Illustrations of british fungi, mit etwa 11 00 litho- graphischen Tafeln, ,iber ohne Text. Die Abbildungen sind sehr gut und geben die englischen und damit auch die meisten europäischen Agaricinen (Lamellenpilze) wieder. Das Werk ist nur noch schwer antiquarisch zu beschaffen und schwankt im Preise von 450—500 Mk. — Von französischen Werken wäre zu erwähnen das noch im Erscheinen begriffene Abbil- dungswerk von E. Boudier, Icones Mycologicae. Es erscheint bei P. Klincksieck in Paris und wird etwa 600 Tafeln um- fassen. Die Abbildungen sind ebenfalls von vorzüglichster Ausführung. Das Werk von Gillet, Hymenomycetes et Dicomycetes de la France, umfaßt in 4 Bänden etwa 800 Ta- feln und einen Band Text. Im F>scheinen begriffen ist ein Tafelwerk von Rolland über die größeren Pilze Frankreichs. Erschienen sind bereits 2 Lieferungen, im ganzen sollen etwa 120 Tafeln ausgegeben werden. Die Mitglieder der Societe Mycologique de France erhalten das Werk von der Verlags- firma P. Klincksieck als Gratiszugabe. Deutsche ältere Werke sind Krombholz, Müller und Papst, und vor allen Harzer und Reichenbach: Natur- getreue Abbildungen der vorzuglichsten eßbaren, giftigen und verdächtigen Pilze (Dresden 1842). Hier wäre auch Fries zu erwähnen. Alle diese Werke sind nur anti) Nach Littre ist der mexikanische Name der Tomate ,,tomatl". S) „Themistitan, Latein. Themistitanum, diesen Nahmen rühret bißwecilen die Landschafft Me.sico" (Großes vollstän- diges Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste. 43. Band. Leipzig und Halle 1 745I. N. F. VI. Nr. 35 Naturwissenschaft liclic Wochenschrift. 547 Heimat dieser Pflan/e, Mittel- und Südamerika, zuerst in Berührung kamen, und daß sie von dort allmählich in die übrigen Mittelmeerländer, deren Klima ihrem Gedeihen günstig ist, verbreitet wurde. .\us dem obigen Zitate des Anguillara ist nicht ersichtlich, wo er die Tomate zuerst gesehen hat, es ist indessen anzunehmen, daß er sie in Italien kennen gelernt hat, da er anderenfalls gewiß näheres mitgeteilt hätte. Wir wissen also über die Zeit des Bekanntwerdens der Tomate in Kuropa als ganz sicher nur, daß sie vor dem Jahre 1500 eingeführt wurde. Wahrscheinlich ist, daß sie wenigstens in den Ländern Europas, in denen es schriftstellernde Botaniker gab, nicht viel früher bekannt war; denn sie wäre sonst gewiß von irgend einem Botaniker, der vor 1560 schrieb, er- wähnt worden. Ich habe eine Anzahl botanischer Werke, die vor bzw. in diesem Jahre erschienen sind, daraufhin durchgesehen, aber mit negativem Resultate. Die wichtigsten dieser Werke sind : 1. Pedacii Dioscoridis opera medica graeco- latina interprete Marcello Vergilio. Coloniae 1529 (ausführlicher Kommentar). 2. Nicolai Leoniceni de Plinii et aliorum medi- corum erroribus liber. Basileae 1529. 3. Hermolai Barbari in Dioscoridem coroUa- riorum libri quinque. Coloniae 1530. 4. Ilerbarum vivae eicones, per Oth. Brunfels. .Argentorati 1530. Band 2 unter dem Titel : Novi herbarii Tomus II. Argentorati 1531. 5. De natura stirpium libri tres, Joanne Ruellio authore. Basileae I537- 6. New Kreuterbuch. Von Leonhard Fuchs. Basel 1543. 7. Antonii Musae Brasavoli examen omiiium simplicium medicamentorum. Venetiis I54S. 8. La coltiv^atione di Luigi Alamanni al Christianissimo re Francesco primo. Parigi 1546. 9. Hieronymus Bock, Kreuterbuch. Straßburg 1 560. In den nach 1560 erschienenen Werken da- gegen finden wir recht häufig Beschreibungen und bildliche Darstellungen der Tomate. In Italien war in den ersten Jahrzehnten nach ihrem Bekanntwerden ihr wirtschaftlicher Wert nicht allgemein bekannt. Aus dem Werke des Andrea Cesalpini „De plantis libri XVI" (Florentiae 1583) erfahren wir, daß die Tomate in den Gärten gezogen wurde, mehr der Zierde als des Nutzens wegen, daß ihre Früchte aber von manchen in derselben Weise wie Eierfrüchte zubereitet ge- gessen wurden. Cesalpini scheint von den To- matenfrüchten nicht viel gehalten zu haben ; denn er tadelte an ihnen einen an Wild erinnernden Geruch (odor ferinus), den er besonders an roten Früchten wahrgenommen haben wollte. Pena und Lobelius (Nova stirpium adversaria. Auetoribus Petro Pena et Matthia de Lobel Medicis. .-^nt- verpiae 1576) geben an, daß die Tomaten von manchen Leuten in Italien in derselben Weise wie Melonen gegessen würden. In der von Joachim Camerarius herausgegebenen Schrift des Matthiolus „De plantis epitome utilissima" (Frank- furt a. M. 1586) wird der Tomate als einer un- schädlichen, in Italien gegessenen I'rucht gedacht, die aber auch als Mittel gegen Krätze gebraucht werde. In dem von Joachim Camerarius in deut- scher Sprache herausgegebenen Kräuterbuche des Matthiolus (Frankfurt a. M.) schließlich lesen wir: „In Welschland pflegen diese Früchte etliche zu essen mit Pfeffer Oel und Essig gekocht / aber es ist ein ungesunde Speiß und die gantz wenig Nahrung geben kan." Wann die Tomaten an- fingen, in den italienischen Küchen allgemeiner benutzt zu werden, entzieht sich meiner Kenntnis. Heute jedenfalls sind bei den Italienern die Früchte allgemein beliebt, deren „gelbroter säuerlicher Saft die italienischen Schüsseln zu färben pflegt und überall in der italienischen Küche, wo es nur möglich ist, angebracht wird" (Victor Hehn). Ungefähr um dieselbe Zeit, wo die Tomate in Italien bekannt geworden war, muß sie nach Deutschland gebracht worden sein; denn Konrad Gesner teilt in seinem oben zitierten Werke aus dem Jahre 1561 mit, daß zu seiner Zeit von ver- schiedenen Männern, von denen er auch Kataloge über die von ihnen gezogenen Pflanzen empfangen hatte, Tomaten kultiviert wurden. Außer Gesner selbst, der einen zwar kleinen, aber an mannig- faltigen Pflanzen reichen Garten besaß, waren es folgende Männer; 1. Ollingerus, der 1561 schon tot war. Er war ein Droguist (simplicium medicamen- torum mercator) zu Nürnberg und lag mit großem Eifer dem Gartenbau ob. 2. Vuoysselus, ein Breslauer Bürger. 3. Petrus Condenbergius, ein Antwerpener Apotheker. 4. Joachimus Kreichius, ein Apotheker zu Torgau. Konrad Gesner kannte die Tomate nur als Zier- und Topfpflanze, gab indessen ausdrücklich an, daß die Frucht unschädlich sei. Daß sie zu der Zeit, wo Gesner seine Horti Germaniae ver- faßte, in Deutschland noch selten war, geht dar- aus hervor, daß es dieser Gelehrte für nötig hielt, die damaligen Züchter von Tomaten namentlich anzuführen. Bald aber wurde diese Pflanze in vielen deutschen Gärten herangezogen, nach dem Zeugnis des Jacob Theodor Tabernaemontanus (Neuw Kreuterbuch. Frankfurt a. M. 1588, S. 464 des 2. Teiles; „Es seyn diese Oepfifel in den Gärten gemein worden"). So rasch die Tomaten nach den Worten des Tabernaemontanus sich auch in Deutschland verbreiteten, so wenig konnte man sich lange Zeit hindurch an ihre Verwendung in der Küche gewöhnen. Camerarius (1588) empfiehlt die Tomate nur als Mittel gegen die Krätze. Peter Lauremberg (Horticultura libris II comprehensa. F"rancofurti ad Moenum 1654) er- wähnt sie im 7. Kapitel des 2. Buches, das von den Gemüsepflanzen handelt, gar nicht. Es ist 548 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 35 das um so auffälliger, als in dem Kapitel eine große Anzahl auch weniger bekannter Gemüse- pflanzen vorkommt. Im Parnassus illustratus mcdicinalis von Johann Joachim Becher (Ulm 1663) finden sich die beiden Verse: „Goldäpffel brauchet man sie stillen bald den Grind Zum Essen innerlich man sie nicht gut befind." Johann Sigismund Elßholtz (Vom Garten-Baw. 3. Druck. Colin a. d. Spree 1684) kennt die Tomate nur als Zierpflanze; denn er beschreibt sie im 2. Buche des genannten Werkes (,,Der Blumen-Garte"), erwähnt sie aber im 4. Kapitel des 3. Buches („Erzehlung der Küchen-Früchte") nicht. Noch im Anfange des 19. Jahrhunderts wurden die Früchte der Tomate in Deutschland vielfach für giftig gehalten. Der als Pomologe bekannte Pfarrer J. V. Sickler sagt in seinem Garten-Handlexikon (Erfurt 1811) über die Tomate: „Wiewohl man sie für giftig hält, so werden sie doch in Italien mit Pfeffer, Ol und Salz roh ge- gessen, ja in Portugall, Spanien und Böhmen braucht man sie auch zu Brühen und Saucen, denen sie einen angenehmen und säuerlichen Geschmack geben." In dem einige Jahre vorher erschienenen 100. Teile der großen Encyclopädie von Krünitz (Berlin 1805) wird berichtet, daß die Tomate meistens zur Zierde in den Gärten oder in Töpfen herangezogen werde. Auch hier erfahren wir, daß die F'rüchte von manchen für giftig gehalten, nichtsdestoweniger aber in Südeuropa und Ost- indien ') gegessen wurden. Erst in der neuesten Zeit fängt man in Deutschland an, sowohl der Kultur der Tomate als auch ihrer Verwendung in der Küche eine größere Aufmerksamkeit zu schenken. Daß die Tomate in den Niederlanden (im weiteren Sinne) schon früh bekannt war, erhellt aus Gesner's Angabe in seinen Horti Germaniae vom Jahre 1561, daß ein Antwerpener Apotheker sie damals kultivierte. Rembertus Dodonaeus kannte sie und beschrieb sie ziemlich ausführlich z. B. in seiner Schrift ,,Purgantium aliarumque eo facientium, tum et radicum, convolvulorum et deleteriarum herbarum historiae libri IV. Ant- verpiae 15 74-" Sie wurde indes in jener Zeit wenig beachtet. Die Franzosen wußten den Wert der Tomate anfangs ebenfalls recht wenig zu schätzen. Zwar wurde sie schon in der sog. Historia generalis plantarum Lugdunensis (Lugduni 1587) ausführlich beschrieben, aber noch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts scheute man sich, die Früchte zu Küchenzwecken zu benutzen. Olivier de Serres (Theatre d'agriculture. o. O. 16 19) sagt: ,,Leur3 fruits ne sont bons ä manger", und Charles Estienne und Jean Liebaut (L'agriculture et maison rustique. Derniere edition. Ronen 165S) schreiben gar: ') Es wird in diesem Werke irrtümlicherweise als Heimat der Tomate außer Amerika auch Ostindien angegeben. ,,son fruict mange excite une nausee et vomisse- ment." In der 1567 zu Paris erschienenen Aus- gabe dieses Werkes sowie in einer 1572 zu Moiit- iuel gedruckten Ausgabe wird übrigens die Tomate noch nicht erwähnt. Man benutzte diese Pflanze in I'Vankrcich häufig zum Bekleiden von Garten- lauben, wie uns Olivier de Serres lehrt („comme aussi communement seruent-elles k couvrir cabi- nets et tonnelies"). Nach England soll einer Angabe in Loudon's Encyclopädie des Gartenwesens (Deutsche Über- setzung. 2 Bde. Weimar 1825 — 26) zufolge die Tomate im Jahre 1596 eingeführt worden sein. John Gerard beschreibt sie in seinem Werke „The Herball or gcneral historie of plaiites" (London 1636). In unserer Zeit ist die Tomate in P'rankreich wie in England sehr beliebt. Nachdem wir an der Hand der benutzten Literatur uns über das Bekanntwerden und die anfängliche Verwendung der Tomaten in einigen Ländern Europas unterrichtet haben, wollen wir der P'rage näher treten, in welcher Weise diese Pflanze früher kultiviert wurde. Bei Anguillara und Guilandinus, die ja die Tomate nur nebenbei erwähnen, finden wir keine Angaben über ihre Kultur. Aber auch Caesal- pinus, der die Pflanze genau beschreibt und über ihre Verwendung als Zier- und Nutzpflanze spricht, enthält sich jeglicher Kulturangaben, und Matthiolus (1586) macht nur die kurze Angabe: „locisque gaudet humidis". Es lag überhaupt bei den italienischen Botanikern nicht so sehr das Be- dürfnis vor, ihre Leser über die Zucht dieser neuen Pflanze zu belehren, da sie in Italien ohne Schwierigkeiten gezogen werden kann und ihre Früchte leicht zur Reife bringt. Der Schweizer Naturforscher Konrad Gesner (1561) machte einige Bemerkungen über die Kultur der Tomate. Er hob besonders hervor, daß diese Pflanze in Deutsch- land gedeihe und frühzeitig (mature) F'rüchte liefere. Auch betonte er, daß sie einen fruchtbaren Boden und gute Bewässerung verlange. Während man bei rationeller Freilandkultur auch in Norddeutschland selbst unter ungünstigen Bedingungen Anfang August reife Tomatenfrüchte ernten kann, finden wir bei vielen älteren Bota- nikern und ökonomischen Autoren abweichend von Gesners Angabe (fructum mature perficit) als Reifezeit den Herbst angegeben. Dodonaeus z. B. (1574) bezeichnet den Herlast als Reifezeit. Taber- naemontanus (1588) gibt als Blütezeit der Tomate die iVIonate August und September an ; so spät blühende Pflanzen werden nur ausnahmsweise reife Früchte geliefert haben. In der Historia generalis plantarum (Lugduni 1587) werden die von Gesner mitgeteilten Bemerkungen über die Tomatenkultur wiederholt, als Blütezeit wird der Juli und August und als Reifezeit der Herbst an- gegeben. John Gerard (1636), der aus Spanien und Italien sich Samen hatte schicken lassen, be- richtet nur, daß die Pflanzen in seinem Garten N. F. VI. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S49 gut gediehen. Krüiütz schreibt, daß die Tomate vom Juli bis in den Herbst blühe, und daß ihre Früchte 4 bis 6 Wochen zur Zeitigung gebrauchten. Wir l<ünnen aus diesen Angaben schließen, daß insofern ein großer Fehler bei der Anzucht der Tomaten gemacht wurde, als der Samen zu spät ausgesät wurde. .Ausführlicher als die botanischen Schriftsteller redeten über die Kultur der Tomate die Garten- bauschriftsteller; ich habe genauere .Angaben bei Olivier de Serres, Abrahamus Munting, Johann Sigismund EIßholtz und Johann Andreas Stisser gefunden. Olivier de Serres (Theatre d'agriculture. Der- niere edition. o. O. 1619) gibt im 10. Kapitel des 6. Ruches seines Werkes als Aussäezeit den Aus- gang des Winters an als ,,seul moyeti de s'enge- ancer de ces plaisans arbustes". Dieser Mann hatte zuerst die Vorteile einer frühen Aussaat erkannt und wird eher als im Herbste, vermutlich schon im August, reife Früchte erhalten haben. Im übrigen gibt er nur noch an, daß die Tomaten keine besonderen Anforderungen an den Boden und die Pflege stellten. EIßholtz (1684) empfahl zuerst, die jungen Pflanzen im Mistbeete zu er- ziehen. Auch riet er, den erwachsenen Pflanzen zuweilen die Nebenzweige zu nehmen, die Haupt- zweige aber, die Früchte ansetzten, wachsen zu lassen und an Pfählen hochzubinden. Hiermit waren sehr brauchbare Kulturvorschriften gegeben, Abrahamus Munting (Waare Oeffening der Planten door Abrahamus Munting. Amsterdam 1682) säte zu spät aus (April) und erntete erst gegen den Winter hin reife Früchte, obwohl er ein- oder zweimal die Triebe stutzte, hauptsächlich nach dem Fruchtansätze, damit die Früchte mehr Licht erhielten. Stisser') (Botanica Curiosa Oder Nütz- liche Anmerkungen Wie einige frembde Kräuter und Blumen in seinem Anno 1692 zu Helmstedt angelegten Medicinischen Garten bißhero culti- vieret und fortgebracht Johann Andreß Stisser. Helmstedt 1697) säte für seine Verhältnisse auch zu spät aus (März oder April), und da er seine Pflanzen nicht beschnitt, so erhielt er nur in ganz warmen Sommern reife Früchte und keimfähigen Samen. Daß die Tomaten eine sonnige Lage, einen guten Boden und zur Zeit des Frucht- ansatzes viel Wasser verlangen, war sowohl Mun- ting wie Stisser bekannt. Werfen wir einen Rück- blick auf das soeben Mitgeteilte, so finden wir, daß die allgemeinen Bedingungen einer erfolg- reichen Kultur der Tomate schon vor dem Jahre 1700 bekannt waren. Ein Gärtner, der nach den vereinigten Vorschriften der eben erwähnten ') Stisser, Professor der Medizin an der Helmstedter Universität, legte sich 1692 auf eigene Kosten einen Hortus Mcdicus an, da der Universität ein solcher fehlu-. Er ließ sich Samen aus Italien, Holland und den berühmtesten Gärten in Deutschland schicken ; seine Kulturen gediehen aber niclit recht, da er mit ungünstigen VViUerungsverhältnissen zu kämpfen hatte und es ihm überdies an einem „Hibernaculum plantarum" fehlte. Gartenbauschriftsteller Tomaten gezogen hätte, würde auch unter ungütistigen Bedingungen reife Früchte erhalten haben. Wie aber die Tomate als gewinnbringende Marktpflanze in Ländern mit ungünstigem Klima gezogen werden müsse, damit sie von Anfang August bis in den Oktober hin- ein Mengen von Früchten liefere, das ist, wenigstens in Deutschland, erst in jüngster Zeit allgemeiner bekannt geworden. Über das Aussehen der im 16. und 17. Jahr- hundert bekannten Tomatensorten können wir uns auf Grund der vorhandenen Beschreibungen und AbbildiHigcn eine ganz gute Vorstellung machen. Der Stengel der damals kultivierten Tomaten war wie bei der Mehrzahl der heute gebauten niederliegend und bedurfte, wenn er nicht am Boden hinkriechen sollte, einer Stütze. Seine Länge wird verschieden bestimmt ; Caesal- pinus gibt sie auf 2 — 3 Ellen, Dodonaeus auf 3 und mehr Ellen an, in der Historia generalis plan- tarum Lugdunensis wird sie auf 3 — 4 Fuß ange- geben, und Matthiolus sagt: „crescit in altitudinem corporis humani." Caspar Bauhin (1623) erwähnt zuerst eine straffstenglige, niedrigbleibende Varietät (est et surrectis cubitalibus cauliculis, quod per omnia minus est). Die Blätter werden überein- stimmend als vielfach geteilt und behaart ge- schildert. Das Lycopersicum cerasiforme mit kleineren, wenig behaarten Blättern und die Varie- täten, bei denen die Blattfiedern ganzrandig sind und eine bedeutende Größe besitzen (z. B. Courtet), waren jedenfalls noch nicht bekannt. Bemerkens- wert ist die Angabe bei Dodonaeus (1574): „tota herba e viridi colore inalbicat". Man kann bei den meisten Tomatensorten, insbesondere wenn sie streng im Schnitt gehalten werden, beobachten, daß die älteren Blätter allmählich an Dicke zu- nehmen, spröde werden, sich ins Weißliche oder Graue verfärben und die Ränder nach oben um- rollen , wodurch sie kraus erscheinen. Manche Varietäten (z. B. Hubbards krausblättrige Tomate und die gestreiftfrüchtige japanische Tomate) zeigen diese Veränderung der Blätter besonders auffällig. Auf diese Erscheinung ist ohne Zweifel auch folgende Stelle bei Pena-Lobelius (1576) zu beziehen, die sonst unverständlich sein würde: ,,folia crassa, pingua (sie!), fractu facilia, colore glauco vel caesio". Daß nur immer 5—6 Blüten einen Blütenstand bildeten, erfahren wir von Dalechamps (1587). Als Farbe der Blüte wird die gelbe, von Caesalpinus irrtümlich die weiße angegeben. Schon Gesner (1561) kannte Tomatensorten mit verschieden gefärbten uud verschieden geformten P'rüchten : er spricht von Sorten mit kleineren, glatten und solchen mit größeren, unebenen Früchten, als Farben führt er goldgelb, rot und weiß an. Es ist kaum anzunehmen, daß diese ersten Tomatenvarietäten in Europa entstanden sind ; es ist viel wahrscheinlicher, daß sie aus Peru und Mexiko, wo die Tomate schon lange vor der F^lntdecktmg Amerikas kultiviert wurde, 550 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 35 eingeführt worden sind. Dodonaeus (1574) be- stimmte die Größe der Früchte genauer, indem er sie mit der eines mittelgroßen Apfels verglich. Pena und Lobelius (1576) teilen mit, daß die Früchte höchstens die Größe einer Orange er- reichten. Als Farben führen sie fulvus (rotgelb, dunkelgelb) und purpureus an. Es ist auffallend, daß von Tabernaemontanus, Matthiolus und im Hortulus sanitatis braune Tomaten erwähnt werden. Nur ein einziges Mal habe ich in meinen ausge- dehnten Tomatenkulturen eine braunfrüchtige Pflanze auftreten sehen ; sollte es früher wirklich eine braunfrüchtige Varietät gegeben haben oder liegt hier ein Irrtum vor? Munting (1682) unter- scheidet ganz präcis 4 Varietäten, die er nennt : 1. l'omum amoris rubrum majus (groote roode Appel der Liefde). 2. „ „ rubrum minus (kleine roode Goudenappel). 3. „ „ fructu luteo maiore (groote Goudenappel met een geele Vrucht). 4. „ „ fructu luteo minore (Appel der Liefde met een kleine geele Vrucht). Bei Krünitz (1805) kommt als neue Varietät hinzu eine gelb- und rotbunte. Hier werden auch zum ersten Male Tomaten mit nur kirschgroßen Früchten erwähnt. Aus dem Mitgeteilten ersehen wir, daß die Tomate schon kurz nach ihrer Einführung in mehreren Abarten kultiviert wurde und daß die Haupttypen dieser Kulturpflanze schon seit langer Zeit bekannt sind. Durch künstliche Züchtung sind diese Haupttypen veredelt worden, insbeson- dere ist die Größe der Früchte, die Fruchtbarkeit und die Frühreife gesteigert worden. Da ferner die zu Lycopersicum cerasiforme gehörenden Sorten sowie die Varietäten mit breiten Blättern, deren Fiedern ungeteilt sind (wie Courtet), als neu hinzukamen und die mannigfachsten Kreuzungen vorgenommen wurden, so ist die Zahl der von den heutigen Samenhändlern angebotenen Kultur- formen der Tomate eine sehr große geworden. Zum Schluß möchte ich die Aufmerksamkeit des Lesers auf zwei ältere Abbildungen der Tomate lenken, die zwei verschiedene Varietäten darstellen. Die eine findet sich in „Plantarum seu stirpium historia Matthiae de Lobel" (Ant- verpiae 1576), aber auch in anderen botanischen Schriften aus jener Zeit. Diese Abbildung bringt die charakteristischen Merkmale der Tomate in vorzüglicher Weise zur Darstellung. Das unterste Laubblatt ist bis auf den Stiel entfernt, die drei untersten Seitentriebe sind ebenfalls der Deutlich- keit wegen nur in ihrem Basalteile dargestellt. Die Blätter haben die gewöhnliche Form (wie z. B. bei der bekannten Sorte Ficarazzi). Stengel hin- und hergebogen, dicht behaart. Blütenstand zweiteilig. Kelch und Krone aus zahlreichen Gliedern bestehend, zurückgeschlagen. Sterile Fortsätze der Antheren zurückgebogen. Griffel aus dem Antherenkegel hervorragend. Früchte zu 6 in einem F"ruchtstande, platt, mit vielen Riefen. Eine andere gute Abbildung der Tomate, die mit der bei Lobelius sich findenden nichts gemein hat, steht im Hortulus sanitatis (1609) auf Seite 557. Der Stengelgrund besitzt ein Büschel von Adventivwurzeln (gute Beobachtung!), die Be- haarung des Stengels ist nicht so deutlich wie bei Lobelius. Blätter von gewöhnlicher Form, Blüten- stand ähnlich wie auf dem anderen Bilde, Blüte mit zahlreichen Kelch- und Kronblättern, Griffel nicht so weit aus dem Antherenkegel hervor- ragend. Frucht glatter als auf dem anderen Bilde, auch nicht so ausgesprochen platt. Außer dem Habitusbilde finden sich noch einige Nebenfiguren, die zur Darstellung bringen: 1. eine Knospe, von der Seite gesehen, 2. eine Blüte von oben, 3. eine Blüte von unten, 4. eine normale P'rucht, 5. eine senkrecht durchschnittene Frucht, zwei Fächer mit dicker Placenta und Samen- körnern zeigend, 6. eine stark fasciierte P>uclit, 7. einige Samenkörner. Die Hauptergebnisse dieser Arbeit sind folgende : 1. Die Tomate wurde vordem Jahre 1560 aus Peru und Mexiko nach Europa gebracht. Die genaue Zeit ihrer Einführung ist nicht festzustellen. 2. Sie wurde anfangs nur als Zierpflanze kulti- viert, der wirtschaftliche Wert ihrer Früchte wurde erst allmählich bekannt. 3. Die wichtigsten Bedingungen einer erfolg- reichen Kultur der Tomate auch unter un- günstigen Verhältnissen waren schon vor 1700 bekannt. 4. Schon 1561 gab es mehrere Tomatensorten mit verschieden gefärbten und verschieden geformten PVüchten. Die Zalil der Varie- täten nahm allmählich zu und scheint erst im 19. Jahrhundert stark gewachsen zu sein. Kleinere Mitteilungen. Efsbare Insekten. — „Die gesamte Tierwelt," lehrt uns Ranke, „liefert Zuschuß zur Fleischnah- rung der Menschen." Nicht bloß die bekannten höheren Tiere bis lierah zu den Reptilien und Amphibien dienen zu Nahrungszwecken, sondern auch die niederen Klassen müssen beihelfen, wenn auch nicht in dem Maße wie die ersteren. Ins- besondere sind es die Krebse, ferner Weichtiere wie die Muscheln, Schnecken und Tintenfische, die sich der Menscli allerorten fängt und zu Munde führt. N. F. VI. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. SSI Merkwürdig kommt unserem \'olke die Vor- liebe der Ostasiaten für gewisse Tiere vor, wie für den rätselhaften l'aololowurm und die 1 lolo- thurien oder Seewalzcn ; aber es werden auch an der Riviera die Kierstöcke der Seeitjel als Lecker- bissen verzehrt. Noch sonderbarer erscheinen uns die eßbaren Schwalbennester, die von den Chi- nesen so hoch geschätzt werden. Aber Peschel macht in seiner Völkerkunde die treffende Be- merkung, dal.^ wir keine Berechtigung hätten, über diesen abnormen (ieschmack die Nase zu rümpfen, nachdem wir selbst ,, weder vor den Verdauungs- rückständen der Schnepfen (oder Bandwürmern? nach R. Hertwig's Kollegienheft) noch vor Hum- fnern und Krebsen zurückweichen, welchen letz- teren doch zur Reinigung ihrer VVassergebiete das Geschäft obliegt, gleichzeitig als Grab und Toten- gräber zu dienen". Letzteres ist doch etwas zu stark aufgetragen. Weniger ekelhaft, ja sehr einladend zum Ver- speisen wären gewiß viele Vertreter des zahl- reichen Heeres der Insekten. Aber Ranke kann nur 2 Arten anführen als einigermaßen wertvoll und brauchbar zur Nahrung. Das sind die Zug- heuschrecke (Acridiinn migratorium) und die Larve des Palmkäfers (Calandra palniarum). Eine Durch- sicht der Literatur älterer und neuerer Zeit, sowie der Reiseberichte, kann die Zahl jedoch bedeutend vermehren. Die Zug- oder Wanderheuschrecke, die durch ihr massenhaftes Auftreten der Landwirtschaft so schädlich werden kann , ist uns allen von der Schulzeit her im Gedächtnis, als Nahrung des Johannes des Täufers. Weniger bekannt sind da- gegen die Verse des berühmten Kommödien- dichters Aristophanes , der Heuschrecken und Krammetsvögel in Parallele bringt. Ob Heuschrecken im Geschmack Krammetsvögel übertreffen ? Hui, wie suchst du mich zu foppen ! Er urteilt gar, daß Heuschrecken besser seien.') (J. Scheuchzer, Physica sacra.) Die Heuschrecken werden, wie Rösel von Rosenhof in seinen um 1750 erschienenen, über- aus schön illustrierten „Insektenbelustigungen" zu berichten weiß, in Butter gebraten oder in Essig und Pfeffer gelegt und sollen dann so schmack- haft sein wie etwa Krebse oder Häringe. In jenen Zeiten, da oft Hungersnöte im Gefolge der Kriege unsere Länder heimsuchten, dachte man wirklich daran, die Heuschrecken als Volksspeise in Empfehlung zu bringen. Rösel probierte sie als echter Naturforscher, fand sie aber abscheulich; der gleichen .'\nsicht ist unser Volk von jeher gewesen. Mag es an der Zubereitung liegen oder die wirkliche Wanderheuschrecke, die selten unsere Gegenden — Gott sei Dank — überfallt, von besserer Qualität sein, im Orient sind Heuschrecken- ') Utrum Locustae suaviores sint quam Turdi? Eheu ! quam iniurius es! Locustas judicat multo. . . . geiichte von jeher im Brauche. Ein alter eng- lischer Reisender Tristan fand ein solches, das er sich vorsetzen ließ, ,,very good". Peschel behauptet, daß die Araber einen Heuschreckenschwarm nicht ungern sehen und ihn als einen „gottgesendeten Eestesschmaus" begrüßen. Das sind vielleicht die „Heuschreckenfresser", von denen Strabo (L. XVI) erzählt. Eine seltsame Geschichte, die nicht un- wahrscheinlich klingt, überliefert uns der alte Por- phyrius (L. I 25). In der lybischen Wüste ver- irrte sich ein Heer; es war bereits am Verhungern, als sich plötzlich ein Schwärm von wandernden Heuschrecken zeigte. Sie retteten das Heer vom Hungertode. Im Mittelalter wurden einige Zweifel laut, ob man wirklich von Locusten oder Heuschrecken sich nähren könnte. Jakobus (wohl von Vitry, ein fränkischer Pilger des 12. Jahrhunderts), hielt die Locuste für ein vierfüßiges Tier, das in den Ländern östlich vom Jordan lebt. Es sei klein mit einem großen Kopf, welcher fleischig und eßbar sei. Welche Art er darunter verstand, ist nicht zu bestimmen. Konrad von Megenberg, der die älteste Naturgeschichte in deutscher Sprache in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts verfaßte, wendet sich gegen diese Ansicht mit der Erklä- rung, „daß Sankt Johannes sich wohl nicht derart gütlich getan und für seinen Leib gesorgt hat, daß er zumeist von Fleisch in der Wüste gelebt hat. Es ist leichter anzunehmen, daß er dort von den Würmern (d. h. den Heuschrecken) sich ge- nährt hat, weil auch ein Volk, die Parther, sie gerne verspeisen. Ich weiß aber nicht, in welcher F"orm sie sie essen". (Vgl. das Buch der Natur von Konrad von Megenberg; in neu-hochdeutscher Sprache bearbeitet von Prof. Dr. Hugo Schulz in Greifswald, 1897, S. 258). Zu Oken's Zeiten vor 70 Jahren hielt man die Heuschrecken, welche die Israeliten in der Wüste gegessen haben sollen, für Vögel und diejenigen des Johannes des Täufers für die Samen des Johannesbrotbaumes. Aber da, wie sicherlich erwiesen ist, die Heuschrecken vielfach von den Armen im Oriente gegessen werden, dürfen wir jene biblischen Nachrichten auf die echte Wanderheuschrecke beziehen. Von den verwandten Arten und Gattungen sollen die Stabheuschrecken in ihren größeren Vertretern (Cyphorramma gigas u. a.) von den Eingebornen Brasiliens oder Indiens wie Würste gebraten und gegessen werden. Bei der großen Dürre ihres Körpers werden sie wohl ein sehr mageres Frühstück abgeben, wenn nicht überhaupt eine Verwechslung mit den echten , den soeben behandelten Wanderheuschrecken vorliegt. Über die Indianer Britisch Guyanas berichtete F". Appun (Ausland, 1872, Nr. 27): „Wild und Fische bilden ihre Hauptnahrung, doch verschmähen sie auch Ratten, Affen, Alligatoren, Frösche, Wür- mer, Raupen, Ameisen, Larven und Käfer nicht." Das gilt für die meisten südamerikanischen, auch für manche afrikanische und malayische Stämme. Was speziell die Ameisen betrifft, so erzählt 552 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 35 der bayrische Brasilienforscher V. Martius (Reisen in Brasilien, III. Bd., S. 952) eine ergötzliche Ge- schichte. „Oft überraschten wir einen jungen Indianer, wie er im Garten vor einem Ameisen- haufen kauerte und sich die Tierchen an einem Stocke in den Mund laufen ließ." Die Ameisen werden also gleich lebendig von manchen Indianern gegessen. Den Botokuden sagt man sogar nach, daß sie das in ihren Haaren reichlich nistende Ungeziefer nach Affenart verzehren. Ich möchte aber das doch bezweifeln und für eine oberflächliche Be- obachtung eines flüchtigen Reisenden halten; von guten Kennern der Naturvölker, speziell der Neger, wird uns im Gegenteil versichert, daß sie sehr viel auf Reinlichkeit halten. Bei solchen ,, intimen Szenen", wie sie uns Murillo auf einem Bilde in der IVIünchener Pinakothek schildert, werden wohl die Finger in den Mund genommen, aber doch nur um sie durch den Speichel klebrig zu machen. G. Schweinfurth fand, daß die Bongonegcr mit Ausnahme von Mensch und Hund kein tieri- sches Nahrungsmittel, auch nicht Ratten, Schlangen, Aasgeier, Hyänen, fette Erdskorpione, geflügelte Termiten und Raupen sich entgehen lassen. Am Nyassasee werden sogar Fliegen, und zwar nicht gerade in der Not, nach dem bekannten Sprich- wort, als Leckerbissen verzehrt. Gewährsmann für diese Beobachtung ist uns Wißmann (,, Meine zweite Durchquerung Aquatorialafrikas", S. 219) und P. Alphons M. Adams, welcher folgendes er- lebte. Eben war er nach langwierigem Marsche in die Nähe des Sees, den er looo m zu seinen Füßen liegen sah, gekommen, als er auf der weiten Wasserfläche einen dunklen, gleichsam von einem grauen Schleier umhüllten Gegenstand erblickte. ,,Bald nahm er die Gestalt an, wie die Segel eines fernen Schiffes , bald wie die einer Rauchwolke, und dann ballte es sich wieder zu einem Klumpen zusammen. — ,,Dudu, Diidu" (Insekten), riefen die P'ührer erklärend. Die Eingebornen folgen, so- bald die Schwärme ans Land gekommen sind, ihrem Zuge und sammeln die Fliegen , wenn sie sich von dem Pfluge über den See ermüdet nieder- lassen. Die Massen der gesammelten Insekten werden zu einem Brei geknetet und geben, in Kuchenform geröstet, eine beliebte Speise." (P. A. M. Adams, Im Dienste des Kreuzes, 1899, S. 112.) Von welcher Art diese Fliege war, ist nicht zu ermitteln ; wer weiß , ob sie überhaupt schon bestimmt ist. Von den Eingebornen wird sie Cungu genannt. Im Anschluß daran möchte ich aufmerksam machen auf den großen P'liegenexport, der vom Amazonenstrom aus nach Europa be- trieben wird. Die Pliegen und Mücken werden mit großen Gazenetzen gefangen, getrocknet und in Säcken als Vogel- und Fischfutler verschickt. Die Tonne Fliegen soll gegenwärtig 2500 Mark kosten, da die brasilianische Regierung den allzu- starken Wegfang dieser Insekten verboten hat in der richtigen P>kenntnis, daß ihre Eier und Larven die Hauptnahrung der P'ischc bilden. Es wäre also die berühmte Streitfrage, ob die Mücken „die geflügelten Unholde der Nacht" (Meleager) wohl auch irgend einen Nutzen gewähren , in bejahen- dem Sinne zu beantworten. Aus der Ordnung der Halbflüglcr, welche Wanzen und Cikaden vereinigt, werden letztere, die sich durch ihren Gesang oder vielmehr Zimbcl- töne schon dem frühesten Altertum bemerklich machten, von orientalischen Völkern gegessen. Aristoteles in seinem Tierbuche (Lib. V cap. XXX) und Plinius in seiner Naturgeschichte (Lib. XI, 26J berichten es uns. Insbesondere waren die Pup|ien, bevor ihre Hülle zerbarst , als „außerordentlich süße Speise" geschätzt. Von den ausgekrochenen Tieren aß man die männlichen vor der Paarung, die weiblichen, welche an der Legeröhre deutlich erkennbar sind, vor dem Eierlegen. Die weißen Eier schmecken wie Krebse nach Reaumur. Des- gleichen wurde die in Nordamerika lebende Heu- schreckencikade von den Indianern in Körben gesammelt, gebraten und als wohlschmeckende Speise gegessen. (P. Kalm, Schwedische Abhand- lungen XVIII, 1756, S. 94.) Von dem schon genannten Palmkäfer lesen wir genaueres bei Oken, der sich auf die Berichte Fermin's (hist. nat. de Surinam 1765, 8, p. 171) stützt. Die Larven werden von den Indianern imd Kreolen, welche sie Cabiswürmer nennen, auf Kohlen gebraten und für Leckerbissen gehalten. Sie wachsen in unzählbarer Menge im Stamm des sog. Palmkohls (Areca oleracea), der in Surinam und Brasilien sehr gemein ist. Man köpft die Stämme, deren zarte Blätter einen guten Salat geben, und macht Längsschnitte hinein, damit die Käfer in das Innere dringen können. Aus den dort abgelegten Eiern kriechen Würmer fingerdick und zwei Zoll lang, die wie ein Stück Fett in einer durchsichtigen Haut aussehen. Ihre Farbe ist weiß bis auf den Kopf, der schwarz ist. „Man dämpft diese Palmenwürmer entweder in einer Pfanne oder steckt sie an einen hölzernen Spieß und bratet sie im Feuer; sie sollen ein vortreffliches und sehr zartes Essen sein, wetm man einmal den natürlichen Widerwillen über- wunden hat, was bei den Franzosen nicht lange dauert; sie essen sie mit geriebenem Brot, Salz und Pfeffer." Wie es scheint, werden diese Käfer- larven auch jetzt noch gern verzehrt. Am wunderlichsten klingt uns wohl die Kunde von den eßbaren Schmetterlingen. Solche sollen die Eingebornen Australiens kennen. Auch in Mexiko erachtet man gewisse Schmetterlingsraupen als genießbar. Als Krieger in Cordoba (Mexiko) an Tonotebäumen eine große Raupe näher be- trachtete, riefen die ihn begleitenden Indianer aus: ,,Sefior, eses son maj sabroso." Diese Sorte ist sehr schmackhaft. Er beobachtete auch, daß Nachtfalter, welche die elektrischen Straßenlampen umschwärmten und auf den Boden fielen, nicht bloß von Vögeln, sondern sogar von Hunden und Katzen mit großer Begierde gefressen wurden. (Nach Natur und Haus, X. Bd.,'S. 238.) N. F. VI. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 553 In unseren (.iegenden essen Kinder nicht Un- stern die Maikäfer; sie versichern uns auf unsere Frage, daß die \'orderteile fast nußartig schmecken. An manchen Orten soll man selbst zu Spinnen Appetit verspüren. Ihr Geschmack soll an den der Haselnüsse erinnern und die Wirkung eine laxierende sein. Manche streichen sie gleich hand- vollweise auf das Brot. Die Übersicht über die von Menschen gegesse- nen Insekten bestätigt die Behauptung des alten Physiologen A. von Haller: „Dem Menschen schmeckt alles." Vor nichts hat er Ekel, der meistens nur auf ,,den^ Grauen vor dem Unbe- kannten" beruht. Zugleich ersehen wir daraus, wie viele Nahrungsmittel die Natur dem Menschen bietet, an denen die Kultur achtlos vorübergeht. Dr. S. Killermann. Darstellung reinen Niobmetalls. — Das Niob kommt in der Natur meist von Tantal be- gleitet vor, z. B. in den Columbiten; frei von Tantal im Euxenit, Polykrat, Pyrochlor. Über seine Reindarstellung und seine Eigenschaften be- richtet W. V. B o 1 1 o n in der Zeitschrift für Elektro- chemie 1907, Nr. 15. Roscoe hatte versucht, das Xiob durch Reduktion des Pentachlorids im glühen- den Rohr mit Wasserstoff zu isolieren, sein Produkt enthielt aber 0,27 " „ H, etwas Chlorid und Oxyd. Die Reduktion des Oxydfluorids mit metallischem Natrium gelang ebenso wenig, während wiederum mit Hilfe des Goldschmidt'schen Verfahrens eine Eegierung von Niob mit Aluminium resultierte. Auch der von Moissan im elektrischen Ofen darge- stellte Körper war kein reines Produkt, sondern enthielt 2,5 — 3,4",, chemisch gebundenen Kohlen- stoff. Bolton fand zwei Wege zur Reindarstellung, zu denen er Niobpentoxyd als Ausgangsmaterial wählte. Dasselbe wurde einmal mit Paraffin zu einer plastischen Masse verarbeitet, in '> mm starke Fäden gepreßt und diese fünf Stunden lang in Kohlepulver bei Weißglut in Niobtetroxyd von bläulich- brauner Farbe verwandelt, welches nunmehr, im Gegensatz zum Pentoxyd, den elek- trischen Strom gut leitete. Durch ' 4 - stündige Elektrolyse dieses Bügels im Vakuum resultierte ein metallisch glänzender Bügel unter gleichzeitiger Abscheidung von Sauerstoff; das Tetroxyd war also in Metall und Sauerstoff gespalten worden. Zur Darstellung größerer Mengen reinen Niobs bediente sich Bolton des aluminothermischen Ver- fahrens von Goldschmidt, indem er weniger Alu- minium verwendete, als die Reaktion theoretisch erfordert. Trotzdem erhielt er aber eine ca. 3 " „ Aluminium enthaltende Legierung. Diese wurde nun mit Hilfe des Flammenbogens im elektrischen \'akuumofen so lange geschmolzen, bis alles Alu- minium verdampft war. Hierzu war für eine Menge von 20 g bei 185 Amp. und 40 Volt ein Zeitraum von 15 Stunden erforderlich. Der zurückbleibende Regulus war vollständig frei von fremden Beimengungen. Es war aber ein 200- maliges Umschmelzen im Vakuum notwendig, um alle verunreinigenden Beimengungen zu entfernen. Die spezifische Wärme des reinen Niobmetalls ergab sich zu 6,67, die Dichte wurde zu 12,7 er- miitelt, der spezifische Widerstand des Metalls zu 0,187. -D^"" Temperaturkoeffizient ist positiv und steigt mit der Temperatur, ist also metallisch. Die Härte des Niob ist etwa die von Schmiedeeisen, es ritzt daher weder Glas noch Quarz. Das Metall ist mäßig spröde , läßt sich zu Blech auswalzen, aber nur schwierig zu Draht ausziehen. 2 Stücken Niob lassen sich bei Rotglut aneinanderschweißen, ohne daß dabei, wie beim Tantal , die Härte wesentlich beeinträchtigt wird. Interessant ist das Verhalten des reinen Niobmetalls beim Behandeln gegen starke Spannungen. Sind in einem fc^lektro- lyten beide Elektroden aus Xiob, so passiert kein Strom, besteht dagegen die eine aus Xiob, die andere aus Platin, so geht nur die eine Phase des Wechselstroms hindurch, und zwar in der Richtung Pt — > Xb. Auf diesem Verhalten beruht das Prinzip eines Elektrolyt-Transformators für Wechsel- strom von Siemens & Halske. Ist dieser in Tätig- keit, so ist bei Spannungen über 60 Volt die Xiobelektrode mit bläulich glühenden Gasbläschen bedeckt, eine besonders im Dunkeln prächtige Erscheinung. Die elektrische Zerstäubung ist sehr beträcht- lich. In 15 Stunden verdampften 25",,. Den Schmelzpunkt ermittelte Bolton photometrisch zu 1950". Als Material für Glühlampenfäden eignet sich Niob nicht, da es schon nach kurzer Zeit und bei mäßiger Belastung durchbrennt. Von besonderem Interesse ist auch das chemi- sche Verhalten des reinen Xiobmetalls. Beim Glühen im Wasserstoffstom zerfiel glänzendes Niobblech allmählich zu einem grauen Pulver von der P'ormel XbH. Dieses verändert sich auch beim weiteren Verlauf des Prozesses nicht mehr. Daher kommt es, daß es nicht gelang, durch Re- duktion mit Wasserstoff das reine Metall zu ge- winnen. Das Xiob legiert sich wie hier mit Wasserstoff und, wie oben gezeigt, mit Aluminium, auch sehr leicht mit seinem eigenen Oxyd , von dem man es aber durch Glühen im Vakuum leicht wieder befreien kann. Der Niobwasserstoff verbrennt leicht an der Luft zu Pentoxyd. Ahnlich wie Tantal zersetzt glühendes Niobpulver Wasser unter Feuererschei- nung. Dagegen ist die Affinität des Xiobs zum Sauerstoff eine sehr geringe. Mit Stickstoff ver- bindet es sich direkt. Das Metall löst sich nur in F'lußsäure langsam auf, schneller durch kata- lytische Wirkung von Platin. Keine andere Säure greift das reine Xiob an. Schmelzende Alkalien lösen es zu Xiobaten , Salpeter oxydiert es bei Rotglut unter Feuererscheinung. Bolton gelang es. endlich auch, Verbindungen des Xiobs mit Schwefel, .Selen, Eisen und Chlor zu erhalten. Lb. 554 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 35 Himmelserscheinungen im September 1907. Stellung der Planeten: Merkur und Venus sind un- sichtbar. Mars ist abends etwa 4 Stunden lang im Scliützcn, J u ]) i t c r morgens ebenso lange im Krebs sichtbar, während Saturn am 18. in Opposition kommt und daher die ganze Naclit hindurch {in den Fischen) beobachtet werden kann. Sternbedeckung: Am 21. wird der Fixstern 30 Piscium um 8'' 20"',o M.E.Z. abends durch den Mond bedeckt und er- scheint wieder um 9 Uhr 8,4 Min. M.E.Z. Algol-Minimum am 15. um 9 Uhr 4 Min. ab. M.E Z Aus dem wissenschaftlichen Leben. H. C. Vogel f. Am 14. August hat die deutsche A.^tru- physik durch den Tod ihres Altmeisters H. C. Vogel einen unersetzlichen Verlust erlitten. Am 3. April 1842 in Leipzig geboren, widmete sich V. in seiner Vaterstadt dem Studium der Astronomie und wurde hier als Hilfsarbeiter, später als Observator der Sternwarte besonders durch ZöUner's geist- vollen Umgang auf das Gebiet der Astrophysik hingelenkt, eines Wissenszweiges, dem er später melir als ein Menschen- alter hindurch die Wege gewiesen hat. 1870 ging \'ogcl an die Privatsternwarte des Herrn von Bülow in Bothkamp bei Kiel. Hier bereits leistete er in der Beobachtung der Planeten- scheiben und vor allem in den ersten Anwendungen der Spektralanalyse auf astrophysikalische Probleme Hervorragen- des, obgleich die instrumentelle Ausrüstung der Sternwarte naturgemäß keine allzu glänzende war. Mit Begeisterung folgte er daher 1874 dem Rufe nach Potsdam, wo es ihm vergönnt war, das .astrophysikalische Observatorium von Grund aus nach seinen Gedanken und Plänen zu errichten, wenn er auch erst 1SS2 zum Direktor desselben ernannt wurde. Die Leistungen dieses Observatoriums, welche die Bewunderung der gesamten gebildeten Welt ernteten, sind wesentlich Vogel's Verdienst, denn nicht nur gelangen ihm persönlich die schön- sten und überraschendsten Entdeckungen, sondern er wußte auch alle Mitarbeiter dauernd anzuregen und ging ihnen mit seiner aufopfernden Hingabe an die Wissenschaft als leuch- tendes Vorbild voran. Von den persönlichen Erfolgen der Vogel'schen Forschung seien hier nur die zahlreichen Anwendungen des Doppler- schen Prinzips erwähnt, dessen einwandfreie Anwendbarkeit er durch die spektroskopische Bestimmung der Sonuenrotation und der Bewegung der Venus außer Frage stellte. Besonderes Aufsehen erregte die auf Grund des Dopplerschen Prinzips und mit Benutzung der Photographie gefundene Duplizität des Algol, der Spica und der helleren Komponente des Mizar, Entdeckungen, denen dann später die Auflindung weiterer spektroskopischer Doppelsterne folgte. Hierzu erhielt Vogel den Orden pour le merite, auch wurde er 1892 zum Mitgliede der Berliner Akademie der Wissenschaften erwählt, in deren Sitzungsberichten er seitdem alle seine weiteren Forschungs- ergebnisse veröflentlichte. In den letzten Jahren hat sich Vogel auch um die Popu- larisierung seiner Wissenschaft Verdienste erworben, indem er die Newcomb'schc populäre Astronomie neu herausgab und durch die gründliche und zuverlässige Redaktion dieses treff- lichen Buches der ihm verhaßten Verflachung, wie sie in vielen sog. populären Schriften wahrzunehmen ist, wirksam entgegen- arbeitete. Vereinswesen. Deutsche Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde (E.V.). — Im Hörsaal VI der Königl. I.andwirtschaftl. Hochschule hielt am Mittwoch, den 3. April, Herr Dr. med. C. Helbing einen Vortrag über: „Das Skelett des Menschen im Wechsel der Jahre". , Am 17. April sprach Herr Dr. Falke nb erg, Oberarzt an der städtischen Irrenanstalt Herzberge, über den Alkohol und seine Wirkung auf den menschlichen Organismus. Nach kurzen statistischen und chemischen Vorbemer- kungen, in denen er u. a. darauf hinwies, daß auch im Schnaps nicht der Fusel sondern der Aethyl- alkohol das Gefährliche sei, führte er des Näheren aus, daß Alkohol in keiner Form als ein brauch- bares Nähr- oder Kräftigungsmittel angesehen werden könne, daß er weder körperliche noch geistige Arbeit erleichtere, und daß er ebenso- wenig ein geeignetes Mittel sei, den Durst zu löschen oder den Körper zu erwärmen. Die landläufige Ansicht, die das Gegenteil annehme und in dem Alkohol einen harmlosen Freuden- bringer und zuverlässigen Sorgenbrecher sehe, be- ruhe auf Selbsttäuschung, die ihre Erklärung durch die eigenartige, lähmende Wirkung fände, welche der Alkohol auf das Gehirn ausübe. Die Ergebnisse der Selbstbeobachtung verlören da- durch an jedem Wert, und das Gefühl der ge- steigerten Leistungsfähigkeit, das sich nach Alkohol- genuß einstelle, sei ein trügerisches. Zunächst würden, wie der Vortragende ausführlich erörterte, die sog. Hemmungszentren im Gehirn gelähmt; die von ihnen ausgehende, für den normalen Ablauf unserer körperlichen und geistigen Tätigkeit ganz besonders wichtige und notwendige Bremswirkung falle dadurch weg, und hieraus resultiere die nach kleinen .^Ikoholgaben beob- achtete größere Lebhaftigkeit der Ausdrucksbe- wegungen und eine gewisse Beschleunigung der einfachen psychischen Funktionen. Da aber hier- bei ein positiver, physiologisch nützlicher Zuwachs an Kraft nicht eintrete, führe diese Beschleunigung zu Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit auf Kosten der Gründlichkeit und Richtigkeit; die Arbeits- leistung falle daher in Wirklichkeit keineswegs besser aus, sondern sei minderwertig. Bei Zufuhr größerer Alkoholmengen schreite die Betäubung, die Narkose des (Tehirns, weiter fort und führe schließlich zu vollständiger Lähmung jeder körper- lichen und seelischen Tätigkeit. — Von dem viel- gerühmten Nutzen des Alkohols für den mensch- lichen Organismus lasse die naturwissenschaftliche Betrachtung so gut wie nichts erkennen. — Dem Königl. Museum für Naturkunde wurde am Sonntag den 28. April, vormittags i i Uhr, ein Besuch abgestattet. Der Abteilungsverwalter, Herr Prof. Dr. Tornier, der die Führung über- nommen hatte, sprach dabei über „Aufbau und Lebensweise von Wirbeltieren". Um der Uber- füllung bei solchen Führungen in geschlossenen Räumen vorzubeugen, hatte der Vorstand be- schlossen, von jetzt ab nach Maßgabe des vor- handenen Raumes Karten auszugeben , die ent- weder an dem der Führung unmittelbar vorauf- gehenden Vortragsabend gegen Vorzeigung der Mitgliedskarte an der Kasse können entnommen oder unter Beifügung eines mit Adresse versehenen frankierten Briefumschlages spätestens drei Tage vor der Führung von dem Schatzmeister der Ge- sellschaft, Herrn Konsul R. Seifert, C. 14, Neue Grünstraße 11, können erbeten werden. Im Be- N. F. VI. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 5SS darfsfalle bleibt es vorbehalten, eine solche Füh- rung zu wiederholen. Der erste Versuch, der mit dieser im Interesse der Mitglieder wie der Führenden liegenden Beschränkung gemacht wurde, kann als befriedigend bezeichnet werden. In den Räumen der Königl. Landwirtschaft!. Hochschule wurde in der Zeit vom 26. März bis 30. April ein Vortragscyklus über „Infektions- krankheiten des Menschen" durch den Abteilungs- vorsteher am Königl. Institut für Infektionskrank- heiten, Herrn Prof. Dr. Frosch abgehalten. Für die Teilnehmer des Kurses fand am Sonntag, den 5. Mai, vormittags 1 1 Uhr, eine F'ührung durch das letztgenannte Institut statt. Am Mittwoch, den 8. Mai, sprach im Hör- saal VI der Landwirtschaft!. Hochschule Herr Prof. Dr. Voeltzkow über „Ceylon und die Perle nf ischerei". Die Insel Ceylon, so führte der Vortragende aus, erstreckt sich etwa vom 6. bis 10. Grad nörd- licher Breite, an Flächeninhalt nur ein wenig kleiner als Irland, bei einer größten Länge von etwa 70 und einer größten Breite von etwa 40 geographischen Meilen und wird von der Süd- spitze des I-'estlandes von Indien durch die Palk- straße getrennt , jedoch stellt eine Reihe von Inseln und Riffen eine .Art Verbindung her, sperrt aber gleichzeitig die Durchfahrt durch die Straße für größere Seeschiffe. Es ist ein ausgesprochen tropisches Gebiet, dessen Temperatur jedoch durch die insulare Lage und die herrsclienden Winde eine Milderung erfährt. Der geologische Aufbau ist ziemlich einfach. Ein zentrales, aus Urgesteinen, in der Hauptsache aus Gneis zu- sammengesetztes Massiv, das sich büschelförmig erhebt, ist von schmalen Küstenstreifen umgeben, die sich im Norden zu einer breiten Ebene jüngeren Ursprungs ausdehnen, wodurch die Insel die Gestalt eines breiten, nach Norden zu spitz ausgezogenen Ovales erhält. Durch Bahnbauten , deren Ausgangspunkt Colombo, der Haupthafen der Westküste, bildet, ist das Innere der Insel ersclilossen und leicht zu- gänglich. Charakterbaum der Küstenebene ist die Kokospalme und Arekapalme mit ihrem Schnurgraden Stamm, deren Stelle in der weiten Ebene des Nordens die Palmyrapalme ein- nimmt, deren Stamm und Blätter die mannigfachste Verwendung finden. An den Gebirgsabhängen überragt die anderen Waldbäume die nur einmal nach einem Leben von 60 — 70 Jahren blühende Talipotpalme, mit ihrem sich zu dieser Zeit aus dem Blätterdom erhebenden Blütenschaft mit seinen unzähligen kleinen, gelblich weißen Blüten. Vor- herrschend sind die Bambusen, von denen der Riesenbambus den Umfang eines Manneskörpers und eine Länge von mehr als 30 m erreicht. Fkiis elastica, der Gummifeigeiibaum , er- langt eine wahrhaft riesige Entwicklung, seine oft mannshohen, am Stamme hervortretenden brett- artigen Wurzeln kriechen in schlangengleichen Windungen weithin über den Boden. Die Ansiedlungen liegen halbversteckt in Bananenhainen und unter Mangobäumen mit ihren dichten, dunklen Kronen und unter Brotfrucht- bäumen mit großen, fingerförmig eingeschnittenen Blättern. In ihrer Gesellschaft fehlt nie der Jack- baum, der angebaut wird und von dessen Stamm und Ästen die weit über kopfgroßen, bis '/., Zentner schweren, grünen, eiförmigen, eßbaren Früchte herabhängen. Im Küstengebiet wird man nie vergeblich Um- schau halten nach den Schraubenpalmen. Paii- damis in verschiedenen Arten, mit ihren dolch- förmigen, an der Spitze herabhängenden Blättern und den schweren, runden, holzigen, großen Frucht- zapfen ähnelnden, rauhen Früchten. Auf hohen Luftwurzeln ruhend, bilden sie ein hervorragendes landschaftliches Element jeder tropischen Küste. Einen dichten Schatten gewährt der in der flachen Ebene nie fehlende Banianenbaum, Ficus indica, der eine wahrhaft riesige Entwicklung erlangen kann. Die mächtige Krone stützt sich aufzahlreiche säulengleiche Streber, die aber nichts weiter sind als ehemalige Luftwurzeln, die von den Seitenästen sich herabsenken und, sowie sie den Boden erreichen, dort Wurzel fassen und sich dann stammartig entwickeln. Der heilige Bö-Baum, Ficus religiosa, der nie in der Nähe der Klöster fehlt, hat keine Luft- wurzeln und ist gekennzeichnet durch ein etwa handflächegroßes Blatt mit langauslaufender, feiner Spitze. Der Baum galt den Buddhisten als heilig, weil unter ihm sitzend Buddha zur Erleuchtung gelangt sein soll, und ist fast stets von einer auf- gemauerten Steinterrasse umgeben. Abgesehen von den Ureinwohnern, den Wcd- dahs, die aber nur noch in kleineren Gemein- schaften in den dichten Urwäldern der schwer zugänglichen südöstlichen Gebirgsländer ansässig sind, treten uns in der Geschichte Ceylons zwei große Stämme entgegen, die viele Jahrhunderte vor Christi Geburt aus dem Norden des Fest- landes von Indien eingewanderten, halbarischen Singhalesen, die auch der Insel ihren Namen gegeben haben, indem allmählich aus Sinhala, Silan, Seylan und schließlich Ceylon geworden ist, und die viel später von Südindien herüberge- kommenen Malabaren oderTamilen, Dravidischer Rasse, die in fast 2000jährigen, wechselvollen Kämpfen sich die Herrschaft auf der Insel streitig machten. Die Tamilen gehören zu den dunkel pigmen- tierten Rassen, sind aber entschieden energischer und rühriger und auch muskulöser als die etwas helleren Singhalesen, bei denen der Eindruck der Schlaffheit noch durch die Haartracht erhöht wird, die den Männern ein fast weibisches Aussehen verleiht. Das lange Haar wird nach hinten zurück- gekämmt und durch einen etwas abstehenden, quer über der Mitte des Kopfes laufenden Schild- pattkamm gehalten. Die Frauen tragen nie einen Kamm, sondern schürzen nur das Haar auf dem 5S6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 35 Hinterkopf in einen Knoten, sind aber große Lieb- haberinnen von Schmuck aus Gold und Silber, mit dem der Körper überladen wird. Der größte Teil der Arbeit fällt der Frau zu, ebenso wie der Hauptteil der Garten- und Feld- arbeit. Bevorzugt wird der Reisbau, für dessen Gedeihen freilich genügende Mengen von Wasser die Hauptbedingung sind, das deshalb oft auf recht kunstvolle Weise von weit her auf die von niedrigen Dämmen umgebenen Felder geleitet wird. Durch Hineintreiben der Büft'el wird dann der Boden zertrampelt und zu einem feinen Brei durch- geknetet, in den dann der Reis hineingesät wird. Die Zeit, die nicht durch die Feldarbeit be- ansprucht wird, verwendet man zur Herstellung der Kleidungsstücke auf dem primitiven Webstuhl, eine Arbeit, an welcher beide Geschlechter teil- nehmen, während den Frauen allein das -Klöppeln von Spitzen zufällt. Nächst den Tamilen und Singhalesen bilden nach Kopfzahl und Bedeutung den wichtigsten Teil der eingewanderten Bevölkerung die Hido- Araber, allgemein als Mohren bezeichnet. Nach- kommen von Arabern und fast ausschließlich Kaufleute von großer Geriebenheit und Inhaber der Läden in den Hafenstädten. Äußerlich sind sie leicht zn erkennen an ihrem semitischen Typus und dem langen kaftanartigen Gewand und weißen Pumphosen. Als Kopfbedeckung dient ihnen ein Turban oder ein Aufsatz von der Ge- stalt eines kleinen Bienenkorbes. Charakteristische Erscheinungen sind ferner die Chettys, die vom indischen Festlande her- überkommen, um hier ihren Erwerb zu suchen, und die das Hauptkontingent der Besucher der Perlfischerei bilden. Sie tragen den Sarong, das Hüfttuch, und über die Schulter geworfen ein ge- streiftes Tuch, das in den Hafenstädten oft durch eine Jacke nach europäischem Schnitt ersetzt wird, auf dem Kopfe den Turban, an den Füßen San- dalen und in der Hand fast stets einen Regen- schirm. Die Bevölkerung von Ceylon umfaßt etwas mehr als 3 Millionen Seelen, die sich ihrem ver- schiedenen Ursprung gemäß auch in bezug auf ihre Religion unterscheiden. Die Singhalesen, etwa öo^/o. sind zum größten Teil Buddhisten, die Tamilen, etwa 307,,, Hindus, also Anhänger einer brahmanischen Sekte, und die Indo-Araber, etwa 6" y, überwiegend Muhamedaner. Der Buddhismus wurde im dritten Jahrhundert vor Christi Geburt in Ceylon eingeführt, und unter seinem Zeichen steht die Insel noch heute ; nahezu - ., aller Bewohner bekennen sich zu dieser Lehre, die ihre wahre und vollkommene Betätigung im Mönchs- leben findet, denn nur er kann die höchste Stufe der Vollkommenheit erreichen. Man zählt buddhis- tische Bettelmönche etwa 10 000 auf der Insel, denen als Zeichen ihres Standes ein gelbes toga- ähnliches Gewand, das geschorene Haupt und in der Hand der nie fehlende Flacher dient. Die berühmten Perlmuscheln Ceylons werden hauptsächlich auf gewissen Teilen eines weit aus- gedehnten unterseeischen Plateaus im oberen Teil des Golfs von Manaar an der Nordwestküste der Insel gefunden. Diese Bänke, Paars genannt, dehnen sich in mittlerer Tiefe von 5 — 10 Faden (i Pfaden = 2 m) über ein Gebiet von fast 1 2 geographischen Meilen Länge und 5 geogra- phisclien Meilen Breite südlich der Adamsbrücke gegenüber von Aripu aus. Das flache Plateau nun, auf dem die Perlbänke gelegen sind, ist auch äußerlich kenntlich durcli die Verschiedenheit in der P'ärbung des Wassers. Es senkt sich nämlich das Plateau vom Ufer aus ganz alhnählich und zwar um etwa i Faden auf ' ,, deutsche Meile bis zu etwa 10 Faden Tiefe in einer Entfernung von 5 Meilen vom Lande, wo dann ein erster Absturz erfolgt, und die gelbe F"ärbung plötzlich in das dunkle Blau des tiefen Ozeans übergeht. Die Oberfläche der Paars ist in der Regel sandig, hin und wieder unterbrochen durch flache, felsige Partien im gleichen Niveau, die aber auch häufig eine schwache Sandbedeckung tragen; andere Teile bestehen aber völlig aus hartem, felsigen Boden mit seltenen .Sandlagen darüber. Die Perlmuscheln liegen gewöhnlich lose auf dem Sand in Klumpen vereinigt, und jedes Bündel be- sitzt im Zentrum ein Fragment von Korallen, Stein oder Kalkalge, an denen sich die ersten Ansiedler festgeheftet hatten. Die Ceylon- Perlmuschel gehört zur I'amilie der A vicu 1 id e n und ist nicht, wie der englische Sprachgebrauch vermuten ließe, eine Auster, son- dern näher verwandt den Mytiliden, da sie durch einen Byssus ausgezeichnet ist, mit dem sie sich an fremde Gegenstände anheftet. Die Muscheln, die Handtellergröße erreichen und getrennten Geschlechtes sind, haben viele Feinde, wie See- sterne, Fische, bohrende Mollusken, Würmer usw., die aber ihrer enormen Anzahl nur wenig Ab- bruch tun können, denn schon im Alter von I Jahr beginnt das Tier Eier zu erzeugen und produziert in einer Brut je 12 Millionen Eier, von denen freilich nur eine beschränkte .'\nzahl zur Entwicklung gelangen. Die Hauptgefahr droht der Muschel neben Elementargewalten, wie Stürmen in Verbindung mit starken Strömungen und Über- schütten mit Treibsand, durch sich selbst, nämlich durch Neuansiedlung großer Mengen junger Brut auf älteren Muscheln und Ersticken derselben im Verlauf des Wachstums, und durch Überfischung durch den Menschen, also durch Raubfischerei ohne rationelle Grundlage. Die Muschel scheint ein Alter von etwa 6 — 7 Jahren zu erreichen und die günstigste Zeit für die Befruchtung zwischen dem 4. und 5. Jahre zu liegen. Die rapide Perlbildung beginnt etwa nach 3 V'., Jahren, in welchem Alter die Muschel ihre definitive Größe erreicht hat und ihre Gewebe in der Verfassung sind, ihr Wachstum zu konzen- trieren, einerseits auf Verdickung der Schale, andererseits aber auch geneigt sind, innerlicli Perl- N. K. VI. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 557 mutier abzulagern um h'remdkörper gleichviel welcher Beschaffenheit. Auch für die Ceylon Perlmuschel bestätigen die neueren Untersuchungen von Hardman als Ursache für die Bildung einer guten Perle, der sog. Cystenperlen, die Larve eines parasitischen Wurmes, eines Bandwurmes der Gattung Tcira- rliynchus, im Bindegewebe des IVIantels der Muschel, daneben finden sich freilich auch sog. Muskelperlen, die sich um kleine Kalkkonkretionen in der Gegend der Anheftung des Schließmuskels bilden, und andere Halbperlen, die der Schale auf- sitzen und von der Muschel zum Schutze gegen fremde Eindringlinge oder Verletzungen von außen abgelagert werden. Vor jeder Plscherei findet im November jedes Jahres von selten der Regierung eine sorgfaltige Inspektion der unter steter Kontrolle gehaltenen und kartographisch sorgfältig aufgenommenen Bänke statt, auf Grund deren dann über den im nächsten P'rühjahr zu befischenden Teil der Bank die Entscheidung gefällt wird. Im wesentlichen beruht die Gewinnung der Perlen auf dem Verwesungsprozeß, indem man die Muscheln in geschlossenen Umzäunungen auf- schichtet und nach dem Absterben durch die Maden der sich bald in Scharen einfindenden Fliegen das Muskelfleisch verzehren läßt. Ist die V^erwesung weit genug fortgeschritten, was nach lO — 12 Tagen der I-'all ist, so werden die Muscheln gut gewasciien in alten Booten und Zobern und die Schalen, die Perlen im Innern angeheftet zeigen, beiseite gelegt, während die übrigen fortgeworfen werden. Es ist zwar die Innenseite der Schale mit einer außerordentlich brillanten, irisierenden Lage von Perlmutter belegt, die aber leider nicht stark genug ist, um sich technisch ausnutzen zu lassen, und daher keinen Handelswert besitzt. Die aus Sand, Muskelfleisch, Detritus u. a. m. bestehende und im Boote zurückbleibende Masse wird nun nach Abgießen des Wassers durch Siebe, um das F"ortschwemmen von Perlen zu verhindern, durchgesehen, um vorerst die größeren Perlen zu entnehmen, und dann nach wiederholtem Waschen auf Tüchern in der Sonne getrocknet. Nunmehr erst erfolgt eine sorgfältige Durchsicht, wobei auch die kleinsten, kaum sichtbaren Perlen auf- gefunden werden. Der zurzeit als Mittelpunkt der Fischerei ge- wählte Ort ist Marichchukkaddi, ein ödes Fleck- chen Erde, an dem in wenigen Tagen ein großer Ort entsteht mit Verwaltungsgebäuden, Magazinen, Verkaufsläden, Post und Telegraph. Die Fischerei beginnt im März jedes Jahres , sowie der Nord- ostmonsun etwas nachläßt, und wird bis in den April hinein fortgesetzt. Die Fischer haben ihre eigenen Boote mitzu- bringen mit völliger Ausrüstung und auch selbst die Taucher und Hilfskräfte zu stellen. Eine Ver- gütung in bar findet nicht statt, dafür erhält aber jedes Boot von der Ausbeute seines Fanges ein Drittel, während zwei Drittel von der Regierung in öffentlicher Versteigerung verkauft werden. Die Zeit, die ein Taucher unter Wasser zu- bringt, erscheint viel länger, als sie tatsächlich ist, und beträgt im Durchschnitt 6o — 70 Sekunden. Die Anzahl der jedesmal heraufgebrachten Muscheln schwankt je nach den Verhältnissen, unter denen die Muscheln leben ; der Durchschnitt eines F"anges beträgt etwa 40 — 50 Stück bei jedesmaligem Tau- chen, was für ein Boot mit 10 Tauchern bei einer Arbeitszeit von etwa 10 Stunden eine Tagesaus- beute von 20000 Muscheln ergibt. Die größte bisher gefundene Perle soll eine Länge von 5 cm, einen Umfang von etwas über 1 1 cm bei einem Gewicht von etwa 90 Gramm gehabt haben. Bei der letzten Fischerei wurde eine Perle gefunden im Werte von 13000 Rupies (I Rupie = I Mk. 30 Pf.); immerhin gehören aber Perlen im Werte von i — 2000 Rupies zu den größten Seltenheiten. Die beiden letzten Fischereien waren ausnahms- weise von Glück begünstigt und übertrafen an Resultaten alle früheren Fischjahre. Es beteiligten sich 1905 318 Boote mit 491 1 Tauchern an der Fischerei, die an 47 Tauchtagen eine Gesamtausbeute von 81'/., Millionen Muscheln lieferten. Die größte an einem Tage gefischte Anzahl Muscheln betrug 5 Millionen Stück. Die ermittelte größte Bootsladung eines Tages, also der größte Fang eines Bootes betrug etwa 30 000 Stück gegen 36000 im Jahre vorher. Der höchste für 1000 Muscheln in der öffent- lichen Auktion erzielte Preis betrug 1905 105 Rupies gegen 80 Rupies im Jahre 1904. Für gewöhnlich hält sich der Preis für 1000 Stück zwischen 60 — 70 Rupies. Die Regierung erlöste von ihrem Anteil 2^,^ Millionen Rupies; rechnet man dazu den Erlös des Drittels der Fischer, so darf man wohl sagen, der Ertrag der F"ischerei von 1905 habe alles in allem etwas über 4 Millionen Mark ergeben. Jedoch nicht immer ist der Ertrag ein so reicher gewesen und in früherer Zeit häufig für lange Jahre ausgefallen ; jedoch hofift man bei dem jetzigen System, indem man nicht nur die Bänke unter steter Aufsicht hält, sondern sie auch zu reinigen sucht, durch Verpflanzen junger Brüten an günstigereStellen, durch Ausstreuen von Gesteins- brocken zum Anheften junger Muscheln auf sonst ungünstigem Boden, auf fortlaufende Ergiebigkeit und andauernde Ausnutzung dieser schon seit über 2000 Jahren befischten Bänke. — Über „ W an der fahrten kreuz und quer durch Korsika" hielt am Montag, den 13. Mai, im Bürgersaale des Rathauses Herr W a 1 d e m a r Titzen thaler einen durch glänzende Lichtbilder ausgestatteten Projektionsvortrag. Am Sonntag, den 26. Mai, wurde unter Füh- rung des Kustos am Königl. Museum für Natur- kunde, Herrn Prof. Dr. Dahl, eine naturwissen- ;58 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 35 s c h a f 1 1 i c h e Exkursion nach F i n k e n k r u g unternommen, Der Monat Juni war wie in den früheren Jahren ausschließlich Exkursionen gewidmet. Am Sonntag, den 9. Juni, wurde dem neuen Botanischen Garten in Dahlem unter Führung des Herrn Dr. Beckmann und Ober- gärtner Peters ein Besuch abgestattet. Am Sonntag, den 23. Juni, wurden mit Genehmigung des Magistrats die alten und neuen städtischen Rieselfeldanlagen in Osdorf und Heinersdorf (Kreis Teltow) besichtigt, wobei Herr Administrator Forselius in liebenswürdigster Weise die Füh- rung übernahm. Zur bequemeren Besichtigung der umfangreichen Anlagen , die ein Gebiet von 9000 Morgen umfassen , war seitens der Gutsver- waltung in dankbar begrüßter Fürsorge Fuhrwerk zur Verfügung gestellt worden. Auf der Rund- fahrt durch die Rieselgüter wurde noch dem schmucken, von Herrn Stadtbaurat Hoffmann er- richteten Eandschulhaus in Birkholz, sowie dem städtischen Erziehungshaus für verwahrloste Mäd- chen zu Kleinbeeren und der Heimstätte für männ- liche Genesende in Heinersdorf ein Besuch abge- stattet. Mit lebhaftem Interesse nahmen alle Teil- nehmer der Exkursion von den musterhaften Einrichtungen Kenntnis, die hier die Stadt Berlin geschaffen hat, und mit Worten warmer Aner- kennung und Dankbarkeit verabschiedete man sich von dem liebenswürdigen F"ührer, ihm von Herzen wünschend, daß er noch lange Jahre in gleich segensreicher Weise im Dienste der All- gemeinheit wirken möge. — Den Beschluß der Ex- kursionen dieses Sommers bildete am Sonntag, den 30. Juni, ein Besuch des Zoologischen Gartens unter Führung des wissenschaftlichen Assistenten Herrn Dr. Heinroth. In dankenswerter Weise hatte die Direktion den Mitgliedern eine Ermäßigung des Eintrittspreises bewilligt. I. A. : Prof. Dr. W. Greif, I. Schriftführer. Berlin SO 16, Köpenickcrslrafie 142. Bücherbesprechungen. A. Aus Natur und Geisteswelt. Sammlung wissen- schaftlich-gemeinverständlicher Darstellungen. Ver- lag von B. G. Teubner in Leipzig. — Preis pro Bändchen geb. 1,25 Mk. i) 10. Bändchen: Prof. Dr. K. Giesenhagen, Unsere wichtigsten Kulturpflanzen (Die Getreidegräser). Sechs Vorträge aus der Pflanzenkunde. 2. Aufl. Mit 38 Fig. 1907. 2) 30. Bd.: Dr. Otto Janson, Meeresfor- schung und IMeeresleben. Mit 41 Fig. 2. Aufl. 1907. 3) 139 Bd.: Dr. Otto Maas, a. o. Prof. a. d. Univ. München, Lebensbedingungen und Verbreitung der Tiere. Mit Karten und Abbildungen. 1907. 4) J42. Bd.: Dr. Curt Hennings, Privatdozent in Karlsruhe, Tierkunde. Eine Einführung in die Zoologie. Mit 34 Abb. 1907. 5) 148. Bd.: Dr. Friedrich Knauer, Zwie- gestalt der Geschlechter in der Tier- welt (Dimorphismus). Mit 37 Abb. 1907. 6) 1S3. Bd.: Prof Dr. H ans^Hausrath, Der deutsche Wald. Mit 15 Abb. 1907. P. Die Natur. Eine Sammlung naturwissenschaft- licher Monographien. Herausgegeben von Dr. VV. Schoenichen. Verlag A. W. Zickfeldt, Oster- wieck-Harz. — Preis des Bandes geb. 2 Mk. 7) 2. Bd.: Dr. P. Köthner, Aus der Chemie des Un gr ei fbar en. Ein Blick in die Werk- stätten moderner Forschung. (Ohne Jahreszahl !, erschien 1907). C. Bücher der Weisheit und Schönheit, heraus- gegeben von Jeannot Emil Freiherr von Grotthuss. Verlag von Greiner und Pfeifter in Stuttgart. — Preis pro Band geb. 2,50 Mk. 8) H u m b o 1 d t ' s Kosmos. In verkürzter Ge- stalt herausgeg. von Paul Schettler. 9) Darwin, Auswahl aus seinen Schriften, heraus- gegeben von Paul Seliger. 10) Karl Ernst von Baer's Schriften, aus- gewählt und eingeleitet von Prof. Dr. Remigius Stölzle. D. Chemisch - technische Bibliothek. A. Hart- leben's Verlag in Wien und Leipzig. 11) Bd. 302: F. A. Roßmäßler, Chemie der gesamten Ölindustrie. Mit g Abbildgn. E. Das Wissen der Gegenwart. Deutsche Uni- versal - Bibliothek für Gebildete. G. Freytag in Leipzig und F. Tempsky in Wien. 12) IV. Bd.: Prof. Dr. E. Taschenberg, Die Insekten nach ihrem Schaden und Nutzen. 2., vermehrte und verbesserte Aufl. Herausgeg. von dessen Sohne Prof. Dr. Otto Taschenberg. Mit 82 Abb. — Preis geb. 3 Mk. F. Wissenschaft und Bildung. Einzeldarstellungen aus allen Gebieten des Wissens. Herausgeg. von Dr. Paul Herre. Verlag von Quelle & Meyer in Leipzig. — Preis des Bändchens geb. 1,25 Mk. 13) 5. Heft: Ludwig von Graff, o. ö. Prof. a. d. L'niv. Graz, Das Schmarotzertum im Tierreich. Mit 24 Abb. 1907. 14) 6. Heft: Prof. Dr. Giesenhagen, Befruch- tung und Vererbung im Pflanzenreiche. Mit 31 Abb. 1907. 1) Giesenhagen bringt 6 „Vorträge", von denen sich die 4 ersten — mit besonderer Rücksicht auf die Getreidegräser — mit allgemein - botanischen, einleitenden Dingen beschäftigen, die beiden letzten sind historisch gehalten, aber es findet sich auch etwas über die Krankheiten der Getreidegräser. 2) Janson 's kleine Arbeit bietet eine gute, be- queme kurze Übersicht zum Gegenstande, die sehr geschickt gemacht ist; die neue Auflage ist gegen- über der vorigen gemäß den Fortschritten wesentlich verbessert. 3) Maas will bei wissenschaftlich nicht vorge- N. F. VI. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. SS9 bildeten Kreisen Interesse fiir die „Tiergeographie" erwecken. 4) Hennings behandelt nach einem Vergleich der drei Natnrreiche die Bestandteile des tierischen Körpers, gibt sodann einen Überblick über die sieben großen Kreise des Tierreiches und erörtert ferner Bewegimg und Bewegungsorgane, Aufenthaltsort, Be- wußtsein und Empfindung, Nervensystem und Sinnes- organe, Stoft'wechsel , FortjjHanzung und Entwicklung der Tiere. 5) Zahlreiche niederste Tiere pflanzen sicli unge- schlechtlich fort, und bis zu den Fischen hinauf fin- den wir bei zahlreichen Tiergruppen die Einzelindi- viduen als Zwitter. Aus diesem Hermaphroditisnuis hat sich allmählich die Zweigeschlechtlichkeit heraus- gebildet, die es wieder bei verschiedenen Tierarten zu auffälligstem geschlechtlichem Dimorphisnms , ja zu so weit gehender Verschiedenheit der Männchen und Weibchen derselben Art gebracht hat, daß selbst Fachleute wiederholt Männchen und Weibchen ein und derselben Art für Individuen verschiedener Art angesprochen haben. Knauer führt dem Leser aus der Fülle der Beispiele die Fälle solcher Verschieden- heit zwischen Männchen und Weibchen vor und kommt dabei auch vielfach auf die Brutpflege in der Tierwelt und das Verhalten der Männchen zu der- selben zu sprechen. 6) Hausrath's Büchelchen bietet nicht eine botanische, sondern eine forstliche Betrachtung des Waldes und zwar wird es auch für den Laien nament- lich durch die vielen historischen Einfügungen inter- essant gemacht. 7) In geschickter Weise behandelt Köthner — ebenfalls mit historischem Beiwerk — die Luft oder besser Physikalisches und Chemisches über die Gase und Prinzipielles über die Elemente. Das kleine Buch ist anregend und gut zu einer Einführung. 8) 9) 10) Die Auszüge aus den Schriften Hum- boldt's, Darwins und K. E. v. Baer's treten einem in freundlichem Gewände entgegen. Sie schei- nen mit Umsicht hergestellt, so daß derjenige, der etwas mehr über die Eigenart dieser hervorragen- den Gelehrten zu wissen wünscht als ihre Namen, aus den vorliegenden Bänden eine gute Orien- tierung erhält. Freilich für den wissenschaftlichen Gebrauch sind sie nicht zu verwenden, aber das beanspruchen sie ja auch nicht ; eine Einsicht in das lite- rarische Wesen der Persönlichkeiten bieten sie jedoch auch dem Gelehrten , der weiter nichts als dieses sucht. 11) Roßmäßler möchte eine Lücke füllen, da in vielen „Handbüchern" oder „Leitfäden" der Öl- industrie das Hauptgewicht auf die praktische Seite, auf die Beschreibung der fabriksmäßigen Darstellung der betreffenden Produkte , gelegt , der wissenschaft- lichen Seite aber nur in sehr untergeordneter Weise gedacht ist. Durch F.ingehen auf die wissenschaftlich- chemische und ijhysikalische Seite, jedoch ohne allzu starke Vernachlässigung des praktischen Betriebes der einzelnen Fabrikationsmethoden, hofft er die Lücke beseitigen zu können. 12) Taschenberg's Buch ist eine wertvolle Lek- türe für alle Berufszweige, die mit Schädlingen unter den Insekten zu tun haben, also in erster Linie für ( )konomen , Gärtner und Forstleute. Das Buch ist gut geschrieben und wird auch anderen Freude be- reiten. 13) Auch Graff's kleine Arbeit ist sehr emp- fehlenswert. Es bietet eine treffliche Übersicht über das tierische Schmarotzertum. 14) Giesenhagen behandelt ein sehr inter- essantes Kapitel der Botanik. Insbesondere wird es vielfach angenehm empfunden werden In dem Heft eine po[)uläre Darstellung über die Vererbungsfrage, die jetzt so viel ventiliert wird, zu haben. 1) Dr. Alfred Hettner, o. Prof der Geographie an der Universität Heidelberg, Grundzüge der Länderkunde. I. Bd. Europa. Mit 8 Tafeln und 347 Kärtchen im Text. Verlag von Otto Spamer in Leipzig. — Preis 16 Mk. 2) Prof. Dr. Wilhelm Sievers, Allgemeine Länderkunde. Kleine Ausgabe. I. Bd. Mit ig Textkarten, 16 Profilen im Text, 12 Karten- beilagen und 15 Tafeln In Holzschnitt, Ätzung und Farbendruck. Bibliographisches Institut In Leipzig und Wien 1907. i) Das Buch soll, sagt Hettner, weder ein Schulbuch noch ein Nachschlagebuch für den prak- tischen Gebrauch sein , sondern eine kurze wissen- schaftliche Darstellung der Länderkunde für Lehrer und Studierende der Geographie geben, sowie für alle , die von Nachbargebieten her nach geographi- scher Belehrung suchen, und überhaupt für alle Ge- bildeten. Es soll die Länder und Landschaften der Erde In ihrem Wesen beschreiben und nach Möglich- keit verstehen lehren. Das 737 Seiten umfassende Werk wird In der gewünschten Richtung sicher Nutzen stiften. Es bespricht zunächst auf 106 Seiten das Allgemeine des behandelten Erdteils, Lage und Aus- dehnung, Bau und Boden, die Gewässer, die Meere, das Klima, die Pflanzen- und Tierwelt, den Menschen und die natürliche Einteilung Europas, um sodann auf die einzelnen Teile Europas einzugehen unter Titeln wie „die britischen Inseln", die skandinavische Halbinsel, Finnland mit Lappland und Kola, Frank- reich, Mittel-Europa etc. 2) Die große von S i e v e r s herausgegebene Länder- kunde umfaßt 6 Bände, die kleine wird 2 und dann noch weniger umfangreiche Bände als je ein Band der großen Ausgabe bieten , um auch weniger Be- mittelten dienlich zu sein und weil die große Aus- gabe „wegen der großen Fülle ihres Inhaltes zur Vorbereitung für Studierende und Lehrer nicht immer geeignet war". Es handelt sich nicht um eine bloße Zusammenstreichung der großen Ausgabe, die hier vorliegt, sondern um eine wirkliche Anpassung an den genannten Zweck. Der vorliegende Band be- spricht Südamerika, Mittelamerika, Nordamerika, die Nordpolarländer, Europa. Die Anordnung des Stoffes ist insofern dieselbe geblieben, als die einzelnen Erdteile zunächst in einer allgemeinen Übersicht Im ganzen, dann in ge- 560 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 35 schlossenen Abschnitten, die ihren großen Einzel- landschaften entsprechen , behandelt werden. Weg- gelassen ist die Erforschungsgeschichte , da sie den Umfang des Werkes zu sehr hätte anschwellen lassen. Es versteht sich von selbst, daß die in den letzten Jahren eingetretenen Veränderungen , namentlich in statistischer Beziehung, berücksichtigt und die Fort- schritte in der wissenschaftlichen Untersuchung der Ländenäume verwertet worden sind. Die „Kleine Ausgabe" der Länderkunde stellt somit in gedrängter Kürze den gegenwärtigen Stand unserer Kenntnis von den Landmassen der Erdoberfläche dar. Der Text ist nach vorheriger Vereinbarung mit den übrigen an der Großen Ausgabe der Länder- kunde beteiligten Autoren, den Herren Professoren Dr. Deckert, Dr. Hahn, Dr. Kükenthal und Dr. Philippson, von dem Herausgeber allein bearbeitet worden, aber die einzelnen Abschnitte, die von den übrigen Herren Autoren entstammen, sind von diesen durchgesehen und korrigiert worden , mit Ausnahme derjenigen über die Polarländer. Auf Bilderschmuck im Text ist im Interesse des Umfanges des Werkes verzichtet worden. Als Ersatz dafür sind einzelne charakteristische Abbildungen zu je 4 in Tafeln ver- einigt worden , auf die im Te.xte hingewiesen w'ird, ebenso wie von den Tafeln aus der entsprechende Text durch Hinweise leicht gefunden werden kann, was leider bei der großen Ausgabe nicht möglich ist. Außerdem begleiten die einzelnen Abschnitte je eine farbige Tafel. Anregungen und Antworten. Herrn E. P. in Meerane (Saclisen). — Sie fragen, in welcliem zoologischen (physiologischen) Institut oder Labora- torium die Möglichkeit gegeben ist, einige Wochen praktisch, ohne Lohn, mitzuarbeiten. — — Aus der Frage ist nicht er- sichtlich, in welcher Weise Sie sich die Arbeit denken, welche Vorbildung Sie besitzen usw. Zoologische und physiologische Institute sind übrigens auf unsern Lluiversitäten etwas gänzlich Verschiedenes, so eng sich auch Zoologie und Physiologie berühren: Der Physiologe gehört zur medizinischen Fakultät, der Zoologe zur philosophischen (bzw. mathematisch -natur- wissenschaftlichen). Dahl. Herrn cand. ]ihil. O. L. in Wannsee. — Sie fragen, wel- ches Lehrbuch der Zoologie ein Kandidat des höheren Schulamts, der Naturwissenschaften als Nebenfach wählt, zu seiner Vorbereitung auf die Staatsprüfung benutzen könne. Die Bücher von Hertwig und Cl aus- Gr obbe n scheinen Ihnen in Anatomie zu ausführlich zu sein und in Systematik zu wenig zu bieten. — — Als einziges Buch, das Ihnen für Ihren künftigen Beruf vielleicht gute Dienste leisten wird, kann ich Ihnen nur H. Landois, Das Studium der Zoologie (Freiburg i. Br. 1905) nennen. (.)b dasselbe Sic gut durchs Examen führen wird, ist allerdings eine andere Frage, da von den E.'iaminatoren z. Zt. wohl allgemein mehr Gewicht auf vergleichende Anatomie als auf die für den Lehrer so notwendige Kenntnis der einheimischen Tiere gelegt wird. Schon wiederholt war davon in dieser Zeitschrift die Rede. (Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 2, 1902, S. 85 und Bd. 5, 1906, S. 808). Dahl. Herrn A. in Leipzig. — Sie fragen, wie man Ameisen aus Wohnungen vertreibt. — — In J. R. Bos, ,, Tierische Schädlinge und Nützlinge", (Berlin 1891), linden wir S. 412 tbigendc Katschläge: ,,Wcnn die Ameisen durch Boden- und Mauerritzen in die Häuser gelangen, wo sie die verschiedenen Substanzen, am liebsten aber süße Substanzen fressen, so hält CS schwer, etwas gegen die Eindringlinge zu unternehmen, so- lange man nicht die Stelle kennt, wo das Nest liegt. Kennt man dieselbe, so kann man das Nest mit Petroleum oder mit kochendem Wasser vernichten. Oft aber würde es, um das Nest aufzufinden, nötig sein, die Dielen aufzubrechen, viel- leicht in mehreren Zimmern und dann vielleicht noch mit sehr ungewissem Erfolge. — Es scheint noch das beste Gegen- mittel hierin zu bestehen, daß man alle Öffnungen, durch welche die Ameisen hineingelangen könnten, mit einer ihnen unangenehmen oder giftigen Substanz verschließt; natürlich ist die Anwendung sehr giftiger Stoffe in Häusern nicht rat- sam; doch würde man Kalk benutzen können, dem durch Zufügung von Koloquintabsud ein bitterer Geschmack ver- liehen wird." Dahl. Herrn Lehrer W. in Lemgo (Lippe). — Frage i : Ein Buch über die Fauna Deutschlands, welches sich auf das ganze Tierreich erstreckt und zum Bestimmen geeignet ist, gibt es nicht. — Wenn Sie auf die Floren hinweisen, so müssen Sie bedenken, daß auch diese nur die Phanerogamen und Ptcridophyten enthalten, also einen nur geringen Bruch- teil der Pflanzen Deutschlands. Die Fauna Deutschlands ist aber noch weit formenreicher als die Flora in dem ange- deuteten weiteren Sinne. Ein ,,h an d 1 ic h es " Buch der Fauna Deutschlands würde also ein Ding der Unmöglichkeit sein, selbst wenn nur die makroskopischen Formen einiger- maßen vollständig berücksichtigt werden sollten. Zudem sind die makroskopischen Formen noch nicht einmal alle beschrie- ben. Das einzige Buch, welches Ihren Wünschen annähernd entsprechen dürfte, ist Leunis-Ludwig, Synopsis der Tierkunde, 2 Bde., Hannover 1883 — 86. Frage 2: Das vollständigste Bestimmungsbuch, das die sämtlichen Dipterengruppen Deutschlands behandelt und auch auf die Lebensweise, freilich nur in aller Kürze, eingeht, ist J. R. Schiner, ,, Fauna Austriaca, Die Fliegen", (2 Bde., Wien 1862 — 64). Das Buch ist natürlich sehr veraltet, aber noch nicht durch ein neues ersetzt. Über die Larven der dculschen Dipteren gibt es kein zusammenfassendes Buch, so erwünscht ein solches auch wäre. Man vgl. Naturwiss. Wochenschr. N. F. Bd. 4, S. 224 Dahl. Herrn Dr. G. B. in Herrsching am .^mmersee. — Frage i : Auch für Ihren Zweck, zur ,, Bestimmung der Haupttierarten der deutschen Fauna, namentlich der niederen Tiere mit Aus- schluß der mikroskopischen" kann ich Ihnen nur Leunis- Ludwig, „Synopsis der Tierkunde" nennen. Natürlich fehlen die systematischen Forschungen seit 1886 in dem Buche und das ist ein großer Mangel, ganz abgesehen von den vielen Irrtümern, die das Buch enthält. Frage 2: län Buch, welches alle deutschen Spinnen- arten nach Bau und Lebensvyeise behandelt, gibt es nicht, so groß die Nachfrage nach einem solchen Buche auch ist. Das Buch von A. Menge, ,, Preußische Spinnen", (Danzig 1866 ff), kommt Ihren Wünschen vielleicht am nächsten. Frei- lich fehlen in demselben sehr viele deutsche Formen, nament- lich alle süddeutschen und auch die Benennung der Arten ist nach unserer jetzigen Auffassung vielfach unrichtig. Dahl. Herrn W. G. in Jena. — Literatur zur Bestimmung von Mollusken finden Sic in der Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 4, S. 96 (Meeres- Mollusken) und Bd. 5, S. 544 (einheimische Land- und Süßwasser-Mollusken). Dahl. Inhalt: Wilhelm Dürkop: Ein Beitrag zur Geschichte der Tomate. — Kleinere Mitteilungen: Dr. S. Kill er mann: Eßbare Insekten. — W. v. Bolton: Darstellung reinen Niobmelalls. — Himmciscrscheinungen im September 1907. — Aus dem wissenschaftlichen Leben. — Vereinswesen. — Bücherbesprechungen: Sammel-Referat. — l) Dr. Alfred Hetlner: Grundzüge der Länderkunde. 2) Prof. Dr. Wilhelm Sievers: Allgemeine Länderkunde. — Anregungen und Antworten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Grofl-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. ^..-^^ Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonid und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge Tl. Band; der ganien Reihe XXII. Band- Sonntag, den 8. September 1907. Nr. 36. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate : Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- bandlung. Athanasius Kircher's Destilliermethoden. [Nachdruck verboten.] Von Dr. Petri, Kaiserlich Athanasius Kirch er, der Unsterbhche, heißt er. Ob ihm seine Eitern diesen Namen ge- geben haben oder ob er selbst sich ihm würdig zeigen wollte, wissen wir nicht. Er wurde 1601 am 2. Mai zu Geisa zwischen Eisenach und Fulda geboren. Schon früh im Alter von 18 Jahren wurde er Jesuit. Er bekam eine Pro- fessur in VVürzburg. Während der Unruhen des 30jährigen Krieges ging er nach Avignon, woselbst er bei den Jesuiten studierte. Vom Papst Alexander VII. wurde er nach Rom berufen, an das collegium Romanum, wo er Mathematil< lehrte. Später ging er zum Studium der Hieroglyphen und anderer archäologischen Dinge über. Er gründete in Rom das museo Kirch eriano, welches seit 1S70 dem Staate gehört. Er starb in Rom 1680. Er verfaßte sehr viele Bücher, die meistens in Rom erschienen und in lateinischer Sprache ge- druckt waren. Sein Buch mundus s u bt e rr an e u s, ') er- schien in Amsterdam, 1665. ') Der vollständige Titel lautet: Athanasii Kircheri e soc. Jesu Mundus subter- raneus in XII libros digestus, quo divinum sublerrcstris em Geheimen Regierungsrat. mundi opificiura mira ergasteriorum naturae in co distributio, verbo Tiai ro/töfffor Protei regnura, universae denique naturae majestas et divitiae summa rerum varietate exponuntur. Abdi- torum effectuum causae acri indagine inquisitae demonstrantur; cognitae per artis et naturae conjugium ad humanae vitae necessarium usum vario experimentorum apparatu necnon novo modo et ratione applicantnr. Tomus I, ad Alexandrum Vll, pont. opt. max. Amstelodami apud Joannem Janssonium et Elizaeum Weyerstraten, .Anno ^IDCLXV cum privilegio. Tomus 1I"5 in V libros digestus, quibus mundi subterranei fructus exponuntur et quidquid tandem rarum, insolitum, et portentuosum in foecundi naturae utero continetur, ante oculos ponitur curiosi lectoris. Amstelodami, typis Joannis Janssonii Waesberge et Elizaei Weyerstraet 1665. Auf Deutsch: Athanasius Kircher's von der Gesellschaft Jesu Unterirdische Welt in 12 Büchern erklärt. Es wird darin öffentlich dargelegt das göttliche .-Arbeiten der unterirdischen Welt, die wunderbare Vertheilung der Naturwerkstätten in der- selben, das mit dem Worte Tutnoftöoffoi' bezeichnete Reich des Proteus, kurz, die Majestät der ganzen Natur und ihr Reichtum sowie ihre Mannigfaltigkeit. Die Ursachen ver- borgener Tätigkeit, welche durch scharfsinnige Erforschung untersucht werden, kommen zur Darlegung. Sie werden durch die Verbindung der Kunst und der Natur erkannt, welches zum Gebrauch des menschlichen Lebens notwendig ist, und zwar durch verschiedenen Gebrauch der Erfahrung. Dies wird auf eine neue Art und Weise und Methode auseinander gesetzt. Erster Band, Alexander dem VII., höchstem Oberpriester gewidmet. Amsterdam bei Johannes Janßonius und Elisäus Weyerstraten im Jahr 1665 mit Privileg. — Zweiter Band in fünf Büchern vertheilt. In diesen werden die Früchte 562 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 36 Trotzdem er Jesuitenpater war und in Rom eifrig lehrte, war er doch ein großer Chemiker, und es lohnt sich, seine chemischen Arbeiten wenigstens teilweise zu betrachten. Im zweiten Teil seines mundus subtcrraneus befindet sich als Sectio quarta seine Abhandlung de acte stalactica sive distillatoria'-), die wir hier übersetzen. „Über die Tröpfelkunst oder die Destillierkunst. Vorrede. Wenn wir in den Fleiß der Natur völlig hin- einsehen, nicht nur in ihren unterirdischen Leib, sondern auch außerhalb der Erde in den Mega- kosmos unter dem Monde, ja auch sogar in den Mikrokosmos „Mensch" selbst, und in den der übrigen Tiere, werden wir finden, daß alles mit Hilfe der Destillation ^) vollendet wird. Denn der Geokosmos hat seine innere Werkstätte und die vulkanischen Offizinen sind mit einer Mischung von allerlei Samen so erfüllt, daß aus ihrer Sub- limation irgend ein jedes, was bisher in den vor- angegangenen Büchern gesagt worden ist, seinen Ursprung genommen hat, wie es scheint. Aber während wir hier und da im Verlaufe dieses Werkes dies gezeigt haben, bleibt uns hier nur noch übrig zu sagen, auf welche Weise die Phy- siologen, klugen Sinnes, die geheimen Künste der Natur, welche in jenen mit vielfältigen, unter- irdischen, chemischen Werkstätten ausgerüsteten Seiten ruhen, nachzuahmen versuchten, was sie durch die Lehrmeisterin Natur gelernt hatten. Sie bemerkten allerdings, daß jene vielfältige Menge von Mineralien und festen Säften, welche die Erde uns darbietet, nicht anderswoher hervor- gehen könne, als aus verschiedener Sublimation der Dämpfe, die Archäus, jener Vulkan, aus den Töpfen und Kesseln mit Hilfe des unterirdischen Naturfeuers emporhebt. Denn es hat, wie in dem ersten Teile hier und da gezeigt wurde, die unter- irdische Welt ihre chemischen Gefäße, Hafen, Windkessel, Kochtöpfe, Mischkessel und bäuchige Unterkünfte, Kanäle und mit langem Hals ver- sehene Syphonen, in welchen ihre Kapitelle, Alembiks, kleine Tonnen (cupulae) und mit einem Kopf versehene Behältnisse, mit wunderbarem Natureifer angewandt werden. Nicht fehlen jene Auffanggefäße, welche die in mit einem Kopf versehenen Gewölben kondensierten Dämpfe und Auflösungen in Form von Wasser oder Ol auf- nehmen, wie in der träufelnden Feuchtigkeit der Grotten zu sehen ist, von denen einige reines Wasser, andere Salz, Salpeter, Alaun, Vitriol her- der unterirdischen Welt auseinander gesetzt und w.is über- haupt seltenes, ungewohntes und außerordentliches in dem fruchtbaren Uterus der Natur enthalten ist, das wird vor die Augen des wißbegierigen Lesers gestellt. Amsterdam ge- druckt bei Johannes Janßoniiis in Waesberg und bei Elisäus Weyerstraet 1665. ') Kirchner spricht immer von distillare anstatt destillare. abtröpfeln. Ferner solche, die Öle, Erdharze und sonstige Harzmassen ergießen , welche nur durch chemische Destillation geschehen, welcher die Natur in allem folgt. Wenn wir übrigens die Augen auf die äußere Hilfe der Natur wenden, dann werden wir sehen, daß die ganze „meteorogenesis" nur das Werk einer Destillation ist. Denn was ist der See, die Flüsse, die Meere und selbst die äußere Gestalt der Erde anders, als gewissermaßen die Behältnisse, angefüllt mit destillierbarer, flüssiger Materie, welche bald von der Hitze der strahlenden Sonne durchglüht sein wird, oder auch feucht, verdünnt, in Rauch verdampft. Die feuchten Dämpfe, wo sie den kalten Alembikus höherer Luft erreichen, kondensieren sich dort und werden in die Flüssigkeit aufgelöst, welche sie waren, mag sie nun rein sein oder fest, oder mit feurigen Dämpfen versehen. Wer leugnet in dem Mikro- kosmos „Mensch" das Werk der allerhöchsten Destillation .? Ebenso viele lebende Werkzeuge wie chemische Gefäße sind darin zu sehen. Was ist der Magen anders, als gewissermaßen ein chemischer Kürbis, in dem die aufgenommene Nahrung, die Flüssigkeit, durch die Kraft der ein- geborenen Wärme verdünnt, sofort in den kalten Alembikus des Kopfes und des Gehirnes steigt, wo sie, aufgelöst durch die gegebenen Offnungen, durch Mund, Nase, Ohren, Augen strömt und sich befreit. Anderwärts steigt sie ab in die Nerven, Knorpel, Sehnen, Muskeln, und macht sie schlüpfrig, um eine Bewegung zu verursachen. So erhält sie den ganzen Körper im Zustand seiner Unverdorben- heit. Wenn aber die flüssige Nahrung durch die schlechten Eigenschaften der Salze, des Schwefels und des Quecksilbers verdorben sein wird, dann wird sich im Gehirn die emporgehobene Flüssig- keit in salzige Katarrhe, unterirdische schwefliche und quecksilberne auflösen. Es wird, wenn die Lungen befallen werden, Schwindsucht entstehen, wenn die Hände, Chiragra, die Füße, Podagra, die Kniee, Gonatogra, bei den Hüften Hüftweh (sciatica), im ganzen Körper, Artritis. Löst sich aber der schwefliche Dampf auf, so entzündet er das Blut, bereitet Fieber und bewirkt allerlei Krankheitsstoff, welchervomWarmen erzeugt wird. Diequecksilberne Feuchtigkeit aber erstrebt hauptsächlich das Ge- schlecht der Nerven. Daher entstehen Paralyse, Apoplexie, und ähnliche Krankheits-Ungeheuer. Hieraus geht aber offenbar hervor, daß die Natur sich allen Teilen eines guten Destillators unter- zieht. So ist die Tröpfelkunst, ars stalactiea, oder die Destillation, ars destillatoria, nur aus den Werkstätten der Natur hervorgegangen und von den chemischen Philosophen zur Richtschnur und zum Vorbild gesetzt, dessen Vorzüglichkeit und Würde mit genügend übereinstimmenden Lob- sprüchen kaum beschrieben werden kann, und zwar wegen des vielfältigen Nutzens, welchen es dem menschlichen Geschlecht leistet; dann aber auch, wegen der verborgenen Geheimnisse, zu denen es uns Zutritt gewährt. Das ist wahrhaftig die ein- zige Schlüsselträgerin der Natur, durch welche die N. I'. VI. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 563 VV> ^ -j Vift-ißSatma^tr raJui SAt Pforte zur vollkommenen Kenntnis der natürlichen gemischten Konstitutionen und der verborgenen Ursachen offen steht, wie wir in dieser kurzen, gelehrten Untersuchung zeigen werden. Doch wir wollen endlich einmal fortschreiten zu der von uns vorgesetzten Materie. I. Kapitel. ') Krklärung und vielfache Verschieden- heit der Destillation. Die Destillation ist daher nichts anderes, als die Auflösung flüssiger Teile durch die Kraft der Wärme in Dampf Sobald diese in dem kalten Kopf des Alcmbikus zusammenlaufen, werden sie dort in die Höhe gehoben und in eine Flüssigkeit kondensiert, verwandelt. Denn der in den Hut oder Alembikus erhobene Dampf kann sich in eine Flüssigkeit nicht auflösen, wenn er niclit ebendaselbst durch eine Kondensation vervielfältigt und eng zusammengedrängt wird. Diese Kondensation ist nämlich so plötzlich, daß die Gefäße not- wendigerweise zerbrochen würden. Sobald dieses eintritt, geht, wie wir sorgfaltig beobachtet haben, eine solche Menge Dampf heraus, daß das ganze Haus voll wird. Die von den Chemikern neben der Natur als orginell hingestellte Destillation ist vielfältig. Wir teilen dieselbe wie folgt ein. Die Destillation geschieht teil- weise durch Feuer, teilweise durch die Erde aufwärts. Eine andere geschieht durch Feuer, die Erde, Luft und Wasser abwärts. Ferner durch Beugung, vermittels Feuer, Luft, Wasser, Erde. Wieder eine andere durch die Zurückwerfung der Sonne und durch andere Wärmequellen. Es sind daher drei Arten der Destillationen nach dem Unterschied der natürlichen Bewegungen: aufwärts, abwärts und seitlich. Eine jede Gruppe derselben wird wiederum in vier Unterschiede, nach der Zahl der Elemente, geteilt. Auf diese Art entstehen zwölf Verschiedenheiten Qg|- Destillation ^ Cu^urhamMirLS« i^alljiUjtn tJnbiumt B CapttStBtL X'w^ C 1lfl>wm- D CinMu ^tr V4J tt.fiajm tranjteni . QV f^ntax - H Zsiäftfrtum. . So T^OeHt. caiOTlnu ttutarma reßrrta. . Die Destillation durch das Feuer wird einge- richtet, wenn die I'^euchtigkeiten oder Aus- dünstungen, die ir.nerlich in den irdischen Teilen sitzen, durch die große Kraft des Feuers sublimiert werden, sowohl um Öle als auch um Wässer her- auszuwinden. Die Figur dieses Ofens ist gezeichnet in Nr. 7 (Tafel i). Die aufwärts gehende Destillation durch die Erde oder, was dasselbe ist, durch Sand, Asche, Fäces, Dünger, richtet man ein, wenn dünnere Teilchen dabei sind, welche mit großer Hartnäckig- keit an der zu destillierenden Materie haften. Die Destillation durch Wasser geschieht ins- besondere durch das Bad, welches man Marienbad, Meerbad, oder Teilbad nennt und was man auf unzählige Arten einrichtet, Nr. 4, 5. ^Ta'tw^ i** j' yjl - VU IßHurroimytr J^cnfan . jt/cnfuni, extrihcndiL aj^^ Vat ifiülufr ■ ificn^Bii . *) Im mimdus subterraneus ist das erste Kapitel natürlich länger. Es kommen noch folgende Abschnitte dazu: canones in stalactica arte observandi — de diges- tionura speciebus , putrefactione , circula- lione, fermentalione — de fermentatione, causa generationis et corruptionis rerum omnium. Hierzu kommen noch experi- menta. Tafel I. 564 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 36 Die Destillation durch die Luft geschieht ins- besondere durch das Dampfbad, das heißt durch Dampf, welcher durch die Hitze des Wassers ver- dünnt ist. Die Destillation abwärts wird wiederum ein- gerichtet, entweder unmittelbar durch Feuer oder durch Wasser oder durch Erde, nämlich durch Asche, Fäces, Dünger, wie bei den Gefäßen I und 9 zu sehen ist. Die Destillation heißt durch Beugung, wenn auf mittlerem Wege seitlich eine Destillation durch eine Retorte, wie man es nennt, eingerichtet wird, wie bei den Gefäßen 2 und 8 erscheint. Unzählige andere Gefäße sind hier und da in Gebrauch. Ich nenne nur diejenigen, von denen wir in der Pharmakopö des collegium Romanum Gebrauch machen. Doch von diesen schon gleich- sam gewöhnlichen wollen wir zu denjenigen Öfen fortschreiten, welche man philosophische nennt. Öfen und Instrumente, oder philoso- phische bzw. hermetische Gefäße. Der Ofen wird insbesondere der philosophische genannt, weil sein künstlicher Bau nach Art der Natur gemacht ist. Derselbe mischt und führt gewisse Dinge zur höchsten Vollkommenheit durch, und löst durch wunderbaren Fleiß das- jenige in seine Elementarteile auf, was andere durch oftmals wiederholte Destillation vollendet haben, welche sie Kohobation nennen, und die zugleich ein philosophischer Kunstgriff ist. Beschreibung des philosophischen oder spagyrischen Ofens, des collegium Ro- manum, der Gesellschaft Jesu, den man das Dampfbad nennt. Es besteht dieser Ofen aus sechs vornehm liehen Teilen. Der untere Teil, bezeichnet mit dem Buchstaben H, ist der Staubplatz und drückt den Ort für die Asche aus. Der zweite Teil ist das pyristerion, oder der Ort des Feuers. Der dritte zeigt die innere Lage des Kochtopfs, der sich auf die Breite von BC ausgedehnt. Der vierte, äußere Teil LMBC enthält eine kupferne Kuppel, Tonne, welche mit 66 ') Alembiks aus- gestattet ist. Das fünfte, kupferne Gefäß A, der Kuppel aufgesetzt, dient zur Kalzination von Hörnern und Knochen. Das sechste ist ein nach rückwärts gelegenes Register, und dient dazu dem Feuer den Hitzegrad mitzuteilen. Die einzelnen Alembiks werden entweder mit verschiedenen Kräutern oder mit einer und derselben Materie gefüllt, alle und die einzelnen, „teils um das bei verschiedenen Kräutern zum Überdruß herab- träufelnde Wasser, welches entfernt werden muß, zu vermeiden, teils, weil die Arten verschiedener Kräuter eine ganz verschiedene Qualität des Grades innehalten, und so auch bei ein und dem- selben Hitzegrad und zu derselben Zeit ihre Destillation nicht vollendet werden kann. Die daher das Werk beginnen wollen , erfüllen den Kochtopf zuerst durch den Deckel mit immer währendem Wasser, sodann den Rest mit leben- digem F"euer. Sobald das Wasser im Kochtopf das Feuer merkt, kocht es sofort auf und erfüllt mit den Dämpfen die Höhlung des Kessels. Von ihrer Hitze werden in gleicher Weise die sog. Kürbisse, cucurbitaceae, heiß gemacht, und sie lösen die Kräuter, welche sie in ihrem Leibe be- herbergen, in Dämpfe auf. Diese werden empor- gehoben in die kleinen Köpfe der Alembiks und fließen, ebendaselbst durch das Aufstoßen auf die kalte Umgebung durch den nasenförmigen Syphon ') In der Abbildung sind 72 .alembiks. Tafel 2. ^^n^^ ] Destillier-Ofen. A Gefäl3, in welchem auf philosopliisclic Meisterschaft Hörncr und Knochen kolzinicrt werden. DENO Ort, wo der Kessel G durch untergelegtes Feuer erwärmt wird. LMBC Verteilung der 72 Alembiks, welche durch Hitze des Bades die Flüssigkeit herabtröpfeln. BCIK Mauer oder Füllung des Ofens. G Rost, über welchem das Feuer angezündet wird, und heißt Ort des Feuers, 7ieni.orr]oior. H Ist der Ort, wo die Asche gesammelt wird, und AF heißt xnrioTrjffior, (conisterium) bezeichnet einen Kanal, durch welchen der Rauch emporsteigt. N. F. VI. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S65 in die Auffanggefäße ab, und zwar in solcher Menge, daß sicii in dem Zeitraum eines natür- lichen Tages hundert und mehr Libren Tröpfel- wasser ansammelt. In dem kupfernen Gefäß, mit Ruchstaben A (Tafel 2) bezeichnet, werden nach einem vorzüglichen Rat, alle Sorten von .-XBche aus Hörnern, Knochen, Zähnen zusammengebracht. Auf dem Netzwerk, welches aus eisernen Drähten zusammengewebt ist, legt man Hirschhorn, Elfen- bein, die Knochen, welche einem gefallen, zum Kalzinieren hin. Auf diese Art bleiben die auf dem Netze aufgehangenen Sachen zurück. Daher kommt es, daß der feuchte Dampf, welcher durch die Engpässe genannten Gefäßes durchdringt, außer der sehr glänzenden Farbe, welche er ihnen selbst verleiht, sie mit der Zeit auch so brüchig macht, daß sie ohne Schwierigkeit durch den ^Druck der Finger in Staub gebracht werden können. Diese Art Knochen und Hörner zu kalzinieren ist ohne Zweifel sehr schön, und leicht. Doch wer auf diese Weise mit Feuer zu kal- zinieren pflegt, verliert viel von der eingeborenen Kraft, da das Feuer zu heftig ist. Dazu kommt noch, daß das Feuer leicht das ei^i/tiQevna an- nimmt. Da dies aber gefährlich ist, so muß es auf alle Arten vermieden werden. Diese Nach- teile werden sämtlich einzig und allein durch die Wohltat des Dampfes von dem Bade behoben. Es bleibt noch übrig, das Register darzulegen, um die einer jeden Pflanze nützlichen Destillations- Hitzegrade zu geben. Denn da nicht alle Pflanzen denselben Hitzegrad bedürfen , weil die einen leichter, die anderen schwerer aufgelöst werden, wie wir kurz vorher gesagt haben, so wird dieses Register auf denjenigen Grad eingestellt, welchen man will, innerhalb oder außerhalb desselben. Nachdem man das Register in Tätigkeit gesetzt hat, wird die Kraft des inneren Feuers entweder aus- gedehnt oder eingeschränkt. Jedenfalls eine schöne Erfindung, welche den unterirdischen Naturofen gleichsam h rijt zL-vtoi (mit einem Schlage) ausdrückt. Ich habe nun die Natur verschiedener Gebirge beobachtet, unter anderen auch die des Ätna, eine höchst wunderbare Natur. Man findet bei dem- selben verschiedene Quellen und kleine Löcher, von denen einige salziges, andere salpeterhaltiges oder alaunhaltiges resp. vitriolhaltigcs Wasser führen. Auch tröpfeln mannigfaltige Grotten bei verschiedenen Örtern Naptha, Erdpech und Petro- leum herab. Einige kommen nirgendswoher, als von einem vulkanischen Herde. Durch diesen werden die Feuchtigkeiten in den unterirdischen Kesseln, mit denen sie erfüllt sind, durch ver- borgene Mäander und Kanälchen der Erde empor- gehoben, und aufgelöst in so sehr verschiedenen Wässern springen sie hervor. Ein philosophisches Destilliergefäß, durchwelchesausPflanzcnundFlüssig- keiten die Quintessenzen herausge- zogen werden. Die Chemiker glaubten, um die Flüssigkeiten zur höchsten P^inheit hindurchzubringen, eben- dasselbe zu wiederholen, und, wie sie es nennen, durch die cohobatio (Bändigung, Einschränkung) zu erhalten. Wir werden hier die Konstruktion einiger Gefä(3e lehren, vermittels denen einer ein- zigen Operation dasselbe gelingt, was die Destilla- toren durch so große Arbeit in fünf, sechs oder sieben Sublimationen machen. Der in zwei Glieder geteilte Ofen AB (Taf 3) wird von den Chemikern Althanor genannt, was in arabischer Sprache hauptsächlich Ofen, »xLiJ heißt, worüber wir ausführlicher im XI. Buche dargelegt haben. Das Werkzeug C dient dazu, Flüssigkeiten durch den zurückgeworfenen Sonnenstrahl zu sublimieren. Wir werden anderswo eine bessere i l i^ Tafel 3. 06 Naturwissenschaft! iche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 36 Art dieses zu konstruieren zeigen und deslialb zu den übrigen Gefäßen fortschreiten. Man mache sechs gläserne Gefäße oder Alem- biks von proportionierlicher Verkleinerung zu- gleich mit ihren Schnäbeln und Rezipienten, an einem jeden Schnabel fest gemacht, wie Figur D zeigt. Nachdem dies vollendet, fülle man das erste Gefäß mit derjenigen Flüssigkeit, welche man zu sublimieren vorhat, und darunter setze man ein Öfchen (fornaculum), mit Asche oder Sand um- geben. Nachdem dies vollbracht, wird die Flüssig- keit, welche man in das erste Gefäß hineinge- geben hat, als Dampf emporgehoben. In dem zweiten Gefäß wird sie wenig bleiben und herab- steigen in das Behältnis B. Wiederum sublimiert, wird sie im vierten Gefäß aufgelöst herabsteigen in den Rezipienten C, und ebenso weiter, bis sie sich zum letzten Gefäß Nr. 6 emporhebt. Jetzt hat sie den höchsten Grad der Subtilität und den Endpunkt der Vollkommenheit erreicht und gleitet in die Vorlage D hinab, wo man sie trennt und in ein Kristallgefäß mit sehr gutem Verschluß einschließt. Man sieht dabei, daß sich der Dampf in den einzelnen Vorlagen immer auflöst und sich je nach dem Grade immer reiner und reiner in den Rezipienten vorfindet, bis zuletzt die Flüssig- keit in der letzten Vorlage 6 von jedem Aschen- bestandteil (faeculentia, Unflat) befreit eine ge- wissermaßen himmlische Feinheit erlangt. Wir haben dieses Kunstwerk (industia) von den Werken der Natur gelernt. Je höher die irdischen Dämpfe emporsteigen, desto feiner, wie die Erfahrung lehrt, werden sie, bis sie in die höchste Region der Luft emporgehoben, gewissermaßen in eine andere Substanz übergehen. Dasselbe und zwar noch viel vollkommener lehrt folgendes Werkzeug. Man mache Glasgefäße, so wie Figur E (Taf 3) darstellt. Zuerst zwei Retorten, die wir mit den Zahlen 2 und 9 gezeichnet haben. Zu diesen kommt hinzu nach beiden Seiten ein Kanal, mit Nr. 3 bezeichnet. In seinem unteren Teil ist er mit fünf Kanälchen ausgerüstet, mit welchen eben so viele Rezipienten korrespondieren, die bezeichnet sind mit den Zahlen 4, 5, 6, 7, 8. In die Retorte aber, die mit Nr. 2 bezeichnet ist, kommt die zu destillierende und zu reinigende Flüssigkeit. Hier- auf werden sowohl die zweite Retorte als auch die Auffangegefaße samt ihren Röhrchen verbun- den und die Verbindungen verklebt sowie voll- kommen verschlossen. Nur Retorte 9 wird mit einem Stopfen zugemacht, damit nicht der Fort- schritt des Dampfes gehindert werde. Nachdem so dies ganze dargestellte Werkzeug (machina) fest zusammengefügt ist, wird es einesteils mit seiner Retorte 2 über das üfchen i gesetzt, an- derenteils über die Stütze 10. Nachdem gelindes Feuer angezündet ist, steigt die Flüssigkeit, in Dampf verwandelt, zuerst in das Behältnis 4, dann weiter vorgetrieben innerhalb des Rezipienten 5 und so allmählich weiter, bis sie sich, nachdem sie den höchsten Grad der Vollkommenheit erreicht, innerhalb der Retorte 9 einfinden wird. Auf diese Art und mit einem einzigen Werkzeug wird man ohne Arbeit und Kosten seinen Zweck erreichen. Wenn man aber mit Flüssigkeiten arbeitet, welche in 5 Rezipienten aufgesammelt sind, und noch keine gebührende Reinheit erlangt haben, und man zur höchsten Reinheit den Versuch fortsetzen will, so soll man dieselben zusammengießen und aufs neue in Retorte 2 hineintun, und die Ope- ration wie vorher fortsetzen. Das dritte Werkzeug, mit Buchstaben F be- zeichnet, dient Sachen mit schwierigerer Auflösung. Man macht also ein Glasgefäß N, mit zwei Kanälchen GP, von der Seite und einem L im Bauche ausgerüstet. Den seitlichen Kanälchen werden zwei Retorten angesetzt, mit Buchstaben O bezeichnet, deren zu sublimierende Materie über das Öfchen P zurückgetrieben wird. Mit Asche bedeckt, wird ein anderes, M über die .Stütze L gelegt. Unter das untere Kanälchen gibt man die Blase £, und nachdem man die Fugen ver- schmiert, gibt man dem Öfchen P Feuer. Der hartnäckigere Teil der Materie wird zuerst sub- limiert wei'den, sich dann aber durch den Abzug in die Blase R entladen. Der feinere und reinere wird in dem Gefäße M sich einfinden. Es folgen noch die Umkreis- oder Kreisgefäße, die in der Chemie sehr viel gebraucht werden, deshalb, weil kein magisterium, kein Elixir oder Lebenswasser ohne diese den höchsten Endpunkt der Vollendung erreichen kann. Sie bestehen darin, daß bei ihnen der Dampf durch sanfte und ruhige Wärme empor'gehoben, fortwährend im Kreise geht. Bei der Fortsetzung dieser Zirku- lation wird die Flüssigkeit zu derjenigen Feinheit hinaufgebracht, daß sie ein gewissermaßen himm- lisches Gewand anzieht. Ein solcher Umlauf der Flüssigkeit unterscheidet sich übrigens von der vorangehenden Sublimation, weil derselbe durch ein wenigstens vier Monate fortgesetztes Feuer von Asche oder Sand oder Dünger, jener aber meistens in einem natürlichen Tage vollendet wird. Die Zeichnung von solchen Gefäßen liefern die Figuren G, H, I, K, L, M, N, O. Deren erste, G, sublimiert die Flüssigkeiten in der Wärme eines Marienbades, H in der der Weinstöcke, I der Asche, K des Düngers, L des Dampfes, M des Sandes, N endlich in der Wärme des Mistes, oder des Sandes oder der Asche. Denn wie ein mäßiges Feuer der Öllampe oder der Kohlen innerhalb des Ofens, Sandes, Dünger, Asche, wie es der immer gleichen, mäßigen Wärme nötig ist, so steigen auch die Flüssigkeiten in den Umdrehungsgefäßen durch einen Arm empor und kehren durch den anderen Arm zurück. Sie lassen immer nur etwas unreines zurück, bis die Natur nach vieltägiger Zirkulation eine weitere Reinigung verweigert. Am meisten bei den Chemikern gebräuchlich ist das Umlaufgefäß, was zum erstenmal ausgedrückt ist in der Figur mit Buchstaben O, ferner in den Figuren, die mit Buchstaben M und L gezeichnet sind. Die übrigen Gefäße G, H, I, K ohne Arme heißen blinde. Wenn sie auch den Kreislauf N. F. VI. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 567 vollenden, so wird dennoch die wahre Art des- selben mit den mit einer Handhabe, Henkel ver- sehenen Gefäßen vollbracht, über die wir oben gesprochen." Ohne Zweifel ist diese Abhandlung geeignet, auf vieles ein ganz eigentümliches Licht zu werfen. Wir finden z. li. noch um 1700 in Deutschland eine ganze Menge Bücher, welche die Goldmacher- kunst beschreiben.') Athanasius Kircher, hundert Jahre früher, aber wollte kein Gold machen und seine chemischen Studien erweisen sich dem- zufolge als ganz ausgezeichnet. Kirch er ist übrigens nicht als Chemiker be- kannt, sondern vielmehr als erster Mikrosko- piker. Von ihm ist zuerst mitgeteilt worden. daß er kleine lebende Wesen, die dem unbewaff- neten Auge unsichtbar waren, mit einfachen Linsen gesehen hat. ') so zum Beispiel: ,,I)rey curieuse cliymisclie Tractätlein. Das erste betituU; Güldene Rose, das ist, einfältige Beschreibung des allcr- größesten von dem allmächtigen Schöpfer Himmels und der Krdcn Jehovah in die Natur gelegten und dessen Freunden und Auserwehlten zugetheilten Gcheimnusscs als Spiegel der Göttlichen und Natürlichen Weisheit. Das andere Brunn der Weisheit und Erkänutniß der Natur, von einem un- vergleichlichen philosopho gegraben. Das dritte P.l ut der Natur oder Entdeckung des allergchcimsten Schatzes derer Weisen, seyende nichts anders, als der rothe Lebenssaft'!, da- von alle Geschöpfe nach dem Willen des Allmächtigen her- stammen, erhalten und fortgepflanzct werden. — Frankfurt und Leipzig 1706. Kleinere Mitteilungen. Entwicklungsgeschichtliche Gedanken zur Frage der Kurzsichtigkeit. — Im Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie (1907, 3. Heft) verweist Dr. A. Steiger darauf, daß zwar die Kurzsichtigkeit oder Myopie ') bei der Geburt nur ganz ausnahmsweise vorhanden ist, doch bestehen bereits bei den Neugeborenen erhebliche Refrak- tionsdifferenzen. Dieser Umstand einerseits und die außerordentliche Variabilität der die Gesamt- refraktion bestimmenden Faktoren andererseits machen das Auftreten einer gewissen Anzahl von reinen Wachstumsmyopien geradezu zu einem lo- gischen Postulat. Niemand kann erwarten, das normale Wachstum würde einen Ausgleich der Unterschiede herbeiführen. Die Beobachtungen über die Refraktionsdiffe- renzen bei den Neugeborenen beziehen sich aller- dings auf zivilisierte Völker und es kann einge- wendet werden, ein Rückschluß auf Naturvölker sei nicht statthaft. Tatsache ist, daß Kurzsichtig- keit selbst bei den auf tiefer Kulturstufe befind- lichen Völkern festgestellt wurde, wenn auch nicht in so großem Umfange und nicht jene hochgradige Form, die in Europa sogar die Ungebildeten etwa mit der nämlichen Häufigkeit befällt wie die Ge- bildeten. Es entsteht die Frage, wie die Zunahme der Kurzsichtigkeit zu erklären ist. Bei den Naturvölkern müssen schon die unbeaufsichtigten Kinder mit schlechter Fernsehschärfe viel mehr Gefahren ausgesetzt sein. Doch „unter den Er- wachsenen muß für Jagd und Krieg, also für zwei im Kampf ums Dasein hervorragend wichtige Be- schäftigungen, der Kurzsichtige so sehr im Nach- teil sein, daß er entweder überhaupt als untaug- lich gelten oder doch mindestens viel leichter er- liegen wird. So hat denn diese Variation be- ständig mit viel größeren Schwierigkeiten der Existenz und der Fortpflanzung zu kämpfen als ') Vgl. hierzu Dr. Weinholds Aufsätze über die ver- schiedenen Refraktionszustände des menschl. Auges (Naturw. Wochenschr., 1904, S. 225 — 229) und über den gegenwärtigen Stand der Lehre von der Kurzsichtigkeit (ebenda, S. 822 — 824). die normalsichtigen oder übersichtigen Stammes- geiiossen. Das Resultat kann nur eine fort- währende, mehr oder weniger reichliche Aus- merzung solcher ungeeigneter Elemente sein." Erreicht ein Volk eine höhere Kultur, so wird unzweifelhaft die Lebensgefahr für den Einzelnen, namentlich für die physisch minder tüchtigen Mit- glieder des Gemeinwesens und vor allem für die Kurzsichtigen, verringert werden. Mit der steigen- den Kultur ist zudeni eine Höherwertung der Arbeit in der Nähe verbunden und die Völker sahen bald ein, daß für diese Arbeit die Minder- wertigkeit des Kurzsichtigen nicht besteht. „Ge- brauchs- und Schmuckgegenstände können von leicht Kurzsichtigen in der ersten Hälfte des Lebens mindestens so gut hergestellt werden wie von Normal- und Übersichtigen ; in der zweiten Hälfte kann geradezu eine Überlegenheit der früher untauglichen Myopen eintreten", so daß günstige Erhaltungsbedingungen für sie bestehen. Dieser Prozeß muß die zunehmende Kultur be- gleitet haben und es liegt auf der Hand, daß die Aussicht, durch Vererbung kurzsichtig zu werden, wachsen mußte. Die Kultur ist somit an der Zunahme der Kurzsichtigkeit mitschuldig. Wenn von zwei Geschwistern das eine normal-, das andere kurzsichtig ist, so wird sich gewöhn- lich herausstellen, daß das kurzsichtige mehr liest als das andere und man wird das Lesen auch als die Ursache der Kurzsichkeit bezeichnen hören, was oft genug zutreffen mag, jedoch häufiger wird es sich anders verhalten. „Wie nahe liegt schon der Gedanke, das kurzsichtige Kind habe bei seiner schlechten Fernsehschärfe weniger Freude und weniger Interesse am kindlichen Spiel im Freien und an der Natur. Es findet eben die größere Befriedigung bei einer Beschäftigung in der Nähe. Die Brille, die eine gute Fernsehschärfe verschafft, vermag die Gewohnheiten des Kindes nur selten wesentlich zu beeinflussen." In den meisten Fällen wird die Kurzsichtigkeit auf here- ditäre Disposition zurückzuführen sein. Aus früheren Zeiten sind leider keine Angaben über die Zahl der Kurzsichtigen vorhanden. Seit den 568 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 36 ersten zuverlässigen Untersuchungen ist keine Änderung der Häufigkeitsverhältnisse vorgekommen und Dr. Steiger ist der Überzeugung, ,,daß die Häufigkeit der Myopie nicht im letzten Jahrhun- dert entstanden, sondern entdeckt worden ist." Die infolge der fortschreitenden Kultur ab- nehmende Ausmerzung der Kurzsichtigen ist eine Ursache der Vermehrung der Myopie; die an- haltende Nahearbeit hat daneben ihrer Entstehung Vorschub geleistet. Nimmt man ohne weiteres die Theorie an, daß durch Nahearbeit ein Druck seitens der Augenbewegungsmuskeln auf den Aug- apfel ausgeübt wird der das Auge in die Länge drückt, so resultiert, i. „daß bei vielen Individuen unter diesem Druck Kurzsichtigkeit entsteht, bei der Mehrzahl aber nicht"; 2. „daß diese Wirkung nur in der Jugend eintritt, später nicht mehr oder doch nur ausnahmsweise", und zwar deshalb, weil das Wachstum abgeschlossen und die Entstehung des Defekts für viele Personen nur ein modifi- ziertes Wachstum ist; daß das Ansteigen von Grad und Häufigkeit der Kurzsichtigkeit nicht der geleisteten Augenarbeit parallel geht, sondern eher der Wachstumskurve folgt, ist durch Be- obachtungen erwiesen. Dafür entscheidend, daß unter gleichen Verhältnissen der eine von der Kurzsichtigkeit betroffen wird, der andere nicht, ist die erblich übertrageneKeimeseigen- t ü m 1 i c h k e i t. Dr. Steiger hält eine Zunahme der Kurzsichtigkeit für unausbleiblich, aber ihr Tempo dürfte ein sehr langsames sein; dasselbe wird durch eine sehr wichtige F"rage, die Frage der Vererbung erworbener Eigenschaften, mitbe- stimmt. Eine größere Gefahr als in der Ver- mehrung der Zahl der Kurzsichtigen liegt in der möglichen Steigerung des Grades der Kurzsichtig- keit. — Als zweckmäßige Anpassung an die modernen Zustände (wie manche glauben) kann die Zunahme der Myopie nicht gelten, da sie den Betroffenen sehr wenige Vorteile, aber arge Nachteile bringt. Fehlinger. Ist Sarcoptes mutans (Robin) lebendig ge- bärend ? — Ein Beitrag zur Biologie der parasi- tären Sarcoptiden. So groß die Zahl der anato- mischen Arbeiten über parasitäre Milben ist, so ist diejenige der biologischen relativ klein. Es mag dies seinen Grund mit darin haben, daß es ziemlich schwer ist, lebendes Material der Beobach- tung zugänglich zu machen. Im vorliegenden Falle standen mir Füße von einem Huhne zur Verfügung, die mit Sarcoptes mutans befallen waren. Die Milbe ruft bekanntlich die sog. Kalk- beinigkeit oder Fußkrätze hervor. Von Reynal wurde diese Milbe 1859 an den Füßen der Hühner gefunden, und Robin beschrieb sie als Sarcoptes mutans. Fürstenberg führt in seinem Werke über „die Krätzmilben der Men- schen und Tiere" Sarcoptes mutans nur dem Namen nach an. Näher anatomisch beschrieben wurde S. mutans in einer Abhandlung, die den Titel führt: Memoire sur une nouvelle espece de Sarcoptes parasite de Gallinaces. Schon hierin wurde die Vermutung ausgesprochen, Sarcoptes mutans könne ovovivipar sein. Es heißt da: „On voit frequement la nymphe completement deve- loppee se mettre ä marcher assitöt que l'on brise la coque de l'oeuf qui la renferme, apres avoir ecrase la mere, d'oü on peut conclure que cette espece est ovovivipar . . ." Nähere Unter- suchungen hierüber sind jedoch vom Verfasser nicht angestellt worden. Eine nahe verwandte Art beschreibt Ehlers (Zeitschr. für wissensch. Zool. Bd. 23, p. 251) unter dem Namen Derma- toryctes fossor (Ehl.). Er fand diese Art auf Muria maja (L), besonders am Schnabel. Seine Versuche sie auf Hühner zu übertragen schlugen fehl, wodurch wohl hervorgeht, daß diese Spezies nicht mit Sarcoptes mutans (Robin) identisch ist. Auch bei Dermatoryctes fossor (Ehl.) vermutet Ehlers, daß sie lebendig gebärend sei, ohne jedoch zu bestimmten Resultaten zu kommen. In „Tierreich" Heft 7, p. 15 u. 16 wird Sarcoptes mutans unter dem Namen Knemidocoptes mutans angeführt, es wird aber nicht angefügt, ob sie lebendig gebärend sei. An eben dieser Stelle wird Sarcoptes mutans Robin mit Knemidocoptes viviparus Fürstenberg gleichgestellt. Dies kann ich nicht entscheiden, da mir die Arbeit von Fürstenberg ^) leider nicht zugänglich war. Das Wesentliche aber ist, daß wir es mit einer lebendig gebärenden Sarcoptide zu tun haben, in der Regel sind Sarcoptiden nicht lebend gebärend. Wie schon angegeben finden wir den Parasit an den Füßen, bisweilen auch an den Kämmen der Hühner, vorzugsweise aber an älteren Tieren. Die Borke, durch den Parasit hervorgerufen, war in dem von mir untersuchten Falle außerordentlich stark, im Durch- schnitt bis zu 3 cm, die gewöhnliche Dicke ist nur I — i'/., cm. Die oberen Schichten sind frei von Milben, dagegen findet man sie sehr zahlreich an der Unterseite der abgehobenen Borke. Diese ist wohl als krankhaft gewucherte Epidermis auf- zufassen. Die Lederhaut war angefressen und etwas blutig, in sie selbst dringt der Parasit nicht ein, er lebt also an der Grenze von Epidermis und Corium. Um die Milben möglichst lange lebend zu er- halten, wurden die Borkenstücke abgehoben und mit der Unterseite auf feuchtes Fließpapier gelegt. Zur Untersuchung wurden hauptsächlich trächtige Weibchen verwandt. Die Größe derselben ist etwa 0,3 mm, die Farbe gelblichweiß. Die meisten untersuchte ich lebend in Wasser oder Glycerin. (Vergr. iio — 460). Die Lebenszähigkeit war eine sehr große. In reinem Glycerin hielten sie sich mehrere Stunden am Leben. Dieser Umstand war für vorliegenden Zweck natürlich sehr förderlich. Schon bei flüchtiger Untersuchung ergab sich. ') Fürstenberg: Knemidocoptes viviparus. Mitt. Naturw. Vor. Vorpommern u. Rügen Bd. II, 1870, p. 56. N. F. VI. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 569 daß Larven und Hier in den \crschiedensten findlichen Eier und Larven war eine recht scliwan- Stadieti im Uterus lagen, luiie besondere Anord- nung derselben konnte ich jedoch nicht finden; Eier und Larven waren regellos durcheinander gelagert. Bis zur fertigen .scchsbeinigen Larve konnte man im wesentlichen 6 Stadien unter- kende, so daß sich eine Norm schlecht aufstellen ließ. Fürstenberg gibt für Sarcoptiden im allge- meinen 22 — 24 Eier an, eine Zahl, die ich nicht gefunden habe. In 15 Weibchen z. B. wurden an B^iern und Fig. I. Ei mit Dottermasse. Kig. Anlage des Kopfes und des ersten Fußpaares. Fig. Anlage des zweiten Fußpaares und des Afters. Fig. 6. Fast fertige Larve vor dem Zerreißen der F.ihülle. Fig. 4. Anlage des dritten Fußpaares, Weitere Ausbildung der Chitinstützen. Anlage der Analborsten. Fig. I — 6 (Vergrößerung 460) zeigt die sechs hauptsächlichsten Entwicklungsstadien einer Larve von Sacroptes mutans im Uterus des Muttertieres. (Original-Figuren.) Fig. 5. Die Segmentierung der Füße be- ginnt. Die gestielten Haftscheiben an den Füßen sind schon vorhanden. scheiden (Fig. i — 6). Nach diesem ersten Befund war also zwischen zwei Möglichkeiten zu unter- scheiden, nämlich ob Sarcoptes mutans lebendig gebärend (vivipar) oder ovovivipar sei. Um zu einem möglichst günstigen Resultate zu kommen, wandte ich drei Methoden an. Zunächst legte ich Stücke von Krusten und Lederhaut, an denen sich zahlreiche Milben befan- den in 94% Alkohol, um das Ganze zu härten, und so ein etwaiges Zerdrücken von Eiablage- rungen zu verhüten. Einzelne Eier oder Ei- haufen habe ich dann nirgends bei genauer mikroskopischer Untersuchung finden können. Wegen ihrer relativen Größe ist ein Übersehen nicht gut möglich. Wohl aber fand ich vielfach sechsbeinige Larven, die von den ausgewachsenen Tieren sofort durch das fehlende vierte Beinpaar zu unterscheiden sind. Da, wie schon erwähnt, Bohrgänge im Corium nicht gefunden wurden, so können auch in tieferen Hautschichten Eiablage- rungen nicht stattfinden. Ferner untersuchte ich eine große Zahl (ca. loo) trächtiger Weibchen. Die Zahl der im Uterus be- Larven gefunden : Nr. Eier Larven Zusammen I 4 I S 2 I I 2 3 2 2 4 4 3 4 7 5 2 3 5 6 — I 1 7 5 2 7 8 3 — 3 9 I 2 3 10 — 3 3 II 4 — 4 12 3 2 S 13 3 I 4 14 3 3 6 IS 7 2 9 57° Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 36 Durch was die verschieden rasche Entwicklung der Eier bedingt wird, ist mir unbekannt. Um nun direkt zu beweisen, daß Sarcoptes mutans lebendig gebärend ist, lag mir viel daran, Weibchen beim Geburtsakt zu beobachten. Es ist mir dies auch gelungen, und es zeigte sich, daß die Larven ohne die Hülle, also frei beweg- lich, geboren wurden. Jedoch wurde allemal nur eine Larve auf einmal geboren. Die Entwicklung der anderen, noch im Uterus befindlichen war demnach wohl noch nicht völlig abgeschlossen. Die fertigen Larven entbehren auch schon im Muttertier der Hülle, ob dieselbe vorher oder nach der Geburt ausgestoßen wird, kann ich nicht entscheiden. Am wahrscheinlichsten ist es mir, daß selbige resorbiert wird, denn leere Eihüllen habe ich nicht finden können. Figur 7 zeigt sich neben diesen auch Larven vor, die also zweifelsohne lebendgeboren worden waren. In Entwicklung befindliche Eier hatten die so iso- lierten Weibchen nicht abgelegt, sie sind also nicht ovovivipar, sondern vivipar. Für die Weiterverbreitung ist dieser LTmstand recht wesent- lich, denn befällt ein trächtiges Weibchen einen neuen Wirt, so bringt es gewissermaßen gleich eine lebende, zweite Generation mit. Dr. phil. Albrecht Hase. Fig. 7. Fertige Larve , kurz nach der Geburt (Vergr. 600). Von der Bauchseite gesehen. eine eben geborene Larve von der Bauchseite. (Vergr. 600). Endlich isolierte ich trächtige Weibchen in leeren Glasschalen. Nach i — 2 Tagen fanden Berechtigtes Aufsehen erregte in diesem Som- mer unter den Chemikern ein Schreiben, das Sir William Ramsay an die Redaktion der eng- lischen Zeitschrift „Nature" gerichtet hat, weil da- nach eine Umwandlung verschiedener Elemente in andere unter der Einwirkung von Radium- emanation unter gewissen Bedingungen stattfindet, ein Prozeß also, den die Gelehrten seit der Über- windung alchymistischer Bestrebungen bis jetzt für unmöglich erklärt haben würden. Wir geben den bedeutungsvollen , als vorläufige Mitteilung aufzufassenden Brief unverkürzt nach der in der physikalischen Zeitschrift veröffentlichten Über- setzung wieder: Über Radiumemanation.* Von Sir William Ramsay. Im Jahre 1903 haben Soddy und ich gezeigt, daß die spontane Umwandlung der Radiumema- nation Helium liefert; diese Beobachtung ist seit- her von Himstedt und G. Meyer, von Giesel, von Indrikson, von Debierne und von Curie und De war bestätigt worden. Debierne hat gezeigt, daß Aktiniumchlorid gleichfalls Helium entwickelt. Ich konnte auch einmal Helium in den Gasen, die beständig aus Thoriumnitratlösung entweichen, nachweisen und ich hoffe, diese Be- obachtung bald nochmals endgültig überprüfen zu können. Ich habe nun gefunden, daß, wenn Radium- emanation in Kontakt mit Wasser bleibt oder darin gelöst ist, das inaktive Gas, das sich durch die Umwandlung der Emanation bildet, haupt- sächlich aus Neon besteht; daneben war nur eine Spur von Helium zu entdecken. Nimmt man statt Wasser eine gesättigte Kupfersulfatlösung, so wird wieder kein Helium gebildet; das Hauptprodukt der Umwandlung der Emanation ist in diesem Fall Argon, das viel- leicht auch eine Spur Neon enthalten mag. — Fällt man nun aus der Kupfersulfatlösung, die in Kontakt mit Emanation war, das Kupfer auf üb- liche Weise heraus, so zeigt das eingedampfte Filtrat die Spektra von Natrium und von Calcium ; daneben wurde sehr schwach, aber deut- lich die rote Lithium linie beobachtet. Diese letztere Beobachtung wurde viermal ge- macht; in zwei Versuchsreihen mit Kupfersulfat und in zweien mit Kupfernitrat. Natürlich wur- N. F. VI. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 571 den alle erdenklichen \'orsichtsmal3rc^cln ange- wandt. Analoge Rückstände von der l^chandlung von I51einitratlösung oder von Wasser mit Ema- nation zeigten kein Anzeichen der Gegenwart von Lithium. Auch bei einem blinden Versuch, wo- bei eine Lösung von Kupfernitrat vollkommen und in jeder Beziehung so behandelt wurde wie in den eigentlichen Versuchen, nur daß sie nicht mit Emanation in Berührung gebracht wurde, zeigte sich keine Spur von Lithium. Diese interessanten Resultate könnten vielleicht so gedeutet werden : Nach der chemischen Inak- tivität und nach dem Spektrum zu schließen, ist es sehr wahrscheinlich, daß die Radiumemanation in die Ileliumgruppe des periodischen Systems gehört. Während ihrer spontanen Umwandlung gibt die Emanation eine verhältnismäßig unge- heure Energiemenge ab. Es scheint nun , als ob die Richtung, nach welcher diese Energie ausge- geben wird, von den Umständen abhängt. Ist die Emanation allein vorhanden, oder nur in Be- rührung mit Wasserstoff und Sauerstoff, so wird ein Teil der Emanation „zersetzt" oder umge- wandelt durch die Energie, die den Rest der Emanation abgibt. Das gasförmige Produkt in diesem Falle ist Helium. Wird aber nun die Energieverteilung durch die Gegenwart von Wasser geändert, so liefert der Teil der Emanation, der „zersetzt" wird, Neon, oder wenn außerdem auch noch Kupfersulfat zugegen ist, Argon. — Ähnlich wird Kupfer durch die Energieemanation „de- gradiert", zerteilt zu dem ersten Element dieser Gruppe des periodischen Systems, zu Lithium. Ob bei der Einwirkung von Emanation auf Kupfer außer Lithium auch Natrium und Kalium gebildet werden, läßt sich vorerst noch nicht be- weisen, da sowohl Natrium als Kalium im Glas des verwendeten Gefäßes enthalten waren ; aber nach der Analogie mit den Zersetzungsprodukten der Emanation zu schließen, dürften bei der Zer- setzung von Kupfer wohl auch A^a und Ä' ent- stehen. Ein ausführlicher Bericht über diese Versuche soll in Kürze im „Journal of Chem. Society" er- scheinen. London, 11. Juli 1907. (Übersetzt von O. Brill.) Bücherbesprechungen. J. P. Lotsy, Vorträge über botanische Stammesgeschichte. Gehalten an der Reichs- universität zu Leiden. Ein Lehrbuch der Pflanzen- systematik. Erster Band: Algen und Pilze. Jena (Gustav Fischer) 1907. — Preis 20 Mk. Wieder einmal ein Compendium, das als reich- fließende Quelle benutzbar ist, eine jener Zusammen- fassungen, die für die heutige Wissenschaft mit ihrer unendlich zersplitterten Literatur sehr nützlich sind. Es sollen noch 2 weitere Bände folgen, einer die Archegoniaten, ein dritter die Phanerogamen behandelnd. Ein Referat von dem Inhalt eines Buches wie des vorliegenden zu geben ist nicht möglich, dazu enthält es zu viele Einzeltatsachen , und der Zusammenhang, in den diese Tatsachen gebracht werden , resp. das, was sie in der vorliegenden Darstellung aneinander- keltet, ist im Titel ausgedrückt. Verf. behandelt die pflanzliche Systematik im Hinblick auf den phylo- genetischen Zusammenhang der Pflanzen, der nach Möglichkeit zu eruieren versucht wird. L. unter- scheidet eine „x" und eine „2 x"-Generation bei den Pflanzen und versucht nun im einzelnen festzustellen, was bei den verschiedenen Pflanzengruppen die x- und was die 2 x-Generation ist. Unter x- und 2 x-Gene- ration versteht er das Folgende. Es ist bekannt, daß der Zellkern als der Träger der erblichen Eigenschaften anzusehen ist und zwar im wesentlichen auf Grund eines Experimentes von Boveri, der nachwies, daß zur Entwicklung eines See- igeleies dessen Verschmelzung mit einem Spermatozoon nicht unumgänglich notwendig sei. Daß bei parthe- nogenetisch, d. h. unbefruchtet gebliebenen, aber den- noch sich entwickelnden Eiern nur mütterliche Eigen- schaften in die Erscheinung treten können, ist selbst- verständlich. Boveri entfernte nun den Eikern und ersetzte ihn durch denjenigen eines Spermatozoon und zwar — um den Einfluß besser verfolgen zu können — mit einem solchen einer anderen Seeigelart. Es entstehen dann in der Tat Tiere mit rein väterüchen Eigenschaften. Das Plasma ist demnach — dieser Schluß ergibt sich — das Baumaterial, der Kern ist der „Baumeister". Nehmen wir normale, geschlecht- liche Vermischung zweier Zellen an (das Produkt der beiden verschmolzenen Zellen, d. h. die dadurch ent- stehende Zelle nennt man eine Zygote), so verschmelzen ihre Kerne: wir haben einen Zygotenkern, der bei der Zellteilung sich mitteilt und durch weitere Teilung alle Kerne des Organismus erzeugt, d. h. : alle Kerne entstehen aus dem Zygotenkern, so daß die zum Schluß wieder entstehenden geschlechtlichen Fort- pflanzungszellen, von denen wir ausgingen , ebenfalls wieder Vererbungssubstanz von den beiden Eltern enthalten. Dazu ist es unbedingt erforderlich, daß bei jeder Zellteilung, bei jeder Kernteilung also dafür gesorgt ist, daß die Tochterkerne dem Mutterkern völlig gleich sind. Besitzt der Wutterkern die Eigenschaften A, B, C, D etc. , so müssen auch die Tochterkerne diese Eigenschaften besitzen. Gesetzt den Fall, es seien diese Eigenschaften jede für sich im Kern an bestimmte Träger gebunden , so muß nicht nur der Kern als solcher dividiert werden, sondern ein jeder dieser Träger muß bei jeder Kernteilung genau hal- biert werden. Kennen wir nun diese hypothetischen Träger erb- licher Eigenschaften r Bestimmt bejahend dürfen wir diese Frage nicht beantworten , aber wenn wir im Kern eine Substanz nachweisen können, über deren vollkommen gleichmäßige Verteilung über die Tochter- kerne mit größter Sorgfalt gewacht wird, dürfen wir darin wohl einen Hinweis erblicken , daß diese Sub- stanz die Trägerin der erblichen Eigenschaften sei, und wenn nun noch andere Umstände hinzukommen, 572 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 36 z. B. ein eigentümliches Betragen dieser Substanz bei der Fortpflanzung, so wird es uns in hohem Grade wahrscheinlich, daß wir die Träger der erblichen Eigenschaften vor uns sehen. Eine solche Substanz kennen wir nun in der Tat im Kern, sie wird mit dem Namen Chromatin ange- deutet. Verfolgen wir also die Schicksale dieses Chromatins, d. h. also, sehen wir uns die Kernteilung etwas genauer an. Bei geeigneter Doppelfarbung eines Kernes er- halten wir verschiedene Bilder je nach der Phase, in welcher sich der Kern befindet. Der ruhende Kern einer höheren Pflanze z. B. ist ein runder Körper, innerhalb welches sich eine blau gefärbte, viel kleinere Kugel, der sogenannte Nucleolus befindet. Dieser Nucleolus ist eine mit Reserve- substanz erfüllte Vakuole. Im eigentlichen Kernkörper erblicken wir unregelmäßig verzweigte , rot gefärbte Stücke, welche zusammen das sogenannte Chromatin bilden. Bei genauerer Betrachtung zeigen sich die Grenzen der einzelnen Stücke oder Chromosomen (Fig. I, I). somen haben während des Stadiums des Kernfadens ihre Individualität nicht verloren. Daß sie sich wäh- rend dieser Periode nicht unterscheiden lassen , liegt einfach daran, daß sie so genau aneinander paßten, daß die Grenze zwischen je zwei Chromosomen un- sichtbar war. Sobald nun der Kernfaden wieder in seine Chro- mosomen auseinandergefallen ist, ordnen sich diese alsbald zu einem Ring um den Äquator des Nucleus herum (Fig. i, 3). Bis jetzt ist der Nucleus intakt geblieben, aber nun fängt die Auflösung der Membran an, und Plasmafaden treten durch Öft'nungen an den Polen in den Kern hinein und legen sich an die Chromosomen an. Dann spaltet sich jedes Chromo- som durch einen Längsschnitt (Fig. i, 4) in zwei gleiche Hälften ; es findet also eine gleichwertige Teilung (.^ijuationsteilung) statt. Die so gebildeten halben Chromosomen bewegen sich unter Verkürzung dieser Plasmastrahlen oder achromatischen Strahlen nach den Polen hin (Fig. i, 5). Dort angelangt, sieht man, daß sie schon wieder anfangen Ausstülpun- gen zu treiben (Fig. i, 6), alsbald wird nun um jede Fig. I. Schema der Kernteilung. Fängt der Kern an sich zu teilen, so wird dieser Vorgang dadurch eingeleitet, daß die Chromosomen zusammen einen 'Faden bilden (Fig. 1, 2), den soge- nannten Kernfaden. Dieser Kernfaden kommt dadurch zustande , daß die Chromosomen unter Einziehung ihrer Ausstülpungen sich Kopf an Schwanz legen. Dieser Kernfaden zerbricht später wieder in eine Anzahl von Stücken (Fig. i, 3), und es ist eine höchst eigentümliche Erscheinung, daß die Zahl der Stücke immer genau dieselbe ist, und zwar der An- zahl der Chromosomen , aus welchen er gebildet wurde, gleich ist. Mit anderen Worten: die Chromo- Chromosomenmasse herum eine Membran gebildet, und die jungen Nuclei sind fertig ; die Chromosomen bilden längere Ausläufer, und wir erhalten dasselbe Chromatinbild, von welchem wir bei Betrachtung des ruhenden Kernes ausgingen. Wie man sieht, hat jeder der Tochterkerne genau die Längshälfte eines jeglichen Chromosoms erhalten. Wird ein Chromosom sehr stark vergrößert, so sehen wir , daß es aus Scheibchen intensiv gefärbter Substanz besteht, welche dicht nebeneinander liegen, etwa in der Weise wie Gulden in einer Rolle (Fig. 2). Nimmt man nun an, daß ein jedes dieser Scheibchen N. 1'. VI. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 573 den Träger einer bestimmten Eigenschaft darstellt, so sehen wir, daß durch die Längsteilung des Chromo- soms Sorge dafür getrai^en wird, daß in jedem Tochter- ABCDEFGHIJKLMNO Fig. kern wenigstens ein Träger von jeder Eigenschaft, welche der JMutterkern besaß, vorhanden ist. Wir sehen also, daß bei der Kernteilung dafür gesorgt wird, daß jeder Tochterkern dem Mutterkern völlig gleich ist. Die Zygote — z. B. von Hydrodictyon — bildet 4 große Schwärmzellen. Es wäre nun recht gut möglich, daß diese Zygote die Zelle ist, in welcher die ungeschlechtliche Gene- ration gebildet wird, daß die Zygote also, wie Lotsy es ausdrückt, zum Gonotokonten ') wird. Gerade die Bildung von 4 großen Schwärmern in der Zygote führt L. zu dieser Auffassung. Die Sache liegt nämlich so : Wir haben ge- sehen, daß in den Kernen der Pflanzenzellen eine bestimmte Chromosomenzahl vorhanden ist. Nehmen wir an, es besitzen sowohl eine Hydrodictyon-Zoospore wie eine Hydrodictyon - Gamete x Chromosomen im Kern, so wird das aus einer Zoospore oder aus einer Parthenospore hervorgegangene Individuum gleich- falls X Chromosomen in den Kernen enthalten. Wenn aber 2 Gameten miteinander kopulieren, verschmelzen auch deren Kerne, es muß also der Zygotenkern 2 x Chromosomen enthalten , und wenn die Zygote sich durch Äquationsteilungen zu einer Pflanze entwickelt, müssen sämtliche Zellen dieser Pflanze Kerne mit 2 x Chromosomen führen. Falls diese Pflanze nun wieder durch Äquations- teilung Gameten bildete, würden die aus diesen ent- stehenden Zygoten 4X Chromosomen besitzen, die der nächsten Generation 8x, die der folgenden 16 x usw. Es ist klar, daß dies alsbald zu der Absurdität führen würde, daß ein Organismus nur aus Chromo- somen bestände, und es muß also in irgend einem Moment nach der Bildung des Zygotenkernes eine Reduktion der Chromosomenzahl stattfinden. Es ist nun prinzipiell gleichgültig, ob diese Re- duktion sofort nach der Bildung der Zygoten statt- findet, in welchem Falle die Zygote selber zum Gono- tokonten wird, oder aber ob sie erst viel später ein- tritt, nachdem die Zygote durch Teilung eine Gene- ration mit 2 X Chromosomen in den Zellkernen (kurz : 2 x-Generation) gebildet hat. In letzterem Falle wird nicht die Zygote zum Gonotokonten, sondern wird eine oder mehrere der der 2 x-Generation angehörigen Zellen zum Gonotokonten. Einen klaren Fall des letzteren Verhaltens bieten die Farne uns dar. Die Gameten der Farne sind in Eier und Spermatozoen spezialisiert; aus der Zygote (dem befruchteten Ei) bildet sich die Farnpflanze, die 2 x-Generation. In ihren Sporangien bilden die Farnpflanzen „Sporenmutterzellen", welche so wie die Zygote von Hydrodictyon vier Sporen bilden. F^s sind also bei den Farnen die Sporenmutterzellen die Gonotokonten. Daß ein Farn die Kopulation viel besser ausnutzt als ein Hydrodictyon, steht also außer F"rage, während letztere pro Zygote nur 4 Nachkommen bilden kann, bildet der Farn pro Zygote Tausende und abermals Tausende von Nachkommen. Die Reduktion der Chromosomenzahl findet immer statt bis zur Zahl der Gameten , welche zusammen- getreten sind, also bis zur Hälfte. Es enthält der Gonotokont demnach immer 2 x Chromosomen, die aus ihm hervorgehenden F'ortpflan- zungszellen , welche man im allgemeinen mit dem Namen Conen bezeichnen kann, x Chromosomen. Die 4 aus einer Farnsporenmutterzelle hervor- gehenden Sporen enthalten demnach x Chromosomen; diese Sporen keimen zu Prothallien, deren Zellen x Chromosomen besitzen, diese bilden Gameten mit ebenfalls x Chromosomen, und die von diesen gebil- deten Zygoten keimen zu F'arnpflanzen mit Zellen mit 2 X Chromosomen. Das Prothallium der Farne ist demnach eine .x- Generation, die Farnpflanze eine 2 x-Generation, und es findet ein fortwährender Generationswechsel zwi- schen beiden statt. Eine Betrachtung des Tier- und Pflanzenreiches zeigt nun, daß in bei weitem den meisten F'ällen in den Gonotokonten 4 Conen gebildet werden und in allen Fällen zwei oder ein Mehrfaches dieser Zahl. Es ist gerade dieser Umstand, der mich dazu ver- anlaßt, anzunehmen, daß die 2 — 4 Schwärmer, welche in der Hydrodictyon-Zygote gebildet werden, Conen sind, daß also die Zygote bei Hydrodictyon sofort zum Gonotokonten wird, die 2 x-Generation also nur noch einzellig und recht ephemer ist. Es bleibt nun noch zu erörtern, weshalb im Gonotokonten wenigstens 2 Gonen gebildet werden müssen, wenn auch eine nachträglich zugrunde gehen kann. Sehen wir zu , wie dieser eigenartige Rhythmus, die Zusammenkunft der elterlichen Kerne (Gameten- kerne), ihr Zusammenbleiben und ihre Trennung statt- findet. Wir können dabei verschiedene Fälle unterschei- den. Bei den Uredineen, einer Pilzfamilie, enthalten sämtliche Zellen der 2 x - Generation während ihres ganzen Daseins 2 Kerne, erst im allerletzten Moment ihrer Existenz wird ein Organ gebildet : die Teleuto- spore , in welchem diese Kerne miteinander ver- schmelzen , eine Vereinigung , welche nur sehr kurz anhält, denn sie trennen sich alsbald wieder; die von ihr gebildeten Zellen , die Sporidien , enthalten nur einen Kern , sie keimen zu Mycelien , welche die x- Generation darstellen, die Teleutospore ') ist also zum Gonotokonten geworden (Fig. 3 u. 4). ') Nachkoinmenbildner. ') Die eigentliche Reduktion findet wohl bei der Teilung des Promycelnuclcus statt, da dieser Nucleus aber der in den Keimschlauch eingetretene Teleutosporennuclcus ist, darf man sagen, es sei die Teleutospore zum Gonotokonten geworden. 574 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 36 \ I r. K I) I \ K K \ X C K i\ K 1; /\ 1 I K Fig. 3. Uredineen (nach Blackman). Schematisiert, i Reife Teleutospore. 2 Anfang der Bildung eines Promyccliums. 3 Promycelium mit 2 Sporidicn. 4 Keimende Sporidie und Bildung des uninukleären Mycels, z. B. in einem Berberilzcnblatt. 5 Spermogonium. Fig. 4. Uredineen (nach Blackman). Schematisiert. 6 Peripherischer Teil eines jungen Aecidiums, z. B. auf der Berberitze. In der oberen Figur sind einige der fertilen Zellen bereits binukleär; in der unteren sieht man, wie die fertilen Zellen durch seitliche Kopulation binukleär werden. 7 Keimung einer Aecidiospore, z. B. auf einem Grasblatt und Bildung des binukleären Mycels. 8 Uredospore. 9 Junge (noch binukleäre) und alte, uninukleäre Teleutosporen. N. F. VI. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 575 Kill anderes Beispiel liefert Cyclops. Im Ki ist natürlich der Eikern vorhanden ; durch das eindringende Spermatozoon kommt der Sperniakern hinzu und wird das Ei zweikernig. Dieser zweikernige Zustand bleibt auch wahrend der jetzt folgenden, zum Aufbau des Körpers führenden Zellteilungen fortbestehen , und zwar wenigstens bis zur Bildung der Keimblätter, so daß wenigstens im ersten Lebensstadium Cyclops in jeder Zelle seines Körpers einen väterlichen und einen mütterlichen Kern enthält, welche sich auch selbständig, aber in gleichem Rhythmus teilen. W"n sagen dann, dem Vorgang Rene Maires folgend, daß jede Zelle ein Synkaryon enthält. Bei weitaus den meisten Organismen ist dies nicht der Eall. Bei fast allen Organismen verschmel- zen der väterliche und der mütterliche Kern direkt nach der Befruchtung, und ist also auch die 2x-Ge- neration einkernig. Daß sich väterliche und mütterliche Elemente dennoch trennen können, hat seinen Grund in dem Beibehalten der Individualität der einzelnen Chromo- somen bei der Kernverschmelzung. Diese Verschmel- zung ist also unvollkommen, auch im Zygotenkern bleiben väterliche und mütterliche Chromosomen ge- trennt, der Unterschied zwischen einer Zelle mit 2 x- Kernen und einer solchen mit einem 2 x-Kern ist also nur ein gradueller. Verfolgen wir nun das Schicksal der Chromosomen in dem häufigsten Falle, in dem, bei welchem in der Zygote sich ein 2 x-Kern bildet. Die Chromosomen reihen sich in dem 2 x-Kern nur aneinander. (Fig. 5.) Fig. 5- Der Chromatinfaden, welchen wir bereits im Kern beobachteten, besteht also zur einen Hälfte aus väter- lichen, zur anderen aus mütterlichen Chromosomen. Greifen wir einen sehr einfachen Fall heraus : nehmen wir an, daß wir mit einem hypothetischen Wesen zu tun haben, das nur ein einziges Chromosom in seinen Gameten enthäU, so wird der Kernfaden der Zygoten aus einem väterlichen und einem mütterlichen Chro- mosom bestehen. Die durch Teilung des Zygotenkernes entstehen- den Kerne der 2 .\-Generation werden dann in dieser Weise gebildet werden : werden Fortpllanzungszellen mit nur einem Chromo- som gebildet V Wir sahen bereits, wo dies stattfindet, nämlich in den Gonotokonten. Der Gonotokont enthält nun ein väterliches und ein mütterliches Chromosom und stimmt in dieser Hinsicht mit den übrigen Zellen der 2 x-Generation überein, weicht aber darin von diesen ab , daß hier eine .Ausnahme von der Regel eintritt, daß der Kern- faden in ebensoviel Stücke auseinanderfällt, wie er zu seinem Aufbau gebraucht hat. Denn während der Kernfaden des Gonotokonten aus 2 x Chromosomen gebildet wurde, fällt er nur in x Stücke auseinander. Die numerische Reduktion der Cliromosomen fin- det also ganz plötzlich während der Ruheperiode des Gonotokonten statt. Wie geschieht diesV Sind die Chromosomen, in welche jetzt der Kernfaden auseinanderfällt, wohl denen äquivalent, aus welchen er aufgebaut wurde? Es fällt öfters auf, daß die Chromosomen, zu welchen der Kernfaden zerbricht, viel dicker sind als diejenigen, welche zu seinem Aufbau gedient haben, und so liegt es nahe, zu vermuten, daß wir es hier nur mit einer scheinbaren Reduktion der Chromo- somenzahl zu tun haben, und daß die Täuschung dadurch verursacht wird, daß sich die Chromosomen seitlich der Länge nach aneinander legen. Dies ist in der Tat der Fall: die fraglichen Chromosomen bestehen faktisch aus 2 ursprünglichen Chromosomen, sind bivalent. Im Gonotokonten begegnen wir also zu Anfang der Ruheperiode Univalenten, am Ende derselben bi- valenten Chromosomen. Wir wollen den Fall für die Spermatozoenbildung eines höheren Tieres einmal verfolgen. Wir sehen Fig. 7- Fig. 8. Fig. 6. Tetradenstadium Dyadenstadium Einleitung des Monadenstadiums Spermatiden, welche sich ohne ' weitere Teilung zu Spcrmatozoen heranbilden Wie man sieht, eine vollkommen normale Karyo- kinese, bei welcher die Tochterkerne, gerade wie der Zygotenkern, ein väterliches und ein mütterliches Chromosom enthalten. Wie gelangen wir nun aber zum Stadium der 2 X-Generation zurück, oder mit anderen Worten, wie Fig. 7 und 8. Schematische Darstellung der Spermatozoen- bildung eines höheren Tieres. Die väterlichen Chromosomen weiß, die mütterlichen schraffiert. In Fig. 7 wird angenommen, daß bereits im Dyadenstadium väterliche und mütterliche Chromosomen getrennt werden ; in Fig. 8 wird die Trennung bis zur nächsten Teilung hinausgeschoben ; das Resultat ist in beiden hypothetisch möglichen Fällen dasselbe. 576 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 36 dann im Gonotokonten zunächst ein univalentes, später ein bivalentes Stadium. Hiernach wird das bivalente Chromosom , so gut wie bei der normalen Karyokinese, der Länge nach gespalten. Die Spaltung ist nur deutlich sichtbar, wenn man das Chromosom von der Endfläche betrachtet; man sieht dann das sogenannte Tetradenstadium. Die Spaltungsprodukte werden bei der jetzt stattfindenden Zellteilung auseinandergezogen, so daß jede Zelle wieder ein bivalentes Chromosom enthält (das Dyaden- stadium der Fig. 8). Bis jetzt sind also das väter- liche und das mütterliche Chromosom zusammen- geblieben , bei der jetzt unmittelbar folgenden Zell- teilung findet die Trennung statt, indem diese Zell- teilung in einer Ebene senkrecht zu der vorangehenden stattfindet. In dieser Weise entstehen 4 Zellen, deren jede nur ein Chromosom enthält, und zwar entweder ein väterliches oder ein mütterliches. In Fig. 7 findet die Trennung von väterlichen und mütterlichen Chromosomen berereits im Dyaden- stadium statt, aber beide Zellen enthalten noch 2 Chromosomen. Unterblieb aber die eine Längsspaltung, welche zur Bildung des Tetradenstadiums geführt hat, so konnte bereits im Dyadenstadium eine vollkommene Trennung, eine Reduktion zum x-Stadium stattfinden ; woraus also folgt, daß wenigstens 2 Conen gebildet werden müssen , wenn auch eine später zugrunde gehen kann. Literatur. Goette, A. ; Vergleichende Entwicklungsgeschichte der Ge- schlechtsindividuen der Hydropolypen. (335 S. m. 18 Taf.) Lex. 8". Leipzig '07, W. Engelmann. — 30 Mk. Nernst, W., u. A. Schönflies, Proff. : Einführung in die mathematische Behandlung der Naturwissenscheften. Kurz- gefaßtes Lehrbuch der Differential- u. Integralrechnung mit besond. ßerücksicht. der Chemie. 5. Aufl. (XII, 371 S. m. 69 Fig.) gr. 8". München '07 , R. Oldcnbourg. — 1 1 Mk., geb. 12,50 Mk. Anregungen und Antworten. Herrn Prof. C. K. in Dresden. — Als Adresse von R. Semen wird noch in dem Mitgliedsverzeichnis der neuesten Verhandlungen der deutschen zoologischen Gesellschaft ,, Prinz- Ludwigshöhe bei München" angegeben und in den Personal- notizen des Zoolog. Anzeigers finde ich keine Angabe, die auf eine Änderung schließen ließe. D. Herr Dr. Reeker in Münster (Wf.) teilt uns freundlichst mit, daß Förster Hugo Gerike, dem wir außer Fährten- Abdrucken (vgl. S. 352 ds. Bds. der Naturw. Wochcnschr.) auch vortreffliche Präparate aus der Insektenwelt verdanken, laut Entomolog. Wochenbl. vom 14. Febr. 1907 in Bad Kudowa (Schlesien) gestorben ist. D. Herrn K. in V. — Zur ersten Einführung in die Geologie dient J. Wal th er, Vorschule der Geologie, 2. .-Vufl. (G. Fischer in Jena, brosch. 2 Mk.,geb. 2,60 Mk.), sowie dasvonKarczewska übersetzte Werkchcn von Shaler, N. S. , Elementarbuch der Geologie für Anfänger. Dresden, H. Schnitze , 1903. Zur Einfühlung in die Geologie und Paläontologie gibt es eine ganze .Anzahl von Werken. Das beste populäre und zugleich streng wissenschaftliche Werk zu diesem Ende ist immer noch Neumayr's Erdgeschichte (2 Bände a l6Mk.). Andere be- kannte Lehrbücher der Geologie sind Credner, Lehrbuch der Geologie (Leipzig, Wilh. Engelmann), ferner das ganz vorzügliche Lehrbuch der Geologie von E. Kayser (Stuttgart, Ferdinand Enke. 2 Abteilungen. .Mlgcmeine Geologie 15 Mk. und For- mationslehre 14 Mk.). An paläontologischen Werken stehen Zittel's Handbuch der Paläontologie (das aber teuer ist) und desselben Verfassers billigere Grundzüge der Paläonto- logie obenan. Außerdem ist zu nennen Steinmann und D ö d e r 1 e i n, Elemente der Paläontologie ; die kleineren Bücher wie Haas, Leitfossilien und desselben Autors noch kürzerer Katechismus der Versteinerungskunde (Leipzig, J. J. Weber) sind für Ihre Zwecke zu wenig umfangreich. Für den, der sich praktisch in der Geologie betätigen will, ist sehr nütz- lich K. Keil hack 's Praktische Geologie. Bloß aus Büchern Geologie und ihre Hilfsfächer zu erlernen, ist übrigens kaum angängig, dauernde Beschäftigung damit in der Natur ist un- umgänglich not^vendig, und eine erste Anleitung hierzu von kundiger Hand ist schwerlich zu entbehren. Für die Be- stimmung von Gesteinen, Mineralien und Fossilien ist dies in erhöhtem Maße der Fall. Als Lehrbuch der Petrographie nennen wir Urnen : Grundzüge der Gesteinskunde von E. Wein- schenk, Freiburg 1902/03, Blaas, Katechismus der Petro- graphie, Leipzig 1898. Die großen Werke von Rosen- busch (Mikroskopische Physiographie der Mineralien und Gesteine) sind für Sie wegen der sehr teuren mikroskopischen Ausrüstungen weniger geeignet. Als Lehrbücher für Minera- logie nennen wir Bauer, M., Lehrbuch der Mineralogie, 2. Aufl., Stuttgart 1904, Klockmann, Lehrbuch der Mine- ralogie, 3. Aufl., Stuttgart 1S03, Naumann-Zirkel, Ele- mente der Mineralogie, 14. Aufl., Leipzig igoi. Dr. W. G. Herrn San. -Rat S. — Da der stechende Geruch des Mistes wolil wesentlich auf die Entstehung von Ammoniak zurückzuführen ist, wäre ein Versuch, den Mist mit Kalkbrühe zu begießen, ratsam. Herrn S. in Lostau. Stückclien Glasschlacke. Es handelt sich offenbar um ein Herrn Prof. E. in Stuttgart. — Tang (Fucus und Lami- naria) wird massenhaft auf Helgoland, sowohl der Hauptinsel wie der kleineren Nebeninsel, der Düne, an den Strand ge- worfen. Die dortige Kgl. Biologische Anstalt wird Ihnen gewiß Material verschaffen. Herrn Dr. M. in M. — CO2 wird i. vom Wasser aus der Luft aufgenommen, 2. auf oder im Boden aus den in Zer- setzung begrit'fencn organischen Stoffen, 3. aus den dem Erd- innern entstammenden vulkanischen CO^ - Exhalationen. — Sucss in Wien hat vor nicht langer Zeit über die CO'-Quelle eine Abhandlung geschrieben. Herrn Lehrer H. L. in Theißcn. — Das eingesandte Ob- jekt stellt einen Fruchtkörper voh Reticularia lycoperdon dar. Durch die vorzeitige Abnahme Ist die Reifung unterbrochen worden , so daß das Capillitium und die papierartige Ober- haut dieses Myxomyceten nicht typisch hervortreten. Höchst wahrscheinlich hat das Plasmodium des Pilzes eine Zeit lang in dem feuchten, wurmstichigen Holz gelebt und ist dann zum Zweck der Fruktifikalion herausgekrochen. G. Lindau. Inhalt; Dr. Petri: Athanasius Kircher's Destilliermethodcn. — Kleinere Mitteilungen: Dr. A. Steiger; Entwicklungs- geschichtliche Gedanken zur Frage der Kurzsichtigkeit. — Dr. phil. Alb recht Hase: Ist Sarcoptcs mutans (Robin) lebendig gebärend? — Sir William Ramsay: Über Kadiumcmanation. — Bücherbesprechungen: J. P. Lotsy: Vorträge über botanische Stammesgeschichte. — Literatur: Liste. — Anregungen und Antworten. V^erantwortlicher Redakteur: I. V.: Prof. Dr. F. Koerber, Groß-I.ichlerfelde- West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge Tl. Band; der ganxen Reihe XXII. Band. Sonntag, den 15. September 1907. Nr. 37. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- bandlung. Einige Bemerkungen zur Vogelschutzfrage. [Nachdruck verboten.] Von Dr. L. Reh, Hamburg. Wir stehen lieute im Zeichen des „Schutzes". Patente und Arbeiter, Mütter und Kinder, Pflanzen und Tiere, Natur und Kunst, und noch manch anderes mehr wird „geschützt". Wenn man auch den meisten dieser Bewegungen wohl durcliaus sympathisch gegenüberstehen muß, so darf man sich doch auch niclit gegen ihre Schaltenseiten verschließen. Den so oft dagegen erhobenen Ein- würfen, daß sie der natürlichen Zuchtwahl und der natürlichen Weiterentwicklung entgegenwirkten, sollte man z. B. etwas mehr Beachtung schenken, als es gewöhnlich geschieht. Auch die Einseitig- keit mancher dieser Bestrebungen gereicht ihnen nicht gerade zum Vorteil. In beiden Hinsichten könnte schon sehr viel gebes.sert werden, wenn entsprechende Einzelbe- strebtmgen sich zu gemeinsamem Vorgehen zu- sammenschließen würden. Dadurch würden größere Gesichtspunkte gewonnen und sich un- angenehm machende Ecken und Kanten abge- schliffen werden. Solch gemeinsames Interesse sollte z. B. alle Vereine zum Schutze der Natur zusammenschließen. Jetzt erstrebt der Tierschutzverein nur Schutz der Haustiere, der Vogelschutz nur den der sog. nütz liehen Vögel, der Bund für Heimatsschutz ') nur den sog. heimischer Natur; der Denkmalschutz sucht vorwiegend einzelne Pflanzen, z. B. abnorm gestaltete Bäume, deren Wert den einer Kuriosität meist nicht übersteigt, zu erhalten.-) Um nur auf einige weitere Mängel und Un- gereimtheiten dieser Bestrebungen hinzuweisen: man betrachte die unsagbar grausame Art, mit der unsere meisten Tafelfische, namentlich die Aale, behandelt werden; unzählige Bewohner un- serer Süßwassertümpel (Frösche, Molche, Kaul- quappen, Fische) und noch viel mehr Insekten werden teils aus reiner Roheit, teils aus zweck- loser Spielerei von der lieben Jugend einem qual- vollen Tode überantwortet; wirkliche „Naturdenk- mäler", d. h. einzig-artige, durch Entstehung und Gestaltung hervorragende Gebiete unseres Vater- landes werden vernichtet, trotzdem sie ganz oder ') Ob hier außerdem durch die Vereinigung von Kunst und Natur letztere nicht in eine Aschenbrödelstellung ge- drängt wird, bleibt abzuwarten. '■') Allerdings sucht der Denkmalschutz in neuerer Zeit auch ,, Teile der Landschaft" zu erlialten. Da ihm aber hierzu sowohl Macht- als Geldmittel fehlen, ist seine diesbezügliche Wirkung leider eine sehr beschränkte. 57S Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 37 wenigstens zum Teil ohne nennenswerte Schädigung unseres Nationalwohlstandes erhalten bleiben könnten. Nicht zum wenigsten leiden alle diese Schutz- bestrebungen an dem unerläßlichen Appell an die breiten Massen, der naturgemäß immer eine Ver- flachung zur F"olge hat. Alle diese Nachteile lassen sich auch bei der modernen Entwicklung des Vogelschutzes ver- folgen. Von den Ungereimtheiten und der Ein- seitigkeit werden wir später noch reden. Hier w^ollen wir nur darauf hinweisen, daß allmählich der ganze Vogelschutz in das Schlepptau seines verdienstvollen Begründers, Herrn v. Berlepschs, gerät, dessen Ansichten nun gleich Bibelsprüchen blindlings nachgebetet und für alle Orte und Ver- hältnisse als die allein richtigen und maßgebenden hingestellt werden. Um allen Mißverständnissen vorzubeugen, will ich gleich hier betonen, daß ich selbstverständlich weit davon entfernt bin, die außerordentliche Sach- kenntnis des Herrn v. B. anzuzweifeln oder sonst- wie seinen Verdiensten oder seiner Persönlichkeit zu nahe zu treten. Das wäre einfach töricht. Nur dagegen möchte ich mich wenden, daß der ge- samte Vogelschutz in Deutschland durch Herrn v. B. ,, monopolisiert" wird. Das geht sogar so weit, daß von staatlichen Behörden als ,, Vogel- warte", als die offiziellen Vertreter des Vogel- schutzes, Leute angestellt werden, die als Gärtner oder Ähnliches bei Herrn v. B. einen Kursus im Aufhängen von Nistkästen und Anlegen von Vogel- schutzgehölzen durchgemacht haben, denen aber ornithologische oder gar allgemeinere biologische Kenntnisse völlig fehlen. Vogelschutz ist eine Sache, die in der Hand gründlich und mög- lichst vielseitig gebildeter Biologen liegen muß, die mit den örtlichen Verhältnissen, namentlich auch der Land- und Forstwirtschaft, auf das ge- naueste vertraut sind, und denen jene „Vogelwarte" höchstens als Gehilfen untergeordnet werden dürften. Warum treiben wir überhaupt Vogel- schutz? Schon hier zeigt sich die Zerfahrenheit aller dieser Bewegungen. Die einen sagen : um der Nvitzlichkeit der Vögel wegen; sie wollen also nur die nützlichen Vögel beschützt wissen und predigen z. T. den Vernichtungskrieg gegen die sog. schädlichen Vögel. Die anderen wollen unsere Vögel als Glieder der heimischen Fauna erhalten haben, wollen also nur die schützen, die bei uns heimisch sind, nicht eingewanderte oder eingeführte. Die letzten schließlich wollen alle Vögel aus allgemeinen, ethischen und ästhetischen Beweggründen geschützt wissen. Betrachten wir zuerst den Schutz der hei- mischen Vögel, der noch am ehesten zum Heimatschutz überhaupt erweitert wird. Der treibende Gesichtspunkt dieser Bewegung ist: die Heimat unseren Nachkommen in ihrer jetzigen, uns lieb gewordenen Gestalt zu erhalten. Man geht hierbei von der irrigen Ansicht aus, als ob das uns bekannte Bild der Heimat überhaupt ,,das" Bild derselben sei. In Wirklichkeit ist es doch nur eines aus dem ewigen Wechsel der Zeiten.') Jeder ältere Naturfreund klagt darüber, wie sich die Gegend, in der er sein Leben verbracht hat, verändert hat. Und wenn er nach längerer Ab- wesenheit wieder an die Stätte kommt, die ihm durch tausendfältige Erinnerung geweiht ist, muß er erkennen, wie ihm alles fremd geworden ist. Und doch handelt es sich hier nur um kleine Zeit- räume. Das Bild einer jeden kultivierten Gegend ändert sich ohne Unterlaß. Jedes neu angelegte Stück Kulturland prägt ihr einen anderen Cha- rakter auf. Wo früher mächtige Wälder waren, wogen jetzt Getreidefelder, oder bilden Rüben ein riesiges, grünes Meer. .Auf früherem Brach- lande wird jetzt weithin die anspruchslose Kar- toffel gebaut, usw. Den Nachkommen unsere Heimat in ihrer jetzigen Gestalt zu hinterlassen, hieße einen, allerdings ja unmöglichen Gewaltakt verüben. Und selbst wenn wir den Heimatschutz nur auf einzelne Landschaftsbilder beschränkten, hätte dies für die späteren Generationen nur eine Art historischen Wertes. Viel wichtiger wäre es, typische Landschaftsbilder, wie Heide, Bruch, Laub-, Nadel- oder gemischten Wald usw. an bestimmten Stellen sich selbst zu überlassen, um unseren Nach- kommen das zu zeigen, was den Wenigsten von uns vergönnt ist zu sehen : Bilder unberührter deutscher Natur. Welche Anregung müßten kommende Geschlechter aus solchen Reservationen, um mich des amerikanischen Ausdruckes zu be- dienen, schöpfen können! Um zum Vogelschutze zurückzukehren, so ist es unmöglich den jetzigen Zustand zu erhalten. Die fortschreitende Kultur fordert unerbittlich ihre Rechte. Trotzdem können wir auf den von I'Veih. V. B. gezeigten Wegen uns wenigstens einen großen Teil unserer Vögel erhalten. Aber nicht allein aus Heimatschutz. Denn das Bild der Zu- kunft: Vögel nur in Vogelschutzgehölzen und Nistkästen, ist eben nicht mehr das Bild unserer Heimat. Wie lehrreich müßte es dagegen für spätere Geschlechter sein, ,,unreglementiertes" Vogelleben in den Reservationen beobachten zu können. Wir sollen deswegen aber nicht nur die einheimischen Vögel schützen. Wenn auch allzu- weit gehende „Faunenfälschung" nicht zu emp- fehlen ist, so werden wir doch z. B. wohl den erst in historischer Zeit eingewanderten Girlitz behalten wollen. Und wenn das Steppenhuhn sich wieder einmal auf seinen Flügen bis zu uns verirrt, wird hoffentlich der Naturschutz schon so mächtig sein, diesem herrlichen Vogel bei uns eine neue Heimat bieten zu können. Die Fasanen ') Besonders lehrreich in dieser Hinsicht ist die auch sonst sehr beachtenswerte Arlieit von W. Ileering: Bäume und Wälder Schleswig-Holsteins. Aus: Verh. n.it. Ver. Kiel, B<1. 13, auch separat bei Lipsius u. Tischer in Kiel. Zu er- wähnen daraus ist z. B. daü die Kichte, die jetzt viele Tau- sende ha der Provinz bedeckt, vor ungefähr 100 Jahren dort noch unl)ekannt war! N. F. VI. Nr. 37 Naturwis.seiiscliaftliche Wochenschrift. 579 wieder aus Deutschland auszurotten, dürfte ohne- dies nicht gelingen. Und wer den mächtigen Vogel in Wäldern mit dichtem Unterholze beob- achtet hat, wenn er gewandt durch das Gebüsch läuft oder mit lautem , prasselndem Geräusche plötzlich auflliegt, wird ihn nicht mehr missen wollen , trotzdem er ein fremder Kindringling in luiscre Heimat ist. Herr v. B. will den \' o g e 1 s c h u t z a u s N ü t z - lichkeitsgründen. „Vogelschutz ist nicht nur eine Liebhaberei, eine aus ethischen und ästhe- tischen Beweggründen hervorgegangene Passion — also nicht nur aus der Bewunderung für den Ge- sang der Vögel, aus dem Bestreben nach Ver- schönerung und Belebung der Natur hervorge- gangen — sondern Vogelschutz ist in erster Linie eine volkswirtschaftliche Maßnahme, und zwar eine Maßnahme von hervorragendster Bedeutung." „Somit ist also Vogelschutz nicht nur eine Liebhaberei, eine edle Passion sondern aucheinedervielenzum Wohle der Menschheit unternommenen volks- wirtschaftlichen Maßnahmen." — Diese beiden Sätze lassen die Meinung Herrn v. B.'s wohl unzweideutig erkennen. Worin besteht nun aber dieser außerordent- liche Nutzen der Vögel? Eine weit verbreitete, auch von Herrn v. B. geäußerte Ansicht ist die, daß die Vögel „die berufenen Wächter des Gleich- gewiciUes zwischen Pflanzen und Insekten" bilden. Dieses berühmte Gleichgewicht in der Natur ist eines der so häufig gebrauchten, aber fast ebenso häufig falsch verstandenen Schlagwörter. Ein stabiles Gleiciigcwicht besteht wohl nirgends in der Natur, ein labiles allerdings überall. Es findet sicii in einem Walde, in dem keine Nonnenraupe lebt, und es findet sich da, wo die Nonnenraupe eben einen ungeheueren Waldkomplex zerstört hat. Wir vermeiden für den ewigen Wechsel in der Natur überhaupt besser das Wort Gleichge- wicht, und wenden das Wort Zustand an. Dann sind wir mit einem Male über alle Mißverständ- nisse, die sich an ersteres Wort knüpfen, hinweg. E. Hartert hat in seiner sehr beachtenswerten Broschüre „Einige Worte der Wahrheit über den Vogelschutz" ') sehr hübsch auseinander gesetzt, wie es Gebiete gibt, in denen üppige Flora weite Strecken bedeckt (Lalang-Ebenen auf Sumatra). ohne nennenswerte Insekten- und Vogelfauna, und andere, in denen ungleich mehr Vögel als Pflan- zenindividucn vorhanden sind (Insel Laysan). Und doch herrscht in beiden das, was man ungenauer- weise Gleichgewicht nennt. Ganz besonders labi\ ist dieses auf gut bearbeitetem Kulturlande, wo der Fruchtwechsel jedes Jahr andere Zustände hervorruft, wo also alle Verhältnisse jährlich, ja stellenweise sogar in einem Jahre mehrmals wech- seln. Hier kann von irgend einem Gleichgewichte also keine Rede sein, und die Vögel können es auch nicht erhalten. ') Neudamm, J. \cumann, 1900, 8°. Wenn von dem durch die Vögel erhaltenen Gleichgewichte der Natur die Rede ist, will man gewöhnlich sagen, daß sie unsere angebauten Kulturpflanzen vor Verwüstung durch Insekten schützen. Ist nun diese Bedeutung der Vögel wirklich so sehr groß? Ich glaube kaum. Schon von den verschiedensten Seiten ist darauf aufmerk- sam gemacht worden, daß Vögel noch nie eine Insektenepidemie verhindert haben, weder in Kul- turland, noch in unbehütetem Lande. Wer jahre- lang das Auftreten schädlicher Insekten verfolgt, wird bald zu der Einsicht kommen, daß es in erster Linie Witterungsverhältnisse sind, die In- sekten- und andere Epidemien entstehen und auch wieder vergehen lassen. Hiermit soll den Vögeln selbstverständlich nicht jede Bedeutung im Kampfe gegen die tieri- schen Feinde unserer Kulturpflanzen abge- sprochen werden. Daß sie uns in vieler Beziehung nützlich sind, ist wohl kaum zu leugnen, wenn allerdings ein sicherer Beweis hierfür bis jetzt noch von niemandem erbracht worden ist. Gerade bei einem in guter Kultur befindlichen Lande können wir noch am ersten ihrer Hilfe entraten, da eben die zweckmäßige Kultur selbst das beste Vor- beugungs- und Bekämpfungsmittel gegen Pflanzen- feinde jeder Art bildet. Wenn daher Herr v. B. anführt, daß seine mit Nistkästen behangenen Obstanlagen von Insekten so gut wie verschont werden, so darf man wohl ohne weiteres be- haupten, daß das nicht anders werden würde, wenn er die Nistkästen entfernte, den Bäumen aber dieselbe Pflege wie seither zuteil würde. Es ist uns in nur allzuhäufigen Phallen nicht einmal mit Sicherheit möglich, von den den Vögeln zur Nahrung dienenden Insekten zu sagen, ob sie mehr nützlich als schädlich sind. Um nur ein Beispiel aus Tausenden herauszugreifen : Wenn wir im Frühjahre einen Apfel- oder Birnbaum in vollster Blüte prangen sehen, bedarf es wohl keiner besonderen Überlegung, einzusehen, daß von diesen unzähligen Blüten nur ein kleiner Teil, 10 "1, oder weniger, sich zu Früchten entwickeln darf, sollen diese nicht so klein bleiben, daß sie fast wertlos sind, sollen nicht trotzdem manche Äste unter der Überlast abbrechen und soll schließ- lich nicht der Baum derart geschwächt werden, daß er auch im kommenden Jahre nichts trägt. Die Blüten oder Früchte müssen, wie man sich aus- drückt, ,, ausgedünnt" werden. Diese Ausdünnung übernehmen nun zum nicht geringsten Teile der Apfelblütenstecher, Anthonomuspomorum,z.T.auch die Apfelmade, Carpocapsa pomonella. Sind diese beiden Insekten nun nützlich oder schädlich, und sind die sie fressenden Vögel schädlich oder nützlich ? Auf die zahlreichen Fälle, in denen die Aus- rottung irgend eines „schädlichen" Vogels ganz unerwarteten, großen Schaden ganz anderer Art nach sich zog, brauche ich nur hinzuweisen. Wenn also bereits die Grundlagen der öko- nomischen Beurteilung der Vögel in nur allzu- 58o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 37 vielen Fällen nicht feststehen, so kommt noch hinzu, daß wir nicht einmal genau wissen, was die Vögel fressen, daß wir aber bestimmt be- haupten können, daß ihre Nahrung nach Jahres- zeit und Ort ganz außerordentlich wechselt, daß wir also nie für irgendeine Art ein Schema für alle Fälle festsetzen dürfen. Es gibt in Deutsch- land wohl keinen Vogel, der so eingehend auf seine Nahrung hin untersucht worden ist, als die Saatkrähe. Und wenn auch die meisten Forscher, die sich mit ihr beschäftigt haben, sie im großen und ganzen für nützlich halten, so leugnet doch keiner von ihnen, daß es F"älle gibt, in denen sie sogar solchen Schaden tut, daß sie abgeschossen werden muß, und andere halten sie überhaupt für überwiegend schädlich. Auf p. 47 seiner Broschüre sagt v. B. von den Meisen: „Ein Angriff auf das Obst, welchen wir uns zwar als kleines Äquivalent für allen sonstigen Nutzen wohl gefallen lassen dürften, findet von selten dieser Vögel niemals statt." Nun ist aber schon bei Darwin und Brehm zu lesen, daß dies doch öfters, und nicht immer in gerade ge- ringem Umfange stattfindet. Hartert führt weitere I'"älle an; und mir zerstörte ein Blaumeisenpärchen einst die ganze Ernte (ca. 2 Zntr.) eines Aprikosen- hochstammes. Ist das nicht ein schlimmerer Schaden als ihn mir Insekten hätten zufügen können, und heißt das nicht, den Teufel mit Beelzebub austreiben? Hartert führt eine Äußerung von Günther, dem berühmten deutsch-englischen Zoo- logen, an; „daß eine unbeschränkte, allgemeine Vermehrung der Meisen durch künstliche Mittel in Obstbaugegenden immerhin sehr zu überlegen ist und vielleicht unter besonderen Umständen bedenklich werden könnte." Ich kann mich dieser Ansicht durchaus anschließen. Wenn auch eine beschränkte Vermehrung der Meisen in den alten deutschen Obstgärten, mit Hochstämmen, weniger feinem Obste, wohl ohne weiteres empfohlen werden kann, so ist in Gegenden, in denen vor- wiegend feines Spalierobst gebaut wird, größte Vorsicht am Platze. ' ) Um nur noch eines hervorzuheben: es ist be- kannt, daß Kohlmeise und Rotschwänzchen nicht zu verachtende Feinde der Honigbiene sind. Wie nun, wenn der Obstzüchter selbst oder sein Nach- bar zugleich Bienenzüchter ist, wie es eigentlich jeder Obstzüchter sein sollte. Bekannt ist ja auch, wie Landwirt, F"orstmann und Jäger in ihren Ur- teilen über Schädlichkeit oder Nützlichkeit eines Tieres oft völlig auseinandergehen oder selbst entgegengesetzter Ansicht sind. Wer soll nun ausschlaggebend sein? Erheben sich so schon gegen die Verallge- meinerung des positiven Teiles des v. B. 'sehen Vogelschutzes mancherlei Bedenken, so noch viel mehr und noch viel größere gegen die seines nega- tiven Teiles, die Ausrottung der Vogelfeinde. ') Im Laufe dieses Sommers beobachtete ich ein Gras- raiickenpärchen, wie es sich oft an den eben reifenden Früch- ten eines Maikirschenbaumes gütlich tat. Über die Krähe, die v. B. hierher rechnet, haben wir schon gesprochen. Ihre Ausrottung überall zu empfehlen, nur weil sie Vögeln nach- stelle, wäre geradezu unverantwortlich. Mehr Bei- fall dürfte v. B. mit seiner Kriegserklärung gegen den Sperling finden. Und doch möchte ich auch diese nicht ein für alle Male unterschreiben. In Gemüsegärten, auf Rüben- und Kartoffelfeldern nützen uns die von v. B. begünstigten Höhlenbrüter nichts. Wir sind hier, soweit wir nicht durch gute Kultur die schädlichen Insekten fernzuhalten vermögen, ausschließlich auf die Bodenvögel an- gewiesen, von denen der Sperling allein seiner Häufigkeit halber der wichtigste ist. Daß er sich hier durch Vertilgung der Kohl- und Eulenraupen und ihrer Schmetterlinge, zahlreicher Käfer, Schnecken usw. in hohem Maße nützlich macht, weiß jeder aufmerksame Gemüsezüchter. Es ist übrigens mit der Hilfe der Vögel gerade in Gärten ein eigenes Ding. Nur zwei Beispiele aus meiner Erfahrung. Auf verschiedenen alten, hohen Bäumen dicht bei unserem Garten in Darm- stadt brüteten ständig mehrere Kohl- und Blau- meisenpärchen, die auch unseren Garten ständig be- und absuchten. Trotzdem war die Mehrzahl der in dem Garten gezogenen Äpfel und Birnen jahraus jahrein wurmstichig (Apfelmade). Von einem Apfclhochstamm war von den 3 — 4 Zent- nern jährlich aber auch jede Frucht madig. Sper- linge waren nicht in dem Garten, da sie von einem Nachbar weggeschossen wurden. In meinem jetzigen Garten in Bergedorf sind Meisen recht selten und selbst im Winter durch F"ütterung nur einzelne vorübergehend zu halten. Spatzen sind mehr da, als mir lieb ist. Von unseren hiesigen Äpfeln und Birnen sind aber jährlich höclistens I — 2 — 3 "/'„ wurmig. Wäre die Sachlage umge- kehrt : viel Meisen und wenig madiges Obst in Darmstadt, das Gegenteil hier, so würde jeder, und auch ich das als einen prachtvollen Beweis für die Nützlichkeit der Meisen ansehen. Bei der vorhandenen Sachlage aber einen Zusammenhang zwischen Meisen und Maden anzunehmen, wird niemandem einfallen , trotzdem man genau das- selbe Recht dazu hätte. Daß aber hier in Berge- dorf wenigstens ein solcher zwischen Sperlingen und Maden bestellt, scheint mir mindestens selir wahrscheinlich. Wenn man sieht, wie sich ständig Scharen von Spatzen auf und unter den Bäumen herumtreiben, so kann man sich leicht vorstellen, daß ihnen so leicht kein Schmetterling und keine Raupe des Apfelwicklers entgehen. \) Das Wiesel, diesen unschätzbaren Mäuse- feind, auf den Index zu setzen, wie es Frh. v. B. tut, kann nur derjenige, dem der Vogelschutz die .Augen für alle anderen Rücksichten verschließt. Nun aber die Hauskatze! Das Wort allein ') Auch sonst waren in unserem Darmstädtcr Garten ge- rade die von den Meisen vertilgt werden sollenden Baum- insekten, namentlich Blatt- und Schildläuse, in ungleich höherem Maße vorhanden als hier, woran wie immer Klima-, Lageverhältnisse usw., nicht aber Vögel Schuld waren. N. 1'. VI. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S8i gciiüj^t, um jeden eclitcn Yoj^elschut/.lcr der Ver- nunft, Überlegung:; und eigenen Nachpriifung zu entheben, i laben wir doch zu oft von der vogel- tnordenden Kat/.c gehört und gelesen, als daß es nicht so sein müßte. Selbst sonst ruhige I'^orscher mit eigenem Urteile scheinen sich dessen hier zu begeben. Es ist kaum glaublich, was man hier alles liest. So sagt z. B. Herr v. B. : „Eiti nied- liches kleines Kätzchen genügt schon hinlänglich, um mehrere Quadratkilometer von jeglichem Vogel zu säubern" ! In irgend einem Blatte las ich kürzlich eine Bercchtiung etwa der Art: Jede Katze fängt täglich 4 — 5 Vögel. In einem kleinen üorfe sind durchschnittlich 100 Katzen, die also täglich 4 — 500 Vögel fangen. Kein Wunder, daß unsere Vögel abnehinen! Ging man der Rech- nung nach, so ergab sich für ganz Deutschland jährlich eine Zahl von den Katzen zum Opfer fallenden Vögeln, die unseren ganzen Vogelbe- stand um ein Vielfaches übertraf! Unter diesen Umständen, gehört wirklich Mut dazu, die Katze in Schutz zu nehmen, was denn auch K. Günther,') der einzige, der diesen Mut hat, nur ganz bescheiden wagt. Lassen wir nun einmal statt tönender Tiraden die Tatsachen, bzw. wenigstens meine Erfahrungen sprechen. Wir wohnten fast immer in Garten- häusern und hatten fast immer Katzen. Da nun eine gute Hauskatze so ziemlich alles, was sie fängt, ins Haus bringt, hat man eine ganz gute Kontrolle darüber. Ich habe es nun allerdings nie gezählt ; aber ich kann versichern, daß die Zahl von 5 Vögeln jährlich eher zu hoch als zu niedrig ist, auf jeden Fall gegenüber der der ge- fangenen Mäuse völlig verschwindet. Meine jetzige Katze habe ich seit Juli igo6. Sie hat bis jetzt (Mitte I-'ebruar 1907), sage und schreibe einen einzigen Vogel gebracht, und der war allem Anscheine nach schon vorher tot. Ihm stehen mindestens 200 Mäuse (in den ersten 2 Monaten täglich 2 — 5) gegenüber.-) 1895 — 1896 bewohnte ich bei Säo Paulo in Brasilien ein allein stehendes Gartenhaus auf dem Kamp. In weiter Umgebung war von Vögeln fast nichts zu sehen als Aasgeier (Catharista atrata Burm.) und hier und da einmal ein Tyrann (Mil- vulus tyrannus L.). Nur an meinem Hause baute gleich nach meinem Einzüge ein Pärchen brasili- anischer Zaunkönige (Troglodytes furvus Gm.). Trotz meiner, den Vögeln eifrig nachstellenden •') Katze, befanden sich nach 7 Monaten 4 Pärchen dieses zutraulichen Vogels an meinem Hause! — 1896-1898 ging ich I ' ., Jahre lang jeden Tag 4 mal etwa i ' „ km durch die prachtvollen Gärten der Züricher Vorstadt Hottingen. Gleich am An- fange war mir einerseits die außerordentlich große Zahl der verschiedensten Singvögel in diesen Gärten, andererseits die verhältnismäßig große Zahl der Katzen, ' ., bis ein ganzes Dutzend auf diesem Wege, aufgefallen. Das blieb so während der anderthalb Jahre. In großem Gegensatze hierzu steht die verhältnismäßige Armut an Sing- vögeln in den Hamburger Villenvororten, trotzdem hier Katzen so gut wie völlig fehlen, da sogar Prämien für sie bezahlt werden.') — Ein mir be- kannter Gärtner in den Vierlandcn bei Hamburg hat 2 Katzen. Trotzdem sind in seinem ausge- dehnten Grundstücke, auch dicht beim Hause, überall Vögel; etwa 500 m von seinem Hause steht die hier zu Nutz und Frommen aller Vogel- freunde abgebildete, dicht mit Efeu bewachsene Birke, in der der Besitzer im Frühjahr 1906 23 Vogelnester feststellte! Wir sehen hieraus, daß sich Katzen und Vögel keineswegs ausschließen, daß für das Vorhanden- sein oder Fehlen letzterer meist ganz andere Ver- hältnisse maßgebend sind als das Vorkommen von Katzen, und daß letztere keineswegs die Vogel- mörder sind, als die sie von Katzenfeinden be- zeichnet werden. Ich will selbstverständlich nicht ') Erhaltet unserer Heimat die Vogclwell! Freiburg i. Br E. Fehsenheld, 8», 1906. -) Bis jetzt, Miltc .August, h.it sie weiter gebracht: 4 — 5 Vögel, I junges Wildkaninchen, 2 Ratten, über loo Mäuse. ^) Sic kriegte aber nie einen ! ') In den letzten 9 Jahren sollen hiernach V. B. 15000 Katzen gefangen worden sein ! — Daß auch für das Abnehmen der Nachtigall nicht die Katzen, sondern andere Verhält- nisse ausschlaggebend sind, zeigt die plötzliche Zunahme der Nachtigall im Jahre 1906. In meiner Umgehung, wo sonst nur I Paar brütet, waren 1906 I Dutzend Paare vorhanden. 582 Naturwibsciischaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 37 behaupten, daß die Katzen den Vögehi nicht nachstellen. Aber wie die Preußen keinen hängen, sie hätten ihn denn, so frißt die Katze auch keinen Vogel, sie habe ihn denn. Und daß ihr das nicht allzu leicht gemacht wird, dafür sorgen die Vögel selbst. So wie sich eine Katze in einem Garten mit Vögeln sehen läßt, sofort sind die Spatzen mit ihremWarnungsgeschreida, undRotschwänzchcn und Amsel begleiten die Katze von Baum zu Baum, immerwährend auf sie schimpfend. Ge- fährlich wird die Katze nur halbflügger Brut, von der ja bekanntlich doch immer ein Teil zugunsten des anderen vernichtet werden muß, und den Nestern. Diese kann man aber an Bäumen durch Schutzringe aus Stacheldraht oder Dornenreisern, im Gebüsche durch Dornenhecken schützen. Günther nennt den Hund das schädlichste bei uns vorkommende Säugetier. Wenn das auch wohl etwas zu schroff ausgedrückt ist, so ist er doch zweifellos viel schädlicher und viel weniger nützlich als die Katze, die durch ihren Mäuse- und Rattenfang tatsächlich zu unseren nützlichsten Tieren gehört. Wer einmal derart unter Mäuse- plage litt, wie ich in Brasilien und hier in Berge- dorf, wird das unterschreiben. Wenn ich einem Vierländer Gärtner rate, seine Katzen der Vögel wegen abzuschaffen, so lacht er mich einfach aus, mit der Begründung, daß ihm eine Katze viel mehr nütze, als hundert Vögel es könnten. Und wenn die Katze in meinem Garten den Spatzen nachstellt und sie im Frühjahre von den Erbsen-, Salat-, Spinat- usw. Beeten abhält,') so bin ich ihr doch nur dankbar dafür, selbst wenn sie ein oder zwei Dutzend Spatzen dabei fangen sollte, was ihr allerdings leider nicht gelingen dürfte. Selbstverständlich will ich nun damit nicht sagen, daß Katzen unter allen Umständen nützlich und zu schonen wären. Wie der Zweck dieses Aufsatzes ist, die alleinige Berücksichtigung und die schematische Beurteilung des Vogel- schutzes zu bekämpfen, zugunsten einer solchen von Fall zu F'all, so denke ich auch nicht daran die Katzen unter allen Umständen in Schutz zu nehmen. Ich weiß ganz wohl, daß es Fälle gibt, in denen Katzen dem Vogelbestande gefährlich werden können und in denen daher mit aller Energie gegen sie vorzugehen ist.-) ') Tatsächlich gingen in diesem Frühjahre alle meine Saaten regelmäßig auf, während in den Vorjahren , als ich keine Katze hatte, jedes Beet infolge der Tätigkeit der Spatzen 3 — 4 mal nachgesäet, manches sogar völlig neu bestellt wer- den mußte. ^) Damit soll aber keineswegs jedem, der seinen Vogcl- bestand durch Katzen gefährdet glaubt, das Recht zugestanden werden, die Katzen wegzufangen oder zu schießen, oder sie gar in Fallen mit Baldrianköder von weither anzulocken, wie es V. B. empfiehlt, und zu fangen. Daß das Reichsgericht das erlaubt, daß sogar Prämien für gefangene Katzen bezahlt werden, ist einer der brisesten Punkte der Vogelschutz-Über- treibung. Denn im allgemeinen ist doch jede Katze ein per- sönliches, oft sogar ein recht wertvolles Eigentum. Und wenn nun das Reichsgericht jedem erlaubt, sich hier gegen fremdes Eigentum zu vergehen, so untergräbt es damit eine der wich- tigsten Grundlagen unseres Staatswesens. Ich habe kein Ich glaube genugsam gezeigt zu haben, wie vorsichtig wir schon mit dem positiven, ganz be- sonders aber mit dem negativen Vogelschutz aus ökonomischen Gründen sein müssen, wollen wir nicht unter Umständen mehr schaden als nützen und dadurch der ganzen Bewegung unberechen- baren Nachteil zufügen. Nur genaueste Prüfung aller Verhältnisse durch einen möglichst viel- seitig und gründlich vorgebildeten Biologen kann hiervor bewahren. Es bleibt uns noch der Vogelschutz aus ethischen Gründen zu besprechen. Wenn auch V. B. diesen zurückweist, glaube ich doch zu seinen Gunsten kein Wort mehr verlieren zu müssen. Und ich werde in naturwissenschaftlichen Kreisen auch kaum auf Widerstand stoßen, wenn ich aus solchen Gründen nicht nur die Vögel sondern alle anderen Tiere, ja unsere ganze Natur geschützt wissen will, soweit es eben andere, wichtigere Rücksichten zulassen. Jeder lebende Organismus ist ein unersetzliches Glied aus dem Gesamtbilde der Natur, das unnütz zu beseitigen entschiedenster Verurteilung unterliegen muß. Das Abschießen der Vögel ist an sich nicht ver- dammenswerter als das unnütze Tölen von Rep- tilien, Lurclien, Insekten und anderen Tieren oder als das zwecklose Abreißen von Baumzweigen, Blumen usw. Die geringe Achtung vor den Gebilden der Natur, die blinde Zerstörungswut diesen gegen über scheinen durch unsere seitherige Kultur eher begünstigt, als vermindert worden zu sein. Sie ins Gegenteil umzuwandeln, dürfte nicht nur aus rein ethischen, sondern auch aus praktischen Gründen zu erstreben sein.') Denn die Achtung vor der Natur führt von selbst auch zur Aclitinig vor ihrer höchsten Blüte, dem IVienscIien, zur echten Humanität und echten Religiosität. Eines ohne das andere scheint mir undenkbar, wie denn auch die größte Brutalität sich immer da findet, wo das geringste Empfinden und Verständnis für die Schönheit und Heiligkeit der Natur vorhan- den ist. Hier Wandel zu schaffen, sollte in erster Linie Aufgabe der Schule sein. Doch hat sie gerade hierin bis jetzt vollständig versagt, und es ist auch für die nächste Zeit noch keine durchgreifende Andertmg zu hoffen. Die Aufklärung durch Ver- eine zum Schutze der Natur kann hier schon viel nützen und um so mehr, je umfassender die Ver- eine sind und je mehr sie sich durch Sachver- Recht, einen fremden Hund, der in meinen Garten eindringt und hier durch sein Wühlen und Tollen in einer Stunde mehr schaden kann, als eine Katze durch ihren Vogelfang in einem ganzen Jahre, wegzuschießen. Ich habe sogar nicht das Recht, einen Einbrecher, der mich meines ganzen Vermögens berauben kann, ohne weiteres zu erschießen. Und doch soll ich das Recht haben, eine Katze, deren Schaden meist nur in meinem Vorurteil besteht, wegzuschießen, oder sogar sie von weither anzulocken und dann zu beseitigen! ^) Der von v. B, gepredigte allgemeine Massenmord der Katzen, Sperlinge usw. scheint mir allein aus ethischen Gründen bekämpft werden zu müssen. N. F. VI. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 583 ständii^e leiten lassen. Llncntbchrlich werden aber fürs erste auch Gesctzesniaßrcgcln seiti , deren Ausarbeitung wieder eine dankbare Aufgabe für tlie genannten Vereine wäre. Ohne irgendwie bestimmte Vorschläge machen /.u wollen, möchte ich doch einige Sätze auf- stellen, die für den Schutz aller höheren Tiere, also auch der Vögel, als Leitsätze dienen dürften : 1. Ks ist nicht gestattet, irgend ein nicht jagd- bares Tier in seiner Fortpflanzungszeit zu töten oder zu fangen. 2. Niciit jagdbare Tiere dürfen auch außer- halb ihrer 1-ortpflanzungszeit nur nach Finholung eines Erlaubnisscheines getötet oder gefangen werden. 3. Ständige Ausnahmen machen nur einige, namhaft zu bezeichnende Tiere von zweifelloser allgemeiner Schädlichkeit (Kreuzotter, Ratten, Haus- und Feldmäuse usw.). 4. Im Einzelfalle kann die Erlaubnis zur Ver- nichtung eines lokal schädlichen Tieres nach Ein- holen eines Erlaubnisscheines erfolgen. 5. Der Erlaubnisschein wird von der lokalen Behörde (Kreisrat, Landrat oder Ahn).), nach Be- ratung mit einem oder mehreren Sachverständigen und den ev. interessierten Anwohnern erteilt. Kleinere Mitteilungen. F. Höchst et ter, Beiträge zur Entwick- lungsgeschichte der europäischen Sumpf- schildkröte [Eiiiys littaria Marsili). (Denkschriften der mathcmat.naturwiss. Klasse der Kais. Akad. der Wissenschaften zu Wien, 81. Bd. 1907.) — Prof. Hochstetter (Innsbruck) hatte Gelegenheit, die Entwicklung der europäischen Sumpfschild- kröte zu verfolgen. Die Embryonalentwicklung dieses Tieres war, wegen der Schwierigkeit, brauchbares Material zu erlangen, bisher noch von keinem Forscher genau beobachtet worden. Hochstetter erfuhr, daß ein ehemaliger Apotheker in einem kleinen Städtchen Südungarns einen aus- gedehnten Handel mit Sumpfschildkröten treibe. Er ließ sich von ihm einige hundert Eier senden, doch überdauerten viele — besonders die jüngsten Stadien — den Transport nicht. Daher entschloß sich Hochstetter, selbst eine Reise nach dem be- treffenden Orte zu unternehmen. Dadurch hatte er den Vorteil, gleichzeitig biologische Be- obachtungen an den Schildkröten machen zu können. Die Schildkröten (Emys lutaria und Testudo graeca) wurden innerhalb eines Obst- gartens in einem Räume, der von einer niedrigen Mauer umgeben war und in dem sich ein kleiner Wasserlümpel befand, gehalten. Die Fütterung der Landschildkröten geschah mit Fallobst, die der Sumpfschildkröten mit Pferdefleisch. Die Sumpfschildkröten waren sehr scheu und stürzten sich beim Nahen eines Menschen in den Tümpel. Die Eier wurden meist kurz nach Sonnen- untergang abgelegt. Am nächsten Morgen brachte man sie in ein Brütbeet, wo sie in Längsreihen 10 cm tief in die Erde gegraben und täglich ein- oder zweimal mit Brunnenwasser begossen wurden. Nach kurzer Zeit zeigten die bebrüteten Eier an der Stelle, an welcher sich die Embryonalanlage befindet, einen weißen Fleck. Hochstetter sucht diese Erscheinung durch die Annahme zu er- klären, daß hier die Eischale von feinen Poren durchsetzt ist, so daß an dieser Stelle die Luft intensiv eindringen kann. Durch die Atmung des sich entwickelnden Embryos dringt die Luft in verstärktem Maße ein, und der Meck vergrößert sich immer mehr, so daß schließlich das ganze Ei ein gleichmäßig weißes Aussehen angenommen hat. — Die Fixierung der Embryonen war eine ziemlich komplizierte, doch erlangte Verf. all- mählich soviel Material, daß er die Entwicklung der Sumpfschildkröte bis zum Ausschlüpfen der jungen Tiere verfolgen konnte. Die gesamte Embryonalentwicklung von Emys dauert etwa ein Vierteljahr. An den ausschlüp- fenden Schildkröten ist nichts mehr von Embryonal- hüllen und Dottersack zu sehen, auch bleibt in der Eischale nichts davon zurück. Bei eben aus- gekrochenen Tieren wird in der Nabelgegend durch Teile des Amnions und der Allantois eine gelbliche, gefältelte Membran gebildet, die als rhomboidales Feld hervortritt. Dies sind im Jugendstadium die einzigen Reste der Hüllen. Dagegen sind die Embryonen 8 bis 10 Tage vor dem Auskriechen noch ganz von den Embryonal- hüllen umschlossen, und der Dottersack bedeckt fast das ganze Bauchschild. Beim Abstreifen der Hüllen streckt sich meistens zuerst die rechte vordere Extremität, hierauf der Kopf und dann die linke vordere Extremität aus einer Öffnung, die wahrscheinlich durch ein Zerreißen der Hüllen in der Nähe der seroamniotischen Veibindung entsteht. Wie die Embryonalhüllen abgestreift werden, zeigen in klarer Weise die beigefügten 3 Schemata. Aus F'ig. 3 kann man auch er- kennen, wie der Dottersack in eine Hülle, die aus Allantois und Amnion gebildet wird, ein- geschlossen ist. Der Dottersack wird allmählich Fig. 1. 584 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 37 ganz in die Leibeshöhle aufgenommen; danach wird die Nabelöfifnung durch die Reste der Allantois und des Amnions verschlossen. Dieser Vorgang dauert nach der Befreiung des Embryos aus seinen Hüllen noch etwa 4 Tage; die Auf- nahme des Dottersacks in die Leibeshöhle wird hauptsächlich durch die glatten Muskelfasern der Allantois bewirkt. — Aus diesen Befunden geht hervor, daß bei Emys wie bei anderen Schild- kröten ein primitiver Zustand in bezug des Ver- haltens der Embryonalhüllen vorhanden ist; denn es werden hier nicht, wie bei allen anderen unter- suchten Sauropsiden, Teile der Hüllen abgestoßen. Bei Clemmys japonica kann sogar, wie Mitsu- kuri gezeigt hat, die Allantois beim Abstreifen der Hüllen unverletzt bleiben. Kig. 2. Fig. 3. Fig. I — 3 Schemata, um zu zeigen, wie Emys die Embryonalhüllen abstreift. (Nach Hochsteltcr.) Do. = Dottersack. All. = Allantois. .'\m. =^ Amnion. Von Interesse ist das Vorkommen der soge- nannten Eischwiele bei den Schildkröten. Sie ist ein kristallinischer Hornzahn auf der Fläche des Oberkiefers, ein Gebilde der Oberhaut und nicht mit dem Eizahn der F^idechsen und Schlangen homolog, aber mit dem der Vögel vergleichbar. Bei Emys ist die Eischwiele hornförmig, bei Testudo graeca hat sie die Gestalt eines Meißels. Sie besteht wie der Belag des Oberkiefers aus echter Hornsubstanz. Bei den Krokodilen und Vögeln dient die Eischwiele zur Eröffnung der Eischale, und man nahm bisher an, daß sie auch bei den Schildkröten diesem Zwecke diene. Durch die Beobachtungen Hochstetters hat sich jedoch gezeigt, daß das bei Flmys nur in untergeordnetem Maße der F"all ist. Hier wird die Eischale wie die Embryonalhüllen von einer der vorderen Extremitäten — meistens ist es die rechte — durchbrochen. Bei der weiteren Eröffnung der .Schale mag allerdings die Eischwiele nützlich wirken. P. Brohmer, Jena. Neue Untersuchungen über den Eichenkern- käfer, Piatypus cylindrus l*". var. cylindriformis Reitt. , iiat Oberförster H. Strohmeyer in Münster (Elsaß) angestellt; er berichtet darüber in einer mit 30 Abbildungen und 2 Tafeln ver- sehenen, 30 Seiten langen Arbeit in der „Natur- wissenschaft!. Zeitschr. für Land- und Forstwirt- schaft", Bd. IV, 1906, Heft 8, 10 und 12. Der Verfasser erhielt im Februar 1906 vom Ministerium für Elsaß-Lothringen den Auftrag, die Art des Schädlings festzustellen, der seit einer Reihe von Jahren an dem Kernholz der Eichen beträchtlichen Schaden anrichtete. Bretter und Bohlen von den Holzlagerplätzen waren mitunter fast siebartig durchlöchert, wodurch eine Entwertung um 30 bis 50^/0, in einigen Fällen sogar um mehr als QO^ entstand. Die Larven wurden leicht als die von Piatypus cylindrus erkannt, und auch die Fraßgänge wiesen auf diese Art hin. Die Käfer erkannte S t r o h m e y e r als die von Reitter nach algerischen Stücken aufgestellte Varietät cylindriformis des Piatypus cylindrus, und Reitter bestätigte diese Determination. Strohmeyer meint allerdings, daß cylindriformis eine gute Art ist, da er Übergänge zwischen beiden Formen nie beobachten konnte. Ob die F"orm cylindriformis mit Eichenstammholz aus südlichen Ländern eingeschleppt oder in Deutschland übersehen worden ist, läßt sich niciit feststellen, und ein Unterschied in den FVaßfiguren beider Tiere existiert nicht. Manche Autoren haben bezweifelt, daß Piaty- pus ein wirklicher Holznager sei. Daß er aber ein solcher ist, konnte Strohmeyer an dem Bau des Darmtraktus, der einen sehr muskulösen Kau- magen mit achteckigem Querschnitt aufweist, und an dem Darminhalt, der aus Holzteilchen bestand, nachweisen. Wichtig ist die Entdeckung Stroh- meyer's, daß die männlichen Jungkäfer oft einen schrillen, wetzenden Ton hören lassen, der dadurch entsteht, daß das letzte Hinterleibssegment am Ende der Flügeldecken in der Längsrichtung rasch hin und her gerieben wird; bei Weibchen konnte der Verf. trotz öfterer Beobachtung keine Töne vernehmen. Im Gegensatz zur Imago besitzt die Larve keinen Kaumagen, sondern nur einen sackartigen Vormagen, der Darm weist dementsprechend einen flüssigen, breiigen Inhalt auf, der nur von Baum- säften herrühren kann. Der Verfasser hat über die Mundteile und den Verdauungsapparat der Scolytiden eingehende Untersuchungen angestellt und ist der Ansicht, daß das Vorhandensein oder F'ehlen des Kaumagens sowie der Bau seines Chitin- gerüstes abgesehen von der Nahrungsart (ob Rinde, N. F. VI. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 585 Bast, SpHnt- oder Kernhol/.) besonders abhängt von der Beschaficnheit der Mundwerkzeuge. Wo diese, wie bei zahlreichen r.arven, dazu eingerichtet sind, ein Zerquetschen oder Zerreiben der liolz- teile mit breiten Mandibeln und der Oberh[)pc vorzunehmen , ist der Kaumagen entbehrüch. Anders ist es bei vielen Imagiiies, welche, wie z. H. l'lat\'pus, schmale, nicht zum Kauen, sondern zum Abbeißen geeignete Maiidibelti und eine ganz kurze Oberlippe besitzen. Hier überwiegt im Gegensatz zur Larve für die Mundteile der Zweck, rasch Gänge zu nagen, bedeutend den der Ernährung, deshalb muß ein anderes Organ die notwendige Be- arbeitung der Nahrung übernehmen, der Kaumagen. Im Gegensatz zu dieser Ansicht hat Sedlaczek in seiner Arbeit über den Darmkanal der Scol)- tiden die Meinung vertreten, daß der Kaumagen weder zum Zerkleinern noch zum Sieben der Nahrung diene, sondern hauptsächlich zur Aus- führung von Schlingbewegungen. Dem katm Strohmeyer jedoch nicht beipflichten. Die Flugzeit des Käfers fällt in die Zeit von Ende Juni bis Anfang Juli. Am stehenden Holze wird meist der untere Stammteil befallen, liegende Stämme werden in ihrer ganzen Länge gleich stark angebohrt, an Baumstümpfen bohrt sich der Eichenkernkäfer am liebsten dicht über der Bodenoberfläche und an den Ansatzstellen der dicken Hauptwurzeln ein; auch an düimen Ast- knüppeln und an Scheitholz konnte der Verf. Kern- käfer-Anflug feststellen. Also die Eichenstämme werden schon im Walde vom Kernkäfer befallen, nicht erst auf den Holzlagerplätzen, wie vielfach angenommen wurde. Das Weibchen bohrt sich von einer Vertiefung der Borke aus radial in den Stamm ein; ihm folgt ein Männchen, das das Bohrmehl herausschaffen hilft. Letzteres ist sehr langfaserig und dadurch von dem pulverartigen Mehle kleinerer Holzbrüter leicht zu unterscheiden. Ist das Weibchen bis zur Kernholzgrenze oder ein Stückchen weiter vorgedrungen, so wendet es sich in kurzem Bogen nach der Seite und nagt einen bis 30 cm langen Kanal ziemlich in der Jahrringrichtung, mitunter nach rechts und nach links. Von einem oder mehreren l'unkten des Seitenganges dringt nun das Weibchen in radialer Richtung gegen die Stammitte vor und legt bald nach rechts, bald nach links Seitengänge an, welche entweder den Jahrringen folgen oder etwas schräg nach dem Stamminnern hinziehen. Die Gänge werden sehr rein gehalten, Kot und Bohr- mehl werden herausgeschafft, wozu sich der steile, von Zähnen umgebene, behaarte Deckenabsturz des Männchens ganz besonders eignet. Das Hin- und Herbewegen in den engen Röhren wird durch die starken Leisten und den Endhaken der ver- breiterten Vorderschienen sehr erleichtert; es scheint letzteren ein Teil der Arbeit übertragen zu sein, welche sonst von den Tarsen und Krallen geleistet wird — ein schönes Beispiel für die Um- gestaltung eines Organs durch die Funktion. Die abgelegten Eier werden vom Weibchen mit dem Kopfe bis an das äußerste Ende eines Ciangcs geschoben. Nach den Beobachtungen des Autors setzt der Käfer das Brutgeschäft auch im Winter fort. Wenige Tage nach der Ablage ent- schlüpfen den Eiern die jungen Larven. Diese haben einen stark verbreiterten Ko[)f und einen ovalen Körper, der breiter als hoch ist; erst all- mählich geht die ovale Körpcrform in die walzen- förmige über. Die erwachsene Larve ist weiß, 7 mm lang, hinter der Mitte etwas verdickt, am Hinterrande plötzlich abgestutzt; das erste Seg- ment hinter dem Kopfe ist oben wulstförmig er- höht und mit einer breiten Chitinleiste versehen, auch auf den folgenden Segmenten finden sich kleine, strichförmige Leisten. Die Larven ernähren sich von dem Saft, welcher sich an den Wänden der Gänge ansammelt, zur Verlängerung der von den Käfern genagten Gänge tragen sie nichts bei; erst kurz vor der Verpuppung nagen sie sich eine Puppenhöhle, in die sie zur Verpuppung rück- wärts hineinkriechen und deren Öffnung sie mit Bohrmehl und einem Drüsensekret verschließen. Als einziges sicheres Mittel zur Verhinderung des Schadens empfiehlt Strohmeyer, die Eichen- stämme vor Ende Juni aus dem Walde abzufahren, da, wie oben berichtet, nach den Ermittlungen des Autors die Flugzeit des Eichenkernkäfers Ende Juni beginnt. Schon befallene Stämme müßten auf dem Holzlagerplatze aussortiert und möglichst bald zersägt werden , damit der Käfer seine Zerstörungsarbeit nicht lange fortsetzen kann. Seh. Über Entstehungsbedingungen diastatischer Enzyme in höheren Pflanzen hat Dr. Elfriede Eisenberg in Flora 1907 Heft 3 Untersuchungen veröffentlicht. Die Diastase ist ein Stoff, der zu der physiologischen Gruppe der Enzyme gehört. Sie spielt bekanntlich in der Technik und im Haushalt der Natur eine sehr wichtige Rolle, und zahlreiche Lebensprozesse der Gewächse sind durch ihren Einfluß bedingt. Die Diastase ist ein Produkt des Protoplasmas, und zwar erfolgt ihre Bildung regulatorisch, d. h. dem Bedürfnis der Pflanze entsprechend. V^on dem Problem der regula- torischen Diastaseproduktion ausgehend, gelangte Dr. E. bei ihren Untersuchungen zu folgenden Ergebnissen: i. Die Diastasebildung ist vom Wachstum abhängig, und zwar ist der Wachs- tumsvorgang als regulatorischer Faktor aufzufassen. Wird das Wachstum des Embryo bei der Keimung beschränkt (Entfernung der Plumulae und Würzel- chen), so erleidet die Diastasebildung eine Hem- mung. 2. Von erheblichem Einfluß auf die Diastasebildung im Keimlinge sind die Temperatur- verhältnisse. Es zeigte sich, daß bei den vorteil- haftesten Temperaturbedingungen für die Ent- wickelung des Embryo auch die größte Diastase- menge produziert wurde (bei Weizenkeimlingen bei 25V2°; (Optimum des Wachstums = 29"). Dadurch wird ermöglicht, daß den wachsenden 586 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 37 Keiniteilen das in höherem Maße nötige plastische Material (Zucker) zugeführt werden kann. 3. Im ruhenden Weizenkorne ist etwas Diastase vor- handen. Die Bildung des Enzyms erfolgt reich- lich bei Luftzutritt, während gequollene Körner in reinem Wasserstoff keine Diastase erzeugen. 4. Größere Athermengen in der umgebenden Luft schädigen, wie bekailnt, das Wachstum und vermindern dementsprechend auch die Diastase- erzeugung. Das Ätherisieren wirkt hier indirekt auf den Verlauf der Enzymbildung regulatorisch ein. 5. Man unterscheidet bekanntlich Sekretions- und Translokationsdiastase. Die erstere findet sich wohl ausschließlich in keimenden Samen (Gräser) und korrodiert (nach Green) Stärke- körner, verflüssigt Stärkekleister rasch und wirkt am besten bei einer Temperatur von 50 — 55'^ C. Sie kam bei den bisherigen Untersuchungen allein in Frage. Die Translokationsdiastase löst Stärke- körner ohne Korrosion und wirkt sehr langsam auf Stärkekleister am besten bei 45 — 50" C. Sie entsteht hauptsächlich in den Vegetationsorganen der ausgebildeten Pflanze. Dr. E. konnte auf Grund ihrer Untersuchungen einen wesentlichen Unterschied im Verhalten der beiden Diastase- arten konstatieren, insofern kleine Säuremengen (z. B. schon 0,001 "'„ Zitronensäure) die stärke- umbildende Wirkung der Sekretionsdiastase er- heblich fördern, während dieselben auf Trans- lokationsdiastase keinen Einfluß ausüben. Größere Mengen einer Säure wirken auf beide Arten schädigend ein. Auf diese Beobachtung ist auch die Erklärung der Tatsache zurückzuführen, daß bei Entwicklung von Bakterien in diastase- haliigen Flüssigkeiten zunächst die stärkeumbildende Eigenschaft des Enzyms erheblich gesteigert wird, während im späteren Verlauf eine Verlangsamung des Umbildungsprozesses eintritt. Die anfänglich geringe, später wachsende Säureproduktion der Bakterien beeinflußt das Enzym im angedeuteten Sinne. 6. Nach Stahl bezeichnet man die Blätter solcher Gewächse, welche leicht Stärke bilden, als Stärkeblätter und diejenigen solcher Pflanzen, deren Assimilate sich in löslicher Form anhäufen, als Zuckerblätter. Die ersteren enthalten, wie die vorliegenden Untersuchungen zeigen, im allge- meinen viel Diastase, während Zuckerblätter ge- wöhnlich nur geringe Mengen des Enzyms führen. Die Produktion der Translokationsdiastase steht also in vielen Fällen in einer bestimmten Be- ziehung zum Stärkereichtum der Blätter. Nach Brown und Morris findet sich daher der höchste Diastasegehalt in den stärkereichen Blättern der Papilionaceen, während er am geringsten bei den Liliaceen ist, die nur sehr wenig Stärke zu bilden vermögen. Eine direkte Beobachtung der regula- torischen Wirkung der Stärkebildung auf die Diastase ergab, daß stärkereiche, gut besonnte Blätter einer Pflanze (Sambucus nigra) reich an Diastase sind, während stärkefreie Schattenblätter derselben Pflanze viel weniger Diastase führen. Im allgemeinen läßt sich aus den Untersuchungen Dr. E.'s schließen, „daß die Diastasebildung in den höiieren Pflarizen wenn nicht ausschließlich, so doch wesentlicli regulatorisch gelenkt wird. Lebhafteres Wachstum und größerer Stärkegehalt der Zellen dürfen als jene Momente betrachtet werden, welche die Enzymerzeugung regeln." F. Schleichert. Der veränderliche Stern % Persei ist von Müller und K e m p f seit etwa 20 Jahren im ganzen 338 mal photometrisch beobachtet worden. Seine Lichtschwankungen haben sich dabei als so unregelmäßig erwiesen, daß von einer gesetz- mäßigen Periodizität bisher nicht gesprochen werden kann. Von 1888 bis 1892 leuchtete % Persei ohne wesentliche Schwankungen als Stern von der Größe 6,3. Dann stellte sich eine allmähliche Lichtabnahme ein, die 1897,6 zu einem Minimum in der Größe 6,9 führte. Es folgte dann ein schneller .A.nstieg zum Maximum von 1898,7, darauf wellenartige Abnahme zu einem von 1902 bis 1905 konstant andauernden Minimum, auf das dann 1906,5 wieder ein Maxi- mum folgte. / Persei gehört demnach zu der wenig zahlreichen Gruppe von Veränderlichen mit völlig regellosem Verlaufe der Lichtkurve. Kbr. Über geographische Längendifferenz-Be- stimmungen mittels drahtloser Telegraphie be- richtet Geh. Reg.-Rat A 1 b r e c h t in Peterm. geogr. Mitt. (Bd. 52, S. 261). Die Versuche vvurden von selten des Potsdamer geodätischen Instituts im Sommer 1906 zwischen der großen funkentelegra- phischen Station bei Nauen und dem Brocken aus- geführt und ergaben bei dieser Entfernung von 183 km ein sehr günstiges Resultat, nämlich einen wahrscheinlichen Fehler von nur + 0,003 Sekunden. Diese Anwendung der drahtlosen Telegraphie wird in Zukunft bei der genauen Kartierung noch un- erforschter Gebiete jedenfalls eine erhebliche Be- deutung erlangen , steht doch die Genauig- keit hinter der sonst auf telegrayjhischem Wege erzielbaren Schärfe nicht zurück, übertrifft aber die aller übrigen Methoden ganz außerordentlich. Kbr. Bücherbesprechungen. Prof. Dr. Eduard Westermarck, Ursprung und Entwicklung der Moralbegriffe. I.Band. Deutsch von Leopold Katscher. Verlag von Dr. Werner Klinkhardt in Leipzig, 1907. — Preis 11 M. W. beschenkt uns mit einer echt-naturwissenschaft- lichen und daher sehr brauchbaren und interessanten Betrachtung des menschlichen Moralbegrifles im Hin- blick auf ihre Entstehung und Ausbildung. Mit großer Kenntnis auf dem Gebiet ausgerüstet, findet sich in dem Buch eine große, treftlirh disponierte Tatsachen- N. F. VI. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 587 Fülle vcrarbeilet. Naturgemäß betont Verf. auf (Iriind der Tatsachen die grolle Relativität der moralischen Begriffe. Absolutes gibt es hier nicht. Bd. I ist eine Studie über die sittlichen Vorstellungen: Recht, Un- recht, Pflicht, Gerechtigkeit, Tugend, Verdienst usw. bn I.Kapitel „Der ("Tefülilsurspiung sittlicher Urteile" ist ein allgemeiner gnnullcgcnder Hinweis auf die Herkiuift des Sittlichen gegeben. Dieses Kapitel be- ginnt mit dem .Satz : „Dal.l die Moralbegrift'e am letzten Ende auf Gefühlen der Mißbilligung oder der Billigung beruhen, ist eine Tatsache, die zu beschreiben eine gewisse Denkerschule vergeblich versucht hat". Sie stehen danacli in gewisser Hinsicht auf derselben Stufe wie die Begriffe angenehm und unangenehm, womit ein Gegenstand bezeichnet wird, je nachdem er Vergnügen oder Mißvergnügen verursacht. Die Moral- begritVe sind aber ausGefühlserregungen hervorgegangen. Die Sittlichkeitsgefühle sind Nützlichkeitsgefühle des sozial lebenden Menschen, oder wie Referent sich einmal ausdrückte (vgl. meinen .Artikel „Die Ent- stehung der Denkformen" in der Naturw. Wochenschr. vom 12.4. 1891 p. 151): „.^uf ethischem Gebiete sind die Machthabenden innerhalb einer Einheit in der Mehrzahl. Der Einzelne muß den ethischen Forde- rungen, die sich durch das Zusammenleben entwickelt haben, folgen, oder er findet keinen gesellscliaftlichen Platz. Diejenigen ethischen Gesetze, ohne welche ein Zusammenleben undenkbar ist, erscheinen uns begreif- licherweise als kategorisch". Daß der Naturforscher in ruhiger Betrachtung und gedanklicher Verarbeitung des Tatsächlichen eben leicht auf solche Ansichten kommen muß, ist klar, aber das Buch W.'s hat seine große Bedeutung in der Vorführung eines gewaltigen Tatsachen-Materials. So finden wir nach den 1 1 ersten Kapiteln, die sich mit Allgemeinerem beschäftigen, Überschriften wie „Das Töten von Eltern, Kranken, Kindern und Ungebornen", „Menschenopfer", ,, Blut- rache . . .", „Der Zweikampf", „Die Sklaverei" etc. P. E. Korscheit, Regeneration und Transplan- tation. Jena (Gustav Fischer) 1907. 286 S. und 144 Fig. im Text. — Preis 7 Mk. Die weitere Ausführung eines auf der vorjährigen Naturforscherversammlung zu Stuttgart gehaltenen Vortrags ließ das vorliegende Buch entstehen, welches eine zusammenfassende Darstellung unserer bisherigen Erfahrungen auf dem Gebiete der Regeneration und Transplantation gibt. Es werden diese beiden wich- tigen Zweige e.xperimenteller Forschung in zwei ge- sonderten Hauptabschnitten behandelt; in welcher Weise es geschieht, möge zunächst durch eine etwas ausführlichere Inhaltsangabe gezeigt werden. Unter Regeneration ist die Erscheinung zu ver- stehen, daß verloren gegangene Teile des Gesamt- organismus von erhaltenen, anders gestalteten Partien des Körpers wieder erzeugt und in der alten Form dem Organismus eingefügt werden. Sie beschränkt sich nicht etwa auf die Tiere, sie ist auch weit ver- breitet in der Pflanzenwelt und hier ganz allgemein bekannt. Verf. wendet sich deshalb zunächst diesem ( trganisnienreichc zu, bespricht die hier häufig auf- tietcndcn Neubildungen und hebt zugleich deren gegen.sätzliches Verhalten zu tierischen Neubildungen scharf hervor, insofern sie bei Tieren im allgemeinen unmittelbar von der Wundfläche her erfolgen , bei PHanzen dagegen aus einer Aktivierung von Reserve- vegetationspunkten, also aus einer Form embryonalen Gewebes hervorgehen. Doch sind auch Regenerate nach dem ersten Modus bei Pflanzen sicher nach- gewiesen, sie treten namentlich an der Wurzelspitze auf. Erscheinungen, die als Ersatz verloren gegangener Teile aufzufassen sind, lassen sich sogar in dem un- organischen Reiche der Kristalle nachweisen. Es A B rormregulatiüiicn von Haemoglobinkristallen. werden diese interessanten Verhältnisse einer ein- gehenden vergleichenden Betrachtungsweise im Hin- blick auf organische Regeneration unterworfen, wobei besonders die flüssigen Kristalle ausführlicher be- sprochen werden. Ein wichtiger Unterschied ist aber stets festzustellen, mögen die Analogien im ein- zelnen noch so weitgehende sein : bei den Organismen wird der Ersatz aus dem Inneren des Körpers heraus geliefert, bei den Kristallen schlägt sich das Material für die zu ersetzenden Teile aus dem äußeren Medium der umgebenden Lösung auf der verletzten Stelle nieder. Den weitesten Raum nimmt die Darstellung tieri- scher Regeneration ein. Ein geschichtlicher Über- blick führt uns die älteren Erfahrungen auf diesem (jebiete vor .'\ugen , schon sie lehren eine ganz all- gemeine Verbreitung dieser Erscheinungen. Selbst einzelne Zellen sind bereits regenerationsfähig, so die Eizelle , so vor allem die Protozoen. Amöben und Infusorien vermögen sich in ihren Teilstückchen, häufig unter beträchtlichen Neubildungen , wieder zu lebensfähigen Tieren zu ergänzen, wobei aber die Gegenwart des Kernes oder wenigstens von Teil- stücken desselben unerläßlich nötig ist. Überaus 588 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 37 mannigfaltig sind die Regenerationserscheinungen bei Metazoen. Zu scheiden sind hier ztmächst die repe- tierenden Regenerationserscheinungen, unter denen die regehnaßigen Neubildungen des Körpers (Häu- tungen, Mauserung etc.) verstanden werden, von den Stentor, durch zwei quere Schnitte in drei Teile zerlegt, die sich alle wieder zu kleinen Stentoren ergänzen. occasionellen, bei welchen es sich um den Er- satz eines durch einen äußeren Eingriff veranlaßten Substanzverlustes handelt. Erfolgt die Regeneration dabei durch Umgestaltung vorhandener Teile, so spricht man von Reparation, erfolgt sie durch völlige Neubildung, von echter Regeneration. Entsprechen die neugebildeten Teile in ihrer Form den verloren gegangenen, so bezeichnet man dies als Homomorphose, sind sie andersartig gestaltet, als Heteromorphose. Es werden nun zunächst typische Beispiele für die Regeneration herausgegriffen und näher ausgeführt (Hydra, I^lanarien, Lumbriculus, Seesterne), des weiteren dann auf die mit hochent- wickeltem Regenerationsvermögen häufig verbundene Fähigkeit der Selbstzerstückelung oder Autotomie hingewiesen, aus welcher schließlich eine Form un- geschlechtlicher Fortpflanzung hervorgehen kann (Tur- bellarien, Anneliden). Die Regenerationskraft pflegt in verschiedenen Körperregionen eine verschiedene zu sein, es können ferner Neubildungen an der glei- chen Stelle sich wiederholen. Mit zunehmender ür- ganisationshöhe der Tiere tritt das Regenerations- vermögen im allgemeinen zurück, Anpassung an be- stimmte Lebensverhältnisse hat dasselbe aber noch bei Arthropoden und Wirbeltieren erhalten , wo die Ersetzbarkeit namentlich exponierten und leicht zu verletzenden Körperteilen zukommt. Die eben be- rührte Auflassung der Regeneration als einer .'\n- passungserscheinung wird nun des weiteren eingehen- der behandelt, ebenso die im Gegensatz dazu stehende Theorie , welche in der Regeneration eine primäre Eigenschaft der lebenden Substanz sieht, beide Auf- fassungen werden in ihrer größeren oder geringeren Wahrscheinlichkeit gegeneinander im einzelnen ab- gewogen. Besonderes Interesse verdient der Verlauf der Regeneration, er wird, namentlich auch in Rücksicht auf die histologischen Vorgänge, eingehend geschil- dert vom Beginn der Wundheilung und von dem Auftreten der ersten Regenerationsanlage an bis zur vollen Ausbildung des verlorenen Teiles. Hinge- wiesen wird dabei ferner vor allem auf die zahl- reichen, höchst bemerkenswerten Abweichungen, welche regenerierende Organe in ihrer Ausbildung gegenüber den embryonalen Bildungsvorgängen aufweisen , inso- fern das Material der Neubildung häufig ein durch- aus verschiedenes ist. Entsprechen Neubildungen ihrer Lage und Form nach zunächst nicht dem nor- malen Verhalten, so treten umfangreiche Wachstums- und Unigestaltungsprozesse hinzu, bis die normale Form wieder erreicht ist (Regulation). Die Ent- nahme von Bildungsmaterial für diese Regulationen hat dann häufig Reduktionsvorgänge an anderen Stellen des Körpers zur Folge (regulatorische Reduktionen). Häufig hat ferner der Verlust Aus einer Planarie sind drei Stücke (a, b, c) herausgeschnitten, alle regenerieren zu vollständigen kleinen Planarien. N. F. VI. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 589 eines Körperteils stärkere Ausbildung eines anderen zur Folge (kompensatorische Regulation). \'on großer Bedeutung ist weiter das Verhalten des Kegenerats zur Polarität des Körpers. Am Vorder- ende entsteht bei Tieren in der Regel wieder ein Vorderende, am Hinterende ein Hinterende, bei Pflan- zen nach oben hin Sprosse, nach unten hin Wurzehi. Ausführlich werden die scheinbaren und wirklichen .Ausnahmen von dieser Regel in beiden Organismen- reichen besprochen , wodurch die Darstellung über- geleitet wird zu einer Behandlung der Hetero- m o r p h o s e n , d. h. der Neubildungen , welche an der betreftenden Körperstelle etwas Fremdartiges vor- stellen. Von den angeführten Beispielen sei hier eine Abbildung wiedergegeben, nämlich die Ausbildung einer Antenne bei Krebsen an Stelle des exstirpierten Auges und Augenganglions. Von den verschiedenen Erklärungsarten dieser Erscheinungen wird namentlich die atavistische eingehender behandelt. Neubildungen können sich von den ursprünglich vorhandenen Or- ganen ferner durch UnvoUständigkeit oder durch überzählige Bildungen (Superregeneration) unterschei- den, die dann häufig die sonderbarsten F'ormen an- nehmen können, wie das hier wiedergegebene Beispiel von Regenwürmern zeigen möge. Solche Super- regenerate sind fernerhin namentlich häufig an Ex- tremitäten und Schwänzen von Amphibien und Rep- tilien beobachtet und experimentell hervorgerufen worden. Füngehend behandelt werden endlich noch die F"aktoren, welche die Regeneration veranlassen. Die Ursache der Regeneration muß in der Art der Ver- letzung, in der durch den Substanzverlust hervorge- rufenen Änderung der Spannungsverhältnisse im Or- ganismus erblickt werden, die weitere Ausgestaltung des Regenerats wird dagegen bestimmt durch das zur Verfügung stehende Zellenmaterial und seine Ent- wicklungsbedingungen. Von beeinflussenden F'aktoren muß sodann namentlich das Nervensystem hervor- gehoben werden , doch spielen auch Fortpflanzungs-, Alters-, Ernährungszustand eine nicht geringe Rolle. Und endlich sind auch noch die Einflüsse äußerer Faktoren in Betracht zu ziehen, der Temperatur, des Lichtes, der Beschaffenheit des umgebenden Mediums, der Kontakt- und Schwerkraftwirkung. Der zweite Hauptabschnitt beschäftigt sich mit Transplantation, worunter man die Übertragung eines lebenden Körperteils auf einen anderen versteht. Es werden zunächst die verschiedenen Formen der Transplantation (autoplastische , homo- und hetero- plastische) unterschieden und dann ein Überblick über die Organismen gegeben, bei welchen Transplantation bisher mit Erfolg ausgeführt worden ist. Bei den Pflanzen ist die Pfropfung eine allgemein angewandte derartige Operation , man hat Transplantation ferner bei Protozoen , wenn auch unter Schwierigkeiten, durchgeführt, leichter bei Hydroidpolypen und Me- dusen, desgleichen» bei Planarien und Echinodermen. Überraschend sind die in dieser Hinsicht erzielten Ergebnisse bei Regenwürmern (vgl. als Beispiel neben- stehende Figur) und Schmetterlingspuppen, sehr erfolg- reich waren sie ferner bei .Amphibienlarven. Die Gehirn (g) von Palinurus viihjaris mit den abgehenden Augen- nervcn. Rechts normales Auge (au) mit .^ugenganglion (ag), links neugebildete Antenne (at). A Embryo von Allolobojihura suhrubicnnda mit doppeltem Kopf und Schwanz. B Teilstück von lldodrilus lunijiis mit drei- fachem Kopf- und einfachem Schwanzregenerat. C Teilstück von IModrilus lontjns mit zwei vorderen (heteromorphen) Schwanzregeneraten und einem hinteren Schwauzregenerat. Herstellung der Gewebsverbindung zwischen trans- plantierten und normalen Teilen erfolgt entweder 590 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 37 durch Anlagerung der betreffenden Gewebselemente aneinander oder aber — so namentlich bei höher organisierten Tieren — unter Bildung eines Narben- gewebes. Es werden sodann die Fälle der Vereini- gung von Teilstücken in abnormer Stellung be- sprochen, wobei sich für die lebenskräftige Vereinigung Schwierigkeiten in der Verwachsung der Organe zu ergeben pflegen, welche aber schliefjlich von chemo- taktischen Richtungsreizen, die von den Enden der durchschnittenen Organe ausgehen, überwunden wer- den. Besonderes Interesse verdienen hierbei die Vereinigungen von Teilstücken mit gleichnamigen Polen, so daß also dann etwa zwei ursprünglich oral- vvärts gelegene Enden zusammenstoßen , auch sie können schließlich zur Bildung eines völlig normalen Tieres führen (Hydra). entnommene und auf eine andere Körperstelle über- tiagene Partien entwickeln sich am fremden Orte in der ihnen spezifisch eigentümlichen Weise weiter, so eine Extremitätenanlage am Kopfe beispielsweise, und so fort. Die Bedeutung dieser Versuche liegt vor allem darin, daß es durch sie möglich ist, über rein entwicklungsgeschichtliche Fragen, etwa über den Entstehungsort bestimmter Organe, sicheren Aufschluß zu gewinnen, wie es bis jetzt namentlich für i)eri])here Nerven, Seitenlinie und Sinnesorgane der Wirbeltiere durchgeführt worden ist. Mancherlei wichtige Ergeb- nisse hinsichtlich der Entwicklungsbedingungen dieser Organe sind dadurch erzielt worden. Schließlich wendet sich Verf. den heteroplas- tisch e n V e r e i n i g u n g e n zu, worunter Transplan- tationen von Teilstücken einer Spezies auf eine andere A Homoplastische Vereinigung von Allolohophora terrestris, 10 Tage alt; B dasselbe nacli 22 Monaten; C liomoplastisclie Ver- einigung dreier Teilstückc von Jll. terrestris; D Vereinigung von Ivopf- und Schwanzstück; E Vereinigung zweier Kopfstücke; F seitliche Einpflanzung eines Schwanzstückes bei Lumbricus riiheUus\ G seitliche Einpflanzung eines Kopfstückes bei der gleichen Species; H u. I Regeneration an einem eingesetzten Stück von 3 Segmenten bei .1/^ terrestris: v ^ Vereinigungsstelle. Von der Übertragung weniger umfangreiclier Teil- stücke auf einen anderen Körper hat die Transplan- tation von Organteilen namentlich für die praktische Medizin große Bedeutung gewonnen. Die Versuche in dieser Hinsicht sind sehr zahlreich, erfolgreich durchgetiihrt sind sie vor allem mit Hautstückchen, Knochenteilen, Schleitnhäuten, Darmwandung, Drüsen, Muskulatur. Solche Transplantationen sind sogar auf eine andersartige Grundlage möglich , sind aber dann von weit geringerem Erfolge begleitet. Da jugendliches Alter häufig für eine erfolgreiche Transplantation von ausschlaggebender Bedeutung ist, so lag es nahe, solche Versuche auch an Larven oder Embryonen auszuführen, und damit wird Verf. zu einer Besprechung der namentlich neuerdings vielfach in Angriff genommenen embryonalen Trans- plantation geführt. Jüngeren Embryonalkörpern zu verstehen sind. Ausgeführt wurden sie bisher an Hydra, an Regenwürmern, Schmetterlingspuppen und Amphibienlarven, erwiesen sich aber in der Regel auf die Dauer nicht existenzfähig. In ähnlicher Weise hat die Übertragung von kleineren Teilstücken auf den Körper einer anderen Spezies in der Regel keinen dauernden Erfolg, wenigstens nicht bei Tieren, wogegen bei Pflanzen solche Pfropfungen wohl ge- lingen können. Verwachsene transplantierte Teile werden von dem i'remden Tierkörper nicht oder nur ganz wenig beeinflußt, behalten also ihre Artmerkmale durchaus bei ; ähnliches gilt von Pflanzen, wenn auch hier eine gewisse Beeinflussung zuweilen nachweis- bar ist. Diese gedrängte Inhaltsangabe möge genügen, um das Stoffgebiet experimenteller F'orschung zu charak- terisieren, welches hier in einer zusammenfassenden N. F. VI. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 591 Ühcrsicht dem Leser vorgeführt wird. Alle für (.lie Regeneration und Transplantation wichtigen Begriftc werden erläutert, die tatsächlichen Ergehnisse ein- gehend besprochen und durch eine große Zahl sorg- sam ausgewählter Figuren veranschaulicht , daneben zugleich die von den Tatsachen ableitbaren und zu ihrer Erklärung aufgestellten Theorien und Hypothesen näher beleuchtet. In den außerordentlich umfang- reichen und in der Literatur weit zerstreutei"! Stoff ist durch sorgfältige Auswahl Klarheit und Übersicht- lichkeit in hohem Maße gebracht worden, und somit stellt das Buch sich nicht nur als eine bis auf die neuesten Ergebnisse sich erstreckende wissenschaftliche Durcharbeitung des behandelten Stofi'es dar, durch Form und Darstcllungsweise wird es auch zu einem zuverlässigen Fuhrer für solche, denen es zu einem selbständigen Studium dieser Forschungsgebiete an Zeit und Möglichkeit fehlt. Zu einem solchen ein- gehenderen Studium werden übrigens am Schlüsse die Wege gewiesen durch nach sachlichen Gesichts- punkten geordnete Erläuterungen und ausführliche Litcraturangaben. J. Meisenheimer. Literatur. Avenarius, Rieh.: Kritik Jcr reinen F.rfubrung. 2., nament- lich nach hinterlasscnen Aufzeichngn. des Verf. vcrb. Aufl. I. Bd. (XXX, 222 S. m. Kig.) gr. 8". Le-ipzig '07, O. R. Reisland. — 6 Mk. Bonnet, Prof. Vorst. Dr. Rob. : Lehrbuch der Entwicklungs- geschichte. (XV, 467 S. m. 341 Abbildgn.) Lex. 8". Berlin '07, P. Parey. — 13 Mk., geb. 14 Mk. Engler, Prof. Dir. Dr. Adf. : Syllabus der Pflanzenfamilien. Kine Übersicht üb. das gesamte Pflanzensystem m. Bcriick- sichl. der Medizinal- u. Nutzpflanzen nebst e. L^bersicht üb. die Klorenreichc u. Florcngcbietc der Erde, zum Gebrauch bei Vorlesgn. u. Studien üb. spezielle u. medizinisch-phar- mazeut. Botanik. 5., umgearbeit. Aufl. (XXVllI, 248 S.) gr. S". Berlin '07, Gebr. Borntraeger. — Kart. 4,40 Mk., u. durchsch. 5,20 Mk. Handbuch der anorganischen Chemie. (In 4 Bdn.) Hrsg. V. Prof. Dr. R. Abegg. III. Bd. 3. Abtlg. Die Elemente der 5. Gruppe des period. Systems. (XIV, 876 S. m. 23 Kig.) Lex. S". Leipzig '07, S. Ilirzel. — 24 Mk. , geb. z6 Mk. Höffding, Prof. Dr. Harald : Lehrbuch der Geschichte der neueren Philosophie. (X, 286 S.) gr. 8". Leipzig '07, ( ). R. Reisland. — 4,50 Mk., geb. 5,20 Mk. Knauer, Dr. Frdr. : Das Süßwasser-Aquarium. Seine Herstellg., Einrichte. , Bcsetzg. u. Instandhaltg. (Ausg. auf Kunstdr.-Pa- pier.) (IV, 331 S. m. 88 Abbildgn.) 8". Regensburg '07, Verlagsanstalt vorm. G. J. Manz. — 4 Mk., geb. in Leinw. 5,60 Mk. Knebel, Priv.-Doz. Dr. Walth. v. : Der Vulkanismus. Mit 3 farV)., 6 schwarzen Taf. u. Textabbildgn. ( L2S S.) 8". üsterwicck '07, A. VV. Zickfeldt. — 1,75 M., geb. 2 Mk. Kryptogamenflora der Mark Brandenburg, gr. 8**. Leipzig '07, (jebr. Borntraeger. — Subskr.-Pr. 4 Mk. Kuckuck, Dr. Mart.r Es gibt keine Parthenogenesis. Allge- meiiiversiändliche wissenschaftl. Beweisführg. (Mit 33 Fig. [auf 12 Taf] nebst Erklärgn. u. e. Nachwort an den Imker.) Hrsg. V. Ferd. Dickel. (108 S.) 8". Leipzig '07, C.F.W. Fest. — 3 .Mk., geb 4 Mk. Küster, Priv.-Doz. Dr. Ernst: Anleitung zur Kultur der Mikro- organismen. Für den Gebrauch in zoolog., bolan., medizin. u. landwirlschaftl. Laboratorien. (VI, 201 S.) gr. 8". Leipzig 07, B. G. Teubner. — Geb. in Leinw. 7 Mk. 2eller, Dr. Eduard : Grundriß der Geschichte der griechischen Philosophie. 8. Aufl. (X, 324 S.'l gr. 8°. Leipzig '07, O. R. Rrisland. — 5,20 Mk., geb. 6 Mk. Anregungen und Antworten. Herrn Lehrer G. S. in I.oslau l>i-i l'.ronilicrg. — Sie fragen, was man heute Sicheres über die Leukozyten oder weißen Blutkörperchen wisse, auf welcher Stute des Systems sie auftreten, aus welchem Gewebe sie sich entwickeln, ob bei ihnen eine Chromosomenzahl festgestellt sei etc. — — Über Ihre Fragen läßt sich ein ganzes Buch schreiben und in der Tat sind ganze Bücher über das Thema geschrieben wor- den. — Freilich wollen Sie nur Sicheres wissen. — Ja, was ist denn absolut sicher in der Wissenschaft? Allenfalls sind es die Einzelbeobachtungen, aus denen man Schlüsse zieht und Verallgemeinerungen gewinnt, aus denen die eigentliche Wissenschaft sich also erst aufbaut. Und auch diese Einzelbcobachtungen erlangen nur durch wiederholte Nachprüfung von verschiedenen Seiten einen gewissen Grad von Sicherheit. — Ich kann Ihnen also in der angeregten Frage nur etwas einigermaßen Sicheres bringen. — — Die Leukozyten sind in der Tierreihe weit verbreitet. Bei allen Tieren, die eine LeiVjcshöhle besitzen, können sie vorkommen und bei den allermeisten dieser Tiere dürften sie in der Tat vorhanden sein. — Bei den meisten niederen Tieren sind sie die einzigen Blutkörperchen. Bei den Wirbel- tieren aber und bei einigen Wirbellosen (vgl. R. Hertwig, Lehrbuch der Zoologie, 8. .\ufl. , S. 75) tritt eine Arbeits- teilung ein, indem die hämoglobinhaltigen roten Blutkörper- chen den Transport des Sauerstoft's und der Kohlensäure über- nehmen. — Man kennt verschiedene Formen von Leukozyten, beim Menschen und bei mehreren Säugetieren etwa folgende: i) Kleine Zellen von der ungefähren Größe eines roten Blut- körperchens mit verhältnismäßig großem, runden Kern und einem schmalen Protoplasmasaum, die sog. Lymphozyten. 2) Größere Zellen mit reichlichem Protoplasma , unregel- mäßigem, verschiedengeformtem, oft auch aus mehreren Teilen bestehendem Kern, zahlreichen sehr feinen, mattglänzenden, farblosen, nur mit neutralen Farbstofi'en färbbaren Körnchen im Zellleib, sog. neutrophile Leukozyten. 3) Zellen wie die vorigen, die in ihrem Plasmaleibe grobe, slarklicht- brechende und deutlich gelbgrünlich (hämoglobinfarbig) ge- färbte, nur mit sauren Farbstoffen färbbare Körner enthalten, sog. eosinophile Leukozyten. 4) Zellen, deren eben- falls grobe Körnelung nur mit basischen Farbstoff'en färbbar sind, die sog. basophilen Leukozyten oder Mast- z eilen. 5) Große protoplasmareiche, körnchenfreie Zellen mit einem großen chromatinarmen , ovalen oder einfach ge- kerbten Kern mit oft deutlichem Kernkörperchen und mehr oder weniger stark basophilem Zellplasma, die sog. einker- nigen Leukozyten. — Ehrlich, der diese Formen zu- erst nach ihrem verschiedenen Verhalten Farbstoffen gegen- über unterschied , hielt sie alle für verschiedenen Ursprungs. Ein besonders scharfer Gegensalz sollte zwischen den nicht granulierten Lymphozyten und den granulierten Leukozyten bestehen. Die ersteren sollten nur in den Lymphdrüsen und in der Milz , die letzteren nur im Knochenmark entstehen. Die Ehr lieh 'sehe .Ansicht wird von vielen Klinikern bis in die neueste Zeit hinein aufrecht erhalten. Besonders eingehend ist sie behandelt und auf die umfangreiche Literatur über den Gegenstand ist hingewiesen in C. Levaditi, ,,Le Leucocyte et les granulations", Scientia ser . biol. Nr, 15 et 16, Paris (C. Naud) 1902, (Preis 4 fr.). Kurz und ohne Literaturangaben ist der Gegenstand behandelt in: H. Landau, ,,Der gegen- wärtige Zustand unserer Kenntnisse über die Morphologie und Genese der weißen Blutkörperchen", Sammlung klinischer Vorträge N. F. Nr. 415, Leipzig 1906 (Preis 75 Pfg.). — Die Anatomen, welche an die Frage herantraten, sehen, im Anschluß an G. Gull and (Journ. of Physiologie Vol. 5, 1896, p. 385 — 417), die verschiedenen Körperchen als ver- schiedene Entwicklungsstadien derselben Zellform an. Man vergleiche besonders Fr. Weidenreich, ,,Über die Ent- stehung der weißen Blutkörperchen im postfretalen Leben" (in: Anat. Anzeiger, Ergänzungsheft zum 27. Bde., 1905, S. 71 bis 97). — Nach dieser Ansicht, der man sich in neuerer Zeit immer mehr zuzuneigen scheint, stellen die Lymphozyten das Jugendstadium der Leukozyten dar. Die eosinophilen Zellen kommen nach Weidenreich dadurch zustande, daß Leuko- zyten rote Blutkörperchen in sich aufgenommen haben. Früher veranlaßte der in ihnen enthaltene Ilämoglobinfarbstoff einige Forscher, anzunehmen, daß sie in der Umwandlung zu roten Blut- 592 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 37 körperchen begriffcii seien (vgl. J. Arnold, in; Virchuw's Arch. f. palh. Anat. Bd. 144, 1896,8.67). Die Übergänge zwischen den verschiedenen Formen der weißen Blutkörperchen, die man an- fangs vermißte, kennt man jetzt in allen Abstul'uDgen. Sie führten die Vertreter der Eh rl i c h ' sehen Ansicht dazu, immer mehr verschiedene, voneinander unabhängige Formen zu unterscheiden. — Was die Verbreitung und Entstehung der Leukozyten im Körper anbetrifft, so stellt sich immer mehr heraus, daß dieselben beim Wirbeltiere, im Gegensatz zu den roten Blutkörperchen überall anzutreffen sind. Alle verschie- denen Formen sind amöboider Bewegungen fähig, auch die Lymphozyten, und alle vermögen sie die Gefäßwände zu durch- dringen. Die ,, Wanderzellen" im Bindegewebe sind nichts als Leukozyten. Überall können sie sich vermehren. Finden Mitosen in einzelnen Teilen des Bindegewebes etwas zahl- reicher statt, so hat man den Anfang einer Lymphdrüse vor sich. Werden einzelne dieser Drüsen, z. B. die Milz, exstir- piert , so vergrößern sich dementsprechend die andern. So ist es zu erklären, daß H. Nothnagel (Virchovv's Festschr., 1891, Bd. 2) bei einem F'alle von vollständiger Osteosklerose mit Schwund des Knochenmarkes, bei gleichzeitiger Milz- und Lymphdrüsenhyperplasie nur die roten Blutkörperchen wesent- lich verringert und geschädigt sah , während die Leukozyten sich in allen Formen in normaler Zahl erhielten. — Die Zahl der Chromosomen ist bei allen Zellen des Körpers, also auch bei den Leukozyten die gleiche, wenigstens wüßte ich nicht, daß jemand bei den überall zu beobachtenden Mitosen eine entgegengesetzte Erfahrung gemacht hätte. Freilich muß man bedenken, daß die genaue Feststellung der Zahl in vielen Fällen überhaupt noch nicht gelungen ist. — Soweit die morphologische Seite der Frage. Was die physiologische Seite, die Funktion der I^eukozyten anbetrifft, so verweise ich zunächst auf einen Aufsatz von H. Friedenthal, ,,Die Funktion der weißen Blutkörperchen" (in : Biol. Centralblatt Bd. 17, 1897, S. 705 — 719) Freilich haben die Forschungen der letzten Jahre das Schlußresultat dieses Aufsatzes bedeutend geändert, indem einige der vielen Funktionen, die man früher den Leukozyten zuschrieb, entweder ganz wegfallen oder doch ganz in den Hintergrund treten. Schrieb man früher den Leukozyten eine wichtige Rolle bei der Verdauung zu, so ist man davon sehr zurückgekommen. Es steht zwar fest, daß die Nahrung nicht nur in die Blutkapillaren des Darmes, son- dern auch in die Lymphgefäße übergeht, wie dies die milcliige Trübung des Inhalts der Chylusgefäße nach reichlichem F'ettgenuß zeigt. Die Lymphkörperchcn selbst aber spielen dabei wahrscheinlich , ebenso wie die roten Blutkörper- chen, eine sehr geringe Rolle (vgl. L. As her, in; XV. Congres internal. Medic. Lisbonne , 1906). Die Gerinnung des Blutes führte man früher auf die Leukozyten zurück. Allein es scheint jetzt sichergestellt, daß die B 1 u t p 1 ä t tc h en ein selbständiger Bestandteil des Blutes sind und daß mit deren Verfall die Gerinnung des Blutes zusammenhängt (vgl. K. Bürker, in: Münch. mediz. Wochenschr. Bd. 51 II, 1904, S. 11S9 — 1192). Bei der Metamorphose sollten die Leukozyten durch Phagozytose tätig sein und den Transport des Materials von einem Ort zum andern übernehmen. Allein neuere For- schungen haben auch hier erwiesen, daß die Rolle der Leuko- zyten eine nur sehr untergeordnete ist. Man vergleiche hierzu L. Anglas, ,,Les Phenomenes des Metamorphoses internes", Scientia ser. biol. Nr. 17, Paris (C. Naud) 1902 (Preis 2 fr.). Es bleibt also eigentlich nur eine der vielen den Leukozyten früher zugeschriebenen F""unktionen zurück , nämlich die Auf- gabe, aus dem Körper alles zu entfernen bzw. im Körper alles unschädlich zu machen was ihm schädlich ist. Einer- seits handelt es sich um das Fortschaffen von Fremdkörpern, die entweder zufällig von außeu eingedrungen sind oder die im Körper abgestorben bzw. unbrauchbar geworden sind. Andererseits aber fällt ihnen die noch wichtigere Aufgabe zu, Parasiten, namentlich den Mikroben entgegenzutreten. Die letztgenannte Aufgabe scheinen sie in zweifacher Weise zu erfüllen, einerseits dadurch , daß sie die Eindringlinge direkt verschlingen (vgl. E. M e ts c h ni k o f f, in : Biol. Centralbl. Bd. 3, 1S84, S. 560) und andererseits dadurch, daß sie ein Bakterien- gift, von Buchner ,, Alexine" genannt, absondern (vgl. H. Buchner, in: Arch. f. Hygiene Bd. 10, 1890, S. 84, M. Hahn, ebenda Bd. 24, 1896, S. 105 und A.Schatten- froh, in: Münch. mediz. Wochenschr,, 1897, S. 4 u. 414). — Auf jeden l'all scheint bei der Selbsthilfe des Körpers, d. i. bei der Naturheilung , den Leukozyten die Hauptrolle zuzufallen (vgl. auch Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 4, S. 687). Dahl. Herrn F. B. in Brüssel. — Der Belgier Henri Carbo- nelle und Prof. Arthur Korn besitzen je zwei Bildtelegra- p hi e - V crf ah ren. Jeder hat ein Verfahren Bidwell'scher Art (18S1) mit Selen im Sender und ein Verfahren Caselli'scher Art (1S56), das im Sender Flächendarstellungen mit teils lei- tender, teils nicht leitender Oberfläche benutzt. Verschieden sind der Hauptsache nach nur die Empfänger. — Carbonelle's Bildtelegraph mit Selen im Geber ist durch D. R.P. 179 668 vom 20. August 1905 geschützt. Im Empfänger wird zur Reglung des photographierenden Lichtstrahls einer elektrischen Lampe ein Galvanometer benutzt, dessen Spiegel stutenweise verschieden stark poliert ist. Ergebnisse mit diesem Empfänger sind nicht bekannt geworden. — Korn's Bildtelegraph dagegen benutzt im Empfänger zur Reglung des photographierenden Lichtstrahles einer Nernstlampe die verschieden starke Ab- lenkung eines Saitengalvanometers, dessen Saitensystem den Lichtstrahl verschieden stark abblendet. Außerdem ist im Geber ein Ausgleicher für die Selenträgheit angebracht (vgl. D. R.P. 180 219 vom 12. Januar 1906). Mit diesem Apparate wurden die in der Elektrot. Ztschr. Heft 33 veröffentlichten Ergebnisse der Übertragungen München-Berlin in 6 bzw. 12 Min. erzielt. Sein Verfahren mit der Geißler'schen Röhre (D. R.P. 136 876), das in der Naturw. Wochenschr. 1906 S. 81 be- schrieben wurde, gab Prof. Korn auf. — Von Carbonelle's Bildtelegraph Caselli'scher Art, auf den sich offenbar der Fragesteller bezieht, sah ich recht gute Bildproben. Über die näheren Umstände, insbesondere über die Dauer der Über- tragung und Herstellung des Gleichlaufs der Bildwalzen im Geber und Empfänger war nichts angegeben. F'ine fachkundige Veröffentlichung ist mir niclit bekannt. In Deutschland war bis jetzt ein Patent nicht angemeldet. Im Empfänger soll Carbonelle ein Telephon benutzen, an dessen Membran ein Schreibstift befestigt ist, also ähnlich wie beim Phonographen. Das empfangene Bild setzt sich aus Punkten mit verschieden großen Zwischenräumen, wie beim Rasterbilde, zusammen. Bachner erhielt für einen ähnlichen Empfänger das D. R.P. 151 147 vom 24. Mai igoi. — Prof. Korn dagegen hat Er- gebnisse mit seinem Bildtelegraphen Caselli'scher Art (D. R.P. 186 369 vom II. Dezember 1906 und Phys. Ztschr. 1907 S, 198) noch nicht veröfientlicht. Im Empfänger wird photographische Niederschrift verwendet. Der photographierende Lichtstrahl wird durch ein Saitengalvanometer geregelt, dessen Richtkrafl elektrisch gegeben wird. Hierzu werden sogenannte DitTercn- tialschaltungen verwendet. G. Will. Plerrn E. M. — Das abendliche Bewölkungs- Minimum erklärt sich dadurch, daß der infolge der Erwär- mung der unteren Luftschichten am Tage entstandene, auf- steigende Luftstrom aufhört und dadurch auch die in einem solchen stets erfolgende Ausscheidung von Nebel (als Folge der mit dem Aufsteigen verbundenen Ausdehnung und Ab- kühlung der Luft). Am Erdboden bilden sich abends infolge der Abkühlung der diesen direkt ülierlagernden Luftschichten leicht Bodennebel, aber in höheren Schichten tritt in der Tat an den meisten Orten abends häufig Aufklaren ein. Gegen Morgen bilden sich dann gern wieder Wolken, da die Ab- kühlung der Atmosphäre während der Nacht allmählich in größere Höhen vordringt. Inhalt: Dr. L. Reh: Einige Bemerkungen zur Vogelschutzfrage. — Kleinere Mitteilungen: F. II o c h st c tt e r : Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der europäischen Sumpfschildkröte. — II. .S t r o h m r y e r . Neue Untersucliungen über den Eichenkernkäfer. — L^r. Elfriede Eisenberg: Über Entstehungsbedingungen diastatischer Enzyme in höheren Pflan- zen. — Müller und Kempf: Der veränderliche Stern i Persei. — Geh. Reg. -Rat. Albrecht: Über geographische Längendifferenz-Bestimmungen mittels drahtloser Telegraphie. — Bücherbesprecbungen: Prof. Dr. Eduard Wester- marck: Ursprung und Entwicklung der Moralbegriffe. — E. Korscheit: Regeneration und Transplantation. — Literatur; Liste. — Anregungen und Antworten. \'eranlwiirtlirlier Redakteur: I. V.: Prof. Dr. F. Koerber, Groß-Lichterfclde-WesI li Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. r.eilin. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge Tl. Band; der ganxen Reihe XXII. Band. Sonntag, den 22. September 1907. Nr. 38. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Halbjabrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 1 5 Pfg. extra. Inserate : Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. Pflanzengeographisches aus der paläozoischen Flora. Nach einem \'ortiag, gehalten im geologisch-paläontolog. Colloi|uium der Universität Beilin. Von Dr. W. Gothan. INachdruck verboten.] Mit 9 Abb Im allgemeinen findet man hinsichtlich der paläozoischen — insbesondere der am besten be- kannten carbonischen — Flora die Anschatitmg verbreitet, daß eine gleiche oder doch außer- ordentlich ähnliche Flora über die Erdoberfläche verbreitet gewesen sei, eine Ansicht, die durch die .Annahme einer großen Gleichmäßigkeit des damaligen Klimas bestärkt wird. Es soll nun im F"olgcnden gezeigt werden, daß diese angenommene Gleichmäßigkeit der F"lora doch nicht so groß war, wie man gemeinhin annimmt, daß sich im Gegenteil deutliche Lokalfärbungen aufzeigen lassen, ja man möchte fast sagen floristische Zonen, und daß sich selbst die Gesetzmäßigkeiten, die Bedingungen z. T. aufdecken lassen, unter denen gewisse Florenbestandteile damals aufgetreten sind. Wenn man pflanzengeographische Betrach- tungen an einem Gebiet anstellen will, so ist natürlich Voraussetzung, daß die Pflanzen der be- treffenden Gegenden hinreichend bekannt sind, und (laß ein genügend großes Material von dort vorliegt, das als Unterlage dient. Dieses Letztere ist nun leider bei den vorcarbonischen Floren ildungen. nicht der Fall; im Silur und im Devon ist die Zahl der Fundpunkte und der aufgefundenen Pflanzen viel zu gering, um floristische Vergleiche zuzulassen ; wir müssen daher die Pflanzen dieser Perioden von unseren Betrachtungen ganz aus- schalten. Auch aus der Culmflora ist nicht ge- nügend Material bekannt; es scheint, als ob in dieser Periode tatsächlich eine überaus große Ähn- lichkeit der Flora auf der ganzen Erde bestanden hat, da europäische Culmpflanzen sogar aus Australien bekannt gemacht sind, d. h. einer Zone, die vom oberen produktiven Carbon an sich als G/osso/>fen's-Fa.c[es florislisch gänzlich heterogen gegen die nördliche Hemisphäre entwickelt, so daß floristische unterschiede damals vielleicht wirklich noch nicht existiert haben. Für die Flora des Produktiven Carbons, von der uns sehr reichliche Reste vorliegen, ist dies indes, wie wir sehen werden, nicht mehr der P'all, selbst auf verhältnismäßig geringe Erstreckungen hin. Zwar ist bezüglich der Abgrenzung und Klarheit der Arten der Flora dieser Periode noch vieles zu tun, indes liegt doch jetzt ein großer Teil der 594 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 38 Arten so klar, daß auch mit den gegenwärtigen Kenntnissen man getrost wagen kann, an pflanzen- geographische Studien über die Flora dieser Periode und auch der sich lückenlos an die carbonische anschließende Rotliegendflora heranzugehen. Wiewohl das .Studium dieser Floren eine große Anzahl von Arten hat nachweisen können, kann nicht erwartet werden, daß die Plora der einzelnen Gebiete durch die überkommenen fossilen Reste vollständig überliefert ist. Je häufiger, je zahl- reicher die einzelnen Pflanzen in den betreffenden Perioden der carbonischen Periode waren, desto größer war für sie die Aussicht, fossil erhalten zu bleiben. Die charakteristischen, überall vorhanden gewesenen Typen der Flora werden uns daher mit großer Wahrscheinlichkeit sämtlich erhalten Steinkohlenbezirke gehören, zeichnen sich dadurch aus, daß sie in dem Gestein zwischen den Stein- kohlenflötzen Schichten mit marinen Fossilien be- sitzen, die z. T. mit solcher Regelmäßigkeit auf- treten, daß sie für den Geologen Leithorizonte bilden. Diese marinen Zwischcnlagen sind ein Zeichen dafür, daß das Gebiet, wo die Stein- kohlenmoorbildung vor sich ging, zeitweise vom Meere überflutet wurde, was darauf hinweist, daß diese Gebiete in großer Nähe des Meeres, man kann sagen, a m Meere lagen. Diese Reviere sind auf dem Kärtchen Pig. 1 durch dunkel ausgefüllte Felder dar- gestellt und bilden — mit einigen mehr oder weniger großen Lücken — eine einzige große zusammen- hängende Kette; von Osten nach Westen sind es: das Donetzrevier (Rußland) = D, das oberschle- Fig. I. Übersicht über die in Betracht gezogenen Steinkohlenvorkommen. Die schwarz ausgefüllten Felder sind paralische Reviere, die schraffierten Binnenreviere. D = Donetz Revier (Rußland); O = überschles. Revier; R = Ruhrrevier; A = Aachener, B =^ Belgisches, F :^ Nordfranzösisches (Valencienner) Revier; E = Englische Reviere; S = Saarrevier; Z = Zwickauer, N = Niederschi. böhm. Revier; H = Revier von Heraclee (Eregli) in Kleinasien. sein, wogegen seltene Arten sehr häufig gar nicht überliefert sein werden. Wir dürfen daher zur Unterlage unserer floristischen Untersuchungen nur solche Typen wählen, die durch ihr häufiges Auftreten, das sie bei einigermaßem reichlichem Material nie vergeblich suchen läßt, sich als ge- meine, charakteristische Restandteile der F'loren ausgewiesen haben. Wir wollen uns nun zunächst einen Überblick über die Lage der Steinkohlenreviere, der P\md- punktc der nachher in Betracht zu ziehenden Carbonpflanzen, verschaffen, beschränken uns hier aber meist auf die europäischen, mehr oder weniger nahe beieinander liegenden Steinkohlen- vorkommnisse, da die Flora z. B. der amerikani- schen Reviere nach dem bisherigen Stande ihrer Kenntnis Vergleiche mit der europäischen Carbon- flora für unsere Zwecke oft noch nicht hinreichend erlaubt. Wir teilen die Reviere ein in para- lische und Binnenreviere. Die ersteren, zu denen die meisten unserer großen deutschen sische Revier -= O, das Ruhrrevier = R, das Aachener Revier = A, das Belgische = B, das (dazugehörige) nordfranzösische (Valenciennes) = F, die englischen Reviere = E. Die Lage dieser Reviere hängt zusammen mit der carbonischen Gebirgsbildung. Im produktiven Carbon fand eine mächtige P'altung der Erdrinde in diesen Gebieten statt, die zur Bildung großer Gebirge führte, die E. Suess als das variscische (östliche) und armori- kanische Gebirge (westlich) bezeichnet hat. Die Faltenzüge dieser beiden Gebirge „scharten" sich (trafen zusammen) in dem nordfranzösischen Revier; die Linie, an die sich die genannten Reviere auf der Karte anlehnen, ist der Nordabbruch dieser Gebirge, von denen heute noch eine Anzahl Horste Kunde geben (s. Karte Fig. 9), von denen noch weiter hinten die Rede sein wird. Von dem variscischen ,, stehen" noch als stark abgetragene Reste die Sudeten, Erzgebirge, Fichtelgebirge, Thüringer- wald, rheinisches Schiefergebirge, Ardennen, Schwarzwald und Vogesen, z. T. das französische N. F. VI. Nr. 38 Naturwisseii.scliaftlichc Wochenschrift. 595 Centralplateau; zum armorikanischcn Gebirge L,'e- hört der westliche Teil dieses Plateaus, die Bre- tagne, die paläozoischen Ablagerungen in Süd- England usw. Wir erkennen, daß die deutschen Carbonreviere der nördlichen Abbruchslinie des variscischen, die englischen und französischen der- jenigen des armorikanischcn Gebirges folgen. Im Gegensatz zu den paralischen (am Meere gelegenen) Revieren ermangeln die H innen- re viere der marinen Zwischenlagen; sie lagen weiter vom Meere ab und wurden in Binnen- mulden gebildet, die mit den paralischen wohl einwärts lagen, vielleicht durch Gebirge von ihnen geticniit, und daher nannten wir sie Binneiireviere. Vergleicht man die Hora der paralischen und Binnenreviere, so stößt man bald auf unverkenn- bare Verschiedenheiten. Zwar ist eine große An- zahl von Pflanzen vorhanden, die in den Binnen- revicren ebensowohl wie in den paralischen auf- treten ; Lepidophyten, Farne, Sphenophyllen, Cor- daiten usw. liefern Arten, die man ebensogut hier wie dort findet; aber neben diesen Kosmo- politen finden wir eine Anzahl Pflanzen, die in den Binnenrevieren häufig, ja gemein sind, in den paralischen aber fehlen oder seltener sind und umgekehrt. Bereits früher haben einige Au- ^ ~| '-%^ :,*-^"' Fig. 2. Lonchojilcris der Gruppe rugoaa, Oberschlesien. ^-St* 3t '5i' " '--1^.5:- r^i- fig. 3- Lonchoptcris Defrancei. keinen Zusammenhang hatten. Bei den vielfachen Schwankungen der P^rdoberfläche zur Zeit dieser enormen Gebirgsbildung können auch die sonst paralischen Reviere auf kürzere oder längere Zeit in größere Entfernung vom Meere gebracht worden sein, so daß sie mehr Binnencharakter annahmen ; die marinen Zwischenschichten fehlen dann für die betr. Periode. Die wichtigsten deut- schen Binnenreviere sind das niederschlesisch- böhmische Becken = N, das Zwickauer = Z und vor allem das Saarrevier = S. Diese Gebiete sind in dem Kärtchen schraffiert; wir erkennen, daß sie im Verhältnis zu den paralischen land- Fig. 4. Sphenophyllum myriophylhim. toren, wie Zeiller, Sterzel, besonders aber Potonie, auf das lokale Vorkommen einiger Reste hingewiesen, doch ist diese P>age nicht weiter verfolgt worden. Besonders instruktiv ist das Verhalten des Saarreviers in floristischer Beziehung gegenüber den paralischen, und wir wollen besonders dieses mit Ausblicken auf die anderen Binnenreviere in bezug auf seine Flora mit den paralischen vergleichen. Betrachten wir zunächst die Farne. Hier finden wir in allen paralischen Revieren in den betr. Horizonten die ersten Maschenfarne ( Lonchoptcris) regelmäßig und überaus gleichmäßig entwickelt; die Arten, die dort auftreten, gruppieren sich um die häufigste Art dieser Gattung Lomlwpteris 596 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 38 riigosa (Fig. 2); von Oberschlesien an durch sämtliche paralischen Reviere des variscischen Bogens ungefähr bis nach England ') können wir diese sehr auffallenden und daher nicht zu übersehenden Farne verfolgen. Im Saar- revier ist von dieser Gruppe keine Spur vorhan- den; es ist das sehr auffallend, wenn man die große geographische Verbreitung dieser Pfianzen in der paralischen Zone bedenkt, gegen die die Entfernung zwischen Saarrevier und den nächsten ]jaralischen sehr klein ist. Für das Zwickauer Becken besteht dasselbe Verhältnis, dagegen treten im niederschlesisch-böhmischen Becken Lonclioptc- ;7.yArtcn der Gruppe rugosa auf, und ebenso ist es in den böhmischen Binnenbecken (auf der Karte nicht verzeichnet), welches Auftreten aber dem Binnencharaktcr der Flora dieser Gebiete keinen Abbruch tut; bezüglich des niederschlesi- schen Reviers ist die große Nähe des oberschlc- sischen zu berücksichtigen. Gewissermaßen als Ersatz für das l'ehlen der genannten Lo//c/io/>Uris-Gnippe tritt nun im Saar- becken eine „Lonclwpteris" auf (Z,. Defrancei), die mit den anderen gar keine Ähnlichkeit hat, so wohl im Habitus als in der Aderung (Fig. 3), bei der auch die Maschung hier und da ausbleibt. Diese Art nun ist nach den bisherigen Unter- suchungen gänzlich auf das Saarrevier beschränkt, sie zeigt sich als eine ganz ausgezeichnete Lokal- pflanzc. Ähnlich verhalten sich eine Anzahl anderer Farne, die im Saarrevier eine enorme Entwicklung erlangen, in den paralischen aber entweder fehlen oder selten sind. Es sind das gewisse [Jiwptcris- Arten {L. neiiropteroides , die auch in Zwickau vorkommt), Neuropteris temiifolia u.a.; umgekehrt ist dagegen wieder Neurodontoptcns obliqua eine Charakterpflanze der paralischen Reviere, da sie in den Binnenrevieren gänzlich fehlt, und ebenso verhalten sich, wie es scheint, eine Anzahl anderer Neuropteris- hr^cn der paralischen Reviere, deren Bearbeitung indes noch aussteht. Aletliopteris Davreuxi, eine überaus charakte- ristische und häufige Art des Saarreviers, fehlt dcTi paralischen oder ist selten;') sicherlich sind noch mehr P'arne vorhanden gewesen, die die floristi- schen Unterschiede der Binnen- und paralischen Reviere noch schärfer machen, aber wir werden hier erst vollständig durchsehen können, wenn un- sere Carbonfloren ausreichend bearbeitet sind. Fig. 6. Cingtdaria typlca. Von den Sphenophyllaceen ist als Binnen- pflanze zu nennen Splienopliylluin uiyriopliyllmii (F"ig. 4), eine in der Fettkohle des Saarreviers sehr gemeine Pflanze, die im Ruhrrevier fast gänzlich fehlt, in Oberschlesien nur an einer einzigen Stelle vor- kommt, wo aber die Schichten keine Meerestiere enthalten. Diese Pflanze kommt nach Zeil 1er auch im nordfranzösischen Revier, nach Crepin in den belgischen und nach Kidston in England vor, aber nicht in der Massenhaftigkeit wie im Saarrevier; älinlich ist das Verhältnis xx\\\. SpJieno- phyllnni iimj'us (¥\g. 5), das in England und Valenciennes (nordfranz. Revier) auch hier und da vorkommt, im Saarrevier aber gemein ist und im Ruhrrevier zu fehlen scheint. Das Ruhrrevier ') Hier sclieinen die Lonclioplcris-Avlcn zu erlöschen; wir ') Nach Zeil! er kommt sie im nordfranzösischen Becken besitzen keine Abbildung einer solchen Art aus der englischen von Valenciennes vor, doch ist es mir zweifelhaft ob es die Carbonflora ; in .Amerika ist noch keine Spur von solchen ge- Saarbrückener Pflanze ist, zumal das vertikale Vorkommen fundcn worden, beider ganz verschieden ist. N. F. VI. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 597 bildet trotz der nicht großen Knlfcrnung vom Saarrevier floristisch, wie es scheint, einen krasseren tiegensatz gegen das Saarrevier wie manche an- dere, weiter entfernte paralische. Das Zwickauer und die böhmischen Becken schließen sich als Binnenbecken an das Saarrevier an; beide Spheno- piiyllen sind dort vorhanden. Von den Calamariaceen (Ccr/itiiii/is) haben wir als überaus charakteristische Binnen- und I.okal- pflanze die Cingiilaria lypica (Mg. 6), den Sporen- stand eines Calamiten, die nach den Stammstein- kernen ja herzlich wenig Unterschiede bieten. Eine Beblätterungsform eines Calamiten, Annularia /'Sfiiiiostt-l/ata, zeigt sich ebenfalls als typische Binnenform, und der Umstand, daß sie mit der Ciiigitlciriii in den gleichen Horizonten vorkommt, weist darauf hin, daß sie die Beblätterung zu Cingiilaria darstellt. Auch bei den Lepidophyten kann man Lokal- pfianzen aufzeigen. So fehlt nach W. Koehne deshalb fehlt, weil das Carbon nicht tief genug reicht; wenn sie allerdings in Valenciennes so hoch hinauf geht, wie Zeiller angibt, könnte sie auch im Saarrevier erwartet werden. Ebenso ist es mit Splienopliyllian fcnerriniuin, das in Ober- schlesien häufig ist (auch in Niedcrschlesien kommt es vor), aber in zu tiefen Horizonten vorkommt, als daß man es im Saarrevier erwarten dürfte. Dieses Spluiwpliyllum ist aber insofern interessant, als es auch im Ruhrre\icr und Valenciennes fehlt, ob- wohl die betr. Horizonte entwickelt sind, so daß es darauf hinweist, daß auch — was zweifellos ist — in der paralischen I'^lora des Carbons Ver- schiedenheiten vorhanden waren. Wir haben jedenfalls gesehen, daß sich in der Zusammensetzung der carbonischen F'lora einzelner Reviere mindestens sehr fühlbare Unterschiede zeigen, und zwar hervorstechend beim Vergleich der Binnenreviere mit typisch paralischen, wie etwa'^ Ruhrrevier und Saarrevier, wo der Unter- Kig. 7. üiiiilliiria Inililayi. Nach W. Koehne. z. B. Sigillaria Boblayi (Fig. 7), die in den para- lischen Revieren häufig ist, im Saargebiet völlig; sie wird hier gewissermaßen durch die verwandte Sig. scutellata vertreten. Auch für das niederschles.-böhmische Becken, das in seiner Flora dem nahe gelegenen para- lischen oberschlesischen und den anderen para- lischen minder kraß gegenüber zu stehen scheint wie etwa das Saarrevier dem Ruhrrevier, lassen sich bereits Lokalpflanzen nachweisen; so z. B. ist Equisetites niirabilis und Ovopteris {Discopteris) Schnmanni bisher nur hier gefunden worden. Be- treffs einer Reihe von Pflanzen muß man sich aus dem Grunde noch eines Urteils enthalten, weil die Horizonte, in denen sie vorkommen, an an- deren Orten fehlen; so ist es z. B. mit Neurop- teris Scideliani, die in Saarbrücken vielleicht nur schied trotz der relativ geringen Entfernung ein enormer ist. Das Interessanteste aber ist, daß wir zugleich ein biologisches Moment nam- haft machen können, mit dem die Verschieden- heiten der Flora offensichtlich zusammenhängen. Es ist das offenbar das Meer gewesen; denn wie eingangs bemerkt und wie schon der Xame sagt, lagen die paralischen Steinkohlenmoorgebiete am Meer, die Binnenreviere landeinwärts. So wird es wohl die größere Feuchtigkeit der Luft gewesen sein, die die verschiedene Entwicklung der Pflanzen- decke mit verursachte. Allerdings — das sei auch hier nochmals betont — gab es neben den Lokal- pflanzen eine große Menge von Kosmopoliten, deren Zahl bei der relativen Gleichmäßigkeit des Klimas ja bekanntlich weit größer war als jetzt. Nichtsdestoweniger bleibt die Tatsache, daß ganz 598 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 38 bedeutende Lokalfärbungen da waren , bestehen, und zwar in so nahe gelegenen Gebieten, daß man sich hierüber in der Tat wundern muß. Versuchen wir mit den eben gewonnenen Einsichten eine Probe zu machen , so erscheint hierzu das vor etlichen Jahren von Zeiller floristisch bearbeitete Revier von Heraclee in Klein- Asien (Karte Fig. i ; H) geeignet. Nach seiner Lage zu dem paralischen, mächtigen Donetzrcvier (D), über dessen Pflanzen man leider nicht ge- nügend orientiert ist, ist es ein im Hinterlande des ersteren gelegenes Binnenrevier, was sich auch darin zeigt, das nach Zeiller und Ralli dort marine Zwischenschichten fehlen. Wir treffen in diesem Binnenrevier Pflanzen des fernliegenden Saarreviers, wie Alcthoptcris Davreiixi, Linopteris obliqua (= neuropteröidcs), Sphciwp/iylhiin inaj'us ; andererseits fehlen — und das ist die Hauptsache — die für die paralische Flora so charakteristischen Loncho- pteriden der Gruppe rugosa (Fig. 2), so daß sich das so fern gelegene Becken von Heraclee auch floristisch deutlich als Binnenrevier zeigt. Wenn wir einmal die Pflanzen des Donetzreviers kennen werden (die durch Zal e ssky abgebildet werden), werden sich diese wohl sicher denen unserer paralischen Reviere anschließen. Bezüglich des Heracleer Reviers sei bemerkt, daß hier Ncuroptcris Sclilehani vorkommt, deren Stellung als paralische oder Binnenpflanze sonach noch nicht geklärt wäre. Für den horizontierenden Geologen und auch für den die Floren bearbeitenden Paläobotaniker ergibt sich aus den dargelegten Verhältnissen die Mahnung, daß man dieselben Carbonpflanzen nicht überall wiederzufinden hoffen darf, eine Erwartung, die sicherlich schon manche irrige Bestimmung mit veranlaßt hat, und andererseits muß man mit Schlüssen, die aus dem Fehlen gewisser Pflanzen an gewissen Stellen für den Horizont gezogen werden, vorsichtig sein. Wundern können wir uns über das Vorhan- densein so erheblicher Lokalfärbungen im Carbon eigentlich wenig, da wir an recenten Verhält- nissen Analoges sehen. Vergleichen wir die Pflanzendecke eines Gebiets mit vergleichsweise geringen klimatischen Unterschieden, wie unser norddeutsches Flachland, so finden wir ähnliche Verhältnisse wie im Carbon : Eine große Menge überall vorhandener Typen, daneben aber eine große Anzahl von Pflanzen, die im Westen häufig sind, im Osten fehlen und umgekehrt. So z. B. sind im ganzen west-elbisch : Erica tetralix, My- rica Gale, Nartkeciuin ossifraginn usw. ; rcchts- elbisch Lcduin pahtstyc u. a. ; in Ostpreußen ist die Lokalfärbung besonders stark: Polemonuiui coeruleiini, Trifolium spadiccum, Cirsiiiiii riviilare und viele andere sind dort häufige Pflanzen, fehlen aber im Westen. Auch hier ist das biologische Moment hauptsächlich wohl die größere Luft- feuchtigkeit des Westens gegen den Osten, der schon von dem Kontinentalklima von Eurasien be- einflußt wird. Wenn so geringe Klimaunterschiede Verschiedenheiten in der Zusammensetzung der Pflanzendecke erzeugen, so versteht man die Ver- hältnisse im Carbon unschwer. Werfen wir nun noch einen kurzen Blick auf die Rotliegendflora, so belehrt uns hier das Vor- kommen der im Carbon noch fehlenden, im Rot- liegenden aber zu großer Artenzahl sich ent- wickelnden Gattung Callipteris allein schon über das Vorhandensein zahlreicher Lokalfärbungen, deren biologische Unterlage wir aber leider nun nicht wie im Carbon aufzeigen können, die z. T. ganz willkürlich zu sein scheinen. Zunächst die gemeinste Art dieser Gattung, zugleich das ge- meinste Rotliegendfossil, C. conferia (Fig. 8), ist in einer nördlichen Zone selten oder gar nicht vorhanden,') wie ein Blick auf das beigegebene Kärtchen (Fig. 9) zeigt; in diesem sind die Horste Fig. S. f'alVqitens confcrtn. des variscischen Gebirges, soweit sie uns inter- essieren, eingetragen, an oder in denen sich un- sere bedeutenden Rotliegendvorkommnisse befin- den. Gleichzeitig ist das Vorkommen oder Fehlen von Callipteris conferta eingetragen ; die nördliche Zone, wo sie fehlt resp. sehr selten ist, entspricht etwa dem Nordabfall des variscischen Gebirges. Es ist sonderbar genug, daß gerade eine sonst so gemeine und lange bekannte Pflanze (schon von Scheuchzer im Herbarium diluvianum 1723, Taf II, F"ig. 3 abgebildet) eine so eigentümliche Verbreitung besitzt. Außerdem können wir im Rotliegenden floristisch eine deutliche westliche ') Die Begründung hierfür, die im wesentlichen in dem Klarstellen der Art beruht, kann hier nicht gegeben werden; sie wird in Abb. und Beschr. foss. Pflanzenreste von H. Po- tonie erfolgen. N. F. VI. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 599 und östliche Färbung nachweisen; z.H. C. lyrati- folta kommt nur im Westen vor (I->ankreich, "Saarrevier), eine Callipteris nahestehende Spliciio- ptcris [S. g€niianica) nur im Osten (Niederschlesien, Lauban bis Thüringen). Hierzu kommen aber eine größere Anzahl Arten, die ganz lokal auf- Niederschlesien, Sachsen, Thüringen, dem Saar-Rot- liegcnden, dem Rotliegenden von Lodeve, Creusot, HIanzy in Frankreich und von anderen Stellen kennen. Würde man, soweit dies bei dem jetzigen Stand der Kenntnisse möglich ist, andere Pflanzen des Rotliegenden auf ihre Verbreitung prüfen, so Erklärung zu Fig. 9. ^^B ausgefüllte Felder = Rotliegend mit Callipteris conferta. punktierte Felder = Rotliegendes, wo diese Pflanze fehlt oder sehr selten ist. T = Trienbach (Vog.); O = Oppenau etc. (Schwarzwald); S = Saargebiet; D = Darmstädter Gegend; N = Schloß Naumburg (Wetterau); Th = Thüringer Wald; I = llfeld ; P = Plauenscher Grund bei Dresden; NB = Niederschles.-böhm. Becken; B = Balleustedt (Harz); H = Hallische Vorkommnisse; Oj = Oschatz (Sachsen); E = Erzgebirgisches Becken (Zwickau) ; W = Wünschendorf bei Lauban. treten und einen sehr kleinen Verbreitungsbezirk haben, der sich z. T. nur über ein und dasselbe Vorkommen erstreckt. Es hätte keinen Zweck, die Namen dieser Arten aufzuzählen, bei denen sich der Leser doch nichts denken kann; es mag hier die Bemerkung genügen, daß wir solche aus würden sich sicherlich weitere analoge Verhält- nisse aufdecken lassen. Nur eins sei noch er- wähnt, daß nämlich die Rotliegendvorkommnisse im Schwarzwald durch die vielen Cycadeen- (Pterophyllum)Reste ein sehr charakteristisches Lokalcolorit zeigen. Kleinere Mitteilungen. Die geistigen Fähigkeiten der Vögel. — Die „Mitteilungen der Naturforschenden Gesell- schaft in Solothurn" 1904 — 1906 enthalten einen beachtenswerten Aufsatz des bekannten Ornitho- logen Dr. L. Greppin über die psychischen Er- scheinungen bei unseren einheimischen, freileben- den Vögeln. Der Vogel läßt u. a. einen Selbsterhaltungs-, einen Paarungs-, einen Nist-, Brüte-, Wandertrieb erkennen, ferner einen sozialen Trieb, einen Trieb endlich, die Jungen zu ernähren, zu beschützen. Dabei sind die Triebe aufgefaßt als Kombinationen einfacher Reflexe und ihre .Äußerungen also an- geborene Handlungen. Sie beeinflussen sich gegen- seitig, so daß bald der eine, bald der andere mehr in den Vordergrund tritt. Wo z. B. immer ein Vogel sich niederläßt, ist er in erster Linie für seine Sicherung besorgt; erst wenn Gesicht und Gehör ihn von der Gefahrlosigkeit seines Standortes überzeugt haben, geht er der Nahrung 6oo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 38 nach, ergibt er sich dem Schlafe, baut er am Nest weiter, füttert er die Jungen usw. Wenn er aber ermüdet, erkrankt, im Kampf begriffen ist, den Paarungsgesang erschallen läßt, sein Weibchen verfolgt, so tritt dieser Sicherungstrieb viel weni- ger zutage, ja verschwindet ganz, wenn die Jungen vor feindlichen Angriffen zu schützen sind. Die Triebe entwickeln sich auch bei den Jungen nicht gleichzeitig: In den ersten Lebenstagen öffnen die Amseln bei jedem Geräusch, bei jeder Berührung ihre Schnäbel und strecken die Hälse vor. Später drücken sie sich aber im Neste nieder, wenn sie, sehend geworden , nicht ihre Eltern als Ursache der Störung erkannt haben; noch später sperren sie die Schnäbel nicht mehr auf, bewegen den Kopf lebhaft nach allen Seiten, horchen aufmerk- sam, ergreifen die F'lucht. Der Sicherungstrieb tritt somit nach dem Nahrungstrieb auf und bil- det sich nur allmählich aus. Doch bestehen auch hier Unterschiede nach den Arten und die Nest- flüchter sichern früher als die Nesthocker. Als Elemente des genannten Triebes erscheinen die Angst- und Warnrufe. Ebenso sind auf Grundlage der sozialen Triebe die Lockrufe zur Ausbildung gelangt und wie jene lösen auch diese die entsprechenden Hand- lungen reflexartig aus. Die bekannte Neugierde vieler Vögel darf als Ausfluß des sozialen Triebes betrachtet werden. Das gesamte Triebleben der Vögel äußert sich einerseits in ererbten Hand- lungen, denen andererseits erworbene gegenüber- zustellen sind, die hauptsächlich auf den Einfluß des Menschen zurückgeführt werden können. Ent- waldungen, die Entfernung von Hecken, das Trockenlegen von Sümpfen, die Beseitigung hohler Bäume u. a. haben die Vögel genötigt, neue Wohn- orte aufzusuchen, die sie nun zum guten Teil in der Nähe der menschlichen Behausungen, in diesen selbst , in den Park- und Gartenanlagen, in Nist- kästen gefunden haben. Dadurch sind aber Änderungen in dem Geistesleben dieser Tiere her- beigeführt worden, die z. B. an der Schwarzamsel sehr auffallen. Die Schwarzamsel der Wälder betätigt ihren Sicherungstrieb in ausgesprochenem Maße vor Menschen, Sperbern und anderen Raub- vögeln ; die Gartenamsel hat sich so sehr an den Menschen gewöhnt, daß sie ihn sehr nahe kom- men läßt, in sorgloser Weise nistet, sie läßt sich ferner vom Sperber leicht überraschen , hat da- gegen in der Katze ihren Hauptfeind kennen ge- lernt, dessen Anwesenheit sie mit dem bekannten, charakteristischen Rufe anzeigt. In gleicher Weise haben die Lachmöven in Zürich während ihres Winteraufenthaltes — und nur dann! — , eine Stockentenkolonie in Bern ihre Scheu vor dem Menschen verloren, und dieselbe Erscheinung läßt sich konstatieren an allen Vogelarten, die in der Nähe unserer Wohnstätten wohnen. Sie gewöhnen sich auch an die modernen Verkehrsmittel , die ihnen allerdings anfänglich Schrecken einflößen und sie zum Verlassen der gewohnten Nieder- lassungen bewegen , die sie später aber wieder beziehen. Der Sperling hat sich so sehr an den Menschen angepaßt, daß es kaum mehr möglich ist, seine ursprünglichen geistigen Eigenschaften von den erworbenen auseinander zu halten. Dr. Greppin sah sich genötigt, den Spatzen im Gebiete der von ihm geleiteten Heilanstalt den Krieg zu erklären. Schon in den ersten Tagen nach Eröffnung des Abschusses war er als F'eind erkannt, wenn er die Flinte trug. Ihr Warnruf ertönte, die höher in Bäumen sitzenden flogen davon , die tiefer plazierten verbargen sich im Gebüsch oder entfernten sich unter dessen Schutz. Nacli etwa 8 Tagen war seine Person auch ohne Flinte und in verschiedener Kleidung dem Spatzen- hirn eingeprägt; er löste schon den F'luchtreflex aus, wenn er hinter dem geschlossenen Fenster sichtbar wurde. So mußte er sich verstecken, um die Verfolgung fortzusetzen; doch fanden sie seinen Hinterhalt immer heraus und waren,, nur ihm gegenüber, außerordentlich vorsichtig. Etwa 'Vj Jahre dauerte es, bis sie auch die gewohnte Art zu sichern ablegten , indem sie nämlich wie ein Stein in ein Gebüsch oder einen Reisighaufen einfielen, statt zuerst auf einem vorspringenden Punkt zu sichern. Diesen Moment hatte nämlich der Beobachter zum Schusse wählen müssen, um den -Spatzen beizukommen. Erst wenn die Tiere so geborgen waren , sicherten sie eifrig. Aber Rütteln am Reisighaufen, in dem sie sich ver- borgen hatten und völlig ruhig hielten, Aufheben von Asten, vermochte sie nicht zur Flucht zu be- wegen. Erst wenn er 40 — 50 m davon sich weg- begeben hatte, suchten sie unter dem bekannten Geschimpfe das Weite. Oder sie fielen in ein Gebüsch, in dem sie nun regungslos, in einer Art Katalepsie , verharrten , ohne zu weichen , wenn mit der Flinte auf sie gezielt wurde. Auch nur auf wenige Meter Distanz waren sie dann von bloßem Auge nicht mit Sicherheit als Sperlinge zu erkennen, vielmehr erschienen sie wie Ast- stümpfe. Die in dieser Stellung erlegten Tiere waren ausschließlich Weibchen. In dieser letzten Jagdperiode haben also die Sperlinge das Ver- halten eingeschlagen, das sie dem Sperber gegen- über beobachten, vor dem ihr Sicherungstrieb die höchste Ausbildung zeigt. Etwa 2 Monate nach Schluß der Jagd verlor sich die Scheu vor ihrem Verfolger allmählich wieder und äußerte sich nur, wenn sie ihn mit der Flinte sahen. Von den nicht verfolgten Vögeln lernten die Tauben, Amseln und Feldsperlinge den Jäger von anderen Personen unterscheiden ; die Buchfinken und Goldammer wurden durch das Gebaren der ersteren und durch ihre Lockrufe aufmerksam, während die Kohl-, Sumpf- und Blaumeisen, Zaun- könige, Baumläufer, Rotkehlchen, Goldhähnchen von ihm weiter keine Notiz nahmen. Der Knall des Schusses trieb sie zur Flucht, doch kamen sie bald wieder zum Futtertisch zurück. Auch Rabenkrähen erkannten den Widersacher bald, schon nach einem Schuß, als solchen und verfolgten ihn mit ihrem Geschrei; niedrig, wenn N. F. VI. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 601 er ohne, da<^egen hoch in der I.uft, wenn er mit Gewehr ausging. Ein in der Nähe nistendes Paar verhielt sich, offenbar im Gefühl der (icfahr, so ruhig, daß Dr. Greppin wochenlang ihre Anwesen- heit nicht bemerkte. Die Krähen lernen übrigens auch leicht den Jäger von dem Laiidmann unter- scheiden. Die bloße Schußbewegung hatte genügt, eine Nebelkrähe so vorsichtig zu machen, daß sie nur schwer erlegt werden konnte. Auch der kleine Grauwürger zeigte einen so entwickelten Siche- rungstrieb, daß er ein Exemplar nicht mehr in Schußnähe bekam, als ein erster Schuß fehl ge- gangen war. Nachdem aus einer Gesellschaft von Fichtenkreuzschnäbeln , die vor Menschen wenig scheuen, einige gefallen waren, genügte einige Tage nachher das bloße Erscheinen des Jägers, sie dauernd aus der Gegend zu vertreiben. Auch Elstern meiden Gegenden lange , in denen sie sich verfolgt sehen. Aus allen diesen Be- obachtungen ist zu entnehmen, daß „diese unter ungewohnten Verhältnissen ausgeführten Hand- lungen nicht einen ganz neuen Charakter besitzen, sondern daß der in seiner Sicherheit bedrohte Vogel seine Zuflucht zu Schutzmaßregeln nimmt, die sich in ihren Hauptzügen nicht wesentlich von den unter ähnlichen Bedingungen auf erblicher Grundlage entstandenen Bewegungen unterschei- den". Die Sperlinge z. B. haben den Jäger lang- sam, etappenweise als einen dem Sperber eben- bürtigen P^ind erkannt. Die Meisen u. a. haben nur infolge ihrer Gewöhnung an den Menschen den Jäger ignoriert; sobald sie gejagt werden, flüchten sie sich vor ihm wie vor Raubvögeln. So groß aber auch die durch Umgestaltung der äußeren Lebensbedingungen hervorgerufenen Än- derungen in den auf erblicher Grundlage beruhen- den Gewohnheiten sind , so kann doch nicht in dieser Anpassung an die neuen Verhältnisse von einer selbständigen Geistestätigkeit des Vogels die Rede sein ; nirgends tragen die Handlungen unter diesen veränderten Bedingungen „das Ge- präge , daß der Vogel von sich aus eine neue Entdeckung gemacht hat". Er vermag lediglich die auf unmittelbarer sinnlicher Wahrnehmung beruhenden Schlüsse und Erfahrungen zu ziehen, die Fähigkeit des Urteils, der Abstraktion ist ihm, wie den Säugetieren, versagt. Dr. K. Bretscher in Zürich. Ein interessantes Thema: Die Frage der kernlosen Organismen und der Notwendigkeit des Kernes zum Bestehen des Zellenlebens behandelt Dr. Vladislav Ruzicka in den Nummern 15 und 16 des „Biolog. Centralbl." (1907). — Kernlose Organismen wurden von Haeckel 1866 mit dem Namen ,,Cytoden" be- legt, und Brücke forderte sogar, daß der Kern aus dem Begrift' Zelle auszuschließen sei, weil er eben in vielen Zellen gar nicht vorhanden wäre. Die Zeit des Aufschwunges der mikroskopischen Technik mit ihren komplizierten Fixierungs- und ]<"ärbungsniethoden verringerte allerdings die Liste der kernlosen Organismen, indem bei vielen Zellen, die man bis dahin für kernlos hielt, Kerne nachgewiesen wurden. Als dann noch experimen- telle Untersuchungen ihre Anzahl immer mehr verminderten, konnte O. Hertwig 1893 den Satz aufstellen, daß es keinen Fall von kernlosen Organismen gäbe, daß jedoch die Bakterien in dieser Hinsicht eine zweifelhafte Stellung ein- nähmen. Vielleicht sei es sogar möglich, daß sie nur aus Kernsubstanz — Nuclein — beständen und keinen Plasmaleib besäßen. In letzter Linie läuft dieses Problem auf mikro- chemische Untersuchungen hinaus, und diese wurden von Ruzicka angestellt. Nuclein besitzt die Eigenschaft , gegenüber dem künstlichen Magensaft widerstandsfähig zu sein, d. h. nicht von ihm verdaut zu werden. Er brachte Milzbrandbakterien in einen solchen Magensaft, und sie wurden, selbst nach 50 Tagen, nicht verdaut. Außerdem fand er bei solchen untersuchten Bakterien durch mikroskopische Be- trachtung genau dieselbe Struktur, die sie vor der Einwirkung des Magensaftes hatten. Gerade so verhielten sich noch andere Bakterien. Es erscheint somit die Vermutung gerechtfertigt, daß die Bakterien — die untersuchten wenigstens! — aus Nuclein bestehen und nackte Kerne sind. Dieselbe Natur muß man nach MacAllum den Cyanophyceen und Beggiatoen zuschreiben; und zwar enthalten die erstcren eine relativ große, diffus verteilte Menge Nuclein, während in den letzteren nur hier und da Nucleinkörnchen an- getroffen werden. Ruzicka hat ferner das Blut junger Meer- schweinchenembryonen in gut verdauenden, künst- lichen Magensaft gebracht. Es zeigte sich dann, daß das Cytoplasma der kernhaltigen Erythro- blasten (Bildungszellen der roten Blutkörperchen) in kurzer Zeit verdaut wurde, und daß nur deren geschrumpfte Kerne zurückblieben. Anders je- doch verhielten sich die fcirythrocyten (roten Blut- körperchen) von erwachsenen Meerschweinchen. Diese halten sich 2 Jahre lang in dem Magensaft, ohne daß eine Veränderung an ihnen wahrzu- nehmen ist. Nun könnte man vielleicht glauben, der Magensaft büße an Wirkungskraft ein, und deshalb fände keine Verdauung statt. Dies ist jedoch nicht der Fall ; denn nach dieser Zeit ver- daut derselbe Magensaft noch frisch gekochtes Eiweiß in 72 Stunden. Aus dem Obigen folgt, daß die roten Blutkörperchen eine Substanz ent- halten, die dem Nuclein in der Widerstandskraft gegen künstlichen Magensaft gleicht. Und zwar gehört diese Substanz unter den Begriff des Linins, also der Kernsubstanz, welche die Grund- substanz des Chromatins ist. Wir haben also die Bakterien , Cyanophyceen und reifen Säugetier -Erythrocyten als Gebilde aufzufassen, die nur aus Kernsubstanz bestehen, ohne von einem Plasmaleib umgeben zu sein. 6o2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 38 Weiter gelit aus Beobachtungen Vej dovsky's, Frenzel's und Seh e wj ako ff's hervor, daß ein Organismus auch dann noch selbständig zu leben und sich zu ernähren vermag, wenn er nicht in die beiden bekannten Kernkomponenten, Zelleib und Zellkern, differenziert ist. F.ine von beiden kann einem Organismus fehlen, wie dies für den Zelleib von R u z i c k a bewiesen wurde. , Der Zeltkern kann zeitweilig fehlen. Das be- weisen Stricker's und Ruzicka's Beobach- tungen an Leukocyten, die noch lebend blieben, nachdem der Kern zugrunde gegangen war. Ruzicka hat durch seine Methode auch eine irrige Meinung über die Chromidien berichtigt. Es ist schon lange bekannt, daß in vielen Zellen der Kern in ein Häufchen feiner Körnchen, Chromidien genannt, zerfällt. Bisher hat man an- genommen, daß sie das Äquivalent des Kernes seien. Dieser Auffassung widersprechen jedoch Ruzicka's Untersuchungen: die Chromidien be- sitzen nicht mehr Widerstandsfähigkeit gegen den künstlichen Magensaft. Interessant ist es auch, zu erfahren, wie lange Organismen, denen der Kern fehlt, am Leben bleiben. Kleb's Untersuchungen lehren, daß kernlose Stücke von Zygnema oder Spirogyra 6 Wochen leben. Kernlose Polystomellen erhielten sich 3 Wochen, kernlose Amöben (nach Hof er) 10 — 12 Tage, kernlose Ciliaten 7 — 8 Tage (nach Balbiani). Die Tatsache, daß sie am Leben bleiben, beweist, daß das Zusammenwirken von Kern und Cytoplasma zur Erhaltung des Lebens nicht unumgänglich notwendig ist. Dr. Wilkejena. Meteorologische Beobachtungen über dem Meere sind in den letzten Jahren von verschie- denen Seiten unter Verwendung von Fesselballons, Drachen und Freiballons ausgeführt worden. Ins- besondere hat Prof H e r g e s e 1 1 derartige Ver- suche auf der Yacht des Fürsten von Monaco seit dem Jahre 1904 fortlaufend ausgeführt. Im letzten Sommer hatte Hergesell sich die Erforschung der höheren Luftschichten über dem Polarmeer zur Aufgabe gestellt, während auf seine Anregung gleichzeitig (in der vierten Juli- Woche) eine größere Zahl ähnlicher, verschiedenen Nationen angehören- der Expeditionen entsprechende Beobachtungen von den verschiedensten, teils auf dem Meere, teils im Binnenlande liegenden Ürtlichkeiten aus unternommen hat. Während die Ergebnisse dieser gemeinsamen, internationalen Aktion naturgemäß erst nach längerer Zeit werden bearbeitet und geordnet vorliegen können, hat Hergesell über seine eigenen Versuche bereits mehrfach namentlich in den Comptes rendus und auch in Zeitungsartikeln Interessantes berichtet, worüber unsere Leser zu informieren wir nicht unterlassen möchten. Eine erste Frage, welche durch Hergesell's Versuche entschieden wurde, ist die nach der Höhe, bis zu welcher sich die durch den Golf- I Strom an der Küste Norwegens erzeugte , hohe Temperatur erstreckt. Schon einige 1904 auf Wunsch des deutschen Kaisers vom Sleipner aus an der südlichen, norwegischen Küste ausgeführte Drachenaufstiege hatten zu dem Ergebnis geführt, daß dieser wärmende Einfluß des Golfstroms nicht sehr hoch reicht. Diese Erkenntnis wurde 1906 im Lofotenmeer glänzend bestätigt, wo Hergesell statt des Drachens Fesselballons ') benutzen mußte, da das Schiff mit dem Winde fuhr. Dabei zeigte sich übrigens, daß mit Fesselballons eine bis 3500 m Höhe reichende Beobachtungsserie im Zeitraum von 1 '/o Stunden gewonnen werden konnte, während das gleiche Resultat mit Drachen selbst unter günstigen Umständen mindestens die dreifache Zeit beansprucht haben würde. Bereits in 1000 m Höhe zeigte sich bei diesen Versuchen eine Temperatur, wie sie der hohen geographischen Breite entspricht, die bekannte Umbiegung der Isothermen nach Norden, wie sie an der norwegi- schen Küste auf jeder Isothermenkarte zu bemer- ken ist, würde also bereits vollkommen verschwin- den , wenn man die Isothermen statt für das Meeresniveau für eine in 1000 m Höhe liegende Luftschicht konstruieren könnte. Als eine Folgeerscheinung des starken, vielfach I " übersteigenden Temperaturgradienten (d. h. Temperaturabnahme für je 100 m Erhebung) ist ein labiler Zustand der unteren Luftschichten an- zusehen, der häufig zu aufsteigenden Bewegungen der abnorm erwärmten untersten Luftmassen und damit zu der starken Bewölkung und Nieder- schlagsbildung führt, die für das norwegische Küstengebiet charakteristisch sind. Im Gegensatz zu diesen Verhältnissen im Golfstromgebiet zeigte sich über dem Polarmeer zwischen 70" und 80" n. Br. oft schon von unten an eine langsame Temperaturabnahme. Bis zur Höhe von 7800 m beträgt hier der mittlere Tem- peraturgradient nur 0,48'^'. Allerdings ist die Ab- nahme keine gleichmäßige, sondern es wechseln Schichten, in denen Isothermie beobachtet wurde, oder die sogar Inversion (d. h. Temperaturzunahme mit der Höhe) zeigten, mit solchen, in denen ein normaler Temperaturgradient bis zu I " herrscht. Das letztere ist auch hier unmittelbar über dem Meere besonders häufig, wobei dann die Feuchtig- keit schnell bis zu einer niedrig schwebenden Wolkenschicht zunimmt. Im allgemeinen ist aber die Luft über dem Polarmeere im Sommer relativ warm, entsprechend der ununterbrochenen Sonnen- strahlung. Die oberen Luftströmungen wurden durch Verfolgung kleiner Freiballons mit Winkelmeß- instrumenlen erforscht. Die Windgeschwindigkeit war in größeren Höhen stets eine beträchtliche und schwankte in loooo m Höhe zwischen 15 ') Drei kleine, geschlossene Gummiballons heben zunächst einen Stalildraht in die gewünschte Höhe, an dem dann die Instrumente mit Hilfe eines vierten Ballons schnell empor- gleiten. N. F. VI. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 603 und 30 m in der Sekunde. Die Richtung dieser Winde war indessen keine beständige, so daß das Zentrum des sie verursachenden Polarwirhels oft seinen Ort zu wechseln scheint. Die stärksten Winde waren stets solche mit westlicher Kompo- nente. Kbr. Planetoiden der Jupitergruppe. Im 5. Bande berichteten wir (Seite 793) über den Planetoiden igoO TG, der einen fast genau eben so grollen Sonnenabstand besitzt wie Jupiter. Während dieser Planetoid damals noch ein Unikum unter seinesgleichen war, sind in neuester Zeit noch zwei weitere von ganz ähnlichen Bahndimensionen aufgefunden worden, so daß man nunmehr von einer „Jupitergruppe" unter den Planetoiden sprechen kann. Es sind dies die Planetoiden 1906 VV und 1907 XM, deren Sonnenabstands- logarithmen bezüglich 0,714 und 0,722 (gegen 0,716 bei Jupiter) und deren Umlaufszeitcn daher 4306 und 4438 Tage (gegen 4333 Tage bei Jupiter) betragen. Kbr. Über den Farbenwechsel von Kobalt- und Kupferchlorid in Lösung. — Die Tatsache, daß Lösungen von Kobalt- und von Kupferchlorid beim Erhitzen und bei Zusatz von anderen Chlo- riden ihre Farbe ändern , hat bisher noch keine Erklärung gefunden. Eine Abhandlung von Don na n und Lewis in der Zeitschrift für phy- sikalische Chemie (53, 315 und 56, 223) läßt ver- muten, daß die Anwendung physikalisch -chemi- scher Untersuchungsmethoden möglicherweise eine Lösung dieses Problems bieten wird. Bei den Versuchen von Donnan und Lewis ergab sich, daß das Kobalt in den roten Lösungen seines Chlorids als Kation, in den blauen aber als kom- plexes Anion vorhanden ist. Gewisse Chloride, z. B. Zink-, Merkuro - Kadmium- und Zinn- chlorid verhindern die Blaufärbung der Lösung, weil sie mit den Chlorionen des Kobaltchlorids komplexe Anionen, wie HgCl^" bilden. An- dere Chloride, wie Calciumchlorid , färben die Lösung blau, weil das Kobaltchlorid mit ihren Cl-ionen zu komplexen Anionen der Form CoCl'3 oder CoCl"^ zusammentreten. Die Verfasser ge- langten durch Messung der Siedepunktserhöhungen und der lonenwanderungsgeschwindigkeit zu die- sen Schlüssen. Anknüpfend an diese Versuche fand Benrath (Zeitschrift für anorganische Chemie Bd. 54, Heft 3) die Komplexbildung zwar bei den die Blaufärbung verhindernden Chloriden bestätigt, nicht aber bei den anderen, eine solclie hervorrufenden Chloriden Ahnliche Verhältnisse liegen beim Kupferchlorid vor. In einer heißen, verdünnten, grünen Lösung dieses Salzes bewirkt Quecksilber- chlorid Blaufärbung, andere Chloride wieder färben gelb oder bewirken überhaupt keinen P'arben- umschlag. Benrath weist nun an der Hand von Bestimmungen der Siedepunktserhöhung nach, daß nur beim Quecksilberchlorid auf Komplcxbildung zu schließen ist. Sonach bilden also allgemein nur solche Chloride mit Kobalt- bzw. Kupferchlorid komplexe Salze, welche den I<"arbumschlag verhin- dern. Hinsichtlich des P'arbumschlags aber schließt sich Verf. der Hartley'schen Ilydrattheorie an, wonach derselbe auf der Bildung niederer Hydrate beruht, sowohl in reinem Wasser, als auch bei Gegenwart von Chloriden. Lb. Wetter-Monatsübersicht. Die schon seit Beginn des Sommers herrschende trübe, kühle , regnerische Witterung setzte sich auch während des größeren Teiles des vergangenen August in Norddculschland fort. Jedoch wurde sie häufiger als im Juli durch trockenes, freundliches Wetter unterbrochen, das in Süddeutschland das Jpm|>crarur-Sßaxima smi^gsr ©ns im CSujgusf 1907. 6e^inwWettei4)uT«8u . trübe sogar überwog. Bald nach Anfang des Monats trat überall drückende Hitze ein, die aber nur sehr kurze Zeit anhielt; am 5. stieg das Thermometer in Frankfurt a. M., am 6. in Fraustadt bis auf 34" C. Darauf schwankten die Temperaturen ziemlich beträchtlich hin und her, namentlich zwischen dem 16. und 25. August war es an den meisten Orten herbstlich kühl. In den letzten , großenteils heiteren Tagen wurden im Binnenlande wieder verschiedentlich 25" C überschritten, wogegen sich in den dazwischen liegenden klaren Nächten die Luft, besonders im Nordosten , sehr stark abkühlte. Im Monatsmittel lagen die Temperaturen in Süd- deutschland ungefähr I '/._, Grad, im Norden fast 2 Grad unter ihren normalen Werten. Ebenso war in Norddculschland der Mangel an Sonnenschein, der z. B. in Berlin im ganzen Monat nur an 168 Stunden verzeichnet wurde, überall sehr bedeutend. Die durch unsere zweite Zeichnung dargestellten Nieder- schläge waren in der ersten Hälfte des August längs der Küste sehr ergiebig. Am 6. und 7. entluden sich dort heftige Gewitter mit starken Regen-, Hagel- und Graupel- schauern; die westlichen Winde wuchsen zum Teil zu Stür- men an, so dafi auf der Nordsee einige Schiffsunfälle zu be- klagen waren. Weiter nach Süden hin kamen hingegen viel seltener und im allgemeinen nur geringe Kegenfälle vor. Um Mitte des Monats dehnte sich jedoch das trübe 6o4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 38 Regenwetter auf ganz Deutschland aus. Bei stürmischen Winden gingen wiederholentlich äußerst starke Gewitterregen, zum Teil mit tlagel- und Graupclfällen nieder, die in vielen T^icifcrjffc^a^l^o^cn im ^uc^ubI 1907 ^1? P> P> u t^ I-» I 3 J "§ 5 J^ £ t " s e £ 5.4 l_l I I I ' " i ■ I T \. bis 15. August ^^ 80 |—] 1 1 1 1 III' ' I r— ' r-i— ■ I """ M^ <6.bisZ2 Augusl. "TZZI 23.bis 31. August. iKäB J^ifflerepWerflUr Deulschland. MonalssummCm Auguit 1307 06 05. Of. 03, 02. Berliner Wefterburt »u . Gegenden, besonders im Rheinland und in Thüringen, für die Ernte großen Schaden brachten. Am i6. wurden z. B. in Dresden 36, in Friedrichshafen 33, am ig. in Swinemünde 44 mm Regen gemessen. Erst seit dem 23. August ließen die Niederschläge an Häufigkeit und Stärke im allgemeinen nach, indessen blieb das Wetter bis zum Schlüsse veränder- lich und kamen in einzelnen Gegenden sogar noch sehr schwere Gewitter vor. Namentlich traten am 2g. in einem Teile der Rheinprovinz und Westfalens starke Unwetter ein, wobei zu Münster 5g mm Regen fielen und weite Strecken des Landes überschwemmt wurden. Tr^Uzdem blieb der Gesamtertrag an Niederschlägen, der sich für den Durch- schnitt aller berichtenden Stationen auf 64,7 mm bezifferte, hinter der durchschnittlichen Regenhöhe der früheren August- monate um ungefähr 10 mm zurück, weil im Süden das trockene Wetter so lange angehalten hatte. Die allgemeine Anordnung des Luftdruckes blieb während des ganzen Monats fast immer die gleiche. Beständig wurde der Süden und namentlich der Südwesten Europas von einem umfangreichen Hochdruckgebiete bedeckt, das oft nordost- wärts vorrückte, bald aber wieder nach Südwesten zurück- weichen mußte, während den Norden in westöstlicher Richtung rasch aufeinander folgende Depressionen durchzogen. Am längsten hielten sich die barometrischen Minima gewöhnlich in den (islseeländern auf, wo sie auch, namentlich in der ersten Hälfte des Monats, meist ihre größte Tiefe erreichten. Demgemäß war dort das Wetter häufig stürmisch und sehr reich an Niederschlägen, während weiter im Süden zwar eben- falls gewöhnlich feuchte westliche Winde wehten, deren Stärke aber im allgemeinen nur gering war. Dr. E. Leß. Bücherbesprechungen. Dr. Marianne Plehn, München, Die Fische des Meeres und der Binnengewässer; 26 far- bige und 10 schwarze Tafeln mit 195 .'\bbildungen und 200 Seiten Text mit 123 Abbildungen; 4. Teil von Prof. Dr. Kurt L a m p e r t , Bilderatlas des 'l'ierreichs, Verlag von J. F. Schreiber in Eßlingen und München. — Preis geb. 10 Mlc. Das vorliegende Buch ist als Volksbuch gedacht. Dasselbe soll die Kenntnis der so interessanten und für den Menschen so wichtigen Tiergruppe in die weite- sten Kreise tragen. — Wir können dasselbe für diesen Zweck durchaus empfehlen. Von allen wichtigsten, ver- schiedenartigen Fischformen des In- und Auslandes finden wir auf den Tafeln farbige Abbildungen. — Recht voll- ständig sind die einheimischen Fische vertreten und diejenigen Arten, welche fehlen, sind wenigstens kurz b e s c ii r i e b e n , so daß man auch ohne weitere Vorkenntnis beim Bestimmen einheimischer Fische mit dem Buche fast immer zum richtigen Ziel gelangen dürfte. — Verhältnismäßig eingehend ist die wirtschaftliche Bedeutung der Fische im all- gemeinen und die der einzelnen Fischarten, ihr Fang, ihre Zucht usw. behandelt. Auch das dürfte dem Zweck des Buches durchaus entsprechen. — Ferner ist, in der Einleitung, der Bau behandelt und zwar, der Kürze wegen, nur soweit, als die Kenntnis desselben weitere Kreise interessieren kann. — Auch auf die Lebens- weise der Fische ist eingegangen. Aber gerade in die- sem letztgenannten Punkte hätte vielfach die Literatur mit etwas mehr Kritik benutzt werden können. Ich nenne hier nur ein Beispiel: Die fliegenden Fische sind mit erhobenem Hinterkörper fliegend dargestellt, während sie, wie jeder Beobachter weiß, mit gesenk- tem Schwänze fliegen. Detn entsprechend steht im Te.xte : „Der Wind greift dann in die Flossen und trägt das Tier fort, etwa wie einen Papierdrachen." Beim Lesen dieser Worte wird man kaum eine richtige Vorstellung gewinnen. Man wird aus den Worten nicht erkennen , daß der Fisch nahe über der Oberfläche des Wassers, gegen den Wind fliegend, dahingleitet, daß beiiu Sinken der Schwanz zuerst ins Wasser taucht und nun von neuem lebhafte Bewegungen macht, um den Körper weiter gegen den Wind vor- zuschnellen, daß durch die Bewegungen des Schwanzes die Erschütterungen der großen Brustflossen , welche tnan lange fiir Flugbewegungen hielt, zu erklären sind und daß durch diesen Vorgang überhaupt erst die starke Entwicklung des unteren Teils der Schwanz- flosse verständlich wird. (Vgl. Zoolog. Jahrb. Abt. Syst. Bd. 5, 1891, S. 679 ft". und S. 922 f.; Verh. der physich Ges. Berlin, 11. Sitz. d. 9. März 1894; Zool. Anz. Bd. 15, 1892,3. lOÖundSitzungsber. Ak. Wissensch. Berlin, Bd. 1S96, S. 713). — Die farbigen Darstellungen — sie bilden, wie der Haupttitel sagt, den Schwer- punkt des Buches — sind durchweg brattchbar, z. T. sogar recht gut. Sie geben dem Lehrer, der sich ihrer beim Unterricht bedient , ein geeignetes Mittel an die Hand, den Schüler eine Vorstellung von dem, was besprochen wird, gewinnen zu lassen. Dahl. Dr. Carl Holtermann, Professor in Berlin, Der Ein- fluß des Klimas auf den Bau der Pflan- ze n g e w e b e. Anatomisch - physiologische Unter- suchungen in den Tropen. Mit i Textfigur, 6 Vege- tationsbildern und 1 6 lithographischen Tafeln. Leipzig, Wilhelm Engelmann, 1907. — Preis 12 M. Das vorliegende Werk behandelt : Die Transpira- tion der tropischen Gewächse. • — Tropische Vegeta- N. F. VI. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 605 tionszonen. I. Das reiuhtc Tiefland. U. Das trockene Tiefland. 111. Das Hochland. IV^ Kpiphyten und Lianen. V. Parasiten. ^ Der Laubfall in den Tropen. — Einfluß des Klimas auf die Ausbildung der Zu- wachszonen (Jahrringe). — Direkte Anpassung. Es ist entstanden durch Studien in den Tropen und zwar in Ceylon, weil in dem einen Gebiet dieser Insel die tropische Vegetation ihre mächtigste Üppig- keit entfaltet, wahrend andere Provinzen derselben unter einer monatelangen Trockenheit leiden. Hieraus erhellt, daß sich dort besonders der enge Zusammen- hang zwischen dem Vegetationscharakter und dem Klima an augenfälligen Beispielen nachweisen läßt. .■\n wolkenlosen Tagen ist bei denselben Pflanzen in Zcntral-Kuropa die Gesamttranspiration größer als in den Troijen, aber in den Mittagsstunden trans- pirieren diese Pflanzen weit intensiver als bei uns. IJie Mangroven besitzen — trotzdem ihr Fuß im Wasser steht — ein Wassergevvebe, aber auch wasser- ausscheidende Organe (Hydathoden); es wird dadurch die tlefahr einer Salzanhäufung verringert, wie denn H. an sonnigen Tagen Salzausscheidungen an Blättern beobachtete. In die Sonne gebrachte Mangrovekulturen zeigten Erscheinungen des Welkens mit welliger Ver- biegung der Radialwände des Wassergew ebes. H. meint, daß die Pflanzen das Wasser wegen des Salzgehaltes nur schwer aufnehmen können. Es kann sein, daß das schwache Leitungsgewebe nicht ausreicht, um einen vorübergehenden großen Wasserbedarf zu decken. Der Laubfall steht nach H. in Beziehung zum Klima, denn bei einheimischen Arten findet er immer in der Trockenperiode statt, da aber diese Tätigkeit erblich geworden ist, auch dann, wenn die Pflanzen ausnahmsweise günstigere Bedingungen vorfinden. Sind die äußeren Bedingungen dauernd gleichmäßige, so unterbleibt der Laubfall stets. Dieselbe Beziehung, zum Klima nämlich, ist bei der ,. Jahrringbildung" vor- handen, insbesondere legen schnell aufwachsende und dann kräftig transpirierende Pflanzen neue Hydroiden (Gefäße) für die Safileitung an, während langsam wachsende Holzgewächse mit Blatt-Schutzmitteln gegen starke Transpiration keine Holzzonenbildung zeigen. -Auch hier ist aber die gewonnene Eigentümlichkeit erblich. Kultiviert man Mangroven in Süßwasser, so werden die Schutzeinrichtungen gegen zu starke Trans- piration nicht ausgebildet, so bleibt die Cuticula ganz dünn, die Spaltöffnungen liegen an der Oberfläche und sind nicht eingesenkt, das Wassergewebe nimmt ab, es bilden sich keine Schleimzellen. P. Säurich, Das Leben der Pflanzen. 111. Bd.: Auf dem Felde. II. Teil. 426 Seiten mit 36 Abb. — Preis 4 M., geb. 4,60 M. IV. Bd.: Im Gewässer. 173 Seiten mit 123 Abb. — Preis 2 M., geb. 2,50 M. Leipzig, E. Wunderlich, 1906/7. Den ersten Teil der Pflanzenkunde von Säurich („Im Walde") haben wir Bd. I, Seite 540 besprochen. Die vorliegenden, weiteren Bändchen behandeln in ähnlicher, recht gut gelungener Weise die Pflanzen des Feldes und Wassers. Eine Verbesserung weisen diese F"ortsetzungen insofern auf, als einfache Zeich- nungen hinzugefügt sind und eine erheblich bessere Papiersorte zur Verwendung gelangte. Im dritten Bande legt Verf. das Hauptgewicht auf die Betonung der Veiänderlichkeit im Pflanzen- reiche. Außerdem werden die Kulturpflanzen (mit Ausnahme der bereits im zweiten Bande abgehandelten Halmfrüchte) bevorzugt und bei deren Besprechung wird der volkswirtschaftlichen Bedeutung und den tech- nischen Verarbeitungsmethoden ein breiter Raum gewährt. Beim vierten Band sind es die durch den Aufent- halt im Wasser bedingten biologischen Erscheinungen, die pädagogisch am lehrreichsten sind und daher auch vom Verf. aufs stärkste betont werden. Bei der äußerst geschickt durchgeführten Verarbeitung unseres besten, nicht jedem zugänglichen Materials stellen auch die vorliegenden Bändchen ein höchst empfehlenswertes Vorbereitungsbuch für den Lehrer, namentlich der Volksschule, dar. Da die trockene Systematik ganz in den Hintergrund tritt , alle interessanten Tat- sachen des Pflanzenlebens aber leicht faßlich in helles Licht gerückt werden, wird aber auch jeder Natur- freund, der für die ihn auf Schritt und Tritt umgebende Welt erhöhtes Verständnis zu gewinnen trachtet, aus dem vorliegenden Buche die reichste Anregung schöpfen. Kbr. Dr. F. Malina, Über Sternbahnen und Kur- ven mit mehreren Brennpunkten. 15 S. mit 13 Fig. Wien, L. VV. Seidel & Sohn, 1907. — Preis I Mk. Hätte der Verf. sich damit begnügt, auf die von ihm konstruierten, vom mathematischen Standpunkt aus interessanten Kurven hinzuweisen, so könnte man ihm Beifall spenden. Diese Kurven entstehen sämt- lich durch Fadenkonstruktionen. Ein der Ellipse einigermaßen ähnelndes Oval ergibt sich z. B. als Ort für alle die Punkte, für welche der dreifache Abstand von einem gegebenen Punkt Fj vermehrt um den einfachen Abstand von einem anderen Punkt F^ konstant ist. F, liegt für diese Kurven innerhalb, F.j außerhalb des Ovals. Daß nun aber solche Kur- ven, und nicht Ellipsen, die wahren Bahnen der Planeten darstellen sollen, lediglich weil sie eben im Inneren nur einen Brennpunkt haben , ist eine Be- hauptung von solcher Ungeheuerlichkeit, daß man sie einem mathematisch geschulten Manne nicht zu- trauen sollte. Daß dem zweiten Brennpunkt der Planetenbahnellipse lediglich eine mathematische Be- deutung zukommen soll, während im ersten die Sonne steht, erscheint dem Verf. so unbegreiflich , daß ihn weder die analytische Ableitung der elliptischen Be- wegung aus dem Gravitationsgesetz , noch die vor- zügliche Übereinstimmung zwischen Beobachtung und Rechnung befriedigen kann! Solchen Eigenbrodlern kann niemand helfen. Mögen sie sich immerhin die Welt nach ihrem Kopfe zurechtlegen , die Wissen- schaft kann darüber nur zur Tagesordnung übergehen. Kbr. Prof. Dr. Kuenen, Die Zustandsgieichung der Gase und Flüssigkeiten und die Kontinuitätstheorie. 6o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 38 Heft 20 der Sammlung „Die Wissenschaft". 241 Seiten mit 9 Abb. Braunschweig, J. Vieweg, 1907. — Preis 6,50 M., geb. 7,10 M. Unsere gegenwärtigen Kenntnisse über alle mit der Gleichung von van der Waals zusammenhängenden Probleme werden in dieser Monographie übersichtlich und klar zur Darstellung gebracht. Die einschlägige Literatur ist vollständig angegeben und auch auf die zurzeit noch verbleibenden Lücken wird volles Licht geworfen. Verf erweist sich als eifriger Verfechter der Kontinuitätstheorie von Andrews und sucht die Einwürfe gegen dieselbe zu entkräften. Im 13. Kap. werden auch die von Clausius, Berthelot und Dieterici aufgestellten Zustandsgieichungen besprochen und im letzten Kapitel werden die mathematischen Methoden der Herleitung der Zustandsgieichung entwickelt. Kbr. künde und Geologie), J. Flath (Mathematik), A. Möbusz (Biologie), K. Schaum (Physik etc.). Durch den reichen Literaturnachweis wird das anregende Buch jedem Lehrer sehr treffliche Dienste leisten können. Kbr. Prof. F. Auerbach, Das Zeißwerk und die Carl Zeiß-Stiftung in Jena. 3. Aufl. 166 S. mit 97 Abb. und einem Bildnis von Abbe. Jena, G. Fischer, 1907. — Preis 2,40 Mk., geb. 3 Mk. Daß von der vorliegenden Schrift binnen vier Jahren drei Auflagen erforderlich wurden , ist der beste Beweis dafür, wie verbreitet das Interesse an jenem technischen Musterbetriebe ist, der in der wissenschaftlich - optischen Industrie seit Jahrzehnten die führende Stellung einnimmt. Der Verf hat es selbstverständlich nicht versäumt, in der neuen Auf- lage die neuesten Erzeugnisse des Jenenser Erfindungs- geistes gebührend zu würdigen. Es sei hier nur an das Ultramikroskop, das Uviolmikroskop, den Veranten und den Stereokomparator erinnert. Außerdem ist namentlich die Schilderung der so- zialen Organisation der Carl Zeiß-Stiftung im Vergleich zur ersten Auflage weit ausführlicher gestaltet worden, so daß sie nunmehr einen klaren Einblick in diese hochherzige, aber durchaus nicht utopistische Schöp- fung gewährt. Die Heliogravüre, die uns ein leben- diges Bild des Begründers dieser Stiftung vor Augen stellt, gereicht dem Buche in hohem Maße zur Zierde. Kbr. Pädagogische Jahresschau, herausgegeben von E. Clausnitzer. I. Band, 1906. 411 Seiten. Leipzig, B. H. Teubner. — Preis geh. 4 M., geb. 5 M. Der Band gibt in fortlaufender Darstellung mit übersichtlicher Gruppierung des reichen Stoffes eine Zusammenfassung der auf den verschiedensten Ge- bieten der Pädagogik im letzten Jahre laut gewordenen Bestrebungen, wobei auch die Fortschritte der reinen Wissenschaft, insoweit sie für den Pädagogen Bedeu- tung haben, kurz angeführt werden. Eine große Reihe klangvoller Namen führt das Verzeichnis der Mit- arbeiter auf Zu dem allgemeinen Teil haben v. Sal- brück sen., A. Heumann, A. Sachse, W. Koesling, O. K. Schumann, W. Muthesius, H. Walsemann, M. Mehner und J. Blanert Beiträge geliefert, während als Mitarbeiter für die einzelnen naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächer hier genannt seien E. Schöne (Erd- Literatur. Güßfeld, Paul, Jul. Falkenstein u. Eduard Pechuel-Loesche: Die I.oango- Expedition, ausgesandt v. der deutschen Ge- sellschaft zur Erforscht;. Aquatorial-Afrikas 1873—1876. Ein Reisewerk in 3 Abtlgn. Mit lUustr. v. A. Görin<;, M. Lacmrael, G. Mützcl, O. Hcrrfurth. III. Abllg. 2. Hälfte. (S. 305— 316 u. VIII. 503 S. m. Abbildgn.) Lex. 8». Stuttgart '07, Strecker & Schröder. — 24 Mk. Hering, Prof. Ewald: Grundzüge der Lehre vom Lichlsinn. [Aus: ,,Handb. d. Augenheilkunde."] 2. Lfg. (S. 81 — 160 ni. 20 Kig. u. 2 Taf.) gr. 8". Leipzig '07, W. Engelmann. — 2 Mk. Liebig, Justus v., und Emil Louis Ferdinand Güssefeld: Uriefwechsel 1862—1866. 22 Briefe Liebig's, zugleich ein Beilrag zur Geschichte der Industrie künstl. Dünger in Deutschland. Mit Anmerkgn. u. Erläutergn. versehen. Hrsg. V. Dr. O. E. Güssefeld. (VIII, 72 S.) gr. 8». Leipzig '07, J. A. Barth. — 3 Mk. Pechuel-Loesche, Prof. Dr. E. : Volkskunde v. Loango. Mit Illustr., gezeichnet v. A. Göring, M. Lacmmel, G. Mützel, O. Hcrrfurth. [Aus: „Güßfeldt usw., d. Loango-Exped."] [V, 482 S. m. 24 Abbildgn. u. 5 Taf.) Lex. 8°. Stuttgart '07, Strecker & Schröder. — 24 Mk., geb. in Halbfrz. 27 Mk. Vegetationsbilder, hrsg. v. Proff. DD. G. Karsten und H. Schenck. V. Reihe. 31,5X24 cm. Jena, G. Fischer. — Jedes Heft, Subskr.-Pr. 2,50 Mk., Einzelpr. 4 Mk. Velenovsky, Prof. Dr. Jos.: Vergleichende Morphologie der Pflanzen. II. Tl. Mit 300 in den Text gedr. Abbildgn. u. 3 lilh. Doppeltaf. (III u. S. 279—734.) Lex. 8». Prag '07, F. Rivnäc. — 15 Mk. Wahnschaffe, Geh. Bergr. Prof. F., Cust. P..Graebner, Cust. Prof. Fr. Datil, DD.: Der Grunewald bei Berlin, seine Geologie, Flora u. Fauna. Gemeinverständlich dargestellt. Mit c. Anh. : Kultureinflüsse auf Sumpf u. Moor v. Landes- geol. Prof. Dr. H. Potonie. (56 S. ro. 10 Taf.) 8». Jena '07, G. Fischer. — I Mk. Weinschenk, Prof. Dr. Ernst: Grundzüge der Gesteinskunde. II. Tl. Spezielle (lesteinskunde m. besond. Berücksichl. d. geolog. Verhältnisse. 2., umgearb. Aufl. (X, 362 S. m. 186 Fig. u. 6 Taf.) gr. 8". Freiburg i. Er. '07, Herder. — 9,60 Mk., geb. in Leinw. 10,30 Mk. Wörterbuch, zoologisches. Erklärung der zoolog. Fachaus- drucke. Zum Gebranch beim Studium zoolog., entwicklungs- geschichtl. u. naturphilosoph. Werke verf. v. DD. Priv.-Doz. E. Brcsslau, Prof. J. Eichler, E. Fraas u. a., hrsg. v. Prof. Dr. H. E. Ziegler. 1. Lfg. (XVI, 208 S. mit 196 Abbildgn.) Lex. 8». Jena '07, G. Fischer. — 3 Mk. Zimmermann, Fr.; Flora der Pfalz. Exkursionsflora von Mannheim, der bad. u. bayr. Pfalz m. Einschluß der Farn- flora u. der Advenlivpflanzen 1876 bis 1907. [Aus: „Mit- teilgn. d. had. botan. Vereins".] (65 S.) gr. 8". Mann- heim '07, F. Ncmnioh. — 2 Mk. Anregungen und Antworten, Herrn Dr. F. in Wangeroog. — Sie fragen: ,,lst das Licht der bekannten, grünen Coroniumlinie im Zodiakallicht und Polarlicht polarisiert? Ist ' das Licht der Kryptonlinien im Polarlicht polarisiert-" Antwort: In den vollständigsten und neuesten Lehrbüchern (Valentiner, Handwörterbuch der Astronomie, und Arrhcnius, Lehrbuch der kosmischen Physik) ist nirgends von Beobach- tungen über Polarisation bestimmter Linien des Zodiakallichts öde*!- Polarlichts die Rede. Nur vom Zodiakallicht sagt Arrhenius (S. 202), daß es ein kontinuierliches, die Sonnen- linien enthaltendes Spektrum zeige und polarisiert sei. Bei der außerordentlichen Zartheit und Schwäche dieser Licht- phänomene mögen wohl etwaige Versuche, Polarisation an N. F. VI. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 607 den ciii/.clncn Spcklrallinicn nachzuweisen, bis jetzt ohne I'-r- fiilg geblieben sein, bewirkt docli ein Nikol'schcs Prisma stets einen sehr bedeutenden Lichtverlust. Kbr. Herrn F. O. in Berlin. — l'ber die Ursachen der auf- fallenden Farbenabänderungen bei der Wegschnecke, An'on utcr L. (.1. , nipiiiciirum Fer) finden wir in !•' r. 1, e y d i g , ,,IIorae zoologicae" (Jena 1902), einem Buch, das uns über so viele, die einheimische Fauna betretTeude Fragen Auskunft erteilt, auf S. 88 f. folgende Angabe: ,,An Ariou empiricorum gemachte F.rfahrungcn ließen das Dunkelwerden des Tieres mit der Feuchtigkeit des Wohnortes in Verbindung bringen; wozu abermals wiederholt sein mag, daß man sieh oft in Ver- legenheit Vielindet, wenn man über jeden einzelnen Fall sich Rechenschaft geben will. So ist z. B. auffällig, daß am Leistenberg bei Würzburg Arion empiricorum tief schwarz auf- tritt, ja an der Winterseite des Berges sogar mit geschwärzter Fußsohle, ganz so wie ich es an den feuchten Stellen des Rhön bemerkte. Sollte man sich dies Verhalten vielleicht damit erklären , daß aus dem gedachten Berge (Quellen ent- springen?" — Im Anschluß an diese .Ausführungen verweist Leydig auf seine eingehendere Arbeit über den Gegenstand (Arch. f. Naturg. Bd. 42 I, 1876, S. 266—270). — Ich habe bei meinen Reisen , die ich zur Erforschung der Spinnen- fauna in den letzten Jahren durch ganz Deutschland unter- nommen habe , überall auch auf die Farbe von Arion ater geachtet und gefunden, dr.fl es sehr viele Beispiele gibt, die, ebenso wie der schon von Leydig selbst angegebene F'all, mit der Leydig'schen Erklärungsweise in Widerspruch stehen und glaube deshalb mit Bestimmtheit annehmen zu dürfen, daß dieselbe nicht haltbar ist. Ein sehr auffallendes Beispiel liefert der Teutoburger Wald. In dem feuchten nörd- lichen Teil ist die Schnecke schön rot, in dem trockensandigen südlichen Teil kohlschwarz. Gerade der Teutoburger Wald führte mich auf eine andere Erklärungsweise : Der nördliche Teil ist sehr kalkreich, der südliche sehr kalkarm und, soweit meine Erfahrungen bis jetzt reichen , kommt die rote Form auch sonst ohne Ausnahme auf kalkreichem, die schwarze Form ohne .Ausnahme auf kalkarmem Boden vor. Die Schnecken nehmen den Kalk wahrscheinlich niemals direkt, sondern nur in ihrer Pflanzennahrung in sich auf. Dahl. Noch einmal komme ich hier auf den Schlaf des Hasen zurück. Die Mitteilung von Herrn Dr. Schaff, auf welche Herr Dr. Reeker (S. 521 ds. Bds. der Naturw. Wochcnschr.) hinweist, ist mir sehr wohl bekannt. Ich habe sie, nebst vielen anderen Stimmen für und wider, nicht mitgeteilt, weil ich Aufsätze, die im Plauderton in einer Jägerzeitung oder einer ähnlichen populären Zeitschrift veröffentlicht sind , bei Beantwortung der an die Naturw. Wochcnschr. gerichteten Fragen prinzipiell nicht berücksichtige. Ich stütze mich nur auf Arbeiten, die völlig einwandfrei sind und ich glaube da- mit nach dem Wunsche der Leser zu handeln. — Ein For- scher, der ein Resultat seiner wissenschaftlichen Forschung veröffentlichen will, tut dies nicht im Plaudertom in einer populären Zeitschrift. Natürlich liegt es mir fern, den Wert der populären Zeitschriften irgendwie herabsetzen zu wollen. Ich kann mir sehr wohl denken, daß ich selbst einen Aufsatz im Plauderton für eine Jägerzeitung schreibe. Ich verlange dann aber, daß man an diesen einen anderen Maßstab anlege als an meine wissenschaftlichen .Arbeiten. — Wer im Plauder- ton schreibt, entzieht sich eigentlich damit der wissenschaft- lichen Kritik und ich würde an dem Schaf f'schen Aufsatz sicherlich keine Kritik üben, wenn demselben nicht durch den Reeker 'sehen Hinweis eine andere Bedeutung beigelegt würde, als der Verfasser vielleicht selbst wünscht. — Für eine wissenschaftliche Arbeit ist die Schäff'sche Mit- teilung viel zu wenig eingehend Über manche Einzelheiten, auf die es gerade ankommt, wird nichts gesagt. So ist vor allen Dingen von Wichtigkeit, wie lange die Augen völlig geschlossen blieben. — Im zoologischen Garten zu Berlin be- finden sich zwei Hasen von T.ep>is europaeus Pall. Der eine ist sehr zahm. Er ptlcgt sich deshalb gewöhnlich dem Publi- kum mehr zu nähern und sich auch höchst sorglos zu be- nehmen. Er eignet sich vorzüglich zur Beobachtung. Wer wissenschaftlich brauchbare Beobachtungen machen will, muß aller viele .Stunden ojilern. — Einen Zustand, wie ilin Schaff schildert, beobachtete ich bei dem genannten Hasen wieder- holt. Es liedarf gar keiner großen Geduld, um bei ihm das teilweise Sclilicfien der Augenlider zu beobachten. Bis auf einen nicht ganz engen Spalt sah ich dieselben oft zusammen- treten. In dieser Lage pflegten sie dann längere Zeit zu ver- harren, bisweilen völlig unbeweglich. Ich halte diese An- näherung der Augenlider, weil sie so häufig eintritt, für eine Ruhelage, die wir bei unserem eigenen Auge nicht kennen. Bei uns bedarf es einer gewissen Anstrengung, die Augenlider auch nur kurze Zeit in dieser Stellung verharren zu lassen. Wir haben hier also einen unverkennbaren Gegensatz zwischen unserem Auge und dem des Hasen vor uns. — Der Hase kann sein Auge übrigens auch völlig schließen. Ich habe das wiederholt gesehen. Es dauerte das völlige Schließen aber immer nur sehr kurze Zeit, nur wenige Sekunden, und ich habe die Überzeugung gewonnen , daß dieser völlige Schluß dem Hasen eine gewisse Mühe macht, genau so wie bei uns das unvollkommene Schließen einige Anstrengung erfordert. Auch Schaff fügt hinzu, nachdem er mitgeteilt h.at, daß die Augen sich völlig schlössen: ,,Doch war der Schlaf sehr leicht und jedes mäßige Geräusch genügte, um den Schläfer zu wecken." Daß es sich in den von mir beobachteten Fällen, wenn der völlige Schluß wieder aufgehoben wurde, nicht um eine Ruhestörung handelte , ging schon daraus mit Sicherheit hervor, daß die .Augenlider sich nicht sofort völlig öffneten, sondern wieder in der genannten Ruhelage, d.i. mit spaltartiger Öffnung verharrten. — Wenn man die Augen des Hasen beim Schlafe halb offen oder halb geschlossen genannt hat, so wollte man jedenfalls die hier geschilderte Stellung der Augen- lider andeuten. Daß an eine mathematisch genaue Halbie- rung bei dem Ausdruck nicht gedacht wurde, ist selbstver- ständlich. Es stimmt also meine Beobachtung mit derjenigen überein, welche andere in d er fr ei en Natur gemacht haben wollen (vgl. z. B. Naturw. Wochcnschr. N. F. Bd. 5, S. 496). — Ich halte, wie schon oben angedeutet wurde, den nicht völligen Schluß der Augen für eine normale Ruhelage, und vermute, daß dieselbe auch beim Schlafe des Hasen eintritt. Da der völlige Schluß allem Anscheine nach eine gewisse Anstrengung erfordert, würde er schon deshalb beim Schlafe kaum eintreten können. — Der Grund des unvollkommenen Schlusses dürfte, wie dies auch schon manche der früheren Forscher annahmen, die geringe Ausdehnung der Augenlider sein. — Was den Zweck des unvollkommenen Schlusses an- betrifft, wenn wir im übertragenen Sinne von einem solchen sjireehen dürfen, so hängt derselbe jedenfalls mit der expo- nierten Lebensweise des Hasen zusammen. Während das Kaninchen* in seinen Bau schlüpfen kann, besitzt der Hase nichts als seine Schutzfarbe. — Ein wirkliches Bild wird der Hase mit dem Spalt kaum wahrnehmen können. Wohl aber wird der Unterschied zwischen hell und dunkel , der schon bei geschlossenem Auge wahrgenommen wird, einen viel intensiveren Reiz auf die Netzhaut ausüben und dieser Reiz wird vielleicht genügen, den Hasen beim Anschleichen eines Feindes zu wecken. Es ist also klar, daß der Spalt dem bei Tage schlafenden Hasen, neben dem Gehör, den Feinden gegenüber große Dienste leisten kann, und wenn Schaff in seinem Buche ,, Jagdtierkunde" (Berlin 1907, S. 168) meint, „daß es eine geradezu unerhörte Erscheinung wäre, wenn ein so wichtiges und empfindliches Organ wie das Auge wäh- rend des Schlafes des Tieres völlig ungeschützt und allen schädlichen Einflüssen ausgesetzt wäre", so möchte ich dem gegenüber fragen, was wichtiger ist, der Schutz des Auges oder der Schutz des Lebens. — Darf ich also meinen Ge- dankengang noch einmal kurz formulieren, so ergibt sich fol- gendes: l) Man sieht das Auge des Hasen in der Gefangen- schaft häutig bis auf einen ziemlich weiten Spalt geschlossen. 2) Da diese Haltung der Augenlider so häufig eintritt, handelt es sich offenbar um eine normale Erscheinung. 3) In Freiheit hat man den Hasen , soweit ich sehe , niemals mit völlig ge- schlossenen .Augen , öfter dagegen mit derartig einander ge- näherten Augenlidern beobachtet. 4) Der unvollkommene Augenschluß gewährt dem Hasen bei seiner exponierten Lebens- weise sicherlich bedeutende Vorteile. — Ich glaube danach mit einiger Sichheit annehmen zu dürfen, daß der Hase beim Schlafe in Freiheit seine Augen nicht schließt Dahl. 60 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 38 Herrn B. B. in Altcuburg. — Wie L')r d p y r am i d e n entstehen, kann man im kleinen , z. P. nach starken Regen- güssen an kahlen Böschungen beobachten, die aus Sand-, Lehm- oder Ton-Massen bestehen , die größere einzelne Steinchen beigemengt enthalten. Der auftrefTende Regen spült das feinere Material hinweg; kommt ein Steinehen, so schützt es die darunter betindliche Sand-, Lehm- oder Tonmasse wie ein Regenschirm, wodurch nur die Umgebung weggeschwemmt wird und kleine Pyramiden mit je einem Steinchen an ihrem Gipfel stehen bleiben. Sehr schön habe ich diese Entstehungs- weise z. B. an unbewachsenen (frischen) Chausseegraben- böschungen im Schwarzwalde im vorigen Jahre beobachten können. Die Genesis der Erdpyramiden ist demnach eine höchst einfache. Die beigegebene Figur veranschaulicht diesen Vorgang. Sie ist Walther's Vorschule der Geologie, Verlag von Gustav Fischer in Jena (3. Aufl. in Vorbereitung), ent- nommen, der als Erläuterung zu dieser Figur sagt : Entstehung von sogenannten Erdpyramiden aus einem (links) von Steinen durchsetzten, sandig - tonigen Gestein, das vom Regenwasser durchfurcht wurde, wobei die Steine als Schutz für das darunter befindliche Gestein dienten und allmählich auf hohen Stielen herausmodelliert wurden. Nicht nur hier im Kaligebiete selbst, sondern auch in ganz Deutschland, ja vielleiclit in der ganzen Welt hat man Gelegenheit, die riesige Reklame der Kaliwerke in Wort, Hild und Ausstellungen zu beobachten. Der Einfluß der Kalidüngung auf das Wachstum der Pflanzen ist ja zu augensclieinlich, um nicht von jedem erkannt zu werden. Wie steht es aber mit dem inneren, anatomischen Bau und der Lebenstätigkeit der Pflanzen bei gesteigerter Kaliaufnahme? (Ich denke vorläufig nur an das Kalium.) Wird die Speicherung der Reserve- stoffe im Getreide, in den Hülsenfrüchten, in den Kartoffeln etc. auch dem äußeren Wachstum entsprechend gefördert? Von Landwirten wurde mir gesagt, daß das mit Kali gedüngte Getreide weniger widerstandsfähig gegen das Lagern sei. Es soll dies aV»er nicht an der üppigeren Entfallung der Laub- teile, sondern mehr an dem schwächeren Bau der Ilalmknoten liegen. Ist diese Tatsache richtig? Liegen darüber schon Arbeiten vor? Welchen Einfluß üben nun die stark mit Kali gedüngten Pflanzen auf die sie fressenden Tiere aus? Von Landwirten hörte ich auch hier wieder, daß die Tiere danach die sog. engl. Krankheit bekämen, daß Knochenbrüche in den Gelenken bei ilinen in Kaligegenden liäufiger würden. Ist aucli dies auf den nacliteiligen Einfluß des Kalis zurückzuführen ? Wie steht es nun mit dem Einfluß auf den menschlichen Organismus? Bekanntlich schmecken ja die mit Kali gedüngten Gemüse viel schleciiter als die auf Stalldung gewachsenen. Da doch Kali (als Element betrachtet) für unseren Körper Gift ist, so wäre eine nachteilige Beeinflussung unserer Ver- dauungsorgane durch Kalipflanzen wohl denkbar. Liegen Experimente und Versuchsreihen über die Schatten- seiten des K. bereits vor? E. M. Herr Geh. Regierungsrat Prof L)r. (>rth giiit aut Ihre Fragen freundlichst die folgende Auskunft: Zu den verschiedenen interessanten Fragen ist zu bemerken, daß sie zum Teil wissenschaftlich noch nicht genau genug untersucht sind, daß zum Teil bei event. beobachteten Nach- teilen die falsche Art der .Anwendung der Grund gewesen sein mag. Die großartigen Erfolge der Kalidüngung (insbesondere auf den kaiiarmen Moor- und Sandböden) werden nicht be- stritten. Und sogar auf den kalireicheren Lehm- und Tonböden hat sich ein vermehrter Kaliersalz vielfach als notwendig gezeigt. Daß übermäßig üppig gewachsenes Getreide leichter vom Lager zu leiden hat, ist gegenüber jeder zu reichen Düngung anzunehmen und der Landwirt wird darin das nötige Maß zu halten haben. Namentlich die zu einseitige Düngung ist dabei besonders zu berücksichtigen (cf. das Liebig'sche Gesetz des Nährstoffminimums). Wenn also Knochenbrüchigkeit beim Vieh vorgekommen ist, so kann dies mit Kalkarmut des Bodens und vernachlässigter Kalk- und Mcrgeldüngung zusammen- hängen. Was den Einfluß auf den menschlichen Organismus betrifft, so ist auch dafür eine zu einseitige Düngung zu vermeiden. Zunächst werden die kalihaltigen Gemüse in großen Städten im allgemeinen für die Ernährung des Menschen vielfach zu wenig gewürdigt. Es wird hier, wie in allen Dingen, auf das richtige Mafihalten ankommen. O. Herrn S. in Graubünden. — Zum Zwecke der Einführung in einer Töchter- Handelsschule empfehlen wir Ihnen die Prüfung folgender Bücher: Botanik: Smalian, Pflanzenkunde (Leipzig, G. Freytag), S c h m e i 1 , Botanik (Stuttgart, Nägele). Sc hm eil, Zoologie (Stuttgart, Nägele). Lorsch eid, Chemie (Freiburg, Herder). W a e b e r, Lehrbuch der Physik (Leipzig, F. Hirt), P o s k e , Unterstufe der Naturlehre (Braunschweig, F. Vieweg). Bork, Crantz, Hentzsehel, Mathem. Leit- faden für Realschulen (Leipzig, Dürr). Es mag aber auch andere, dem Mädchenschulunterricht und den Bedürfnissen des praktischen Lebens noch besser angepaßte Schulbücher geben, über die Ihnen vielleicht Pro- spekte ähnlicher .\nstalten Auskunft geben könnten. Zoologie : Chemie : Physik : Mathematik : Herrn Prof A. — Tannen und Fichten erneuern den verloren gegangenen Gipfel wieder in der ur- sprünglichen Form, wenn die Bäume sonst lebenskräftig sind. Herr Barth old teilt uns z. B. diesbezüglich das Fol- gende mit : In einem \'orgarten ganz nahe meiner Wohnung sind 1877 zwei Fichten gepflanzt. Die eine davon wurde Weihnacht 1882 zum Christbaum gestohlen und, weil sie dem Diebe zu groß sein mochte, in Höhe eines Meters abgeschnitten. Wie gewöhnlich begann bald einer der Zweige sich aufwärts zu biegen, um den Wipfel zu ersetzen. Da entwickelte sich aber, wenn ich nicht irre im dritten Jahr, ein Leittrieb, der seitdem den Stamm völlig gerade weiter geführt hat. Der Baum ist jetzt etwa 8 m hoch, ganz regelmäßig steigt der Stamm auf, kein Absatz kennzeichnet die Stelle, wo er einst abgeschnitten wurde, auch für die Wissenden ist sie nur daran kenntlich, daß die Schnittfläche von dem Zweige, der als Gipfelersatz sich verstärkte, sichtbar geblieben ist. Der Altersunterschied zwischen dem Stammteil unter und über der Schnittfläche wird auf 8 Jahre zu schätzen sein; denn der 1882 abgeschnit- tene Christhaum hatte wohl fünf Jahrestriebe, und dieser Altersunterschied ist schon seit einer Reihe von Jahren durch schnelles Wachstum des oberen Teiles völlig ausgeglichen ! Inhalt ; Dr. W. G o t h a n : Pflanzengeographisches aus der paläozoischen F'lora. — Kleinere Mitteilungen : Dr. L. G r e p p i n : Die geistigen Fähigkeiten der Vögel. — Dr. Vladislav Ruzicka: Die Frage der kernlosen Organismen und der Notwendigkeit des Kernes zum Bestehen des Zellenlebens. — Prof. Hergesell: Meteorologische Beobachtungen über dem Meere. — Planetoiden der Jupitergruppe. — Donnan und Lewis: Über den Farben Wechsel von Kobalt- und Kupferchlorid in Lösung. — Wetter- Monatsübersicht. — Bücherbesprechungen: Dr. Marianne Plehn: Die Frische des Meeres und der Binnengewässer. — Dr. Carl Holtermann: Der Einfluß des Klimas auf den Bau der Pflanzengewebe. — P. Säurich; Das Leben der Pflanzen. — Dr. F. Malina: Über Sternbahnen und Kurven mit mehreren Brennpunkten. — Prof. Dr. Kuenen: Die Zustandsgieichung. — Prof. F. .Auerbach: Das Zeißwerk und die Carl Zeiß-Stiftung in Jena. — Pädagogische Jahresschau. — Literatur: Liste. — Anregungen und Antworten. \'eraiil\\ örtlicher Redakteur: I. \'. : Prof Dr. F. Koerber, Groß-Lichterfclde- West h. I'.erlin. Druck von Lippert it Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge VI. Band; der ganien Reibe XXII. Band. Sonntag, den 29. September 1907. Nr. 39. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten , wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. eitra. Inserate: Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei gröfieren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. [Nachdruck verboten.] Athanasius Kircher's Buch über die Pest nebst Abbildungen der Pestbazillen. Von Dr. Petri, Kuiserl Über Kircher's Lebensschicksale haben wir uns schon früher') ausgelassen. Seine gelegent- lichen Verdienste als Chemiker werden aber übertreffen von denen, welche er in seiner Eigen- schaft als Arzt verlangte, trotzdem er nicht als solcher, wie wir sagen, approbiert war. Er ge- steht dies selbst ein in seinem Buche über die Pest, wie wir sehen werden. Er nennt dasselbe ein scrutinium physico-medicum, also eine medi- zinisch-ärztliche Untersuchung.'") ') Siehe Athanasius Kirchers Destilliermethodcn von Dr. Petri, Kais. Geh. Reg.- Rat. Naturw. Wochenschr. 1907, Nr. 36. ^) Der ganze Titel heißt: Athanasii Kircheri e so- ciet. Jesu scrutinium physico-medicum contagiosae luis , quae Pestis dicitur. Quo origo, causae, signa, prognostica Pestis, nee non insolentes malignantis Naturae effectus, qui statis temporibus, coclestium influxuum virtute et efficacia , tum in Elementis, tum in epidemiis hominum animantiumque morbis elucescunt, una cum appropriatis remediorum .\ntidotis nova doctrina in lucem erun atur. Ad Alexandrum VII, Pont. Opt. Max. Romae, Typis Mascardi , 1658, Superiorum Per- missu. Auf Deutsch: Athanasius Kircher's, von der Gesellschaft Jesu, ärztlich • medizinische Untersuchung über die ansteckende Seuche, welche die P es t genannt wird. In derselben leuchten . Geheim. Rcgierungsr.it. Was er in diesem Buche über die Pest sagt, ist in der Tat durchaus mitteilenswert. Der Verfasser besitzt durch Zufall ein in Schweinsleder gebundenes schönes Exemplar dieses Baches, das Athanasius Kirch er per- sönlich mit seiner Handschrift versehen h a t. Er schreibt unter dem Titelblatt : E x c e 1 1""" Viro, D. Cerniero Medico Maj" ducis — A u t h o r. Also ein Dedikationsexemplar von Kirch er selbst 1 ■') der Ursprung, die Ursachen, die Symptome und die Prognose der Pest hervor. Dieselbe ist eine Erscheinung der unge- wöhnlich böswilligen Natur, welche zu gegebenen Zeiten durch Kraft und Wirksamkeit himmlischer Kinflüsse sowohl bei den Elementen als auch bei den ansteckenden Krankheiten der Menschen und Thicre hervortritt. Mit geeigneten Heil- mitteln durch eine neue Unterweisung bekannt gemacht. Ge- widmet .\1 exander VII., Papst zu Rom. Gedruckt bei Maskard 1658 mit Erlaubnis der Vorgesetzten. '} Außer dieser, in dunkelschwarzer Tinte geschriebenen Widmung zeigt das Titelblatt noch zwei Inschriften: Ad usum Petri Pauli Dors. Gallo ex haere. de Petri Cernieri. Diese Inschrift ist mit blasser Tinte geschrieben und befindet sich unmittelbar über der ersteren. Eine dritte, ebenfalls blaß geschriebene Inschrift findet sich in der Mitte des Titelblattes: delDoct. Viligiardi. 6io Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 39 Er widmet sein Buch Alexander VII., dem Papst. Die Widmung ist vom 22. Februar 1658. Dann folgt die eigentliche Einleitung, das pro- oemium ad lectorem. Er sagt unter anderem in demselben; „Viele werden sich ohne Zweifel über meinen Entschluß, das gegenwärtige Werkchen herauszu- geben, wundern. Eine solche Veranstaltung, die außer allen Grenzen meiner Profession liegt, werden sie vielleicht sogar bespötteln. Sie fragen, wie ich mich als Überläufer von der natürlichen Stelle der Physiologie zu den Gefilden der Medizin begeben habe? Eine andere Antwort habe ich nicht, als diejenige, welche einst ein Hahn gab, der von einer Katze ergriffen war, daß nämlich mein Geist mir diesen inneren Trieb bereitet hat. Ich bin kein Arzt, ich gestehe es, und ich habe niemals ärztliche Praxis ausgeübt, die ja den Ge- setzen meiner Religion entgegengesetzt ist. Was nun? Wird es deshalb mir zum Fehler gereichen, wenn ich den von dem höchsten und besten Gott geschenkten Geistesfunken schleunigst anwende, um den alleredelsten und verborgensten Teil der Natur, welchen mit Recht die medizinische Fakultät als ihr gehörig ansieht, mit Eifer anwende? — Anwende, aufwende, verbreite, jede Furcht vor einem Prozeß habe ich verbannt; aller Kritiker Spott ausgestrichen, und zwar hauptsächlich im Vertrauen darauf, daß das Zukünftige wie ein Beweis nicht so sehr aus Instinkt des eigenen Geistes geschieht, als göttlicher Ehre und der Folge öffentlichen Wohles halber, welchem ich schon längst in dem Wettlauf der Literatur mich und alles das meine anvertraut habe. Es drängten dazu Fürsten und Privatleute, so daß ich bei der- artiger Bedrängnis und bei der verderblichen Zeit der Seuche ihren Bitten nachgab und göttlichen Zurufs halber zu einigem Gebrauche den Nieder- geschlagenen dasselbe übergebe und einen Nutzen herbeiführe usw." Alsdann kommt die eigentliche Schilderung der Pest, welche zu seiner Zeit in Italien wütete : „Als im Jahre 1656 eine sehr fürchterliche und seit allen Jahrhunderten unerhörte Pest Neapel, die volksreichste Stadt, erreichte und ungefähr 300000 Menschen innerhalb eines halben Jahres hinraffte, einer Zeit voll schrecklichen und fürchter- lichen Verlustes, geschah es durch ich weiß nicht welchen Zufall, oder durch eine unüberlegte Not- wendigkeit des Verkehrs, daß Rom zu derselben Zeit fast gar keine, jedenfalls viel niedere Nieder- lage erlitt als Neapel. Durch irgend eine heim- liche Geschäftsveranlassung waren daselbst die Saaten der ansteckenden Krankheit hineingetragen worden. Im Kampfe mit dieser würde sich ein Jahr und länger ohne Zweifel eine traurige Ver- heerung abgeleitet haben, wenn nicht die Frömmig- keit, Klugheit und unglaubliche Sorgfalt und rechtzeitig unterdrückter Kummer Alexander VII., unseres sehr heiligen Herrn, endlich dem Wüten Einhalt getan hätte. Dem ist so, und ein jeder möchte, hauptsächlich von dem Bildnis des Todes erschreckt, die Mittel für ein zukünftiges Heil nicht ohne Ängstlichkeit und Eingenommenheit suchen. Wenn er nicht von der gefahrbringenden Krankheit ergriffen ist, so wird er doch von ver- schiedenen und mannigfaltigen Symptomen ge- plagt, so daß er fast allen Pleiß der Ärzte ver- spielt zu haben scheint, und so zwischen ver- schiedenen Konsultationen derselben hin und her schwankt. Während nun mein obwohl leicht wiegendes Urteil über die wahre Ursache der Pest ausgeforscht wurde, habe ich es für ein Unrecht gehalten, dem Willen der Befehlenden und der öft'entlichen F"orderung nachzugeben. Inzwischen ist bei dem schrecklichen Stillschweigen der trau- rigen Stadt ein jeder Zugang zum collegium Romanum verschlossen. Meine lange gepflegten literarischen Argumente werden dargelegt. Bei dem höchsten Rückfluß der Hülflosigkeit habe ich die Materie, welche ich schon längst im Geiste gefaßt hatte, von dem Ursprung der Pest, gewagt mit zwar eifriger aber passender Arbeit vorzu- tragen. Da es mir aber ohne vorhergehenden Versuchsapparat zu schwer erscheinen würde, habe ich zunächst mit den Ärzten und Chirurgen, den Vorsitzenden des Krankenhauses (nosodochium), hauptsächlich mit dem sehr erfahrenen Arzt Julius Placentius mein Vernehmen mitgeteilt. Diesem sowohl wie auch anderen habe ich immer und immer beschworen, daß sie die eigentüm- lichen und ausländischen Symptome bei den er- griffenen und das andere wissenswürdige mit eifrigem Pleiß beobachteten und aufnotierten, auf- fänden und mir mitteilten. Dies haben sie mit wohlwollendem Geiste und willfährig vorzüglich geleistet. Dazu kommen noch und sind deshalb keineswegs außer acht zu stellen, die Ratschläge des Doktor Jacobus Albanus Gibbesius, eines in der Erfahrung der medizinischen Fakultät nicht nur berühmten, sondern auch unter wenigen derzeitigen Philologen einzigen Mannes. Nachdem ich alles dies endlich, wie sich's gehört, mit dem- jenigen verglich, was ich in den Anwendungen verschiedener Autoren über die mannigfachen Vorkommnisse der Pest gefunden habe, vollbrachte ich schneller, als meine Meinung war, die Unter- suchung gegenwärtigen Werkes. Damit ich aber bei einem so sehr verborgenen und selbst bei den Fürsten der Ärzte, bei Hippokrates und Galen, bis jetzt unbestimmten Stoffe den Teilen des eigenen Geistes nicht ohne Vorbehalt zu huldigen scheine, teile ich das physikalisch-medi- zinische Urteil (scrutinium) mit, wie es auch immer sein mag, von den vorzüglichsten Ärzten der Stadt. Deren erster, Joannes Benedictus Linibaldus, hochverdienter Professor der Me- dizin in dem Römischen Athenäum, ferner Paulus Zacchias, höchstberühmter Arzt am päpstlichen Hofe; drittens Hieronymus Bardius, hervor- ragender Doktor der Theologie und beiderseitigen Medizin, Männer, die an Weisheit und an Erfah- rung der verborgenen Medizin durch ihre Bücher dem Erdkreis bekannt sind. Durch eine gerechte N. F. VI. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 6ii Unterordnung habe ich niicli ihrer Untcrsucluing unterworfen, und durch ihren wohlwollenden liin- fluß hat mein Wcrkchen gewissermaßen Geist und Schmuck erhalten und das Tageslicht er- blickt usw." Dem eigentlichen Buche gehen, wie es damals gebräuchlich war, mehrere Zeugnisse voraus, und zwar „der sehr berühmten Stadtärzte, denen die Zensur dieses Werkchens übertragen war". Der erste ist Joannes Benedictus Lini- bai dus, ordentlicher Professor der praktischen Medizin am .Athenäum zu Rom. Derselbe sagt unter anderem von dem Buche: ,,Ks enthält wunderbare und bisher ungchörte Lehren, die übrigens von allen bisher unerreicht, und nur von einem Manne wie einem ( )dipus durchgängig gemacht sind usw." Dann folgen noch zwei ärztliche Urteile, so des Arztes Paulus Zacchias, des Arztes und iatrophilo-euchymicus Hieronymus ßardi. Schließlich noch drei Imprimatur von Priestern, nämlich dem Generalvorstand der Gesellschaft Jesu, Goswinus Nickel, dem M. A. Episc. Hierapol. Vicesg., dem sehr ehrenwerten Vater S. P. A. Magister Ord. Praed. Er teilt sein Buch in drei Teile ein.') ■) Die Überschriften der einzelnen Teile des Buches sind folgende : .\rzüich medizinische Untersuchung der ansteckenden Kr;inkhcit, welche gewöhnlich Pest genannt wird. I. Abteilung. Über den Ursprung, die Ursachen und die Wirkung der Fest. Kapitel I. Die Pest ist eine Geißel und ein Pfeil Gottes, den Mensclien wegen ihrer Sünden geschickt. Kap. 2. Über Erklärung und Bedeutung der Pest. Kap. 3. Über die Ursachen der Pest. g I. Die Pest kann auf verschiedene Weise aus der l'äulnis der Dinge entstehen. § 2. In welchem von den Ursachen der Pest, die aus angesteckter Luft hervorgeht, einige Sachen dargestellt werden. Kap. 4. Über die ansteckende Fäulnis und ihre nächsten und entfernten Ursachen. Kap. 5. Über die Pflanzschulen der Pest, oder eine reichlichere Erklärung der .Art und Weise der ansteckenden Fortpflanzung. Kap. 6. Die Unfruchtbarkeit, welche aus der von Nah- rungsmitteln der Menschen verletzten Feuchtigkeit entsteht; dann folgt der Hunger und auf den Hunger endlich die Pest. Kap. 7. Dafl gewisse unm erkli ch e Körperchen von der fortwährenden Fäulnis auf die um- liegenden Körper ausgehaucht werden, welche Ausflüsse Samen der Pest heißen. § I. Jedes Faule erzeugt an und für sich und aus seiner Natur Würmer. § 2. Daraus folgende Experimente — i. Experiment, 2. — 6. Experiment. Kap. 8. Die Fäulnis der Leichname der mit der Pest angesteckten von einem Hervorfließen sowohl lebender wie lebloser Körperchen ist Ursache der .Ansteckung. Beispiele, durch welche das über die Verbreitung der .•\nsteckung bisher Gesagte bestätigt wird. Folgerungen der neuen schon überlieferten Lehre. Kap. 9. Über die verschiedenen Unterschiede der Pest und ihre Ursachen. Kap. 10. Über die künstliche und durch Zauberei oder durch teuflische Kunst hervorgebrachte Pest. Wie erwähnt sind Kircher 's Ansichten über die Pest recht mitteilenswert und deshalb einem größeren Leserkreis wohl nicht uninteressant. Im ersten Teil des Buches schreibt er über Ursprung, Ursachen und Wirkung der Pest, im zweiten Teil über die verschiedenen Ursachen, welche die Natur und das Vorhaben der Pest an- gehen. Der dritte Teil erstreckt sich auf Therapie und Prophylaxe der Pest und Pestansteckung. Im ersten Kapitel wird u. a. die Pest als eine Geißel betrachtet. Der Pfeil Gottes hat den Menschen seiner .Sünden wegen getroffen. Sein stolzer Nacken soll sich beugen. Die Pest ist schlimmer als der Krieg. Kirch er sagt, daß ihn ein innerer Instinkt angetrieben hat, der Nachwelt das zu überliefern, was im göttlichen Willen aus der Pest sich als das nächste herausschälen lasse. Kap. 11. Über die Wirksamkeit der Gestirne bei der Erzeugung der Pest und ob aus gewissen sicheren Zeichen die .-Vnkunft der Pest erkannt werden kann. S I. Zeichen der von Gott zugelassenen Pest. § 2. Verschiedene Anzeichen von lebenden Wesen, Pflan- zen und Insekten, auf welche die Pest folgt. § 3. Zeichen vom Himmel und von der Luft. g 4. Einige Experimente und Beobachtungen über die Ansteckung der Luft. — Besondere Experimente der anstecken- den Luft. § 5. Zeichen der schon zugezogenen Pest. g 6. Zeichen der schon weggehenden Pest. II. Abteilung. Fragen über die verschiedenen Ursachen, welciie Natur und Vorhaben der Pest betreffen. Kap. I. Kann man sich durch reine Einbildung die Pest zuziehen? Kap. 2. Ob das Pest bringende Gift oder irgend ein anderer Giftkörper auf natürlichem Wege im menschlichen Körper erzeugt werden kann. III. Abteilung. Therapeutisches und Prophylaktisches, oder die Lehre von der Behandlung und Verhütung vor Pestansteckung. Kap. I. Über die Schwierigkeit in der Behandlung der Pest. Kap. 2. Über die Verhütungs- und Vorsorge-Bemühung. Kap. 3. Über die Natur und Eigenschaft der Gifte, und was für eine Art gewissermaßen fremdes Gift die Pest ist. Kap. 4. Galcns Methode die Pest zu kurieren kurz be- schrieben. Kap 5. Über einige sehr stärkende Vorbeugungsmittel. Kap. 6. Die chemische Art Einiger die Pest zu heilen. Kap. 7. Hippokrates Methode die Pest zu kurieren. Kap. 8. Über andere der Pest entgegengesetzte Heilmittel, Schluß des Werkes, Im Anschluß daran: Chronologie der hauptsächlich besonderen und berühmteren Pesten, die nach der .Sündflut bis zum gegenwärtigen Jahre den Erdkreis verwüsteten, zusammen- gestellt aus den meisten heiligen und prophanen Schriftstellern. An den Leser, TT^OOluäTtOf. etc. etc. — Am Schlüsse : 1656. Während des Papstes Alexander VII. und des Kaisers Ferdinand III. tand in Neapel jene in allen Jahr- hunderten berühmte Pest statt, die in einem Zeilraum von 5 Monaten an 300 000 Menschen dahingerafft haben soll. Das ganze Königreich Neapel litt bis aufs äußerste Verderben. Auch nach Rom kroch sie hinein, aber sie handelte gewisser- maßen aus Furcht vor der Heiligkeit und Frömmigkeit milder. Nachdem sie endlich Genua erreicht, erzeugte sie ein solches Hinsterben der Menschen, wie die Naclikommen. in besonderen Büchern beschrieben, bewundern werden etc. etc. 6l2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 39 In Kapitel 7 findet sich die erste Ahnung von einer Ursache der Pest, welche „ein eigenes Haupt", das „Wesen der belebten Dinge" hat. Die Überschrift lautet schon ganz eigen- tümlich.') Also gewisse Körperchen, welche die Pestfäulnis aushauchen, sind die Ursache der Pest. So sagt er : „Ein jeder Körper haucht ein natürliches Ge- misch seiner Eigenschaften aus. Diese sind Aus- flüsse, welche hier nicht für ihre Eigenschaften selbst zu nehmen sind. Sie werden vielmehr als gleich- sam zufällige von dem Subjekte besonders her- vorgebracht. Dies sind in Wahrheit eigentüm- licherweise sehr kleine Körperchen, keiner Kraft des Geistes erreichbar, gewissermaßen die sicheren Träger derjenigen Zufälligkeiten und Eigenschaften, welche von dem Subjekte ausfließen. Sie haben dieselbe Eigenschaft, wie das ganze Subjekt, welchem sie entfließen." Das ist gewissermaßen eine Vorahnung der Pestbazillen, vor allem der Umstand, daß sie dem ganzen „Subjekt" entfließen. Daß die Ursache der Pest belebt ist, dafür spricht auch folgende Stelle: „ . . . und so können sie (die vermiculi der Pest) nicht etwa des Lebens unteilhaftige, sondern vielmehr belebte Ausflüsse genannt werden. Das wird vielleicht dem Leser paradox erscheinen, aber wenn er die Experimente, welche vor einem Zeitraum von vielen Jahren durch die vorzüg- lichsten Mikroskope (smicroscopia) anerkannt sind, genauer kennen gelernt hat, dann wird er nicht nur glauben, daß dies sich so verhält, sondern er wird durch die Wahrheit eines eigentümlichen Experiments belehrt noch mehr als wir sagen bescheinigen." Diese „Würmer", vermiculi, sind sehr sonder- bar. Alles ist voll von ihnen, Wasser, Luft, Hagel, Schnee. Ein jedes Holz, jede F"rucht erzeugt beim Tode seine besonderen Würmer. Kircher benutzte bei seinen Studien über derartige Dinge ein smicroscopium. Zum ersten- mal wird dieses Instrument dabei erwähnt. Die Stelle heißt: „Daß die Luft, das Wasser, die Erde von zahl- reichen „Insekten" wimmelt, ist ebenso gewiß, daß es sogar dem Auge gezeigt werden kann. Bis jetzt ist allen bekannt, daß die Würmer aus faulen Körpern hervorgehen. Erst durch die wunderbare Erfindung des Mikroskops (smicroscopii) wurde erkannt, daß alle faulen Dinge voller junger Zucht zahlreicher Würmer voll sind, dem unbe- waffneten Auge nicht sichtbar. Auch ich hätte dies niemals geglaubt, wenn ich es nicht durch das sichere Experiment vieler Jahre erfahren hätte usw." Er sagt, daß zur Beobachtung solcher Dinge das Mikroskop nicht ein gewöhnliches sein dürfe, sondern ein von einer er- fahrenen Hand gemachtes, das die Ob- ') Siehe oben das Verzeichnis der Kapitelüberschriften. jekte in tausendfacher Vergrößerung darstelle. Er scheint das Vergrößerungsglas bei der Pest wirklich benutzt zu haben. Das Pestgift drängt nach K i r c h e r in die Dinge ein, wird deshalb: „ — nur sehr schwer von ähnlichen Dingen abgestreift, womöglich durch lange Abwaschungen mit Essig und durch häufige Ausleerungen des ausgelaugten oder, was das alleraufgenommenste Heilmittel ist, vermittels der Flamme des Feuers. Daher haben die Kleider und das mit ähnlicher Übertragung angesteckte Hausgerät zu jeder Zeit tragische Katastrophen hervorgebracht, sobald sie anderswohin übertragen wurden. So sind durch plötzliche und unerwartete Ansteckung nicht nur Städte sondern sogar Provinzen und Königreiche verwüstet worden." Und weiter: „Eine jede Fäul- nis wird gewissermaßen zu ihrer eigenen Ver- wendung Würmer hervorbringen, welche keinen Sinnen zugänglich sind. Die verschiedene P'äulnis der Flüssigkeiten erlangt aber in Betracht der verschiedenen Mischung der Säfte für das Gesetz der Vereinigung der böswilligen Säfte eine ver- schiedene Kraft, und verschiedene Kräfte bei der Tätigkeit. Daher muß die junge Zucht, welche daraus hervorgeht, um so mehr gefahrvoll sein, als ihr Gift beseelt ist und kräftiger als das un- beseelte." Und: ,,Denn es kriecht eine in blinden Schlupfwinkeln eingesessene Gewalt hervor. Wie mit dem Angriff eines heftigen Feuers stürzt sie alles heraus und bringt eine unerforscliliche Traurigkeit der Schwachen zustande, welche nur mit dem Tode endet." K i r c h e r erwies sich, obschon er wie gesagt kein Mediziner war, dennoch über ärztliche Dinge ganz gut unterrichtet. Als er sein Buch de peste schrieb, war ihm daher der pestähnliche ,, Englische Schweiß" wohl bekannt. Er schreibt darüber in Kapitel IX: ,,Es entsteht hauptsächlich in England eine gewisse Pest, die man englischen Schweiß nennt. Wer von demselben ergriften ist, der wird ausgelöscht. Binnen kurzer Zeit zerschmilzt ein massenhafter Schweiß den ganzen Körper. Nach Cardanus ereignet es sich so bei einigen Giften, welche mit der gleichen Eigenschaft ausgerüstet sind." Dieser englische Schweiß, sweating sickness, herrschte in England i486. Es erinnert an die Brüderschaft des heiligen Schweißtuches. In B e - sangon fand alljährlich am 3. Mai eine feierliche Prozession dieser Reliquie statt, weil sie 1544 die Stadt von einer pestartigen Krankheit befreit haben sollte. Kirch er fährt alsdann in Kapitel 9 folgender- maßen fort: ,,Die gewöhnliche Pest, obwohl sie mit derselben Kraft ausgerüstet ist, erzeugt dennoch verschiedene Effekte, sowohl an und für sich, als auch wegen ihres gegen die Menschen verschie- denen Temperamentes. Dies bezeugt die Athenien- sische Pest , welche nach Thucidides und N. l'. VI. Nr. 39 Naturwisseiiscliafllichc Wochensclirift. 613 Lukrez bei ciai^'cn wildes Abführen, bei anderen reichlichen Blulfluß aus der Nase hervorbrachte. Viele wurden haujjtsächlich von l'eripneumonien geplagt. Bei noch anderen erzeugte sie dysen- terische Darmgeschwüre, welche außerdem noch mit IMilzbeschwerdcn verbunden waren, (lanz das gleiche bewirkte einzig und allein die Pestan- sieckung bei versciiiedenen Menschen, nach Zeug- nis des Thucydides. Geradeso wie das Gift der Tarantel von einer und derselben Art die verschiedensten Effekte bewirkt, je nach der ver- schiedenen l{igenschaft der vom ,,Tarantismus", Tarantelgift, ergriffenen und ihrem natürlichen Temperament. Man lese darüber dasjenige nach, was ich auf das weitläufigste über das Gift der Tarantel in der ars magnetica dereinst auseinander- gesetzt habe." Und weiter: „Man erzählt, daß in Valentia in Spanien im Jahr 1648 plötzlich die l'est entstanden sei. Zuerst habe sie keinen anderen als die Schuster ergriffen, und sodann alle diejenigen, welche die von diesen gekauften Leisten und Schuhe gebrauchten. So habe sie durch kriechende Übertragung bald das ganze Reich ergriffen. Viel Wortstreit unter den Ärzten war die Folge einer so ungewohnten Über- tragung, lindlich erfuhr man, daß ein Schiff mit ledernen Sandalen und Korken beladen Algier erreiciit habe, welches an einer in Afrika hef- tigen Test laborierte. Die Schuster Valentias zogen sich ansteckende Ausflüsse zu und steckten zuerst diejenigen an, welche die Schuhwaren kauften, ferner diejenigen, welche sie immer ge- brauchten. Diese endlich infizierten unzählige an- dere mit der aufgenommenen Seuche. Auch ganz Sizilien wurde von der schrecklichen Seuche ergriffen, weil es nach Messana ihre mit ver- seuchtem Gift angesteckten Waren schickte." Daß die Pest, bevor sie den Menschen ergreift, irgend woanders existieren müsse, davon istKircher ganz überzeugt. Er sagt : „Im vorhergehenden haben wir gezeigt, daß die Pest, bevor sie irgend jemanden ergreift, stets irgendwo in der Luft, im Wasser, in der Erde oder in anderen Dingen, welche geheime Schlupfwinkel des I'euers ent- halten, sich aufgehalten hat. Daher kann nie- mand ergriffen werden, außer durch eine Kon- tagion, welche vorher in den angesagten Dingen liegt. So kommt es, daß mancher, sobald er irgend einen der Pest verdächtigen oder ein mit dem Ansteckungsstofif beschmutztes Hausgerät an- gerührt hat, oder sobald er einen häßlichen und ansteckenden Geruch verspürt hat, alsbald von ungeheurem Schrecken erschüttert und erregt er- scheint über die ergriffene Ansteckung. Sofort wird er argwöhnisch auf wunderbare Weise herum- getrieben, als ob es sich ums Leben handelt. Daher ist er unruhig und von ungeheurer Traurig- keit ergriffen. Er hält sich das Bildnis des Todes immer vor, mit einer Heftigkeit der phantastischen Kraft, welche allmählich alle Fähigkeiten ver- wirrt." Auch in Amerika kam die Pest vor. Da- von berichtet Kirch er: „Warum mögen in Amerika einige ansteckende Krankheiten nur den Eingeborenen verderblich sein, am wenigsten aber den anderswo geborenen Europäern und anderen? Ich glaube, daß die Ursache davon keine andere ist, als das verschiedene Temperament der Ein- geborenen, verglichen mit dem Temperament der I""remdgeborenen." Er verweist auf die Amerikanischen „Histo- riographen", auf Joseph us Acosta, Petrus Marter, Laetus, Garcia und ,, zahllose" andere.') Über die Ursachen der Pest spricht sich K i r c h e r gewissermaßen vorahnend aus. Er sagt : „daß die Pest meistens belebt ist, haben wir oben gelehrt. Denn der Kranke, angegriffen von pest- bringender Hitze, verursacht bald eine hervor- ragende P'äulnis. Eine solche ist, wie wir oben gelehrt haben, zur Erzeugung von Würmern am aller passendsten. Diese Würmchen, welche die l'est fortsetzen, sind aber so klein, so dünn und zart, daß sie jeden Sinnbe- griff verspotten. Nur mit einem ganz vorzüglichen Mikroskope sind sie zu entdecken, man möchte sie „Atome" n e n n e n. In einer großen Menge sprossen sie öfter hervor, so daß sie sich der Berechnung ent- ziehen. Von der Fäulnis werden sie erzeugt und geboren, und so werden sie aus allen Gängen und Poren des Körpers leicht mit schweißtreiben- dem Hauch herausgetrieben. Da sie auch durch den leisesten Luftzug aufgejagt werden, werden sie getrieben ebenso wie die Stäubchen im Schatten, den man zwischen einem Sonnenstrahl an einem dunkeln Ort macht. Sie zerfließen hier- hin und dahin. An jedem, was ihnen auf dem Wege aufstößt, haften sie bald sehr hartnäckig an, indem sie sich zwischen die innersten Poren der Sachen fest einnisten. Daß es sich aber nicht anders verhält, wie ich sage, hat mich das faule Blut der Fieberkranken übergenug gelehrt, welches ich ein oder zwei Stunden nach der Entnahme so voll von Würmern fand, daß es mich voll- ständig erstaunte. Damals überzeugte ich mich, daß der Mensch sowohl während des Lebens als nach dem Tode von unmerkbaren Würmchen voll ist. Damit er hier (in der Welt) gesund ist, gilt das Wort Hiobs: „„Die Verwesung heiße ich meinen Vater, und die Würmer meine Mutter und meine Schwester."" Hiob 17, Vers 14.-) Der ausgezeichnete und sehr gelehrte Julius Placentius, ein römischer Arzt, bezeugt, daß beim Aufschneiden der Bubonen dieselben voll sind von einer unzähligen Brut sehr kleiner Würmer, wie er auf mein Ersuchen mehrmals beobachtet hat, während er dem Krankenhause vor- stand. Vielleicht erscheint dies manchen Ärzten ') Nach Kircher siehe: Prosperus Alpinus, de medicina Aegypliorum. '') Im Original steht natürlich diese aus der Bibelüber- setzung Luthers entnommene Stelle nicht. Dort heißt es viel- mehr: Valeat illud Jobi: putredini dixi pater meus es: mater mea et soror mea vermibus. 6i4 Naiurwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 39 paradox. Sie mögen wissen, daß in der Natur der Sachen vieles den Alten und Neuen Verbor- genes steckt, was dennoch die höchste Weisheit dieser Zeiten, ausgerüstet mit der Wohltat des bewaffneten Auges, entdeckt hat und dem Auge, wie man zu sagen pflegt, gezeigt hat. Dies ist so, und nun wollen wir den hinterlassenen Faden wieder aufnehmen. Ein von der pestbringenden Fäulnis Ange- steckter stößt daher eine Würmerbrut aus, nicht nur durch die Gänge des Körpers, sondern auch sein Leichnam wird, hauptsächlich wegen der Tüchtigkeit der der Fäulnis innewohnenden Wärme auf die Luft und dann aufdie herumliegenden Körper wirken. Da sie sehr zart und sehr fein ist, zieht sie sich bald in das Innerste der Wäsche und Kleider zurück. Von eben derselben dämpfigen Feuchtigkeit, von welcher sie erzeugt werden, werden die Würmer ernährt. Das ist die einzige und hauptsächlichste Aussaat der ganzen An- steckung, wie wir lehren werden." Und weiter: „Alle Sachen sind dieser pestbringenden Furcht teilhaftig, das Leinzeug, die Kleider, die F'elle, die Bettdaunen, die Sitze, Tische, kurz Hausgerät jeder Art, selbst bis zu den Löffeln, Messern, Tellern, Bechern, Sandalen, Gürteln usw." Die Pest wurde K i r c h e r zufolge weiter ver- breitet durch Tiere, so durch Katzen in einem Kloster, woselbst nach Tötung der Katzen die Pest nicht weiter ging. Ferner durch Hunde, Fliegen, Hornissen. Jemand von einer solchen gestochen starb nach zwei Tagen. Zweifelhaft sei die Verbreitung durch Wein, Öl, Butter, Fett und ähnliches, ferner durch Metalle jeder Art. Ein jeder Gegenstand kann dazu beitragen. Durch die Pest können alle diese Gegenstände vergiftet werden. Ebenso das Geld, welches daher nur gut abgewaschen werden müsse, in gleicher Weise, wie alle Metallkörper, ja selbst die Diamanten. Auch die Tiere werden von der Pest ergriffen, so daß der Pest massenhaft Hunde und Katzen anheimfielen; auch Vögel, wodurch ein Knabe die Pest nach Hause brachte. Die Tiere sterben nur „durch Zufall" an der Pest, wenn ihre Nahrung „vergiftet" ist: „ . . .nicht aber durch eine in ihnen selbst gelegene Übertragung, denn wie ähnliches an ähn- lichem (similia similibus) sich erfreut, so wird un- ähnliches von unähnlichem nicht angegriffen." ') Die Pest erschien also in Rom 1656. Essoll ein gewisser Kaufmann verschiedene in Neapel infizierte Waren verkauft haben. Nach Forestus soll ein Chirurg durch Gebrauch von Instrumenten, welche bei einem Pestkranken zur Aufschneidung der Bubonen gebraucht und unbenutzt liegen ge- lassen waren, neuerdings die Krankheit wieder hervorgerufen haben. l3aher wirft Kircher die Frage auf, wie lange das Pestgift sich konserviert. Er fährt fort: „Ich sage, daß sie in unbelebten Dingen sich viel längere Zeit konservieren kann, als in belebten Sachen.') Der Grund ist, weil die natürliche Hitze sofort mit großem Anlauf sich dem entgegenkommenden Feinde gegenüber stellt, bis entweder, nachdem mit wechselnden Schar- mützeln sie zusammengestoßen sind, sie oder die äußere Wärme die innere besiegt oder diese jene." Ferner soll ein Strick, mit welchem Pestleichen zusammengebunden beerdigt wurden, nach 25 Jahren noch die Ansteckung vermittelt haben. Kircher hält an dieser langen Dauer des Pestansteckungs- stofles fest. Er sagt: ,,. . . wenn das Gift von einem wütenden Hund dem Menschen eingeflößt, hierauf i, 2, 3, 4 bis zu 40 Jahren zwischen den Eingeweiden versteckt ohne eine Krankheit sich befindet, und wenn die venerische Krankheit nach Zeugnis des Fracastoriu s sich bis zu 20 Jahren im Körper erhalten kann, wie viel längere Zeit die Pest? Dieselbe ist von einer jungen, belebten, gleichsam unmerkbaren Zucht erfüllt, wie sie nur von feuchtem Safte lebt, und so wird sie nur von der Wohltat der Luft erhalten, usw." Im dritten Teil seines Buches spricht er von der Heilung der Pest, in Kap. i über die Schwierigkeit die Pest zu heilen, in Kap. 2 über die prophylaktische oder präservative Kur. Trotz- dem er nicht .Arzt ist, bringt er die Heilmittel vor : ,, Daher wundere ich mich nicht, daß über die Natur und Eigenschaft der Pest ein unter den meisten ungewisses Scharmützel und verschiedene Geistesüberzeugung vorhält. Es sind aber den- noch in diesem Jahrhundert einige Mediziner von hervorragendem Geiste hervorgegangen, welche auch von verschiedenem Gebrauch und Erfahrung unterrichtet waren. Nachdem sie die Ansicht von Schriftstellern geringerer Sorte beiseite gelegt, haben sie Natur und Eigenschaften der Pest end- lich bemerkt und diejenigen prophylaktischen und therapeutischen Mittel festgestellt, welche binnen kurzer Zeit und zu aller Bewunderung einen Er- folg erzielt haben." Über die Eigenschaften der Pest sagt er: „Ich nehme an, daß die Pest eine Art Gift ist, von allen anderen Giften verschieden. Es erzeugt wie ein ungeheurer Brand eine kolossale Niederlage der Sterblichen. Städte werden von Einwohnern entleert, Königreiche nach Verwüstung der Völker in Einsamkeit gebracht. Kurz, bald wütet sie in Gestalt eines Fiebers, bald verbirgt sie sich in dem Kleid einer Peripneumonie, bald zeigt sie schreckliche Gesichter der Paroxysmen usw." Die Symptome der Pest werden aufgezählt. Zunächst die Bubonen in den Leisten, in der Achselgegend, Ohrgegend usw. Auch kommt eine Pest ohne diese Bubonen vor mit „bösen innerlichen Geschwüren", mit : „schwarzen, blassen, roten, subiriscenten Flecken, welche den mensch- lichen Körper mit Striemen und Schlägen blutig schlägt." Andere Pesten sind seltener, kommen aber gelegentlich vor. ') Für Homöopatlien eine g.inz nützliche Sache. ^) L'ber die Lebensdauer der Pcstbazillen siehe den iinlen erwähnten Bericht des Kaiserlichen Gesundheitsamtes. N. F. VI. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 6is In Ägypten soll nach Aussage des Prosper Alpinus die Pest nach der bösen Fäulnis, welche die .Anstauung des Nils erzeugt, entstanden sein. Dieselbe habe unter der Sonnenhitze zahllose Nattern erzeugt. Aus deien giftigem Hauche, mögen sie nun lebendig sein oder verfault, sei die Luft angesteckt und von den Menschen aufge- nommen, und so sei die Pest verbreitet worden. Äimlich sei der englische Schweiß entstanden. Gewisse Tiere seien die Ursache dieser Pest: ,,Auch die VVasserschlange (h}'drus), welche man auch Schildkrötenschlange (chelydrus) nennt, soll mit diesem Schlangengeschlecht ausgerüstet sein, wie Plinius und Aldrovandus erzählt." In gleicher Weise sei die Pest in Amerika entstanden : „Sie erzählen nämlich, daß in Quito (San Fran- zi s k o), einer Provinz, bisweilen bei heiterem Himmel, in der Luft selbst, gewisse Würmer aus- schlüpfen, welche auf die Erde kommen und dort in zweigeschwänzte Schlangen verwandelt werden. Dieselben sind mit einer solchen Eigenschaft aus- gerüstet, daß ein jeder, den sie gebissen haben, alsbald nach Öffnung dieser Tür des Blutes, nicht nur aus allen natürlichen Offnungen, sondern so- gar aus den Poren Blut ausgießt usw." Im übrigen verweist er auf seinen mundus subterraneus. Zahlreiche Mittel gegen die Pest werden genannt, sowohl vegetabilische (Hypericon, Vincetoxicum, Enula sive^Helenium, Dictamnus, Aristolochia usw.), als mineralische (bolus armenica, cornu cervinum, spodium usw.). Einige haben „pentacula", Amu- lette ersonnen, so „zenexeton" des Paracelsus usw. Einige flüchten zu „amuleta sacra". Doch ist es gottlos, sie zu gebrauchen, „wie die Römische Kirche mit Recht verbietet". Eins gibt er für die Leser an: „damit dieselben den Betrug erkennen und sich ein jeder vor den Erfindungen solcher Bösewichte abhalte: Es verhält sich folgender- maßen : + Z + D. I. A. + B. I. Z. + S. A. B. + Z + H. 9. F. -f B. E. R. S.-' Folgendes soll die Erklärung dieser Zeichen sein: + Crux Christi salva me. Z Zelus domus delibera me. -j- Crux Christi vincit et regnat, per lignum Crucis libera me Domine ab hac peste. D Deus Dens mens expelle pestem de loco isto et libera me. I In manus tuas Domine commendo animam meam et corpus meum. A Ante coelum et terram Deus erat et Deus potens est liberare me ab hac peste. -|- Crux Christi potens est ad expellendam pestem a loco isto ') usw. ') Heiliges Kreuz Christi errette mich — Der Eifer des Hauses (?) befreie mich — Das Kreuz Christi siegt und re- giert, durch das Holz des Kreuzes befreie mich Herr von dieser Pest — Gott mein Gott vertreibe die Pest von diesem Ort und befreie mich — In deine Hände Herr empfehle ich meine Seele und meinen Leib — Vor Himmel und Erde war Gott und Gott kann mich befreien von dieser Pest — Das Kreuz Christi kann die Pest vertreiben von diesem Ort. „Das ist jenes berühmte Amulett gegen die Pest, das irgend ein griechischer Erzbischof als gewissermaßen ein geheiligtes und wunderbar tugendhaftes Heilmittel öffentlich bekannt gemacht hat. Ein jeder, der dies trägt, soll unfehlbarer göttlicher Gnade und Protektion von jeden Pest- hauches Anblasen in Zukunft frei sein und in Ewigkeit bleiben." Wie „blödsinnig" solch ein Amulett sei, das zeigt Kircher in seiner magia Aegyptiorum, Teil 2. Im folgenden Kapitel VI sagt er in der Über- schrift, daß er eine „chemische Art einiger die Pest zu behandeln" anführen will. Er berichtet dann über Quecksilber- und Arsenkuren, wovon er nichts hält. Alsdann fährt er aber fort mit einem lebendigen Mittel, mit — der Kröte!: „Die Kröte, oder was dasselbe ist, der Giftfrosch, gehört zum Geschlecht derjenigen, welche von faulem Schaum, erzeugt werden. Es ist ein Tier voller Gift, und kann nicht mit Unrecht eine magnetische Börse (bursa magnetica) voll irdischen Giftes und verderblicher Virulenz genannt werden." Die Kröte entsteht aus ,, pestbringendem Schlamm". Die Pestexantheme treten eben bei der höckerigen Krötenhaut besonders hervor. Die Kröte soll auch Würmer erzeugen resp. mit der Kröte sollen diese zusammen existieren, wie Helmontius durch ein Experiment bewiesen habe. Dieses Tier „haßt" den Menschen und deshalb ist es ein gutes Heilmittel gegen die Pest. Sie soll die Pest an sich ziehen und so den Menschen von derselben befreien. Ebenso wie die Viper bei Vipernbiß, der Skorpion bei Skorpionstich, die Leber eines wütenden Hundes bei Hundswut das beste Heilmittel ist, so ist bei der Pest die Kröte das beste Heilmittel. Buclerus Hybernus in London soll mit diesem Mittel viele Heilungen erzielt haben. Hippokrates verschrieb nach Kirch er für die Pest flores sulfuris, gebrauchte aber auch Pech, Salz, Schwefel, dekrepitiertes Salz in Wein gelöst in einer Flasche, welche mit Pech verklebt war. Auch die Viper wandte er an. Kirch er zählt noch andere Medizinen auf, z. B. Rauten, Zedoarie, Hirschhornknochen, armenischen Bolus, usw. Das Wesentlichste soll aber von dem Schrecken herrühren, welche die Pest verbreitet. Ferner soll man am besten fortreisen. Wenn dies nicht möglich, so mache man Räucherungen mit Lorbeer- und Aurantiablättern, Zitronen, Cypressen, Zimmt, Wachholder, Rosmarin, Laven- del u. a., auch Benzoin, Styrax, Laudanum, Thymian, Ambra, Moschus u. a. Das beste aber ist — Schwefelblüte, Benzoin, Myrrhen, Gewürznägelchen u. a. Von diesen Sachen mache man trochisci, welche auf Kohlen geworfen einen heilsamen Rauch erzielen sollen. Besonders wichtig ist da- bei der Schwefel. Um die Luft zu verbessern soll man Essig anwenden, wie man in R o m getan habe. Auch die anderen wohlriechenden Kräuter, mit Essig gekocht, werden gepriesen. Doch das beste Mittel ist — PVömmigkeit. 6i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 39 Kirch er 's Bucli über die Pest hat gewisser- maßen den PestbacilUis vorgeahnt. Die durcli Koch gebildete Schule der modernen Bakterio- logen hat auch dieses Schrecknis der Vorzeit richtig erkannt. In den Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamts wird regelmäßig über die Vorkommnisse dieser Krank- heit berichtet. Über die Pest ist eine große Literatur ent- standen, welche uns natürlich zunächst nichts an- geht. Nur die Entdeckung des Pestbacillus wollen wir hier erwähnen. Kitasato, ein Schüler Koch's, entdeckte den Pestbacillus im Jahre 1894.') Fast gleich- zeitig und unabhängig von ihm fand der franzö- sische Bakteriologe Yersin den Bacillus.-) Der Pestbacillus fand sich in den Schiffs- ratten, durch welche er auf die Menschen übertragen wird. Eine große Rolle spielt hierbei die Bar- füßigkeit gewisser Klassen. Kircher hatte von der Pest bei den SchifTs- ratten keine Ahnung, obwohl in den von ihm erwähnten Schiffen in Valentia, welche die Pest von Afrika nach Europa brachten, die- selben ohne Zweifel vorhanden waren. Schöne Photogramme des Pestbacillus finden wir in dem Bericht der Pestkommission des Kaiser- lichen Gesundheitsamts.'') Nachstehend sind drei dieser Bilder wieder- gegeben. Fi};. I. Ausstrich aus der Milz eines an Pestsepticämic ge- storbenen Menschen. Vergr. 1000. ') Kitasato, preliminary noticc of thc bacillus of the bubonic plague, Hongkong, July 1894. ^) Yersin, Annales de l'institut Pastcur, 1894, T. VllI, p. 664. ') Bericht über die Tätigkeit der zur Erforschung der Pest im Jahre 1897 nach Indien entsandten Kommission er- stattet von Dr. Gaffky, Großherzoglich hessischer Professor an der Universität zu Giel3en und Geh. Medizinalrat Dr. Dem Präsidenten des Kaiserlichen Gesundheits- amts Herrn Bumm sowie dem Verleger des Be- richts Herrn Julius Springer sage ich für die Erlaubnis, die Photogramme zu veröffentlichen, meinen besten Dank. •^^^sJ Fig. 2. Herzblut einer an Pestsepticämic gestorbenen Kalte. Vergr. 1000. <^ i z-^. \ /-N r ■J ^' y Fig. 3. Pestbazillen in Bouillon, zur Kultur ausgewachsen, gefärbtes Trockenpräparat. Vergr. 1000. Pfeiffer, Kgl. preuß. Professor, Vorsteher der wissenschaft- lichen .Abteilung des Instituts für Infektionskrankheiten, Dr. Sticker, Großherzoglich hessischer Professor an der Uni- versität Gießen, ür. Dieudonne, Kgl. bayerischer Stabs- arzt, Privatdozent an der Universität Würzburg. — Nebst einer Anlage: Untersuchungen über die Lepra von Professor Dr. Stick er. Mit 9 Tafeln und Abbildungen im Text. Berlin, Verlag von Julius Springer, 1899. N. I'. VI. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 617 Sehr gute Bilder vom rcstbacillus hat auch l'rofessor Zettnow veröffentlicht.') Von einem Kitasato' sehen Präparat, welches derselbe 1R95 Koch sandte, machte er die Photogrnnimc. IJber die Gestalt der l'estbazillen sagt er, dafS in ganz ') Zettnow, Beiträge zur Kenntnis des Bacillus der Bubonenpest, Zeitschrift für Hygiene und InfektionskranU- liciten von Kocli und Flügge, Bd. 2[, Holt 2, Leipzig, Veit & Co., 1890. jungen Agar- oder Houillonkulturen die meisten fast kugelförmig sind. Vier bis sechs Stück der- selben kommen aneinander gereiht, an Strepto- kokken erinnernd, vor. Daneben finden sich aber Bazillen, welche zwei- bis dreimal so lang als breit sind. Sodann auch bei schwacher Färbung kräftig tingierte kurze und längere Fäden, ohne Andeutung einer Gliederung, welche schon als Involutionsformen aufgefaßt werden müssen. Kleinere Mitteilungen. Da5 die Bienen ein Gedächtnis für die Zeit besitzen folgert l'rof. A. Forel in Yvorne (Schweiz) aus einem Erlebnis, das er im vergangenen Som- mer in seinem Hause zu Chign>- bei Morges (Schweiz) machte („Bulletin de l'institut general psychologique" 1906, S. 257—263). Der Verfasser hält seit 190 1 im Garten einen Bienenstock, aber trotzdem im Sommer regelmäßig die Mahlzeiten im Freien auf der Terrasse eingenommen werden, kam doch nie eine Biene bei Tisch zur Tafel ge- flogen. Im Juni des letzten Jahres kochte nun eine in der Nachbarschaft wohnende Frau Kirschen und setzte dieselben zum Erkalten an ein Fenster, das in einer Linie zwischen dem Bienenstocke und der Forel'schen Terrasse liegt. Eine Biene mag nun durch Zufall die Kirschen am Fenster entdeckt haben, und bald darauf stürztensich dichte Schwärme der Bienen auf die Früchte. Seit der Zeit richteten die Bienen ihre Aufmerksamkeit auch auf die übrigen Fenster der Umgegend, und so entdeckten sie auch eine Schale mit Eingemachtem, die an einem Fenster der Terrasse stand. Eine Biene fand denn auch die Konfitüren, die auf dem Tisch der Terrasse standen, naschte davon und kam zu wieder- holten Malen wieder. Am nächsten Tage erschien sie in Begleitung einiger anderer Bienen, und bald wuchs die Zahl der besuchenden Bienen immer mehr an; sie setzten sich auf die Tassen und Teller und suchten überall nach dem Eingemachten. Am Morgen blieben nun die Konfitüren 2 bis 2'., Stunden auf dem Tische stehen, am Nachmittag nur etwa ' ., Stunde, und am Mittag kamen gar keine Süßigkeiten auf den Tisch. Diese Unter- schiede hatten die Bienen bald gemerkt. Anfangs schwärmten einige wenige Bienen auch zur Zeit des Mittagessens um die Tafel, aber bald ließ sich keine einzige mehr sehen, da es ja für sie nichts zu holen gab. Desto größer wurde die Zahl der ungeladenen Gäste am Morgen, einmal mußte sich sogar die Familie vom Frühstückstisch erheben und flüchten. Auch am Nachmittag um 4 Uhr kamen Bienen angeflogen, aber ihre Zahl war nur gering. An einem der nächsten Tage ordnete Forel an, daß am Morgen keine Konfitüren auf den Tisch ge- stellt wurden. Die Bienen kamen wie gewöhnlich und umschwärmten die Tafel, immer 12 bis 15 auf einmal ; sie ließen sich auch auf den Tassen, Tellern und Töpfen nieder und suchten nach der gewohnten Speise, aber vergeblich. Am folgenden Morgen kamen schon weniger Bienen an, sie setzten sich auch nur selten nieder, und bald waren alle wieder verschwunden. Am nächsten Morgen spielte sich dieselbe Szene ab. Aus den mitgeteilten Tatsachen schließt Forel, daß die Bienen nicht nur ein Gedächtnis für den Ort sondern auch für die Zeit haben. Sie kamen am Morgen, wo sie viel Süßigkeiten auf dem Tische fanden, in großer Zahl mehrere Tage nacheinander; am Mittag, wo es nichts für sie gab, kamen sie nur einmal, und am Nachmittag, als die Speise nur kurze Zeit auf dem Tische stand, ließen sich nur wenige Bienen sehen. Forel bemerkt noch, daß in jener Zeit die Temperatur auch am Mittag eine angenehme war, daß also nicht etwa eine zu große Mittagshitze die Tiere ferngehalten hätte. Übrigens hat schon im Jahre 1900 von Büttel- Reepen im ,, Biolog. Centralblatt" einen Fall mit- geteilt, aus dem zu ersehen ist, daß die Bienen ein Zeitgedächtnis besitzen. Der Buchweizen liefert nur am Morgen Honig, und die Bienen besuchen seine Blüten auch nur in den Morgenstunden bis 10 Uhr, während sie den Tag über in anderen Blüten sammeln. Seh. „Aus Goethes Meteorologie" benennt Prof. R. Börnstein einen Artikel, erschienen im Juniheft der „Meteorologischen Zeitschrift" (Braun- schweig, Friedr. Vieweg & Sohn) 1907, den wir bei dem allgemeinen Interesse, den der Gegen- stand beshzt, im folgenden mit Genehmigung des Herrn Autors zum Abdruck bringen. Zu den noch ungelösten Aufgaben unserer Wissenschaft gehört die physikalische Deutung des täglichen Barometerganges. Die Lehrbücher schildern die bekannten periodischen Änderungen des Luftdruckes und erwähnen die theoretischen Erwägungen, welche von zahlreichen Forschern an die Beobachtungstalsachen geknüpft wurden, aber merkwürdigerweise wird nirgends mehr eine Theorie berücksichtigt, deren Urheber und Inhalt ihr ein Recht auf Beachtung sichern sollten, wenn sie auch mit unseren heutigen Kenntnissen nicht mehr vereinbar scheint. Kein Geringerer als Goethe ist es , dessen Gedanken über die Ent- stehung der Barometerschwankungen ich nebst einigen anderen Proben seiner meteorologischen Studien hiermit zur Kenntnis der Fachgenossen bringen möchte. 6i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 39 Man pflegt in gebildeten Bevölkerungsschichten zu wissen, daß der Dichter sich als wohlbewan- derter und erfolgreicher Naturforscher, namentlich auf botanischem, zoologischem und optischem Gebiete, betätigt hat; seine Arbeiten über Meta- morphose der Pflanzen, über das os intermaxillare und über Farbenlehre werden oftmals erwähnt und zuweilen noch gelesen. Dagegen ist es kaum bekannt, wie eifrig er während seines langen Lebens die VVitterungserscheinungen nicht nur beobachtet, sondern auch zum Gegenstand scharf- sinniger Erklärungsversuche gemacht hat; wie er die Begründung eines Netzes meteorologischer Beobachtungsstationen im großherzoglich sächsi- schen Gebiet veranlaßte und selbst die Instruktion für die Beobachter mit sorgfältiger Anordnung aller Einzelheiten verfaßte; wie er die zeichnerische Nachbildung bemerkenswerter Wolken teils selbst betrieb, teils durch Künstler ausführen ließ und dadurch in brieflichen Verkehr mit dem Engländer Howard gelangte, dessen auf Goethes Wunsch verfaßte Selbstbiographie dieser verdeutschte und in seine Werke aufnahm, usw. Diese und viele verwandte Tatsachen findet man als ,, Versuch einer Wilterungslehre", sowie im Anschluß an diese in den Gesamtausgaben der Goethe'schen Werke, während die Instruktion nur in der „Wei- marer Ausgabe" ') abgedruckt ist. Die Auffassung, durch welche Goethe zur Einrichtung des Stations- netzes veranlaßt wurde, spricht er selbst in fol- genden Worten aus: „Ich sehe, das zu hofTende Resultat abgerechnet, die Anstalt selbst als eine Bildungspropagande an; denn wenn wir in unserem kleinen Bereich nur sechs Menschen nötigen, täglicii zu gewissen Stunden Phänomene genau zu beobachten und das Bemerkte tabellarisch ein- zutragen, Kunde davon zu liefern usw., so ent- springt daraus eine höhere Kultur, als man sich denken kann. Es muß diesen Personen mehr oder weniger eine Art Liebhaberei daraus entstehen; sie teilen solche mit, sie bilden sich Substituten und Kollegen; genug, es entspringt daraus, was nicht zu übersehen ist. Mir wenigstens macht es einen sehr angenehmen Eindruck, daß ein armer Schulmeister auf dem kümmerlichen höchsten Rhöngebirge mit unter die ersten unserer Beob- achter zu zählen ist." (Weimarer Ausgabe 12, 123 bis 124.) Erwähnt wird die Instruktion bereits in einem an Großherzog Karl August gerichteten Schreiben Goethes vom 14. Dezember 1817. Von ihrem Inhalt sei hier das Folgende mitgeteilt. Die Terminbeobachtungen sollen täglich um 8*^, 2'', 81' stattfinden. Dabei ist jedesmal der Stand des Barometers und dessen Temperatur abzulesen. Daß Goethe die Bedeutung des Barometers als eines wirklichen Meßinstrumentes zu würdigen wußte, sehen wir aus einer Stelle der Witterungs- ^) Goethe's Werke, herausgegeben im Auftrage der Groß- herzogin Sophie von Sachsen. Weimar, Hermann Böhlau's Nachfolger; seit 1887 erscheinend. lehre, welche lautet: „Auf Barometern früherer Zeit, wie solche die sogenannten Italiener herum- trugen und wie sie noch an manchen Orten ge- funden werden, sehen wir auf dem Zolltäfelchen eine gewisse Linie gezogen, woneben geschrieben steht: unbeständig. Über derselben finden wir stufenweise schön und sodann beständig Wetter angezeigt, unterhalb ist trüb. Regen und Sturm angemerkt. Diese Bestimmungen sämtlich hat man auf neueren Barometern als empirisch, un- zuverlässig und unwürdig weggelassen, und zwar mit Recht: indem eine allgemeine, auf allen Barometern gleichmäßig bestimmte Linie für die verschiedensten (Jrtslagen nicht hinreichte und selten zutreffen konnte." Ferner sollen die Beobachter die Temperatur sowohl im Zimmer wie im Freien angeben, die Luftfeuchtigkeit mit dem „Fischleimhygrometer nach de Luc" messen und die Temperaturextreme des Tages am Extremthermometer ablesen. Die „Elektrizität" soll nach Grad und Art aufgezeichnet werden ; leider vermochte ich über die zu be- nutzende Auffangevorrichtung keinerlei Angaben zu finden, sondern nur die Bestimmung, daß je nach der Stärke der zu messenden luftelektrischen Spannungsdifferenz dreierlei verschiedene Elektro- meter zu benutzen seien: solche mit Goldplättchen, mit Strohhalmpendeln oder mit Holzpendeln. Vom Wind sind Richtung und Stärke , vom Niederschlag Dauer und Menge oder, wo ein Regenmesser fehlt, die Stärke anzugeben, von der Bewölkung tiröße, Form und Zug; außerdem die mittels Cyanometers bestimmte Himmelsfarbe, etwa auftretende Gewitter (Dauer, Zug, Zahl der Blitze, Stärke, Entfernung), wässerige Meteore (Regen, Schnee, Graupeln, Schloßen, Hagel, Nebel, Reif, Höhenrauch) und andere Meteore (Höfe um Sonne und Mond, Nebensonnen, Nebenmonde, Morgen- und Abendröte, Regenbogen, F'allsterne, P^uer- kugeln, Wetterleuchten, Nordlicht u. a.). Zur Mitteilung von Bewölkungsgröße und Nieder- schlagsdauer ist der Tag in fünf Teile zerlegt: lOP bis 8^ 8" bis Mittag, Mittag bis 2P, 2 bis 6'', 6 bis IQP, und in der zum Eintragen der Beob- achtungen bestimmten Tabelle finden sich für jeden Tag in zwei Zeilen je fünf Quadrate, die den Tagesfünfteln entsprechen. In den oberen Quadraten wird die Größe der Bewölkung (nach Vierteln) durch verschieden gerichtete und ver- schieden ausgedehnte Schraffierung ausgedrückt, während ein schräge stehendes Kreuz unbedeckten Plimmel bezeichnet. In den unteren Quadraten wird Dauer und F"orm des Niederschlags der- artig angegeben, daß ein Punkt bedeutet: Regen nicht über eine Viertelstunde; zwei Punkte: Regen zwischen einer Viertel- und einer halben Stunde; drei Punkte: Regen zwischen einer halben und ganzen Stunde; vier Punkte: Regen von mehr als einer Stunde Dauer. Statt der Punkte werden Kreuzchen für Schnee, kleine Kreise für Graupeln, die liegende Acht (welche jetzt Dunst bedeutet) für Schloßen und Hagel eingetragen. Ein in der N. F. VI. Nr. 39 Naturwissciiscliaftliche Wochenschrift. 619 Diagonale des Uuadrats gezogener Strich bctleutet : mit einer oben angebrachten Pfeilspitze Wetter- leuchten , mit einem unten stehenden kleinen Kreis Donner und mit beiden Zeichen Gewitter. Kin in der Mitte des Quadrates stehender senk- rechter Strich bezeichnet Nebel, ein an der oberen Ouadratseite hängender Bogen Morgen- und Abend- rot usw. Als erste Beilage und Muster ist der Instruk- tion die Tabelle der Beobachtungen angefügt, welche vom i. bis 16. September 1821 auf der Jenaer Sternwarte gewonnen wurden. Eine zweite Beilage schildert die von Howard als charak- teristisch ausgewählten Wolkenformen und enthält auf einer Zeichnung übereinander: Nebel, Stratus, Cumulus, Stratocumulus, Cirrocumulus und Cirrus. Dazu fügt Goethe, als ,, einen Terminus, der noch zu fehlen scheint", Paries, die Wand, deren Form er durch folgende Worte bezeichnet: ,,Wenn nämlich ganz am Ende des Horizontes Schicht- streifen so gedrängt übereinander liegen, daß kein Zwischenraum sich bemerken läßt, so schließen sie den Horizont in einer gewissen Höhe und lassen den oberen Himmel frei. Bald ist ihr Umriß bergrückenartig, so daß man eine entfernte Gebirgsreihe zu sehen glaubt, bald be- wegt sich der Kontur als Wolke, da detm eine Art Cumulostratus daraus entsteht." Eine dritte Beilage zur Instruktion handelt von der Windstärke, für deren Bezeichnung eine Skala von S Stufen dienen soll, und eine vierte von der Erkennung der Himmelsfarbe. Die Beschreibung der Wolkenformen findet sich auch in den meisten Ausgaben der Goethe- schen Werke, und im Anschluß daran eine Schil- derung zahlreicher Beobachtungen, die der Dichter auf seiner im Frühjahr 1820 ausgeführten Karls- bader Badereise anstellte, „um zu sehen und dar- zustellen, wie es sich mit dem Konflikt der oberen und unteren Region, der austrocknenden und an- feuchtenden verhalte". Mit außerordentlicher Schärfe und Klarheit werden dabei Wolkenformen geschildert, die auch von der heutigen Meteoro- logie als typisch anzusehen sind. So heißt es einmal (11. Mai) von Wo gen wölken, die in voller Übereinstimmung mit späteren Erfahrungen als Grenzgebilde verschiedener Luftschichten be- zeichnet werden: ,, Gegen Abend ein Phänomen, welches ich noch nicht bemerkt. Gegen West in der Höhe Cirrusstreifen, doch wahrscheinlich nicht so hoch, als sonst gewöhnlich: denn kleine, leichte, wollige Wölkchen, vom östlichen Gebirge her- ziehend, wurden, wie sie sich jener Region näherten, aufgelöst und in vertikale Streifen ver- wandelt, doch konnte man bemerken, daß sie sich auch unverwandelt zwischen jene Streifen hineinzogen, ihre wollige Gestalt noch eine Weile behaltend. Wahrscheinlich ging dies auf der Grenze der oberen und mittleren Region vor." An einer anderen Stelle (12. Mai) wird eine Regenwolke geschildert: ,, Gegen Abend war in West, an dem Erzgebirge her, ein meilenlanger Nimbus, der in vielen Strömungen niederging. Ich habe davon sogleich einen Entwurf gemacht, welchem ich den Versuch einer beschreibenden Erklärung hinzufüge. Die Wetterwolke zog von West gegen Ost und zeigte an ihrem unteren Bauche deutliche kurze Streifen, welche in gleicher Rich- tung vorwärts den Strich führten. Die Wolke hingegen, wie sie vorrückte, unterlag im einzelnen der Erdanziehung und es senkten sich ganz verti- kale Gußstrahlen herunter. Diese schienen jedoch mit der Erde in solchen Kontakt und Verbindung zu kommen, daß sie mit ihrem unteren Ende an dem Boden festhielten, der die Feuchtigkeit an sich saugte, indes die Wolke weiter zog und das obere Ende dieser Schläuche mit sich fortnahm, deshalb sie zu einer schiefen Richtung genötigt wurden. Nun hatten aber andere solche früher niedergegangene Strömungen durch das Fortziehen der Wolke ihren Zusammenhalt mit der Erde verloren und schwebten, losgelassen, hoch über dem Horizont. Das Merkwürdigste jedoch war ein solcher Schlauch, der, obgleich der letzte, doch der stärkste, mit dem unteren Teil entschieden an der Erde festhielt, indes der obere fortgezogen wurde, wodurch ein gekrümmtes Aufsteigen be- wirkt ward." Die vertikalen Luftströmungen werden (29. April) mit folgenden Worten erwähnt : ,,Die Sonne zeigte sich im Mittag, der Wind war Nord- west, und sodann ereignete sich das aufsteigende Spiel: Stratus verwandelte sich in Cumulus, Cu- mulus in Cirrus, wie wir in vorigen Tagen das niedersteigende beobachtet hatten." Und in betreff der neuerdings so viel be- achteten Schichten findet Goethe, „daß die ver- schiedenen atmosphärischen Etagen auf Wasser- bildung und Verneinung, auf Wolkengestaltung, auf das Niedergehen derselben als Regen oder ihre Auflösung als Schäfchen einen verschiedenen Bezug haben". Zu diesen, mit neuzeitlicher Wetterkunde durchaus vereinbaren Äußerungen steht in über- raschendem Gegensatz die merkwürdige Auffassung der Barometerschwankungen, über die nun etwas ausführlicher berichtet werden soll. Bereits in der „Italienischen Reise", und zwar in einem „Auf dem Brenner, den 8. September 1786, abends" datierten Brief, bringt der damals 37jährige Goethe eine Meinung zum Ausdruck, die er mehr als vier Jahrzehnte beibehalten und später ausführlich dargestellt hat. Im Gegensatz zu den an Abwechslung reichen atmosphärischen Vorgängen wird die gleichmäßige und unveränder- liche Erscheinung der Gebirge erwähnt, dann aber hinzugefügt: „Die Gebirge liegen vor unse- rem äußeren Sinn in ihrer herkömmlichen Gestalt unbeweglich da. Wir halten sie für tot, weil sie erstarrt sind, wir glauben sie untätig, weil sie ruhen. Ich aber kann mich schon seit längerer Zeit nicht entbrechen, einer inneren, stillen, ge- heimen Wirkung derselben die Veränderungen, die sich in der Atmosphäre zeigen, zum großen 620 Nalurwisscnschaftlichc Wochcnsclirift. N. \'. VI. Nr. 39 Teile zuzuschreiben. Icli glaube nämlich, daß die Masse der Erde überhaupt, und folglich auch be- sonders ihre hervorragenden Grundfesten, nicht eine beständige, immer gleiche Anziehungskraft ausüben, sondern daß diese Anziehungskraft sich in einem gewissen Pulsieren äußert, so daß sie sich durch innere notwendige, vielleicht auch äußere zufällige Ursachen, bald vermehrt, bald vermindert. Mögen alle anderen Versuche, diese Oszillation darzustellen, zu beschränkt und roh sein, die Atmosphäre ist zart und weit genug, um uns von jenen stillen Wirkungen zu unter- richten. Vermindert sich jene Anziehungskraft im geringsten, alsobald deutet uns die verringerte Schwere, die verminderte Elastizität der Luft diese Wirkung an. Die Atmosphäre kann die Feuchtig- keit, die in ihr chemisch und mechanisch verteilt war, nicht mehr tragen, Wolken senken sich. Regen stürzen nieder und Regenströme ziehen nach dem Lande zu. Vermehrt aber das Gebirg seine Schwerkraft, so wird alsobald die Elastizität der Luft wieder hergestellt, und es entspringen zwei wichtige Phänomene. Einmal versammeln die Berge ungeheure Wolkenmassen um sich her, halten sie fest und starr wie zweite Gipfel über sich, bis sie, durch inneren Kampf elektrischer Kräfte bestimmt, als Gewitter, Nebel und Regen niedergehen, sodann wirkt auf den Überrest die elastische Luft, welche nun wieder mehr Wasser zu fassen, aufzulösen und zu verarbeiten fähig ist. Ich sah das Aufzehren einer solchen Wolke ganz deutlich: sie hing um den steilsten Gipfel, das Abendrot beschien sie. Langsam, langsam son- derten ihre Enden sich ab, einige Mocken wurden weggezogen und in die Höhe gehoben ; diese ver- -schwanden, und so verschwand die ganze Masse nach und nach und ward vor meinen Augen, wie ein Rocken, von einer unsichtbaren Hand ganz eigentlich abgesponnen." Ganz ähnliche Bemerkungen finden sich noch mehrfach in (^es Dichters späteren Aufzeichnungen. So begleitet er die Mitteilung einiger während des Juni 1822 in Marienbad gewonnener Witterungs- beobachtungen mit folgenden Sätzen (abgedruckt in der Weimarer Ausgabe der Werke 12, 65): „An die Barometcrerscheinungen knüpfen wir nunmehr das nächste, was der Wolkengestalt entspricht, die Ver- neinung des Wasserentstehens und die Bejahung des- selben. Hoher Barometerstand hebt die Wasserbil- dung auf, die Atmosphäre vermag die P'euchte zu tragen oder sie in ihre Elemente zu zersetzen ; niederer Barometerstand läßt eine Wasserbiidung zu , die oft grenzenlos zu sein scheint. Nach unserer Terminologie würden wir also sagen : Zeigt die Erde sich mächtig, vermehrt sie ihre Anziehungskraft, so überwindet sie die Atmosphäre, deren Inhalt ihr nun ganz angehört; was allen- falls darin zustande kommt, muß als Tau, als Reif herunter, der Himmel bleibt klar in verhält- nismäßigem Bezug." Eine zusammenhängende Darlegung seiner meteorologischen Anschauungen gab Goethe in dem „Versuch einer Wilterungslehre" von 1825. Dort findet sich ein Abschnitt, der die Überschrift trägt: „Bändigen und Entlassen der Elemente", und in welchem die Sätze enthalten sind : „Die erhöhte Anziehungskraft der Erde, von der wir durch das Steigen des Barometers in Kenntnis gesetzt sind, ist die Gewalt, die den Zustand der Atmosphäre regelt und den Elementen ein Ziel setzt; sie widersteht der übermäßigen Wasser- bildung, den gewaltsamäten Luftbewegungen; ja, die Elektrizität scheint dadurch in der eigentlich- sten Indifferenz gehalten zu werden. Niederer Barometerstand liingegen entläßt die Elemente, und hier ist vor allen Dingen zu bemerken, daß die untere Region der Kontinentalatmosphäre Neigung habe, von West nach Oat zu strömen." Das ,, Bändigen und Entlassen der Elemente" bedeutet also den Eintritt höheren oder geringeren Barometerstandes samt denjenigen Vorgängen, die mit solchen Druckänderungen verbunden zu sein pflegen. In betreff der unperiodischen Barometer- schwankungen glaubt Goethe gefunden zu haben, ,,daß gedachtes Steigen und Fallen an verschie- denen, näher und ferner, nicht weniger in unter- schiedenen Längen, Breiten und Höhen gelegenen Beobachlungsorten einen fast parallelen Gang habe". Zum Beweise führt er den Gang des Luftdruckes in Jena, Weimar, Schöndorf, Wart- burg und Ilmenau vom Jahre 1823 an, ferner die späteren Beobachtungen von Frankenhain, Ilmenau und vom Bernhardsberg, sowie eine (in der Weimarer Ausgabe 12, 78 mitgeteilte) Kurven- tafel, welche auf Grund regelmäßiger, mehrmals täglich ausgeführter Ablesungen die Luftdruck- weite des Monats Dezember 1822 von London, Boston, Karlsruhe, Halle, Jena, Wien, Wartburg, Ilmenau und Tepl enthält. Die hieraus gefolgerte Gleichmäßigkeit des Barometerganges führt ihn zu folgender Erwägung: ,,VVenn nun die Barometerstände der verschie- densten Orte das ähnliche, wo nicht das gleiche besagen, so scheinen wir dadurch berechtigt, allen außerirdischen Einfluß auf die Ouecksilberbewegung abzulehnen, und wir wagen auszusprechen : daß hier keine kosmische, keine atmosphärische, son- dern eine tellurische Ursache obwalte. Denn es ist anerkannt und bestätigt, daß alle Schwere von der Anziehungskraft der Erde abhängig sei; übt nun die Luft, insofern sie körperlich ist, eine Schwerkraft, einen vertikalen Druck aus, so ge- schieht es vermöge dieser allgemeinen Attraktion; vermindert und vermehrt sich daher der Druck, diese Schwere, so folgt daraus, daß die allgemeine Anziehungskraft sich vermehre, sich vermindere." Hieran schließt sich die Annahme, daß die An- ziehungskraft der ganzen Erdmasse nach oben hin abnehme, „wobei aber ein gewisses Auf- und Absteigen, Aus- und Einatmen sich ergebe; wel- ches denn zuletzt vielleicht nur durch ein geringes Pulsieren ihre Lebendigkeit andeuten werde". Erscheint uns diese Anschauung von der zeit- lich veränderlichen Schwerkraft schon seltsam. N. F. VI. Nr. 39 NntiirwLsscnscIiaftliclic Wochenschrift. 621 .so ist CS noch scluvcrcr zu verstehen, daß Goethe solche auf der ganzen Krde gleichmäßig geschehen- den Sch\verl spitzen Stahlfeder so hcrabdriicken, daß die Luft als große Blase und die Spinne selbst heraus- gedrängt wurde. Heim Durchstoßen der Kuppel mit der Stahl- feder entwich Luft durch das entstandene Loch, doch erhielt sich einmal eine Blase unter diesem und wölbte den obersten Teil des sonst schlaff gewordenen Gewebes kuppelartig. Die Zeit zur Herstellung der Glocken ist eine sehr verschiedene. Am 6. Dezember saß die Spinne bereits 3 Stunden, nachdem ich ihre bis- herige Wohnung zerstört hatte, in einer neuen Glocke, und am 25. Januar stellte sie eine solche sogar binnen 50 Minuten her, allerdings unter Milbenutzung der Verankerung der von mir zer- störten, die jetzt als 2 cm langer, leerer Schlauch über der neuen hing. VIII. Benutzung der Glocken. Bei Tage wie bei Nacht dient der Argyroneta ihre Glocke als Schlaf- und Ruhestätte, hier lauert sie auf Beute und verzehrt auch meistens die- selbe, nachdem sie sie hereingeschafft hat. Nach anderen Autoren, z. B. de Geer und Wagner, stellt die Spinne auch Wohnungen zur Überwinterung her und verschließt deren ()ffnung. Die von mir vom 12. Oktober bis in den April und vom 15. Oktober bis zum 9. November des letzten, besonders strengen Winters beobachteten Spinnen haben dies ebenso wenig getan, als die von Plateau (1. c. S. 122) in Gefangenschaft ge- haltenen. In meineni Hause standen die Behälter am Fenster eines geheizten Zimmers und in der Schule sogar auf einem Fensterbrett, unter dem sich die Röhren der Heißwasserheizung befanden. Die Tiere zeigten sich im Winter in keiner Weise träger und unfähiger als sonst. Meine Spinne A baute Ende Januar an drei aufeinanderfolgenden Tagen je eine neue Wohnung, nachdem ich ihr zweimal die kaum einen Tag innegehabte zerstört hatte, um reichlichere Gelegenheit zum Studium ihrer Bautätigkeit zu gewinnen. Nicht selten ist beobachtet worden, daß die Argyroneta sich auch in leeren Wasser- schneckenhäusern ansiedelt, aber obgleich man hätte denken sollen, daß der meinen im eben genannten Falle die Lust und vielleicht auch der Stoff zum Bau immer neuer Luftschlösser aus- gegangen wäre, ließ sie sich doch durch ein wochenlang in verlockender Nähe und günstig liegendes leeres Haus der gemeinen Schlamm- schnecke, Limnaea stagnalis, nicht zur Einkehr bewegen. Endlich muß noch daran erinnert werden, daß die weiblichen Spinnen ihre Glocke auch zur Absetzung der Eier verwenden, die sie in der Kuppel unterbringen und durch ein wagerechtes Gespinst von dem unteren Lufträume abschließen, in welchem sie selbst ihre Nachkommenschaft bewachen. Obgleich meine Spinne B sich bereits mehrere Wochen lang in Einzelhaft befunden hatte, habe ich doch diese Verhältnisse selbst beobachten köimen und die zahlreichen, glänzenden, sehr kleinen Eier durch die bei starkem Auf- klopfen des Gefäßes zertrümmerte Scheidewand herausfallen sehen. Wenn auch die Luft von dem Gewebe der unten offenen Glocken derartig zurückgehalten wird, daß sie ohne besondere Eingriffe nicht in Blasen entweicht, so nimmt sie doch bei mangeln- dem Ersatz beständig ab, sie diffundiert jedenfalls durch das Gewebe. Dafür lieferten mir beson- ders die Wasserasseln den Beweis. Diese krochen, wenn das Wasser zu wenig Luft enthielt, an den senkrechten Gefäßwänden empor, so daß ihr Körper zum Teil in die Luft ragte, oder saßen auf den grünen, infolge der Assimilation Sauer- stoff entbindenden Blättern, aber mit Vorliebe auch, bisweilen sogar zu 3 und 4 auf einer der domartigen Wölbungen der Luftglocken, in denen sich ihr größter, wie wir gesehen haben, sonst von ihnen gefürchteter Feind befand. Sie suchten und fanden an dieser Stelle zweifellos die nötige Atemluft. Der Verringerung der Luft kann die Spinne durch Eintragung neuer Luftmengen entgegen- wirken, ein Vorgang, den ich selbst beobachtet habe, z. B. einmal, als ich mit dem starken Boden des Gefäßes kräftig auf den Tisch geklopft hatte. Dabei war die Luft in großen Blasen aus der Glocke entwichen. Die Spinne kehrte in diese zurück, besserte sie durch emsiges SjMnnen aus und füllte sie in der unter VI geschilderten Weise wieder reichlich mit Luft. IX. Wie verhält sich die Spinne bei der durch ihr Atmen bedingten Verschlechterung der Luft in der Glocke.' a) Beim Besitz nur einer Glocke. Rücksichtlich des Haus- oder Häuserbesitzes ein und derselben Wasserspinne herrscht eine große Mannigfaltigkeit. Meine Spinne A, welche wie schon früher gesagt, seit dem 13. September gleichzeitig 2 Wohnungen besessen hatte, verzichtete vom 18. September ab auf ihre erste Glocke, deren Luft nach und nach ganz entwich, und die endlich vollständig verschwand. Von da ab bis zum 2. November bewohnte das Tier nur ihre an zweiter Stelle erbaute Wohnung. Bei so lang- dauerndem Aufenthalt sorgt die Spinne, wie schon Menge 1. c. S. 296 richtig vermutet hat, für das Ent- weichen der versclilechterten Luft und füllt, nach- dem sie die selbst gemachte Öffnung wieder ver- sponnen hat, ihre Glocke von neuem. Hier mag der Bericht über die interessanteste von mir beobachtete Tätigkeit der Spinne folgen, auf den ich schon im Abschnitt III hingewiesen habe. Es dürfte ein völliger Umbau des Wohnhauses einer Argyroneta, der mir auch in tierpsycho- logischer Beziehung von besonderer Bedeutung 632 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 40 scheint, wohl bisher noch nicht beobachtet worden sein. Daher beschreibe ich denselben nach den Aufzeichnungen, welche ich gleich allen Mit- teilungen in dieser Arbeit gemacht habe, während sich die Vorgänge vor meinen Augen abspielten. Die Spinne biß mit ihren Kieferfühlern (wie ich dies auch sonst noch gesehen habe) am 3. No- vember 10 Uhr morgens ein Loch in die Kuppel ihrer bisherigen Wohnung, aus der nun die Luft in großen Blasen entwich, so daß nur das dichte, deutlich sichtbare Gewebe übrig blieb. In dieses Gewebe, welches man mit einem Tuche aus feiner ungefärbter Seide vergleichen konnte, kehrte die Spinne zurück und riß und zerrte mit allen Beinen an demselben. Ihre Bewegungen erinnerten an die eines Kindes, das sich in ein weiches Seiden- tuch völlig eingewickelt hätte und nun mit Armen und Beinen strampelte, um sich wieder frei zu machen, nur waren statt der 4 Gliedmaßen hier 8 in beständiger lebhaftester Tätigkeit. Wieder- holt wurde auch das Gewebe an verschiedenen Stellen von den Beinen durchstoßen. Ich glaubte schon, die Spinne wolle es ganz abreißen und vernichten, doch können ihre Bewegungen nur dazu gedient haben, es weich und geschmeidig zu machen. Dann stieg sie nach erfolgter Toilette wieder zur Oberfläche auf und kam mit einem neuen Luftpanzer zurück. Sie war stets eifrig mit Spinnen behufs neuer Verankerung und Ver- dichtung des Gewebes beschäftigt und streifte unter diesem zahlreiche kleine, an ihren Beinen sitzende Luftblasen ab. Darauf begann in der üblichen Weise der Transport der Luftwalzen und deren Ablösung unter dem Gewebe. Um i Uhr glich das Ge- spinst einer Hängematte, in die sich die Künst- lerin ganz eingeschlagen zu haben schien, so daß ich dachte, sie habe sich zur Winterruhe ein- gekapselt; aber schon um 5 Uhr hatte sie so viel Luft eingetragen, daß sich eine neue Luftkuppel wölbte, welche um 5^/., Uhr zu einer Luftglocke an der Stelle der alten geworden war. Steht der eben geschilderte Wohnungsumbau nicht in direktem Widerspruch mit der nach- stehenden, von Wagner in seinem französisch ge- schriebenen Resume (1. c. S. 171) aufgestellten Behauptung? „En un mot, eile reparera assi- düment sa construction tant que cette reparation n'est qu'une continuation de son travail ordinaire et journalier, et non pas un travail nouveau. Dans ce dernier cas eile ne peut pas l'executer et eile abandonne la construction, Pour cette raison l'araignee ne peut pas du tout reparer un cocon, mtme quand eile remarque les avaries en grimpant sur sa surface et en ,explorant' sa con- struction avec ses palpes. Ces faits definissent la nature psychologique de l'activite des araignees qu'on peut appeler, avec certaincs restrictions du nom de , reparation des constructions', et oü la conscience ne prend point part." Ich kann ganz besonders im vorliegenden Falle nur ein Handeln der Spinne mit Bewußtsein und Überlegung annehmen. Die Lage der bis- herigen Wohnung sagte ihr zu, und sie überzeugte sich davon, daß sich das vorhandene Gewebe nach gründlicher Durcharbeit zur Herstellung einer neuen Glocke besonders eigne. Die Ergebnisse meiner Beobachtungen stimmen demnach mit den von Dahl bei seinem Studium der Radspinnen gewonnenen überein. Dieser sagt 1. c. S. 174 Absatz 3: ,,Da wir beobachten konnten, daß die Spinne in jedem einzelnen Falle ihren Instinkt mit den äußeren Verhältnissen in Einklang brachte, so müssen wir annehmen, daß auch die Instinkthandlungen der Spinne mehr oder weniger bewußt werden;" ferner S. 171: „Mit den Instinkt- handlungen innig verbunden kommen Handlungen vor, welche mit unseren Verstandeshandlungen die größte Ähnlichkeit besitzen, indem sie nicht durch die Beschaffenheit der Organe, sondern nur durch die äußeren Verhältnisse und zwar indirekt bedingt sind", und an anderer Stelle auf S. 174: ,,Ich darf wohl verallgemeinern und annehmen, daß das, was uns bei den Radspinnen als Über- legung erschien, in der Tat ebenfalls mit Über- legung, wie sie bei uns vorkommt, vergleichbar ist." Während, wie berichtet, meine Spinne A vom 18. Oktober bis zum 3. November nur eine einzige Glocke bewohnte und sich in dieser nach dem geschilderten Umbau auch noch am 3. und 4. November ausschließlich aufhielt, stellte sie am 5. November ihre dritte und am 6. ihre vierte Glocke her. \'^on nun ab dienten ihr nur die beiden zuletzt genannten Glocken zum abwechseln- den Aufenthalt. b) Verhalten der Spinne beim gleich- zeitigen Besitz mehrerer Glocken. Wiederholt also hatten meine Spinnen gleich- zeitig 2 Glocken, und Poujade sagt 1. c. S. 73 unten : „Das Tier verläßt bisweilen seine Glocke, um eine andere zu konstruieren, oft an deren Seite. (So auch mehrfach bei den meinen. Bail.) Wir beobachteten eine Wasserspinne, welche deren nacheinander 3 machte, obgleich die ersten in gutem Zustande erschienen." Bei gleichzeitigem Besitz mehrerer Glocken trifilt man die Spinne bei Tage wie bei Nacht bald in der einen, bald in der anderen an, so daß ich z. B. während 24 Stunden meine Spinne A zweimal in Glocke i und zweimal in Glocke 2 sah. Hat sich die Luft in einer jedenfalls absichtlich eine Zeitlang nicht bewohnten Behausung merklich verringert, so wird neue zugeführt, auch steht ein vollständiger Luftwechsel in der früher beschriebenen Weise jederzeit in der Macht der Bewohnerin. X. Spurloses Verschwinden aufgegebener Glocken und ganzer Gewebeschichten. Die aufgegebenen Glocken verlieren nach und nach völlig ihre Luft, die zuletzt auch in Blasen entweicht, und gehen endlich zugrunde, ohne N. F. VI. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 633 irgendwelche Spur zu hinterlassen. Überhaupt ändern sich die Bilder nach Verlauf von Wochen oft vollständig, indem z. B. auch die das Wasser durchsetzenden Fäden und ganze Gewebeflächen verschwinden (s. II. gegen Ende). Paul Westberg „Das Netz der Kreuzspinnen" (Natur und Schule, IV. Band 1905, Seite 125, Mitte) sagt: „Bevor die (Kreuz iSpiniien das neue Netz anlegen, tragen sie das alte auf die sehr einfache Weise ab, daß sie es verzehren. Der Zweck ist einleuchtend; auf diese Weise geht das Baumaterial nicht ver- loren, sondern verbleibt der Spinne und gelangt wieder in den Stoffwechsel ihres Körpers." Mit Rücksicht auf diesen Ausspruch bin ich stets be- müht gewesen, festzustellen, ob meine Argyroneten auch ihre Gespinste schließlich auffressen, doch ist dies sicher wenigstens am Tage nicht ge- schehen. XI. Ernährung und Verdauung. Im allgemeinen haben meine Wasserspinnen am Tage nur wenig gefressen, sich auch einige- mal bereits gefangene Tiere wieder entschlüpfen lassen, dagegen fand ich am Morgen häufig von ihnen getötete und ausgesogene Wasserasseln. Als ich einmal zahlreiche dieser Tiere neu in das Glas geschüttet hatte, wurde eines derselben be- gierig von meiner Spinne A erfaßt, in ihre Glocke gezerrt und dann in aufrechter Lage bei ihrem nach oben gerichteten Munde vorbeigeführt und ausgesogen. Genau dasselbe beobachtete ich noch einmal 3 Tage später. Auch an der Innenseite der Glocke meiner Spinne B fand ich eine ausgesogene Assel. Außer Wasserasseln fraßen meine beiden Spinnen aucii Schlankjungfern- (Agrion-) Larven. Einmal faßte die Spinne A eine mit den Schwanz- kiemen 2,5 cm lange solche Larve an den Schwanzkiemen. Dieselbe entriß sich ihr, sie ging ihr nach und faßte sie nochmals, und zwar höher am Leibe; als jene sich ihr wieder entwand und entfloh, kehrte sie in ihre Glocke zurück; aber am nächsten Morgen befand sich die Larve tot in dieser und die Spinne unter ihr. Eine Stunde später schwebte die Larve in senkrechter Stellung außer- und ziemlich hoch oberhalb der Glocke. Das Emporsteigen nach der Entfernung aus der Glocke hatte eine oben an ihr an Stelle des fehlenden Kopfes sichtbare Luftblase bewirkt. Der Kadaver wie der anderer Opfer der Spinnen wurde dann unter meinen Augen von Wasserasseln ganz verzehrt. ^) ') Diese habe ich, wie hier gelegentlich mitgeteilt sein mag , auch lebende Daphnien fressen sehen. Einmal wurde eine ganz alte (sehr große) .■\ssel von mehreren kleineren angefressen , während sie noch krampfhaft mit den Beinen zuckle. Aber die Wasserasseln fressen auch nach Art der Kaupen Pllanzcnblätlcr. So beobachteten Dr. Speiser und ich wie sie die von Ceratophyllum in rastloser Tätigkeit abfraßen, auch nagten sie sowohl in der Mitte wie vom Rande her Löcher in die Blätter von Elodea angustifolia. Ich habe mich davon überzeugt, daß die Ge- spinste der Argyroneta nie direkt als Fangnetze dienen, so wurden Wasserasscln niemals von den- selben festgehalten, wenn auch ein paarmal ganz leere Häute dieser Tiere, jedenfalls von ihrer Häutung herrührend, an senkrecht herabhängenden Spinnenfäden hafteten. Einmal aber hatte sich eine Ruderwanze (Corixa faleni Fieb.) an mehreren nahe der Glaswand befindlichen Fäden gefangen. Sie ruderte mindestens ' j Stunde lang mächtig mit den langen, ruderartigen Hinterbeinen, wäh- rend das zweite Beinpaar unbeweglich an 2 der F"äden haftete. Endlich riß sie sich los, aber am nächsten Tage hing sie tot mit angezogenen Beinen am unteren Ende eines Spinnenfadens mit nach unten gerichtetem Kopfe. Es gelang mir, sie am Faden hängend herauszuziehen, nicht aber festzustellen, ob ihr Tod durch die Spinne herbei- geführt worden war. Von der kräftigen Ernährung meiner Spinnen zeugten auch deren Exkremente. Um sich letz- terer zu entledigen, verläßt die Spinne jedesmal ihre Glocke und kehrt dann bald wieder in die- selbe zurück. Zur Schilderung des mehrfach von mir beob- achteten Vorganges möge die erste von mir ge- machte Beschreibung dienen. Meine Argyroneta A entleerte gegen 1 1 Uhr morgens in mehreren dicht aufeinanderfolgenden Schüssen bei einer Stellung, als wollte sie nach oben steigen, eine milchige, bläulich-weiße Flüssig- keit, welche in einem etwa 5 cm langen Strahle nach unten fuhr, sich hier wolkenartig ausbreitete und nun aus lauter F'äden bestand, die in sehr kleine Köpfchen endeten. Nach kaum einer Viertelstunde war diese Masse durch Auflösung im Wasser völlig verschwunden. Etwa i Stunde später erfolgte, nachdem die Spinne wieder die Glocke verlassen hatte, ein neuer, aber schwächerer Schuß, dessen Inhalt sogleich im Wasser ver- schwand. Xn. Vermag die Wasserspinne längere Zeit außerhalb des Wassers zu leben? Wie ich schon in der Einleitung dieser Ab- handlung mitgeteilt habe, verschwand meine Spinne B aus ihrem Wasserbehältnisse, in dem ich sie 26 Tage lang in meiner Wohnung beob- achtet hatte. Schon früher hatte ich sie einmal an der senkrechten Wand des Glases oberhalb des Wassers emporkriechen sehen. Nach ge- nauester Untersuchung blieb kein Zweifel, sie mußte aus dem Gefäße entflohen sein; aber zu meinem großen Leidwesen waren alle Anstren- gungen, sie in meinem Zimmer wiederzufinden, vergeblich. Darüber, daß die Argyroneta auch außerhalb des Wassers leben kann, besitzen wir verschiedene Angaben. So sagt Poujade 1. c. : „Die in Ge- fangenschaft gehaltenen Wasserspinnen gehen häufig genug aus dem Wasser, was sie auch in 634 Naiurwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 40 der Natur tun müssen. Wir haben festgestellt, daß in Schachteln eingeschlossene Exemplare, in denen sie Feuchtigkeit nur durch die mitgegebenen Wasserpflanzen fanden, bisweilen in den Winkeln ihres Gefängnisses sich eine trockene Zufluchts- stätte spannen, die von einem Gewebe gebildet wurde, welches dicht genug war, um sie zu ver- bergen." D. L. Uyttenboogaart hatte aus Eiern junge Argyroneten erzogen und berichtet 1. c. von den- selben, daß sie Ende Juni das Wasser zu ver- lassen versuchten, und daß er deren verschiedene in seiner Kammer herumlaufend fand. Er fährt dann fort: „Das Verlassen des Wassers schien ihnen ein Bedürfnis zu sein, denn wenn ich sie in das Aquariuni setzte, verließen sie es wieder. Nur 6 blieben zurück, die sehr gut gediehen." Grube schreibt 1. c. S. 327 : „Was den Artnamen betrifft, so sollte man sie streng genommen lieber amphibia heißen, weil sie ebenso gut außerhalb des Wassers als in demselben leben kann, allein ihre Haupttätigkeit entfaltet sie doch in ihm, und ich muß fast glauben, daß sie nur zur Herbstzeit dasselbe dauernd verläßt, um den Winter vielleicht in Erdlöchern oder nur unter Steinen in der Nähe des Ufers zuzubringen, oder, wie Linne angibt, in Schneckenhäusern. Rev. H. Wood teih 1. c. S. 65 mit, „daß die A. aquatica das Wasser oft für lange Perioden verläßt, even so long as six months." Ferner zitiert er S. 16 eine kurze Notiz des Rev. O. Pickard- Cambridge. ,, Dieser hielt einst eine männliche Spinne dieser Spezies drei Jahre lang in Durham, und jede Nacht kam diese Spinne heraus und wanderte im Zimmer umher". Mir scheinen weitere Versuche gerade nach dieser Richtung hin sehr wertvolle Beiträge zu der Lehre von der Anpassungsfähigkeit zu ver- sprechen, auf welche die neuere Forschung mit Recht großes Gewicht legt. Jedenfalls sind die Tiere von dem Augenblick an, in dem sie in ihrer Luftglocke aus dem Eie schlüpfen, auf die Atmung freier Luft angewiesen. Soweit hatte ich diese Arbeit bis auf die Ein- tragung einiger Zeitangaben und den Hinweis am Ende des Abschnittes I fertiggestellt, als ich mir die Spinne A am 25. März früh wieder nach Hause bringen ließ. Sie baute an diesem Tage keine Glocke, wechselte mehrfach den Platz ohne zu spinnen und hatte an allen Gliedmaßen, an den Tastern und auch am Kopfe so viele und große Luftblasen wie noch nie, so daß sie an allen Teilen, über welche sich nicht der Luft- panzer erstreckte, wie mit Perlen besetzt war. Sie legte dann noch einmal eine neue Glocke an, welche am 28. März sogar 19 mm breit und 13 mm hoch war und in der Form an einen plumpen Schuh erinnerte. Während ich bisher bei den Wanderungen der Spinne ih.re Spinnwarzen nie in Bewegung sehen konnte, sah ich sie an diesem Tage auch einen Faden im freien Wasser spinnen. Am nächsten Tage wollte sie wiederholt neue Luft für die Glocke holen, was ihr aber nur schlecht gelang, da sie nur einmal eine größere Luftwalze zwischen den Hinterbeinen zurück- brachte. Die Glocke, welche wahrscheinlich durch die selbständige Veränderung der Lage einer Wasserpflanze aus ihrer Stellung verschoben war, enthielt am i. April nur noch eine Luftblase von 6 mm Breite und 4 mm Höhe, trotzdem kehrte die Spinne zweimal zu derselben zurück und ver- harrte zeitweise mit dem Hinterleib darin, wälirend ihr Kopfbrustslück und ihre drei vorderen Bein- paare herausragten. Es war mit ihr eine große Veränderung vor- gegangen. Diese äußerte sich in den weit mehr als bisher gekrümmten Beinen, in dem Umstände, daß sie sich fast ausschließlich mit nach oben gekehrtem Rücken bewegte und vor allem darin, daß sie von nun an, und zwar bis zum 10. April, ganz des Luftpanzers und somit ihres Silberglanzes entbehrte. Jetzt sah man an dem mehr rundlich erscheinenden Hinterleibe die dichte Bekleidung mit kurzen, schrägstellenden Haaren, welche in der Lufthülle nicht zu erkennen gewesen waren. Anfangs gewahrte man an der Spinne noch ein- zelne kleine Luftblasen und an den Haaren der Unterseite eine hauchartige, mattglänzende Schicht von winzigen Luftbläschen, später aber war sie oft stundenlang im Wasser, ohne daß sich an ihrem Körper irgend eine Spur von Luft zeigte. Grube, der an einigen hidividuen genau dasselbe beobachtet hat (s. 1. c. S. 336), sagt sogar, daß sie in jenem Zustande tage-, ja zuweilen wochen- lang unter Wasser zubrachten, was aber nur dann zu erweisen wäre , wenn man sie während der ganzen Zeit bei Tag und Nacht unausgesetzt im Auge behalten könnte. Unsere Argyroneta kroch auch in der Luft über die den Wasserspiegel erreichenden Pflanzen und mehrfach ein Stück an der unbenetzten Gefäß- wand empor. Deshalb senkte ich von deren Ende einen dicken Papierstreifen schräg ins Wasser, an dem sie zum breiten Glasrand emporlief Hier sah ich sie in der Luft noch deutlich einen Faden spinnen , den sie durch Aufdrücken der Spinn- warzen am Glase befestigte; dann aber kehrte sie auf den Papierstreifen zurück. Jetzt waren ihre vier äußeren Spinnwarzen in beständiger, regster Tätigkeit. Sie streckten sich viel weiter als früher vor, und man sah aufs deutlichste ihre bereits von mir beschriebene Bewegung. Dabei waren, während das Tier auf den stelzenartig auf- gerichteten vorderen Beinpaaren saß, auch die Hinterbeine krampfhaft tätig, doch schienen sie nur durch Drücken des Hinterleibs seitlich und von unten das Hervortreten des Spinnsekrets fördern zu sollen. Aber obgleich dann auch das 4. und 3. Beinpaar Bewegungen machten, als be- würfen sie den Körper mit Fäden, alle Bemühungen waren vergebens, die Argyroneta hatte ihre Spinn- fähigkeit eingebüßt. Deshalb war es ihr in der Folge unmöglich, sich mit einem Luftpanzer zu umgeben, welcher ja ohne die Fadenbekleidung N. F. VI. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 635 der von ihm zu bedeckenden Teile nicht ent- steht. (iiubc Juildigtc noch der von de Lignac (1749) und Latrcille vertretenen, aber später besonders durch T'iateau's Versuche widerlegten Ansicht, daß die Wasserspinne einen Firnis erzeuge, unter den sie die in die Tracheen aufgenommene Luft aus- scheide, so daß sie von ihm zusammengehalten werde. Wir wissen, daß an der Bildung des Luftpanzers die Tracheen unbeteiligt waren, da- gegen dürfte ihre Mitwirkung bei dem lange dauernden Aufenthalt des Tieres im Wasser ohne Luftpanzer wahrscheinlicii sein. Darüber, ob die von ihnen aufgenommene Luft eine Zeit- lang zur Lebensfristung genügt, oder ob sie in beschränktem Maße als Tracheen-Kiemen wirken können, wie die schon von Duges (s. Plateau 1. c. S. 111) beschriebenen der Mydrachna- Arten, welche dem Wasser die in ihm gelöste Luft entziehen, vermag ich nicht zu beurteilen. Daß aber der des Luftpanzers entbehrenden Argyroneta das Wasser nicht mehr als natürlicher Aufenthaltsort dienen kann, hat auch die meine bewiesen, bei der mit seinem Verluste die Neigung zu langem Verweilen in der Luft wie eine merkliche Ver- langsamung der Bewegungen und Kräfteabnahme eintrat. Wenn sie schließlich mit ausgespreizten Beinen unter Wasser saß, und ich sie anstieß, sank sie in unveränderter Haltung bis auf den Boden des Gefäßes, so daß ich sie mit der Pin- zette, unter deren Druck sie zu zappeln begann, an einem Beine herausziehen mußte. Am 8. April fand ich sie scheinbar tot mit zusammengezogenen Beinen auf einem von mir aufs Wasser geworfe- nen Korke. Ich setzte sie auf Papier, streckte ihre vollständig nachgebenden Beine aus und wollte sie so trocknen. Zwei volle Stunden lag sie ohne die geringste Bewegung unter einem umgestürzten Glase, dann aber rührte sie sich und saß, in ihr Behältnis zurückgebracht, noch bis zum 10. April auf oder unter Wasser an dem Korke, an den sie sich dann mit den Beinen anklammerte. Ich fing ihr Wasserasseln und brachte diese, die durch den Druck mit der Pinzette geschwächt waren, unmittelbar an ihren Mund. Von der einen schien sie sich noch zu nähren und dadurch etwas 'in Kraft und Beweglichkeit zuzunehmen, mit ein paar anderen wollte der Versuch nicht mehr ge- lingen. Bei der frühen Jahreszeit war ich außer- stande gewesen, ihr in einem Terrarium Mücken und andere kleine Lufttiere zuzuführen, einer am 4. April auf das Wasser geworfenen und selbst an ihren Kopf gebrachten Fliege war sie stets ausgewichen. Am 10. April war sie verschieden. Gelegentlich sei noch erwähnt, daß eine große, stark behaarte, in meiner Wohnung gefundene weibliche Hausspinne, Tegenaria (Phileuca) do- mestica, die mit sehr großer Kraft und Schnellig- keit an der senkrechten Innenwand eines trockenen Glasgefäßes emporlief, beim Untertauchen ins Wasser eine größere Luftmasse an den Haaren mit hinabnahm, aber sofort die Beine einzog und, ohne Rettungsversuche zu machen, in kürzester Zeit ertrark, wie daraus hervorging, daß sie auch in der Luft nicht wieder zu sich kam. Danzig, den 14. April 1907. Nachschrift. Seit Absendung meines Ma- nuskripts habe ich reiche Gelegenheit zur Fort- setzung meiner Wasserspinnen - Beobachtungen gehabt, von denen hier nur erwähnt sei, daß ein bisher isoliertes Männchen sich ganz direkt mit bewundernswürdiger Plile in die nahe dem Grunde des großen Gefäßes befindliche Glocke des Weib- chens begab, und daß die in unserem Realgym- nasium ausgeschlüpften Argyroneten mindestens mit dem gleichen Kifer an der Dichtung ihrer winzigen Glocken arbeiteten, wie die Erwachsenen an den großen. Auch sah ich eine alte Argyro- neta in ihrer unmittelbar unter dem gemeinen Schwimmblatt, Salvinia natans, angelegten Glocke. 14. September 1907. Th. Bail. Bücherbesprechungen. i) Prof. Dr. L. Plate , Berlin, Ul t rani on t an e Weltanschauung und moderne Lebens- kunde, Orthodoxie und IMonismus. Die Anschauungen des Jesuiten paters Erich Was- m a n n und die gegen ihn in Berlin gehaltenen Reden. 148 S. 8" mit 12 Textfiguten. Verlag von Gustav Fischer in Jena 1907. — Preis i Mk. 2) Erich Wasmann, S. J. , Der Kampf um das Entwicklungsproblem in Berlin. Aus- führlicher Bericht über die im Februar 1907 ge- haltenen Vorträge und über den Diskussionsabend. 174 S. gr. 8". Freiburg i. Er., Herder'sche Ver- lagshandlung 1907. — Preis 2 Mk. Die Redeschlacht über die Tragweite der Des- zendenztheorie ist geschlagen. Von beiden Seiten liegen jetzt die authentischen Berichte vor und lassen ein endgültiges Urteil über den Verlauf zu. • — Was ist erreicht? — Von den Orthodoxen beider Extreme, von den .Monisten sowohl als von den Vertretern der Kirche hört man vielfach, es sei nichts erreicht. Sie haben von ihrem Standpunkte aus völlig Recht. — Für uns aber, die wir einen Mittelweg für den glück- licheren halten, ist sehr viel erreicht : — Eine erste Aus- sprache zwischen der Kirche und der Naturwissenschaft liegt vor, eine Aussprache in einer schon lange schweben- den Frage. — Bisher galt es für taktlos, wenn ein Biologe auf der Universität, seinen theologischen Kollegen gegenüber, das Gebiet der Deszendenztheorie berührte. Jetzt, nachdem die Aussprache stattgefunden hat, kann man sogar mit einem praktischen Theo- logen über Deszendenztheorie sprechen, ohne für eine Ausgeburt der Hölle gehalten zu werden. — Das ist erreicht, und der Name Erich Wasmann wird mit diesem ersten Versuch eines .Ausgleichs für immer aufs engste verknüpft sein. Drei wichtige Gegensätze scheinen heute noch zu 636 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 40 bestehen. Der erste bezieht sich auf die Herliunft der Materie, der zweite auf die Herkunft der ersten Lebewesen und der dritte auf die Herkunft des Men- schen. — Bevor wir auf die nähere Besprechung dieser Punkte eingehen, scheint es dringend erforder- Hch , sich über einige Grundbegriffe, mit denen in der Debatte viel operiert wurde, zu einigen : — Was ist eine wissenschaftliche Hypothese, was eine Theorie und wo ist die Grenze zwischen Naturwissenschaft und Philosophie? Eine Annahme, die gemacht wird, um gewisse Erfahrungstatsachen zu erklären bzw. miteinander in Einklang zu bringen, ist entweder eine Hypothese oder eine Theorie. Eine Hypothese ist es dann, wenn die Annahme nur durch eine einzige Tatsache gestützt wird oder wenn gar von verschiedenen mög- lichen Annahmen eine beliebig ausgewählt wird. In allen anderen Fällen ist es eine Theorie, und die Theorie ist um so sicherer begründet, je mehr Tat- sachen aus verschiedenen Gebieten für dieselbe vor- gebracht werden können. Von Beweisen kann nicht die Rede sein. Was man beweisen kann , ist eine Tatsache. So ist ein bewiesener Satz der Mathematik eine Tatsache, keine Theorie mehr. — Die Deszen- denzlehre ist nach unserer eben gegebenen De- finition eine Theorie , weil sie durch Tatsachen aus den verschiedensten Gebieten gestützt wird. Sie ist so fest gestützt, daß alle Redner, welche in Berlin zu Worte kamen, sie annehmen, auch Wasmann. — Eine Naturwissenschaft, die mit Theorien und Hypothesen operiert, ist damit noch keine Naturphilosophie. Wäre das Vorhandensein von Hypothesen und Theorien ausschlaggebend, so wären alle Naturwissenschaften Naturphilosophie, denn alle bedürfen der Hypothesen und Theorien, wenn sie die Tatsachen miteinander verketten sollen. — Eine scharfe Grenze zwischen Naturwissenschaft und Naturphilosophie läßt sich wohl nur dann ziehen, wenn wir der Naturphilosophie nur das zuweisen, was wir uns naturwissenschaftlich wohl denken, nicht aber nach unseren naturwissenschaft- lichen Erfahrungen vorstellen können. — Die hier gegebenen Definitionen legen wir der nachfolgen- den Besprechung zugrunde. Natürlich kann man auch anders definieren. Auf jeden Fall aber muß man sich streng an eine bestimmte Definition halten. — Nach unserer Definition würden wir uns, um nur ein Beispiel zu nennen , auf das Gebiet der Philosophie (bzw. Metaphysik) begeben , wenn wir anfangen mit unendlichen Größen zu operieren. Unendliche Größen können wir uns nämlich nur denken, nicht vorstellen. Schon die erste der oben genannten Fragen, ob d i e Materie ewig sei oder nicht, führt uns also nach unserer Definition der Begrifte auf das Gebiet der Metaphysik. A. Secchi („Die Einheit der Natur- kräfte", Deutsche Übersetzung, Leipzig 1876) hat freilich naturwissenschaftlich nachweisen wollen , daß die Bewegung der Materie nicht ewig sein könne, weil diese Bewegung dann heute schon ausgeglichen oder, wenn man will, zum Stillstand gekommen sein müsse. Ich habe aber schon 1886, also in demselben Jahre, in dem der Secchi' sehe Satz von E. du B o i s R e y m o n d zum zweiten Male aufgestellt wurde, da- rauf hingewiesen , daß hier ein Trugschluß vorliege („Die Notwendigkeit der Religion eine letzte Konse- quenz der Darwin'schen Lehre", Heidelberg 1886, S. 85). Secchi (und ebenso du Bois Rey m on d) vergißt, daß wir es mit zwei unendlichen Größen zu tun haben. Im unendlichen Raum ist eine ewig dauernde Bewegung sehr wohl denkbar. Denken können wir uns also, daß die Materie und ihre Be- wegung von Ewigkeit her besteht; denken können wir uns auch, daß die Materie aus nichts entstand; vorstellen können wir uns weder das eine noch das andere. Wir kommen dann zu der Frage nach der Ent- stehung der ersten Organismen. Hier haben wir, im Gegensatz zu der eben behandelten Frage, ein natur- wissenschaftliches, kein metaphysisches Problem vor uns. Es liegt nicht der geringste Grund vor, der uns abhielte, über die Entstehung der ersten Organismen eine natur- wissenschaftliche Hypothese oder Theorie aufzustellen. — Die Organismen bestehen aus anorganischen Ele- menten. Es handelt sich zunächst also nur um das Zu- sammentreten der Elemente zu komplizierten organischen Verbindungen. — Auch heute noch sehen wir organische Verbindungen entstehen , ohne daß andere als die Xaturkräfte zur Wirkung kämen ; freilich nur in der Retorte des Chemikers. — Könnten wir den Nach- weis erbringen , daß früher die Verhältnisse für die Existenz organischer Verbindungen günstiger lagen als jetzt, so wären wir unserem Ziele also schon bedeutend näher. Dieser Nachweis aber läßt sich erbringen : — heute fällt jede kleinste Menge der meisten organi- schen Verbindungen sofort Bakterien zum Opfer. Früher aber, als es noch keine Organismen in unse- rem jetzigen Sinne, folglich auch noch keine Bakterien gab, konnten organische Verbindungen bestehen und sich ansammeln. -— Machen wir nun weiter die natur- wissenschaftlich kaum abweisbare Annahme, daß die Vorgänge, welche wir als Lebensvorgänge bezeichnen, auf die Eigenschaften einzelner der den Organismus zusammensetzenden organischen Verbindungen zurück- zuführen sind (vgl. Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 6, S. 423), — auch diejenigen, welche eine besondere Lebenskraft annehmen, können sich diese kaum anders vorstellen — so ergibt sich das erste Aufblitzen des Lebens völlig naturgemäß. — Die Annahme, die ich hier ganz kurz entwickelt habe, ist naturwissenschaft- lich durchaus vorstellbar, folglich eine wissenschaft- liche Theorie, keine Naturphilosophie, wie Wasmann meint. Seine Annahme aber, die er der meinigen gegenüberstellt, liegt auf metaphysischem Gebiete und muß deshalb von der Biologie, weil dieselbe eine Naturwissenschaft, keine Naturphilosophie ist, abgelehnt werden. W'ir kommen nun zu der Entstehung des Menschen. — Auch hier nimmt W a s m a n n einen besonderen Schöpfungsakt an, auch hier verläßt er also den naturwissenschaftlichen Boden. Und was veranlaßt ihn dazu? — Er meint, daß in der Seele der Menschen etwas stecke, was in der Seele der Tiere fehlt und was sich nicht aus den niederen Funktionen heraus entwickelt haben könne. — Wenn man ihm vorhält, daß sich auch während der indivi- N. F. VI. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 637 duellen Kiitwicklung des Menschen die höheren psy- chischen Funktionen erst ahmühhcli entwickeln, und daß bei Krkrankmigen des Gehirns die höheren Funktionen verloren gehen, erwidert er, der Geist im IMenschen sei immer derselbe, er bedürfe aber zu seiner Betätigung der niederen Funktionen. An deren Unvollkommeniieit liege es also, wenn die höheren Funktionen nicht zum Ausdruck kommen. — Wir akzeptieren diese Aimahme ; nur begeben wir uns nicht mit ihm aufs metaphysische Gebiet. Wir sagen : Der Geist ist auch in den Tieren derselbe, und wenn die höheren Funktionen nicht zur Betätigung kommen , so liegt das an der geringen Ausbildung der niederen Funktionen. Für diese unsere Annahme sprechen die Beobachtungstatsachen durchaus. Wissen wir doch, daß das Gehirn, das auch fiir Wasmann das Organ der niederen geistigen Funktionen ist, beim Men- schen verhältnismäßig groß und vor allem viel kompli- zierter gebaut ist als bei allen Tieren. — In einem sehr wichtigen Punkte stehe ich durchaus auf Was mann 's Seite : Das, was wir in unserem Bewußtsein als Fühlen und Denken kennen , darf man nicht mit der Be- wegung der Materie identifizieren. Wer etwas tiefer nachdenkt , kommt auch vom rein naturwissenschaft- lichen Standpunkte aus zum Dualismus (vgl. Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 6, S. 424). Das Psychische müssen wir Naturforscher uns, ebenso wie die Materie und deren Bewegung, als etwas Gegebenes vorstellen. Nachweisbar ist es für uns nur da, wo ein Gehirn vorhanden ist ; daraus ergibt sich aber noch nicht, daß es nicht auch anderswo bzw. überall sich findet. — Wenn man den Menschen in körperlicher Beziehung eine Sonderstellung hat geben wollen, so ist das nur als Voreingenommenheit zu verstehen. — Nähmen wir mit Wasmann an, daß sich der Mensch unabhängig von der Tierreihe aus einer Ur- zelle entwickelt hätte , so würde es ganz wunderbar sein , daß von der langen Entvvicklungsreihe noch kein einziges Glied versteinert aufgefunden ist. Völlig unverständlich aber wären gewisse Analogien im Bau des Menschen und der Wirbeltiere, vor allem Tatsachen wie die , daß eine größere Zahl von Schwanzwirbeln sich anlegen, als beim ausgebildeten Menschen sich finden (vgl. J. K oll mann, Handatlas der Entwick- lungsgeschichte des Menschen, Jena 1907, Fig. 251 und 243). — Daß solche Analogien nicht in der Materie an sich begründet sein können , beweist uns das Vorhandensein verschiedener Tiertypen. Nur wenn wir annehmen , daß der Mensch sich erst von den höheren Wirbeltieren abgezweigt habe, kommen wir aus dem Paradoxen heraus. Wir kommen nun zu dem Begriff „Wunde r". — Wasmann gibt zu, daß die Wunder, die er annimmt, nicht auf ein launenhaftes Eingreifen des Schöpfers zurückzufuhren seien, daß vielmehr in den Wundern eine höhere, übernatürliche Ordnung zum Ausdruck komme. — Ich stehe in diesem Punkte wieder voll- kommen auf Wasmann 's Seite. Ich bin überzeugt, daß es in der Welt vieles gibt, was wir nicht ver- stehen und vielleicht auch nie verstehen werden. Nur in der Definition des Begriffs „Natur" weiche ich von W a s m a n n ab. Ich schließe in den Begriff Natur alles ein, was existiert. Wenn also ein Gott existiert, gehört er nach meiner Definition des Begriffs zur Natur. Die von Wasmann genannte übernatürliche Ordnung ist also für mich, wenn ich als Naturforscher spreche, ein unerkanntes, möglicherweise auch uner- kennbares Naturgesetz. Wir sind also alle darin einig, daß C^esetze überall herrschen. Was wir nicht ver- stehen, ist für uns ein Wunder. — Ein kleines Erlebnis mag das demonstrieren: • — Am zweiten Pfingsttage des Jahres 1904 traf ich den Kollegen Z. auf dem Bahnhofe in S. Da der Zug etwa 20 Min. hielt, waren wir beide ausgestiegen. Nach kurzem Gespräch bemerkte ich, daß wir fast noch allein auf dem Bahn- steige standen und sagte deshalb : „Wir müssen wohl einsteigen. „„Es ist ja noch gar keine Lokomotive da'"', erwiderte mein Kollege, „„glauben Sie denn etwa an Wunder?"" „Es kommt ganz darauf an, was ich Wunder nenne", sagte ich , ,,nach meiner Fassung des Begriffs stoße ich täglich auf Wunder." ,, „So meine ich es nicht"", war die Antwort, ,,„ein Wunder wäre es, wenn jetzt der Zug abführe, ohne daß die Lokomotive da ist."" — „Bitte, sofort ein- steigen !" hieß es und kaum waren wir eingestiegen, da fuhr der Zug ab. Der Kollege hatte mir ad oculos deinonstriert, daß auch nach seiner Auffassung Wun- der vorkommen. Eine ihm unbekannte Ordnung hatte die Lokomotive nach dem anderen Ende des Zuges dirigiert. — Nun die Zielstrebigkeit. Dieselbe wird von der Ch ambers ' sehen Theorie, im Anschluß an die früher allgemein verbreitete Auffassung, aufrecht erhalten (vgl. Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 5,8. 704 und Bd. 6, S. 301). Die Chambers 'sehe Theorie stützt sich auf die in der organischen Welt durchweg zu beobachtende Zweckmäßigkeit. Einzelne scheinbare und wirkliche Ausnahmen ändern an dieser Tatsache als solcher nichts. Weiter ausgebaut ist Chambers' Theorie besonders von Nägel i. Nägeli meint, daß die in so vielen Gruppen des Pflanzen- und Tierreichs zu beobachtende scharfe Abgrenzung der Arten unter- einander sich nur erklären lasse, wenn man bestimmte Entwicklungsrichtungen oder Entwicklungsgesetze in der lebenden Materie annehme. Auch die schönen Formen und Farben , durch welche sich namentlich die Männchen in manchen Tiergruppen auszeichnen, seien nur durch Annahme bestimmter Entwicklungs- richtungen verständlich. Wasmann hat schließlich noch diejenigen Fälle hinzugefügt , welche er unter dem Namen Amikalselektion zusammenfaßt. — Der C h ambers - Nägeli 'sehen Theorie steht die D a r w i n - W e i s m a n n ' sehe Theorie gegenüber. Die Vertreter dieser Theorie glauben mit denjenigen Tat- sachen völlig auszukommen , welche man tagtäglich an den lebenden Organismen beobachtet: 1) Die Veränderlichkeit (Variabilität), 2) die Vererbung von Abänderungen , w-enn diese nicht äußerlich herbei- geführt sind und deshalb wohl infolge geringer Keim- variationen auftraten, 3) die Tatsache, daß die Indi- viduen weit zahlreicher geboren w-erden als sie fort- existieren können, daß also der Kampf ums Dasein stets zahlreiche Individuen vernichtet. — Die Selek- tionstheorie hat den großen Vorzug, daß sie die oben 638 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 40 genannten, der lebenden Materie innewohnenden, hypothetischen Entwicklungsgesetze , die wir uns naturwissenschaftlich nicht einmal vorstellen können, entbehren kann. Die offenbaren Anpassungen so vieler Formen an ihre Umgebung sprechen außer- dem ganz entschieden gegen die Annahme unabänder- licher Entwicklungsgesetze , da die Entwicklungs- gesetze der Art innewohnen müßten und von der Umgebung unabhängig sein würden. Deshalb ver- wirft Was mann auch die Selektionstheorie nicht ganz. Er meint aber, daß neben der natürlichen Zuchtwahl überall auch Entwicklungsgesetze zur Gel- tung kommen, weil alle Variationen, die wir heute auftreten sehen , schon einen gewissen Grad von Zweckmäßigkeit zeigen. Er vergißt dabei , daß wir in den jetzt lebenden Formen schon das Endprodukt einer langen Entwicklungsreihe vor uns haben. — Daß von jeher alle Variationen in einem gewissen Maße zweckmäßig waren , hat er weder bewiesen noch irgendwie wahrscheinlich gemacht. — An anderer Stelle habe ich gezeigt , daß man bei konsecjuenter Anwendung der Selektionstheorie überhaupt nicht auf Schwierigkeiten stößt. Die Theorie verlangt gar nicht, daß alle Formen im höchsten Grade zweck- mäßig sind , da der Kampf ums Dasein sie nur so- weit zweckmäßig macht, daß sie nebeneinander fort- existieren können. Es können also sogar Zweck- widrigkeiten vorhanden sein , wenn diese nur durch entsprechende Vorteile in anderer Richtung aufge- hoben werden. So können Liebhabereien , die zu- nächst gewisse Vorteile gewähren , schließlich Nach- teile herbeiführen. Ich bezeichnete diese Erscheinung ganz allgemein als Über en t wi ckl un g (Viertel- jahrsschr. wiss. Philos. Bd. 9, 1884, S. 184 ff., vgl. auch: Biol. Centralbl. Bd. 26, 1906, S. i ff.). Daß Wasmann's Amikaiselektion etwas anderes ist als das, was ich bei meinen Ausführungen meinte, hat er nicht beweisen können. Ebenso wenig hat er zeigen können , daß eine Art durch Amikaiselektion völlig zugrunde gehen kann. Wir müssen also an der Selektionstheorie, der Zielstrebigkeitstheorie gegen- über, festhalten, weil die erstere mit bekannten Kräften auskommt und nicht auf Widersprüche stößt. Schließlich kommen wir zu dem Begriff „F" r e i - heit der Wissenscha f t". Hier muß ich mich wieder entschieden auf die Seite Wasmann's stellen. Ja, wo ist denn diese Freiheit der Wissenschaft? — Man wird mir antworten, daß in unserem Staate die Wissenschaft und ihre Lehre frei sei. — Freilich steht das auf dem Papier. Aber diejenigen , welche über die Innehaltung des Satzes zu wachen haben sind auch Menschen. Die erste beratende Stimme bei Anstellungen auf zoologischem Gebiete haben heute z. B. Anhänger des monistischen Glaubens. W'as liegt näher, als daß diese nur Forscher vor- schlagen , welche nicht Gegner des monistischen Glaubens sind. Es liegt mir ganz unendlich fern, hier eine mala fides anzunehmen. — Jene Berater glauben eben , daß nur ihr Glaube die Wissen- schaft fördern könne. — • Nun frage ich nochmals: Wo ist die Freiheit der Wissenschaft? Dahl. i) Berberich, Astronomischer jahresbericht. ATII. Band. Die Literatur des Jahres 1906. 67: S. Berlin, Georg Reimer,, 1907. — Preis 20 Mk. 2) H. J. Klein, Jahrbuch der Astronomie und Geophysik. XVII. Jahrgang. 1906. 403 S. IMit 5 schwarzen und einer Buntdrucktafel. Leipzig, E. H. Mayer, 1907. — Preis 8 Mk. i) Der nach dem Tode des Begründers, W. F. Wislicenus, von Berberich mit gleicher Sorgfalt fort- geführte, astronomische Jahresbericht weist im vor- liegenden Jahrgang einige zweckmäßige Änderungen in der Anordnung auf, vor allem aber ist es sehr freudig zu begrüßen, daß die Referate über wichtigere Werke und Publikationen wesentlich ausführlicher gestaltet worden sind, während andererseits die Be- richterstattung über kurze Mitteilungen und Beobach- tungen von Finsternissen, Sonnenflecken , Meteoren, Veränderlichen u. dgl. durch Zusammenfassung unter einer Nummer erheblich vereinfacht wurde. Die tabellarische Übersicht über Planetoidenbeobachtungen konnte fortbleiben, da sie im Berliner Jahrbuch ent- halten ist. Durch diese sehr dankenswerten Kürzungen wurde es erreicht, daß der Umfang des Bandes trotz der eingehenderen Berichte über sachlich bedeutsame Veröftentlichungen ziemlich unverändert blieb. 2) Das Klein'sche Jahrbuch ist für weitere Kreise bestimmt; daher sind aus der Astronomie nur wich- tigere Arbeiten berücksichtigt. Der ihr zu widmende Raum konnte so auf 80 Seiten beschränkt w-erden. Die Buntdrucktafel zeigt die Sonnenkorona und Pro- tuberanzen bei der Finsternis vom 30. 8. 1905. Der ganze übrige Teil des Bandes ist der Geophysik ge- widmet und bietet eine große Fülle interessanten Stoffes. Die Tafeln beziehen sich auf Erdbeben, Vulkane und Tromben. Kbr. Dr. C. Rohrbach , Sternkarten in gnomoni- scher Projektion. 3. Aufl. Gotha, E. F. Thieneraann, 1907. — Preis 1,40 Mk. Die im Jahre 1894 im Auftrage der Vereinigung von Freunden der Astronomie und kosmischen Physik (V. A. P.) herausgegebenen Rohrbach'schen Stern- karten sind noch immer viel zu wenig bekannt und verbreitet. Gibt es doch kein geeigneteres Material zum Einzeichnen selbst beobachteter Himmelserschei- nungen, z. B. von Meteoren, Nordlichtstrahlen , Ko- metenschweifen , leuchtenden Wolken und Zodiakal- licht. Die eben erschienene, dritte Auflage ist durch ein auch die deutschen Namen der Sternbilder ent- haltendes Register und ein Übersichtsblatt bereichert worden , mit dessen Hilfe die Aufsuchung eines be- stimmten, bei uns sichtbaren Sternbildes in dem von 12 Karten gebildeten Atlas sehr erleichtert wird. Die Rückseite dieses Blattes enthält noch eine kurze Gebrauchs-Anleitung. Übrigens ist von jeder Karte auch eine Blockausgabe, je 10 Exemplare derselben Karte enthaltend, zum Preise von i Mark bei F. Dümmler in Berlin erhältlich. Mitglieder der oben genannten V. A. P. genießen beim Bezüge beider Ausgaben durch den Vorstand der V. .A. P. noch eine wesentliche Ermäßigung des ohnedies sehr niedrig angesetzten Preises. Kbr. N. F. VI. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 639 P. Stroobant, Los observatoires a st 10 110- mi, Sekunde) damit bewerk- 646 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 41 stelligen. Im Atelier genügt bei dem gleichen Objektiv eine Expositionszeit von 15 — 20 Sekunden. Die Entwicklung geschieht in völliger Dunkel- heit (bei bedeckter Schale) nach Zeit, wie man es bisher mit guten farbenempfindlichen Platten ja auch gemacht hat. Die Zeit kontrolliert man am besten mit Hilfe einer Sanduhr, welche in keiner modernen Dunkelkammer, insbesondere dort, wo Mikrophotographien entwickelt werden, fehlen sollte. Man beleuchtet sie durch eine ab- seits stehende rote Lampe. Als Entwickler für die Autochromplatte bedient man sich folgenden Rezeptes : Lösung A. 3 g Pyrogallussäure in 100 ccm Alkohol gelöst. Lösung B. 3 g Bromkalium, 15 ccm Ammoniak, 85 ccm H.,0. Von Lösung A und B werden 10 ccm mit 100 ccm Wasser verdünnt. In dieser Lösung verbleibt die Platte durch 2'/., Minuten, welche Zeit genau eingehalten werden muß. Danach wird 20 Sekunden gewaschen und die Platte dann in ein Bad von i 1 Wasser, 2 g hypermangansaurem Kali und 10 ccm Schwefelsäure gelegt. Ist das geschehen, kann man die Schale sofort ins hellste Tageslicht bringen, woselbst alle weiteren Mani- pulationen erfolgen. Durch dieses Manganbad wird das schwarze (reduzierte) Silber gelöst, was nach 2 — 3 Minuten geschehen und in der Durch- sicht leicht zu beurteilen ist. Hierauf kurzes Waschen. Dann verfährt man folgendermaßen : 1. Das unreduziert gebliebene Bromsilber wird mit Hilfe eines Amidolentwicklers zu metallischem Silber reduziert. Dieser Entwickler wird durch ein sehr verdünntes Bad der oben beschriebenen Per- manganatlösung (20 ccm der Lösung auf 1000 ccm Wasser verdünnt) zerstört. Kurzes Waschen. 2. Verstärken in folgendem Silberbad; 100 ccm H.jO, 0,3 g Pyrogallussäure, 3 g Zitronensäure, 0,5 g salpetersaures Silber. In dieser Lösung soll die Platte nur so lange bleiben, als die Lösung nicht trübe wird, sollte es der Fall sein und die Platte in der Durchsicht nocli nicht die gehörige Kraft haben, so muß die letzte Manipulation wiederholt werden. Kurzes Waschen. 3. Manganbad i g auf 2000 H.,0 durch 10 Sekunden bis I Minute zur Klärung. Kurzes Waschen. 4. Fixieren in saurem Fixierbad durch 2 Mi- nuten, dann wird die Platte durch nur 5 Minuten in fließendem Wasser gewaschen und möglichst rasch getrocknet. Trocknen mit Alkohol jedoch streng verpönt, am besten auf einer rotierenden Scheibe! 5. Übergießen mit einem Lack aus 20 g Dammarharz und 100 g Benzol. Alle diese Manipulationen lassen sich in Wirk- lichkeit viel rascher ausführen, als wir sie hier beschreiben konnten, insbesondere erleichtert wird aber das Arbeiten dadurch, daß man schon nach 3 Minuten die Dunkelkammer verlassen kann und alles im Tageslicht geschehen, nicht nur kann, sondern muß. Pehlaufnahmen sind bei halbwegs richtiger Expositionszeit so gut wie ausgeschlossen. Herr Professor Valenta an der hiesigen graphischen Lehr- und Versuchsanstalt hatte die Liebenswürdigkeit, mir seine Aufnahmen, die er mit von der Firma Lumiere zur Probe einge- sandten Platten gemacht hatte, zu demonstrieren, und ich muß sagen, daß mich das Resultat über- raschte. Die Bilder sind von außerordentlicher Schärfe und großer Klarheit und sehr getreuer Wiedergabe der Farben. Die Weißen des Bildes bestehen aus von Kollodion überdeckten Schichten von rot, blau und grün gefärbten Stärkekörnchen, sind also naturgemäß jene Stellen im Bilde, welche am ehesten getrübt sein könnten und dennoch sind sie von bewundernswerter Klarheit, wenn auch zugegeben werden muß, daß sie ihre körnige Struktur nicht verleugnen. In den farbigen Partien des Bildes werden die andersfarbigen Stärkekörnchen von dem geschwärzten Silber verdeckt, so daß nur die dem Objekt entsprechend gefärbten Körnchen sichtbar sind. Die Schatten- partien bestehen aus Silber, das nur durch geringe Mengen von Farbkörnchen getont ist, dadurch erscheinen sie in großer Natürlichkeit, ein persi- scher Teppich von graublauer Grundfarbe mit einem saftig braunen Muster zeigte alle farbigen Schattierungen auch in den F"alten in vollendeter Wahrlieit. Was aber dem Auge des Botanikers besonders auffallen mußte, war die herrliche Wiedergabe des Sammetcharakters an Rosen und Stiefmütterchen, der bekanntlich durch die papil- lösen Ausstülpungen des Epithels entsteht. Die bisherigen Farbenphotographien zeigten meist eine in der Natur niemals realisierte Bunt- heit, die übrigens bei einem Teile des Publikums sehr geschätzt ist, man denke dabei nur an die große Beliebtheit der von der Photoglobgesell- schaft herausgegebenen Bilder. Die an diesen Bildern so viel bewunderte Brillanz der E"arben wird bei den Lumiere'schen Photochromien an- genehm gedämpft durch das stets beigemischte Schwarz des Silbers: nirgends ein schroffer Über- gang, alles Harmonie und Natürlichkeit. Es ist freilich auch möglich, die Aufnahme sofort nach dem Entwickeln zu fixieren, wodurch man ein Negativ enthält, das aus komplementären Farben zusammengesetzt ist, z. B. das Grün der Bäume rot, das Rot grün. Das Verfahren, von solchen Negativen eine größere beliebige Anzahl von Positiven zu erzeugen, ist noch in Ausarbeitung. Vorläufig ist jede Aufnahme ein Unikum, da sie direkt in ein Positiv verwandelt wird. Ob sich mit Hilfe des oben beschriebenen Utopapiers werden entsprechend gute Abzüge machen lassen, muß erst die Erfahrung lehren. In hoffentlich nicht zu langer Zeit werden zahlreiche Versuche mit diesen neuen Platten an- gestellt werden können. Vorläufig sind sie noch N. F. VI. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 647 immer nicht im Handel erhältlich, vielleicht aber schon, wenn dieser Artikel in die Hände der Leser gelangt. Bevor ich schließe, möchte ich noch auf eine Notiz hinweisen, für deren Richtigkeit ich keine (iarantien übernehmen kann, die aber, falls sie auf Wahrheit beruht, ungeahnte Perspektiven eröffnet. Das Prager Tagblatt und nach diesem auch die Photographische Korrespondenz, das Organ der Photographischen Gesellschaft in Wien, brachte in der Julinummer d. J. die Mitteilung, daß es der Firma G. Albert Smith in Southwick bei Hrighton auf firund langwieriger Experimente gelungen ist, F'ilms herzustellen, die empfindlicli (siel) genug sind, mit der nötigen Geschwindigkeit l""arben aufnehmen zu können. Die so aufge- nommenen F'arbwerte werden durch Kinemato- graphenlaternen auf die Szene projiziert. Prak- tische Experimente sollen die Brauchbarkeit der t^rfindung bestätigt haben. Kontinuierliche elektrische Schwingungen und die Poulsenstation Lyngby. ') INachdnick verboien.J Nach Duddell übersetzt und ergänzt von Dr. phil. Gustav Eichhorn-Zürich. In einem Vortrage vor der British Association in Leicester behandelte W. Duddell kürzlich die beiden heutigen Methoden zur Erzeugung elektrischer Schwingungen zu Zwecken der draht- losen Telcgraphie, nämlich die Funkenmethode und die Lichtbogenmethode. Die erstere ist heute so bekannt, daß wir Duddel's rekapitulierende Ausführungen darüber füglich übergehen können ; dagegen ist seine Darstellung über die neue Licht- bogenmethode aktuell und von allgemeinem Interesse. Wir lassen D u d d e II selbst das Wort : „Die Lichtbogenmethode beruht auf der Ver- wendung meines musikalischen Lichtbogens. Zur näheren Erklärung muß ich auf einige Eigen- schaften des Gleichstromlichtbogens eingehen. Wenn ich die Potentialdifferenzen in Abhängigkeit von langsamen Stromesänderungen im Lichtbogen graphisch aufzeichne, so erhalte ich eine Kurve, die man als die Charakteristik des Bogens be- zeichnet. Solche Kurven unter verschiedenen Bedingungen sind z. B. von Frau Ayrton ein- gehend untersucht worden.*) Mit Kohleelektroden in Luft konstatiert man einen rapiden Spannungs- abfall, wenn die Stromstärke allmählich von kleinen Werten an erhöht wird; der Grad des .Abfalls nimmt jedoch immer mehr ab und ist bei Stromstärken von 10 — 12 .Ampere vergleichs- weise schon sehr gering. Bei Lichtbogen zwischen Metallelektroden haben wir die Diskontinuität der Kurven schon bei sehr kleinen Stromstärken, ge- wöhnlich unter i Ampere. Bei Lichtbogen, die man in einer Wasserstoffatmosphäre brennen läßt, fand Upson einen viel steileren Verlauf der Kurven als für den gleichen Lichtbogen in Luft. Dieser Punkt ist sehr wichtig zur Erklärung des Po ulsen 'sehen Wasserstoffgenerators für elek- trische Schwingungen, auf den wir nachher ein- gehen werden. Im allgemeinen haben wir also das Resultat, daß steigende Stromstärken fallende Spannungsdifferenzen und vice versa verursachen und sprechen wir in solchem Falle von einer fallenden Charakteristik. Im Jahre 1900 zeigte ich nun, daß man in einem elektrischen Schwingungskreis, d. h. einem Kreis mit Kapazität und Selbstinduktion, den man parallel zu einem derartigen Lichtbogen schaltet, einen kontinuierlichen Wechselstrom er- hält und bezeichnete ich dieses Phänomen als den musikalischen Lichtbogen. Die Frequenz dieser Schwingungen hängt ab von Kapazität und Selbst- induktion und kann nach der bekannten Thomson- formel berechnet werden. Neben der vorhin erwähnten Bedingung für den Lichtbogen ist es notwendig, daß die relative .Abnahme der Spannungsdifferenz, die durch ein gegebenes Anwachsen des Stromes hervorgebracht wird, d. h. die Steilheit der Charakteristik, einen gewissen minimalen Wert übersteige, welcher von den Energieverlusten im Schwingungskreise ab- hängt. Auch ist es erforderlich, daß ein Ansteigen des Stromes von einem Abfall der Spannung be- gleitet ist, selbst wenn die .Stromwechsel sehr schnell sind. — Betrachten wir einmal den Sach- verhalt etwas näher. Im Moment, wenn ich den Schwingungskreis anlege, fließt ein Strom vom Lichtbogenkreis in diesen Schwingungskreis, was auf eine Reduktion der Stromstärke im Lichtbogen hinzielt. Diese Reduktion des Stromes tendiert also jetzt eine Vergrößerung der Potentialdifferenz zwischen den Polen des Bogens und bewirkt ein gesteigertes Abfließen des Stromes in den Kon- densatorkreis, so daß man schließlich am Kon- densator eine höhere Spannung hat als die nor- male Bogenspannung. Infolgedessen beginnt nun der Kondensator, sich durch den Bogen zu ent- laden, was die Stromstärke im Bogen vergrößeit und die Potentialdifferenz vermindert, so daß sich der Kondensator zu viel entladet und das um- gekehrte Spiel wieder einsetzt. Der Kondensator kann sich nicht auf eine normale Ladung bei einer gewissen Spannung aufladen, da eben die Potentialdifferenz an den Bogenpolen nicht konstant bleibt; in der Tat sinkt letztere, wenn der Kon- densator entladen ist, und sie steigt, während der Kondensator sich ladet, woraus ein kontinuierliches Hin- und Herwallen des Stromes resultieren muß. Aus oszillographischen Aufnahmen kann man er- ') Vgl. Aufsatz desselben Verfassers in Nr. 4 u. 5 dieser Zeitschrift, 1907. ^ ') t^ingehende experimentelle und theoretische Unter- suchungen sind vor allem von Prof. Simon (Göttingen) aus- geführt worden. 648 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 41 kennen, daß die Schwingungen im Kondensator solche Werte annehmen, daß dieser während seiner Ladung dem Bogen den ganzen Strom wegnimmt und dieser Gleichstromlichtbogen in Wirklichkeit ein pulsierender wird. Diese Schwan- kungen im Bogen beeinflussen auch die umgebende Luftsäule und so entsteht ein Ton von der Fre- quenz des Wechselstromes im Schwingungskreis. Wir können auf diese Weise dann auch andere abgestimmte Schwingungskreise durch Resonanz erregen. Stromes und der Spannung im gleichen Sinne und proportional, so daß sich dann der Bogen wie ein gewöhnlicher Widerstand verhält. Gemäß einer Mitteilung an den International Electrical Congreß in St. Louis 1904 hatte in- zwischen aber Poulsen die Entdeckung gemacht, daß eine wesentliche Steigerung der Frequenz (und Intensität) der Schwingungen dadurch erreicht wird, daß man den Lichtbogen nicht in Luft, sondern in Wasserstoff oder einer Wasserstoff ent- haltenden Atmosphäre brennen läßt; im gleichen Fig. I. Äußeres der Poulsen-Station Lyngby. Für die Zwecke der drahtlosen Telegraphie mit Hertz'schen Wellen war die erzielte maximale Frequenz dieses Lichtbogen - Schwingungskreises nicht ausreichend; es ergab sich nämlich bei fort- gesetzter Steigerung derselben (durch Verminde- rung von Kapazität und Selbstinduktion) eine Grenze, oberhalb welcher überhaupt keine Schwin- gungen mehr auftraten. Es lag dies offenbar daran, daß man bei höheren Fre(iuenzen den Strom im Lichtbogen zu schnell wechselt, als daß ein Wachsen der Stromstärke noch eine Verminderung der Potentialdifferenz im Gefolge haben könnte. Wie ich experimentell gezeigt habe, erfolgt bei hin- reichend schnellem Wechsel das Anwachsen des Sinne wirkte auch ein transversales Magnetfeld, wie es früher E 1 i h u Thomson zu anderen Zwecken verwendet hatte. Die erste praktische Anwendung dieser neuen kontinuierlichen Schwin- gungen genügender F"requenz und Intensität machte Poulsen für eine drahtlose Telegraphie zwischen seinen Stationen Lyngby und Esbjerg (von der ersten s. nachstehende Beschreibung). Inzwischen sind die Apparate noch weiter vervollkommnet worden und die „Amalgamated Radio Telegraph Company", welche die Poulsen'schen Patente exploitiert, verwendet diese Methode an ihren großen Stationen in Cullercoats und anderswo. Bei der Funkentelegraphie haben wir es mit N. F. VI. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 649 relativ stark gedämpften Wellenzügen zu tun, während die Schwingungen nach der Lichtbogen- methode kontinuierlich sind. Mit letzteren können wir deshalb ganz analog verfahren, als wenn wir es mit einem kontinuierlichen Strom wie bei der gewöhnlichen Drahttelegraphie zu tun hätten, d. h. wir können sie nach Belieben in Gruppen abbrechen, um die Punkte und Striche des Morse- alphabets zu bilden, so daß kein Grund vorhanden ist, weshalb wir auf diese Weise nicht auch ebenso schnell ohne Draht als mit Draht telegraphieren sollten, denn auf jeden Punkt entfallen selbst bei einer Geschwindigkeit von 300 — 400 Worten in der Minute eine große und für die Syntonie ge- nügende Anzahl von Oszillationen. Nach der Schwingungen genügend häufig automatisch unter- brechen um im Telephonhörer einen wahrnehm- baren Ton zu erzeugen und zwar kann dies ent- weder am Sender oder Empfänger geschehen; ein Beispiel für den letzteren Fall ist der Poulsen- sche „Tikker". Eine bedeutungsvolle neue Quali- tät besitzen die neuen kontinuierlichen Schwin- gungen insofern, als sie eine drahtlose Telephonie ermöglicht haben, wobei man im Sender ein ge- wöhnliches Mikrophon verwenden kann, um im Lichtbogen den Strom zu modifizieren und so die Intensität des schwingenden Stromes zu variieren, während im Empfänger geeignete, auch bisher schon gebräuchliche, Indikatoren verwendet werden z.B. der elektrolytische Detektor, der auflntensitäts- Fig. 2. Inneres der Poulsen-Station Lyngby. F'unkenmethode ist die Telegraphiergeschwindig- keit durch die mögliche Anzahl der P'unken bei der Entladung des Schwingungskreises begrenzt und relativ klein ; immerhin sollen nach den letzten Nachrichten über kleine Entfernung von Stationen der englischen Postbehörde Telegraphiergeschwin- digkeiten bis zu 70 Worten in der Minute erreicht worden sein. Da prinzipiell kein Unterschied zwischen der alten und neuen Methode drahtlos zu telegraphieren besteht, so können natürlich auch die bisherigen Empfänger für die kontinuierlichen Schwingungen benutzt werden, nur muß man selbstredend für die P^mpfänger mit Telephon die kontinuierlichen Schwankungen reagiert und dieselben in einem Telephon wieder in die Sprachlaute umsetzt. Es ist klar, daß eine drahtlose Telephonie noch wesent- liche Vorzüge vor einer drahtlosen Telegraphie hat und auf Grund sehr befriedigender Vorver- suche wird jetzt zwischen Oxford und Cam- bridge ein solcher drahtloser Telephoiiverkehr nach der Po u Isen • Methode eingerichtet." Ich lasse nun eine illustrierte Beschreibung der Po u Ise n - Großstation Lyngby folgen, welche ich infolge einer freundlichen Einladung des Herrn Poulsen im letzten Sommer besuchte. Fig. i zeigt das Äußere der Station. Zwischen zwei aus Holz konstruierten, 70 m 650 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 41 hohen JVIasten, die ca. 90 m voneinander abstehen, ist oben ein Kupferseil ausgespannt, von welchem aus 23 Kupferlitzen, welche den Luftleiter aus- machen, nach beiden Seiten gezogen und dann nach ihrer Vereinigung in das Stationshaus ein- geführt sind. Das entsprechende elektrische Gegen- gewicht wird von einem Drahtnetz gebildet, welches über der Erde isoliert ausgespannt ist. Als Antriebsmaschine dient ein Petroleummotor von ca. 20 PS., welcher eine Dynamo antreibt, die den Bogengenerator speist. Die Dynamo kann ca. 10 Kilowatt leisten bei einer Spannung von 500 Volt. oder mit Relais und Morse benutzt. Herr Poulsen führte mir auch bereits eine neue ingeniöse Vor- richtung zu einer photographischen Registrierung der Morsezeichen vor. Die Station Lyngby empfängt auf diese Weise gute Signale von der Station Cullercoats bei Newcastle, Entfernung ca. 950 km. Letztgenannte Station hat nur 4,6 Kilowatt Speisestromenergie zur Verfügung. Die Aufnahme kann auch gleich- zeitig mit Hörer und Schreibapparat ohne be- sondere Schwächung der Deutlichkeit geschehen. Die maximale Reichweite der neuen Station Lyngby |ist noch nicht ganz festgestellt. Vor- Fig. 3. Poulscn-Generator (Resonanzversuch). Als Generator wird nur ein einziger Licht- bogen in Wasserstoff und mit kräftigem transver- salem Magnetfeld benutzt. Die Elektroden sind, wie gewöhnlich bei Poulsen, Kupfer — Kohle, und die Kupferanode kann bei großer Speisestrom- energie auch noch künstlich durch Wasser abge- kühlt werden. Dieser Generator hat sich als sehr konstant und leicht zu bedienen erwiesen. Die erzeugte Schwingungsenergie variiert je nach der angewandten Wellenlänge im allgemeinen von 2 bis 5 Kilowatt. Als Empfänger wird vorzugsweise der gewöhn- liche Poulsen 'sehe Tikker mit Telephonhörer läufig hat man indessen mit einer Wellenlänge von ca. 1200 m die Verbindung mit dem dänischen Überseedampfer „Hellig Olav" bis zu einer Ent- fernung von ca. 2000 km dauernd aufrecht erhalten. Zwei gleiche Stationen wie Lyngby dürften sicher auf mindestens 3000 km miteinander verkehren können; eine Po u Isen -Versuchsstation bei Berlin empfing bei günstigen atmosphärischen Verhält- nissen von diesem Dampfer noch bei 3300 km Entfernung ein längeres Telegramm tadellos. Die folgende Fig. 2 zeigt das Innere der Station Lyngby. Rechts erblickt man den Sender. Durch ein Ebonitfenster (mit Blitzableiter) wird die An- N. F. VI. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 651 teniie in das Zimmer geführt und von da nach außen durch das untere Hbonitfenster zum Gegen- gewicht. Ein UmschaUer verbindet die Antenne bald mit dem Geber bald mit dem Empfänger, der letztere ist links zu sehen, wo die für das P o u 1 s e n - System besonders charakteristische, ganz lose Kopp- lung (großer Abstand der beiden Spulen) auffällt. Sowohl den photographischen Schreibapparat wie den Tikker mit Hörer erblickt man im Anschluß an den Sekundärkreis. Neuerdings ist der Empfangs- apparat mit einer V^orrichtung zur Lautverstärkung verbunden , welche es ermöglicht , die Zeichen noch ca. 30 m vom .Apparat entfernt deutlich zu hören. Um die einzelnen Teile des l'o u Isen- Gene- rators noch besser zu zeigen, schließen wir noch eine weitere Abbildung, Fig. 3, an, welche den bekannten Versuch der Erregung einer Resonanz- spule veranschaulicht. .Station Lyn gby wird ohne Zweifel noch viel von sich reden machen, be- sonders wenn sie eiimial auch den drahtlos tele- phonischen Verkehr über größere Entfernungen ^r Ausbildung gebracht hat, wie dieser jetzt schon über kleinere Entfernungen auch an anderen Orten, z. B., wie oben erwähnt, zwischen Oxford und Cambridge, auf Grund der neuen kontinuier- lichen Schwingungen nach System Poulsen erfolg- reich ausgeführt wird. Im Reich des Bibers. (Nachdruck verboten.] V'on Dr. Erich Meyer, G Bekanntlich gehört die zwischen Wartenberg bei Wittenberg und Magdeburg gelegene Strecke des Eibtales und der angrenzende Teil des Mulde- tals zu den wenigen Stätten, die dem in Europa aussterbenden Geschlecht der Biber noch Zuflucht bieten. Der größte Teil dieses Gebietes ist anhaltinisch und das Ausdauern des Bibers dürfte großenteils mit dem Schutze zusammenhängen, den er haupt- sächlich in den Bezirken genießt, die herzoglicher Privatbesitz sind. So findet man besonders im Gr. Kühnauer See, dem Relikt eines toten Armes der Elbe westnordwestlich von Dessau, noch be- wohnte Holzbauten des Bibers. Jedenfalls hat aber auch die Art der Wald- kultur wesentlichen Einfluß auf seine Verbreitung. Er ist ein arger Holzverwüster, und wer seine Waldbestände ängstlich pflegt und bewacht, wird den Biber nicht im Revier dulden. Nun trägt das Eibtal, gerade gegenüber Kos- wig i. Anhalt und von hier an westlich bis zur Mulde auf den Meßtischblättern Koswig und Dessau herrliche, urwaldähnliche Bestände von Laubholz, die — großenteils in herzoglichem Privatbesitz — sich viele Kilometer weit auf dem schweren Schlick- boden der Eibaue zwischen unabsehbaren Wiesen- flächen hinziehen, und bei deren Pflege augen- scheinlich der unberührten Schönheit des Waldes und der ungestörten Ruhe des reichen Wildbe- standes mehr Rechnung getragen wird als der Ausnutzung des Holzwertes. So kommt es, daß man hier mitten in einem Gebiet ])einlich ausgenutzten Kulturlandes einen wahren Urwald antrifft, in dem zwischen schlank aufstrebenden Eschen und dichten Ulmen, Buchen und Ahornen noch Tausende von uralten Eichen — stets zu kleinen Gruppen vereinigt — ihre wimmelnden Aste zum llimmel recken, ein An- blick, wie man ihn in dieser Fülle kaum an einer anderen Stelle des deutschen Vaterlandes haben dürfte. Weiden, Weißdorn, wilde Apfelbäume, an sandigeren Stellen Kiefern — und (am „Wilde- !olog. Landesanstalt Berlin. berg") selbst Kastanien drängen sich in diese Ge- meinschaft, Hopfen hängt an den Waldrändern in Guirlanden nieder und den schweren Schlickboden decken bis in Schulterhöhe wuchernde Kräuter, aus denen hier und da rotblühende Disteln mit daumdicken Schäften bis zu 3 m Höhe aufschießen. Da diese Wälder größtenteils in der Region zwischen Sommer- und Winterdeich liegen, sind sie von toten Wasserarmen regellos durchzogen, die entweder flachere und breitere, halb ausge- trocknete Sumpfwiesen bilden oder als schmale Wasserschlingen sich ins Waldesdunkel hineinziehen, hie und da überbrückt von morsch niederge- brochenen, der Rinde entkleideten Stämmen. Während nun diese toten Wasserläufe entweder zu schmal und flach oder zu temporär sind, um dem Biber Wohnung zu bieten — denn ganz wider Erwarten konnte ich hier nie irgendwelche Spuren seiner Tätigkeit entdecken — hält und hielt er sich in einigen breiteren und dauernd mit Wasser gefüllten Seen, den. Überresten einer toten Elbe, die gegenüber diesen Wäldern auf der Nord- seite des Flusses bei Klicken liegen, noch heute bzw. vor wenigen Jahren auf. Der eine dieser Seen ist die ,,alte Elbe" i '/.j km südwestlich Klieken, der in der freien Wiesenfläche liegt, ohne an Wald zu grenzen. Doch ziehen sich schmale Streifen von wüstem, ungepflegtem Gehölz bis in die unmittelbare Nähe des Gewässers. Hier und in einem ebensolchen Laubgehölz 500 bis 600 m nordwestlich vom See, unmittelbar am Talrand südlich vom Deichwächterhaus, haben die Biber rücksichtslos gehaust. Nahe am See fand ich bei der geologischen Aufnahme im LIerbst 1903 von ihnen zahlreiche Weiden- und Ulmenstämme gefällt. Ein etwa 1 dm starker Ulmenstamm war von ihnen unten ganz, an zwei anderen Stellen, wenig höher, halb durchnagt, wobei die oft zollangen Riefen, welche die Vorderzähne machen, mit glattem Schnitt das Holz quer durchfurchen als wäre es Wachs. Da- bei ist das Ulmenholz so eisenhart und zäh, daß 652 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 41 es zwei Männern nicht gelang, die nur noch etwas über zollstarke Bißstelle ohne I lilfe eines großen Steines durchzubrechen. In dem Wäldchen am Talrande nahe dem Deich wächterhause nahm ich im August 1906 das Bild Nr. 1 auf. Schon von weitem konnte man hier von Süden aus zwei Stellen im Gehölz entdecken, an denen die etwa i — 2 dm dicken Stämme in größersj Anzahl verdorrt (weil unten geschält) emporstarrten. Beim Näherkommen sah ich solche Stämme ge- radezu dutzendweis gefällt über und nebeneinander liegen. Fig. I zeigt mehrere gefällte Stämme, darunter im I Untergründe einen ziemlich starken, noch be- laubten Weißdornbaum. Der Stamm rechts im Vordergrunde liegt noch, wie er gefallen ist, durch einige Fasern mit seinem kegelförmigen Stumpf zusammenhängend. Vom Biber abgeschnittene Äste finden sich dort überall in Unmenge. Der Zweck des Fällens soll darin bestehen, die grünen Äste zu erlangen, die dem Biber zur Nahrung dienen. Holzbauten errichtet er in dem eben besprochenen See angeblich nicht mehr, sondern haust, wie man mir sagte, hier in Erd höhlen. Diese Angabe hat aber jedenfalls nicht durch- gehende Gültigkeit, denn bei einem Besuch von Koswig i. Anh. am 13. April 1907 fand ich, daß zwei Biber daselbst etwa 50 m von dem Deich entfernt, der das Koswiger Lug umzieht, und nur etwa 200 m von den letzten Häusern an der sog. „Gänsehutung" in dem vom Hochwasser be- deckten Wiesenterrain unter einer Weide einen Bau aus Zweigen errichtet hatten, auf dessen Dach Fig. I. Gehölz mit vielen vom Biber gefällten Bäumen am Rand des alluvialen Eibtales, westlich von Klieken. Fig. 2. Toter Eibarm am Seeberg bei Klieken; rechts vorn das steile diluviale Talufer, links im Hintergrunde das Eiballuvium. N. F. VI. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 653 sie lagen. Nach Angabe der dort wohnenden Leute waren sie — wahrscheinlich vom Hoch- wasser der P-lbe vertrieben — hierher gekonimcn, hatten erst im Lug zu bauen angefangen, dann, als sie verjagt wurden, dicht außerhalb des Deiches. Sie zeigten sich durchaus nicht scheu, lagen ruhig auf ihrem Bau und sollen oft in der Nähe des Deiches herumschwimmen und Zweige holen. Kinder behaupteten, sie hätten gesehen, wie der eine mit einem großen erbeuteten Fisch fortge- schwommen wäre. Doch ist diese Angabe mit großer Vorsicht aufzunehmen, da der Biber reiner Pflanzenfresser sein soll. Vielfach scheint übrigens der Biber aus reiner Lust am Nagen oder aus Zahnpflegebedürfnis die Bäume zu bearbeiten, da man häufig die oben erwähnten, mehrfach durch- nagten Stämme findet. Fig. 2 stellt einen kleineren Teich 2 km west- lich von Klicken dar. Die Kiefern des Vorder- grundes stehen hart am Rande des diluvialen, zum Teil interglazialen Plateaus, das hier eine geologisch sehr interessante Kieselgurablagerung einschließt. Das Plateau fallt steil und hoch nach dem Teich ab, hinter dem links noch das alluviale Elbtal sichtbar wird, das hier als Erlenmoor ans Wasser herantritt. Auch dieser kleine See, der ebenso wie der von Groß-Kühnau noch ein weiteres Relikt der Vorzeit: die ebenfalls in Deutschland aussterbende Wassernuß Trapa natans L. birgt, muß noch vor kurzer Zeit Biber beherbergt haben, denn zahlreich sind am Steilufer die freilich be- reits morschen und wurmstichigen Stümpfe junger, vom Biber abgeschnittener Kiefern. Am bemerkens- wertesten ist hier aber ein jetzt ganz verdorrter, ca. 80 cm im Durchmesser haltender Rüsterstamm, vmi den unten ringsherum eine sehr tiefe, vom Biber geschnittene 1 lohlkchle verläuft. Nur eine einzige P'aser Rinde, die in einer tiefen Einkerbung verläuft, ernährte noch 1903 einen der unteren Äste, an dem damals mehrere Blätter grünten und mir die Feststellung der Baumgattung ermög- lichten. Die Rüster steht am Wasser auf dem Rande eines flachen Deltakegels (undeutlich im Mittelgrunde des Bildes) unterhalb einer kleinen zum See hinabfüiirenden Schlucht, in der ich 1903 einen alten Biberschädel fand. Es ist dies die auch in der geologischen Lite- ratur mehrfach erwähnte Schlucht, in der diatomeen- führender Sandstein zutage tritt. Gegenüber Wittenberg findet sich der Biber nach einer gütigen Mitteilung von Herrn Bürger- meister Dr. Schirmer noch heutigen Tages in dem kleinen See am Hofe Bodemar bei Bleesern und in der Eibaue vor dem Deich daselbst. Die von mir oben beschriebenen und abge- bildeten Stätten sind leicht zugänglich, da man sie in ca. 40 Minuten von der kleinen Haltestelle Klicken der Koswig — Roßlauer Bahnstrecke er- reichen kann. Umfassende Angaben über die Relikte des Bibers in Deutschland findet man bei H. Friedrich : Die Biber an der mittleren Elbe. Nebst einem Anhange über Platypsyllus castoris Ritsema, verlegt bei Paul Baumann Dessau 1894. Diese Arbeit ist seinerzeit in der „Naturw. Wchschr." besprochen worden. Kleinere Mitteilungen. Die Eroberung des Luftmeeres lautete das Thema eines Vortrages, den Prof. Hergesell auf der Dresdener Xaturforscherversammlung hielt. Im ersten Teile dieses Vortrages behandelte Redner die Methoden und Resultate der wissenschaftlichen Erforschung der höheren Luftschichten mit Hilfe der Ballons und Drachen. Bei den neuesten Ex- peditionen, die H. in Gemeinschaft mit dem Für- sten von Monaco in nördlichen Meeren unter- nahm, wurden fast ausschließlich frei fliegende Gummiballons verwendet, deren zwei miteinander verbunden ein 50 m tiefer hängendes Registrier- instrument für Aufzeichnung der meteorologischen Elemente tragen. Sobald infolge der immer stärker werdenden Expansion beim Aufstieg in höhere Schichten einer der Ballons platzt, sinkt der zweite mitsamt dem Instrument in etwa einer halben Stunde bis zur Meeresfläche hinab. Noch ehe er dort jedoch anlangt, taucht ein 100 m unter dem Ballon, also 50 m unter dem Instru- ment hängender Schwimmer in das Wasser ein und entlastet dadurch den Ballon derartig, daß er zu sinken aufhört und als eine weithin sichtbare Marke dem verfolgenden Schiffe die Möglichkeit bietet, nachzukommen und das Registrierinstrument nebst Ballon und Schwimmer einzuholen. Wie wir bereits in einer früheren Nummer (38) erwähnten, sind in diesem Jahre zahlreiche Expe- ditionen verschiedener Nationalität tätig gewesen, um ein einwandfreies Beobachtungsmaterial aus allen Teilen der Erde herbeizuschaffen. Wenn nun auch definitive Resultate über die Ergebnisse dieser Unternehmungen zur Stunde noch nicht vor- liegen können, so sind doch bereits einige hoch- wichtige und überraschende Tatsachen zweifellos ans Licht gekommen. Dahin gehört vor allem die Erkenntnis, daß die höchsten Atmosphären- schichten am Äquator kälter sind als in der po- laren Zone. Während dort in 18 — 20 km Höhe ') Temperaturen von nahezu — 100" beobachtet wur- den , zeigte sich in gemäßigten und kalten Ge- genden, daß in etwa 11 — 12 km Höhe mit etwa — 58'^ die regelmäßige Temperaturabnahme bei zunehmender Höhe aufhört, ja daß sogar eine Zunahme einzutreten pflegt. Diese Temperatur- umkehrschicht liegt in verschiedenen Breiten ver- ') Die größte bislier überhaupt von einem Registrierballon erreiclite Höhe beträgt 25800 m; sie wurde von einem in Straßburg aufgelassenen Ballon notiert. 654 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 41 schieden hoch : Während sie am Äquator bei 20 km Höhe noch nicht erreicht wurde, hegt sie in 80" Breite nur noch 7 km hoch. Nach einer allerdings nur mit großer Reserve vorgetragenen Ansicht von Hergesell dürfte diese isotherme Schicht die (jrenze darstellen, bis zu welcher der vertikale Luftaustausch emporreicht, der die Ur- sache der Wolkenbildung ist. Über jener Schicht gibt es dann vermutlich keine dynamischen Ver- änderungen der Temperatur mehr, sondern es wirken nur die Strahlungseinfliisse. Im zweiten, praktischen Teile seines Vortrages behandelte Hergesell die Frage des lenkbaren Luftschiffes, bei welchem er drei Typen unter- schied, den des starren Systems (Graf Zeppelin) den des halbstarren Systems (Lebaudy) und den des nicht starren Ballons von v. Parseval. Die von jedem auf Brauchbarkeit Anspruch machen- den Luftschiff zu erfüllenden Bedingungen sind Stabilität, genügende Fahrtdauer und hinreichend großer Aktionsradius. Das Luftschiff muß sich möglichst lange in gleicher Höhe halten können und muß imstande sein, durch dynamische Mittel die Höhe zu wechseln, ohne Ballast auszuwerfen. Außerdem muß ihm eine genügend große Ge- schwindigkeit erteilt werden können, damit es die Atmosphäre einigermaßen beherrschen kann. Das starre System (zwölfeckiges, aus Aluminium- blech hergestelltes, langgestrecktes Prisma mit spitz zulaufenden Endflächen) hat den Nachteil, daß die Dimensionen des Luftschiffes weit größere sein müssen als beim nicht starren. Da aber eine lange Fahrtdauer unbedingt große Dimensionen erfordert, da die kleinen in diesem Sommer mit so vielem Erfolg zu Berlin und Paris aufgestiege- nen Ballons sich höchstens einige Stunden in der Höhe halten können , so kann jener Nachteil der großen Dimensionen die vielen Vorzüge des star- ren Systems nicht aufwiegen. Vor allem sind am starren System Steuerflächen zur Veränderung der Höhe sehr leicht anzubringen, während dies beim nicht starren Ballon große Schwierigkeiten be- reitet. Auch müssen die unstarren Ballons, um prall zu bleiben, im Inneren ein Ballonet haben, das durch einen durch Motor betriebenen Venti- lator mit Luft gefüllt wird. Wenn der Motor versagt, hört der Ballon auf lenkbar zu sein. Beim starren System ist ein solches Mittel zur Aufrecht- erhaltung der F'orm nicht nötig, auch läßt sich bei diesem der Propeller in den Druckmittelpunkt des Widerstandes bringen. Beim nicht starren Ballon befindet sich dagegen der Propeller in der Gondel, also tief unterhalb des Widerstandsmittel- punktes, wodurch eine beträchtliche Unruhe ent- steht. In der Tat sind denn auch die Leistungen des Zeppelin'schen Ballons allen anderen überlegen, wie besonders die neuesten Nachrichten über die diesjährigen, nach Vollendung der großen, schwim- menden , eisernen Halle wieder aufgenommenen Versuche erkennen lassen. Immerhin ist es gut, daß bei uns auch die nicht starren Systeme ver- vollkommnet wurden. Sie haben andere Zwecke und Ziele: man wird mit ihnen viel studieren und untersuchen können, während das starre System Aussicht dazu hat, ein vollendetes Verkehrsschiff zu werden. Kbr. Ein lichtelektrisches Photometer nach Elster und G eitel von hoher Empfindlichkeit wurde von ersterem auf der Naturforscherversammlung zu Dresden vorgeführt. In den Stromkreis eines Clark'schen Normalelements ist ein Galvanometer und eine Vakuumröhre eingeschaltet, in welcher ein Platinring als Anode und eine Kaliumschicht als Kathode dient. Diese lichtempfindliche Geißler- röhre ist in ein Metallgehäuse eingeschlossen und mit einem Ansatzrohr versehen, durch welches das Licht, abblendbar durch Kappenverschluß, Irisblende und eine blaue Glasscheibe, auf die Kaliumkathode einfallen kann. Dieses Gehäuse läßt sich nach Art eines Phototheodoliten gegen jede beliebige Stelle des Himmels richten. Bei der Bestrahlung kommt ein der Belichtungsstärke proportionaler, lichtelektrischer Strom zustande, der mit Hilfe des Spiegelgalvanometers beobachtet wird. Bei Gelegenheit der Beobachtung der letzten Sonnenfinsternis zeigte der Galvanometerausschlag schon eine Minute nach dem ersten Kontakt einen Rückgang. Das Instrument, dessen Empfindlichkeit allerdings auf die blauen und grünen Strahlen be- schränkt ist, zeichnet sich durch große Handlichkeit aus und kann binnen einer halben Stunde an jedem beliebigen Orte montiert werden. Es dürfte sich daher besonders zu Untersuchungen über die Konstanz der Sonnenstrahlung und über die Extinktion des Sonnenlichts in der Atmosphäre in ihrer Abhängigkeit von Meereshöhe, .Sonnen- stand und Klima eignen. Kbr. Bücherbesprechungen. Natur und Staat. Beiträge zur naturwissen- schaftlichen Gesellschaftslehre. Verlag von Gustav Fischer, Jena 1907. IX.') Die er- erbten Anlagen und die Bemessung ihres Wertes für das politische Leben. Von Dr. phil. Walter Ha eck er in Nagold. Ein ausgezeichnetes, ein merkwürdiges, belang- reiches Buch ! Wenn es in seiner gegenwärtigen Ge- stalt dem Preisgericht vorgelegen hätte , so wäre zu vermuten , daß es mit einem Preise bedacht worden wäre. Die verhältnismäßig späte Herausgabe hat je- doch dem Verf. Zeit gelassen , eine Überarbeitung und Ergänzung vorzunehmen , wobei ihm Prof. Dr. H. E. Ziegler in Jena und der Bruder des Verf, der Biologe Prof. V. Haecker, jetzt in Stuttgart, früher in Ereiburg, mit RatschVagen zur Seite standen ; die ursprüngliche Gestalt des Buches ist daher nicht mehr zu erkennen. Walter Haecker, geb. 1866, stu- ') I— VIII. siolie III. Bd. Nr. 3, 14, 34, IV. Bd. Nr. 2, 20, V. Bd. Nr. 34. N. F. VI. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 655 dierte Theologie (und jedenfalls auch gründlich l'hilu- Sophie), war Pfarrer in W'eilderstadt und ist jetzt Pro- fessor am Lehrerseminar in Nagold. Er hat sich in die naturwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Fächer so eingearbeitet, daß er sie bis einschließlich der neuesten Literatur beherrscht. Deswegen war er wie wenige andere befähigt, die zum Jenaer Wett- bewerb gestellte Preisfrage zu beantworten. Sein Buch ist ganz systematisch angelegt ; es gliedert sich streng nach I., A , a., aa. usw. und führt eine knappe Sprache sowohl in den Begriffsbestimmungen, wie auch in den Begründungen. Da ist kein Wort zu- viel, keines zu wenig, und dies macht das Lesen zu einem ästhetischen Genuß, um so mehr, als der Verf. alle entbehrlichen Fremdwörter vermeidet und einen durchsichtigen , klaren Stil schreibt. Besonders her- vorragend sind die Abschnitte zur Vererbungslehre und zur Lehre von der natürlichen Auslese, wobei der .Auslese im ijolitischen Leben eingehende Auf- merksamkeit gewidmet wird. Noch nie sind Erbgut, oder wie der Verf. sagt , K e i m g u t , und Über- lieferungsgut so scharf auseinandergehalten und in ihren Wechselbeziehungen geschildert worden. Überall unterscheidet der Verf. Ursache n forschung und Wer t fo r schu n g. Er zeigt, daß die Werte nicht durch die Ursachenforschung festgestellt werden können, sondern subjektiv gefärbt sind und deswegen nicht diskutiert werden können. Die Werturleile wer- den erst durch den Menschen selbst hereingebracht und sind nach Rasse und Abstammung verschieden. So sind auch die Ideale verschieden. Nachdem sich der Verf. auf den Boden des deutsch-christlichen Ideals gestellt hat, ist der Weg frei, die Wertbeurtei- lung auf die vorher gewonnenen biologischen Erkennt- nisse anzuwenden und er gelangt zur Begründung seiner praktischen Folgerungen. Wie dies bei einem folgerichtigen Darwinianer selbstverständlich ist , haben seine Ansichten eine aristokratische Fär- bung und demgemäß auch seine Vorschläge zur „politischen Technik". Die Ständebildung erkennt er als nützlich an für die Erhaltung und Fortpflanzung des auserlesenen Keimgutes. Voraussetzung ist, daß die Gattenwahl nicht planlos, sondern innerhalb der Standesgenossen geschieht. Die Stände dürfen jedoch keine Kasten sein , die sich nach unten abschließen, sondern jeder Befähigte soll in seinen Studien ge- fördert und an seinen richtigen Platz gebracht wer- den. Durch die gesichertere Lage der höheren Stände wird das Keimgut der Gefahr der Entartung ausge- setzt, andererseits ist bei der jetzigen Ordnung die Erziehung einer größeren Kinderzahl den höheren Ständen erschwert. Verf. fordert daher gesunde Lebensverhältnisse für die oberen Stände und verweist auf gewisse Beamtenkategorien, wie Landpfarrer und Staatsdiener, die ihren .Amtssitz auf dem Lande haben. Hier findet sich eine besonders geringe Sterblichkeits- zifter und der Nachwuchs aus solchen Familien ist als durchschnittlich zahlreich und tüchtig bekannt. Der Übervölkerung muß durch Kolonisation im weitesten Maßstab begegnet werden. Streng logisch kommt der Verf zu der Forderung eines Ausgleichs zwischen den politischen Rechten und der Leistungs- fähigkeit. Die „Edelsten der Nation" sollen Vor- rechte genießen, vermehrtes aktives Wahlrecht oder Sitz und Stimme in einem besonderen Vertretungs- köiper. Die Monarchie hat sich bewährt; das Gewicht geschichtlicher Erinnerungen hat einen un- zerstörbaren Wert für ein großes Volk und was von der Monarchie im großen gilt, trifft auch für die Erben der Großbetriebe in Landwirtschaft und Indu- strie in geringerem Maße zu. Das aus dem demo- kratischen Gleichheitsgedanken hervorgegangene all- gemeine, gleiche Wahlrecht findet kritische Würdigung. Die Verschiedenheit der Veranlagung wird bei diesem Wahlrecht übersehen. So wenig aber jedermann zur Ausübung des Schöffen- und Geschworenenamtes gleich befähigt ist , ebensowenig kann jeder 25 jährige unbescholtene Mann ohne wei- teres befähigt sein, die Aufgabe zu erfüllen, die ihm mit dem Wahlrecht zugefallen ist. Eine Vorübung im Gemeindeleben w-äre erwünscht. Es ist falsch , das allgemeine Wahlrecht als Gegengabe für die allge- meine W e hrpfl i cht zu betrachten ; denn abgesehen davon, daß beim Heeresdienst die körperliche Tüch- tigkeit entscheidet, ist der Gegenwert der allgemeinen Dienstpflicht in der Gewährleistung des Friedens enthalten , die jedem Volksgenossen zugute kommt. An eine Beschränkung des Reichstagswahlrechts ist aber für absehbare Zeit nicht zu denken, da hierdurch politische Katastrophen heraufbeschworen würden, im Vergleich mit denen die Nachteile des bestehen- den Systems als das kleinere Übel gelten müssen. Der Raum verbietet, näher auf das einzugehen, was der Verf. an gesunden Gedanken über die Behand- lung der „Minderwertigkeiten", über Kolonial- und Polenpolitik sagt. Das muß der Leser bei Haecker selbst nachlesen. Ebenso seine Vorschläge in dem Abschnitt „Organe im Dienste des Endziels". Die schw'ächeren Abschnitte sind der über die Ent- stehung des sozialen Lebens , wo der sonst so treftende Stil auf einmal wortreich und weitschweifig wird, weil der Verf nicht von der Frage loskommen kann, ob die Familientriebe oder die Geselligkeits- triebe das Frühere seien ? Hätte er sich zu der Ant- wort entschlossen , daß sie bei ihrer Entstehung unabhängig voneinander sind und gar nichts mit- einander zu schaffen haben , so hätte sein Buch an Geschlossenheit gewonnen. Die Trennung schließt natürlich nicht aus, daß familienhafte Völker ver- lotterten auch an sozialer Kraft überlegen sind. Ferner ist zu bedauern , daß er sich nicht an die übliche Einteilung der europäischen Menschenrassen gehalten hat. Er unterscheidet nur Nordländer und Südländer, d. h. Germanen und Romanen ; daß aber das nichtgermanische Element in Europa wieder aus z w e i deutlich getrennten Rassen mit verschiedenen Seelenanlagen besteht , der alpinen und der mittel- ländischen Rasse, ist doch nicht unwesentlich. Letz- tere kommt in Deutschland so gut wie nicht in Be- tracht , hingegen in England , wo die alpine keine Rolle spielt. Diese Ausstellungen sollen aber die Wertschätzung des Haecker'schen Werkes nicht ver- ringern; es ist eines der bed eu t ends t en, die der Jenaer Wettbewerb hervorgebracht hat. 6s6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 41 • Mit der ' voriiegenden Veröftentlichung sind die in das Sammelwerk „Natur und Staat" aufgenommenen Preisschriften sämtlich dem Publikum vorgelegt. Als X. Band wird das Schlußwort von Prof t)r. H. Ziegler folgen, der nochmals eine Übersiclit über das Ganze und eine Würdigung der positiven Ergebnisse des Wettbewerbs verspricht. Man darf diesem Schlußwort mit Spannung entgegensehen , da Ziegler nicht nur das ganze Material des Wettbewerbs genau kennt, sondern auch durch seine eigenen Ar- beiten auf dem Gebiet der natürlichen Gesellschafts- lehre berufen erscheint, das letzte Wort in der frag- hchen Sache zu sprechen. Dr. Otto A m m o n - Karlsruhe. Literatur. Braeß, Marl. ; Tiere unsrer Heimat. Mit zahlreichen Bildern nach der Natur in Zeichngn. u. Photographien. Hrsg. vom Dürerbunde. {Vlü, 192 S. m. g Tat.) 8". München, G. D. W. Callwey '07. — 3 Mk., geb. 4 Mk. Domin, Dr. K.: Monographie der Gattung Koeleria. Mit Taf. XII— XVII. (S. 177—248.) Stuttgart, E. Schweizer- bart. '07. 24 Mk. Fischer, Prof. Dr. Ed. : Der Entwicklungsgang der Uredincen und die Entstehung neuer Formen im Pflanzenreich. [Aus: „Mittlgn. d. naturforsch. Gesellsch. in Bern aus d. J. 1907.]" (21 S.) gr 8". Bern. K. J. Wyss '07. — 50 Pf. Föppl, Prof. Dr. Aug.. Vorlesungen üb. technische Mechanik. (In 6 Bdn.) 5. Bd.: Die wichtigsten Lehren der höheren Elastizitätslheorie. (XII, 391 S. m. 44 Fig.) gr. 8". Leip- zig '07, B. G. Teubner. — Geb. in Leinw. lo Mk. Lannb, Prof Horace : Lehrbuch der Hydrodynamik. Deutsche autoris. Ausg. (nach der 3. engl. Aufl.) besorgt v. Dr. Johs. Friedel. Mit 79 Fig. im Text. (XIV, 7S8 S.) '07. — Geb. in Leinw. 20 Mk. Potonie, Landesgeol. Bergakad.-Prof. Priv -Doz. Dr. H. : Die Entstehung der Steinkohle u. verwandter Bildungen ein- schließlich des Petroleums. 4. verb. u. erweit. Aufl. (47 S. m. Abbildgn.) gr. 8°. Berlin '07 , Gebr. Borntraeger. — 4 Mk. Sievers, Prof. Dr. Wilh.: Allgemeine Länderkunde, kleine Ausg. (In 2 Bdn.) 2. Bd. Mit 11 Textkarten, 16 Profilen im Text, 21 Kartcnbeilagen, i Tab. u 15 Taf. in Holzsch. AUg. u. Farbendr. (VIII, 450 S.) Lex. 8". Leipzig, Biblio- graph. Institut '07. — Geb. in Leinw. 10 Mk., auch in 17 Lfg. zu I Mk. Anregungen und Antworten. Herrn Oberkontrolleur L. S. in Znaim (Mähren). — Sie beobachteten, daß am 13. Juni d. J. um g'/s Uhr abends, nachdem bei Gewitterschwüle und intensivem Wetterleuchten plötzhch ein 5 Min. dauernder Platzregen eingetreten war, Wasserinsekten in dichten Scharen die elektrischen Bogen- lampen umschwärmten. Am andern Morgen fanden Sie auch einen JiyHsciis am Boden. — Dieselbe Erscheinung wurde nach Ihrer .■Xngabe auch 2 km weiter östlich beobachtet. — Sie vermuten, daß eine Wasserhose die Insekten zu Ihnen ge- führt habe und meinen , daß man durch Mitteilung ähnlicher Beobachtungen von verschiedenen Seiten vielleicht näheren Aufschluß über das plötzliche Erscheinen derartiger Insekten erhalten könne. — — Es handelte sich in Ihrem Falle wahr- scheinlich um ein massenhaftes Auftreten von Eintags- fliegen, Kphemeridae, wie dies oft beobachtet wird. Bekannt ist ein derartiger Massenflug besonders von drei größeren .■\rten, von Palinijcnia longicmida Ol., die von Amsterdam bis Ungarn häufig vorkommt, von iHiyoneura rhenana Imh., die am Rhein von Cöln bis Basel beobachtet wurde und von l'olijmitarcys virgo Ol., die sich von den Niederlanden, Frank- reich und Spanien nach Osten ausbreitet. Näheres über die Unterschiede der Arten und die umfangreiche Literatur finden Sie in einer Arbeit von A. E. Eaton (A revisional Mono- graph of Recent Ephemcridae or Mayflies, in: Trans. Linn. Soc. London, 2. Scr. Zool. Vol. 3, 1883, p. 23, 31 u. 45). Die erstgenannte Art fliegt im Juni, die beiden anderen im August. Es handelt sich in Ihrem Falle also wohl um Pa- lingciüa lonyicauda, die auch unter dem Namen ,, Theißblüte" beliannt ist. — Eine recht eingehfnde Monographie dieser .\rt hat C. Cornelius veröffentlicht (Beiträge zur näheren Kenntnis der Pnlingenia longicauda Ol., Elberfeld 1848). Die Larve lebt an tonigen (nicht sandigen) Ufern langsam fließen- der Flüsse. Das fertige Insekt erscheint in der Regel zwi- schen dem 12. und 20. Juni , selten früher oder später und zeigt sich meist nur an drei aufeinanderfolgenden Tagen in großer Zahl. Die ersten Tiere erscheinen abends kurz vor 7 Uhr, und gegen 10 Uhr ist der Flug beendet. — Sehr ein- gehend ist, außer der genannten Arbeit, der Bericht von R. A. F. Reaumur über Polymitarcys virgo (in: Memoires pour servir ä l'histoire des insectes T. 6, Paris 1742, p. 457 — 522). — Von gelegentlichen Beobachtungen liegen außerdem sehr zahlreiche Berichte vor, ohne daß diese unsere Kenntnis über den Gegenstand irgendwie gefördert hätten. — Unklar ist noch immer, durch welche Umstände die kleinen Schwan- kungen in der Zeit des Erscheinens und in der Individuenzahl bewirkt werden. Man nimmt an , daß die Härte des Winters und die Temperaturverhältnisse des Frühlings maßgebend sind. Ich meine, daß man hier bei der Untersuchung auf breiterer Basis vorgehen müßte. — Wir wissen noch sehr wenig darüber, wieweit das nächtliche Schwärmen der Insekten mit der Witterung in Beziehung steht. — Man sollte einmal einen Sommer lang an einem geeigneten Orte allabendlich P'änge machen, und zwar in einer Weise, daß die Fänge als vollkommen objektiv gelten können, etwa mittels eines Selbstfängers, wie ich ihn in meiner ,, Kurzen Anleitung zum wissenschaftlichen Sammeln und zum Konservieren von Tieren" (Jena 1904) auf S. 38 beschrieben habe. Der Inhalt der Fänge müßte dann nach Tierart und Individuenzahl sorgfältig registriert werden. — Würde man daneben genaue meteorologische Beobachtungen machen und beides vergleichen, so würde eine schöne wissen- schaftliche Arbeit entstehen. Dahl. Herrn Oberlehrer C. in Itzehoe. — Sie möchten ein Re- zept zu einer Masse genannt haben, mit welcher Sie den Bo- den von Präparierbecken zum Sezieren kleinerer Wirbeltiere ausfüllen können, wenn möglich mit Angabe, ob diese Masse auch auf Emaille haftet. — — W. Kükenthal (Leitfaden für das zoologische Praktikum, 3. Aufl., Jena 1905, S. l) empfiehlt reines Wachs und fügt hinzu: ,,Von der des öfteren empfohlenen Mischung des Wachses mit anderen Stoffen, z. B. mit gebrauchtem Paraffin, ist nur abzuraten, da es alsdann zu brüchig wird. Damit die Präparate sich besser vom Untergrunde abheben, wird das Wachs gefärbt. Dies geschielit, indem man es durch Erhitzen flüssig macht und alsdann eine Portion von käuflichem Frankfurter Schwarz hineinschüttet, umrührt und kurze Zeit aufkochen läßt, damit der Farbstoff sich gleichmäßig verteilt und beim Erkalten des Wachses nicht nach unten sinkt. In die horizontal gestellten Becken wird alsdann die flüssige Masse etwa '/•> cm hoch eingegossen und langsam erkalten gelassen, um das lästige Rissigwerden zu vermeiden." — Soweit Kükenthal. — Daß diese Masse auf Emaille hinreichend haftet, ist wohl kaum anzunehmen. Kükenthal empfiehlt desh.alb Blechgcfäße, in welche ,, dicht oberhalb des Bodens drei starke Nägel einge- trieben und verlötet" sind. Dahl. Inhalt: Dr. A. Jencic: Fortschritte der Photographie in natürlichen Farben. — Duddell und Eichhorn: Kontinuier- liche elektrische Schwingungen und die Poulsenstation Lyngby. — Dr. Erich Meyer: Im Reiche des Bibers. — Kleinere Mitteilungen: Prof. II er gesell: Die F.roberung des Luftmeeres. — Elster und Geitel: Fin lichtelek- trischcs Photometcr. — Bücherbesprechungen: Natur und Staat. — Literatur: Liste. — Anregungen und Ant- worten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliehe Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. F. Koerber Neae Folge VI. Band; der ganzen Reihe XXII. Band. Sonntag, den 20. Oktober 1907. Nr. 42. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten , wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei gröfieren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenarmahme durch die Verlags- handlung. Ein von der Holländisch-Indischen Sumatra-Expedition entdecktes Tropen-Moor. [Nachdruck verhüten.] Von H. PotOnie. Wenn auch tropische Hitze die Zersetzung organischer Substanzen wesentHch beschleunigt, so fehlen doch Humusböden in den Tropen durchaus nicht. ') Stark humose oder mit einer schwächeren Humusschicht bedeckte Waldböden sind dort vorhanden. Auch sonst findet man Angaben über Humusbildungen in den Tropen, wie insbesondere in Sümpfen. -) Über das Vorkommen von Mooren reichen die .Angaben in der Literatur aber nicht aus. •') Wenn auch oft genug von „Waldmooren" u. dgl. gesprochen wird, so sind mir doch nähere An- gaben über die regelrechte Moornatur derselben nicht bekannt geworden. Nach einer brieflichen Mitteilung von Dr. Fried r. Katzer herrschen z. B. in den sog. Waldmooren des tropischen Süd- amerika unorganische Bestandteile vor; echte Torfbildung haben weder er noch andere Tropen- ') Es sind hier und im folgenden stets die Tropen mit Tropen-Klima gemeint, nicht kältere Gelände, wie sie auf Ge- birgen der Tropen vorhanden sind. -) Vgl. diesbezüglich z. B. die Angaben von Johannes Walther in seiner Einleitung in die Geologie. Jena 1893, p. 811fr. ') Es ist zu beachten, daß hier und im folgenden unter ,, Mooren" nur Gelände mit Torfboden zu verstehen sind. reisende, die ich um Auskunft bat, beobachtet, es sei denn auf kühleren Gebirgshöhen. Man könnte meinen, daß die große Produktion organischer Substanz in den Tropen die Zer- setzungsintensität übertreffen dürfte. „Wenn die Menschen Deutschland verließen, so würde dieses nach 100 Jahren ganz mit Holz bewachsen sein," so beginnt — nach A. Möller 1891 p. 235 — Heinrich Cotta seine Anweisung zum Wald- bau, und Möller fügt dann hinzu: „Wenn die Menschen Blumenau (in Brasilien) verließen, so würde dieses in 10 Jahren ganz mit flolz be- wachsen sein." Herr Dr. S. H. Koorders macht mir ferner Mit- teilungen ') über spontane Neubewaldungen in den Tropen und speziell über diejenigen Spezies, die dazu in erster Stelle beitragen. Danach hat sich eine Strecke auf der Insel Nusa Kambangan in der Provinz Banjumas in Mittel Java innerhalb 30 Jahren durch einen Urwald mit über 2,5 m hohen Bäumen auf der Ostspitze genannter Insel bedeckt, während der Genannte auf der Westseite ein ähnliches holländisches Tal inner- ') Vgl. auch seine ,, Beobachtungen über spontane Neu- bewaldung auf Java" (Forstl. naturw. Zeilschrift 1895). 6s8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 42 halb 7 Jahren in genannter Weise spontan wieder mit Mischwald bestanden fand. Der Boden war in dem letzten Fall sehr deutlich humos geworden; es fand sich aber keine ausgesprochene auch noch so dünne Humusdecke. W. D e t m e r teilt mit ^), daß eine Maispflanze in Buitenzorg auf Java an lufttrockener Substanz der oberirdischen Organe in 32 Tagen 29,5 g, in Jena in 32 Tagen jedoch nur 6,5 g produziert hatte, in den Tropen also in dieser kurzen Zeit etwa fünffach so viel wie bei uns. Sehr interes- sante vergleichende Angaben über die Schnelligkeit und das erreichte Körpervolumen von Pflanzen- arten einerseits in den Tropen, andererseits in Deutschland gibt Dr. Ko Orders. ") Danach erreicht z. B. eine 9jährige Albizzia moluccana auf günstigem Boden eine Gipfelhöhe von 33 m, eine gjiihrige Buche jedoch bei uns kaum 2 m Höhe, eine gleichalterige Lärche etwas über 4 m und eine ebenfalls 9jährige Edeltanne etwa i m. Fig. i. Bei erreichtem 17. Lebensjahre sind die respek- tiven Zahlen für Albizzia 44 m, für die in Deutsch- land gewachsenen angegebenen Arten, nämlich die Buche rund 3,5 — 4 m, die Lärche 10 m, die Tanne etwa 3 m. •') Hinsichtlich des Volumens zeigte ein 33 m hoher, 9 Jahre alter Baum von Albizzia 6,6 cm sog. Derbholz (d. h. Holz über 10 cm Durchmesser), „diese Produktion wird in Europa nur bei einigen Bäumen im 80. bis 100. Jahre erreicht." Dabei ist zu beachten, daß solches Holz von Albizzia ein vielfach gebrauchtes Bauholz ist. Nach Detmer (1. c. p. "]& — 78) soll man „in den tropischen Urwäldern, weder in den brasilia- nischen noch in den javanischen, keineswegs eine so bedeutende Menge umgesunkener Baumriesen antreffen, wie man von vornherein erwarten sollte. Im Gegensatz dazu fällt" — sagt er weiter — ,,die große Anzahl modernder Stämme, welche den Boden mitteleuropäischer Urwälder bedecken, um so mehr auf," wie z. B. im Luckenwald am Kubani in Böhmen. Der erfahrene Kenner tropischer Vegetationen Dr. Koorders sagt mir aber, daß in den wirklichen Urwäldern, wo besonders feste Hölzer vorkommen, wie in Tectona-Urwäldern in der Provinz Rembang (Mittel-Java), umgefallene Bäume viele Jahrzehnte hindurch in großen Mengen liegen bleiben , und dann noch zum Export brauchbar sind. Sie werden von der niederländischen Regierung verkauft bzw. werden Strecken zum Herausholen dieser toten und herumliegenden Stämme verpachtet. Auf einer Expedition, an der Dr. Koorders als Botaniker in Mittelsumatra teilgenommen hat, fanden sich im ') BoUm. und Kindwirtsch. Studien auf Java. Jena 1907 p. 25 und 26. ") Over de waarde von Albizzia mohiccana Mip. voor reboisatie op Java (Teysmannia V. 1894.I. — Waarnemingen ovcr spontane reboisatie op Java (Teysmannia. Batavia, 1894). — Wildernis in een 6 j.aar gcleden verlaten fort op Java (Teysmannia, Balavia, 1898). ') Die Angaljen für die deutschen Bäume nach Gayer, Waldbau 1883. tiefsten immergrünen Mischhochwald eine sehr große Zahl gefallener Waldriesen, die das Passieren unter Umständen sehr beschwerlich machte. Immerhin ist zu sagen, daß in den gemäßigten Zonen in der Tat die Zersetzung von Pflanzen- material sehr viel langsamer vonstatten geht als in den Tropen, daß hier die größere Wachstums- intensität meist nicht ausreicht, um hinsichtlich der Humusproduktion mit der gemäßigten Zone konkurrieren zu können, wie Detmer angibt und mir Dr. Koorders bestätigt. Die in Mitteleuropa fehlenden Termiten helfen die Zersetzung in den heißen Ländern wesentlich beschleunigen und die Zerstörung durch Pilze ist weit intensiver. Was aber in erster Linie in Betracht kommt für die Hiiitaiihaltung der Zersetzung, das ist ständige Nässe und Feuchtigkeit. Wo die Niederschlags- mengen überwiegen gegenüber der verdunstenden und versickernden Wassermasse, da haben wir in den gemäßigten Zonen vermoortes Gelände; in den Tropen aber sind solche Gelände gesundheits- gefährlich oder doch als solche gefürchtet, anderer- seits auch schwer begehbar und daher wenig be- kannt. Von den in den Tropen vorkommenden Sumpfwäldern, Sumpfgebüschen wissen wir daher noch nicht viel. ') Man sollte denken, daß Örtlich- keiten, wo eine Sumpfvegetation Gelegenheit hat, sich in ganz stagnierendem Wasser zu zersetzen, auch feste Produkte, d. h. Torf, zurückbleiben müßten, wie es denn auch tatsächlich tropischen Faulschlamm (Sapropel) gibt, wie er mir von Maracaibo (Venezuela) von Herrn Bezirksgeologen Dr. Stille mitgebracht wurde. Ich habe in Europa immer wieder beobachtet, daß sich orga- nisches Material unter namentlich stagnierendem Wasser überall sehr viel leichter erhält oder ge- nauer gesagt einen relativ reichlichen brennbaren (kaustobiolithischen) Rest zurückläßt; das ist ja auch sonst bekannt. Diese Tatsache hatte mich denn auch veranlaßt, Herrn Dr. Stille zu bitten, nach tropischem Sapropel zu suchen, und mich auch bewogen, unermüdlich anzuregen, nach tropischen Flachmoortorfgeländen zu fahnden. Unentwegt habe ich auch Jahre hindurch in Sitzungen, wo Reisende Tropenvegetationen schil- derten und wo ich persönliche Beziehungen mit Tropenkennern halte, nach dem Vorkommen von echten Mooren (mit Torfuntergrund I) gefragt, und endlich habe ich auf diesem Wege (infolge einer solchen Frage meinerseits in einer Sitzung des Botanischen Vereins der Provinz Brandenburg) in der Tat eine interessante Auskunft und zwar eben von Herrn Dr. S. H. Koorders erhalten. Er stellt mir diesbezüglich freundlichst die folgende Beschreibung zur Verfügung. „Das größte und interessanteste, mit einem über 30 Meter hohen, immergrünen Mischwald bestandene Flachmoor, das ich im Jahre 1891 als Botaniker der von Herrn Chefingenieur J. W. ') Vgl. auch Warniing, ükolugische Pfianzengeographie. Berlin (2. Aufl.) 1902 p. 176. N. F. VI. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 659 \'zerniaiin geführten holländischen Mittel-Sumatra- Expedition durchcjuerte, befindet sich in der heißen Kbeiie des flachen, östlichen Teiles der genannten Insel, und zwar an dem linken, nörd- iiciicn Ufer des Kamparflusscs, in einer Entfernung von mehr als go Kilometer von der Meeresküste. Auf Cirund der von Herrn Yzermann und Fig. I. .Mbizzia moluccana, nur 7 Jahte alter ivium. Die Große der Person am Fuß des Baumes ergibt das gewaltige Wachstum des Baumes in der kurzen angegebenen Zeit. — Nach Koorders. dem niederländisch indischen Generalstabsoffizier (Topograph der Expedition) I. H. Bakhuis ge- machten Karte von dem durchquerten Teile von Mittel-Sumatra darf die am 20. — 22. März 1891 von der Expedition durchquerte Breite des .Süß- wasser-Sumpfwaldes am linken Kamparufer auf 12 Kilometer und die vermutliche Oberfläche auf mehr als 80000 Hektar veranschlagt werden. Die Durchquerung dieser 12 km breiten Strecke forderte drei außergewöhnlich anstrengende Marschtage. Zwei Nächte, am 20. '21. und 21. 22. März (1891) wurde in der Mitte des Moores biwakiert. An diesen Biwaks fand ich mittels eines mehr als sechs Meter langen, am unteren Ende mit einem Messer eingeschlitzten Stockes, daß dort bis über sechs Meter der Boden frei war von anorganischen Bestandteilen und nur aus einem schwarzbraunen , aus organi- schen Resten bestehenden Schlamm, also aus echtem Humus, zusammengesetzt war. Die wirkliche Mächtigkeit des Humus war mangels eines Bohrapparates nicht festzustellen. Bei den beiden Biwaks wurde nur stagnierendes Süßwasser beobachtet von dunkelbrauner Färbung und von sehr schwach adstringierendem Geschmack, mit- unter sehr schwach bitter, immer fast geruchlos und immer schön durchsichtig, ohne Trübung. Der (jebrauch dieses wie starker, klarer Tee aus- sehenden Wassers zeigte sogar auch bei unge- kochtem Gebrauch bei keinem der mehr als 250 Personen starken Expeditionskolonne auch nur die geringsten Nachteile. Das Betreten dieses Moores, Fig. 2, war nur da- durch möglich, daß es überall mit einem Walde be- standen war, dessen Wurzeln die ganze Oberfläche mit einem dichten Netze bedeckten. Große Schwierigkeiten wurden bei dem Marsch dadurch verursacht, daß die meisten BaumsiJezies von zahllosen aufrecht wachsenden, entweder dünn- kegelförmigen, geraden oder dünnzylindrischen, diese später sich knieförmig oben umbiegenden Atem wurzeln (sogenannten aerotropischen Wur- zeln oder Pneumatophoren) umgeben waren. Diese aufrechtwachsenden Atemwurzeln erhoben sich in einer Höhe von etwa V3 bis '/•> Meter oberhalb der stagnierenden Wasserfläche. Sie besaßen meit nur 2 — 4, seltener 6 — 10 cm im Durch- messer. Die Oberfläche der erwähnten Knie- wurzeln war in Übereinstimmung mit ihrer Atem- funktion ohne Ausnahme dicht mit großen, kräftig funktionierenden, durch die weiße Farbe auf- fallenden Lenticellen bedeckt. Das Vorkommen dieser aerotropischen Wurzeln war deshalb so interesant, weil solche Wurzeln damals (1891) im Malaischcn Archipel nur für Mangroven, nämlich Sonneratia, Avi- cennia, Bruguiera, Rhizophora und an- dere Baumarten-, dann auch für Metroxylon, Pandanus usw. bekannt waren, während diese Pneumatophoren hier von mir bei ganz anderen Gattungen, nämlich bei Calophyllum, Euge- nia, Chisocheton, Canarium und Myris- tica beobachtet wurden. Ich konstatierte ferner, wie vielleicht kaum hervorgehoben zu werden braucht, noch das vollständige P'ehlen von allen für die Mangroven des Malaischen Archipels cha- rakteristischen Bäumen. Dieser Moorwald besteht vorwiegend aus sehr eng zusammenstehenden, 25—35 Meter hohen, immergrünen Bäumen, mit glatten, auffallend geraden Stämmen, welche erst sehr weit oben unregelmäßig verzweigt sind und eine ziemlich dichte, aber nur wenig breite, kleine Krone be- sitzen. Das Unterholz besteht hauptsächlich aus kerzengeraden Bäumchen, derselben Baumspezies, welche den Hochwald zusammensetzen, aus den Familien der Guttiferae, Burseraceae, Meliaceae, Myristicaceae, Myrtaceae und E u p h o r b i a c e a e. Diese Bäumchen zeichnen sich, als Folge des Halbdunkels, in welchem sie vermutlich viele Jahrzehnte ihr Leben fristen müssen, dadurch aus, daß die kerzengeraden Stämmchen nur an ihrer äußersten Spitze eine auffallend kleine, schlecht belaubte Krone tragen. Unter den höchsten Waldbäumen dieses 66o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 42 Flachmoorwaldes') fehlten Gynnnospermen und Monocotyledonen vollständig, und der Hauptbestand war ausschließlich aus Dicotylen zusammengesetzt, und zwar aus Repräsentanten solcher Familien, die in dem Malaischen Archipel das Hauptkontingent bilden in immergrünen, hoch- stämmigen, häufig aus 500—600 Baumarten be- stehenden Mischurwäldern, wie dieselben in der heißen Ebene dort auf fruchtbaren (sauerstoff- reichen, frischen) Böden charakteristisch sind, und wie ich dieselben nicht nur auf Sumatra, sondern auch auf Java und Nord Celebes zu studieren Gelegenheit hatte. Bemerkenswert war indessen, daß die den Hauptbestand dieses Moorwaldes bildenden Baumarten spezifisch verschieden waren von denjenigen Baumarten derselben Gattungen, welche die umgebenden Wälder auf Boden mit nicht stagnierendem Wasser zusammensetzten. Es handelt sich demnach nicht um Abkömmlinge der Salzwasser-(Mangroven-)Gemeinschaft, sondern um einen besonderen Pflanzenverein, der sich aus Inlandtypen herleitet. Unter den kleineren Bäumen, sowie unter den Sträuchern sind die Monocotyledonen allerdings wohl, aber relativ spärlich in dem Moorwald vertreten und die Gymnospermen fehlen ganz. Unter den baumartigen Vertretern der Monocotylen sah ich auf dem drei Tage dauernden Marsche nur einige wenige zerstreut stehende, kleine Pty chosper ma-ähnliche Palmen mit schön purpurroten Blattscheiden, und einigen zer- streut stehenden Exemplaren von einem Pan- danus, der sich durch die für diese Gattung beträchtliche Höhe von 18 — 20 Metern aus- zeichnete und der einen kurz gedornten, dünn zylindrischen Stamm besaß, der unten keine Stelzwurzeln hatte und nur am Gipfel ein einziges Mal verzweigt war. Sehr häufig war hier ein Pandanus, der sich durch niedrigen, strauch- artigen Wuchs und besonders lange Blätter kenn- zeichnete. Unter den physiognomisch interes- santen kleineren Bäumen dieses Moorwaldes verdient ein kleiner, vermutlich zur Gattung Alsophila gehöriger Baumfarn erwähnt zu werden, der nur sehr zerstreut auftrat. Unter den Strauch ern war die Familie der Palmae durch zahlreiche Exemplare einer Zalacca mit sehr sauren Früchten vertreten, und unter den Lianen spielten die Palmen durch sehr zahlreiche Individuen von ein Paar Calamus- arten, besonders an dem nördlichen Saum des Moorwaldes eine sehr wichtige Rolle. Zur Erläuterung des Profils (Fig. 3) sei darauf hingewiesen, daß die tropischen Lianen häufig ') Für die Terminologie ,, Moorwald", ,, Flachmoor" usw. folge ich der Terminologie, wie sie in dem ProlokoU über die Versammlung der Direktoren der Geolog. Landesanstalt der Deutschen Bundesstaaten vom 24. September igo6 auf Vorschlag von Herrn Professor Dr. Potonie festgestellt worden sind. Eine ausführliche Erläuterung hierzu hat der Genannte unter dem Titel „Die rezenten Kaustobiolithc" unter der F'eder. einfache Kletterer, nicht windende Pflanzen sind; der untere Stengelabschnitt alter, langer Lianen ist demnach sehr häufig mehr oder minder frei. Die Kräutervegetation war außerordent- lich spärlich, sowohl hinsichtlich der Artenzahl wie auch der Individuen. Gramineae und Cyperaceae fehlten so gut wie vollständig. Meist war der Boden fast nackt und die kleinen Zwischenräume waren zwischen den in gedrängtem Stande überall über die Oberfläche ragenden, aufrecht wachsenden Kniewurzeln und kegel- förmigen Atemwurzeln nur durch einige wenig auffallende, kleine Kräuter und sonst nur durch dicke Schichten abgefallener, in Zersetzung be- griffener Blätter der Waldbäume bedeckt. S p h a g - neen fehlten ganz und andere Moose, sowie Lebermoose, Flechten und krautartige Pteridophyten waren nur sehr spärlich ver- treten. Epiph)'ten fanden sich wegen der Glatt- stämmigkeit und sehr hohen Verzweigung der Bäume nur in den Kronen der höchsten Bäume. Die zahllosen, mit braunem, stagnierendem Wasser erfüllten Tümpel waren vermutlich z. T. durch Lichtmangel relativ sehr arm an phanero- gamen Wasserpflanzen, dagegen an durch Wind- brüche etwas gelichteten Stellen ziemlich reich an Fadenalgen. Im allgemeinen trug die Wasser- oberfläche dieser selten mehr wie ein paar Dezi- meter tiefen Tümpel keinen Pflanzenwuchs. Die Stämme des Moorwaldes hatten alle eine ziemlich glatte Rinde (keine Borke) und diese zeigte, besonders an den unteren Stammteilen, in vertikaler Anordnung eine auffallend große Zahl, infolge kräftiger Atmungsfunktion schön weiß aussehender Lenticellen. Die meisten Stämme der Bäume, und beson- ders der größten Bäume zeigten in unserem Moorwald neben den erwähnten aerotropischen ,, spargelartigen" und knieförmigen Wurzeln noch drei Charaktere, die speziell erwähnt zu werden verdienen, nämlich i. Stelzwurzeln, 2. Brett- wurzeln und 3. horizontal wachsende besen- artige Luftwurzeln. Die Stelzwurzeln und die Brettwurzeln treten in einer so üppigen Entwicklung auf, daß dadurch der Pflanzenphysiognomie ein ganz be- sonderer Charakter aufgedrückt wird. Zuweilen gehen beide Formen ineinander über, aber im allgemeinen kann man Baumspezies mit ausge- prägten, viele Meter über der Erde ausgedehnten und bis zu 3. — 4 Meter hoch an den Stamm heraufreichenden Brettwurzeln beobachten, neben Baumarten, bei denen der 25 ^30 Meter hohe Stamm auf einem Gerüst von 2 — 5 Meter hohen Stelzwur- zeln ruht. Diese bretterartigen Stammfußverbrei- terungen, Fig. 4, und die Stelzwurzeln sind auf dem v^^eichen, schlammigen Boden als Befestigungsmittel zweifellos sehr nützliche Einrichtungen, aber es darf auch nicht übersehen werden, daß diese starken Oberflächen Verbreiterungen des Stammfußes der Waldriesen die Gelegenheit für Luftaufnahme (durch Lenticellen usw) sehr erheblich vergrößert N. F. VI. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 661 Wasser, torfiger Boden. Fig. 2. Hochwald-Flachmoor in der Nähe des Äquators, in der heißen Ebene, im Inneren von Sumatra in Niederländisch- Ost-Indien. — Original ; gezeichnet von Koorders. X = Biwak. ^ = Baum. ' 2oJli-*^f F'g- 3- r^'l der Figur 2 etwas stärker vergrößert zur Charakterisierung der Vegetationstypen des Moores in der Nähe von Bivak 202t III 1891. — Original; gezeichnet von Koorders. S'^ttn. ^ijuetti '•<^^-!!^!^V^iVVSÄ^^.V*i>->'>4-T. w Fig. 4. Einer der Charakterbäume des Moores mit großen Brettwurzeln , horizontal wachsenden ,,besenförmigen Luftwurzeln" und aufrecht wachsenden, spargelförmigen Pneumatophoren. — Original von Koorders. 662 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 42 wird. Diese Vermutung wird dadurch gestützt, daß die Brett- und Stelzwurzeln ebenfalls reichlich mit stark funktionierenden, schön weißen, turges- zent ausgestülpten Lenticellen versehen sind. Die ausgesprochene Vermutung, daß die Brett- wurzeln, neben dem Zweck der Unterstützung des Baumes unter Umständen auch noch (und zwar besonders auf sauerstoffarmem Boden) eine Bedeutung haben für Sauerstoffzufuhr, resp. als Atmungsorgan, wird noch dadurch wahrschein- licher, daß die einzige Baumspezies der Mangrove, welche keine für die Atmung speziell dienenden Pneumatophoren besitzt, nämlich Carapa obo- vata, sich durch hohe, über die Erdoberfläclie laufende Brettwurzeln auszeichnet, die auch hier durch eine große Zahl Lenticellen auffallen. Für Carapa hat Karsten ') zuerst auf das Fehlen von Pneumatophoren und das Auftreten von solchen großen Brettwurzeln aufmerksam gemacht; ich habe in verschiedenen Mangrovewäldern des Malaischen Archipels diese Angabe bestätigt ge- funden. Der dritte obenerwähnte Charakterzug dieser IVIoorwaldbaumriesen besteht in dem Besitze von, oder besser ausgedrückt in der außerordentlich üppigen Entwicklung von höchst eigentümlichen Luftwurzeln, welche büschelartig, bis zu einer Länge von ein bis anderthalb Meter, heraus- wachsen. Daß diese horizontal wachsenden Luft- wurzelbüschel (welche ich, wegen der Ähnlichkeit mit einem Reiserbesen, kurz „besenartige Luft- wurzeln" nennen will) hauptsächlich dazu dienen, den im Stamm aufsteigenden Saftstrom mit Sauerstoff zu versehen, scheint mir deshalb höchst wahrscheinlich, weil i. ihr ärenchymatischer Bau darauf hinweist und 2. weil die Üppigkeit ihrer Entwicklung und die außergewöhnliche Häufigkeit des Vorkommens dieser „Besenluftwurzeln", gerade hier auf dem durch konstanten Sauerstoffmangel ausgezeichneten Moorboden besonders hervortritt. Diese horizontal wachsenden „Besen luft- wurzeln", Fig. 4, zeigen in der Regel weder im Anfange ihrer Entwicklung noch im späteren Alter positiv-geotropische Krümmung wie gewöhnliche Ernährungswurzeln , und ebensowenig negativ- geotropische Krümmung wie die aus dem sump- figen Moorboden zeitweise oder immer aufrecht in die Luft wachsenden, spargelförmigen und knie- förmigen Pneumatophoren. Die Spitzen dieser Besenwurzeln sind, in Übereinstimmung mit ihrer Atmungsfunktion, über eine große Länge entweder niclit, oder nur sehr wenig kutikularisiert und da- durch schön weiß gefärbt, oder mit zahlreiclien, turgeszenten Lenticellen versehen. Es sei aber bemerkt, daß ich derartige „Besenwurzeln" auch außerhalb des Moores und auch auf Standorten ohne ausgeprägte Boden-Sauerstoffarmut, sowohl auf Sumatra, wie auch auf Java, beobachtet habe, aber nie so allgemein bei den meisten Individuen und bei den meisten Baumspezies, wie hier in dem geschlossenen Hochwald-Flachmoor, und nie so üppig entwickelt und so kräftig funktionierend wie hier. Es sei bemerkt, daß bei einem der meist kultivierten Alleebäume Javas, nämlich bei Canarium commune L., auch bei Kultur auf frischem , sauerstoffreichem Boden besenartige, mehr oder weniger horizontal wachsende Luft- wurzelbüschel, sogar bis zu einer Höhe von mehreren Metern über der Erdoberfläche, an dem Stamm eine sehr gemeine Erscheinung sind; aber während vieljähriger Beobachtungen auf zahlreichen Reisen in den verschiedensten Gegenden von ge- nannter Insel konnte ich wiederholt konstatieren, daß die Wurzclspitzen in den trockneren Monaten eintrockneten und abstarben und nur in Zeit- perioden besonders hoher Luftfeuchtigkeit (und nur bei genügender Beschattung) durch große Turgeszenz und weiße Farbe der Spitzen und der Lentizellen ihre Funktion bekundeten. Nun spricht das erwähnte Vorkommen von besen- artigen, horizontal wachsenden Luftwurzeln bei Canarium commune auf Java noch nicht gegen ihre Funktion als ebenso wichtiges Atmungsorgan und zwar aus folgenden Gründen. Erstens weil ihre durch Lufttrockenheit und Schattenmangel hervorgerufene Verkümmerung bei den außerhalb des natürlichen Standortes kultivierten Exemplaren von Canarium commune gerade darauf hinweist, daß seine natürlichen Standortsbedingungen ver- mutlich wohl verschieden sind von denen auf Java, wo diese Spezies nie wildwachsend, sondern immer nur kultiviert beobachtet worden ist. Zweitens weil es sehr gut möglich ist, daß der Besitz von „Besenluftwurzeln" bei dieser Spezies nur eine vererbte, für diese Art aber nicht unbedingt nötige Anpassung ist. Hierfür spricht noch der Umstand, daß ich, wie oben er- wähnt, auf dem beschriebenen Moorboden in Sumatra gerade bei einer dort wildwachsenden, aber von C. commune verschiedenen Spezies der Gattung Canarium eine außergewöhnlich üppige Entwicklung von „Besenluftwurzeln" beobachtet habe. Übrigens ist es interessant, hiermit zu ver- gleichen, was Prof. D. L. Jost^) über, wie es scheint, ähnliche Wurzeln von zwei europäischen Baumspezies beobachtet hat: „Es wirkt hier vermutlich der Sauerstoffmangel als Reiz, durch den aerotropische Wurzeln ge- bildet werden Ebensogut ist bekannt, daß an Topfpflanzen die Wurzeln mit großer Vorliebe dem Rand des Topfes zuwachsen, und dort, wo sie am meisten Luft vorfinden, sich ausbreiten. Aber auch in freier Natur findet sich ähnliches. Fraxinus und ganz besonders Alnus gluti- nosa zeigen, wenn sie im Sumpfboden stehen ') Karsten, Die Mangrovenvegetation. (Karsten & Schenck, Vegetationsbilder, Reihe II, Heft 2, F.rltei»k^.V. . Vv^*«*..;**^ Fig. 5. Eine knieförmige umgebogene, ,,aerotropische" Atem- wurzel, mit schön weißen, stark ausgestülpten Lenticellen von einem der Charakterbäume des Moores. — Original von Koorders. Bodenprobe des Moores begierig sein, die er sofort von einem ihm befreundeten Herrn in Indien er- beten hat. Es wird sich dann zeigen, inwieweit dort sicher von einem Tropen m o o r geredet wer- den darf. Auf das Verständnis der Eigentüm- lichkeiten der Carbonmoore (die wir fossil als Steinkohlenlager kennen) mit ihrer Vegetation von Tropenhabitus wirft die Kenntnis des ge- schilderten Moores ein wesentlich aufklärendes Licht; ich werde später näher darauf eingehen: es würde dies hier zu weit führen. Diejenigen Moore der Jetztzeit, die man — bis jetzt mangels anderer Beispiele — besonders gern mit den Carbonmooren zu vergleichen ge- neigt war, wie die gut bekannten großen Moore im atlantischen Flachland des mittleren Nord- amerika, so der „Grcat Dismal Swamp", liegen Fig. 6. Eine spargelförmige, aufrecht in die Luft wachsende Atemwurzel von einem der Charakterbäume des Moores. — Original von Koorders. nährungswurzeln knieförmigen, aufrecht wachsenden Atemwurzeln, welche rings um jedes dieser Moor- waldbäumchen eine dichte Schicht bildeten, auf welcher sich die abgefallenen Blätter ansammelten. Diese beim Gehen unter dem Fuß elastischen Wurzel- und Blattdecken bildeten gewissermaßen kleine, nur wenige Quadratmeter große Inselchen, und dazwischen fand man einen Schlamm, der zum größten Teile aus Pflanzenresten zusammen- gesetzt war. Als Unterschied mit dem Hochwald- flachmoor vom Kampar sei noch hervorgehoben, daß in dem Moorwäldchen von Pangkalan-Dulei die Moorbildung anscheinend deshalb so wenig vorgeschritten ist, weil das Bodenwasser an den von mir besuchten Stellen eine wenn auch schwache, doch deutliche Strömung erkennen ließ." Soweit Herr Dr. Koorders. Die Beobachtungen von Dr. Koorders sind sehr wertvoll und man darf auf die Prüfung der nicht in den Tropen, ja im Winter kann es sehr kalt sein. ,,Die Isothermen" — schreibt mir Herr Prof. E. Deckert — „können bei dem amerikanischen Klima sehr irre führen. Zweifellos kommen im Dismal Swamp beinahe in jedem Jahre emp- findliche Fröste mit Eisbildung vor. In Norfolk, dessen Winterklima mit dem des Swamp so gut wie vollkommen übereinstimmen muß, sank das Thermometer im Februar 1899 ^^J^ 16" C unter Null, im Februar 1904 und Januar 1905 auf II " unter Null, im Januar 1903 auf 10'^', im Januar 1902 auf 8" usw. Erfroren doch auch im süd- lichen Florida im Jahre 1886 die F"ische im Wasser der Küstenbuchten." Daß in den Tropen Sapropelite nicht selten sind, scheint mir nicht nur aus gewissen An- deutungen in der Literatur hervorzugehen, son- dern der sehr stark Sapropel - haltige Schlamm von Maracaibo (mit ca. 50 " „ Sapropel), von dem N. F. VI. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 665 p. 658 die Rede war, bestätigt das Vorhandensein in den heißesten Ländern der Erde, wo nur die Bedingung — dauernd hinreichend stagnierendes Wasser — gegeben ist. Wo wesentlich Kohlen- hydrate haltende Pflanzensubstanz sich in den Tropen unter der gleichen Bedingung zersetzt, wird wohl auch reiner oder reinerer Humus ent- stehen können. Vor der Hand ist mir aber reiner Humus von so mächtigen Ablagerungen wie in unseren nord- und mitteleuropäischen Torflagern nicht zu Gesicht gekommen. Daß aber humushaltige Böden in Regengebieten der Tropen viel vor- kommen, ist — wie schon vorn angedeutet — bekannt. ^) Es seien noch einige Beispiele erwähnt. Dem Bezirksgeologen Herrn Dr. W. Koert verdanke ich folgende Mitteilung. „Im Ästuar des Sigi bei Tanga wird in dem Mangroveiidickicht ein pechschwarzer, zäher, an Holzresten reicher Schlamm abgelagert. Bei Ebbe ragt diese Bildung an 2 m über dem Wasser hervor. Nur in den kleinen Rinnsalen, welche in diese Schlammbänder einschneiden, wird ein mehr sandiges Material abgesetzt und in diesen Rinnen kann man das ganze Gebiet durchwandern, während man in dem zähen Humusschlamm zu versinken droht." In diesem „Mangrove- humus", wie auch die organischen Zersetzungs- produkte im Mangroveschlamm (vgl. C. Keller 1887) genannt werden, wird wohl viel Sapropel stecken. Herr Dr. Koert fügt als weiteres Beispiel hinzu : „Das Alluvium des Dodwebaches in der Gegend von Amani in Ostusambara besteht vielfach aus einem Wiesenlehm mit einer 3 — 9 Decimeter mächtigen stark humosen Oberkrume, welche einer üppigen Vegetation ihre Entstehung ver- dankt, indem nach dem Absterben die Pflanzen- reste durch die beinahe stets vorhandene Wasser- bedeckung vor Verwesung geschützt werden." Aus der Literatur sei noch folgendes er- wähnt : Adolf Mayer gibt an '), daß „die Walderden auch in den Tropen häufig beinahe ganz aus- schließlich aus Humusstofifen zusammengesetzt" seien, und zwar dies ,,aus eigener Erfahrung (d. h. aus der Analyse vieler Erden aus Sumatra)." „Die Wahrheit ist wohl — fügt er hinzu — , daß Sumpfmoorböden (Flachmoore) in den Tropen keine Seltenheit sind und daß nur die eigentlichen Hochmoore daselbst fehlen." Das ist auch meine Meinung. Bei H. B. Medlicott und W. T. Blanford (A manual of the geology of India. Calcutta 1879 p. 435) lesen wir, daß in den Niederungen des Gangesdeltas eine untergeordnete Sorte von Torf vorkommt, der aus Wasser- und Sumpf- pflanzen entstanden sei. Die torfartigen Lager, die so zahlreich in geringer Tiefe unter der Ober- fläche in der Nähe Calcuttas vorkommen, scheinen aus einer Waldvegetation hervorgegangen zu sein. Die Verfasser begründen (p. 400), daß hier am Rande des Meeres eine Landsenkung stattgefunden hat (vgl. 1. c. auch p. 399). Diese Torflager könnten aber allochthone sein. ') Das zu unserem Gegenstande sehr beachtens- werte Kapitel bei I-'rüh (1. c. p. 134 — 143) ist direkt überschrieben „Abwesenheit typischer Moore im subtropischen und tropischen Klima." Vollständiger ausreichende Auskünfte erhalten wir aus der Literatur über Humus- bildungen in den Tropen aber eben leider nicht: hier ist noch sehr viel zu tun. Unter anderem wäre es wichtig zu untersuchen , wie sich die Humusböden der Tropen in ihren Eigenschaften zu denen der gemäßigten und kalten Zone ver- halten, und hier ist ein Punkt von besonderer Wichtigkeit. Unter den tropischen Wärmever- hältnissen wird die Zersetzung anders vor sich gehen als in der gemäßigten Zone. Es entstehen unter den ersten Bedingungen wohl ebenfalls Humussäuren. Ist dies der Fall, so müssen sich schon hieraus mannigfache Verschiedenheiten zwischen den Humusgesteinen der Tropen im Vergleich zu denjenigen der gemäßigten und kalten Zone ergeben. So kann gegebenenfalls die Auslaugung von Humusböden in den Tropen viel weiter getrieben werden als bei uns; es müßte dann mehr Schwarzwässer in den Tropen geben als bei uns und Ansammlungen von Nieder- schlägen mit Erdalkalien wären in den Tropen reichlicher zu erwarten als bei uns. Dadurch, daß gefrierendes Wasser die Humussäuren nieder- schlägt und, wie es scheint, nicht alles wieder in Lösung nimmt, wird kundgetan, daß eine chemische L'mbildung mit ihnen vorgeht, der die in den Tropen entstehenden Humussäuren nicht unter- liegen : es müssen deshalb entstehende Humus- lager verschiedene Beschaffenheit gewinnen. Wo Frost eintritt, wird eine Humusanreicherung daher aus zwei Gründen unterstützt: i. weil die Kälte die weitere Zersetzung zurückhält, 2. weil die in Lösung befindlichen Humussäuren niedergeschlagen und so zum Teil vor Wegführung geschützt werden. Zu i. i.st freilich zu bemerken, daß während der Frostkälte aber auch keine oder doch außer Rechnung zu lassende Humiisbildung erfolgt, während in den Tropen das Pflanzen- wachstum, die reiche Produktion organischen Ma- terials, anhält. ') Vgl. z. B. Früh in Moore der Schweiz 1904, p. 134 bis 143. *) Die Bodenkunde. 5. Aufl. Heidelberg 1901, p. 7i,Anm. Zum Schluß sei noch anhangsweise erwähnt, daß irgendwelche Belästigung bei der Durch- querung des geschilderten Sumatra-Moores durch Insekten (Mosquiten, Ameisen usw.) nicht statt- fand, während .Ameisen außerhalb des Moorwaldes ') Früh 1. c. p. 143. 666 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 42 äußerst unbet]uem sind. Der Gesundheitszustand der Expeditionsteilnehmer blieb ein ausgezeich- neter. Hierzu schreibt mir freundlichst Herr Geh. Medizinalrat Prof Dr. W. D ö n i t z das Folgende : „Die Erfahrung jener Expedition, die 2 Tage auf einem Moore in Sumatra zubrachte, ohne daß jemand an Malaria erkrankte, erklärt sich wohl am einfachsten daraus, daß dieses Moor weit und breit unbewohnt war, und wenn es Anopheles beherbergte, so hatten diese eben deswegen keine Gelegenheit gehabt, sich an Kranken zu infizieren. Anopheles fliegen nicht weit, sie können aller- dings durch den Wind verschlagen , oder in Wassergefäßen irgendwelcher Art als Larven ver- schleppt werden. Sie legen ihre Eier in offenes Wasser, das ge- wöhnlich flach ist. Aber es darf auch mehrere Meter tief sein, wenn der Boden nur mit Pflanzen- wuchs bedeckt ist. Ist die Oberfläche ganz von Pflanzen bedeckt, z. B. Lemna und ählichem, so können sich keine Larven darin entwickeln, weil sie sich, um zu atmen, mit ihrer Luftröhre an die Oberfläche des Wassers heften müssen. Das Wasser kann verschiedene Konzentration haben, vom Regenwasser bis zu leicht brackigem Wasser. Ob sie humussäurehaltiges Wasser meiden, ist mir nicht bekannt, ist auch nicht wahr- scheinlich. Gerade auf Sumatra hat Dr. Seh Offner die Erfahrung gemacht, daß nicht alle Anophelesarten gleichmäßig an der Verbreitung des Wechselfiebers beteiligt sind. Es gibt Sumpfgegenden, in welchen eine ziemlich große Art, die sich dem Menschen sehr lästig macht, recht häufig ist, ohne daß dort viel VVechselfieber vorkäme, während es sehr häufig ist, wo gewisse andere Arten schwärmen. Ähnliche Erfahrungen hat man auch in Calcutta und in Japan gemacht. Dann wäre noch zu ermitteln, wie lange die Mitglieder jener Expedition nach Verlassen des Moores frei von Malaria geblieben sind. Man muß nämlich auf eine Inkubation von wenigstens »O Tagen rechnen. Früher glaubte man ja irriger- weise, daß man schon womöglich am selben Tage das Fieber bekommen könne." Herr Dr. Koorders fügt noch nachträglich hinzu : „Ich muß bezüglich der Anophelesfrage hervorheben, daß wir zu unserem allgemeinen Erstaunen nicht nur in dem Moor, sondern überhaupt während der viele Tage dauernden Märsche durch die sehr dicht geschlossenen Mischhochwaldbestände auf frischem Boden (trotz der sehr geringen Meereshöhe, nämlich etwa 20—100 Meter) so wenig von Moskiten überhaupt bemerkten, daß wir durchaus kein Bedürfnis nach einem Moskitonetz hatten. Ob auch in anderen Monaten dort überall so außergewöhnlich wenig Moskiten sind, weiß ich nicht und eine Erklärung für die Armut an Moskiten außerhalb des Moores weiß ich auch nicht." Kleinere Mitteilungen. Beiträge zur Anthropologie der nord- amerikanischen Indianer bringt Dr. A. Hrd- licka im ,, Handbook of American Indians North of Mexico" '); er sagt, daß die Indianer wohl viele unbedeutende und auch einige bedeutende körper- liche Verschiedenheiten aufweisen, doch haben sie auf dem ganzen Kontinent so zahlreiche Eigen- schaften gemein, daß sie richtigerweise als eine einzige große Rasse betrachtet werden müssen. Hinsichtlich vieler somatischer Charaktere steht der Indianer zwischen dem Weißen und dem Neger. Seine Hautfarbe zeigt mancherlei Schattierungen von braun. Die Bezeichnung „roter Indianer" ist irrtümlich. Sehr dunkle Individuen, deren Haut- farbe fast schokoladebraun ist, oder sich sogar der Färbung von Negern nähert, sind unter den tiefer- stehenden Stämmen , besonders im Süden , zu finden. Die alten Männer, die häufig nahezu un- bekleidet gehen , sind ebenfalls dunkler als die meisten Frauen, Kinder und solche Personen, die ein mehr zivilisiertes Leben führen. Die am dunkelsten pigmentierten Körperteile sind gewöhn- lich die Handrücken und Handgelenke, der Hals, ') Herausgegeben vom Bureau of American Ethnology. Washington, 1907. die Achselhöhlen, die Brustwarzen, der Bauch, die Schamgegend und die Füße, soweit sie ex- poniert sind. Die Farbe des Haares ist allgemein schwarz, mit dem Glänze und der leichten bläulichen oder bräunlichen Nüancierung, die bei den Weißen vor- kommt, nicht aber das matte Grauschwarz des Haares afrikanischer Neger. Bei zahlreichen Per- sonen aller Altersklassen (ausgenommen die frühe Kindheit), die viel barhäuptig gehen, wird das Haar teilweise, besonders oberflächlich, gebleicht und erhält einen rostfarbigen Ton. Die Farbe der Augen variiert von nußbraun bis dunkelbraun. Die Konjunktiva ist in der Jugend bläulich, bei Erwachsenen und namentlich im Alter schmutzig-gelblich. Die Iris ist oft von einem schmalen, aber sehr deutlich wahrnehmbaren Kreis umgeben. Das Kopfhaar ist straff, im Durchschnitt nahe- zu kreisförmig, etwas gröber als bei den meisten Weißen, reichlich und lang; die natürliche Länge schwankt von 40 bis lOO cm. Die Mehrheit der Männer würde einen mäßigen Schnurr- und Kinn- bart haben, wenn sie ihn wachsen ließen. Backen- bärte fehlen in der Regel ganz oder naiiezu ganz. Sowohl Schnurr- als Kinnbart sind spärlicher und gröber als bei den Weißen, straff, gleich schwarz wie das Haupthaar und vier bis sieben Zentimeter N. F. VI. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 6Ö> lang. Die Behaarung der Achselhöhlen und der Geschlechtsgegend ist ebenfalls spärlich, manch- mal fast gar nicht vorhanden. Die sonstige Körper- behaarung ist kürzer und weniger dicht als beim Durchschnittseuropäer. Das Gesicht ist in der Kindheit wohlgerundet und anmutig, in der Jugend interessant und ge- legentlich hübsch, auch im Alter nicht ungewöhnlich häßlich, aber sehr runzelig. Die Stirne erwachsener Personen mit nicht deformiertem Schädel ist etwas niedrig und bei den Männern in leichtem Grade nach rückwärts geneigt. Die Augenbrauen sind oft an der Nasenwurzel miteinander verbunden. Die Augenwimpern sind mäßig dicht und lang. Die Lidspalte ist ein wenig schief, der äußere Augenwinkel höher stehend; die Mongolenfalte ist bei Kindern allgemein vorhanden, jedoch nicht besonders auffallend. Die Depression der Nasen- wurzel ist nicht viel bedeutender wie bei den Amerikanern europäischer Herkunft. Die Größe und Form der Nase variiert sehr; sie ist gewöhnlich etwas kürzer an der Basis und breiter als bei den Weißen. Bei den Männern herrscht der gebogene Nasenrücken (,, Adlernase") vor. Bei den Frauen ist die Depression der Nasenwurzel nicht selten geringer und der Nasenrücken niedriger. Die Lippen sind wohl geformt und , von individuellen Ausnahmen ab- gesehen, beiläufig so dick wie bei den Weißen. Vorgeschobene Kieferstellung oder Prognathie ist häufig, doch viel weniger auffallend als bei den Negern. Das Kinn tritt anscheinend in geringerem Maße hervor als bei den Europäern, was auf die eben erwähnte Kieferstellung zurückzuführen ist. Die Ohren sind mittelgroß, manchmal etwas dick. Der Hals ist wohlgeformt. Der Körperbau ist zumeist ebenmäßig, der Ernährungszustand gut und die Haltung aufrecht (ausgenommen im Alter). Die Brust ist weit, be- sonders bei den Männern. Die bei den Kindern merkbare übermäßige Fülle des Bauches ver- schwindet im späteren Alter. Wegen der starken Entwicklung des Oberkörpers erscheint das Becken verhältnismäßig klein, ist es aber nach den vor- genommenen Messungen tatsächlich nicht. Die Krümmung der Wirbelsäule ist schwächer aus- geprägt als beim Europäer. Die Hüften sind wohlgeformt, das Gesäß mäßig groß und nicht vorstehend. Arme und Beine sind proportioniert, die Ausbildung der Muskulatur mittelmäßig. I lande und Füße sind bei vielen Stämmen kleiner als bei den Europäern. Die Zehen sind kurz und überall, wo die Leute kein europäisches Schuh- werk tragen, gespreizt. Die zweite und dritte Zehe sind manchmal durch Hautfalten miteinander verbunden. Die weniger beweglichen Stämme, vornehmlich die Frauen derselben, neigen zur p-ettleibigkeit. Die weiblichen Brüste sind mittel- groß und bei den Kinderlosen gewöhnlich kegel- förmig, Warze und Warzenhof mehr hervortretend als bei den Europäerinnen. Im höheren Alter werden die Brüste klein und schlaff. Die Geni- talien unterscheiden sich nicht wesentlich von denen der Weißen. In bezug auf Körpergröße, Kopf- und Gesichts- form etc. variieren die Indianer unter sich erheb- lich. Kleine Gestalt, und zwar durchschnittlich 160 bis 165 cm bei den Männern, ist am meisten anzutreffen bei einigen kalifornischen Stämmen, bei vielen Puebloindianern und bei einem Teil der Stämme an der Nordwestküste. Unter den Tigua, Tewa, Apachen, Navaho, Comanchen, den nördlichen Ute, Paiute, Schoschonen, unter der Mehrheit der Stämme von Kalifornien, Oregon und Washington, sowie unter den östlichen Chero- kesen, Chickasaw, Kiowa und Iowa beträgt die Körperlänge der erwachsenen Männer durchschnitt- lich 165 bis 170 cm, während bei den Yuma, Mohave, Maricopa, Pima, Nez Perces, Sioux, den Krähenindianern, den Winnepago, Cheyenne, Ara- paho, Irokesen, Osage, Chippewa und östlichen Algonkin die vorherrschende Körperlänge über 170 bis 175 cm ist. Der Variationsbereich der Körpergröße beträgt bei der Mehrheit der Stämme und bei beiden Geschlechtern nicht über 30 cm. Die Frauen sind im Durchschnitt la'.j cm kleiner als die Männer; die Differenz ist bedeutender bei den großwüchsigen und geringer bei den klein- wüchsigen Stämmen. Ein regelmäßiger Zusammen- hang zwischen geographischen und klimatischen Besonderheiten der Wohngebiete und der Körper- größe besteht nicht, ebensowenig eine allgemeine Übereinstimmung der Körpergröße mit einem anderen der hauptsächlichen anthropologischen Merkmale. Die Verteilung der Indianer nach dem Kopf- index ist von Interesse. Neben den Stämmen, von welchen bekannt ist, daß sie stark gemischt sind, findet man in dem Gebiete nördlich von Mexiko alle drei Hauptklassen der Kopfform ver- treten : Dolicho-, Brachy- und Mesocephale. Zu den extrem dolichocephalen (äußerst langköpfigen) Stämmen gehörten die Delawareindianer und die Felsklippenbewohner — oder Cliff Dwellers — im südlichen Utah. Mäßige Dolichocephalie, gelegent- lich mit extremen Formen untermischt, war und ist am häufigsten bei den Algonkin, der Mehrheit der Sioux und der Stämme in der großen Ebene, ferner bei den Schoschonen, einigen Pueblostämmen und den Pima. Reine Brachycephalie bestand in Florida, sie war vorherrschend in der Mound- Region und bei den alten Puebloindianern. Die heutigen Repräsentanten des brachycephalen Typus sind die Apachen, Walapai, Havasupai, Nez Perces, Salisch (am Harrison-See), Osage und Wichita. Weniger vorherrschend ist Brachycephalie unter den Hopi, Zuni, den meisten Rio Grande-Pueblo- indianern, den Navaho, Mohave, Yuma, den Mission- indianern (Kalifornien), den Comanchen, Winne- pago, Seminolen und vielen der nordwestlichen Stämme. Zu den Mesocephalen zählen die Kali- forniaindianer, die Cherokesen, sowie einige Sioux- und Irokesenstämme. 668 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 42 Es gibt viele Indianerstämme \) in Nordamerika, über deren Kopfform bis jetzt noch Unklarheit besteht; die Ursache davon ist in erster Linie der weit verbreitete Gebrauch der künstlichen De- formierung. Der Indianerschädel ist im Durchschnitt etwas kleiner als der Europäerschädel von gleicher Höhe. Die Kapazität männlicher .Schädel schwankt zwi- schen 1300 und 1500 ccm, die der weiblichen etwa zwischen 11 50 und 1350 ccm. Die Form des Gesichtes stimmt im allgemeinen mit der Kopfform überein; sie ist verhältnismäßig schmal bei langköpfigen und breit bei breitköpfigen Stämmen. Was die Nasenform anbelangt, so ist Mesorhinie vorherrschend; bemerkenswerte Aus- nahmen davon bilden Stämme an der Westküste, speziell die alten (ausgestorbenen) Kalifornia- indianer, die leptorhin waren. Fehlinger. ') Die Stammeseinteilung beruht auf Sprachunterschieden. Über „Versuche an Lumbriciden und deren Lebensdauer im Vergleich mit anderen wirbel- losen Tieren" berichtete E. Korscheit in den Verhandl. der D. Zool. Gesellsch. (1906). Bei den sogenannten Transplantationen handelt es sich um Vereinigung von Teilstücken desselben Individuums (autoplastische Vereinigung), von Teilstücken ver- schiedener Individuen (homopl. Vereinig.), oder von Teilstücken von Individuen verschiedener Arten (heteropl. Vereinig.). Die Lebensdauer der- artiger Individuen ist länger als man gewöhnlich von der der Regenwürmer annimmt. Man hat z. B. solche von 1895 bis 1905 am Leben erhalten; dann starben sie zum Teil infolge von ungünstigen äußeren Verhältnissen. Einige der langlebigsten Würmer seien genannt: Kokons und der Erlangung der Geschlechtsreife verstrich. Infolgedessen kommt man auf Alters- zahlen von 6 — 10 Jahren. Was die Lebensdauer anderer Tiere betrifft, so erreichen die kleineren Mollusken ein Alter von 2 — 4 Jahren. Die Najaden werden 12 — 14, Natica wird 30, Tridacna sogar 60 — lOO Jahre alt. Ein sehr hohes Alter soll die Flußperlmuschel, Margaritana margaritifera, erreichen ; es wird auf 50 — 100 Jahre angegeben. Die Blutegel, welche in der Medizin Verwen- dung finden, sind 3 — 5 Jahre alt. Besonders große Blutegel wurden auf 25 — 27 Jahre geschätzt. Das Alter von Trichinella spiralis, die als Mus- keltrichine im Menschen lebt, wurde mit Bestimmt- heit auf 31 Jahre berechnet. Die Insekten sind im allgemeinen kurzlebig. Dennoch erreicht das Königspaar der Termiten ein Alter von 4 — 5, die Bienenkönigin ein solches von 5 Jahren. Ameisenköniginnen sollen 15 Jahre alt werden, während Verwandte von derselben Größe nur 2-jährig sind. Sehr interessant ist ferner die Tatsache, daß Käfer unter ungünstigen Be- dingungen und bei Nahrungsentziehung ein Alter von 6 Jahren erreichen, während sie unter normalen Umständen schon früher sterben. Nach Beobachtungen von Da hl erreichen Spinnen ein Alter von i — 2 Jahren. Sie können bis zu 7 Jahren alt werden, wie dies z. B. bei Atypus piceus der Fall ist (darunter 4 Entwick- lungsjahre). Unter den Krebsen sollen Hummer und Fluß- krebs ein hohes Alter, letzterer bis zu 20 Jahren, erreichen. Die anderen Abteilungen der Wirbellosen scheinen ein kurzes Alter zu haben. Eine Aus- nahme machen die Aktinien und Anthozoen. So werden in den Aquarien der zoologischen Station Lumbricus terrestris, homoplastische Vereinigung, Helodrilus longus, „ „ jt 11 n tt Eisenia foetida, autoplastische „ Helodrilus longus, „ „ „ „ homoplastische „ Alter SV. Jahre ; 10 Jt 9% tt 4 tt 7 ;2 „ 7 )t 7'i, tt S'l. )i 5% ft 8 >f 6 Jt 5 tt Aus der Langlebigkeit und besonders aus dem Umstände, daß gerade die 3-teiIigen Individuen ein besonders hohes .Alter erreicht haben, geht hervor, daß die Vereinigung und Verbindung der Organe der von verschiedenen Individuen abstam- menden Teilstücke eine so innige ist, daß die transplantierten Individuen sich von normalen gar nicht mehr unterscheiden. Den oben genannten Zahlen ist noch ein Zeitraum von 4 — 6 Monaten hinzuzufügen, der zwischen dem Verlassen des 3-teilig; 3-teilig; Neapel Aktinien gehalten, die ein Alter von 15 bis 24 Jahren, und Korallenkolonien, die ein sol- ches von 22 — 28 erreicht haben. Zwei Vertreter dieser Gruppen sind sogar 50 und 67 Jahre alt. Von den Wirbeltieren sind der Laubfrosch mit 10'., Jahren, die Tritonen mit 15 Jahren, die Raben mit 100, Steinadler mit 104, der Geier mit 118, Falken mit 164, der Elefant mit 150— 200 Jahren Lebensdauer zu nennen. Dr. Wilke-Jena. N. F. VI. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 669 Wetter-Monatsübersicht. Zu Hegina des vcrg.iiigcncn September d.iucrte iler trübe Witterungscharakter des diesjährigen Sommers im größten Teile Deutschlands noch fort. In der zweiten Woche aber stellte sich überall freundliches, trockenes Welter ein und hielt dann mit geringen Unterbrechungen bis zum Schlüsse des Monats an. Dabei fand zunächst, wie aus der beistehen- den Zeichnung ersichtlich ist, eine ziemlich bedeutende Er- ^itlTcrc IcinjseraFurcii einiger ©rlcini j5cj^ciii6erI907. Berliner WefterburSau. wärmung statt; später gingen die Temperaturen wieder lang- sam herab, besonders zwischen dem 16. und 24. September war es in den meisten Gegenden herbstlich kühl , worauf es jedoch abermals wärmer wurde. An den heiteren Nachmittagen, namentlich am 7. und 8. sowie nach dem 24., wurden 25 Grad noch vielfach überschritten ; am 27. stieg das Thermometer in Aachen bis auf 28" C. Nach Sonnenuntergang bedeckte sich der Himmel oft mit Nebelgewölk, wodurch die Aus- strahlung des Erdbodens sehr verringert wurde. In einigen klaren Nächten aber, besonders am 23. und 24., kühlte sich die Luft außerordentlich stark ab; an zahlreichen Lirten bil- dete sich Reif und traten die ersten Nachtfröste auf, z. B. sind in der Gegend der mittleren Oder und Spree viele Blu- men, Bohnen und andere zarte Gewächse erfroren. Im Monatsmittel lagen die Temperaturen im September noch in ganz Deutschland unter ihren normalen Werten, im Osten allerdings nur um wenige Zehntelgrade, im Westen aber um einen vollen Grad oder etwas darüber. Auch der Überschuß an Sonnenschein war wegen der häufig den ganzen Tag über anhaltenden Nebel nicht bedeutend ; beispielsweise hat zu Berlin die Sonne insgesamt an 155 Stunden geschienen, während hier in den früheren Septembermonaten durchschnitt- lich 146 Sonnenscheinstunden aufgezeichnet worden sind. Die Niederschlüge nahmen in den ersten Tagen des Mo- nats wieder in ganz Deutschland beträchtlich zu. Zunächst gingen im Rhein- und Wesergebiete zahlreiche Gewitterregen hernieder, die sich bald über das ganze Land verbreiteten. Ihre größte Stärke erreichten sie nordöstlich der Elbe, wo sie auch am längsten anhielten. In der Nähe der Ostseeküste kam auch an verschiedenen Stellen Hagel vor. Besonders entlud sich am 3. über Königsberg i. Pr. ein außerordent- lich schweres Gewitter mit wolkenbruchartigen Regen- und Hagelfällen, die eine Regenhöhe von 46 mm ergaben. In der Nacht vom 3. zum 4. September, viel früher als in anderen Jahren, tiel auf dem Brocken der erste Schnee, bald darauf traten in den höheren Lagen des ganzen Riesengebirges Schneefälle und mehrere Grad Kälte ein. Zwischen dem 9 und 13. September herrschte fast überall trockenes Wetter; an den folgenden drei Tagen fanden im Binnenlande nochmals ziemlich ergiebige Regenfälle statt, die aber seit dem 17. in den meisten Gegenden aufhörten und sich später nur im östlichen Ostseegebiete mehrmals wieder- holten. Die durchschnittliche Nicderschlagshöhe des ganzen UiciJcrg'j^ra^sl^o^cii irnjÖcpfcintcr 1907. ?> 5 P ^ S E.£-g c_ I 5 3 13-5 ?i CQX /W.triertr Werl Tur Deutschland ^OfufssumiTif m Scpf 1907 06. 05 Ol 03 02 Monats betrug nicht mehr als 35,7 mm, wogegen im Mittel der früheren Septembermonate seit Beginn des vorigen Jahr- zehntes von den gleichen Stationen 64,7 mm gemessen wor- den sind. Nur der ungewöhnlich trockene September 1895 hat noch lo mm weniger Niederschläge als der diesjährige geliefert. * * • Am Anfang des September wurde die Witterung in Deutschland , ebenso wie in den vorangegangenen Monaten, durch mehr oder weniger tiefe barometrische Minima beherrscht, die mit dampfgesältigten westlichen Winden im Norden vor- überzogen. Nachdem sich aber am 8. ein in Mitteleuropa befindliches Hochdruckgebiet mit einem zweiten , in England aufgetretenen vereinigt hatte, überschritt das Ma.'iimum auf der Nordsee 773 mm Höhe und hielt dann, allmählich ost- wärts vorrückend, für längere Zeit die Depressionen von uns fern. Erst am 13. September vermochte wieder ein bei Island erschienenes Barometerminimum, über die Nordsee hinaus nach Süden vorzudringen. Jedoch folgte ihm von England her ein neues umfangreiches Hochdruckgebiet bald nach, das lange in West- und Mitteleuropa verweilte und hier, wie sein Vorgänger, zu ruhigem , trockenem Wetter Veranlassung gab. Obwohl sich das barometrische Maximum am 23. ins Innere Rußlands entfernte, bestand doch unter seinem Einflüsse die Trockenheit bis zum Schlüsse des Monats in ganz Mitteleuropa fort, während gleichzeitig eine auf dem biscayischen Meere gelegene Depression der Iberischen Halbinsel und Südfrank- reich mehrtägige außerordentlich starke, zu unheilvollen Über- schwemmungen führende Regengüsse brachte. Beispielsweise fielen vom 27. zum 28. September in Marseille 93, in Sicie 72 mm Regen. Dr. E. Leß. Bücherbesprechungen. Dr. G. Karsten, Prof. an der Universität Bonn, und Dr. H. Schenck, Prof. an der technischen Hoch- schule Darmstadt , Vegetationsbilder. Jena, Gustav Fischer. — Preis pro Heft 2,50 Mk., Ein- zelpreis 4 Mk. Von dem herrlichen Werk sind seit unserer letzten Besprechung 8 weitere Lieferungen erschienen , das sind 48 Tafeln, die diesmal öfter mehrere Darstel- 670 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 42 lungen bringen. Zunächst finden wir Algenvegetations- bilder von den Küsten der Färöer (Verfasser F. Borge sen), ferner Bilder aus Arizona wie Kakteen- vegetationen , unter denen Cereus giganteus zwei Tafeln gewidmet sind, Pinus ponderosa etc. (Verfasser Anton Purpus und Karl Albert Purpus), so- dann Wasser- und Bruchvegetation aus Mittelrußland (Verfasser A. Th. Fleroff), Vegetationsbilder aus der Eifel und der hohen Fenn (Verfasser M. Kör- nicke und F. Roth), und endlich Vegetationsbilder aus Nordrußland (Verfasser Richard Pohle). Da- mit sind nunmehr auch Bilder vorhanden über Ver- landungspflanzen , Heide- und Moorvegetation. Das Werk wächst sich immer mehr zu einem sehr schönen und außerordentlich brauchbaren Mittel zum Studium der Pflanzengeographie und der Pflanzenvereine aus und wird großen Nutzen stiften. Bei der intensiven Kultur und rapiden Vernichtung, der namentlich die zentraleuropäisclien Vegetationsverbände anheimfallen, ist es hier besonders wichtig, noch ordentlich das zu fixieren, was noch zugänglich ist. Insbesondere kämen da in Betracht die Hochmoor- aber auch Zwischen - und Flachmoorbestände , die von unseren natürlichen Vegetationsdecken immer noch am meisten bieten, und doch ist es auch hier schon so weit , daß man Mühe hat, noch ordentlich lebende Hochmoorstrecken zu finden ; westlich der Elbe ist dies schon jetzt über- haupt nur noch untergeordnet möglich. P. Sir William Ramsay, Die Gase der Atmo- sphäre und die Geschichte ihrer Entdeckung. 3. Aufl. Ins Deutsche übersetzt von Dr. Max Huth. Halle a. S. , Wilhelm Knapp, 1907. — Preis 5 Mk. Diese soeben in deutscher Übersetzung erschie- nene Arbeit des berühmten Forschers ward in eng- lischer .Sprache bereits 1896 in erster Auflage heraus- gegeben , bald nachdem von Lord Rayleigh und Ramsay selbst das Argon als Bestandteil der Atmo- sphäre nachgewiesen war. Seitdem wurden von Ramsay vier neue in dem Argon enthaltene Gase entdeckt, während in jüngster Zeit deren Zahl durch die Entdeckung der radioaktiven Gase vermehrt wurde. In den beiden folgenden Auflagen ist die Beschreibung dieser Entdeckungen hinzugefügt wor- den. Die letzte liegt nun in deutscher Sprache vor. Das Buch ist ])opulär geschrieben , in der Absicht, auch denen , die keine spezielle physikalisch- oder chemisch - wissenschaftliche Ausbildung besitzen , die Entdeckungsgeschichte dieser verschiedenen Gase zu- gänglich zu machen. Die ersten vier Kapitel enthalten eine ausfiihr- liche Darstellung der Entdeckung des Stickstoffs und Sauerstoffs als Bestandteile unserer .Atmosphäre. Natur- gemäß mußte hierbei auch auf die Entdeckung der verschiedenen Gase, vor allem Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, überhaupt eingegangen werden. Wurden diese doch in der frühesten Zeit nicht als selbstän- dige Gase, sondern als irgendwie veränderte „Luft" angesehen. Erst als sie als wirkliche „Elemente" erkannt waren , konnte eine Analysierung der Luft vorgenommen werden, die bekanntlich Cavendish im Jahre 1781 gelang, und bei der er die Zahlen fand: 79,16",, Stickstoff, 20,84 "^1 Sauerstoff. Besonders ausführlich behandelt sind dabei die Arbeiten von Boyle, Mayow und Haies im ersten, von Blacke und Rutherford im zweiten, von Pristley, Scheele und Lavoisier im dritten, und endlich von Cavendish im vierten Kapitel. Bei den meisten derselben sind kurze Biographien beigefügt. Das fünfte Kapitel behandelt die Entdeckung des Argon, das 1893 von Lord Rayleigh und Ramsay als Bestandteil des atmosphärischen Stickstoffs nachge- wiesen wurde. Bekanntlich führten hierzu die Unter- suchungen Rayleigh's (seit 1888) über die Dichtigkeit der Gase imVergleich zur Luft, Untersuchungen, welche zeig- ten, daß der atmosphärische Stickstoff stets schwerer war, als der aus chemischen Verbindungen hergestellte. Ausführlich beschreibt Ramsay hier die Methoden, die dazu dienten, das Argon auch wirklich rein her- zustellen. In den beiden folgenden Kapiteln sind die chemischen Eigenschaften näher besprochen. Das 8. Kapitel enthält die nun neuerdings entdeckten Gase Helium, Xeon, Krypton und Xenon, von denen das erste freilich schon lange als neues Element ver- mutet war, aber erst nach einer Reihe von Jahren wirklich hergestellt werden konnte, während die Dar- stellung der anderen verhältnismäßig leicht gelang, nachdem die Verflüssigung der atmosphärischen Luft auch eine Verflüssigung des Argon gestaltete. Die Mengen dieser Gase sind freilich sehr gering und es seien die von Ramsay angeführten Werte hier wieder- gegeben : Es sind enthalten: I Vol. Helium in 245300 Vol. Luft. I „ Neon „ 80 800 „ „ I „ Argon „ 106,8 „ „ I „ Krypton „ 20 Mill. ,, „ I „ Xenon „ 170 „ „ „ Im letzten Kapitel gibt Ramsay einen Überblick über die radioaktiven Gase, der, wie er selbst sagt, keinen Anspruch auf Vollständigkeit machen soll, vielmehr diese Gase nur insoweit berücksichtigt , als dadurch unsere Anschauung über das Wesen der Atmosphäre beeinflußt wird. Dr. Paul Schulze. Anregungen und Antworten. Herrn Landrat a. 1 1. K. G. in Berlin. — Sie hörten bei Ihrem Aufenthalt in Agy[>len von einem Araber, daß die Kamele bei Nahrungsmangel von ihrem Höcker zehren, daß der Höcker nach tagelangen anstrengenden Märschen fast verschwinde, daß die Kamele also in ilirem Höcker Nahrung, wie in ihrem Magen Wasser tagelang mit sich führen. — Sie fragen, ob dies richtig sei. — — Bei Beantwortung Ihrer Frage kann ich von einer sehr sorgfälligen Arbeit I''. .\. Les- bre's (Recherches anatomiques sur les Camelides in: Archives Mus. Hist. nat. Lyon T. 8, 1903, p. I — 195) ausgehen. Lesbre sagt: Diese Höcker sind ein wenig beweglich und schwanken etwas hin und her, wie enorme Fettmassen. Die Wirbelsäule nimmt nicht an ihrer Zusammensetzung teil. Auch können sie in Volumen und Gewicht nach dem jeweiligen Ernährungs- zusland des Tieres wechseln. Sie werden schlalTund schrumpfen ein bei sehr mageren Tieren und gleichen dann, wie Buffon sagt, großen leeren und schlaffen Eutern, während sie sich N. F. VI. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 671 gleichsam lüUcii und aulrichtcn bei wolilgciuihrtcn Individuell, ich habe selbst diese Unterschiede feststellen können und begreife nicht, dali ein so einsichtsvoller Beobachter, wie V a 1 1 o n , . sie leugnen konnte. Das eine der von mir zergliederten Kamele, das sehr wolilgenahrt war, hatte enorme Höcker: der vordere hatte eine spitz konische Gestalt , er war an der Basis 37 cm lang und 35 cm hoch und wog 8,5 kg. Der hintere, von gewölbt konischer Form, war 68 cm lang und 35 cm hoch und wog 16 kg. Ein anderes Kamel war sehr mager: dessen Höcker wogen drei- bis viermal weniger. — Die Höcker hängen also mit den Fettablagerungen zusammen wie die Schwanzpolster gewisser Hammel und entsprechen deren Schwan- kungen. Es sind gewissermaßen hypertrophierte Partien des Unterhautfettgewebes oder Fettansammlungen, die denen ent- sprechen, die an gewissen Stellen bei gemästeten Rindern vorkommen. Buffon hat vollkommen recht, wenn er sie als Nahrungsvorräte betrachtet, von denen die Tiere zur Zeit des Mangels zehren. Aber wir können uns nicht B u ff on 's Auf- fassung über den Ursprung derselben anschließen. Er meint, es seien Verdickungen, die sich unter dem Druck der Lasten, die man dem Kamel auf den Rücken legt, gebildet hätten. Die Kamele seien nämlich ältere, ausgebildetcre und tätigere Diener des Menschen als andere Haustiere. Die Höcker seien im Laufe der Generationen erblich geworden wie die Schwielen, die man an verschiedenen Körperstellen derselben Tiere be- obachte. — Die überzeuglcsten .Anhänger der Transformations- lehre, so schließt Lesbre seine Betrachtung, würden Bedenken tragen, eine so gewagte Hypothese anzunehmen. — Und doch hat es noch neuerdings Autoren gegeben, welche für die Buffon'sche Theorie eingetreten sind (vgl. G. Cattaneo, Le gobbe e le eallositä dei cammelli, in rapporto alla questione Fig. I. Der Magen des Kamels (nach Lesbre). O Speiseröhre, P Pansen, M Milz, N Netzmagen, D Darm, V und H vorderer und hinterer Wasserbehälter. deir eredilarietä dei caratteri acquisili in: BoU. Mus. Zool. Anat. comp. Genova Nr. 51, 1896). — Nachdem das Vorkommen wilder (nicht verwilderter) Kamele in Mittelasien so gut wie sicher festgestellt ist (vgl. C. Keller, Naturgeschichte der Haustiere, Berlin 1905, S. 191), nachdem also feststeht, daß die Höcker sich bei wildlebenden Tieren entwickelt haben, entbehrt die Buffon'sche Theorie jeder Begründung. Es sprechen auch die Erfahrungen in anderen Tiergruppen durchaus gegen jene Theorie : Unter den Rindern werden gerade die Buckelrassen selten zum Lasttragen verwendet. Der Jak, der schwere Lasten tragen muß, besitzt keinen Höcker. Ebenso hat sich beim Esel und beim Pferde keine Spur eines Höckers ausgebildet. — Die Ansiclit, daß es sich um Reservestoffe handelt, entspricht den Tatsachen in jeder Weise. Es ist durchaus verständlich, daß ein solcher Vorrat für ein in Wüsten lebendes Tier von großem Nutzen ist. Der Annahme, daß die Höcker unter der Wirkung der Naturzüchtung entstanden sind, steht also nichts im Wege. — Was den Wassertransport im Magen anbetrifft, so findet sich im Pansen der Kamele ein Apparat, der nur den Kamelen zukommt und der wohl nur als Wasserbehälter gedeutet werden kann. In Fig. I und 2 ist derselbe mit V und H bezeichnet. Er besteht aus Reihen von Näpfchen, die nach den Untersuchungen Lesbre 's je 200 — 300 ccm Flüssigkeit fassen. Lesbre fährt, nach- dem er den Bau beschrieben hat, fort: Die Autoren sind über die physiologische Bedeutung der kleinen Fächer des Pansens nicht einig. Die meisten betrachten sie mit Pli- nius als Zisternen, in denen Wasser für späteren Bedarf auf- gehoben wird. Dieselben sind in der Tat vorzüglich geeignet, große Mengen von Flüssigkeit zu fassen und aufzubewahren. Fig. 2. Der Pansen des Kamels geöffnet (nach Lesbre). O Speiseröhre, R Speiserinne im Pansen, L die einzige Lippe, welche die Rinne gegen den Pansen absehließt , N Eingang zum Netzmagen, V und H wie bei Fig. I. um so mehr, als Muskelbänder, welche ihren Eingang umziehen, sie völlig verschließen können, um den Eintritt fester Nahrungs- bestandteile zu verhindern, wie dies Everard Home gezeigt hat. Ich kann zugunsten dieser Ansicht hinzufügen, daß die Feinheit der Schleimhaut gegen eine Berührung mit den gröberen Massen, die der Pansen enthält, spricht. Könnten diese Massen eindringen, so wäre unverständlich, daß bei der außerordent- lichen Feinheit der Wände keine Verschleimung eintrete. — Andere Autoren haben im Anschluß an Cuvier die Ansicht vertreten, daß die Näpfchen des Pansens nicht nur einen Teil des aufgenommenen "Wassers aufheben, sondern auch Wasser sezernieren. Nichts ist unwahrscheinlicher als diese Ansicht. Den mikroskopischen Drüsen möchte ich die Aufgabe zu- schreiben, einen Verdauungssaft abzusondern, welcher, mit dem Wasser vermischt, dieses vor dem Verderben bewahrt und zugleich auf den Inhalt des Pansens einwirkt. — Vielleicht werden infolge dieses Saftes die Kamele nicht durch übermäßige Blähungen, die sonst unausbleiblich wären, belästigt. Jedenfalls sind die Näpfchen der Sitz von Funktionen, welche den anderen Teilen des Pansens nicht zukommen. Die Eigenart ihrer Schleimhaut beweist das zur Genüge. — Die Beobachtung Va 11 o n 's, der in den Näpfchen dieselbe Masse fand wie im Pansen selbst, nicht mehr und nicht weniger verdünnt, entkräften nicht die Beobachtungen anderer, ebenso glaubwürdiger Forscher, welche behaupten, in den Zellen 10, 15 und selbst 20 Liter eines grünlichen, beim ruhigen Stehen schnell klar und trinkbar werdenden Wassers gefunden zu haben. Es ist nicht zu ver- 672 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 42 wundern, wenn man bei der Leiche feste Bestandteile in den Wasserzellen findet; denn die Schließmuskeln werden sich beim Tode ortnen, und bei der Kückcnlage, welche man der Leiche zum Offnen der Leibeshöhle gibt, wird das Wasser bald ausfließen und sich auf die Masse verteilen. Dahl. Herrn Oberlehrer H. S. in Dresden und E. A. in Großen- hain. Sie fanden auf der in Deutschland so seltenen Riemen- blume, Lorauthus enropaeus, eine Scliildlaus, die Sie bis- her auf dieser Pflanze nicht beobachteten, und fragen, ob dies eine seltene, vielleicht gar neue Art sei. — — Die Be- antwortung Ihrer Frage ist nicht leicht. Wir mußten deshalb weitere Schritte tun. — Herr Dr. T h. Kuhlgatz in Berlin, an den wir uns wandten, schreibt uns: Es handelt sich um die Gattung Pidvinaria Targ. — Puh'inaria ist eine Coc- ciden-Gattung, deren Arten wirklich zuverlässig voneinander zu unterscheiden, noch immer niclit gelungen ist. Auf Loran- thus ist bislang übrigens noch keine I'idrinaria-Avt ge- funden, und es ist nicht völlig ausgeschlossen, daß es sich um eine neue Art handelt. Der bekannte Cocciden-Forscher Herr Dr. L. Reh in Hamburg hat sich freundlichst bereit erklärt, das Material näher zu untersuchen. Zahl, Größe und Gewicht der roten Blutkörperchen des Menschen. — In dem vom Bibliographischen Institut zu Leipzig herausgegebenen Werke ,,Der Mensch. Von Jo- hannes Ranke" finden sich in Band I (2. Auflage) auf Seite 237 rt. über Zahl, Größe und Gewicht der roten Blutkörperchen des Menschen Angaben, die nicht miteinander übereinstimmen. So heißt es in dem genannten Werke auf Seite 237 : ,,In I cmra Blut .... finden sich nahezu 5 Millionen rote .... Blutkörperchen .... Da ein erwachsener Mann etwa 10 Pfd. Blut besitzt, .... so beherbergt er ... . ungefähr 25 Milli- arden rote Blutkörperchen." Diese Rechnung ist nicht richtig. Wenn I cmm Blut 5 Millionen rote Blutkörperchen enthält, dann enthalten lo Pfd. Blut 25 Billionen rote Blutkörperchen. Die Richtigkeit der Zahl 25 Billionen hat mir Herr Professor Ranke durch Brief vom 12. 1. d. J. bestätigt. Weiter schreibt Ranke: ,,Nach den Messungen von Welcker beträgt die Breite der menschlichen Blutkörperchen im Mittel 0,0077 mm, ihre Dicke nur 0,0019 mm" und weiter unten: ,, Welcker gibt das Volumen eines roten Blutkörperchens zu 0,000000722 17 cmm, sein Gewicht zu 0,00008 mg und seine Oberfläche zu 0,000128 qmm an. Im Gesamtvolumen des Blutes berechnen wir aus diesen Welckerschen Angaben die Gesamtfläclienausdehnung aller darin enthaltenen roten Blut- körperchen auf 3200 qm." Die Berechnung des Gewichtes eines roten Blutkörperchens auf 0,00008 mg ist nicht richtig. Das Gewicht eines roten Blutkör]>erchens läßt sich folgendermaßen be- rechnen: Nach Seite 240 sind in 1000 Teilen Gesamtblut 326 Teile Blutkörperchen (oder rund 400 Teile) enthalten. Da I cmm Blut 1 mg wiegt, so wiegen die Blutkörperchen allein rund 0,4 mg. Wenn 5 Millionen rote Blutkörperchen 0,4 mg wiegen, dann wiegt 1 Blutkörperchen 0,00000008 mg, aber nicht 0,00008 mg. Auch das Volumen eines roten Blutkörperchens ist mit 0,00000072217 cmm nicht richtig angegeben. Die Gesamt- oberfiäche eines Blutkörperchens beträgt 0,000 128 qmm, die halbe Oberfläche also 0,000064 qmm, das Volumen also 0,000064 qmm . 0,0019 qmm = 0,0000001216 cmm; die ge- naue Zahl ist natürlich kleiner, da ich bei obiger Rechnung die Aushöhlung des Blutkörperchens nicht berücksichtigt habe. Sie beträgt aber keinenfalls 0,00000072217 cmm, also das 6 fache der von mir berechneten Zahl, sondern jedenfalls 0,000 OCX) 072 217 cmm. Auch die Zahl der weißen Blutkörperchen ist auf Seite 239 mit 1000 Millionen nicht richtig angegeben. Nach Seite 238 kommt auf 350 rote Blutkörperchen ein weißes Blut- körperchen. Demnach beträgt die Gesamtzahl der weißen Blutkörperchen 25 Billionen : 350 = 7 1 Tausend Millionen ; bei Berücksichtigung der Stellen des menschlichen Körpers, an denen sie in höherem Prozentsalz vorkommen, vielleicht 100 Tausend Millionen. Ob meinen vorstehenden Darlegungen einiger Wert zu- kommt, kann ich zwar nicht beurteilen; aber ich denke, wenn Ranke die Zahlen für wichtig genug hielt, um sie in das ge- nannte Werk aufzunehmen, dann dürfte auch ihre Richtigstellung den einen oder anderen interessieren. Lehrer Homburg-Schnellrode. In Nr. 36 (v. 8. Sept. 1907) finde ich unter ,, Anregungen und Antworten", eine Angabe über meine jetzige Adresse, die an sich nicht richtig ist und auch nicht mit der Angabe des soeben erschienenen Mitgliedverzeichnisses der neusten Verhandl. d. deutschen zoolog. Gesellschaft übereinstimmt. Meine Adresse lautet: Richard Semon, München 23, Martiusstraße 7. In den Anregungen und Antworten vom 25. .August lese ich über einen Fall von Hautreizung durch Diptam. Es wird vielleicht nicht uninteressant sein zu erfahren, was mir im verflossenen Frühjahr passierte. Es mag Ende Mai gewesen sein und ich pflückte vormittags auf einen Ausflug verschiedene von mir für ganz unschädlich gehaltene Pflanzen und unter anderen auch den blühenden Diptam. Am Nachmittage er- schienen am Kinne rote Flecke, die am nächsten Tage in Blasen degenerierten, die sich ziemlich verbreiteten ; wegen des unästhetischen Anscheins wandte ich mich einem Arzte zu, der diese Bildung auf rheumatische Ursache zurückführte und mir außer etwas Borsäure in Pulverform nichts dagegen zu raten wußte. Ich weiß nicht wie, mir fiel aber ein, es könnte der Diptam daran schuld sein und fragte sowohl den Atzt als einen Prof. der Naturw. darüber, aber umsonst. Auch die Bücher ließen mich im Stich. Die Erfahrung aber von anderen Leuten, denen Diptam eine ähnliche Hautreizung verursacht hatte, machte es mir sicher, daß diese Pflanze daran schuld war. Die übrig gebliebenen roten Flecke waren ungemein hartnäckig beim Verschwinden, und heute, nach ungefähr 4 Monaten, sind wohl nur Spuren, aber doch ist noch etwas davon zu erkennen. V. N., Lyceallehrerin in Triest. Wie an der angeführten Stelle der Naturw. Wochenschr. schon mitgeteilt wurde, ist vorderhand nichts weiter über die Erscheinung zu sagen. Wir müssen auf eine wiss. Behandlung des Gegenstandes warten, die Herr Prof. Thoms vornehmen will. Red. Herrn D. D. in Petersburg. — I. Die alten Römer konn- ten, da ihnen die dekadischen Zahlen unbekannt waren, grö- ßere Rechnungen (z. B. Divisionen) überhaupt nicht ausführen. Zur Lösung einfacher Aufgaben benutzten sie Rechenbretter mit einzelnen Steinchen. 2. Gegen die Ostwald'sche Definition des Begrift'es ,, Kör- per" ist kaum etwas einzuwenden. Auch die von Dressel in seinem Lehrbuch der Physik gegebene Definition erscheint uns recht präzis. Sie lautet: „Die wägbare oder schwere Materie ist diejenige, welche wir sehen oder sinnlich wahr- nehmen können. Jede zusammenhängende, allseitig begrenzte Anhäufung aus gleichartiger oder ungleichartiger Materie ist ein Körper". Herrn Dr. O. L. in Altona. — Wir bedauern, über den Mikrophon- Hörapparat für Schwerhörige Auskunft nicht geben zu können. Herrn ). — Die Giftigkeit der Digitalis ist nicht derart, daß Abpflücken der Pflanze gefährlich werden kann ; das Gift hat seinen Sitz in den Blättern ■ seine Darstellung erfolgt auf sehr umständliche Weise, die danach verschieden ist, ob man das Gemenge der verschiedenen Giftstoffe erhalten oder diese einzeln isolieren will. Dr. Zernik. Inhalt: H. I'otonie: Ein von der Holländisch-Indischen Sumatra-Expedition entdecktes Tropen-Moor. — Kleinere Mit- teilungen: Dr. A. Ilrdlicka: Beiträge zur Anthropologie der nordamerikanischen Indianer. — E. Korscheit: Versuche an Lumbriciden und deren Lebensdauer im Vergleich mit anderen wirbellosen Tieren. — Wetter- Monats- übersicht. — Bücherbesprecbungen : Dr. G. Karsten und Dr. II. Schenck: Vegetationsbilder. — Sir William Ramsay: Die Gase der Atmosphäre. — Anregungen und Antworten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lipperl & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge VI. Band; der ganzen Reihe XIII. Band. Sonntag, den 27. Oktober 1907. Nr. 43. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate : Die zweigespaltene Kolonelreile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. [Nachdruck verboten.] Zur Atlantisfrage. Von Dr. Th. Arldt, Radeberg. Plato erzählt in seinen Dialogen Timaios und Kritias von einem Mythus, von dem Solen durch einen ägyptischen Priester Kunde erhalten haben soll. Nach ihm lag im Westen vor den Säulen des I lerakles eine große Insel, „größer als Asien und Libyen zusammengenommen", bewohnt von einem mächtigen, hochkultivierten Volke, dessen siegreichem Eroberungszuge nur die Athener ent- gegenzutreten vermochten. Diese Atlantis sei dann durch eine gewaltige Katastrophe im Laufe weniger Stunden von den Wogen des Ozeans verschlungen worden. Ob wir es in diesem My- thus nur mit einer poetischen Fiktion zu tun haben, oder ob ihm etwa eine dunkle Erinnerung an Amerika zugrunde liegt, nach dem phönizische Schiffer einmal verschlagen worden wären , ähn- lich wie der Entdecker Brasiliens Cabral, läßt sich für uns kaum mit Sicherheit entscheiden; eins ist aber sicher, in dem Gebiete des jetzigen Atlanti- schen Ozeans kann zu Lebzeiten des Menschen- geschlechtes ein Festland nicht gelegen haben. In neuerer Zeit haben wohl die beiden Botaniker Unger und Heer die platonische Atlantis noch einmal aufleben lassen, um die Beziehungen der nordamerikanischen und der europäischen Flora zu erklären, indessen hat diese Annahme keinen Anklang gefunden, und wir sehen jetzt gerade in dem Teile des Ozeans, in den die beiden Forscher mit Plato ihre Atlantis verlegten, das am längsten ozeanische Gebiet des atlantischen Weltmeeres, zumal es dem mittelmeerischen Gürtel angehört, der rings um die Erde sich herumzieht, in fast allen Erdperioden größtenteils von Meer bedeckt. Im üDrigen wird dagegen der Atlantische Ozean von den hervorragendsten Geologen wie Neumayr und Sueß als relativ sehr jung angesehen. Die Ufer sind nicht nur ihrem horizontalen Verlaufe nach auffällig parallel, sie entsprechen einander auch in ihrem geologischen Aufbaue. Wie in Nord- amerika der nur in vorpaläozoischer Zeit gefaltete „Kanadische Schild" gelegen ist, umgrenzt von einer seenreichen Glintlinie und in seinem Zentrum das flache Becken der Hudsonbai tragend, so finden wir in Europa den gleichaltrigen ,, Skandinavischen Schild" mit der Ostsee, ebenfalls von einer Glint- linie umrandet. Im Norden schließen sich an diese uralten Massive Gebirgszüge an, deren Faltung vermutlich im Algonkium erfolgt ist. In Nord- amerika ist dies die Küstenkette von Labrador, die auf Baffinland sich fortsetzt, in Europa dagegen bilden sie die Hebriden und Lofoten. Südlich von diesem alten Gebirge bricht in Europa im 674 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 43 Norden Irlands das kaledoiiische Gebirge am Meere ab, das in silurisch-devonischer Zeit gefaltet wurde, und in Südirland, Cornvvallis und der Bretagne schließen die karbonischen „Aremorikanischen Pyrenäen" sich an. Beide Gebirge konvergieren nach Westen und weisen in gleicher Weise nach Neufundland, zu dem von ihrer europäischen Ab- bruchstelle das Telegrajihenplateau hinüberführt. Auf dieser amerikanischen Insel wie auf Neuschott- land finden wir nun dieselbe Riasküste, wie in den eben erwähnten europäischen Ländern und von ihnen geht das appalachische Gebirgssystem aus, das seiner Hauptfaltung nach dem aremori- kanischen Gebirge gleichaltrig ist, aber auch schon h'altungen gleichzeitig mit dem kaledonischen Zuge erlitten hat, besonders in seinem nördlichen Teile. Gehen wir auf beiden Seiten des Ozeans weiter südwärts, so treffen wir nach Überschreitung der Mittelgebirge auf die Mittelmeere, die durch vul- kanische Eruptionen, Erdbeben, Einsturzbecken und junge Faltengebirge ebenfalls einander ent- sprechen. Insbesondere entspricht dem Antillen- bogen der AtlasSierra Nevadazug, die „Bätische Cordillere". Das Hohe Atlas bricht übrigens in Marokko in ähnlicher Weise an der Meeresküste ab, wie im Norden das alte aremorikanische Ge- birge. Merkwürdigerweise treffen wir nun in seiner Fortsetzung in Südamerika auf der Insel Trinidad auf einen ähnlichen Gebirgszug, einen Ausläufer der venezuelanischen Cordilleren, wie dies auf der beigegebenen Karte deutlich zu ersehen ist. Noch weiter nach Süden schließen wieder ältere Schollen- länder sich an, im Westen Guayana und Brasilien, im Osten Afrika, und zwar treten in beiden Kon- tinenten die jüngsten karbonischen Falten im Süden auf, dort in den Sierren der Pampas, hier in den Gebirgen des Kaplandes. Endlich wird die Über- einstimmung bis zur Antarktis hin durchgeführt. Denn wie vom F"euerlande über Süd- Georgien und die Süd-Sandvvich-Inseln eine Reihe von Inseln in weit nach Osten vorspringendem Bogen zum Grahamland hinüberführt, so in gleicher Weise bei Afrika die Crozet-Inseln, Kerguelenland und die Heard-Inseln nach den antarktischen Küsten, die wir als Wilkesland zusammenfassen können. Wir finden also eine Übereinstimmung, wie sie in auch nur annähernd vergleichbarem Maße bei keinem anderen Ozeane vorkommt. Sehen wir uns nun nach anderem Beweis- material für das Vorhandensein von atlantischen Kontinentalgebieten um, so bilden solches palä- ontologische Funde. Eine ganze Anzahl amerika- nischer Flachseebewohner besitzen oder besaßen ihre nächsten Verwandten in europäischen Meeren. Nur einige Beispiele seien hierfür gegeben. Die eozäne Seekuh (Prorastomus) kennen wir nur in zwei Arten, P. sirenoides von Jamaika, P. veronensis von Verona. Eine ähnliche Verbreitung an beiden Ufern des Atlantischen Ozeans zeigt in der Gegen- wart der Lamantin (Manatus), von dem zwei Arten an den Küsten Südamerikas, eine dritte an denen Westafrikas sich finden. Unter den Krabben ist die Landkrabbe (Gecarcinus) jetzt auf Westindien beschränkt. Aus dem oberen Miozän kennen wir aber auch eine europäische Art G. punctatus. Der zu den Bogenkrabben (Cyclometopa) gehörende Neptunus, vom oberen Eozän bis zum oberen Miozän in Europa fossil bekannt, findet sich jetzt außer im Mittelmeer auch in Westindien. Ahn- lich ist die Verbreitung der zu den Rundkrabben (Oxystomata) gehörigen Schamkrabbe (Calappa). Wenden wir uns nunmehr den Weichtieren zu, so besitzt die jetzt nur amerikanische Purpur- schnecke Monoceros eine pliozäne europäische Art. Von der in der Jura- und der Kreideformation Ituropas in über lOO Arten vertretenen Sipho- muschelfamilie der Pholadomyiden leben jetzt nur noch zwei Arten, eine Ph. Coveni im Mittelmeer, die zweite Ph. Candida in Westindien. Letztere gehört einer Gruppe an, die bis in die Mitte der Tertiär- zeit in den südeuropäischen Meeren lebte. Von den Sumpfmuscheln (Donacidae) findet sich die Gattung Iphigenia im tropischen Amerika wie in Westafrika. Die fossile Familie der Hippuriten war während der oberen Kreidezeit charakteristisch für den mittelmeerischen Gürtel der Erde und ihr X^erbreitungsbezirk reicht von Mittelamerika über das europäische Mittelmeergebiet bis in die indi- schen Gewässer. Da die ungeheure Dicke der Schalen dieser Tiere, die hierin alle anderen Meeres- tiere übertreffen, den Beweis liefert, daß diese Muscheln in der Strand- oder besser noch in der Brandungszone lebten, so können wir hieraus den Schluß ziehen, daß bei der gegenwärtigen Ver- teilung von Land und Meer die Verbreitung der Hippuriten nicht zu erklären ist, während dies sehr einfach wird, wenn wir annehmen, daß ijuer über den Ozean eine Küstenlinie oder wenigstens eine Reihe von Inseln verlief. Endlich sei noch die zu den Nuculiden gehörende Malletia erwähnt, deren eine Art M. chilensis südamerikanisch ist, während M. cuneata im Mittelmeer lebt. Genau die gleiche Verbreitung zeigen die beiden von ihr bekannten fossilen Arten. Auch die .Stachel- häuter zeigen ähnliche Verbreitungen. Von den mit den Herzigeln verwandten Holasteriden findet sich Palaeopneustes im europäischen Eozän in einer Art (P. conicus). Gegenwärtig lebt eine (P. niasicus) im malaiischen Gebiete, zwei andere sind aus Westindien bekannt, wo auch eine nahe verwandte miozäne Gattung Asterostoma gefunden wurde. Die Seeigelfamilie der Echinoconiden, die in der Jura- und Kreidezeit in den europäischen Meeren lebte, und von der die typische Gattung Echinoconus (Galerites) zu den bekanntesten Ver- steinerungen der senonischen Schreibkreideschichten gehört, besitzt ihren einzigen lebenden Vertreter in dem westindischen Pygaster relictus, von dem Gattungsgenossen auch aus europäischen Schichten bekannt sind. Fast genau so liegen die Verhält- nisse bei den Hemipedininen, einer Unterfamilie der Diademigel, die ebenfalls nur eine in West- indien lebende Form Hemipedina cubensis besitzen, während nahe Verwandte dieser Art früher auf N. F. VI. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 675 der anderen Seite des Atlantischen l )zcans lebten. Endlich sei noch der zu den Seelilicn gehörige 1 lolopus von Barbados erwähnt, dessen Verwandte bis zum Kozän in europäischen Meeren lebten. In allen diesen Fällen handelt es sich um nicht pelagische Tiere, die in ihrer Ausbreitung an die Nähe kontinentaler Gebiete gebunden sind, (ie- rade diese Küstenfauna war es, die Xeumayr ver- anlaßte, bei der Konstruktion seiner paläogeo- graiihischen Karte des oberen Jura, sowohl im Norden als im Süden des Atlantischen Ozeans Festlandmassen anzu- nehmen. Seine Annahme wird dadurch unterstützt, daß sowohl nördlich der Schwelle zwischen Neufundland und Irland, als auch an den Küsten des süd- atlantischen Ozeanes in Süd- amerika wie in Afrika jung- mesozoische Meeressedimente fehlen, mit Ausnahme einiger Ablagerungen, die während der rings auf der Erde auftretenden Transgression der mittleren Kreidezeit sich bildeten. Wäh- rend also der Geolog sich ge- nötigt sieht, an der Stelle der platonischen Atlantis, sowie der von Heer und Unger, dauernde Meeresbedeckung anzunehmen, kommt er zu der Annahme, daß es dafür im Norden und Süden dieses Gebietes einst Festland gab. Neben Neu- mayr und Sueß haben beson- ders auch Frech und Lapparent diese Ansicht vertreten. Den nördlichen Kontinent nennt Neumayr den nearktischen, den südlichen den brasilianisch- äthiopischen. Für den letzteren hat V. Ihering die Namen Ar- chihelenis und Stenogaea vor- geschlagen. Am einfachsten und kürzesten wäre es wohl, von einer Nord- und einer Süd- atlantis zu sprechen. Solche alte Kontinentalver- bindungen müssen natürlich auch auf die Verbreitung der Lebewelt des festen Landes einen bestimmenden Einfluß ausüben, hat doch dieser Umstand immer wieder Tier- und Ptlanzengeographen veranlaßt, die Re- konstruktion alter Landverbindungen zu versuchen, und es ist sehr wichtig, daß gerade im Gebiete des Atlantischen Ozeanes die Resultate der geo- logischen und der biogeographischen Forschungen, die doch vollständig selbständig nebeneinander herliefen, sehr gut sich miteinander in Einklang bringen lassen. Werfen wir nun zunächst einen Hlick auf die Tierwelt des nordatlantischen Ge- bietes, so ist bekannt, daß im äußersten Norden luiropas und Nordamerikas identische Tierarten leben, während diese nach Süden zu immer weiter divergieren, indem nacheinander die Arten, Gat- tungen und F"amilien verschieden werden. Diese .Ähnlichkeit der jetzigen F'aunen ist aber durch einen P'aunenausgleich über die Beringstraße her- vorgerufen worden , wie er seit der Miozänzeit Zur AManl-isfrage. .Gebirge der alpinen Faltuny V////A Nordische Massive „ henyniscfien „ xüAmii.S udyrenx.e der Sädattantis _ .. ,/ kaledonischen I, während der Jurazeit nach .. „ „ hebridischen « Laßßarent. Jn disch - atta ntis ch e Grenzlinie. 120» 100° 80» 60° ^C 20» 20" 40° Or. Tfi. Ar/dt Stattgefunden hat. Eine transatlantische Verbrei- tung kommt hier im allgemeinen nicht in Frage. Anders lagen die Verhältnisse im Alttertiär. Da- mals trennte ein Meeresarm im Osten des Ural .\sien von Europa, und infolgedessen konnte ein indirekter Austausch zwischen Europa und Nord- amerika ähnlich dem jetzigen nicht in Frage kommen. Trotzdem finden sich aber eine Reihe von gleichen Gattungen zu beiden Seiten des At- 6-6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 43 lantischen Ozeans, und selbst bei Gattungsver- schiedenheit ist doch nahe Verwandtschaft vor- handen. Die beiden Kontinenten gemeinsamen Gattungen der Säugetiere machen im .-Mttertiär bis zu ii";, (im oberen Oligozän) und I5'\ (im mittleren Eozän) der Gesamtsäugetierfauna aus. Dabei sind aber die Gattungen noch nicht ein- gerechnet, die während verschiedener Abschnitte des Eozän und Oligozän in beiden Kontinenten gelebt haben. So kennen wir z. B. eine Reihe von Gattungen aus dem unteren Oligozän Europas, die auch aus dem Eozän Nordamerikas bekannt sind. Eine solche Verbreitung läßt ja auch nur die Annahme eines direkten Verkehres über das atlantische Gebiet zu, da der indirekte Weg ver- sperrt war. Es würde zu weit führen, hier alle in Frage kommenden Gattungen aufzuzählen, er- wähnt sei nur, daß während des Alttertiär nach den Zusammenstellungen Zittel's 1 1 Gattungen gleichzeitig, 15 in verschiedenen Zeitabschnitten in Europa und Nordamerika lebten. Ähnliche Beziehungen finden wir zwischen beiden atlanti- schen Ufern im Malm. Es sind beiden gemeinsam an Gattungen 2 Beuteltiere aus der Familie der Dreikegelzähner (Triconodontidae), sowie 4 Land- drachen (Dinosauria), zu denen dann noch eine Anzahl anderer Gattungen kommen, die nicht gleichzeitig in beiden Kontinenten sich fanden. Alles dies spricht für das Bestehen eines nord- atlantischen Kontinentes ebenso wie die Verbreitung der Meeresorganismen. Mit dem Ende der Oligo- zänzeit scheint die Verbindung zwischen Nord- amerika und Europa gelöst worden zu sein und zwar wahrscheinlich zwischen Grönland und Baffin- land, da ersteres in seiner Fauna enge Beziehungen zu Europa zeigt. So stehen z. B. seine Mollusken den europäischen und selbst den nordasiatischen näher als den nordamerikanischen in den Hudson- bailändern, so fehlen in letzteren die Lungen- schneckengattungen Pupa, Succinea, Hyalina, Co- nulus und Vitrina mit 63* ,, aller überhaupt vor- handenen Arten. Auch unter den Vögeln finden sich europäische Arten und selbst unter den Säuge- tieren fehlen Beispiele nicht, indem sich auf Grön- land nach Trouessart derselbe Lemming (Myodes lemmus) findet, wie in Skandinavien, während ihm die amerikanischen Arten fehlen. Es liegt also die Vermutung nahe, daß auch während der jüngeren Tertiärzeit Grönland noch über Island und die Far Oer mit Europa zusamenhing, und die .Annahme dieser Landbrücke, die erst im Plio- zän und Diluvium völlig verschwunden sein mag, wird noch gestützt durch den Umstand, daß die Haupteruptionen der isländischen Vulkane gerade in diese beiden Perioden fallen, wie durch Tho- roddsen festgestellt worden ist. Etwas eingehender müssen wir uns mit der Südatlantis beschäftigen, da hier infolge der Breite und liefe des jetzigen Ozeans von vornherein die Annahme einer Kontinentalverbindung gewagter erschien. Indessen ist hier durch die Arbeit-zahl- reicher Biogeographen ein reichhaltiges Material zusammengetragen worden, das sehr deutlich für das Vorhandensein einer mesozoischen, etwa bis ins Eozän reichenden Südatlantis spricht. Aller- dings weisen Südamerika und Afrika jetzt in ihrer Lebewelt weit größere Unterschiede auf als Nord- amerika und Europa, doch dürfen wir dabei nicht außeracht lassen, daß beide im Pliozän von nordi- schen Einwanderern überschwemmt wurden, die die alte P'auna zurückdrängten oder gar völlig vernichteten. Diese nordischen Formen müssen wir auszuscheiden suchen, ehe ein Vergleich mög- lich ist. Dies wird uns außerordentlich erleichtert durch die umfassenden Kenntnisse, die wir haupt- sächlich durch die reichen Funde Ameghinos von der alttertiären Säugetierwelt Südamerikas besitzen. Sie gestattet auch indirekte Schlüsse auf .-\frika, die durch die vor wenigen Jahren gemachten Funde von Fayum eine wesentliche Stütze erhalten haben. Wir werden im folgenden uns hauptsäch- lich auf dieses paläontologische Material stützen. Der alten neotropischen Fauna gehören zunächst an die Breitnasenafien (Platyrrhinae), als deren Äquivalent in .Afrika die Halbaffen in Frage kommen könnten, doch ist die Parallele hier noch unsicher. Günstiger liegen die Verhältnisse bei den Insekten- fressern (Insectivora). Von diesen sind die süd- lichen, in ihrem Zahnbau von den nördlichen ab- weichenden Familien ganz auf Südamerika und .Afrika mit Madagaskar beschränkt. In ersterem Kontinente treten sie allerdings sehr spärlich auf. Lebend kennen wir nur zwei Arten der Schlitz- rüßler (Solenodontidae) auf Kuba und Haiti, die den Borstenigeln (Centetidae) von Madagaskar nächst verwandt sind. Dazu kommt noch ein fossiler Rest aus den oligozänen Sta. Cruz-Schichten Patagoniens, Necrolestes, der wohl ebenfalls eine besondere Familie repräsentiert, die aber den süd- afrikanischen Goldmullen (Chrysochloridae) sehr nahe steht. Die alte Nagetierwelt des Südens repräsentieren die Stachelschweinnager (Hystrico- morpha), ebenfalls größtenteils neotropisch-äthio- pisch. Den amerikanischen Baumstachelschweinen ( Cercolabidae) entsprechen die Stachelschweine (Hystricidae) der alten Welt, die von Afrika über das Mittelmeergebiet und Indien sich ausgebreitet haben dürften. Ebenso werden die südamerikani- schen Trugratten (Octodontidae) und Schrotmäuse (Capromyidae) in Afrika durch die Kammratten (Ctenodactylidae) vertreten, ja eine afrikanische Gattung, die Rohrratte (Thryonomys), wird sogar direkt zu den Schrotmäusen gestellt. .Sonst ge- hören zu dieser Unterordnung noch die Hasen- mäuse (Lagostomidae), Meerschweinchen (Caviidae) Hufpfötler(Dasyproctidae), sämtliche in Südamerika heimisch, denen sich in Afrika vielleicht noch die Springhasen (Pedetidae), nach Tullberg auch die Maulwurfsratten (Bathyergidae) anschließen. Un- geheuer vielseitig war die alte, jetzt völlig aus- gestorbene Huftierwelt Südamerikas, treten hier doch von den 12 Unterordnungen der Huftiere 8 — 9 auf, im ganzen Norden dagegen nur 4! Unter diesen sind die Typotherien und Toxodon- N. F. VI. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 677 tier nächst verwandt den afrikanischen Platthufern (Hyracoideal Während man vor kurzem von diesen überhaupt keine h'ossilreste kannte, werden ilinen im neuen Katalog von Trouessart 52 fossile Arten zugezählt. Dav-on gehören zwei zur unter- pliozänen Pikermifauna, 3 sind bei Fayum ge- funden worden und beweisen, daß die Schliefer zur alten Fauna Afrikas gehören, die übrigen alle aber gehören Südamerika an, wo sie hauptsächlich im Kozän in drei Familien entwickelt waren, wenigstens nach den Bestimmungen von Ameghino. Eine andere, fast ganz neotropische Unterordnung bildeten die Astrapotherien, denen aber ebenfalls ein Tier von Fayum, nämlich Arsinoitherium, sehr nahe steht. Besonderes Interesse bieten die Rüssel- tiere (Proboscidea 1. Was man früher schon ver- mutete, daß nämlich deren Heimat in Afrika zu suchen sei, von wo im Miozän die Elefanten in Mastodon und Dinotherium Europa erreichten, ist nun zur Gewißheit geworden, seit man bei Fayum das Palaeomastodon fand, das den Über- gang von den Rüsselticren zu den anderen Hufern vermittelte. Hier sind aber noch eine Reihe anderer Gattungen zu erwähnen, die als noch primitivere Übergangsformen zu betrachten sind. Man be- zeichnet sie als Pyrotherien. Von ihnen findet Moeritherium und Barytherium sich bei Fayum, das schon länger bekannte typische Pj-rotherium aber, das sogar derselben Familie angehört, wie die beiden zuletzt genannten äg}-ptischen Gattungen, mit einigen verwandten Formen im Eozän Süd- amerikas. Wir haben hier also eine ganz besonders auffällige Beziehung zwischen Südamerika und Afrika, mit der sich von den oben erwähnten höchstens die von Thryonomys vergleichen läßt. Endlich sind unter den Landsäugetieren noch die Zahnarmen (Edentaten) zu erwähnen, von denen die Gürteltiere iDasypoda), I'^aulliere (Tardigrada), Wurmzüngler (Vermilinguia) und die fossilen Panzertiere (Glyptodontia) und Scharrtiere (Gravi- grada) südamerikanisch, die Schuppentiere (Manidae) und Erdferkel (Orycteropodidac) aber vorwiegend afrikanisch sind. Mit den letzteren ist vielleicht das Bradytherium madagascariensis verwandt, das Trouessart vorläufig zu den Faultieren gestellt hat. Sollte letzteres wirklich richtig sein, so hätten wir wieder eine außerordentlich auffällige Verwandt- schaft zwischen beiden Südkontinenten innerhalb einer Familie. Bei den Fledermäusen fehlen ähnliche Be- ziehungen auch nicht völlig. So ist die zu den eigentlichen Fledermäusen (Vespertilionidae) ge- hörige, aber eine besondere Unterfamilie repräsen- tierende MjTcopoda von Madagaskar verwandt mit der südamerikanischen Tliyroptera, die zu den den Blattnasen (Phyllostomidae) nahestehenden Nataliden gehört. Außerdem gehören vielleicht einige weiter verbreitete tropische Gattungen wie Lasiurus in Südamerika und der verwandte Scoto- philus in Afrika der alten Fauna der Südatlantis an. Die Fledermäuse führen uns als Lufttiere zu den Vögeln über. Von diesen seien zuerst die zu den Bartvögeln (Megalaemidae) gehörigen Bart- schnäbler (Pogoiiorliynchinae) erwähnt, von denen eine Gattung in Südamerika heimisch ist, während zwei sich in Afrika finden. Während jetzt der Suruku (Trogon) nur in der neotropischen Region lebt, kennen wir eine untermiozäne Art aus Frankreich, die nach unserer Ansicht hierher auf demselben Wege gelangt ist wie die Elefanten. Unter den Papageien stehen die südamerikanischen Stumpfschwanzpapageien (Pioninae) den afrikanisch- madagassischen Graupapageien (Psittacinae) nahe. Ebenso sind mit den neotropischen Sonnenrallen (Eury])ygidae) die Mesitiden von Madagaskar ver- wandt. Weniger will dagegen die Verbreitung der Scheidenschnäbel (Chionididae) besagen, deren einzige Gattung auf den antarktischen Inseln Süd- amerikas, aber auch auf Kerguelenland und seinen Nachbarinseln sich findet. Wichtiger sind die Be- ziehungen einiger Raubvögel. Die amerikanischen Geierfalken (Polyboridae) stehen den Kranichgeiern (Serpentaridae) Afrikas nahe. Unter den Adlern (A(]uilidae) sind der afrikanische Elanoides und der amerikanische Nauclerus verwandt. Wenden wir uns den Schreitvögeln (Pelargoherodii) zu, so wird für den Reiher ligrisoma Südamerika und Westafrika als Verbreitungsgebiet angegeben. Den genannten Vögeln ließen sich leicht noch eine Reihe weiterer anschließen, die nicht ganz auf die beiden in Frage kommenden Kontinente beschränkt sind, die aber doch wohl auch in ihrer Verbreitung durch die gleichen paläogeographi- schen Verhältnisse beeinflußt wurden. Erwähnt sei an dieser Stelle nur, daß der afrikanische Strauß (Struthio) und der südamerikanische Nandu (Rhea) in keiner engeren Verwandtschaft zueinander stehen und infolgedessen nicht für die Südatlantis ins Feld geführt werden dürfen. Die Reptilien zeigen in ihren jüngeren Zweigen, den Schlangen und Eidechsen, ähnliche Verbrei- tungen wie die älteren Säugetiere. Eine Reihe von Schlangengattungen finden sich zu beiden Seiten des südatlantischen Ozeans. Solche „amphi- atlantische" Gattungen, die nur in Südamerika und Afrika leben, sind die Baumschlange (Dendro- phide) Ahaetula, die Peitschenschlange (Dryiophis), die Nachtbaumschlangen (Dipsadidae) Dipsadoboa und Leptodeira; neotropisch-madagassisch sind die Nattern (Colubridae) Philodryas, Heterodon und Dromicus. Die Boaschlangen (Boinae) sind fast alle in Südamerika heimisch, doch fehlen sie auch in Westafrika und im madagassischen Gebiete nicht völlig. Unter den Eidechsen sind amphi- atlantische Familien die Ringelechsen (Amphis- baenidae), von denen selbst eine Gattung Anops Südamerika und Afrika gemeinsam ist, ferner die Schildirler (Lepidosternidae) und Gürtelechsen (Zonuridael. Besonders zu erwähnen sind noch die Leguane (Iguanidae), deren neotropische Gat- tung Oplurus eine Art auf Madagaskar besitzt. Für das hohe geologische Alter der Südatlantis spricht die Verbreitung der zu den Urechsen (Rhynchocephalia) gehörigen Vermittlerechsen 678 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 43 (Mesosauridaej aus dem Perm. Kennen wir doch von deren beiden Gattungen Stereosternum nur aus Südamerika, Mesosaurus nur aus Südafrika. Unter den Amphibien kommen zunächst die Froschlurche in Frage. Von diesen sind die zungen- losen ganz auf unsere Kontinente beschränkt, im Westen lebt die Wabenkröte (Pipa), im Osten der Spornfrosch (Dactylethra). Bemerkenswert sind weiter die Baumfrösche (Dendrobatidae), deren wenige Arten sich auf Südamerika und Madagaskar verteilen. Unter den altertümlichen Blindwühlen (Caeciliidae) werden sogar amphiatlantische Arten angegeben, nämlich Hypogeophis rostratus und Herpele squalostoma. Auch die Süßwasserfische liefern uns treffende Beispiele besonders in den Salmlern (Characinidae), die ausschließlich in Süd- amerika und Afrika sich finden, wenn auch in verschiedenen Gattungen; ähnlich ist die Verbrei- tung der Chromisfische (Chromidae) und der zu den Welsen gehörenden Pimelodinen. Auch ist der zu den Lungenfischen gehörende brasilische Schuppen- molch (Lepidosiren) nahe verwandt mit dem afrika- nischen Molchfische (Protopterus). Außerordentlich zahlreich finden wir Bezie- hungen über den südatlantischen Ozean hinweg bei den verschiedenen Insektenordnungen. Unter den Ameisen wird für die neotropischen Pachycondyla auch eine südafrikanische Art angegeben. Der südamerikanischen Ernteameise (Pogoiiomyrmex) steht Ocymyrmex in Afrika, der afrikanischen Treiberameise (Anomma) die Blattschneiderameise (Eciton) Südamerikas nahe , der neotropischen Cylindromyrmex entspricht Simopone von Mada- gaskar. Von den Schmetterlingen sind als Be- wohner Südamerikas und Afrikas die Dickkopf- falter (Hesperidae) Pardaleodes, Oxynetra und Leucochitonea zu erwähnen, dazu der schöne Schwärmer Urania, der außer der neotropischen Region auch Madagaskar bewohnt. Die Sandlauf- käfer (Cicindelidae) besitzen in Peridexia eine neo- tropisch madagassische Gattung. Außerdem sind die Gattungen Ctenostoma und Pogonostoma nahe verwandt, die auf die beiden Regionen sich verteilen. Afrikanisch-südamerikanisch sind die Laufkäfer (Carabidae) Lia, Lobodonotus, Pachyteles, Gonio- tropis, Alindria , der Prachtkäfer (Buprestidae) Actenodes, der Goldkäfer (Cetoniidae) Stethodesma, die Schrägkopf bocke (Cerambycidae) Oeme, Smo- dicum, Cyrtomerus und Philematium, letzterer auch auf Madagaskar lebend, die beiden ersten dagegen auch in Nordamerika, und der Spitzbock (Lamiidae) Spalacopsis. Audi die Heuschrecken zeigen ähnliche Beziehungen, und zwar sind amphi- atlantisch wie die genannten Käfer die Maulwurfs- grille Curtilla und die Laubheuschrecken (Locu- stidae) Meroncidius und Agroecia, letztere zugleich in Nordaustralien heimisch. Die ebenfalls zu den Locustiden gehörige Turpilia ist neotropisch-mada- gassisch. Außerdem ist die amerikanische Grille Scudderia verwandt mit der afrikanischen Corymeta. Die Klasse der Spinnentiere liefert uns eine Anzahl amphiatlantischer Arten. Die Afterspinne Cryptostemma westermanni lebt am Amazonen- strom und am Kribiflusse. Europäisch-südameri- kanisch sind die Webspinnen (Retitelariae) Pholcus phalangioides, Loxosceles rufipes, Steatota punc- tata, Theridium pulchellum und die Hausspinne (Tegenaria domestica). Eine ähnliche Verbreitung zeigen viele Milbengattungen. Ähnlich Crypto- stemma sind die Garneelen (Carididae) Atya scabra, A. gabonensis, Palaemon olfersi und P. jamaicensis verbreitet, sowie die Froschkrabbe Remipes cu- bensis und andere. Die Lungenschnecken sind meist weiter ver- breitet. Von den Schnirkelschnecken wären etwa zu erwähnen Glandina, Streptaxis, Balea, Zonites, die aber auch in den Süden des paläarktischen Gebietes und wie Glandina auch in den Süden der Union eindringen. Sehr bemerkenswert ist die zu den Rundmäulern (Cyclostomidae) ge- hörige Hainesia, die in Ecuador, sowie auf Mada- gaskar und Mauritius sich findet. Die verwandte Tudora ist wie Balea und Zonites neotropisch- mediterran. Deutlich treten auch bei den Fluß- muscheln (Nayadidae) Brasiliens afrikanische Be- ziehungen hervor, wie v. Ihering nachgewiesen hat. Mycetopus steht der afrikanischen Spatha nahe und die Arten von Anodonta sind Iridina verwandt. Ebenso finden von der den Fluß- muscheln nahestehenden Familie der Aetheriiden sich zwei Gattungen in Südamerika, während die dritte afrikanisch ist. Auch die Würmer tragen dazu bei, die Hypo- these einer Südatlantis zu stützen. Von den Regenwürmern (Lumbricidae) sind als südameri- kanisch-afrikanisch zu erwähnen Geogenia, Tri- gaster, Nematogenia, Gordiodrilus, ferner die Geoscoliciden. Dies ist umso wichtiger, als bei diesen Tieren unmöglich an eine Verschleppung über den Ozean hinweg gedacht werden kann. Was endlich die Pflanzen anlangt, so zählt Engler schon in seiner Entwicklungsgeschichte der Pflanzen- welt vor 25 Jahren nicht weniger als 45 Gattungen auf, die auf Afrika und Südamerika beschränkt sind, darunter 12 mit amphiatlantischen Arten, und nach seinen neueren Veröffentlichungen ist er hiernach geneigt, eine alte südatlantische Kon- tinentalverbindung anzunehmen. Solche amphi- atlantische Arten sind z. B. die Wasserpflanzen Tristicha hypnoides und Eichhornia natans. Unter den Familien ist besonders die der Baumwinden (Loasaceae) hervorzuheben, von der nur Kissenia in Afrika sich findet, während die anderen Gat- tungen neotropisch sind, und eine ganz ähnliche Verbreitung zeigen die nahe verwandten Turne- raceae. Es ergibt sich aus alle dem, daß zahlreiche biogeographische Tatsachen aus den verschiedensten Klassen des l'ier- und Pflanzenreiches für eine alte Südatlantis sprechen und, da, wie schon an- fangs ausgeführt, auch die Geologen mit ihr sich einverstanden erklären, so haben wir wohl das Recht, diesen Kontinent als einen gesicherten Be- sitz der Wissenschaft zu betrachten zum mindesten N. F. VI. Nr. 4- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 679 für die Zeit des Mesozoikums. Es sprechen aber auch eine Reihe von Tatsachen, wie die Ver- breitung der permokarbonisclien Glossopterisflora, dafür, daß auch im Paläozoikum die Südatlantis schon bestand und nicht nur diese. Auch für die Nordatlantis ist ein hohes Alter anzunehmen, und immer mehr kommen wir zu der Erkenntnis, daß die gegenwärtigen Kontincntalverbindungen etwas sehr neues sind. Wo während der längsten Zeit der Erdgeschichte, soweit wir sie einigermaßen überblicken können, festes Land sich ausbreitete, bewohnt von zahllosen Geschlechtern der Tier- und Pflanzenwelt, in deren Entwicklungsgeschichte es eine große Rolle spielte, im Norden ebenso wie im Süden, wogt jetzt der Atlantische Ozean. Und wo einst der mittelmeerische Ozean, die „Tethys" von Sueß, die Nord- von den Südkonti- nenten trennte, haben Landbrücken sich erhoben. Während aber im Gebiete des Ozeans der jetzige Zustand nun wohl auch geologisch gerechnet lange Zeit andauern wird, läßt die Erdgeschichte uns erwarten, daß beispielsweise die Verbindung beider Amerika durch festes Land nur ein vor- übergehender Zustand ist. Ebenso läßt sie uns vermuten, daß die Mitte des Atlantischen Ozeanes nie kontinental werden wird, die platonische At- lantis hat nicht bestanden und wird wohl auch nie bestehen. Statt dieser sagenhaften hat aber die Wissenschaft zwei Atlantiskontinente uns kennen gelehrt, und deren Nachweis ist umso sicherer, als er durch die konvergierende Forschung der beiden Wissenszweige geführt worden ist, die hauptsächlich die Grundlage der Paläogeographie bilden. Über Immanuel Kants Bedeutung für die moderne Naturwissenschaft. [Nachdruck verboten.] Obwohl Kant als Philosoph seinen Ruhm lediglich seinem Hauptwerke: der ,, Kritik der reinen Vernunft" verdankt, so wäre es doch ein voreiliger Schluß, wenn man sich deshalb zu der Ansicht verstiege, daß seine früheren Schriften nur als vorbereitende Glieder seiner geistigen Ent- wicklungsgeschichte von Wert sein sollten und hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Bedeutung von dem Hauptwerke so weit überschattet würden, daß sie einer besonderen Betrachtung überhaupt nicht mehr würdig erschienen. Keineswegs! bieten sie doch in der Tat auch gegenwärtig noch weit mehr als ein rein historisches Interesse dar: ,,sie enthalten", wie H. Höffding treffend sagt, „Ge- danken, deren Zeit noch nicht zu Ende ist." Ja, daß im Gehirn des Königsberger Philosophen eine Vorstellungsreihe verlief, deren Überein- stimmung mit der Reihe längst vergangener Er- eignisse er nur an wenigen Punkten tatsächlich festzustellen vermochte, in die aber fast alle seit- her mit Hilfe des Teleskopes und der Spektral- analyse geglückten Entdeckungen, wie Glieder einer Kette, sich zwanglos einschieben lassen: das allein verdient schon unsere höchste Anerkennung und Bewunderung. Dazu kommt, daß die Kantische Hypothese es ist, auf der noch heute Geologie und Geographie im wesentlichen fußen : obwohl die Hypothese so alt, zum Teil sogar veraltet ist, hat man doch bis heute noch nichts absolut Besseres gefunden, wodurch sie mit Nutzen hätte ersetzt werden können. — Die naturwissen- schaftlichen Werke Kants beschäftigen sich mit der Entstehung und Entwicklung nicht nur des Weltalls und des Planetensystemes, sondern auch der Erde und der sie bewohnenden Organismen. In hohem Grade charakteristisch ist in ihnen der Gedanke einer allmählichen Entwicklung. Speziell in seiner „Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels" faßt Kant den von ihm Von Dr. Wilh. R. Eckardt. gewählten Standpunkt in die Sätze zusammen : „Ich nehme die Materie aller Welt in einer all- gemeinen Zerstreuung an und mache aus der- selben ein vollkommenes Chaos. Ich sehe nach den ausgemachten Gesetzen der Attraktion den Stoff sich bilden nnd durch die Zurückstoßung ihre Bewegung modifizieren. Ich genieße das Vergnügen . . . sich ein wohlgeordnetes Ganzes entwickeln zu sehen, welches demjenigen Welt- systeme so ähnlich sieht, das wir vor Augen haben, daß ich mich nicht entbrechen kann, es für dasselbe zu halten." Die Lehre von der ,,successiven Vollendung der Schöpfung" bezeichnet Kant selbst als einen hervorragenden Teil seiner Naturgeschichte des Himmels: die gleichzeitigen Zustände der Welt- körper stellen sehr verschiedene Entwicklungs- stufen in der Ausbildung des Kosmos dar. Wir werden hier an das schöne Wort erinnert, das wir bei Alexander von Humboldt im ersten Bande seines ,, Kosmos" lesen : ,,Wie wir in unseren Wäldern dieselbe Baumart gleichzeitig in allen Stufen des Wachstums sehen, und aus diesem Anblick, aus dieser Koexistenz den Eindruck fort- schreitender Lebensentwicklung schöpfen, so er- kennen wir auch in dem großen Weltengarten die verschiedensten Stadien allmählicher Sternenbil- dung". Das unermeßliche Chaos, das erst zum geringsten Teile überwunden ist, birgt noch in seinem Schöße den Samen zahlloser zukünftiger Welten, denn „die Unendlichkeit der Schöpfung ist groß genug, um eine Welt oder eine Milch- straße von Welten gegen sie anzusehen, wie man eine Blume oder ein Insekt in Vergleichung gegen die Erde ansiehet." Die Weltenentwicklung im großen und ganzen ist von endloser Dauer, nicht der Bestand der einzelnen Weltkörper und Systeme. Wie sie entstanden sind, so müssen sie wieder untergehen und in das Chaos zurückkehren, aus 68o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 43 dem sie hervorgingen. Das Chaos aber ist der Samen des Kosmos. Daher ist Rückkehr in das Chaos keineswegs Vernichtung, sondern Welt- erneuerung von Grund aus. So erkennen wir klar und bestimmt die Idee der fortschreitenden Entwicklung des Weltalls in Kants Kosmogonie. Was aber hinsichtlich der Entwicklung für die Weltsysteme im großen gilt, das hat auch für die einzelnen Weltkörper, also auch für unseren Erdball, seine Gültigkeit. In der Einleitung seiner physischen Geographie scheidet Kant die Aufgabe der Naturbeschreibung von derjenigen der Naturgeschichte. ,,Üie Ge- schichte der Natur enthält die IVIannigfaltigkeit der Geographie, wie es nämlich in verschiedenen Zeiten damit gewesen ist, nicht aber, wie es jetzt in gleicher Zeit ist, denn dies wäre ja eben Naturbeschreibung. Trägt man dagegen die Be- gebenheiten der gesamten Natur so vor, wie sie durch alle Zeiten beschaffen gewesen, so liefert man, und nur erst dann, eine richtige sog. Natur- geschichte." Gegenstand der Naturbeschreibung sind demnach die gleichzeitigen Zustände z. B. der Erde und der sie bewohnenden Organismen, Gegenstand der Naturgeschichte die Veränderung oder die Zeitfolge der verschiedenen Zustände, woraus die Beschaffenheit der jetzigen hervor- gegangen. Auch die Geschichte der Erde ist da- her „nichts anderes als eine kontinuierliche Geo- graphie." Wir haben eine Naturbeschreibung, aber noch keine Naturgeschichte der Erde und der sie bewohnenden Kreaturen, denn die Natur- geschichte ist um nichts jünger als die Welt selbst, und es ist das Beschwerliche in der Erklärung der Entwicklungsgeschichte, daß man zu viel auf Vermutungen und Erratungen angewiesen ist. „Wahre Philosophie aber ist es, die Verschieden- heit und Mannigfaltigkeit einer Sache durch alle Zeiten zu verfolgen." In seiner Abhandlung: „Ob die Erde veralte?" und in seinen Untersuchungen, welche die Er- scheinung der Erdbeben betreffen, begegnen uns ebenfalls dieselben Anschauungen. So tritt Kant in jener Schrift der Frage näher, ob die Zeugungs- kraft der Erde sich allmählich verzehrt und die Erde verödet, indem sie dem Zustande der Un- fruchtbarkeit und Unbewohnbarkeit entgegengeht, nachdem sie die Kette einer Entwicklung bis zu ihrem heutigen Zustand durchlaufen; ob sie, im ganzen genommen, veraltet und abstirbt wie ein Mensch, oder „ob ihre Verfassung annoch im Wohlstande sei, oder wohl gar die Vollkommen- heit, zu der sie sich entwickeln soll, noch nicht völlig erreicht, und sie also ihre Kindheit vielleicht noch nicht überschritten habe." In seinen Erdbebenforschungen sucht Kant vor allem auch die Bedingungen der Erdbeben aus der Entwicklungsgeschichte des Erdballes und dem daraus gewordenen gegenwärtigen Bildungs- zustande zu erklären. Ihre Ursachen lassen sich u. a. herleiten aus dem Wechsel in der Konfi- guration der Kontinente und Meere im Laufe der verschiedenen geologischen Epochen, dem Auf- türmen der Gebirge und den darunter befind- lichen Massendefekten („Höhlungen") : „Ich müßte bis in die Geschichte der Erde im Chaos zurück- gehen, wenn ich etwas Begreifliches von der Ur- sache sagen wollte, die bei der Bildung der Erde den Ursprung dieser Höhlungen veranlaßt hat." Aber nicht nur in der anorganischen, sondern auch in der organischen Natur will Kant die Ent- stehung und Entwicklung erleuchtet sehen. Tiefer- gehende Ausführungen finden sich in seinen natur- wissenschaftUchen Schriften nicht. Indessen „die wenigen Andeutungen, die er gibt, meint Kuno Fischer, zeigen uns, wie deutlich er die Be- dingungen einsah, welche in der organischen Natur zur Entstehung der Arten notwendig sind, und die man heute nach dem Vorgange Darwins als die Entwicklungsgesetze der Anpassung, Zucht- wahl und Vererbung bezeichnet. Er braucht zwar nicht dieselben Worte, aber er hat genau diese Faktoren der Artbildung im Sinn, wo er beispielsweise von der Differenzierung der Hunde und Pferde und von der Züchtung einer weißen Hühnerrasse redet." Wir lesen hier u. a. folgen- des: „Erwägt man z. B., wie die verschiedenen Rassen der Plunde aus einem Stamme entsprungen sind, und welche Veränderungen sich mit ihnen, vermittelst der Verschiedenheit des Landes, des Klima, der F"ortpflanzung usw. durch alle Zeiten zugetragen haben, so wäre das eine Naturge- schichte der Hunde, und eine solche könnte man über jeden einzelnen Teil der Natur liefern, z. B. über die Pflanzen u. dgl. m." In diesem Sinne also fordert Kant eine Naturgeschichte der Pflanzen und Tiere. Aber ein eigentliches „systema naturae", das dem kausalen Zusammenhang in den Erscheinungen der Lebewelt gerecht wird, haben wir noch nicht: „In den vorhandenen Systemen der Art sind die Dinge bloß zusammen- gestellt und aneinander geordnet." Daher dürfte man die Systeme der Natur, die bisher verfaßt sind, richtiger wohl „Aggregate der Natur" nennen, „denn ein System setzt schon die Idee des Ganzen voraus, aus der die Mannigfaltigkeit der Dinge abgeleitet wird." In dem wahren Natursysteme muß auch der Entwicklungsgedanke zum Aus- druck kommen, denn die wahre Naturgeschichte der Organismen muß ein für allemal die Genese berücksichtigen. Unter den naturwissenschaftlichen Schriften ragt als bedeutende Leistung ferner noch hervor die Schrift: „Neue Anmerkungen und Erläuterung der Theorie der Winde". Kant beweist hier aus der Rotation der Erde den Satz: „Ein Wind, der vom Äquator nach dem Pole hinweht, wird immer je länger, desto mehr westlich, und der von dem Pole zum A(]uator hinzieht, verändert seine Rich- tung in eine Collateralbewegung aus Osten". Mit Hilfe dieses Satzes gibt er dann u. a. die Grund- züge der richtigen Erklärung der Passat- und der Monsunwinde, ja, selbst vom Drehungsgesetz der N. F. VI. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 68 1 Winde, wie H. W. Dove es nennt, gibt er eine l'lrklärung. Unbestritten ist demnach des Philosophen höchstes Verdienst das um die Geographie. Wie hoch er diese Wissenschaft selbst einschätzte, geht aus folgenden Worten hervor: „Unsere ge- wölinliche Schulgeographie ist sehr mangelhaft, obwohl nichts fähiger ist, den gesunden Menschen- verstand mehr aufzuhellen, als gerade die Geo- graphie. Denn da der gemeine Verstand sich auf die Krfahrung bezieht, so ist es ihm nicht möglich, sich ohne Kenntnis der Geographe auf eine, nur einigermaßen beträchtliche VVeise zu extendieren." Dieses vor mehr als hundert Jahren gefällte Urteil Kants gilt in seiner vollen Schärfe noch heute ! Als Kant seine naturwissenschaftlichen Werke schrieb, kannte man von den Zeugnissen und Be- weisen stofllichen Zusammenhanges, wie sie uns in ungeahnter Fülle geworden sind, so gut wie nichts. Wohl hatten Kant — und nach ihm selbst noch Laplace — eine Grundverwandtschaft aller Körper des Sonnensystemes angenommen, die auf ihrer Entstehung aus einem Urnebel be- ruhen sollte. Die Stützen ihrer Hypothesen waren jedoch vielfach nur kühne Vermutungen. Aber der Umstand eben, daß die Vermutungen unseres Philosophen das Richtige trafen, daß ferner die Kantische Naturforschung in vielen Punkten grund- legend für die heutige geblieben ist, muß uns mit höchster Bewunderung und Verehrung für Kant erfüllen. Und in der Tat, eine eingehende wissenschaftliche Betrachtung namentlich der vor- kritischen Epoche unseres Philosophen muß zu der Erkenntnis führen, daß die Mannigfaltigkeit seiner Schriften aus dieser Zeit nicht nur für die Breite und den Umfang seiner naturwissenschaft- lichen Studien, sondern auch für ihre gründliche Tiefe ein beredtes Zeugnis ablegt. Natürliche und künstliche Erzeugnisse. (Schluß.) 'j Von Georg Heuser, Architekt, Köln. [Nachdruck verboten.] Als weitere Beispiele von Bauformen, die über- einstimmend in allen Naturreichen vorkommen, seien zuletzt solche mit _j_ förmigen und ähnlichen Querschnitten besprochen. Auch hiervon ist in der „Philosophie der Technik" von Kapp noch nicht die Rede. Fig. I. Figur I stellt den Querschnitt der Blattscheide einer Zuckerrohrart dar nach einer der zahlreichen Abbildungen aus Schwendener's berühmtem Werk über ,,Das mechanische Prinzip im anatomischen Bau der Monokotylen". 1874. An der unteren Blattseite haben sich mecha- nische Gewebe zu _\_ förmigen Rippen gebildet, Leitbündel für die Nahrung umschließend, darüber sind Zuggurtungen entstanden, dazwischen liegen Luftkanäle. Es sind an Quer- und Längenschnitten von Pflanzen wie auch von Haut und Knochen der Tiere mechanische Gefüge zu entdecken, welche sich dem Zug und Druck in ähnlicher Weise als natürliches Erzeugnis anpassen, wie das sich kreu- zende Siabwerk und die dünnen Stegwände mit ihren Gurtungen an den künstlichen Erzeugnissen metallischer Ingenieurbauten. Die Konstruktionstypen der Wurzel, Stengel und Blätter gehen von der Winkel- zur Sichel- versteifung über und weiter bilden sich Formen ähnlich dem jetzt so viel benutzten Wellblech. Auch durch die äußere Gestaltung gewinnen die meisten Blätter eine Stabilität in allerlei Spiel- arten von Ausbuchtungen, Zickzack- und Bogen- linien; so die P"ächerpalme und in anmutiger Weise die wellige Hirschzunge. An vielen Blättern tritt, wie im vorigen Auf- satz dargestellt, ein haltendes und Stoff leitendes Rippwerk an der unteren Fläche hervor, nament- lich bei Blättern von Wasserpflanzen. Fig. 2. Figur 2 gibt den Durchschnitt der Blattspreite der Victoria regia. Er hat große Ähnlichkeit mit dem einer modernen Fisenbalkendecke. Die im vorigen Aufsatz besprochenen Verbindungsadern sind hier zu Tragstegen ausgewachsen, die nach oben und nach der Seite gebogen sind. Auf den Rippen sitzende zahlreiche Stacheln schützen gegen .'\ufstoßen und Angriffe von Wassertieren. Nach diesen _|_ Gefügen bei Pflanzen seien solche erörtert, die von Tieren erzeugt werden. In Figur 3 ist eine Bienenwabe im Durch- schnitt gezeichnet, deren dünne Wachswände an ihrem freistehenden Rande durch eine Verdickung Halt bekommen , so daß die _J_ P'orm entsteht. Darwin, der den Zellenbauinstinkt der Honigbiene ') Vgl. Nr. 38, Jalirg. 1904. ■^) Potonie, Naturw. Woclicnsclir. 16. Juni iS 682 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 43 eingehend erörtert , hebt die Vorzüge der oberen Verstärkung hervor: „so können sich die Bienen auf der Wabe zusammenhäufen und herumtummeln, Fig- 3- ohne die zarten, sechseckigen Zellenwände zu be- schädigen". Sehr kunstvoll ist auch der gemein- same Boden der Zellen , welcher jede mit einer dreikantigen Pyramide abschließt und so durch seine Zickzacklinie wie bei der Palme oder dem Wellblech wesentlich zur Versteifung des ganzen Systems beiträgt. Die ganze Formenbildung der Wachszellen entsteht mit Naturnotwendigkeit ähnlich, wie die Membrane sich zusammenfügender Pflanzen- und Tierzellen ihre Kugelform verlieren, oder sich an- einander drängende Seifenblasen eine polygonale form annehmen , indem sie mechanisch dem Drucke folgen. Das natürliche Erzeugnis organi- scher Zellen findet eine künstliche Wiederholung durch die Bienenzellen; beide umschließen einen Lebenskern, der durch Plasma geschützt und ge- nährt wird. Die Züchtung des wunderbaren Bautriebes der Bienen erklärt Darwin aus den treibenden Ur- sachen, aus der notwendigen Ersparnis an Wachs, der erforderlichen .Stärke der Zellen und der für die Larven geeigneten Form. (Bd. II, S. 313.) Bei manchen Arten, der Mauer- und Mörtel- biene, sowie der Lehm- und Papierwespe geht der Baustoff aus dem natürlichen in den künst- lichen über; Tier und Mensch arbeiten nicht selten vereint, weil die Biene sich auch künstlicher Waben bedient. Figur 4 gibt den senkrechten und den hori- zontalen Schnitt durch das Nest einer Salangane. Bei manchen mit Drüsenschleim gekitteten Vogel- nestern mag der freistehende Rand wie bei den Bienenzellen wegen vieler Benutzung einen stär- keren Rand bekommen, wie hier angegeben. An dem im Kölner naturwissenschaftlichen Museum befindlichen Xest der Salangane ist er jedoch nicht so dick, wie man erwarten könnte. Mehr tritt er in den Abbildungen bei Brehm und in dem Werk von Haake und Kuhnert hervor. Wie im vvagerechten Schnitt deutlich gemacht, haften diese Nester mit einer _!_ förmigen Er- breiterung beiderseits fest am Felsen. Es ist wunderbar, daß Insekten und Vögel, welche beide nicht zu unserer säugenden Klasse gehören, in der Technik und in ihrem Staatsleben zu einer Entwicklung gelangen , die große Ähn- lichkeit mit menschlichen Einrichtungen hat. Wo ihr gesellschaftliches Leben eine stärkere Differen- zierung zeigt, wie bei den Termiten, da hilft auch eine entsprechende Bautätigkeit. Während mit Ausnahme australischer Schnabeltiere alle Eier legenden keine Milch absondern, helfen bei ihnen zum Bauen reichliche Plasmasekrete. Hierdurch wird denn auch der Übergang von natürlichen zu technischen Erzeugnissen auffälliger, wie bei Bauten der Säugetiere, welche nur Fremdstoffe benutzen. Dabei ist weniger Sparsamkeit, ein Minimum von Material nicht so nötig und darum entstehen hier auch keine dünnwandigen _j_ Ge- füge. Wo vielartiger Baustoff dient, da beginnt das Spiel einer wechselnden Gestaltung. Als natürliches Wachstum jedoch bilden sich an der schützenden Haut bei sämtlichen Tier- gattungen durch Sekrete der Hautzellen Flächen- versteifungen in Winkel- und Bogenformen, so an Hörn- und Kalkschalen von Panzer- und Muscheltieren. Fig. 4. Wie ich in Nr. 30 Jahrg. 1900 der Natur zu- erst darlegte, ist das Haus eine Organ projektion der Haut. Es sei dazu noch bemerkt , daß die Verwandtschaft zwischen Natur und ihrer ergän- zenden Nachbildung nirgend deutlicher wird, wie hier. Haut, Häutung, Gehäuse und Haus dienen demselben Zweck und werden zuweilen von Insekten und Vögeln sämtlich durch Plasma- sekrete erzeugt. Die Ausführungen von Kapp erhalten hierdurch eine wesentliche Unterstützung. Seine Vergleiche werden durch solche Zwischen- stufen nicht einleuchtend gemacht. Da er tech- nische Vorrichtungen von Tieren gar nicht be- spricht, kommen lehrreiche plasmatische Über- gangsformen von Natur zur Technik nicht zur Geltung. N. F. VI. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 683 Wie bei der Ftlanze, so gehen auch die Plasma- produkte der nicht säugenden Tiere vom _\_ (Quer- schnitt zum sichelförmigen über, die dünnen Ge- häuse gewinnen vielfach ihre Versteifung durch Bogen- und Kugelbildung. Es kommen nunmehr nach den bei Pflanzen und Tieren vorkommenden _!_ Gefügen die von Menschen erzeugten in Betrachtung. Solche wur- den schon von Griechen und Römern für Bau- zwecke in Bronze gegossen; sie sind zu Mitteilun- gen abgebildet, die G. Semper, Ch. Normand und andere Kunstforscher hierüber machen. Gleichwie bei dem Wachs der Bienenzellen bilden sich solche dünnen Wände mit verstärken- den Saumrippen bei allen Metallen, um das teure und schwere Material zu sparen. Namentlich in Gußeisen kamen solche zur Erscheinung, das man in Deutschland gegen Ende des 15. Jahrhunderts erst bereiten lernte. Viel später, 1783 — 87 betrieb man in England die ersten Eisenwalzwerke und endlich _ini Jahre I S46 begann hier die Benutzung gewalzter _[_ Träger und gebogener Bleche. Gegenwärtig werden sie in vielartiger Weise im Hochbau angew-andt; entweder gleich dem Rippwerk der Victoria regia im Gefüge sichtbar, oft ganz schmucklos und unbekleidet, oder in anderem Baustoff verschwindend, wie in Figur i die Skelettstränge in anderem Zellgewebe. Den gewaltigen Eisenkonstruktionen danken wir die rasch erweiterte Kennt- nis mathematischer und mechanischer Gesetze. Wie C. Merkel berichtet (Deutsche Bauzeitung 1888) erfuhr um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Wissenschaft der Mechanik er- staunlich schnell ihre reifere Ausbildung. Nachdem die statische Bedeutung der metallischen Gefüge für die Baukunst erkannt war, fand Seh wendener, daß diese Winkel- und Wellenversteifungen sich auch im Skelettgerüst der Pflanzen finden. Dies ist wieder ein solch interessanter Fall, wie Kapp in seinem Buche ähnliche beleuchtet: Der Mensch lernt durch seine technische Tätig- keit eine Zweckform, ein Gefüge oder ein Werk- zeug kennen und gebrauchen und dann erst wird das gleiche Erzeugnis auch in der Natur entdeckt. Die Organismen werden erst verstanden , nach- dem ihre Projektionen, die Mechanismen erfunden werden. Ein Geschichtswerk über das gesamte Gebiet der Technik gibt es noch nicht. Für ein solches würde es eine dankbare Aufgabe sein, nachzu- weisen, bis zu welchem Grade der Stand der Naturwissenschaften, die Kenntnis der natürlichen Erzeugnisse abhängig war von der Beschaffenheit und Vollkommenheit der künstlichen Erzeugnisse. Durch P'igur 5 ist ein gewalzter Eisenträger in I Form perspektivisch veranschaulicht , der mit gleichfalls gewalzten Profileisen ausgebildet ist und eine Wellblechfiäche trägt. Die Gestaltung be- steht also nur aus dünnen Wänden gleich den Waben und welligen Blättern. Wie solche ihrer Struktur gemäß eine befriedigende Lösung ge- statten, habe ich seit 18S1 in der Deutschen und Wiener Bauzeitung durch Zeichnungen dargelegt. Später, im Jahre 1883 beginnend, wurde dann eine ausgiebige ornamentale Durchbildung erreich- bar durch Erzeugung der gewalzten Zierprofile in dem Walzwerk von Mannstaedt & Co. in Kalk bei Köln. Fig- 5- Fig. 6. An zahlreichen eisernen Hallen der Neuzeit ist zu erkennen, daß Bauteile wie Rahmen, Träger, Stützen und Konsolen nach dem Prinzip „Gurt und -Steg" eine verschiedenseitige struktive und ornamentale Gestaltung erfahren können. Nicht bloß die Mechanik hat durch das Eisen jene großen Fortschritte gemacht, sondern auch architektonische Motive sind durch dasselbe fruchtbar weiter gebildet worden. Dünnwandige Gefüge können in verschiedenen Stoffen entstehen, das Eisen aber führte zu ihrer ausgedehnten Anwendung. Die dabei gewonnenen Formgedanken lassen 684 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 43 sich nunmehr auch auf andere Baumaterialien übertragen. In Figur 6 sind drei miteinander tragende J^ Balken in Perspektive gezeichnet, die aus Stein gemeißelt, oder aus Kunststoff gepreßt, gebrannt oder gegossen sein können. Derart kamen sie auch am Steinarchitrav griechischer Tempel zur Anwendung, so an den Propyläen zu Athen. IVIan machte die Aushöhlung, um für die einzelnen Blöcke einen guten Fugenanschluß zu gewinnen, wobei man erfahren konnte, daß bei diesem Quer- schnitt die Tragkraft nicht wesentlich verringert wurde. Außer bei dem genannten Bronzeguß sind an Bauten des Altertums Vertiefungen, Gefache und Kasetten in Marmor, Ton und Holz zu finden, welche die Masse und das Gewicht verringern. Hier wie an den betrachteten Walzeisen entwickel- ten sich diese F"ormen nicht aus früher gewonne- ner Anschauung und vorhergehenderKenntnis ihres tektonischen Wertes, sondern wie an den Pflanzen- rippen und Bienenwaben aus mechanischen Ur- sachen. Sind diese weniger zwingend, dann be- ginnt auch eine freiere, regellose Bildung der Gefüge. Die Griechen legten sogar entgegen einer vorteilhaften Ausnutzung der Tragkraft die Steinbalken in 2 — 3 Schichten flach aufeinander, weil das eben das gute Material zuließ; so am Riesentempel zu Akragas.^) Stets auch bildeten sie den Architrav als meh- rere, breit über die Säulen gespannte Fascien aus, wobei die Untersicht einen Bandschmuck erhielt, wie die unteren Gurtungen in beiden Skizzen. Sie brachten hierdurch also nur die absolute P"estigkeit zum Ausdruck, während bei hochkantig aufliegenden Gefachträgern wahrnehmbar ist, daß sie relative Festigkeit besitzen und für Zug und Druck wirksam sein können.^) Hiermit seien die Gefüge mit _j_ Querschnitt aus Pflanzen-, Tier- und Menschenreich genugsam erörtert. Ihre riesenhafte Verbreitung in Eisen führte nach manchen bautechnischen Studien auch auf das naturwissenschaftliche Gebiet und zuletzt zu vorliegender Arbeit. Bei allen auch früher dargestellten künstlichen Erzeugnissen hat sich gezeigt, daß sie nicht aus ungebundener Phantasie, sondern nach zwingenden Lebensbedingungen entstanden sind. Tier und Mensch haben nicht voneinander gelernt, Haus und Tür, Nähte und Absteifungen zu machen; auch fanden sie nicht in gleichen Gefügen der Pflanze das Vorbild; sie sind vielmehr in unbe- wußter Übereinstimmung unabhängig und abge- sondert in die Erscheinung getreten. Diese Ähnlichkeit von natürlichen und künst- lichen Zweckformen konnte erklärt werden durch die Anpassungsfähigkeit des Protoplasma und den Umstand, daß man zwischen Tier- und Pflanzen- zelle keine scharfe Grenze findet. Denk- und Muskelarbeit, wie sie die Technik erfordert, be- ginnt schon mit der Reizbarkeit und der Beweg- lichkeit der Zelle, der man einen niederen Grad von Seele und Bewußtsein zugesteht. Wie ich am Schlüsse des Aufsatzes über „Natur und Technik" ausführte, lassen sich darum manche durch menschliche Bautätigkeit erzeugten Form- gedanken in ihrem Werdegang verfolgen, wie Naturgebilde. Weitergehend wurde durch H.Potonie unter anderen Ausführungen dargetan, daß die sämtlichen Denkformen ebenso im Kampfe um das Dasein entstanden sind, wie organische Wesen.') Beide variieren beständig, weil der Kampf ungleiche Bedingungen stellt, und nicht stets ist die Not- wendigkeit einer Entstehung erkennbar. Ein Überschuß an Kraft und Stofi" haben anormales Wachstum und freie Willkür bei Natur- und Denkformen zufolge. Schwendener zählt allein bei den Monokotylen 28 verschiedene Typen der biegungsfesten Organe. Haberlandt zeigt, wie mannigfaltig die „Konstruktionsvariatio- nen" beim Dickenwachstum von Pflanzen sind, wenn bestimmte F'orderungen fehlen.'^) Viele Tiere erlangen je nach Ort und Stoff seltsam differenzierte Bautriebe. Die Salangane klebt ihr Nest sparsam in dünner Schale an F"elsen an. Eine andere, bei Köln lebende Schwalbenart höhlt dafür reichlichen Raum im festen Sand des Rheinufers aus. Ebenso sehen wir bei menschlicher Baukunst die größten Gegensätze. Neben gewaltigen Eisen- bauten in Stoff sparenden _]_ Gefügen liebt man gegenwärtig wuchtige Massenstile. Durch ver- schiedene Technik gegebene Motive können in Stein, Zement, Ton und anderen Materialien je nach Gefallen und freier Laune zu zwangloser Architektur nach- und umgebildet werden. In unseren Beiträgen zu einer „Philosophie der Technik" sind übereinstimmend angepaßte Zweck- formen betrachtet und nur bei Menschen solche mit künstlerischer Ausbildung. „Kunstformen der Natur", wie sie Ernst Häckel von niederen Organismen bekannt macht, kamen nicht zur Sprache. Eine Erörterung schöner oder überschüssiger Varietäten würde auf das Gebiet der naturwissen- schaftlichen Ästhetik führen. ') J. Durm, Handbuch der Architektur. 11. Tl. I. Bd. ") K.irl Boetticher, Tektonik der Hellenen. G. Heuser, Der Gefachstil. Deutsche Bauzeitung 1890 u. 1893. 1) Naturw. Wochenschr. 1S91, Nr. 15. 2) G. Haberlandt, Physiologische Pflanzenanatomie 1904. N. F. VI. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift 685 Kleinere Mitteilungen. Tirols gefürchtetste Gletscherausbrüche. — Der (.Tictscliermaiitel des Hochgebirges ist sicher seine schönste Zier. Wie kostbarer Hermelin um- hüllt er die himmelstürmenden Felstitanen. Aber diese in entzückenden Farbenspielen prangende Zauberwelt ist nicht frei von Tücken und Ge- fahren. Nicht nur von jenen, die selbst der kühnste Bergfreund zu scheuen hat: verborgene Spalten, trügerische Schneebrücken, abbruchreife Eisnadeln. Nein , sie selbst trägt auch Unheil und Gefahr hinunter zu den Stätten der Menschheit. Nicht mehr als wilddrohender Verteidiger des eigenen Gebietes, sondern als hohnlachender Friumphator steigt der Gletscher von seinen firnumkränzten Höhen hinab ins Tal. Sein Eiseshauch läßt die fruchtbarsten Alpentriften erstarren, und wenn er nach langem Triumphzug sich wieder in sein ma- jestätisches Höhengebiet zurückzieht, so ist sein Siegesweg gekennzeichnet durch wüste Trümmer- und Geröllfelder, die zur Grabdecke der Almweiden und Kulturstätten wurden. Dann berichtet P'rau Sage in späten Tagen von diesem verderbenbringenden Siegeszug einer Titanengewalt. Das periodische Anwachsen der Gletscher hat bekanntlich seine Ursache in der Einwirkung der Schwerkraft auf den ganzen Gletscherstrom und in dem riesengroßen Druck der überlagernden Massen. Die Geschwindigkeit dieser Abwärts- bewegung gibt in der Art des Fließens ein ähn- liches Bild wie die Vorwärtsbewegung der Wasser- massen eines Flusses. Die Geschwindigkeit selbst wird naturgemäß sowohl von der Neigung des Bodens, wie auch vor allem von länger andauern- den Witterungsverhältnissen abhängig sein , die eben dem Nährbett des Gletschers ungewöhnlich große Nahrungsmassen zuführen, so daß nach mehreren Jahren mit schlechtem Wetter auf An- wachsen der Gletscher zu rechnen ist. Und dies Anwachsen — näher das so interessante Phänomen zu beleuchten, ist hier nicht der Ort — birgt noch eine andere Gefahr in sich, die gerade für die bekanntesten, schönstgelegenen Täler Tirols immer wieder verhängnisvoll wird. Dringt nämlich der Gletscher zu Tal, so kann seine Gletscherzunge sich über das Becken des Gletscherbaches selbst schieben, dem Abfluß den Weg versperren und so allmählich einen unge- heuren Stausee bilden, der bei vorgerückter Jahres- zeit und nach dem allmählichen Zerfall der Eis- wände des künstlichen Beckens, mit verheerender Gewalt in die Tiefe stürzt, alles mit sich reißt und ganze Täler mit seinen Fluten bedroht. Der gefürchtetste Gletscher dieser Art ist der Vernagt ferner im Ötztal, den wohl jeder der tausend und abertausend Besucher des ( Jtztals kennt. Über dem Vernagttale, einem steilen Seitentale oberhalb der Rofenhäfe, in einer Höhe von mehr als 3000 m liegt die Heimat dieses Gletschers. Sein Mutterbett bewacht ein Kranz stolzer Schneeriesen, der Fluchtkogel, die I loch- vernagtspitze, Petersenspitze usw. Der Hinter- graslkamm teilt die große Mulde, von der der Gletscher seinen Ausgang nimmt. Im größeren Teil fließt der Vernagtferner, im kleineren der Guslarferner. Beide vereinigen sich am Gratfuß, am Hintergrasl. Der Abfluß dieses Beckens, die Rofener Ache (von Vent an ,,Venter Ache") er- gießt sich nächst der Station Ötztal in den Inn. Dieser eigentlich aus zwei Nährbecken zu- sammenfließende Gletscher wächst nun bei Vor- stößen so rasch an, daß er in i — 2 Jahren über das \^ernagttal hinaus ins 1 iaui)ttal dringt und sich quer bis an die Zwerchwand wirft. Dadurch wird die Rofner Ache zu einem riesigen See von 1500 m Länge, 300 m Breite und 100 m Tiefe angestaut, der bei einem plötzlichen Durchbruch durch den Eisdamm die schwersten Verwüstungen herbeiführt. Schon seit länger denn 3 Jahrhun- derten hat dieser das ganze Ötztal bedrohende Zustand die Aufmerksamkeit auch der öster- reichischen Regierung erregt. Der erste akten- mäßig beglaubigte Ausbruch des Vernagtferners und die plötzliche Entleerung des Stausees am 20. Juli 1600 verursachte einen Schaden von über 20000 fl. und gab zu sehr gelehrten Gutachten, Disputationen und Berichten Anlaß, die heute noch im Statthalterei-Archiv zu Innsbruck schlum- mern. Positiven Erfolg hatte diese Perücken- arbeit natürlich garnicht. Die Ötztaler selbst glaubten, das Unheil erbosten Bergdämonen zu- schreiben zu müssen. Die Ausbrüche wieder- holten sich dann im 17. und 18. Jahrhundert. Be- sonders unheilvoll war der plötzliche Ausbruch des Stausees am 16. Juli 1678, wo die kleine Ebene hinter Hüben völlig verwüstet wurde. Das ganze Ötztal hatte damals unter der Gewalt der Wassermassen zu leiden, der Talboden von Laengenfeld glich einem See. Auch diesmal tat die Regierung nichts, um die Bewohner des (Jtz- tals, die allein durch Bittprozessionen das Unheil abzuwehren dachten, aus ihrem F"atalismus aufzu- rütteln. Doch floß der Stausee wieder einigemal durch kleinere Löcher und Spalten im Eisdamm allmählich ab, ohne Schaden anzurichten. Das wurde als Erfolg betrachtet, und so blieb alles beim Alten. Eine furchtbare Katastrophe führte dann wieder das ungewöhnlich rasche Anwachsen des Vernagtferners im Jahre 1845 herbei. Diesmal rückte der Gletscher in wenigen Jahren so rasch vor, daß er schließlich vom i. Juni bis 11. Juni in jeder Stunde über 2 m zurückgelegt haben soll. Die Rofner Ache wurde wieder zu einem un- heimlichen See von ca. 1,410,000 cbm Inhalt in wenigen Tagen angestaut. Nun waren Schrecken und Bestürzung unter den < )tztalern groß. Am 14. Juni 1845 begab sich der Gouverneur von Tirol mit einer Kommission in das Ötztal und hinauf bis an den gefahrdrohenden Stausee. Kaum hatte man einige Messungen an dem Seebecken gemacht und den Rückweg angetreten — als un- vorhergesehen plötzlich das Wasser den Eisdamm 686 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 43 durchbrach, und der ganze See in einer Stunde sich durch das ( Hztal ergoß. Die Verheerungen waren fürchterlich. Und trotzdem kam man auch diesmal über gutgemeinte Vorschläge nicht hinaus! Zum Glück ist seitdem der Gletscher ständig zurückgegangen, so daß im Jahre 1895 die Trennung seiner beiden Nährteile konstatiert werden konnte. Auch geht man mit dem Plan um, einen Tunnel durch die Zwerchwand zu schlagen und so dem Wasser einen ständigen Ausweg zu sichern. Der Deutsche und Öster- reichische Alpenverein hat durch seine wissen- schaftliche Kommission, an deren Spitze der be- kannte Glazialgeologe Prof. Finsterwalde r steht, den Vernagtferner genau vermessen lassen und sorgt auch noch jetzt für seine ständige Überwachung. Hoffentlich sind aber die ( )tzlaler selbst aus ihrer Sorglosigkeit aufzurütteln. Denn über mögliche und unmögliche Projekte ist man in irgendwelchen Abwehrarbeiten noch nicht hin- ausgelangt. Auch in einem anderen Tale Tirols hat der Alpenverein dem durch Gletschervorstoß drohenden Unheil vorzubeugen versucht, nachdem von Seiten der Regierung und der Talgemeinden nichts geschehen war. Es ist der Zu fa Ufern er im Martelltal, dessen Abfluß, die Plima, in den j[ahren 1888 — 1891 das Tal durch furchtbare Überschwemmungen heimgesucht hat. Die Pro- fessoren Finsterwalder und Richter haben im Jahre 1889 an der Berührungsstelle der Glet- scherzungen des Langen- und Zufallferners das Recken eines gefährlichen Stausees erkannt, der beim Vorrücken des Gletschers zu jenen unheil- vollen Katastrophen Anlaß gab. Ihren dring- lichen Berichten gelang es auch, zur Vornahme von Schutzbauten und ständiger Überwachung des Stausees eine Subvention des Tiroler Landtags und des Ackerbauministeriums für die betroft'enen Gemeinden durchzusetzen. Aber diese selbst ließen aus kleinlichen Zwistigkeiten und Teilnahmslosig- keit alles, wie es war. Und so wurde schon an- fangs Juni 1891 wieder die Bildung eines Stausees beobachtet. Jetzt war es zu Abwehrmaßregeln zu spät. Die Sektion Meran des D. u. Ö. A. V. konnte gerade noch einen Wachdienst am Stau- becken organisieren. Der .Statthalter von Tirol, Graf Merveldt, eilte auf die Nachricht von der nahenden Katastrophe sofort herbei. Am 17. Juni 1891 kam der See plötzlich zur Entleerung. Die Bewohner des Martelltales waren rechtzeitig durch Böllerschüsse gewarnt und konnten ihr Leben retten. Die verheerenden Fluten der Plima ver- wandelten den ganzen Talboden in ein großes Schlamm- und Steinmeer, das Dorf Gand wurde völlig zerstört. Eine großartige Hilfsaktion des Alpenvereins erleichterte das Los der bedauerns- werten Marteller. Nun endlich gelang es, energische Maßregeln zu veranlassen. Die Klamm, durch die die Plima bisher abfloß, wurde ganz ausgefüllt, für den Ab- fluß ein Tunnel gebohrt und ein Felsriegel am Ende eines von der Gletscherzunge vorgeschobenen Schuttfeldes zur Sperrmauer umgestaltet. Schon im Jahre 1895 halte diese 1 alsperre ihre Probe zu bestehen, als sich der Stausee wieder — aller- dings nur bis zur Hälfte — füllte. Die Entlee- rung geschah allmählich ohne Schaden für das Tal. Auch der Gurgler ferner im Ötztal, der den Abfluß des Langtalerferners zur „Gurgler Lacke" — so nennt das Volk den künstlichen See — anstaut, wird neuerdings Gegenstand sorg- fältiger Messungen und Beobachtungen. Freilich ist er bedeutend harmloser wie sein Nachbar, der Vernagtferner, da seine Wasser meist sich ein unterirdisches Bett graben und allmählich abfließen. Jedenfalls haben die Bewohner und Besucher dieser weltbekannten Täler Pirols allen Grund, der hingebenden Arbeit bewährter Gletscherforscher Dank zu zollen. Denn die Resultate ihrer an- scheinend weltfernen Sonderwissenschaft haben uns auch die Möglichkeit in die Hand gegeben, den Tücken und Gefahren der Gletscherwelt für die uralten Kulturstätten im Tale wirksam zu begegnen. Dr. Max Jacobi. Die Lichtemission von Gasen vor radioaktiven Substanzen behandelt Robert Pohl in einem vor kurzem im „Jahrbuch der Radioaktivität und Elektronik" (Bd. IV, S. loo) erschienenen zusammenfassenden Artikel, dessen wesentlichste Punkte hier wiedergegeben werden sollen : I. Die beobachteten Tatsachen: Es ist eine einem jeden, der ein gutes radioaktives Prä- parat zu sehen Gelegenheit gehabt hat, wohl- bekannte Erscheinung, daß Gase, die sich in der Nähe starker radioaktiver Substanzen befinden, leuchten. Diese Erscheinung ist spektroskopisch eingehend zuerst von dem Ehepaare Huggins an einem Radiumbromidpräparat genauer untersucht worden, und zwar fanden sie, daß die Haupt- linien im Eigenlichte des Radiumbromids, wenn dieses Salz sich in Luft befand, in der Hauptsache von spektral erregten Stickstoffmolekülen herrührt, denn die beobachteten Hauptlinien 391.4 ."/' 357.7 ."." 31S.9 W 380.5 /(;(( 337,1 /(,(( 297,7 //// gehörten dem negativen Bandenspektrum des Stickstoffs an. Gleichwohl stimmt, wie leicht be- greiflich, das beobachtete Spektrum nicht völlig mit dem Bandenspektrum des Stickstoffs überein — so fehlt z. B. in dem vom Radium erregten Stickstoffspektrum die intensive Linie 428 i(fi — , da erstens die Erregungsbedingungen hier ganz andere als in den Kathodeiiröhren sind und zweitens zu dem Stickstofflicht noch das Fluores- zenzlicht der Radiumbromidkristalle hinzukommt, dessen Spektrum sich kontinuierlich von 400 — 337 /(/( mit einem Intensitätsmaximum zwischen 400 und 380 /((( erstreckt. Von besonderem Interesse aber ist die, mit den ursprünglichen An- gaben der Huggins im Widerspruch stehende, später aber auch von diesen bestätigte Beobach- N. F. VI. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 687 tung, daß die Liclitemission nicht an die Ober- fläciie der Kristalle selbst oder an deren nächste Nähe gebunden, sondern noch in einer Entfernung von 2 cm deutlich bemerkbar ist. Befindet sich das Radiumpräparat nicht in Luft, sondern in anderen Gasen (Kohlensäure, VVasserstofl oder Kohlenoxyd), so tritt nur das Fluoreszenzspektruin der Kristalle selbst, nicht aber das Bandenspektrum der betreffenden Gase auf. Ähnliche Krsclieinungen wie bei Radium zeigen sich nach Experimenten von Walter auch beim Radiotellur (Polonium, Radium F). Das Leuchten des Stickstoffs — bei diesem allein konnte ein Leuchten bisher überhaupt erst nachgewiesen werden — ist zwar, da es zu schwach ist, für das Auge unsichtbar, wohl aber haben sich die Ban- den bei 319.9 ,",". 337.1 .",". 357-7 /'/'. 380,5 ///< nach zweimonatlicher Exposition auf den Spektro- grammen vorgefunden. II. Die Erklärungsversuche: Eine allen beobachteten Tatsachen gerecht werdende Theorie der Erscheinungen gibt es bis jetzt nicht. Nach An- sicht von Sir William und Lady Huggins sind in erster Linie die «-Strahlen des radioaktiven Produktes die Erreger des Leuchtens, doch sprechen sie auch noch von direkten (vielleicht chemischen) Einwirkungen der in aktiver Verwandlung be- griffenen Radiumatome auf die mit ihnen assozi- ierten (associated) Stickstoffatome. Eine andere Hypothese stützt sich auf den Zusammenhang zwischen der Ionisation der Gase und der Licht- emission. Die Ionisation ist vor allen Dingen durch die c Strahlen bedingt, die beim Polonium ausschließlich vorhanden sind und beim Radium 98 ",„ der Gesamtstrahlung ausmachen. Durch diese Annahme würde die Ausnahmestellung, die, wie die angeführten Experimente zeigen, der Stickstoff vor den anderen Gasen einnimmt, ver- ständlich werden, denn nach den Untersuchungen von Stark ist der Stickstoff gegen Erregung durch positive Ladungsträger in der Tat besonders empfindlich. Jedoch läßt sich zurzeit noch nichts mit Bestimmtheit sagen; es muß zunächst noch das Beobachtungsmaterial erweitert werden. Mg. 8,4 Min. bis 10 Uhr 3S,o Min. statt, kann jedoch nur mit Kernrohren beobachtet werden. Algol -Minima finden statt am 17. um 11 Ulir i Min. M.E.Z. ab. und am 20. um 7 Uhr 50 Min. ab. Himmelserscheinungen im November 1907. Stellung der Planeten: Merkur geht am 14. vor der Sonnenscheibe vorüber. Der Durchgang kann in unseren Gegenden gut beobachtet werden , da der Eintritt für Mittel- deutschland etwa um II '/a Uhr Vorm. am nordöstlichen Sonnenrande erfolgt, während der Austritt erst um 3 Uhr Nachm. stattfindet. Venus wird abends für kurze Zeit (zu- letzt '/., Stunde lang) im S\V sichtbar. Mars ist abends noch über 5 Stunden lang im SW zu beobachten, Jupiter kann von den späteren Abendstunden ab die ganze Nacht hindurch im Krebs, Saturn kann bis gegen Mitternacht in den Fischen gesehen werden. Sternbedeckungen: Am 18. wird 11 Ceti für Berlin um 6 Uhr 10,5 Min. ab. durch den Mond bedeckt und tritt um 7 Uhr 6,3 Min. M.E.Z. wieder hervor. Am 20. wird d'Tauri von 5 Uhr 18,4 Min. bis 6 Uhr 3,4 Min. bedeckt. Eine Be- deckung des Planeten Neptun findet am 23. von 10 Uhr Bücherbesprechungen. i) Dr. R. Tümpel, Die Geradflügler Mittel- europas, Beschreibung der bis jetzt bekannten und naturgetreue Abbildung der meisten Arten, mit möglichst eingehender Beliandlung von Körper- bau und Lebensweise und Anleitung zum Fang und zur Aufbewahrung der Geradflügler, 40 Bogen mit 20 von W. Müller nach der Natur gemalten farbigen (263 Abbildungen) und 3 schwarzen Tafeln nebst 92 Te.xtabbildungen. Neue, billige Lieferungs- ausgabe, Lieferung i und 2 , Gotha , Verlag von Friedrich Emil Perthes. — Preis jeder Lieferung 75 Pf., des vollständigen Werkes 15 Mk. 2) C. G Calwer's Käfer buch. Naturgeschichte der Käfer Europas für den Handgebrauch der Sammler. Sechste , völlig umgearbeitete Auflage, herausgegeben von Camillo Schaufufs, etwa 52 Bogen Text mit 48 farbigen und 3 schwarzen Tafeln und mit zahlreichen Abbildungen im Text, Lieferung i und 2 , Stuttgart , Verlag für Natur- kunde Sprösser & Nägele. — Preis der Lie- ferung I Mk., des ganzen Werkes, steif broschiert 23 Mk. Von zwei Werken liegen uns hier die beiden ersten Lieferungen vor. Beide wenden sich an die weitesten Kreise. Sie behandeln zwei Gruppen der auffallendsten und z. T. farbenprächtigsten Insekten und geben von allen in die Augen fallenden .»^rten farbige Abbildungen. Es sind Bestimmungsbücher, die dem Anfänger, aber auch dem Fortgeschritteneren vorzügliche Dienste tun können. Besonders dürften die Bücher auch für den Lehrer der Naturwissen- schaften geeignet sein, da dieser nicht Spezialist auf allen Gebieten sein kann und deshalb zur schnellen Orientierung farbige .Abbildungen nicht entbehren kann. Beide gehen außerdem auf das Sammeln und Präparieren und besonders auch auf die Lebensweise der Tiere in ausgedehntem Maße ein. — Da man un- ausgesetzt darauf dringen muß, daß der Lehrer seine Schüler hinausführe, damit diese die Natur ihrer Heimat kennen lernen, kommen uns solche Bücher gerade jetzt besonders gelegen. i) Das Tümpel' sehe Buch faßt die Geradflügler im weitesten Sinne. Für den Lehrer besonders wert- voll sind die farbigen Darstellungen der auffallenderen Libellen und Heuschrecken. Es sind das Tiere, die dem Schüler sehr in die Augen fallen und die des- halb für den Unterricht besonders geeignet sind. Auch die Larven der Libellengattungen sind bildlich dargestellt und der Bau der Tiere ist in ausgedehn- tem Maße mit der Lebensweise in Beziehung ge- bracht. 2) Das Calw er 'sehe Buch kann bei der außer- ordentlichen Reichhaltigkeit unserer Käferfauna an k lein en Formen natürlich eine absolute Vollständig- keit nicht anstreben. Was aber bei dem Umfange 688 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 43 des Werkes erreichbar ist , wird geleistet. Die auf- fallenden einheimischen Formen sind fast alle bild- lich dargestellt und im Texte sind die neuerdings unterschiedenen vielen Lokalvarietäten charakterisiert und auch deren Verbreitung ist angegeben. In wie hohem Maße übrigens die neue Auflage auch auf Klein formen eingeht, mag daraus erhellen, daß von der Gattung l^embiiUoi 40 Arten beschrieben und durch eine Bestimmungstabelle auf 22 Untergattungen verteilt sind. Dahl. Anregungen und Antworten. Mit Bezug auf den interessanten Aufsatz ,, eßbare Insekten" in Nr. 35 der Naturw. Woclienschr. bemerke ich, daß Prof. Joest im Globus, Bd. 70, 1S96, S. 142 erwähnt: ,,Ich besitze ein Material aus allen 5 Erdteilen, über Verzehren von menschl. und tierischen Kot, Samen, Urin, Leichenwasser, frisch gebackenen Placenten. — Läuse werden überall da gegessen, wo die Menschen von ihnen gequält werden; auf Olaheiti, Marquesas, Neuseeland, Südaustralien, bei den Kohlentiäge- rinnen in Nagasaki. Die Tschuktschen kämmen ilir Haar über der Trommel, und verzehren außer Läusen auch die Larven der Renntierfliege." Die Affen unserer Tiergärten geben uns da ein gutes Beispiel, und ich müßte mich täuschen, wenn ich nicht in Italien die heilsame Tätigkeit des Läusefangens mit der des Läuse-Essens verbunden gesehen hätte. Dr. Häberlin-Wyk. Herrn V. E. aus Breslau. ■ — Einige Bemerkungen über Asymmetrie von Laubblättern höherer Pflanzen. Da die Asymmetrie bei blattartigen Organen für gewisse Pflanzenarten ein ganz charakteristisches Merkmal und bei einigen so auffallend ist, wurde man schon frühzeitig hierauf aufmerksam. Zuerst betrachtete man diese Gestaltungsverhält- nisse von rein morphologischem Gesichtspunkte, aber bald schlug die Forschung, da sie die Abhängigkeit dieser Bil- dungen von gewissen Faktoren erkannte, den experimentellen Weg ein. Neben den Arbeiten der ersten Art von Wydler kommen in letzterem Sinne die Untersuchungen von Hofmeister, vor allem aber diejenigen Wiesner's in Betracht. Neuerdings finden sich noch weitere Beobachtungen in der Organographie von Goebel zusammengestellt. Im Jahre 1902 ist nun eine Arbeit von Nordhausen [Pringsheim's Jahrb. f. wissenschaftl. Botanik, Bd. XXXVll (1902)] erschienen, in welcher Verf. einige weitere Beiträge zur Beantwortung der B'rage nach den Ursachen bzw. Bedingungen, unter welchen Abweichungen von Blattsymmetrie zustande kommen, liefen. In bezug auf die Anordnung der asymmetrischen Blätter an ein und derselben Pflanze kann man zwischen zwei Gruppen von Pflanzen unter- scheiden. Erstens solche, bei denen sämtliche Blätter asymme- trisch oder wenigstens sämtliche Sprosse mit asymmetrischen Blättern besetzt sind, und zweitens solche, bei denen die schiefe Form nur auf Blätter der Sejtenzweigc beschränkt ist, während die orthotropen Sprosse deren entbehren. Den ersteren Fall bezeichnet Nordhausen als ,, habituelle", den zweiten als , .la- terale" Blattasymmetrie. Habituelle Blatlasymmetrie finden wir bei der Ulme, Buche, Linde usw., während sich , .laterale Asymmetrie" bei den Blättern von Aesculus, Acer und Ta.\us findet. Was nun die Ursachen dieses Phänomens anbelangt, so konnte Nordhausen für eine Reihe von Beispielen d.as gesetz- mäßige Eingreifen bestimmter Faktoren nachweisen, von denen die Exotrophie als inneres, das Licht und die Schwerkraft als äußere Momente in Frage kommen. Eine ganz auffällige Verwandtschaft ergab sich mit der Anisophyllie, so daß es zweifelhaft erscheinen muß. ob jene {besonders die laterale Asymmetrie) ohne erstere vorkommt. Was die Wirkungsweise der einzelnen Faktoren anbelangt, so ließ sich feststellen, daß Schwerkraft und Licht schon am Vegetationspunkte den jungen Blattanlagen eine bestimmte Form aufprägen und daß sich auch nach der Entfaltung der Knospen ihr Einfluß als deutlich erwies. Ein besonderes Interesse knüpft sich an die inneren Ur- sachen der Blattasymmetrie, hauptsächlich an die Exotrophie. Dieser Faktor spielt sowohl bei der habituellen als auch bei der lateralen Blattasymmetrie eine Rolle. Leider wissen wir vor der Hand noch recht wenig über das wahre Wesen der Exotrophie. Zurzeit faßt man unter diesen Begriff noch eine Reihe in bezug auf ihre Ursachen heterogener Erscheinungen zusammen. Die ursprüngliche Ansicht Wiesner's, in Eruährungs- verhältnissen die primären L^rsachen dieser Erscheinung zu sehen, dürfte sich wohl als definitiv unhaltbar herausgestellt haben. Aber auch die Deutung Noll's, welcher in der Exotro- phie den Ausdruck eines Empfindungsvermögens für die eigene Körperform des Organismus sehen will, dürfte schwerlich haltbar sein. Eher verträgt die Deutung Goebel's eine Be- achtung, daß nämlich die Exotrophie auf einer frühzeitigen dauernden Induktion des Vegetationspunktes durch äußere Fak- toren beruht, unter welchen Umständen eine ungleiche Ver- teilung der Größenverhältnisse wohl vorstellbar wäre. In der oben zitierten Arbeit von Nordhausen findet sich die ganze einschlägige Literatur aufgeführt. P. Beckmann. Herrn P. Fl. München. — Welche Literatur gibt es über Pflanzengallen und über Pflanzenkrankheiten? Das beste, augenblicklich existierende Werk über Pflanzen- gallen ist das Werk, betitelt: Catalogue systematique des Zoocecidies de l'Europe von G. Darboux und Houard, welches gegen 20 Fr. kosten würde. Von diesem größeren Werke existiert ein Auszug, welcher als ,, Hilfsbuch für das Sammeln der Zoocecidien mit Berücksichtigung der Nährpflanzen Europas und des Mittelmeergebietes" von den beiden Autoren herausge- geben ist. Dieses Zoocecidien-Hilfsbuch soll und kann weniger zum Bestimmen der Gallen dienen, als vielmehr kann der Cecidiologe einmal sofort den Schmarotzer einer von ihm gesammelten Galle wiederfinden und zweitens kann ihm das Büchlein bei gegebener Pflanze die Liste aller Gallen anführen, die auf jener Pflanze vorkommen. Dieses Büchlein hat Taschen- buchformat und kostet dauerhaft gebunden 2 Mk. Sodann wäre ein Werk zu nennen, betitelt: Beiträge zur Kenntnis der europäischen Zoocecidien und der Verbreitung derselben von G. Hieronymus. Dasselbe ist als Beiheft der Sclilesischen Ge- sellschaft für vaterländische Kultur 1889 und 90 erschienen. Dasselbe ist nur noch antiquarisch zu erhalten. Es ist sehr gut und brauchbar, weil es erstens die vorhandene Literatur sehr genau angibt und zweitens die Entstehung und Bildung der Gallen näher verfolgt und beschreibt. Außerdem wären folgende Werke zu nennen: Die Gallbildungen von Schlechtenth al; feiner Frank, Die Krankheiten der Pflanzen, Bd. 3 (Breslau 1S96), Eckstein, Pflanzengallen und Gallentiere (Leipzig 1891). K üs te n mac h e r, Beiträge zur Kenntnis der Gallenbildungen, Mayr, Die europäischen Eicliengallen in Wort und Bild. Aus der Literatur über l'flanzenpathologie und Pflanzen- krankheiten sind zu nennen: Meyen, Pflanzenpathologie (Berlin 1841); Sorauer, Handbuch der Pflanzenkrankheiten (Berlin 2. und 3. Aufl.). Von diesem überaus brauchbaren Werke erscheint jetzt eine neue Auflage in Lieferungen ; Hart ig, Wichtige Krankheiten der Waldbäume (Berlin 1874); Frank, Die Krankheiten der Pflanzen (2. Aufl. 3 Bde. Breslau 1894 — 96); Hartig, Lehrbuch der Baumkrankheiten (Berlin 1882); Tubeuf, Pflanzenkrankheiten durch kryptogame Para- siten verursacht (Berlin 1S95) ; Kirch ner und Boltshausen, Atlas der Krankheiten und Beschädigungen unserer landwirt- schaftlichen Kulturpflanzen (Stuttgart 1S96); Frank, Karapf- buch gegen die Schädlinge unserer Feldfrüchte (Berlin 1897); Weiß. Die schädlichsten Krankheiten unserer Feld-. Gemüse- und Gartengewächse (München 1S98). P. Beckmann. Inhalt: Dr. Th. Arldt: Zur Atlantisfrage. — Dr. Wilh. R. Eckardt: Über Immanuel Kants Bedeutung für die moderne Naturwissenschaft. — Georg Heuser: Natürliche und künstliche Erzeugnisse. (Schluß.) — Kleinere Mitteilungen: Dr. Max Jacobi: Tirols gefUrchtetste Gletscherausbrüche. — Robert Pohl: Die Lichtemission von Gasen vor radioaktiven Substanzen. — Himmelserscheinungen im November 1907. — Bücberbesprecbungen : 1) Dr. R. Tüm- pel: Die Geradflügler Mitteleuropas. 2) C. G. Calw er 's Käferbuch. — Anregungen und Antworten. Verantwortlicher Redakteur: I.V.: Prof. Dr. F. Koerbcr, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge VI. Band; der ganzen Reihe XXII. Band. Sonntag, den 3. November 1907. Nr. 44. I Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- bandlung. Theorie der Lösungsreaktionen. [Nachdruck verboten.] Von Dr. H. Wölbling, I'riv.itdozcut Die Reaktionen der Lösungen bestehen hin- sichtlich ihrer sichtbaren Erscheinung: 1. Im Auftreten neuer Phasen*) (d. h. Ab- scheidung von festen Körpern, Flüssigkeiten oder Gasen). 2. Im Verschwinden von Phasen (d. h. Auf- lösung einer Phase durch eine andere). 3. In Veränderung von Phasen (infolge Ände- rung ihrer physikalischen und chemischen Eigen- schaften). Der Vorgang tritt im allgemeinen nur in Erscheinung, wenn er von Farbenänderungen begleitet ist oder auf einfache Weise (z. B. mittels Indikatoren) sichtbar gemacht werden kann. Die Erscheinungen erklären sich aus den Ge- setzen des chemischen und physikalischen Gleich- gewichts. Gleichgewicht besteht, wenn in einem zusammen- gesetzten Körper zwei oder mehr physikalische oder chemische Bestandteile (Phasen, Moleküle) vorhanden sind, die sich weder qualitativ noch quantitativ ändern. Eine chemische Gleichgewichtsstörung erfolgt, wenn in einer Lösung die Existenzbedingungen *) Phasen sind die homogenen Teile eines Körpcrsyslcms, welche gegeneinander Grenzen zeigen (Oslwald). an der Kgl. Bergakademie zu Berlin. einer vorhandenen Atomkombination aufhören oder einer neuen Atomkombination eintreten, oder aber wenn die Existenzgebietc vorhandener Kom- binationen modifiziert werden. Maßgebende F"aktoren sind: Art und Konzen- trationen der Bestandteile (Atome, Moleküle, Ionen), und ihr Energiezustand. Änderungen der Zahl und Art der Bestand- teile, der Wärme oder elektrischen Energie rufen chemische Gleichgewichtsstörungen hervor. Physikalisches Gleichgewicht besteht, wenn in einem System sich Zahl und Eigenschaften der Phasen nicht ändern. Solche Änderungen treten ein durch äußere Änderung der Zahl und Art der Phasen, durch Änderungen der Konzen- tration, der Temperatur und des äußeren Druckes. Meist sind physikalische Gleichgewichte mit chemi- schen verknüpft. Ein Gleichgewichtszustand ist nach Clausius- Williamson kein Zustand der Ruhe. Die schein- bare Ruhe ist nur Erscheinungsform eines Be- wegungszustandes, bei welchem zu allen Zeiten des Gleichgewichts gleichwertige, entgegengesetzteVor- gänge so stattfinden, daß sich in gleichen Zeiten ebensoviele Massen einer Gattung bilden wie zer- setzen. Infolgedessen bleibt die qualitative und 690 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 44 quantitative Zusammensetzung eines physil. **) D. h. im Verhältnis der Molekulargewichte stehende Mengen verschiedener Verbindungen. 692 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 44 geben sich stets zu große Werte für die Konstanten. K wird ^= i K wobei i i, z. B. wird i bei einer 3"/',, NaCl-I.ösung= 1,85, bei einer von 0,2"/,) = 2,00. Eine Natriumsulfatlösung von 6",',, ergibt i = 2,21, eine Lösung von i "/„, i = 2,66. Würde man den Faktor nicht berücksichtigen, so würde man bei Molekulargewichtsbestimmungen zu kleine Mole- kularvverte erhalten. Dies läßt darauf schließen, daß in der Lösung eine größere Anzahl von molekülartigen Bestand- teilen vorhanden ist als man erwarten sollte, daß die Moleküle in Teilmolekülc zerfallen sind. Es liegt zunächst nahe, einen Zerfall in Atome zu ver- muten. Drei Gründe sprechen dagegen: 1. Atome existieren im allgemeinen nicht frei. Die Zweifel an der Existenzfähigkeit der Atome führten ja zur Aufstellung des Begriffs Molekül. 2. Die LTnverträglichkeit so feindlicher Sub- stanzen wie in einer KFLösung Kalium und Wasser oder Fluor und Wasser macht das indifferente Nebeneinanderbestehen von K-Atomen, P'-Atomen und H._,0-Molekülen undenkbar. 3. Die Zahl der bei den Molekulargewichts- bestimmungen in Lösungen sich ergebenden Teil- moleküle steht oft in keinem einfachen Verhältnis zur Zahl der Atome des Moleküls und ist außer- dem schwankend. Z. B. bei KCl > I bis 2 „ K0SO4 (/atomig) ; I „ 3 „ K^FeCy,) (ij-atomig) i „ 5 Auch die dualistische Theorie von Berzelius, welche Jahrzehnte hindurch treffliche Dienste ge- leistet hat, versagt. Nach Berzelius bestehen ja Salze aus Säure und Base (nach unserer heutigen Nomenklatur richtiger gesagt Säureanhydrid und Baseanhydrid). FeSOi =: FeO — SO3 CuSO, = CuO — SO., 2AgNO<, = Ag.,0 — N.,Öä 2NH,0H = (NHJoO— H.,0 K.,SO, = K.,0 ' — SO, Aber erstens steht die Zahl der Teilmoleküle in keinem Verhältnis zu den sich ergebenden Spal- tungsteilchen, z. B. bei K,,SO^ = K.^O — SO3. Maximal 3 Teilmoleküle statt 2. Zweitens nötigt die dualistische Theorie zu einer Sonderstellung der Halogensalze, die sich doch in bezug auf den metallischen Teil in Lösung genau so wie Sauerstoffsalze verhalten. Drittens gilt für das Nebeneinanderbestehen von K.,0 und H.,0 sowie von SO, und HjO dasselbe, was schon für die Existenzbedingungen der Systeme K-Atome und Wasser gesagt ist. Die Beziehungen zwischen elektrischer Leit- fähigkeit der Lösungen und der Zahl der gespal- tenen Moleküle, die Leitfähigkeit der Lösungen selbst im Gegensatz zur Nichtleiternatur der meisten wasserfreien Salze einerseits und des Lösungsmittels andererseits gaben den Anlaß, elektrische Erschei- nungen als Ursachen zu vermuten. Die Fortschritte im Studium der Elektrolyse brachten den Aufschluß und führten zur Aufstellung einer Theorie, die ihren Ausdruck in der elektro- lytischen Dissoziationstheorie von Clausius (1857) und Arrhenius vom Jahre 1887 findet. Nach dieser zerfallen die Moleküle der anorgani- schen Salze, einschließlich Säuren und Basen, bei der Auflöung in Wasser und einigen anderen Flüssigkeiten ohne weiteres Zutun von außen in zwei Gattungen elektrischer Teilmoleküle, die in der Lösung frei beweglich, unter dem Einfluß elektrischer Elektrodenpotentiale gerichtet und zur langsamen Wanderung in Richtung auf die Pole kraft elektrostatischerAiiziehung gezwungen werden. Die Teilmoleküle entstehen stets in äquivalenten Mengen, d. h. auf zwei einwertige Moleküle der einen Gattung kommt z. B. ein zweiwertiges der anderen, so daß der elektrisch neutrale Gesamt- charakter bei der Lösung gewahrt bleibt, weil beide Elektrizitäten in gleichen Mengen vorhanden sind. Wegen ihrer Wanderung werden die Teilmole- küle Ionen genannt (lör das Wandernde). (Im Plural sollte man eigentlich nach iövTa, lonten, nicht Ionen sagen.) Die nach der negativen Elektrode einer Zelle — der Faraday 'sehen Kathode — wandernden Ionen werden Kationen genannt, die entgegengesetzt nach der anderen, Anode benannten Elektrode wandernden Anionen. Kationen haben also posi- tivt elektrische Ladungen, Anionen entgegen- gesetzte Ladungen. Die Wanderungen erfolgen in der Lösung außerordentlich langsam. Zahlloses Aufprallen auf die Moleküle des Lösungsmittels, z. B. die Wasser- moleküle, machen die Bewegung zickzackförmig, so daß die Ionen nur wenig vorwärts kommen. Hemmend wirkt auch die Reibung der Ionen untereinander. Die Wanderungsgeschwindigkeiten betragen bei I Volt Spannungsabfall pro i cm in der Sekunde für K' 5,7 NH^- 5,S Na- 3,5 Ag- 4.6 H 30,0 OH' 15.7 Kationen bilden die elektropositiven Elemente, die Metalle und Wasserstoff, Anionen bilden die elektronegativen Elemente, die Nichtmetalle. Ionen von schwacher Existenz haben die Neigung, sich an ganze Molekülgattungen zu ketten, und so zusammengesetzte Ionen, sogenannte Kom- plexionen zu bilden, welche sich im übrigen wie einfache, selbständige Einzelionen verhalten, z. B. Cu"-ion + 4NH3 = Cu4NH.,\-Kation) Pb'-ion + 0.3 = PbO„"(-Anion) AgCy -f-. Cy'-ion = AgCy„'(-Anion) FeCy, -f- 4Cy'-ion = FeCye""(-Anion) PtCl, + 2Cl'-ion = PtCI„"(-Anion) N"'-ion + 2H., = NH/(-Kation) N. !•■. VI. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 693 Man bc/eichncl in loneiischreibwcisc die Kat- ionen durch Punkte, die Anioncn durcli Striciie rechts oben an den Symbolen. Die verscliictlene Wertigkeit der Ionen wird durch die Zahl der Punkte oder Striche unterschieden. Statt der Piuikte findet man zuweilen kleine + Zeichen, /.. H. K und statt der Striche — Zeichen z. K. Cl. Die Ionen haben Energie, Beweglichkeit, Farbe, Affinität und Wertigkeit, wie andere chemische Massenteilchen. Da bei loncnreaktionen die Kräfte und Zeiten nicht erforderlich sind, welche sonst bei Molekular- reaktionen erst zur Spaltung der alten, ihren hohen Bildungswärmen entsprechend beständigen Mole- küle aufgewendet werden müssen, so erfolgen loncnreaktionen im allgemeinen viel früher und schneller als Molekularreaktionen. Die elektrolytische Ionisation, welche einseitig beim Salz oder Lösungsmittel kaum vorhanden ist, beginnt bei der geringsten Vermischung. Sie nimmt mit der Verdünnung zu und erreicht bei unendlicher Verdünnung den Wert unendlich, ge- mäß dem Ostwald'schen A-'erdünnungsgesetz ^- = K.V, I — « wo « die dissozierte Menge eines binären Elektro- lyten darstellt. Praktisch ist der Maximalwert des Dissoziations- grades meist bei einer Verdünnung von i Mol auf 1000 1 Wasser erreicht. Doch ist der Disso- ziationsgrad der Salze sehr verschieden, besonders bei Säuren und Basen. Stets kann der dissoziierte Anteil in der Lösung höchstens gleich dem gelösten werden, so daß also schwerlösliche Stoße zwar hochgradig disso- ziieren können, aber niemals auf Grund ihrer geringen Lösungskonzentration große lonenkon- zentrationcn bilden können. Aus Mangel an wirksamen Massen erfolgen daher die Reaktionen schwerlöslicher Körper verhältnismäßig träge, z. B. .Auflösung von Metallen in Säuren, von AgCl in Ammoniak, Umsetzung von BaSOj mit Na.,CO.;. Zwischen dem unverändert gelösten Teil der Salze und ihrem dissoziierten Teil — den Ionen — besteht ebenfalls ein Gleichgewicht — der Dissozialions- grad — ein konstantes Verhältnis der Konzen- trationen nach Maßgabe des Massenwirkungs- gesetzes. Im einfachsten Fall für einen binären Elektrolyten NaCl mit den Ionen Na' und Cl': j^ ^ C[NaCl] C[Na-lXC[Cn Der Dissoziationsgrad einer Lösung ist bei gegebenen Werten der Temperatur und des os- motischen Druckes*) der Lösung eindeutig bestimmt. Zu jeder Lösungskonzentration gehört dann eine ganz bestimmte Konzentration des undissoziierten .Salzes und eine ganz bestimmte Konzentration des dissoziierten Teils. Die Konzentrationen der ") Bczw. der ihm proportionalen Lösungskonzcnlration. einzelnen Ionen könnten dabei variieren, nur ilir Produkt muß konstant bleiben. Zu jeder Lösungskonzentration gehört folglich bei bestimmten l'emperaturen ein bestimmter Dissoziationsgrad. Die braungelben CuCI.,-Moleküle, welche schon in den wasserhaltigen Kristallen CuCl., -)-2aq. eine grüne Mischfarbe durch Vorhandensein blauer ("u- Ionen geben, lösen sich in wenig Wasser mit grüner Farbe. Bei einer ganz bestimmten Verdünnung wird die Dissoziation so stark, daß der dissoziierte Teil überwiegt und reine Blau- färbung auftritt.. Durch geringe Vermehrung der Lösungskonzentration (Eindampfen auf dem Wasserbad oder Ausfrieren von Wasser) kann in- folge Rückgangs der Ionisation der Umschlag in die grüne Mischfarbe schnell wieder bewirkt wer- den. Mit der Erwärmung wächst der Dissoziations- grad; da bei gleicher Konzentration in der Wärme die Zahl der Elektrizitätsüberträger wächst, nimmt die Leitfähigkeit zu, der Widerstand ab. Der Widerstand eines Elektrolyten bzw. sein rezi- proker Wert, die Leitfähigkeit, ist also ein Maß der Ionisation. Über das Wesen der Ionen macht man sich heute folgende Vorstellung: Man nimmt an, die Ionen seien Verbindungen der chemischen Atome bezw. Atomkomplexe mit positiven und negativen Elektronen — jenen winzigen Massenteilchen, die heute ja vielfach als die letzten Bausteine der Materie angesehen werden und deren Größe bei- läufig bezüglich des negativen Elektrons zu etwa '/■2ii(io <^^s Wasserstofifatoms bestimmt worden ist. Kationen sind Verbindungen der Atome mit positiven Elektronen, Anioncn bestehen aus Atomen und negativen Elektronen ; je nachdem ein Atom mit I, 2, 3 oder mehr Elektronen verbunden ist, gilt ein Ion i-, 2-, 3- oder mehrwertig. In der Elcktronensprache hat man für die Ionen folgende Schreibweise : K- = K + (+) Cl' = Cl +0 Fe- = Fe + 'V S" = S + 20 ' (t) I --^ Sn- = Sn + 4(+,i PO,"' = PO, + 3© Die Anzahl der Elektronen gibt also die Wertig- keit an. Die Atome und Atomkomplexe haben ver- schieden starke Affinität zu den Elektronen. Diese Verschiedenheit der Affinität — ihre Haftintensität oder Elektroaffinität ') — spielt bei den Ionen im Kampf ums Dasein eine Rolle. Zink fällt aus Cu"-Lösungen Kupfer, weil es eine größere Haftintensität zum '-fi hat, Cl macht Jod aus J'-Lösungen frei, weil es eine größere Elektroaffinität zum (~! hat. ') Reihenfolge der Elektroaffinilälcn der Ionen (gleichzeitig Spannungsreihe) K', Na-, Li-, Ba", Sr", Ca-, Mg-, AI", Mn-, Zn-, Cd-, Fe", Co", Ni", Pb", H', Cu-, Ag", Hga", Pt— , Au- 694 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 44 Ein Blick auf die elektrochemische Spannungs- reihe gibt uns ohne weiteres Aufschluß, auf welcher Seite im Kampf um Elektronen der Sieg verbleiben wird. In der Spannungsreihe der Metalle ') nimmt die Haftintensität für (Fj von links nach rechts ab, bei den Nichtmetallen '') gilt Gleiches für i-). Jedes linksstehende Element als Nichtion ver- mag rechtsstehende Elemente aus dem Kationen- zustand durch Entreißung der Elektronen in den Nichtionenzustand überzuführen, d. h. molekular abzuscheiden. Alle links von H stehenden Elemente vermögen H-Ionen zu entladen und in die Nichtionenform H.2 überzuführen, welches als Gas wenig löslich ist, so daß sich Gas entwickelt. Das Metall geht dabei in Lösung. Dies ist der Sinn der Auflösung der Metalle in Säuren. Wir brauchen uns nur die wenigen rechts von H stehenden Metalle zu merken und wissen ohne weiteres, welche Metalle sich in Säuren unter Entwicklung von H„ lösen oder nicht. Der Lösungstendenz von Cu, Ag, Hg etc. wird durch die größere Haftintensität des H für 0 ein Gegengewicht geboten, das erst überwunden wird, wenn wir die H-Ionen auf dem Kampfplatz möglichst vernichten, d. h. sie durch O.xydations- mittel zu H,,0 oxydieren und die Elektronen den anderen überlassen. Dies ist der Sinn der Auflösung der Edelmetalle und Halbedelmetalle in oxydierenden Säuren — in Salpetersäure, Königswasser, Chlorsäure oder Überchlorsäure. Formuliert stellt sich der Vorgang der Auf- lösung von Metallen in Säuren folgendermaßen. M + H(J):^z>:M(+) + iH.2 oder M + H- :^ M + ^ H^ M bedeutet ein einwertiges Metall, H oder H T ein Wasserstoffion, d. h. den wirksamen Bestandteil I 1 der Säure. Mr+i oder M' einwertiges Metallion. H., Wasserstoff im Nichtionenzustand, d. h. als Molekül. Haben wir uns soeben mit dem Kampf der Ionen und Nichtioncn um Elektronen beschäftigt, so wenden wir uns nunmehr dem Naturspiel zu, das sich abwickelt, wenn Ionen mit Ionen in der Lösung gegeneinander kämpfen. Auch hier ist die Erklärung äußerst einfach. Wie gleichnamige Elektrizitäten sich abstoßen, ungleichnamige sich anziehen und unter Aufhebung elektrischer Energie sich vereinigen, so sind auch gleichgeladene Ionen meist ohne Einwirkung auf- einander. Anionen und Kationen hingegen ziehen sich an, vereinigen sich wo möglich und bilden neue chemische Moleküle. ') F', NOa', CIO3', Cl', SO^", Br', J', PO,'", CO,", CrOj" SiOa", SH', OH', CN', O", S". Ihre Elektronen treten dabei zu einem Neutron zusammen, z. B. H (+; + OH 1- ) —> H,,0 -f (+) Q. Aber in den Lösungen herrschen harte Existenz- bedingungen. Der zerstörende Geist der Natur wirkt auch hier. Dissoziierende Kräfte suchen die neuen Wesen, Moleküle und Neutronen, wieder zu zerlegen — in Ionen zu spalten — , nur die allerwiderstands- fähigstcn werden den Kampf ums Dasein bestehen können. Die übrigen werden wieder zu dem, was sie waren, zu Ionen. Durch letzteres aber tritt keine Veränderung gegen früher ein und j ede sichtbare Erscheinung unterbleibt. Wo aber durch irgend eine lonenkonzentration beim Zusammentreffen von Ionen die Bildung eines nicht oder wenig dissoziierenden also lösungsbeständigem Moleküls möglich ist, da wird das Gleichgewicht gestört und der Vorgang tritt in Erscheinung. So ist denn die Bildung von Molekülen geringen Dissoziationsgrades das Wesen der Reaktionen zwischen Ionen und Ionen. Wo wenig dissoziierende Moleküle sich nicht bilden können, erfolgt keine Reaktion der Lösung. Ist der wenig dissoziierte Körper zugleich schwerlöslich, so ist die Lösung in bezug auf ihn leicht übersättigt, und es tritt Abscheidung einer unlöslichen Phase ein. Daher ist die Kenntnis der wichtigsten wenig dissoziierten Verbindungen ebenso wichtig wie die Kenntnis der Spannungsreihe im vorherigen Falle. Körper sehr geringer Dissoziation sind vor allem H.^0 und H.^S. Wenig dissoziieren ferner alle schwachen Basen und schwachen Säuren, ferner alle schwerlöslichen Salze, die Hydroxyde, Carbonate, Sulfide, Phos- phate der Kationen, die Ag-, Pb-, Ba-, Hg-Salze der Anionen. Wo daher H -Ionen mit OH' in größerer Kon- zentration zusammentreffen, bildet sich H.,0 unter Vernichtung von H' und OH' und unter Entbindung von Wärme. H' + OH' = HjO -f 1 3 600 cal. Die Bildung von H.,0 unter Verschwinden von H' und OH' ist die ganze Theorie der Neutralisation. Die Kationen der Basen und die Anionen der Säure bleiben dabei im allgemeinen nach wie vor frei. Wenn irgend etwas diese .'\uffassung stützt, so sind es die thermochemischen Daten. Die Neutralisationswärme bei der Vereinigung verdünnter Lösungen der verschiedensten Säuren und Basen beträgt nahezu 13600 cal. für Bildung von I Mol = 18 g H,_,0. Die Bildungswärme von i Mol. NaCl würde aber 96400 cal., die Bildungswärme von i Mol. K.iSO, würde 338200 cal., die Bildungswärme von i Mol. KNO.j 1 1 1 000 cal., also viel größere und vor allem verschiedene Werte ergeben. N. V. VI. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 695 + 2H- oder HCÖ3' 4- H CO3" S" 4" 2H gibt wenis; dissoziierenden HgS HS' -f- H- gleichfalls ,', „ H.S Da ir.,S bei Atmosphärendruck und Zimmertem- peratur ein Gas ist, erfolgt schon bei geringen Konzentrationen die Bildung von H.,S unter Gas- entwicklung. Der Vorgang tritt überall ein, wo merkliche Konzentrationen von S"-Ioncn mit H-Ionen, d. h. Sulfide mit Säuren zusammentreffen. Er ist die Ursache der .Auflösung von unlöslichen Sulfiden in Säuren, wie der Xeutralisationsvorgang die Ur- sache der .Auflösung unlöslicher Hydroxyde bzw. Oxj-de in Säuren. In beiden Fällen werden die von den unlös- lichen Phasen bei Berührung mit der flüssigen Phase gebildeten Anionenkonzentrationen von S", HS' bzw. O", OH' durch H unter Bildung der außerordentlich schwach dissoziierenden Wasserstoffverbindungen H.,S und H._>0 fortgeschafft. Die feste Phase sendet neue Moleküle unter Disso- ziation in Lösung, jedoch mit demselben Erfolge u. s. f. Erst wenn keine feste Phase mehr vorhanden ist, oder die H -Konzentration, d.h. die Säure so schwach geworden ist, als es das Dissoziationsgleichgewicht in dem jeweiligen Systeme zuläßt, kommt die Reaktion zum Stillstand, d. h. bei hinreichender Säuremenge tritt völlige Lösung ein. Ähnlich bilden : wenig dissoziierende Kohlen- säure H.jCOg, die nach ihrer Bildung in H,,0 und CO., zer- fällt und letzteres gasförmig entweichen läßt. PO4'" -\- 3H bildet wenig dissoziierende Phos- phorsäure H.;POj. Die Bildung von H.jCOg und HgPO, sind das Wesen der .Auflösung von Car- bonaten oder Phosphaten in Säuren. OH', S", CO.," POi"'-Anionen geben mit den meisten Metallkationen wenig dissoziierende und zumeist schwerlösliche Verbindungen. Ag", Pb", Hg", Ba"-Kationen geben mit den meisten Anionen wenig dissoziierende und meist zugleich schwerlösliche Salze. Weil CO3-, OH-, S-, PO,-Ionen in großer Kon- zentration im Wasser nur mit .Alkalikationen im Gleichgewicht sein können, benutzt man für Kationenreaktionen im allgemeinen die Lösungen der Hydroxyde, Sulfide, Carbonate etc. der Alkalien (einschließlich Ammonium). Weil Silber-, Blei-, Barium-Ionen allgemein nur neben Nitrat- und Acetatanionen in merklichen Konzentrationen existieren können, sind die Lösungen von Bariumnitrat, Silbernitrat, Bleinitrat die geeigneten Reagentien auf Säuren. In solchen Fällen bilden sich allgemein betrachtet wenig dissoziierende Salze, und da dieselben meist zugleich schwerlöslich sind, entstehen Fällungen. Hierin liegt eine große Bedeutung. .Alle Säuren enthalten H" und geben H.,-Ent- wicklung mit den meisten Metallen sowie Säure- färbung von Indikatoren. Je größer die Konzentration der Hlonen, um so größer die Stärke der Säure in ihrer Wirkung. Aus keinem anderen Grunde sind die stark löslichen und zugleich stark dissoziierenden Säuren HCl, HNO., auch die stärksten Säuren und Kohlen- säure, Essigsäure schwache Säuren. Die geringe Basicität der meisten Metallhydroxyde hängt mit der durch Schwerlöslichkeit bedingten geringen Dissoziation zusammen. KOH, NaOH dagegen sind starke Basen, ihnen folgen Ba(OH),,Ca(OH), undNH,(OH). Die Neutral- salze sind im allgemeinen stark dissoziiert, jedoch sehr verschieden löslich. Die Salzlösungen mittlerer Konzentrationen enthalten überwiegend Ionen. Fast alle Metallsalze enthalten die Kationen des be- treffenden Metalls. Werden die vorhandenen ak- tuellen Ionen bei der Reaktion entfernt, so bilden sich aus dem nichtdissoziierten Teil der Lösung sofort neue Ionen, solange noch Moleküle mit potentiellen Ionen da sind. Alle K-Salze geben die Reaktionen von K-Ion. Alle Cuprisalze enthalten Cu-Ionen, alle P'erro- salze Ferro Ionen, alle Ferrisalze Ferri-Ionen. Andererseits sind die Halogensalze durch Bil- dung von Cl-, F-, J-, Br Ionen charakterisiert, die Nitrate durch NO..', die Sulfate durch SO^", Chro- mate durch CrO^". Wegen allgemein starker Löslichkeit und Ionisation sind die Sulfate, Chloride, Nitrate der Kationen für lonenreaktionen ebenso geeignet wie die Alkalisalze der Anionen. Aus diesem Grunde genügt die Kenntnis der Reaktionen von ca. 30 Kationen und ca. 30 Anionen, um die Reaktionen von 30X30 lonenkombinationen, d. h. ca. 900 Salzen zu beherrschen. Es ist — von besonderen Fällen abgesehen — gleichgültig, ob wir in Salzsäure oder Schwefelsäure lösen, ob wir Hydroxyde mit NaOH-, KOH, NH^OH-Lösung oder ZnlOH)., fällen, ob wir bei Sulfidreaktionen mit Lösungen von Na.>S, K.,S, H.,S, NHjHS arbeiten. Bei den Säuren wirkt zunächst nur das H-Ion, bei Hydroxyden OH-Ion, bei Carbonaten CO.,-Ion. Es ist gleichgültig, ob wir Kupfersulfat, -chlorid, •nitrat oder Acetat für Reaktionen benutzen. Es ist gleich, ob wir mit Natron, Ammoniak, Zinkoxyd oder gar Kalk neutralisieren, wie es im technischen Großbetriebe üblich ist. Tritt in einer Lösung die den Ionen charakte- ristische Reaktion nicht ein, so sind wir zu dem Schluß berechtigt, daß das freie Ion dort nicht vorhanden, sondern auf irgend eine Weise vom Kampfplatz entfernt ist. Das Ausbleiben der AgCl-Reaktion in den sog. Platinchloridlösungen, das Ausbleiben der Eisen- reaktionen bei ßlutlaugensalzen läßt darauf schließen, daß in diesen Lösungen keine Chlor- bzw. Eisenionen vorhanden sind. Die häufige Wiederkehr der Komplexe PtClß bei Reaktions- produkten im ersteren Fall und Fe(CNX, im letz- teren Fall deutet darauf hin, daß in den erwähnten Lösungen derartige Komplexionen an Stelle ein- facher Ionen getreten sind. Solcher Fälle gibt 696 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 44 es viele. Besonders Ammoniak, Cyanide sowie einige organische Polyhydroxylverbindungen wie Weinsäure , Glyzerin , Zucker rufen durch Komplexionenbildung Reaktionsstörungen hervor. Hier sind neue Ionen — Komplexioncn — mit ganz eigenen Eigenschaften entstanden. Die wichtigsten Komplexionen sind; die einwertigen Metallammo- niakkationen, Metalltartratanionen, die komplexen Cyanidanionen wie AgCy./, FeCy,/", FeCy,,"", ferner AlO./, SnS.,". Hierher gehören im strengsten Sinne auch die einfach zusammengesetzten Ionen wie NH/, PbO.,", SOj", NO^', CrO^" u. a. mehr. Sie alle sind durch Addition ganzer Molekül- gattungen an Ionen entstanden, z. B. N'" -{- 2 H.j = NHj'; S"'"" + 2O3 = SO^". Charakteristisch für Komplexionen ist, daß sie mehr elektroaffin als ihre Komponenten sind. Denn wären sie es nicht, so würden sie sich nicht bilden auf Kosten der Einzelionen. Wegen ihrer größeren Elektroaffinität sind ihre Salzlösungen stärker dissoziiert und da- her stärker löslich als die Lösungen der Salze der elementaren oder Einzelionen. Die durch diese Sätze gewonnene Kenntnis der Reaktionen berechtigt zu einer außerordent- lichen Vereinfachung der Formulierung analytischer Vorgänge. Wir können mit Fug und Recht die an der Reaktion unbeteiligten Stoffe, welche z. B. nach wie vor im freien lonenzustande vorhanden sind, fortlassen. Wir müssen nur darauf achten, daß das Verhältnis der Elektronen oder lonen- ladungen auf beiden Seiten vor wie nach der Reaktion gleichbleibt. Wir können das Fortlassen unbeteiligter An- ionen und Kationen um so mehr rechtfertigen als i.die Vorgänge infolge ständiger Assoziationen und Dissoziationen unter Beteiligung der H2O- Moleküle selbst viel komplizierter sind als wir bisher durch unsere Formeln wiedergaben; 2. die Zusammensetzung der Reaktionsprodukte vielfach je nach Temperatur und Konzentrationen variiert. So fällt Magnesium durch überschüssige K.,CO.;- Lösung bei niedererTemperalur als MgCO^ ■ K0CO3 • 4H.,0; mit Na.XOg entsteht bis 10»: NaaCOa-MgCOg-isHoO, bei 10"— 15»: MgCOg-sH.O, bei 16—22»: MgCOa-sR^b, bei höherer Temperatur bildet sich MgCO:,-H.,0, bezw. MgCO.5 , schließlich oberhalb 60" infolge Hydrolyse die Niederschläge von der Zusammen- setzung xMgCO., • yMg(OH), • zH.^O, wobei der Karbonatgehalt mit der Temperatur und der Kon- zentration der Karbonatlösung stetig abnimmt. Die Sulfatbildung in Calciumlösungcn besteht je nach der Temperatur und Konzentration der Lösungen aus Gips oder Anhydrit oder einem Doppelsalz. Diese Erörterung möge dazu dienen, den Wert solcher angeblich vollständigen Reaktionsgleichun- gen wie etwa: FeCf, -f 3 NaOH = Fe(0H)3 + 3 NaCl richtig zu beurteilen. Der hier formulierte Vorgang trifi't am aller- wenigsten zu. Der oben erwähnte Vorgang der Hydrolyse hat seinen Grund in der, wenn auch kleinen Dissoziation des Wassers H^O ~*' H' -|- OH', welche übrigens, wie dies allgemein, in der Wärme zunimmt. Wo nun die OH'-Konzentrationen mit Metall- ionen in solcher Menge zusammentreffen, daß der Dissoziationsgrad des Metallhydroxyds überschritten wird, muß sich letzteres bilden und, da die Hydroxyde der Metalle ausschließlich K, Na, Li, Ca, Ba, Sr schwer löslich sind, entstehen Fällungen. Die da- bei übrig bleibenden H'-Ionen des Wassers ver- leihen der Lösung saure Reaktion, umgekehrt reagieren die Hlonen des Wassers mit Anionen schwacher, d. i. wenig dissoziierender Säuren wie CO3", S", CN' unter Bildung ihrer Wasserstoffver- bindungen H.,C03, H.,S, HCN. Die übrig blei- benden OH-Ionen verleihen den Lösungen basische Reaktion. Daher röten die Lösungen der Salze schwacher Kationen gewöhnlich Lackmus und die Lösungen der Salze schwacher Anionen bläuen Lackmus besonders bei höherer Temperatur. Im ersteren Fall bilden sich häufig Verbindungen von Salz mit Base (basische Salze), die meist schwerer löslich sind als das Salz, im letzteren Fall Kom- binationen von Säure mit Salz (saure Salze), die im allgemeinen leichter löslich sind als das Salz allein bei starken, löslichen Säuren und weniger löslich bei schwachen, schwerlöslichen Säuren. Allgemein betrachtet sehen wir also Bildung gering dissoziierter Salze oder Verminderung von lonenkonzentrationen als Erscheinungen des Vor- gangs der chemischen Abscheidung aus Lösungen, Bildung stark dissoziierter Salze oder Vermehrung von lonenkonzentrationen als Erscheinungen der chemischen Auflösung. Jeder Stoff hat in Berührung mit einer anderen Phase eine Tendenz dort einzudringen, im vor- liegenden F^all z. B. sich in Wasser zu lösen. Dieser Lösungstendenz arbeiten Kräfte der Lösung (osmotischer Druck) entgegen und führen ein Gleichgewicht herbei. Durch Verbindung mit Elektronen wird die Lösungstendenz vermehrt und zwar bei Metallen durch positive tilektronen, bei Nichtmetallen durch negative Elektronen. Die Elektronen werden gewonnen : 1. durch Entziehung der Ladung weniger elek- troaffiner Ionen unter Überführung derselben in Nichtionenform (z. B. Auflösung von Metallen in Säuren unter Wasserstoffentwicklung, Abscheidung von Metallen aus ihren Lösungen durch Zink, Verdrängung von Jod aus seinen Lösungen durch Chlorgas). 2. durch Zuführung von Elektronen mittels elektrischer Energie bei der Elektrolyse, anodische Auflösung von Metallen, kathodische Auflösung von Nichtmetallen. Schaffung freier Elektronen im Wege der Reaktion. Spaltung von Neutronen und Molekülen ff r ■ :: -r) + 0. N. V. VI. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 697 Die Al)scheidnni^ von Stoffen aus I.ösungcn geschieht umgekehrt: 1. durch Abgabe der lonenladungen an slärtcer elektroaffiue Klcniente oder Ionen, 2. durch Entziehung elektrischer Energie mit- tel* starker elektrischer Potentiale, kathodische Abscheidung von Metallen, anodischc Abscheidung von Nichtmetallen, Bildung von Neutronen und Nichtioncn (Molekülen) Mg '^' + 2 OH >- :: Mg(OH)., + 2 i+n-i Herstellung eines Gleichgewichts zwischen der Lösungstendenz ungelöster Phase und lonenkon- zentration der Lösung ist also in solchen Fällen Ursache der Auflösung und Abscheidung aus Lö- sungen. Jeder Vorgang, der eine lonenkonzen- tration vermindert, gibt der Lösungstendenz zu weiterer Betätigung das Feld frei, jeder Vorgang, der zu einer Vermehrung einer lonenkonzentration über das Gleichgewicht hinaus führt, hat eine Überführung von Ionen in Nichtionenform zur Folge. Auch durch Komplexionenbildung infolge Ad- dition einer lonenart an Moleküle kann eine lonenkonzentration vermindert werden, daher wirkt Komplexionenbildung lösend: z. B. I AgCl :<=>: Ag- + Cl' II Ag- + Cl' + 4 NH3 <^ Ag . 4 NH3 + CP Der Verlauf des Vorgangs II von rechts nach links verlangt auch eine gleiche Richtung für Vor- gang I. Diese Reaktionen zeigen zur Genüge den Zu- sammenhang chemischer und elektrischer Vor- gänge in Lösungen. Man kann daher durch Lösungsreaktionen elek- trische Energie freimachen wie binden. Ein Metall (z. B. Zn), das in Berührung mit einem Elektrolyten kationisch in Lösung geht, erhält durch die zurückbleibenden negativen Elek- tronen selbst negative Ladung. Bei Herstellung eines äußeren Stromkreises wandern die negativen Elektronen zur anderen Elektrode, ziehen dort die Kationen an und entladen sie unter Bildung von Neutronen und unlöslichen Metallmolekülen. Daher wird in den galvanischen Ketten eine metallische Lösungselektrode zum — Pol, eine metallische Fällungselektrode(anwelcherKationen abgeschieden werden) zum -)- Pol. Geht ein Element anionisch in Lösung, so wird der ungelöste Teil zum -j- Pol. In der Gaskette H., H„.SOj O., wird H., zum — Pol, O., zum -p Pol, weil H., Kationen, 0.> Anionen in Lösung schickt. Auch zwischen Lösungen verschiedener Kon- zentrationen eines und desselben Ions entstehen infolge von Potentialunterschieden elektromotorische Kräfte. Es sind dies Konzentrationsketten wie z. B.: Normal- AgNO.j j'^ n-AgNO^ | ^^^ n-AgNOg. Leistung chemischer Arbeit durch elektrische Energie ist die Umkehrung dieser Vorgänge. Hierher gehören die elektrolytische Abscheidung und Auflösung von Metallen (lonenentladung bzw. -aufladung). I 2 I - 1 -f Cu (+)(+} ^:± Cu (fest) + 2 00 (Abscheidung) II 2 i + i -f Cu fest ^r^ Cu ( I M H (gelöstes Cu") (Auflösung) Ebenso wie Lösungen verschiedener Konzen- tration elektromotorische Kräfte bilden , so rufen elektromotorische Kräfte in einem Elektrolyten Konzentrationsänderungen infolge lonenwanderung hervor. Auch Oxydation und Reduktion an Ionen sind elektrochemische Vorgänge, die entweder unter Erzeugung elektrischer Energie erfolgen (Oxyda- tions-, Reduktionsketten), oder unter Umwandlung zugeführter elektrischer Energie vor sich gehen : Elektrolytische Oxydation und Reduktion. Oxydation an Ionen ist Vermehrung der Affi- nität zu positiven Elektronen bzw. Verminderung der negativen Elektroaffinität. Reduktion ist die Umkehrung hiervon. Übergang eines Nichtions in Kationenform ist daher Zuwachs von positiver Elektroaffinität (Oxydation), Übergang ins Anion eine Reduktion. MnO,," — 0 ^^ MnO^' (Reduktion von Manganat) Fe 00 -(- (+: ^Z±; Fe 000 (Oxydation von Ferro) Cl, + : 1 :jz>: 2 Cl (Reduktion von Chlor). Kaihodische Abscheidung von Metallen ist da- her eine Reduktion, anionische Auflösung von Metallen eine Oxydation. Die Reaktionen der Lösungen bestehen also in der Herstellung eines stabilen Gleichgewichts- zustandes der Lösung. Dieses Gleichgewicht ist zusammengesetzt I. aus dem rein chemischen Gleichgewicht zwischen den chemischen Bestandteilen der Lösung, II. aus dem rein physikalischen Gleichgewicht der einfachen Löslichkeit, d. i. Mischung eines Körpers mit einer angrenzenden Plüssig- keitsphase, III. aus dem physikalisch-chemischen Gleichge- wicht der elektrolytischcn Dissoziation in der Lösung, IV. aus dem Gleichgewicht einer Nichtlösungs- phase eines Körpers mit seinen Ionen in der Lösung. IV. folgt aus II. und III. Da der nichtdisso- ziierte Teil eines Körpers in der Lösung nach II. mit der Niciitlösungsphase und nach III. mit dem Produkt seiner Ionen im Gleich- gewicht sein muß, muß folglich auch zwi- schen dem Körper in der Nichtlösungsphase und seinen Ionen in der Lösung Gleichge- wicht herrschen. Sieht man der Einfachheit halber von dem komplizierten rein chemischen Gleichgewicht ab, so ergibt sich vom Standpunkt des Massenwir- kungsgesetzes für die am Gleichgewicht beteiligten 698 Naiurwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 44 Konst Phasen ein ganz bestimmtes Verhältnis der Kon- zentrationen. Für den einfachsten Fall, wo ein fester Körper C in einer angrenzenden Lösungsphase die Ionen A und B mit den Konzentrationen « und ß ge- bildet hat, während die Konzentration seines nicht- dlssoziierten Teils in der Lösung '/ beträgt, muß im Gleichgewicht die Bedingung erfüllt sein: Y _ a-ß Der Wert der Konzentration des festen Körpers C, welche ja bekanntlich konstant ist, kommt als Variabele nicht in Betracht. Ihre Bedeutung ist in der Konstanten unveränderlich für alle Systeme, wo die feste Phase vorkommt, enthalten. Aus der Diskussion ergibt sich : Ein Körper ist leicht löslich bei großen Werten von y. DerWert von -/ wächst bei gleichbleibendem K, wenn a-ß größer wird. Herstellung von Existenz- bedingungen für große lonenkonzentrationen wirkt also steigernd auf die Löslichkeit. Da nach Entladung der H-Ionen einer Säure bei Anwesenheit von Anionen ebensoviel Metallkationen bestehen können, gehen Metalle durch Säuren im allgemeinen in Lösung. Bildet ein Körper meh- rere lonengattungen, so sind nicht die einzelnen lonenkonzentrationen, sondern nur ihr Produkt a-ß maßgebend, wie die Formel zeigt. Hydroxyde sind in starken Basen wie in konzentrierteren Lö- sungen ihrer Ionen löslicher als in Wasser (z. B. Cu(bH)., in starker Alkalilauge). Um einen Elektrolyten möglichst quantitativ aus einer Lösung abzuscheiden, muß man daher große Konzentrationen eines seiner Ionen ver- meiden, man darf das Fällungsmittel nicht im großen Überschuß hinzusetzen. PbSO^ , BaSOj sind in konzentrierterer Schwefelsäure, PbCl., in starker Salzsäure löslicher als in Wasser. Andererseits ist ein kleiner Überschuß des Fällungs- mittels zur Abscheidung eines Ions notwendig. Bei einem durch die Löslichkeit eines Salzes ge- gebenen Wert von y und einem durch den be- treffenden Dissoziationsgrad gegebenen Wert a-ß wird « kleiner, wenn ß größer innerhalb der Größe a-ß wird. Bei der Sulfatfällung von Pb" gilt das Gleichgewicht [PbSO, K [Pb"J [SO/'] d. h. es bleibt Pb in der wäß- rigen Lösung I. als eine der Löslichkeit von PbSOi entsprechenden Menge PbSO^ und 2. als Pb-Ion entsprechend der Dissoziation des Salzes. Die Konzentration von [PbS04]-Lösung kann unter einen dem Gleichgewicht der Löslichkeit und Dissoziation entsprechenden Wert nicht Ver- kleinert werden, wohl aber die Konzentration des Pb-Ions und zwar durch Vergrößerung der ande- ren lonenkonzentration [SO4] (allerdings innerhalb des Wertes a-ß für die betreffende Konstante). Wegen dieses Zusammenhangs mit der Lös- lichkeit wird das Produkt der lonenkonzentrationen auch das Löslichkeitsprodukt genannt. Aus diesem Grunde ist PbSO^ weniger löslich in verdünnten SO^-haltigen Lösungen als in reinem Wasser. Deshalb fällt man Sulfide mit einem Überschuß von S-Ionen, Carbonate mit einem Überschuß von CO., -Ionen, Hydroxyde mit einem Überschuß von OH'. Aus gleichem Grunde macht man beim Auswaschen analytischer Fällun- gen dem Waschwasser kleine Zusätze eines Elek- trolyten , der ein Ion mit dem Niederschlag ge- meinsam hat. So wäscht man Sulfide mit Schwefel- wasserstoff haltigem Wasser, MgNH4P04 mit am- moniumhaltigem, K3Co(NOo),j mit kaliumhaltigem Wasser, weil diese Niederschläge darin weniger löslich sind als in reinem Wasser. Die Bedeutung der lonentheorie für die Lösungen dürfte hiermit zur Genüge gezeigt sein. Es soll jedoch zum Schluß bemerkt werden, daß neben den lonenreaktionen auch Molekularreak- tionen vorkommen. Allerdings sind sie im Ver- hältnis zu ersteren selten. Außerdem erfolgen sie langsamer. Die entsprechend ihren hohen Bildungswärmen recht beständigen Moleküle der Neutralsalze bedürfen zu ihrer Zerlegung eines erheblichen Aufwands an Zeit und Energie. Wo also freie Ionen vorhanden sind, erfolgen ihre in bloßer Vereinigung bestehenden Reak- tionen viel schneller. Im Gegensatz zu dem schnellen Eintritt der Reaktion zwischen Cd'-Ionen und S"-Ionen in dissoziierten CdSOj -Lösungen nimmt die Reaktion in den kaum dissoziierten Lösungen von CdJ., einen so trägen Verlauf, daß erst längere Zeitdauer, Anwendung stärkerer H.2S Konzentrationen unter Druck und Steigerung der kinetischen Energie der Moleküle mittels Er- wärmung zur merklichen Einwirkung und Ab- scheidung von CdS führen. Kleinere Mitteilungen. Das vulkanische Ries und seine Erdbeben. (Ein Behrag zur Riesgeologie). — Zu denjenigen Gegenden, welche schon äußerlich den Beobachter am meisten fesseln, gehört in Süddeutschland ohne Zweifel das Ries im bayerischen Regierungsbezirk Schwaben und Neuburg, mit seinen Ausläufern sogar noch über die nahe württembergische Grenze hinüberreichend. Wer auf der Eisenbahnlinie Nürnberg-Lindau i. B. diese eigenartige Mulde kreuzt, die an und für sich mehr durch ihre P>uchtbarkeit als durch landschaftliche Reize das Auge fesselt, der aber doch auch der hohe Turm von Nördlingen, der isolierte Schloßfels von Waller- stein und der sonderbar geformte, als „Bopfinger Nipf bekannte Berg im Westen ein charakte- ristisches Gepräge verleihen, der gibt gerne zu, daß man es hier mit dem Boden eines großen, ehemahgen Sees zu tun habe. Als ein Senkungs- N. F. VI. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 699 feld von nicht sowohl runder, als vielmehr hexa- gonaler Begrenzuntj definiert Chr. Grub er') das eigentliche Ries (wahrscheinlich verstümmelt aus Rliätia). Daß diese Bodensenke aber der Ort sei, an den sich wichtige geologische Fragen in großer Anzahl knüpfen, das sieht man ihm nicht sofort an; davon muß man sich vielmehr durch tiefer gehenden Augenschein überzeugen. Und doch verhält es sich so, und infolgedessen nimmt das Ries in der neueren geologisch-landeskundlichen Literatur einen sehr bemerkenswerten Platz ein. Schon vor fast hundert Jahren sprach der baye- rische Montanist Huri '-) seine Ansicht dahin aus, daß sich unter den Kalksteinen ein ausgebrannter Vulkan befinden müsse, und seitdem ist die vul- kanische Natur des Rieses eine anerkannte Tatsache, so verschieden auch im einzelnen die Auffassung war, die man sich vom Riesvulkan gebildet hatte. Im Zusammenhang mit diesem eigenartigen geotektonischen Bau des Rieses steht ohne Zweifel, wie wir später hören werden, die „Se ismizität" dieser Mulde, und die eingehen- den Untersuchungen, die wir hierüber machten, dürften sowohl für den Geologen wie auch für den Geographen von Interesse sein. Wir wollen zuerst die seismischen Erschei- nungen feststellen. 147 1 stürzte der Turm der Stadtpfa.'rkirche zu Nördlingen angeblich infolge eines Erdstoßes ein (Lemp). — 151 1. In Nörd- lingen und an anderen Riesorten fand ein Erd- beben statt (Kißling). — 1517- Dieses Beben fand am 26. Juni 15 17 statt. Der Chronist Weng läßt den Vorgang mit einem entsetzlichen Orkan seinen Anfang nehmen; bei dem Chronisten Kiß- ling gewinnt man sogar den Eindruck, als sei die Windsbraut das eigentlich entscheidende Moment gewesen. Auch nach der von Seb. Münster uns aufbehaltenen Darlegung eines Augenzeugen ist nicht vollständige Klarheit darüber zu erbringen, ob man es wirklich mit einem endogenen und nicht am Ende bloß mit einem atmosphärischen Ereignis zu tun hat. Wir behandeln deswegen das, was sich 1517 zugetragen hat, mit einiger Reserve. (Seb. Münster, Cosmographey, Basel 1564, S. 86). Es wird dort von Nördlingen ge- sagt, es sei der Stadt ,,ufif 16. Brachmonats" — es ist offenbar 26. zu lesen — „durch einen grau- samen Sturmwind und erdbidem für schaden zu- gestanden, der jne jr. rechte pfarrkirchen zu Emeran allerdings auff der erden und im grund umbgeworften, auch in der Stadt und innerhalb zweier meilen wegs um Nördlingen 2000 gezelter heuser und stadel emgerissen, und darzu in jren Wäldern und gärten unzalbaren bauen mit wurtzen ausgezogen, wie dann auch wenig thüren, kirchen ') Grubcr Chr., Uas Ries; eine gcogr. - volkswirtschftl. Studie, StuUg. 1899. '') Flurl M., Über die Gebirgsformationen in den der- maligen kurpfalz-bayrischen Staaten. München 1805. ■'') Branco und Fraas, Das vullianische Ries bei Nördlingen in seiner Bedeutung für Fragen der allg. Geologie, Berlin 1901. (.-\bhandlg. der kgl. preuß. Akad. der Wissenschaften zu Berlin.) und andere gemeur unzerscholt, auch wenig gärten unbeschedigt bliben, aber vol in etlichen gärten kein bäum aufrecht glasen ist." — Auch das phantastische Bildchen, welches Münster seinem VWrke einverleibt hat, und welches alle Greuel einer in sich selbst zusammenbrechenden Stadt zur Anschauung bringen möchte, ließe sich eben- sowohl mit einem Tornado wie mit Erdstößen vereinbaren. — 1 590. Das Septemberbeben dieses Jahres ist durch die Chronisten Weng und Lemp sichergestellt; es war jedoch kein örtliches, son- dern es nahm nur der Rieskessel an einem weit- ausgedehnten Erzitterungsakte teil. Zimial aus Schlesien fehlt es nicht an einschlägigen Kund- gebungen, und in Wien schien der Stephansturm in Gefahr. — ■ 1601. Kißling verlegt dieses Ries- beben auf den 27. November, wogegen nach Lemp vielmehr der 7. September der kritische Tag ge- wesen wäre. Am 7. und 8. ds. Mts. merkte man auch Erzitterungen des Bodens in München, Augs- burg, Speyer und Frankfurt a. M., am stärksten aber in Basel, wo vielleicht der Herd des Bebens gelegen sein mag. — 1670. Ziemlich starkes Beben am 7. Juli im Ries, das auch in Augsburg, Donauwörth und Nürnberg wahrgenommen wurde. — 1690. Weng schreibt, daß am 24. November, nachts zwischen 3 und 4 Uhr, ein Erdbeben von Hunderten der Nördlinger Bürger konstatiert worden sei. Der Stadttürmer fürchtete, sein Turm, dessen Glocken von selbst anschlugen, werde mit ihm zusammenstürzen. Hohentrüdingen, am Rande des Riesbeckens, spürte die Stöße ziemlich kräftig, und in einem benachbarten Hügel sollen sich Risse und Klüfte gezeigt haben. Die im westlichen Ries gelegene Stadt Bopfingen will ein längeres Ausbleiben des Wassers der Brunnen konstatiert haben, welches hernach mit ganz unerhörter Wucht den Röhren entströmt sei. Städte des gegenwärtigen Königreiches, in denen man Zuckungen verspürte, waren München, Augs- burg, Regensburg, Passau, Straubing, Ingolstadt, Nürnberg, Rothenburg o. T., Bamberg, Kulmbach und Bayreuth. — 1728; für das Erdbeben, welches sich am 3. August ds. Jhrs. ereignete, sind bei V. Gümbel Anzeigen vom Oberrhein, von der Schweiz und von der Pfalz — u. a. fünf Stöße in Aschaffenburg — , nicht aber vom Ries zu finden. Es steht jedoch im Kirchenbuche von Lehmingen folgende Eintragung des damaligen Pfarrers J. P. Frank zu lesen: Am 3'" Augusti wurde auff vielen Observation sowohl in der nahe liegenden Residenzstadt Üttingen, als auch all- hier zu Lehmingen ein Erdbeben verspürt, welches aus einer Windstille, da dennoch der Erdboden und die darauff stehende Gebäude erschüttert, wollen geschlossen werden. Geschrieben Leh- mingen 1728. — 1755. Am I. November ds. Jhrs. war bekanntlich das große Erdbeben von Lissabon, und sank bekanntlich Portugals schöne Haupstadt in Trümmer. Ob man an einen Zusammenhang des Riesbebens vom 8. Dezember mit jener in den seismischen Jahrbüchern Europas einzig da- 700 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 44 stehenden Episode zu denken habe, muß dahin gestellt bleiben. Jedenfalls bedürfte diese Flut- verspätung einer besonderen Erklärung. Im ganzen liegt doch die Annahme eines „regionalen Riesbebens" näher, da insonderheit auch am 19. gleichen Monats Harburg, Donauwörth und Nördlingen betroffen wurden. Die Erschütterung des 8. Dezember machte sich am stärksten geltend im nördlichen Ries. — 1756. Während am 18. und 19. Februar bei Aachen und in der Eifel, diesem durch und durch vulkanischen tiebirge, die Erde sich bewegte, erzitterte das ganze Ries unter energischen Stößen. Solche sind auch in Worms, Nürnberg und Erlangen wahrgenommen worden. — 1769; für dieses Beben, das am 4. Au- gust stattfand, können wir uns auf eine authen- tische Berichterstattung von ersichtlich größerer Genauigkeit berufen. „1769, den 4. August, nach- mittag gleicli nach 4, um ein Viertel auf 5 Uhr, verspürte man in unserer Gegend im Ries ein Erdbeben. Der Stoß erschütterte fast die ganze Stadt 0 1 1 i n g e n , daß viele Leute taumelnd aus den Häusern gelaufen, das Geflügel in einigen Höfen in die Höhe geflogen, auf dem Rathaus die Glocken angeschlagen usw., wobey besonders auf dem Hauptturm der Stadt, auf dem Turm bei St. Jakob, nicht das mindeste davon bemerkt worden, da es doch rings umher das fürstliche Schloß und übrige Häuser merklich erschütterte." In Harburg war das Beben noch fühlbarer, und bemerkte man das Getöse sowohl vor als während der Erschütterung weit stärker als in (Jttingen, wie es auch gegen neun Sekunden, fast ein paar Sekunden länger, gedauert hat. Zu Donauwörth verspürte man mehrere Stöße, und eine Andauer von 10 Sekunden. Verschiedene Häuser bekamen Ritze und zwei Häuser wurden gespalten, die Ziegel von mehreren Dächern herabgeworfen, und drei Kamine sind eingestürzt. Einen Augenblick vor der Erschütterung hörte man einen Donner, und während desselben war das unterirdische Getöse sehr deutlich zu vernehmen. Der Patriot in Bayern äußert St. 7, auf dies Jahr S. 67, seine Gedanken über dieses Erdbeben, welches auch in München und tief ins Land hinein verspürt worden, und weiter St 8 S. 113. Die „Nördi. wöchentl. Nachrichten" aus dem Jahre 1769 liefern gleich- falls in Nr. 36, 38 — 41 eine nähere Beschreibung hiervon. Diese Art und Weise, über eine doch sehr rasch verlaufene Naturerscheinung zu refe- rieren, zeichnet sich in ihrem Streben nach Ge- nauigkeit vor anderen Gepflogenheiten früherer und auch noch späterer Zeit aus. — I77I- Dieses Beben war ein allgemeines. Korrespondenznach- richten liegen vor von Luzern nebst Umgebung, von Einsiedeln, Zürich, Memmingen, Schaffhausen, Stuttgart, Durlach und .'\ugsburg. Über diese Erschütterung im Ries schreibt Michel: „den II. August 1771 verspürte man wieder bey sehr geschwülem Himmel, vormittags um 9 Uhr, da man eben in der Kirch hier bey uns war" — in Ottingen — ein Erdbeben, welches manche in der Kirche mit Schrecken gefühlt. Es war nicht so stark, wie das letzte bei uns; desto stärker und empfindlicher aber in vielen anderen benach- barten Ländern und Städten.') — 1774- Hier- über berichtet Michel : -j „Den 10. September ver- spürte man zwischen 4 und 5 Uhr in Öttingen bei einer Stille und hellem Wetter abermalen ein Erdbeben. Der Stadtturm wankte, und die Glocken darauf bewegten sich bis zum Anschlagen. Im fürstlichen Schloß wurde der Stoß merklich verspürt, wie auch in vielen Gegenden und Häusern der Stadt. Innerhalb 50 Jahren ist das schon das fünfte Erdbeben in unseren Gegenden. Gedachtes Erdbeben verspürte man um eben diese Zeit an den mehresten Orten unseres Landes, besonders aber wurde es in der Schweiz mit Schrecken bemerkt. Der Stoß dauerte etliche Sekunden ; die Richtung des Erdbebens war von Süden nach Norden." Dieses Beben wurde auch in Straßburg, Beifort, Ansbach, Regensburg, am Vierwaldstälter-See wahrgenommen. — 1778. Ein echtes Riesbeben; denn nur in Augsburg und Ulm fühlte man Stöße, die zweifellos Ausläufer einer Epizcntralbewegung des Rieses waren, und außerdem in Orten, die diesem mehr oder weniger nahe angehören. Michel ist hier wieder unser Gewährsmann ^) „1778 verspürte man am 22. May", schreibt er, ,, abermalen frühe um dreiviertel auf 3 Uhr ein Erdbeben, welches von Mittag her gegen Morgen hinging. Hier in der Stadt ver- merkte man dasselbe nur an einigen Orten, zu Harburg aber und auf dem ganzen Hertsfeld, wurde davon, wie auch zu Wem d ing, Donau- wörth, Augsburg, Ulm usf ein heftiger Stoß empfunden, worauf ein etwas minderer erfolgte. Doch ging alles ohne Schaden ab. Herr Superint. Angerer zu Harburg gab mir eine nähere Nach- richt von diesem Erdbeben, wie es daselbsten einige, die auch dadurch teils aus dem Schlafe erweckt worden sind, bemerkt und empfunden haben, nämlich daß man bey dem ersten Stoß ein Geräusche in der Luft gehört, wie wenn ein großer Flug Staaren auf einer Haide aufsteht, — darauf ein starkes Schwanken erfolgte, so daß sich an allen denen Orten im Schlosse und Markt, wo dasselbe verspürt worden, alles aufgestellte Geräte in den Zinmiern und Stuben bewegte, aber nir- gends etwas beschädigte." — 1787. Am 27. Au- gust d. J. — um den Peissenberg herum an- geblicli berehs am 26. — hatten Unterwaiden, Luzern, Basel, Straßburg, Innsbruck, München, Kempten, Dillingen a. D., Pappenheim, Ansbach, Stuttgart, einen Erdbebentag. Das Ries verblieb einstweilen noch indifferent. Dafür setzte die Aktion hier um einen Tag verspätet ein. Wir wissen, daß Donauwörth, Harburg und Monlieim berührt wurden. — 1822. Nördlingen hatte am ') Michel, Beiträge zur Öttingenschen poliüsclien, kirch- lichen und gelehrten Geschichte, i. Teil, Öttingen 1779, S. 78. '') Ebenda 2. Teil, S. 252. 'j Ebenda 3. Teil, S. 58. N. F. VI. Nr. .^4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 701 26. November d. J. ein l-,rdbeben. Inwieweit man mit ihm dasjenige in X'erbinduiig zu bringen hat, welches sich zwei Tage später in München und Tübingen, sowie im ganzen Rheintale zwischen Heidelberg und Basel meldete, bleibt eine offene Frage. — 1855. Am 25. Juli 1855 erbebten Donauwörth, Harburg und Bissingen, drei süd- östlich vom Riesrande gelegene Orte. Auch Ingolstadt wurde leicht betroffen. — 1889. Im April d. J. erlebte das Vorries (VVemding, Bissingcii, Donauwörth) ein ausgesprochenes Erd- beben. Gleichzeitig machte sich ein Erregungs- zustand im ganzen Donautale zwischen Ulm und Donauwörth bemerkbar. — 1903. Die zweite und dritte Augustpentade waren außerordentlich erd- bebenreich, und zwar nicht nur in unserem Erd- teile. Da konnte auch das Ries sich der ^ilit- wirkung nicht entziehen. Eine erste Zeitungs- nachricht (Neues Münchner Tagblatt, 1903, Nr. 230 und 231) gab folgendes bekannt : „Am 11. August früh 5 Uhr wurden im Ries zwei leichte Erdstöße verspürt. Namentlich in Nördlingen und in den nahegelegenen Ortschaften Kleinerdlingen, Näher- memmingen und Wallerstein wurden die Stöße so fest wahrgenommen, daß die Hausglocken von selbst läuteten. Auch in Wemding wollen einige Bewohner die Erzitterung verspürt haben". Nach unseren Erkundigungen wurde das Reben noch gespürt zu Harburg, Amerdingen, Hohenaltheim, Herkheim und Hürnheim. Um die Ursachen dieser Erdbeben des Ries- kessels zu verstehen, müssen wir uns, wie schon früher angedeutet, auf geologische Wege be- geben. Nach unseren Untersuchungen ist die Ent- stehung des Rieses unzweifelhaft auf tektonische Ursachen zurückzuführen, und zwar glauben wir, allen Grund zu haben, behaupten zu dürfen, unser Gebiet gehöre in jene große Reihe von Quer- spalten, die an verschiedenen Orten den Jura durchsetzen und auf Einbrüche zurückzuführen sein werden. Chr. Gruber und zahlreiche andere Forscher haben diesen Gedanken bereits ausge- sprochen und unsere Untersuchungen bekräftigen vollständig deren Meinung, indem mehrmalige Exkursionen in das Ries und seine Umgebung uns den Bau dieses Erdstriches kennen lehrten. Daß diese tektonischen Störungen am Riesrande bis tief herein in die Ouartärzeit reichten, darf wohl als sicher angenommen werden, und manche Dislokationen, die wir am Anfange unserer Ab- handlung anführten, dürften auf solche Einstürze zurückzuführen sein.') Manche Erderschütterungen im Ries sind vielleicht besser als Relaisbeben zu bezeichnen, viele von ihnen jedoch können als selbständige Beben mit lokaler Natur bezeichnet werden. Der Umstand muß namentlich auch be- rücksichtigt werden, daß wir hier ein durch und durch vulkanisches Terrain vor uns haben. Darauf nun, daß im Bereiche anscheinend erloschener X'^ulkantätigkeit die seismischen Kräfte nur schlummern und sehr leicht zu erneuten, wenngleich nur kurzlebigen Betätigungen ihres Daseins erweckt werden können, wurde wiederholt aufmerksam gemacht, so u. a. von Ratzel mit 1 linweis auf die Zustände im westlichen Nord- amerika. Auch für Südamerika und für die Rand- gebiete des Toten Meeres sind von Darwin und Diener ähnliche Gesichtspunkte geltend ge- macht worden. Es braucht ein derartiges Erd- beben deshalb durchaus noch kein vulkanisches im technischen V\'ortsinn sein, so daß also mag- matischer Auftrieb die wahre Ursache der Er- schütterung wäre, es genügt vielmehr vollkommen, anzunehmen, daß durch die vulkanischen Kraft- äußerungen einer längst vergangenen Zeit ein Zustand der internen Lockerung geschaffen ward, der bis zum heutigen Tage nicht gehoben ist, und der zwar unter normalen Umständen nicht in die Erscheinung tritt, sich aber bei nur irgendwie günstiger Gelegenheit sofort zu erkennen gibt. (Siehe: S. Günther und J. Reindl, Seismologische Studien, Sitzungsberichte der math.-phys. Klasse der Kgl. Bayr. Akademie der Wissenschaften, Bd. 33, Heft 4 1903). Diese Riesbeben sind also ,,vulkanisch-tektonische", oder um einen Ausdruck W. Brancos zu gebrauchen, „unreine tektonische" Beben. Vielleicht würde es sich empfehlen, von gemischten Beben (siehe Günther, Geophysik, II. Tl.) generell zu sprechen, da es sehr wahr- scheinlich auch nicht an gelegentlichen unterirdischen Einstürzen fehlt , welche durch die mit der vulkanischen Aktion notwendig verbundenen Substanz Verluste bedingt sind. Inwieweit es künftiger, mit den modernen Hilfsmitteln ausgestatteter Forschungsarbeit ge- lingen wird, die „Seismizität" dieser hochmerk- würdigen Erdstelle noch tiefer zu durchschauen, muß die Zukunft lehren. Dr. Jos. Reindl. ') Siehe: v. Ammon, die Bahnaufschlüsse bei Fünfstetten am Ries und an anderen Punkten der Donau - Treucht- linger Linie. Geogn. Jahreshefte 1903, 16 Jhrg. ; ferner V. Ammon, die Scheuerfiäche von Weilheim in Schwaben, Jahresh. 1905, 18. Jhrg. Ein Stereoskopbild der Sonne ist von Haie mit Hilfe des Spektroheligraphen gewonnen worden. Die beiden im Lichte der K-Linie ge- machten Aufnahmen, von denen eine Reproduk- tion im Juniheft des Astrophysical Journal ver- öffentlicht ist, liegen um ein Zeitintervall von 10 Stunden auseinander. Die Originalplatten zeigen im Stereoskop nicht nur die Rundung des Sonnenballs, sondern lassen, wenigstens für die incisten Betrachter, den protuberanzartigen Cha- rakter und das wolkenähnliche Aussehen der „Calcium-Flocculi" deutlich erkennen, wenngleich diese sehr veränderlichen Gebilde im Verlaufe der Zwischenzeit von 10 Stunden ihr Aussehen schon ziemlich stark verändert hatten. Bei kürzerer Zwischenzeit würde aber der stereoskopische Effekt 702 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 44 vcrseiuviiidcn, wälircnd bei längerem Intervall die gar zu starken X'eränderungen der Gestalt der Mocculi die Vereinigung der beiden ]5ilder un- möglich machen würden. An der durch Auto- typie hergestellten Reproduktion ist übrigens der stercoskoi^ischc Kffekt überhaupt nicht mit Sicher- heit zu erkennen. Kbr. Das Mesothorium, ein neuer radioaktiver Köriicr. — Neun Jahre sind es her, seit C. G. Schmidt und S. Curie beinahe gleichzeitig die Radioaktivität des Thorium entdeckten. Inzwischen hat man erkannt, daß man es in Wirklichkeit nicht mit einem radioaktiven Körper zu tun hat, sondern daß das Thor deren stets eine ganze Menge enthält. Die l^rklärung dieses zunächst nierk- würtligen Verhaltens fällt der modernen, heute allgemein anerkannten Iheorie des Atomzerfalls nicht schwer. Hs sind danach die verschiedenen Sirahlenprodukte nichts anderes als Abkömmlinge des eigentlichen Thors, Körper, die durch den Zer- fall der Tlioriumatome entstehen. Zunächst zeigte es sich, daß man durch Fällung des Thors aus der Lösung des Nitrats mit Am- moniak einen Körjjcr abtrennen kann, der viel stärker aktiv ist, als die ursprüngliche Substanz. Dieser gleichsam als Beimengung auftretende Körper wurde mit Thor X bezeichnet. An die Auffindung des Thor X reihte sich sodaiui die weitere Kntdeckung, daß dieser Körper wieder eine Substai\z abgab, die nun alle Eigen- schaften eines indifferenten Gases aufwies. Da diese sog. Emanation nur vom Thor X, nicht aber von dem davon befreiten Rückstande ab- gegeben wurde, so war kein Zweifel, daß das Thor X aus dem Thor und die Emanation aus dem Thor X hervorging. Damit war die Reihe der Umwandlungen aber noch nicht erschöpft. Zeigte die gasförmige Emanation doch die interessante Eigenschaft, alle Körper, die mit ihr in Berührung kamen, radio- aktiv zu machen. Dies läßt sich nicht anders deuten, als daß die Emanation sich wieder um- wandelt und sich als aktiver Beschlag auf den um- liegenden Körpern absetzt. Damit nicht genug, ergab sich der Niederschlag aus dem X'erhalteii seiner Aktivität wieder als komplexer Natur. Man lernte ein Thor A, B und C unterscheiden. Damit schien nun zunächst die Kette der Zerfallsprodukte, die man als Zcrfallsreihe zu be- zeichnen [iflegt, vollständig zu sein. Ließen sich nach dieser Klassifizierung doch die komplizierten Erscheinungen der Thoraktivität ei klären. Ein Punkt erregte jedoch schon immer den Streit der Meinungen, das war die .Auffindung von inak- tivem Thor. Die Thorpräparate zeigten je nach ihrer Herkunft ganz verschiedene Aktivität. Dies inußte nach allem in einer Unregelmät^igkeit im Vorhandensein der Zerfallsprodukte gesucht werden. Es schien nicht leicht, diese Verhältnisse zu klären und damit auch von dieser Seite der .-Xtom- zcrfallstheorie zu vollem Ansehen zu verhelfen. Die Inaktivität gewisser Thorpräparale ließ zunächst vernuilen,') daß bei ihrer chemischen Darstellung etwa ein Zwischenprodukt ausge- schieden worden sei und dadurch die Besonder- heiten in der Aktivität geschaffen worden seien. Einiges Licht in die Sache schien die Ent- deckung von O. Hahn zu bringen, daß man in der Tat durch einen chemischen Prozeß beinahe die ganze «-Aktivität vom Thor abtrennen kann. Der abgetrennte Körper, der sozusagen die I laupt- strahlung des eigentlichen Thors ausmacht, erhielt den Namen Radio thorium. Der Entdeckung dieses neuen Körjjers folgte auf dem Fuße die Auffindung des entsprechenden Radioaktinium, dessen Existenz bei der weitgehenden Analogie zwischeti den Thor- und Akliniumprodukten zu erwarten war. An Hand der Kenntnis des Radiothors ließ sich nun offenbar die Inaktivität gewisser Thor- produkte erklären. Wurde bei dem chemischen Hcrstellungsprozeß etwa das Radiothor ausge- schieden, dann mußte die Aktivität des Thors ab- nehmen, da kein neues Thor X nachgebiklet wurde und die .Aktivität bei der äußerst langsamen Nachbildung von Radiothor aus dem Thor nur sehr langsam wieder erscheint. Allein, bei näherer Betrachtung der Verhält- nisse zeigte es sich, daß diese Auffassung die Er- scheinung nicht genügend erklären konnte, und stand man von neuem wieder derselben hart- näckigen hVage gegenüber. Erst durch die neusten Versuche von Hahn scheint nun völlige Klarheit in die Sache zu kommen. Hahn kommt zum Schluß, daß auch die Bildung von Radiothor aus Thor nicht direkt erfolgt, sondern daß auch hier noch ein Zwischen- glied existieren muß. Nachdem er die Existenz desselben durch eine Reihe von Versuchen als festgestellt betrachtet, gibt er dem neugefundenen Körper den Namen Mesothorium. Dieser Körper ist charakterisiert durch das Vorhandensein von p'-Strahlen und durch die Ab- nahme seiner Radioaktivität. Er verliert die Hälfte seiner Wirksamkeit in etwa 7 Jahren, während das Radiothor bereits in 2 Jahren die Hälfte seiner Aktivität einbüßt. Die Versuche von Hahn ergeben min das Resultat, daß das Mesothorium die Ursache aller Besonderheiten der Thorpräparate ist. Es wird nämlich bei der Herstellung der Thorsalze das Mesothorium abgetreiuU. Infolgedessen sinkt zu- nächst die .-Aktivität derselben, indem das Radio- thor und die weiteren l'rodukte zerfallen, ohne entsprechend nachgebildet zu werden. Nach einigen Jahren hat sich wieder etwas Mesothor gebildet, das dann auch wieder Radiothor liefert, und die Aktivität fängt nach einem nieder.sten Stand wieder zu steigen an. }is ist ersichtlich, daß namentlich die alten ') Sofern man die .Xktivität nicht etw.-i einer blolSen Beimengung einer fremden Substanz Eusclireiben wollte. N. F. VI. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 703 Thorpräparate viel Mesothorium ciUhallcii müssen. I Jahn ist es in der l'al aucii gelungen, aus solchen die neue Substanz abzuscheiden. Dies ließ sich daran erkennen, daß das erhaltene Präparat bei gleichem Emanationsvermögen eine unvergleich- lich viel stärkere ,:?Strahlung aufwies als das Radiothor oder gewöhnliche Thorpräparatc. Um die Substanz vollständig charakterisieren zu können, wird es noch von Wichtigkeit sein, ihre Hal- bierungskonstante genauer kennen zu lernen. Diese gibt die Zeit an, in welcher die Aktivität einer Substanz auf die Hälfte sinkt. Sie ist für jedes radioaktive Element eine Konstante und bezeichnet das sicherste Mittel zu seiner Identifizierung. Die 15cdeutung, die der Auffindung des Meso- thoriums zukommt, liegt insbesondere in der wohl endgültigen Klärung der I'rage nach den ver- schiedenen Thoraklivitäten. Von Interesse ist dabei noch der Umstand, daß nach den Ver- suchen von Hahn auch dem eigentlichen Thor eine schwache «-Aktivität zugeschrieben werden muß, und daß es also eigentlich gar kein inaktives Thorium gibt. Es existieren da- nach nicht 4 Thoriumprodukte mit «Strahlen, wie man früher annahm, sondern 6. Es ist vielleicht am übersichtlichsten, die ver- schiedenen Glieder der Thorreihe, wie sie aus- einander hervorgehen, mit dem Verzeichnis der von ihnen ausgesandten Strahlen in Kürze an- zuführen. Diese neueste von Hahn gegebene Zu- sammenstellung lautet: Thorium «-Strahlen Mesothorium fj- ,, Radiothorium c(- „ Thorium X a- „ Emanation a- „ Thorium A langsame ,j'- „ Thorium B\ , Thorium C) ""' 1'" "• ''' " Es liegt nahe, diese Reihe mit der entsprechen- den des Aktiniums zu vergleichen. Die Ahnen- gallerien dieser beiden Elemente weisen eine so frappante Ähnlichkeit auf, sowohl was die Reihen- folge der Produkte, als was die Eigenschaften der- selben betrifft, daß es wohl gerechtfertigt erscheint, auch fernere Analogien zu erwarten. Bisher hat man das eigentliche Thor sowohl als das Aktinium als strahlenlos angesehen. Be- sitzt nun ersteres aber «Strahlen, so kann man auch für letzteres solche vermuten. Ebenso wird nun die Auffindung des Mesothoriums zweifellos zu der allerdings hypothetischen Annahme führen, daß auch ein entsprechendes Mesoaktinium vorhanden ist. Es wird den weiteren Unter- suchungen auf diesem Gebiet vorbehalten sein, die Richtigkeit einer solchen Vermutung zu er- weisen. Bis dahin bleibt das Mesoaktinium ein bloßer Name. Dr. H. Greinacher (Zürich). Aus dem wissenschaftlichen Leben. .MLiurice L o c \v y r. W'iUirond einer Sitzung starb in- loigo eines Schlaganfalls der Direktor der Pariser Sternwatte, M. Loewy, im Alter von 74 Jaliren. Ein Wiener von Geburt, kam L. in jungen Jaliren nach Paris, fand 1864 am Obser- vatorium Anstellung und avancierte 1878 zum Subdirektor, 1896 zum Direktor desselben. Sein Ilauptverdienst liegt neben der organisatorischen Tätigkeit auf dem Gebiete der Ilimmelsphotographie. Insbesondere wird der von ihm in (icnieinschaft mit Puiseux herausgegebene photographische Mondatlas seinem Namen einen bleibenden Platz in der Ge- scliichtc der Sternkunde sichern. Bücherbesprechungen. Prof. Dr. H. E. Ziegler, Zoologisches Wörter- buch. Erklärung der zoologischen Fachausdrucke. Zum Gebrauch beim Studium zoologischer , ent- wicklungsgeschichtlicher und naturphilosophischer Werke, verfaßt von Dr. E. Breßlau, Privatdozent in Straßburg i. E., Prof. Dr. J. E i c h 1 e r in Stutt- gart, Prof. Dr. E. Fraas in Stuttgart, Prof. Dr. K. Lampert in Stuttgart, Dr. Heinrich Schmidt in Jena und Prof. Dr. H. E. Ziegler in Jena. Erste Lieferung A — F, 224 S. mit 196 Abbildungen im Text. Verlag von Gustav Fischer in Jena 1907. — Preis der Lieferung I 3 Mk., vollständig in 3 Lieferungen. Das Werk, von dem uns hier die erste Lieferung vorliegt , verdankt seine Entstehung und seinen ver- hältnismäßig billigen Preis einem auf einem ganz anderen Gebiete hochverdienten Manne, dem ver- storbenen wirklichen Geheimrat Friedrich Alfred Krupp. Es will vor allem dem gebildeten Laien, der ein tieferes Verständnis für die Schriften über Deszendenztheorie etc. gewinnen möchte , Auskunft über die vielen technischen Ausdrücke geben. — In der Tat erscheint uns das Buch für diesen Zweck ganz vorzüglich geeignet: Es wird handlich sein und doch findet der Lehrer der Naturwissenschaften, der nicht speziell Zoologe ist und sein kann, der Studierende der Zoologie, der Arzt etc. in demselben alles, was beim Studium allgemein zoologischer Bücher als be- kannt vorausgesetzt wird. Auch der belesenste Zoologe wird übrigens vieles aus dem Buche er- sehen können. Ihm gegenüber dürften allerdings einige Bemerkungen am Platze sein. — Jeder Zoologe wird sich darüber klar sein, daß es nicht leicht ist, ein zoologisches Wörterbuch zu schreiben. Hält man sich nämlich für berechtigt, in einem solchen Buche alle technischen Ausdrücke der Wissenschaft zu suchen, so muß diese Forderung von vornherein als un- erfüllbarbezeichnet werden. Technische Ausdrücke sind in der Zoologie auch alle Speciesnamen. Eine Definition aller Artbegrifle aber würde einem Werke gleich- kommen, das augenblicklich unter dem Titel ,,Das Tierreich" erscheint. Es würde einen ganz ungeheuren Umfang annehmen. Auch ein Eingehen auf alle kleineren Gruppen, auf Gattungen und Untergattungen würde viel zu weit ftüiren. Eine Beschränkung war also, wenn der Umfang nicht zu sehr anschwellen sollte, in weitestem Maße erforderlich. Von diesem Standpunkte aus muß man an die Beurteilung des 704 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 44 vorliegenden Buches herantreten und es ist die Frage, wo die Grenze zu ziehen war. — Der Zoologe wird wün- schen, daß wenigstens alle Unterordnungen und Familien berücksichtigt werden, selbst wenn Umfang und Preis sich dadurch erheblich höher stellen würden. Die Ver- fasser haben sich trotzdem zugunsten eines weiteren Publi- kums entschieden und geben nur die bek a n n t c ren Unterordnungen, Familien, Gattungen und Arten. — Noch in anderer Beziehung könnte der Zoologe unzufrieden sein. Nachdem man sich international über Nomen- klaturregeln geeinigt hat, werden augenblicklich viele Namen geändert und durch ältere ersetzt. Manche Autoren kümmern sich um diese Änderungen der Systematiker nicht. Andere aber, auch Anatomen, Physiologen etc. nehmen die neu eingeführten Namen an. Natürlich sind diese Namen allen Zoologen nicht geläufig und deshalb sucht man gerade über sie Auskunft in seinem Wörterbuch, aber vergeblich. — Von derartigen speziellen Wünschen müssen wir ab- sehen, dann können wir das vorliegende Buch in jeder Hinsicht aufs Wärmste empfehlen. Dahl. Anregungen und Antworten. Herrn G. U. in Warstade. — Das Problem desTran- spirationsstromes. Es ist eine schon seit langer Zeit bekannte Tatsache, daß der als ,, Transpirationsstrom" bezeichnete Wasserstrom bei holzführenden Gewächsen sich lediglich im Holzkörper bewegt, dagegen ist man über die bewegenden Kräfte dieses Transpi- rationsstromes noch nicht im klaren , sowie über die weitere Frage, in welchen Elementarorganen des Holzes die Leitung des Wassers nun \or sich geht. Als bewegende Kraft zog man zunächst den ,, Wurzeldruck" heran ; daß aber der Wurzel- druck den Auftrieb für den Transpirationsstrom nicht besorgen kann, erklärt sich aus der Beobachtung, daß derselbe bei vielen Pflanzen nur eine sehr geringe Höhe erreicht oder ganz fehlt. Auch auf Capillarität kann der Transpirationsstrom deswegen nicht beruhen, weil die zusammenhängenden Capillaren bei vie- len Pflanzen (z. B. den Conifcren) vollständig fehlen, bei anderen Pflanzen nur auf verhältnismäßig kurzen Slrecken dieselben durchziehen. Ferner hat man den Luftdruck für das Steigen des Stromes verantwortlich zumachen gesucht; aber auch diese Kraftquelle hat sich als hinfällig erwiesen. Daher lag es nahe, bei diesem Prozeß an eine iVIitwirkung der lebenden Zellen zu denken, die im Holzkörper überall verteilt liegen. Aber durch die Versuche Strasburgers ist klargelegt worden, daß eine IVIitwirkung dieser lebenden Elemente bei dem Transpi- rationsstrom wohl endgültig ausgeschlossen ist. Nach den neueren Untersuchungen sind die Elementarorgane der Wasser- leitung die Gefäße und die Tracheiden, die in ihrer Gesamt- heit ein die ganze Pflanze durchziehendes System von Wasser- leitungsröhren bilden. Im allgemeinen sind die Gefäße und Tracheiden übereinstimmend gebaut. Der Hauptunterschied beider besieht darin, daß die Tracheiden ringsum geschlossene Membranen besitzen und demnach ihre Zellenindividualität bewahrt haben, während die Gefäße aus reihenweise unter- einander verschmolzenen Zellen entstanden sind und demnach Zellfusionen vorstellen. Auch im ausgebildeten Zustande des Gefäßes sind die Zellen, aus denen es hervorgegangen ist, als seine Glieder deutlich unterscheidbar. Die Tracheiden sind meistens von langgestreckter, prosenchymatischer Gestalt. Die Wandungen der Gefäße und Tracheiden sind stets partiell verdickt. Nach der Form der Verdickungsmassen unterscheidet man Ring- und Spiralgefäße, Netz- und Leitergefäße, ein- fach oder behoft getüpfelte Gefäße. Alle die hier genannten Verdickungswcisen haben die gleiche Aufgabe, nämlich eine genügende Aussteifung der Röhren zu bewerkstelligen, ohne einem eventuellen Stoffaustausche mit den benachbarten Ele- menten hinderlich zu sein. Die Notwendigkeit solcher Aus- steifungen ergibt sich aus dem Umstände, daß die Tracheiden und Gefäße als tote Elementarorgane keinen Turgor entwickeln und deshalb den Überdruck der angrenzenden Parcnchym- gcwebe auszuhallen haben. Sie führen deshalb nur Wasser und Luft als Inhalt. Aber die Gefäße und Tracheiden sind nicht bloß wasserhaltige, sondern zugleich auch wasserleitende Organe, wobei sich das Wasser im Lumen derselben bewegt. Für die kleineren Pflanzen reichen die Talsachen vollkommen aus, um den Vorgang der Wasserleitung in ihren Gefäßen und Tracheiden genügend verstehen zu können. Anders dagegen liegt die Sache bei den hochstämmigen Bäumen, bei denen das Problem des Saftsteigens von großem Interesse ist. Hier tauchen sofort eine Reihe von Schwierigkeilcn auf, welche eine endgültige Lösung des Problems sehr schwer machen. Ferner sind die Betriebskräfte, die für die Hebung größerer Wassermengen auf beträchtliche Höhen erforderlich sind, bei den Pflanzen noch nicht näher untersuch!. Jetzt will man das Steigen des Transpirationsstromes dadurch erklären, daß in den Gefäßen und Tracheiden Luft - Wasserketten — sog. Jaminsche Ketten — auftreten, die durch entsprechende Be- triebskräfte verschoben werden. P. Beckmann. Herrn E. M. — Welches ist der Name des Ptiänzchens mit kleinen roten Beeren, welches kleine grüne Polster bildend, jetzt sehr oft in Blumenläden zu sehen ist ■ Diese sehr hübsche Pflanze heißt Nertera depressa Banks et Sol. und gehört zur Familie der Rubiaccen. Die Gattung Nertera kommt hauptsächlich von dem Norden Süd- amerikas bis zur Magellianstraße längs der Anden, in Neu- seeland, Australien, auf den Sandwichinseln und in den Ge- birgen des Malayischen Archipels vor. Es sind meist kleine, zierliche, niederliegende Kräuter mit kleinen, kreuzständigen' Blättern und interpetiolaren, sjiitzen Nebenblättern, die an den Blattstielen scheidig verbunden sind. Die Blüten sind achsel- ständig, sitzend. Wegen der rotgelben, kugeligen Beeren wird Nertera depressa häufig als Zierpflanze kultiviert. Wie heißt die sehr oft in Töpfen gezogene Pflanze mit immer- grünen, lorbeerähnlichen, gefleckten lederartigen Blättern? Diese Pflanze heißt Aucuba japonica Thunbg. und gehört zu der Familie der Cornaceen. Es ist ein Strauch mit kahlen, gabelig verzweigten .Asten, gegenständigen Blättern von meist eiförmi- ger bis lanzettlicher Gestalt und lederiger HeschafTenheit. Die Blüten sind klein, diöcisch, und stehen in endsländigen, dicha- sial verzweigten Rispen, die anfangs von Hochblättern umhüllt sind. Es sind von Aucuba 3 einander sehr nahestehende Arten bekannt: A. japonica Thunbg. (japanisch: Aoki'l in Japan und Korea heimisch, A. chinensis Benth. in China, A. h i - malaica Hook. f. et Thoms. im ösüichen Himalaja, von A. j a p o n i c a durch etwas schmälere Blätter und stärker behaarte Rispen verschieden. A. japonica wird bekanntlich bei uns häufig als Zierpflanze, vorzüglich als Topfpflanze kultiviert; man sieht besonders Varietäten mit weiß oder gelb gefleckten (panachierten) Blättern. Die Pflanze wurde 1783 in Europa eingeführt und zwar in weiblichen Exemplaren, welche die bekannten panachierten Blätter zeigten. Erst später gelangte die männliche Pflanze hierher. Der Strauch gewährt mit seinem dunklen Laube im Schmucke der roten Beeren einen präch- tigen Anblick. P. Beckmann. Herrn Cl. K. aus Wilnsdorf. Das von Ihnen eingesandte Exemplar konnte als Dianthus barbatus L. bestimmt w'erdcn. InliaBt: Dr. H. Wülbling: Theorie der Losungsreaktionen. — Kleinere Mitteilungen: Dr. Jos. Reindl; Das vulka- nische Ries und seine Erdbeben. — Haie: Ein Stereoskopbild der Sonne. — O. Hahn: Das IVIesothorium. — Aus dem wissenschaftlichen Leben: M aurice Lo e wy f. — Bücherbesprechungen: Prof. Dr. H. E. Zieg- 1er: Zoologisches Wörterbuch. — Anregungen und Antwforten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. II. Potonie, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. {G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H, Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neoe Folge VI. Band; der ganzen Reihe XXII. Band. Sonntag, den 10. November 1907. Nr. 45. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten , wie bei der Expedition. Der Halbjabrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. Unterschiede des Bodens in Steppen verschiedener Klimate. [Nachdruck verboten/ Vun Ferdinand Gessert in Inachab, Deutsch-Südwest-Afrika. In Steppen spielt beim Ackerbau die künst- liche Bewässerung eine große Rolle. Die Art derselben ist sehr verschieden je nach dem Cha- rakter der Steppe; und Berieselungsverfahren, die sich in einer Gegend bewährt haben, können in anderen Strichen zu wirtschaftlichem Mißerfolg führen, abgesehen von Klima und Ackerkrume, wegen der Verschiedenheit des Untergrundes. In manchen Gegenden z. B. erfordern Zuleitungs- kanäle Auszementierung, in anderen Ländern kann man auf Dichtung ohne beträchtlichen VVasser- verlust verzichten. Die Steppen lassen sich einteilen in solche mit vorwiegend aufsteigendem und solche mit vorwiegend absteigendem Luftstrom. Je nachdem ein barometrisches Minimum oder Maximum im größeren Teil des Jahres über einer Steppe lagert, hat man es zu tun mit Bodenverwitterung bei überwiegendem VVindfraß oder mit Lößablagerung. Danach liegt die Verschiedenheit an der geo- graphischen Breite, indem sich größere Lößablage- rungen nur in höheren Breiten finden. In den Tropen nahen Steppen und Wüsten wie der Kalahari, überhaupt Südafrika und der Sahara, wird aller feine Staub weggetragen und es bleibt nur Sand von einer bestimmten Korn- größe an liegen, sofern die feineren Partikel nicht durch Lehm, Kalk oder ein anderes Material ver- kittet dem Winde entzogen werden. Die Tiefenwinde wehen zur Steppe hinein, heben sich erhitzt und tragen als Höhenwinde den Staub aus der Steppe hinaus, um bei dem nächstliegenden barometrischen Maximum den- selben sinken lassen, in Südafrika in die kalte Meeresströmung , die sich an der Küste des deutschen Schutzgebiets nordwärts zieht, bei der Sahara in das kalte Wasser, das in der Gegend der Azoren an die Oberfläche steigt. Der Steppenstaub ist zum nicht geringen Teil vege- tabilischen Ursprungs, und hierauf dürfte zum Teil der große Fischreichtum kalter Meeresströmungen beruhen. Wie große in den Ozean mündende Ströme, so sind auch diese Steppenwinde eine dauernde Nahrungsquelle der Meeresfauna. Wie aus dem Meere das verdunstete Wasser über die Länder getragen wird, so entführt die Luftzirkulation den subtropischen Wüsten den Staub. Während dem Meere die Gabe durch die Flüsse ständig ersetzt wird, ist in diesen Wüsten der Substanzverlust ein dauernder. Und wie ge- ring die Staubmenge auch sein mag im Verhältnis zu der Wassersäule, welche in diesen Breiten bei 7o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 45 offenem Wasser jährHch verdunstet, im Laufe un- gezählter Jahrtausende werden Hunderte ja Tau- sende von Metern von der Gebirgshöhe abge- tragen. In subtropischen Steppen beruht die Ober- flächenverwitterung hauptsächlich auf Gesteinszer- fall infolge von plötzlichen hohen Temperaturdiffe- renzen und auf Windschliff unter Sandgebläse, während die chemische Zersetzung in größeren Tiefen ihre Arbeit tut, wo die sengende Sonne nicht den notwendigen Wassergehalt raubt. Sie lockert teils den Boden und gibt ihn dem Wind- fraß preis, wenn die Deckschicht abgetragen, oder verkittet ihn je nach Umständen. In diesen Ländern findet sich daher vorwiegend die mehr oder minder grobkörnige Sandwüste und die Steinwüste, die Hamada der Sahara. Unter dem Schutze des Sandes bereitet die Feuchtigkeit durch chemische Zersetzung den vielfach trostlosesten Typus, die Lehmwüste, vor. Wenn der Wind die Gebirge abgeschliffen hat, die letzten Inselberge und Zeugen verschwun- den sind, so ist auf der endlosen Fläche kein Material zu neuer Sandbildung vorhanden. Die Sandkörner werden allmählich zerrieben bis zu der Feinheit, daß sie die Wirbelwinde zunächst fassen, dann auch die steifen Brisen, die sich im Sommer allmittäglich einstellen, und die Höhen- winde sie fortführen. So wird der Staubmantel allmählich kleiner, bis endlich der nackte Lehm und Ton zutage tritt, zunächst fleckenweise, die Vleyen und Pfannen, die ständig an Ausdehnung wachsen. Mit der Bodenänderung geht der floristi- sche Wechsel Hand in Hand. Da sich die tiefsten Stellen leichter mit Wasser füllen, zeigen die Lehmvieyen einen üppigerenPflanzenwuchs, während auf der Tonpfanne alle Vegetation erstirbt. Ganz ähnlich ist der Übergang der Sandsteppe zur Kalk- pfanne. Wo Flüsse aus Mergel- oder Tonschiefer- gebirgen auf einer Sandebene verlaufen, wird nicht selten diese durch die Sedimente allmählich in eine Lehmfläche verwandelt, doch häufig ist die örtliche Bildung des Lehms unverkennbar durch anstehendes, in spitzem Winkel einfallendes Schiefer- gestein. In anderen Fällen beweist die gerad- linige Anordnung von Büschen und Kräutern, z. B. Anastica, in langen Parallelzügen häufig durch gleichartige rechtwinklig geschnitten, daß unter wechselnd dünner Lehmschicht ähnliche Schiefer- riffe stehen. Wo Sanddünen nahe der Lehmfläche liegen, wird diese, besonders an Buckeln, streifenförmig ausmodelliert. Bei der meist geringen Dicke der lockeren Verwitterungsschicht sinkt das Regenwasser nicht sonderlich tief. Wo sich örtlich etwa durch Ge- birgsbäche eine größere Menge Gesteinsschutt angesammelt hat, mit feinerem Grunde unter- mischt, wirkt die im Verhältnis zum Regenfall nicht geringe Bodenfeuchtigkeit zersetzend. Die Verwitterungsprodukte werden aber nicht, wie in humiden Ländern durch Quellen weggetragen, sondern, infolge der Verdunstung der Bodenfeuch- tigkeit im Sommer, in tieferen Schichten wieder abgesetzt, welche hierdurch verkittet werden. Dasselbe gilt vom Sande feuchterer Steppen, da dieser Sand keineswegs reiner Ouarzsand ist, viel- mehr aus mancherlei Bestandteilen gemischt ist. Nicht selten läßt sich beobachten, daß, wenn eine Sanddüne etwa wegen Beraubung ihres Busch- wuchses vom Wind abgetragen wird, sie als Kern einen Lehmhügel besitzt. Wegen der geringen Durchlässigkeit des Unter- grundes hält der Boden einmal empfangene Feuch- tigkeit lange. Während in regenreichen Ländern die Saaten welken, wenn nur wenige Wochen der Regen aussetzt, bringen Getreide und Cucurbita- ceen die Frucht zur Reife, wenn vor der Aussaat der Acker wassergesättigt war, auch wenn während der Vegetationszeit sich kein Niederschlag ein- stellt. Dieses Phänomen findet weitere Erklärung in der großen Hygroskopie des nährsalzreichen Bodens, der kapillarischen Aktivität bei relativ hohem Grundwasserstand. Die subtropischen Steppen sind sehr arm an Humus an der Oberfläche trotz minimaler chemischer Zersetzung wegen der Windsaigerung des Bodens. Wegen geringen spezifischen Ge- wichtes wird liumöser Staub zunächst gefaßt. Wo auf einer Lehmfläche monatelang allnächtlich Vieh stand, ist wenig Wochen, nachdem das Vieh weggetreckt ist, aller Mist weggeblasen. Wo da- gegen Vieh eng zusammengekraalt war, so daß der Mist durch den Urin zusammengekittet wurde, hält er sich jahrzehntelang. So ist bei Gaams- geis z. B. nahe Inachab eine Mistablagerung des Viehs der späteren Grootfonteiner Bastards aus den siebziger Jahren, die noch jetzt Ammoniak ausscheidet. Bekannt ist, wie lange sich Guano- lager konservieren. Das beweist die geringe che- mische Zersetzung, die geringe Verwitterung über- haupt, wofern dem Wind kein Anhaltspunkt ge- geben wird. In den Schichten bereits, aus denen die Wur- zeln ihre Nahrung ziehen, ist zeitweise mindestens hinlängliche Feuchtigkeit für chemische Auflösung der Pflanzenstoffe. Auch wo sich Lehm offenbar örtlich gebildet hat, ist er vielfach mit Röhrchen durchzogen, den Gängen ehemaliger Wurzeln, so daß der Boden dem Löß sehr ähnlich sieht, aber nur in den obersten Schichten, tiefer fehlt ihm die Porosität. Im Gegensatz hierzu sind die Steppen der ge- mäßigten Zone reich an Humus, z. B. die Schwarz- erde Rußlands. Abgesehen davon, daß es den Steppen der gemäßigten Zone in den tieferen Schichten im Verhältnis zu heißen Steppen zu intensiver Zersetzung an Wärme gebricht, ist der Löß vorwiegend aus chemisch nicht mehr weiter verwitternden Teilen zusammengesetzt. Außer der Inkrustierung der Wurzelröhrchen gebricht es an einem Zement zur Verkittung der Bodenkörner, wohingegen die örtliche Verwitterung heißer I N. F. VI. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 707 Steppen einen so undurchlässigen Untergrund schuf, wie er in gemäßigten Breiten etwa in der Ortsteinbilduiig eine Parallele findet, wenn auch auf ganz anderen Ursachen beruhend. Diese Verschiedenheit des Untergrundes er- klärt den Unterschied in der Quelibildung in beiden Steppenformen. Kalte Trockensteppen sind überreich an mächtigen Schuttablagerungen, da der Wind nicht hinreicht, das Gesteins- material zu zermahlen und wegzutragen, im Gegen- teil Arbeit genug hat mit dem Staub, den die nächtlich abflauenden, aus niederen Breiten kom- menden Winde sinken ließen. Die Quellen sind deshalb meist in halber Bergeshöhe, dort wo das Wasser noch nicht in die Schutthalden versinken konnte. Wo Quellen fehlen, wissen die Einge- borenen in ähnlicher Lage wasserführende Schichten zu finden. So treiben die Perser oberhalb der Schutt- halden Stollen in die Berge und leiten das Wasser in Rohren oder undurchlässigen Kanälen in ihre P"elder und Gärten. In warmen Steppen dagegen finden sich die Quellen auf der tiefsten Stelle der Talsohle, da gerade die Täler wegen ihres größeren Wasserreichtums chemisch am tätigsten sind und den undurchlässigsten Untergrund haben. Wo am Bergeshang in warmen Steppen Quellen auf- treten, sind es Mineralquellen. Wie der Staub aus warmen Steppen teils zum barometrischen Maximum über einer kalten Meeresströmung hingetragen wird , so anderer- seits nach den wechselnden Maxima über kalten Steppen. So sind die warmen Steppen teils dem Ozean, teils den kalten Steppen tributär. Der aus der südlichen Sahara mit Staub er- füllte, aufsteigende Luftstrom zieht als Höhenwind nördlich und wird wegen der großen Fliehkraft niederer Breiten östlich abgelenkt und läßt über Mesopotamien, Iran, Turkestan seinen Staub fallen bis in die Lößflächen der chinesischen Steppen hinein, nicht immer auf direktem Wege; den Staub, der heute Nacht fällt, wirbelt eines Mittags ein Sturm wieder auf und der Höhenwind trägt ihn eine Station weiter. Die beiden Hauptsteppenarten gehen allmählich ineinander über. Als Grenze läßt sich etwa die Scheidelinie der soinmerlichen Gewitterregen und der Länder mit vorherrschendem Winterregen angeben. Die Gebiete greifen vielfach ineinander über. In warmen Steppen kann durch Lokalverhältnisse, durch größere Seen oder üppige Vegetation auf weit ausgedehnter Hußebene örtlich der Staub- niederschlag den Windfraß übertreffen. Wo der- artige X'erhältnisse häufig vorkommen, wie bei Südamerikas Llanos, ist der Typus der warmen Steppe wegen günstiger Regenverhältnisse nicht ausgeprägt. Man könnte da als dritte Form die tropische Steppe aufstellen, wie sie auch Süd- afrika im Ambolande und der nördlichen Kala- hari aufweist. Sie zeichnet sich aus durch Humus- reichtum im Untergrund, während trotz der reichen Vegetation der Sand der Oberfläche vom Wind ausgesaigert ist. Wegen des jahreszeitlichen Wechsels würden die Steppen der gemäßigten Zone im Sommer den warmen Steppen zuzurechnen sein, aber sie sind weniger warm als die Steppen der heißen Zone. Deshalb überwiegt der Import von Staub den Export, um so mehr, da auf die warmen Tage kühle, häufig windarme Nächte folgen, in denen der Staub niedersinkt. Die Erhaltung menschlicher Bauwerke alter Zeiten ist abhängig von der Art der Steppe. Doch kommen da viele Unterschiede vor, je nachdem im Tal oder auf Bergen gebaut ist. Im allge- meinen war der Staubniederschlag in den Mittel- meerländern und Mesopotamien der Konservierung günstig durch Einbettung der Ruinen. Für den zurzeit die Vegetation nährenden Boden läßt sich die Regel aufstellen, die manche Ausnahmen zuläßt, daß man es in Windfraßsteppen mit jungem Verwitterungsboden zu tun hat, auf Ablagerungssteppen ebenfalls mit jungem Boden, dem aber sehr alter Boden unterlagert. Forst- wirtschaftlich ist das von Wichtigkeit, da in ersterer Steppenform für Baumanpflanzung die Dicke der Verwitterungsschicht nicht hinreicht, selbst wo bei völlig ebener Lage Wasserspülung ausge- schlossen ist. Umgekehrt schließt die zweite Steppenform durch zu große Durchlässigkeit Auf- forstung aus. Agrikulturen ist die P'rage des Bodenalters von geringerer Wichtigkeit, wo sich der Landbau auf die Schwemmlandebenen der Flüsse beschränkt. Wollte man aber die Ausnutzung der Berghänge für Obstbau, wie sie in den Mittelmeerländern und. Californien üblich ist, im Namaland nach- ahmen, so würde man auf Schwierigkeiten stoßen, auch wenn die Wasserfrage gelöst ist. Es fehlt meist da an Boden. Von Wind und Wasser ist er weggetragen in die Täler. Da nun trockne Hochsteppen stark an Nacht- frösten leiden und diese besonders in den Tälern auftreten, da die kalte Luft niedersinkt, so würden in einigen Strichen Californiens manche Obstarten ausgeschlossen sein, wenn man sie nicht an Ab- hängen züchten konnte. Doch ist das Tafelgebirge des Namalandes in seinem Aufbau so überaus mannigfaltig, daß dieser Umstand nur lokal die Auswahl der anbaufähigen Obstsorten beschränkt. Wie einschneidend die Nachtfröste immerhin sind, mag man daraus ersehen, daß bei Geigoab die Feigenbäume alljährlich bis zur Wurzel erfrieren, während auf Bethanien, obwohl etwa i 50 m höher gelegen, dieser Baum gut gedeiht, tiewöhnlich scheinen weite Täler mit starkem Gefälle beson- ders nahe der Ausmündung auf eine Ebene von Nachtfrösten weniger heimgesucht zu werden. Doch die Ähnlichkeit der Lage von Bethanien und des Gartens bei Geigoab bestätigt diese Regel nicht. Es scheinen also noch andere Fak- toren mitzuspielen. 7o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 45 Über einige Beziehungen zwischen Wasser, Boden und Pflanze. [Nachdruck verboten/ Von Dr. Heinrich Bünger. Das Leben der Pflanze ist an ganz bestimmte Gesetze und Bedingungen gebunden, die erfüllt sein müssen, wenn eine normale Entwicklung stattfinden soll. Alle Pflanzen gebrauchen zum Aufbau ihres Körpers eine bestimmte Anzahl von Nährstoffen; fehltauch nur einer der notwendigen Nährstoffe , so bringt es keine Pflanze zu einem erheblichen Wachstum, sie krankt und geht zu- grunde, ohne den Endzweck ihres Daseins, die Bildung keimkräftigen Samens, erreicht zu haben. Zu den für das Gedeihen aller pflanzlichen Organismen unerläßlichen Bedingungen zählt auch das Wasser. Bei der ausgedehnten Anwendung künstlicher Düngemittel bei der Kultur unserer Nutzpflanzen haben wir die Versorgung der Pflan- zen mit den Nährstoffen im engeren Sinne so ziemlich wenigstens in unserer Hand. Anders mit dem Wasser. Die Wasserzufuhr müssen wir in den meisten Fällen der Natur, den natürlichen Niederschlägen, überlassen; in trockenen Klimaten, in trockenen Jahren und auf zur Trockenheit neigenden Standorten ist die Entwicklung der Pflanzen daher, wenn Nährstoffe genügend vor- handen sind, direkt von der Wasserversorgung abhängig. Welche Rolle fällt nun dem Wasser im Lebens- haushalt der Pflanze zu? Die frische Pflanzensubstanz besteht zu ihrem größten Teil aus Wasser; loo Teile grünes Gras oder Getreide enthalten 85 — 90 Teile Wasser, manche Pflanzen und Pflanzenteile noch mehr. Außerdem liefert das Wasser der Pflanze die bei- den Nährstoffe Wasserstoff und Sauerstoff, die einen bedeutenden Teil der Trockensubstanz aus- machen. Das Wasser dient also zunächst dem direkten Aufbau des Organismus. Aber noch mehr. Außer diesem direkten Anteil an der Produktion der Pflanzensubstanz hat das Wasser eine weitere, nicht minder wichtige Aufgabe; es dient als Lösungs- und Transport- mittel für alle die Stoffe, die die Pflanze durch ihr Wurzelsystem aus dem Boden aufnimmt. Ohne Wasser keine Nahrungsaufnahme , ohne Nahrung kein Wachstum, kein Leben. In längst vergange- nen Zeiten, in denen von einer eigentlichen Natur- wissenschaft noch keine Rede sein konnte, in denen die Gesetze der Ernährung der Pflanzen noch vollkommen im Dunkel lagen , galt bereits der Satz: Corpora non agunt nisi fluida. Dieses Ge- setz gilt auch heute noch, zumal bei der Ernäh- rung der Pflanze. Das Wasser, unterstützt durch lösende Bestandteile, wie Kohlensäure, Humus- säure, saure Abscheidungen der Wurzeln, führt die Bodennährstoffe in Lösung über und tritt so nicht als reines Wasser, sondern als verdünnte Nährlösung in die Pflanze ein. Wir sahen vorhin bereits, daß die frische Pflanzenmasse zum weitaus größten Teil aus Wasser besteht. Trotzdem ist das nur der ge- ringere Teil, den die Pflanze während ihres Le- bens gebraucht. Solange die Pflanze lebt, ist ein ständiger Wasserstrom in Bewegung, der durch die Wurzeln eintritt und durch die Blätter als Wasserdampf wieder austritt. Sowohl die ganze Cuticula als aucli besonders die .Spaltöffnungen vermitteln die Kommunikation mit der .Außenluft. Wenn wir nun in irgend einem Gefäß eine Lösung von Salzen eindampfen, so verdampft das Wasser allmählich und als Rückstand verbleiben die vor- her gelösten Salze ; ganz ähnlich ist der Vorgang, der sich in der Pflanze abspielt. Das Wasser tritt als Nährlösung, wenn auch sehr verdünnt ein, verdunstet als reines Wasser (destilliertes Wasser) und als Rückstand bleiben in der Pflanze die vor- her gelösten und dem Boden entnommenen Salze zurück. Diese Stoffe werden nun weiter in der Pflanze verarbeitet, verrichten z. T., soweit sie in notwendigen Nährstoffen bestehen, wichtige Funk- tionen und werden als Bausteine zum Aufbau der organischen Pflanzensubstanz verwandt. Wir begreifen nun, von welch großer Bedeu- tung die ausreichende Durchfeuchtung des Bodens für die Nahrungsaufnahme der Pflanze ist. Die Pflanze vermag dem Boden jedoch nicht alles Wasser zu entnehmen, das überhaupt darin enthalten ist. Ein Boden, der für das Pflanzenleben bereits zu trocken ist, in dem die Pflanzen zu welken be- ginnen und schließlich absterben, braucht noch längst nicht absolut trocken zu sein. Bei der Trockensubstanzbestimmung eines solchen Bodens wird immer noch Wasser sich nachweisen lassen. Allerdings ist der Grad an Trockenheit, bis zu dem die Pflanze noch leben kann , von verschie- denen Umständen abhängig. Je fester der Boden das Wasser hält, desto größer ist seine relative Trockenheit für die Pflanze und umgekehrt, d. h. einem schweren Tonboden mit starker wasser- haltender Kraft vermag die Pflanze nicht genügend Wasser mehr zu entnehmen, wenn ein Sandboden, der das Wasser leicht hergibt, bei dem gleichen Wassergehalt noch hinreichend Wasser hergibt. Andererseits ist die absolute Menge an Wasser, welche der schwere, feinerdereiche Boden über- haupt zu fassen vermag, weit höher als bei dem feinerdearmen, leichten Sandboden, und von die- sem Gesichtspunkte aus bietet der schwerere Boden der Pflanze wieder günstigere Bedingungen als der leichtere: jener speichert von den atmo- sphärischen Niederschlägen eine größere Menge als dieser, der bei stärkeren Niederschlägen leicht Wasser durchsickern und damit der Pflanze ver- loren gehen läßt. Für die Durchfeuchtung des Bodens kommen nur die atmosphärischen .Nieder- schläge in Betracht — abgesehen von künstlicher Bewässerung. Bei großer Trockenheit vermag der Boden zwar Wasserdampf aus der Luft zu kondensieren , es ist aber erwiesen , daß dies für die Versorgung der Pflanzen mit Wasser in Wirk- N. F. VI. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 709 lichkeit nicht in PVage kommt. Die Pflanze be- ginnt lange vorher zu welken und ist dem Tode verfallen, bevor eine Kondensation von VVasser- dampf stattfindet. Man iiat Berechnungen und Versuche ange- stellt, wieviel Wasser einzelne Pflanzen oder eine mit Pflanzen bestandene Pläche in einer bestimm- ten Zeit verdunsteten. ;\Ian muß staunen über die Mengen ! Z. B. verdunstete eine Birke an einem einzigen heißen Tage ca. 400 Liter Wasser, im Durchschnitt 60 — 70 Liter, ein Hektar Buchen- wald täglich 30000 Liter! Nach einer anderen Berechnung verdunstete ein i Morgen (= '/^ ha) großer Acker mit Kohlpflanzen in 4 Monaten 2 Mill. Liter Wasser. Natürlich sind das nur rohe Berechnungen, die uns nur eine Ahnung geben können von den Kräften, die draußen in der Natur während der wärmeren Jahreszeit tagtäglich tätig sind. Das Wasser ist in einem beständigen Kreis- lauf begriffen : aus dem Boden wandert es in die Pflanze, die Sonnenwärnie lockt es in Dampfform aus den Blättern der Pflanze; als Wasserdampf steigt es empor und verdichtet sich in höheren, kühleren Regionen zu tropfbar flüssiger Form, um in Gestalt von Niederschlägen wieder zur Erde zu fallen und die dürstenden P'luren zu tränken. Als Faktoren , die die Höhe der Verdunstung bei ein und derselben Pflanze bedingen, haben wir neben der direkten Sonnenstrahlung die aller- dings mehr oder weniger damit parallel gehende Höhe der Lufttemperatur und Lufttrockenheit an- zusehen. Außerdem spielt die Luftbewegung eine große Rolle. Ein frischer Wind entfernt die mit Wasserdampf sich beladenden Luftteilchen aus der unmittelbaren Nähe der verdunstenden Organe und läßt immer wieder trockenere Luft zutreten, die von neuem Wasserdampf aufnehmen kann, so daß eine beständige, rege Wasserzirkulation im Gange erhalten wird. Welchen Einfluß gerade die Witte- rungsfaktoren, insbesondere die Temperatur, auf die Höhe der Verdunstung haben, dafür einige Zahlen, die einem Versuche des Verfassers ent- nommen sind. Es handelt sich um Haferpflanzen, die zu je 9 in Zinkgefäßen mit 20 kg Boden wuchsen. Das verdunstete Wasser wurde täglich auf der Wage wieder ersetzt und so genau der Verbrauch ermittelt. Die Zahlen geben den Durchschnitt von je 4 Vegetationsgefäßen wieder, also von je 9 Haferpflanzen, nach Abzug des vom Boden verdunsteten Wassers, das aus dem Ver- brauch gleichzeitig und unter denselben Bedingun- gen aufgestellter unbepflanzter Töpfe festgestellt wurde. (Näheres siehe „Landwirtsch. Jahrbücher, 1907, Seite 956). Es wurde verdunstet pro Tag Zeit 24. — 31. Mai I. — 7. Juni Mittl. Temperatur 17,8 21,9 Verdunst. Wassermenge nährstoff- nährstoff- reicher Boden armer Boden g g 434 249 760 417 Zeit S.— 15. Juni 16. — 22. Juni 23.— 30. Juni I.— 7. Juli 8.— 17. Juli Verdunst. Wassermenge Mittl. ... , „. ... . %. — . nahrstoft- nahrstoff- I emperatur ■ u t> j r, j „ P reicher Boden armer Boden 16,7 20,g 19,8 22,5 20,8 508 633 493 883 522 279 271 243 350 230 Wenn auch die durch das allmähliche Fort- schreiten der Vegetation bedingte Mehrverdunstung nicht auszuschalten ist, so sind doch die Schwan- kungen in der Temperatur imstande, bedeutende Abweichungen von der geraden Linie hervorzu- rufen. Das intensivste Wachstum fand um die Mitte des Juni statt, wir mußten also hier die höchste Verdunstungszahl erwarten. Statt dessen erreichte die Verdunstung einmal vorher vom I. — 7. Juni und einmal nachher vom i. — 7. Juli, beide Male bei besonders hohen Temperaturen, ein Maximum, übereinstimmend sowohl auf nähr- stoffreichem als auch auf nährstoffarmem Boden. Von großer Bedeutung für den Pflanzenhaus- halt ist der relative Wasserverbrauch. Wir ver- stehen darunter die Menge an Wasser, welche die Pflanze verbraucht, um eine Gewichtseinheit, z. B. I Gramm, an wasserfreier Substanz (Trocken- substanz) zu erzeugen. Der relative Wasserver- brauch ist verschieden einmal nach der Pflanzen- art; unter gleichen Bedingungen verbraucht die eine Pflanzenart zur Produktion derselben Menge an Trockensubstanz mehr Wasser als die andere. So kann lediglich dieser Umstand maßgebend sein dafür, ob eine Pflanzenart auf einem Boden oder in einem Klima noch gedeiht, oder ob der Mangel an Wasser sie im Kampf ums Dasein unterliegen läßt. Aber auch die Pflanzen ein und derselben Art verbrauchen je nach den äußeren Verhältnissen zur Produktion von i Gramm Trockensubstanz verschiedene Mengen an Wasser. Zunächst übt hierauf der Wassergehalt des Bodens einen Ein- fluß aus. Die in einem feuchten Boden wach- sende Pflanze verbraucht pro i Gramm erzeugter Trockensubstanz eine größere Menge an Wasser als die in trockenem Boden wachsende. In dem bereits erwähnten Versuch des Verfassers ver- brauchten die Haferpflanzen, um I Gramm Trocken- substanz zu erzeugen, folgende Mengen an Wasser: auf nährstoffarmem Boden auf nährstoffreichem Boden bei geringer Bodenfeuchtigkeit bei hoher Boden- feuchtigljeit 288,6 g Wasser 238,6 g Wasser 400,1 359,4 Die Zahlen deuten an, daß die Pflanze, wenn sie nur dürftig mit Wasser versorgt war, sparsam mit dem Wasser umging und mit dem verfüg- baren Wasser die höchstmögliche Menge an Sub- stanz erzeugte, daß dagegen bei reichlicher Wasser- zufuhr zum Boden bis zu einem gewissen Grade ein Luxusverbrauch an Wasser stattfand; mit der 7IO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 45 Einheit an verbrauchtem Wasser wurde eine ge- ringere Menge Pfianzenmasse erzeugt als bei trockenem Boden. Aber noch eine andere, und für den prakti- schen Pflanzenbau in Acker- und Gartenwirtschaft äußerst wichtige, wenn auch nicht neue Tatsache müssen wir aus den oben mitgeteilten Zahlen ab- leiten. In dem Versuch wurden zwei verschiedene Böden, ein nährstoffarmer und ein nährstoffreicher, verwandt. Sowohl bei Trockenheit als auch bei hoher Bodenfeuchtigkeit haben die Pflanzen auf dem nährstoffarmen Boden bedeutend mehr Wasser zur Erzeugung von i g Trockensubstanz ver- braucht als auf dem nährstoffreichen Boden. Der größere Vorrat an löslicher Pflanzennahrung im Boden hat also eine Ersparnis von Wasser be- wirkt. Die Erklärung dieser Tatsache finden wir in der verschiedenen Konzentration der Nährlösung im Boden. Auf dem nährstoffreichen Boden ist bei der gleichen Feuchtigkeit die Nährlösung konzentrierter als auf dem nährstoffarmen ; mit derselben Menge an aufgenommenem Wasser wird dort eine größere Menge Nährstoffe in die Pflanze eingeführt als hier, oder: die Pflanze muß, um dieselbe Menge an Nährstoffen aufzunehmen , auf dem nährstoffarmen Boden eine größere Menge an Wasser aufnehmen als auf dem nährstoffreichen. Das ist insofern von großer Bedeutung, als wir durch diese Erkenntnis in die Lage gesetzt sind, der Trockenheit bis zu einem gewissen Grade vorzubeugen oder sie doch zu mildern, nämlich dadurch , daß wir dem Boden hinreichend leicht lösliche Nährstoffe geben. Mit diesen und ande- ren ähnlichen Versuchsresultaten im Einklang steht die Beobachtung, daß in trocknen Jahren in den Poldern und Gärten die Pflanzen am wenigsten leiden , welche in gutem Düngungs- zustande sich befinden, während auf einem be- nachbarten Feld mit demselben Boden, das die- selbe Menge an Niederschlägen erhalten hat, aber schlecht gedüngt worden ist, die Pflanzen küm- mern, weil ihnen bei der geringen Wasserzufuhr nicht genügend Nahrung geboten wird. Kleinere Mitteilungen. Geologie als Unterrichtsgegenstand. — Das Bulletin de la Societe Beige de Geologie, de Pale- ontologie et d'Hydrologie (Bruxelles) bringt als Anhang zu dem Sitzungsbericht vom i8. Juni 1907 einen Bericht des Sekretärs G. Simoens, der im Auftrage einer von der genannten Gesell- schaft ernannten und mit dem Studium der Frage der Einführung der Geologie in den Unterricht der Mittelschulen betrauten Kommission vorgelegt wurde. Die belgische Gesellschaft für Geologie hat, indem sie sich die Aufgabe stellte, die Aufnahme des Unterrichts in der Geologie in den Lehrplan der Mittelschulen zu erstreben, den Wunsch aus- gedrückt, sich an dem vielhundertjährigen Streit zu beteiligen, welchen die Männer der Wissen- schaft gegen die Rhetoren führen. Alle aufgeklärten Leute wissen, wie gewohn- heitsmäßig der Geist der Vergangenheit in Schulen eine Zufluchtsstätte gefunden hat, in denen die Errungenschaften der neuzeitlichen Wissenschaft zuerst Eingang hätten finden müssen, damit die Jugend, die Zukunft und lebendige Kraft des Volkes, zuerst Anteil daran habe. Aber gerade hier hat man bis in die letzten Tage Sorge ge- tragen, jeden Fortschritt auszuschließen. Es gibt zwei Arten von Schriftstellern. Für die ersten , die uns nichts vorzulegen haben als die Arbeit ihrer Einbildungskraft, die zuweilen reich ist, aber oft zu nichts nutzt, ist das Schrei- ben ein Zweck. Für die anderen , die uns die Ergebnisse ihrer Forschungen, ihrer Beobachtun- gen, ihrer Erfahrungen auseinandersetzen müssen, die das Erbteil der ganzen Menschheit bilden, ist das Schreiben ein Mittel. Die ersten betonen die Form, die anderen be- schäftigt der Gegenstand ; die ersten träumen und schläfern ihresgleichen ein , die anderen wachen und regen die Kräfte an. Man sollte meinen, die letzteren hätten Bürgerrecht in den Schulen. Doch nein ! Unter dem Vorwand der Kunst und der schönen Wissenschaften überlasten noch heute die Erzeugnisse der Einbildungskraft unseren Unter- richt. Die Werke der Gelehrten , die mit vieler Mühe und Arbeit der Natur ihre Geheimnisse entrissen haben, alle die große Tätigkeit, alle diese Reichtümer, die die Jugend unserer Zeit mehr als je geistig anregen müßten, sind an das Ende unserer Schulprogramme verwiesen. Man hat vorgevvandt, daß die schönen Künste und die schönen Wissenschaften unerläßlich seien, um unsere Kinder zu gesitteten Menschen zu machen. Wenn wir dagegen weniger schöne Redens- arten und mehr Wissen fordern , so geschieht es, weil wir es für wichtiger halten, erst unterrichtete, dann gebildete Menschen zu machen; die schönen Wissenschaften werden folgen. Mit wieviel Mühe ist man dahin gelangt, ängst- lich die exakten Wissenschaften in die Lehrpläne einzuführen, obwohl niemand zu leugnen vermag, daß die auf Beobachtung gegründeten Wissen- schaften den Geist der Methode entfalten. Ist es notwendiger, die geistigen Fähigkeiten auf Gedankenverbindungen zu leiten, um Dichter auszubilden, oder verdient es den Vorzug, die Geister auf das Studium der Erscheinungen zu lenken, auf die Tatsachen , um so Beobachter, Männer der Wissenschaft, praktische Leute zu bilden? Die Antwort ist nicht zweifelhaft. Muß ich hier nicht des entrüsteten Widerspruchs ge- denken, den unser scheidender Präsident A. Kemna N. F. VI. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 711 erhob, als man unserer Gesellschaft als Lokal das Erdgeschoß im Palais des Beaux-Arts anbot 1 „Ich widerspreche'', sagte Herr Kemna, „einem Plane, der die wissenschaftlichen Gesellschaften in die Keller eines Hauses verweisen möchte, von dem die schönen Künste das Untergeschoß und das erste Stockwerk einnehmen. Ks gibt eine Hierarchie der geistigen Betätigungen, in denen die Kunst zweifellos einen Platz hat, aber gewiß ist dieser Platz nicht auf dem Gipfel und nicht über den Wissenschaften ; die gegenseitige Stellung ist mit Recht umgekehrt. Es ist wahr, daß beim großen Haufen die Künste allein zählen, selbst beim gewöhnlichen Personal der Verwaltungen und Regierungen; das ist so, weil die Rolle des Mäcen den Künsten gegenüber im Bereiche mittel- mäßiger Begabung liegt, während es einer ge- wissen Durchbildung bedarf, um die Wissenschaft zu würdigen und sich ihrer zu erfreuen". Ferner fügte er hinzu: „Es gibt ein Land, wo die Regierung in Übereinstimmung mit der öffent- lichen Meinung als außerhalb ihres Wirkungs- kreises liegend das Unterrichtswesen, die Hospi- täler, die Eisenbahnen ansieht, wo man am Ver- stände eines Menschen zweifeln würde , der die Künste durch öffentliche Mittel fördern wollte; das alles ist der privaten Entschließung über- lassen. Eine einzige Ausnahme ist gemacht wor- den. Recht in der Mitte Londons, in Piccadilly, hat die Regierung das Schloß der gelehrten Ge- sellschaften erbaut. Wir sind 1899 in Burlington- House Gäste der Geological Society gewesen. Das ist die Antwort auf den Vorschlag, uns in einem Keller zu begraben. Das weltgeschichtlich wichtigste Ereignis des letzten Vierteljahrhunderts ist der wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands. Könnte es einen so stumpfsinnigen Politiker geben, der nicht verstehen wollte, daß es die Wissenschaft, die Wissenschaft allein ist, welche diese Entwicklung erlaubt, geschaffen und ange- regt hat r Ist es für ein kleines Land, wie Belgien ist, das sich nur mit der immer mühseligeren .An- strengung seiner großen Gewerbtätigkeit erhält, nicht eine drängende Lebensfrage, seine wissen- schaftliche Arbeit zu ordnen ? Das müssen wir den Regierenden sehr laut sagen, indem wir ihre gute Absicht anerkennen, indem wir einigen einen genügend weiten Blick zutrauen, um zu verstehen, daß wir, indem wir so sprechen, indem wir ihre durch eine Menge anderer Dinge zerstreute Aufmerksamkeit auf die- sen Punkt lenken, ihnen einen Dienst leisten und eine patriotische Pflicht erfüllen." Es ist in Wahrheit die höchste Zeit, daß man den Wissenschaften ihre wahre Stellung einräumt, und mehr als jemals müssen Anstrengungen ge- macht werden, damit ihnen eine vorwiegende Stellung im Erziehungswesen gesichert werde. Wir sind nicht mehr im Zeitalter schüchterner Versuche. Die Wissenschaft hat sich zu sehr ent- faltet und ihre Anwendung auf allen Gebieten hat die ganze neuzeitliche Welt völlig verwandelt. Unsere Pflicht heischt von uns, eine tatkräftige Rückforderung herbeizuführen, denen, die auf das Gewicht unserer Gründe nicht hören mögen, das Gewicht einer Verantwortlichkeit zu lassen , die um so schwerer ist, als sie nah sein wird. „Aber, wie wir dies in einer dem ,,Congres Mondial" vorgelegten Arbeit „Über die Entwick- lung des Willens im Kinde" ausgeführt haben, es scheiden sich die Wissenschaften in konkrete und abstrakte. Die ersten studieren die Tatsachen, die sich auf Raum und Zeit beschränken, d. h. die Er- scheinungen, die wahr sind, wenigstens in einem gegebenen Punkte des Raumes und in einer ge- wissen Zeit; das Studium dieser bildet die Grund- lagen der konkreten Wissenschaften ; das sind also in der Ordnung der allgemeinen Entwicklung: die Astronomie, die Geologie, die Biologie, die Anthropologie, die Psychologie, sie sind Funktionen des Raumes und der Zeit. Sie sind die großen Veranlasser der Entwicklung, während die Er- scheinungen, die sie studieren, sich ohne Unterlaß ändern. Dagegen haben Mathematik, Physik, Chemie die Aufgabe, die Gesetze zu entdecken, die in allen Punkten des Raumes und zu allen Zeiten Geltung haben. Diese abstrakt genannten Wissenschaften be- stehen unabhängig von diesen beiden großen Be- griffen. Die Formeln der Vereinigung zweier Körper sind wahr in der Sonne, in den Sternen, wie auf der Erde. Die Erscheinungen, welche dagegen die Biologie studiert, beziehen sich immer auf ge- wisse von der Zeit gegebene Momente und auf gewisse Punkte des Raumes. Diese große Lehre von der Verkettung der Dinge müßte die Grundlage eines vernunftgemäßen Erziehungssystems werden. Ist nicht in der Tat das Studium der Naturerscheinungen und der Ge- setze, die sich daraus ableiten lassen, der Aus- gangspunkt gewerblicher und Handelsbewegungen, mit einem Worte der ganzen neuzeitlichen Wirt- schaftslehre gewesen? In den Händen des Erziehers können diese Naturgesetze, die aus den Erscheinungen ent- wickelt werden , mächtige Hebel werden. Unser gelehrter Präsident de Dorlodot hat in der Kom- mission es ausgesprochen, daß aus dem Studium der Geologie die Entwicklung der Natur hervor-' gehen müsse. Aber unter den konkreten Wissen- schaften, für die wir hier eintreten,' ist die Geo- logie eine der wichtigsten , da ohne sie die Lebenserscheinungen sich nicht erklären lassen. Unser Generalsekretär Baron Greindl hat dies wohl hervorzuheben verstanden. „Keine Erschei- nung der Pflanzengeographie", sagte er besonders, „läßt sich ohne Geologie verstehen, die überhaupt die gesamte Geographie erklärt". Unser gelehrter Mitbruder hat die Aufmerksamkeit der Kommission auf den Lehrplan der Mittelschulen vom 12. Sep- tember 1897 gelenkt. „Der geographische Unter- 712 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 45 rieht", sagt er, „ist stark befestigt worden. So- weit es möglich ist, soll er die Tatsachen durch ihre Ursachen begründen. Aber, wie soll man die Geographie ohne die Geologie erklären? Die Erde in ihrer jetzigen Gestalt ist durch die Geo- logie geworden, sowohl die Oberfläche als der Untergrund. Ein gebildeter Mensch kann die Geologie nicht mißachten ; die Kenntnis der un- organischen Entwicklung unseres Weltalls muß zweifellos einen Teil der Gesamtheit seines Wissens ausmachen. Was die zu dieser Lehre vom Erdball für unsere Schulen notwendige Zeit anlangt, so be- merkt unser Generalsekretär, daß man sie leicht finden werde, wenn man Zeit genug finde, acht Bücher Geometrie zu lehren. Hauptmann Mathieu, Professor an der Militär- schule , ebenso Professor M. Teirlinck von der Normalschule in Brüssel, haben sich über die praktische Ausgestaltung des Unterrichts in der Geologie durch Begünstigung geologischer Aus- flüge ausgesprochen. Unser gelehrter Kollege Jeröme, Professor am Athenaeum in Arles, gibt mit Recht zu be- denken, daß es wünschenswert sei, dem Professor einen gewissen Spielraum zu lassen, damit er seinen Unterricht den örtlichen Verhältnissen an- passen kann ; praktische Geologie läßt sich in Ostende nicht wie in Mons oder in Arlons lehren. Der gelehrte Präsident der Kommission, Herr Mourlon, hat auf die Nützlichkeit der Verbreitung der Geologie hingedeutet; er hat auf eine Menge bemerkenswerter wissenschaftlicher Tatsachen hin- gewiesen, die für die Wissenschaft verloren sind, weil die Geologie unbekannt war. Die Lehrer an den Primärschulen kennen die Geologie nicht, weil sie nie auf der Schule haben von ihr reden hören; also zu einer Zeit, wo sie hätten Beobach- tungen anstellen oder dem öffentlichen Dienst nützen können, wenn sie über einige geologische Kenntnisse verfügt hätten. Die Kommission hat, nachdem sie unserm ge- lehrten Kollegen Herrn Zels dafür gedankt hat, daß er der Gesellschaft Anregung zu dieser wich- tigen Frage gegeben hat, mit uns gedacht, 1. Daß es ratsam erscheint, den Grundsatz der Einführung des Unterrichts in der Geologie in den Lehrplan der oberen Grade der mittleren Studien und in den der Normalschulen aufzunehmen. 2. Daß es unerläßlich sei, die Aufgabe, Geo- logie zu lehren, nur Personen anzuver- trauen, die durch ihre gesetzlichen Zeug- nisse nachweisen, daß sie den Doktorgrad in mineralogischen oder geographischen Wissenschaften erworben haben. Diese Forderung ist eine notwendige Bürgschaft für die F"ähigkeit und bietet noch den Vorteil, das systematische Studium der Geologie zu begünstigen, indem es die Jugend dazu veranlaßt, sich um die Er- langung der Spezialdiplome zu bemühen, die bis jetzt ganz vernachlässigt werden. 3. Daß der erdkundliche vom Geschichts- unterricht getrennt und nur den vor- erwähnten Personen anvertraut werde. Was den Stunden- und den Lehrplan anlangt, so verläßt sich die Kommission ganz auf den erleuchteten Geist und die besondere Kompetenz des „Conseil de perfectionnement de l'enseigne- ment moyen". — Die Deutscse geologische Gesellschaft hat auf ihrer Jahresversammlung bereits in Kassel ein- stimmig beschlossen, eine Eingabe an die Kultus- ministerien aller deutschen Bundesstaaten zu richten, um den Unterricht in den Grundzügen der Geologie auf mittleren und höheren Lehr- anstalten einzuführen (Verhandlungen, 54. Bd., S. 137). Herr Geheimrat \. von Koenen-Göttingen hat unterm 15. März 1905 (Vhdign., 57. Bd., S. 157 usw.) sich in einer ,, brieflichen Mitteilung" nochmals zu dieser Sache ausführlich geäußert. Der betr. Unterricht soll in den mittleren Klassen beginnen, keinerlei Vorkenntnisse voraus- setzen, kein irgendwie erhebliches Auswendig- lernen fordern, vielmehr das Beobachten und Denken in der Natur lehren und schärfen. Die Mineralogie kann nur im Zusammenhang mit der Chemie gelehrt und verstanden werden. In ganz kurzer Zeit sollen die Schüler etwa lO Mineralien oberflächlich kennen lernen, die zum Verständnis der Geologie notwendig sind. Herr von Koenen veröffentlicht nun das von ihm ein Jahr später ausgearbeitete Programm, das für den Unterricht in den mittleren Klassen be- nutzt werden kann und nichts enthält, was nicht jeder Gebildete wissen müßte. I. „Wirkung des Wassers, Erosion und Abra- sion. Ablagerung von gröberen und feineren Materialien, Kies, Sand, Schlamm; Bildung von Sandstein, Schiefer, Kalk usw., Flöze, Verfestigung zu Gesteinen. Struk- tur, Mächtigkeit, Süßwasser- und Meeres- ablagerungen, brackische und Deltabil- dungen, Gehalt an organischen Resten. Veränderungen der Lagerung und Struk- tur, Mulden, Sättel, Spalten, Verwerfungen, Gänge, Umwandlung, Zersetzung und Verwitterung der Gesteine, Entstehung von Ackererde, la. Eruptiv-Gesteine, Lava, Obsidian, Basalt, Tuffe, Schlacken, Asche usw. Tektonische (vulkanische, Einsturz-) Erdbeben. II. Gebirgsbau, Abrasionsflächen, Schichten- ebenen, Steilhänge, Rutschungen, Gebirgs- rücken, Parallelrücken und -Täler, Quer- täler, Gebirgsketten, Erosions-, Spalten-, Auffüllungstäier, Talengen, Terrassen usw. III. Gletscherbildungen, norddeutsche Ebene, usw. VL Quellenkunde; Niederschläge in verschie- denen Jalireszeiten und Gegenden laufen ab, verdunsten oder sickern ein. Schichten- N. F. VI. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 713 iiuellen, Spaltenquellen, artesische Brunnen (ev. nicht springende), Grundwasser. Wassergebiet, Ergiebigkeit, Ausdauer der Quellen in Ton, Kalk, Sandstein; Ver- unreinigung durch anorganische oder or- ganische Stofle. V. Elemente der historischen Geologie- und Formationskunde, Leitfossilien, eruptive und metamorphische Gesteine. In diesem letzten Teil würde dann erst eine Reihe von Namen und Bezeichnungen vorkommen, von denen einzelne schon früher, nach Bedarf, bei Be- sprechung der Umgegend des betr. Ortes er- wähnt werden konnten." Bei Gustav Fischer in Jena erschien eine ,, Vor- schule der Geologie, eine gemeinverslätidiiche Einführung und Anleitung zu Beobachtungen in der Heimat" vom Professor Dr. Johannes Walther (früher in Jena, jetzt in Halle), ein sehr wertvolles Hilfsmittel für Lehrer, die demselben Fingerzeige für eine geeignete Behandlung dieses Unterrichts- gegenstandes entnehmen können. Für Thüringen ist desselben Verfassers „Geologische Heimats- kunde von Thüringen" eine wertvolle Ergänzung jener Vorschule. In ähnlicher Weise hat Senft in Eisenach vorgearbeitet; auch auf Shaler — von Karczewska ,, Elementarbuch der Geologie" für Anfanger weist Herr von Koenen empfehlend hin. Da die Geologie Vorgänge der Gegenwart behandelt und die der Vorzeit verstehen lehrt, so setzt der Unterricht in der Geographie ein be- scheidenes Maß geologischer Kenntnisse voraus, und deshalb ist auch in der Neuzeit z. B. auf der Versammlung in Breslau erneut die Einführung des Unterrichts in der Geologie für höhere Lehr- anstalten gefordert worden. In bescheidenem Umfange hat er bereits in deutschen Volkschulen eine Stätte gefunden. Wie nahe die Beziehungen der Geologie zur Geographie sind, hat uns wohl niemand so lebendig gezeigt wie von Richthofen. Karl PicardSondershausen. Die astrophysikalische Bedeutung der anomalen Dispersion. Unter anomaler Disper- sion versteht man die zuerst an Anilinfarbstoffen im Jahre 1870 durch Christiansen festgestellte Er- scheinung, daß der Brechungsquotient gewisser Körper sich in der Nähe der von der betreffenden Substanz erzeugten Absorptionslinien außerordent- lich stark ändert und bis auf den Wert i, ja sogar auch unter i herabgeht. Die Folge davon ist, daß ein von einem Prisma aus anomal disper- gierender Substanz entworfenes Spektrum eine andere F'arbenfolge aufweist wie das gewöhnliche Spektrum. Daß solche anomale Dispersion auch bei glühenden Gasen vorkommt, ist dann später von Kundt beobachtet und von Becquerel, W. H. Julius, Wood, Lummer und Pringsheim näher er- forscht W'Orden. Da nun das Licht der selbstleuchtenden Ge- stirne, insbesondere der Sonne, zweifellos durch glühende Gasmassen hindurch zu uns gelangt, so lag nach der Entdeckung jener Dispersions-Ano- malien der Gedanke nahe, daß die von uns spek- tralanalytisch beobachteten Erscheinungen nur unter Berücksichtigung der Möglichkeit anomaler Dispersion gedeutet werden dürfen, so daß manche Beobachtungen, die früher rätselhaft waren oder unter'Zugrundelegung länger bekannter Erklärungs- prinzipien zu unwahrscheinlichen Schlüssen führten, vielleicht in der anomalen Dispersion eine ein- fachere Erklärung finden könnten. Es ist das Verdienst von W. H. Julius, diese astrophysikalischen Perspektiven eröffnet und da- mit die Möglichkeit einer ungezwungeneren Er- klärung mancher bisher recht schwer verständ- licher Beobachtungen aufgezeigt zu haben. Leider ist jedoch dieser Forscher in dem Bestreben, die anomale Dispersion zur Deutung spektralanaly- tischer Talsachen heranzuziehen, zweifellos viel zu weit gegangen. Nicht nur den Protuberanzen, Sonnenflecken und Sonnenfackeln spricht er die Realität ab, indem er diese Erscheinungen durch Schlierenbildung und dadurch bedingte anomale Dispersion in den Gasen der Sonnenatmosphäre erklären will, nein, auch bei der Deutung des ge- wöhnlichen Sonnenspektrums, bei den Anwen- dungen des Doppler'schen Prinzips zur Ermittlung spektroskopischer Doppelsterne, kurzum in allen Zweigen der spektralanalytischen Forschung ver- sucht Julius eine Revolution unserer bisherigen Anschauungen hervorzurufen, als ob nun auf ein- mal die Wirkungen des Gasdrucks und der Be- wegungen in der Gesichtslinie nicht mehr existierten und man unbedingt versuchen müßte, alles und jedes der anomalen Dispersion in die Schuhe zu schieben. Absichtlich hatten wir von diesen weitgehenden, gewagten Spekulationen, die das Vertrauen zur wissenschaftlichen Forschung nur zu erschüttern geeignet sind, noch keine Notiz genommen, da es angezeigt erschien, erst die Kritik der Fachgelehrten und die aus dieser her- vorgehende Abklärung der Ansichten abzuwarten. Diese kritische Beurteilung der Julius'schen Ideen ist nun jetzt erfolgt. Nach einer auf der Astronomenversammlung in Jena stattgefundenen Diskussion über diese Fragen hat einer der be- rufensten Beurteiler, Prof J. Hart mann in Pots- dam, eine umfassende Kritik der Erklärung astro- physikalischer Beobachtungen durch anomale Dis- persion in den ,, Astronomischen Nachrichten" (Nr. 4197 — 98) veröffentlicht, deren Hauptergeb- nisse wir im folgenden kurz wiedergeben wollen. Die Chromosphäre. Unter diesem Namen bezeichnet man jene Schicht der Sonne, welche für Augenblicke bei Finsternissen ein aus einzelnen, hellen Linien bestehendes Spektrum, das „Flash- Spektrum", zeigt. Die Zurückführung dieses Spektrums auf anomale Dispersion (im folgenden kurz durch a. D. bezeichnet) war die erste, und nach Hartmann glücklichste Anwendung des neuen Prinzips durch Julius. Dicht über der scheinbaren Sonnenoberfläche muß zweifellos eine nach oben "I-!. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. M. Nr. 45 rasch, diinner werdende Atmosphäre von Metali- dämpfen liegen, in welcher der Brechungsexponent für alle mit a. D. behafteten Wellenlängen stärker von der Einheit abweichende Werte hat, während er fiir das kontinuierliche Sonnenlicht in Jener Schicht bereits sehr nahe an i liegt Unter Zu- grundelegung der Schmidt'schen Sonnentheorie (d. h. unter der Annahme, daß die Dichtigkeit der Sonnengase nach außen kontinuierlich abnimmt und daß die scharfe Begrenzung des Sonnenballes nur eine optische Erscheinung isti müßte dem- nach ein Beobachter den Sonnendurchmesser im Lichte aller dieser mit a. D. behafteten Strahlen- gattungen größer sehen als im weißen Sonnen- lichte, über dem Sonnenrande m.uß daher eine Schicht auftreten, die scheinbar ein aus hellen Linien bestehendes Spektrum aussendet Daß ein Teil des Chromosphärenlichtes so zu erklären sein mag. gibt H. ohne weiteres zu. Diejenigen Linien des Flash-Spektrums, die auf solche Weise ent- stehen, müssen auf der roten Seite der entsprechen- den Absorptionslinien liegen und dem Sonnen- rande mit breiter Basis aufsitzend sich einseitig zuspitzen, da in größerer Höhe nur die unmittel- bar neben der Absorptionlinie liegenden Strahlen hinreichend starke a. D. zeigen, um noch in das Auge des Beobachters abgelenkt werden zu können. Aus ähnlichem Grunde müßten, wie H. zeigt, die mit a. D. verbundenen Fraunhofer'schen Linien am. Sonnenrand bei radial gesteUtem Spalt eine nach dem Violett hin sich erstreckende \'erbrei- terung, die am Sonnenrand selbst am stärksten wäre, zeigen. Die Beobachtung mit stark zer- streuenden Spektralapparaten wird also später darüber entscheiden können, ob die Hj'pothese von Julius für die Chromosphäre zutriffL Experi- mentell sind ja künstliche Erscheinungen solcher Art mit gutem Erfolge durch Wood, Ebert und Julius hen.-orgerufen worden. Die Sonnen fl ecken. Auch die Verbreiterung gewisser Linien im Sonnenfleckenspektnim sucht Julius durch a. D. zu erklären. Dieser Versuch muß nach H. als gescheitert angesehen werden. Er widerspricht dem zweiten der folgenden, von HL aufgestellten Kriterien: 1. Eine Wirkung der a. D. kann nur dann beobachtet werden, wenn der Beobachter durch die dispergierende Gasschicht Flächenteile von hinreichend verschiedener Helligkeit erblickt 2. Da die anomal dispergierten Strahlen lediglich eine andere Richtung erhalten als die weißen Strahlen, so muß der durch a. D. bewirkten \''erminderung der Strahlenintensität in der einen räumlichen Richtung stets eine Vermehrung der- selben in einer anderen Richtung, d. h. der Entstehung oder Verbreiterung einer scheinbaren .^bsorptioaslinie muß, aus anderer Richtung gesehen, eine scheinbare Emissionslinie entsprechen. Die Frotuberanzen. Hartman n sagt : „Die Möglichkeit für das Auftreten von anomal ge- brochenem Licht in den Frotuberanzen ist. ebenso wie in der Chromosphäre, vorhanden, jedoch ist der Beweis, daß alle in den Frotuberanzen be- obachteten Erscheinungen tatsächlich nur Folgen solcher Lichtbrechungen seien, noch in keiner Weise erbracht"' Weiter weist H. darauf hin, daß nach der Julius'schen Erklärung alle Frotube- ranzen genau dasselbe Spektrum haben müßten, da ihr Sichtbarwerden nur durch das Vorhandensein geeigneter Dichtenunterschiede bedingt wäre. Da nun aber tatsächlich Frotuberanzen mit sehr ver- schiedenen Spektren beobachtet werden, so „sind die Frotuberanzen also nicht, wie Julius annimmt, lediglich Schlieren in der sonst gleichförmig zu- sammengesetzten .Atmosphäre, sondern sie sind — wenigstens zum Teil — reelle, von ihrer Um- gebung auch substantiell verschiedene Gasströme." Auch lassen sich die beobachteten Verschiebungen der scharfen Frotuberanzlinien nicht durch a D. erklären. Ob verbreiterte Linien in Frotuberanzen durch a D. oder durch Bewegungen in der Gesichts- linie von wechselndem Betrage zu erklären sind, wird sich nach H. dadurch entscheiden lassen, daß man den Betrag der Verbreiterung bei den verschiedenen Linien einer Frotuberanz genau mißt und vergleicht Die Dispersionsbänder. Julius will auch alle breiten Linien, besonders H und K, des ge- wöhnlichen Sonnenspektrums auf a. D. zurück- fuhren und nennt sie deshalb „Dispersionsbänder". Diese Behauptung widerspricht aber beiden oben aufgeführten Kriterien. Die Fackeln und Flocken. Ebensowenig wie die Flecken können die Fackeln auf a. D. zurückgeführt werden, denn sie zeigen sich auf Aufnahmen mit dem Spektroheliographen auch in der Mitte der Sonnenscheibe und sind an be- stimmte heliographische Zonen gebunden. Eher könnten die auf spektroheliographischen .Aufnahmen sichtbaren, sehr schnell veränderlichen „Flocken" als Schlieren in der Sonnenatmosphäre aufgefaßt werden. Die Fixsterne. Julius behauptet, daß die Fixsterne infolge der Schlieren in ihren .Atmo- sphären ein ungleichmäßiges Strahlungsfeld er- zeugen, ähnlich wie wir ein solches bei einer Bogenlampe sehen, die von einer mit Schlieren behafteten Glocke umgeben ist. Dieser Vergleich ist indessen ganz unzutreffend, da der Strahlen- gang bei der Bogenlampe dem ersten Kriterium genügt, nicht aber bei dem Fixstern. Dort ist das von dem kleinen Krater kommende, auf eine Schliere fallende Lichtbündel eng begrenzt und kann daher bei der Brechung in der Schliere seine Richtung ändern. Einen Fixstern vergleicht H. dagegen mit einer etwa mit Leuchtfarbe über- zogenen und dann lackierten Kugel. So viele Schlieren der Lack auch haben möge, werden diese doch keine Ungleichmäßigkeit des Strahlungs- feldes erzeugen, weil die Schlieren im Vergleich N. F. M. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. /'; zur leuchtenden Fläche zu klein und ihr zu nahe sind, so daß das erste Kriterium nicht erfüllt ist. Ist demnach schon die Grundanschauung von Julius über die Strahlungsfelder der Fixsterne falsch, 50 sind es auch die Folgerungen in bezug auf die spektroskopischen Doppelsterne. F.5 gibt kaum eine andere, so wohl begründete phj-sikali- sche Tatsache, wie die, daß die meisten der nunmehr bereits bekannten 170 spektroskopischen Doppelsteme, z. B. das von Hartmann genau er- forschte S\-5tem (5 Orionis, wirkliche Doppelsterne sind. Schon die mathematische Regelmäßigkeit der Wiederkehr der Linienverschiebungen beweist dies, denn Schlieren in einer Sternatmosphäre würden ihren Ort gewiß nicht so unverändert beibehalten, daß infolge der Rotation des Gestirns irgend- welche durch sie bedingte Störungen der Licht- ausbreitung in genau gleichen Zeitinter\-allen für uns sichtbar werden könnten. .Andererseits ist es nicht von der Hand zu weisen, daß z. B. die komplizierten Veränderungen, welche das Spektrum von j-Lyrae zeigt sowie die an neuen Sternen beobachteten Erscheinungen unter Zuhilfenahme der a. D. %-ielleicht einmal ihre volle .Aufklärung werden finden können. „Das Resultat der Untersuchung," so resümiert Hartmann, „läßt sich dahin zusammenfassen, daß eine Wirkung der a. D. noch bei keiner astro- physikalischen Erscheinung mit Sicherheit nach- gewiesen ist, und daß sich keine der bisher be- obachteten Erscheinungen allein durch die a. D. erklären läßt"'. H. hat aber ohne Voreingenommen- heit auf diejenigen Vorgänge hingewiesen, bei denen vielleicht ein Einfluß der a. D. auftreten kann, und hat gezeigt, wie in diesen Fällen die Frage durch künftige Beobachtungen zu entschei- den sein wird. Kbr. Mit der Erklärung der Kanäle des Mars beschäftigt sich ein beachtenswerter Aufeatz von Simon Xewcomb. der im Juliheft des .-\stro- physical Journal erschienen ist. Nach einer theo- retischen Betrachtung über die Grenzen der Er- kennbarkeit von linienartigen Gebilden auf Planetenscheiben berichtet Newcomb über inter- essante Experimente, die er auf diesem Gebiete angestellt hat. L'm Versuchs Verhältnisse zu schaffen, die denen bei der Beobachtung von Planeten- scheiben möglichst ähnlich sind, zog er mit Tinte Linien auf Fapierscheiben, die er am Fenster be- festigte und im durchscheinenden Lichte beob- achtete. Dabei zeigte sich, daß der unbefangene Beobachter bei ausreichender Entfernung \-ielfach unterbrochene Linien oder Linienelemente, an die sich ein schwacher Schatten anschloß, für fort- laufende Linienzüge hielt, ja daß er sogar auf Scheiben, auf denen gar keine Linien gezogen waren, mit Sicherheit Liniens}-steme zu erkennen glaubte, die bei näherem Herantreten sich als durch die Papierstruktur verursacht herausstellten. Un- sere Wahrnehmung läßt sich also leicht dahin irreleiten, daß sie Gebilde, die sie zu sehen ge- wohnt ist, auch ohne entsprechende reelle Ursache auf Grund gewisser dazu anregender Stützpunkte zu sehen vermeint. Wohl waren ähnliche Versuche, bei denen die Größe der möglichen Illusion (von Newcomb ,.\isual infererce" genannt zutage trat, bereits vor einigen Jahren von Maunder mit Schulknaben angestellt worden, aber hervorragende Bedeutung kann diesen Täuschungen naturgemäß erst bei- gelegt werden, seitdem erwiesen ist, daß auch geübte, namhafte Beobachter von ihnen sich nicht frei zu halten vermögen. Um die an sich selbst gemachten Erfahrungen an anderen zu bestätigen, ließ Newcomb noch von einer Zeichnung, auf der reiher.ähnlich, aber nicht genau geradlinig angeordnete Farbfleckchen willkürlich entworfen waren, aus 30 m Entfernung teils mit bloßem -Auge, teils mit Benutzung des Opernglases Skizzen anfertigen, ur.d zwar von den als treSüche Beobachter bekannten .Astro- nomen W. H. Pickering, Bailej-, Bamard und Fox. .Auch hierbei zeigte sich, daß die Fleckenreihen zu kontinuierlichen, genau in Großkreisbögen ver- laufenden Linien integriert wurden. -Als Ergebnis dieser Versuche will Newcomb aber durchaus nicht etwa die Behauptung aus- sprechen, daß die Marskanäle nur eine Illusion seien. Viele von ihnen sind ja von so zahlreichen Beobachtern übereinstimmenderweise dargestellt, ja sogar auch photographiert worden, daß an der reellen Existenz irgendwelcher Gebilde, die jenen subjektiven Eindruck her\"orrufen, nicht zu zweifeln ist. Welcher Art aber die Marsgebilde sein mögen, die subjektiv als ,. Kanäle" erscheinen, bleibt eine oflene Frage. Die objektive Realität kann nach den eben geschilderten Vereuchen erheblich von der subjektiven .Auffassung verschieden sein. Eine schwarze Linie auf dem Mars, die 5 — 6 km breit gedacht wird, würde in unseren Fenirohren wegen deren Unvollkommenheiten und auch w^en der atmosphärischen Dispersion statt in einer Breite von o,02"' als ein schwacher Schatten von 10 — 20 mal so großer Breite erscheinen. Wenn nun auch auf einem ganz gleichmäßig hellen Hintergnmd ein solcher Streifen sichtbar sein könnte, so glaubt Newcomb, daß die wahre Breite auf 13 — 16 km erhöht werden müßte, damit das Gebilde unter den sonstigen Flecken der Nachbar- schaft auf der Planetenscheibe hinreichend deut- lich hervortreten körjite. Da man aber nicht annehmen kann, daß die als Marsksmäle erschei- nenden Objekte völlig schwarz sind, so hält New- comb dafür, daß die schmälsten, für uns noch sichtbaren Kanäle in Wahrheit wohl 16 — 32 km Breite haben mögen. Dieses Ergebnis weicht \-on dem Lowell's stark ab. der die feinsten Kanäle für nur 4 — 5 km breit hält. Lowells Schätzung stützt sich aber auf Versuche mit dunklen Drähten, die gegen den Himmel betrachtet wurden und daher tief schwarz erschienen, und läßt auch die 7i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 45 Ungleichmäßigkeit des Hintergrundes im Falle der Beobachtung einer Planetenscheibe außer acht. Das ganze System der 400 von Lowell beob- achteten Kanäle müßte gemäß den Ergebnissen Newcombs über die geringste, anzunehmende Breite und deren Vergrößerung durch Abirrung usw. des Lichts etwa die Hälfte der Planetenoberfläche be- decken. „Obgleich diese Resultate die Wahr- scheinlichkeit der Realität des ganzen Kanal- systems erschüttern, bestreiten sie doch nicht die Möglichkeit derselben." Newcomb empfiehlt zum Schluß allen Marsbeobachtern, die Vorgänge der Wahrnehmungsiilusion an ihren eigenen Augen durch Experimente, wie er sie geschildert, zu studieren. Auf diese Weise könnte man am ehesten dahin gelangen, diejenigen objektiven Realitäten zu ermitteln, die den subjektiv am Fernrohr wahrgenommenen Liniensystemen ent- sprechen. Kbr. Untersuchungen über spektroskopische Doppelsterne sind in letzter Zeit von mehreren Seiten ausgeführt worden, wobei es bemerkens- wert ist, daß es mit Hilfe des nur mit einem Prisma versehenen Spektrographen der Lickstern- warte am ßö-zölligen Refraktor möglich war, bei dreistündiger Exposition von dem Sterne Y Ophiuchi, der im Minimum bis auf die achte Größe herabsinkt, befriedigende Aufnahmen zu erhalten, während bisher bei Aufnahmen, die zur Ausmessung der Linienverschiebung dienen sollten, stets stärkere Dispersion angewendet werden mußte, wodurch die Untersuchungen auf Sterne von mindestens sechster Größe beschränkt waren. Die Ergebnisse, zu denen drei Bahnbestimmungen geführt haben, stellen wir hierunter tabellarisch zusammen. und Adams ausgeführt worden (Astrophys. Journal, Juni 1907). In dem weniger brechbaren Teile des Spektrums zeigten sich nur geringe Unterschiede, nur an den Linien D,, D.^, bj, bg und h^ bemerkt man am Rande der Sonne eine weit geringere Verwaschenheit als im Centrum, wie dies bereits Hastings im Jahre 1880 bemerkt hatte. Sehr auffallend sind aber die spektralen Unterschiede des Randgebietes gegenüber den zentralen Teilen im Blau, Violett und namentlich im Ultraviolett. Denn hier zeigen die stärkeren Linien im Zentrum der Sonne fast durchweg eine starke Verbreiterung und Verwaschenheit, welche am Sonnenrande erheblich geringer ist, so daß die Linien weit schärfer von einander getrennt er- scheinen. Diese Veränderungen am Sonnenrande sind entgegengesetzt den in Flecken zu beobach- tenden, entsprechenden Änderungen, die in einer Erhöhung der Breite und Verwaschenheit vieler Linien bestehen. Andererseits laufen die Verstärkungen und Schwächungen, welche an einzelnen Linien in den F"lecken zu beobachten sind, im allgemeinen ähn- lichen Veränderungen am Sonnenrande parallel. Linien also, die in Flecken intensiver oder feiner sich darstellen, verhalten sich am Sonnenrande ebenso, wenn auch in geringem Grade. Allerdings werden von diesen Verstärkungen in Flecken vor- zugsweise die Linien des Titan und Vanadium, am Rande mehr die des Mangan, Eisen und Cal- cium betroffen. Beim Wasserstoff verhalten sich merkwürdiger- weise die verschiedenen Linien verschieden. Während H;. und HS in Flecken und am Rande im gleichen Sinne verändert, nämlich schärfer und schmaler erscheinen, zeigt sich H« in den Flecken gleichfalls schmaler und feiner, ist aber am Rande der Sonne verbreitert und etwas verstärkt. N.ime des Sterns Umlaufszeit Mittlere B.ihngescli windigkeit X Cancri 6,393 Tage 67,8 km TVulpeculae 4,436 „ 17,6 „ Y Ophiuchi 17,121 „ 8,5 „ Exzentrizität Geschwindigkeit des Systems relativ zur Sonne Berechner 0,149 -1-26,3 km Ichinohe 0,43 0,10 — 1,3 „ — 5,0 „ 1 S. Albrecht In bezug auf die beiden letzten, dem Typus von ö Cephei angehörenden, veränderlichen Sterne zeigte sich ebenso wie bei acht früher in gleicher Weise erforschten Sternen derselben Klasse, daß das Lichtmaximum mit der größten Annäherungs- geschvvindigkeit, das Minimum mit der Zeit des stärksten Zurückreichens nahe zusammenfällt. Die Zeit der Lichtabnahme ist bei allen diesen Sternen etwa doppelt so groß wie die Zeit der Zunahme. Kbr. Vergleiche zwischen den Spektren der Mitte und des Randes der Sonnenscheibe sind jüngst auf photographischem Wege von Haie Wichtig ist endlich auch das Verhalten der Eisenlinie A 4233,3. Diese Linie ist nämlich im sog. Flash-Spektrum, d. h. in dem bei totalen Plnsternissen unmittelbar vor Eintritt der Totalität aufblitzenden fimissionspektrum, sehr intensiv, im Spektrum des Randlichtes der Sonnenscheibe aber trotzdem wesentlich abgeschwächt. Die Ursache hierfür, sowie für viele ähnliche Erscheinungen des Sonnenrandspektrums bleibt noch durch weitere, sorgfältige Untersuchungen aufzuhellen. Kbr. Neue Untersuchungen über das Wesen des Klanges verschiedener Instrumente sind von N. F. VI. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 717 E. 1 1 e r r m a n n - G o 1 d a p im Anschluß an photo- graphische Aufzeichnung der Schwingungskurven nach I'honographenwalzen ausgeführt worden (Annalen der Physik, 1907, Heft lo). Dieselben führen ebenso wie die gleichfalls in diesem Jahre posthum in Pflüger's Archiv (Bd. 116) veröffent- lichten Arbeiten von Meißner zu dem Ergebnis, daß die Helmholtz'sche Theorie des Klanges nicht nur für die Vokale, sondern auch für die Instru- mentalklänge falsch ist. L. Hermann hat bekanntlich durch eine Reihe von Arbeiten, die sämtlich in Pflüger's Archiv (Bd. 45, 47, 53, 59) zu finden sind, den Nachweis geführt, daß für die verschiedenen Vokale allein die absolute Höhe gewisser mitklingender Töne das VV^esentliche ist. Gleichwohl glaubte man bis jetzt vielfach, für Instrumentalklänge an der Helm- holtz'schen Auffassung festhalten zu sollen, daß die Klangfarbe bestimmt sei durch ein für alle Noten gleiches Intensitätsverhältnis der Partialtöne. Indem nun Herrmann-Goldap die von Phono- graphenwalzen gewonnenen Schwingungskurven mikrometrisch ausmaß und danach harmonisch analysierte, kam er zu dem Ergebnis, daß keine der Analysen die Helmholtz'sche Theorie bestätigte. Als charakteristisch für die Klangfarbe der ein- zelnen Instrumente erscheint vielmehr eine Her- vorragung von Tönen, deren Höhenlage sich beim Erklingenlassen verschiedener Noten nicht ändert, so daß also die Vokale den Instrumentalklängen gegenüber keine Sonderstellung mehr einnehmen. Der bei der harmonischen Analyse als Her- vorragung unter den Partialtönen sich geltend machende, feste Ton, den L. Hermann den For- mant des Klanges genannt hat, zeigt sich schon beim bloßen Anblick mancher der photographisch registrierten und in den Annalen der Physik re- produzierten Kurven mit großer Deutlichkeit. Die Resultate im einzelnen sind folgende: Weitester Bereich der T, , , Grundton- Instrument M , u 1 Formant Amplitude in JNotenbereicIi „ "^ . rrozcnten der Formant- amplitude. giss— ha 0—48 I13— C4 13—30 K-äz 57-88 hl — Co 57 — '.oo fj— as 104—316 gisa - ha 132 — 500 Die Tenorposaune war dabei piano, alle an- deren Instrumente mf bis f angeblasen. Bei der großen Flöte war der Formant nicht genau be- stimmbar, wogegen das Waldhorn zwischen g.. und b,, noch einen zweiten Formanten besitzt. Die Formanten der Holzblasinstrumente einer- seits, der Tenorposaune und des Waldhorns an- dererseits liegen nach der Tabelle ungefähr in demselben Bereich. Die Instrumente unterscheiden Oboe fi -h Trompete in B b^ -b, Tenorposaune d, -f> Waldhorn in F esi- -as Grofle Flöte d,- -eis Klarinette in B a, — e.. sich sonst nur noch durch das Amplitudenver- hältnis der angeblasenen Note zum Formanten. „Man hat also anzunehmen, daß einen ebenso großen Einfluß wie der P'ormant der Grundton auf die Klangfarbe hat, und zwar ist ein Klang scharf, wenn die Grundtonamplitude klein gegen- über der Formantamplitude ist (Oboe, Trompete). Je mehr sich die Amplitude des Grundtons der des P'ormant nähert, desto voller und angenehmer wird der Klang (Waldhorn). Übersteigt die Höhe der Grundtonamplitude die des Formanten, so wird der Klang weich (große Flöte), zuletzt etwas näselnd (Klarinette). Herrmann-Goldap wird seine Untersuchungen auch noch auf die Saiteninstrumente ausdehnen; aber schon die bisher gewonnenen Resultate sind in hoiiem Maße interessant, wenn es auch an sich bedauerlich sein mag, daß die Wirklichkeit nicht der so einleuchtenden, schönen Theorie von Helm- holtz entspricht. Kbr. Eine Blase aus Schusterpech läßt sich zur Demonstration der , .festen F'lüssigkeit" nach Orlow leicht auf folgendem Wege erzeugen (Phys. Ztschr. v. 15. Sept. 1907). Eine Quantität Pech wird vorsichtig (weil leicht entzündlich) ge- schmolzen und in eine glatte, flache Papierform ausgegossen. Nachdem zufällige Verunreinigungen und Blasen entfernt sind, setzt man einen größeren Glastrichter mit seiner weiten Öffnung in das Pech und läßt dieses erkalten. Nach Ablösen der Papierunterlage und Entfernung des außen um den Trichter sitzenden Pechs wird der Trichter, die 8 — 10 mm dicke Pechplatte nach unten gewendet, in ein Stativ geklemmt und die im Trichter ent- haltene Luft durch ein Gummigebläse auf 5 — 18 cm Quecksilbersäule Überdruck komprimiert, was am besten durch Anschaltung eines Manometers mit Hilfe eines T-Stücks beobachtet wird. Die Pech- platte biegt sich dann bald nach unten und bläht sich in etwa ' ., Stunde zu einer schönen, kugeligen Blase auf Es gelingt so, das Fließen des festen, beim Anschlagen einen spröden Klang gebenden Pechs als Vorlesungsversuch zu zeigen, während man sonst nur auf das langsame Ausfließen aus Fässern hinweisen kann oder doch bei dem be- kannten Versuche der Durchbiegung einer an den Enden unterstützten Siegellackstange den Versuch zeitlich auf Wochen und Monate ausdehnen muß. Kbr. Bücherbesprechungen. Prof. E. Gnau , Astronomie in der Schule. I. Teil. 47 Seiten. Leipzig, Quelle & Meyer, 1907. — Preis 80 Pf. Verf. erörtert in sachgemäßer Weise mit Berück- sichtigung auch der von anderen Seiten zum gleichen Gegenstande vorliegenden Äußerungen die Bedeutung der Übermittlung astronomischer Anschauung von der 7i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 45 untersten Klasse an. Unter Verzicht auf alle künst- lichen Lehrmittel sollen die wichtigsten Tatsachen durch eigene Beobachtung des Himmels zu fort- schreitend klarerem Verständnis gebracht werden und auch auf die historische Entwicklung unseres Welt- bildes soll gebührend Rücksicht genommen werden. Kbr. MüUer-Pouillet's Lehrbuch der Physik und Meteorologie. lO. Aufl., herausgegeben von L. Pfaundler. Dritter Band: Wärmelehre, Che- mische Physik, Thermodynamik und Meteorologie. 923 S. mit 499 Abb. Braunschweig, F. Vieweg und Sohn, 1907. — Preis 16 Mk., geb. iS Mk. Der dritte Band des immer noch einzigartig in der Literatur dastehenden „Müller-Pouillet" weist in der neuen Auflage recht erhebliche Umarbeitungen auf, die durchaus dem Werke zu hohem Vorteil ge- reichen. Während die Thermometrie und Kalori- metrie wie bisher vom Herausgeber dargestellt wurde, so daß abgesehen von Ergänzungen mit Rücksicht auf die neuesten Fortschritte nicht viel zu verändern war, wurde für die übrigen Teile des Bandes die Mitarbeit namhafter Spezialforscher gewonnen, die naturgemäß vielfach eine weitgreifende LTmgestaltung des bisherigen Textes für zweckmäßig erachteten. So wurden die chemisch-physikalischen Tatsachen und die Lehre von der Umwandlung der Aggregatzustände durch Dr. Drucker, einen Vertreter der Ostwald'schen Schule, bearbeitet. Die Thermodynamik, Wärmeleitung und kinetische Wärmetheorie fand in Prof. Waßmuth einen geschickten Bearbeiter , der auch schwierigere, theoretische Abschnitte klar und verständlich zur Darstellung zu bringen wußte. Ganz besonders er- freulich ist es aber, daß die Meteorologie in einem 120 Seiten umfassenden Schlußteil eine zusammen- hängende Neudarstellung durch den Altmeister dieser Wissenschaft , J. Hann , gefunden hat. Dieser Teil, der natürlich einen gedrängten Auszug aus dem großen, nicht jedermann leicht zugänglichen Lehrbuch der Meteorologie desselben Autors darstellt, bietet die Gewähr absoluter Zuverlässigkeit. — Der ganze Band zeichnet sich durch sehr reiche Ausstattung mit Ta- bellen, graphischen Darstellungen, klaren Abbildungen von Instrumenten, und vielen Literaturnachweisen aus. Kbr. Dr. Greinacher, Radium. 60 Seiten. Leipzig, Veit & Co., 1907. Die kleine Schrift setzt sich aus drei Teilen zu- sammen , deren erster früher als Zeitungsartikel er- schienen ist und somit eine sehr leicht verständliche Darstellung der Radioaktivität bietet. Der zweite, in der naturwissenschaftlichen Rundschau erschienene Teil beleuchtet die theoretische Seite der radioaktiven Erscheinungen. Der dritte Teil endlich ist ein Neu- abdruck des in dieser Zeitschrift (Bd. V, Nr. 42) veröffentlichten Aufsatzes über Elektrizität und Materie. Durch Zusätze sind diese Artikel noch so weit ergänzt worden, daß sie den gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse wiederspiegeln. Anregungen und Antworten. Herrn E. — Über „die Grenzen des Irreseins" hat seinerzeit der französische Gelehrte Dr. A. Cullerre ein Buch geschrieben (übersetzt von Dr. Dornblüth iSgo). Unserer da- maligen Besprechung vom 12. April 1S91 entnehmen wir über den Gegenstand das Folgende. Wollen wir das Irresein klassifizieren, so müssen wir es zu der Familie der Neurosen stellen ; keine der Eigentümlichkeiten dieser fehlt ihm, vor allem die hauptsächlichste, nämlich die Abwesenheit für unsere Hilfsmittel nachweisbarer anatomischer Veränderungen ; man ptlegt daher die Neurosen als ,, funktio- nelle" Störungen zu bezeichnen. Die Neurosen, also auch das Irresein, können sich aber unter dem Einflüsse oder bei Ge- legenheit greifbarer Veränderungen des Nervensystems ent- wickeln. Aber nicht nur in systematischer, auch in physiolo- gischer Hinsicht besitzen die Neurosen enge Verwandtschaft. Moreau hat die engen diesbezüglichen Beziehungen des Irre- seins zu Krämpfen, Hysterie, Idiotie, Epilepsie, Schielen, Läh- mungen, Neuralgien, Gehirnfiebern, SchlaganTällen, E.xzentrizität, wunderlichen Gewohnheiten, Stottern, Asthma und Taubheit hervorgehoben. ,,Die Natur macht keine Sprünge", dieses immer wieder zum Bewußtsein kommende Resultat beim Studium der or- ganischen Welt, prägt sich auch bei der Untersuchung der Grenzen des Irreseins gewaltig ein ; denn hier eine scharfe, stets deutliche Grenze zu linden, ist unmöglich und es gibt auch keine. Von der normalen Geistestätigkeit bis zum zweifel- losen Irresein gibt es alle Zwischenstufen, die bei einer all- mählichen Folge von Erscheinungen überhaupt nur denkbar sind: wo das Irresein anfängt, kann man daher in sehr vielen Fällen nicht angeben, und der .Streit darüber kann infolge- dessen nicht geschlichtet werden, er ist überhaupt müßig. Bei dieser Sachlage wird man die Meinung Griesinger's zu würdigen wissen, der da bemerkt, dal) das Dilemma : ,, Dieser Mensch ist irre oder nicht'' ein Unsinn sei. Auch das Fehlen einer Grenzlinie zwischen Irresein und dem Laster, aber vor allem dem Verbrechen, worauf besonders Lombroso nachdrücklich hingewiesen hat, wird auch von Cullerre betont. F,s sind bei Lombroso wie bei Cullerre die Gewohnheitsverbrecher gemeint, die mit den aus erblicher Be- lastung Geisteskranken eine große ."Anzahl von Entartungszeichen teilen. Ja, wenn bei den beiden Gruppen ein Unterschied besteht, so ist es der, daß die bei den Verbrechern gefundenen Abweichungen die der Irren weit überragen, und die Erblich- keit ist ein gemeinsamer Boden, auf dem sich ganz unfraglich Verbrechen und Irresein vereinigen. CuUerre's Ansicht unterscheidet sich aber etwas von der Lombroso's. „Daraus, daß zahlreiche Aehnlichkeiten zwischen den geborenen Verbrechern und dem Irren aus Erblichkeit vorhanden sind, daß sie ihre fehlerhafte Gehirnbeschaffenheit aus einer gemeinsamen (Quelle, der Erblichkeit, schöpfen, daß sie beide Erzeugnisse der Entartung des Stammes sind, daß endlich ein Mensch gleichzeitig Verbrecher und Irre sein kann — aus alledem folgt nicht — sagt Cullerre — , daß man sie einander gleichstellen und in einen einzigen Typus zu- sammenwerfen müßte. Es sind vielleicht zwei Acste desselben Stammes, aber wenn sie an der Grundfläche zusammentreffen, so stehen sie am Gipfel auseinander und entwickeln sich in verschiedenen Richtungen. Wir glauben deshalb nicht, mit Lombroso sprechen zu können : ,,Das moralische Irresein ist eine Gattung, von der das Verbreclien eine Art bildet." Für uns sind beide vielmehr benaclibarte Arten. Denn trotz ihrer Aehnlichkeitspunkte wird stets ein Grund- unterschied zwischen ihnen bestehen, auf dem die Diagnostik ganz und gar fußen muß ; wenn der geborene Verbrecher und der Irre aus Erblichkeit alle beide Sieche an Verstände sind, so ist doch nur der erblich Irre allein ein Kranker." Les extremes se touchent gilt insofern für die geistigen Aeußerungen, als der Gegensatz einer ausgesprochenen gei- stigen Störung wieder in's Gebiet des zweifellosen Irreseins gefiärt. So steht der Platzangst die Klaustrophobie, der Klepto- phobie (d. h. der F'urcht sich etwas anzueignen, was anderen gehört.) die Kleptomanie, (d. h. der unwiderstehliche Stehl- trieb) gegenüber. Der Brandstiftungstrieb (die Pyromanie), der unwiderstehliche Drang Feuer anzulegen, hat als Gegenstück die Feuerfurcht (Pyrophobie), die Furcht vor Zündhölzern und Feuer. Der Tierfurcht (Zoophobic) kann man die Tiersucht N. F. VI. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 719 (die üborlricliLMic l,ii-bc zu Tieren) gcjjeiiUberstellcn, welche Magnan auf den Gedanken vom Irresein der Vivisektions- gegner gebracht liat. Ebenso begegnet man neben der Furcht vor unremen Berührungen zuweilen dem nicht auszuweichenden Drange, unsaubere Dinge zu berühren. Gelcgcnhcitsursachen spielen für das Auftreten des Irrsinns eine nur untergeordnete Rolle, vor allem ist es — wie die vielen von CuUerre gebotenen Beispiele (Krankengeschichten) immer wieder zeigen — die namentlich durch Vererbung ge- schaffene Anlage zu Geistesstörungen, welche zu berücksichtigen ist. Oft pllanzt sich also die Krankhcitsanlagc fort, die sich aber in den Nachkommen nicht immer in gleicher Weise ent- wickelt, sondern in verschiedenartigen, jedoch zu derselben Familie gehörigen Krankheitsäußerungen auftreten kann; die Nervenkrankheiten sind also in bezug auf die Erblichkeit mit- einander vollkommen solidarisch. Ursprünglich hat sich das Irresein „gewissermaßen als Lösegeld für jedei\ F'ortschrilt des Menschengeistes allmählich entwickelt. Wie bei den wilden Völkern bleibt das Irresein fern, solange das Gehirn verliältnismäßig untätig bleibt. Das Irresein ist also erworben. Daß Aristokratien und Dynastien leicht entarten, ist allbekannt. D.as unter ihnen übliche Hei- raten in der Blutsverwandtschaft reicht für die Erklärung dieser Entartung nach CuUerre nicht aus, denn es wirke nur unter der Bedingung schädlich, daß Mängel und Entartungskeime in der Verwandtschaft bereits bestehen. CuUerre sagt: „Der Besitz der Vorrechte und der Macht scheint zu allen Zeiten den unseligsten Einfluß auf die geistige und sittliche Gesund- heit der damit Belehnten gehabt zu haben." Den durch den Lebenskreis bedingten Verrichtungsstörungen des Verstandes und Gemütes, sowie der erblichen Uebertragung dieses F'nt- artungselenients schreibt er das schnelle und das verhängnis- volle Verschwinden der bevorrechteten Stände zu. Einer der ärztlichen Psychologen hat sogar den Ausspruch getan: „Je höher die gesellschaftliche Stellung der Familie ist, um so schneller entartet und verkümmert sie, endet schließlich durch Unfruchtbarkeit oder frühzeitige Todesfälle und hat noch Glück, wenn sie dem Irresein und dem Verbrechen entgeht." Nicht nur die fürstlichen Familien und die Adelsgeschlechter, sondern auch die bevorrechteten Völker scheinen dem unseligen Gesetz der Entartung zu gehorchen. „Es ist gebräuchlich, die Gruppe von Nationen, welche an der Spitze der Zivilisation marschieren, als ,,Das alte Europa" zu bezeichnen. Europa ist vielleicht nocli nicht eigentlich alt, aber es ist allermin- destens in seinem reifen Alter, und der Tag wird kommen, wo es, wie alles, was in der Bewegung des Lebens steht, den Jüngeren Platz machen muß." Das Genie streift an die Gefahr des Irreseins, ja das Genie ist ein krankliafter Nervenzustand, eine wirkliche Nerven- aufregung, die sich in einem halbkranken Gehirn entwickelt hat. Moreau von Tours sagt: ,,Die Anlagen, welche be- wirken, daß ein Mann sich von anderen durch die Ursprünglich- keit seiner Gedanken und Vorstellungen, durch seine Exzentrizi- tät oder durch die Energie seiner Gemütsbewegungen, durch die Uebericgenheit seiner Geisteskräfte ULterscheidet, entspringen denselben organischen Bedingungen, wie die verschiedenen geistigen Störungen, deren vollster Ausdruck das Irresein und die Idiotie sind." CuUerre erinnert aber daran, daß die un- leugbare Verwandtschaft zwischen Genie und Irresein doch nicht mißverstanden werden dürfe, denn zwar seien einige hervor- ragende Menschen irre geworden, aber nie werde ein Irrer ein Mann von Genie. Das Genie schöpfe die Mittel zu seiner Tätigkeit und Entwicklung nicht nur aus sich selbst, sondern es entnehme einen Teil davon den Umständen und der Umgebung. Die Tatsache, daß zu manchen Zeiten die Genies sich vermehren und zu anderen Zeiten vollkommen fehlen, sei ein charakteri- stischer Beweis dafür. Ferner produziert jedes Zeitalter eine besondere Form von Genies: die religiösen Genies erscheinen in den Zeiten des Verfalls und der -gesellschaftlichen Zucht- losigkeit, die militärischen in den Zeiten der Völkerkriege, die wissenschaftlichen, künstlerischen und literarischen in den Zeiten des Friedens und Reichtums, die politischen Genies in den Revolutionszeiten. Das Talent und das Genie, wie das Irresein sind das Ergebnis der erblich übertragenen geistigen Erregung aufeinanderfolgender Generalionen. P. llerin A. S. in Hanau. — Frage i: Sie fragen, auf wel- cher Altersstufe die Geschlechtsorgane der Physostomen, namentlich der Cy|)rini)iden, sich differenzieren und wo Sie Ausführliches über den Gegenstand finden. — — W. Felix und A. Bühler sagen (in: O. Hertwig, Handbuch der vergleichenden und experimentellen Entwicklungslehre der Wirbeltiere Bd. 3, Teil I, Jena 1906, S. 655); „Die Zeit der Geschlechtsdifferenzierung ist bei den meisten Vertretern sehr schwer zu bestimmen. Bei .Salmo snlur tritt sie ca. ein halbes Jahr nach dem .ausschlüpfen ein (Bestimmung nach in der Gefangenschaft lebenilen Exemplaren); bei lihodciis amarns erfolgt sie bei ausgeschlüpften Fischen von II mm Länge (Tungersen 1889), bei /.oarces viviparns beginnt sie bei jungen Fischen von 18 mm Länge (Jungersen 1889)." — Ein vollkommenes Literaturverzeichnis über diesen und ver- wandte Gegenstände finden Sie in dem genannten Werke S. 8i;2 bis 869. Besonders mache ich Sie auf einen Aufsalz von M. Nußbaum, ,,Zur Differenzierung des Geschlechts im Tierreich" (in: Arch. f. mikr. Anal. Bd. 18, 1880, S. I — 121) aufmerksam. F'ragc 2: Dann möchten Sic wissen ob die Prostata, wie- wohl eine Drüse, ein Analogen des Uterus sei, wie dies von gewissen Seiten behauptet werde, oder, wenn nicht, ob sich im weiblichen Geschlecht Rudimente der Prostata und im männlichen Geschlecht Rudimente des Uterus finden; mil Literaturangaben. Ein Buch, in dem die neuesten For- schungsresultate auf diesem Gebiete verarbeitet sind, ist O. Hertwig, Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte des Men- schen und der Wirbeltiere (7. Aufl., Jena 1902, S. 429). — Hertwig sagt: ,,Zum Uterus masculinus wandeln sich die hinteren Endstücke der beiden Müller 'sehen Gänge um, die, in den Genitalstrang eingeschlossen, dicht nebeneinander liegen. Durch Schwund der sie trennenden Scheidewand ver- einigen sie sich zu einem unpaaren, kleinen Schlauch, welcher zwischen der Ausmündung der beiden Samenleiter an der Prostata gelegen ist und daher auch noch den Namen des Sinus prostaticus führt. Beim Menschen außerordenUich un- scheinbar, gewinnt der Uterus masculinus bei manchen Säuge- tieren, bei Carnivoren und Wiederkäuern (Weber), eine be- deutende Größe und sondert sich, in ähnlicher Weise wie beim Weibe, in einen Scheiden- und einen Gebärmutterteil. Beim Menschen entspricht er hauptsächlich der Scheide (Tourneux)." Und dann (S. 443) : „Der Anfang der Harn- röhre erfährt vom dritten Monat an Veränderungen, durch welche die Vorsteherdrüse oder Prostata gebildet wird. Die Wandungen nämlich verdicken sich beträchtlich, erhalten glattes Muskelgewebe und stellen einen ringförmigen Wulst dar, in welchen vom Epithel des Rohrs mehrere Ausstülpun- gen hineindringen und durch ihre Verästelungen die drüsigen Partien des Organes liefern. An seiner hinteren Wand finden sich , wie bekannt, die Ausmündungen der Samenleiter und zwischen ihnen der Sinus prostaticus oder Uterus masculinus, der aus den Müll er 'sehen Gängen entstanden ist". Aus diesen Angaben ersehen Sie, daß die Prostata dem Uterus nicht homolog ist. — Eine gute bildliche Darstellung der Rückbildung des Ductus MüUeri zur Vesicula prostatica beim Menschen im 3. und 4. Monat enthält J. Koll mann's Hand- atlas der Entwicklungsgeschichte des Menschen (Jena 1907) in Fig. 449 und 4i;o. — Ausführliclieres über den Gegen- stand finden Sie in dem oben genannten O. H e r t w i g' sehen Handbuch. Über den zweiten Teil Ihrer Frage heißt es in Hertwig's Handbuch (S. 850): „Auch beim Weibe gehen vom distalen Abschnitte der Urethra ähnliche Drüsenanlagen aus, die dem kranialen Teile der männlichen Prostata ent- sprechen. Ihre Ausdehnung bleibt gering." — Die Literatur können Sie sich leicht aus dem oben genannten Verzeichnis jenes Werkes heraussuchen. Das Wichtigste gibt auch schon das oben genannte Hertwig 'sehe Lehrbuch auf S. 446 bis 451. Dahl. Herrn R. Seh. in M. — l) Es dürfte kaum möglich sein, einen näheren Grund dafür anzugeben , daß die Zahnnerven durch Süßigkeiten besonders leicht gereizt werden. 2) Bei absoluter Windstille werden Telegraphendrähte gewiß nicht summen, wohl aber reicht wahrscheinlich gelegent- lich eine schwache Luftbewegung dazu aus, die Schwingungen zu erregen, besonders wenn zufällig die Periode der Wind- 720 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 45 Stöße mit der SchwingUDgsperiode des Drahtes übereinstimmt oder ein genaues Vielfaches derselben ist. Der vermeintliche Zusammenhang mit dem zu erwartenden Wetter dürl'te auf Aberglauben zurückzuführen sein. Das Summen mag im Winter leichter auftreten, da die Drähte bei niederer Tempe- ratur infolge der Verkürzung strammer gespannt sind. Das Auftreten der Obertöne haben die Telegraphendrähtc mit den Saiten eines Musikinstruments gemeinsam. Daß schwingende Körper nicht nur als Ganzes, sondern auch zugleich in Teilen schwingen, ist eine allgemeine Erscheinung. 3) Der Schnee knistert bei der Kälte, weil die Eiskristalle spröde sind und weil nicht so leicht infolge des Drucks Schmelzen und Regelation eintritt. 4) Die senkrechten Lichtbänder, welche wir an Licht- quellen beim Blinzeln bemerken, entstehen durch Beugung des Lichtes an der horizontalen Lidspalte ahnlich wie bei einem Gilter. Vergleichen Sie hierzu den Artikel : ,,Die Verwendung feiner Gilter" auf Seite 17 dieses Jahrgangs der Naturwiss. Wochenschrift. Natürlich bewirkt die in der Lidspalte zu- sammengedrängte Tränenflüssigkeit noch gewisse Unregelmäßig- keiten. 5I Bei der Auflösung ist wohl die Adhäsion die Ursache der Überwindung der Kohäsion, aber die Energie, welche zur Verflüssigung des festen Stoffes verbraucht wird, muß sich durch einen entsprechenden Wärmeverbrauch geltend machen. Diese potentiell gewordene Energie kommt bei der Auskristalli- sation wieder als kinetische Energie (Wärme) zum Vorschein. Ähnlich vermag zwar das Chlorophyll die Kohlensäure der Luft zu assimilieren, aber nur wenn zugleich das Licht die nötige Energie liefert, die bei der Verbrennung der organi- schen Substanz wieder erscheint. Herrn F. B. in Tegel. — Sic möchten über die Ent- wicklung der Geschlechtsprodukte bei den Hydrokorallien, diesen eigenartigen, an dem Aufbau der Korallenriffe vielfach teilnehmenden, korallenartigen Tiere, die sich nach dem ein- fachen Bau der Einzelpolypen der Klasse der Hydroidpolypen oder Hydrozoen eng anschließen, nähere Angaben haben. — Was in den Lehrbüchern über den Gegenstand sich findet, genügt Ihnen nicht. — — Von neueren Arbeiten über den Gegen- stand nenne ich Ihnen besonders eine größere Abhandlung S. J. Hickson's, The medusae of Millepora murrayi and the gonophores of AUopora and Distichopora (in: Quart. Journ. micr. Sei. Vol. 32, 1891, p. 375 407, PI. 29 and 30). — Die beiden Familien der Hydrokorallien, die Stylastcridae (mit den Gattungen Stylaster, AUopora, Distichopora etc.) und die Milleporidae (mit der Gattung ilillepora) verhalten sich, was die Entwicklung ihrer Geschlechtsprodukte anbetrifft, sehr verschieden. Bei den Stylasteriden entwickeln sich die Gono- phoren in Ampullen unter der Oberfläche des Cönosarks und zwar entweder einzeln oder zu zweien und dreien (auf ver- schiedener Entwicklungsstufe stehenden) in einer Ampulle. Gestützt werden die Gonaden durch einen kleinen napfförmi- gen Trojjhodisk (Nährscheibe), eingeschlossen sind sie in einen doppelten Ekto- und Entodermsack. Am distalen Pol ist bei den reifen männlichen Gonophoren ein kurzer Samenkanal vorhanden, der nach außen mündet. — Bei Millepora ent- wickeln sich die männlichen und weiblichen Geschlechts- produkte in ganz verschiedener Weise. — Die männlichen Geschlechtszellen entstehen im Ektoderm des Cönosarks und wandern dann in das Ektoderm der Tastpolypen (seltener der Nährpolypen) um hier am distalen Ende zu einem Spermarium zusammenzutreten. Haben diese Spermarien eine bestimmte Größe erreicht, so veranlassen sie die Gewebe zu einer rück- schreitenden Metamorphose. Die Tentakeln verschwinden und der l'olyp verliert sein charakteristisches Aussehen. Es erscheint dann ein napfförmiger Auswuchs, der zur Umbrella der Meduse wird und von der Basis dringt ein Fortsatz des Entoderms in das Spermarium ein, um das Manubrium zu bilden. Bevor die Spermatozoen reif sind, löst sich die Me- duse und verläßt die .Ampulle, welche in diesem Falle also, im Gegensatz zu den Ampullen der Stylasteriden , aus einem Daktylo- (oder Gastro)zooid entstanden ist. — Die Meduse (von ililkyura mnrrayi) besitzt im Entoderm der Umbrella weder radiale noch Ringkanäle, kein Velum, keine Sinnesorgane und keinen Mund. — Die Eier von Ilillepora sind sehr klein und dotierarm. Sie bewegen sich amöboid in den Kanälen des Cönosarks und gelangen nicht in besondere Gonophoren oder spezialisierte Teile des Körpers. — Nach Hickson's Ansicht sind die Gonophoren. so weit sie bei den Hydro- korallien sich nicht weiter entwickeln , nicht als degenerierte Medusen zu betrachten. Dahl. Herrn Realschullehrer G. L. in .Sondershausen. — Die Schlange, welche Sic, außer der Puffolter (liitis arietans) und der Hornviper (lUtis cormita], aus Deutsch Südwest-Afrika imter dem Eingeborenennamen ,,Mamba" erhielten, ist, wie uns Herr Professor Dr. G. Tornier freundlichst mitteilt, Xaia mclanoleuca. Die Echse, die der Spender Ihnen als Le- guan bezeichnete, ist nach Herrn Professor Tornier's An- gabe einVaran, und zwar entweder ein Wasservaran ( rarnjws nilolicus) oder ein Landvaran ( 1'. alhigularis). Herrn L. H. E. in Stuttgart. — Eine Zusammenstellung von Fällen, in denen ein Tier bei Krankheiten oder Verletzun- gen sich selbst in irgendeiner Weise heilt und von Mitteln, welche den Tieren zu diesem Zweck zur Verfügung stehen, von ,, Autotherapie", wie .Sie es nennen, habe ich, obgleich ich die Frage seit Eingang Ihres Briefes stets im Auge behielt, nicht auffinden können. Sollte eine solche Zusammenstellung existieren — und ich meine irgendwo etwas derartiges ge- sehen zu haben — so würde uns vielleicht irgend ein literatur- kundiger Leser der Wochenschrift freundlichst aushelfen. Viel- leicht ist Ihnen auch schon mit einzelnen Fällen dieser Art gedient. Dahl. Herrn Dr. E. A. in Rattenberg. — Frage: In welcher Weise lassen sich die Farben der Reptilien und Raupen er- halten. In Formol werden Raupen schwarz und die F^arben der Reptilien (z. B. das prachtvolle Rot der Korallenschlange) erblassen. — — Leider besitzen wir immer noch keine Konr servierungsflüssigkeil , die unseren Anforderungen entspricht. Abschluß des Lichtes ist der wichtigste Grundsatz, den man stets im Auge behalten muß. Die Farben mancher Raupen erhalten sich übrigens recht gut, wenn man die Tiere aus- bläst. Überhaupt erhält man durch schnelles Trocknen , be- sonders an einem luftigen dunkeln Ort, bei Insekten die besten Resultate. Dahl. Herrn A. S. in Wien. — Ein billiges Buch zur Bestim- mung der mitteleuropäischen Süßwasserfische ist H. Ni tsch e , Die Süßwasserfische Deutschlands, ihre Kennzeichen, F'ortpflanzung, Verbreitung und wirtschaftliche Bedeutung, 3. Aufl., Berlin 1899, 74 S. mit 71 .Abbildgn. von einzelnen Fischarten, 10 anderen Te.\tbildern und 1 Karte, Preis i Mk. Die schematisierten Bilder sind zur Wiedererkennung der Art im allgemeinen recht gut geeignet. Sie sind , wie schon O. Nüßlin hervorgehoben hat (in: Zool. Centralbl. Bd. 6, S. 454I, z. T. von II ec kel und Kn er, z. T. von Benecke entnommen. Dalil. Inhalt: Ferdinand Gessert: Unterschiede des Bodens in Stc)ipen verschiedener Klimate. — Heinrich Bünger:Über einige Beziehungen zwischen Wasser, Boden und Pflanze. — Kleinere Mitteilungen : G. Simoens, vonKoenen: Geologie als Unterrichtsgegenstand. — W. H. Julius: Die astrophysikalische Bedeutung der anomalen Dispersion. — Simon Newcomb: Erklärung der Kanäle des Mars. — Untersuchungen über spektroskopische Doppelsterne. — Haie und Adams: Vergleiche zwischen den Spektren der Mitte und des Randes der Sonnenscheibe. — F.. Herrmann- Goldap: Über das Wesen des Klanges. — Orlow: Blase aus Schusterpech. — Bücherbesprechun^en : Prof. E. Gnau: Astronomie in der Schule. — MüUer-Pouillet's Lehrbuch der Physik und Meteorologie. — Dr. Greinacher: Radium. — Anregungen und Antworten Verantwortlicher Redakteur: I.V.: Prof. Dr. V. Koerber, Groß-Lichterlelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge VI. Band; der ganzen Reihe XXII. Band. Sonntag, den 17. November 1907. Nr. 46. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate : Die zweigespaltene Kolonelzcile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. Zur Psychologie der primitiven Kunst. [Nachdruck verboten.] Ein Vortrag von Max Hochgeehrte Versammlung 1 Die Beschäftigung mit der psychologischen Analyse des künstlerischen Schaffens ist alt. Aber sie ist vielfach recht einseitig gewesen und hat sich von einer sehr schmalen Basis erhoben. Die Kunstpsychologie bestand fast ausschließlich in der traditionellen Ästhetik. Den Mittelpunkt aller psychologischen Kunstbetrachtungen bildete immer und immer wieder allein der Schönheitsbegriff der Kulturvölker. Das preßte die Wissenschaft-' liehe Behandlung des Gebietes von vornherein in einen allzu engen Rahmen und es ist durchaus begreiflich, wenn die Begründung dieses Gebietes auf einen so speziellen und noch dazu so unge- mein schwankenden Begriff von vornherein zu mannigfaltigen Widersprüchen und durch und durch gekünstelten Systemen führen mußte. In Wirklichkeit ist das Gebiet unendlich viel größer. Die künstlerische Produktion ist ein Ausdrucksmittel des Menschen für Empfindungen und Vorstellungen, für Gedanken und Gefühle. Dieses Ausdrucks- mittel ist zwar nicht so bequem und praktisch wie Sprache und Schrift, aber es leistet nicht selten mehr als diese. Es erhellt manche Falte des Geisteslebens mit einem Schlage, die das ge- Verworn (Göttingen). sprochene Wort selbst bei genauer Bekanntschaft der Persönlichkeit nur spärlich beleuchtet. Es enthüllt dem, der es zu deuten versteht, eine Fülle von Zügen, von denen ihr Urheber selbst nie etwas ahnt. Vor allen Dingen aber ist es imstande, uns einen Einblick in das Empfindungs- und Vorstellungsleben von Völkern zu geben, von denen kein gesprochenes und kein geschriebenes Wort je Zeugnis ablegen wird. Freilich muß, wenn dieses Ausdrucksmittel nutzbar gemacht werden soll, die psychologische Analyse der Kunstproduktionen von einer viel breiteren Basis ausgehen, als von einem einseitigen Schönheits- begriffe. Wir müssen uns auch auf diesem Ge- biete gewöhnen, den heutigen Menschen im Zu- sammenhange mit seinen primitiveren Vorstufen bis weit in seine tierische Vorfahrenreihe hinein zu betrachten. Nur so werden viele Züge in unserem heutigen geistigen Leben verständlich und sichtbar, die sonst erstaunlich erscheinen, wenn wir sie bemerken, oder die ganz im Ver- borgenen bleiben. Der entwicklungsgeschichtliche Gedanke muß auch in das Gebiet der Kunst- psychologie seinen Einzug halten, wenn wir es aus seiner abgeschlossenen Einseitigkeit heraus- heben wollen. 722 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 46 Minen wirksamen Impuls zu vollständig neuer Gestaltung produziert erfahrungsgemäß ein altes Wissenschaftsgebiet aus seinem traditionellen Be- trieb nicht leicht selbst. Ein solcher Impuls kommt in der Regel von außen. So wird die Kunstpsychologie auch nie aus ihrer ästhetischen Richtung heraus eine neue Anregung zu freierer Entwicklung erhalten. Vielmehr zeigt sich, daß diese Anregung von ganz anderer Seite herkommt. Sie entspringt einerseits der Beschäftigung mit der Kunst des Kindes, die von rein pädagogischen Motiven ihren Ausgang genommen hat und heute schon einen großen Umfang zu gewinnen ver- spricht, andererseits der Beschäftigung mit der primitiven Kunst der heutigen wie der prähisto- rischen Naturvölker, die namentlich durch die Entdeckung der französischen Höhlenkunst seit einem Jahrzehnt einen wachsenden Zustrom des Interesses erfahren hat. Ich möchte mir erlauben, aus der ungeheuren Fülle von Tatsachen und Problemen, die auf dem Gebiete der primitiven Kunst sich dem Auge erschließen, heute eine allgemeine Frage heraus- zugreifen, die in alle einzelnen Verhältnisse nicht bloß der primitiven, sondern aller Kunstschöpfung hineinreicht und die auch recht deutlich zeigt, eine wie breite Basis das ganze Gebiet der Kunst- psychologie in Wirklichkeit hat. Jedem, der in einem Überblick die Kunst- produktionen des prähistorischen Menschen von den ältesten bis in die jüngsten Zeiten vor seinem kritischen Auge Revue passieren läßt, wird der gewaltige Gegensatz auffallen, der zwischen den künstlerischen Leistungen der paläolithischen Mammut- und Renntierjäger und denen der neo- lithischen, bronzezeitlichen, eisenzeitlichen Völker besteht. Die Renntier-, Bison-, Pferdezeichnungen usw. der ersteren sind in ihrer überwiegenden Mehrzahl von einer erstaunlichen Lebenswahrheit und Naturtreue in Haltung und Bewegung; die Idole und Helleristningar, die Tier- und Menschen- figuren auf Urnen und Bronzegeräten der letzteren erscheinen ausnahmslos in steifer, konventioneller, durchaus stilisierter Form ohne Spur von Natur- wahrheit und lebendiger Bewegung. Jene flott in skizzenhafter Weise durch wenige Linien das Charakteristische in richtiger Perspektive wieder- gebend, so daß man das lebendige Objekt vor Augen zu haben glaubt, diese in vollkommener Vernachlässigung aller anatomischen Propor- tionen und aller Perspektive, in rudimentärer pjitstellung und nicht selten ornamentaler Um- gestaltung der einzelnen Teile das natürliche Vor- bild verzerrend, so daß man häufig im Zweifel bleibt, ob überhaupt ein lebendiges Wesen ge- meint ist. Dort immer nur lebendige Wesen, welche die Natur wirklich hervorbringt, hier viel- fach phantastische Fabelgestalten und abenteuer- liche Mischformen. Freilich, und das möchte ich gleich von vorn- herein ausdrücklich betonen, ist der Schnittt, der die [jaläolithische von derneolithischen und späteren Kunst trennt, in Wirklichkeit nicht so scharf, wie man wohl vielfach geglaubt hat. So wie sich der bekannte „Hiatus" zwischen der paläolithischen und neolithischen Kultur für Europa durch neuere Entdeckungen immer mehr ausfüllt, so ist auch die stilisierende Richtung der Kunst nicht plötz- lich und unvermittelt aufgetreten. Sie bereitet sich schon vor in den letzten Zeiten der paläo- lithischen Renntierperiode. Wie der Abbe Breuil nachweisen konnte, beginnt bereits in der Magda- lenienstufe neben dem naturalistischen Tierbild vereinzelt eine zu ornamentalen Zwecken stilisierte Zeichnung von Tieren oder Tierteilen aufzutreten. Aber sie gibt der Gesamtheit der paläolithischen Kunst — und die Gesamtheit der Kunst habe ich im folgenden allein im Auge — nicht ihren all- gemeinen Charakter. Der Gegensatz im allgemeinen Charakter der paläolithischen und der späteren Kunst ist zweifel- los da. Er ist ja auch des öfteren schon in der Literatur klar zum Ausdruck gebracht worden. Aber wie ist er psychologisch begründet? Ich muß gestehen, daß dieser Gegensatz mir einen ganz besonders tiefen Eindruck gemacht hat, als ich vor einigen Jahren zum ersten Male die paläolithischen Wandzeichnungen in den Höhlen der Dordogne in ihrer geradezu über- wältigenden Fülle kennen lernte. Als ich damals von Les Eyzies kommend mit den frischen Ein- drücken auf einsamer Bahnfahrt über den merk- würdigen Gegensatz nachgrübelte, sind mir die ersten Gesichtspunkte für sein psychologisches Verständnis aufgegangen. Das Problem hat mich seitdem nicht losgelassen. Es ist für mich der Anlaß geworden zu Studien über das Geistesleben des primitiven Menschen nach mannigfaltigen Richtungen hin, die zum Teil wieder mit anderen psychologischen und rein physiologischen Studien zusammentrafen, mit denen ich seit längerer Zeit beschäftigt bin. Wichtige Gesichtspunkte habe ich gewonnen aus der vergleichenden Ethnologie. Unschätzbares Material lieferten mir ferner Ex- perimente, die unter planmäßig ausgewählten und systematisch variierten Versuchsbedingungen über zeichnerische Wiedergabe gesehener Objekte an- gestellt wurden und zwar an Schulkindern ent- legener Dörfer Thüringens und der Rhön. Meinem Freunde, Herrn Pfarrer Schröder in Hainichen bei Dornburg a. d. Saale bin ich für die uner- müdliche Durchführung der Experimente zu größtem Danke verpflichtet. Ich möchte Ihnen nun im folgenden einige Ergebnisse aus diesen verschiedenartigen Studien mitteilen. * Es handelt sich bei der bildenden Kunst um die Wiedergabe von optischen Emp- findungen und Vorstellungen. Da ist es zweckmäßig, sich zunächst einmal die physio- logischen Grundlagen dieses Vorganges klarzumachen. N. F. VI. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 723 Am einfachsten liegen die Verhältnisse beim direkten Nachbilden eines Gegen- standes nach der Natur. Ich möchte die folgende Betrachtung nur auf die Zeichnung beschränken. Bei der zeichnerischen Wiedergabe des Gesehenen nach der Natur haben wir im ein- fachsten F"alle zwei Komponenten des Vorganges, eine sensorische und eine motorische. Die von dem Gegenstande her in das Auge einfallenden Licht- stralilen erregen die Netzhaut. Von hier aus geht die Erregung zunächst nach der ersten Station der Sehnervenbahn im Zwischenhirn und von da nach der Sehsphäre des Großhirns. Mit der Erregung der Ganglienzellen in der Sehsphäre ist die Ge- sichtsempfindung verbunden. Das ist der sen- sorische Teil des Vorgangs, die Wahrnehmung, die Beobachtung des Objektes. Bei der direkten Reproduktion des Empfindungsbildes geht nun die Erregung von der Sehsphäre zu dem Gebiet der Bewegungsvorstellungen, die nötig sind für die zeichnerische Ausführung, und von da zu den entsprechenden Bewegungszentren selbst, die sie von der Großhirnrinde über die motorische Station des Rückenmarks zu den erforderlichen Muskeln des Armes und der Hand weiter leiten. Das ist der motorische Teil des Vorgangs, die Aus- führung der Zeichnung. Diese Ausführung voll- zieht sich beim Zeichnen nach der Natur unter stetiger Kontrolle durch die gegebenen Gesichts- empfindungen und wird durch diese fortwährend korrigiert. Die Zeichnung wird in diesem Falle je nach dem durch Übung erworbenen Grade der Ausschleifung der sensorischen und motori- schen Bahnen, d. h. der Beobachtung und Hand- geschicklichkeit eine mehr oder weniger natur- getreue Wiedergabe des gesehenen Objektes sein. Es entsteht so eine durchaus physio- plastische, d. h. der Natur entsprechende Kunst. Aber schon bei dem direkten Abzeichnen nach der Natur drängen sich unter Umständen Momente ein , die geeignet sind , die Naturwahr- heit der Zeichnung zu trüben. Jeder, der Er- fahrungen gesammelt hat beim Abzeichnen von komplizierteren Objekten nach dem mikroskopi- schen Bilde, wird beobachtet haben, wie unge- heuer leicht man dazu verführt werden kann, manches in der Zeichnung darzustellen, was in Wirklichkeit gar nicht beobachtet ist. Es gehört die allerstrengste kritische Kontrolle dazu, um das zu vermeiden. Wie kommt das? Das liegt zweifel- los daran, daß man bei allen komplexen Gesichts- eindrücken immer nur bestimmte Bestandteile des Objektes mit Bewußtsein wahrnimmt, nie alles, was sich im Gesichtsfelde des Auges be- findet. Für die zeichnerische Wiedergabe ist aber der Zusammenhang der wirklich beobachteten Elemente notwendig und so ergänzt man das Fehlende. Der kritische Zeichner wird es durch fortwährende, erneute Beobachtung ergänzen, der weniger gewissenhafte nach Maßgabe seiner Kennt- nisse, die er durch .Abstraktion aus einer großen Anzahl von Beobachtungen an verschiedenen Exemplaren des Objektes, aber nicht aus der speziellen Beobachtung des einzelnen, gerade vor- liegenden Exemplares gewonnen hat, das durch- aus immer seine eigenen spezifischen Eigentüm- lichkeiten besitzt. Hier liegt die Quelle der Täu- schungen, die zu den Abirrungen der Zeichnung von der Naturwahrheit führen. Nur wer wirklich öfter nach dem Mikroskop gezeichnet und sich selbst kritisch beobachtet hat, weiß, wie ungeheuer groß die Verführung ist, ganz unwillkürlich seine eigenen abstrakten Vorstellungen von dem Objekt in die Zeichnung mit einfließen zu lassen an Stelle von reinen Beobachtungen. In unserem Schema würde sich dieser Faktor so darstellen, daß sich zwischen die Station in der Sehsphäre und im Bewegungsvorstellungsgebiete noch andere Sta- tionen aus verschiedenen Assoziations- oder Vor- stellungsgebieten einschieben, die alle die moto- rische Innervation beeinflussen. Spielt diese Quelle für die Trübung der Natur- wahrheit schon beim direkten Abzeichnen nach der Natur eine gewisse Rolle, so entfaltet sie doch eigentlich erst ihre Bedeutung in vollem Umfange, wenn die stetige Kontrolle der Zeichnung durch fortwährende Beobachtung des Objektes überhaupt ausgeschlossen ist, d. h. wenn nach dem Ge- dächtnis gezeichnet wird. In diesem Falle wird nicht der Empfindungskomplex, sondern die Vorstellung d. h. das Erinnerungsbild des- selben reproduziert. Die Erregung nimmt in diesem Falle ihren Ursprung von dem Rinden- gebiet der optischen Vorstellungen und geht von hier aus zu dem Gebiet der entsprechenden Hand- bewegungsvorstellungen usf. Dabei kommt es aber ganz darauf an, wie die Vorstellung des be- treffenden Gegenstandes beschaffen ist, wieviel in ihr aus wirklicher Beobachtung und wie viel aus Abstraktion und assoziativer Kombination ent- sprungen ist. Die Vorstellungen, die wir von den einzelnen Gegenständen haben, sind vollständig abhängig von dem Reichtum unseres Assoziations- lebens, denn die Vorstellungen beeinflussen sich gegenseitig durch Assoziation. Auf der assozia- tiven Kombination der einzelnen Vorstellungen beruht ja alles Denken. Je reicher also das Vor- stellungsleben entwickelt ist, um so größer wird die Gefahr sein, daß die Vorstellung, d. h. das Erinnerungsbild eines Gegenstandes, durch Asso- ziationen von den verschiedensten Seiten her ver- ändert wird, also durch unzählige Faktoren, die nicht der unmittelbaren, sinnlichen Wahrnehmung des Gegenstandes entsprungen sind. Die moto- rische Innervation ist hier die Resultante von zahllosen assoziativen Prozessen in den großen Vorstellungsgebieten. Es wird daher in der Zeichnung nicht das reine Erinnerungsbild des Gegenstandes zum Ausdruck kommen, sondern alles, was der Zeichner von dem Gegenstande denkt und weiß. Es entwickelt sich so im Gegensatz zur physioplast ischen eine durchaus ideo plastische Kunst. 724 Naiurwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 46 Die Kinderzeichnungen Hefern dafür die glän- zendsten Belege. Die Kunst des Kindes ist von Anfang an durch und durch ideoplastisch. Ich habe meine Experimente gerade an Bauernkindern aus entlegenen Gebirgsdörfern angestellt, die mehr Gelegenheit zur Beobachtung der Natur haben und weniger mit Vorstellungsmaterial durch die Erziehung überfüttert werden, weil ich sehen wollte, ob man hier nicht wenigstens in einem früheren Entwicklungsstadium ph\-sioplastische Charaktere der Zeichnung finden würde. Aber selbst hier ist zu der Zeit, wo überhaupt eine erkennbare Zeichnung von den Kindern hergestellt werden kann, der Charakter derselben ein durch- aus ideoplastischer. Selbst auf dem Lande werden die Kinder bereits in den frühesten Jahren durch die Erziehung mit einem ungeheuren Vorstellungs- material erfüllt, das niemals der sinnlichen Be- obachtung entsprungen ist. Wie bei unserer ge- samten Erziehung, so hat auch hier die weitaus größte Fülle des geistigen Inhalts nicht durch das Tor der Sinne ihren Einzug gehalten. Die sinn- liche Beobachtungsgabe ist ebenso wie die moto- rische Geschicklichkeit im Vergleich mit dem hoch entwickelten Vorstellungsleben völlig zurück- geblieben. Die Kunst des Kindes bringt das in erstaunlicher Weise zum Ausdruck. Wenn das Kind ein Pferd zeichnet oder eine Kuh oder einen Mann, so zeichnet es alles, was es davon gelernt hat. Es zeichnet beim Pferde den Kopf, die Mähne, den Rumpf, den Schwanz, die vier Beine mit ihren Gelenken, die Hufe usf, aber das Ganze ist kein Pferd. Oder wenn das Kind einen Mann zeichnen soll, so setzt es alles zusammen, woraus der Mann nach seiner Kenntnis besteht: einen Kopf mit zwei Augen, zwei Ohren, einer Nase und einem Mund, ferner einen Hals und einen Rumpf, zwei Arme mit Händen und je fünf Fingern und zwei Beine mit F'üßen usf. Aber so sieht niemals ein Mensch in Wirklichkeit aus. Besonders charakteristisch sind die Fälle, in denen das Kind die Körperteile durch die Kleidungs- stücke hindurch sichtbar zeichnet, wie das viel- fach auch in der ganz ideoplastischen Kunst des alten Ägyptens geschah. Das Kind zeichnet dabei, was es weiß. Obwohl es durch die Kleider hin- durch niemals die Extremitäten oder den Leib gesehen hat, weiß es doch, sie stecken darin. Es zeichnet seine Kenntnisse, seine Gedanken, seine Überlegungen, nicht das wirklich gesehene Objekt. Interessant sind in dieser Beziehung auch die zahl- losen Kombinationszeichnungen, die das Kind von den Gegenständen dadurch liefert, daß es ver- schiedene Ansichten desselben Objektes, die man von verschiedenen Seiten erhält, zu einem ein- heitlichen Bilde vereinigt. So entstehen Menschen- zeichnungen mit einzelnen Körperteilen en face, mit anderen im Profil, wie das auch in der ideo- plastischen Kunst der Ägypter wieder zur Regel gehört. So entstehen ferner Wagenzeichnungen, bei denen der Wagenrumpf und die Deichsel von oben, die Räder von der Seite gesehen neben dem Rumpf ausgebreitet erscheinen, wie bei den ideo- plastischen \\'agenzeichnungen auf bronzezeitlichen Felsbildern Schwedens oder auf früheisenzeitlichen Urnen aus ( )sterreich. Ich möchte nicht die Auf- zählung der Beispiele noch weiter fortsetzen. Sie zeigen immer wieder dasselbe, nämlich, daß die Kunst des Kindes von Anfang an eine durchaus ideoplastische Kunst ist. Die Kinderkunst ist also nicht mit der rein physioplastischen Kunst der paläolithischen Zeit in Parallele zu setzen, wie man nach dem biogenetischen Grundgesetze hätte denken können, sondern vielmehr der streng ideo- plastischen Kunst der späteren Zeiten. Die oben genannten Parallelen ließen sich ins Unendliche vermehren. Wie die Kunst des Kindes, so liefert auch die Kunst der heutigen Naturvölker eine Fülle von Beispielen für die genannten Tatsachen. Die Kunst fast aller heutigen Naturvölker mit wenigen w'ichtigen Ausnahmen, die sogleich noch unser besonderes Interesse erfordern werden, ist völlig ideoplastisch. Man bringt in den künstlerischen Darstellungen von Göttern, Dämonen, Tieren, Himmelskörpern usw. die phantastischen, mysti- schen, religiösen und mythologischen Vorstellungen zum Ausdruck, die man von ihnen hat. Diese Darstellungen sind ein treues Spiegelbild der Schöpfungen einer zügellosen, bizarren, auf Schritt und Tritt von Geisterfurcht erfüllten Phantasie, wie sie das Geistesleben dieser Völker charakteri- siert. Denn das primitive Denken dieser \'ölker ist nicht wie das Denken des modernen Kultur- menschen ein kritisches, ich möchte sagen experi- mentelles Denken, das jeden auftauchenden Ge- danken wie der naturwissenschaftlich geschulte Experimentator sofort an den bekannten Tat- sachen der Wirklichkeit prüft, sondern es ist ein noch sehr kurzatmiges Denken, das keine langen, logischen, Gedankenreihen zu bilden vermag und keine fernerliegenden Konsequenzen übersieht, das vielmehr immer nur im engsten Anschluß an die momentane Situation theoretisiert und daher un- bemerkt fortwährend Widersprüche erzeugt. So kommt es, daß die naiven Spekulationen dieser \'ölker über die umgebende Welt weit entfernt sind von aller Naturwahrheit, so kommt es, daß ihnen die abenteuerlichsten Schöpfungen einer erregten Phantasie keinerlei kritische Bedenken erwecken. Und das tritt wie in ihrem Wort, so in ihrem Bild in schlagendster \\'eise hervor. So zeichnet der Haida-Indianer einen phantastischen Mann mit einem Wassereimer und einem Strauch in den Mond entsprechend seiner Mythe, nach der einst der Mond einen Mann mitsamt seinem Eimer und dem Strauche, an dem er sich fest- hielt, zu sich hinaufzog, so daß es nun regnet, sobald der Mann seinen Eimer umkippt. So zeichnet der Zuni-Indianer bei einem Hirsch das Herz in roter Farbe durch die Brust sichtbar und N. F. VI. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 725 mit dem Maule kommunizierend ganz im Sinne seiner Idee, daß die rote Seele, das Leben bei einem Blaltschuß aus dem Maule entweicht. So schnitzt der Giljake eine rohe Menschenfigur mit einer Kröte auf der Brust als Amulet gegen Brust- schmerzen oder eine große Hand mit Menschen- kopf daran als Schutzmittel gegen Reißen im Handgelenk. Diesen Völkern gegenüber, zu denen die Neger Afrikas wie die Indianer Amerikas, die Bewohner der Südseeinseln wie die Mongoleiislämme Nord- asiens gehören, steht eine nur sehr kleine Gruppe von V'ölkern, deren Kunst einen fast physioplasli- schen Charakter trägt. Das sind vor allem die Buschleute Süd-.-Xfrikas und vereinzelte Hyper- boräer. Die bekannten Felsenzeichnungen der ersteren sind in der Regel völlig frei von allen ideoplastischen Zügen. Die Buschleute gehören unstreitig zu den primitivsten Stämmen des Menschengeschlechts. In grellem Gegensatze zu ihren afrikanischen Landsleuten, den Kaffern und Negern ist ihnen alles Spekulieren und Phanta- sieren über Leben und Tod, über Leib und Seele, über Krankheit und Zauberei, über Dämonen und Geister, über Traum und Schlaf gänzlich fremd. Ihr ganzes Denken und Wollen ist erfüllt allein von der Jagd. Das Aufsuchen, Täuschen, Be- schleichen, Erlegen des Wildes bildet ihr erstes und letztes Interesse. Die Fähigkeit der Beob- achtung, die aufmerksame Beachtung der kleinsten Momente ist dadurch zu einer Höhe entwickelt, von der sich der Kulturmensch nach der über- einstimmenden Angabe aller Kenner auch nicht eine annähernde Vorstellung machen kann. Ihre Legendenbildung beschränkt sich ebenfalls ganz auf die Jagdsphäre. Wo so überwiegend wie hier das ganze Interesse an der Natur, an der Wirk- lichkeit klebt, wo so überwiegend alles Tun und Treiben direkt von den Sinneseindrücken be- herrscht wird, da muß auch die Kunst einen Ausdruck dafür liefern. Es sind nicht kompli- zierte, bizarre und phantastische Assoziationen, es sind die unmittelbaren Erinnerungsbilder der sinn- lichen Eindrücke des gesehenen Objektes selbst, welche das Vorstellungsleben dieser Menschen repräsentieren, und sie sind es dementsprechend auch, die ganz überwiegend in den Kunstproduk- tionen der Leute ihren Ausdruck finden. Dadurch ist der ganze Gegensatz zwischen ihrer physio- plastischen Kunst und der ideoplastischen Kunst der anderen Naturvölker bedingt. Die vorhin erörterten physiologischen, psycho- logischen und ethnologischen Tatsachen führen uns nun auch zu einem Verständnis für die merk- würdige Tatsache, daß die älteste Kunst, die wir kennen, die paläolithische Höhlenkunst, eine so ausge- sprochen physioplastische Kunst, die spätere prä- historische Kunst dagegen eine durch und durch ideoplastische Kunst ist. Wir haben bei den paläo- lithischen Jägern Lebensbedingungen, die fast genau denen der heutigen Buschleute entsprechen. Die Mammuth-, Bison-, Pferde-, Renntierjäger Süd- frankreichs waren Menschen, bei denen das Sinnes- leben wie bei den südafrikanischen Jägerstämmen ganz in den Vordergrund trat. Ihr Vorstellungs- leben bestand lediglich in dem Spiel der unmittel- baren Erinnerungsbilder ihrer Sinnes-Empfindungen. Von einem Nachgrübeln über die „Ursachen" der Dinge war bei ihnen sicherlich gar keine Rede, ja ich bin überzeugt, daß ihnen der Begriff einer unsichtbaren „Ursache" im Sinne späterer Speku- lationen noch vollständig fehlte. So bildete sich der paläolithische Jäger auch keine Ideen und Theorien von den Dingen, die er sinnlich wahr- nahm, als eben die Vorstellungen, die der sinn- liche Eindruck direkt hinterließ. Alles Theo- retisieren und .Spekulieren war dieser Kulturstufe vollkommen fremd, und somit waren die Bedingungen für die Entwicklung einer ideoplastischen Kunst noch gar nicht gegeben. Es ist ein großer Fehler, den wir machen, wenn wir aus der Schwierigkeit, die selbst heute der Durchschnittsmensch bei dem Versuche einer naturalistischen Reproduktion gesehener Objekte empfindet, den Schluß ziehen, daß der Naturalis- mus unbedingt eine höhere Entwicklungsstufe des künstlerischen Könnens repräsentiert als die ver- zerrte, verfratzte, bizarre, phantastische Dar- stellungsweise der meisten Naturvölker. Diese Vorstellung ist durchaus falsch, denn jenen Jägern der paläolithischen Zeit mußte unter den Be- dingungen ihres Geisteslebens die naturalistische Reproduktion des gesehenen Objekts viel leichter werden als uns, die wir durch allerlei Abstrak- tionen und Assoziationen unseres Wissens und Überlegens und durch die Verkümmerung unserer Beobachtungsgabe sowie auch z. T. unserer Hand- geschicklichkeit stark gefälschte Vorstellungsbilder von der Wirklichkeit bilden und bei der Repro- duktion wiedergeben. Der paläolithische Künstler brauchte sich überhaupt keine Mühe zu geben. Seine Zeichnung ergab sich von selbst in natu- ralistischer Weise, weil er nichts hatte von Theo- rien und Ideen, was ihre Naturwahrheit hätte fälschen können. Seine motorische Handgeschick- lichkeit stand ebenfalls infolge seiner Übung in der Bearbeitung des Feuersteins, des Holzes, des Knochens auf einer bedeutenden Höhe. So zeichnete er von dem, was seine Seele erfüllte, von dem Tier, das er soeben belauscht, und in lebhafter Erregung erlegt hatte, je nach seiner individuellen Fähigkeit ein mehr oder weniger gelungenes Bild, wie es unter dem frischen Ein- druck klar und deutlich vor seinem geistigen .Auge stand. Die paläolithische Kunst steht also gar nicht zu der übrigen Kultur ihrer Zeit in einem Gegensatze, wie man ihn gewöhnlich im Hinblick auf das Verhältnis zwischen primitiver Kunst und Kultur späterer Zeiten konstruiert und so erstaunlich findet, sondern sie entspricht 726 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 46 vielmehr genau einer Stufe, auf der die höhere geistige Tätigkeit, das theoretische oder gar das kritische Denken noch ganz oder nahezu fehlt. Eine solche Stufe m u ß, wenn sie überhaupt Kunst- leistungen produziert, naturwahre, physioplastische Kunstwerke liefern. Wir sollten nicht darüber erstaunt sein, daß die paläolithisclien Mammut- jäger schon so naturalistische Kunstwerke her- vorgebracht haben, sondern viel eher darüber, daß sie trotz ihrer bereits hoch differenzierten übrigen Kultur, wie sie uns die französischen Funde zeigen, noch so physioplastisch zeichneten. Die große Frage ist nun aber die, welche Umstände führen denn in der prähisto- rischen Kulturentwicklung das schein- bar plötzliche und vollständige Er- löschen der [ihysioplastischen Höhle n- kunst herbei und machen die Kunst der neolithischen und späteren Kultur- stufen total ideoplastisch.'' Es muß sich in jener Zeit des Über- gangs von der paläolithischen zur neolithischen Kultur ein tiefgreifender Umschwung im Geistes- leben des Menschen vollzogen haben. Eine solche einschneidende Änderung entsteht aber nicht plötz- lich von heute auf morgen. So wird sie sich auch hier nur ganz allmählich entwickelt haben, in manchen Gegenden früher, in anderen erst später, wie ja diese Kulturen selbst in verschiede- nen Gegenden zu sehr verschiedenen Zeiten sich abgelöst haben. Worauf beruht also dieser Um- schwung? Nach unseren vorliin angestellten Er- örterungen kann kein Zweifel sein, daß er bedingt ist durch ein starkes Emporwuchern des Vorstellungslebens. Dieser notwendige Schluß aus unserer psycho logischen Analyse der künstlerischen Produktion findet nun in der Tat durch alle heutigen Er- fahrungen über die prähistorische Kulturentwick- lung eine glänzende Bestätigung. Eine große Fülle von Tatsachen zeigt uns, daß in jene Zeit des Übergangs der erste größere und ungemein folgenschwere Beginn des Theoretisierens und Spekulierens über den Menschen und seine Um- gebung fällt. Es ist die Konzeption der Seelenidee und die darauf beruhende dualistische Spaltung des menschliclien Wesens in Leib und Seele. Die Idee, daß im Menschen eine unsichtbare Seele wohne, die das Leben und Empfinden, das Denken und Pfühlen , das Wollen und Handeln hervorbringt, die im Schlaf sich vom Körper vor- übergehend trennen und auf die Wanderung be- geben kann , die im Tode für immer entweicht, diese Idee hat, wie die ethnologische Erfahrung von heute noch zeigt, durch die Hunderte und Tausende von Konsef]uenzen , die sich daraus ziehen lassen, zu einer unabsehbar reichen Ent- wicklung des gesamten Vorstellungslebens den Anstoß gegeben. Aus ihr entspringen die Wur- zeln aller mystischen Vorstellungen des Menschen. In ihr liegen die Keime des unklaren Ursachen- begriffs, der Vorstellung einer unsichtbaren Kraft, die das einfache empirische Betrachten der Dinge alimählich ablöste. Von ihr nehmen die Vor- stellungen der Seelenwanderung und der Seelen- bannung ihren Ausgang. Aus ihr geht der Glaube an Geister, Dämonen und Götter hervor, und sie ist schließlich die Mutter aller religiösen Ideen, ja selbst der höchst vollendeten Religionsformen und metaphysisch-philosophischen Systeme der Gegenwart. So bildet die Seelenidee einen Kern, um den sich schließlich das ganze Denken und Grübeln, alles Deuten der Wirklichkeit, jedes Spekulieren und Theoretisieren herumkristallisiert. Es entwickelt sich der ungeheure Komplex von mystischen, religiösen Vorstellungen, der bei den primitiven Völkern bald das Leben beherrscht, der eine unerschöpfliche Quelle von schwer kon- trollierbaren und daher überall mit Furcht und Hoffnung aufgenommenen Deutungen liefert, die man in alle Dinge der Wirklichkeit, in alle Pro- bleme und Situationen und Vorgänge des täglichen Lebens hineinträgt. Der afrikanische Neger, um nur ein Beispiel aus der Fülle der heutigen Natur- völker anzuführen, zeigt uns diesen Zustand in üppigster Blüte. Diesem Zustande naiven Theoretisierens und unheimlich bizar- rer Phantasieschöpfungen entspricht die ideo plastische Kunst. Der paläolithische Jäger der älteren Zeit hatte die Seelenidee mit ihrem ganzen Gefolge, soviel wir wissen, noch nicht. Er spekulierte über- haupt nicht über die Dinge. Er suchte nichts hinter den Dingen. h> kannte keine Metaphysik. Er berücksichtigte einfach nur, was er wahrnahm. In alledem glich er völlig dem Buschmann. Keine einzige von all den zahllosen Erscheinungen, die uns in neolitliischer und späterer Zeit die Exi- stenz der Seelenidee und religiösen Vorstellungen beweisen, ist aus dem Paläolithikum mit Sicherheit bekannt. Keine Idole, keine Amulette, keine heiligen Zeichen, keine Trepanationen, keine Opfer, keine Hei- ligtümer, keine Grabmonumente und anderes mehr. Die gewissenhaften Ausgrabungen des Abbe de Villen euve in den „Baousse rousse" von Men- tone scheinen zwar das Vorkommen von Toten- bestattungen bereits für die paläolithische Zeit gesichert zu haben, indessen die Totenbestattung an sich liefert noch keinen Beweis für die Exi- stenz der Seelenidee. Aber selbst wenn man an- nähme oder nachweisen könnte, daß die Seelen- idee bereits in paläolithischer Zeit konzipiert wor- den sei, so wäre jedenfalls soviel sicher, daß diese Idee zu jener Zeit unmöglich schon das Denken des Menschen in dem Maße beherrscht haben kann, wie es in späterer Zeit tatsächlich der Fall ist. Im übrigen fehlen bei Mentone die physio- plastischen Wand- und Knochenzeichnungen der Höhlenkunst ganz, und andererseits ist aus keinem paläolithischen Gebiete mit rein physioplastischcr N. F. VI. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 727 Kunst aucli nur irgend eine von den Erschei- nungen nachweisbar, die im Neolithikum und später in solcher erdrückenden I'^ülle die Existenz religiöser Ideen unzweideutig erhärten. Der Gegen- satz ist auffällig und er geht ganz parallel mit dem Gegensatz im Charakter der Kunst. .•\ucli unter den heutigen Naturvölkern finden wir bei einem Umblick denselben l'arallelismus. .Alle Völker, bei denen die Seelenvorstellungen und religiösen Ideen das ganze Leben über- wuchert haben, wie die Neger, die Indianer, die Südseeinsulaner usf. zeigen uns eine extrem ideo- plastische Kunst. Je weniger Einfluß dieser Vor- stellungskreis auf das Tun und Denken der Völker hat, um so mehr wird der Charakter der Kunst physioplastisch. Bei den Buschleuten, soweit sie fern von der Berührung mit ihren kultivierteren Nachbarn leben, fehlen religiöse Ideen, wie es scheint, ganz. P'reilich sind für den PVemden der- artige Dinge nur sehr schwer sicher zu ermitteln. Aber wenn sie andeutungsweise vorhanden sein sollten, nehmen sie jedenfalls nicht den geringsten Einfluß auf das Denken und Handeln der Leute. Demgemäß ist die Kunst der Buschleute eine fast ausschließlich physioplastische Kunst. Ideo- plastische Züge mischen sich nur vereinzelt inso- fern bei, als gelegentlich anthropomorphisierte Gestalten aus ihren Tiersagen zur Darstellung ge- langen neben der überwiegenden Fülle ganz rein physioplastischer Bilder. Man darf übrigens auch nicht übersehen , daß von selten benachbarter Stämme sich hier zweifellos Einflüsse bemerkbar machen. Wie dem aber auch sei: auf alle F"älle hat die Kunst der Buschleute in ihrer Gesamt- heit einen durchaus physioplastischen Charakter. So führen die prähistorischen und die ethno- logischen Tatsachen zu dem gleichen Ergebnis wie die physiologische und psychologische Ana- lyse: Die primitive Kunst hat um so mehr physioplastische Züge, je mehr die sinnliche Beobachtung, sie hat um so mehr ideoplastische Züge, je mehr das abstrahierende, theore tisierende Vor- stellungsleben der Völker im Vorder- grund steht. Den ersten mächtigen Impuls zur Entwicklung des theoreti- sierenden Vorstellungslebens in prä- historischer Zeit gab die Konzeption der Seelenidee. Die aus dieser Idee entspringenden religiösen Vorstellun- gen lieferten die allgemeinen Bedin- gungen für die Entstehung einer ideo- plastische n Kunst. Ich möchte mich indessen hier vor einem Miß- verständnis verwahren. Ich bin weit entfernt da- von , die Beteiligung anderer Momente an der Entwicklung ideoplastischer Kunstformen zu unterschätzen. Es erscheint mir zweifellos, daß bei diesem Prozeß auch zahlreiche spezielle Faktoren eine wichtige Rolle spielen und ge- spielt haben. Ein solches Moment ist z. B. die Verwendung \on Bildern lebendiger Wesen zur dekorativen Verzierung von Werkzeugen und Ge- räten. Der Wunsch, ein Tier- oder Menschenbild auf einem Gebrauchsgegenstand als Ornament an- zubringen, kann vielfach nur realisiert werden, in- dem die natürliche Gestalt des Bildes der Form, der Größe, der Oberflächengestalt des Gegenstan- des Konzessionen macht. Dadurch wird die Natur- wahrheit beeinträchtigt. Gleichzeitig bringt die ornamentale Verwendung von Tierbildern an sich schon eine gewisse Neigung zu bestimmten An- ordnungen, zu symmetrischen Umbildungen etc. mit sich, besonders wenn daneben schon andere, nicht figurale Ornamentmotive im Gebrauch sind, die in regelmäßigen Anordnungen einfacher geo- metrischer Figuren bestehen. Dann kann die Ornamentik die figurale Darstellung derartig beeinflussen, daß Mischformen aus beiden ent- stehen. Das ist z. B. in paläolithischer Zeit bereits der Fall, wo einfache geometrische Ornamentik schon in der ältesten Kunst gleich- zeitig und neben physioplastischer figuraler Kunst auftritt. Ich möchte einzelne Erscheinungen aus der späteren paläolithischen Zeit, wie z. B. die ersten spärlichen Ansätze von ornamentaler L^mformung tierischer G est .alten auf Gebrauchs- gegenständen, in diesem Sinne deuten. Ein wei- teres Moment, das sehr leicht zur Abweichung von der Naturwahrheit führt, ist das handwerks- mäßige und massenhafte Kopieren von Vorlagen. Hört die genaue Beobachtung des natürlichen Objektes auf, so ändert sich unbemerkt auch das Bild, das von ihm geliefert wird, weil jede, selbst die beste physioplastische Zeichnung eines Ob- jektes doch immer zahlreiche Lücken und Unge- nauigkeiten enthält. Dient aber jede neue Kopie jeder folgenden wieder als Vorlage, so verändert sich das Bild erstaunlich schnell. Ich habe in dieser Beziehung an Schulkindern Versuche über das fortgesetzte Kopieren schöner physioplastischer Zeichnungen der paläolithischen Zeit gemacht. Das erste Kind bekam die genaue Kopie des Originals, das zweite kopierte die Zeichnung des ersten usf. Schon nach 6 — 7 Kopien war das Original nicht mehr zu erkennen. Ich glaube nicht , daß dieses Moment in paläolithischer Zeit, wo die genaue Beobachtung der Natur noch über- all hoch entwickelt war, und wo eine fabrikmäßige Massenproduktion von Kunstwerken noch nicht bestand, schon eine merkliche Rolle gespielt hat, aber es begann zweifellos sehr wirksam zu wer- den, als man später die ideoplastischen Ahnen- bilder, Götzen- und Fabelgeschöpfe der religi- ösen Phantasie in großen Mengen wieder und immer wieder kopierte. Schließlich dürfte auch der Übergang des Jägerlebens zum Hirten- und besonders zum Ackerbauleben und die damit einhergehende Verminderung der Beobachtungsgabe eine Rolle gespielt haben bei dem Übergang der physioplastischen in die ideo- plastische Kunst der priihistorischen Zeiten. In- dessen alle diese Momente treten doch in ihrer 728 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 46 ideoplastischen Wirkung ganz in den Hintergrund gegenüber der allgemeinen und fundamentalen Bedeutung der Konzeption des Seelengedankens und seiner Konsequenzen. Mit dieser Konzeption war der große gewaltige Anstoß gegeben, der das gesamte Vorstellungsleben zu mächtiger Ent- wicklung anregte, mit dieser Konzeption erhielten die verschiedensten Dinge der Umgebung neben ihrem sinnlichen Empfindungswert noch einen ganz besonderen, mystisch religiösen Ideenwert. Die speziellen Momente treten an Wert für die allgemeine Entwicklung der prähistorischen Ideo- plastik ganz in den Hintergrund gegenüber diesem allgemeinen Faktor von elementarer Bedeutung. Ein Blick auf die Genese und Entwicklung der Kunst von ihren ersten Anfängen an zeigt uns also ein Bild, das getreu den Entwicklungs- gang des geistigen Lebens der Menschheit wieder- spiegelt. Eine Betätigung des primitiven Menschen, die einerseits tief in die Tierreihe hinabreicht und andererseits die Wurzel zahlreicher höherer Kultur- erscheinungen bildet, ist das Spiel. Ich ver- stehe dabei unter Spiel eine Beschäftigung mit Dingen, die lediglich den angenehmen Empfin- dungen und Vorstellungen entspringt, welche die betrefifenden Dinge erwecken. In diesem Sinne ist das Spiel eine Wurzel des Körperschmucks, der Kleidung, der Arbeit, der Kunst. Dem paläolithischen Jäger schwebte das Er- innerungsbild seines Jagderfolges lebhaft vor Augen. Dasselbe recht oft wieder wachzurufen, machte ihm Freude. So spielte er gern in Gedanken mit der Erinnerung an das stattliche Tier, das er überwand und mit den Seinen verzehrte. So ver- setze er sich lebhaft in die Situation zurück, indem er sein Erinnerungsbild des Tieres, wie es ihm vor- schwebte, in ein Knochen oder Schieferstück ritzte oder in die Wand seiner Schutzhöhle kratzte, denn wie jeder primitive Mensch auf dieser Stufe, wie jeder Buschmann oder Hottentott, war der paläolithische Jäger faul, wenn er sein Nahrungs- bedürfnis gestillt halte, und beschäftigte sich an seinem Lagerfeuer nur mit Dingen, die ihm Ver- gnügen machten. Die Kunst auf dieser Stufe zeigt uns, wie der Anfang aller Kunst nur dem Bedürfnis entspringt, mit angenehmen Empfin- dungen und Vorstellungen zu spielen. In diesem Sinne ist es in der Tat das Schönheitsmoment in seiner primitivsten Form, das ihr ursprünglich zu- grunde liegt. Man reproduziert und will nur reproduzieren, was einem PVeude macht. Das ist natürlich das, woran das ganze Interesse des Lebens hängt : das reale Objekt der Jagd. Keine theoretische Überlegung, keine Spekulation über diese Objekte trübt die physioplastischen Bilder. Je treuer, je lebenswahrer sie vor dem Künstler entstehen, um so freudiger erregen sie seinen weidmännischen Sinn. In dem Maße wie das Ideenleben sich ent- wickelt, gewinnt aber die Kunst einen anderen Charakter. Jetzt werden es abstrakte Vorstellungen, die den Geist des Menschen erfüllen, jetzt bringt er in seinen Kunstschöpfungen zum Ausdruck, was er sich denkt. Die Idee, die den ersten großen Versuch einer Theorienbildung über die Dinge repräsentiert, ist die düster-phantastische, unheimliche Seelenidee. So wird die Kunst be- herrscht von dieser Idee und den mannigfaltigen religiösen Vorstellungen, zu denen sie sich aus- spinnt. Die Kunst wird streng ideoplastisch. Hier steht die Wiege der phantastischen I""abel- wesen und seltsamen Mischgestalten von Mensch und Tier in ihrer Furcht erregenden, Anbetung heischenden Form. Erst auf der hohen Stufe der eigentlichen Kulturvölker, wo das kritisch experimentelle Denken mit dem Spuk der bizarren Phantasie- gebilde nach und nach aufräumt, wo die nüchterne Wissenschaft mit ihren auf reine Erfahrung ge- gründeten Vorstellungen den Sinn für die Wirk- lichkeit hebt und allgemein ausbreitet, tritt im gleichen Maße, jetzt aber durchaus bewußt und beabsichtigt, wieder ein physioplastischer Zug des Kunstwerks hervor. Daneben fehlt es nicht an bevvußt gewollten ideoplastischen Darstellungen, denn die Kunst der modernen Kulturvölker ist so mannigfaltig und so unsagbar fein differenziert, wie das moderne Geistesleben überhaupt, dessen Ausdruck sie ist. Man will nicht bloß reale Ob- jekte, man will auch Ideen zum künstlerischen Ausdruck bringen. Neben dem lebendigen Realis- mus eines Wereschtschagin bringt das^lbe Volk die steifen und konventionellen Heiligen- bilder und Ikone der griechischen Kirche hervor. Neben den lebenswahren Bildern des genialen Franz Hals hängen ungestört die mystischen Werke des modernen Symbolismus. Die Kunst ist der Spiegel der Seele. Kleinere Mitteilungen. Betrachtungen über Rassen und Geistes- krankheiten stellt Dr. B. Revesz im Archiv für Anthropologie (6. Band, Heft 2 — 3) an, wobei er sich hauptsächlich auf die den asiatischen und afrikanischen Rassen eigentümlichen (jeisteskrank- heiteu beschränkt. Unter den Japanern sind Hysterie und Neurasthenie weit verbreitet. Diese Krank- heiten werden der fast ausschließlich vegetabilischen Nahrung, dem Massenelend und der in neuester Zeit zu beobaclitenden geistigen Überanstrengung zugeschrieben. Besonders die unteren Klassen der Japaner sind ungemein suggestibel, was auf die Häufigkeit der Hysterie und Neurasthenie zurück- geführt wird. Andererseits kann die Suggestibilität N. F. VI. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 729 I gerade der unteren Klassen durch den religiösen Fanatismus mit verursacht sein. Auf der japa- nischen hisel Shikoku kommt eine Psychose vor, welche dem im europäischen Mittelalter bekannten und auch heute noch nicht ganz verschwundenen Iksessensein gleicht. Diese Besessenheit wird nicht selten in der Rekonvaleszenz nach er- schöpfenden Krankheiten sowie während der Schwangerschaft beobachtet. Bei den Annamiten gibt es ebenfalls sehr viele H\-steriker. In nieder- ländisch hulicn ist eine der am besten beobachteten Neurosen die Latahkrankheit. Der von Latah Befallene führt gegen seinen Willen Bewegungen aus und bringt Laute hervor, namentlich wenn ihn jemand schreckt oder wenn jemand vor ihm Bewegungen macht, die er unwillkürlich nach- ahmt; er begeht zwecklose, ja unsinnige Hand- lungen, sobald sie ihm boshaflerweise anbefohlen werden. Die Krankheit wird in Indien meist bei eiiigebornen I''rauen, selten bei Männern ange- troffen. In Brilischlndien kommt eine der Latah- krankheit ähnliche Geistesstörung vor, ferner ist das Mali-Mali der Tagalen (Philippinen), das Baischi der Siamcsen und das Vaun der Birmanesen mit Latah identisch. Das Amoklaufen der Malayen ist bekaiuit. Es ist dies eine vorübcrgehentlc und nur den Malayen eigentümliche Psychose. Der Kranke gerät nach einer starken Gemütsbewegung in eine verzweifelte Stimmung und schlägt mit dem Kris — wohl auch mit anderen Gegenstän- den — in rasendem Laufe um sich. Der Zustand kann einige Stunden, manchmal einige Tage dauern. Das Amoklaufen wird als ein epileptisches Äqui- valent betrachtet, wofür unter anderem das gänz- liche Vergessen der Umstände während des An- falles spricht. Was die afrikanischen Völker betrifft, so treten bei den Abessiniern nach dem Genuß von Lathy- rus sativus coeruleus, der vielfach bei Nahrungs- mangel gegessen wird, nervöse Krankheitserschei- nungen auf, die als Lathyrismus bezeichnet werden und vollkommen das Bild der in Europa zu be obachtenden spastischen Spinalparalyse zeigen. In Algerien kommt dieselbe Krankheit vor. Auf- fallend ist, daß der Mißbrauch geistiger Cietränke in Algerien in weitem Umfange besteht, ohne daß sich bisher P'olgen des hereditären Alkoholismus bemerkbar gemacht haben. Unter den Negern sollen die Hauptursachen der Geisteskrankheiten Alkoholismus und Rauchen der Dagga, einer mit dem indischen I lauf identischen Pflanze sein ; einige Beobachter geben im Gegensatz dazu an, daß die Neger, wie die algerischen Araber, gegen die Wirkungen des Alkohols wenig empfindlich sind. Ein arges Übel ist in Afrika die Schlaf- krankheit, die früher nur bei Negern und Mulatten beobachtet wurde, in der letzten Zeit aber auch Weiße betraf Sie fängt mit heftigen Kopf- schmerzen und Zittern der (iliedmaßcn an. l'lötz lieh hält der Betroffene in seiner Beschäftigung inne und schläft ermattet ein. Zur Essenszeit ißt er mit gutem A[>pctit, aber er geht innerhalb von sechs bis zwölf Monaten zugrunde. Die Ursache der Krankheit ist unbekannt. Hervorhebenswert i.st, daß die Neger in den Vereinigten Staaten von Amerika fast gar nicht zu Paralysis progressiva neigen, was übrigens auch in ihrer afrikanischen Heimat festgestellt worden ist. Ganz dasselbe erfuhr Revesz in Brasilien und er betrachtet das als ein wichtiges Beispiel der Widerstandskraft einer Rasse gegen eine gewisse Geisteskrankheit. Seit der Sklavenemanzipation haben allerdings unter den nordamerikanischen Negern die Geisteskrankheiten rasch zugenommen. Manie ist eine der häufigsten I*"ormen des Irre- seins der Neger. — In verschiedenen Teilen der Vereinigten Staaten wurde eine Krankheit beob- achtet, die als „Jumping" bezeichnet wird und der Latahkrankheit der (^stasiaten entspricht, hei den (irönländern kommt der sog. Kajakschwindel vor ; er tritt auf, wenn sich die I.cute in ihren kleinen leichten P'ahrzeugen auf der weiten im Sonnen- licht glänzenden Wasserfläche befinden. Die meisten Personen, welche daran leiden, sind starke Tabakraucher; ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Tabakrauchen und der Krankheit besteht, ist jedoch nicht festgestellt. Fehlinger. Über regulatorische Vorgänge bei Hirudi- neen nach dem Verluste des hinteren Körper- endes. Von Dr. Jan Hirschler. (Zool. Anz. XXXII, 8.) — Die Hirudineen galten bisher für gänzlich regenerationsunfähig, da operierte Tiere nach kurzer Zeit zugrunde gingen, ohne einen Wundverschluß zu zeigen. Verf. wandte bei Hirudo medicinalis ein neues Verfahren an. Die Tiere wurden in einer Entfernung von 12 — 30 Segmenten vom hinteren Kör|3erende mit einem Seidenfaden stark eingeschnürt, so daß das ab- geschnürte Ende nur durch einen kurzen Stiel mit dem übrigen Körper zusammenhing. .Schon nach 24 — 48 Stunden war der abgeschnürte Teil un- fähig, sich mit Hilfe des Saugnapfes an der Wand eines Aquariums festzusaugen. Nach 3 — 5 lagen verlor die 1 lypodermis die vielfarbige Zeichnung, und nach 10 — 12 Tagen fiel das hintere Ende ganz ab. Die Tiere schwammen lebhaft und munter im Aquarium herum, bis nach 4 Wochen Wundverschluß eingetreten war. In dem regene- rierten Epithel waren keine Drüsen- und Sinnes- zellcn anzutreffen. Der Darm, der bis in das Regenerationsgewebe ragte, war blind geschlossen, die Nervenkommissuren waren in der Nähe der Wunde i)inselartig in viele Nervenbündel zer- splittert. Bei einem Exemplar von Hirudo kam es 4 Monate nach Verlust des hinteren Körperendes zu einer Neubildung des Anus, der durch 2 End- därme mit dem eigentlichen Darm in Verbindung stand. Die Untersuchung des Ei^ithcls der t'nd- därme ergab, daß diese hypodermalen Ursprunges sind. Es kommt also bei Hirudo eine Proctodäum- ncubildung zustande. 730 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 46 Ahnlich wie Hirudo medicinalis verhielten sich einige Ciepsine- und Nephelis-Arlen. Dr. Wilke Jena. Zelle und Kernsubstanz. — In Nr. 38 des vorliegenden Bandes der Naturw. Wochenschr. wurde die vor kurzen im Biol. Centralbl. publi- zierte Arbeit von Ruzicka über „die Frage der kernlosen Organismen und der Notwendigkeit des Kernes zum Restehen des Zellenlebens" besprochen. Der Leser erhält aus dem Referat den Ein- druck, als ob es sich bei der Ru zicka'schen .Arbeit um eine epochemachende und wertvolle Publikation handele. Das ist ganz und gar nicht der Fall. Es ist angezeigt, eine Richtigstellung zu der R. 'sehen Arbeit und zu dem Referat über sie zu geben. Das gerade Gegenteil von dem, was R. und sein Referent ') mitteilen, ist durch die neueren F'orschungen festgestellt : Die Chromidialtheorie R. Hertwig's, die fruchtbarste Tat auf dem Gebiete der vergleichenden Histologie in den letzten Dezennien, die ich nicht zögere auf eine gleiche Stufe mit der Begründung der Zellenlehre zu stellen,'') ist seit ihrer Begründung von unseren ') Wenn der Herr Ref. z. B. schreibt: ,,\Vir haben also die Bakterien , Cyanophyceen , und reifen Säugetier-Erythro- cyten als Gebilde aufzufassen, die nur aus Kernsubslanz be- stehen, ohne von einem Plasmaleib umgeben zu sein", so muß man doch entschieden annehmen, daß Ref. die Ansicht R.'s teilt. Dabei scheinen ihm aber die grundlegenden Arbeiten unbekannt zu sein, denn sonst ginge es doch wohl nicht an, den Namen Hertwig's bei diesem 'I hema unerwähnt zu lassen. Auf Hertwig deutet nur ein ziemlich unbestimmt gehaltener Passus hin; „K. hat durch seine Methode auch eine irrige Meinung über die Chromidien berichtigt. Es ist schon lange bekannt, daß in vielen Zellen der Kern in ein Häufchen feiner Körnchen, Chromidien genannt, zerfällt. Bis- her hat man angenommen, daß sie das .\r|uivalent des Kernes seien." Nun, das c.xtranuklcäre, diffus ira ZcUplasma verteilte Chromatin ist erst 1898 von Hertwig bei Actinosphacrium Eichhorni entdeckt (Abh. bayer. Akad. Wiss. Bd. 19, p. i — 104). Erst 1902 übrigens hat Hertwig seine Lehre von den Chromidien veröffentlicht! (Arch. Protistenk. Bd. 1, S. 1 — 38.) Die Chromidialkörner sind nicht ein ,, .Äquivalent", etwas, was den Kern vertritt, sondern sie sind die Kernsubstanz ,,in Per- son", die sich während des Entwicklungszyklus des Individu- ums bald (meist wenigstens zu einem Teil) durch ,, Verdich- tung" zu einem morphologisch gut charakterisierten Gebilde, dem Kern aggregiert, bald sich weitgehend segmentiert und damit den primitiven chromidialcn Zustand wieder herstellt. ") Hat uns die Zellenlehre das \'erständnis für die Genese und Struktur der Ürg.anismcn, besonders der vielzelligen, in ihren Beziehungen zu den einzelligen eröffnet, so hat uns die Chromidialtheorie diesen selben Dienst geleistet bei der Ana- lyse der elementaren Differenzierungen der Zelle. Haeckel's Moneren sind ein logisches Postulat für jeden , der auf dem Boden der Archigonie steht und alle transcendenter Requi- siten sich bedienende Darstellungen ablehnt. Nur vorüber- gehend konnte darum die Berechtigung des Monerenbegriffs durch die neueren Forschungen, die bei vielen, bis dahin für kernlos gehaltenen Organismen einen echten Zellkern nach- wiesen, in Frage gestellt werden. War er schließlich immer- hin ein Abstraklum geworden — , oder drohte er es zu wer- den — , so ist d,is Verdienst Hertwig's um so größer, ihm Fleiscli und Blut der empirischen Bestätigung verliehen zu haben. hervorragendsten Cytologen als richtig bestätigt worden. Kein geringerer als Seh aud in n hat die biologische Bedeutung solcher, im F'ortpflanzungs- cyclus mehrerer Protozoen auftretenden chromi- dialcn Zustände des Kernapparates festgestellt („Untersuchungen über die Fortpflanzung einiger Rhizopoden. Arb. a. d. kaiserl. Gesundheitsamte Bd. XIX, H. 3, S. 547— 576.) Auf dieser grund- legenden Arbeit bauten dann Goldschmidt (,,Die Chromidien der Protozoen. Arch. f. Pro tistenk. Bd. V, S. 126 — 144; „der Chromidial- apparat lebhaft funktionierender Gewebszellen" Zool. Jahrb., Abt. f. Anat. u. Ontog. Bd. XXI, H. I, S. 49 — 141.) Mesnil (Chromidies et Questions connexes. Bull. Inst. Pasteur, Vol. 3, Nr. 8 p. I — 10) und andere weiter. Wer sich genauer über den augenblicklichen Stand und die Bedeutung der Ciiromidien orientieren will, sei auf Schaudinn's klassischen Vortrag : die Be- fruchtung der Protozoen, Verh. Deutsch. Zool. Ges. 1905, 15. Vers., p. 16—35, T. i und die kürzlich erschienene Arbeit von R. Goldschmidt und M. Popoff: die Karyokinese der Pi-otozoen und der Chromidialapparat der Protozoen- und Metazoenzelle, Arch. f. Protistenk. 1907, Bd. VIII p. 321 — 343 m. 6 Textfiguren, wegen der Ge- schichte des Monerenbegriffes außer auf Hert- wig's zitierte Arbeit auf das VI. Kap. von Häckel's Genereller Morphologie (1866) und vor allem auf seine „Studien über die Moneren und andere Protisten usw." II. Heft verwiesen. Es kommt hier nur darauf an, richtigzustellen, daß bekanntermaßen das Problem des Nach- weises von Kernsubstanzen nicht auf mikro- chemischem Wege gelöst werden kann und zu allerletzt von Ruzicka gelöst worden ist. Da- mit werden die Angaben R.'s (die Herr Ref. wiederum so mitteilt, daß der Leser annehmen muß, es handele sich um die Entdeckung be- wiesener, die ganze Cj'tologie auf den Kopf stellen- der Tatsachen) ohne weiteres hinfällig, nach denen ,, Bakterien, Cyanophyceen und reife Säugetier- Erythroc\ten als Gebilde aufzufassen sind, die nur aus Kernsubstanzen bestehen, ohne von einem Plasmaleib umgeben zu sein." Eine solche An- nahme war bisher morphologisch, wie physio- logisch ein blanker Unsinn (sit venia verbo!) und wird es auch nach Erscheinen von R.'s Arbeit bleiben. Daß O. Hertwig jemals behauptet haben soll, die Bakterien könnten möglicherweise nur aus Kernsubstanz (im Sinne von R.) bestehen, ist eine Unrichtigkeit, die die R.'sche Original- arbeit enthält, die aber der Ref hätte bemerken sollen. Die Ursache dieser falschen Angabe kann nur in R.'s mangelnder Kenntnis der deutschen Sprache oder des Hertwig'schen Buches zu suchen sein. Vor allem würde R. nicht die ältere .Auflage des H.'schen Buches (D. Zelle und d. Gewebe, Jena 1893), sondern auch die kürzlich erschienene neue haben zu Rate ziehen müssen. O. Hertwig wird sich bestens bedanken, mit den Wahrlich "sehen Übertreibungen der viel N. F VI. Nr. J^ Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 731 angefoclitenen Lehre Bütsclili's vom ZciUral- körper der Bakterien identifiziert zu werden. Nebenbei nur mag bemerkt werden, daß H ii t s c h 1 i nie plasmalose Bakterien angenommen, sich auch den Kern ganz anders vorgestellt hat — fast nämlich als ein sehr engmaschiges Chromidial- netz — als dies die Leser nach dem Referate der R. 'sehen Arbeit glauben müssen. Er ließ außerdem, wie angedeutet, den Kern von einer stets vorhandenen, wenn auch vielfach außer- ordentlich dünnen Plasmaschicht umgeben sein. Die Bütschli'sche Lehre ist übrigens sehr bald von Zettnow (s. Centralbl. f. Bakteriol. 1891, Bd. X, S. 689), Weigert u. a. im Sinne einer ziemlich klar ausgeführten Chromidientheorie mo- difiziert worden. Fritz Schaudinn hat die feineren \'eränderungen des Chromidialapparates bei l?actcrium Bütschlii n. sp. (Arch. f. Protistenk. Bd. I, S. 306 fif.) und besonders in seiner zweiten Mitteilung zur Kenntnis der Bakterien und ver- wandter Organismen , über Bacillus sporonema n. sp. (Ebenda, Bd. II, S. 421 — 444 m. Taf. 12) genauer geschildert. Bei einer Planosarcine, die ich vor kurzem (Bakt. Centralbl. )I. Abt., Bd. XVIII, S. 9—26 T. I — V) neu beschrieben und Plano- sarcina Schaudinni benannt habe, ebenso bei der einem neuen Genus angehörenden Planococcacee Pedioplana Häckeli mihi (Ebenda) konnte ich mich von der Existenz echter Chromidien über- zeugen. Ruzicka scheint (außer anderem) die Sc haudinn 'sehe Sporonema- Arbeit überhaupt nicht zu kennen. Wenigstens geht es doch nicht an, daß er sich skrupellos auf die vagen Angaben seiner nicht mit Unrecht unbeachtet gebliebenen Arbeiten über vitale Färbungen stützt, alle anderen entgegenstehenden Darstellungen einfach ignorie- rend. Schaudinn hebt mit Recht immer und immer wieder hervor: ,,das einzige sichere Krite- rium des Zellkerns ist das morphologische". Und in der Tat sind es die Umgruppierungen, die morphologischen und morphogcnetischen Charak- tere, nicht das färberische V^erhalten, auf das sich die Anhänger der Chromidientheorie stützen. Eine mikrochemische Reaktion auf die chromatische Substanz gibt es nicht. Daß Ruzicka die Chromidientheorie überhaupt nicht verstanden hat, geht aus seiner Fragestellung ohne weiteres her- vor: gibt es Zellen ohne Plasma? Schaudinn hat mit ganzer Klarheit den einzigen, nach dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse mög- lichen Standpunkt präzisiert. ,, Endlich haben wir in letzter Zeit die Chromidien kennen gelernt und die jüngsten Untersuchungen lehren, daß diese Gebilde in der Tat diffus verteilte IVIassen von Kernsubstanzen sind, aus denen durch mor- phologische Differenzierung echte Zellkerne ent- stehen . . . Diese Überlegungen haben mich zu der auseinandergesetzten Auffassung der Kern- verhältnisse bei den beiden von mir studierten Bakterien geführt. Solange keine morphologische Sonderung des Kerns und Protoplasmas möglich ist, scheint es mir überflüssig, darüber zu streiten. ob die Bakterienzelle einen plasmalosen Zellkern oder ein kernloses Protoplasma darstellt, da für mich Kernsubstanz und Protoplasma unzertrenn- liche Gebilde sind." Endlich seien noch mit einigen Worten die „Kernreagentien" beleuchtet. In seinem grund- legenden Werke über „Fixierung, F"ärbung und Bau des Protoplasmas usw.," Jena 1899, gibt A. Fischer an, daß ,,mit einem .Schein von Be- rechtigung nur das IVIelhylgrün als Kernfarbstoff" bezeichnet, also als ein nur (abgesehen von wenigen, gut charakterisierten Ausnahmen) das Chromatin iärbendes Mittel gebraucht werden kann. So stehen die Dinge heute noch. Die „vital-lethale" Färbungsmethode Ruzicka 's ist physiologisch ein Nonsens (Zur Theorie der vitalen Färbung. Zeitschr. f wiss. Mikroskopie, 22. Bd. 1905). „Vitale" Färbungen, Färbungen der lebenden Substanz, gibt es nicht, wie ich seinerzeit be- wiesen habe (s. Arch. f Anat. u. Pysiol., Anat. Abt. 1902, p. 155—188, T. XI). Der Moment, wo eine lebende Zellstruktur den Farbstoff auf- nimmt, ist identisch mit dem Eintritt ihres Todes. Die vitalen Färbungen — sofern sie nicht tote Einschlüsse der Zelle, den Inhalt von Nahrungs- vakuolen, usw. färben — sind die denkbar schärf- sten Indikatoren für Aufhören der Umsetzungen, die wir als das Leben begreifen. Z. B. kann aus der Färbbarkeit der Neurofibrillen in den noch reizbaren motorischen Nerven der Froschzunge, wie ich in der zitierten Arbeit gezeigt habe, ihre Nichtbeteiligung am Prozesse der Reizleitung mit unwiderleglicher Sicherheit erschlossen werden. Diese Anschauung ist (sc, daß es keine „vitalen" Färbungen gibt) schon vordem von Lee, A p ä t h y u. a. vertreten worden. Noch weniger, wie auf seine Färbungen, kann sich aber Ruzicka auf seine Verdauungsver- suche stützen. Aus ihnen geht nicht hervor, daß die Strukturen, die der Verdauung widerstehen, aus Nuklein gebildet sind, und die, bei denen es nicht der Fall ist, wie z. B. die Chromidien, nicht, sondern einzig und allein, daß außer dem Nuklein noch andere Substanzen nicht verdaut werden und daß nicht alle F"ormen und Zustände des Nukleins im künstlichen Magensaft unlöslich sind. Weiter nichts! Auch dieser grobe Irrtum Ruzicka's, dessen kritik- lose Wiedergabe durch den Ref. mir unverständ- lich ist, kann nur mit der völligen Unkenntnis der einschlägigen Literatur erklärt werden. In seiner Biologie Cellulaire (p. 208), die doch jeder kennen sollte, der von mikrochemischen Zellreaktionen redet, gibt Carnoy ausdrücklich an, daß das Chromatin, solange es im Kern liegt, in den gebräuchlichen Verdauungsmitteln nur teil- weise verdaulich ist. Auch mit Zacharias (Ber. D. Bot. Ges. 16. Bd. 1898 p. 185) findet sich Ruzicka in keiner Weise ab. Es gibt in der Tat, wie dieser ausgezeichnete Morphologe nach- weist, kein allgemeines Reagens auf Zellkerne, sondern nur Methoden zur Erkennung der Nukleine 732 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 46 in den Kernen. Ruzicka durfte also erst dann mit seinen mikrochemischen Reaktionen operieren, wenn er den Nachweis erbracht hatte, daß seine Erythroc)ten und Milzbrandbakterien echte Kerne sind. Erst dann konnte er an der Hand der an- gewandten Methode dazu übergehen, zu unter- suchen, wie in diesen speziell das Nuklein wieder verteilt ist. Jenen Nachweis ist er schuldig ge- blieben, seine Arbeit, in der man vergeblich nach den in Frage kommenden morphologischen Daten sucht, ist also nach dieser Richtung weiter nichts als der wertlose Exkurs eines Anfängers. Un- erschüUert steht nach wie vor der Satz: „das einzig sichere Kriterium des Zellkerns ist das morphologische" (Schaudinn, 1903). Hie Rhodus, hie salta ! Vorderhand sind die Bakterien noch echte Moneren, d. h. Zellen, in denen die Kernsubstanz noch nicht zu einem „Organ" differenziert, sondern als chromidiale, körnige Substanz diffus im Plasma verteilt sich findet. Und vorderhand sind die reifen Erythro- c\'len der Säuger rudimentäre, der Kernsubstanz verlustig gegangene Zellen, deren plasmatische Substanz, resp. ihren Körper einhüllende Membran, ähnlich wie manche andere Zellprodukte , die auch nicht das geringste mit Nukleinen zu tun haben (Fibrillen der verschiedensten Art z. B.) gegenüber künstlichem Magensaft sich resistent verhält. Und vorderhand ist , wie besonders Verworn gezeigt hat, ein kernsubstanzloser Protoplast wohl fähig zu überleben, nicht aber zu leben, nicht, wie Ruzicka (der unter an- deren auch Verworn zitiert, ihn also gar nicht verstanden hat) das Leben zu erhalten. Daß „kernlose" Stücke längere Zeit überleben, be- weist nicht, daß „die Abwesenheit des Kerns ohne Störung" ebensolange ertragen wird. Es beweist nur, daß wir optisch erst nach längerer oder kürzerer Zeit einen Effekt der Störung (dem natürlich tiefgreifende, vorderhand aber schwer oder gar nicht wahrzunehmende, zum Exitus überleitende Prozesse vorausgegangen sind) kon- statieren können. Zudem ist, wie mir Schau- dinn seiner Zeit mündlich mitteilte, der auch von Ruzicka erwähnte Befund, daß größere kernlose Zellfragmente länger am Leben bleiben, als kleinere, ganz anders, als im Sinne einer Plas- maautonomie zu interpretieren. Verworn's Versuche in der von Ruzicka zitierten Arbeit beziehen sich auf eine ThalassicoUa, ein durch seine Größe für experimentelle Untersuchungen zunächst besonders geeignet erscheindes marines Radiolar. Die Arbeit stammt aus dem Jahre 1891 (Pflüger's Arch. Bd. LI). Verworn konnte bei dem damaligen Stande unserer Kenntnisse aller- dings glauben, kernlose Protoplasten vor sich zu haben, wenn er die Zenlralkapsel samt Kern operativ entfernte. Diese Protoplasten sind aber keineswegs kernsubstanzlos gewesen. Denn sie enthielten noch Kernsubstanz in Gestalt der Chro- midien. Daß die größeren Fragmente länger überleben, kann also nicht weiter wundernehmen. Daß die kernlosen (und mindestens sehr nuklein- armen) Säugetier-Erythrocyten unaufhörlich, bei den höheren Säugern besonders in der Leber, zu- grunde gehen, ist eine allbekannte Tatsache. Und alles das rechtfertigt den Ausspruch Schau- dinn' s vollkommen, daß „Kernsubstanz und Protoplasma unzertrennliche Gebilde sind." Die feinen Regulationen dieser beiden und die biologische Bedeutung ihres Wechselverhältnisses hat vor allem R. Hertwig sorgfältig studiert (vgl. Abh. I bayr. Akad. d. Wiss. 1902, Sitz. v. 4. Nov. 1902 u. 19. Mai 1903 [zitiert nach einem Scp.-Abdr.]). Wir können den augenblicklichen Stand unserer Kenntnisse kurz dahin resümieren : Chromidial- substanz und Plasma sind die elemen- taren Grundlagen des Lebensprozesses, keines ohne das andere existenzfähig, vielmehr beide untrennbar verbunden und in ihren Wechselbeziehungen und deren Veränderungen seine Äußerungen und Zustände bedingend, heute wohl nicht mehr absolut homogene, chemisch undifferenzierte Elementarorganismen bildend, wie sie die ältere Moneren- lehre annehmen mußte, aber sehr wohl noch in außerordentlich niedrigen phy- sikalischen Differenzierungsstufen auf- tretend, diealsorganlose„Cytoden" sich zw an gl OS dem Moneren begriffe Hack eis unterordnen lassen. Dr. Max Wolfif-Bromberg. Der Verlauf des Blütenlebens bei Aristo- lochia clematitis L. — Die Stellungen, welche die Blüten dieser Pflanze in den verschiedenen Blüten- zuständen dem Horizonte gegenüber einnehmen, und die Bewegungen, die sie dabei ausführen müssen, sind meines Erachtens von den diese Blüten beschreibenden Autoren nicht genügend gewürdigt worden. So bildet wohl Sachs in seinem Lehrbuche (Seite 884 in Fig. 488) einen ganzen Blütenstand in seiner natürlichen Lage ab, spricht aber in der Beschreibung der Einzelblüte (S. 885) nur von einer Änderung der ursprünglichen Stellung, die während der Veränderung im Innern der Blüte durch den Befruchtungsakt vor sich geht. Sprengel stellt auf dem Titelkupfer seines Buches (Das entdeckte Geh. d. Nat. etc.) die Blüten ebenso wie Sachs in ihrer natürlichen Stellung zum Horizonte dar, spricht aber im Text (S. 420 u. 424) nur von zwei Stellungen der Blüten während ihrer Lebensdauer, nämlich nur von aufrechten und herabhängenden Blüten. Hildebrand bildet (im Jahrbuche für Wissen- schaft!. Bot. 1866/67, Tafel XLIII in Fig. i, 2, 4 u. 6) vier Blüten in den verschiedenen Altersstufen ab, setzt sie aber losgelöst vom Stengel und ohne deren Stellung zum Horizonte zu berücksichtigen, in Reihe und Glied nebeneinander. Im Texte N. F. VI. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 733 (S. 345) spricht er ähnlich wie Sprengel nur von zwei Stellungen und nur von einer Bewegung der Blüte am Knde des weiblichen Zustandes. Kerner zeichnet in seinem Pflanzenleben (Bd. 2, S. 203 in Abb. S u. 9) sogar die Lippe des Peri- stiel noch weiter nach außen bis die senkrechte Haltung nach unten erreicht ist (Abb. bei d). Über die Beschaffenheit der Wandstärke des Dr. Heiiiecl-L pli. .t Fig. I. Aristolochia clematitis L. Fig. Erklärung der Buchstaben im Text. Dr. Heineck phot. Aristolochia clematitis L. gones unten hin und betrachtet dieselbe im Text (S. 205 u. 225) als ,, bequeme, zungenförmige An- flugsstelle" für die in die Blüte eindringenden „kleinen, schwarzen Mücken". Der Sachverhalt ist nun, nach meinen Beob- achtungen, kurz folgender: Im Knospenzustande stehen die Blüten dieser Pflanze vollständig vertikal und sind noch im Laube verborgen (Abb. bei a). Während des Üffnens der nach dem Stengel zu stehenden Lippe krümmt sich der obere Teil des Blütenstieles nach außen, und zwar direkt unterhalb des Frucht- knotens, damit die Blüten aus dem Bereiche des Blattes, in dessen Achsel sie stehen, herauskommen und den besuchenden Mücken sichtbar werden. Dabei erhält aber die Perigonröhre eine wagrechte Richtung, so daß die Mücken den Eingang nicht finden (Abb. bei b). Diese Haltung darf aber nicht beibehalten werden und deshalb muß eine Gegenbewegung der Röhre erfolgen. Diese wird dadurch ausgeführt, daß das Perigon sich über dem sog. Kessel — durch stärkeres Wachstum der Unterseite — nach oben krümmt. N'un ist der Eingang für die Mücken wieder frei (Abb. bei c). Nach der Befruchtung krümmt sich der Blüten- Perigons finde ich bei den genannten Autoren auch keine Angabe. Es ist nämlich auffallend, daß diese Röhre eine so dicke und spröde Wand hat. Dies hängt wohl mit dem Befruchtungsakte zusammen. Wenn nämlich die Perigonröhre dünn- wandig wäre, so würde sie nach der Bestäubung welk werden und zusammenfallen. Dann könnten aber die eingeschlossenen Mücken nicht heraus, selbst nicht beim Abfallen derselben, da sie sich samt der Befruchtungssäule von dem unterstän- digen Fruchtknoten ablöst und diese Säule die Röhre unten schließt. Da das Perigon aber steife Wände hat, so bleibt es offen und die Mücken können ihr zeitweiliges Gefängnis nach Abwelken der Reusenhaare mit einem anderen vertauschen. Prof. Dr. Heineck-Alzey. Der Stand der modernen Erdbebenkunde nach den Verhandlungen der internationalen seismologischen Assoziation im Haag 1907. — Durch die im Jahre 1904 zustande gekommene Vereinigung der meisten zivilisierten Staaten zur Erforschung der Erdbeben auf der ganzen Erde, der sog. internationalen seismologischen Assoziation, ist nicht nur das Interesse für dieses unheimliche 734 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 46 Phänomen in weiteren Kreisen geweckt worden, sondern es wurde auch die wissenschaftliche Be- handlung dieses Problems so sehr vertieft, daß die Erdbebenkunde bereits anfängt, ein eigener Zweig der Erdphysik zu werden und Aufgaben in Angriff nimmt, deren Lösung bisher allen Be- mühungen zu spotten schien. Wie dieser gegen- seitige, friedliche Wettstreit befruchtend auf die Forschung wirkt, konnte man deutlich aus den Verhandlungen ersehen, die auf der Versammlung der Erdbebenforscher vom 21. — 26. September im Haag stattfanden, wo 17 Staaten von 22 der ganzen Vereinigung vertreten waren. Die Diskussion drehte sich, abgesehen von rein administrativen Fragen, dabei im wesentlichen um drei Punkte; nämlich i. die Vervollkommnung der Erdbebenapparate (Seismometer), 2. die Erd- bebenstatistik und 3. die theoretische und prak- tische Verwertung der Beobachtungen. Die Instrumente, welche bestimmt sind, die Erdbeben aufzuzeichnen, sind erst seit wenigen Jahren so weit vervollkommnet worden, daß sie den meisten Anforderungen entsprechen, die man an solche .'\pparate stellen soll und muß. Auf diesem Gebiete steht Deutschland mit an der Spitze der Nationen und es ist bezeichnend, daß für den Wettbewerb, den die internationale Asso- ziation für die Konstruktion eines geeigneten und nicht so kostspieligen Seismometers zur Beobach- tung von Nahbeben ausgeschrieben hat, die zweck- entsprechendsten Apparate von deutscher Seite eingeliefert wurden. Wie empfindlich die Erdbebenapparate schon jetzt sind, erkennt man daraus, daß nicht nur die allerstärksten Beben, wie jene, die in der jüngsten Zeit in Kalifornien, Mexiko, Chile usw. die bekannten schrecklichen Katastrophen verur- sacht haben, auf Entfernungen von 10 000 und mehr Kilometer mit aller Präzision beobachtet und verfolgt werden können, sondern auch weit schwächere Erdstöße, selbst wenn deren Ursprungs- ort bei unseren Antipoden, also in 20000 km Entfernung liegt. Die neuen Verbesserungen, welche in der letzten Zeit durch Wiechert, Mainka, F"ürst Galitzin, Agamennone bei den Instrumenten eingeführt worden sind, lassen erwarten, daß die Erdbebenmesser bald eine solche Verbreitung finden, wie es zur Erforschung eines die ganze Erde und unser ganzes Menschengeschlecht betreffenden Phänomens notwendig und wünschenswert ist. Die Erdbebenstatistik, die ihren Zentralsitz in .Straßburg hat, zeigt, daß jährlich 4 — 5000 Erd- beben direkt beobachtet werden, während die Aufzeichnungen der Seismometer ergaben, daß noch eine weitere Anzahl heftiger Katastrophen den Erdball erschüttern, deren Ursprungsorte ent- fernt von menschlichen Siedelungen, teils auf dem Meeresgrunde, teils in entlegenen Ländergebieten sich befinden. Hierzu treten noch viele kleine und kleinste Erschütterungen, die nur den emp- findlichen Instrumenten zugänglich sind. Der Zusammenhang mit den geologischen Verhältnissen der Erde ist charakteristisch für dieses Forschungsgebiet. Die Erdbeben sind ge- wissermaßen die Vorboten der Umwälzungen, die unserer Erdoberfläche noch bevorstehen ; manch- mal aber auch noch schwache Nachreiter längst vergangener geologischer Vorgänge, so insbeson- dere der Gebirgsbildung. Aber nicht genug, daß die Erdkruste von Zeit zu Zeit an diesem und jenem Orte erzittert, oft wird sie stundenlang von kleinen und kleinsten Erschütterungen, den sog. Pulsationen, durcheilt, ähnlich dem Kräuseln der stillen Wasseroberfläche beim Hinstreichen eines schwachen Windstoßes. Und dann wieder, wenn an einer Stelle eine heftige Zuckung stattgefunden, schwankt der Boden, ja der ganze Erdball, der Dünung des Meeres vergleichbar, oft lange Zeit hin und her, ehe wieder die Ruhe der Erdfeste hergestellt ist. Endlich konnte die moderne Erdbebenforschung nachweisen, daß die gesamten Landmasse, gleich dem leicht beweglichen Wasser der Meere, eine Ebbe- und F'lutbewegung aufweist. Täglich zweimal hebt und senkt sich die Brust des Erdballes in gleich- mäßigen Atemzügen unter uns um mehr als 20 cm. Wenn so die Verbreitung und Wirkung der Erdbeben studiert werden, so ist dies nicht das Einzige, was die Erdbebenlehre, die Seismologie, leistet. Unsere Erde, ein kleiner, winziger Punkt im Weltall, ist dem Menschen nur in seiner äußersten Rinde zugänglich. Niemals wird es gelingen, in die Eingeweide der Erde direkt einzudringen, kaum können wir die Haut derselben anritzen. Unsere tiefsten Bohrlöcher gehen noch nicht 2 km in die Tiefe; was will dieses heißen gegen den Erddurchmesser von 12740 km. Und schon herrschen in diesen geringen Tiefen Ver- hältnisse, insbesondere ist es die hohe Wärme, die uns ein gebieterisches Halt zurufen. Es ist nun von hoher Bedeutung, daß die Erdbeben uns Kunde aus dem Erdinnern bringen und uns gleich den Röntgenstrahlen erlauben, den Erdball ge- wissermaßen ganz zu durchleuchten. Bekannt sind die verschiedenen Hypothesen über die Beschaffenheit des Erdinnern. Während die einen annehmen, es herrsche dort die höchste Flammenglut, so daß nur Gase oder bestenfalls eine glutflüssige Masse vorhanden seien, betrachten wieder andere den Untergrund für völlig fest und starr. Zur Klärung können nun verschiedene Wissen- schaften eingreifen. Wir wissen, daß die Erde als ganzes doppelt so dicht ist, als die an der Oberfläche befindlichen Gesteine und in den Schweremessungen hat man ein Mittel, diese oberen Erdschichten in ihren Dichteverhältnissen abzuschätzen. Es fragt sich nun, wie ist die Verteilung der Massen im Innern der Erde, um dieses Gesamt- resultat hervorzubringen. Zunächst glaubte man eine allmähliche Dichtezunahme nach dem Mittel- punkt schon aus dem Grunde annehmen zu dürfen, da ja das Gewicht der aufliegenden Massen mit der Tiefe zunimmt und daher auch der dort be- findliche Erdboden mehr und mehr zusammen- N. F. VI. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 735 gepreßt und daher dichter würde. VVii^ aber der mathematische Kalkül zeigt, genügt diese An- nahme, trotzdem der Druck im Zentrum bis zu 5 Millionen Atmosphären steigt, nicht. Man muß also annehmen, daß auch im Erdinnern schwereres Material, also insbesondere die Metalle vorherrschen. Hier genügt die Voraussetzung, daß die Dichte allmählich bis auf etwa 1 1 im Zentrum zunehme, um die geforderte Erddichte zu erhalten. Prof W'iechert hat nun aus den Erdbeben- beobachtungen gefolgert, daß diese Hypothese modifiziert werden müsse. Schon aus anderen, insbesondere astronomischen Überlegungen, glaubte er früher auf eine Zweiteilung der Erde schließen zu können, nämlich der Art, daß das Erdinnere aus einem eisenhaltigen Metallkern von nahe gleicher Dichte bestehe, dessen Durchmesser etwa drei Viertel der ganzen Erde beträgt. Dieser Kern wird von einem Steinmantel von 1 500 km Dicke bedeckt, dessen Dichte wieder nahezu 3 ' , mal so groß als die des Wassers sei. In der Tat zeigen nun die Erdbebenwellen, welche von einem entfernten Erdbebenherde kommen, daß sie beim Eindringen in das Erd- innere von über 1500 km Tiefe modifiziert werden, worauf zuerst Benndorf und dann Milne hinwiesen, so daß damit ein fast direkter Beweis der an- geführten Hypothese gegeben wird. Freilich ist auch hier noch nicht das letzte Wort gesprochen und überdies ist das Beobachtungsmaterial zu wenig zahlreich, um schon definitiv entscheiden zu können. Aber bereits ist der Weg gezeigt, der zu gehen ist und der, wenn vielleicht auch langsam, zum Ziele führt und uns Kunde über die Verhältnisse gibt, die in den verschiedenen Erd- tiefen bis zum Mittelpunkt der Erde herrschen. Dr. Messerschmitt-München. Bücherbesprechungen. Beiträge zur Naturdenkmalspflege. Herausgegeben von H. C o n w e n t z. Heft I. Bericht über die staatliche Naturdenkmalspflege in Preußen im Jahre 1906. Berlin 1907, Gebr. Borntraeger. — Preis 1,50 Mk. Den Inhalt des vorliegenden, 55 Seiten starken Heftes, bildet der Bericht über die Tätigkeit der im Jahre 1 906 geschaffenen und von Prof. C o n w e n t z verwalteten staatlichen Stelle für Xaturdenkmalspflege, für die in diesem Jahr erstmalig Mittel in den Etat eingestellt worden waren. Demgemäß war es dem als \'orkämpfer der Naturdenkmalsbewegung weit be- kannten Verfasser ermöglicht, in erhöhtem iVIaße seine sich selbst seit Jahren gestellte Aufgabe zu ver- folgen. Sein Bestreben war nach wie vor darauf ge- richtet, eine möglichst große Anzahl von Personen für die Naturdenkmalspflege zu interessieren , und hierin wurde er von den Ministerien und Behörden weitgehendst unterstützt, indem diese ihre untersteUten Beamten (Forstleute, Lehrer, Wege- und Wasserbau - Verwaltungen etc.) mit den Grundsätzen der Natur- denkmalspflege bekannt machten. Zum Schutz seltener Tiere sowohl als seltener Pflanzen und Pflanzenvereine wurden umfangreiche generelle und — nach Maßgabe örtlicher Verhältnisse — spezielle Maßnahmen ge- troften. Ohne hier auf Einzelheiten, die im Original nachzulesen sind, zu weit einzugehen, sei einiges Be- merkenswerte aus dem Inhalt der Schrift herausge- griften. Bei Oliva wurde ein Eibenbestand, im Kreise Züllichau eine ausgezeichnete Gemeinschaft von Laub- wald-, Moor- und Steppenpflanzen geschützt. Der historisch und naturhistorisch bemerkensweite Düppel- stein bei Sonderburg, ein mächtiger Findling, konnte durch freiwillige Beiträge von verschiedenen Seiten (1709 Mark!) vor der Vernichtung bewahrt werden. Ebenso opferwillig zeigten sich Vereine, Private und Verbände , als es galt , ein stark bedrohtes Zwerg- birkenmoor in der Lüneburger Heide zu erhalten; es wurde für über 3000 Mark die ganze in Betracht kommende Moorfläche von 1,6 ha angekauft. Von Tieren wurden besonders Adler , Schwarzstorch , Eis- vogel, Mandelkrähe, Pirol, Kormoran, Haselmaus u. a. in Obacht genommen und deren Abschuß entweder ganz verboten oder nur in sehr beschränktem Maße zugelassen. Wünschen wir, daß es dem Herausgeber gelingen möge, immer weitere Kreise für die Erhal- tung der heimischen Natur zu begeistern ; in unserem, noch mehr im Interesse der Nachwelt ist dies not- wendig, sollen nicht unsere Epigonen die wahre Natur nur noch aus Büchern kennen lernen können. Dr. W. G. Seminaroberlehrer O. Frey, Physikalischer Ar- beitsunterricht. 190 Seiten mit 30 Figuren. Leipzig, E. Wunderlich, 1907. — Preis 2 Mk., geb. 2,50 Mk. Verf. sucht durch diese Schrift darzutun, daß auch im Elementarunterricht das eigene Experiment des Schülers als Ausgangspunkt genommen werden kann, um die wichtigsten physikalischen Begrifte zu ent- wickeln und zu einem weit vollkommeneren Verständ- nis zu bringen, als es ein nur dozierender Lehrgang vermag. Unter ausgiebiger Benutzung von Fahrrad- teilen, Gasrohren etc. werden eine Anzahl von Appa- raten hergestellt, die als Wagen aller Art, Schwung- maschinen, Luftpumpen etc. dienen. Das Ganze stellt einen Versuch dar, der manche beachtenswerte Vorschläge enthält. Uns erscheint das Material, das Verf benutzt, immer noch zu kostspielig; eigentliche Freihandversuche, wie sie von Hahn gesammelt wur- den, werden vielfach bessere Dienste leisten können und wegen der minimalen Ansprüche an den Geld- beutel mehr Freude machen. — Die Ausdrucksweise des Verf. ist stellenweise gesucht und dunkel, wofür als Beispiel dienen möge die Seite 21 stehenden Sätze : „Für eine Stromarbeit können wir nicht die volle körperliche Resonanz schaffen. Der Empfindungs- komplex , den wir mit Strömung bezeichnen, ist ein komplizierter." O. Arendt, Die elektrische Wellentelegra- phie. Bd. II der Telegraphen- und Fernsprech- technik, herausgegeb. von Karraß. 169 Seiten mit 736 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. M. Nr. 46 130 Abb. Braur.schweig, F. Vieweg u. Sohn, 190;. — Preis 6 Mk.. geb. 7 Mk. Das zunächst für Praktiker bestimmte Buch wird auch allen denen gute Dienste leisten können, die sich schnell ein gründliches Verständnis der Funken- telegraphie und der ihr zugrunde liegenden Theorie der elektrischen Schwingungen verschafien wollen. Die Darstellung geht von der Theorie des Wechsel- stroms aus. Erst nachdem die Bedeutung der Selbst- induktion und der Kondensatorkapazität für den .Ab- lauf und die Resonanz der elektromagnetischen Schwingungen, wie sie durch Wechselstrom erregt werden können , klargestellt sind , geht Verf. zu den schnellen Schwingungen über, die bei der Konden- satorentladung durch Funken entstehen. Dann wer- den die verschiedenen Formen der Oszillatoren und Resonatoren , die Wellenmesser und ^^"ellenanzeiser, die gekoppelten Systeme und die ungedämpften Schwingungen behandelt. \'on Seite 06 an ist das Buch der Schilderung der Betriebseinrichtungen von weUentelegraphischen Stationen gewidmet, vor allem der nach dem S>-stem Telefimken angelegten. — Das Buch ist klar geschrieben, das im Text Gesagte wird durch zahlreiche, instruktive Figuren und Abbildungen veranschaulicht und für eindringendere Studien ist überall die betreflende Literatur angegeben. ^lathe- matische Entwicklungen sind auf das notwendigste Maß beschränkt Kbr. Literatur. Deecke, Prof. Dr. W. : Geologie v. Pommern. (VIII, 302 S. m. 40 .Abbildgn.') Lex. S'\ Berlin "07, Gebr. Bomtraeger. — 9,60 Mi., geb. 11,20 Mk. Fuchs, C. \V. C. : .\nleitung zum Bestimmen der Mineralien. 4. .\ufl. Neu bearb. v. Prof. Dr. Rhard. Brauns. ,IV, 220 S. m. 28 .\bbildgn.) gr. 8°. Gießen 07, .\. Töpelmann. — 4.50 Mk.. geb. in Leinw. 5 Mk. HoUeman, Prof. Dr. .\. F. : Lehrbuch der Chemie, .\atoris. deutsche .\usg. Lehrbuch der unorgan. Chemie f. Studie- rende an Universitäten u. techn. Hochschulen. >., verb. Auü. (XII, 451 S. m. .Abbildgn. u. 2 Taf.) gr. 8". "Leipzig 07, Veit & Co. — Geb. in Leinw. 10 Mk. Hopf, Dr. Ludw. : Über das spezifisch Menschliche in anato- mischer, physiologischer u. pathologischer Beziehung. Eine kritisch-vergleich. Untersuchg. Mit 217 Testbildern u. 7 Taf. (X-\11I, 409 S.) gr. 8°. Stuttgart 07, F. Lehmann. — 12.50 Mk., geb. 14,50 Mk. Iterson jun., Dr. G. van : Mathematische und mikroskopisch- anatomische Studien üb. Blattslellungen , nebst Betrachtgn. üb. den Schaleabau der Miliolinen. (KU, 333 S. m. 1 10 Fig. u. 16 Taf.'i Lex. 8*. Jena "07, G. Fischer. — 20 Mk. Müller- Pouillefs Lehrbuch der Physik u. Meteorologie. 10. umgearb. u. verm. .-^uti. Hrsg. v. Prof. Leop. Pfaundler. (In 4 Bdn.) Mit über 3000 .\bbildgn. u. Taf. , z. Tl. in Farbendr. III. Bd. 4. Buch. Wärmelehre , ehem. Physik, Thermodynamik u. Meteorologie v. DD. Prof. L. Pfaundler, Priv.-Doz. K. Drucker, ProfT. .A. Wassmuth und J. Hann. (XIV, 923 S.) Lex. S". Braunschweig '07 , F. Vieweg & Sohn. — 16 Mk., geb. in Halbfrz. iS .Mk. Nautnann, Carl Frdr. : Elemente der Mineralogie. Begründet V. X. if.. neu bearb. u. ergänzte .\utl. v. Prof. Geh. Rat M-'i. ferd. Zirkel. ^XI, S21 S. m. 1113 Fig.i Lex. S''. Leipzig '07, W. Engelmann. — 14 Mk.. geb. in Halbfrz. 17 Mk. Rawiti, Prof. Dr. Bemh. : Lehrbuch der mikroskopischen Technik. (VII, 43S S. m. iS Fig.) gr. S*. Leipzig '07, \V. Engelmann. — 12 Mk., geb. in Leinw. 13,20 Mfc^ Schmaus, Prof. ProsekL Dr. Hans: Grundriß der pathologi- schen .\natomie. S. .\ufl. Xeu bearb. u. hrsg. v. Prosekt. Dr. Ghold. Herxheimer. Mit 313 TexUig. u. 79 färb. .\b- bildgn. auf 47 Taf. ^^TII, S25 S.l Lex. S». Wiesbaden 07, J. F. Bergmann. — Geb. in Leinw. 16 Mk. Schwering. Gymn.-Dir. Prof. Dr. K. : Handbuch der Element,-ir- irathematik f. Lehrer. (VIII, 40S S. m. 193 Fig.) ' gr. S". Leipzig 07, B. G. Teubner. — Geb. in Leinw. 8 Mk. Verwom, Prof. Max : Physiologisches Praktikum f. Mediziner. (.XU, 262 S. m. 141 .\bbildgn."l gr. S**. Tena 07, G. Fischer. — 6 Mk., geb. 7 Mk. Anregungen und Antworten. Herrn Lehrer Seh., Schöneberg. — Der übersandte Pilz ist Marasmius oreades, der echte Krösling oder Herbstmousseron. Die .Art ist ein vortretilicher Speisepilz und eignet sich nament- lich für Suppen und Saucen. Elr wächst im Sommer bis in den Herbst bei uns nicht selten auf trockenen Grasplätzen und bildet häufig sogenannte Hexenringe. G. Lindau. Herrn .Apotheker B. in Elberfeld. — Sie haben recht, in der Xr. 34 ist bei der .Auskunft über neuere .Abbildimgswerke von Pilzen statt Michael talschlich Michaelis gedruckt wor- den. Ich empfehle das Buch, da es gute .Abbildungen ent- hält. G. Lindau. Herrn A, B. in Groben. — .An der eingesandten Pflaume kann ich keinen Pilz finden. Es läßt sich bei der nicht gut kon- servierten Frucht auch nicht mehr feststellen, ob überhaupt irgend eine Erkrankung vorhanden war. G. Lindau. Über den Fang der Maulwurfsgrillen wird auf Seite 624 u. a. berichtet, daß man Wasser in die Höhlen gießen solle, damit die Werren aus denselben herauskriechen; der Ratgeber sagt aber selbst, daß er sich von dieser Methode keinen Erfolg verspreche. Etwas anderes aber ist es, wenn man Öl dem Wasser zusetzt: die Werren treiben ihre Lauf- gänge dicht unter der Erdoberfläche hin , leicht den Boden hebend , so daß man bequem mit dem Finger diesen Gang verfolgen kann , derselbe endet schließlich in einer senkrecht in den Boden gehenden „Höhle", wie es oben heißt, hier hinein gieße man erst einige Tropfen Öl und dann gleich Wasser nach, es dauert gar nicht lange, so kommt die Werre ans Tageslicht, kriecht noch kurze Strecke mühsam fort, um dann zu verenden, das Öl hat ihr die .Atemöflfnungen verstopft, sie erstickt: es ist also durchaus nicht nötig, daß ein beson- derer Werrentanger ,,zum .Auffangen der Tiere sich fertig halte". .Auch darf der Pferdemist nicht in die Gräben zwi- schen die Beete gelegt werden , sondern es müssen einige Gruben von etwa 50 cm im Geviert gemacht werden, in welche der Pferdemist fest eingetreten wird , nur so erwärmt sich der Mist und lockt die Tiere an ; man tue dies im Spät- jahr, wenn es kalt wird. Gartendirektor Graebener. Herrn O. L. in W. — Über den Gründer des Botan. Gartens in Buitenzorg auf Java erfahren Sie das Xötige in der Encyclopaedie von Xederlandsch Indie von Van der Lith und Snelleman ^A'erlag Xyhotf, 'sGravenhage) Bd. III. Dort steht über Prof. Dr. C. G. C. Reinwardt auf S. 405 folgendes: de oprichting van den botanischen tuin de Buiten- zorg was grootendeels zi;n werk (zie dere Encyclop. I, p. 272). Inhalt: Max Verworn: Zur Psychologie der primitiven Kunst. — Kleinere Mitteilungen: Dr. B. Revesz: Betrach- lungen über Rassen und Geisteskrankheiten. — Dr. Jan Hirschler: Über regulatorische Vorgänge bei Hirudineen nach dem Verluste des hinteren Körpers. — Dr. Wolff: Zelle und Kernsubstanz. . — Prof. Dr. Heineck: Der Ver- lauf des Blütenlebens bei .Aristolochia clematitis L. — Dr. Messerschmitt: Der Stand der modernen Erdbeben- kunde nach den Verhandlungen der internationalen seismologischen -Assoziation im Haag 1907. — Bücberbesprechun- gen : H. Conwentz: Beiträge zur Xaturdenkmalspflege. — O.Frey: Physikalischer .Arbeitsunterricht. — O. .Arendt: Die elektrische Wellentelegraphie. — Literatur : Liste. — Anregungen und Antworten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-LichterfeldeWest b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Xaumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neae Folge VI. Band; der ganzen Reihe XXII. Band. Sonntag, den 24. November 1907. Nr. 47. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten , wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 1 5 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. Technisch wichtige Enzyme und ihre Wirkungen. Nach einem in der „Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde" ara 17. Februar d. J. im Institut für Gärungsgewerbe gehaltenen Vortrag.') [Nachdruck verboten. ] Von Prof. Dr. Paul Lindner, Berlin. Die Menschheit hat sich bis in die neueste Zeit ziemlich allgemein dem schönen Wahne hin- gegeben, daß die Naturkräfte nur für sie da wären und für ihr Wohl zu wirken hätten. Daß die Traube, die im Herbst reift, so süßen Most gibt, der im Keller zu schäumen anfangt und nicht eher damit aufhört, bis er goldig und klar von dem Hefensatz sich abhebt — das müsse eben so sein , damit der frohe Zecher zu seinem Wein komme. Die Bierhefe, wo nähme sie ihre Existenzberechtigung her, wenn sie nicht imstande wäre, aus dem edlen Gerstensaft schäumendes Bier zu machen ? I Ein aufmerksameres Nachdenken über die Vorgänge in der Natur hat jedoch die Sachlage durchaus verändert erscheinen lassen. Wie wir den Duft und Farbenschmelz der Blumen als ausschließlich für die Insektenwelt berechnet und ausgebildet anerkennen mußten, so müssen wir auch hier den Anspruch fallen lassen, daß die im Gärungsgewerbe oder ähn- lichen technisch biologischen Betrieben wirksamen Kräfte erst mit dem Auftreten des Menschen ihre eigentliche Rolle zugeteilt erhalten hätten. Daß das Gerstenkorn eine so ausgezeichnete verzuckernde Kraft besitzt, das ist eine Fähigkeit, die dem jungen Keimling zugute kommen soll und nur für ihn erworben ist. Daß die Hefe den Zucker in Alkohol und Kohlensäure zu zerlegen vermag, geschieht zu ihrem eigenen Vorteil, um sich gegen konkurrierende Organismen zu ver- teidigen oder sich nicht in einer Zuckerkruste oder in einem Sirup auf der Oberfläche süßer Früchte einsargen zu lassen, was ihr schlechter bekommt, als die Gegenwart des durch die Zuckerzersetzung entstandenen Alkohols, zumal sich ja dieser wegen seiner F"lüchtigkeit schnell in die Luft verbreitet und dabei die Insekten noch auf einen guten Tropfen aufmerksam macht, mit dem die Hefe dann wieder weit weggeführt wird. Wir müssen uns also sehr bescheiden und können nur darauf stolz sein, daß wir gelernt ') In dieser Abhandlung ist manches näher ausgeführt, als in dem gehaltenen Vortrag ; insbesondere habe ich es mir angelegen sein lassen , solche Angaben zu bringen , die beim Unterricht gut verwertet werden können. Kür die Ausführung entsprechender K.xperimente dürften sie zumeist schon genügenden .\iiliall geben. — l>er Verf. 738 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 47 haben, die Naturkräfte in neue Bahnen zu unserem Vorteil, zu unserer Erhaltung und zu unserem Genuß zu lenken und weiter, daß wir in der Er- kenntnis des Wesens und Wirkens jener Gewalten riesengroße Fortschritte gemacht haben. Mir ist die Aufgabe gestellt, über die enzy- matischen Kräfte, die in der biologischen Technik eine Rolle spielen, einiges zu sagen. Die For- schung hat hier ihr letztes Wort noch nicht ge- sprochen, aber sie feiert täglich neue Triumphe. Obwohl die technisch wichtigen Enzyme nur einen verschwindenden Teil der in der Natur draußen wirksamen Enzyme darstellen, ist doch die Literatur über sie fast schon unübersehbar geworden. Einleitend mögen erst noch einige Mutmaßun- gen über das erste Auftreten der Enzyme in der organischen Welt überhaupt vorausgeschickt wer- den. Zunächst sei gesagt, daß wir Sicheres darüber nicht wissen. Aber da wir so gut wie feststehend annehmen müssen, daß die Protozoen zuerst die Urmeere und deren Küsten bevölkerten, so werden wir auch in diesen Geschöpfen die ersten Enzym- züchter zu respektieren haben. Die Serum- forschung hat uns gelehrt, wie produktiv die weißen Blutkörperchen sind in der Erzeugung neuer Stoffe, Enzyme oder Antikörper, wenn Fremdkörper in das Blut eingespritzt werden. Das hautlose Protozoon, das jeden Augenblick auf einen neuen festen Körper stieß, auf neue eigenartige Nahrung, die es dann in sein Plasma aufnahm und zu verdauen suchte, war wie ge- schaffen dazu, möglichst viel spezifische Enzyme zu erfinden. Die in ihrem Zellulosekäfig sitzende Pflanzenzelle war durch das Angewiesensein auf nur flüssige Stoffe schon mehr beschränkt in dieser Beziehung. In der Eizelle und im lebhaft wachsenden Embryonalgewebe herrscht zunächst die synthetische Arbeit vor; erst später mit der Ausbildung der einzelnen Organe lokalisieren sich die spezifischen Enzyme. Die Speicheldrüsen sondern das Ptyalin ab, der Magen das Pepsin, die Pankreasdrüse Lipase, Glukase, der Darm Trypsin usw. Wie bei der Entwicklung des höheren Einzelwesens die Eizelle wohl die meisten Enzyme bereits in nuce enthalten mag, so dürfte auch das Protozoon der Urzeit in seinem Plasma schon eine Menge Enzyme ausgebildet haben, bzw. dürfte es so konstituiert gewesen sein, daß diese sich leicht daraus abspalten ließen. Welches die eigentlichen Urbildungsstoffe gewesen sein mögen, das hat uns noch kein Chemiker verraten, aber auch eine plausible Hypothese könnte schon an- regend wirken. Vielleicht gelingt es einem Emil Fischer noch, nicht bloß Polypeptide mit Pepton- bezw. Eiweiß- reaktionen synthetisch darzustellen, sondern auch Körper von Enzymnatur. Wir ständen dann vor einer wissensciiaftlichen Schöpfungstheorie in bezug auf die organische Welt, die Welt des Lebens. Mit dem ersten Protozoon mußten gleichzeitig proteolytische Enzyme geboren werden, anderen- falls wären Riesenleiber oder Riesenmassen ent- standen nach Art des vermeintlich heut noch existierenden Bathybius Haeckelii; diesen hätte eine gewisse Unvergänglichkeit anhaften müssen. Erst mit dem Auftreten genannter Enzyme wurde der Körper hinfällig, der Selbst\erdauung unter- worfen. Was für die diastatischen Enzyme Cailletet festgestellt hat, daß sie unter loco Atmosphären Druck noch wirksam sind, dürfte jedenfalls auch für die proteolytischen Enzyme gelten und dann würde ein Bathybius Haeckelii auch auf dem Meeresgrunde nicht mehr haben ausdauern können, es sei denn, daß die synthetische Kraft immer noch der auflösenden Kraft das Gleichgewicht gehalten hätte, wie beim jugendlichen, noch nicht ausgewachsenen Tier oder wie bei der Pflanze, bei der ja in dem Widerstreit der Kräfte die synthetischen zumeist im Übergewicht bleiben. Doch nun zu unserem Thema. Der Mensch hat schon frühzeitig die enzy- matischen Kräfte zu benutzen gelernt und sich über ihre Herkunft oft vergeblich den Kopf zer- brochen. Zu einer experimentellen Behandlung kam zuerst die Frage nach dem Verlauf der Verdauung der genossenen Nahrung. Reaumur (1752) und Spallanzani (1783) sahen in ihr einen Lösungs- und Umwandlungsprozeß durch die Einwirkung der Magensäfte. Ersterer ließ Falken kleine durchlöcherte und mit Fleisch, Körnern und Eiweiß gefüllte Metallröhren ver- schlucken und untersuchte deren Inhalt nach dem Durchgang durch den Körper. Er fand die Ei- weißkörper vom Magensaft verflüssigt und um- gewandelt, die stärkehaltigen Stoffe dagegen un- verändert. Spallanzani machte es so, daß er von Raubvögeln kleine , an Fäden angebundene Schwämmchen verschlucken ließ und daß er weiter in dem später daraus ausgepreßten Saft die allmähliche Auflösung dahinein gebrachter Fleischstückchen beobachtete. Erst zwei Jahr- hunderte später bildete das Studium der Vorgänge in der Bierbrauerei den Ausgangspunkt für eine exakte Enzymforschung. Kirchhoff fand 1814, daß die Stärke außer durch Säure auch durch frisches Gluten aus dem rohen Getreidekorn in Zucker umgewandelt werden könne und Dubrun- faut (1823) zeigte kurz darauf, wie mit der Kei- mung des Korns auch die Menge einer verzuckern- den Substanz zunehme; er wies aber auch schon darauf hin, daß der mit der wirksamen Substanz, der „Diastase", erzeugte Zucker nicht mit dem durch Säuren erzeugten Stärkezucker (Glukose) identisch sei. Das Studium der Verzuckerung der Stärke durch die Diastase hat bis in unsere Tage hinein die Forscher in Atem gehalten und galt es hier- bei nicht nur festzustellen, was eigentlich Stärke sei und wie die Umwandlung derselben im chemischen Sinne vor sich gehe, sondern es handelte sich ebenso um eine Feststellung, was die Diastase für ein Kör])er sei. N. F. VI. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ;39 Durch fran/.osisclic l-orscher wie Mai|ueniie, Roux u. a. ist vor wenigen Jahren über die erstere i'Vage eine einigermaßen befriedigende Lösung angebahnt worden. Sie erklären das Stärkekorn als ein Gemisch von Amylose, die sich mit Jod blau färbt und von Amylopektin, das sich in der Hitze oder durch Lauge in einen Kleister ver- wandelt. Die .amylose ist in gelöstem Zustand durch die Diastase vollständig und schnell in Malzzucker umzuwandeln ; das Amylopektin, das unlöslich in Wasser und Kalilauge ist, liefert das Dextrin und die Maltodextrine. Kig. I. 150 fach. Weizenstärke. Der Hauptsitz der Diastase ist das Schildchen, mit welchem der Gerstenembryo dem Mehlkörper anliegt; von hier aus wird letzterer allmählich mit Hnzymen überschwemmt. Damit die Diastase besser an die Stärkekörner herankomme, hat die Cytase die Vorarbeit zu leisten, indem sie die Zellwände zur Lösung bringt. Nur die dem Schildchen direkt anliegenden Zellwände sind durch Cytase nicht zur Lösung zu bringen, da sie hauptsächlich aus Galaktan bestehen. Fig. 2. 150 fach. Weizenmalzstärke, durch Diastase bereits korrodiert. Aus der Nähe des Keimlings entnommen. und Dextrin, die zunächst aus der Stärke durch die Diastase gebildet wurden. .Auch Glukose kann aus Stärke entstehen : Kig. Nachweis der Glukase mittelst des Kahmhefen- auxanogramms nach Beijcrinck. G = Glukasepulver. M = die durch die entstandene Glukose herangewachsene Mykodermakolonie. Der Untergrund enthält wolkige Striche , welche die lösliche Stärke in der Gelatine markieren sollen, und schwache Punkte, welche die Myko- dermaaussaat darstellen. (Schematisch.) ft°.o •y-r. >i^;^ • .0,0 iJ " Fig. 4. Nachweis einer vorübergehenden Dextrinbildung bei Einwirkung von Glukase auf Stärke. Nach Beijerinck. A = Stärkegelatine, mit EUipsoideushefe gemischt. G = Glukasepräparat. E = durch die entstandene Maltose bzw. Glukose entwickelte EUipsoideuskolonie. B = Gelatineplatle ohne lösliche Stärke, nur mit EUipsoideushefe gemischt. (Schematisch.) Das in A gebildete Dextrin ist nach B eingeströmt und unter dem Glukasepulver zu Maltose bzw. Glukose umgewandelt worden , infolgedessen Wachstum der EUipsoideushefe unter dem Glukasepräparat dort, wo der De.\trinstrom bereits vor- gedrungen ist. .^,--.;T, o-y.-3-^-S. 3. ■'S In der Nähe des Schildchens, wo die Diastase am frühesten wirkt, sehen die Stärkekörner ganz zerfressen aus, sie sind hier durchweg mit zahl- reichen Bohrlöchern und Gängen versehen. Fig. 1 u. 2. Der Embryo wird bei der Keimung immer zucker- reicher, aber merkwürdigerweise ist der Zucker hier in der Hauptsache Rohrzucker, nicht Maltose Fig. 5. Nachweis der Bildung von Maltose durch Einwirkung von Glukase auf Stärke. Nach Beijerinck. A = StärkegelatineplaUe mit Mykodermahefe gemischt. M = herangewachsene Mykodermakolonie (infolge Glukosebildung). G = Glukasepräparat. B = einfache Gelatineplalte mit EUipsoideushefe gemischt. E = herangewachsene EUipsoideus- kolonie (durch von k hereindiffundierte Maltose). (Schematisch.) Fig. 3-5 aus Lindnc-r; .Mikrosko|iische BetriebskontroUc. 740 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 47 durch die Wirkung der (jlukase, ein Enzym, welches in der den Mehlkörper umgebenden Schicht, der sog. Aleuronschicht hauptsächlich seinen Sitz hat. Besonders reich an Glukase ist der hornartige Teil des Maiskornes. Leon Cusenier beobachtete 1886, daß gemahlener Mais mit Wasser von 50" zusammengemaischt statt Malzzucker (Mal- tose) und Dextrin Traubenzucker (Glukose) ergab. Die Optimaltemperatur für dieses Enzym, das aber sciiliel.Slich beide in Glukose umgewandelt werden. Eine Stärkegelatineplatte, der eine weder Stärke noch Maltose noch Dextrin, dagegen Glu- kose assimilierende Hefe, z. B. Kahmhefe in feiner Verteilung, beigemischt worden ist, zeigt überall, wo ein Glukasepräparat aufgelegt wird, darunter ein kräftiges Wachstum der Kahmhefe infolge der in Gang kommenden Glukosebildung. Fig. 3 — 5. Das aus der Stärke gebildete Dextrin und Fig. 6. Veranschaulichung der Wirliunj; der Diastase aulStarkc- kleister. Nat. Gr. Auf einer mit verkleisterter Stärke ver- mischten Gelatineplatte wurden klar filtrierte Maischetropfen getupft, nachdem die Maische die im Bild angegebenen Tem- peraturen erreicht hatte. Die Maische, aus hellem Malz her- gestellt, war zunächst 2 Stunden bei 1 5" R gehalten worden, dann wurde die Temperatur gleichmäßig gesteigert. Bei 76" R noch deutliche Diastasewirkung. Bei 66° R ist noch so viel wirksame Diastase vorhanden, daß sie über den Tropfenrand hinaus in die Gelatine diffundiert und dort den Stärkekleister verzuckert. Hält man die Platte unter einer Gasglocke, in die ein Wattepfropf mit Chloroform gegeben ist, so sind nach 2 Tagen durchsichtige Fenster in der trüben Gelatine ent- standen, die noch deutlicher hervortreten, wenn die ganze Platte mit Jod-jodkaliumlösung Übergossen wird , wobei sich alle noch nicht verzuckerte Stärke blau bis schwarz färbt. Die auf der Platte verstreut liegenden hellen Kreise rühren von Malzstaubpartikelchen her, die im Laboratorium beim Anstellen des Versuchs aus der Luft auf die Platte herab- gefallen waren. auch unter dem Namen Maltase geht, ist 60"; seine Zerstörungstemperatur 70" C. Man erhält solche Maisglukase, indem man horniges Mais- mehl mit Wasser auslaugt und das Filtrat hiervon mit Alkohol fällt und dann im Vakuum trocknet. Die bröcklige Masse löst sich in Wasser nur schwierig. Beijerinck hat in sehr sinnreicher Weise den Nachweis geführt, daß bei der Glukasewirkung auf lösliche oder gekochte Stärke vorübergehend eine Maltose- und Dextrinbildung stattfindet, daß Fig- 7- Maische wurde nach Vorschrift gemaischt, dann Slärkegelatine- platte wie in Fig. 6 behandelt. Bei 72" R ist die Diastase kaum noch wirksam gewesen. auch die Maltose diffundieren dabei weiter in die Gelatineplatte ; wird dafür gesorgt, daß diese Stoffe abfließen können in eine angrenzende Gelatine- schicht, die nur eine Beimischung von Maltose assimilierenden Hefen, z. B. Weinhefen enthält, dann wachsen diese auf Kosten der einwandern- den Maltose zu kräftigen Kolonien heran. Hätte man statt Weinhefe Kahmhefe in diese Gelatine gebracht, so würde diese nicht wachsen, da sie weder Maltose noch Dextrin assimilieren kann. Würde man aber auf diese Stelle jetzt etwas Glukasepulver streuen, so würden die Kahmhefen sofort anfangen kräftige Kolonien zu bilden, weil unter dem Glukasepulver die Maltose und das Dextrin zu Glukose, die durch Kahmhefe assimi- lierbar, umgewandelt wird. Derartige Methoden, bei welchen aus dem Wachstum eines Organismus auf das Vorhanden- sein gewisser Stoffe geschlossen werden kann, nennt Beijerinck ,,auxanographische '. Sie sind überaus lehrreich, weil man durch sie die Enzym- wirkung sichtbar machen kann. Aber auch ohne Mikroben lassen sich auf der Stärkegelatineplatte Enzymwirkungen zur An- N. F. VI. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 741 Fig. 8. Die Veränderung der Malzstärke beim Maischprozcß. Fig. lo. 300 fach. Malzmaische bei 48" R = 60" C. ^oohich. Malzmaische nach 20 Minuten bei 56" R = 68,7° C. Die größeren Körner zeigen teilweise eine deutliche (lionzen- Stärkekörner verschwunden. Zellhäute und Eiweißgerinnsel. trische) Schichtung. Mit Jod keine Blaufärbung mehr, höchstens noch nach Zugabe von konzentrierter Schwefelsäure (Cellulosereaktion der „Stärkecellulose"). ■:*£S? • e? Fig. 9. 300 fach. Mal/maische bei 53" R = öö,!** C. Verblassen einzelner größerer Stärkckörncr. Von einer Schich- tung kaum noch etwas zu bemerken. Fig. 1 1 . Durch schnelles Erwärmen über 80° C = 64" R bei Aliwesenheit von Diastase verkleisterte Gerstenstärke. Fig. 1, 2, 6 — II aus Lindner, Atlas der mikroskopischen |Grundlagen der Gärungskunde. Paul Parcy, Berlin. 742 Naiurwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. \I. Nr. 47 schauung bringen. Will man irgend welche Körper, z. B. Gerstenembryonen, Hopfensamen, Wurzelfasern usw. auf Diastasegegenwart prüfen, so genügt es, die betreffenden Stücke in Stärke - gelaline einzubetten und die (jelatineplatte unter einer Glasglocke (zur Verhütung von Schimmel- bildung) in einer Chloroformatmosphäre zu be- lassen. Nach ca. 2-3 Tagen bereits sind durch- sichtige Felder um die aufgelegten Proben wahr- zunehmen. Taucht man die Platte in Jodlösung, dann treten die durchsichtigen Felder inmitten der tiefblauen Umgebung besonders scharf hervor (Wijsman's Versuch). F"ig. 6, 7. Aus dem Auftreten einer rotvioletten Zone am Rande des durchsichtigen F'ensters schließt Beijerinck auf die Gegenwart zweier ungleich schnell in die Gelatine diffundierender Enzyme, die er Erythro- und Leukodiastase nennt. Im rohen, ungekeimten Gerstenkorn ist fast nur die erstere vorhanden. Demnach ist die Diastase des Malzes ein Gemisch und kein ein- heitliches Enzym. Die Wijsmansche Methode läßt sich auch ausgezeichnet benutzen zur Fest- stellung der V'ernichtungstemperatur der Diastase. Man erhitzt einen Malzauszug auf immer höhere Temperaturen und gibt in regelmäßigen Inter- vallen je einen Tropfen davon auf die Stärke- geL'itineplatte. Je kürzere Zeit die Diastase beim Aufwärmen in den hohen Temperaturgraden ver- weilt hat, desto höhere Temperaturen verträgt sie. Der Anteil der Diastase, welcher die höchsten Temperaturen aushält, ist ausgezeichnet durch das Vermögen, Kleister schnell zu ver- flüssigen ; der andere Anteil hat mehr verzuckernde Kraft. In manchen Eieren, (z. B. im Berliner Weißbier), bei denen nicht alle Anteile der Maischen oder Würzen aufgekocht werden, bleibt Diastase noch wirksam bei der Nachgärung. Für die Nachgärung der Kartoffelmaischen in der Spiritusfabrikation ist ebenfalls Diastase noch er- forderlich, damit auch die Dextrine noch zur Ver- zuckerung kommen. Der Nachweis der Diastase in den Maischen geschieht mittels Guajakharzlösung und Wasser- stoffsuperoxyd. Sobald Diastase vorhanden ist, kommt eine Blaufärbung zustande, indem durch aktivierten Sauerstoff blaues Guajakonsäureozonid entsteht. Voraussetzung ist, daß die Harzlösung stets frisch hergestellt sei und daß sowohl die zu untersuchende Flüssigkeit, als auch das Wasser- stoffsuperoxyd fast neutral reagiere. Verdünnte Essigsäure stört jedoch die Blaufärbung nicht. Färbt sich die Harzlösung auch dann, wenn kein Wasserstoffsuperoxyd zugegeben worden ist, dann deutet dies auf die Gegenwart oxydierender P^nzyme, sog. Oxyd äsen, auf die wir später noch zu sprechen kommen. Welche technische Bedeutung die Diastase besitzt, möge daraus entnommen werden, daß in Deutschland jährlich über 4 Mill. hl reiner Alkohol erzeugt werden, vorwiegend aus der Kartoffel, deren Stärke durch die Diastase verzuckert werden mußte, ehe sie Alkohol geben konnte. 1904/05 betrugen die Einnahmen aus der Branntwein- steuer 134 Mill. Mk. Die Brauerei verarbeitet jährlich in Deutschland 14 Mill. Doppelzentner (ierste. Auch hier muß die Diastase eine Riesen- arbeit leisten. Die Brennerei braucht Langmalz, d. h. lang gekeimtes, diastasereiches Malz. Nach Effront ist die diastatische Kraft am größten nach 10 — II tägiger Keimung bei ungefähr 15" C. Solches Grünmalz ist in der Verzuckerung wirk- samer, als gedarrtes Malz, in dem ein Teil der Diastase bereits vernichtet. Bayrisches Malz, das bei 94 — II2"C abgedarrt wird, ist weniger wirk- sam als Wiener Malz, das bei 88 — 100, und das böhmische Malz, das bei 66- 88" C (im Malz ge- messen) gedarrt wird. Die Würze von letzterem ist reich an Maltose und gibt weinige Biere, die des hochabgedarrten bayrischen Malzes ist reich an Zwischenstufen, den sog. Maltodextrinen, die nicht oder nur schwer vergärbar sind und die Biere vollmundiger, nahrhafter, schneller sättigend machen. Derjenige Teil des gedarrten Malzkornes, welcher im Aroma und im Geschmack besonders hervortritt, ist der Embryo. Im unreifen, reifen und keimenden Korn findet sich aber neben der Diastase noch ein entgegen- gesetzt wirkendes Prinzip, die Amylokoagu- lase, welche die F'ähigkeit hat, die Amylose der Stärke zu kondensieren und zur Ausscheidung zu bringen. Wenn dickflüssiger Kartoffelstärkekleister mit Malzauszug unter 30" C stehen gelassen wird, bemerkt man in kurzer Zeit eine Gerinnung des Kleisters, eine ,, Rückbildung der Stärke". Solche koagulierte Amylose muß erst wieder bei 1 50" C einige Zeit erhitzt „aufgeschlossen" werden, ehe sie durch Diastase verzuckerbar ist. 5 ccm eines Malzauszuges (10 g auf 100 Wasser) genügen, um innerhalb 20—30 Minuten loo ccm einer 4 — 5 prozentigen Stärkelösung (die durch 2 std. Er- hitzen bei 130" C erhalten wurde) bei 15 — 25" C zum Gerinnen zu bringen. Auf einer Rückbildung der Stärke, oder richtiger, auf einer Kondensation der Amylose beruht offenbar die Erscheinung des sog. Altbackenwerdens von Brot, Semmeln, Kuchen usw. Eine eigenartige Bestätigung der Existenz der Amylokoagulase haben Fernbach und WolfT in der Tatsache gefunden, daß das Serum von Kaninchen, denen ein Malzauszug ein- gespritzt worden war, die Koagulation des Stärke- kleisters hindert. Im Blut des Kaninchen ist also eine Anti-Amylokoagulase erzeugt worden. Die Amylokoagulase wird bei 65" C binnen 5 Minuten zerstört. Die Amylokoagulase spielt ihre wich- tigste Rolle bei der Reifung der Körner und der Stärkeablagerung. Neben der Umwandlung der Kohlenhydrate im keimenden Korn spielt die Löslichmachung des Eiweißes durch die peptischen bzw. tryp- tischen FInzyme eine wichtige Rolle. Ca. 85 "„ der unlöslichen pjweif3stoffe des Endosperms der (jerste werden während des Mälzungsprozesses abgebaut und in einen Zustand übergeführt, der N. F. VI. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 743 I sie befähigt, nach dem Embryo abzuwandern. Eine Hauptquelle des proteolj'tischen Enzyms ist die Aleuronschicht. F"ig. I2, 13. Dabei ist bemerkenswert, daß die in ihr selbst aufgespeicherten Plasmamassen nach dem Maisch prozeß fast unvermindert noch in den dickwandigen Zellen zu sehen sind. Die in der unterhalb der Aleuronschicht gelegenen „Reserveeiweiß"massen dagegen, sowie das in dem eigentlichen Mehlkörper verbliebene, sog. „histo- logische Eiweiß" werden gleichfalls z. T. gelöst und vom Embryo wieder zu Plasma synthetisiert. Hier müssen also ähnliche Vorgänge sich ab- spielen, wie bei der Koagulation der Stärke. Die embryonalen Gewebe haben also dasselbe Ver- mögen wie die Hefezelle, lösliche Stickstofifver- bindungen wieder zu kondensieren. Solche Koa- gulationen kommen aber auch außerhalb der Zellen zustande. So fand Vortragender um einige auf Molkengelatine gewachsene Hefekolonien eine Zone von dichtem, eiweifäähnlichem Gerinnsel. Auch Citronen-, Ameisen-, Bernstein-, Essig-, Milch , Oxal-, Gerbsäure und etwas Bitterstoff, außerdem i^ ein grüner Farbstoff ^sowie Gummizucker (i::— 13",,) vorhanden. Diese Substanzen, sowie die gleichfalls reichlich vorhandenen Mineralstoffe machen die Malzkeime zu einem wertvollen P'utter- mittel. Während in der Preßhefenfabrikation und Spiritusfabrikation eine möglichste Ausnützung der Stickstoffsubstanzen zur Erzeugung kräftiger Hefe angestrebt wird, ist in der Brauerei ein hoher Stickstoffgehalt der Würzen eher vom, Übel; solche stickstoffreichen Würzen geben schlecht klärende, kälteempfindliche, geschmacklich nicht hervor- ragende Biere. Durch das Kochen der Würzen und durch Zugabe von Hopfen zur kochenden Würze wird eine bedeutende Menge stickstoff- haltiger Substanz unlöslich gemacht und aus- gefällt, die dann in den Trebern oder im Trüb zurückgehalten wird, um im Viehmagen weitere ■m'pM Fig. 12. I^uerschnitt durch einen Samen der zweizeiligen Gerste mit abnorm hohem ( 19,25 "/„"l EiweißgehaU. Hordeum salivum distichum (Svalöfs Svanhals). Stärke des Mikroiomschnittes etwa "■ („jm mm. Vergrößerung etwa 25 fach. Die dunkle Zone unterhalb der wie eine Mauer das Endospcrra umgrenzenden -Aleuronschicht, ent- hält viel Reserveeiweiß. Nach einem Präparat von Lauck. Aus dem Jahrbuch 1906 der Versuchs- nnd Lehranstalt für Brauerei entnommen. Fig. 13. Äußere Partie aus dein Querschnitt in Fig. 12. Das Reserveeiweiß unter der 3 — 4 stöckigen Aleuronschicht ist besonders stark ausgebildet und erscheint dunkel gefärbt. Die hellen Kreise sind ihm eingelagerte Stärkekörner. Stärke des Schnitts etwa Viooü bis '7,o„o "1™- bei Sarcinakolonien, die in Würzegelatine ge- wachsen waren, fand er unter Umständen eine breite Zone von Ausscheidungen, die an Glutin - körperchen erinnerten. Ein Teil der Stickstoffsubstanzen, die in den Embryo abgewandert sind, wird beim Bierbrauen nicht verwertet , da beim Darren des Malzes und in der Malzputzmaschine die Wurzelkeime abfallen. In diesen findet sich neben Eiweiß und Protemen Asparagin und Asparaginsäure vor; ferner etwas Fett mit freien Fettsäuren, etwas Harz und Wachs. Die stickstofffreien Restandteile bestehen aus Zucker und Pentosanen , auch etwas Apfel-, Umsetzungen zu erfahren. Der verschiedenartige Bedarf der einzelnen Gewerbe an stickstoffhaltigem Material kommt in dem Umstand zum .'\usdruck, daß die Brauerei stickstoffarme Gersten, die Brennerei stickstoffreiche Gerste vermälzt. Die proteolytischen, eiweißlösenden Enz\-me haben weiter technische Bedeutung erlangt bei der Herstellung von Hefeextrakten aus Bierhefe, von der ca. 350000 t als Abfall jährlich in den Brauereien der Welt gewonnen werden. Läßt man Hefe in gepreßtem Zustand bei 40" C einige Tage stehen, so sieht man. eine braune sirup- artige Flüssigkeit an der Oberfläche sich abscheiden, 744 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 47 die im Geruch sehr an Fleiscliextrakt erinnert. Kutscher, Schenk u. a. haben tlie Vorgänge bei der sog. Selbstverdauung (Autolyse) der Hefe näher verfolgt und ersterer ist zu dem Satz ge- kommen, daiä die Hefe bei der Selbstverdauung dieselben Produkte liefert wie tierische Organe, z. B. die Pankreasdrüse. Auch bei der Herstellung der Sojasauce aus der eiweißreichen Sojabohne unter Mitwirkung des Aspergillus Wentii entstehen ähnliche Pro- dukte. Die Leckerbissen der Javaner, die sog. Ontjoms, sind durch die Monilia sitophila, einen orangefarbenen Schimmelpilz, leicht verdaulich ge- machte Früchte („Erdnüsse") von Arachis h\-pogaea. .Auch hier sind proteoixtische Enz\me, die teils in der Erdnuß selbst vorhanden, teils durch den Schimmelpilz geliefert werden, wirksam. Hefenextrakte werden aber nicht, wie etwa die Sojasauce und das Liebig'sche Fleisch- extrakt, nur in der Küche verwertet, sie dienen auch in der Brennerei als Reiz- und Nährmittel für die gärende Hefe selbst. Daß die Abbau- produkte der Bierhefe — diese allein kommt zur Verarbeitung, da die Brauerei den Überfluß an erzeugter Hefe nicht verwerten kann — von den verschiedenen Hefen mehr oder weniger gut assimiliert werden können, hat Vortragender und seine Mitarbeiter Dr. Rühlke und Dr. Stockhausen an Tausenden von Kulturversuchen gezeigt. Dabei hat sich als interessantes Ergebnis herausgestellt, daß die Kulturhefe nur sehr wenige, die wilden Hefen schon eine größere Zahl, die Kahmhefen und manche Schimmelpilze fast alle Abbaupro- dukte assimilieren können. Leuzin, Tyrosin, Aspa- ragin, .Asparaginsäure werden am meisten bevor- zugt, Cholin, Arginin, Histidin, Xanthin, Hypo- xanthin, Guanin werden seltener oder gar nicht assimiliert. Unter den Produkten der Selbstverdauung der Hefe hat Effront auch kleine Mengen Formal- dehj'd und Amylalkohol gefunden. Der Amylalkohol, früher ein verhältnismäßig billiges Nebenprodukt der Brennereien, ist jetzt infolge der erzielten Reinheit der Gärung immer seltener und bei der Unentbehrlichkeit für gewisse technische Gewerbe, namentlich für die Lack- fabrikation, ist der Preis von Jahr zu Jahr ge- stiegen. Es scheint nun, daß hier die Entdeckung Ehrlich's eine Abhilfe dieses Notstandes bringen dürfte. Nach ihm entsteht der Amj'lalkohol wie überhaupt die höheren Alkohole nicht aus den Kohlehydraten, sondern durch eine zymatische Spaltung der Aminosäuren durch stickstofü'hungrige Hefe, und zwar in einer zuckerhaltigen Flüssigkeit, die frei ist von leicht verdaulichen Stickstoff- substanzen. Sofern razemische Aminosäuren vor- handen, greift die Hefe nur die eine Komponente der razemischen Verbindung an, die andere aber nicht und kann diese letztere nach dem Abfil- trieren der Hefe durch Eindampfen gewonnen werden. Aus dem optisch inaktiven Leuzin, das einer reinen Zuckerlösung mit den nötigen Nähr- salzen für die Hefe zugegeben, wird die links- drehende Komponente von letzterer als Stickstoff- nahrung benutzt, wobei unter Ammoniak- und Kohlensäureentwicklung Amylalkohol abgespalten wird, und d-Leuzin bleibt zurück. Ehrlich nimmt an, daß manche Blumendüfte auf ähnlichem Wege in der Pflanze durch Spal- tung von Aminosäuren entstehen und später ein- mal künstlich durch Gärungen hergestellt werden dürften. Auf einer enzymatischen Tätigkeit beruht jedenfalls auch die Abscheidung verschiedener Zuckerarten im tierischen Organismus. Nach der Seegen'schen Theorie geht die Glykose wesentlich aus den Eiweißstoffen und Fetten hervor; in schweren Fällen von Zuckerkrankheit (Diabetes) sind täglich bis 1200 g und mehr Traubenzucker im menschlichen Harn gefunden worden. Bei einer anderen Form von Zuckerausscheidung, die gesundheitlich aber unschädlich ist, bei der von Salkowski entdeckten Pentosurie, finden sich täg- lich bis 40 g Pentose (meist i-Arabinose, zuweilen auch d- oder 1-Arabinose) im Harn. Ihre Quelle ist nach Neuberg die Galaktose, die in glykosid- artigen Verbindungen in verschiedenen Bestand- teilen des Körpers vorhanden ist und aus dem massenhaft auftretenden Milchzucker in der Milch durch gewisse Umwandlungen leicht entstehen kann. Die Vergärbarkeit des Milchzuckers der Milch durch gewisse Hefen beruht auf der Gegenwart eines Enzyms, welches Laktase genannt wird. Diese spaltet Milchzucker (Laktose) in d-Galaktose und Glukose. Bei der Herstellung des Kefirs und des armenischen Mazuns sind solche Milchzucker- hefen wirksam ; aber auch andere Organismen, wie Bakterien, bewirken in gleicher Weise die Milchzuckerspaltung; durch diese sind dann irgend welche anwesenden Glukose oder Galaktose, aber nicht Laktose vergärende Hefen in der Lage, sich an der Gärung zu beteiligen. Den Kefir bereitet man so, daß man Kefir- körner, welche Hefen und Bakterien als wesent- lichen Bestandteil enthalten, zunächst aufweicht in häufiger gewechseltem Wasser, dann mit ab- gekochter Milch von 17" C übergießt (l '/., 1 auf 10 g trockner Körner) und 24 Std. stehen läßt. Die von den Körnern abgesiebte Milch wird auf Flaschen gezogen und darin in den nächsten 2 — 4 Tagen öfters umgeschüttelt. Bei der Milchverwertung zur Käsebereitung kommt überall da, wo nicht durch Ansäurung oder durch das Säuernlassen die Gerinnung er- zielt wird, das Labenzym zur technischen An- wendung. Es wird aus der Magenschleimhaut in verschiedener Weise ausgezogen : durch lauwarmes Salzwasser, durch salzsäurehaltiges Wasser oder durch Glyzerin, oder durch Molke. Gewöhnlich präpariert man die Labmägen in den Käsereien so, daß man sie mit Salz einreibt und in der Sonne oder im Rauch trocknen läßt, bisweilen hackt man sie fein und formt daraus Kugeln, die N. F. VI. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 745 man trocknet. Es wcrtlen aber auch, meist aus Kälber- und Schafmagen, Labpräparnte in flüssiger und fester Form hergestellt und in den Handel gebracht. Zur Herstellung der Labtablelten wird der mit salzsäurehaltigcm Wasser erhaltene Ex- trakt mit etwas I,eim und Gl)-zerin versetzt und auf Glasplatten bei 40" C getrocknet. Bei niederer Temperatur der süßen Milch zu- gesetzt, bringt das Lab eine schwammige Aus- scheidung des Käsestofifs (Kasein) zustande, aus welcher die Molke schwer zu entfernen ist (Neuf- chäteller und Limburger Käse), bei höherer wird der Käse fester und die Molke fließt besser ab (Schweizer und Chester Käse). Wenig Lab be- wirkt eine langsame (ierinnung (sehr erwünscht bei der Herstellung des Fromage de Brie), sehr viel bewirkt schnelle Gerinnung und macht den Käse säuerlich. Die Optimumtemperatur der Labwirkung liegt bei 36—40". Nach Duclaux vermag i ccm Lablösung in 3,2 Minuten 175 ccm Milch zur Gerinnung zu bringen, in 240 i\linuten sogar 24 000 ccm ^ 24 1. Die Gerinnung findet nur bei Gegenwart von Kalksalzen statt und wandelt sich dabei das Kasein in Parakasein und in etwas „Molkeneiweiß" um. Die allmähliche Zunahme des letzteren auf Kosten des ersteren wird auf die Gegenwart eines Parakasei nprotease genannten, dem Lab beigemengten Enzyms zurückgeführt. Das Lab- enzym besteht demnach eigentlich aus 2 Enzymen und nennt man das eigentliche Gerinnungsenzym auch Chymosin. Das Labenzym findet sich in dem Saft des Feigenbaums, in der Ackerdistel, im Saflor, in der Artischocke, in den Labkräutern usw., schließlich in vielen Käse- und Milch - bakterien. Es ist überall anzunehmen, wo süße Milch ohne Säurung gerinnt. Interessant ist die Tatsache, daß es auch in der Natur Antilabkörper gibt, so im Pferdeserum und in der Milch von Ziegen, welche von Blüten- stauden des irischen Efeus gefressen haben. Im Handel mit Milch spielt oft die Frage eine wichtige Rolle, ob die Milch schon erhitzt worden ist oder nicht, bzw. auf welche Temperatur sie erhitzt worden ist. Die Rohmilch enthält Oxy- dasen , also Enzyme , welche imstande sind, Sauerstoff" aus der Milch zugesetztem Wasserstoff- superoxyd abzuspalten und auf ebenfalls zuge- setzte, leicht oxydierbare und dabei sich färbende Substanzen zu übertragen. Ist eine Milch kurze Zeit auf 75" C erhitzt worden, dann ist die Oxydase vernichtet, mit Guajaklösung tritt keine Blau- färbung mehr ein. Rohmilch zeigt infolge eines mehr oder weniger starken Bakteriengehaltes die Fähigkeit, Wasserstoffsuperoxyd zu spalten. Gibt man zu 25 ccm Milch 0,5 ccm Wasserstoffsuper- oxyd in eine graduierte Röhre und läßt i Std. bei 37" stehen, so beginnt die Gasentwicklung, aus deren Größe man auf die „Katalasen"nienge schließen kann. Frisch erhitzte Milch enthält keine Katalase ; nur bei Bakterieiiinfektion stellt sie sich wieder ein. Wenn man 0,5 ccm Milch auf 25 ccm mit destillierten Wasser verdünnt und 1 Tropfen 25 prozent. Essigsäure zusetzt ( — nicht mehr!) so tritt eine körnige Kaseingerinnung ein. Wenn man das klare F"iltrat auf 86" erhitzt, dann trübt sich dasselbe infolge der Ausscheidung von vorher gelöstem Laktalbumin. Eine Milch also, die nach Ausfällung des Kaseins im Filtrat noch Laktal- bumin enthält, kann nicht auf 86" vorher erhitzt worden sein. Ähnlich wie das Labenzym ist auch das Pepsin ein technisches F'abrikat geworden. Es wird eben- falls aus Mägen gewonnen ; besonders geeignet dazu ist der Schweinemagen. Er wird mit kaltem Wasser gewaschen und 30 kg desselben (aus etwa 125 Magen) werden mit 36 Litern Wasser nach Zusatz von 500 g Salzsäure bei 38" bis zur Lösung digeriert. Man läßt danach erkalten und absetzen, fügt 60 g Chloroform nebst etwas Schwefelsäure hinzu, dekantiert am folgenden Tage und filtriert. Die klare Flüssigkeiit wird im Vakuum unterhalb 44" eingedickt, bis ihr Gewicht 15 kg beträgt. Die Masse wird dann auf Glastafeln ausgegossen und getrocknet. Um ein reines Präparat zu er- halten, muß das Pepsin noch von den Peptonen getrennt werden. Im Magen kommt es mit Salz- säure zusammen vor, mit der es jedenfalls eine lose Verbindung eingeht. Die günstigste Pepsin- verdauung findet nach A. Mayer bei 35 — 50" C und bei Gegenwart von 0,003 Proz. Salzsäure statt. Bei 60" wird das Enzym vernichtet. Das Pepsin wird in großen Mengen zur Her- stellung von Pepsinwein gebraucht, der Ver- dauungsstörungen behebt. 100 Teile Weiß- wein, 5 Teile Salzsäure von 25",,, 50 Teile Glyzerinlösung (1:1 Wasser) und lüO Teile Magensaft aus Schweine- oder Kalbsmagen werden 2 Tage lang mazeriert. Nach der Filtration ist der Pepsinwein fertig. Die Wirkung einer Pepsinlösung kann man z. B. danach bemessen , in welcher Zeit mit Karmin gefärbte Fibrinstückchen in Lösung gehen bzw. in welcher Zeit eine bestimmte Farbentiefe zustande kommt. Eine Pepsinlösung, welche im- stande ist, 10 g gekochtes, in linsenförmige Stücke zerschnittenes Hühnereiweiß bei 40" in längstens 6 Stunden zu einer schwach opalisieren- den Lösung umzuwandeln, nennt man looprozentig. Dem Pepsin ähnliche Verdauungsenzyme werden von den insektenfressenden Pflanzen in größeren Mengen ausgeschieden. Während Alkalien die Wirkung des Pepsins vollständig vernichten, kommt in dem Pankreas, dem Saft der Bauchspeicheldrüse ein als „Trypsin" bezeichnetes Enzym vor, welches wieder nur bei alkalischer Reaktion, wie sie auch im Darm herrscht, seine eiweißspaltende Kraft betätigt. Dieselbe reicht aber im Gegensatz zum Pepsin über die Peptonbildung hinaus, bis zur Bildung 746 NaturwissenschafUiche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 47 von Aminosäuren, wie Leiicin, Tyrosin, Asparagin-, Glutaminsäure usw. Eine sehr bemerkenswerte, für die Technik der Pasteurisation wichtige Tatsache hat Effront auf- gedeckt. Er fand, daß in feuchter Luft gehaltenes Eiweiß, das bei iio" koaguliert worden, sehr bald ausgesprochen enzymatische Eigenschaften auf- weist: zugefügtes Wasserstoffsuperoxyd erfährt schnell eine Zersetzung, zugefügter Stärkekleister wird in reduzierende Substanz umgewandelt. Ein Teil des Eiweiß selbst geht in Pepton über. Die Ursache dieser Veränderungen ist bedingt durch die Anwesenheit von Bakteriendauersporen, die, obwohl sie ihr Vermehrungsvermögen verloren haben, dennoch aktive Stoffe ausscheiden, welche der hohen Temperatur von iio" während 2 Std. widerstehen. Eine Erhitzung auf I20" während zweier Stunden hatte jedoch auch sie vernichtet. Die chemische Arbeit, welche sich im Laufe der Zeit in Milch, Rier, Wein nach der Sterili- sation vollzieht, steht jedenfalls im Zusammenhang mit jenen Stoffen. Die Sporen des Heubazillus schei- den um so mehr solche aktive Stoffe aus, je höher die Temperatur, und die Höchstleistung erfolgt in dem .Augenblick, in dem die Sporen vollständig ver- nichtet werden. Der Heubazillus, Bacillus subtilis, spielt jedenfalls bei den nachträglichen Verände- rungen von Konserven oder sterilisierten Nähr- böden eine besonders wichtige Rolle. Manche Früchte enthalten eigenartige Kohle- hydrate, die erst dann zur (xärung und technischen Verwertung gebracht werden können, wenn sie in gärfähigen Zucker umgewandelt worden sind. So finden wir in den Topinamburknollen statt Stärke Inulin. Diejenigen Brennereien, welche Topinambur verarbeiten, dürfen nicht etwa mit Malz die Invertierung vornehmen, da Malz keine Inulase enthält. Vortragender hat eine Anzahl Hefen ausfindig gemacht, welche imstande sind, Inulin zu Fruktose zu invertieren und dann weiter zu vergären, so z. B. Saccharomyces Marxianus, S. thermantitonum (die Eukalyptushefe), Schizo- saccharomyces Pombe (Negerbierhefe) u. a. Da die Inversion des Inulins in Fruktose sehr leicht schon durch Dämpfen unter geringem Druck vor sich geht, ist die .Anwendung genannter Inulase führenden Hefen nicht nötig, sondern man kann mit gewöhnlicher Bier- oder Preßhefe die Gärung einleiten. Bei der Verarbeitung von Johannisbrot für Brennereizwecke kann nach einem besonderen, von Effront angegebenen Verfahren das Caroubin der Körner durch das Enzym Caroubinase ver- flüssigt und verzuckert werden. Wenn die gequollenen und entschälten und entkeimten Körner mit heißem Wasser behandelt werden, erhält man eine durchsichtige Gallerte, welche durch einen Auszug aus gekeimten Johannisbrotkörnern zwischen 40 und 50" am besten zu verflüssigen und zu verzuckern ist. Bei 70" ist die Einwirkung des Enzyms nur noch eine sehr schwache, bei 80" ist sie ganz dahin. Ein in der Trehala Manna, ebenso in vielen Pilzen, z. B. dem Fliegenschwamm (bis zu 10 "/i, der Trockensubstanz), vorkommender, Zucker, die Trehalose, ist durch die Trehalase, ein in vielen Hefen gefundenes Enzym, leicht unter Wasseraufnahme in Glukose umzuwandeln und dann zur Vergärung zu bringen. Die Schwervergärbarkeit mancher Melassen beruht z.T. auf der Bildung reichlicher Mengen Meli- triose oder Raffinose in der Zuckerrübe (nament- lich in nassen Sommern) und in der Anwendung von Hefen, welche nicht imstande sind die Meli- triose zu spalten und vollständig zu vergären. Die untergärigen Bierhefen sind dazu besonders befähigt, da sie die Enzyme Raffinase (Melitriose in F>uktose und Melibiose umwandelnd) und Meli- biase (die Melibiose in Glukose und d-Galaktose spaltend) besitzen. Die obergärigen Bier- und Preßhefen enthalten nur ausnahmsweise das En- zym Melibiase, versagen daher in der Regel der an Raffinose reichen Melasse gegenüber. Die Schwervergärbarkeit normaler Melassen kann aber auch durch mangelnden Gehalt der Hefen an Invertase bedingt sein. Dieser Mangel kann der Hefe infolge ungünstiger Züchtungsbe- dingungen anhaften. Einzelne Hefen, speziell Schizosaccharomyces octosporus ist ganz der Invertase ledig, kann also Rohrzucker nicht vergären, trotzdem er Malz- zucker und andere Zuckerarten, ja sogar Dextrine vergären kann. In Melassewürze würde er also vollständig untätig verbleiben. (Schluß folgt.) Kleinere Mitteilungen. Die Eskimos.') - Das Wohngebiet der Es- kimos umfaßte ehedem nahezu die ganze arktische Küste Amerikas und die vorgelagerten Inseln, von Ost-Grönland und dem Nordende Neu-Fundlands bis zu den Aleuten, sowie das sibirische Küsten- land am Behringsmeer. Am Smitii -Sound vorge- ') Nach H. \V. Henshaw und J. R. S\v.inlon: ,, Es- kimo". Handbook of Am. Indians North of Mexico, I. Bd., S- 433—436- fundene Spuren beweisen, daß Eskimos früher bis zum 79. Grad nördlicher Breite Winterquartiere hatten; Sommerlager reichten sogar bis zum 82. Breitengrade. In der Gegenwart sind diese hohen Breiten unbewohnt und im Süden haben die Eskimos die Nordküste des St. Lorenzgolfes, die Nordspitze NeuF"undlands, die James-Bai und die Südküste der Hudson-Bai verlassen, während in Alaska ein Eskimostamm, die Ugalakmiut, in- folge von Mischehen unter den Tlingit-Indianern aufging. N. F. VI. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 747 Die I^^skimos repriisentiercn einen von den In- dianern verschiedenen physischen lypus. Ihre Körpergestalt ist mittelgroß, aber sie besitzen eine ungewöhnliche Kraft und Ausdauer, dank welcher sie imstande sind, ihr Leben in dem unwirtlichen Lande zu fristen. Bezeichnend ist das sehr breite Gesicht und die beträchtliche Höhe des gewöhn- lich geräumigen Schädels; die Nase ist verhältnis- mäßig schmal und hoch, besonders bei den Stämmen im Osten des Mackenzieflusses. Hände und Füße sind klein und wohlgeformt. Die Haut- farbe ist leicht bräunlichgelb mit einem rötlichen Ton an den exponierten Stellen. Die F'arbe der Haare und Augen ist dieselbe wie bei den In- dianern, ') die Lidspalte erscheint jedoch schmäler und mehr nach außen ansteigend. Der Bartwuchs ist spärlich, Körperbehaarung mangelt bei vielen Personen vollständig. Der Charakter der Eskimos wird als friedfertig, treu und aufgeweckt geschil- dert. Die Geschlechtsmoral ist eine äußerst lockere, was bei fast allen Völkern zutrifft, die einen harten Daseinskampf gegen die Naturge- walten zu führen haben. Dauernde Ansiedlungen sind in der Nähe der fiir Jagd und Fischerei günstigen Örtlichkeiten gelegen. Im Sommer liefert die Jagd auf Land- tiere, im Winter die Jagd auf Seesäugetiere, spe- ziell Seehunde, den größten Teil der Nahrung, die so gut wie ausschließlich aus F^leisch besteht. Ab- gesehen von der Jagd und dem Fisch fange ob- liegen die meisten Arbeiten den Frauen ; die Männer betätigen sich ferner mit der Errichtung der Winterwohnstätten und bei einigen Stämmen mit der Gerberei. Die Bauart der Behausungen ist zwar regional verschieden, in der Hauptsache trifft man aber drei Typen: Im Sommer, wenn weite Reisen unternommen werden, dienen aus Stangen und Fellen hergestellte Zelte als Unter- kunftsstätten, im Winter entweder seichte Gruben, über welchen ein mit Torf und Erde bedecktes Holzgerüst angebracht ist, oder Schneehäuser. Die Kleidung wird aus Fellen gemacht; nur dort, wo die Eskimos Gelegenheit haben , häufiger mit Europäern zusammenzutreffen, werden im Sommer teilweise auch aus Baumwollstoffen hergestellte Kleider getragen. Schmuckgegenstände werden wenig benutzt. Die Frauen pflegen bei den meisten Stämmen das Gesicht zu tätowieren. Zwischen den einzelnen Stämmen bestand immer ein reger Verkehr; daher kommt es, daß die Eskimos eine gute Kenntnis der Geographie ihres Wohngebietes besitzen. Die gesellschaftliche Organisation ist primitiv. Im allgemeinen bildet die Dorfschaft die höchste soziale Einheit. Jede Ansiedlung ist von der anderen vollkommen un- abhängig und selbst die Beziehungen zwischen den in einer und derselben Ansiedlung lebenden Familien sind recht lose. Gesellschaftliche l'nter- schiede bestehen nicht. Dem Dorfhäuptling steht keine Exekutivgewalt zu, er wird lediglich als Berater anerkannt. Monogamie ist unter den Eskimos die Regel; daneben kommt aber auch Polyandrie (bei Stämmen mit einem Überschuß männlicher Personen! und noch häufiger Polygynie vor. Meist nimmt ein Mann nur dann eine zweite Ehefrau, wenn die erste unfruchtbar ist. Der großen Geburtenhäufigkeit steht eine ebenso be- deutende Sterblichkeit gegenüber und es ist wahr- scheinlich, daß eine Vermehrung der Zahl der Eskimos in den letzten Jahrhunderten nicht ein- trat ; vielmehr darf ein Rückgang angenommen werden. Die gesamte Eskimobevölkerung, ein- schließlich jener in Grönland und Sibirien, wird auf etwa 29000 Personen geschätzt, eine Zahl, die der Wirklichkeit nahe kommen muß, weil die Stärke vieler Stämme durch Zählung festgestellt ist. Fehlinger. ') Vgl. Naturw. Wochenschr., 1907, S. 666—668. Die systematische Stellung des Homo pri- migenius sucht Gorjanovic'-Kramberger durch eine vergleichende LIntersuchung der Mahl- zähne des prähistorischen und rezenten Menschen klarzustellen (Die Kronen und Wurzeln der Mahlzähne des Homo primigenius und ihre ge- netische Bedeutung. Anat. Anz. 1907, Nr. 4/5). Die Zahl der Höcker an den Mahlzähnen des Menschen wechselt stark, doch ist für die oberen Molaren eine vierhöckerige, für die unteren eine fünfhöckerige Krone typisch. Bei den niedrigsten Rassen, den Australiern, Malayen und Negern, ist die Zahl der Höcker sehr wenig reduziert, dagegen stark bei Europäern, Amerikanern und Eskimos. Die Wurzeln der Molaren sind häufiger bei der kaukasischen als bei der schwarzen Rasse ver- schmolzen. Die genannten Erscheinungen sind vor allem physiologisch zu erklären, doch müssen auch phyletische Faktoren berücksichtigt werden. Als „pithecoide" Merkmale bezeichnet Kramberger die Schmelzfalten, die Querfurche und die ver- tikale Grübchenfurche an der Krone der Mahl- zähne; sie lassen sich fast nur phyletisch erklären. Prof. Kramberger hat die diluvialen Zähne nach allen diesen Merkmalen hin untersucht, wozu ihm die Funde von Krapina im Original, die übrigen in Gipsabgüssen zur Verfügung standen. Von den Mahlzähnen des Oberkiefers der Menschen von Krapina haben alle 15 ersten Mo- laren 4 Höcker; von den 12 zweiten Molaren sind 2 mit 4, I mit 3 ',, und 9 mit 3 Höckern. Es ist also augenscheinlich eine starke Reduktion der Höcker vorhanden, wodurch sich der Mensch von Krapina dem Europäer nähert. Von den unteren Mahlzähnen sind von den 12 ersten 9 mit 5, 2 mit 4 ' j und i mit 4 Höckern ; von den 1 1 zweiten Molaren sind i mit 5, 5 mit 4 '/.,, 5 mit 4 Höckern. Bei den 9 dritten Molaren des Unter- kiefers ist die Höckerzahl variabel oder die Krone stark gefurcht. Bei den oberen Mahlzähnen ist demnach eine stärkere Neigung zur Reduktion der Höckerzahl vorhanden, so daß die oberen Molaren mehr dem Europäer, die unteren mehr 748 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 47 dem .'\ustraHer entsprechen. Ganz ähnliche Be- obachtungen hat man an den Zähnen der Dschagga, eines Naturvolkes, gemacht. Der Mensch von Krapina zeigt also in bezug auf die Reduktion der Höckerzahl der Molaren keine Abweichung von dem Verhalten beim rezenten Menschen. Wie beim jetzt lebenden Menschen treffen wir bei dem von Krapina an den Wurzeln mannig- fache Verschiedenheiten und Verkümmerungen. Die Tendenz zur Verschmelzung der Wurzelteile ist groß, doch geschieht die Verwachsung in un- gleichem Maße. Fig. I zeigt uns vier obere erste Molaren aus den Funden von Krapina mit ver- Fig. I. Vier obere erste Molaren des Menschen von Krapina, die Wangenseite zeigend, um die Verschmelzungsweise der Wurzeln ersichtlich zu machen. (Aus Kramberger's .Abhandlung.) schiedenartiger Verschmelzungsweise der Wurzeln. Wie man bei Zahn d sieht, kann dieser Prozeß so weit gehen, daß alle Wurzeln vollkommen prismatisch verschmolzen sind. Manchmal tragen solche Zähne, wie auch der abgebildete, am un- teren Ende ein deckelartiges Gebilde, das man auch beim rezenten Menschen gefunden hat. Eine noch stärkere Neigung zur Verschmelzung der Wurzeln lassen die unteren Mahlzähne erkennen. Diese Beobachtungen hat Kramberger sowohl an den losen, als an den noch im Kiefer steckenden Zähnen gemacht, die er zur Untersuchung mit Röntgenstrahlen durchleuchtete. Es kommen je- doch auch ganz normale Zähne eines Kiefers vor, wie uns Hg. 2, ein Röntgenbild des Unterkiefers G des Menschen von Krapina, zeigt. Insgesamt waren aber fast 50",, der Molaren in bezug auf M, Mx . lljp fl m ^^ \ ;!-.'. -■^5*^ ^m ■ -.; ;-»"'v%v7vJ ihre Wurzeln anormal. Ein noch primitiveres Ver- halten der Wurzeln zeigte der 1 lomo primigenius von Spy. Die Schmelz falten der Mahlzähne sind bei den rezenten Menschenrassen im Abnehmen be- griffen und werden als primitive oder pithecoide Merkmale aufgefaßt. Bei dem Homo primigenius scheinen jedoch diese Falten allgemein vorge- kommen zu sein. Durch ein anderes pithecoides Merkmal, das beim diluvialen Menschen sehr stark ausgeprägt ist, die „vertikale Grübchen- furche", unterscheiden sich die Molaren von Krapina bedeutend von denen des heutigen Men- schen. Dagegen hat der sog. Carabellische Höcker, der ein in Entwicklung begriffenes Ge- bilde auf den zwei ersten oberen Molaren zu sein scheint, beim Homo primigenius noch nicht die Größe erreicht wie beim heutigen Menschen. F'assen wir nun die Ergebnisse dieser Unter- suchungen zusammen. Da am zweiten unteren Molar die Reduktion der Höcker meist nur bis auf 4 ' ., vorgeschritten ist, so lassen sich die Mahlzähne vom Krapina-Menschen nicht direkt mit denen einer jetzt lebenden Rasse vergleichen. Der Australier zeigt, auch in bezug auf die Wurzeln, sogar ein noch primitiveres Verhalten; beide können also nicht in eine direkte genetische Reihe gebracht werden. Der Krapina-Mensch muß von einem solchen abstammen, der auf allen oberen Mahlzähnen 4, auf allen unteren 5 Höcker hatte. Da die Zähne von Krapina eine so große Übereinstimmung mit denen des rezenten Euro- päers zeigen, so wird Kramberger durch diese Untersuchungen noch mehr in seiner schon aus anderen Gründen erworbenen Ansicht bestärkt, daß der Krapina-Mensch der direkte Vorfahre jener großen Rasse ist, die jetzt Europa, Asien, Amerika und Nordafrika bewohnt. P. Brohmer, Jena. Fig. 2. Uas Köntgi'nbild des Unterkiefers G des Menschen von Krapina. (Aus Kramberger's .Abhandlung.) Wetter-Monatsübersicht. Der diesjährige Oktober war durch überaus freundliches, mildes, ruhiges Wetter ausgezeichnet. Die Temperaturen wiesen nirgends in Deutschland größere Schwankungen auf. Bis zum 20. wurden im Binnenlande mittags noch sehr hriufig 20° C überschritten , und wenn auch die Luft sich um den 25. Oktober etwas stärker abkühlte, sogar an einzelnen Orten leichte Nachtfröste auftraten, so behielt die Witterung doch bis zum Schlüsse des Monats ihren angenehmen irühherbst- lichen Charakter bei. Im Mittel wurde die normale Oktobertemperatur in Süd- dcutschland nur etwa um einen Grad übertroficn , wogegen sich der Überschuß im Nordwesten auf 2 bis 2'/j (Jrad belicf und östlich der Elbe auf 3'/. bis 4 Grad steigerte. In Berlin z. B. betrug das Monatsmiltel 13,5" C und war 0,3 Grad höher als im Oktober des Jahres 1795, dem bisher wärm- sten, der sich in der langen, bis 1 7 19 zurückreichenden Kcilic der Berliner Beobachtungen vorfindet. Zu dieser ungowöhnliclien Wärme trugen die im größten Teile des diesjährigen Oktober wehenden milden Südostwinde und die Menge des Sonnenscheins vielleicht in gleichem Maße bei. Denn wenn auch morgens und abends der Himmel oft mit Nebelgewölk bedeckt war, so hat doch beispielsweise zu Berlin die Sonne an 125 Stunden geschienen, an 29 mehr als im Durclischnittc der früheren Oktobermonate. Am aller- N. F. VI. Nr. 4; Natiir wissenschaftliche Wochenschrift. 749 meisten über waren die Provinz Schlesien und der Regierungs- hezirk V'osen sowohl in bezug auf Sonnenschein als auch hin- siclitlieh der Lufttemperaturen begünstigt, die dort in der ÄiiTITcrs Toinpcrafursii einiger &ne. im 0RloBer 1907. I 1 LI BRrlinErWctTtrfcureau. ganzen Woche vom 13. bis 19. Oktober ihre normalen Werte um 6 bis 7° C überstiegen. Umgekehrt wie der Sonnenschein, waren die Niederschläge in der westlichen Hälfte Deutschlands viel häufiger als im Osten, aber weder hier noch dort sehr ergiebig. .\ur in den ersten neun Tagen des Monats fanden stärkere Regenfälle statt, die im westlichen Binnenlande verschiedentlich von Gewittern begleitet waren. Seit dem 10. trat im größten Teile Norddeutschlands trockenes Wetter ein, das östlich der Elbe mit geringen Unterbrechungen bis gegen Ende des Monats anhielt. Im Süden hingegen hörten die meist in mäßiger Stärke fallenden Niederschläge erst in den letzten HijXjtts'cpi^Bljol^cii im ©RTobor 1907, - c 3 E_^_ = -=J-| SJ? S ^ o 55 «^ _ _ _ QQ ic 3: :c: CO :z ?-ä c-n-2 : :c: Li: Lh CDi rrrn I 1 F I ,oLJ ^ 1.bis9.0Kr<,ber ' J liiiJliihMJm ^°| I I I I ; ■ ■ — j— |- """ I , iO.bisIS.OKtober., : 'I I '_■_ L -l6,b,522,0N(. 1 DMü^iäE 23be3l.0Ktober. tliiil^lWt^ (liinercrWertru, Deutschland. Tagen des Oktober auf und im Nordwesten wurde die Witte- rung in seiner zweiten Hälfte allmäldich wieder regnerisch. Die gesamte N'iederschlagshöhe des Monats betrug für den Durchschnitt aller berichtenden Stationen 40 mm, während die gleichen Stationen in den früheren Uktobermonaten seil Heginn des vorigen Jahrzehnts im Mittel 66,9 mm Regen ge- liefert haben. Am Anfange des Monats erschienen mehrere tiefe baro- metrische Minima in hohen Breiten des atlantischen Ozeans und rückten teils nach Osten, teils nach Südosten vor, wäh- rend ein schon seit längerer Zeit in Rußland verweilendes Hochdruckgebiet sich langsam weiter ostwärts entfernte. Nach- dem dann am 10. in Südeuropa ein anderes Maximum aufge- treten war, das gleichfalls langsam nordostwärts wanderte, blieben die folgenden vom Ozean heranrückenden , zum Teil sogar sehr tiefen Barometerdepressionen in ihrer Herrschaft auf den Westen beschränkt. Zwar zog sich auch das neue Maximum immer mehr ins Innere Rußlands zurück, überschritt hier aber am 19. Oktober 7S0 mm Höhe. Nachdem es sich liald darauf unter Verflachung geteilt halte, rückte seine west- liche Hälfte wieder gegen Mitteleuropa vor, so daß hier die dem Hochdruckgebiet entstammenden trockenen Ost- und Südostwinde noch länger vorherrschend und daher die Nieder- schläge undbedeutend blieben. In West- und Südeuropa hin- gegen fanden im Laufe des Oktober oftmals sehr ergiebige Regenfälle statt. Namentlich führte gegen Ende des Monats eine vom mittelländischen Meere nordwärts vordringende Baro- meterdepression in Italien , Südtirol und der südlichen Schweiz furchtbare Unwetter herbei , die zu starken Über- schwemmungen Veranlassung gaben. Dr. K. Leß. Bücherbesprechungen. R. H. France, Das Leben der Pflanze. 3. u. 4. Halbband (Das Pflanzenleben Deutschlands und seiner Nachbarländer II). Stuttgart, Kosmos, 1907. (Inhalt: Das Leben der Ursubstanz. Bau und Leben der Zellstaaten.) Manches von dem bei der Besprechung der bei- den ersten Halbbände Gesagten müf-ite wiederholt werden.') Nur die Illustrationen sind bedeutend besser ausgefallen, einige künstlerisch gut gelungen. Insbe- sondere aber im 3. Halbbande wird uns in einer Form , die so unklar als möglich ist , eine Pflanzen- mystik vorgebracht, die all das weit übertrumpft, was in den Zeiten der seligen Naturphilosophie alten Stiles geleistet wurde. „\V ort ist alles, Inhalt nichts" kann man als das Motto dieser Mystik er- klären. Der Reden rauschender Strom soll den Leser aus dern Volke über all die Lücken und Widersprüche hinübertragen, die in dieser, von jeder Logik , von jedem Streben , das konstruierte Weltbild mit den Tatsachen kongruent zu halten, befreiten Darstellung zu finden sind. „Was ist die Pflanze?" müssen wir uns fragen, indem wir das Buch beiseite legen und das Gelesene überdenken. Wir hörten : ,,Sie (die Pflanzen) sind kein klappern- der Mechanismus, sondern Wesen mit einer Art un- bewußten Verstandes" ; da sie Selbstregulation be- sitzen (nach Pfeffer) , so hieß es : „Was sich selbst reguliert , in das ist eine Urteilskraft über schädlich und nützlich hineingelegt. . . . Und nachdem sich die Pflanze von Fall zu Fall anders reguliert, hat sie die Urteilskraft selbst, weil sie ihr eigener Baumeister ist." (3. Hb. Seite 94.) ') Siehe Band V, pp. 702, 814. 750 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 47 Wir lasen ferner : „Die Tropisnien sind Instinktäußerungen , die wahre Ursache dieser vielen Reizbarkeiten und ihrer Änderungen sind ■ Eigenwilligkeiten der Pflanze, und eben sie sind der beste Beweis für das von uns auf Schritt und Tritt aufgedeckte Empfindungs- und Seelenleben der Pflanzen." (3. Hb. Seite 247.) „Baum und Strauch vollziehen den Laubfall frei- willig, ja ohne ihren »Willen wäre kein Wintersturin noch frostige Drohung imstande ihnen das Laub zu entreißen." (3. Hb. Seite 140.) „Sie (die Tropismen) sind die typischen Reizver- wertungen , die , ausgehend von Unterschiedsempfin- dungen, mittels unterscheidender Tätigkeit, also Urteil, zwischen ihnen eine Wahl treffen, um dann an passen- der Stelle von der Empfindung logischen Gebrauch zu machen." — „Der Reizverwertung liegt ein primi- tiver Denkakt zugrunde." (4. Hb. Seite 440.) „Raum- und Zeitvorstellungen, Subjektivitätsgefühl, einfache Assoziationen, dadurch bedingte Urteile und Gedächtnis als Inhalt der Pflanzenseele." 14. Hb. Seite 444.) Was ist also die Pflanze: Es ergibt sich als Konsequenz obiger Zitate folgendes : Die Pflanze ist nicht bloß ein denkendes Wesen, sondern — als eigener Baumeister — die Selbst- realisierung der eigenen Intelligenz durch eigenes Wollen und eigene Tat, also: Eine sich selbst als Realität setzende Idee, d. i. Kreator und Kreatur in einer Person. Und die Tatsachen:! Stimmt das alles mit den Tatsachen überein : Da wird es wohl wieder heißen : „W e n n nicht, um so schlimmer für die Tatsachen!" Dr. A. W a g n e r (Innsbruck) hat in seinem Buche : Der neue Kurs in der Biologie (Stuttgart, Kosmos, 1907) unsere Kritiken scharf angegriffen. Da wir in den früheren Besprechungen an typischen Beispielen gezeigt haben , daß France die Tatsachen oft ungenau verwendet, sie rasch verallgemeinert, so sieht sein Verteidiger darin eine kleinliche Kritik. Daß er an unserer bona fides zweifelt, kann uns nicht weiter irritieren, wenngleich betont sei, daß Wagner zu diesem Vorwurfe keinerlei Berechtigung wird vorbringen können. Das Buch France's als Ganzes genommen ist alles andere, nur kein auf- klärendes oder unterrichtendes Werk. Dicke Bände, bunte Bilder und ein oft mehr schwülstiger als schwungvoller Stil dürfen die Kritik nicht beeinflussen. Wir stehen seit Jahren in engster Fühlung rnit den populären Bestrebungen Wiens. Somit sind wir auch berechtigt gegen ein Werk Stellung zu nehmen , das uns als durchaus ungeeignet erscheint , wirkliche, ernst aufklärende Popularisierungsarbeit zu leisten. Daß das Laienpublikum an romantischen Schriften keine Freude mehr hat, sobald es in die Wissenschaft in ernsterer Weise eingeführt wurde, zeigen uns die am meisten gelesenen Bücher der Bibliothek der Naturwissenschaftliclien Fachgruppe des Vereines „Volksheim". Nicht die KosmosbÜL-hlein , sondern Lehrbücher werden am meisten gelesen. Ebenso zeigt die Zahl der Besucher, daß „Be- stimmungskurse" — (im Volksheime) — oder Kurse über ..Systematik" (volkstümliche Universitätskurse) stets mehr Zuspruch finden als allgemein biologische Kurse. Selbst der Kurs : „Lektüre von Haberlandt's Tropenreise" wies weniger Besucher auf als der über „Nutzpflanzen" oder ,,das Pflanzenreich". — Wenn wir in dieser Zeitschrift gegen France aufgetreten sind, so geschah es, um nicht durch Schweigen den Schein der Zustimmung zu er- wecken, es geschah, trotzdem wir uns denken können, daß die Leser der Naturwissenschaftlichen Wochen- schrift auch ohne unsere Besprechung an derartigen unklaren Schriften keinen Gefallen finden werden. Welche Forderungen muß man an ein gutes po- puläres Werk stellen, und genügt ihnen das ,, Leben der Pflanze" : Dem allgemeinen Gebrauche folgend , wollen wir auch hier zuerst F o r m (Darstellung, Stil, Illustration), dann Inhalt betrachten. Von der Form erwartet man : Gefällige Darstellung ; Klarheit und Verständlichkeit ; angenehmen, schönen Stil; gute, künstlerisch wirkende Illustrationen und, wenn es sich um erklärende Bilder handelt : unbe- dingte Richtigkeit. Der Inhalt soll wahr, richtig sein, sowohl in den Details, als auch in den allgemeinen Abstraktionen. Das „Leben der Pflanze" ist nur an einzelnen Stellen in einem sehr guten, leicht lesbaren Stil ge- schrieben, oft entgleist derselbe und wird geschmack- los, übertrieben, in den späteren Bänden auch häufiger langweilig. Die Darstellung ist oft unklar, ungenau, auf flüchtiges Lesen berechnet; die Bilder sind un- gleichartig. Daß sie in den späteren Bänden besser sind, wurde anerkannt. Der Inhalt enthält viele un- richtige, noch mehr ungenaue und daher vom Laien leicht mißzuverstehende Details, er entbehrt einer logisch konsequenten Weltanschauung als Grundlage. K. C. Rothe. Dr. A. Ginzberger. H. Weber und J. Wellstein, F. ncyklopädie der Elementarmathematik. III. Band. An- gewandte Elementarmathematik. 666 S. S " mit 358 Figuren im Te.xt. Leipzig, Teubner. — Geb. 14 Mk. Mit dem vorliegenden Band ist das Werk abge- schlossen, bei dessen beiden ersten Teilen bereits die zweite Auflage nötig geworden ist : die beste Probe auf die Notwendigkeit und Brauchkarkeit des Buches. — Wenn schon bei dem zweiten, dem geometrischen Teil, die Abgrenzung des Stoffes schwerer zu bestim- men war, als bei dem arithmetischen ersten, so ist hier bei den .■\nwendungen diese Frage noch weniger leicht zu lösen. Die drei Verfasser (H. Weber, J. Wellstein und R. H. Weber) haben sich so ent- schieden: Erstes Buch Mechanik, zweites Elektrische und magnetische Kraftlinien , drittes Maxima und Minima, viertes Wahrscheinlichkeitsrechnung, fünftes Graphik. \'iele Teile des Buches sind so gehalten, N. V. VI. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 75' dalö sie oluie weiteres dem Lehrer lür den Schul- unterricht an Ciyninasien und ähnlichen Anstalten dienen können, z. B. die Mechanik oder die Anfänge der Projektion; andere, wie der Abschnitt über die geometrischen Ma.\inia und Minima, hegen dem Schul- unterricht nahe genug, um gelegentlich hineingezogen zu werden ; während endlich einige Teile, wie die Absclinitte über die graphische Statik und das ebene Fachwerk, nur fiir Hoch- oder technische Schulen Bedeutung haben. Als ein Beispiel dafür, wie die Verfasser auf die Pra.xis Rücksicht nehmen, seien die Abschnitte am Schluß von V, 1 1 über das Zeichnen genannt. Am Schluß des Ganzen sind noch einige Zusätze und Berichtigungen zum Band I beigefügt. A. S. Dr. Branislav Petronievics , Die typischen Geometrien und das Unendliche. Heidel- berg, Winter. 87 S. 8«. — 3 Mk. Der Verfasser gibt hier eine Ergänzung zu seinem trüberen metaphysisch-mathematischen Werke, in der er sich auf einen neutraleren Boden stellt , auf dem er eine leichtere Verständigung mit den Gegnern seiner neuen Geometrie erhofTt. A. S. liehen .^nurcinuiif; der Alouic im Molekül. (VI, 15z S. m. 58 Fig.) gr. 8°. Leipzig '07, B. G. Tcubner. — Geb. in Leinw. ^ Mk. Forsch, l'riv.-Doz l>r. Otto: Versuch einer phylogenetischen l'.rklärung des Embryosackes und der doppelten Befruchtung der Angiospermen. Vortrag. (V, 49 S. m. J4 Abbildgn.) gr. 8". Jena 07, G. Fischer. — 1,50 Mk. Serret, J. A. : Lehrbuch der Differential- u. Integralrechnung. Nach A.\el Harnack's Übersetzung. 3. Aufl. Neu bearb. v. Geo. Scheffers. 2. Bd. Integralrechnung. (XIV , 5^^ S- m. 105 Fig.) gr. 8". Leipzig '07, B. G. Teubner. — (Jeb. in Leinw. 13 Mk. Anregungen und Antworten. Herrn Realgymnasialprofessor W. K. in Tilsit. — Über die Farben der Insekten liegt schon eine recht umfangreiche Literatur vor. Ich verweise aul die Literaturangaben Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 5 , S. 48 und S. 224. Speziell über Schillerfarben handelt B. Walter, Die Oberflächen- oder Schillerfarben. Braunschweig 1895. ^^'^^ ^^^ F'arben der Käferschuppen handelt eine Arbeit von G. Diramock, in: Psyche Vol. 4, 1S83, p. 3— 11, 23—27, 43—47 und 63 — 71 und eine Arbeit von F. Urech, in: Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 57, 1894, S. 374 — 384. Da man aus Ihrer Anfrage nicht ersieht, ob es sich für Sie um die Farbe der Schuppen oder der Flügeldecken selbst handelt, kann ich Ihnen nähere Angaben nicht machen. Dahl. Herrn A. R. in Ansbach. — Sie schickten uns am 17. August ein Stück morschen Holzes, das der Länge nach von 7 mm weiten Gängen durchzogen ist (Fig. i). Die Gänge Prof. Dr. E. Liebenthal, Praktische Photome- trie. 445 Seiten mit 201 Abb. Braunschweig, F. Vieweg & Sohn, 1907. — Preis iq Mk., geb. 20 Mk. Die Photometrie hat in den letzten Jahren recht erhebliche Fortschritte gemacht, sowohl was die Kon- struktion geeigneter Kinheitslampen , als auch hand- licher Photometer für die verschiedensten Zwecke betrifft. Es ist daher für alle die Lichtmessung prak- tisch ausübenden Beleuchtungstechniker sehr wertvoll, daß ein Mitglied der physikalisch- technischen Reichs- anstalt in dem vorliegendem Kompendium den ge- samten gegenwärtigen Stand der Lichtmeßkunst und ihrer theoretischen Grundlagen in übersichtlicher Form zur Darstellung gebracht hat. Am Schluß sind einige .Anhänge beigegeben, die teils einige für die Photo- metrie wichtige , mathematische Beziehungen näher erläutern, zum anderen Teil eine Reihe von Übungs- aufgaben und Tabellen enthält. — Das Buch ist je- doch nicht nur für Praktiker unentbehrlich, sondern bietet auch dem Physiker vielerlei interessante An- gaben, die man an anderen Orten vergeblich suchen würde oder aus der sehr zerstreuten Literatur heraus- suchen müßte. F. Kbr. Literatur. Greinacher, Dr. Heinr.: Radium. (Radioaktivität, Ionen, Elektronen.) Gemeinverständliche Darstellg. Neuer Abdr. 164 S.) 8". Leipzig '07, Veit & Co. — I Mk. Kruscb, Landesgeoluge Bergakad.-Doz. Prof. Dr. P. : Die Untersuchung u. Bewertung v. Erzlagerstätten. (XX, 517 S. m. 102 Fig.) Lex. 8". Stuttgart '07, F. Enke. — 16 Mk., geb. in Leinw. 17,40 Mk. Mamlock, Dr. I..; Stereorhemie, die Lehre von der räuni- Fic. 1. llolzstuck mit zwei Zellreihen vom Blattschneider. sind mit Rollen grüner Blattstücke ausgefüllt. — Sie fragen, von welchem Insekt diese Bauten hergestellt sind und wozu die Blattrollen dienen. — — Als ich Ihre Sendung in die Hand bekam, war aus der einen Rolle bereits eine kleine Biene, der sog. Blattscbneider , Meijachile centimcularis F., ausgeschlüpft, ein sehr interessantes Tierchen, dessen wunder- bare Kunstbauten schon früh die Aufmerksamkeit der For- scher auf sich gelenkt haben. Schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts gibt R. A. F. de Reaumur in seinen Memoires pour servir i l'histoire des Insectes (T. 6, Paris 1742, p. 97 bis 130) eine sehr eingehende Schilderung von der Herstel- lung und dem Bau der Rollen. Die Reaumur 'sehen Be- obachtungen können uns noch heute als Muster dienen. Reaumur führt bei dieser Gelegenheit (p. 114«".) auch schon den Nachweis , daß die Tiere durchaus nicht als Maschinen betrachtet werden dürfen. Danach begreift man es kaum, wie über diese Frage noch in neuester Zeit ernstlich diskutiert werden konnte. Eine solche Diskussion beweist uns, auf eine wie tiefe Stufe die Beobachtung der lebenden Natur durch das Vorherrschen der cytologisch - embryologischen Richtung in der Zoologie, besonders aber unter dem Einfluß der ver- knöcherten Systematik hinuntergedrückt ist. — Die Blattrollen der vorliegenden Art bilden eine Reihe von Zellen, die 18 min lang und 6 mm breit sind und sich wie Fingerhüte aneinan- der fügen. Oft ruhen dieselben noch in einer gemeinsamen Hülle. In die Zellen wird von der Biene Blütenstaub und Honig eingetragen und dann ein Fi darauf gelegt. Die aus 75: Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 47 dem F.i iiusschlüpfcnde Larve nälirl sich von dem Vorrat und spinnt sich zur Verpuppung in einen festen Kokon ein. Aus dem Kokon kommt entweder, wie im vorliegenden Falle, schon in demselben Jahre oder, wenn es sich um die Winter- generation handelt (vgl. T. G. Gentry, in: Canad. Entomo- logist Vol. 6, 1874, p. 174I, gegen Ende Mai, Anfang Juni des nächsten Jahres die Biene hervor. — Die Biene macht sich sofort wieder an die .Xrbeit, um neue Zellen zu bauen. Sie sucht sich zunächst eine passende, enge Höhlung, ent- weder, wie im vorliegenden Falle, den Gang einer Insekten- larve, den sie von Holzmehl säubert (vgl. S. Schenkling, in: lllustr. Zeitschr. Entom. Bd. 4, 1899, S. 149) oder die Röhre eines größeren Regenwurms in der Erde (vgl. J. H. Fahre, Souvenirs entomologiques 4. ser., Paris 189 1, p. gSf.) oder einen Spalt in einer Mauer (vgl. G. Newport, in: Trans, ent. Soc. London Vol. 4, 1845, p. 2—3). Die Teile dieser Höhlung, die sie nicht benutzen will, kleidet sie zu- nächst ab, indem sie von rauhhaarigen oder filzigen Blättern mit gesägtem Rande , wie im vorliegenden Falle, (vgl. auch [. H. Fahre a. a. O. p. 99) oder, wie dies Newport be- obachtete, von einem BaumwoUcnstoff , kleine unregelmäßige Stückchen mittels ihrer Kiefer abschneidet und herbeiträgt. Alsdann beginnt der eigentliche Bau. Die Biene fliegt jetzt zu einer Pflanze mit glatten , elastischen Blättern , zu einem Rosenstrauch, einem Fliederstrauch etc. , setzt sich an den Rand des Blattes und schneidet nun ein größeres, etwa 20 mm langes und 6 mm breites Stück heraus (Fig. 2). Während Fig. 2. Syringen-Blatt vom Blattschneider zerschnitten. (Nach Sajo, in: 111. Z. f. Ent. Bd. 1, S. 581 ff.). sie schneidet, schiebt sich der abgetrennte Teil zwisclien die Füße, wird beim Weilerschneiden in der Mitte zusammen- gebogen und in dem Augenblick, wo es abgetrennt ist , fliegt die Diene mit ihm davon. Das Ganze dauert nur wenige Sekunden; denn Newport beobachtete, daß die Biene schon 30 — 45 Sekunden , nachdem sie forlgefiogen war , mit einem Blattstück zurückkam. Drei derartige Stücke umspannen mit etwas übereinander übergreifenden Rändern die Zelle. Dann tolgt eine zweite und dritte und je nach der Weite des Ganges oft auch noch eine vierte , fünfte und sechste Lage (vgl. Gentry a. a. O.) ; alle Blattstücke werden allein durch die Elastizität zusammengehalten. Hierauf wird mittels der langen, dichten Bauchhaare Blütenstaub und mittels des Saugraagens Honig eingetragen und dann ein Ei auf die Masse gelegt. Endlich wird die Zelle mit einigen fast genau kreisrund geschnittenen Blaltstücken von 6 mm Durchmesser geschlossen. — Es ist klar, daß die ganze Arbeit instinktiv ausgeführt wird; denn die ausschlüpfende Biene hat keine Lehrmeisterin und kann den inzwischen fast zerstörten Blattrollen unmöglich ansehen, wo die Stücke zu holen sind, wie sie abzuschneiden und wie sie zu verbauen sind. Von den rauhen Blattstücken, die zum Ausfüllen dienen , sagt ihr ihre Erfahrung noch weniger. — Ebenso klar ist, daß das Bewußtsein bei der Arbeit nicht fehlt. Die Verhältnisse, unter denen der Bau angelegt wird, sind sehr verschieden und die Biene gibt jedem Stück eine für den vorliegenden Zweck geeignete Form. So sind namentlich die rauhhaarigen Stücke, die länglichen, glatten Wandstücke und die runden, glatten Deckelstückc scharf voneinander zu unterschei- den. - Die Zahl der Zellen, welche eine Reihe ausmachen, ist je nach der Länge des Ganges verschieden. Oft bestellen sie nur aus 2 — 3 Zellen. .A. W. S t ö c k e 1 fand aber auch einmal 12 Zellen in einer Reihe (7. Jahresber. Ges. Freund. Naturw. Gera, 1864, S. 49). F. W. Putnam beobachtete, daß eine Biene in 20 Tagen 30 Zellen in 9 Reihen von verschiedener Länge herstellte (Psyche Vol. 7, 1894, p. 20). Dahl. P. b. Prerau, Mähren. — Ihre zahlreichen Fragen würden umfassendes (Quellenstudium erfordern, wollten wir sie authen- tisch beantworten. Dazu fehlt uns nicht nur die Zeit, sondern die Fragen erscheinen zumeist auch zu bedeutungslos. Die meisten Erfinder haben Vorläufer gehabt, die mehr oder min- der ähnliche, weniger vollkommene Apparate erscmnen hatten, aber noch keinen rechten Erfolg damit zu erzielen vermochten. Wen man dann als den eigentlichen Erfinder bezeichnet, bleibt natürlich ziemlich willkürlich. Audi die Jahreszahl einer Er- findung ist nicht immer genau festzustellen, da der Erfinder in der Regel lange an der Vervollkommnung seiner Erfindung weiter arbeitet und vielleicht oft selbst nicht wissen wird, wann ihm die entscheidende Idee gekommen ist. Was liegt aber auch daran , ob wir die Erfindung der Dampfmaschine in das Jahr 1763, 1765 oder 1769 setzen? Das Jahrzehnt ist ja völlig ausreichend, besonders für den Schulunterricht! Daß Schulbücher oft fehlerhafte Angaben enthalten , da sie vielfach nicht mit der wünschenswerten Sorgfalt abgefaßt sind, ist allerdings nicht zu leugnen. Aber gerade die histo- rischen -Angaben sind auch in sonst guten , wissenschaftlichen Werken oft widersprechend und unzuverlässig, weil eben bis- her die politische Geschichte von den Fachhistorikern mit weit größerer Sorgfalt gepflegt wurde, als die Kulturgeschichte. Von vielen, wichtigen Instrumenten, z. B. dem Thermometer, kennt man nicht einmal den Erfinder. Im einzelnen können wir zu lliren F'ragen nur folgendes bemerken ; ad 2) Das erste Stereoskop wurde von Wheatstone 1833 erfunden und war ein Spiegelstereoskop. Die heute übliche Form des Linsenstereoskop wurde 1843 von Brewster angegeben. ad 3) Das 1860 von Reis erfundene ,, Telephon" kann eher als ein Mikrophon bezeichnet werden. Unser heutiger ,, Fernhörer" ist dagegen das 1877 von Bell erfundene Tele- phon. Die Jahreszahlen sind in verschiedenen uns zugäng- lichen Büchern aber gleichfalls verschieden. ad 5) Die Erfindung und allmähliche Verbesserung der ersten Lokomotiven fällt in die zwanziger Jahre und ist haupt- sächlich G. Stephenson zuzuschreiben. Näheres hierüber, wie überhaupt über historische Daten zur Geschichte der Physik finden Sie in dem Werke von La Cour und .Appel „Die Phy- sik auf Grund ihrer geschichtlichen Entwicklung", das wir Bd. V, S. 3t besprachen. Herrn H. ? in K. — Über die von Aitken angewendete Methode der Zählung der Staubteilchen finden Sie einige nähere Angaben in Arrhenius' kosmischer Physik Bd. II, S. 485^489. Auch in Poske's Zeitschrift für den physikalischen und chemischen Unterricht finden Sie Berichte in Bd. IV, S. 198 und Bd. VII, S. 297. Die Anfrage von Dr. O. L. in Altona in Nr. 42 der Naturw. Wochenschr. bezieht sich vermutlich auf den „Akustik"- Apparat. ') — Von einem Leidensgefährten wurde mir derselbe sehr empfohlen und scheint der Apparat brauchbar zu sein, ich stelle eben Versuche damit an. In dem neuen Werk von Prof. Lucae über Schwerhörigkeit ist er auch besprochen. O. B. •) ,, Deutsche .Akustik-Gesellschaft" Straße 34. Berlin W , Nachod- Inhalt: I'r. Paul Lindner; Technisch wichtige Enzyme und ihre Wirkungen. — Kleinere Mitteilungen: Fehliuger: Die Eskimos. -- Go r j a no v ic - Kramb erg e r : Die systematische Stellung des Homo primigenus. -- Wetter-Monats- übersicht. — Bücherbesprechungen: R. H. France; Das Leben der Pflanze. — H. Weber und J. Wellstein: Encyklopädie der Elementarmathematik. — Dr. Branislav P e t r o n i e v i c s : Die typischen Geometrien und das Un- endliche. — Prof. Dr. E. Liebenthal; Praktische Photometrie. — Literatur: Liste. — Anregungen und Antworten. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. H. Potonie, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pälz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge Tl. Band; der ganzen Reihe XXII. Band. Sonntag, den 1. Dezember 1907. Nr. 48. Abonnement: M.id abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespallene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Kabalt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. Der Rotax-Unterbrecher, ein neuer Fortschritt im Röntgen-Instrumentarium. 0 [Nachdruck verboten. Vun W. Otto, Ingenieur der Elektrizitätsgesellschaft „Sanitas", Berlin. Trotz der vielen Verbesserungen, welche die Röntgen-Unterbrecher im Laufe der Zeit erfahren haben, und trotz der großen Zahl der verschie- denen Typen und Systeme, welche bei unseren modernen Röntgen-Instrumentarien zur Verwendung kommen, besitzen wir unter den heute bestehen- den Unterbrechern noch keinen einzigen, der wirk- lich vollkommen und fehlerfrei ist. Diese Tat- sache war um so bedauerlicher, als der Unter- brecher mit die Hauptaufgabe im ganzen Röntgen- Instrumentarium zu erfüllen hat, und seine Funk- tion sowohl bei der Röntgenphotographie als auch bei der Durchleuchtung den Ausschlag gibt. Auf dieser Erkenntnis beruhen denn auch die immer wiederholten zahlreichen Versuche, durch neue Konstruktionen einen verbesserten Unter- brechertyp zu schaffen. Zwei Hauptsysteme lassen sich heute unter- scheiden, die von allen die besten sind und infolge- dessen fast ausschließlich Verwendung finden: auf der einen Seite der elektrolytische Unterbrecher nach Prof VVehnelt, auf der anderen Seite der durch Motorkraft getriebene rotierende Queck- silberstrahl - Unterbrecher. Diese beiden Unter- brecherarten kommen nun nicht nur einzeln je für sich bei dem Röntgen-Instrumentarium zur Aufstellung, sondern sie werden auch beide neben- einander zu demselben Induktor installiert, der beste Beweis, daß jeder von ihnen seine beson- deren Eigenschaften besitzen muß, die einander gegenseitig ergänzen. Und das ist in der Tat auch der Fall. Die Hauptstärke des Wehnelt - Unterbrechers liegt in der außerordentlich hohen erreichbaren Unterbrechungszahl, vermöge deren die Strom- impulse überaus schnell aufeinander folgen und das Durchleuchtungsbild auf dem Leuchtschirme so hell machen, wie dies mit keinem anderen Unter- brecher zu erreichen ist. Je schneller die ein- zelnen Stromstöße hintereinander auftreten und je häufiger in der Zeiteinheit die Netzhaut unseres Auges von den Lichtimpulsen des Leuchtschirmes getroffen wird, um so heller erscheint uns das Bild und um so besser und klarer sehen wir. ') Wir geben den interessanten .'Ausführungen des Herrn Otto gern Raum, nachdem wir uns von der Leistungsfähigkeit des Rotax-Unterbrcchcrs überzeugt haben. Bezüglich der Angaben über Dauerhaftigkeit usw. müssen wir die Verantwortung jedoch dem Herrn Verf. überlassen, da uns hierüber keine Erfahrungen zu Gebote stehen. Red. 754 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 48 Daher ist der VVehneU-Unterbrecher speziell für die Röntgenuntersuchung mit dem Durchleuchtungs- schirm am Platze. Der Quecksilberstrahl-Unterbrecher arbeitet be- trächtlich langsamer als der Wehnelt-Unterbrecher, aber er liefert zartere und feinere Bilder als jener. Er wird daher für die Röntgenphotographie jenem vorgezogen, zumal er auch die Röntgenröhre mehr schont, wohingegen der Wehnelt-Unterbrecher die Röhren sehr schnell verbraucht. In dem großen Röhrenverbrauch, in der un- gleichmäßigen Funktion, in der Erzeugung um- gekehrter Stromrichtung in der Röntgenröhre (Schließungslicht) liegen die Hauptnachteile des Wehnelt-Unterbrechers. Das Schließungslicht ist für die Röntgenröhre bekanntlich deswegen so gefährlich, weil es das Platin der Antikathode zerstäubt, wodurch die Luftteilchen in der Röhre gebunden werden, und die Röhre hart wird, also an Lebensdauer verliert. In diesen drei Punkten ist der Quecksilberstrahl-Unterbrecher demWehnelt- Unterbrecher überlegen, da er nur geringen Strom- verbrauch hat, gleichmäßiger arbeitet und nur wenig zur Erzeugung von Schließungslicht neigt. Eine schließungslichtfreie Röntgenröhre liefert er- heblich bessere photographische Bilder als eine andere mit Schließungslicht, worauf denn auch die Überlegenheit des Quecksilberstrahl-Unter- brechers in der Röntgenphotographie basiert. Der Wehnelt-Unterbrecher hat noch weitere Mängel, die z. B. darin bestehen, daß er bei Spannungen über 150 Volt hinaus nicht mehr zufriedenstellend funktioniert, mit Akkumulatoren nicht gut betrieben werden kann, weil er eben bis zu 25 Ampere Strom verbraucht, ferner daß bei Wechselstromanschluß Umformer nötig werden, die in großen Dimensionen gehalten werden müssen und daher sehr teuer werden. Das un- angenehme Geräusch, welches er bei der Arbeit hervorbringt, und die Säuredämpfe, welche er aussendet, machen sich gleichfalls störend bemerk- bar. Ganz besonders aber fällt ins Gewicht, daß die Primärrolle des Induktors mit einer Vorrichtung zur Veränderung ihrer Selbstinduktion ausgestattet sein muß. Diese sog. Walterschaltung macht das Instrumentarium kompliziert und verteuert es wesentlich; außerdem wird dasselbe sehr viel schwieriger zu handhaben, da es durchaus nicht einfach ist, dem jeweiligen Härtegrade der Röhre entsprechend die Stiftlänge des Wehnelt-Unter- brechers und den Grad der Selbstinduktion der Primärrolle des Induktors richtig auszuwählen. Ohne Walterschaltung aber würde der Wehnelt- Unterbrecher so unsicher und unvollkommen zu regulieren sein, daß er die Röntgenröhre direkt ruinieren würde. Durch die Notwendigkeit der Walterschaltung geht auch die Einfachheit ver- loren, welche dem Wehnelt-Unterbrecher bis dahin als ein besonderer Vorzug nachgerühmt wurde. Auch die Quecksilberstrahl-Unterbrecher be- sitzen Nachteile, von denen wir die relativ geringe Zahl der Unterbrechungen schon erwähnt haben. Ihre Durchleuchtungsbilder sind infolgedessen nicht immer hell genug, besonders wenn es sich um die Durchleuchtung schwierigerer Objekte handelt. Der Hauptnachteil dieser Unterbrecher liegt aber darin, daß ihr Quecksilber durch den Gebrauch verschlammt, bei häufigerer Inanspruch- nahme des Unterbrechers oft schon nach wenigen Tagen. Da nun das verschlammte Quecksilber für den elektrischen Strom ein schlechter Leiter ist, so muß die Verschlammung notwendigerweise dazu führen, daß die Röhre nicht mehr genügend mit Strom versorgt wird und schwächer leuchtet, daß ferner trotz erfolgten Kontaktes die Leitung unterbrochen bleibt und der Strom nicht zum Fließen kommt, worauf die Röhre zu flackern be- ginnt und unregelmäßig arbeitet. In demselben Maße wird auch die Emission von Röntgenstrahlen schwächer und irregulär; die photographischen Platten werden dann flau und kontrastlos, sie zeigen alle Merkmale der Unterexposition, und die Durchleuchtungsbilder sind nicht nur überaus unruhig und wechselnd an Helligkeit, sondern im ganzen dunkel und ohne Details. Dann muß das Quecksilber wieder gereinigt werden, und das ver- ursacht Schmutzerei, ist unbequem, kostet Zeit, außerdem geht dabei jedesmal Quecksilber ver- loren. Besitzt also jeder der beiden genannten Unter- brechertypen auf der einen Seite seine besonderen Vorzüge, so hat er andererseits auch schwer- wiegende Nachteile, die für den Röntgenbetrieb direkt schädlich sind. Eine Verbesserung des Unterbrechers wird daher gleichbedeutend sein einer Verbesserung der Röntgentechnik überhaupt. Und ein ganz gewaltiger hochbedeutsamer Fort- schritt würde es sein, wenn für das Röntgen- Instrumentarium ein Unterbrecher gefunden würde, der die guten Eigenschaften der beiden genannten Unterbrechertypen in sich vereinigt, von ihren Fehlern dagegen frei ist. Dieses Ziel ist nun heute erreicht worden durch den neuen Queck- silber-Unterbrecher ,,Rotax", der von der Elektri- zitätsgesellschaft ,,Sanitas" in Berlin konstruiert und fabriziert ist und in den Handel gebracht wird. Der „Rotax"-Unterbrecher besitzt sowohl die Vorzüge des Wehnelt- als auch die des Quecksilber- strahl-Unterbrechers; andererseits weist er keinen einzigen von den Fehlern auf, welche ersteren anhaften, noch besitzt er andere neue Fehler. Der „Rotax"-Unterbrecher ist ein Quecksilber- Unterbrecher, der nie verschlammt und daher stets gleichbleibende , exakte Unterbrechungen liefert. Er unterbricht den elektrischen Strom bis mehr als 8000 mal in der Minute, also 3 — 4 mal so häufig wie die bisherigen Quecksilberstrahl- Unterbrecher. Die Expositionszeiten sind daher sehr kurz, und das Durchleuchtungsbild auf dem Leuchtschirme überaus hell. Der ,,Rotax" kann an Gleichstrom jeder Spannung angeschlossen und auch mit Akkumulatoren betrieben werden, da er nur geringe Energiemengen (2 ',., bis höchstens N. F. VI. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 755 4 Ampere) verbraucht. Bei Vorhandensein von Wechselstrom genügt ein kleiner Umformer, um die nötige Stromstärke zu beschaffen. Der ,,Rotax" erzeugt in der Röhre kein Schließungslicht, daher sind die Bilder in der pliotographischen Platte scharf gezeichnet und die Durchleuchtungsbilder klar und deutlich. Er arbeitet fast geräuschlos und bedarf keinerlei besonderer Wartung; seine Konstruktion ist durchaus einfach und übersicht- lich. Teile, die der .Abnutzung unterworfen sind, fehlen vollständig. Die Einrichtung des Induktors für veränderliche Selbstinduktion — Walter-Schal- tung — fällt beim „Rotax" weg, der an jeden vorhandenen Induktor, der einen Kondensator besitzt, sofort angeschlossen werden kann, ohne daß es dazu besonderer, vorbereitender Änderungen bedürfte. Fig ,,Rotax''-Röntgen-UQterbrecher. Der ,,Rotax"-Unterbrecher ersetzt in einem einzigen Apparate die bisher gebräuchliche große Doppeleinrichtung für abwechselnden Betrieb durch Wehnelt- und Quecksilber- Unterbrecher. Er ver- einfacht also das Röntgen-Instrumentarium in ganz bedeutendem Maße und macht die Röntgenarbeit in jeder Hinsicht leicht und bequem. Da er in einfachster Weise zu hantieren ist, kann er auch von ganz ungeübten Personen in Betrieb gesetzt werden und zeigt trotzdem seine volle Leistungs- fähigkeit, die bei dem komplizierten Doppel- betriebe mit der Walter-Schaltung nur im Besitze aller Vertrautheit mit den Eigentümlichkeiten des Instrumentariums zu erreichen ist. Der „Rotax"- Unterbrecher setzt sich zusammen aus dem Elektromotor und dem Unterbrechungs- gefäß mit der Unterbrechungsvorrichtung. Motor und Gefäß sind an einer gemeinsamen Achse be- festigt und stehen übereinander, der Motor unten, das Unterbrechungsgefäß oben. Sie werden in vertikaler Stellung festgehalten durch ein etwa 35 cm hohes und in seinem größten Durchmesser im l'"ußc etwa 20 cm breites, säulcnartiges Metall- gehäuse. Das Unterbrechergefäß wird mit ca. 400 g reinen Quecksilbers und ca. 180 g Petroleum ge- füllt. Im Innern des Gefäßes steht horizontal, um eine Achse drehbar, aber exzentrisch zur Haupt- achse gestellt, eine Scheibe aus Isolationsmaterial, die zwei metallische Kontaktsegmente trägt. Letztere sind mit einer auf dem Dache des Ge- häuses angebrachten Klemmschraube in leitender Verbindung. An seiner Unterseite besitzt das Unterbrechergefäß einen Schleifring, der vermittels einer Schleifbürste mit dem einen Pole der. Gleich- stromleitung in Verbindung gebracht ist; in der Anschlußklemme auf dem Dache wird der zweite Leitungsdraht festgemacht. riECTR CES SSMITAS BFRLIIJ. Fig. 2. ,,Rotax"-Röntgen-Instrumentarium. Sobald nun der Motor in Tätigkeit tritt, wird das '.Quecksilber in dem Gefäße zentrifugal ge- schleudert und rotiert an der größten Peripherie desselben. Hier trifft es nun den Rand der er- wähnten Scheibe und nimmt diesen bei der Ro- tation mit, so daß sich die Scheibe gleichfalls dreht und in regelmäßiger Wiederholung mit den beiden Kontaktsegmenten in den Quecksilberkranz eintaucht. Da nun das Quecksilber durch Ver- mittlung des Metallgefäßes mit der Schleifbürste und dem einen Leitungspole in Verbindung steht, die Kontaktsegmente dagegen mit dem anderen Pol der Leitung verbunden sind, so wird der 756 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 48 Stromkreis jedesmal geschlossen, wenn die Seg- mente in den Oiiecksilberkranz eintauchen, geöffnet, sobald sie das Quecksilber verlassen. Bei jeder Umdrehung der Scheibe gibt es also zweimal Stromschluß und Öffnung. Da nun aber die Scheibe geringeren Umfang als das Unterbrecher- gefäß hat, so wird sie bei einer Rotation des letzteren mehr als einmal um ihre Achse gedreht. Daraus erklärt sich auch, daß mehr als 8000 Unterbrechungen in der Minute erreicht werden. Der ganze Unterbrechungsvorgang spielt sich in äußerst einfacher Weise ab und verbleibt stets absolut gleichmäßig, so daß unter sonst gleichen Bedingungen die Stromschlußdauer stets die gleiche ist. Man kann letztere variieren, indem man ver- mittels einer auf dem Oberteil des Gefäßes an- gebrachten Schraube die Achse der Scheibe mehr nach dem Zentrum des Gefäßes oder mehr an dessen Peripherie rückt. Je weiter die Scheibe peripher steht, um so länger ist der Weg, den die Kontakte im Quecksilberkranze zurückzulegen haben, um so länger also dauert der Stromschluß. Bei der umgekehrten Stellung der Scheibe sind Weg und Stromschlußdauer kurz. Die absolute Exaktheit der Unterbrechungen, die tatsächlich erreicht wird, ist nun hauptsächlich eine Folge der unveränderten metallischen Rein- heit, in welcher das Quecksilber verbleibt. Durch die zentrifugale Bewegung, die es bei der Tätig- keit des Unterbrechers erleidet, wird das Queck- silber nämlich gleichzeitig sedimentiert und somit einem Prozeß der „Selbstreinigung" unterworfen, da es als spezifisch schwerster Körper stets am weitesten nach außen getrieben wird und sich auf diese Weise von etwa entstehenden Beimischungen sofort selbst reinigt. Dies ist ein ganz außer- ordentlicher Vorzug des „Rotax" vor allen übrigen Quecksilber-Unterbrechern und bedingt in erster Linie die absolute Gleichmäßigkeit und Präzision der Unterbrechungen. Der „Rotax"-Unterbrecher ist für jeden In- duktor, der mit einem Kondensator ausgestattet ist, geeignet. Irgendwelche konstruktiven Ände- rungen sind für seine Installation nicht zu machen. Jedoch haben die zahlreichen Versuche, welche diesbezüglich angestellt worden sind, ergeben, daß die Dimensionierung des Eisenkerns, die Draht- stärke und Windungszahl des Induktors, sowie noch einige andere Faktoren für die Funktion des „Rotax"- Unterbrechers von Bedeutung sind. Von Vorteil ist es daher, einen Induktor, der für den Betrieb durch den „Rotax"-Unterbrecher dienen soll, in den obengenannten Punkten speziell für den ,, Rotax" abzustimmen. In diesem Falle wird man die besten Leistungen erzielen, welche er- reichbar sind , so daß ein spezielles „Rotax"- Instrumentarium unter allen Umständen vorzu- ziehen ist. Da, wie schon oben erwähnt, der „Rotax"- Unterbrecher alle Vorteile des Wehnelt- und der Quecksilber-Unterbrecher in sich vereinigt und infolgedessen sowohl bei der Durchleuchtung, 'als auch bei der Röntgenphotographie hinter keinem der beiden Unterbrechertypen zurücksteht, so macht er das komplizierte und teure Doppel- Instrumentarium mit den beiden Unterbrechern überflüssig. Dadurch wird das Instrumentarium nicht nur ganz erheblich vereinfacht, sondern, und das ist noch wichtiger, bedeutend verbilligt.') Es soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, daß man, wenn man will, auch den „Rotax"-Unterbrecher mit dem Wehnelt- Unterbrecher zum Betriebe ein und desselben Induktors kombinieren kann, also auch mit dem „Rotax" ein Doppel-Instrumen- tarium schaffen kann. Freilich wird dies wohl kaum jemals geschehen, da das „Rotax"-Instrumen- tarium ja in sich schon ein Doppel-Instrumen- tarium ersetzt. ') Der Preis eines Rotax-Unterbrechers beträgt 19S Mk. Technisch wichtige Enzyme und ihre Wirkungen. Nach einem in der „Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde" am 17. Februar d. J. im Institut für Gärungsgewerbe gehaltenen Vortrag. Von Prof. Dr. Paul Lindner, Berlin. (Schluß.) [Nachdruck verboten.] Eine kurze Bemerkung möge noch der Bedeu- tung des Verhaltens der untergärigen Bierhefe und der obergärigen Preßhefe gegenüber Meli- biose für den Nachweis, ob eine Getreidepreßhefe mit billiger untergäriger Bierhefe vermischt worden ist, gewidmet sein. Man benutzt zu diesem Nachweis ein sog. Einhorn-Gärröhrchen, das man mit ca. 10 ccm I proz. Raffinose füllt und mit einem erbsen- großen Stück der zu untersuchenden Hefe in Gärung setzt. War die Preßhefe mit mindestens io"/,i Bierhefe gemischt, dann ist die Kohlensäure- menge, die in dem zugeschmolzenen Teil des ge- bogenen Rohres auftritt, ganz erheblich, während bei reiner Preßhefe nur wenig Kohlensäure sich bildet. Die Methode ist zwar nicht absolut sicher, aber doch in den meisten Fällen zutreffend; sie ist zweckmäßig durch das Keimungsbild der be- treffenden Hefenprobe in der Tröpfchenkultur zu kontrollieren. Die Getreidepreßhefe wächst, wie Vortragender beobachtet, in sparrigen Sproßver- bänden, die Bierhefe in lockeren, zu Flocken sich verklebenden Zellgruppen. Fig. 14 u. 15. Das Verhalten der einzelnen Hefen zu den verschiedenen Zuckerarten bietet eine gute Hand- habe, um die morphologisch manchmal so gleich- artigen Organismen auseinanderhalten zu können. Vortragender hat in Gemeinschaft mit seinen N. F. VI. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 757 Mitarbeitern durch ca. 3000 Gärversuche fast sämtliche I lefen der .Sammlung des Instituts gegen- über 17 verschiedenen Zuckerarten u. dgl. physio- Fig. 14. Keimungsbilder von Preßhefen in der Lindner'schen Tropfchenliultur. Typen sparriger Sproßverbände. 1 u. 2 gehören der vom Institut für Gärungsgewerbe als An- stellhefe für Preßhefenfabriken gezüchteten Kasse XU, 3 einer Wiener Preßhefe an. logisch charakterisiert. Da viele der letzteren sehr kostbar sind — sie stammten fast sämtlich aus dem Laboratorium des Herrn Geheimrat Emil Fischer, Berlin — mußte versucht werden, mit der kleinsten Dosis für den einzelnen Gärversuch aus- zukommen. Vortragender benutzte zu diesem Zweck seine „Kleingärmethode" im hohlen Ob- jektträger. Einige sandkorngroße Stückchen Zucker und einige Tropfen der betreffenden in Wasser verteilten Hefe genügen zu dem Versuch. Ein mit Vaselin umrahmtes Deckgläschen schließt die Flüssigkeit luftdicht ab. Fig. 16 u. 17. Da, wo eine Gärung stattfindet, sammelt sich ein mehr oder weniger großes Kohlensäurebläs- Fig. 15. Keiraungsbilder von untergärigen Bierhefen in der Lindner'schen Tröpfchenkultur. Typen lockerer Sproß- verbände. Die einzelnen Glieder sind nur noch in lockerem Zusammenhang. Kultur nach 24 Stunden. Tabelle, darstellend das Verhalten von verschiedenen Gärungspilzen gegen verschiedene Zuckerarten. Erklärung der Zeichen: — bedeutet, daß keine Gärung, } daß dieselbe in zweifelhaften Spuren, I daß dieselbe schwach, 2 daß dieselbe mäßig stark, 3 daß dieselbe stark auftrat. B B Bezeichnung der Reinkultur a a .9 aj Q 4J 0 3 5 V Ul 0 a d s ■0 V « 0 0 •0 (n 0 0 'S V H 3 0 V 0 S 0 N U 4J 2 0 a 'w 0 3 s 3 *« 0 3 s ibinose, Xylose, mnose, 1-Sorbose, -Glukoheptose, Tagatose 3 z 1 a ta. , u- ■! / Jopenbier \ — 2 — — 2 — — — — — — — — — 99 S. apiculatus — — I I I 3 — — — — — — — — — ;28 Rasse II (Brennereihefe) . vom Verf. aus der- — 2 3 3 I 3 3 3 3 — — I 3 — — 130 Typus Saaz (Brennereihefe) selben Maische — — 3 3 I 3 3 3 3 — — I 2 — 129 isoliert 3 I 3 3 2 2 3 — — — I — — — 796 S. thermantitonum (Eucalyptushefe) . . 3 2 3 3 I 3 3 3 3 ? — 3 3 — — 6 3 3 3 3 3 2 7. 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 ■3, 2 3 — — 271 483 186 I 2 3 3 ,, variabilis 3 3 7. } 2 2 I Sachsia suaveolens (Weinbuketschimmel). — I 2 3 2 — 1'- 2 — qoS 3 7. 3 3 2 3 3 I 3 3 I 3 7, 3 3 2 i — 643581 394 3 3 2 2 2 — ,— _ Milchzuckerhefe 2 — I 2 — — — 173 Schizosaccharomyces Pombe 2 2 3 — — 3 — 3 3 — — 2 2 — — 408 „ octospc rus . . . — 3 2 2 1 3 — — 2 — — I I — — 758 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 48 chen an. Der Vaselinring ist etwas nachgiebig, so daß die Dichtung nach außen nicht verloren geht. Durch Zugabe eines Tropfens Natronlauge am Ende des Versuchs überzeugt man sich, ob man es mit Kohlensäure oder etwa mit einge- drungener Luft zu tun hat. In ersterem Fall schrumpft sofort die Gasblase zusammen, in letz- terem bleibt sie erhalten. Fig. 16. „Kleingärversuch" im hohlen Objektträger nach Lindner. und durch ein anderes diese in Alkohol und Kohlensäure zerlegt werden. Ein englischer Forscher, Arthur Slator, hält es jedoch nicht für wahrscheinlich, daß bei der Gärung eine merkliche Menge Zucker durch das Zwischenprodukt Milchsäure hindurchgeht, da Zugabe von Milchsäure zur Gärung die Geschwin- digkeit derselben eher verzögert, als beschleunigt.') Eine praktische Anwendung des selektiven Gärvermögens der Hefen gegenüber den Zucker- arten macht bereits der analytische Chemiker, um aus Zuckergemischen den einen oder anderen Zucker zu eliminieren. Saccharomyces apiculatus nimmt z. B. aus einem Gemisch von Maltose, Rohrzucker, Glukose und Fruktose nur die beiden letzteren heraus; Schizosacch. octosporus läßt allein den Rohrzucker übrig, Saccharomyces Mar- xianus die Maltose. Fig. 18 u. 19. Bei allen Gärversuchen muß natürlich darauf gesehen werden, daß die Zymase in genügender Fig. 17. Stichkulturen verschiedener Hefen in Rohrzuckerhefewassergelatine. Nat. Gr. Von links ab : Nr. 195, 186, 126, 75, 125, 76, 197, 274, 177, bei den letzteren Gärung und Zerklüftung der Gelatine. 195 = Hefe aus Meth. 186 ^ Sachsia suaveolens. 126 = Willia belgica. 75 = Saccharoromyces hyalosporus. 76 = S. Bailii. 197, 274, 177 ^ Willia- Arten. (Fruchtätherhefen). Auch in festen Nährböden kann man also die Zuckerspaltung sichtbar machen, wie diese Abbildung zeigt, bei der eine Anzahl vom Vortragenden aufgefundener Hefearten benutzt wurden. Aus den Gärungstabellen ist ohne weiteres ersichtlich, daß die Gärung zumeist ein sehr komplizierter Prozeß ist, daß mehrere Enzyme gleichzeitig eingreifen müssen. Die zusammen- gesetzten Zucker müssen durch spezifische Enzyme erst aufgespalten werden, ehe das eigentliche Gärungsenzym, die Zymase, zur Geltung kommt. Es gibt Hefen und andere Pilze, die enthalten wohl Zymase, aber keine Invertase, Maltase, Trehalase usw., können daher in Rohrzucker, Malz- zucker, Trehalose nicht gären ; andere Organismen wieder besitzen Invertase, ohne Zymase zu er- zeugen, auch sie können in Rohrzucker nicht gären. Die Zymase selbst wird nun neuerdings von ihrem Entdecker Eduard Buchner nicht mehr als einheitliches Enzym aufgefaßt, sondern es soll durch ein Enzym der Zucker erst in Milchsäure Menge vorhanden ist; wie Versuche von Delbrück und Lange angezeigt haben, kann man die Hefe dazu bringen, Zymase anzusammeln (beim Auf- bewahren der Hefe bei niederen Temperaturen) oder sie zu zerstören (Lagern bei höherer Tem- peratur). Sprossende junge Hefe ist am zymase- reichsten. Das Zymase zerstörende Prinzip in ') Walter Lob meint neuerdings, daß weder Milchsäure noch Aldehyde Zwischenprodukte der Zuckerspaltung seien; das Zuckermolekül werde vielmehr vollständig entpolymerisiert und in eine Kohlenoxydwasserstoffverbindung zurückgeführt, wie sie etwa der Formaldehyd in alkalischer Flüssigkeit im .Augenblick seiner Polymerisation zu Zucker besitzt, d. h. in ungemein reaktionsfähige Reste gespalten , die je nach dem Energiebedürfnis des Organismus synthetisch miteinander in verschiedenen Richtungen reagieren können, in der Hauptsache aber zu Alkohol und Kohlensäure sich vereinen 6 (CO -)- H.,) = 2CH,CH,OH + 2CO.,. N. F. VI. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 759 der Zelle ist besonders das proteolytische Enzym ; je höher die Temperatur, desto mehr zerstört es die anderen Zellenenzyme und bedingt schließlich das Absterben der Zelle. Je eiweißreicher eine Zelle, desto gärkräftiger wird sie im allgemeinen sein. Es gibt aber auch sehr eiweißreiche Hefe, wie einige rote Hefen, Schleimhefen, Torula-Arten usw., die keine Zymase enthalten und daher auch nicht gären können. Der Buchner'sche Hefepreßsaft verliert sehr schnell seine Zymase. Sie bleibt aber verhältnismäßig gut erhalten, wenn die Hefe durch Azeton schnell abgetötet wird. Die Zymase überdauert hier das Leben der Zellen ; auch die meisten anderen Enzyme bleiben erhalten. Von dem Enzymreich- tum der Hefe hat man auch von medizinischer Seite her Nutzanwendung machen wollen. Einige IV dann ca. 20cm hochschichtet, kann eine erhebliche Erwärmung, bis 40" C, stattfinden. Diese intensive Atmung, bei welcher fast alles Glykogen der Hefe aufgezehrt wird, wird durch ein Enzym vermittelt, das man Oxydase nennt. Im Vakuum bleibt die Erhitzung aus. Bringt man nach J. Grüß eine sehr verdünnte Lösung von Tetramethj'lparaphenylendiaminchlorid auf etwas Filtrierpapier und legt etwas Hefe auf, so entsteht alsbald ein dunkelvioletter Rand. Dieser Farbstoff entsteht aus jenem Körper, in- dem die Oxydase der Hefe den Sauerstoff der Luft auf ihn überträgt. Frische Hefe, welche eben aus dem Gärbottich genommen ist, gibt die Reaktion nicht, da hier die Oxydase durch einen Körper paralysiert wird, der mit Glyzerin ausziehbar ist. Als ein Gegenenzym zur Oxydase bezeichnet VI III VII Fig. 18. Riesenkolonien vun den Brennereiheferassen I — VII, welche in der Hcfezuchtanstalt des Vereins der deutschen Spiritusfabrikanlen auch im Großen gezüchtet und an die Praxis als Saathefe abgegeben wurden. Vier Wochen alte Kultur auf Würzegelatine. Mai 1S99. Nat. Gr. CT^^/M' c ICSI/ Fig. 19. 600 lach. Die seit mehr als einem Jahrzehnt in Deutschland verbreitetste Brennereihefe Rasse II , die vom Verfasser aus einer Kartoffelmaische , welche Schaumgärung zeigte, isoliert worden ist. italienische F"orscher hatten beobachtet, daß Kaninchen, denen kräftige Hefekulturen unter die Haut gespritzt worden waren, vorübergehend im- mun wurden gegen Impfungen mit Eiterbakterien, Streptokokken und Staphylokokken. Deutsch- mann in Hamburg stellt durch Einspritzung stei- gender Mengen Hefe in Kaninchen ein Serum dar, das gegen die verschiedensten Infektionskrank- heiten wirksam sein soll, ähnlich wie die Buch- ner'sche Azeton-Dauerhefe, die als „Zymin" bereits vielfache medizinische Verwertung gefunden hat. Zymin wird in München von der Freßhefenfabrik Anton Schröter hergestellt in Pulverform und in Tabletten. Dr. Dreuw vom Dermatologischen Institut in Hamburg hat die Hefe zur Herstellung von Hefe- seifen verwendet, die er bei den verschiedensten Hautkrankheiten wirksam befunden. Er betont, daß bei der ganzen Applikation der Hefezellen die reduzierenden wie oxydierenden Eigenschaften der Hefe voll ausgenützt würden. Wenn man frisch gepreßte Hefe stark ge- krümelt einige Zeit an der Luft stehen läßt und Grüß die Hydrogenase, welche durch Abspaltung von Wasserstoff reduzierend wirkt. Setzt man einer gärenden Zuckerlösung Schwefel zu, so bildet sich sogleich Schwefelwasserstoff, setzt man ihr Methylenblau zu, so entfärbt sich dieses. Das ,,Böcksern" des Weines ist eine hierher gehörige, nicht seltene Erscheinung: es bildet sich in dem Wein bei der Gärung Schwefelwasserstoff. Wie die Hefe, so verwandelt auch Hefepreßsaft hinzu- gefügten Schwefel zu Schwefelwasserstoff, ebenso wie zugefügtes Jod zu Jodwasserstoff. Wenn bei der Gärung solche wasserstoffbindende Körper nicht vorhanden sind, wirkt nach Grüß der Wasser- stoff auf Glukose ein, wobei sich Alkohol und Wasser bildet. Eine überaus wichtige Rolle spielen die Oxy- dasen bei der Essiggärung. Eduard Buchner und Gaunt nennen das hier in den Essigbakterien wirksame Enzym „AI ko holoxy dase". Wenn man getrocknete Hefe erhitzt, so zeigt sich nach Viktor Gräfe, daß bis lio" erhitzte Hefe nachher in lo-prozent. Rohrzuckerlösung noch gärt. 760 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 48 Bei 130" ist die Zymase zum größten Teil zerstört ; es wird nur noch wenig Rohrzucker durch behandelte Hefe vergoren und die Ziffer der Verbrennungskohlensäure sinkt plötzlich; den- noch dauert Sauerstoffaufnahme und Kohlensäure- abgabe fort, was Gräfe als tote Oxydation be- zeichnet. Bei 190*^' nimmt diese tote Oxydation stetig zu, dann zeigt sie eine jähe Verminderung und bei 200 — 250" C kommt sie gänzlich zum Stillstand. Gräfe vermutet, daß bis 190" eine Oxydase wirksam bleibt, über jene hinaus soll sie durch einen anorganischen Katalysator ersetzt werden. Auf der Tätigkeit der Oxydasen beruht die Dunkelfärbung mancher Pflanzensäfte, z. B. des Saftes von Weinbeeren und Äpfeln, Birnen, Pflaumen, Zuckerrüben. Kartoffelreibsel wird an der Luft in kurzer Zeit mißfarbig, es sei denn, daß es vorher angesäuert worden. Auch tierische Organe sind reich an Oxydasen. Die Tintenfische bilden ihren dunklen Farbstoff mit deren Hilfe in ganz ähnlicher Weise wie gewisse auf den Schnitt- flächen sich schwarz färbende Pilze, z. B. Russula nigricans. Aleloos und Brauwer stellten aus Pferdeleber eine Substanz her, welche, mittels Alkohol aus ihrer wäßrigen Lösung ausgeschieden, Formaldehyd oxydiert und ihn unter Kohlensäure- entwicklung in Ameisensäure umwandelt. Der Saft des Lackbaumes Rhus vermicifera, der durch Einschnitte in die Rinde gewonnen wird, nimmt an der Luft eine braune Färbung an und bedeckt sich mit einem widerstandsfähigen Häutchen von schön schwarzer Farbe, das in den gewöhnlichen Lösungsmitteln absolut unlöslich ist. Die hierbei wirksame Oxydase ist La k käse ge- nannt worden. Ihre Gegenwart wird durch eine Blaufärbung der Guajaklösung ohne Beisein von Wasserstoffsuperoxyd angezeigt. Eine der Lakkase verwandte und mit ihr oft zusammen vorkommende Oxydase ist die Tyro- sinase. Das Tyrosin wird von ihr oxydiert, nicht aber von der Lakkase. Bourquelot stellte die Tyro- sinase aus Russula nigricans, welche er mit chloro- formhaltigem Wasser verrieb, her. Das Fiitrat stellt die diastatische Lösung dar. 5 ccm davon, zu 5 ccm einer Tyrosinlösung gegeben, macht letztere, namentlich beim öfteren Schütteln mit Luft, in kurzer Zeit rot, dann braun. Die aus Pilzen dargestellten Tyrosinaselösungen geben eine kräftigere Oxydation als die aus Zuckerrüben, Kartoffeln oder Dahlia hergestellten Säfte. Eine häufige Krankheit französischer und italienischer Weine besteht in dem Ausfallen des Weinfarbstoffes durch Oxydation, wobei der Wein gelb wird. Cazeneuve hat festgestellt, daß man es hier mit einer O.xydase, die er Önoxydase nennt, zu tun habe. Nach Martinaud spielen Oxy- dasen beim Altern des Weines und bei der Ver- feinerung desselben eine bedeutsame Rolle. Durch Zusatz von Oxydase zu Burgunderwein und 48 stündige Einwirkung der Luft vermochte er demselben eine gelbere Farbe und das Bouquet von altem Wein zu geben. Eine besondere Einwirkung konnte bei amerikanischen Trauben beobachtet werden. Wurden sie einer Temperatur von 100" ausgesetzt, so behielten sie ihren unangenehmen, parfümierten Geschmack. In dem nicht erhitzten Most verliert er sich durch Lüftung oder bei Zu- gabe von oxydierender Diastase. Bei der Färbung des Schwarzbrotes spielt ebenfalls eine Oxydase eine bedeutende Rolle, die von Boutroux O x y d i n genannt worden ist. Schon während der Teigbereitung und im ersten Stadium der Brotgärung setzt ihre Wirksamkeit ein. Wenn man Kleie mit Wasser ',, Stunde lang auszieht und mit 95-prozent. Alkohol fällt, beides unter Luftabschluß in einer Kohlensäure- atmosphäre, so erhält man die Oxydase im Nieder- schlag. Auf dem Filter wird derselbe noch mit 82 - prozent. Alkohol nachgewaschen, dann im Vakuum getrocknet. Dieses mit Oxydin imprä- gnierte Papier wirkt auf einen aus sterilisierter Kleie gewonnenen Auszug, der die leicht oxydier- bare Substanz enthält, energisch ein: auch oxy- diert er Hydrochinon ebenso wie die Lakkase. Die Färbung des Teiges nimmt durch den Back- prozeß noch an Tiefe zu. Es ist wahrscheinlich, daß die Oxydase auch von dem Keimling her- stammt, da ein aus entkeimtem Getreide stammen- des Mehl weiß und unveränderlich bleibt. Frische Oliven, zusammengehäufelt, erwärmen sich alsbald und geben Essigsäure und Kohlen- säure, sowie Fettsäuren. Die Ursache ist eine Oxydase, die Tolomei Olease genannt hat. Sie findet sich hin und wieder im Olivenöl, das dabei ranzig und entfärbt wird. Lichtzutritt begünstigt die Entfärbung. Die Olease wird aus dem Öl durch einfaches Schütteln mit Wasser entfernt. Man erzielt auf diese einfache Weise eine wäßrige Lösung der Olease und das Öl bleibt nunmehr unverändert. Während hier die Olease ein ungebetener Gast ist, hat man mit einem ähnlich wirkenden Enzym, der Li pase, wertvolle technische Erfolge erzielt. Connstein, Hoyer und Wartenberg ver- öffentlichten 1902 ein Verfahren der Fettspaltung auf fermentativem Wege für den Großbetrieb. Sie benützen die Samen von Ricinus communis, um das Ferment in größerer Menge zu erhalten. Die enthülsten Samen werden mit wenig Wasser vermählen und die Masse darauf zentrifugiert. Die so gewonnene Flüssigkeit ,.Fermentmilch" kommt bei ca. 24" innerhalb 24 Std. in eine Art Gärung und dabei trennen sich 2 Schichten; die untere ist sauer und wäßrig und vergleichbar mit den Molken der sauren Milch, während die dar- überstehende Sahne aus 40 " „ Rizinusölsäure, 57"/,, Wasser und 3",, Eiweißstoffen besteht. In dieser Sahne, die kurzweg als„F'erment" bezeichnet wird, steckt das fettspaltende Enzym, die Lipase. Das Ferment ist in kühlerer Jahreszeit recht lange haltbar. Es gelang, auch öl- und wasser- arme Fermente z. B. mittels kalter Benzinextraktion herzustellen, jedoch niemals ohne große Verluste N. F. VI. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 761 von aktiver Substanz und Spaltungsencrgic. Ein wasserarmes P'ernient, das haltbar, Ist leider noch nicht herzustellen gelungen. Während bisher erst die Säure gewissermaßen das Ferment aktivieren mußte, wird In dem nun- mehr neu gebildeten F'erment ein mit bereits ak- tivierter Energie ausgestattetes Enzym zur Fett- spaltung benutzt. 1,25 kg Rizinussamen geben 1,93 kg wasserhaltigen Zentrifugenrückstand und 13,9 kg zentrifugierte Fermentmilch. Aus dieser entstehen 1,6 kg gesäuertes Ferment (das Rizinusöl in Rizinusölsäure umgewandelt). Mit einem ali- quoten Teile obiger Samenfraktion, entsprechend 5 g Samen, wurden je lOO g Öl und 30 ccm i-proz. Buttersäurelösung zusammengerührt und der Fett- spaltung überlassen. Mit 54 g ungesäuerter Fer- mentmilch wurden nach 20 Stunden von Cottonöl 84, von Leinöl -j"] , von Palmkernöl 65 "/,, ge- spalten. Im großen wird die Fettspaltung in einem Kessel aus Eisen oder Aluminium, der unten ko- nisch zuläuft, vorgenommen. Die Ansatztemperatur darf nicht höher als 42'^' sein, da während des Spaltungsprozesses die Temperatur um 2 — 3" steigt und über 44 " C das Ferment in Berührung mit Wasser seine spaltenden Eigenschaften verliert. Mit 6 — 8 "„ Extrakt erzielt man innerhalb von 24 Stunden eine Spaltung von 80 " „, in 48 Stun- den eine solche von 90 " (,. Behufs Trennung der Emulsion erwärmt man nach beendeter Spaltung unter Einblasen von Luft von 80 — 85" und gibt etwa 0,2—0,3 "1, Schwefelsäure von 66" Baume mit Wasser verdünnt zu. Man überläßt das Ganze der Ruhe und erhält eine klare, wasserhelle Fett- säure. Die früher sehr lästige Mittelschicht ist infolge der Abwesenheit von Eiweißstoffen gering. Das außerordentlich giftige Rizin geht in Emulsion über und wird noch durch die Reinigungsmethode behufs Gewinnung von Glyzerin unwirksam ge- macht. Wenn man pulverförmig fein zerriebene bittere Mandeln mit Wasser behandelt, beobachtet man ähnliche Veränderungen: es bildet sich eine aro- matische Essenz , welche vordem nicht in den Mandeln vorhanden war und zwar entsteht diese aus dem „Amygdalin" (in süßen Mandeln fehlend) durch Vermittlung eines „Emulsin" (in den süßen Mandeln auch vorhanden) genannten Enzyms. Durch Wasseraufnahme zerfällt das Amygdalin in Glukose, Bittermandelöl und Blausäure. In den lebenden Pflanzen wird das Amygdalin deshalb nicht zersetzt, weil es in besonderen Zellen lokalisiert und somit von den Glukosiden (bei der Spaltung Glukose gebend) getrennt ist. Das Emulsin spielt eine hervorragende Rolle bei der Fabrikation des Bittermandelöls, sowie bei der des Kirschlorbeer- wassers. Um ersteres zu bereiten, zerreibt man die bitteren Mandeln, entölt sie, setzt Wasser zu und läßt die Reaktion bei gewöhnlicher Tempe- ratur sich abspielen. Ist die Spaltung beendet, so destilliert man mit Dampf ab. Zur Bereitung von Kirschlorbeerwasser bedient man sich der frischen Blätter dieser Pflanze. Man mahlt sie, setzt kaltes Wasser zu und destilliert. Ein interessanter enzymatischer Prozeß kommt bei der Herstellung des Senfs zur Geltung. Im schwarzen Senf wie im weißen kommt das Enzym „Myrosin" vor, in ersterem istSenegrin oder myron- saures Kali vorhanden, im letzteren Senalbin. Ersteres wird durch Myrosin in Glukose, Allilsenföl und schwefelsaures Kalium, letzteres in Glukose, Oxybenzylsulfocyanat und schwefelsaures Sinapin zerlegt. Dem Myrosin schreibt man die Bildung von Essenzen in verschiedenen Pflanzen zu, so in der Brunnenkresse, in der Reseda odorata und im Löffelkraut. Der Schluß unserer Betrachtungen sei der Flachsrötte gewidmet. Das Rotten des P'lachses , das bisher in sehr primitiver Weise durchgeführt wurde, ist neuer- dings auf dem besten Wege, zu einem technisch wissenschaftlichen Verfahren ausgearbeitet zu wer- den. M. W. Beijerinck und A. van Delden schlagen vor, den Flachs in hölzernen Gefäßen während 24 Stunden auszulaugen, damit später die gewöhn- lichen Fäulnisbakterien sich nicht ungebührlich breit machen können. Am zweiten Tage sind nur noch Plasmaeiweiß und Pektose als Nahrung in den Flachsstengeln vorhanden; mit diesen beiden nehmen die Pektosebakterien Granulobacter pec- tinovorum und G. urocephalum vorlieb, da sie sowohl peptisches Enzym reichlich ausscheiden als weiterhin noch Pektinase, die eine hydro- lisierende Wirkung auf die Pektose ausübt, welche die Kittsubstanz zwischen den die Bastfaser- bündel umgebenden Gewebszellen darstellt. Die Pektose geht dabei zunächst in Pektine und weiter unter Bildung von Wasserstoff, Kohlensäure und wenig Buttersäure in Zucker über, wahrscheinlich in Galaktose und Xylose, oder in einigen Fällen in Glukose und Arabinose. Bislang ließ man diese beiden genannten Bakterien sich von selbst anhäufen, nachdem man das am ersten Tag ab- gelassene Wasser durch frisches ersetzte. Beijerinck erzielte ein besseres Resultat, indem er statt des frischen Wassers ein Gemisch von solchem mit dem einer guten Röttegärung versetzte, oder indem er geradezu Reinkulturen von Granulobacter pec- tinovorum einführte. Letzterem muß allerdings zweckmäßig ein Pasteurisieren der Flachsstengel voraufgegangen sein , damit andere Keime der Reinkultur keine Konkurrenz liefern. Auch Kar- toffel- und Heubazillen, wie z. B. Bacillus mesen- tericus vulgatus, B. subtilis und Granulobacter polymyxa, enthalten Pektosinase. Da sie sämtlich aerob, luftliebend sind, kann durch sie der ganze Rötteprozeß bei völligem Luftzutritt durchgeführt werden. Wer sich über die Enzymforschung näher orientieren will, dem seien folgende Werke emp- fohlen; zunächst der kurze, aber mit reichlichen Literaturangaben versehene Abriß von O. E m m e r - 762 Naiurwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 48 ling, „Die Enzyme"; erschienen in Roscoe-Schor- lemmer, Lehrbuch der Chemie IX (Org. Chemie), dannEffront: Die Diastasen ; in deutscher Über- setzung von Büchler, Franz Deuticke 1900. Leip- zig und Wien. Green-Windischrigoi. Verlag von Paul Parey, Berlin (umfangreich). C. O p p e n • heimer, Fermente und ihre Wirkungen. F'. C. W. Vogel, Leipzig 1903. Flimmer, Th. Chemical Chances and Products resulting from fermentations. Longmans, Green & Co. London 1903. Adolf Mayer, Meisenheimer, Die Gärungschemie. Carl Winter's Universitätsbuchhandlung , Heidelberg 1906. E. und H. Buc hner und M. Hahn, „Die Zymasegärung" 1903. Fuhrmann, Vorlesungen über Bakterienenzyme. Jena, Gustav Fischer 1907. J. Grüß, Abhandlungen über Enzymwirkungen in ,, Zeitschrift für Pfianzenkrankheiten". Stuttgart, Eugen Ulmer 1907. Letztere Arbeit bringt neue Aufschlüsse über den Enzymnachweis mittels der Kapillaranalyse. Kleinere Mitteilungen. Beitrag zur Kenntnis der Hornzähne auf der Zunge von Hystrix cristata. Von Dr. Otto Brian (aus : Gegenbaurs morpholog. Jahrbuch, Bd. 37, i. Heft). Die Hornzähne auf der Stachelschweinzunge gehören nach A. Oppel's Ansicht zu den papil- lären Bildungen. Verfasser kommt durch eine histologische Untersuchung zu demselben Resultat. Figur I zeigt die Dorsalseite der Zunge. Man sieht zwei Gruppen von Hornzähnen, in hintereinander stehenden Ouerreihen angeordnet. Ein solcher Horn- zahn ist einem Fingernagel vergleichbar, welcher mit Fig. I. Dorsalseite der Zunge von Hystrix cristata. Nacli Brian. der Wurzel döm Zungenrücken aufsitzt und schräg nach hinten geneigt ist. Mit den freien Rändern bedecken die Hornzähne dachziegelartig die Glie- der der nächst hinteren Reihe. An der Dorsal- seite der Schuppen lassen sich zwei Abschnitte erkennen. Die Nachbarschaft des freien Randes hat eine glatte, glänzende Oberfläche von hornigem, durchscheinendem Aussehen. Eine Ouerlinie, die dem freien Rande parallel ist, bildet die Grenze gegen den zweiten Abschnitt, der bis zur Basis der Schuppe reicht. Hier ist die Oberfläche mit kleinen Spitzen bedeckt und nicht durchscheinend. Am größten sind die Schuppen in der mittleren Reihe. Um die Hornzahnfelder herum liegen in unzählbarer Menge kleine Papillen, die zu spitzen Hornstacheln ausgebildet sind. Es besteht ein. ganz allmählicher Übergang zwischen den verhornten Papillen und den Horn- zähnen, wie die makroskopische Untersuchung er- geben hat. An den Rändern der Hornzahnfelder werden die verhornten Papillen breiter und höher und nehmen damit das fingernagelartige Aus- sehen an. Die mikroskopische Untersuchung ergab fol- gendes. Den spitzen Hornstacheln liegen Binde- gewebspapillen zugrunde, über welchen sich das verhornte Epithel zu einem spitzen Kegel erhebt. An den Rändern der Hornzähne empfängt die Bindegewebspapille eine Biegung (Pigur 2 a). Die Oberfläche unterliegt nun der Verhornung. Diese ist an der Vorderfläche nicht erheblich (c), an der Hinterseite (dj aber bedeutender. Hier liefert sie den festen, hornigen Rand der Schuppe. i:^^2 Fig. 2. Längsschnitt durch einen einzelnen Hornzahn. a = Bindegewebspapille des Hornzahnes; b = querer Wulst an der Hinterseite jedes Hornzahnes ; c =: locker gefügte Hornschicht an der Vorderseite der Hornzahnpapille ; d = eigentlicher Hornzahn. Nach Brian. Das Stratum corneum ist an der Vorderfläche der Hornzahnpapille locker und blättrig (c), an der Hinterfläche dagegen fest gefügt und hart (d). Die Hornbildung geschieht nicht nur an der Hinter- fläche der Zahnpapille (a), sondern auch hinter ihrer Basis bis zum Wulste (b). Die Grenze zwi- N. F. VI. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 763 sehen dem Produkt der Vorder- und Hititerfläche der F'apille ist in der oben erwähnten Querlinie beim Betrachten der ganzen Zunge erkennbar. (Figur i). Aus dem Innern der Zunge gelangen dicke Bündel von Muskelfasern in die querlaufenden Wülste hinter den Hornzähnen (Figur 2 b). Die Hornzähne dienen offenbar dazu, die Nah- rung zu zerreiben. Durch die starken Muskeln können sie in der günstigsten Stellung fixiert werden. Dr. Wilke-Jena. Über Kolloidstudien mit der Filtrations- methode berichtet H. Bechhold in der Zeitschrift für p!i)sikalische Chemie (60. 3) und in kürzerer F"assung in der Zeitschrift für Chemie und In- dustrie der Kolloide (2. Jahrg., Heft i und 2). Bechhold hatte schon früher darauf hingewiesen, daß sich Gallerten ausgezeichnet als Filter ver- wenden lassen und daß dieselben je nach ihrer Konzentration mehr oder weniger durchlässig sind. Als Gallerten benutzt Verf. hauptsächlich Eisessig- kollodium, das durch Eintauchen in Wasser ge- Hahntrichter, andererseits steht er in Verbindung mit dem Manometer M und einem Hahiirohr, welches zur Luftpumpe führt. Nachdem man nun die Luft aus T entfernt hat, läßt man die Gallert- flüssigkeit durch den Trichter eintreten, bis die Filter von ihr bedeckt werden, schließt den Trichter und öffnet den Hahn H, der jetzt mit der Außenluft in Verbindung steht, und so wird durch .'\tmospharendruck die Gallertflüssigkeit in die Filterporen gepreßt. Danach müssen die Filter durch Eintauchen in Wasser gelatiniert und gehärtet werden. Letzteres geschieht durch Ein- tauchen in eine mit Eis gekühlte Formaldehyd- lösung und Stehenlassen für einige Tage im Eis- schrank. Die Filter werden schließlich mehrere Tage in fließendem Wasser belassen und in Wasser mit einem Zusatz von Chloroform aufbewahrt. Durch so vorbereitete Filter läßt sich von Lö- sungen von Hämaglobin und von Lakmus bei ca. 5 at Überdruck reines Wasser abfiltrieren. Da das Wasser sich in den künstlichen Filtern sukzessive durch organische Flüssigkeiten, wie Alkohol, Aceton usw. ersetzen läßt, können sie auch zur Trennung von und in organischen Lösungsmitteln dienen. Man ^iy////////////////,^^^^^MM^/^^^^^ Fig. I. latiniert wird, und in Formaldehyd gehärtete Ge- latine. Mit diesen Massen wird Filtrierpapier im Vakuum imprägniert. Den zur Imprägnation ver- wendeten .Apparat zeigt Fig. i. In dem Gefäß T befinden sich, an einer Stange hängend, die Filter. In den Behälter hineingeführt ist einerseits ein hat so z. B. aus einer technischen Chlorophyll- lösung in Alkohol, die nebenher namentlich Fette, Wachse usw. enthält, das Chlorophyll zurückhalten können , während die Fette usw. das Filter passieren. Da alkoholische Mastix-, Tannin- und .Seifenlösungen selbst sehr dichte Filter passieren, 764 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 48 scheinen sie zum größten Teil echte Lösungen, d. h. keine kolloidalen zu sein. Als Filtrierapparat benutzt Bechhold einen in Fig. 2 dargestellten Apparat aus Rotguß. Tr ist der eigentliche Trichter, der in einem zylindrischen Gefäß H sitzt. Zwischen die Flanschen des Trich- ters und denen des Gefäßes ist das Filter, durch Gummiringe G gedichtet, eingepreßt. Der Ansatz auf dem Deckel des Apparates dient zum An- schluß an die Druckpumpe. Der Apparat ist für Überdrucke bis 10 at brauchbar. im Pferdeserum enthaltene Antilab dagegen nur wenig. Ein Toxin, welches das wirksame Prinzip des Giftes der Kreuzspinne ausmacht, das sog. Arachnolysin, wirkt durch Hämolyse, d. h. durch Zerstörung der roten Blutkörperchen. Es ist für zahlreiche Tierarten von so ungeheuerer Giftigkeit, daß z. B. das Gift aus einer Kreuzspinne 2,5 1 Kaninchenblut zu lösen vermag. Diese Substanz wird nun, wie Bechhold fand, von den meisten Filtermaterialien ganz enorm adsorbiert. Auf eineranderen Wirkung beruht dasDiphtherie- fe?^ '^N "g-^p^^^ PJ N G Fig. 2. Was nun das Filter betrifft, so wurde schon eingangs erwähnt, daß die Porenweite und damit die Durchlässigkeit mit zunehmender Konzentra- tion der Gallerte abnimmt. Je geringer diese Porenweite ist, um so mehr Druck muß natur- gemäß bei der Filtration angewendet werden. Die Zusammensetzung des Plltrates hängt von der Geschwindigkeit der Filtration ab. Als Ver- gleichsmaß für die Filter verschiedener Herstellung hat sich eine i prozent. Hämoglobinlösung am zweckmäßigsten herausgestellt. Die größten Poren eines solchen Filters halten noch Teilchen von geringerer Größe als 20 /' 5 1. 1 1 1. morg. Austr. Algol -Minima können beobachtet werden am 10. um 9 Uhr 33 Min. ab., am 13. um 6 Uhr 22 Min. ab. und am 30. um II Uhr 16 Min. abends. Bücherbesprechungen. Wissenschaftliche Ergebnisse der deutschen Tiefsee-Expedition auf dem Dampfer „Valdivia" 1898 — 1899. Im .Auftrage des Reichsamtes des Innern herausgegeben von Carl C h u n , Leiter der Expedition. (Jena, G. Fischer.) XI. Band, 2. Lief: Robert von Lenden feld (Prag): Die Tetraxonia. Mit 38 Tafeln. Das überaus reiche Material der deutschen Tiefsee- Expedition an marinen Schwämmen besteht aus 916 Stück, welche 50 Arten angehören. Gleichzeitig hat Verfasser in diesem Band die Sammlungen der „Ga- zelle" aus den Beständen des Berliner Museums mit- bearbeitet, welches noch 61 Stück aus 28 verschie- denen Arten enthielt. Von diesen 68 Arten werden 58 als neu für die Wissenschaft beschrieben und be- nannt. Den Abbildungen hat der Verf. die größte Sorgfalt gewidmet und daher von den neuen Arten die ganzen Stücke, Schnitte aus denselben und ihre Skelettelemente möglichst ausgiebig durch Mikro- photographie und Lichtdruck abgebildet. Dadurch werden alle Merkmale — auch die dem jetzigen Be- arbeiter weniger wichtig erscheinenden — möglichst objektiv und fehlerfrei festgelegt und die .'\rbeit somit zu einem Quellenwerk für alle späteren Forschungen, die vielleicht ganz anderen Dingen systematische Be- deutung beilegen als die heutigen Bearbeiter, gestaltet. Das ganze reiche, in dieser Arbeit behandelte Material an Spongien ist in der Nähe von Land gefunden worden. Dieses Ergebnis steht im Einklänge mit den Resultaten der Challenger-Reise und wir können jetzt mit Sicherheit behaupten, daß am Grunde der hohen See nur wenige , auf weite Meeresstrecken vielleicht gar keine tetraxonen Schwämme leben. Die tiefste bisher bekannte Tetra.xonidenfundstelle lag 3383 m unter dem Meeresspiegel. Durch die deutsche Tiefsee-Expedition ist ein noch tieferes Vor- kommen dieser Spongien nachgewiesen worden, indem auf Station 170 eine Teneaart [Tenea multiformis) aus einer Tiefe von 3548 m heraufgeholt wurde. Die Art ist an jener tiefen Stelle häufig , denn die Zahl der heraufgeholten Stücke betrug 22. — In Tiefen über 1000 m wurden von der „Valdivia" im ganzen nur 5 Arten erbeutet, zwischen 500 und 1000 m 13 Arten. Vertreter der Stellettiden und Geo- diden wurden nur bis zu 150 m Tiefe gefunden, wo- durch die älteren Annahmen, daß diese formenreichen Gruppen Flachwasserbewohner sind, bestätigt werden. Vergleicht man die Fanggebiete der „Valdivia" miteinander auf ihren Reichtum an Tetraxoniern , so ergibt sich, daß der Meeresgrund zwischen Schottland und Fär-Öer, die Gegend des Thomsonrückens, reich an Individuen , aber ärmer an Arten und Gattungen ist, während in der Umgebung der Agulhaibank die Mannigfaltigkeit der Formen (die Zahl der Arten und Gattungen) sehr bedeutend, der Individuenreichtum aber gering ist. Lenden feld führt diese Monotonie in der Tetraxonierfauna des Thomson-Meeres auf die niedere Temperatur des Wassers am Grunde zurück, den Formenreichtum in den dem Aijuator näheren Meeren aber auf die viel bedeutendere Höhe ihrer Grundtemperaturen. F. Römer. Zoologische Modelle. Verlag von R. Brendel in Berlin-Grunewald. Die Firma R. Brendel, die sich durch ihre bota- nischen Modelle bereits einen hervorragenden Ruf erworben hat, bietet nunmehr auch schöne zoologische Modelle. Als erste Arbeit dieser Art erschien vor einigen Jahren eine plastische Darstellung der Entwicklung des Frosches in i'o facher Vergrößerung nach den Entwürfen des Bürgerschuldirektors Josef Fritsch ; später entstand ein Modell der Stubenfliege in 30- facher Vergrößerung, eine sehr naturgetreue Darstel- lung, besonders bemerkbar noch durch die Beweglich- keit des Rüssels, welcher sich strecken und einziehen 766 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 48 läßt. Neuerdings gelangte eine Darstellung der Biene und deren Entwicklung zur Ausgabe. Wir sehen ein Stück Wabe mit ca. 40 Zellen'Jin 10 Fächer Vergrößerung auf Stativ schön und anschau- lich befestigt. Es zeigt in der notwendigerweise zu- sammengedrängten Form die verschiedenartigsten Zellen — Königinzelle, Arbeiter-, Übergangs-, Haft-, Drohnen- und Faulbrutzellen , gedeckelte und unge- deckelte Zellen, in ihnen Eier, Larven und Puppe in verschiedenen Entwicklungsstadien, auch Honigzellen l-'.xpeditionen bereits verwertet. Eine patentierte Um- legevorrichtung gestattet eine bei|ueme Betrachtung der südlichen Hemisphäre. Der Preis eines Globen- paares beträgt 50 Mk. ' Kbr. Prof. Dr. A. Föppl, Vorlesungen über tech- nische Mechanik. 5. Band: Die wichtigsten Lehren der höheren Elastizitätstheorie. 391 Seiten mit 44 Figuren. Leipzig, B. G. Teubner, 1907. — Preis geb. 10 Mk. und Zellen mit Bienenbrot. Um diese Darstellung zu vervollständigen , sind auch die Bienen selbst im einzelnen modelliert und naturgetreu zur Ausführung gelangt. Das Modell der Arbeitsbiene zeigt in 10- facher Vergrößerung, wie auch die anderen ^Modelle, nur den äußeren Habitus genau erkennbar und natur- getreu. Abnehmbar sind Rüssel, Flügel und Beine. An letzterem kommen auch Bürste und Körbchen, welche mit Pollen gefüllt sind, klar zum Ausdruck. Auch die Wachsplättchen an der Unterseite des Leibes sind sichtbar. Es folgen die Modelle der Bienenkönigin und der Drohne mit ihren charakte- ristischen Merkmalen. Der Preis stellt sich bei dem Modell der Arbeitsbiene auf 35 Mark, bei den beiden anderen auf je 30 Mark. Binnen kurzem soll ein Modell der Ameise folgen. Meteorologische Globen sind vor kurzem von Prof. C. Kassner entworfen und von der Firma Dietrich Reimer in Berlin in den Handel gebracht worden. Die bisher meist in Merkatorkarten darge- stellten Temperatur-, Luftdruck- und Windverhältnisse kommen hier zum ersten Male in ihren wahren Größenverhältnissen zur Anschauung. Die beiden dem Januar und Juli entsprechenden Globen sind sehr sauber in 1 5 Farben gedruckt und fußen auf den neuesten klimatologischen Materialien ; insbeson- dere sind die Ergebnisse der neuesten Südpolar- Die „Vorlesungen über- technische Mechanik" er- scheinen in 6 Bänden. Der vorliegende, ftinfte bildet gewissermaßen eine Ergänzung des dritten, der „Festig- keitslehre". Er enthält das, was in einer allgemeinen Vorlesung über Festigkeitslehre aus praktischen Grün- den nicht gebracht werden kann, und doch für solche Ingenieure, die schwierigere Festigkeitsberechnungen durchzuführen haben, wichtig ist. Auch die Einfüh- rung der technischen Doktorwürde wird manchen Studierenden zu eindringenderen Studien antreiben und gerade die in vorliegendem Bande behandelte, höhere Elastizitätstheorie bietet nach Verf Ansicht eine Fülle von Anregungen zu Dissertations-Arbeiten. Dem Gesagten gemäß ist das Buch streng wissen- schaftlich und nur für Fortgeschrittene verständlich. F. Kbr. Literatur. Oswald, Priv.-Doz. Dr. Adf. : Lehrbuch der chemischen Patho- logie. (VI, 614 S.) gr. 8". Leipzig '07, Veit & Co. — 14 Mk., geb. in Leinw. 15,50 Mk. Tigerstedt, Prof. Dr. Rob.: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. I. Bd. 4. umgearb. Aufl. (XII, 531 S. tn. 14g teilweise färb. Abbildgn.) Lex. 8". Leipzig '07, S. Hirzel. — 12 Mk., geb. 14 Mk. Stieler's Hand-.^tlas. 100 (färb.) Karten in Kpfrat. m. 162 Nebenkarten (je 33,5X4' '^^)^ lifsg. v. Justus Perthes' gco- graph. Anstalt in Gotha, g., v. Grund aus neubearb. und neugestochene Aufl. 3. bericht. Abdr. Nebst: Karte des N. F. VI. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 767 Deutschen Reichs. 27 (färb.) Blätter in Kpfrst. (je 33, 5X 41 cm) im Maßstab v. i : 500000 unter Red. v. Dr. C. Vogel ausgeführt in Justus Perthes' geogr. Anstalt in Gotha. Umdruck-Ausg. (VI, IV, 238 u. III, 74 S. Text.) 41X 26,5 cm. CJotha '07, J. Perthes. — Geb. in Halbfrz. 50 Mk. Anregungen und Antworten. Fräulein R. G., Lehrerin in Zürich. — Sic beobachteten, wie durch den Spalt eines angelehnten Fensterflügels eine Wespe eindrang, sich, nach kurzem .\ufenthalt auf der Innen- seite der Scheibe, blitzschnell auf eine der sich dort tummeln- den Stubenfliegen stürzte, dieselbe mit allen sechs Beinen um- klammerte, obgleich jene sich mit den Beinen gegen die An- greiferin stemmte und verzweifelt welirte, ihr mehrere Stiche beibrachte und sie biß, sie dann geschickt umdrehte, ihr erst den einen und dann den anderen Flügel abbiß und endlich mit ihrer Beute durch den Spalt des Fensters verschwand. — Sie fragen ob die Wespen sich häufig in dieser Weise als Raub- tiere zeigen und ob mit dem Körper der Fliege die Brut ge- füttert werde. — — Über die Nahrung der geselligen Wespen schreibt ausführlich A. Schenck („Die Deutschen Vesparien", in; Nass. nalurw. Jahrb. Hft. 16, S. 123 f)".). Die geselligen Faltenwespen sind nach Schenck .■\Ilesfresser im wahren Sinne des Wortes. Man findet sie zwar besonders an Süßigkeiten , an Früchten etc. Allein sie sind sehr begierig auch auf rohes Fleisch, besonders Fett und Drüsenorgane und außerdem sind sie kühne Räuber. „Die Fliegen überfallen sie auf Blättern der Gebüsche und auf Blüten, beißen Flügel, Beine und Kopf ab und nehmen den Rumpf mit oder ver- zehren ihn auf der Stelle". Auch ,, Schmetterlinge sind auf Blüten ihren wütenden Angriffen ausgesetzt; nachdem sie Flügel und Beine abgebissen haben, tragen sie den Rumpf fort; selbst auf Spannbrettern aufgespannte Schmetterlinge werden von Wespen ganz aufgezehrt." — In unsere Wohnungen kom- men besonders Vespa vulgaris und I'. (/ermaiüca. — Über die Ernährung der Brut schreibt Seh e nc k (S. Ii6f): „Die Larve kann die Zelle nicht verlassen, befindet sich hier in senkrechter Stellung, den Kopf nach der Öfl"nung gekehrt und wird von den Arbeitern mit einem ausgebrochenen Safte oder mit einem zwischen den Kiefern in das Nest gebrachten Ballen weicher Stoffe, z. B. zerkauter Fliegen und Honigbienen geätzt, wie ein junger Vogel von den alten." Dahl. Herrn Prof. A. W. in Regensburg. — Frage I ; Ein umfangreiches Buch über Biologie der Tiere im älteren, engeren Sinne (Ökologie und Ethologie) für die Hand des Lehrers gibt es leider nicht. — Ein kleines Euch , das trotz seines geringen Umfangs immerhin recht viel bringt, ist: K. Kraepelin, „Die Beziehungen der Tiere zueinander und zur Pflanzenwelt" (Leipzig 1905). Für die Schule bearbeitet hat derselbe Autor den Stoff in seinem ,, Leitfaden für den biolo- gischen Unterricht in den oberen Klassen der höheren Schulen", (Leipzig 1907, S. 44 — 135). — Von älteren Büchern nenne ich Ihnen C. Sem per ,,Die E.'sistenzbedingungen der Tiere" (Leipzig 1880). — Ferner sei genannt L. K. Schmarda, ,,Die geographische Verbreitung der Tiere" (Bd. i — 3, Wien 1853), ein Buch, das die geographische Verbreitung, im Gegen- satz zu Wallacc, von ökologischen Gesichtspunkten aus be- handelt. Dasselbe ist immer noch brauchbar und noch nicht durch ein neueres ersetzt. Dahl. Frage 2 ; Über zoologische Wandtafeln für Schulen wird uns von geschätzter Seite folgendes mitgeteilt : Darstellungen von Anpassungserscheinungen und Lebens- beziehungen der Tiere finden sich mehrfach auf älteren Tafel- werken, z. B. den Leuckart-Nitsche' sehen Wandtafeln, aber immer nur gelegentlich. Neuerdings sind sie mit Absicht zum Gegenstand der Vorführung gemacht worden , einmal von Hacker in einem Teile seiner Wandtafeln zur allgemeinen Biologie (Kassel, Th. G. Fischer & Co.i, deren erste, 1904 er- schienene, die sympathische Färbung bei Insekten betrifl't, während eine zweite, 1906 von Emery herausgegebene, den Polymorphismus der Ameisen darstellt. Zum Hauptgegenstand hat die bionomischen Tatsachen Matzdorff in seinen öko- logisch-ethologischen Wandtafeln (,,Die Lebensbeziehungen und die Gewohnheiten der Tiere". J. F. Schreiber in Eß- lingen) gemacht, von denen 1905 zwei erschienen, die Schutz- färbungen und Schutzformen von Kerfen (Nachahmung von Blättern, Rinde, Früchten, Zweigen und Flechten) bringen, und zwar im Gegensatz zu der II äck e r'schen Tafel so, daß die Tiere in ihrer schützenden Umgebung dargestellt werden. Weitere Tafeln, die leuchtende Seetiere und Lebensgemein- schaften von Krebsen mit Cölenteraten, Echinodermen und Tunikaten , sowie von Quallen mit Fischen bringen , sind im Druck. Übrigens hat derselbe Verfasser auch in seiner Neu- herausgabc der En gl e d e r ' sehen Wandtafeln für den natur- kundlichen Unterricht (Tierkunde) sich bemüht, mannigfache ökologische und ethologische Dinge zur Darstellung zu bringen. — Schmeil hat seit 1903 Wandtafeln für den zoologischen Unterricht herausgegeben, die in ihrer Ausführung seinen be- kannten Lehrbuchtafeln entsprechen (Stuttgart, E. Nägele), die also auf die natürliche Umgebung der Tiere und ihre Gewohn- heiten besonderen Nachdruck legen. Es erschienen Drome- dare am Rande einer Oase, Wildschweine in der Suhle, Eich- hörnchen, afrikanische Strauße, Schlangen, Mittclmecrkorallen, Eisbären, Süßwasserfische, der Bandwurm , Schleiereule und Waldkauz. — Für das Gebiet der Morphologie und Anatomie ist neuerdings (seit 1902) ein ganz hervorragendes Werk von Pfurtscheller in seinen Zoologischen Wandtafeln geschaffen worden. Die in sehr großem Formal (13: 14 dm) ausgeführ- ten Tafeln sind in meisterlicher Weise vom Verfasser selbst gemalt worden und bringen außer einem Hauptbild stets einige Einzelheiten. Es erschienen Astroide? , Unio , Helix, Mustelus, Echinoiden, Hydra, Sepia, Taenia, Corallium, Astro- pectcn, Spongien, Apis, Astacus, Hirudo, Infusorien, Tropido- notus, Columba und Flmys (Verlag Wien, A. Pichler's Ww. u. Sohn). Diese Tafeln dürften für den morphologischen Unter- richt an unseren Mittelschulen in erster Linie stehen. — Über das ganze Gebiet der zoologischen Bilderwerke orientiert gut ein Aufsatz Sc h w e i g h o f e r ' s in der Zeitschr. f. Lehrmittel- wescn II, S. 2, auch wird darüber fortdauernd von Matzdorff in den Jahresberichten über das höhere Schulwesen Auskunft gegeben. Herrn H. V. in Dresden. — Die von Ihnen eingesandten ameisenähnlichen Spinnen gehören größtenteils der Unter- ordnung der Tulitelae an , nur eins gehört zur Unterordnung der tialtigradae. .Auch in andern Unterordnungen gibt es ameiscnäbnliche Formen. In Südamerika, wo die Ameisen eine so große Rolle im Haushalte der Natur spielen, gibt es sogar ameisenähnliche Krabbenspinnen (Laterigradae) {Aphantochihis rogersi Cambr.). — Ob die ameisenähnlichen Spinnen mit Ameisen zusammenleben oder nicht , ist für sie ohne Belang. Die ."\meiscnähnlichkeit schützt sie vielen Fein- ■ den gegenüber auch dann, wenn man sie, wie unseren einhei- mischen Saltiais (Jh/imarachne) formicarius (Geer.) nicht un- mittelbar unter Ameisen findet. ^Ian hält sie auch für .\meisen, wenn man sie allein findet. — Die eingesandten , der Unter- ordnung der Tubitelae angehörenden Arten zählen zu den interessantesten Formen. Sie sind voneinander und von den nahe verwandten Arten folgendermaßen zu unterscheiden : I. Das Sternum ist vor den Vorderhüften lang ausge- zogen ; der Kopfteil des Cephalothorax ist nicht breiter als der Teil des Cephalothorax hinter dem Einschnitt, der letztere ist in der Mitte nicht tief eingeschnürt: Sphecotypus niger (?erly 1833) (= S./or»»Vnmis Cambr.) Georgien, Panama, Venezuela, Brasilien, Peru. — Sie stellen diese Art mit Xeoponera unidentata Mayr zusammen, mit der sie in der Tat ,,eine verblüffende Ähnlichkeit" hat. II. Das Sternum ragt nach vorn nicht über die Vorderhüften vor und ist hier nicht verschmälert; der Kopfteil des Cephth. ist viel breiler als der Teil des Clh. hinler der Einschnürung; der letztere zeigt in der Mitte noch einen zweiten, tiefen Einschnitt (vgl. Fig. 1 u. 2): Jlyrmecium Latr. 1824. A. Vor dem Hinterende des Clh. befindet sich ein schräg nach hinten gerichteter, kräftiger, langer Dorn (vgl. Simon, Hist. nat. Araign. T. 2, Paris 1897, p. 164, Fig. C): ,1/. mona- cantha Sim. B. Auf dem Cth. befindet sich kein dorsaler Dorn : AA. Der Kopfteil des Cth. ist nach vorn nicht merklich verschmälert; der Hinterleib ist gestreckt und an den Seiten nicht gleichmäßig gebogen; die Länge des Rumpfes ist 11 — 12 mm: M. ruf um Latr. 1824 (== Myrmecia fulra Walck. 1837 = M. xanthopius -\- M. verlcbrata C. L. Koch 1842 = .1/. ivr- tebrata Keyserl. u. Marx 1891); Brasilien. 768 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 48 BB. Der Kopfteil des L'th. ist naeh vorn stark verschmälert; der Hinterleib ist an den Seiten gleichmäßig gebogen, meist kürzer als 'f^ der Kör|ierl;inge: a. Der Kopfteil des Cth. ist völlig glatt und glänzend : aa. Der Ctli. ist auf der zweiten und dritten Erweiterung quergeriefelt; die Endglieder der Taster sind schwarz; der Hinterleibssticl ist kurz; die Länge des Rumpfes ist 8 — 10 mm: jr. latreillei H. Luc. 1857; Rio de Janeiro. bb. Der Cth. ist auf der zweiten und dritten Erweiterung mit dichten Höckern besetzt; die Taster sind rotgelb wie der ganze Körper; der Hinterleibsstiel ist fast viermal so lang als breit; der Hinterleib ist glänzend glatt; die Länge des Rumpfes ist 10 mm: .1/. r ich meijr r i n. sp. Peru. (Fig. l). — Sie ver- gleichen diese und die in Fig. 2 dargestellte Art mit Kcüon- .■\rten. Fig. I. Fig. 2. Körper ameisenähnlicher Spinnen. Fig. I 3Iyrmecimn clehmeycr! n. sp., Fig. 2 .V. hifascialum Tacz. b. Des Kopfteil des Cth. ist entweder mit dichtstehenden, feinen Höckerchen oder mit dichtstehenden Grübchen ver- sehen, ein stärkerer Glanz ist deshalb niemals vorhanden : aa. Der Cth. ist in der zweiten Einschnürung ebenso dick wie in der ersten : aaa. Die vordere Einschnürung des Cth. (der Hals) ist nicht länger als die zweite Einschnürung; der Hinterleib zeigt vorn dorsal eine hinten etwas ausgerandete, glänzende Platte, welche bei weitem nicht so breit ist wie der Hinterleib; die Größe ist ö'/o nim: 31. ob s cur um (Keyserl. u. Marx); Rio de Janeiro. bbb. Die vordere (Hals-) Einschnürung des Cth. ist länger als die zweite Einschnürung; die Rückenplatte vorn auf dem Abdomen deckt diesen bis zu den Seiten und ist hinten ge- rade abgeschnitten; die Länge des Rumpfes ist 5'/» mm: .V. fu s c n m n. sp. ; Bolivia. ' bb. Der Cth. ist in der zweiten Einschnürung viel dünner als in der vordersten (vgl. Fig. 2): aaa. Der Cth. ist mit dichten Grübchen besetzt; die Grüb- chen stehen, namentlich hinten auf dem Cth., so dicht, daß eine erhabene Netzaderung entsteht; der Hinterleibssticl ist nicht doppelt so lang als dick ; die Farbe ist dunkelbraun, nur die Enden der Beine sind heller; die Größe des unreifen Tieres ist 4'/2 mm: .V. reticulatum n. sp. ; Peru. bbb. Der Cth. ist ganz mit kleinen Höckerchen besetzt, auch der Kopfteil; der Hinterleibssticl ist mindestens doppelt so lang als dick: ct. Die Größe ist 12 mm: 31. vertebratum (Walck.) H. Luc. 1857; Rio de Janeiro. ,/. Die Größe ist 6'/.> — 7 mm; der Cth. ist mit anliegen- den, feinen, glänzenden und mit langen, abstehenden Haaren besetzt : rat. Die Tasterkeule der (f ist kürzer als die Grund- glieder der Taster zusammen ; die Farbe des Körpers ist heiler oder dunkler gelbbraun , der Hinterleib oben mit Querzeich- nungen versehen (Fig. 2) ; der vordere Teil des Sternum ist durch eine feine Netzaderung matt: 3f. bi/asciatum Tacz. 1874 (= xl/. i-clutinnra Simon 1896). Bahia , Para , Guiana, Bolivia. ßß. Die Tastcrkeule des t/' ist länger als die Grund- glieder des Tasters zusammen; die Farbe ist schwarz; der vor- dere Teil des Cth. ist glänzend glatt, kaum runzelig: 3[. gounellei Sim. 1896. Bahia. Es mögen durch diese Notiz besonders Ameisenforscher auf die so interessanten, dem Spinnenforscher so selten zu- gehenden Tiere aufmerksam gemacht werden. Dahl. Herr Dr. J. Kraus teilt uns in bezug auf eine Notiz auf S. 624 ds. Bds. der Naturw. Wochenschr. freundlichst mit, daß er für W i c k ersh eim er ' sehe Flüssigkeit vor einigen Jahren bei einer ersten Wiener Firma einen recht hohen Preis bezahlen mußte, weil dieselbe speziell für ihn herge- stellt werden mußte. — Ich hatte angenommen, daß man sich die Flüssigkeit nach dem in der ^aturw. Wochenschr. N. F. Bd. 4, S. 544 wiedergegebenen Rezept selbst herstellt. Dann würde der Preis sich auf 40 — 50 Pf. pro Liter stellen. — Daß das Martin'sche Buch (ebenso wie das von Mojsisovics) veraltet ist, ohne durch ein neueres oder eine neue Auflage ersetzt zu sein, ist in der Tat sehr zu bedauern. Dahl. Herrn R. W. in Nürnberg. — Über biologische Meeres- stationen in den Tropen finden Sie vielleicht nähere Auskunft in einem .Aufsatz von Rene Sand, Les laboratoires mari- times de Zoologie, in: Rev. Univ. Brux , 3. Ann., 1897, p. 23 — 47, p. 121 — 51 und p. 203 — 235. Es hat mir leider trotz aller Bemühungen nicht gelingen wollen, diesen Aufsatz in die Hand zu bekommen. — Auch Deutschland besitzt eine, allerdings kleine, aber recht gut eingerichtete Station dieser .Art im Bismarck-.Archipel (vgl. Verh. d. Deutsch, zool. Ges. Jahrg. 1S97, S. 204 ff.). Leider wird dieselbe fast gar nicht benutzt. Dahl. Herrn F. in Borna. — Die Frage nach der Verwen- dung von Dahlia-Knollen zur Moskito Vertilgung beantworte ich wie folgt: In der pharmazeutischen Literatur ist über die Knollen von Dahlia variabilis als Spezifikum zur Moskitovertilgung nichts angegeben. Die Knollen enthalten nach ,, Karsten, Deutsche Flora" (Verlag J. M. Spaeth , Berlin 1883) neben Inulin ein stark riechendes ätherisches Öl, das Dahlien -Ol. Neuerdings ist von Lippmann (Berichte der Deutschen Pharm. Gesellschaft, Bd. 39, S. 4147) auch ein Gehalt von Vanillin in den Dahlien-Knollen festgestellt worden. Dieser Gehalt hat indes wohl nichts mit der Wirkung der Dahlien-Knollen gegen Moskitovertilgung zu tun, wohl aber könnte an der Wirkung das ätherische Öl beteiligt sein, da solche stark riechenden Öle, wie Eukalyptus-Öl (siehe Pharm. Zeitung 1906, S. 499) zum Schutze gegen Moskitos eine Verwendung finden. II. Thoms. Inhalt: W. Otto: Der Rota.-c-Unterbrecher, ein neuer Fortschritt im Röntgen- Instrumentarium. — Dr. Paul Lindner: Technisch wichtige Enzyme und ihre Wirkungen. (Schluß.) — Kleinere Mitteilungen: Dr. Otto Brian: Beitrag zur Kenntnis der Hornzähne auf der Zunge von Hystrix cristata. — H. Bechhold; Kolloidstudien mit der Filtrations- methode. — Himmelserscheinungen im Dezember 1907. — Bücherbesprechungen : Wissenschaftliche Ergebnisse der deutschen Tiefsce-Expedilion auf dem Dampfer „Valdivia" 189S — 1899. — Brendels zoologische Modelle. — Prof. C. Kassner: Meteorologische Globen. — Prof. Dr. A. Föppl: Vorlesungen über technische Mechanik. — Literatur: Liste. — Anregungen und Antworten. Verantwortlicher Redakteur: I.V.: Prof. Dr. F. Koerber, Groß-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge VI. Band; der ganzen Reihe XXII. Band. Sonntag, den 8. Dezember 1907. Nr. 49. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der Halbjabrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate : Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- bandlung. Linsenfehler. (Nachdruck verboten." I. Entstehung der Fehler. „Man verlangt von den Objektiven, daß sie möglichst vollständig für optische und chemisch wirkende Strahlen achromatisch sein sollen. Das Bildfeld soll möglichst geebnet und das Bild doch annähernd frei von Astigmatismus sein. Man fordert ferner, daß sie gerade Linien gerade oder wenigstens bis nahe an den Rand gerade wieder- geben, daß sie ein möglichst großes Bildfeld haben, welches sie mit möglichst großer Öffnung jeden- falls in der Mitte, aber auch nach dem Rande hin so weit als irgend angängig scharf auszeichnen, daß ihre Lichtverteilung über das Bildfeld so gleichmäßig sei, als mit den optischen Verhält- nissen irgend vereinbar ist, daß der Lichtfleck nicht auffällig und überhaupt das Bildfeld nicht verschleiert sei." F. Stolze. Ebensowenig wie es in der Mathematik ge- lingt, sich ein Differenzial wirklich zu denken, wird es in der Optik gelingen, die Brechung eines einzelnen Lichtstrahls zu beweisen. Sogar ließe sich dann die Brechung bezweifeln und ein Beweis auch nicht experimentell erbringen. Wie überall, so arbeitet die Natur bei den Lichtstrahlen immer mit mehreren der Gattung, die sich gegenseitig beeinflussen und den gemeinsamen Weg weisen. Von W. Schmidt, Berlin. Falls also im nachfolgenden von Lichtstrahlen die Rede ist, hat man sich immer ein wenn auch sehr kleines Strahlenbündel zu denken. ') Unsere Betrachtung hat es mit zwei Medien zu tun, die dem Lichte nur einen äußerst ge- ringen Widerstand entgegensetzen, mit der Luft und dem Glase. Auf ihrem verschiedenen Ver- halten in bezug auf Lichtstrahlen basiert die ganze Optik, beruhen speziell die Linsenfehler optischer Instrumente, die irgendwie ein (verändertes) Bild von der Außenwelt entwerfen sollen. Die op- tischen Mittel werden als konstant angenommen, obwohl die Dichte entsprechend dem Luftdruck schwankt und man sich z. B. eine Kamera mit so präziser Optik denken könnte, daß sie in der Ebene vorzüglich scharfe Bilder liefert, auf Berges- höhen jedoch versagt. Man nennt den Vorgang, der sich an der Grenze zweier verschieden dichter Medien abspielt, Lichtbrechung. Die Linsenfehler erhalten dadurch ihr besonderes Gepräge, daß man die Medien von sphärischen, d. h. Kugel- flächen begrenzt. Tritt ein einfarbiger Lichtstrahl bei A (aus Luft) in ein dichteres Medium (Glas), so wird seine •) Strahlen sind ja überliaupt nur Fiktionen. Das Licht ist in Wahrheit eine Wellenbewegung. Red. 770 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 49 Geschwindigkeit gemindert, und er wird infolge- dessen dem Einfallslot A L zugebrochen. Tritt der gebrochene Strahl bei B wiederum in das gleiche Medium, aus dem er kam, so wird er von dem Einfallslot weggebrochen. Verlängert man die Begrenzungsflächen des dichteren Mediums, die in Figur I nur als projizierte Linien erscheinen, so ergibt sich Punkt C. Werden von C aus gleiche Strek- ken in der Richtung nach A und B abgetragen, so er- geben sich die Punkte A und B. ABC läßt sich dann als Querschnitt eines Prismas mit dem brechen- den Winkel y auffassen. Trifft ein weißer Licht- strahl bei A das Prisma, so tritt ebenfalls infolge von Geschwindigkeitsminderung, die aber bei den verschiedenen (farbigen) Strahlengattungen ver- schieden ist, die bekannte Farbenzerstreuung auf Mit Hilfe der einfachen klaren Vorstellungen, die uns das Prisma vermittelt, läßt sich die Entstehung der Linsenfehler und ihre Beseitigung am besten demonstrieren. Fig. I. Flächen die Beschaffenheit der Linsenfehler ab- hängt. Legen wir durch die Linse beliebig viele Schnittebenen, die alle durch die optische Achse derselben gehen, so erhalten wir lauter kongruente Schnittfiguren von dem Aussehen der Figur 2. Die Strahlen, die wir an der Hand dieser Schnitt- figuren berücksichtigen können, müssen mit der .Schnittfigur in einer Ebene liegen, können aber im übrigen beliebig gerichtet sein. Parallel ge- richtete Strahlen werden am Rand der Linse stärker gebrochen als nahe der Mitte, denn fassen wir den Eintrittspunkt des Strahles in das dichtere Medium und seinen Austrittspunkt als winzig kleine Prismenflächen auf, die wir im Geiste zu einem Prisma vervollständigen, so ergeben sich nach dem Rande der Linse zu Prismen mit immer stärker brechenden Winkeln. Die Vereinigungsweite der Randstralilen wird also der Linse näher liegen als die der Mittelstrahlen und noch mehr; die Diffe- renz beider Vereinigungsweiten, sphärische Aberration genannt, wird um so größer, aus je kürzerer Entfernung die Lichtstrahlen kommen. Auch dies macht die Prismenbetrachtung klar. Sind die Strahlen der optischen Achse parallel gerichtet, so konvergieren sie schon innerhalb des dichteren Mediums, also der Linse (und die brechenden Kanten der zu den Strahlen gehörigen Prismen liegen nicht auf einer geraden Linie senk- recht zur optischen Achse). Hält man an den Punkten fest, wo die Strahlen in die Linse ein- F>S- 3- Fig. 2. Fig. 4. Eine Linse als der gemeinsame Volumteil zweier ineinander greifender Kugeln kann von einer unendlichen Schar brechender Ebenen ein- geschlossen gedacht werden, wobei sich wiederum eine unendliche Anzahl Kombinationen aus je zwei zueinander gehörigen Ebenen der vorderen und hinteren Linsenfläche ergibt. Jede solche Kombination kann in der Art wie bei Figur i zu einem Prisma ergänzt werden. Es wird sich bald zeigen, daß von der .^rt der zusammengehörigen treten, und läßt sie von einem näher gelegenen Lichtpunkt auf der optischen Achse herkommen, so werden die Wege der Lichtstrahlen in den Linsen mehr und mehr der optischen Achse parallel. Zu gleicher Zeit richten sich diePrismen immer mehr auf Damit wachsen ihre brechenden Winkel, doch für die Randstrahlen nicht in dem Maße wie für die Mittelstrahlen. Gleichwohl findet relativ stärkere Brechung am Rande als in der Mitte statt, weil die Mittelstrahlen mit dem Einfallslot einen sehr N. F. VI. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 771 kleinen, die Randstrahlen immer noch einen ziemlich großen Winkel bilden. Dies alles be- dingt, daß der Abstand der Punkte F und G bei sich nähernder Lichtcjuelle wächst. Die Rand- strahlen wirken also um so schädlicher, je näher die Lichtquelle steht. Auf einer Mattscheibe würden die Lichtstrahlen statt eines Brennpunktes eine Brennfläche anzeigen. Den Abstand F G nennt man sphärische Aberration. Was hier gesagt wurde, gilt im allgemeinen auch von den Plankonvexlinsen. Aber noch eine dritte Gattung von Sammellinsen gibt es, die konkavkonve.xen (meniskenförmigen) Linsen. Die beiden Abbildungen der Figuren 3 und 4 zeigen ohne weiteres, daß man es hier in der Hand hat, die Vereinigungsweite der Rand- und Mittelstrahlen zu vertauschen. Bei dieser Linsen- form kann der typische Fall eintreten, daß sich alle Strahlen in einem Punkt vereinigen (Fig. 4). Dann ist die Linse aberrationsfrei oder apla- n a t i s c h. Linsenkombinationen, die für alle planen Strahlen die gleiche V^ereiiügungsweite haben, nennt man Aplanate. Nun sind natürlich die Strahlen weder immer parallel der optischen Achse gerichtet, noch kommen sie von einem Punkt auf ihr her. Kom- men sie aus einer seitlichen Richtung, so wachsen auf der der Richtung abgekehrten (oberen) Linsen- hälfte die Prismenwinkel, während sie auf der anderen (unteren) abnehmen. Dabei bleibt natür- lich das Wachstum der brechenden Winkel der Prismen auf beiden Linsenhälften nach dem Rande zu bestehen, also auch die sphärische Aberration ; aber F sowohl wie G nähern sich der Linsen- fläche (Figur 5). Der Strahl durch den optischen Mittelpunkt geht ungebrochen hindurch oder besser: er ändert, da ihm ein fingiertes Prisma mit parallelen Seitenwänden zukommt, seine Rich- tung nicht. Bei ebenem Bildfeld müßte das Stück vom Schnittpunkt mit der optischen Achse bis zum Schnitt mit der Bildebene länger sein, als die entsprechende .Strecke auf der optischen Achse. Nun tritt aber der diesem seitlichen Hauptstrahl nächstgelegene Strahl in der oberen Linsenhälfte etwas höher heraus, als wenn er parallel der optischen Achse verliefe, wird also stärker gebrochen, so daß die notwendige Basis- vermehrung nicht erreicht wird. In ähnlicher Weise gelingt der Nachweis für einen Strahl der unteren Linsenhälfte. Für Strahlen, die unserer Voraussetzung entsprechen und aus anderen Rich- tungen kommen, gilt dasselbe. Schließlich ergibt die Gesamtheit der Punkte F resp. G je eine sphärische Fläche. Der Linse kommt also ein gekrümmtes Bildfeld, eine Bild Wölbung zu, besser: Bildraum. Nehmen wir an, daß die sphärische Aberration beseitigt sei, daß also F und G in einen Punkt zusammenfallen, so wird selbstverständlich die Bildkrümmung bleiben ; aber die seitlichen Strahlen werden sich dennoch nicht in einem Punkt ver- einigen, denn die aus der Linse heraustretenden Randstrahlen liegen nicht symmetrisch zu den Mittelstrahlen, weil eben die eine Linsenhälfte die schräg gerichteten Strahlen stärker bricht als die andere. Fangen wir zur Sichtbarmachung des Bildes die Kegelspitzen auf einer Mattscheibe auf. so werden wir infolgedessen nicht ein leuchtendes Gebilde mit dem hellsten Punkt in der Mitte, sondern ihn radial verschoben wahrnehmen. Ein seitlicher ferner Lichtpunkt wird auf der Matt- scheibe z. B. eine leuchtende Stelle mit einem kometenartigen Schweif, der entweder nach der Fig. 6. optischen Achse hin oder meistens von ihr fort gerichtet ist, bilden, bei konvexer resp. konkaver Wölbung des Bildfeldes. Diesen Kugelgestalts- fehler schiefer Strahlenbüschel nennt man Koma (Figur 6). Er wird um so geringer, je mehr wir die Randstrahlen (durch Abblenden) beseitigen. Die Erscheinung der Koma lehrt uns verstehen, daß wir einerseits von einer Beseitigung der sphärischen Aberration tatsächlich nur in bezug auf Strahlen, die parallel zur optischen Achse laufen oder von Punkten auf ihr herkommen, reden können, und daß andererseits erst, wenn diese erfolgt ist, von der Koma im strengen Sinn ge- handelt werden kann. — Da die letztgenannten Strahlen die Linse alle in einer Hauptschnittfläche passieren und alle übrigen Strahlen bei einer Demonstrierung nur überflüssig wären, ist die Benutzung einer Spaltblende, deren Mitte die optische Achse schneidet, angezeigt. Da die Linsen jedoch eine gewisse Dicke besitzen, wird man deren zwei benutzen, eine vor und eine ihr parallele Spaltblende hinter der l^inse. Dann 772 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 49 werden wirklich nur Strahlen in einer Ebene mit der optischen Achse hinter der zweiten Blende sichtbar. Unter der Voraussetzung paralleler Spalt- blenden ergibt sich für Lichtpunkte außerhalb der optischen Achse jedesmal eine ganz bestimmte Stellung der parallelen Spaltöffnungen. Sollen nun alle Lichtstrahlen, die bei beliebiger Stellung durch den vorderen .Spalt in die Linse eintreten, an der Bildentstehung teilnehmen, so müßte der zweite Spalt in die Ebene (oder krumme Fläche) gerückt werden, in der die Lichtstrahlen beim Austritt aus der Linse liegen. Dies kann nach unserer Anordnung nicht geschehen. Aber drehen wir den hinteren Spalt gegen den vorderen, so schneidet bei der Drehung ersterer den Licht- fächer nach und nach in allen Punkten. Die hierbei aufgedeckten Lichtstrahlen liegen mit der optischen Achse nicht mehr in einer Ebene. Denken wir uns zur besseren Anschauung ein zylindrisches Gefäß (Figur 7), vorn und hinten Fig. 7. geschlossen und jede der Deckflächen mit einem Schlitz versehen, und fällt durch die vordere Öff- nung seitlich Licht ein, so wird es, wenn beide Schlitze parallel stehen, teils auf die Zylinderwand, teils auf die hintere Ebene fallen. Die letzten Strahlen können nach und nach sichtbar gemacht werden, wenn wir den hinteren Schlitz drehen. Jetzt brauchen wir uns nur noch eine Linse im zylindrischen Gefäß zu denken. In welchem Sinne auch die Drehung erfolgt, immer ist es zu- nächst ein Randstrahl, dessen Weg zur Matt- scheibe freigegeben wird. Bei fortschreitender Drehung kommen dann Strahlen, die mehr in der Nähe des optischen Mittelpunkts liegen zum Vor- schein usw. Was hat sich nun auf der Matt- scheibe bei der steten Drehung, solange sie Licht erhielt, gezeigt? In dem Punkte, wo der schräg gerichtete Lichtstrahl die Linsenfläche trifft, errichten wir ein Lot auf ihr. Der in der Linse fortschreitende gebrochene Lichtstrahl liegt dann in der Ebene, die der ankommende mit dem Ein- fallslot bildet. Im Schnittpunkt der hinteren Linsenfläche wird wiederum ein Lot errichtet ; nur bei den Achsenschnitten der Linse liegt dieses Lot mit dem ersten in einer Ebene. In jedem anderen Fall liegen nur das vordere Einfallslot, der an- kommende Lichtstrahl und der gebrochene einer- seits, das hintere Einfallslot, der gebrochene Licht- strahl und der austretende andererseits in einer Ebene. Beiden Ebenen gemeinsam als Achse ist der gebrochene Lichtstrahl innerhalb der Glas- masse. Lote auf einem Punkte der Achse in beiden Ebenen schließen ihren Neigungswinkel ein; wir wollen ihn bezeichnender den Drehungs- winkel nennen. Halten wir zunächst an dem Ein- trittspunkt unseres Lichtstrahls fest und lassen den Strahl noch schräger auf die Linse fallen, aber in derselben Ebene, die er anfangs mit dem Einfallslot bildete, so wächst der Drehungswinkel der beiden Ebenen. Vergleicht man einen schrägen Lichtstrahl nahe der Mitte und einen dazu parallelen am Rand der Linse miteinander, so ist der Drehungswinkel in bezug auf die Randstrahlen größer als bei den Strahlen der Linsenmitte. Fig. 8. Um zur Prismenbetrachtung überzugehen, werden wir wieder die Tangentialflächen an die Linse im Eintritts- und Austrittspunkte eines bestimmten Lichtstrahls konstruieren. Aber wie auch immer die Tangentialebenen zueinander stehen mögen, immer schneiden sie sich in einer geraden Linie, so daß also immer ein regelrechtes Prisma ent- steht. Nun ^'steht die Ebene, die der Strahl mit dem Einfallslot bildet, zwar senkrecht auf der Prismenfläche, aber schief zur brechenden Kante. Schneidet man daher das Prisma in einer zur Strahlenebene senkrechten Ebene ab, so ergibt sich ein pyramidenförmiger Körper (Figur 8). Das Strahlenstück A B möge in der Zeichenebene liegen, ebenso die schraffierte Schnittfläche des Prismas, die senkrecht zur Grundfläche der Py- ramide steht. Sie kann angesehen werden als die Schnittfigur eines Prismas mit dem brechenden Winkel cc. Demzufolge wird der austretende Licht- strahl etwa die Richtung nach D' haben. Gleich- zeitig wird er im Prismenkörper aber von einem zweiten Prisma beeinflußt, dessen brechender Winkel ^ ist. Die Schnittfigur dieses Prismas N. F. VI. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 773 ergibt sich durch die Ebene, die durch den ge- brochenen Strahl innerhalb des Prismenkörpers und das Lot in C gebildet wird. Hierdurch wird bewirkt, daß der gebrochene Strahl bei C aus der Zeichenebene herausgehoben wird (nach vorn) und die endgültige Richtung nach D einschlägt. Wir können also bei einem schräg auf ein Prisma gerichteten Strahl die Wirkung dieses Prismas in die zweier anderen zerlegen, dessen Einzelwir- kungen die gesuchte Resultante erzeugen. Nur in einem ganz bestimmten Fall, den wir noch kennen lernen, stehen die Prismenschnitte auf- einander senkrecht. Worauf es also vor allen Dingen ankommt: Strahlen, die schräg auf die Linsenfläche fallen und nicht mit der optischen Achse in einer Ebene liegen, gehören beim Ver- lassen der Linse nicht mehr derselben Ebene an wie beim Eintritt. Wir wollen zunächst die einzelnen Strahlen, die von einem unendlich fernen Lichtpunkte seit- wärts der optischen Achse auf die Linse fallen, ins Auge fassen. Drehen wir die vordere Spalt- blende so, daß sie in einer Ebene mit dem Licht- punkte und der optischen Achse liegt, so haben wir wieder den Fall der sphärischen Aberration. Steht dann die hintere Spaltblende der vorderen parallel, so nehmen alle Lichtstrahlen, die in die Linse eintreten, an dem Mattscheibenbild teil. Drehen wir die beiden Spaltblenden ein wenig, so tritt sofort Verdunklung auf der Mattscheibe ein. Prassen wir nun nach Entfernung des hinteren Spaltes diese Spaltstrahlen schärfer ins A.uge, so erkennen wir, daß sie zunächst konvergent ge- macht' werden. Dies geschieht auf Kosten der einen Komponente unseres erwähnten prisma- tischen Körpers, die wir mit einigem Recht Kon- vergenzkomponente nennen wollen. Aber da die Strahlen schief gerichtet sind, liegen sie beim Austritt nicht mehr in derselben Ebene wie vorm Eintritt in die Linse. Ob in einer Ebene? Auch das nicht. Hier spielt die andere Komponente des prismatischen Körpers, die wir die Drehungs- komponente nennen wollen, eine Rolle. Legen wir durch den Lichtpunkt und die optische Achse eine Ebene und zu dieser senkrecht eine zweite ebenfalls durch die optische Achse, so wird die Linse damit in vier Teile zerlegt. In jeder Viertels- linse wirkt unsere Komponente nun im selben Sinne drehend. Stellt die Spaltblende, die hier mehr eine symbolische Bedeutung hat, weil sie unendlich nahe der Linse stehen und auch ihrer Wölbung sich anschließen müßte, in der ersten Ebene die Nullstellung dar und drehen wir sie rechtsläufig, so bewegen sich ihre entgegenge- setzten Enden im ersten und dritten \^iertel. Fassen wir in dieser Stellung zwei entgegengesetzt liegende Randstrahlen ins Auge, so wirkt die Drehungskomponente in beiden Linsenvierteln rechtsdrehend. Sie können sich also nie schneiden und auch nicht auf den Punkt zeigen, der nach Außerachtlassung der sphärischen Abweichung von den Strahlen, die sich auf die Anfangsstellung der Spaltblende beziehen, als scharfes Bild ent- worfen wird. Der erste Strahl wird also gesenkt, letzterer gehoben, wenn die Ebene des Licht- punktes als horizontal angenommen wird. Be- züglich des zweiten und vierten Linsenviertels liegen die Verhältnisse umgekehrt, indem hier die Strahlen eine linksläufige Drehung erleiden, so daß der Strahl des zweiten Linsenviertels gesenkt, des vierten gehoben wird. Es werden also die Strahlen der oberen Linsenhälfte gesenkt, die der unteren gehoben. Dazwischen muß es wiederum eine Stellung der Spaltblende geben, wo scheinbar keine Drehung vorhanden ist. Zugehörige ein- und austretende Strahlen liegen mit ihren Loten in senkrecht aufeinanderstehenden Ebenen. Es ist dies der F"all, wenn der Neigungswinkel der gedrehten Ebene auf seinen Maximalbetrag von 90" gestiegen ist. Der austretende Strahl er- scheint gegen den eintretenden seitlich verschoben (abgelenkt). Diese aus der Linse tretenden Strahlen liegen in der Hauptsache in einer Ebene, die senkrecht zur Horizontalebene steht, und schneiden sich in einem Punkte. Wir wollen uns den Vorgang wiederum an einer Bikonvexlinse klar machen. Unserm Strahlenband, das durch die Spaltblende bestimmt wird, gehört auch jener Hauptstrahl an, der, ohnedie Richtung zu ändern, lediglich parallel verschoben aus der Linse wieder heraustritt. Dies geschieht, weil die Tangential- ebenen, die im Ein- und Austrittspunkte des Licht- strahles an den Linsenkörper gelegt werden, ein- ander parallel laufen. Sie schneiden die optischen Achsen schief, derart, daß sie zu dem Lichtpunkt hingewendet sind. Nehmen wir einen mehr am Rande der Linse befindlichen Strahl dieser Gattung, so muß er so durch die Linse gehen, daß die der Horizontalebene parallelen Tangenten im Ein- und Austrittspunkt einander parallel sind. Diese Be- dingung ist nur zu erfüllen, wenn der Randstrahl, der ja dem Hauptstrahl als parallel laufend an- gesehen wird, ein wenig aus der Vertikalebene verschoben wird im Sinne zu dem Lichtpunkt hin. Schließlich wird unser Strahlenband eine gewölbte Fläche bilden, mit der Wölbung dem Lichtpunkt zugekehrt. In ähnlicher Weise werden die austretenden Lichtstrahlen zusammen eine Wölbung ergeben. Diesen Vorgang kann man sich besonders gut an einer plankonvexen Linse klar machen, die ihre plane Seite dem Objekt zukehrt. Dann müssen die fraglichen Strahlen (wegen der Parallelität der Tangenten) alle von der Peripherie des Kreises austreten , der als Schnitt der Vertikalebene mit der Linsenmitte er- halten wird. Da der Bildpunkt seitlich liegt, können die Strahlen nicht in einer Ebene liegen, weil die Linse am Rande dünner ist als in der Mitte und demzufolge die parallele Verschiebung der Strahlen verschieden stark ist. Der Brennpunkt dieser letzten Strahlen liegt nun weiter von der Linse entfernt als der der ersterwähnten Strahlen. Dies läßt eine Prismen- betrachtung leicht einsehen (Figur 9). Ein Rand- 774 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 49 strahl, der in der Horizontalebene liegt, und ein Randstrahl der vertikalen Fläche, der ebensoweit vom Linsenrand absteht, werden die Hauptachse schneiden. Konstruiert man nun im Ein- und Austrittspunkt die Tangentialflächen an die Linse, die als Prismenflächen betrachtet werden, so fällt auf das erste vertikal stehende Prisma der Licht- strahl sehr schräg. Das zweite horizontale Prisma d. h. mit horizontal liegender brechender Kante steht schief zum ankommenden Strahl. Drehen wir nun für einen besseren Vergleich der beiden Randstrahlen um den Hauptstrahl als Achse den ersten Randstrahl so weit, daß er in der vertikalen Ebene des zweiten zu liegen kommt, und sorgen außerdem dafür, daß dabei der Eintrittspunkt A auf der Linsenoberfläche wandert, so nimmt er die Richtung des punktierten Strahles ein, und wir erkennen ohne weiteres, ohne auf die ver- schiedene Dicke der Prismen und die Verschieden- heit ihrer brechenden Winkel einzugehen, welcher der beiden Strahlen stärker gebrochen wird. Fig. 9. Man gelangt zu dem Schluß, daß sich für schräg auf die Linse gerichtete Strahlen zwei Brennpunkte ergeben, einer für solche Strahlen, die in der Ebene liegen, in der auch die Achse liegt, der andere für Strahlen in der ebenen oder gekrümmten Fläche senkrecht zu der ersten Ebene. Alle übrigen über die Linsenfläche verstreuten Strahlen kann man sich in zwei Komponenten zerlegt denken, von denen die eine der horizon- talen Ebene, die andere der vertikalen angehört, nämlich die Konvergenz- und der Drehungskom- ponente. Erstere Strahlen, weil sie die Linse in Großschnitten passieren und Linien des Objektes, die mit ihnen in einer Ebene liegen, im Bilde als Linien zeichnen, die auf den Mittelpunkt zielen, nennt man radiale oder meridionale, letztere tangentiale oder sagittale Strahlen, weil sie einer Ebene angehören, die senkrecht zu den radialen Strahlen steht. Radius und Tangente, Pfeil (sagitta) und Bogen (meridianus) stehen aufeinander senk- recht. Zieht man einen Ring gleich weit vom Rande abstehender Strahlen in Betracht, so wächst vom Nullpunkt ausgehend, die Drehungskom- ponente, während gleichzeitig die Konvergenz- komponente abnimmt. Während erstere in der Anfangsstellung Null beträgt, erreicht die andere ihr Maximum. Doch verschwindet die Konver- genzkomponente nirgends; sie ist dort, wo die Drehungskomponente im Maximum ist, am kleinsten. Daher liegt der Brennpunkt der radialen Strahlen, wo also die Konvergenzkomponente nur allein wirksam ist, bei einer Sammellinse ihr näher als der der tangentialen Strahlen, und zwar so, daß jede Gesamtheit der Brennpunkte einer sphärischen P'läche angehört, die für die radialen Strahlen stärker gekrümmt ist als für die tangen- tialen (Figur 10). Das an sich und ohne Korrektion immer mehr oder weniger ebene Bildfeld einer Linse spaltet sich so in zwei Bildfelder, die im selben Sinne gekrümmt sind und auf der optischen Achse und in nicht zu großer Entfernung von ihr praktisch zusammenfallen, sich aber weiter nach dem Rande hin voneinander weit genug entfernen, um ge- Fig. 10. trennte Brennpunkte erkennen zu lassen. Stellt man die Mattscheibe auf den hinteren Brennpunkt ein, so bilden sich die auf den vorderen Brenn- punkt gerichteten Strahlen über ihren Scheitel hinaus verlängert als (horizontale) Linie ab. Bringt man die Mattscheibe in eine Ebene mit dem vorderen Brennpunkt, so ergeben die noch nicht zum Schnitt gelangten tangentialenStrahlen eine meistens gekrümmte Linie, die zu der vorigen senkrecht steht. Die Linie im Brennpunkt der radialen Strahlen steht tangential, die im Brennpunkt der tangentialen Strahlen radial (Fig. 10). Alle übrigen Strahlen werden nun, wie wir wissen, gebrochen und ge- dreht, und zwar derart, daß sie annähernd durch die kreuzweis im Raum stehenden Linien gehen, deren Intensität sie auf diese Weise verstärken. Man spricht aus diesem Grunde besser von Brenn- linien und kann folgendes sagen: Jeder seitlich N. F. VI. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 77S gelegene Punkt wird durch eine gewöhnliche Sammellinse in zwei Linien aufgelöst, die um so länger und schmäler sind und in um so größerer Entfernung voneinander sich kreuzen, je schräger die Strahlen auf die Linse fallen. Diese Erschei- nung der Auflösung eines Punktes in zwei sich kreuzende Linien nennt man Astigmatismus, zu deutsch Punktlosigkeit. Geht man aus der Einstellung der Brennlinie, die ihre Entstehung den radialen Strahlen ver- dankt, auf die der tangentialen über, so erweitert sich die Linie allmählich zur Ellipse, wird dann zu einem unscharfen Kreis, aus dem sich schließ- lich die entgegengesetzte Lage (als Linie) bildet. Zu diesem Experiment berücksichtigt man zweck- mäßig nicht allzu schiefe Strahlen. Wenden wir unsern Blick zurück, so ist uns die Fläche der Brennpunkte der radialen Strahlen schon bei der Besprechung der sphärischen Aberration begegnet; es war die sphärische Bildwölbung. Im Gegen- satz zu ihr haben wir als Fläche der Brennpunkte der tangentialen Strahlen die astigmatische Bild- wölbung. Nun kann der Fall eintreten, daß eine dieser Wölbungen eine Ebene darstellt. Es fragt sich, ob dann die andere Wölbung zu gleicher Zeit auch näherungsweise eben ist. Der gewöhn- liche F'all ist, daß beide Wölbungen ihre konkave Seite der Linse zukehren, und daß die sphärische Wölbung stärker als die astigmatische ist. Wird die astigmatische Wölbung geebnet, so bedeutet dies, daß die tangentialen Strahlen schwächer ge- brochen werden als im Normalfall. Das setzt ein dünneres i\Iedium voraus. Nun sind zwar für einen tangentialen und einen radialen Bildstrahl die brechenden Winkel der zugehörigen Prismen an- nähernd gleich ; aber der Weg im Prisma ist für die tangentialen Strahlen ein größerer als bei den radialen. Eine Mediumsänderung wird also in be- treff der tangentialen Strahlen stärker zu spüren sein als bei den radialen. Wird nun das Medium so gewählt, daß die tangentialen Strahlen bei geringerer Brechung sich in der Ebene schneiden, so behalten die radialen Strahlen ihre Richtung fast bei, so daß die beiden Bildfelder stärker von- einander abweichen als vorhin. Analoges ist der Fall, wenn versucht wird, die sphärische Bild- wölbung zu ebnen. Dann wandert das astig- matische Bildfeld auf die andere Seite, kehrt seine konvexe Seite der Linse zu. Je mehr also das Bildfeld geebnet wird, desto mehr tritt der Astig- matismus hervor und umgekehrt. Bis jetzt war nur von einfachen Lichtpunkten die Rede. Eine Linie kann nun aus einer Reihe von Punkten zusammengesetzt gedacht werden, von denen jeder mit den bis jetzt aufgeführten h'ehlern behaftet zur Abbildung gelangt. Schon daraus geht hervor, daß beim Übergang zur Be- sprechung von Linien kein neuer Linsenfehler ent- deckt werden kann. Dennoch spricht man von der Distorsion oder optischen Verzeichnung als von etwas ganz neuem, obwohl es sich dabei nur um eine andere Erscheinungsform des Kugel- gestaltsfehlers handelt, dessen Beseitigung man in dem neuen Gewände um so leichter erkennt. Wir sahen, daß sich die sphärische Aberration durch Wegnahme der Randstrahlen soweit beseitigen läßt, daß der Lichtpunkt scharf abgebildet wird. Dies kann in unserem Falle dadurch geschehen, daß die Spaltblende bis auf ihren Mittelpunkt ab- gedeckt wird. Die hintere Spaltblende bleibt wieder fort. Am besten läßt sich die Distorsion wohl in folgender Weise demonstrieren: Man zeichnet auf einen weißen Karton, der hernach kräftig beleuchtet wird, ein Quadrat in schwarzer Tusche und zeichnet den ein- und umgeschriebenen Kreis. Durch die Mitte des Quadrates geht die optische Achse, zu der das Quadrat senkrecht Kig. II. Fig. 12. Steht. Die Figur 1 1 zeigt einen vertikalen Haupt- schnitt durch die Linse. Die über der Figur sichtbaren Bilder sind durch Drehung um die Achsen I und II um 90" erhalten; links zeigt sich das Bild des Gegenstandes, rechts die tonnen- förmige Abbildung davon. Die Blende steht ein wenig vor der Linse. Ihr Abstand hat Einfluß auf das Bild. Steht die Blende hinter der Linse, so ergibt sich eine kissenförmige Abbildung (Figur 12). Beide Arten der Bildentstehung werden ohne weiteres klar, wenn man sich die ergänzenden Prismen denkt. Im ersten Falle werden die Kreise über das Verkleinerungsverhältnis hinaus anein- andergerückt, im zweiten Falle auseinandergerückt. n^ Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 49 Dem muß sich die (jestalt des Quadrates an- passen. Es ist üblich geworden, die üistorsion an der Iland solcher Figuren, wie sie ii und 12 darstellen, zu behandeln. Daraufhin bildet sich bei wissensdurstigen Lesern häufig die Meinung, daß Distorsion nur bei engen Blenden in die Er- scheinung tritt, während diese doch nur dazu da sind, die Erscheinung der Distorsion bei Linsen, die noch mit allen möglichen anderen Fehlern be- haftet sind, deutlich zu machen. Nehmen wir jetzt einmal vor der Linse eine größere Blende an (Figur 13), und lassen von zwei seitlich ge- legenen Punkten I und II Lichtstrahlen auf die Linse fallen, so passieren die Hauptstrahlen die Linse ungebrochen. Die Bildpunkte liegen aber nicht auf diesen Hauptstrahlen. Sie sind vielmehr dort zu suchen, wo die meisten der die Linse passieren- Kg- 13- Hg. 14. den Strahlen sich schneiden. Der näher der op- tischen Achse gelegene Punkt I bildet sich weiter von der Linse entfernt ab, als der Punkt II, weil die zugehörigen Strahlen flacher auf die Linse fallen als die von II. Am Zustandekommen beider Bildpunkte wirken aber hauptsächlich Strahlen mit, die der optischen Achse zugebrochen werden. Anders bei der Figur 14, wo die Blende eben- soweit hinter der Linse steht wie in Figur 13 davor. Hier handelt sich's in der Hauptsache um Strahlen, die von der optischen Achse weg- gebrochen werden. Das Bild des näher der op- tischen Achse gelegenen Punktes liegt auch der Linse näher als das des entfernter gelegenen. Da aber die meisten übrigen Strahlen, die sich im Bildpunkt schneiden, weniger stark gebrochen werden, als im Falle der vorigen Figur, so rücken beide Bildpunkte im Vergleich mit den obigen weiter von der Linse fort. Steht uns eine Mattscheibe zur Verfügung, so werden wir sie in beiden Fällen auf die in der Nähe der Achse gelegenen Punkte einstellen. Die mehr am Rande gelegenen Punkte werden sich dann unscharf markieren, und zwar am unschärfsten im zweiten Falle, wo auch das Bildfeld ein soviel größeres sein wird, als die Mattscheibe weiter von der Linse entfernt steht. Daher ist die kissen- förmige Verzerrung — und nicht nur scheinbar — im Verhältnis größer als die tonnenförmige Ver- zerrung. Die Punkte einer ebenen Fläche werden sich auf diese Weise je nach dem Stand der Blende in sphärischen Flächen abbilden, deren Krümmung eine entgegengesetzte ist. Die Wirkung dieser beiden Blenden läßt sich nun dadurch kombinieren, daß man das Objektiv aus zwei Linsen zusammen- setzt mit einer dazwischen gestellten Blende. Bei dieser Betrachtung wurden nur die ebenen Strahlen berücksichtigt. Hat man es mit einem nicht korrigierten Objektiv zu tun, so müssen auch noch die windschiefen Strahlen berücksich- tigt werden. Sie bewirken indessen nur, daß jeder der abgebildeten Punkte I und II sich in zwei kreu- zende Linien im Raum auflöst, so daß als Bild auf der Mattscheibe eine verschwommene (ge- bogene) Linie sich zeigt. Man wird sich daher bei der Prüfung auf Distorsion einer kleinen Blende bedienen. Indem wir stillschweigend von der Voraus- setzung ausgingen, alles das als Linsenfehler an- zusehen, was uns beim Gebrauch der Linse für unsere Zwecke stört, d. h. keine scharfen Bilder liefert, müssen wir noch der Tiefenaberration oder Schärfentiefe Erwähnung tun. Sie be- ruht auf der verschiedenen Abbildungsweite naher und ferner Gegenstände. Strahl I (Plgur 15) rührt von einem fernen Gegenstand her; er kommt parallel der optischen Achse und wird verhältnismäßig wenig gebrochen. Bei seinem Austritt aus der Linse in B macht sich eine stärkere Brechung bemerkbar. Strahl II, der von einem nahen Punkt herkommt, wird verhältnis- mäßig viel stärker in A gebrochen als Strahl I. Dennoch liegt der Punkt C, wo er austritt, dem Linsenrande näher. Darum kann die Brechung in C auch nur schwächer sein als in B, so daß der Schnittpunkt von Strahl II mit der Achse auch viel weiter von der Linse fortliegt als bei Strahl I. Ist die Linse sonst korrigiert, d. h. bilden sich alle von a auf die Linse fallenden Strahlen in b und alle Strahlen von a' in b' ab, und bringt man die Mattscheibe nach b, so schneidet sie den Strahlenkegel mit der Spitze b' in einem Kreise, dem sog. Zerstreuungskreise. Umgekehrt bedecken bei der Stellung der Matt- scheibe in b' die über b hinausverlängerten Strahlen eine Kreisfläche. Die Tiefenaberration löst also die auf der Mattscheibe nicht scharf abgebildeten Punkte in Unschärfenkreise auf. Ein Prisma besitzt nun nicht nur die Eigen- schaft, einfallende Lichtstrahlen zu brechen, son- dern, sofern es sich um mehrfarbige handelt, sie N. F. VI. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. m zu zerstreuen, d. li. verschieden stark zu brechen. Auf diesem Vermöhlau, hat den Vorgang einer derartigen Selbsthilfe in ganz ähnlicher Weise bei einem Kanarienvogel selbst beobachtet." . . . Dieser Notiz hat Dr. Neumann die Abbildung des beschriebenen Rebhuhns beigefügt. Von der Selbsthilfe einer Schnepfe ist in derselben Jagd- zeitung im -Xlll. Jahrgange berichtet. Leider kann ich die Nummer nicht näher bezeichnen, da mir die einzelnen Hefte im .Augenblick nicht zur Verfügung stehen. Endlich möchte ich noch auf die Selbsthilfe einer Wild- ente aufmerksam machen, die Dr. Kurt Floericke in dem Kosmosbändchen ,,Die Vögel des deutschen Waldes" S. 98 anführt. Die Notiz ist entnommen der „Österreichischen Forst- und Jagdzeitung" 1906. O. Werner in Beverstedt. Herrn B. in Blankenburg. — Digitalis purpurea (und diese Art meinen Sie doch als Harzer wohl) ist zumeist zwei- jährig. Die von Ihnen beschriebene Erscheinung, die man auf den meisten zunächst pflanzenarmen Holzungen des Harzes beobachten kann , kann also schon einfach durch Anflug auf der kahlen Fläche erklärt werden, die Pflanzen blühen dann im 2. Jahre nach der Abholzung. In den Waldbeständen findet man aber bei genauem Hinsehen stets eine kleine bis größere Anzahl von Blattrosetten , die länger als I Jahr bis zur Blüte brauchen (wie auch bei schlechter Kultur in Gärten). Diese kräftigen sich bei der Abholzung plötzlich durch die Lichtzufuhr und blühen im ersten Jahre darauf. Die massen- haft ausgestreuten Samen bringen dann das von Ihnen er- wähnte reichliche Auftreten im dritten Jahre zustande. P. Graebner— Gr.-Lichterfelde. Herrn G. Th. aus Gelsenkirchen (Westfalen). — Auf welche Weise ist es möglich, Kernobst, Steinobst und Beeren dauernd, wenn auch unter Verlust der Färbung, zu erhalten? Wenn es sich um die Konservierung von Früchten für eine botanische Sammlung handelt, würde ich dem Herrn Fragesteller empfehlen, die Früchte in 4 "j- Lösung von Formol aufzubewahren. Sie verlieren natürlich die Farbe, aber sonst halten sich dieselben ganz gut. Um die Farbe dauernd gut zu erhalten, ist mir bis jetzt noch kein Mittel bekannt. P. Beckmann. Herrn G. aus Magdeburg. — Über eine abnorme Blütenbildung bei Zea Mais. Besonders für den Teratologen bietet die Gattung Zea viel Interessantes und fortwährend etwas Neues. Schon ver- schiedene Forscher haben darauf hingewiesen , daß sich zwischen den endständigen, verzweigten männlichen Rispen und den achselständigen unverzweigten weiblichen Kolben zahlreiche Übergangsformen feststellen lassen. Das Wesent- liche über diese monströsen Infloreszenzen findet sich in Penzig's Werk ,, Pflanzen -Teratologie" Bd. II, S. 458 — 463 erschöpfend behandelt. Ferner von demselben Autor: Studj morfologici sui cereali 1 Anomalie osservate nella Zea Mays (Bollett. della Stazione Agraria di Modena, N. S. anno IV, 1885, Modena 1885). Die eingesandten Exemplare gehören zu Polygonum cuspidatum. P- Beckmann. Herrn W. in Lemgo. — I. Welche Werke geben über die Biologie der Moose und Flechten der Heimat Auskunft? Ein zusammenfassendes Werk, welches die Biologie der Moose der Heimat enthält, gibt es vor der Hand noch nicht. Ich möchte nur nennen: Goebel: .Archegoniatenstudien, und Correns: Untersuchungen über die Vermehrung der Laub- moose durch Brutorgane und Stecklinge. Für die Flechten wäre zu nennen; Zukal: Morphologische und biologische Untersuchungen über die Flechten (aus den Sitzungsberichten der Kaiserl. .Akademie der Wissensch. Wien, Math.-naturw. Klasse, Bd. CIV, Abt. I, l895\ Zopf: Bio- logische und morphologische Beobachtungen an Flechten (Berichte der Deutschen botanischen Gesellsch. 1906 — 07). 2. Ist das im Erscheinen begriffene Werk von R. H. France ,,Das Leben der Pflanze" als Ergänzung zu Kerner's Pflanzenleben anzusehen? Das im Erscheinen begriffene Werk ,,Das Leben der Pflanze", von dem jetzt die 30. Lieferung vorliegt, ist als ein selbständiges Werk zu betrachten. Es enthält viele interessante Beobachtungen, die sich in Kerner's Pflanzenleben nicht finden und es kann nur jedem Naturfreund und Fachmann auf das Wärmste empfohlen werden. P. Beckmann. Herrn H. in C. — Sie fragen nach dem „Wert" des France'schen Werkes „Das Leben der Pflanze" und wollen gerade von mir ein Urteil. In der vorstehenden Beantwortung von Herrn Dr. Beckmann finden Sie das Werk gelobt, Dr. Ginzberger in Wien , den ich ebenfalls als zuverlässig kenne, hat es in der Naturw. Wochenschr. getadelt. Ich selbst ver- mag ein Urteil nicht abzugeben , da mir das Werk nicht zu Gesicht gekommen ist. P- Herrn W. B. in Blankenburg. — An den Eichen- wurzeln sitzen Mycelstränge, deren Zugehörigkeit zu einem höheren Pilz sich nicht feststellen läßt. Es müßte erst näher untersucht werden, ob nicht in der Nähe Fruchtkörper eines Basidiomyceten oder an den Wurzeln selbst diejenigen eines Pyrenomyceten auftreten. G. Lindau. Herrn P. Fl. München mache ich im Anschluß an seine Frage rücksichtlich der Literatur der Pflanzengallen darauf aufmerksam, daß Herr Dr. H. Roß, Kustos am Kgl. Botan. Museum in München, zu den eifrigsten Gallenforschern und Gallenkennern gehört. Eine seiner Arbeiten auf diesem Gebiete „Die Gallenbildungen der Pflanzen, deren Ursachen, Entwick- lung, Bau und Gestalt. Ein Kapitel aus der Biologie der Pflanzen mit 52 Te.xtfiguren und einer Tafel. Verlag von Eugen Ulmer, Stuttgart 1904. Preis geheftet 2 Mark" habe ich l9oq in Natur und Schule besprochen. Th. Bail. Herrn K. B. in Schweinfurt. — Über die Entstehungsweise des von Ihnen übersandten „Stückes Quarz" ließe sich eine ein- deutige Erklärung nur geben, wenn man die Verhältnisse des primären Muttergesteins genau kennte. Die Grundmasse dieses Gesteins kann ein durch Kieselsäure-Zement verkitteter (quarziti- scher) Sandstein gewesen sein, der (stellenweise?) von kreuz und .[uerverlaufenden Spalten und Spältchen durchsetzt war, die sich mit reinem Quarz ausfüllten. Bei der Anwitterung dieses Gesteins treten dann die resistenteren — weil aus reinem Quarz bestehenden — Spaltenausfüllungen aus dem schneller verwitternden Sandstein reliefartig hervor, ein Vorgang, der im kleinen dasselbe ist wie z. B. die Blofilegung des „Pfahl" genannten Quarzganges im Böhmerwald. Es kann sich aber auch in dem Stück um eine lokale Knollenbildung in einem sonst vielleicht ziemlich lockeren Sandstein handeln; in diesem Fall würden z. B. die Septarien des Septarientons ein Ana- logon darstellen. Diese Knollen weisen im Innern vielfache Klüfte und Risse auf, die auf Schrumpfungserscheinungen beruhen dürften. In unserem Falle würde das die Bildung der härteren Knolle im Sandstein veranlassende Kieselzement wiederum diese Spalten ausgefüllt haben; die Verwitterungs- 784 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 49 bcdingungen würden auch jetzt die gleichen wie vorher sein. — Was sich die Herren , die das Stück für „Zufallsgcbilde" erklärten, gedacht haben, ist mir unklar; wenn sie damit den Gedanken, daß es sich um einen organischen Rest handele (Fossil), zurückweisen wollten, hatten sie natürlich recht. Dr. W. G. Herrn H. Barfod, Kiel. — Die ganz überwiegende, weitaus größte Menge des in der Natur vorhandenen Kalk- karbonats ist organogen und zwar sind es sowohl Tiere (z.B. Korallenkalke 1, als auch Pflanzen, namentlich Algen (vgl. die Dasycladaceenkalke, Gyroporellenkalke der Trias), die den Niederschlag dieser ungeheuren Kalkmengcn aus dem Meer- wasser bewirkt haben. Noch in der Gegenwart findet sowohl im Meere (Globigerinenschlamm usw.) wie im Süßwasser (Seekreide usw.) die Aufhäufung von Kalkmassen in ausge- dehntem Maße statt und so ist es in allen geologischen Formationen gewesen. Man kann dem Kalk jetzt zwar oft genug die organische Herkunft nicht mehr ansehen, so z. B. dem Marmor, der durch Kontaktmetamorphose verändert ist, wie auch viele andere Kalksteine, namentlich des Archaicums, indes ist es zweifellos, daß fast alle größeren Kalkstein- anhäufungen organogenen Ursprungs sind. Magmatisch .aus- geschiedenen Urkalk kennt man nicht. Dagegen tritt Kalk- karbonat als Zersetzungsprodukt anderer Gesteine auf und ist dann natürlich nicht organogen. Dies ist z. B. bei dem Kalkspat, der sich in Blasenräumen von Diabasen und Mela- phyren findet, der Fall; dieser rührt von der Zersetzung des Plagioklases ( Kalk - Natronfeldspat) dieser Gesteine durch COo-haltige Wässer her und wird in den Hohlräumen des Gesteins abgesetzt (Diabasmandelstein usw.). Zuweilen braust das Gestein selbst beim Betupfen mit HCl, ein Zeichen, daß die Karbonatisierung des Plagioklases im Gange ist, der Kalk aber noch nicht ausgelaugt ist. Theoretisch könnten also durch Auslaugung solcher Gesteinskomplexe vermittels zutage gehender Quellen, besonders heißer Quellen, einmal größere Absätze von Kalkkarbonat zustande kommen (vgl. den Karls- bader Sprudel); ob solche nachgewiesen sind, ist mir nicht bekannt. Der größte Teil des aus Quellen abgesetzten Kalkes (wie z. B. auch der der Tropfsteinhöhlen) ist ja im Grunde organogen, da er, soweit verfolgbar, aus .Ablagerungen stammt, die aus organogenem Kalk bestehen. Dr. W. G. Herrn P. J. S. in Hamburg. — Nach J. Thomson sinkt der Schmelzpunkt des Wassers bei Drucksteigerung für eine Atmosphäre um 0,0075". Demnach müßte bei Erniedri- gung des Druckes, also auf Bergen, der Schmelzpunkt höher als o" C = 32" F liegen. Wenn Sie in Denver Col. das Gefrieren bei 51" F beobachteten, also eine Gefrierpunkts- erniedrigung feststellten, so kann dies also nicht auf den ver- minderten Lultdruck, sondern muß auf Verunreinigung durch aufgelöste Salze zurückgeführt werden. Destilliertes Wasser müßte schon bei 32" F gefrieren. Übrigens zeigen ältere Thermometer zwar meist etwas zu hoch, doch kann gelegent- lich die Nullpunktskorrektion auch positiv sein, so daß Ihre Beobachtung sich auch durch Benutzung eines ungenau ge- eichten Thermometers erklären konnte. Herrn Dr. P. M. in Niederlößnitz u. Herrn D. im Haag. — Es gibt allerdings eine Diffusion auch bei festen Körpern, insbeson- dere bei Met.allen. Ein mit leichtem Druck auf einen Kupfer- zylinder aufgesetzter Zinkzylinder erzeugt nach längerer Zeit bei 200 bis 400" an der Grenzschicht Messing. Ebenso wandert Gold in Blei, aber die Diffusionsgeschwindigkeit im lesten Zustande verhält sich bei diesen Metallen zu derjenigen im lUissigen Zustand nach Roberts-Austen wie l zu 365 000. Auch eine Verdunstung der Metalle wird wegen des eigen- tümlichen Geruches derselben von manchen Physikern (z. B. Zöllner) angenommen. Jedoch konnten wir nirgends in der physikalischen Literatur einen Hinweis darauf finden, daß eine aus dieser Ursache resultierende Massenabnahme bis jetzt je- mals beobachtet worden wäre. Dementsprechend dürfte die in der eingesandten Zeitungsnotiz gemachte Angabe , daß bei Goldsendungen erhebliche Verluste entstünden , da das Gold durch die Verpackung ,, ausschwitze" , eine Zeitungsente sein, wie sie sich gelegentlich auch in den bestredigierten Tages- zeitungen finden. Herrn Dr. C. E. H. in Radebeul. — Wir können unser Arbeitsgebiet nicht unbegrenzt ausdehnen und müssen Sie bitten, sich mit rein technischen Fragen an Techniker bzw. technische Zeitschriften zu wenden. Unter ,, Bremsstrom" der elektrischen Bahnen dürfte man den beim Bremsen und .An- fahren durch Vorschaltwiderstände oder Nebenschlüsse geleiteten Strom verstehen, der zu Heizzwecken ausgenutzt werden kann, wenn die Widerstände unter den Sitzbänken angebracht sind. Herrn San.-R. S. — In der in Nr. 36 der Naturw. Wochenschr. gemachten Bemerkung betreffend Beseitigung des stechenden Geruchs von Mist wird uns von der Geschäftsstelle des Deutschen Gips-Vereins (Berlin) geschrieben. Wir möchten hierzu bemerken, daß der stechende .\mmo- niakgeruch, der aus dem Stallmist entweicht, auf die einfachste Weise durch Einstreuen von Düngegips verhindert werden kann. Es genügt dafür eine Menge von I bis 2 kg täglich für das Haupt-Großvieh. Das Einstreuen von Düngegips bindet das für die Landwirtschaft so wertvolle Ammoniak, welches sonst nutzlos entweicht. Das häufig auftretende Tränen der .Augen der im Stall gehaltenen Tiere hört mit dem Ein- streuen von Düngegips sofort auf. Düngegips wird durch außerordentlich feine Mahlung der in der Natur vorkommenden Rohgipssteine hergestellt; andere Zusätze erhält er nicht. Die Wirkung des Düngegipses beruht darauf, daß das im Dung enthaltene kohlensaure Ammoniak sich durch die Heigabe von Düngegips in schwefelsaures Ammoniak verwandelt, welches im Gegensatz zum kohlensauren Ammoniak nicht flüchtig ist. In der Formel ausgedrückt würde sich also der Vorgang folgendermaßen gestalten : CaSOi + (NHJ, CO3 = CaCOj + (NH^)^ SO^,. Herrn D. in Thale. — Beck von Mannagetta, Flora von Nieder-Üsterreich. Herrn M. in P a t s c h k a u und Herrn Dr. R. in M ü n c h e n. — Nehmen Sie Sturm 's Flora von Deutschland, 2. Aufl. (Lutz in Stuttgart), die billig und dabei gut bunt illustriert ist, daneben aber noch eine andere kleinere Flora (z. B. Potonie's Illustrierte Flora von Nord- und Mittel-Deutschland), da in dem ersten Werk die Nomenklatur stellenweise nicht die übliche ist. Herrn Dr. R. wird das erstgenannte Werk allein genügen. Herrn Dr. V. in Nid da. — Wir können Ihnen zur ele- mentaren Einführung in die Chemie sehr empfehlen Stöck- hardt's ,, Schule der Chemie", die im Verlage von Friedr. Viewcg & Sühn in Braunschweig in 20. Aufl. (besorgt von Lassar-Cohn) erschienen ist. Inhalt: W. Schmidt: Linseniehler. — Kleinere Mitteilungen: Dr. C. Brück: Die biologische Difi'erenzierung von Afi'enarten und menschlichen Rassen durch spezifische Blutreaktion. — A. Jacobi: Ein Schrillaparat bei Singcicaden. — Th. Wulf: Elektrometer für statische Ladungen. — II. Er d mann: Feste Luft. — R. Daunen berg: Verwen- dung des Zinksulfidschirms zur Demonstration von Wurmestrahlung und als Röntgenschirm. — BücberbesprechunRen : Jahresbericht der pathogenen Mikroorganismen. — Prof. Dr. Martin Heidenhain: Die Grundlagen der mikroskopi- schen Anatomie, die Kerne, die Centren und die Granulalehre. — Newcomb's Astronomie für jedermann. Robert Lüpke: Grundlage der Elektrochemie auf experimenteller Basis. — Anregungen und Antworten. Dr. Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. M. Potonie, GroS-Lichterfelde-West b. Berlin. Druck von Lippert S Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutschen Gesellschaft für volkstümliche Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potonife und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Nene Folge VI. Band; der ganzen Reibe XIII. Band. Sonntag, den 15. Dezember 1907. Nr. 50. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten, wie bei der Expedition. Der |ii Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate : Die zweigespaltene Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. Die Natur der Erdbeben und die moderne Seismologie. [Nachdruck verboten.] Bis vor wenigen Jahrzehnten wurde die Erd- bebenforschung nur so nebenher, als ein Anhang zur Geologie, betrieben, .^ber dank dem ziel- bewußten Streben einer Reihe von hervorragen- den Männern der Wissenschaft, welche umsich- tigen Gebrauch von leistungsfähigen instrumen- tellen Hilfsmitteln machen, hat sich die Seis- mologie nunmehr zu einer mächtig empor- blühenden, selbständigen Wissenschaft entwickelt, zu einer wahren Physik der Erde. Namentlich in der allerletzten Zeit überstürzen sich geradezu Forschungsergebnisse von der weit- tragendsten Bedeutung, so daß es geboten er- scheint das Erreichte einmal kurz und übersicht- lich zusammenzufassen, sich Rechenschaft abzu- legen von seiner Tragweite für den Moment und für die Weiterentwicklung. Dabei gestattet mir der günstige Umstand, daß von selten eines be- rufenen Geologen wie W. Branco') an dieser Stelle bereits ausführlich über die bei den Erd- beben in Betracht kommenden geologischen Er- scheinungen gesprochen worden ist, meine Aus- führungen in dieser Hinsicht auf das Allernotwen- digste zu beschränken. ') W. Branco, „Über ,die Ursachen der Erdbeben.' Naturw. Wochenschr. 1901/02, S. 445 ff. \'on August Sieberg, Straßburg i. E. Als Erdbeben betrachtet man be- kanntlich Erschütterungen des Erd- bodens, welche aus mehr oder minder großen Erdtiefen an die Erdoberfläche emporquellen. Wie wir sehen werden, wird ihr Wesen der Hauptsache nach bestimmt durch plötzliche Verschiebungen der Gesteins- schollen , welche mit ihren mannigfaltigsten Material- und Strukturverhältnissen die bunte Mosaik bilden, als welche wenigstens die uns zu- nächst gelegenen Erdrindenteile aufzufassen sind. Indem aus irgendwelcher Veranlassung an einer Stelle das labile Gleichgewicht der Schollen ge- stört wird, so daß die Schollen in eine neue Gleichgewichtslage hineinschwingen, wird seis- mische Energie frei. Namentlich 'infolge der gleitenden Reibung an den unebenen Schollen- rändern oder neu entstandenen Bruchflächen ent- stehen heftige Erschütterungen, welche die der Gleitfläche nahen Schollenteile in elastischen Schwingungen kurzer Periode erzittern lassen. Immer weitere Gesteinsmassen werden von diesen Schwingungen ergriffen, so daß sie schon bald an der Erdoberfläche gefühlt werden. Dort machen alle Gegenstände die Schwingungen gleichsam als umgekehrte Pendel mit: ihre höher gelegenen Teile bewahren infolge der Trägheit momentan 786 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. SO ihre Ruhe, dann setzen aber auch sie sich in Be- wegung und die verschiedenen Teile schwingen gegeneinander. Je schneller nun die einzelnen Schwingungen aufeinanderfolgen, je kürzer also ihre Perioden sind, desto verheerender gestalten sich ihre Wirkungen, indem allenthalben der Zusammen- hang sich lockert; umgekehrt finden bei langsamen Bewegungen die von ihnen ergriffenen Gegen- läufern die Geschwindigkeit des F"ortschreitens mit dem Abstände vom Epizentrum wächst. Diese Beobachtung zeigt aber, daß die langen Wellen an der Erdoberfläche dahinziehen, während die Vorläuferwellen in die Erdtiefe hinabsteigen, wo sie Wege schnellerer Fortleitung finden. Einige von H. Benndorf^) abgeleitete Zahlenwerte mögen das Gesagte präzisieren : Epizentralentfernung : i,o 2,0 4,0 6,0 8,0 10,0 12,0 14,0 16,0 18,0 20,0 IVIegameter *J Erste Vorläufer Vj Zweite „ V, Lange Wellen B Erste Vorläufer Vj Zweite „ V^ Lange Wellen B 2,1 4,2 4,4 10,3 5,9 3,8 Laufzeiten. 3,6 6,5 9,1 11,3 13,2 14,8 16,0 16,9 17,4 17,6 Minuten 7,0 12,1 16,6 20,5 23,8 26,5 28,6 30,1 31,0 31,3 8,8 17,6 26,4 35,2 44,0 52,8 61,6 70,4 79,2 Oberflächen-Fortpflanzungsgeschwindigkeiten. 10,9 12,3 13,9 16,2 19,4 24,2 31,4 46,3 87,7 6,2 6,9 7,9 9,3 11,1 13,9 18,5 27,8 55,6 3,8 3,8 3,8 3,8 3,8 3,8 3,8 3,8 3,8 88,0 00 km pro Sek. °° „ 3,8 „ „ -, *) I Megameter = 1000 km. stände genügend Zeit, sich als Ganzes der Be- wegung unmerklich anzuschmiegen. Da die Ab- sorptionsfähigkeit der Erdrinde für kurzperiodische Schwingungen eine sehr große ist, so hat man zu erwarten, daß die Erdbebenstöße am stärksten gefühlt werden in dem Gebiete, welches senk- recht über dem unterirdischen Bebenherde oder „Hypozentrum" gelegen ist, im sog. „Epizentrum"; dies trifft denn auch wirklich im allgemeinen zu und schon wenige lOO km vom Epizentrum ent- fernt hört die Wahrnehmung durch die mensch- lichen Sinnesorgane auf Jenseits dieser ,, makroseismischen" Zone, des „Schüttergebietes", dessen Durchmesser mit wach- sender Herdtiefe zunimmt, im sog. „mikroseis- mischen" Gebiete, vermögen die feinfühligen Erd- bebenmeßinstrumente oder „Seismometer" nicht allein den Vorüberzug der Erdbebenwellen nach- zuweisen, sondern die Einzelwellen auch nach Art und Form aufzuzeichnen. So wird die flüchtige Erscheinung im Bilde festgehalten und der nach- träglichen Untersuchung zugänglich gemacht. Die instrumenteilen Erdbebenregistrierungen , die „Seismogramme", zeigen von einer gewissen Epi- zentralentfernung ab ihre typische Ausbildung. Drei „Phasen", Gruppen von zusammengehörigen Wellenzügen, sind dann zu unterscheiden, welche man als die „ersten (V,) und zweiten (V,) Vor- läufer", sowie als die „langen Wellen des Haupt- bebens (B)" bezeichnet. Bestimmt man aus den verschiedenenorts angestellten Registrierungen ein und desselben Bebens die Geschwindigkeit, mit der die seismischen Wellen am Seismometerstand- orte eintreffen , so findet man : Nur die langen Wellen des Hauptbebens behalten, unabhängig von der auf der Erdoberfläche gemessenen Epi- zentralentfernung, für die Geschwindigkeit einen nahezu konstanten Wert, während bei den Vor- Daraufhin können wir, in kurzer Zusammen- fassung der zur Zeit vorliegenden Ergebnisse der instrumenteilen Erdbebenmessung, folgendes Bild (Fig. i) von den die Erdbeben beherrschenden physi- kalischen Verhältnissen entwerfen : Von dem etwa 50 — 100 km unter der Erdoberfläche gelegenen Hypozentrum H aus pflanzt sich die seismische Energie nach allen Seiten hin durch den ganzen Erdball als elastische Schwingungen in der Form kugelähnlicher Wellen fort. Infolge des Dichtigkeitswechsels in den verschiedenen Erdschichten, der sich nach dem Erdmittelpunkt hin in einer Zunahme und damit in einer Ver- größerung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit äußert, sind die Wellenflächen um H herum ex- zentrisch gelagert. Dies bedingt aber eine nach dem Erdinnern zu konvexe Krümmung des „Stoßstrahls" (^ Wellennormale, d. i. eine auf sämtlichen VVellenflächen senkrecht stehende Linie), welcher den Weg der Fortpflanzung der Bebenenergie im Erdinnern nach einer bestimmten Richtung hin darstellt. Im allgemeinen ist der Stoßstrahl ein Kegelschnitt, welcher durch den Erdbebenherd geht und den Erdmittelpunkt zum Zentrum hat, bezüglich seiner Gestalt (Kreis, Ellipse, Parabel oder Hyperbel) aber vom Brechungsindex der durchlaufenden Erdschichten bestimmt wird. Am größten ist die Fortpflanzungsgeschwindigkeit bei Longitudinalwellen , und als solche haben wir die ersten Vorläufer V, aufzufassen, bei denen die an der Erdoberfläche (also längs des Bogens des durch das Epizentrum und die Seismometer- station gelegten größten Kreises) gemessene ') H. Benndorf, „Über die Art der Fortpflanzung der Erdbebenwellen im Erdinnern. I. Mitteilung." Neue Folge, Nr. XXl.X der Mitteilungen der Erdbebenkommission der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien. Wien 1905. N. F. VI. Nr. qo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 787 „scheinbare" I*"ortpflanzungsgeschwindigkeil im Mittel :4,i km pro Sekunde beträgt. Etwas mehr als halb so groß ist die P'ortpflanzungsgesch win- digkeit bei Transversalwellen, wie es die zweiten Vorläufer V., mit einer mittleren scheinbaren Fortpflanzungsgeschwindigkeit von 7,5 km pro Sekunde sind. Im Epizentrum erzeugen die aus- tretenden „Kugehvellen" senkrecht von unten nach oben gerichtete Stöße. Nach dem Huyghens- schen Prinzip muß nun das Epizentrum'wiederum seine eigenen Wellenzüge entsenden, und zwar Transversalwellen, welche jedoch längs der Ober- NAHBL6EK OnTSBEBtN ■ [nlfacruitale ^c,' ErilaffungikfuS'e StD5»trahl von Fig. I. Schematische Darstellung der Fortpflanzung der seismischen Wellen und ihres Erscheinens im Seismogramm. Nacli A. Sieberg. fläche der Erde ihre Kreise ziehen. Diese „Ober- flächenwellen", deren mittlere Geschwindigkeit nur 3,8 km pro Sekunde beträgt, veranlassen gewöhn- lich in großen Epizentralentfernungen die größten Schwingungen des Erdbodens und fallen somit in den Seismogrammen am meisten auf, weswegen diese Phase eben die Bezeichnung ,, Hauptbeben" B führt. Die Ansichten über die Natur der langen Wellen sind noch geteilt. Während man sie eine Zeitlang als eine Art Gravitationswellen („Neigungs- wellen") der äußeren Erdkruste betrachtete, ge- winnt jetzt mehr und mehr die Anschauung an Boden, es handle sich um elastische Verschiebungs- wellen; hat doch Schlüter den Nachweis er- bracht, daß die durch diese Wellenbewegung her- vorgerufenen Bodenneigungen sehr klein und jeden- falls nicht meßbar sind. Die bisher besprochenen Beobachtungen werfen ein bedeutungsvolles Licht auf die Beschaffenheit des Erdkörpers. Elastizitätswellen, die sich nahezu parallel einer Kugeloberfläche fortpflanzen, ergeben notwendigerweise einen gegen den Erdmitteljiunkt konkav gekrümmten Stoßstrahl in Gestalt eines Kreises oder einer Spirale mit eng aneinander liegenden Win- dungen. Dieses erfordert nach dem Brechungsgesetz innerhalb der vom Wellenstrahl durchlaufenen Schicht eine gegen den Erdmittelpunkt hin abneh- mende Fortpflanzungsgeschwindigkeit, was mit den Beobachtungen über die Vorläuferstrahlen in Widerspruch steht. Jedoch verschwindet dieser Widerspruch unter der Annahme einer der Erdober- fläche verhältnismäßig nahen , dünnen Schicht, in welcher vom übrigen Erd- körper abweichende Brechungsverhält- nisse herrschen. Bereits im Jahre 1897 folgerte E. Wiechert aus der Erdab- plattung, dem Gezeitenphänomen usw., daß die Erdrinde aus einem Eisenkerne und einem diesen umhüllenden Gesteins- mantel bestände, dessen Dicke sich zu ein Fünftel des Erdradius ergäbe. In- dem er neuerdings ^) die Ergebnisse der Erdbebenbeobachtungen in seine Unter- suchungen einbezog, fand er seine frühere Annahme bestätigt. J. M i 1 n e leitete jedoch 1903 aus seismometri- schen Messungen eine Schalendicke von nur ein Zwanzigstel des Erdradius ab. Unlängst hat auch Benndorf-) sich mit dieser Frage beschäftigt. Mit Hilfe einer geometrisch-synthetischen Methode versuchte er, allerdings an der Hand noch recht dürftigen Beobachtungsmaterials, die „wahre", also längs des Stoßstrahls gemessene, Fortpflanzungsgeschwindigkeit der ersten Vorläufer im Erdinnern zu berechnen. Dies führte zu unten- stehendem Ergebnis. ') E. Wiechert, „Was wissen wir von der Erde unter uns?" Deutsche Rundschau, September 1907. ^) H. Benndorf, II. Mitteilung der vorher zitierten Unter- suchung. Wien 1906. 19 20 19 AntiEDicefirrum Radiusvektor: 0,0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,85 0,90 0,95 0,975 1,00 Erdradius Brechungs- exponent: 0,35 0,35 0,35 0,35 0,35 0,36 0,38 0,44 0,49 0,50 0,50 0,54 0,63 1,00 Wahre Fort- pflanzungsge- schwindigkeit vonV,: 15,7 15,7 15,7 15,7 15,7 15,3 14,5 12,7 11,3 11, i 10,0 10,3 8,8 5,5 km pro Sek. 788 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 50 Das heißt also: Im Erdmittelpunkt besitzt die Fortpflanzungsgeschwindigkeit ein Maximum und nimmt kontinuierlich gegen die Erdoberfläche zu ab; bei etwa '5 des Erdradius tritt ein Stillstand in der Abnahme, eventuell sogar ein kleiner An- stieg ein, der anhält, bis etwa bei '".,„ des Erd- radius ein rapides Absinken auf den Oberflächen- wert beginnt. Dieses typische Verhalten steht einerseits in guter Übereinstimmung mit der VV i e c h e r t ' sehen Theorie, was als ein die Richtig- keit bestätigendes Moment von Wert ist, anderer- seits deutet es die Existenz der von Milne und auf anderer Grundlage auch von W. Läska (1904) angenommenen äußersten Erdkruste von ' .j,, Erd- radiusdicke an. Trotzdem wir erst im Anfangsstadium der- artiger Untersuchungen stehen, geht doch klar aus den bisherigen Ausführungen hervor, daß die seis- mometrischen Beobachtungen dazu berufen und in der Lage sind, uns die Kenntnis der physi- kalischen Verhältnisse nicht allein der Erdrinde, sondern des gesamten Erdballs zu vermitteln. Wenn der Altmeister der Geologie, C. F. Nau- mann, noch sagen mußte: „Jene ungeheueren Massen, welche unterhalb des Gesteinsmantels der Erde liegen, sind unserer Beobachtung und Unter- suchung so unerreichbar entrückt, daß man es aul den ersten Blick für ein verwegenes und frucht- loses Beginnen halten möchte, irgend etwas Be- stimmtes über ihre Beschaffenheit ermitteln zu wollen," so hat dies jetzt seine Berechtigung ver- loren. Denn von jetzt ab muß uns Auskunft geben der aus ewiger Teufe emporsteigende Erd- bebenstrahl, der vieles von dem gesehen hat, was es da unten gibt; ihn heißt es zum Sprechen zu bringen. Was das Spektrometer für die Erkennt- nis des Weltalls leistet, das leistet das Seismo- meter für die Erkenntnis des Erdinnern. Die Oberflächenwellen nehmen, wenn man das Epizentrum als Pol betrachtet, bis zum Äquator an Energie ab, von dort bis zum gegenüberliegen- den Pole, dem „Gegenpunkt" oder „ Antiepizentrum", wieder zu ; da aber ein Teil der Energie auf dem langen Wege durch Absorption verloren geht, so beträgt nach den Untersuchungen von G. Angen- heister^) die im Antiepizentrum gesammelte Energie nur noch den 490. Teil der ursprünglichen (= ^/.22 der Amplitude der wahren Bodenbewegung). Nunmehr übernimmt das Antiepizentrum die Rolle des Epizentrums; die von ihm ausgesandten Ober- flächenwellen, ,,WoWellen", weisen bei ihrer Rück- kehr am Epizentrum nur noch den 242 500. Teil der ursprünglichen Energie auf (= ^l^,,„ der wahren Amplitude). Dieses Hin- und Zurück- strömen hält so lange an, bis sämtliche Energie ') G. Angenheister, Bestimmung der Fortpflanzungs- geschwindigkeit und Absorption von Erdbebenwellen, die durch den Gegenpunkt des Herdes gegangen sind. Nach- richten von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, mathem.-physik. Klasse 1906, S. Iiofi'. — Der- selbe, Seismische Registrierungen in Göttingen im Jahre 1905. Fbenda S. 357 ff. aufgebraucht ist; jedoch konnten ,,W,j-Wellen" bisher nur selten mehr beobachtet werden. Aus den bisherigen Erörterungen erhellt ohne weiteres, daß die Wellen der einzelnen zusammen- gehörigen Gruppen, der ,, Phasen" im Seismogramm, um so später nacheinander eintreffen, je weiter der Seismometerstandort vom Epizentrum entfernt ist; umgekehrt gibt uns also die Länge der einzelnen Phasen im Seismogramm ein Mittel an die Hand, den Abstand des Epizentrums von der Beobach- tungsstation zu berechnen. Unter den zahlreichen, für diesen Zweck empirisch abgeleiteten Formeln gibt für Fernbeben, d. h. für eine Epizentralent- fernung der Seismometerstation von etwa 2000 — 12000 km, die einfache, im Kopfe vorzunehmende Berechnung nach der sog. „Läska 'sehen Regel" erfahrungsgemäß die besten Werte. Sie besagt: (V„ — Vj) Minuten — i = x Megameter, d. h. in Worten : die in Minuten ausgedrückte Differenz der Eintrittszeiten der ersten und zweiten Vorläufer, vermindert um eine Einheit, ergibt die in Megametern ausgedrückte Epizentralentfernung. Es ergibt also eine Dauer der ersten Vorphase von 10,7 Minuten eine Epizentralentfernung von 9700 km. So rein, wie man nach den bisherigen Er- örterungen erwarten sollte, zeigen sich die Wellen im Seismogramm im allgemeinen nicht. Die Erde, welche die Bebenwellen fortleitet, ist, wie wir sahen, ein diskontinuierliches Medium, infolge- dessen die Wellennormale mancherlei Brechungen erleidet; Erdschollen, die eine von der ursprüng- lichen Wellenperiode verschiedene Eigenperiode besitzen, absorbieren einen Teil der Wellenenergie und strahlen sie mit ihrer Eigenperiode wieder aus. Vor allem die Oberflächenwellen werden durch mancherlei örtliche Verhältnisse,beispielsweise Quertäler, Reflexion an Gebirgsmassen usw. in ihrer Richtung und Intensität geändert. Die Vor- läuferwellen erleiden beim Auftreffen auf die Erd- rinde totale Reflexion, und diese reflektierten Wellen sind im Seismogramm häufig nachweisbar. Dies alles tritt schon dann auffällig in die Er- scheinung, wenn der Bewegungsimpuls im Hypo- zentrum nur einen einzigen Stoß bildete, wird aber um so stärker mit der Anzahl der Stöße; überhaupt wird man es in der Mehrzahl der Fälle mit einer Reihe von Stößen zu tun haben, da sich einesteils infolge der Elastizität der Scholle, anderseits wegen der nachträglichen Auslösung kleiner Spannungen die Ruhe erst allmählich ein- stellen wird. Es ist demnach schon eo ipso zu erwarten, daß den Wellen der normalen Phasen, namentlich aber den „langen Wellen", sekundäre Wellenzüge verschiedener Periode übergelagert (superponiert) sind, die mitunter die Normal welle kaum erkennen lassen. Nach ihrer Ausbildungsweise kann man fol- gende 3 Typen von instrumenteilen Erdbeben- registrierungen (F"ig. i) unterscheiden: I. Ortsbeben, im Epizentralgebiete. Infolge N. F. VI. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 789 des kurzen Weges tritt im .Seismogramm eine Differenzierung der einzelnen Wellenarten nicht ein. Jeder der einzelnen kurzperiodischen (ca. '„ — 5 Sek.) Stöße macht sich als solcher im Seismogramm bemerkbar, worauf die Nach- läufer als Folge des allmählichen Ausklingens der Eigenschwingungen der Scholle einsetzen. 2. Nahbeben, mit einer Epizentralentfernung bis zu 1000 km. Bei ihnen ist nur eine Vor- phase erkennbar mit W'ellenperioden von I — 6 Sek. Dann treten sogleich die langen Wellen des Haupt- bebens mit Perioden von ca. 10 Sek. auf, woran sich die Nachläufer reihen. 3. Fernbeben, mit mehr als lOOO km Epi- zentralabstand. Auf die ersten Vorläufer folgen der bekannten Erdbebenkatastrophe zu San Fran- cisco am 18. April 1906. Wenn man dabei be- achtet, daß jede Unterbrechung der Kurve einer Minute entspricht, daß ferner die Entfernung zwischen San Francisko und Straßburg 9700 km beträgt, dann kann man sich leicht selbst von der Zuverlässigkeit der L;iska'sehen Regel überzeugen. Auch vermag man selbst an der Hand der mit- geteilten Eaufzeiten den Zeitpunkt zu bestimmen, in welchem das Erdbeben in San Francisco ein- setzte; zunächst erhält man aus dem Seismo- gramm die Zeit des Meridians von Greenwich, von der man dann noch 8 .'Stunden subtrahieren muß, um die im Westen der Vereinigten Staaten übliche Pazifikzeit zu erhalten. ■'•('»> 45m \B '"= r.o... "^^ '' Vv/\ /^^ /\^^\J\ yv^ I 13/, .'".?/» .?flm — t*-**^ .^^y%,/VV^VVvV1«VV.^A'^'v.-V^ \V*^V'.*vi-wv VVW*W.'^.-*%Vw>*vv\ "V \\*\-W"..'VV - \y2 Om öf'm . . 35m \N /J),„ i5m ,'V^-A Fig. 2. Seismogramm eines zerstörenden Ferubebens. Erdbeben zu San Franzisko, registriert am 18. April 1906 zu Straßburg i. E., Epizentralentfernung 9700 km. zunächst die zweiten Vorläufer mit etwas größerer Periode und meist auch Amplitude. Dann folgen die langen Wellen des Hauptbebens, deren Periode zwischen 70 und 20 Sek. schwankt, je nach der Epizentralentfernung. Das Hauptbeben läßt sich noch in drei Unterabteilungen zerlegen, die meist bezüglich der Periode und Amplitude unterschieden sind: zuerst kommen lange Perioden und kleine Amplituden, dann nimmt gewöhnlich die Ampli- tude stark zu, während die Periode zurückgeht, und schließlich werden Periode und Amplitude kleiner. Die .Nachläufer N mit wenig größeren Peri- oden und kleinen Amplituden beschließen die Registrierung. Am klarsten werden diese ver- schiedenen Phasen, wenn man Fig. 2 genau durch- sieht; es ist dies die Straßburger Registrierung Für die Beurteilung der Entstehungsursachen der Erdbeben ist es naturgemäß von größter Wichtigkeit, die Tiefe des Erregungsherdes unter der Erdoberfläche zu kennen. Infolgedessen hat man denn auch bereits frühzeitig versucht, die Herdtiefe zu bestimmen. Als erster hat sich im Jahre 1862 der bekannte englische Erdbeben- forscher R. Mall et bei seiner Untersuchung des großen neapolitanischen Erdbebens vom 16. Dez. 1857 mit diesem Probleme beschäftigt; indem er annahm, die Mauerrisse verliefen senkrecht,;' zum Stoßstrahl des Bebens, rekonstruierte er die Stoß- strahlen als gerade Linien und fand so den ge- meinsamen Schnittpunkt, den gesuchten Reben- herd, in einer Tiefe von lO,6 km. Im Jahre 1873 hat dann K. v. Seebach aus der Zeit des Ein- 790 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 50 tritts der Erschütterung an verschiedenen Orten, und noch später C. E. D u 1 1 o n aus der Intensität der Erdbeben die Herdtiefe abzuleiten versucht. Alle diese und ähnliche Methoden beruhten aber auf der falschen Annahme von der Gradlinigkeit des Stoßstrahls. Dazu kamen noch die Erfahrungs- tatsachen, daß die Gebäudebeschädigungen, Boden- risse und die Stoßrichtung in der mannigfachsten und unkontrollierbaren Weise durch die lokale Bodenbeschaffenheit beeinflußt werden, so daß die Zeitbeobachtungen den schwächsten Punkt bei der Beobachtung von Erdbeben bilden. Wenn man nun auch infolge der Untersuchungen von A. S c h m i d t ( 1 888) die bisher begangenen Fehler schon bald erkannte, so fand man doch erst in aller- neuester Zeit Mittel und Wege, um in der Praxis zu einwandfreien Resultaten zu gelangen. R. V. Kövesligethy') knüpfte an die bereits von Cancani beobachtete Tatsache an, daß die be- rechneten absoluten Werte der „größten Beschleu- nigung" für die einzelnen Grade der empirisch aufgestellten Forel -Mercalli 'sehen Erdbeben- stärkeskala nahezu eine geometrische Reihe bilden: Stärkegrad des Bebens G: 1» II" III» IV» V VI» Grenze der größten ( o^ 2,5 — 5 — 10 — 25— 50 — Beschleunigung /": \ 2,i 5 10 25 ^o 100 Er drückte den Zusammenhang zwischen der Bebenstärke G und der dem Erdboden durch das Beben erteilten Beschleunigung /' durch die Formel aus: G = 0.38 + 3 log r, woraus sich als Unterschied zweier Stärkegrade ergibt : r G — G' = 3 log "^, ganz ähnlich der Gleichung, die in der Astro- physik zwischen der Größenordnung und der Intensität der Sterne besteht. Nehmen wir nun an, es seien h die Tiefe des Erdbebenherdes, r und r' die Abstände jener Punkte der Erdober- fläche vom Herde, in denen die Stärke des Bebens G bzw. G' war. Wenn nun das Erdbeben nichts an Energie verlöre , dann bestände die Beziehung: r:r' = r':r. Nun müssen wir aber annehmen, daß die Erd- rinde die Energie des Bebens stufenweise ver- mindert, absorbiert. Bezeichnen wir den Absorp- tionskoeffizienten inbezug auf die Längeneinheit mit a, dann gibt der Faktor e'" die Verminde- rung der Beschleunigung auf dem Wege r. Be- rücksichtigt man dies, dann ergibt sich: /' r p«(r'— r) Führen wir nun statt der Beschleunigungen die Stärkegrade ein, dann erhalten wir: r' G — G' = 3 log -(- 3« M (r' — r), worm M = log e = 0,43429 ist. Indem wir nun noch für den einen Punkt das Epizentrum nehmen, kommen wir zu der Gleichung : Go — G = 3 log Jl + 3« M (r— h). Diese beiden Gleichungen, welche auf den Vorschlag v. Kövesligethy's zum Andenken an den der Seismologie zu früh durch den Tod entrissenen Italiener A. Cancani als die „Can- canischen Gleichungen" benannt sind, verknüpfen also die beobachteten Stärkegrade eines Erd- bebens mit seiner Herdtiefe und dem Absorptions- koeffizienten der Erdrinde. Auf sie begründete V. Kövesligethy') ein Rechnungsverfahren, und E. V. Jänosi gestaltete es für Spezialfälle weiter aus, welches als Ergebnis die Herdtiefe und den Absorptionskoeffizienten für die kurzperi- odischen Wellen des Erdinnern hat. Der Grad der erzielten Genauigkeit hängt von der Güte des makroseisinischen Beobachtungsmaterials ab. VII» 250 VIII» 250 — 500 IX» 500— X» XI» XII» Kurel-Mercalli 2500 5000 — > 2500 —5000 lOOOO mm/sec' Bisher sind nach diesem Verfahren die nach- stehend bezeichneten Werte durch v. Jänosi, G. Schind 1er und A. Rethly gewonnen worden: (Siehe Tabelle auf Seite 791 ) Diese wenigen Zahlenwerte lassen nun schon nachstehende wichtige Tatsachen erkennen. 1. Die Herdtiefe schwankt zwischen sehr weiten Grenzen; manchmal liegt der Erregungs- herd ganz nahe der Erdoberfläche, manchmal in größerer Tiefe, die jedenfalls bis 200 km, viel- leicht aber auch mehr betragen kann. Immerhin muß man im Auge behalten, daß die Herdtiefen von 102 bzw. 170 km bereits zu zerstörenden Erdbeben mit sehr großem Schüttergebiet gehören. 2. Wie nicht anders zu erwarten, steht die Herdtiefe mit der Bebenstärke in keinem Zu- sammenhang. 3. Dagegen findet die auf theoretischen Er- wägungen beruhende Annahme, daß die Größe des Schüttergebietes mit wachsender Herdtiefe zunimmt, vollauf ihre Bestätigung. 4. Die Absorption der seismischen Energie ist auffallenderweise in den tieferen Schichten der Erdrinde schwächer als nahe der Oberfläche. (Ob dies eine lokale oder allgemeine Erscheinung ist, wird sich erst aus zahlreichen Berechnungen er- geben. Vergleicht man ferner die hier gegebenen Werte mit den von G. Angenheister mitge- ') Mitgeteilt und an einigen Beispielen durchgefülirt in E.V. Jänosi undA. Kethly: „Bearbeitung makroseismischer Erdbeben" S. 83ff., von A. Rethly: „Die Erdbeben in Un- garn im Jahre 1906". Offizielle Publikation der Kgl. Ung. Reichsanstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus. Buda- pest iqoy. N. F. VI. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 791 irdbcben Intensität im Epizentrum l'orel-Mcrcalli Charlcslon, 31. Aug. 18S6 10" Indien , 12. Juni 1897 10» Delmagy;ir 2. April 1901 9V2° l^rdcly c 3. Okt. 1880 Q'/-/ Jukeö I Vi 10. Jan. 1906 90 Jnkeü 11 = 16. Jan. 1906 9" Eger 26. Juni 1903 90 erdtiefe km Absorplions- koeftizient Schüttergebict i|km 102 0,004 1 796 000 170 0,0039 3 970 000 7 — 13 0,020 72 800 10 0,023 62 400 6-11 0,033 29840 5-8 0,048 11386 5 0,049 8800 teilten, die für die Oberflächenwellen eine Absorp- tion der Beschleunigung von 0.000 18 — 0.000 31 pro km ergeben, so zeigt sich, daß die kurzperio- dischen Wellen des Erdinnern viel stärker absor- biert werden als die langen Oberflächenwellen. Wie wir noch sehen werden, haben wir von der I'^ortführung derartiger Berechnungen für Erd- beben der verschiedensten Art höchst gewichtige .Aufschlüsse zu erwarten. Fig. 3. Eruption des Vesuv im April 1906. Photographie von R. Michael. Im Brennpunkte des Interesses steht selbst- verständlich die Frage nach den Ursachen der Erdbeben. Ebenso, wie meist heute noch der Laie, wollte man zu Anfang des vorigen Jahrhunderts sämt- liche Erdbeben als Folgen von Vulkanausbrüchen oder wenigstens versuchten Eruptionen betrachten. Diese Anschauung, der besonders Alex. v. Hum- boldt huldigte, erwies sich jedoch in der P'olge als unhaltbar. Gewiß, sehr viele, aber bei weitem nicht alle vulkanische Eruptionen sind von Erd- stößen begleitet; aber trotz ihrer mitunter großen Heftigkeit bleiben sie durchweg nur auf die aller- nächste Nähe des Feuerberges beschränkt. Einen Beweis liefern wiederum die letzten Vesuvausbrüche im April 1906 (Fig. 3), indem nur die stärksten Erdstöße bis nach Neapel hin gefühlt und bloß an den Erdbebenstationen Mittelitaliens instrumenteil registriert wurden. Selbst die gewaltige Eruptions- periode auf den kleinen Antillen im Jahre 1902 hat nicht eine einzige seismische Registrierung zu liefern vermocht. Nebenbei bemerkt ist dies ein sprechender Beweis dafür, daß die vulkanischen Kräfte ihren Sitz in nahe der Erdoberfläche ge- legenen Magmanestern, A. St Übels „peripherischen Herden", und nicht in dem großen Zentralherde des Erd- innern haben. Späterhin glaubte man, nament- lich infolge der Arbeiten des Schwei- zers O. Volger, ganze Gebirgs- stöcke, wie die Alpen, wären durch die unterirdisch zirkulierenden Ge- wässer unterspült, so daß sich meilen- weite Hohlräume unter ihnen befän- den; brächen diese infolge des Ge- wichtes der darüber lagernden Ge- birgsmassen in sich zusammen, so gäbe es ein Erdbeben. Auch diese Einsturztheorie mußte in ihrem Um- fange ganz bedeutend eingeschränkt werden. Wohl entstehen, namentlich in Kalkgesteinen, durch die wässerige Auslaugung Hohlräume, welche unter Bebenerscheinungen einstürzen kön- nen; erinnert sei nur an die dahin zu rechnenden Erdbeben in den Karstgebieten und in den Kalkalpen. Aber ebenso klein und ebenso nahe der Erdoberfläche wie diese Erdbeben sind, ebenso räumlich beschränkt sind die damit verbundenen kurzen und ruckartigen, jedoch mit- unter recht starken Erderschütterungen, die zudem nur selten auftreten. Die Erdbeben von weiter Erstreckung, langer Dauer und anhaltender Heftigkeit sind das äußer- lich fühlbare Zeichen der Auslösung vonSpannungs- zuständen in der festen Erdrinde, welche Lagen - änderungen der Gesteinsschollen oder „Disloka- tionen", wie der Geologe sagt, seien es nun Fal- tungen, Zerreißungen, Senkungen, Hebungen und Verschiebungen der Felsmassen, im Gefolge hat. Nach der heute am weitesten verbreiteten An- schauung, die J. D. Dana begründet, A. Heim und namentlich E. Sueß weiter ausgebaut hat 792 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 50 beruhen diese Bewegungsvorgänge in der festen Erdrinde auf der Abkühlung des ehemals glut- flüssigen Erdballs. Heute noch soll das Erdinnere durch stetige Wärmeausstrahlung in den kalten Weltenraum stetig, wenn auch langsam schrumpfen; die bereits erkaltete Erdrinde könne sich aber dem kleiner werdenden Kerne nur dadurch an- passen, daß die Schollen sich zusammendrängen, und übereinanderschieben. Dadurch seien die Großformen im Relief des Erdballs entstanden, die gewaltigen Becken der Ozeane, die zerstückelten Schollenländer und die hochaufgetürmten Falten der jugendlichen Kettengebirge. Gleichzeitig ') verhelfen die Schollenbewegungen dem Glutbrei der Erdtiefen, dem Magma, hin und wieder zum Durch- bruch in vulkanischen Eruptionen, wie denn auch die Vulkane, die erloschenen sowohl wie die tätigen, in engstem Zusammenhange mit den ge- birgsbildenden Vorgängen angetroffen werden. Welches nun auch die Ursachen sein mögen, soviel steht jedenfalls sicher, daß unter dem Einflüsse über- gewahiger Schubkräfte in der Erdrinde Spannungen zwischen und in den Schollen entstehen. Gelangt nun eine solche Spannung plötzlich zur Auslösung, so treten vertikale und horizontale Verschiebungen der Schollen und mit ihnen Erdbeben ein. Da diese Erdbeben mit der Architektur der Erdrinde bzw. mit den gebirgsbildenden Vorgängen in eng- ster Beziehung stehen, bezeichnet man sie als tektonische oder Dislokations-Erdbeben. Daß diese inneren Spannungen des Ge- steins wirklich vorhanden sind, wird sinnenfällig dort bewiesen, wo ihr Gleichgewicht durch Offnen eines unterirdischen Hohlraumes zerstört wird, also in Bergwerken und Tunnels, unter besonders günstigen Verhältnissen sogar in Steinbrüchen. Hier wird nicht allein die Sohle gewölbeartig ABCD'Zoite starker OKm T-erstorung Clara c H'ollrsler Monterey ■- iMg. 4. Übersichtskarte des Erdbebens in Kalifornien am 18. April 1906. emporgetrieben, sondern häufig sprin- gen auch von der freigelegten Ober- fläche ohne vorhergehendes Anzei- chen, begleitet von heftigen Deto- nationen, Gesteinsplatten ab , deren Dimensionen mehrere Kubikmeter erreichen, während kleinere Gesteins- stücke mehrere Meter weit geschleu- dert werden; die Bergleute bezeich- nen diese Erscheinung als Berg- schlag, knallendes Gebirge usw. C. Schmidt") in Basel hat sich ge- legentlich der Arbeiten am Simplon- tunnel eingehend mit dieser Erschei- nung beschäftigen müssen und dabei die bisherige einschlägige Literatur, namentlich über Bergschläge in Kohlengruben, sorgfältig zusammen- Fig. Erdbebenspalte, Kalifornien 18. April 1906, südlich der Tomales Bay. Photographie von J. F. Newson. ') Vgl. Naturw. Wochenschr. Jahrg. IV, 1905, S. 808-810. ■^) C. Schmidt, „Untersuchungen über die Standfestigkeit der Gesteine im Simplon- tunnel. Gutachten abgegeben an die Gcneral- direktion der Schweizerischen Bundesbahnen". Bern 1907. N. F. VI. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 793 gestellt und herangezogen. Seinen Untersuchungen ist zu entnehmen, daßdasAuftreten vonRergschlägen an die petrographischen Eigentümliclikeiten und die Art der Schiclitenlagerung gebunden ist : flach- liegende Schichten zeigen Bergschläge, steilstehende aber nicht. Dazu kommt der Druck der über- lastenden Gesteinsmasseii , sowie in gewissem Grade die Art und Intensität der gebirgsbildenden Dislokationen : an den Gewölbeumbiegungen muß beispielsweise die innere Spannung eine andere sein als in den Gewölbeschenkeln usw. Speziell für die Erdbebenforschung ist dabei von Interesse, daß die Hergschläge in Gruben auch über Tag wahrnehmbar sein und, wenn sie besonders stark sind, sich in Kr- scheinungen äußern sollen, die den- sie in Beziehungen zu Bergschlägen in den Flözen des Ruhrkohlenbeckens. Nach den gleichfalls von Schmidt zitierten Mitteilungen von F. IVlladek beobachtet man auch im Pribramer Bergbauterrain Krderschütterungen , die bedingt sind durch das Verhalten der durch fortschreitenden Abbau immer mehr bloßgelegten Pfeiler. Immerhin wird man aber auch damit rechnen müssen , daß beim Zu- sammentreffen von Bergschlag und Erdbeben letz- teres die Priniärerscheinung sein kann, welche den Rergschlag zur Auslösung brachte. Einen tieferen Einblick in die Wirkungsweise der heutzutage in der Erdrinde tätigen gebirgs- bildenden Kräfte gewähren uns zwei neuere Unter- suchungen von C. Regel mann'). Aus ihnen gewinnt man den Eindruck, daß die .'Xlpen gegen Fig. 6. Staffeiförmiges Absinken des Alluvialbodens, Kalifornien 18. April 1906, nahe bei Salinas. Photographie von J. C. Branner. jenigen natürlicher Erdbeben analog sind: Gegenstände geraten ins Schwanken, Risse entstehen in Gebäuden und im Erdboden, und gelegentlich wird ein donnerähnliches Geräusch vernommen; das oberflächliche Schüttergebiet ist kreisförmig, der zentrale Teil desselben mit maxi- malster Erschütterung liegt senkrecht über dem Hauptzerstörungsgebiet im Flöz. Crem er und Dill,') zitiert bei Schmidt, beschreiben Erd- stöße vom 2. Juli 1897, 24. März 1899 und 14. Juli 1899 •" 'is'' Umgebung von Herne und bringen ') Dill, „Die in den letzten J.ahicn auf Steinliohlen- gniben des Oberamtsbezirkes Dortmund vorgekommenen Ge- birgsstöße und die hierdurch herbeigeführten Unfälle". Zeit- schrift f. d. Berg-, Hütten- und Salincnwcsen usw., 1903, S. 439. .Xord und Nordwest immer wieder ein wenig vor- zurücken suchen, wobei sie die weichen Schichten des nördlich vorgelagerten Molasselandes mit dem Bodensee kräftig gegen die schwäbische Alb pressen. Die durch den Seitendruck bedingten Spannungeti lösen sich auf bestimmten Linien von Zeit zu Zeit in Erdbeben aus, wobei es zu horizontalen und vertikalen Schollenverschiebungen, Senkungen in ') C. Regelmann, ,, Erdbebenherde und Herdlinien in Südwestdcutschland". Jahreshefte des Vereins für vaterländi- sche Naturkunde in Württemberg, 1907, .S. iio — 176. Derselbe: ,, Neuzeitliche Schollenvcrschiebungen der Krdkruste im Bodenseegcbict". Bericht über die 40. Ver- sammlung des Oberrheinischen geologischen Vereins zu Lindau 1907. 794 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 50 den Mulden (Synclinalen), Hebungen in den Sätteln (Anticlinalen) der Gebirgsfalten kommt. Für das von 2 Erdbebenlinien durchschnittene Einbruchs- becken (herzynischer Grabenbruch) des Bodensees ließ sich durch Wiederholung der Feinnivellements an den Ufern der Betrag der teils stetigen , teils ruckvveisen neuzeitlichen Schollensenkungen ziffern- mäßig und einwandfrei nachweisen : Ufergelände. Auch liegen gut fundierte Anhalts- punkte dafür vor , daß der Seespiegel am Ende der Würmeiszeit auf etwa 410 m über Normal- null gelegen hat, späterhin ruckweise sank, wobei er längere Zeit auf 404 m bzw. 399 m verblieb; zur Zeit der Pfahlbaubewohner, also vor ca. 2500 Jahren , stand er auf 400 m , während er heute auf 395 m gesunken ist. Die Erdbeben im und Fig. 7. Abscheren eines Zaunes durch eine Erdbebenspalte, Kalifornien, 18. April 1906. Fünf engl. Meilen westlich der Stanford-Universität; die Spalte geht dort durch, wo der Mann steht, die Verschiebung der Zaunenden gegeneinander beträgt 8 Fuß. Photographie von J. C. Braun er. Seepegel zu Konstanz Senkung von 1874 — 1890: „ 1864 — i8go: „ 1817— 1890: Höhenmarke Lindau Hafen, 1869 — B r e g e n z. Bahnwärterhaus Hardt Fussach Hafendamm B r e g e n z , Hafen Es sank im allgemeinen der Seegrund stärker als der Wasserspiegel , namentlich im südlichen 95 mm 163 mm 317 mm 895: 15 mm 41 mm 46 mm 57 mm 48 mm 100 mm am See sind lediglich Begleiterscheinungen dieser mit der fortschreitenden Gebirgsbildung zusammen- hängenden Schollenverschiebungen. Als typisches Beispiel eines tektoni- schen Erdbebens sei dasjenige hier angeführt, welches am 18. April 1906 Kalifornien, namentlich San Francisco, heimsuchte und infolge der Zeitungs- berichte noch gut in aller Erinnerung sein dürfte. Es erstreckte sich nordwärts über Oregon bis zur Coos- Bay und südwärts bis nach Los Angeles; nach Osten wurde es in dem größeren Teile von Mittelkalifornien und Ost-Nevada gefühlt, beson- ders deutlich am Ostabhanee der Sierra Nevada. N. F. VI. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 795 Die Zone starker Zerstörunjj liegt y-u beiden Seiten einer großen, nordwestlich dahinzielienden Verwerfung, welche sich von der Mündung des Adler Creek (Fig. 4) bis HoUister auf eine Länge von 600 km verfolgen läßt ; wahrscheinlich setzt sie sich nordwärts auf dem Grunde des Pazifik noch bis Kureka fort. Wie die Untersuchungen der nordamerikanischen Geologen Gilbert, Branner und Lawson dartun, bestand die Bodenbewegung in einer horizontalen Verschiebung entlang einer fast vertikalen Bruchfläche der Erd- rinde, wobei der Boden auf dem östlichen Flügel nach Südsüdosten um 2 — 7 m vorrückte; damit war auch eine Senkung des Ostflügels im Betrage von etwas mehr als l m im Maximum verbunden. Infolge dieser Bewegung entstand im Boden eine I""urche (F'ig. 5 u. 6), die infolge der scherenden Wirkung von zahlreichen Querrissen gekreuzt wurde; dort, wo die Verwerfung Straßen, Dämme, Zäune (Fig. 7) durchsetzte, erlitten die Enden scherende Verschiebungen gegeneinander. Durch den Umstand, daß die Verwerfung die Licht- und Wasserleitungen von San F'rancisco mehrfach durchschnitt und zerriß, wurde die Katastrophe noch verschlimmert: das ausströmende Gas und elektrische Kurzschlüsse verursachten die F'euers- brunst, während die leergelaufenen Wasserleitungen der Feuerwehr kein Wasser zum Löschen zu spenden vermochten. (Schluß folgt.) Kleinere Mitteilungen. Prof. Dunbar und die „Entstehung der Bakterien". — Die bakteriologische Sensation des Jahres in die Welt gesetzt zu haben ist das zweifelhafte Verdienst einer kürzlich vom Leiter des Hamburger Hygienischen histitutes, Prof. D u n b a r, veröffentlichten Schrift, die im Verlage von Oldenburg erschienen ist. Da die „Ent- deckung", über deren Wert wohl von vorn herein kein Fachmann Zweifel gehabt haben wird, von unkundiger Seite nicht nur in der Tagespresse, sondern auch in einigen angesehenen populär- wissenschaftlichen Zeitschriften kritiklos in den Himmel gehoben wird, scheint es nötig zu sein, auf den Inhalt der Dunbar'schen Schrift an dieser Stelle etwas näher einzugehen. Der Pleomorphismus der Bakterien, jene längst begrabene Lehre, nach der die Bakterien nur Entwicklungsstufen von grünen Algen, von Pilzen, Hefen usw. sein sollen, wird von Dun bar zu neuem Leben erweckt. Daß er diesen Versuch nicht ungeschickt vorgebracht hat, wird man ihm zugeben müssen. Ein vielleicht psychologisch ganz interessanter Nebenbefund ist die Märtyrer- pose, in der der neueste Pleomorphist agiert, und seine wiederholte, darum aber nicht verständlicher werdende Versicherung, daß seine Resultate die grundlegenden Arbeiten Koch 's nicht annullieren, sondern nur erweitern. Doch zur Sache. In den Palmellaceen-Kulturen einer alten Trinkwasserprobe fand Dunbar Algenzellen, deren Inhalt ganz aus lebhaft beweg- lichen Bakterien bestand. Dieser Befund führte Dunbar zur Erkenntnis, daß die Bakterien sich ( — nicht etwa nach zuiälligem Eindringen eines Einzelindividuums in der Zelle vermehrt hatten und von der Membran festgehalten worden waren — ) aus der Alge gebildet hatten, im entwicklungsgeschichtlichen Sinne aus ihr „entstanden" waren! Hätte Dunbar diesen Befund irgend einem Zoologen oder Bota- niker gezeigt, so würde ihm dieser die Belehrung gegeben haben, daß man solche Bilder oft erhält, wenn man die Algenflora von alten vernachlässigten Aquarien untersucht. Dort findet man sehr häufig tote oder absterbende Algenzellen, deren Membran irgendwie verletzt ist. An der Rißstelle dringen Bakterien ein und finden im toten Primordial- schlauch wie im Zellsaft einen trefflichen Nähr- boden, auf dem sie sich rasch vermehren. War die Rißstelle nicht gar zu groß, oder wurde sie durch Ver(]uellen der Ränder ganz oder nahezu geschlossen, so sind die Bakterien durch die IVIembran der „Wirts"zelle solange von der Außen- welt abgeschlossen, bis jene aus irgendwelchen Ursachen platzt und ihren Inhalt ausschwärmen läßt. Kein Biologe würde bei dem augenblick- lichen Stande unserer Kenntnisse zu der Ver- wechslung mit einer genetischen Beziehung der Bakterien zur Algenzelle gelangt sein. Im Zeitalter Rudolf Virchow's, wo kaum eine Wahrheit so sicher fundiert ist, wie die: „Omnis cellula e cellula", — kann man da die Frage- stellung Dunbar 's und seiner schnell entstan- denen Gemeinde anders als naiv bezeichnen' Sie lautet schlechthin: Wie entstehen die Bakterien.? Woher kommen sie? Man sollte meinen, es müßten sehr triftige morphologische Gründe vorliegen, daran zu zweifeln, daß die Bakterien eben immer wieder aus Bakterien entstehen, wie Menschen aus Men- schen, Regenwürmer aus Regenwürmern entstehen. Denn an stammesgeschichtliche Probleme hat D u n b a r, wie ausdrücklich noch hervorgehoben werden mag, bei seiner Fragestellung überhaupt nicht gedacht. Er stellt sich die Sache ganz und gar nach Art eines Generationswechsels vor. So sehr überraschend nun die Entdeckungen sind, die wir der modernen Protistenkunde auf diesem Gebiete verdanken, so lagen doch bei den Bak- terien absolut keine Anzeichen vor, die auf einen Generationswechsel mit höher organisierten Bil- dungen hingedeutet hätten. Nur ein Nicht-Mor- phologe konnte in dem von D u n b a r so hoch bewerteten Befunde ein solches Auspizium er- blicken. Und auch nur ein Nicht-Morphologe 796 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 50 konnte mit ruhigem Gewissen so unendlich folgen- schwere Schlüsse, die die ganze Systematik der niederen Thallophyten über den Haufen werfen, ohne jede, modernen Ansprüchen genügende, mor- phologische Beweisführung veröffentlichen. D u n - bar hat eine Untersuchung mit den üblichen Färbe- und Schnittmethoden der modernen histo- logischen und entwicklungsgeschichtlichen For- schung wegen der unüberwindlichen Schwierig- keiten, die sich dabei herausgestellt haben sollen, völlig unterlassen. Er gibt auf ein paar Tafeln nur völlig unzureichende Abbildungen der leben- den Zellen, die nicht einmal das erschöpfen, was unsere heuligen optischen Hilfsmittel zu leisten vermögen. Und doch hätte Dun bar nur die einschlägigen Lehrbücher einzusehen brauchen, um der technischen Schwierigkeiten Herr zu werden. Bei einer solchen Unterschätzung und Ver- nachlässigung der morphologischen Beweisführung mag es verständlich erscheinen, daß Dunbar sich genügend durch die Statistik seiner Kultur- versuche gesichert glaubt. Zahlen sind aber, „die größten Betrüger". D u n b a r fand, daß die al- kalischen Beimengungen des Nährsubstrates die Entwicklung von Bakterien aus den Algen zellen begünstigte. Er beimpfte nun eine große Anzahl von Kulturgefäßen mit seiner Palmellacee. Kon- trollkulturen wurden gleichfalls geführt, die nicht beimpft waren, mit denen aber in gleicher Weise, wie mit den beimpften, manipuliert wurde, um die Gefahr der Luftinfektion gleich auf die beiden Reihen zu verteilen. Das günstigste Resultat war: In 484 in den Jahren 1905—1907 angesetzten Algenkulturen kamen in 296 Fällen Bakterien, in 1 1 1 Schimmel und in 24 beide zusammen zur Entwicklung. 53 Kulturen blieben, wie der Bak- teriologe sagen würde: rein! Da es sich aber immer um typische Sporen- bildner, Luftsarcinen und gemeinen Pinselschimmel, also um lauter Organismen handelte, deren Keime allenthalben in der Luft freischwebend angetroffen werden, so beweisen diese Zahlen nur, daß wir bis dato keine Kulturmethode haben, die bei so langer Versuchsdauer uns genügend vor der Gefahr der Luft- infektion schützt, und daß dies vor allem die Dunbar' sehe Methode auch nicht vermag. Am besten zeigen das die Kontrollversuche: In 18 von 244 entwickelten sich dieselben Bakterien und Pinselschimmel, wie in den anderen! Daß die Züchtung dieser Organismen aus den Algenkulturen weit öfter „glückte" wie die Züchtung aus dem „Nichts", das ist wirklich nicht schwer zu erklären. Im ersten Falle, wo es sich um wirkliches Abimpfen handelt, kann die Aufmerksamkeit des Experi- mentators kaum so ungeteilt auf die Beobachtung aller, eine Luftinfektion ausschließenden Momente gerichtet gewesen sein, wie im zweiten. Und selbst hier, wo der Impfzweck als solcher ganz wegfällt, wo es sich nur um Scheinmanipulationen handelt, wo der Autor also gewiß seine ganze Kunst im sauberen .Arbeiten hat entfalten können, selbst hier entstanden noch in 18 von 244 Kul- turen Bakterien und Schimmel — infolge von Luftinfektion. D u n b a r ' s Publikation ist ein verzweifelter Schlag ins Wasser. Wenn er nicht vom Leiter eines unserer größten wissenschaftlichen Institute geführt worden wäre, und wenn nicht die Presse sich der Sensation so schnell bemächtigt hätte, so würde die Mitteilung Dunbar 's wohl mit dem verdienten Schweigen übergangen worden sein. So werden in Kürze in allen Fachzeitschriften die nicht weniger verdienten Kritiken und Referate erscheinen, indem man das Nötige zwischen oder in den Zeilen lesen wird. Aber wozu eigentlich erst der Lärm? Dunbar sagt selbst, wie sehr er eine Nachprüfung wünsche. Daß diese vielleicht nicht glücken werde, — zunächst! Daß vielmehr wahrscheinlich erst eine mehrjährige , .Reifung" der Ausgangskulturen abgewartet werden müsse. Warum ließ er da nicht lieber von ihm nahe- stehender Seite, an Verbindungen mit geeigneten Fachleuten fehlte es ihm doch nicht, diese Prü- fung vornehmen? Vor allem nach der morpho- logischen Seite hin ? PIs kann doch kaum ge- glaubt werden, daß er sich in dem speziellen, sehr in Betracht kommenden mykologischen und phykologischen Arbeitsgebiete heinüsch gefühlt hat ! Dr. Max Wolfif (Bromberg). Die Verkümmerung der Mundteile und der Funktionswechsel des Darmes bei den Ephe- meriden. Von Richard Sternfeld. (Zo- ologische Jahrbücher. Abt. für Anatomie und Ontogenie der Tiere. XXIV. Bd., Hft. 3.) — Die Mundwerkzeuge der Ephemeridenlarven weichen von dem ursprünglichen Typus der Insekten- kauwerkzeuge wenig ab; nur die einzelnen Gat- tungen weisen untereinander sehr bedeutende Unterschiede auf. Dies hängt mit der Lebens- weise der Larven zusammen, die teils im Schlamm grabend, teils an der Unterseite von Steinen an- gepreßt lauernd oder auch freischwimmend nach Nahrung suchen. Am gleichmäßigsten ist die Oberlippe ge- staltet, die an der Unterseite 2 Reihen flach an- liegender Haare trägt, welche eine Rinne bilden. Die Mandibeln sind komplizierter gebaut und mit unregelmäßig gestalteten Zähnen versehen. Am Unterkiefer sind die beiden Laden stets miteinander verschmolzen, wodurch eine kräftigere Wirkung des Organs bedingt ist. Der Taster ist immer dreigliedrig, seine Größe schwankend. Die Unterlippe ist bald langgestreckt, bald breit und kurz. Sie besitzt im allgemeinen beim Kauen geringe Bedeutung. Im Nymphen-Stadium (Nymphe ist die erwachsene, bereits mit Flügelslummeln versehene N. F. VI. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 797 l.arvel treten an den Mundwerkzeugen wichtige Veränderungen auf Die OberHppe reduziert sich bedeutend, während Unterlippe und Maxille fast in vollem Umfange erhalten bleiben. Die Mandibeln schwinden schon auf diesem Stadium vollständig. In dem folgenden S u b i m a g o - S t a d i u m (in welchem die letzte Larvenhülle abgestreift wird) treten die endgültigen Verhältnisse der Mundteile auch äußerlich hervor. Die ausgebildete Ephemeride, die Imago, zeigt die Mundwerkzeuge im Zustande hoch- gradiger Verkümmerung. Die Unterlippe ist ver- hältnismäßig am besten ausgebildet. Die ersten MaxiUen {= Unterkiefer) sind zu zwei kleinen tasterartigen Gebilden umgewandelt. Die Ober- lippe hat die Gestalt eines rundlichen Läppchens angenommen. Die Mandibeln sind völlig ge- schwunden. Alle Organe sind, da die Chitin- bekleidung nur noch aus einem dünnen Häutchen besteht, äußerst weich und in der Form leicht veränderlich. Sodann geht Verf noch auf den Darm der Fphemeriden ein. Dieser ist nicht, wie man an- nehmen könnte, verkümmert, sondern er hat sich zu einem sehr wichtigen Organe umgewandelt. Vorder- und Enddarm sind ziemlich eng, während der Mitteldarm stark erweitert ist und das Ab- domen fast völlig ausfüllt. Der Darm ist bei der Imago mit Luft ange- füllt. Hierdurch wird die Flug- und Schwebe- fahigkeit erhöht. Am Vorderdarm befindet sich ein Muskelapparat, der die Luftfüllung regelt und die eigenartige Stellung der Tiere beim Hochzeits- fluge verursacht. Der Darm hat also die ursprüng- liche Funktion aufgegeben. Dafür ist aber eine neue getreten, welche die biologische Bedeutung hat, durch die „extreme Anpassung dieser kurz- lebigen Tänzer des Luftreiches eine möglichst schnelle und sichere Fortpflanzung der Art, die letzte Ursache aller Umwandlung der Lebewelt, zu fördern". Dr. Wilke-Jena. El. und Em. Marchai, ,,Aposporie et Sexualite chez les Mousses". (Bull, de l'Acad. royale de Belgique, Classe des sciences, Nr. 7, 1907, S. 765.) — Die keimende Moosspore gibt bekannt- lich einem fadenförmigen Vorkeim, dem Protonema, seine Entstehung, an dem sich bald knospenartige Gebilde entwickeln, die zu der eigentlichen Moos- pflanze auswachsen. Diese erzeugt im Laufe der Zeit die Geschlechtsorgane, Archegonien als weib- liche, Antheridien als männliche. Durch die in den Antheridien entstandenen Spermatozoiden würd die im .'\rchegonium enthaltene Eizelle be- fruchtet, aus der sich dann die zweite Generation, die Kapsel, entwickelt. In der Kapsel endlich bilden sich wieder die Sporen. Als Träger der erblichen Eigenschaften be- trachten wir die Zellkerne und zwar die Bestand- teile derselben, welche sich während der Kern- teilung auf die dabei auftretenden stäbchenförmigen (iebilde, die Chromosomen, verteilen. Die Anzahl dieser Chromosomen ist für jeden Organismus eine konstante. Wo sie durch Befruchtung verdoppelt wurde, findet im Laufe der weiteren Entwicklung an irgend einer Stelle wieder eine Reduktion auf die einfache Zahl statt. Bei den Moosen liegen die Verhältnisse nun so, daß das Protonema und die eigentliche Moospflanze die haploide Gene- ration darstellen, d. h. mit der einfachen Chromo- somenzahl ausgerüstet sind. Durch die Befruch- tung der Eizelle wird die Chromosomenzahl ver- doppelt, die Kapsel und ihr Stiel, die Seta, ge- hören mithin zur diploiden Generation. Bei der Bildung der Sporen tritt die Reduktion der Chro- mosomenzahl ein. Es ist nun, wie zuerst Stahl und Pringsheim gezeigt haben, bei Moospflanzen möglich, aus Teilen der diploiden Generation, der Seta und der Kapselwand, durch besondere Kulturmethoden Protonema zu erhalten, das aber in diesem Falle nicht wie das gewöhnliche aus der Spore ent- standene Protonema nur über die einfache Chro- mosomenzahl verfügt, sondern diploid ist, da es ja aus der diploiden Generation auf vegetativem Wege unter Umgehung der Reduktionsteilung entstanden ist. Solches Protonema suchten die Gebrüder Marchai sich zu verschaffen. Sie wählten zu ihren Versuchen streng diözische Moose aus, d. h. solche, bei denen aus einer Spore entweder nur männliche, Antheridien tragende, oder nur weibliche, Archegonien erzeugende Pflanzen ent- stehen. Von diesen kultivierten sie unter den größten Vorsichtsmaßregeln Stücke der Seta und der Kapselwand in einer Nährlösung. Bei einer ganzen Reihe von Spezies gelang es ihnen, auf diese Weise das gewünschte Protonema zu er- halten. Davon isolierten sie kleine Stücke, die getrennt weiter kultiviert wurden und nach einiger Zeit größere Moosrasen entwickelten. An diese traten die Forscher mit der Frage heran, wie sie sich bei Erzeugung der Geschlechtsorgane ver- halten würden. In allen Fällen ergab sich dasselbe überraschende Resultat. Anfangs traten nur Antheridien auf. Etwa nach Ablauf eines Monats vom Beginn der „Blütezeit" fanden sich einige wenige Pflänzchen, in deren ,, Blüten" außer Antheridien ein einziges wohl ausgebildetes Archegon sich einstellte. Hier lagen also ausgesprochen hermaphrodite Pflanzen vor. Die Zahl dieser hermaphroditen Pflänzchen nahm im Laufe der folgenden Zeit stetig zu. Gegen Ende der Blütezeit entwickelten sich ganz vereinzelt Pflänzchen, die nur Archegonien hervor- brachten, also einen rein weiblichen Charakter besaßen. Die folgende Tabelle gibt ein Bild von dem Verhältnis, in dem die einzelnen Blütenarten bei Bryum caespiticium, für das genaue Zählungen vorgenommen wurden, auftraten. S c ? März 457 17 — April 446 51 I Mai 676 86 4 798 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI Nr. 50 Wie man sieht, steigt das Verhältnis der herm- aphroditen Blüten zu dem der rein männlichen von I : 26,9 im März auf i : 7,8 im Mai. Es erhob sich nun die weitere Frage, wie sich bei Erzeugung der Geschlechtsorgane solche Rasen verhalten würden, die auf vegetativem Wege von solchen diploiden Pflanzen erhalten worden waren, welche dem rein männlichen resp. rein weiblichen oder dem hermaphroditen Typus angehörten. Um diese Frage zu beantworten, wurden Blätter von solchen Pflanzen, die je einem der drei Typen zugehörten, isoliert in Kultur*^ genommen. Sie erzeugten bald reichlich Protonema und dieses zahlreiche Moospflanzen. An diesen traten eben- falls anfangs nur männliche, dann auch herm- aphrodite Blüten auf und zwar ungefähr in dem- selben Verhältnis, wie es bei den Stammpflanzen vorgelegen hatte. Dabei war es ganz gleichgültig, welche der drei Geschlechtsmerkmale die Stamm- pflanzen gezeigt hatten. Aus dem ganzen Verhalten der diploiden Moospflanzen ergeben sich interessante Schlüsse. Die gewöhnliche geschlechtliche Generation der zu den Versuchen verwandten, streng diözischen Moose enthält nur die einfache Chromosomen- zahl und wegen der Diözie nur eine einzige ge- schlechtliche „Determinante". Bei der Befruchtung kommen die weibliche und die männliche Deter- minante zusammen, die Kapselgeneration muß also beide enthalten. Das zeigen auch in der Tat die aus dieser Generation auf vegetativem Wege erhaltenen Moospflanzen, indem sie imstande sind, sowohl männliche wie weibliche Geschlechts- organe zu entwickeln. Die in der Kapsel ent- standenen Sporen dagegen können nur rein männ- liche oder rein weibliche Pflanzen hervorbringen. Die Reduktionsteilung in der Kapsel muß also darüber entscheiden, welche Sporen männlichen und welche weiblichen Pflanzen ihren Ursprung verleihen sollen. Sie führt wieder eine Trennung der beiden Determinanten herbei. Die diploiden Moospflanzen geben uns somit durch ihr Ver- halten einen neuen Beweis dafür, daß die Kerne wirklich die Träger der Erblichkeit sind und daß in der Reduktionsteilung in der Tat eine Trennung gleichwertiger Determinanten stattfindet. Einen tieferen Einblick in diese Dinge werden wir erst erhalten, wenn die beiden Forscher die cytologische Untersuchung der hier sich abspielen- den Vorgänge, mit der sie eben erst begonnen, zu Ende geführt haben werden. Eine weitere Frage, welche die Forscher sich gestellt haben, ist die, ob bei diesen diploiden Moospflanzen eine Befruchtung möglich ist, ob also ein Sporogon erhalten werden kann, das die vierfache Chromo- somenzahl enthält. Doch sind diese Versuche noch zu keinem Abschluß gelangt. Dr. Pedro Arens. Sammlung vorgeführt (Phys. Ztschr. VIII, Xr. 21). Der wesentliche Teil desselben ist ein einfacher Wasserzersetzungsapparat (sog. Voltameter), bei welchem die Menge des entstehenden Knallgases durch das Steigen des Flüssigkeitsspiegels in einem kommunizierenden, kapillaren Rohr beobachtet wird. Während nun gewöhnlich das Voltameter in Verbindung mit einer Zeitablesung zur Er- mittlung der Stromstärke dient, benutzt es Spies, indem er einen anderweitig genau gemessenen Strom hindurchschickt, zur Messung sehr kleiner Zeitintervalle. Unter Benutzung gewisser Korrek- tionen, z. B. zur Regulierung des Drucks, konnte das Verhältnis der Fallzeiten einer aus 80 und 20 cm Höhe herabfallenden Kugel mit großer Schärfe durch Projektion dargestellt werden, da ein Teilstrich der Skala bei einer Stromstärke von 1,43 Amp. 0,003 Sekunden entsprach. Ein elektrochemisches Chronoskop wurde von P. Spies der Dresdener Naturforscherver- Bücherbesprechungen. Carl Friedrich Naumann's Elemente der Mi- neralogie. 15., neu bearb. u. ergänzte Aufl. von Dr. Ferdinand Zirkel, o. Prof. d. Miner. u. Geognosie a. d. Univ. Leipzig. Mit 11 13 Figuren. Leipzig (Wilhelm Engelraann) 1907. — Preis 14 Mk. Das berühmte Buch ist so bekannt, daß es eigent- lich nur, wenn es in neuer Auflage erscheint, ange- zeigt zu werden braucht mit dem Bemerken , daß Verf. sich bemüht hat vielfach zu ergänzen und zu verbessern. Das Register des speziellen Teils ent- hält 223 neu eingereihte Mineralnamen. Sonst ist das in Großoktav jetzt 821 Seiten umfassende Werk seiner ganzen Anlage nach das gleiche geblieben wie früher. — ■ Wenngleich für die Mineralogie nur ein Nebenkapitel, so sei doch bei der sonstigen Wichtig- keit der in Betracht kommenden Bildungen darauf hingewiesen, daß das Kapitel „organische Verbindungen und deren Zersetzungsprodukte" die notwendige durch- greifende Änderung noch nicht erfahren hat. Das kann einem sonst so wertvollen Buch wie dem vor- liegenden freilich nicht wesentlich Abbruch tun, je- doch wäre es doch angenehm, auch über so wichtige und interessante Gesteine wie Kohlen etc. in einem so umfangreichen Buch über Mineralogie wie dem vor- liegenden neuzeitlich unterrichtet zu werden. Die Bogheadkohle z. B. figuriert noch (p. 787) unter den „Harzen", „weil sie weit mehr H als O enthält". Prof. Dr. Wilhelm Sievers, Allgemeine Länder- kunde. Kleine Ausgabe. IL Bd. Mit 1 1 Text- karten, 16 Profilen im Text, 21 Kartenbeilagen, I Tabelle und 15 Tafeln. Leipzig und Wien, Bibliographisches histitut 1907. Der vorliegende II. Band der Länderkunde be- handelt Afrika, Asien, Australien, Ozeanien und die Südpolarländer. Damit ist das 2 bändige, sich hübsch präsentierende Werk abgeschlossen. Es wird sicher Freunde finden, bietet es doch auf nicht zu breitem Raum, veranschaulicht durch passende Bilder und N. F. VI. Nr. so Naturwisscnscliaftliche Wochenschrift. 790 unterstützt durch zahh'eiche Karten, eine l>C(|uem les- bare Geographie der ganzen Krde, die zu besitzen jedermann erfreut sein wird. Photographisctier Abreifskalender 1908. Mit künstlerischen I.andschaftsphotographien und tech- nischen Erläuterungen. Format 18: 28 cm. Wil- helm Knapp, Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. — Preis 2 Mk. Der Kalender mit hübschen Bildern wird dem l'hotographen- Liebhaber auch durch die Hemerkungen, Hinweise und Ratschläge, die das Photographische be- treffen, Vergnügen bereiten und nützlich sein. Praktisch wenig zweckdienlich scheint es dem Referenten, daß jede Seite für 3 Tage gilt, also nur alle 3 Tage ein Blatt zu entfernen ist. Beiiuemer ist's, wenn ein ein- ziger Blick auf den Kalender genügt, um das Datum zu wissen. Anregungen und Antworten. Herrn H. F. in Bierdcn bei Acliini. — Das oigenaiügc dieses Tier in ganz vorzüglicher Weise die Anpassung des Baues an die Lebensverhältnisse. Die mächtigen Krallen dienen zum Festhalten und auch die dichten Borstenkämme, Tier, das Sie auf einer Fledermaus, y'esjieru April igos". Re- cords of the Geological Survey of India, Vol. XX.XIl, pari 4, S. 258 ff. Calcutta 1905. gebilden ausgefüllt sind , deren unregelmäßiges Streichen den Konturen der älteren Gesteinsmassen folgt; hier betragen die Höhenunterschiede vom Kangratale (1170 m) bis zum Dhauladharkamm (5330 m) auf kaum 10 km horizontale Entfernung nicht weniger als 4,2 km. Auch vertrete^) ich die bereits von E. Sueß, T. Ch. Thomassen u. A. ausgesprochene, na- mentlich aber von F. de IVlontessus de Bai- lore bestrittene Ansicht, die Luft d ru ck Ver- hältnisse könnten mit den Erdbeben in ursäch- lichem Zusammenhange stehen. Demzufolge gäbe nicht der lokale Luftdruck, ob hoch oder niedrig, sondern die Größe des Gradienten, besonders am Epizentrum und in dessen Nähe, den Aus- schlag. Es könne also dann zur Auslösung eines Spannungsverhältnisses, eines Erdbebens kommen , wenn auf beiden Seiten einer tektoni- schen Bruchlinie der Unterschied des Luftdruckes einen bedeutenden Grad erreicht, obwohl zahllose Luftdruckwelleii vielleicht jahrelang über einem sonst lebhaft seismisch täligen geologischen Stö- rungsgebiete dahinziehen, ohne die Gleichgewichts- lage der Schollen zu stören, und in anderen Fällen die internen Erdkräfte allein wirken, ohne die Beihilfe der Luftdruckschwankungen abzu- warten. Infolge der Unzulänglichkeit des vor- liegenden, bzw. daraufhin durchgearbeiteten, ein- schlägigen Beobachtungsmaterials sind bisher weder die Gründe für noch wider zwingend, so daß die Frage als eine noch oiTene betrachtet werden muß. Alles in allem genommen steht jeden- falls so viel fest, daß die sogenannten „tektonischen" Erdbeben kein einheit- liches Phänomen bilden und daß fürdie Erklärung ihrer Entsteh ungs Ursachen die Berücksichtigung der geologischen Verhältnisse allein nicht ausreicht. Vielmehr werden die Physik und Che- mie des Erdballs ein gewichtiges, wenn nicht das entscheidende Wort zu spre- chen haben. ') A. Sieberg, ,, Erdbeben und Witterung. Eine Studie über tellurisclie Dynamik". Jahrg. 22 , S. i ff. der Monats- schrift ,,Das Wetter"; Berlin 1905. Kleinere Mitteilungen. Gegen den Vegetarismus sprechen die wich- tigen Untersuchungen, die Prof. Dr. G. Tornier vor kurzem im Zool. Anzeiger, Bd. XXXII, p. 284—288, veröffentlicht hat. — Daß der menschliche Organismus nicht für ausschließliche Pflanzenkost eingerichtet, sondern auf eine ge- mischte Nahrung angewiesen ist, das kann von wissenschaftlich ernst zu nehmender Seite längst nicht mehr bezweifelt werden. Aber selbst die absonderlichste Idee braucht sich noch nicht ein- mal einer besonders geschickten Verteidigung zu erfreuen, um der wissenschaftlichen, aber zu gleicher Zeit auch der Einsicht des ungeschulten Laien zugänglichen Widerlegung Schwierigkeiten zu bereiten. Zwar haben wir in der vergleichenden Ana- tomie unseres Zahnsystems, des menschlichen Darmtractus und in der vergleichenden Physiologie des Stoffwechsels die besten Zeugnisse gegen die Hirngespinste des Vegetarismus. Ich meine aber, daß die eleganten experimentellen Untersuchungen Prof Tornier's über das Entstehen von Albinismus, N. F. VI. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 809 Melanismus und Neotenie bei Fröschen vielleicht eine noch drastischere Sprache reden. Ich teile im folgenden das Wichtigste daraus kurz mit, weil ich in Tornier's Arbeit schlechterdings den Schul- beweis der Unhaltbarkeit aller vegetarischen Ver- schrobenheiten sehe, den jeder begreifen muß, der überhaupt sehen will. Es mag zuvor erinnert werden, daß die Frosch- larven an und für sich ein außerordentliches An- passungsvermögen an veränderte Kost besitzen. Das ging besonders aus den Babak'schen Unter- suchungen über die verschiedene Darmlänge von Froschlarven hervor, die vegetabilisch oder aber nur mit Fleisch ernährt worden waren. Tornier experimentierte mit den Larven der Knoblauchkröte (Pelobates fuscus Wagl.). Um die am meisten zusagende Nahrung festzustellen (im Zusammenhang mit anderen Versuchen, die am Schluß kurz mitgeteilt werden sollen), zog Tornier Pelobates-Larven von dem Zeitpunkte an, wo sie überhaupt durch den Mund Nahrung aufzunehmen anfangen, mit ausschließlicher Algennahrung auf. Die Tiere wuchsen außerordentlich langsam bis zu einer bestimmten Größe heran und gingen dann infolge Verhungerns ein. Während der ganzen, rein pflanzlichen „Fütterungs- Periode" waren die Nährdotterreste, die noch aus der embryonalen Entwicklungszeit im Ei stammten, total aufgebraucht worden, von ihnen hatten die Tiere also wohl fast ausschließlich so lange ihr Leben gefristet. Bemerkenswert ist übrigens, daß dabei der Bauch fast kein Wachstum erkennen läßt und geradezu einschrumpft. Nur Kopf und Schwanz wachsen und werden unverhältnismäßig groß im Vergleich zu dem total verkümmernden Bauche. Erhalten nun Tiere, die schon die typische Hungerverkrüppelung zeigen, aber noch genügende Lebenskraft besitzen, etwas Fleisch neben der Algennahrung, so entwickeln sie sich, wenn auch nur sehr langsam, zu Volltieren. Aber auch diese sind verkrüppelt und zwar zur charak- teristischen Hungergestalt. Also für eben aus- geschlüpfte Pelobates-Larven genügt rein pflanz- liche Nahrung nicht zur Erhaltung des Lebens- prozesses. Um zu leben, bedürfen sie einer aus Fleisch- und Pflanzenkost zusammengesetzten Nahrung! Anders verhalten sich solche Larven, die bis zur Entwicklung der hinteren Extremitäten mit Algen und Fleisch gefüttert, dann aber auf reine Pflanzenkost gesetzt sind. Diese nehmen zwar anfangs an Größe recht beträchtlich ab, bleiben aber am Leben, entwickeln sich jedoch nicht im geringsten weiter fort! Sie behalten zeitlebens ihre Larvenform, bekommen keine vorderen Ex- tremitäten, verharren also dauernd in einem un- reifen, einem Jugendzustande! Man faßt heute eine ganze Anzahl von (übrigens geschlechtsreif werdenden) Organismen als gleichsam in der Ent- wicklung stehen gebliebene Jugendformen (die Rädertierchen z. B.) von viel höher entwickelten, selbst aber ausgestorbenen Arten auf Diesen Vorgang nennt man Jugendverlängerung, Neotenie. Die Tornier'schen Larven sind ein sehr schönes Beispiel von experimenteller Neotenie. Natürliche Neotenie ist nebenbei bemerkt gerade aus der Klasse der Amphibien allgemein bekannt: Die Ohne und Axolotl behalten zeitlebens Kiemen und stellen geschlechtsreif gewordene Larven- formen vor. Vom Axolotl hat daim Dumeril 1860 entdeckt, daß sich diese geschlechtsreife Larven- form noch heute in das Volltier verwandelt, einen landbewohnenden, bis dahin als besondere Art beschriebenen Salamandriden (Amblystoma mexi- canum Cope), wenn nur geeignete Lebensbe- dingungen den Tieren geboten werden. Es ist sehr wichtig, daß Tornier feststellen konnte, daß bei seinen Pelobates - Larven aus- schließlich der Mangel an geeigneter Nahrung die Neotenie erzeugte, nicht etwa andere Faktoren, wie der Zwang, dauernd im Wasser zu bleiben (wie beim Axolotl!) und ähnliches. Tornier setzte einer seit 8 Monaten neotenisch gehaltenen Pelo- bates-Lare eine Algennahrung vor, der in sehr langsam ansteigendem Maße Fleisch (Piscidin Haberle) zugefügt wurde. Die Größenzunahme erfolgte sofort, wenn sich auch zunächst Störungen bemerkbar machten , die fettsüchtig - asthma- tischer Art zu sein scheinen. Dann aber wandelte sich die Larve innerhalb zweier Monate in einen Vollfrosch um. — Tornier ließ endlich bei einer Larve, die mit reiner Algennahrung ein volles Jahr neotenisch gehalten worden war, ohne jeden Übergang überreiche Ernährung mit Fleischkost folgen. Das Ergebnis war, daß schon nach 2 Tagen das Unterhautbindegewebe zahlreiche blasige An- schwellungen zeigte, in denen zum Teil die Blut- gefäße platzten. Nach einigen Tagen starb das Tier infolge maßloser Überernährung der Gewebe. Wenn auch nicht für unsere Frage, so doch sonst, ist es wissenschaftlich von großem Inter- esse, daß Tornier die Abhängigkeit der Färbung von der Ernährung genauer analysieren konnte. Bei reiner Fleischnahrung erhielt er schwarz aus- gefärbte, bei mittelstarker rotgefärbte, bei eben zur Umwandlung in das Volltier genügender Nahrung albinotische, jedes Pigmentes entbehrende Frösche. Wichtig erscheint mir besonders, daß es nach Tornier's Untersuchungen verständlich wird, daß z. B. Erwachsene einen absoluten Vegetarismus immerhin aushalten, daß iiinen weiter jeder Über- gang zu reichlicher Fleischkost in der Tat be- trächtliche Beschwerden bereiten kann. Im übrigen ist es zu bedauern, daß der Vegetarismus, anstatt seine Jünger zum abschreckenden Exempel bunt zu färben (was sündigen nicht törichte Eltern durch ,, naturgemäße" Auferziehung an ihren Kin- dern I), beim INlenschen keineswegs die Ausbildung der Haut- und Haarpigmente, sondern offenbar nur die Entwicklung einer gesunden Urteilskraft hemmt. Vielleicht verhält es sich deshalb wirklich so, wie L. Reimer einmal bemerkt hat, daß die geistige Epidemie des Vegetarismus durch die 8io Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 51 Waffen der exakten Wissenschaft nie ausgerottet werden wird. Wir wollen hoffen, daß er nicht recht behält. Dr. Max Wolff (Bromberg). Die Störungen in der Erdkruste während der Zeit vom i. Juni bis 31. Oktober, soweit die Zeitungen bisher Auskunft darüber gegeben haben. Juni. I. In Guayaquil, Ecuador, werden drei heftige Erdstöße verspürt, wodurch die Kirchenglocken von selbst zu läuten beginnen. Die Bewohner flüchten auf die Straßen; indessen wird kein ernst- licher Schaden angerichtet. Auf den Tonga-Inseln wird ein heftiger Erd- stoß wahrgenommen. 5. Um 12 Uhr 27 Minuten nachmittags wird in San Francisko ein 10 Sekunden währender, von Nord nach Süd verlaufender Erdstoß verspürt, der jedoch keinen Schaden anrichtet. 10. Um 5 Uhr 30 Minuten wird Guayaquil, Ecuador, von einem heftigen Erdbeben betroffen, von dem man annimmt, daß es mit der Tätigkeit des Kotopaxi in Zusammenhang steht. 13. Valdivia wird von einem heftigen Erd- beben heimgesucht, wodurch ein Zollgebäude, eine Pfarrkirche und eine Anzahl anderer Häuser zerstört, sowie 5 Personen getötet werden. 14. Um 6 Uhr 45 Minuten vormittags wird auf der Insel Stromboli während einer heftigen Eruption des gleichnamigen Vulkans ein leichtes Erdbeben verspürt, das aber keinen Schaden an- richtet. 23. Um 6 Uhr 2 Minuten vormittags wird ein mit unterirdischem Getöse verbundenes Erdbeben in Essentucki bei Pjatigorsk im Kaukasus verspürt. 24. Die Apparate der Hamburger Hauptstation für Erdbebenforschung registrieren leichte Fern- beben um I Uhr 30 Minuten und kurz vor 5 Uhr vormittags, sowie um 5 Uhr 24 Minuten nach- mittags. 25. Die Apparate derselben Station registrieren mehrere schwache Erdstöße kurz nach 4 Uhr vormittags und ein ziemlich heftiges Fernbeben von 7 Uhr 8 Minuten bis 9 Uhr 30 Minuten nachmittags. Die größte Stärke des Bebens wird um 7 Uhr 19 Minuten durch einen Ausschlag von 18 mm verzeichnet. 26. Die Apparate derselben Station registrieren leichtere Fernbeben um 5 Uhr 56 Minuten, 6 Uhr 45 Minuten vormittags und 6 Uhr 30 Minuten nachmittags. Der Herd der Beben ist unbekannt. Morgens erschüttert ein mit donnerartigem Getöse verbundenes Erdbeben während 10 Sekun- den die Stadt Holyhead auf der gleichnamigen Insel im St. Georgs-Kanal an der englischen West- küste. Die Bevölkerung gerät in große Erregung. Juli. I. Die Apparate der Hamburger Station ver- zeichnen ein ziemlich heftiges Fernbeben von 2 Uhr 21 Minuten 30 Sekunden bis gegen 5 Uhr nachmittags. Der stärkste Stoß wird um 2 Uhr 50 Minuten beobachtet. Der Herd des Bebens ist unbekannt. 2. Um 12 Uhr 40 Minuten vormittags werden während eines Zeitraumes von etwa 15 Sekunden mehrere Erdstöße von Ost nach West in Kanea auf Kreta verspürt. Des Morgens werden die Orte Tolmezzo, Sandamiele und Amaro in der Provinz Udine, Oberitalien, leicht erschüttert. Auf der Hamburger Station werden leichtere Erdbeben verzeichnet um 4 Uhr 53 Minuten und von 5 Uhr 18 Minuten bis gegen 6 Uhr nach- mittags. 3. Auf derselben Station wird ein leichteres Beben registriert von 8 Uhr 17 bis 8 Uhr 38 Minuten nachmittags. 4. Dieselbe Beobachtungsstelle meldet ein leichtes Erdbeben, das von i ';., bis 2 % Uhr vor- mittags dauert, und ein stärkeres Fernbeben von 10 Uhr 26 Minuten 40 Sekunden bis 11 Uhr 30 Minuten vormittags. Die größte Stärke er- reicht die Erschütterung um 10 Uhr 40 Minuten. Die Entfernung wird auf 6000 km geschätzt. 5. Das Observatorium in Omarto bei Florenz verzeichnet ein heftiges Erdbeben in etwa 9000 km Entfernung, das von 4 Uhr 57 Minuten bis 5 Uhr 50 Minuten nachmittags dauert. 10. Die Hamburger Beobachtungsstelle re- gistriert ein heftiges Erdbeben in etwa 13 000 km Entfernung, das um 8 Uhr 3 Minuten 27 Sekun- den abends beginnt und bald nach 10 Uhr endigt. Die stärkste Bewegung setzt um 8 Uhr 40 Minuten ein und erreicht ihren Höhepunkt um 8 Uhr 53 Minuten mit einem Ausschlag von 6 mm. 23./24. In der Nacht werden in Cosenza und Umgebung mehrere heftige Erdstöße verspürt, die aber keinen Schaden anrichten. August. 5. Auf dem Observatorium in Triest wird ein Erdbeben in etwa 4000 km Entfernung verzeichnet, das von 7 Uhr 52 Minuten 26 Sekunden bis 9 Uhr 36 Minuten 59 Sekunden vormittags dauert. 6. In Cetinje wird um 4 Uhr 14 Minuten nachmittags ein starkes, wellenförmiges Erdbeben von kurzer Dauer verspürt. 17. Auf der Hamburger Station werden fol- gende P"ernbeben verzeichnet: leichtere um i Uhr 22 Minuten und 2 Uhr nachmittags; ein mittleres von 6 Uhr 40 bis 8 Uhr 45 Minuten nachmittags. Die Hauptbewegung setzt kurz vor 7 ein; die Entfernung wird auf 8000 km in südöstlicher Richtung geschätzt. 21. In Temir-Chan-Schura, Daghestan, wird gegen J Uhr morgens ein schwaches Erdbeben von 5 Sekunden Dauer verspürt. September. 2. Auf der Hamburger Station wird ein hef- tiges Erdbeben, etwa 9200 km in südöstlicher Richtung entfernt, verzeichnet. Es dauert von 5 Uhr 3 Minuten bis gegen 9 Uiir nachmittags und erreicht seine größte Stärke zwischen 5 Uhr 40 und 5 Uhr 53 Minuten. Die stärksten Stöße, die N. F. VI. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 811 Ausschläge von fast 20 mm verursachen, werden um 5 Uhr 44 und 5 L'hr 53 Minuten registriert. Falls das Erdbeben bewohnte Gebiete betroffen hat, muß es von verheerender Wirkung gewesen sein. 4. Nach Meldungen aus Konstantine, Algerien, sind in Porte Beni Jrmane durch Erdbeben 2 Moscheen und zahlreiche andere Gebäude zer- stört, sowie Menschen getötet worden. 5. Es wird gemeldet, daß dem Hauptkrater des Vesuvs seit einigen Tagen wieder starke Rauch- massen entsteigen. 14.15. In Kokand werden zwischen 10 und 4 Uhr nachts vier Erdstöße verspürt. 15. Auf der Hamburger Station werden nach- mittags zwei ziemlich heftige F"ernbeben ver- zeichnet; von 7 bis 7 Uhr 45 Minuten; Ent- fernung etwa 2500 km. Die Hauptbewegung be- ginnt um 7 Uhr 9 Minuten und erreicht ihren Höhepunkt um 7 Uhr 12 Minuten mit einem Aus- schlage von ca. 17 mm. Das zweite beginnt um 8 Uhr 32 Minuten und dauert bis kurz nach 9 Uhr. Die stärkste Bewegung setzt um 8 Uhr 38 .Minuten ein; um 8 Uhr 41 Minuten erfolgt der Hauptstoß, der einen Ausschlag von 8 mm verursacht. 19. In Redlands, Kalifornien, wird um 5 Uhr 45 Minuten nachmittags ein heftiges Erdbeben verspürt. Sachschaden ist nicht bekannt geworden. 20. In Untermanbach bei Düren und in der Umgegend werden gegen 7 Uhr nachmittags zwei starke, kurz aufeinanderfolgende Erdstöße verspürt. 22. und 23. In Guatemala werden an beiden Tagen durch mehrere heftige Erdstöße zahlreiche Gebäude und verschiedene Kirchen schwer be- schädigt. Die Kaffeedistrikte sind nicht in Mit- leidenschaft gezogen. Oktober. 16. Die seismographischen Apparate des staat- lichen Wetterbureaus in Washington, Nordamerika, und des Observatoriums der California Univer- sität in Berkeley, Californien, registrieren am Vor- mittage ein überaus heftiges Beben von 6 Minuten Dauer. Nach Professor Buscher vom letztgenannten Observatorium dürfte das Zentrum der Störung etwa 1600 km südlich von Berkeley im Stillen Ozean zwischen der mexikanischen Küste und Hawai gelegen haben. Mit der Erschütterung, deren Intensität in der Nähe des Zentrums die- jenige der Erdbeben von Californien, Jamaika, Valparaiso und Mexiko übertroffen haben dürfte, ist möglicherweise eine Flutwelle verbunden ge- wesen. 18. Die Stadt Coimbra in Portugal wird nach schwerem Sturm mit Wolkenbrüchen von einem heftigen Erdbeben heimgesucht, das großen Schaden verursacht. 21. In den Vormittagsstunden werden bedeu- tende Gebiete von Turkestan von einem sehr heftigen Erdbeben heimgesucht, das stellenweise von verheerender Wirkung ist. In Samarkand beschädigt ein wellenförmiges Erdbeben, das von 8 Uhr 47 Minuten bis 10' o Uhr vormittags dauert, viele Gebäude, darunter auch eine Moschee schwer, deren Minaret ein- stürzt. Die Erschütterungen wiederholen sich bis nachmittags um 5 Uhr und bringen zahlreiche Gebäude zum Einsturz, wodurch auch Menschen getötet werden. Die Bewohner lagern außerhalb der Stadt. In denselben Vormittagsstunden werden auch Kokand und Uratjube schwächer erschüttert, ohne daß indessen Schaden verursacht wird ; der Ort Kattakurgan wird dagegen von einem starken Beben betroffen, das gegen 10 Uhr erlischt. Am schwersten betroffen wird die Bucharische Stadt Karatag mit ihrer Umgebung. Die Stadt wird durch einen überaus starken, wahrscheinlich senkrechten Stoß vollständig in Trümmer gelegt. Nach den neuesten Nachrichten der dorthin ent- sandten Berichterstatter haben sich von den 4000 E^inwohnern nur 200 gerettet , die übrigen sind sämtlich umgekommen. Auch die Ansiedlungen in der Umgegend von Karatag sind mitsamt ihren meisten Bewohnern der Vernichtung an- heimgefallen. Insgesamt sollen etwa 10 000 Men- schen der Katastrophe zum Opfer gefallen sein. Infolge des Erdbebens sollen sich im Boden be- deutende Risse gebildet haben. Auch in Transkaspien werden in den Vor- mittagsstunden heftige Erderschütterungen ver- spürt, durch die Spalten im Boden entstehen. Nachmittags treten schwächere Beben auf. Um 5 Uhr 30 Minuten vormittags zeigt der Seismograph des astrophysikalischen Instituts auf dem Königsstuhl bei Heidelberg ein fernes Erd- beben an, das um 5 Uhr 38 Minuten zu bedeu- tender Stärke anschwillt. Auch die Erdbeben- warte zu Hohenheim bei Stuttgart verzeichnet in den frühen Stunden dieses Tages ein starkes Fernbeben. 21. ,22. In der Nacht registriert die Erdbeben- warte zu Göttingen ein neues, heftiges F"ernbeben von 15 Minuten Dauer, dem zahlreiche schwache Erschütterungen folgen. 23. Die Instrumente der Hamburger Haupt- station für Erdbebenforschung registrieren nach- mittags um 9 Uhr 32 und 9 Uhr 35 Minuten in der Ferne zwei Erdstöße, denen um 9 Uhr 37 Minuten ein sehr heftiges Beben folgt, das bis 10 Uhr 10 Minuten dauert; die Entfernung des Epizentrums wird auf etwa 2000 km berechnet. Damit hatte die Station das vernichtende Erd- beben gemeldet, das um die genannte Zeit Cala- brien, die so oft (zuletzt 1905) schwer betroffene, südlichste Provinz Italiens, heimsuchte, eine nicht unbedeutende Zahl zum Teil erst wieder im Auf- bau begriffener Orte zerstörte und große Verluste an Menschenleben verursachte. Am schwersten ist der Ort Ferruzano betroffen; er ist vollständig zerstört; 175 Menschen sind umgekommen und 50 mehr oder weniger schwer verletzt. In den übrigen vom Erdbeben heim- 8l2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 51 gesuchten Orten sind 1 1 Personen getötet und 35 verletzt worden. Völlig zerstört sind ferner die Dörfer Pioppo, Chiesa, Zoparto; sehr schwer gelitten haben Brancaleone, das zur Hälfte in Trümmern liegt, Sopardo, Sant Ilario del lonio, Gerace, Sinopoli, Sant Eufemia; auch Monteleone, Zoopestra, Melito, Bovelino, Portigliola, Bianconovo und viele andere Ortschaften sind mehr oder weniger betroffen werden. Das Erdbeben wurde auch in Catanzaro, Cosenza, Baracodio, Radicena, Cittanova, Palm! u. a. O. mehr oder weniger stark verspürt. Heftiger Sturm und starke Regengüsse, die große Überschwemmungen verursachten, ver- zögerten zum Teil das Rettungswerk, zu dem Militär und Ingenieure aufgeboten wurden. Es soll beabsichtigt werden, die Orte Ferru- zano, Brancaleone und San Ilario del lonio an anderen Stellen, an der ionischen Eisenbahn und nahe dem Meere wieder aufzubauen. 27. In Ferruzano wird wiederum ein heftiger Erdstoß verspürt, und es reißt dabei eine über viele Kilometer fortsetzende Spalte auf 28. Gegen 6 Uhr nachmittags werden die Orte Monteleone, Sant Eufemia, Bagnaro und Sinopoli wieder von einem heftigen Erdstoß be- troffen. 31. Mittags wird die Gegend von Brancaleone und Ferruzano wiederum erschüttert. In Ferru- zano stürzt infolgedessen ein Gewölbe ein und verletzt zwei mit den Aufräumungsarbeiten be- schäftigte Pioniere. Der Ort Kasirnagan im Kissargebiet, Buchara, wird durch ein Erdbeben zerstört. Auf dem Derbentpasse herrscht gleichzeitig ein Magnet- sturm. Kaunhowen. Wetter-Monatsübersicht. Der vergangene November liatte in Deutschland einen recht veränderlichen Witterungscharakter, jedoch herrschte trübes, nebeliges, mildes Wetter im ganzen vor. Die Tempe- raturen schwankten , wie aus der beistehenden Zeichnung er- sichtlich ist, im Norden innerhalb sehr weiter Grenzen, -wäh- rend sie in Süddeutschland gleichmäßiger verliefen. Am An- fang des Monats trat bei trockenen (»stwinden überall eine starke Abkühlung ein. In den Nächten zum 7. und 8. kamen in vielen Gegenden bis zu 6 oder 7, in Erfurt sogar 9" C Kälte vor, jedoch wurden im Rheingebiet während der Mittagsstunden noch 15" C erreicht oder etwas über- schritten. Zwischen dem lo. und 17. November war es in der ganzen deutschen Niederung für die Jahreszeit recht warm. Dann stellte sich zunächst im Nordosten neuer Frost ein, der bald ziemlich strenge wurde und sich mit scharfen östlichen Winden allmählich auch weiter nach Westen und Süden fort- pflanzte. Am 19. und 20. nachts herrschten an vielen Orten Ost- und Mitteldeutschlands g oder 10, in Schreiberhau bis zu 13" C Kälte. Schon am 21. November mußte die Schifl'ahrt auf der Weichsel wegen starken Grundeistreibens geschlossen werden. An der östlichen Ostseeküste und im frischen Haff bildete sich eine dünne Eisdecke, bald darauf trat in den Mündungsarmen der Memel, teilweise auch an der Mündung der Nogat Eisstand ein. In der westlichen Hälfte Deutschlands war die Kälte, der ein großer Teil von den noch massenhaft in der Erde befind- lichen Hackfrüchten zum Opfer fiel, auch diesmal nur von kurzer Dauer. Zwischen dem 2v und 27. November stellte sich im Osten gleichfalls Tauwetter ein, und kurz vor Schluß des Monats war es überall fast ebenso warm wie in seinen ersten Tagen. Im Monatsmittel waren die Temperaturen in Süddeutschland etwas zu hoch, in Norddeutschland ein wenig zu niedrig, aber nur im Nordosten fehlte ein voller Grad an der normalen Novembertemperatur. Wegen größerer Klarheit des Himmels war hier die Wärmeausstrahlung viel bedeutender, in den Mittagsstunden herrschte aber auch mehr Sonnenschein als im Westen, wo gewöhnlich eine Nebeldecke über dem Erdboden lagerte. JlZifnisre TsmwsraTurcn eini^ar ©rfs im KJi>enwerl907. .-5i_l_i Bsf^inBrWtttepbureau. 'niscfsrs'o^ac^^s^cn imHopstiitsr 1907. sei ' i^_ r_ S £ I -§J-£ b^ mx: jr^gcosrS •ewber. | j [ U Mäiili^.iiiiM ■I8.bis23. November 1 iLL I L-Urtl 1 JftiHlerer Werf für Deulscilbind. MonatsjummB im Novbr 1907.06.05. 04.03. Oa. 6wbpory in Polystichum angulare var. pulcherrimum (ibd. vol. XXII (1S86). — Id. Notes upon an Aposporous Lastrea (Nephrodiuml. Ibid. vol. X.\IX (1892). — Id. Notes upon Apospory in a fern of Scolopendrium vulgare var. crispum and a few apo- sperous Athyrium; ibd. vol. XXX (1S93). Bower; On some normal and abnormal developments of the Oophythe in Trichomanes (Annais of Botany vol. I (1888). F'arlow: Ajicspory in Pteris aquilina (ibd. vtil. II, 18S8, P. 383)- Goebel: Aposporie bei Asplenium dimorphuni (in Flora Bd. 95. Ergänzungsheft zum Jahrgang 1905, p. 239}. Staus field: The study of the abnormal (in The Brit. Pterid. Society 1903). Ch. T. Druery; A new case of apospory (Card. Chron. XXXIV (1903) p. 325). P. Beckmann. Zu „Erdpyramiden" (vgl. S. 608 ds. Bds. der Naturw. Wochenschr.) möchte ich folgende neuere Literatur namhaft machen : Ch. Kittler, Über die geographische Verbreitung und Natur der Erdpyramiden. München 1897, 56 S. S. Günther, Glaziale Denudationsgebiete im mittleren Eisacktal. Sitzber. K. Bayr. Ak. d. Wiss. Math.-phys. Kl. 1902. 32, 3, S. 459 — 486. (Enthält Systematik der Erdpyra- miden und gcol. Orgeln in Tirol.) S. Günther, Erdpyramiden und Büßerschnee als gleich- artige Erosionsgebilde. Ebd. 34. 1904, 397—420. (Vgl. W. Deecke in Globus 1905, Nr. 15.) L. Sauer, Die Erdpyramiden in den Alpen und ver- wandte Verwitterungsformen. Progr. Friedrich - Wilhelms- Gymnasium. Stettin 1904. F". Ratzel, ICntstehung der Erdpyramiden. In dessen „Kleine Schriften", II, 1906, 82—92. P. Wagner, Erdpyramiden und ihre Entstehung. Die Natur 1899, Nr. 17. van Calker, Über d. Vork. von Erdpyramiden im Schwarzvi'ald. N. Jb. f. Mineral. 1896, I, 83. Außerdem vgl. die kürzeren Darstellungen in ,,Gaea" 1906, 353—358; ,, Deutsche Rundschau f. Geogr. u. Statistik" 20, 1898, 220; .\rtikel „Experimentalgeologie" in Meyer's Konversationslexikon. A. Berg in Magdeburg. Herrn (.ibcrlehrer V. in D. — Für experimentelle, geo- logische Studien empfehlen wir Ihnen die vorzügliche „Vor- schule der Geologie" von Joh. Walther (Jena, G. Fischer, Preis geb. 2,60 Mk). In diesem Buche finden Sie auch die wichtigste sonstige, geologische Literatur zusammengestellt. Herrn R. R. in Zeitz. — Vielleicht gibt Ihnen über die Lösung des Delischen Problems mittels der Conchoide des Nikomedes das mathematische Wörterbuch von Hoffmann und Natani Auskunft, das z. B. im Lesesaal der kgl. Bibliothek in Berlin einzusehen ist (7 Bände, 1857 — 61, Preis antiquarisch bei Friedlaender in Berlin ca. 90 Mk.). Herrn W. B. in t^lberfeld. — Außer dem Ihnen be- kannten Werk von Boutigny liegt über das Leidenfrost'sche Phänomen nur noch vor eine Arbeit von Buff (Ann. d. Chemie u. Pharm. Bd. 77). Dieser führt das Phänomen auf Vermin- derung der .^dhäsion bei Temperaturerhöhung zurück, doch hält Drucker (in Müller- Pouillet's Physik, 1907) diese Erklä- rung für falsch und führt die Erscheinung wie die meisten Physiker auf die den Tropfen tragende, die Berührung ver- hindernde Dampfschicht zurück. Inhalt: .\ugust Sieberg; Die Natur der Erdbeben und die moderne Seismologie. (Schluß.) — Kleinere Mitteilungen; Prof. Dr. G. Tornier; Gegen den Vegetarismus. — Kaunhowon: Die Störungen in der Erdkruste vom I. Juni bis 31. Oktober. — Wetter-Monatsübersicht. — Bücherbesprechungen: Prof. Dr. B. Hoffmann; Zur Gestaltung des Unterrichts in der mathematischen Himmelskunde. — i)Wüllner; Lehrbuch der Experimentalphysik. 2) Dr. E. A. Kielhauser: Die Stimmgabel. — Dr. R. G rimsha w; La construction d'une locomotive. — Anregungen und Antworten. Verantwortlicher Redakteur; Prof. Dr. F. Koerber, Groß-Lichterfeldc-West b. Berlin. Druck von Lippert & Co. (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S. Organ der Deutsehen Gesellschaft für volksLümliehe Naturkunde in Berlin. Redaktion: Professor Dr. H. Potoni6 und Professor Dr. F. Koerber in Grofs-Lichterfelde-West bei Berlin. Verlag von Gustav Fischer in Jens. Nene Folge VI. Band; der ganzen Reibe XXli. Band. Sonntag, den 29. Dezember 1907. Nr. 52. Abonnement: Man abonniert bei allen Buchhandlungen und Postanstalten , wie bei der Expedition. Der Halbjahrspreis ist M. 4. — . Bringegeld bei der Post 15 Pfg. extra. Inserate: Die zweigespaltcne Kolonelzeile 40 Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Beilagen nach Übereinkunft. Inseratenannahme durch die Verlags- handlung. Die Nutzbarmachung von Luftstickstoff. 'Nachdruck verboten. Der berühmte französische Chemiker Berthelot liat vor Jahren in einer seiner Reden die Über- zeugung ausgesprochen, daß es der Chemie in nicht allzu ferner Zukunft gelingen wird die Wege zu finden, um alle Nahrungsmittel des Menschen auf synthetische Weise, aus Elementen und solchen einfachen Verbindungen, wie Wasser und Kohlen- säure, billig und in beliebigen Mengen zu fabri- zieren ; dadurch würde dem Elend der Menschheit ein Ende gesetzt und die große soziale Frage zum Teil wenigstens gelöst werden. So weit ist nun die Wissenschaft noch nicht. Wohl ist es ihr aber in den letzten Jahren geglückt eine Aufgabe zu lösen, welche, mit der Volksernährungsfrage aufs engste verknüpft, das von dem großen Gelehrten gesteckte Ziel auf Umwegen zu erstreben sucht : wir meinen die Aufgabe der Überführung des atmosphärischen Stickstoft's in die Form von solchen Verbindungen, welche von den Pflanzen assimiliert und in die für die menschliche Ernährung so wichtigen Eiweißstoffe umgewandelt werden können. Die enorme volkswirtschaftliche Bedeutung solcher von Pflanzen assimilierbaren Stickstoffverbindungen erhellt schon aus folgenden wenigen Zahlen: im Jahre 1905 betrug der Weltverbraucii am wich- tigsten Stickstoffdünger — dem Natronsalpeter — Von Dr. L. Gurwitsch (Bakvi). ca. 1,5 Mill. Tonnen; davon verbrauchte die euro- päische Landwirtschaft 920 ooo Tonnen im Werte von 184 Mill. Mk. Nun stammt der gesamte in den Welthandel kommende Salpeter von einem einzigen Fundorte — aus den riesigen Ablagerungen in den südlichen Provinzen Chiles; hier und da auftauchende Nachrichten über Entdeckungen größerer Salpeter- lager in anderen Ländern haben sich bisher sämt- lich nicht bewahrheitet, und wenn man einerseits die ganz speziellen Vorbedingungen für die Bildung des natürlichen Salpeters, andererseits seine große Löslichkeit, d. h. die äußerst leichte Zerstörung der einmal schon gebildeten Salpeterschichten durch Gewässer in Betracht zieht, so wird man kaum hoffen dürfen, ein solclies Wunder, wie es die riesigen Salpelerlager von Chile sind, je wieder in der Natur anzutreffen. Die ciiilenischen Fund- orte aber, so gewaltig sie ursprünglich auch waren, sind bereits der Erschöpfung nahe und können nach Berechnungen der Spezialisten nur noch etwa bis Anfang der 20 er Jahre des laufenden Jahr- hunderts ausreichen. Dann steht eine Salpelernot bevor, gegen welche der zweite alte Stickstoff- dünger — das Ammoniumsulfat — in keinem Falle eine genügende Aushilfe leisten können wird, 8i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 52 eine Salpeternot, welcher, falls bis dahin kein Ausweg gefunden, für einen großen Teil der Menschheit auch die Hungersnot folgen würde. Glücklicherweise ist nunmehr ein solcher Ausweg gefunden worden und zwar, durch merkwürdiges Zusammentreffen, nicht nur einer, sondern gleich- zeitig zwei verschiedene. Auf beiden Wegen wird das Ziel erreicht — direkt oder indirekt — unter Zuhilfenahme der großen modernen Zauberkraft der Elektrizität; auf beiden wird als Rohprodukt der überall in unbegrenzter Menge vorhandene Stickstoff der Atmosphäre benutzt; aber die pflanzennährenden Verbindungen, in deren Form dieser Stickstoff nach vollzogener Metamor- phose uns entgegentritt, sind in beiden Fällen ganz verschieden: in dem einen — der alte be- kannte Salpeter, im anderen — ein neuer che- mischer Körper mit dem wohlklingenden wissen- schaftlichen Namen „Calciumcyanamid" oder dem einfacheren, für Laiengebrauch bestimmten: „Kalk- stickstoff'. Wir wollen nun über beide Wege einen allgemeinen Überblick werfen, die speziell technischen Details beiseite lassend. Die chemische Reaktion, welche dem ersten Weg — dem der Umwandlung des Stickstoffs in Salpetersäure und ihre Salze — zum Ausgangs- punkt dient, läßt sich durch folgende einfache Reaktion darstellen : N,, + O., :: 2 NO. Wie das Zeichen des Doppelpfeils andeutet, gehört diese Reaktion zu den sog. umkehrbaren, d. h. solchen, welche nach zwei entgegengesetzten Richtungen verlaufen und daher nie zur vollstän- digen Umwandlung des einen Systems in das andere, sondern nur zu einem gewissen Gleich- gewichtszustande der beiden Systeme führen. Wenn wir also Stickstoff und Sauerstoff zusammen- bringen, werden sich zwar beide Gase zu Stick- oxyd zu vereinigen suchen, die Umwandlung kann aber unter keinen Umständen vollständig ver- laufen, sondern wird stets an einer, durch je- weilige Temperatur, Druck u. dgl. Bedingungen bestimmten Grenze innehalten; und umgekehrt: reines, auf irgend welche andere Weise darge- stelltes Stickoxyd muß z. T. in Stickstoff und Sauerstoff zerfallen und zwar so weit, bis wieder- um dieselbe den gegebenen Bedingungen ent- sprechende Gleichgewichtsgrenze der beiden Systeme erreicht ist. Die Gleichgewichtsgrenze für die Bildung von Stickoxyd steigt sehr stark mit der Temperatur; so fand Nernst, daß beim Erhitzen der atmosphärischen Luft folgende pro- zentualische Mengen Stickoxyd gebildet werden: Temperatur (absolute) "/„ NO 1811 0,37 2033 0,64 2580 2,05 2675 2,23 Die Gleichgewichtsgrenzen sind theoretisch für gegebene Bedingungen stets dieselben, ganz unabhängig davon, ob wir ursprünglich ein Ge- misch gleicher Volumina Stickstoff und Sauerstoff oder reines Stickoxyd vor uns haben; praktisch aber läßt sich solche Unabhängigkeit des Gleich- gewichts nur bei hohen Temperaturen feststellen, da bei niedrigen Temperaturen die Bildung und Zersetzung des Stickoxyds, wie viele andere umkehr- bare Reaktionen, so langsam verlaufen, daß eine Umwandlung in endlicher Zeitspannne kaum oder sogar gar nicht bemerkt werden kann. Die fol- gende kleine Tabelle von Nernst gibt die Zeiten an, die erforderlich sind, damit in lluft von Atmo- sphärendruck sich die Hälfte des möglichen Stick- oxyds bildet: ;ratur (absol.) Zeit 1000 81,62 Jahre 1500 1,26 Tage 1900 2,08 Min. 2100 5,06 Sek. 2500 1,06.10^ Sek 2900 3,45.10-5 „ Man ersieht daraus, wie rasend schnell die Reaktion bei hohen Temperaturen, wie unendlich langsam sie bei den niedrigen verläuft; dies er- klärt, wieso reines Stickoxyd, auf irgend welche Weise gewonnen, bei gewöhnlicher Temperatur unbegrenzt lange ohne jede merkbare Spur der Zersetzung aufbewahrt werden kann. Wenn man daher die Luft, welche auch nur ganz kurze Zeit etwa auf 2500 — 3000'' erhitzt wurde, plötzlich bis etwa 1500 — 1000" sich abkühlen läßt, so wird das bei hoher Temperatur gebildete Stickoxyd keine Zeit haben in Stickstoff und .Sauerstoff zu zerfallen, und das auf solche Weise gewonnene Gasgemisch wird sich viel reicher an Stickoxyd erweisen, als es seiner Temperatur an und für sich entspricht. Aus dem Gesagten lassen sich leicht die theo- retischen Bedingungen ableiten, welche für die Bildung von Stickoxyd aus der Luft am günstigsten sind: I. möglichst hohe Temperatur der Bildungs- zone; 2. möglichst schnelle Abkühlung des nun- mehr gebildeten Stickoxyds. Für die erfolgreiche praktische Ausführung des Gedankens der Stick- stoffverbrennung gesellen sich natürlich zu diesen theoretischen Bedingungen eine Reihe nicht weniger wichtiger technischer Forderungen: die Apparate zur Erzeugung von Stickoxyd müssen konstruktiv einfach sein , billig und möglichst dauerhaft; sie müssen genügend große Leistungs- fähigkeit aufweisen, d. h. genügend großen Mengen Luft Durchlaß geben können; sie sollen nicht gar zu viel Wartung beanspruchen usw. Von den bisher bekannt gewordenen Verfahren zur Erzeugung des Stickoxyds aus der Luft genügt am besten allen diesen Forderungen das Verfahren des norwegischen Physikers Prof Birkeland. Wie das Verfahren selbst, ist auch seine Vor- geschichte interessant und lehrreich. Vor mehr als 4 Dezennien, im Anfange der 60er Jahre V. Jahrh., wurde von Plücker die Beobachtung ge- N. F. VI. Nr. 52 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 819 macht, daß ein kurzer elektrischer Gleichstrom- bogen unter der Einwirkung eines quergerichteten Magnetfeldes bedeutend ausgedehnt wird und die Gestalt einer halbkreisförmigen Scheibe annimmt. Wird der Bogen vom Wechselstrom gespeist, so ändert sich mit jedem Stromwechsel auch die Lage dieser Halbscheibc; liegt z. B. der ursprüng- liche Bogen horizontal, so richtet sich im horizon- talen Magnetfelde die Halbscheibe bald nach oben, bald nach unten ; beim schnellen Stromwechsel fließen aber die einzelnen jederseits sich bildenden Halbscheiben zusammen und es entsteht eine ein- zige scheibenförmige Plamme. Diese Beobachtung — wie so viele andere — mußte nun mehrere Jahrzehnte wie ein verborgener Schatz halbver- gessen in einem der entfernten Winkel des großen Gebäudes der modernen Physik liegen bleiben, bis Birkeland sich ihrer annahm und in ihr das „Sesam, öffne dich" für die schwierige Aufgabe der künstlichen Salpetererzeugung fand. Indem nämlich Rirkeland im Anfange der 90 er Jahre sich mit den Plücker'schen Versuchen beschäftigte, fiel ihm bald die außerordentlich reiche Bildung der Stickstoffoxyde im Gebiete des zu einer Scheibe ausgezogenen Lichtbogens auf; damit war das Prinzip eines neuen Verfahrens zur Sal- petersäureerzeugung gewonnen, denn die bis da- hin zu diesem Zwecke benutzten Funkenent- ladungen sind viel weniger wirksam. Die Ver- suche wurden im Jahre 1893 mit kleinen Labora- toriu mapparaten begonnen. Nach und nach folgten immer größere mit verbesserter Konstruktion und größerer Leistungsfähigkeit. Dann war die .Arbeit so weit vorgeschritten, daß ihre Fortsetzung in eine kleine Probefabrik in der Nähe von Christiania verlegt werden mußte. Nach einiger Zeit ist an die Stelle dieser kleinen Station eine größere Anlage bei Arendal getreten, welche aber immer noch nicht für den kaufmännischen Be- trieb, sondern nur für weitere wissenschaftliche und technische Durchforschung des Prozesses im großen Maßstabe bestimmt war. Und schließlich im Jahre 1904 war der verdiente, durch harte zehnjährige Arbeit erkaufte Erfolg so weit ge- sichert, daß man zum Bau einer großen Fabrik zur Erzeugung des Salpeters schreiten konnte. Eine solche ist in dem norwegischen Städtchen Notodden gegründet worden, wo man eine sehr billige Wasserkraft zweier Wasserfälle von der Ge- samtleistung bis 50000 Pf -Kr. zur Verfügung hat. Es sind hier im Jahre 1905 3 Öfen mit einem Ge- samtverbrauch von 1500 Kilowatt in Gang ge- setzt. Die Ofen — aus feuerfesten Ziegeln ge- baut und mit starken Eisenplatten gepanzert — haben die Form gewaltiger flacher Dosen von über 2 m Durchmesser; sie werden in aufgerich- teter Lage von zwei Eisensäulen getragen, welche gleichzeitig als Schenkel eines Elektromagneten dienen, dessen Pole zu beiden Seiten des Ofens in deren Mitte liegen. Die wagerechten Elek- troden — kupferne, durch Wasser gekühlte Röhren — ragen in den Ofen durch die schmale Wand von zwei entgegengesetzten Enden hinein und kommen mit ihren freien Enden so nahe anein- ander, daß die Entladungsstrcckc nur etwa i 5 mm lang ist. Der kurze Lichtbogen wird aber durch die Elektromagneten zu einer Scheibe von ca. 2 m Durchmesser auseinandergeblasen und diese ge- waltige, hellleuchtende, unter einem eigentüm- lichen Geräusch brennende Flamme füllt fast den ganzen Innenraum des schmalen Ofens aus. Die Luft wird in den Ofen zentral, direkt gegen die Flammenscheibe, von beiden Seiten her einge- blasen und an der Peripherie abgeleitet; durch jeden Ofen strömen pro Minute 25 Kubikmeter Luft, welche den Ofen mit einem durchschnitt- lichen Gehalt von 2",, NO verlassen; bei dieser kolossalen, sturmartigen Geschwindigkeit der Luft- strömung geht die Abkühlung der Gase beim Verlassen des Ofens schnell genug vor sich, um den Gehalt an NO nicht weiter sinken zu lassen. Damit — mit der " Erzielung eines Gasge- misches mit 2 "/„ NO — ist nun aber die tech- nische Aufgabe der Salpetererzeugung bei weitem noch nicht gelöst. Jetzt handelt es sich darum, dieses Stickoxyd auf möglichst einfache und billige Weise in Salpetersäure oder deren Salze überzu- führen. Ohne uns bei verschiedenen vorgeschlagenen Methoden zur Lösung dieser Aufgabe aufzuhalten, wollen wir nur den Weg dazu beschreiben, welcher von Prof Birkeland und seinen Mitarbeitern ge- bahnt und als der zurzeit vorteilhafteste befunden wurde. Auf der Fabrik zu Notodden wird nicht Salpetersäure selbst, sondern ihr Calciumsalz dar- gestellt, und zwar auf folgende Weise. Die den Ofen verlassenden , immerhin noch sehr heißen Gase werden vor allem unter Dampfkessel ge- leitet, wo ihre Wärme zur Dampferzeugung aus- genutzt wird, und gelangen dann in geräumige, mit feuerfesten Steinen ausgelegte „Oxydations- türme", in welchen das Stickoxyd NO durch den noch im großen Überschuß gebliebenen freien Sauerstoff zu Stickstoffdioxyd N0._, oxydiert wird. Von hier strömen die Gase in eine Reihe hoher steinerner Absorptionstürme mit Quarzfüllung, über welche ununterbrochen Wasser hinunter- rieselt; das von unten nach oben, d. h. dem Wasser entgegenströmende Stickstoffdioxyd wird von diesem unter Bildung von Salpetersäure und Stickoxj'd absorbiert nach der Gleichung: 3 NO., + H„0 = 2 NO3H -f NO ; das Stickoxyd oxydiert sich wieder zu Stickstoff- dioxyd usw. Die unten aus den Türmen ab- fließende, wäßrige Lösung der Salpetersäure wird aber nach oben zurückgepumpt, bis ihr Gehalt an Salpetersäure 50",, erreicht. Diese für den weiten Transport immer noch zu schwache Säure wird in Granittrögen mit Kalkstein gesättigt, die neutralen Lösungen von Calciumnitrat eingedampft, eingeschmolzen und der heiße, geschmolzene Sal- peter direkt in Eisentrommeln abgelassen, wo er erstarrt und in dieser Form auf den Markt ge- bracht wird. Das aus dem letzten Wasserturm 820 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 52 austretende Gas enthält noch etwas Stickoxyd, resp. Dioxyd ; um auch diese Reste zu absor- bieren, leitet man das Gas noch durch einen Turm mit Ziegelfüllung, über welche Kalkmilch rieselt ; das Dioxyd setzt sich mit Kalk zu einem Gemisch von Calciumnitrat und -nitrit um; 4 NO., + 2Ca(0H), = Ca(N03)., + Ca(NOo)o. Da das Nitrit für die Pflanzen schädlich ist, wird das Gemisch mit einem Teil der aus den ersten Türmen ausfließenden Salpetersäure be- handelt, welche aus dem Nitrit die salpetrige Säure austreibt und reines Nitrat bildet; die ausgetriebenen salpetrigen Gase werden aber in die Absorptionstürme zurückgeleitet. Der auf diese Weise erzeugte Kalksalpeter ist als Dünge- mittel — wie durch zahlreiche Versuche in ver- schiedenen Ländern sicher bewiesen — dem Chilisalpeter nicht nur ebenbürtig, sondern in vielen Fällen, wo nämlich der Boden kalkarm ist, sogar überlegen. Sein einziger Mangel war bis zuletzt die große Hygroskopizität, welche das praktische Handhaben für den Landwirt sehr un- bequem machte; aber auch diese Schwierigkeit ist nunmehr glücklich überwunden; es erwies sich nämlich, daß das basische, d. h. einen Überschuß an freiem Kalk enthaltende Calciumnitrat so gut wie gar nicht hygroskopisch ist. Es mögen noch einige Daten aus dem Betriebe der Fabrik zu Notodden folgen. Wie viele über- einstimmende Messungen ergaben, beträgt hier die Ausbeute, auf wasserfreie Salpetersäure berechnet, bis 500 — 600 Kilo NO.jH pro i Kilowattjahr, was 850—1000 Kilo Kalksalpeter mit 13,2 "/(, N ent- spricht. Bei der sehr billigen der Fabrik zur Ver- fügung stehenden Wasserkraft — etwa 12 Mark pro Pferdekraft und Jahr — berechnen sich die Gesamtherstellungskosten von einer Tonne Sal- peter zu 80 Mark, während sein Verkaufspreis — welcher zurzeit natürlich durch den Marktpreis von Chilisalpeter bestimmt ist — etwa das Dop- pelte erreicht. In Notodden arbeitet man zur Zeit mit Öfen ä 500 Kilowatt (100 Amp. bei 5000 Volt); es sollen aber demnächst solche zu 2000 KW ge- baut werden, wodurch einerseits die Ausbeute an Stickoxyd vergrößert, andererseits die Anlage- kosten ganz bedeutend erniedrigt werden sollen. Die zweite Methode, den atmosphärischen Stickstoff zu binden und für die Pflanzenernährung dienstbar zu machen ist ganz neuen Datums und rührt von den deutschen Chemikern Prof. Frank und Dr. Caro her. Die chemische Verbindung, in Form von welcher der Stickstofi" hier auftritt, heißt Calciumcyanamid und hat die Formel CaCN,_, ; es ist das Calciumsalz des Cyanamids CN.NH.,, Unter der Einwirkung von Wasser zersetzt es sich allmählich nach der Gleichung: CaCN, + 3 HjO = CaCOg -f 2 NH„ in Calciumcarbonat und Ammoniak. Da das letz- tere bekanntlich sich von Pflanzen gut assimilieren läßt, kann das Calciumcyanamid als Stickstoff- dünger benutzt werden. Das Calciumcyanamid bildet sich durch direkte Anlagerung von Stickstoff an das Calciumcarbid bei hoher Temperatur; seine Herstellungsweise ist daher sehr einfach. In den Anlagen der ita- lienischen ,, Gesellschaft für Fabrikation von Stick- stoffprodukten" in Piano d'Orba (Oberitalien) ge- schieht sie folgenderweise. „Man bringt gemahlenes Carbid in geschlossene und feuerbeständige Re- torten und läßt auf dasselbe trockenen, reinen Stickstoff" einwirken. Die Retorten werden nach Füllung mit Carbidpulver auf 700 bis 1000", also auf Rot- bis Weißglut, erhitzt und dann mit der Stickstoffleitung verbunden. Das Carbid absor- biert dann mit großer Heftigkeit unter starkem Aufglühen und Wärmeentwicklung Stickstoff und bildet Calciumcyanamid, Kalkstickstoff. Wird kein Stickstoff mehr absorbiert, was an einer vorgelegten Gasuhr ersiclnlich ist, so wird das Reaktionspro- dukt aus den Retorten gebracht und nach der Abkühlung unter Luftabschluß und nach Zerklei- nerung zu Pulver in die Versandgefäße oder Säcke gebracht. Der in die Retorten gehende Stickstoff kommt in Piano d'Orte aus einer Linde- Anlage, in der er durch fraktionierte Destillation von flüssiger Luft zu billigem Preise in fast che- misch reiner Form gewonnen wird." Es ist keines- wegs nötig, zum Ausgangsprodukt für die Her- stellung von Calciumcyanamid fertiges Calcium- carbid zu nehmen; man kann auch das Gemisch von Kalk und Kohle, welches sonst zur Fabrika- tion von Carbid dient, direkt mit Stickstoff im elektrischen Ofen behandeln; dies ist das Ver- fahren von Siemens & Halske. Am Anapo, unter den Papyren. Von Prof. G. Keine der alten Kulturstätten Italiens begeistert den Wanderer durch die Fülle und Größe alter- tümlicher Erinnerungen so hoch wie Syrakus, und keine von den Seltenheiten dieser Stadt zieht so sehr an wie eine Fahrt unter den Papyren des Anapo. Das Hinauffahren dieses Flusses vom herrlichen Golf ab ist gerade einer der schönsten und un- Lopriore. vergeßlichsten Anblicke, die Archimedes' Vater- stadt bietet. Vom Strand aus kann der Blick ungehemmt dahinschweifen und auf herrlichen, großartigen Sze- nerien ruhen , wie Theokrit hier und Virgil ge- sungen, Domenichino und Salvator Rosa auf der Leinwand ihrer Marinen gemalt haben. Die lachende Ebene, über die, an den sanften N. F. VI. Nr. 52 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 821 Abhatif^ gelehnt, X'iUcn und (iärten araphitheatrisch aufstellten, prangt im Grünen, hier und da mit weißen Felsen geschmückt und in der I'"erne von dem soimigcn I lügelsaum des Hybla eingerahmt. Es fehlt ja, sowie das Boot hinauffäiirt , die Aus- sicht über das in der Ferne blinkende Meer, an der schon die alten Gebieter und Bürger von Syrakus vom griechischen Amphitheater aus ihr Auge er- freuten, doch wird uns am Ziel unserer Fahrt die prächtige Fernsicht auch vergönnt. Indessen wiegt uns im Boot die Täuschung, daß ein belebtes, großartiges Amphitheater sich uns entgegen be- wegt, uns in den Golf mit sanfter Bewegung zurückschiebend. In seinem unteren Laufe eintönig und vulgär wie ein Bewässerungskanal, gewinnt der Anapo erst bergauf, da wo die Papyrstaude sich gebiete- risch emporhebt, den Ruhm, der noch in der Sage, in der Poesie fortlebt. Die Ufer erheben sich fast gerade und bald nähern sie sich so, daß der Kahn nicht leicht hindurchschleichen kann, bald erweitern sie sich zu Busen und werden in Papyr- reihen so eingefaßt, daß der Blick nicht jenseits des hohen, grünen Zaunes wandert, sondern gern auf dem hellen, tiefen Wasser ruht. Nicht das Malerische oder Unendliche, noch das Wilde oder gar Entsetzliche beherrschen hier das Auge. Der ganze Zauber liegt hier im Papyrus, der das Ufer bevölkert und in dichten Legionen den weichen, unbeständigen Boden erobert. Worin liegt ein solcher Zauber? In dem melancholischen, die landschaftliche Physiognomie des heimatlichen Nilstroms ausprägenden Habitus? In dem mystischen, heiligen Pflanzen eigenen Ruhm ? In der großen, in den Wasserbecken unserer Springbrunnen sonst ungewöhnlichen Pracht? Je nach Vorliebe und Vorbildung faßt der Wanderer die Stimmung dieser tropischen, hier verpflanzten Landschaft, die viel mehr als das Auge das Gemüt besiegt und den Geist bis zu der ältesten, ruhmvollsten Zeit des griechischen und römischen Syrakus ausschweifen läßt, die klassischen Erinnerungen wachrufend. Und doch entbehrt die Papyrstaude jener mil- deren Reize, die in reichem Giün prangende Ge- wächse entfalten , denn es fehlt ihr der freund- liche Anblick einer laubigen Decke, wie sonst den immergrünen Bewohnern von Italiens Gärten. Und doch hat sie trotz ihrer vergänglichen Existenz mehrere Kulturepochen überlebt und im Vergleich zu anderen Sonnenkindern des Südens , ja den stolzen , menschlichen Denkmälern selbst zum Trotz ihre Existenz neben ihrer poetischen und kulturgeschichtlichen Bedeutung erhalten. Die Kultur hat die naturwüchsige Einförmig- keit der Pflanze nicht geändert , die Farbe und Fassung ihres grünen Gewandes und Gipfelbüschels nie unmodern gefunden oder gar der wandel- baren Laune der Zeit angepaßt. Sie hat nur ihr Dasein in Obhut und Pflege genommen, das schlichte Naturgefühl einer Tropenvegetation be- halten und es dem klassischen Ruhm dieser Gegend entgegengestellt, welche in Europa die einzige ist, den hohen Schatz zu beherbergen. Wem diese hohe Gunst zu Danke? Nicht dem Gärtner, der immer nach neuen Gewächsen lüstert, um der Herrscherin des Menschengeschlechtes, der Mode, zu huldigen; auch nicht dem modernen industriellen Geist, der die grüne Mutterpflanze des vielgewandigen Papiers verkennt; wohl aber dem Verehrungsgefühle für das Klassische, das um so empfindlicher wird, je moderner es ist. Eifersüchtig hat Italien das edle, vom Orient vererbte Geschenk beschützt und sinnig die Tra- dition gewürdigt, nach welcher „im Schatten der Palmen, am Rande eines fließenden Wassers zu ruhen, dem Orientalen immer als der höchste Genuß galt".') Hier am stillen Anapo zu rasten, um den (jeist auszuruhen und ihn zu mystischen Gedanken aufzunehmen, bieten die Papyren einen heimischeren Schatten als die Palmen und ver- setzen uns in die Täuschung, als säßen wir am Ufer des väterlichen Nilstromes und sähen die Helden der alten Sagen vorübergehen oder gar die schlanke, mit Wasser umspülte Gestalt der Pharaonentochter nach dem Korbe winken, in dem der künftige Israelitenführer liegt (Filia Pharaonis .... cum vidisset fiscellam in Papyrione, etc. Exod. 2, 5). Fernere Zielpunkte bieten dem Auge keine Abwechslung, denn die seltenen Exemplare der Weide von Babylon spielen nur trügerische Fernen vor und geben der Naturstimmung mit ihren schlaffen bis ins Wasser herabhängenden Zweigen einen noch ernsteren Ton. Diesen träumerischen Gedanken überlassen sind wir nunmehr am Ziel unserer Fahrt ange- langt. Eine seenartige Erweiterung, die ringsum von Papyren eingefaßt wird und denselben als Spiegel dient, sammelt das Wasser der korn- blumenblauen Quelle K y a n e (Testa di Pisma), die nach kurzem Laufe in den Anapo mündet. Nach der bekannten, rührenden Mythe wurde die gleichnamige Nymphe in diese Quelle umge- bildet, weil sie mit Klagen und Gewalt den Pluto festzuhalten wagte, als er die Proserpina zur Unterwelt herabführte. Die arme, im Schmerz weinende Nymphe wurde vor Sehnsucht nach ihrer Göttin in Tränen aufgelöst und in eine ewige Quelle verwandelt.-') ') A. V. Krem er, Kulturgeschichte des Orients unter den Chalifen. Wien 1877. II. S. 324. ') Diese Mythe wurde neuerdings in einem steinernen, mit Nymphen und Sirenen geschmücljten Springbrunnen künstle- risch gestaltet, welcher im April 1904, als S. M. der deutsche Kaiser den Ätna bestieg, auf der am Meer liegenden Piazza dei Martiri in Catania feierlich eingeweiht wurde. 822 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. VI. Nr. 52 Die Quelle wird heute nicht von Nymphen- tränen , sondern von zwischen den miozänischen Kalkschichten und den unterliegenden basaltischen Tuffen strömenden Wasseradern genährt, welchen das von den benachbarten , in einem Halbkreise gelegenen Hügeln herablaufende Wasser noch hinzukommt. Es bildet sich auf diese Weise eine breitere Sumpffläche, welche einst den be- lagernden Athenern und Römern sich besonders verderblich erwies und dadurch den Widerstand der alten Pentapolis begünstigte. * Denselben Ursprung aus unterirdisch laufenden Wasserschichten hat wahrscheinlich auch die be- rühmte Quelle Arethusa, die. von Cicero sehr ge- priesen wurde. Ihr Zusammenhang mit dem Alpheus ist eine andere aus der Phantasie hervor- gegangene IVIythe, welche die Griechen aus Liebe zu dem vaterländischen Fluß mit sich brachten, als sie von der Herrlichkeit dieses Strandes an- gezogen, sich hier ansiedelten. Nach dieser Mythe wurde die Nymphe Arethusa vom Flußgott Al- pheus von Elis bis hierher verfolgt und von der Diana in die Quelle verwandelt: Alplieum faiiia liuc Elidis oiiinein Occnltas egisse vias siibter iiiare: qni nunc Orc, Arethusa, tuo siculis confunditiir undis. Virg., Aen. III. Wenn nicht die hellenische Flut, hat jedoch das hellenische Blut und Kunstgefühl das Leben in dieser Perle des Mittelmeeres eingeflößt, als es an diesem Strand und an der ganzen Ionischen Küste entlang über das Land der Brutien blühende Kolonien entstanden, von denen Catania, Taormina und Messina die Sehnsucht der Nordländer noch heute bilden. Diese ebenfalls mit Papyren geschmückte Quelle ist in dem heutigen Syrakus oder im alten Insel- chen Ortygia das Merkwürdigste, das außer dem Minerventempel übrig bleibt. Der zuweilen rot hervortjuellende Inhalt, einst für das alte, in grie- chischen Tempeln befindliche Lustralwasser ge- halten, scheint die hohe Tugend nicht ganz ver- loren zu haben, wenn er noch heute den Ruhm genießt, Sommersprossen zu vertreiben, sich dadurch besonderes Lustrum beim edlen Geschlecht er- werbend.') Eine andere, nicht zum Wasserniveau des Golfs, sondern vom Grund desselben mit Druck hervorgehende Quelle ist Occhio di Zillica (Cilicae oculus), die der Schilderung Dantes entspricht ; Vom Rand zur Mitte sieht man J / asser rinne// Im r/indcn Napf, vom Mittelp/u/kt zum Ra/id Je wie maiis treibt vo/i außen oder innen. Dante, Paradies XIV. ') S. G. Seume, Ein Spaziergang nach Syrakus. Univ.- Bibl. Bd. 186—88, S. 195. Die Quelle des Anapo hat keine in der Sage oder in der Heilkunde gerühmte Tugend, doch scheint sie wie aus einer magischen Hand hervorgegangen zu sein, um als Wohnsitz der Nymphen zu dienen. Kein Wind kräuselt die stille Wasserfläche. Kein fremder Blick kann durch die grüne, umringende Papyrmauer auf den blinkenden Spiegel. Das durchsichtige Wasser, der blendende Sonnenschein lassen die Umrisse von Fischen und Pflanzen klar und bestimmt sich abzeichnen, setzen Körper von Körper scharf gegeneinander, so daß man glaubt, ein großes Aquariumbassin vor sich zu haben. Und wie man vor diesem stundenlang mit Er- staunen bewundert, was man mit Fleiß und Mühe naturgetreu darin gesammelt hat, so wird der an den Grund der Gruft geheftete Blick nie müde zu bewundern, was die Natur, nicht die Kunst darin' einschließt. Durch das vom Grund sprudelnde Wasser und das eigentümliche Lichtspiel der Sonnenstrahlen scheint der See wie von unten beleuchtet, so daß die sich hier auf der Wahlstatt ihres stillen Lebens freuenden Gewächse sonderbare Lichteffekte zeigen, welche an die der Blauen Grotte erinnern. Hier oben entfaltet die Vegetation ihre größte Pracht. Es gilt daher bei hellem Sonnenschein die Gunst des Augenblicks eilig wahrzunehmen, um die verschiedenartigsten F'ormen der grünen Gewächse und der bunten Fische näher zu be- trachten. Man bewundert bald das Schimmern des wie Silberbänder flutenden Froschlöffels, bald das Flattern des kandelaberförmigen Rlyriophyllu///, bald das Durchleuchten des Laichkrautes am Boden oder an den sanft emporsteigenden Wänden des Bassins, dessen tiefblaues Wasser von einer Menge Sauerstoff blasen durchzogen wird, welche wie Sternschnuppen in die Höhe ziehen. Wie der Dichter so verlockend schildert, da „blühen Zaubei'ivälder voller Pracht; Da durchleuchte/i und d/irchsprühen, Waldesgrün und Purpurglülie/i Den azurnen Schoß der Nacht.'' See und F"luß sind wohl aus der Hand der Natur, nicht des Menschen hervorgegangen, doch verdanken sie ihr heutiges Dasein nur der großen, sorglichen Pflege, mit welcher die verengernde Wirkung der Vegetation vermieden wird, die da- nach strebt , See und Pluß schwinden zu lassen, den natürlichen Boden dem Papyrus zu entziehen und seine Existenz aufs Spiel zu setzen. Von diesen flutenden oder submersen Wasser- gewächsen begegnet der Botaniker in den vom Ruder oder von der Hand weniger geplagten Stellen nur spärlichen Exemplaren, so daß er von selbst nur mit Mühe diese Pflanzenformation wiederherzustellen vermag. Die wichtigsten Bestandteile der letzteren, wie N. F. VI. Nr. 52 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 823 Hatiacliuiin fliiitaiis , Myriopliylhtm spicatuin , M. verticillatum subsp. siciiluni, Ceratopliyllujn deiner- siwi, C. subiiiersiiin, Callitricite aiituiitnalis, C. stcx- gnalis, C. Iiamulata subsp. pcdiiuculata , Potamo- geton crispus , P. (ycclinattis, Zannicltellia palustris und Lcmua tristilca , können sich liier ungestört nicht bilden, denn sie werden, sobald sie große Dimensionen erreichen und dichte Bestände zu- sammensetzen, weggerissen und in Haufen auf das Ufer hingeworfen. Über die anderen, vom Ruder geschlagenen, vom Strom mitgerissenen und tal- wärts von besonderen, in den Fluß gestellten gitter- artigen Eisengeräten aufgehaltenen Pflanzen breiten sehr bald Luft und Sonne den Hauch der Ver- wesung. Dieser vom Menschen in sorgsame Erziehung genommene See und Fluß, Welche zum Bad vormals seligen Nymphen gedient, Die sich der ezvigen Jugend erfreut in der tiefen Kristallflut, verdanken ihr heutiges Dasein nicht dem mytho- logischen Ruhm, sondern dem Kultus für die Papyrstaude, ohne welchen sie sich in einen fahlen Sumpf verwandelt hätten. Von der Pflanzenformation des Ufers ist zwar der Papyrus der wichtigste Bestandteil, da er, am Rand festgewurzelt, sich vom letzteren nicht ent- fernt. Er liebt allein zu herrschen und dichte Legionen zu bilden, verschmäht aber nicht, sich mit dem gemeinen Schilfrohr zu gesellen oder gar die Windungen der Ackerwinde zu dulden, welche siegreich den Gipfel erreicht und die schlanke Gestalt mit ihren bunten Blumenglocken schmückt, die Würde ihrer Stütze dadurch er- niedrigend. Dem Cyperns Papyrus folgen als minder wichtige Bestandteile: Cyperus longus und C.Preslii, Scirpus maritimus, Carex acutiformis, C. flacca, C. riparia, Cladium jamaicense, Glyceria aquatica, G. spicata, Iris Pseudacorus, Triglochin bulbusum, T. laxiflorujn, Dainasonium Alisnia var. compactum, Polygonum Hydropiper , P. serrulatum , Cennthe aspera, Melilotus messanensis, Nasturtimn amphi- bimn^ N. officinale , Raniinculus ophioglossifolius Hydrocotyle natans. Diese letztere als einer der seltensten Bestandteile dieser Formation entflieht vom Fluß zum Ufer und bildet hier auf den Wasserpfützen polsterförmige hohe Bestände von sehr eigentümlichem Ansehen. Die breitere Sumpffläche, in deren Mitte der See liegt, mußte zur blühenden Zeit des griechi- schen Syrakus eine der vornehmsten Vorstädte sein. Hier feierten alljährlich die Syrakusier ein Fest zur Ehre der Persephone (Proserpina), die von Pluto aus der Kyanequelle geraubt wurde; hier stand westlich von letzterer das berühmte Olympieion, ein Peripteros Hexastylos, von dem heute nur zwei verstümmelte Säulen zum An- denken an den olympischen Zeus noch übrig bleiben. Von den übrigen, weit vom Anapo wachsen- den Pflanzen verdienen besondere Erwähnung außer der Canna indica, Elatine macropoda auf zeitweise submersen Kalkböden, ]\Iesend)ryanthe- mum crystallinum , AI. nodiflorum, Passer ina hir- suta, Andrachnc teUphioides und Putoria calabrica auf Felsen, Colocasia antiquoruui an fließendem Wasser bei Augusta und Jumperus phoenicea auf dem sandigen Meerstrand. Die großartige Vergangenheit und Pracht des Ortes äußern sich auch in der Vegetation, welche im Pap)'rus, in der Canna indica, Colocasia anti- quorum und Juniperus phoenicea seltene und herr- liche Vertreter einer einst weit verbreiteten und üppigeren Vegetation zählt. Unter diesen verdient der Papyrus durch seine kulturgeschichtliche Bedeutung und seine von bio- logischen Verhältnissen bestimmte Vorliebe für den Anapo die größte Aufmerksamkeit. Er ist die lebende Reliquie nicht nur einer für den Mensch wichtigen Kulturepoche — man könnte sie fast Papyr epoche nennen — , sondern auch die Erbreliquie eines ruhmvollen Landes, des Pharaonen- und Pyramidenlandes, aus welchem er allmählich fast verschwunden ist, um sich eine zweite Heimat auf Sizilien zu suchen. Und wie er aus mehreren altarabischen Kulturstätten , wie schon aus Ägypten, verschwunden ist, so könnte er die Quelle und Nymphe Kyane noch trauriger, als Pluto tat, verwitwen, sollte er von Behörden und Besuchern nicht besser gehütet und geschont werden. Die Existenz dieser Pflanze scheint also eine Frage von allgemeiner Kulturbedeutung zu sein, welcher Botaniker, Ästhetiker und Archäologen das lebhafteste Interesse geschenkt haben , einen internationalen Charakter darin erblickend. Diesem Charakter scheint Ernst Renan beizu- pflichten, wenn er schreibt : „Le papyrus ne croit en Europe que dans la vallee de l'Anapus. En Egypte il devient rare. Si cette plante, qui a rendu de si grands Services ä l'esprit humain et qui merite une place si capitale dans l'histoire de la civilisation, pouvait un jour etre en danger de disparaitre, je voudrais que les nations civilisees, ä frais communs, lui assurent une pension alimen- taire dans la vallee de l'Anapus.') ') Vingt jours en Sicile. Revue des deux mondes du 15 novembre 1875. Cfr. L'Italia orticola , 1904, p. 56 und G. Lopriore, Flora lacustre dclla Sicilia. Catania 1901, p. 27. <^''-