I^HPHi'ffliiPl^ Naturwissenschaftliche Wochenschrift BEGRÜNDET VON H. POTONlfi HERAUSGEGEBEN VON Prof. Dr H. MIEHE IN LEIPZIG NEUE FOLGE. 14. BAND (DER GANZEN REIHE 30. BAND) JANUAR — DEZEMBER 1915 MIT 275 ABBILDUNGEN IM TEXT JENA VERLAG VON GUSTAV FISCHER 1915 Alle Rechte vorbehalten. Register. I. Größere Originalartikel und Sammelreferate. Andrte, K., Betrachtungen über Begriff und Stellung der allgemeinen Geologie, sowie insbesondere über deren Förderung durch Aufstellung allgemein-geologischer Sammlungen. (2 Abb.) I45, 161, 179 A n d r e c , K., Paläogeographie, das eigent- liche Ziel wissenschaftlicher Geologie, sowie ihre Grundlagen und Methoden, (l Abb.) 600. Arldt, Th., Germanen als Staatenbildner auf nichtgermanischem Boden. 777, 791. V. Bilguer, Wie starb .■\lexandrine Tinne i' 753- Bokorny, Th., Die proteolytischen En- zyme der Hefe. 54. Bokorny, Th., Chemisch-physiologische Winke über den Gebrauch der Nah- rungsmittel wahrend der Kriegszeit 433, 456- Braun, M., Ergebnisse neuerer For- schungen über parasitische Protozoa des Menschen. (16 Abb.) 81. Bretschcr, K., Beobachtungen über die Vogelpsyche. 389. B r ets c h n eid er, ¥., Neuere Untersu- chungen über das Gehirn der In- sekten. (iS Fig.) 17. Bronsart, H., v. Der Kreis der im Darm vorkommenden Formen des Bac- teriumcoli und ihre Differenlialdiagnose. 64S. Bürger, O., Neues über die Darstellung von Ammoniaksalzen. 53. Bürger, O., Die Hältung der Fette. 245, 320. Düggeli, Harnstoffzersetzende und sal- peterbildende ."Spaltpilze. 30=;. Düggeli, M., Die freilebenden stickstoff- bindenden Hodenbakierien und ihre Be- deutung im Haushalte der Natur. 657. E c k a r d t , Wilh., Einige methodische Be- merkungen zum Problem der palännto- logischen Entwicklung der Lebewelt in ihrer Abhängigkeit vom Klima. I. Esmarch,F., Neuere Arbeiten über Blau- algen. 566. Fehlinger, H., Mendel's Vererbungs- regeln. 42. Fehlinger, H., Die Körpergröße des Menschen. 177. Fehlinger, H., -Ungleiche Geschlechts- difTerenzierung der Menschenrassen. (5 Abb.) 327. Fehlinger, H., Pubertät. 5S2. Frey, A., Beziehungen der Gletscher- zunge zur Umgebung. (2 Abb.) 262. Guenther, K., Das Prinzip der Ein- schüchterung im Kampf von Tier und Mensch. 292. Halb faß, W., Die Wasserklemme in Nord- und Mitteldeutschland während des Sommerhalbjahrs 1911. I04. Halbfaß, W., Aufspeicherung und Ab- gabe von Wasser in Binnenseen. 561. Hanstein, R. v., August Weismann. 113, 129. Hennig, Edw., Prinz'pien der Skelett- bildung. 214. Hennig, K., Vom Wesen der musi- kalischen Inspiration. 4S3. Hennig, Edw., Die Anzahl der diluvi- alen Vereisungen Nord-Europas. 577. Herter, W., Der Nachweis der Kar- toffel im Brot. (6 Abb.) 120. Hildebrandt, M., Ein Brief Charpen- tier's an Karl Schimper. 71. Hock, F., Das Verhältnis der Ein- und Zweikcimblättler in verschiedenen Län- dergebielen. 65. Hock, F., Über das Verhältnis von Fa- milien und Arten der Gefäßpflanzen. 90. Hornig, G, Die Einwirkung der nor- dischen Vereisung auf die Oberflächen- formen der Sudeten. (5 Abb.) 49. Kathariner, L., Der Wundstarrkrampf. 68. Kathariner, L., Zur Frage der Ge- schlechtsbestimmung bei der Honigbiene, (i Abb.) S. 257. Vgl. auch Anr. u. Antw. (l Abb.) 463. Killermann, Die ausgestorbenen Mas- karenenvögel. (15 Abb.) 3c;3, 369. Kühn, A., Der Farbensinn und Formen- sinn der Biene. (6 Abb.) 273. Liesegang, Rhaphael Ed., Über einige Fragen der geologischen Wärmelehre. 193- Lipschütz, Alexander, Der Ursprung des Geschlechts. (7 Abb.) 417, 464. Martin, Rud., Über Domestikations- merkmale beim Menschen. 481. Maurizio, A., Brotgewürze. 226. Maurizio, A., Von Schwarzbrot zu Weiß- brot, 553. Maurizio, A., Rückblick auf die Ge- treidecahrung seit den Urzeiten und unser täglich Brot. 801. Mayer, Ad., Moorbodt-n. Entstehung u. Geschichte seiner Nutzung. 321, 345. Mecklenburg, W., Über das Gel der Kieselsäure. (6 Abb.) 545. Mötefindt, Hugo, Die Wissenschaft vom fossilen Menschen eine geologi- sche oder eine vorgeschichtliche Diszi- plin? 705. Müller, Aloys, Über das Schießen gegen Flugzeuge und Luftschiffe. (3 Abb.) 336. Müller, Aloys, Über die heutige Lage des psychophysischcn Parallelismus und der Wechselwirkungstheorie. 497. Nachtsheim, Hans, Parthenogenese bei Infusorien. (2 Abb.) 519. Nachts heim, Hans, Die Eugster'schen Zwitterbienen und ihre Entstehung. (15 -Xbb.) 769. Nienburg, W., Der Se.tualakt bei den höheren Pilzen. (26 Abb.) 33. Nippoldt, A., Ist die milde Witterung dieses Winters eine Wirkung des Kriegs? 244. de Osa, Chemie und Arzneimittellehre. 721. Philippsen, H., Über die Entstehung der Marschen. 219. P u d o r , H., Irrigations- und Bewässerungs- systeme in den Vereinigten Staaten von Amerika. 689. Pudor, H., Intermaritime Verkehrswege und ihre handelspolitische Bedeutung. 745- R e h m , A., Zur sog. Zwillingssonnenuhr aus Pergamc (3 Abb.) 675. Register. Reiche, Karl, Was bei einer botani- schen Exkursion im heutigen Mexiko herauskommen kann. 53^. Reuter, M., Die biologische Beurtei- lung der Nabelschnurzerrcißung. 692. Rohland, P,, Die Oxydation und Nicht- oxydation der Metalle. 5. Rohland, P., Feuerfeste Tone. 194. R o h 1 a n d , P., Die Verwertung der städti- schen und industriellen Ablallpiodukte. 440. Rohland, P., Chemisch - technisclie Tagesfragen. 673. Schoy, C, Geschichtlich astronomische Studien über die Dämmerung. (l Abb.) 209. Nachtrag. 272. Schoy, C, Theorie der sog. Zwillings- sonnenuhr aus Pergamon. (3 Abb.) 401. Schröder, Christoph, Auf den Höhen des Kilimandscharo. Teil 11. 97. Schulz, August, Über neue Funde von Getreiderestt-n aus prähistorischer Zeit in den thüringisch-sächsischen Ländern. 266. Simroth, Heinrich, Ein paar neue Ge- sichtspunkte zur Pendulationstheorie. (2 Abb.) 609. Sirks, M. J., Geschichtliches über Pe- loricnblüten. (l Abb.) 22S Sirks, M. J., Altes und Neues über Be- stäubung und Befruchtung der höheren Pflanzen. 729. Sommer, Georg, Hering — Semon — Hacker. 449. Stellwaag, F., Aus dem Leben der Hummeln. 465. Tobler, Fr., Das älteste Lehrbuch der Botanik. Ein Blatt zur Geschichte des naturwissenschaftlichen Unterrichts. 385. Werner, Asymmetrie im Tierreich. (9 Abb.) 785. W e s e m ü 1 1 e r , A., Die deutschen Storch- markierungen. (3 Karten u. 3 Tabellen.) 513. 529. Wilhelmi, J., Kultur und Natur am Meeresstrande. (1 Abb.l 641. Ziegler, H. E., Über das Rechenver- mögen der Elberfilder Pferde. 241. Ziegler, H. E., Das Herz des Menschen in seiner phylogenetischen und onto- genetischen Entwicklung. (16 Abb.) 593- II. Einzelberichte. A. Zoologie, Anatomie. A b s ol o n , K., Kiesige Amphipoden. 187. Bauer, V., Jagende Seesterne. 220. Bauer, Stachelartige Auswüchse der Schalen mariner Gastropoden. 237. Bier bäum, G-, Ticfseefischarten. 493. Bierens de Haan, J. A., Entwicklung von Riesenciern. 200. Bornhauser, K. , Die Tierwelt der Quellen. 200. Botezat, E., Die Haare der Säugetiere. 60. Brendgen, F., Über die künstlich er- zielte Metamorphose der Alytcslarven. 25- Breßlau, E., Bauchständige Tasthaare. 254. Bürdet, A. , Tränkt der weiße Storch seine Jungen? 186. Buttel-Reepen, H. von, Dysteleo- logen. 485. Chidini, A. , Der europäische Seiden- schwanz (Bombycilla garrulus L.). 574. Egert, Fr., Larven unserer Tritonen. 188. Düstin, Nachträgliche Befruchtung von parthenogenetisch entwickelten Eiern. 780. Ernst, Chr., Fliegen als Melker von Blattläusen. 679. Fahrenholz, C. , Plakoidorgane und Sinnesknospen im Vorderdarm der Selachier. 507. Forel siehe Pauly. 491. Förster, Larven der Piophila nigriceps in einer menschlichen Leiche. 362 Fuhrmann, Tracheales Atmungsorgan fußloser Amphibien (Gymnophionen). 237- Gambera, M., Ein neues Entomologen- mikroskop. 60. Gering, Ncmertinen. 1S7. Gravier, Ch. J., Steinkorallen in einer Tiefe von 4000 — 5000 m. 541. Hesse, P., Linksgewundene Exemplare von Helix pomaiia und H. aspersa. 173. Johannssen, Ein Höhlen bewohnender Egel- 174- Kathariner, Der Hammerhai (Zygaena malleus Risso). (3 Abb.l 652. Kill er mann, S., Petrus Candidus als zoologischer Schriftsteller. 527. Klunzinger's Leben. 574. Kranich feld, Farbensinn der Bienen. 427. Kükenthal, W., Frosch mit haarähn- lirhen Anhängen. 221. Laver an, A., Die Oiientbeule. 158. Le Roi, O., Opilioniden- Fauna von Norddeulschland. 200. Menzel, R., Zur Adventivfauna. 201. Mräzek, Einkapselung bei einem Süß- wasseroligochaeten. 221. Nachtsheim, Entstehen auch aus un- befruchteten Eiern Drohnen? 637. Natzmer, G. v., Über das biogenetische Grundgesetz im Leben der Insekten- staaten. 426. Pauly, v. Siebold, Forel, Roß- kowski, Lungenschnecken des Süß- wassers in großen Tiefen. 491. Prochnow, Das Organ des Walkers (Polyphylla fullo) zur Tonerzeugung. 585- Prochnow, E., Das Springen der Schnell- käfer (Elateriden). (3 Abb.) 635. Prowazek, S. v. , Brmerkungen über die Biologie und Bekämpfung der Kleiderlaus. 204. Roule, L. , Die größte Meerestiefe, in der Fische gefunden werden. 621. RUtimeyer, L., Derbraune Bär (Ursus arctos L.) in Graubünden. 237. Sa ra si n , P., Ein neuer I'^all von Schwanz- bildung beim Menschen. 188. Schmidt siehe Thienemann u. Seh. Schrottky, Wespenähnliche Schmetter- linge. 606. Shufeldt, R. W., Die letzte Wander- taube. 651. v. Sicbold siehe Pauly. 491. Sobotta, J., Zur Frage der Wanderung des Säugeliereies durch den Eileiter. 223. Spek, Jos., Die chemische Natur der Staioconien in den Rhopalien von Rhi- zostoma pulmo. 24. S z a 1 a y : Was sind die Meerochsen des Marienburger Treßlerbuches? 508. Thienemann, A. U.Schmidt, Rob., Salzwassettierwelt Westfalens. 174. Thompson, W. R., Beobachtungen an Tachinenlarven. 363. Vogel, R., Lebensgeschichte von Lam- pyris noctiluca. 527. Wheeler, W. M. , Ameisen des Bern- steins. 285. Whitney, Der Einfluß der Nahrung auf das Geschlechtsverhältnis von Hydatina senta. 253. Wundsch, Artemia salina in Deutsch- land. 174. Wundsch, Fischegel. 202. Wüstenfeld, H, Das Essigälchen (An- guillula aceti). 584. Z i e g 1 e r , H. E. , Die Pferdelausfliege, Hippobosca equica. (l Abb.) 509. Zw ei gelt. F., Wie saugen die Blatt- läuse? 7. B. Physiologie, Vererbungslehre. As her und Pearce, Über die sekretori- schen Nerven der Niere. (2 Abb.) 726. Fehlinger, H., Über die Vererbung der Kurz-ichtigkeit. 29. Heuseier, Untersuchungen über den Einfluß der Ernährung auf die morpho- logische und physiologische Gestaltung des Tierkörpers. 47. Heß, e.V., Die Lichtempfindlichkeit der Stachelhäuter. (4 Abb.) 299. Loeb, J., Untersuchungen über das Bastardierungsproblera. 653. Loeb, J., Über die piiradoxe Verkürzung der Lebensdauer befruchteter Eier in abnormer Salzlösung durch Verringerung der Giftigkeit der Lösung. 364. Loewi, O. und Gettwert, W., Von den Ausfallerscheinungen nach der Ex- stirpation der Nebenniere bei Kalt- blütern. 46. Maurie, E., Nährwert des Osseins. 157. Parnas und Wagner, Zur Biochemie des Muskels, (i Abb.) 425. Pezard, A., Sekundäre Geschlechtsmerk- male beim Huhn. (l Abb.) 335. Rom eis, B., Die Bedeutung des inneren Sekrets d^r Schilddrüse (Glandula thy- reoidca) für den Stoffwechsel. 664. Schul tz, VV., Parallele zwischen Bastar- dierung und Transplantation. 363. Steinmann, P., Rheotaxis v. Fischen. 9. Stigler, K., Widerstandskraft des Negers gegen Tropensonne. 542. T s c h c r m a k , v., Zeichnungsxenien bei Vogeleicrn. 383. Verz:ir, F., Über glatte Muskelzellen mit myogenem Rhythmus. 76. Wagner siehe Parnas. Weber, Anaphylaxie. 678. C. Botanik, Bakteriologie. Blaauw, Vogt, Licht, Pflanzenwachs- tum und Phototropismus. 761. Bordas, F. und Bruere, S. , Die Be- Register. schleunigung der Verwesung eines Tier- körpers. 607, 7S1. Bremekamp, C. E. B., Stoßreizbarkeil von Enzianblüten. 713. Buder, J., Lichtreizbarkeit von Purpur- bakterien. (4 Abb.) 699. Carnot, P. und W e il 1 - H al 1 e , B., Eine neue Methode für die rasche Er- kennung des Typhus. 54:. Correns, C, Eine eigenartige Pflanzen- krankheit. 698- Diels, L. , Algenkolonien im Dolomit. Fe ebner siehe Pieper. G a i3 n e r , G., Was verursacht die Teleuto- sporenbildung der Getreiderostpilze? 278. Glinka, Die Typen der Bodenbildung. 93. Haberlandt, G., Drüsenhaare an Wur- "'"• 378. Haberlandt, G., Zur Physiologie der Zellteilung. 189. H e c k e r , H., Vertilgung der Stubenfliege. Henri, Viktor, Über die morphologische und biologische Umgestaltung des Milz- brandbaziUus unter dem Einfluß ultra- violetier Strahlen. 59. Jacobsthal, E. und Tann, F., Ab- tötung der Tetanuskeime am Orte der Infektion durch ultraviolettes Licht. 127. K n i e p , H., Die Entstehung der Schnallt- n am Myzel der Basidiomyzeten. (I Abb ) 711. Kniep, H. , Die Bedeutung des Milch saftes. 712. Kühl, H. , Über die Giftigkeit raden- haltiger Kleie. 605. Kuyper, J , Das Längenwachstum der nicht sichtbaren Teile des jungen Zucker- rohrsiengels. 667. Linsbauer, K. , Der Weg der Reiz- leitung in der Sinnpflanze. 142. Magnus, W. und Friedemann, Bac- terium tumefaciens pathogen für Pflanzen und Tiere. 379. Meyer, A., Die Entstehung von Plasma- verbindungen bei Pfropfungen. 12. Miehe, H., Winden an horizontaler Stütze. 698. Molisch, H.. Das Laubblalt als photo- graphische Platte. 474. Neger. F. W. , Über die Lebensweise und Bekämpfung des Eichenmeltaues. 36S. Paäl, Individuelle Abweichungen in physiologischen Reaktionen. 474. Paal, A. , Reizleitung im phototropen Keimling. 490. Pieper, Fechner, Phototaxis und Chemota.xis der Oscillarien. 558. Quanjer, Schander und v. Tiesen- hausen, Blattrollen bei der Kartoflfel als Krankheitssymptom. 206. R e i n k e , J., Dünenbildung in der Sahara. 7!3- Riß, M. M. , Geotropismus von Gras- knoten. 748. Schander siehe Quanjer. Sierp, Hermann, Zustandekommen von Stengeltorsionen. 797- Sorauer u. a. , Gummifluß. 620. Sorauer, Maulbcerschädlinge und Sei- denraupenzucht. 74*^* Tann siehe Jacoljsthal und Tann. Tiesenhausen, v., siehe Quanjer. Vogt siehe Blaauw. Weill- Halle siehe Carnot. Wicler, A. , Einwirkung saurer Rauch- gase auf Vegetation und Erdboden. 798. van der Wölk, Die gelben Reiskörner. 639- D. Völkerkunde, Anthropologie. Asmus, R. siehe Dharvent. B a r r o w s , D., J e n k s , Die Malayen der 1 Philippinen-Inseln. 41 1. Barrows,P.,Worcester,D. C.,Reed, W. A-, Die Negrito der Philippinen- Inseln. (2 Abb.) 237. ! Basedow, Die Tasmanier. (3 Abb.) 382. Bolk, L., Die Körpergröße des Men- schen. 444. Cr ahmer, W., Lappen und Samojeden. 445- Cobn, Ludw., Menschliche .Augenhöhle. 749- Cook und Keith, Über einen neuen Fund eines fossilen menschlichen Ske- letes. (I Abb.) 559. Dharvent, Seh wein furth, G., As- mus, R., ,, Anfänge" der vorgeschicht- lichen Kunst. 5R5. Friedenthal, H., Fragen des Haar- wuchses verschiedener Menschenrassen. 29. Gillen siehe Spencer und G. Jenks siehe Barrows. Luschan, Die Verwandt ehaft der Busch- leute und der zentralafrikanischen Pyg- mäen. (3 Abb.) 58. Picard, H., Bevölkerung von Algerien und Tunesien. 190. Reche, Otto, Übertragung von Kultur- gütern. 123. Reed siehe Barrows. Rudenko, S., Neue Forschungen über die Bevölkerung Nordwest-Sibiriens. 473. Schlagin häufen, Otto, Pygmäen in Melanesien. 573. Schroeter, K.trI, Anfänge der Kunst bei den Zwergvölkern. 124. Schweinfurth, G., siehe Dharvent. Speiser, F., Die Eingeborenen der Neuen Hebriden. 75. Worcester siehe Barrows. Spencer und Gillen, F. J, Über die Eingeborenen Zentralaustraliens. (2 Abb.) 318. Thurston, Die Toda. (2 Abb.) 493. E. Geographie,. Base hin, C. Einfluß von stürzendem Eis auf die Erdoberfläche. 74. Behrmann, W., Formen der Tiefland- flüsse. 701. Behrmann, W. , Erforschung des Kaiserin- Augustastrome«. 713 Guillemain, C, Geomorphologische Probleme aus Kamerun. 2i\. Herzog, Th., Dünen und Wald. 2^2. Lehmann, Oito, Tal- und Flußwindun- gen und die Lehre vom geographischen Zyklus. 509. Klute, Fr., P'orschungen am Kiliman- dscharo im Jahre 1912. (2 Abb) 105. Machatschek, F., Reisen in Russisch- Turkeslan. 476. N ord enskj ö Id , C, Südwestgrönland. 172. Passarge, S., Grundsätze bei der Be- schreibung und Namenbildung von Oberllächenformen. 252. Robi tzsch, M. , Eis in und um Spitz- bergen. (1 Abb.) 281. Sa p per, Rasenabschälung. 429. Th orbecke, Geographische Arbeiten in Tikar und Wüte auf einer p-orschungs- reise in Mittelkaraerun {191 1 — 19'3)- 428. Wachner, H.. Rutschuugen u. Schlamm- vulkane. 476. F. Geologie, Paläontologie. Altfeld, E., Die physikalischen Grund- lagen des intermittierenden Kolilensäure- sprudels zu Namedy bei Andernach a. Rh. 10. Beger, P. J., Eine Erscheinung von Bergschlag im Lausitzer Granitit. 12. Baschin, C, Ein neuenistandener See in der Umgebung Berlins. 605. Camus, F., Mageninhalt des Mammut. 622. Elles, Gertrud u. Wood, Ethel, Eine Monographie englischer Graptolithen. 202. Endell, K., Über Kornvergrößerung und Sinterung. 25. Fischer, E., Zur Anwendung der Rönt- genstrahlen in der Paläontologie. 251. Füller, Geologie of Long Island. 430. Frech, F., Erdölvorkommen auf dem Kriegsschauplatz der türkisch-persischen Grenze. 702. Gagel, C. , Das Alter des Lausitzer Granitits und der Diabase. 702. Gothan, F., Über neuere Erfolge der Mazerationsmethode in der Paläobotanik. 749- Heß von Wichdorf, H., Thüringer Goldbergbau und Goldwäschereien. 665. Höfer, H. von, Die Nomenklatur in der Erdölwissenschaft. 638. Lang, Geologisch - mineralogische Be- obachtungen in Indien. 332. Penck, W., Fortschritte der Eiszeitfor- schung I. Neue glazialmorphologische Untersuchungen in Südamerika. 372. Pompeckj, Das Meer des Kupfer- schiefers. 141. Rosenthal, Th., Der Navahoasphalt. 27- Salomon, W., Über die Bildung dichter Kalke. 283. Walter, E., Hydrologische Untersuchung des Hils, des Ohmgebirges und des Kyffhäusers, nebst Bestimmung des ra- dioaktiven Gehalts der Quellwasser. 714- W a 1 1 h e r , Joh., Über tektonische Druck- spalten und Zugspalten. 297. Willis Bailey, Glazialmorphologische Beobachtungen. 557. G. Chemie, Mineralogie. Beer siehe Faj ans. Bürger, Ersatz des Platins beim Schwe- felsäurekontakiverfahren. 584. Register. Dammer, Molinari, Thorpe, Moissan, Neuere Anwendungen der Fluorwasserstoffsäure. 235. D i e t e r i c h , Wie unterscheidet man Ben- zin und Benzol? 651. Engler, C. und Steinkopf, W., Die optische Aktivität der Erdöle. 2S0. Fajans. K., Beer, P. und Richter, F., Über das Verhalten der Radioele- mente bei Fällungsrcaktionen. 47 1- Grüttner, G. und VViernik, M., Eine neue Art von helerozyklischen Systemen. 740. H edvall, J. A. , Thenard's Blau und das Kobaltzinngrüu. 726. Hiege, K., Über die Darstellung kollo- idaler Goldlösungen nach der Formol- methode. 619. Klason, P., Über die trockene Destilla- tion von Holz. 302. Kostytschew, Die Bildung von Acet- aldehyd bei der alkoholischen Gärung. 319- Mecklenburg, W., Die Anschauungen über den Zusammenhang zwischen den Atomgewichten und den chemischen Eigenschaften der Elemente , Sammel- refi-rat. 107. Molinari siehe Damm er. Moissan siehe Dammer. Noa, E., Die Alkaloide im Tabaksaft. 302. Ormistonmetall, eine neue Aluminium- legierung. 365. Richter siehe Fajans. Steinkopf, W. siehe Eng 1er. Thorpe siehe Damm er. Wahl, W. , Über die Beziehungen zwi- schen der chemischen Konstitution und der Kristallform bei den einfacheren Kohlenstoffverbindungen. 380. Wehmer, Über den Abbau der Holz- substanz durch Pilze. 281. Werner, A., Über optische Aktivität bei kohlenstofffreien Verbindungen. (3 Abb.) 140. Wiernik siehe Grüttner. WiUstätter, R., Aus der Chemie des Rosenrots. 409. H. Physik. Barkla, Ch. G., Röntgenstrahlen. 490. Bedreag, G.G., Röntgenstrahlen. 489. Berghoim, C, Über Doppelbrechung in kathodenzerstäubten Metallschichten. 414. Bodroux siehe Le Blanc. de Broglie siehe Dember. Brislee, E. F., Die Dichte des Alumi- niums. 415. Broglie, M. de. Einige Erscheinungen beim Durchgang von Röntgenstrahlen durch Körper. 489, 490. Burstyn, W., Ausschalten starker Ströme mit kleinem Kontaktwege. 634. Dember, II., de Broglie, Rupp- recht, G. u.a.. Über Röntgenstrahlen 472. Einstein, .\. und d e H a a s , W. J., Ex- perimenteller Nachweis der Ampere- schen Molekularströme. 618. Frank siehe Stark. Fried el, G,, Röntgenstrahlen. 489. Friedrich, W. und A., Über Interferenz- erscheinungen bei Röntgenstrahlen. 526. Gettwert, W. siehe Loewi. G locker, R., Interferenz der Röntgen- strahlen und Kristallstruktur. 678. Goldstein, E., Über die Kanalstrahlen. 473- G r a m o n t , A. de, Über die letzten Linien in den verschiedenen Licht- quellen. 527. Henri, V., Refraktionsäquivalente. 489. Hesehus siehe Maresim. Horovitz siehe Paneth und H. Hupka, Röntgenstrahlen. 490. Kalähne, A. und Federlin, W., Da- guerreotypien. 489. Kangro siehe Le Blanc. Kato, T., Druckverhältnisse im Magen der Körnerfresser. 205. Keene, H. B., Röntgenstrahlen. 489. Keck, F. C, Eine abgeänderte Kon- struktion der Braun'schen Röhre zur direkten Darstellung von Wechsclstrom- kurven. 156. Kögel, P. R., Palirapsestphotographie. 489. Kowastek u. a., Verwendung von flüssiger Luft zu Sprengzwecken. 47. Laub, J., Röntgenstrahlen. 490. LeBlanc, Kangro, W., B o d r o u x , F., Über das Tyndall- und Christiansen- phänomen. 4S9. Leighton, A., Einfluß des Lichtes auf die Zersetzungsspannung. 473. Lenard, P., Probleme komplexer Mole- küle. 716. Maresim, N. und Hesehus, N., Über die Abhängigkeit der Zersetzungs- und Ober flächenspannung von der Belichtung. 473- Mecklenburg, W. , Über die Unter- suchung von trüben und fluoreszierenden Lösungen. (2 Abb.) 6S0. Ogoridnikow, A., Absorption, Rota- tionspolarisation. 489. Onnes, K., Die elektrische Leitfähigkeit der Metalle bei sehr tiefen Tempera- turen. 8. Paneth, F., Über die Vertretbarkeit der Atome. 171. Paneth und Horovitz, Ober Absor- bierung der Radioelemente. 171. Porter. 489. Righi, A., Einiges über die Theorie der ionomagnetischen Drehungen. 171. Ruff, O., Über feuerfeste Geräte. 126. Schutt, K. , Können auch durch lang- same Kathodenstrahlen R-Sirahlen er- zeugt werden? 650. Stark, J, Über Kanalstrahlen. 473. Stark, J., Wolfke, M. , Frank, J., Über die Ionisierung. 472. Tal bot, E., Porter, A. W. u.a., Ab- sorption, Rotationspolarisation in Flüs- sigkeiten. 489. Towler, A., Komplexe Spektren. 527. Tschugajew, L., Absorption, Rota- tionspolarisation. 489. Valentiner, Abhängigkeit der Ausdeh- nungskoeffizienten von tiefen Tempera- turen. 126. Valeton, J. J. P., Kristallform und Lös- lichkeit. 679. V e g a r d , L., Photographische Aufnahmen des Nordlichtspektrums mit einem Spek- trographen von großer Dispersion. 367. W a r b u r g , E., Ozonisierung von flüssigem Sauerstoff durch Bestrahlung. 651. Wilson, C. R. T. , lonenwolken in feuchter expandierter Luft. 366. Winawer, B. und Pf eif f er. F., Gleit- funken - Beobachtungen an Röntgen- röhren. 156. Win Igen, R. , Über die Dichte und Lichtbrechung kolloidaler Lösungen. 710. Wolfke siehe Stark. Zschimmer, E., Über Erkennung des Schmelzens der Gläser. 9. I. Astronomie. Coblentz, Energie von Sternen. 541. Guthnick und Prager, Photo -elek- trische Messungen in der Astrophoto- metrie. 188. Lau, Planet Mars. Julius, W. H., Eine Erklärung der Photüsphäre. 367. Nicholson, Entdeckung des 9. Jupiter- mondes. 475. Prag er siehe Guthnik. Rabe, W., Beobachtungen der Venus. 509. Trümpier, Sternhaufen der Plejaden. 475- K. Meteorologie. Henrich, Radiumblitzableiter. 61S. Hellmann, G., Verteilung der Nieder- schläge in Norddeutschland. 443. Pintsch, Jul., Leuchtfeuersystem für die Luftfahrt. 125. Stern, J., Die Abhängigkeit der Ballon- temperatur von der Ventilation. 157. III. Kleinere Mitteilungen. a. Physik, Technik, Chemi.sche Industrie. Über die Urheberschaft der Celluloid- industrie (nach Hyati). 13. Über elektrische Lampen (Blaschke). 1 70. Solex-Scheinwerfer (Blaschke). 171. Schlagwctterpfcife (Blaschke). 171. Über die Zellenstruktur. 157. Die chemische Aufzehrung von Stickstoff in einer Wolframlampe. 365. Flammenlose Oberflächenverbrennung. 126. Der Vorgang der V^erbrennung fester Körper. I56. Magnetische und mechanischeEigenschaften von Manganstahl. 127. ,, Fraktionierte Adsorption" und „fraktio- nierte Desadsorption" von Radium- Bariumsalzen an kolloidalem Mangan- superoxydhydrat. 411. Ein Verfahren zur Erzwingung spontaner Kristallisation. 410. Über das Härten der Metalle. is6. Über die Reaktion zwischen Kohlenoxyd und Eisen. 280. Flüssige Eisen- Kohlenstoff legierungen. 280. Tyndallphänomen und Tyndallmeter. (3 Abb.) 681. Thermoelektrisches Verfahren, um die Register. Reinheit von Platingeräten zu bestimmen. Einfluß des Metalls der Lagertlachen aut den Gesamtreibungswiderstand. 283. Metallmikroskopie mit Anwendung polari- sierten Lichtes. 284. b. Nahrungsmittel. N-Brot, ein Kraftbrot (n. Roßmann u. Mayer). 765. . ^, r Blut als Nahrungsmittel (nach Hot- meister). 696. Über das „Altbackenwerden" des Brotes (n. Neumann). 296. Verlängerung des Brotgetreides (nach O. Köhler). 294- Über die Ausnutzbarkeit eines neuartigen VoUbrotes (n. Zuntz). 296 Getreidemchlloses Gebäck (n. Fornel, Osiwald u. a). 616. Der Fadenzieher (n. P. Neumann). 697. Gewinnung und Zusammensetzung von Fliederbeer wein aus der Provinz Schleswig-Holstein (n. Mau e, G.) 750. Über den Säuregrad des Weines (n. Paul). (2 Abb.) 63. Die Gewinnung von Eiweiß mit Hilfe der Hefenzucht. 615. Lindner'sche Fetlhefe. 765. Über die Verwendung gehärteten Trans in der Margarinebutter-Fabrikation (n. Klimont, J. und Mayer, K.). 197- Unsere Flechten als Nähr- und Futter- mittel (Lehmann, Orig.) 461. Der Nährwert des Holzes (n. Haber- landt). 394- Getrocknete Bierhefe als Nahrungs- und Futtermittel in Kriegszeiten (^n. B ü r g e r). 139- Der Matte- oder Paranatee , ein die Ge- sundheit förderndes Genußmittel (nach Rammstedt, O.). 361. Die Desinfekiion des Wassers im Felde (nach Kühl, H.). 297. Über die zweckmäßigste Art der Ernäh- rung der eingeborenen Mannschaften (nach J. Amar). 197. c. Zoologie, Botanik. Die Menschenaffenstation auf Teneriffa (Orig. Baege). 315. Eigentümlichkeiten im Nestbau des Teich- huhns lOrig. Franz). (3 Abb.') 616. Einbürgerungsversuche als Möglichkeiten zur Erforschung des Vogelzuges (Orig. Eckardt, W. K.). 233. Nachtrag. 744- . , Ist die Waldschnepfe (Scolopax rusticola L.) im Niedergang begriffen? (Orig. Knauer, Fr.). 407. Aus dem Leben der Hummeln (Orig. C. Schoy). 61. Das Wasserkalb (Gordius aquaticus) Kathariner). 330. Hakenwurm (Necator americanus). 803. Das Treibsei der Nordsee (Philipp- sen). (2 Abb.) 570. Das fluoreszenzerregende Lignum nephri- ticum (nach Harms). 361. d. Geologie, Urgeschichte. Eiszeitspuren im zentralen Afrika. (Orig. Hennig, E.) 782. Unterirdische Höhlen von tiefer Tempe- ratur (n. Mayer, Ad.l. 31. Unsere natürlichen Verbündeten bei der Landgewinnung an den Nordseeküsten (Philippsen). 392. Die Vitriolgrotten und Diadochithöhlen bei Garnsdorf unweit Saalfeld a. d. Saale. (4 Abb.) (Orig. R. Hundt.) 231. Dünenbildung und Strandroggen (Orig. E. J. Klein). 569. Wann begann die allgemeine Verwendung des Eisens? (^Nach J. M o n t e 1 i us.) 136. Berichtigung 192. e. Medizin. Die Kala-Azar (n. Laveran). 14. Ein Riesenelektromagnet bei der Behand- lung Verwundeter (n Rollet). 139. Über plötzliches Ergrauen nach Schreck (Oppenheim, St). 394- Können Tote noch Laute von sich geben? (Orig. Kanngießer). 524. Tod ohne erkennbare Ursache (nach O. Laurent). 13. Abnutzung der Zähne bei wilden Völkern (nach Basedow). 406. f. Verschiedenes. Einfluß des Menschen auf die Natur (Ule, W.). 19S. Wettlauf zwischen Mensch und Tier (Schultze). 138. IV. Bücherbesprechungen. Abel, O., Die vorzeitlichen Säugetiere 16. Arndt, Kurt, Handbuch der physika- lisch-chemischen Technik für Forscher und Techniker. 670. Auerbach, F., Die Physik im Kriege. 805. Bateson, W., Mendel's Vererbungs- theorie. 302. Beyschlag, F., Krusch, P., Vogt, J. H. L., Die Lagerstätten der nutz- baren Mineralien und Gesteine nach Form, Inhalt und Entstehung. 512. Blochmann, R., Luft, Wasser, Licht und Wärme. 75.1- Bragg, W. H., Über Reflexion der X- Strahlen. 584. Braun, Max und Seifert, Otto, Die tierischen Parasiten des Menschen, die von ihnen hervorgerufenen Erkrankungen und ihre Heilung. I. Teil. 5. Aufl. 669. Brehm's Tierleben. Säugetiere. III. Bd. 654. Brehm's Tierbilder. 528. Brun, Unterzeichner des Protestes wegen Beschießung der Reimser Kathedrale. 79- Boeke, H. E., Grundlagen der physika- lisch-chemischen Pelrographie. 685. Buchner, H., Acht Vorträge aus der Gesundheitslehre. 591. Budde, E., Naturwissenschaftliche Plau- dereien. 686. Bugge, G., Edelsteine. 743. Eumüller, Job., Die Urzeit des Men- schen. 128. Buttel-Reepen, Leben und Wesen der Bienen. 398. Canestrini, S., Über das Sinnesleben des Neugeborenen. 395. Corpus mcdicorum graecorum. 14. Damm er, Br. und Tietze, O., Die nutzbaren Mineralien mit Ausnahme der Erze, Kalisalze, Kohlen und des Petro- leums. 728. Daneel, H., Elektrochemie II. 32. Diels, H., Antike Technik. 668. Duden, Rechtschreibung der Fremd- wörter. 588. Ehrenbaum, E. Die Küstenfische von Westafrika , besonders von Kamerun. 511- E k e k r a n t z , Thor., Geschichte d. Chemie. 286. Bemerkung dazu. 448. E r k e s , Ed., Japan und die Japaner. 720. Eugenics Record Office. 111. Ewald, CA., Stoffwechsel und Diät von Gesunden und Kranken. 512. Feerho w. Fr., Eine neue Naturkraft oder eine Kette von Täuschungen? 251,. Fischer, Karl, Niederschlag und Ab- fluß im Odergebiet. 742. Foerster, W., Kalenderwesen und Ka- lenderreform. 254. Forch, C, Das Leuchtgas, seine Her- stellung und Verwendung. 51 1. Forrer, Otto, Rassenhygiene und Ehe- gesetzgebung im schweizerischen Zivil- gesetzbuch. 77. F r a e n k e 1 , Manfred, Unfruchtbarmachung durch Röntgenstrahlen bei Verbrechern und Geisteskranken. 77. France, R. H., Spaziergänge durch den Hausgarten. 207. Friederichsen , M., Die Grenzmarken des Europäischen Rußland. 742. Goldschmidt, R., Einführung in die Vererbungswissenschaft. 239. Goldschmidt, R., Die Urtiere. 767. Gräfe , Viktor, Ernährungsphysiologisches Praktikum der höheren Pflanzen. 479. Gröber, Paul, Der südliche Tienschan. 477- G r o t h e , H., Der russisch-türkische Kriegs- schauplatz. 784. Halb faß, W., Das Süßwasser der Erde. Harms, W., Experiment. Untersuchungen über die innere Sekretion der Keim- drüsen und deren Beziehung zum Ge- samtorganismus. 62. Hassert, Kurt, Die Polarforschung. 719. Hansen, A., Die Pflanze. 703. Hayek, Die Pflanzendecke Österreich- Ungarns. 511. Heilborn, A., Allgemeine Völkerkunde I u. II. 799- Heimstädt, O., Apparate und Arbeits- methoden der Ultramikroskopie und Dunkelfeldbeleuchtung mit besonderer Berücksichtigung der Spiegelkonden- soren. 727. Heinersdorff.K., Wörterbuch für Ver- steinerungssammler. 743. Henning, Hans, Ernst Mach als Phi- losoph, Physiker und Psycholog. 684. Hermann, O., Gesteine für Architektur und Skulptur. 48. Heß, R., Der Forstschutz. 622. HeßvonWichdorff, Masuren, Skizzen und Bilder von Land und Leuten. 799- Register. Hinneberg, Paul, Die Kultur der Gegen- wart. III. Teil. 4. Abteil. 671. Höfer von Heimlialt, H., Anleitung zum geologischen Beobachten, Kartieren und Pruftheren. 743* Hoffmann, F. B., Ludimar Hermann. (Gedächtnisrede.) 223. Hundt, R., Neuere populäre geologi- sche Literatur. 625. Hupka,E., Die Interferenz der Röntgen- strahlen. 432. J a g o r , .\us Fedor Jagor's Nachlafi. I . Süd- indische Volksstämme. 175. Jahrbuch für die Gewässerkunde Nord- deutschlands, Abflufijahr 1911, heraus gegfben von der Preußischen Landes- anstalt für Gewässerkunde. 159. Jaiser, Adolf, Farbenphotographie in der Medizin. 462. JeUinek, Karl, Lehrbuch der physi- kalischen Chemie in vier Bänden. I. I. 95- Karny, Heinrich, Wiederholungstabellen der Mineralogie. 143. K a y s e r , Emanuel, Abriß der allgemeinen und stratigraphischen Geologie. 58S. Kirch ho ff, Alfred, Mensch und Erde. 718. Klebahn, H., Die Algen, Moose und Farnpflanzen. 704. Klein's Jahrbuch der Astronomie und Geo- physik. Herausgegeben von Theodor Arldt. 528. Kleinpeter, H., Voiträge zur Einfüh- rung in die Psychologie. 336. Knieriem, Fr., Bau und Bild des Tau- nus. 175. Koepert, Jagdzoologisches aus Alt- sachsen. 127. Kohlrausch, Fr., Lehrbuch der prak- tischen Physik. 175. Koppe, Die Bahnen der beweglichen Gestirne im Jahre 1915. 5 II. Kossowicz, Alexander, Die Zersetzung und Haltbarmachung der Eier. 7 19. K r a '1 c h e r , Oskar, Entomologisches Jahr- buch. 351. Kriegsgengraphische Zeitbilder. Heraus- gegeben von H. Spethmann und E. Scheu. Heft I - 4. 478. Krusch, s. Beyschlag. Külpe, Oswald, Die Philosophie der Gegenwart in Deutschland. 655. Lampe, F., Große Geographen. 687. Leiser, Heinrich, Die Welt der Kolloide. 336. Levin, E., Zur Klimatologie und Hydro- logie des Peenegebietes (Abflußvorgang der Peene). 463. Liebmann, Willy, Die Beziehungen der Früchte und Samen zur Tierwelt. 2S7. Lifschitz, J., Die Änderungen der Lichtabsorption bei der Salzbildung organischer Säuren. 543. Li n ck , G., Chemie der Erde (Zeitschrift'). 160. Locy, W. A. (Übers, v. Nitardy\ Die Biologie und ihre Schöpfer. 397. Maday, St. v., Gibt es denkende Tiere f 30. Mangold, Ernst, Ily]inose und Kata- lepsie bei Tieren. 285. Martin, Rudolf, Lehrbuch der An- thropologie in systematischer Darstel- lung. 77. Mayer, P., Einführung in die Mikro- skopie. 142. MehliSjC, Jurassus und Vosegus. 143. Meyer, A., Die Vogcsen und ihre Kampf- stätten. 767. Meyer, K., Die Entwicklung des Tem- pera! urbegrifTs im Laufe der Zeiten usw. 77- Mense, C, Handbuch der Tropenkrank- heiten. 669. Michaelis, Leonor, Die Wasscrstoff- ionen-Konzentration. 351. Michaelsen, W., Beiträge zur Kennt- nis der Land- und Süßwasserfauna Deutsch-Südwcstafrikas. 191, 479. Michaelsen, W., Beiträge zur Kennt- nis der Meeresfauna Westafrikas. 191, 479, 784- Michel, H., Die künstlichen Edelsteine. 303- M i g u 1 a , W., Ptlanzenbiologie. II. Blüten- biologie. 704. M ö b i u s , M., Mikroskopisches Praktikum für systematische Botanik. II. (Krypto- gamen). 765. Müller, Franz, Die Arznei- und Genuß- mittel, ihre Segnungen und Gefahren. 590. Naturdenkmäler, Reden und .Aufsätze. 5S9. Nutting, P. G., u. a, Absorption des Lichtes in heterogenen Medien. 584. Oppel, Albert, Gewrbekulturen und Gewebepflege im Explantat. 544. Pellini, G., Über das Atomgewicht des Tellurs und seine Beziehungen zu den Gruppenhomologen. 542. Pflanzenreich. (Euphorbiaceae von Skolts- berg. 544. Plimmcr, R. H. A., u. Matula, J., Die chemische Konstitution der Eiweiß- körper. 654 Pöschl, Viktor, Einführung in die Kolloidchemie. 75^* Reichenow, Anton, Die V^ögel. 207. R e m s e n , Ira (Übers, v. S e u b e r t). An- organische Chemie. 175. Richardswalde, E., Was muß der Arzt vom Okkultismus wissen? 255. Riegler, G., Sonnen- und Mondfinster- nisse und ihre Bedeutung für die Himmelsforschung. 239. Rivers, W. H. R., Kinship and Social Organisation. 176. Rosenthaler, L., Der Nachweis orga- nischer Verbindungen. 320. Run ge, C, Graphische Methoden. 741. Sa ml er, Victor, Physikalische Chemie und Patentrecht. 703. Schaxel, Julius, Leistungen der Zellen bei der Entwicklung der Metazoen. 803. Schlechter, R., Die Orchideen. 588. Seh m eil, O. und Fitschen, Jost Flora von Deutschland. 174. Schmidle, W., Die diluviale Geologie der Bodenseegegend. 112. Schmidt, B., Monatshefte für den natur- I wissenschaftl. Unterricht aller Schul- gattungen. 431. Schuck, A., Der Kompaß. II. Teil. 683. Secf eidner, E., Morphogenetische Stu- dien aus dem Gebiete des fränkischen ' Jura. 303. Seifert, s. Braun und Seifert. Semper, Max, Die geologischen Stu- dien Goethe's. 623. Seubert, s. Rcmsen. Sieger, R., Die geographischen Grund- lagen der Österreich-Ungarischen Mon- archie und ihrer Außenpolitik. 704. Sinram, A., Die Welt der höheren Er- kenntnis und der Überzeugung. iql. Ber. 352. Solbrig, O., Desinfektion, Sterilisation, Konservierung. 744. Stern, W , Psychologie der frühen Kind- heit bis zum 6. Jahre. 432. Sutor, Henry, Manual of the New Zealand Mollusca. 270. Svedberg, The (Übers, v. Finkei- ste in), Die Materie. Ein Forsrhungs- problem in Vergangenheit und Gegen- wart. 396. Thorbecke, Franz, Im Hochland von Mittelkamerun. 670. Tob ler- Wolf, G. und Tobler, Fr., Vegetationsbilder vom Kilimandscharo. 587. Ude, Johann, Kann der Mensch vom Tiere abstammen? 78. Uhlig, J., Die Entstehung des Sieben- gebirges. 160. Valentin er, S., Anwendungen der Quantenhypothese in der kinetischen Theorie der festen Körper und der Gase. 431. Valentin er, S., Die Grundlagen der Quantentheorie in elementarer Dar- stellung. 431. Van in o, Lu iwig, Handbuch der prä- parativen Chemie. öS6. Verworn, Ma.x, Ideoplastische Kunst. 190. Vogt, J. H. L, s. Beyschlag. W a r m i n g , Eugen und Gräbner, Paul, Lehrbuch der ökologischen Pflanzen- geographie. 480. Weinschenk, E., Gestcinbildende Mi- neralien. 743- Weinstein, M. B., Der Untergang der Welt und der Erde in Sage und Wissen- schaft. bSb. Weyrauch, Jacob. J., Robert Mayer zur Jahrhundertfeier seiner Geburt. 2S6. Wilhelmi, J., Kompendium der biolo- gischen Beurteilung des Wassers. 75 1. VV i I k e , Arthur, Die Elektrizität, ihre Anwendung in Industrie und Gewerbe. 76. Willgerodt, C, Die organischen Ver- bindungen mit mehrwertigem Jod. 287. Witte, H., Raum und Zeit im Lichte der neueren Physik. 396. Woker, G., Die Katalyse. II. Teil. 766. Wolff, K., Der Kriegsschauplatz zwi- schen Mosel und Maas. 767. Zoth, O., Über die Natur der Misch- farben auf Grund der Undulalions- hypolhese. 396. V. Anregungen und Antworten. a. Astronomie. Photogramme der Sonnenfinsternis vom 21. .\ugusl 1914. (10 Abb.) 256. Mondauf- und Untergänge. 320. b. Physik, Chemie, Technik. [■'kklromaguctischer Ursprung der Ma- terie. (Literatur.) 64. Register. Fluoreszenz beim Flußspat. 239. Einfache Anordnung zur Ultramikroskopie. 494- Chemische Bodenanalyse. 528. Lebensdauer der Geschütze. 494- Eindringen von Geschossen. 592. Nachtphotographie. 16. c. Nahrungsmittel. Aprikosen- u. Phrsichkerne als Mandel- ersatz. 688. Vitaninhaltige Speisen. 272. Meeresalgen als Volksnahrung und Kriegs- gemüse. 576- VI. Wetter - Monatsübersichten von Dr. E. L,e^. Dezember 1914. (2 Abb.) 79. Januar 1915. (2 Abb.) 144. Februar 1915. (2 Abb.) 208. März I9I';- (2 Abb.) 288. April 1915. (2 Abb.) 351. Mai 1915. (2 Abb.) 416. Juni 1915. (2 Abb.) 496. Juli 1915. (2 Abb.) 560. August 1915. (2 Abb.) 639. September 1915. (2 Abb.) 687. Oktober 1915. (2 Abb.) 752. November 1915- (2 Abb.) 806. d. Zoologie. Tierfährten. 744- Einbürgerungsversuche zur Erforschung des VogelHuges. 744. Wandertaube, Aussterben. 744^ Niptus hololeucus (Käfer). 60S. Laterne zum nächtlichen Insektenfange. 272. Leuchten der Glühwürmchen. 591. Tierische Schädlinge unserer Kultur- pflanzen. 576. Geschlechtsbestimmung der Biene, (btell- waag.) (2 Abb.) 464- Geschlechtsbestmimung der Biene. (Nachts heim.) 463. Parthenogenese bei Lymantria dispar. 656. e. Botanik. Eichengallen. {3 Abb.) 768. Synonyma dreier Laubmoose. 16. Farbenänderung der Blüten. 448. Giflentwicklung pflanzlicher Parasiten. 447- Entwicklungsstadien als Funktion von Nährstofi"Uonzenlralionen. 352. Hanf, P;inhenogene-de. Die Sonne bildet mit strahlender Wärme und Luftwärme, durch Verdunstung, Niederschläge und Frost, endlich mit Strömungen, die sie in der Luft und im Wasser erregt, die Erdoberfläche um, und diese nie ruhende, immer fortschreitende Arbeit rüttelt ununterbrochen an den Daseins- bedingungen des Lebens. Klimatische Einflüsse im weitesten Sinne haben den Boden geschaffen, auf dem sich Pflanzen erst einwurzeln konnten, als er mit einer X'^crwilterungsdecke von Schutt, Sand und Ton bedeckt war; sie haben dem Leben im eigentliciien .Sinne vorgearbeitet. Sie haben im Verein mit inneren Erdbewegungen die Unterschiede von Höhe und Form hervorge- rufen, die dem Leben Berge und Täler, Hoch- länder und Tiefländer, Höhlen und Schluchten anwiesen. Von Wärme und Niederschlag hängen die Größe der Flüsse und .Seen, die Vergletsche- rung, der Ouellenrcichtum, die Wälder, Steppen und Wüsten ab. So gibt es eine Menge von mittelbaren Wirkungen des Klimas, die ') Vgl. hierüber A. Jacobi, Lage und Form biogeo- graphischer Gebiete. Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Herlin lid. 35, Jahrg. 1900, S. 176/77. N. F. XIV. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 5 man unter keinen Umständen vergessen darf, wenn man von Zusammenhängen zwischen Klima und Leben spricht. Umbildung, im westentlichen gleichbedeutend mit Neubildung der Arten aus beiden Lebens- reichen in langen geologischen Zeiträumen, das scheint zugleich auch die wahre Akklimatisation der Organismen zu sein. Denn das Klima ist ja immer dabei der Hauptfaktor, wenngleich eben vielfach erst mittelbar. Schon diese wenigen Erwägungen allgemeiner Natur müssen uns die Überzeugung aufdringen, daß alles Leben auf der Erde eines sei, daß wir demnach selbst bei paläobiologischen Unter- suchungen auch biographischer Untersuchungs- methoden uns bedienen müssen, indem wir selbst unter den Gesichtspunkten physiologisch - ana- tomischer Betrachtungen über die Umbildung der Tiere auch ihr räumliches Vorkommen und ihre räumliche Umsetzung keinesfalls außer acht lassen dürfen. Das hat schon der Altmeister Charles Darwin in den wichtigen Kapiteln 12 und 13 seines Buches über den „Ursprung der Arten" betont, indem er darin auch die geographische Verbreitung der Pflanzen und Tiere zusammen- faßt. Auch seit L. A g a s s i z ist oft auf Überein- stimmungen in der Verbreitung des Menschen und der der Pflanzen und Tiere hingewiesen worden, und unter den Neueren hat keiner so wie Fried- rich RatzeP) auf diese Zusammenhänge hinge- wiesen und vor allem in seiner Anthropogeo- graphie die hologäische Auffassung des Lebens begründet. In der Tat, eine Trennung des Reiches des Lebendigen wäre nicht bloß eine einfache Zerteilnng eines von der Natur gegebenen Ganzen und Zusammengehörigen, sondern ein Übersehen und Verkennen der gemeinsamen Lebenseigenschaften unseres Planeten, sei es in Gegenwart oder in der Vergangenheit seiner Geschichte. Nur wenn wir stets unseren Blick auf die Einheit des Lebens lenken, werden wir auch meist imstande sein, Fehler zu vermeiden, indem wir das Klima für Eigentümlichkeiten der Lebewelt nicht auch da verantwortlich machen, wo es nicht der Fall ist. 1) Vgl. auch sein klassisches Werk ; Die Erde und da Leben. 2 Bde. Leipzig 1901/02. Die Oxydation uud Nlchtoxj dation der Metalle. [Nachdruck verboten.] Von Prof. Dr. P. Gerade in der jetzigen Kriegszeit ist die Ver- wendung der Abfallprodukte der Industrie eine unbedingte Notwendigkeit. Da wir keine Schweröle zur Gewinnung von Benzin besitzen, so müssen wir uns nach anderen leicht verbrennbaren Gasen umsehen. Benzol kann aus dem Steinkohlenteer gewonnen werden. Für die Gewinnung von Spiritus aberstehen uns zahlreiche Hilfsquellen zu Gebote. So kann Äthylalkohol aus Holzabfällen, aus den Abwässern der Zellulosefabriken, der Preßhefe fabriken, aus Rübenmelasse- syrup, aus Mohrrüben und Zuckerhirse usw. gewonnen werden. Bezüglich der Herstellung des Alkohols aus Holz sind bereits verschiedene Patente auf Ver- fahren genommen worden, nach denen die Zellu- lose der Sägespäne in Stärkezucker verwan- delt wird ; aus letzterem wird durch Fermentation Alkohol erhalten. Die Herstellungskosten sind gering, um 1 500 kg Sägespäne in Zucker zu ver- wandeln, sind 400 1 Wasser und 81 kg Schwefel- säure nötig. Nach der Erhitzung, die 6 Stunden dauert, verdünnt man die Mischung sehr stark und setzt ihr Bierhefe zu, und dann findet die Destillation statt. Diese Industrie hat nach mehreren Jahren nur etwa 60 hl reinen Alkohol dargestellt. Es liegt das daran, daß die Gärung unter sehr schwieri- gen Verhältnissen entsteht, und daß die Apparate durch die Säure und den Alkohol oxydiert und angegriffen werden. Rohland-Stuttgart. Auch die M o t o r e werden vom Spiritus oxy- diert: und das führt zu der Frage, unter welchen Bedingungen Eisen und unsere anderen Metalle rosten und unter welchen nicht. Trotz zahlloser Versuche, trotz sehr exakter Methoden sind diese Ursachen immer noch nicht vollständig angegeben worden. Freilich erscheint die Beantwortung der P^rage sehr leicht und wird dahin lauten, daß Eisen und auch andere Metalle sich eben an der Luft oxy- dieren, im luftleeren Raum aber nicht; indessen ist diese Beantwortung ungenau. Eiä'en und die anderen Metalle, oxydieren sich in völlig trokener Luft nicht, ebensowenig rosten sie unter Wasser, das keine Luft bzw. Sauerstoff absorbiert enthält. Es müssen demnach Luft bzw. Sauerstoff und mindestens Spuren von Wasser und Wasser - dampf vorhanden sein, und zwar zugleich, erst dann tritt Oxydation ein. Nun wird diese Oxydation durch eine Reihe von Stoffen beschleunigt oder verlang- samt und aufgehoben. Alle Säuren beschleunigen die Oxydation, selbst die schwach dissoziierte Kohlensäure, ferner die Salze, die infolge Hydrolyse sauer reagieren, mit Salmiak, Glaubersalz; diese Säuren und saure Salze enthalten Wasser stoffionen und diese sind es, welche die Oxydation beschleunigen. Ferner oxydieren sich Eisen und die anderen Metalle schnell im Wasser, das Chloride, Chlorkalium, Chlornatrium, Chlorcalcium usw. oder auch Sulfate, Natriumsulfat, Animoniumsulfat Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. I enthält, die Chlorionen und die Sulfationen wir- ken im beschleunigenden Sinne. Wie kommt diese Oxydation zustande? Auf Grund der Lehren der physikalischen Chemie läßt sich darauf folgende Antwort geben: das Eisen in Berührung mit Wasser sendet positiv geladene Ferroionen in dieses, während es sich selbst negativ lädt, bis ein elektrocliemisches Gleichgewicht zwischen dem Eisen und den Ferro- ionen eintritt. Nun enthält auch reines Wasser Wasserstoff- ionen und ihr Übergang in elektrisch neutralen Wasserstoff durch die Ferroionen muß erfolgen, wenn der osmotische Druck der Wasserstoffionen und der elektrostatische Zug die elektrostatische Lösungstension des Wasserstoffs zu überwinden vermag nach der Gleichung: Cj ^Cg wo Cj die Lösungstension des Eisens, Cj die Konzentration der Eisenionen, c, die Konzentration der Wasserstoffionen, C„ die Lösungstension des Wasserstoffs, Uj die Valenz des Eisens bedeutet. Es ist dann leicht ersichtlich, daß die Ver- mehrung der Wasserstoffionen durch Säuren die Oxydation beschleunigen muß. Der Sauer- stoff aber bewirkt folgendes: durch Oxydation des abgeschiedenen Wasserstoffs zu Wasser wird eine schnelle Entfernung desselben und dadurch eine Lösungs- und Oxydationsbeschleunigung hervorgerufen. Nun enthält das technische Eisen noch allerhand Beimengungen : Kohlenstoff, Mangan, Schwefel, Phosphor, Silicium; ist nun das Eisen von einem Elektrolyten, z. B. einer Salzlösung umgeben , so treten elektrische Lokalströme auf die das Rosten beschleunigen; es bilden sich Potentialunterschiede an der Oberfläche, die posi- tiven Wasserstoffionen wandern nach den Stellen mit größerem Lösungsdruck, um mit den Eisen- ionen in Reaktion zu treten; infolgedessen tritt an den Stellen mit niedrigerem Lösungsdruck eine Anhäufung von Hydroxylionen ein. Auf Zusatz von Ferricyankalium muß da, wo das Ferroion in größerer Konzentration vorhanden ist, die blaue Farbe (Berliner Blau) und da, wo Hydroxylionen in größerer Konzentration vorhan- den sind, auf Zusatz vori Phenolphthalein Rot- färbung eintreten. Die Rostbildung zeigt sich zuerst an korro- dierten Stellen der Metalle; daher ist es wichtig, ihre Struktur mikroskopisch zu untersuchen. An einer vollständig glatten und rißfreien Oberfläche macht sich der Einfluß der oxydieren- den Agentien viel schwerer geltend. Schließlich: „der Rost frißt weiter"; das be- deutet, daß das schon gebildete Oxyd den Rostungs- prozeß unterstützt, indem dieses Wasserdampf und Luft bzw. Sauerstoff abso rbiert; hat sich erst einmal an einer Stelle Eisenoxyd gebildet, so wird dann die Oxydation rascher vorwärts- schreiten. Nachdem einige Teilchen des schon gebildeten Oxyds Feuchtigkeit und Sauerstoff aufgenommen haben, wird die zunächst liegende Stelle mit deren Hilfe oxydiert usw., so daß der erwähnte volks- tümliche Ausdruck durchaus das Richtige trifft. Andererseits gibt es nun auch Stoffe, welche die Oxydation verzögern oder ganz aufheben. Diese Eigenschaft haben zunächst alle Laugen und ferner Salze, die infolge Hydrolyse alka- lisch reagieren, also Stoffe, die Hydroxylionen enthalten; solche Schutzwirkung üben aus Natron- lauge, Kalilauge, Calciumhydroxyd, Ammoniak- wasser u. a. und von den Salzen Soda, Pottasche, Wasserglas, Alkaliphosphate, und Alkaliacetate und Borax. So oxydiert sich Eisen auch nicht in einem feuchten Gemisch von Sau erst off und Ammo- niak, da letzteres die Schutzwirkung ausübt. Eine bestimmte Alkalität, eine bestimmte Konzentration der Hydroxylionen ist allerdings notwendig, um eine Schutzwirkung hervorzurufen. So wirken Kalilauge und Natronlauge am stärk- sten, Borax am schwächsten. Die Alkalität, wie sie etwa in einer ^20 normalen Lösung von Kalihydroxyd (etwa 2,8 Gew.-T. CoH in i 1) reicht vollständig aus, um diesen Zweck zu beweisen. Von der Soda müssen etwa 17,2 g in i 1 ge- löst werden, um eine Schutzwirkung hervorzu- bringen. Borax übt eine noch geringere Schutzwirkung als Soda aus, da es nur schwach alkalisch reagiert. Diese Stoffe, die alkalisch reagieren, schützen aber das Eisen vor der Oxydation, weil Eisen von alkalischen Flüssigkeiten nicht angegriffen wird. Die Alkalität verhindert, daß Säuren, saure Salze, also Wasserstoffionen, in Berührung mit dem Eisen kommen. Die anderen unedlen Metalle dagegen werden von Alkalien angegriffen und oxydiert , hierher gehören Zink, Zinn, Kupfer, Blei, selbst das sonst in chemischer Beziehung dem Eisen so nahestehende Alu- minium. Außer den Laugen üben noch eine Schutz- wirkung vor der Oxydation aus: Alkali Chro- mate und Bichromate und Chromichlorid, obwohl diese beiden letzteren Wasserstoffionen entlialten und sauer reagieren. Auch hier ist eine bestimmte Konzentration der Lösungen notwendig, damit eine Schutz- wirkung hervorgerufen werden kann ; und auch die chemische Konstitution des Metalls, z. B. des Eisens, ist dabei maßgebend; so werden nur guß- eiserne Rohre in einer '/loo Normallösung von Kalidichromat oxydiert, während bei den s c h m i e d e- eisernen Rohren bei dieser Konzentration der Lösung die Oxydation verzögert wird, ebenso verhalten sich diese Rohre in einer '/loou Normal- lösunr. N. F. XIV. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. In einer 7ioooo'^o'''^''ll°s'^"S ^''-'" Kahdichromat werden beide Eisensorten in gleich starker Weise oxydiert. Hier ist eben der beschleunigende Ein- fluß der Wasserstoffionen größer als der ver- zögernde der Bichromationen. Diese ganze Frage hängt mit der sog. Passi- vität der Metalle zusammen, die noch keine restlose Beantwortung gefunden hat. Früher ist diese Passivität so erklärt worden, daß sich eine ganz dünne, nicht sichtbare Oxydschicht bildet, die die Metalle vor der Oxydation schützt. Mit bloßem Auge kann sie nicht wahrge- nommen werden, da dieses zur Erkennung solcher sehr dünnen Schichten ungeeignet ist, Schichten unter 4 /.ifi sind für das Auge auch unter günstigen Umständen nicht zu erkennen. Wohl aber müßte diese Schicht nach einer von Müller und Königsberger aufgefun- denen Methode sichtbar sein ; es ist dieses aber nicht der Fall ; also eine Oxydschicht ist nicht vorhanden. I'erner ist zu beachten , daß diese Schicht kontinuierlich sein müßte, da eine diskonti- nuierliche die Oxydation des ganzen Metallstückes herbeiführen müßte. Die Alkohole gehören nun zu den Sub- stanzen , die die Oxydation des Eisens und der anderen Metalle beschleunigen; sie enthalten ja auch Wasscrstoftionen. Vielleicht läßt sich aber unter den genannten Substanzen eine finden, die einerseits das Eisen vor der Oxydation schützt, andererseits sich nicht chemitch mit dem Äthyl- alkohol verbindet. Dann würde jedenfalls in noch viel größerem Umfange als bisher Spiritus für die Motore der Automobile, die allerdings umgeändert werden müssen, gebraucht werden. Einzelberichte. Zoologie. Wie saugen die Blattläuse? Ge- naue Untersuchungen zur Beantwortung dieser Frage sind nicht ganz leicht wegen der Kleinheit der Tiere und wegen der Schwierigkeit, sie so zu töten, daß sie den Zusammenhang mit der Wirts- pflanze bewahren und man ein naturgetreues Bild eines Augenblickszustandes in der Nahrungsauf- nahme erhält. Fritz Zweigelt, der den Gegen- stand neuerdings in einer umfassenden experimen- tellen und kritischen Untersuchung behandelt, hatte ausgezeichneten Erfolg mit wässeriger und mit alkoholischer Sublimatlösung, die, mit ein paar Tropfen Essigsäure versetzt, in heißem Zu- stand auf mit Läusen besetzte Blatt- und Stengel- stücke gegossen wurde. Von den fixierten und in Paraffin eingebetteten Präparaten wurden Schnittserien hergestellt, die in verschiedener Weise gefärbt wurden. Stichverlauf und Verände- rungen in den getroffenen oder doch in Mitleiden- schaft gezogenen Zellen wurden vornehmlich an Querschnitten, teils auch an Flächen- und radialen Längsschnitten studiert. Wie bei anderen Schnabel- kerfen bestehen die Mundwerkzeuge der Blattläuse aus vier Stechborsten, den Mandibeln (Oberkiefern) und den Maxillen (LInterkiefern), die in der Rinne der Unterlippe vor- und zurückgeschoben werden können. Die an ihrer Innenfläche doppelt aus- gehöhlten, miteinander verfalzten Maxillen bilden in dem oberen, von ihnen umschlossenen Hohl- raum das eigentliche Saugrohr, während der untere Kanal ausschließlich als Ausführungsgang des von den Speicheldrüsen gebildeten Sekrets dient. Nach den Befunden von Zweigelt fließt nun der Speichel dem Borstenbündel bei dessen Vordringen in den angestochenen Pflanzenteil voraus, so daß das vordringende Borstenbündel immer schon in Sekret eintaucht und sich so mit einer später teilweise erhärtenden Scheide umgibt. Man hat in der Bildung dieser „starren Scheide" den eigentlichen Zweck der Speichelbildung sehen wollen, indem man d.is Vorhandensein des von der Scheide gebildeten geschlossenen Rohrs als eine der wesentlichsten Bedingungen für das kräftige Vordringen der Borsten betrachtete. Diese Ansicht ist nach Zwei gelt irrig. Ein Aufrollen der Borsten — bei Abwesenheit der Scheide — sei nicht zu befürchten; außerdem bleibe das Speichelsekret eine Zeitlang zähflüssig, und endlich komme es auch vor, daß überhaupt keine Scheide gebildet wird, obwohl die Borsten im Pflanzengewebe vordringen. Erst nachträglich und sekundär könne die Scheide die Borsten in der Sicherheit ihrer Bewegungen unterstützen. Die Hauptaufgabe des Sekrets besteht nach Zweigelt in der Verzuckerung von Stärke; von anderer Seite sind diastatische Eigenschaften für das Speichelsekret von Schnabelkerfen nachge- wiesen worden. Das Sekret übt eine starke os- motische Saugkraft aus, die bewirkt, daß beim Anstechen einer Zelle sofortige Plasmolyse eintritt. In den häufigsten Fällen verläuft der Stichkanal aber interzellular; dann kann ohne die Sekret- bildung überhaupt kein Saugen stattfinden, weil ein exosmotischer Saugstrom aus den benachbarten Zellen nur dann einsetzt, wenn sich das Sekret an ihre Wände anlegt (wobei es Plasmolyse in ihnen hervorruft). Diese interzellulare Aussaugung bietet den Vorteil, daß eine kleine Menge Speichel- flüssigkeit genügt, um gleichzeitig viele Zellen in der L^mgebung in den Bereich der Saugtätigkeit zu ziehen. Die durch die osmotische Wirkung des Sekrets herbeigeführte Turgorverminderung in den umgebenden Zellen erleichtert dem Borsten- bündel das weitere Vordringen, und die fortge- setzte Speichelausscheidung hält den Minderdruck in der Umgebung aufrecht. Das mechanische Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. I Eindringen der Borsten in die Epidermis wird durch die Mächtigkeit der Kutikuiarschichten er- schwert ; das Speichelsekret ist dabei, da das Kutin die Enzymwirkung ausschaltet, von keinem Nutzen und ändert die Turgorverhältnisse der Epidermis- zellen nicht, solange es ihnen außen angelagert ist. Auch die Zentralspalten der Spaltöffnungen bieten keineswegs willkommene Eintrittspforten; der starke Turgordruck der Schließzellen hindert vielmehr das Eindringen der Borsten, und die Stomata werden zumeist da angestochen, wo die Tiere einerseits zum Ansätze der Borsten die größte Sicherheit gewinnen können, und wo andererseits die Außenwände der Zellen am dünnsten sind , nämlich an den äußeren Haut- gelenken. Der Stichkanal verläuft im Pflanzen- gewebe, wie schon Büsgen fand, nicht immer in der gleichen Weise. Am häufigsten ist der Fall, daß die Blattläuse unter mannigfachen Win- dungen einem Gefäßbündel zustreben , um in dessen Bereiche zahlreiche Verästelungen zu trei- ben. Als Nahrungsquellen müssen gelten: Epi- dermis, alle Zellen der Rinde im Stengel und im Blattmesophyll, schließlich das Leitgewebe (Hadrom und Leptom) der Gefäßbündel. Infolge einer Giftwirkung, die vom Speichel ausgeht, kommt es in gewissen Fällen beim interzellularen Stich- verlauf zur Bildung eigentümlicher „Kappen" an den in Mitleidenschaft gezogenen Zellen; es sind dies Plasmateile, die eine krankhafte Ver- änderung erfahren haben. Ferner wurde ein aktives Wandern des Zellkerns und des Proto- plasmas nach der am meisten bedrohten Seite der Zelle beobachtet, doch ging der Kern weiterhin zugrunde. Eine Schutzwirkung solcher und anderer „Abwehraktionen" ist nicht zu er- kennen. Der Giftreiz des Speichels geht stets von der Borstenspitze aus und verbreitet sich in der Pflanze in Gestalt von Kugel wellen. Eine weitere Reaktion der Pflanze besteht in der An- sammlung von Gerbstoff in der Umgebung der Stiche, und hierdurch kann in der Tat die Saug- wirkung der Stiche aufgehoben werden, wahr- scheinlich (Jost) dadurch, daß der Gerbstoff das vom Speichelsekret stammende diastatische Enzym unwirksam macht. Der Gerbstoffgehalt der Zellen ist aber trotzdem in vielen Fällen für die Blatt- läuse kein Anlaß, diese Zellen zu meiden. Jeden- falls kommt es in erster Linie auf die Natur des Gerbstoffes an, wenn er lokale Schutzvvirkung hat. Die (ildrüsen gewisser Pflanzen dürfen keineswegs als Schutzmittel gelten, denn sie sind zuweilen eine Nahrungsquelle und werden unter Umständen sogar zum Ziele des Stiches. Das Verhalten der Tiere läßt darauf schließen, daß sie die Fähigkeit haben, chemische Qualitäten im Innern der Zelle zu unterscheiden , und ferner, daß sie Druckver- hältnisse wahrnehmen köinien. Es würde daher nach Nervenelemcnten und spezifischen Sinnes- organen in den Borsten zu suchen sein. Bemer- kenswert ist noch die Beobachtung des Verfassers, daß in der nächsten Nähe von Blattlausstichen häufig bedeutende Hypertrophien, namentlich der Epidermiszellen auftreten, die von Milben her- rühren. Da die Blattläuse zu den tierischen Ver- breitern der Milben gehören, so vermutet Zwei- gelt, daß eine Lebensgemeinschaft beider vorliegt. Die von den Milben verursachten Wucherungen und die dadurch veranlaßten, viel lebiiafteren Stofftranspoite in dem Pflanzenorgan könnten den Blattläjsen zugute kommen. Die Milben würden als ihre Pioniere arbeiten und genössen dafür den Vorteil rascher Verbreitung auf zahlreiche Pflanzen. (Centralblatt für Bakteriologie usw. Abt. II. Bd. 42. 1914. S. 265 — 334.) F. Moewes. Physik. Mit der elektrischen Leitfähigkeit der Metalle bei sehr tiefen Temperaturen be- schäftigt sich eine Arbeit von Kamerlingh Onnes in den Comptes Rendus 159, Seite 34 (1914). Die Untersuchungen wurden bei der Temperatur des flüssigen Heliums, also nahe dem absoluten Nullpunkt, ausgeführt. Unter .Atmosphärendruck liegt der Siedepunkt des Helium bei 4,25 " abs. Dadurch, daß man das Sieden unter vermindertem Druck vor sich gehen läßt, erhält man noch tiefere Temperaturen, z. B. bei 5 cm Ouecksilber- druck 2,35" abs. Kühlt man Quecksilber ab, so fällt sein Widerstand allmählich; doch bei einer Temperatur von 4,21" abs. findet eine plötzliche enorme Verringerung statt, so daß bei und unterhalb dieser Tempe- ratur das Quecksilber so gut wie keinen Wider- stand mehr hat, so ist bei 3,65 " abs. der Wider- stand des Quecksilbers nur der tausendmillionste Teil von dem bei 273" abs. = 0° Celsius. Die Potentialdifierenz an den Enden des Quecksilber- fadens ist wegen ihrer Kleinheit nicht mehr meß- bar, während die Stromstärke rund 0,5 .A. be- trägt. Sehr kleine Potentialdifferenzen erzeugen demnach Ströme von außerordentlicher Stärke: ein Ouecksilberfaden ergab bei 2,45 " abs. für eine Potentialdifferenz von 6,3 Mikrovolt eine Stromdichte von rund iioo A. pro Quadratmilli- meter. Bei diesen tiefen Temperaturen ver- schwindet also trotz hoher Stromstärke die Joule- sche Wärme fast vollkommen, eine Energiever- wandlung in Wärme tritt in dem stromdurch- flossenen Draht fast nicht mehr ein. Diesen Zu- stand abnorm großer Leitfähigkeit, der bei einer bestimmten sehr niedrigen Temperatur plötzlich auftritt , zeigen außer Quecksilber eine Reihe anderer Metalle, so z. B. Zinn und Blei und zwar ist die Widerstandsabnahme von derselben Größen- ordnung wie beim Quecksilber. Bei Gold und Platin verlaufen die Versuche negativ, doch ist es wahrscheinlich, daß sich das negative Resultat durch Verunreinigimgen erklärt. Außerordentlich interessante Versuche werden mit einer aus seide- umsponnenem Bleidraht ("j,, qmm Querschnitt) hergestellten kleinen Spule von i cm Höhe und ebensolchem Durchmesser angestellt. Die beiden Enden des Spulendrahtes werden aneinander gelötet, so daß er einen in sich geschlossenen Leiter bildet. N. F. XIV. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Die Spule wird dann in ein kräftiges Kraftfeld crebracht und im Heliumbad auf 1,8" abs. abge- kühh. Wird das Magnetfeld entfernt, so entsteht in der Spule ein Induktionsstrom von etwa 0,5 A., der mehrereStunden hindurch andauert. Bringt man in die Nachbarschaft der Spule eine kleine Magnetnadel, so wird diese abgelenkt^ und die Ablenkung bleibt nach Entfernung des indu- zierenden Kraftfeldes noch lange Zeit bestehen. Bei geringer Erwärmung der Spule verschwindet der Strom sofort wegen der dadurch hervorge- rufenen Widerstandssteigerung. Verbindet man zu beiden Seiten der Lötstelle zwei Punkte mit einem ballistischen Galvanometer und trennt, während in der widerstandslosen Spule der Strom fließt, die Lötstelle auf, so zeigt das Galvanometer einen momentanen Ausschlag. Bei diesen tiefen Temperaturen bewegen sich die Elektronen an- scheinend so gut wie widerstandslos im Leiter. Sind sie einmal in Bewegung gebracht, so hält diese Bewegung, auch wenn die bewegende Ur- sache verschwindet, noch lange Zeit an, da sie fast ohne Reibung erfolgt. K. Schutt. Über Erkennung des Schmelzens der Gläser berichtet E. Z s c h i m m e r (Jena) nach im Jenaer Glaswerk ausgeführten Arbeiten in den Naturwissenschaften II, Seite 962. Nur Kristalle haben einen bestimmten Schmelzpunkt; er be- deutet die Temperatur, bei welcher die regel- mäßige Molekularstruktur des Kristalls übergeht in die regellose Struktur des amorphen Körpers, im besonderen der Flüssigkeit. Beim Glase findet ein solcher plötzlicher Wechsel der Struktur nicht statt; es geht vielmehr ganz allmählich aus dem flüssigen in den festen Zustand über, so daß von einem Schmelzpunkt hier anscheinend nicht die Rede sein kann. Nimmt man an, daß im festen Zustand die Moleküle dauernd um das (beim Nichtkristall) regellose ideelle Punktgitter Schwingungen ausführen, so muß es doch eine bestimmte Temperatur geben, bei der dieser Zu- stand der Molekularanordnung aufhört, so daß ein Fließen eintritt. Es muß mithin auch bei amorphen Körpern etwas wie ein Schmelzpunkt vorhanden sein. Um ihn zu bestimmen , bringt der Ver- fasser zwei plangeschliffene Glasplättchen zur Adhäsion; sie sind dann von einer Luftschicht von etwa 0,05 mm Dicke getrennt. Werden die Plättchen erwärmt, so führen die Moleküle zu- nächst um ihre Gleichgewichtslage Schwingungen aus, deren Amplitude mit steigender Temperatur zunimmt. Bei einer ganz bestimmten Temperatur kehren die Moleküle nicht zur Gleichgewichtslage zurück, sondern schlagen durch die Luftschicht hindurch zur andern Glasfläche hinüber, so daß an dieser Stelle ein Zusammenfließen (Kohäsion) des Glases erfolgt. Dieser Moment läßt sich nun sehr genau feststellen, da um die Berührungsstelle, wie die Beobachtung im reflektierten Licht zeigt, sich Newton' sehe Farbenringe ausbilden. Nach der Abkühlung haften die beiden Platten anein- ander. Bei gewaltsamer Trennung zeigt sich auf dem einen ein winziger Höcker, in dem anderen die entsprechende Vertiefung. Der Verfasser maß die Temperatur, bei der nach V» stündiger Adhäsion eine Kohäsion eintrat; der „Kohäsions- punkt" ließ sich auf 2 — 3 " genau bestimmen. War die Adhäsionszeit größer als 30 Minuten, so trat die Kohäsion schon bei tieferer Temperatur ein. Bei bestimmter Adhäsionszeit ist der Kohä- sionspunkt für diese Zeit eine Funktion der che- mischen Zusammensetzung des Glases. Von den etwa 30 Beobachtungen seien einige mitgeteilt: Glasart Spez. Gew. Kohäsionsp. Schwerstes Silikat-Flint 6,01 424.8° Gewöhnliches Flint 3.94 485,6*' W. V. Flint 2,75 547.0° Gewöhnliches Krön 2,48 558,5° Schwerstes Baryt-Kron 3,31 693,8». Leider teilt der Verfasser nicht mit, auf welche Weise die Temperatur gemessen wurde. K. Schutt, Hamburg. Experimentelle Physiologie. Eine bei den Fischen, speziell den in strömendem Wasser lebenden, rheophilen Arten sehr ausgesprochene Erscheinung ist die Rheotaxis, das Vermögen, ihren Körper so zu orientieren, daß der Kopf stromaufwärts gerichtet, und die Körperachse parallel zur Stromrichtung gestellt ist. Diese Erscheinung zeigen sowohl die Fische, die strom- aufwärts schwimmen, als solche, die sich gegen die Strömung immer auf demselben Ort halten, „an Ort schwimmen". Die an sich zweifellose Erscheinung ist in ihrer biologischen Bedeutung und nach ihrer physiologischen Seite hin ver- schieden beurteilt worden, P. Steinmann (Aarau) meint, daß es sich bei den rheotaktischen Wanderungen der meisten Fische, vorab der aus dem Meer in die Flüsse aufsteigenden, um Brutpflegeerscheinungen handele. Ferner falle in manchen Fällen der Rheotaxis die Aufgabe zu, die verschwemmende Wirkung des fließenden Wassers zu kompensieren. Durch die Aufwärtswanderung werde das verloren ge- gangene Terrain wieder erobert. Das „an Ort Schwimmen" diene dazu, den einmal eingenommenen Platz zu behaupten, und endlich spiele die Rheo- taxis eine bedeutende Rolle bei der Verbreitung der Fische. Was die physiologische Seile anbetrifft, so ist es zunächst einerlei, ob der Fisch in stehendem Wasser schwimmt oder in fließendem Wasser steht. Bezüglich des Reizes, welcher den orien- tierenden Reflex auslöst, werden drei Meinungen vertreten; ein optischer Reiz (Loeb, Lyon usw.), ein durch die Organe der Seitenlinie perzipierter Druckreiz (Baglioni) und ein statischer Sinnes- reiz des Labyrinths (Mangold). Die verschiedenen Ansichten wurden in einer Reihe von Versuchen von P. Steinmann (Unter- suchungen über die Rheotaxis der Fische. Verh. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. I d. deutsch, zool. Ges. 1914) einer erneuten Prüfung unterzogen. Nach Lyon wirkt der optische Reiz in der Weise, daß das Netzhautbild sich beim Treiben stromabwärts verschiebt, dazu kämen taktile Reize, bewirkt durch die Reibung der Bauchseite auf der Unterlage. Die Prüfung auf die Wirkung des optischen Reizes nahm schon Lyon in folgender Weise vor. Läßt man eine große Flasche mit Fischen im Wasser treiben , so sammeln sich die Tiere am stromaufwärts ge- richteten Ende; steht aber die Flasche still im ^^'asser, schwimmen die Fische nach allen Seiten auseinander. Wird ein mit senkrechten Strichen bemalter Papierstreifen längs des Aquariums be- wegt, folgen ihm die Fische nach. Aber nach S t. kann man aus der Reaktion auf den optischen Reiz nicht schließen, daß er bei der Rheotaxis allein wirke. Bei vielen rheo- taktischen wirbellosen Tieren kämen optische und taktile Reize überhaupt nicht in Betracht. Ferner ändere sich bei den doch auch rheotaktisch orientierten flußaufwärts wandernden Fischen das Netzhautbild fortwährend. Zu beanstanden sei die Annahme von Lyon, zwischen einem im Wasser treibenden Fisch und dem strömenden Wasser bestände keine Reibung. Letztere fehle nur bei einem vollkommenen „Stromlinienkörper", d. h. einem solchen, dessen Oberfläche genau der Strömungsrichtung entspricht. Anderenfalls entstände überall da, wo dies nicht der Fall wäre, „totes Wasser" und erhöhter Druck auf der gegenüberliegenden Seite. Der Fisch- körper sei zwar meistens ein vollkommener Strom- linienkörper, totes Wasser und Reibungsreize ent- ständen aber jedesmal, wenn der Fisch schief zur Strömungsrichtung und mit wechselnder Ge- schwindigkeit schwämme. In den Versuchen von S t. sollen die drei in Betracht kommenden Reizarten, Verschiebung des Gesichtsfeldes, Reibung auf dem Untergrund und Druck der Strömung auf den Körper in ihrer Wirkung getrennt voneinander geprüft werden. Die Versuchstiere waren Bitterling, Ellritze, Gründling, Kaulbarsch und Stichling. Die Fische stellten sich auch ohne optische und taktische Reize gegen die Strömung ein. In ein rundes Glasbecken wurde ein zweites von kleinerem Durchmesser gestellt, der ring- förmige Zwischenraum mit Wasser gefüllt, und Wasser durch ein Glasrohr- schräg zur Wandung des großen Gefäßes eingeleitet, so daß ein Wasser- strom zwischen den beiden Gefäßen zirkulierte. Die Fische stellten sich sofort gegen die Strömung. Der Wegfall des optischen Reizes in der Dunkel- kammer beeinflußte die rheotaktische Einstellung nicht, ebensowenig die einseitige Blendung. Ganz blinde Fische zeigten, wie sclion Lyon konsta- tiert hatte, ebenso wie die normalen bei Dunkel- versuchen nur dann Rheotaxis , wenn sie den Grund berührten. Die Rolle , welche Gesichtswahrnchmungen spielen, wurde außerdem in folgender Weise ge- prüft: Eine mit hellem Papier überzogene und mit senkrechten schwarzen Strichen versehene Trommel rotierte mit verschiedener Geschwindigkeit dicht vor dem Aquarium. Die Fische reagierten nicht darauf; ebensowenig oder kaum, wenn ein senk- recht gestreiftes Band, das rings um das Aquarium lief, in Bewegung gesetzt wurde. St. fand die Angaben von Hofer bestätigt, wonach die Fische auf Wasserströme reagieren, die man aus einem engen Röhrchen gegen die Körperseite richtet; der Hecht z. B. durch Spreizen der Rückenflosse, der Kaulbarsch senkt die hintere Rückenflosse etwas gegen die gereizte Seite hin und dreht den Schwanz nach derselben Seite, der Gründling hebt und spreizt Rücken- und Schwanz- flosse, aber ohne den Schwanz zu drehen. Nach St. handelt es sich dabei um eine Ver- größerung der Steuerfläche am hinteren Körper- ende. Ein am Boden eines strömenden Gewässers ruhender Fisch wird auf der stromaufwärts ge- richteten Flanke stärker gereizt und reagiert auf den erhöhten Druck, durch eine Vergrößerung der Steuerfläche am hinteren Ende. Infolgedessen wird der Körper vom Strom gedreht , bis seine Körperachse mit der Strömungsrichtung parallel steht. Wird diese Lage überschritten, bewirkt der Druck auf der anderen Seite einen Umschlag. Das gilt sowohl für den im strömenden Wasser stehenden , als für den im stehenden Wasser schwimmenden Fisch. Welche Bedeutung für die Empfindung der Druckverschiedenheiten die Organe der Seiten- linie haben, sollen weitere Versuche z. B. bei einseitiger Ausschaltung derselben ergeben. Jeden- falls haben sie dafür eine sehr günstige Lage an den exponierten Stellen der Flanke und enge Beziehungen zu dem statisch so wichtigen Laby- rinthorgan. Kathariner. Geologie. Über „Die physikalischen Grund- lagen des intermittierenden Kohlensäuresprudt-ls zu Namedy bei Andernach a. Rh." berichtet E. Alt fei d in der Zeitschrift für praktische Geo- logie Heft 4/5, 19 14, S. 164. Aus einem 300 m tiefen Bohrloch, welches außer einer äußeren 35—40 cm weiten Verrohrung noch ein inneres Steigrohr von 20 cm Durch- messer besitzt, das von 50 m abwärts mit zahl- reichen Löchern zum Eintritt des Wassers \er- sehen ist, wird in Zwischenzeiten von 3 — 6 Stun- den mit Ausbrüchen von 4 — 6 Minuten Dauer eine Wassermenge von 25 cbm und eine Gas- menge von über 300 cbm Kohlensäure bis zu 55 m Höhe emporgeschleudert. Über Tag ist dem Steigrohr noch ein 65 cm weites, 1,25 m langes Rohr aufgesetzt. Der Gesamtinhalt des Bohrloches beträgt 35 cbm. Die Speisung des Sprudels erfolgt durch mehrere verschieden starke Wasser- und Kohlensäureadern, deren stärkste N. F. XIV. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. bei 218 m Tiefe, zwei andere bei 106 m und 267 m Tiefe hegen. Der Wasserspiegel des Sprudels, der trotz einer bis 92 m abwärts gehenden Abdichtung mit dem Rhein- und Grundwasserspiegel schwankt, liec^t in der zwischen 2 Ausbrüchen liegenden ZeTt bei 8-10 m unter Tag. Dem Wasser ent- weicht andauernd Kohlensäure, besonders reichlich vor Beginn eines Ausbruches. Etwa V2 Stunde vor demselben erfolgt ein plötzliches Ansteigen des Wasserspiegels um 40—50 cm, der allerdings nach 15 Minuten wieder auf den alten Stand zurückfällt. Der eigentliche Ausbruch wird ein- geleitet durch ein erneutes Ansteigen des Wasser- spiegels und durch eine starke Kohlensäureentbin- dung. In den ersten 20-30 Sekunden fließt das Wasser über den Steigrohrrand, worauf sich der Strahl in einigen kräftigen Stößen bis zu einer Höhe von 40—55 m Höhe erhebt. In der 2.-4. Minute tritt ein langsames Absteigen des Wassers ein, das unter lebhaften Schwankungen und Zuk- kungen in der 5. und 6. Minute mit starkem Getöse auf den aUen Stand zurückfälh. Die Tem- peratur des Wassers beträgt mindestens 16" C. Direkt nach dem Ausbruch strömen große Mengen warmen Gases mit großer Gewalt aus, die manch- mal das Wasser über den Steigrohrrand schleudern („Nachausbruch"). Ungefähr 6—8 Minuten nach Schluß des Hauptausbruches stellt sich der Wasser- spiegel rund I m unter seinem gewöhnlichen Stande ein. Die Zwischenzeit bis zum nächsten Ausbruche beträgt 3—6 Stunden. Auf diese Weise verliefen die Ausbrüche wäh- rend dreier Besuche des Verfassers. Bei einem späteren 4. Besuche zeigten sich einige Abwei- chungen, indem an Stelle eines einheitlichen Aus- bruches mit der größten Höhe in der i. Minute ein in 2 Phasen verlaufender Ausbruch getreten war. In der i. Phase steigt der Strahl bis höch- stens 25 m, um dann auf 5— V-2 ^ zurückzu- gehen. In der 2. Minute setzt die 2. oder Haupt- phase ein, bei der Höhen von 50—60 m erreicht werden. Diese Höhe behäk der Strahl mit eini- gen Schwankungen eine Minute l?ng bei, um dann in der nächsten Minute schnell auf 10—15 m und nach einer weiteren Minute auf den alten Stand zurückzufallen. Die Zeit des Ausbruches dauert in diesem Falle kaum A—4-Vi Minuten, ist also gegenüber dem i. Falle um durchschnitt- lich I Minute zurückgegangen. Die Zwischenzeit ist kürzer geworden und beträgt 3 Stunden. Der dem Ausbruche früher folgende Nachausbruch mit starker Kohlensäureentbindung findet nicht mehr statt. Die Temperatur des Wassers ist von 16" auf 14,5° C zurückgegangen. Dagegen hat die Kohlensäureentwicklung in der Zwischenzeit erheb- lich zugenommen, so daß vor einem Ausbruch ein Aufschäumen eintritt. Die Menge des ausge- worfenen Wassers und Gases hat entsprechend der kürzeren Ausbruchszeit abgenomnrien. Intermittierende Sprudel wurden bisher durch rein zufällige geologische Verhältnisse gedeutet, zumeist durch einen Hohlraum am Grunde des Bohrloches (Sprudels). Demgegenüber erblickt E. Altfeld die Ursache intermittierender Sprudel in dem plötzlichen Eintreten und Auf- steigen größerer Gasmengen in das Bohr- loch.^Das treibende Gas vermag nur zu bestimmten Zeiten den Druck der darüber lastenden Wasser- säule zu überwinden. Infolgedessen muß der Druck des Gases von einem Minimum zu einem Maximum sich bewegen. Ein weiterer Umstand zum Zustandekommen intermittierender Sprudel ist der schwankende Druck der Wasser- säule. Bei einem Ausbruch wird mehr Wasser ausgeworfen, als in derselben Zeit dem Bohrloch zuflteßt. Gegen Ende des Ausbruches ist der Wasserdruck gering, so daß dann das Gas ab- strömen kann. Nach einer gewissen Zeit ist der Gasvorrat erschöpft, auch wächst allmählich der Wasserdruck, durch weiteren Zufluß von Wasser aus den Adern, bis er schließlich sein Maximum mit dem alten Stand des Wasserspiegels (ca. 8 — 10 m in unserem Falle) erreicht. Gerade in dem Mißverhältnis zwischen dem Auswurf und dem Zufluß liegt die Ursache des Intermittierens eines Sprudels. Dieses wird beseitigt durch Gleichstellung von Ab- und Zustrom. Mittels geeigneter engerer Verrohrung laßt sich der intemittierende Sprudel in einen dauernd springenden regulieren; z. B. springt die Quelle I des „Tönisteiner Sprudels" aus einem 30 cm weiten Rohr intermittierend alle i — 1V2 Stunden 3 m hoch, während sie durch Aufsatz einer 5 cm weiten Fassung dauernd 7—8 m hoch springt. Diese neuen Anschauungen wurden auch durch das Experiment bestätigt. Es zeigt sich, daß die bei einem Ausbruche ausströmende Gasmenge (gemessen bei Atmosphärendruck) ein doppelt so großes Volumen haben muß, wie die ausge- schleuderte Wassermenge. Für die Hauptader bei 218 m Tiefe wäre ein Raum von höchstens 4,5 cbm notwendig. Dabei ist es, wie experimentell festgesteUt wurde, gleichgültig, ob dieser einfach ist oder aber, was häufiger der Fall sein dürfte, aus vielen Meter langen, engen verschlungenen Spalten besteht. Zudem wurde der Namedy- Sprudel durch eine das Marburger Physikalische Institut auf 3 Stockwerke durchsetzende experi- mentelle Nachbildung eingehend studiert und damit die neue Lehre von dem Wesen inter- mittierender Sprudel auch experimentell bestätigt. Der Verlauf des Ausbruches ist einmal bedingt durch die verschieden starke Tätigkeit der einzel- nen angebohrten Adern, dann vor allem aber durch die Art der Verrohrung. Die Versuche haben ergeben, daß es wohl die stärkere Ader bei 218 m Tiefe ist, welche den Ausbruch so imposant gestaltet. Auch das Steigrohr ist für die Lage des Maximums des ausgeschleuderten Wassers von Bedeutung. Weiterhin haben die Versuche gezeigt, daß der Strahl die größten Höhen erreicht, wenn große Gasmengen sich der Oberfläche nähern und die daiüber lastende Wasser- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. I säule mit großer Gewalt emporheben. Dies tritt aber nur bei entsprechender Druckverminderung ein, wenn die Wassersäule verkürzt wird. Die im 2. Falle beobachtete Abnahme der Temperatur um 1,5" C wie auch die Abnahme der Wasser- und Kohlensäureschüttung mit verkürzter Aus- bruchszeit führt Altfeld darauf zurück, daß die unterste Ader bei 267 m nicht mehr tätig ist. Es ließe sich noch manches Interessante über die Deutung der Einzelheiten des Ausbruches be- richten, doch würde das zu weit führen. V. Hohenstein. in den oberen Partien das Gestein eine Bankung zeigte, die wenn auch dem Auge nicht erkennbar auch in den unteren Partien vorhanden ist, so waren die Richtungen nach denen das Gestein brach, als Grenzflächen zweier Zentren der Kon- traktionsspannung zwar vorgebildet, aber nicht ausgebildet gewesen. Infolge des Druckes des Nebengesteines kam es nicht zur Ausbildung eines Sprunges und erst als beide Gänge entfernt waren, erfolgte die Auslösung der Spannung fast momentan. V. Hohenstein. Botanik. Die Entstehung von Plasmaverbin- Eine Erscheinung von Bergschlag im Lau" düngen bei Pfropfungen. Werden zwei Pflanzen- arten durch Pfropfung miteinander vereinigt (heteroplastische Pfropfung), so treten sie physio- logisch in innige Verbindung miteinander, indem das Reis von der Unterlage Wasser und Boden- nährstoffe empfängt und seinerseits Assimilate an sie abgibt. Trotz dieses Stofifaustausches ist die Entstehung von Plasmaverbindungen zwischen den Zellen des Reises und denen der Unterlage bisher nicht mit Sicherheit beobachtet worden. Arthur Meyer gibt an, daß er Plasmabrücken ebenso- wenig bei heteroplastischen Pfropfungen wie bei homoplastischen (Verbindungen von Pflanzen der gleichen Art) habe feststellen können. Auch für die Ernährung von Parasiten durch ihren Wirt scheint eine Verschmelzung des Zj-toplasmas beider Komponenten durch Plasmabrücken nach den bisherigen Beobachtungen nicht notwendig zu sein. Mit dem Fehlen von Plasmaverbindungen zwischen Reis und Unterlage stimmt es auch, wie A. Meyer bemerkt, überein, daß man keine Er- scheinungbeobachtet hat, die für eine Reizleitung zwischen den Komponenten einer Pfropfung spricht. ,,Es tritt nur eine „organische Beeinflus- sung" der Komponenten ein. Die Zellen des einen Komponenten können ergastische Stoffe, Zuckerarten, Alkaloide, selbst solche, welche sie nicht zu erzeugen vermögen, aus Zellen des andern Komponenten übernehmen. Solche ergastischen Stoffe wirken selbstverständlich in den Zellen, jedoch nicht in einer Weise, die zur Veränderung der Struktur des Protoplasten führt." Ganz an- ders aber beeinflussen sich die artfremden Zellen der Pfropfbastarde. Bei Cytisus Adami, dessen Epidermis den Charakter von Cytisus purpureus hat, während das übrige Gewebe den von Labur- num vulgare trägt, zwingt nach B u d e r die Pur- pureus-Epidermis das Mesophyll des Kelches zu einem Wachstum, das den", des Mesophylls des Kelches von Cytisus purpureus entspricht, von dem Wachstum des Kelchmesophylls von Labur- num vulgare aber abweicht. Ähnliches gilt für Epidermis und Zentralgewebe des Blattes, sowie des Vexillums und der Flügel der Blüte. Bei Solanum tubingense Winkler, dem Pfropfbastard von S. nigrum und .S. Lycopersicum , finden wir ganz entsprechende spezifische Einwirkungen, der einen Komiionente auf das Wachstum der anderen. Den Grund tlafür, daß sich die Pfropf- sitzer Granitit teilt P. J. Beger in der Zeit- schrift für praktische Geologie Heft 4/5, 1914, S. 193 mit. Es handelt sich um ein Beispiel von Spannungserscheinungen, das in einem Steinbruch von Biotitgranit im Lausitzer Granit- massiv auf Sektion Marienstern der geologischen Spezialkarte des Königreichs Sachsen beobachtet wurde. Der Granit wird von zwei 10 m vonein- ander entfernten ca. '/a rn mächtigen Lamprophyr- gängen (Gänge von dunklem Diorit im Granit) durchsetzt. Diese beiden Lamprophyrgänge arbeitete man mittels Spitzhacke und Brechstange heraus, um so drei Seiten frei zu bekommen, wäh- rend sich die 4. Seite nach alten Erfahrungen leicht absprengen ließ. Die Beseitigung der Gänge war auch bereits bis 1,3 m vorgeschritten, als plötzlich unter lautem schußähnlichem Krach die Bank sich loslöste und ein rechteckiger Block von ca. 10 m Länge, 1,3 m Breite und 1,24 m Höhe um 8 cm nach Norden verschoben wurde. Es ist dies ein recht beträchtliches Maß von Spannung, das sich in der geleisteten Arbeit äußert, die zur Aufreißung der Spalte wie auch zu Fortbewegung des Blockes aufgewendet werden mußte. Der- artige Vorgänge wurden bisher auf zweierlei Art erklärt. Auf Grund von Studien in den tiefen Alpentunnels vertritt A. Heim die Ansicht, daß der Druck des hangenden Gesteins nach der Tiefe zu seine einseitige Richtung verliert, um sich in einen allseitigen Druck zu verwandeln. Sobald Höhlungen entstehen, wird das Gleichgewicht gestört und das umgebende Gestein in sie hinein- gedrückt. Da aber diese Erklärung nicht die Erscheinungen an der Tagesoberfläche in Stein- brüchen befriedigen würde, so stellte A. R zehak den faltenden Tangentialdruck als Ursache hin. Dies gilt jedoch nur, wenn das Gestein gegen feste Widerlager gepreßt wird, wodurch eine wenn auch schwache Volumenverminderung eintritt, die beim Entfernen der Widerlager zu einer oft heftigen Expansion führen kann. Für den vorliegenden Fall nimmt P. J. B e g e r trotzdem eine allseitig gerichtete Kraft, die Kon- trakt io nsspann u n g an, weil ein einseitig ge- richteter Druck eine Verschiebung oder Faltung des ganzen Komplexes oder ein Ausweichen längs Klüften verursacht hätte. Da der .Sprung der Klüftung haarscharf parallel verlief und zudem N. F. XIV. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 13 bastarde hinsichtlich der wechselseitigen Beein- flussung der Zellen so ganz anders verhalten als die Komponenten einfacher Pfropfungen, sucht Meyer allein in dem Bestehen und dem Fehlen der Plasmaverbindungen zwischen den artfremden Zellen. Reis und Unterlage werden voneinander nur ergastisch , die Komponenten der Pfropf- bastarde werden voneinander auch protoplasma- tisch oder spezifisch beeinflußt. Für Cytisus Adami ist das Vorhandensein von Plasmabrücken zwischen den Komponenten durch Buder nach- gewiesen worden. Für Solanum tubigense werden sie von Hume angegeben, doch bestreitet Meyer, daß die von dieser Beobachterin abge- bildeten Erscheinungen wirklich Plasmabrücken darstellen. Dagegen gibt er selbst eine Beschrei- bung und Abbildungen von Tüpfeln mit Plasma- brücken zwischen den artfremden Zellen von Sola- num tubigense nach den Untersuchungen seines Schülers Stapp. Meyer glaubt, daß in Wasser gelüste protoplasmatische, von den ergastischen Stoffen durchaus verschiedene Bestandteile des Zytoplasmas (Zytoplasma-Vitüle) durch die Plasma- verbindungen von Zelle zu Zelle wandern und die gegenseitige protoplasmatische Beeinflussung der artfremden Zellen bedingen können. (Be- richte der Deutschen Botanischen Gesellschaft Bd. 32, 1914, H. 7, S. 447—456.) F. Moewes. Kleinere Mitteilungen. Es sind in der Geschichte eine ganze Reihe von Fällen bekannt geworden, wo plötzlicher Tod ohne erkennbare Ursache eintrat, und auch die nachfolgende Sektion keine anatomische Verände- rung als entsprechende Ursache erkennen ließ. Es sei hier nur an das sog. Herzflimmern als Todesursache erinnert. In der letzten Zeit wurden wiederholt Pralle beobachtet, wo derToddurch die Wirkung eines Geschosses (Kugel oder Bombe) verursacht wurde, ohne daß dasProjek- til ein lebenswichtiges Organ getroffen gehabt hätte. O. Laurent (Accidents ner- veux produits ä distance par les projectiles de guerre. C. R. Ac. sc. Paris, Nr. 17, 27 avril 1914) sieht die Ursache derartiger Vorkommnisse in einer Chokwirkung auf das Cerebrospinalnerven- system. Prädisponierend dabei wirken Ermüdung und Entbehrungen. Mehrere Fälle derart beobach- tete L. im südafrikanischen Krieg, beim letzten Balkankrieg an der Tschataldschalinie und in der Mandschurei. Mitunter, besonders im Winter, kamen solche vor, bei denen der Leichnam in kataleptischem Zustand ^) die Haltung des Leben- den bewahrte. Es ereignete sich dies wiederholt namentlich vor Adrianopel. Ein Soldat, dem die Kugel nur den Unter- kiefer zerschmettert hatte, starb plötzlich, wie L. annimmt, infolge einer Lähmung des Nervus pneumogastricus (vagus). Wiederholt wurden Lähmungen konstatiert, so der unteren Extremi- täten, ohne daß dabei das Rückenmark verletzt gewesen wäre. L. meint, dabei wurde der Wirbelkörper vom Geschoß getroffen, und die Erschütterung durch die Substantia spon- ') Man versteht darunter eine Starre, in der die Körper- glieder die merkwürdigsten Stellungen haben. Die Muskeln sind dabei biegsam-starr, „flexibilitas cerea" und behalten die ihnen gegebene Form bei. In der Hypnose kommen ähn- liche Erscheinungen vor ; der Hypnotisierte kann z. B. nur an Kopf und Fersen durch je einen Stuhl unterstützt liegen bleiben. giosa, welche wegen der flüssigen Bestandteile ihrer Elemente nicht kompressibel ist, auf die Substantia corticalis des Wirbelkanals übertragen und zerstörte so das Rückenmark. Unter zehn Operationen des Rückenmarks fand er nur drei- mal das Projektil im Wirbelkanal. Die Läsion des Zentralnervensystems infolge einer Erschütterung ist entweder nur leicht und äußert sich in Ein- schlafen der Glieder, Ameisenlaufen und Hyper- ästhesieen, kann mit einem Verlust des Bewußt- seins verbunden sein oder nicht, oder sie ist schwer und zieht einen Funktionsverlust nach sich; so wurden namentlich vor Adrianopel Fälle letztgenannter Art beobachtet, wo die Funktions- störung besonders in einer Retention des Urins bestand. Die Heilung veriief in vielen Fällen sehr rasch, während in anderen Lähmungen und Gedächtnis- schwund zurückblieben. Sonstige Neurosen waren auszuschließen; einmal ergab die Anamnese das P^ehlen früherer Störungen bei den kräftigen Indi- viduen, und nicht selten kam das Leiden- in un- mittelbarem Anschluß an den erlittenen Nerven- chok zum Ausbruch. Alle Fälle der ganzen Stufenleiter neuropathi- scher Zustände von der einfachen Betäubung bis zur völligen Lähmung und dem Tod wurden als Folge des Nervenchoks beobachtet. Kathariner. Über die Urheberschaft der Celluloidindustrie findet man in Werken häufig unrichtige Angaben. Im folgenden seien daher kurz die für die Ge- schichte dieser Erfindung in Betracht kommenden Angaben gemacht: John W. Hyatt, der jetzt 77 Jahre alt ist, begann 1867 seine Versuche zur Herstellung eines Elfenbeinersatzmittels. In Albang gründete er zusammen mit seinem Bruder eine noch heute bestehende Fabrik, und bald wurde seine Auf- merksamkeit auf die Nitrocellulose gelenkt. Die ersten Beobachtungen an Trockenrück- 14 Natunvissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XI\^ Nr. I ständen von Nitrocelluloselösungen stammen von Scott Archer, iSji; 1845 veröffentlichte Schönbein seine Arbeiten über Schießbaum- wolle und 1S47 Maynard diejenigen über die Lösungsverhältnisse der Nitrocellulosen gegenüber Äther- Alkohol. Hyatt hatte bei seinen Ver- suchen gewisse Erfolge. In seinen Patenten 8S1634, S9582 und 91341 vom Jahre 1869 be- ansprucht er den Schutz eines Tauchverfahrens für die Herstellung von Billardbällen, bei dem um einen Kern aus festem Material durch wiederholtes Eintauchen in Kollodium und Eintroknen der je- weilig gebildeten Schicht, eine plastisehe Hülle erzeugt wird, die dem Elfenbein ähnlich ist. Sein ihm 1S70 erteiltes Patent (105338) bildet die Grundlage der Erfindung des Celluloids. Die Ansprüche erstrecken sich auf das Mahlen von Pyroxyline zu einer PüIpe unter Zuhilfenahme von Wärme und hohem Druck. ' ) Eine Reihe von Schrittstellern nennen Ale- xander Parkes oder Daniel Spill den Er- finder des Celluloids; dies ist jedoch unrichtig, denn Parkes hat lediglich Nitrocellulose bei seinen Verfahren zur Erzielung von Kunstmassen zu Hilfe genommen, ohne aber praktisch verwertbare Erfolge zu erlangen. Spill gibt zwar zuerst Kampfer in Verbindung mit Nitrocellulose an, ein Blick in die Patentansprüche läßt jedoch er- kennen, daß er sich des Wertes des Kampfers als Lösungsmittel für Nitrocellulose in keiner VVeise bewußt war. Erst im Jahre 1875 kommt er in seinem Patent den älteren Hyatt 'sehen Patenten näher, die im Gegensatz hierzu knapp und klar Mittel und Ziel zum Ausdruck bringen und bis heute ihre Richtigkeit behauptet haben. Er war es, der mit Hilfe New Yorker Kapitalisten 1S72 in Newark (in der Nähe von New York) die erste Celluloidfabrik gründete, die heutige Celluloid Company New York. Wenn auch Hyatt nicht die Priorität für die Verwendung von Kampfer als Lösungsmittel be- ansprucht, so müsten wir ihn dennoch als den Erfinder des Celluloids betrachten. Bürger. Die Kala-Azar ist eine in Südeuropa und den Mittelmeerländern Asiens und Afrikas im Frühjahr ') Nach Zeitschrift für angew. Chemie 27. I. 3S3. auftretende choleraähnliche Erkrankung. Sie beginnt mit Fieber, Magendarmkatarrh und Abnahme der Kräfte. Diesem, von Leber und Milzschwellung, so- wie Odem begleiteten ersten Anfall von 2 — öWochen folgt nach verschieden langer fieberfreier Pause das zweite Stadium mit konstantem niedrigem Fieber. Die Haut wird hart und trocken, das Haar fällt aus, Blutungen in Haut, Gehirn, Magen und Darm, sowie allerlei Erkrankungen der Atmungsorgane stellen sich ein; besonders charakteristisch ist das Herzklopfen, daneben sind rheumatische Schmerzen häufig. Nach 7 — 12 monatlicher Dauer führt dieses zweite Stadium unter hochgradiger Kachexie zum Tode. Diese in den letzten Jahren immer häufiger werdende — wohl bisher meist verkannte — schwere Allgemeinerkrankung wird verursacht durch eine .Art der Gattung Leishmania R. Ross 1903. Es sind flagellatenähnliche Zellschmarotzer, die in inneren Organen, besonders Milz, Leber, Lymphdrüsen und Knochenmark gefunden werden. Bei einer verwandten Art, dem Erreger der in den subtropischen Mittelmeerländern verbreiteten Aleppobeule, kennt man zwei Formzustände; neben der geißeltragenden trypanosomenähnlichen Form ein rundliches Ruhestadium von 0,002 — 0,003 "irn Durchmesser. Im tropischen .Asien tritt eine der mediterranen Kala-.Azar (Splenomegalie , Dumdumfieber, schwarzes Fieber usw.) ganz ähnliche Krankheit auf. A. Laver an (Nouveaux faits tendant ä de- montrer que le kala-azar mediterraneen doit etre identifie au kala-azar Indien. C. R. .Ac. sc. Paris, Nr. 15, 14 avril 1914) prüfte die PVage nach der Identität der mediterranen und der indischen Form durch Versuche an Affen, Hunden und Mäusen, die durch Impfung in die Leber, das Bauchfell, bzw. durch Injektionen in die Venen mit dem Virus beider Formen infiziert worden waren. Er fand eine Immunität der Tiere nach dem Überstehen eines Anfalls der mediterranen Kala-azar und schließt daraus auf deren Identität mit der indischen Form. Die Art der Infektion ist mit Sicherheit noch nicht bekannt. Als Überträger wurden stechende Gliedertiere, besonders Wanzen und Flöhe, in Be- tracht gezogen. Kathariner. Bücherbesprechungen. Corpus medicorum graecorum. Der 5. Abteilung 9. Bd. und der 10. Abteilung i. Heft. Leipzig 1914. Teubner'scher Verlag. Die Preußische, die Dänische und die Sächsische .Akademie der V\'issenschaften geben gemeinsam den Text der uns überkommenen Schriften grie- chischer Arzte nebst dem neuesten kritischen Apparat heraus. Die Hauptmasse dieser Schriften werden die Werke des Kla udios Ga le nos bilden. Sie sollen in der bewährten Anordnung erscheinen, die ihnen vor beinahe hundert Jahren der Leipziger Universitätsprofessor der Physiologie und Pathologie und Medizin Karl Gottlob Kühn in seiner SammXnngMf lü'coruiri gracconoii Optra ijuaccxsfaiif gegeben hat. Als der 67jährige Kühn zum ersten Bande der zwanzigbändigen .Ausgabe, welche den griechischen Text nebst einer lateinischen Über- setzung gibt, die Vorrede schrieb, war er gefaßt N. F. XIV. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 15 darauf, daß manche ihn der Verwegenheit zeihen würden, weil er am Lebensabend die Heraus- gabe eines Werkes begann, zu dem die vollste Jugendkraft gehört. Indessen durfte er seiner Sache sicher sein. Das Werk war in jahrzehnte- lano-er Arbeit vorbereitet worden und lag druck- ferttg vor ihm, als er mit der Gunst des Königs Friedrich August im Jahre 1821 den ersten Band aus der Presse hob. Wollte der Tod ihm selbst die weitere Drucklegung nicht mehr überlassen, so konnte der Mann nicht fehlen, der das Begonnene mit mehr Glück beenden durfte. Der Tod war gnädig. Nach neun Jahren konnte Kühn den letzten Galenband herausgeben und zwei Jahre »päter das umfangreiche Inhaltsverzeichnis nach- folgen lassen, das Assmann angefertigt hatte. Die Fehler seiner Ausgabe und die Schwächen seiner Übersetzung hat Kühn wohl so gut wenn nicht besser als irgendeiner seiner Kriüker gesehen. Kaum würde er widersprochen haben, wenn seinem Unternehnemen der Vorwurf geworden wäre, daß der Text oft mehr mit ärztlichem Ge- fühl als mit philologischer Akribie gegeben, die Übersetzung mehr mit Ahnung und Vermutung als mit klarer Sicherheit durchgeführt sei. Er hatte seine Arbeit getan, nicht um mit Philologen zu wetteifern, sondern um Fachgenossen Sinn und Rede eines berühmt gewesenen Arztes mitzuteilen. Über die Größe seines Verdienstes kann nur der einigermaßen urteilen, der die Vorarbeiten berücksichtigt, aus denen seine Arbeit erwuchs. Es lagen ihm vor die erste gedruckte Ausgabe des Galen, die Andreas de Torresanis im Jahre 1525 aus der Aldinischen Offizin in die Gelehrtenwelt geschickt hatte; ferner die Baseler Ausgabe vom Jahre 1538, die von Gemusae u s, Leonard Fuchs und Camerarius besorgt und mit Erläuterungen versehen worden war, ferner der Text, den ReneChartier nach einer vorzüglichen Pariser Handschrift gedruckt und mit lateinischen Übersetzung versehen hatte (1639 — 1679). Dazu kamen Vorarbeiten zur Textreinigung von Joseph Skaliger in einem Manuskript der Wulfenbütteler Bibliothek vom Jahre 154O; Text- varianten, die ein Ignotas im Anfang des sech- zehnten Jahrhunderts zur Aldinischen Ausgabe ge- sammelt hatte, in einem Exemplar, das die Dres- dener Bibhothek verwahrt; und Verbesserungen, die der Zwickauer JanusCornarius zu einem Aldinischen Exemplar in der Jenaer Bibliothek gemacht und die der Jenenser Kliniker Grüner (1789) veröffentlicht hatte. Überdies hatte Kühn es nicht unterlassen, Handschriften und Sonder- drucke Galenischer Schriften, soweit sie ihm zu- gänglich waren, zu Rate zu ziehen. Mehr kann man von einem Arzte kaum verlangen. Daß die Kühn' sehe Ausgabe zahlreichen Ärzten und Historikern und Philologen seit einem langen Menschenalter viel Dienst und Belehrung getan hat, steht außer Zweifel. H a e s e r ' s Urteil, der das Werk eine Buchhändlerspekulation nennt, deren Text von Dindorf und Schäfer ziemlich leichtfertig redigiert sei, erscheint danach hart; und wenn Mewaldt heute meint, schlechter als die Vene- tianer Ausgabe sei die Baseler, schlechter als diese die Charter 'sehe, aber am schlechtesten die Küh Ti- sche Galenausgabe, so dürfte das wohl ein wenig übertrieben sein ; sonst hätten die verantwortlichen Akademien gewiß die Aldinische statt der Kühn- schen Ausgabe zur Richtschnur für ihr Corpus gewählt. Auch hat sich, um diese Schärfe zu strafen, gleich ein Fehler in die dritte Zeile des von Mewaldt gereinigten Textstückes einge- schlichen, der sich bei Kühn nicht findet. Bei allem "Wert, den wir also der Kühn'schen C^alenausgabe nach wie vor lassen wollen, leugnen wir nun nicht, daß eine neue bessere Ausgabe längst ein wirkliches Bedürfnis war, in erster Linie zwar ein Bedürfnis der Philologie, die un- bedingt das Recht und die Pflicht hat, fehlerhafte Texte" zu verwerfen; ein Bedürfnis aber auch der Medizin, die heute nicht mehr aus Neugierde oder Lernbegier in alten Schriften blättert sondern mit historischem Wahrheitsbedürfnis die Werke der Alten durchforscht und dabei ein Lehrgebäude, wie das Galenische, das fast anderthalb Jahr- tausende von den meisten Ärzten als ein unverletz- liches Heiligtum angesehen worden ist, bis auf den Buchstaben genau und zuveriässig erkennen will. ^ , Die erste Lieferung des neuen Corpus gale- nicum enthält die Kommentare des Galen zu Hippokratischen Schriften über die Xafiir des Menschen, über die gesundheitsgemäße Lebens- weise und über die Kostordmmg in hitzigen Krankheiten. Sie erscheint vorlaufend außer der Ordnung des ganzen Werkes, um den Herausgebern des Corpus hippocraticum mit dieser wichtigen Grundlage eine freie Bahn zu schaffen. Mit der Textherstellung hat die Beriiner Akademie Diel verantwortet und Johann Mewaldt, Georg Helmreich und Johann Westen- berger betraut. Die Herausgeber bürgen dafür, daß "alles, was die heutige Textkritik leistet, einer Galenausgabe zugute kommt, die zum ersten Male aus einem vergleichenden Studium der besten vorhandenen Handschriften hervorgegangen ist. Sprechen wir im Namen der Ärzte den .Akademien und ihren Mitarbeitern vorab freudigen Dank aus für den ersten Teil des großen Geschenkes, das sie der medizinischen Wissenschaft zu machen sich angeschickt haben. Auf den Inhalt der vor- liegenden Lieferung, auf die Beziehungen^ der Galenischen Lehre zu Hippokrates, auf Galen selbst hoffen wir einzugehen, wenn weitere Liefe- rungen den äußeren Anlaß dazu bieten. Gleichzeitig mit dem ersten Galenheft erschemt die Schrift des Philumenos über die giftigen Tiere und die Heilmittel daivider, herausgegeben von Maximilian Wellmann, der die Arzte und ihre Wissenschaft schon seit langem ver- pflichtet durch hervorragende Arbeiten auf dem Grenzgebiet der Philologie und Medizingeschichte, ganz besonders durch sein Buch die pneumatische i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. I Schule bis auf Archigenes. Die Schrift des Phil u - menos, die er zum Corpus graecum beiträgt, war bisher ungedruckt; sie wurde vor sieben Jahren von ihm in der Vatikanischen Bibliothek entdeckt. Ihr Inhalt konnte den Ärzten aus dem O r ib a s i u s , Aetius, Tralles, Paulus Aegineta und Pseudodioscorides bekannt sein, die das Werk, das selbst wieder eine Kompilation ausApollonius Herophilus, Archigenes, Theodorus, Strato, Soranus ist, gründlich benutzt haben. Was vorliegt, ist zweifellos nicht das ganze Werk des Philu menos sondern ein Auszug daraus. Es handelt vom tollwütigen Hunde und gebissenen Menschen, von Hornissen und Bienen, von Stech- fliegen, Stechmücken und Flöhen, von Skorpionen, Spinnen, Schlangen, Basilisken, Spitzmäusen usw., bietet also dem Naturforscher nicht weniger seinen Inhalt an als dem Arzt. G. Sticker, Münster i. W. Abel O., Die vorzeitlichen Säugetiere. 400 S., 250 Textfig., 2 Tab., Jena (Verlag Gustav Fischer) 19 14. Der bekannte Wiener Patäontolog gibt seine im „Handwörterbuch der Naturwissenschaften" ver- öffentlichten Ausführungen über fossile Säugetiere in beträchtlich erweiterter Form heraus. Die Ein- leitung umfaßt Angaben über die Art der Er- haltung von Säugelierresten, über die wichtigsten Fundorte von solchen, über die ältesten derartigen Reste und über die Einreihung der vorzeitlichen Säugetiere in das System der lebenden. Bemerkens- wert ist der Versuch des Verfassers, stammes- geschichtlich wichtige Gruppen als ,, Stammgruppen" den Ordnungen oder Unterordnungen gegenüber- zustellen. Im Hauptteile des Buches, bei der Be- sprechung der einzelnen Säugetiergruppen, ist besonderes Gewicht auf die Darstellung von deren Stammesgeschichte gelegt; es sind deshalb solche Gruppen, von welchen in dieser Beziehung be- sonders viel bekannt ist, ausführlicher behandelt als andere. Es sind dabei leider manche Abteilungen, wie vor allem die Nagetiere, über deren fossile Ver- treter sich manches Interressante sagen ließe, allzu kurz behandelt. Mißlicher ist, daß sehr dürftige oder unsichere Reste öfters nicht ausgeschieden wurden. So hätten z.B. bei den Primaten die Gattungen Eudiastatus, Anthropops, Neopithecus und Gripho- pithecus in einem derartigen Werke ganz wegbleiben sollen, um so mehr als erstere nach neueren Unter- suchungen wahrscheinlich überhaupt nicht den Pri- maten zuzurechnen ist; der relativ sehr gut bekannte Hundsaffe Dolichopithecus jedoch hätte Erwähnung verdient. Am Schlüsse finden sich interessante Aus- führungen über die Gründe des Wechsels der Faunen und über die mannigfaltigen Ursachen des Aussterbens sowie über die verschiedene Schnellig- keit der Entwicklung. Leider ist nur sehr wenig über die so interessanten tiergeographischen P"ragen gesagt, die sich an die Säugetiere knüpfen, und die gerade durch deren Vorgescliichte schon viel- fach geklärt sind. Endlich wird die Beigabe eines Literaturverzeichnisses vermißt, das denjenigen Lesern, die durch die Lekiüre des trotz all der erwähnten Mängel sehr wertvollen Buches zu ein- gehenderem Studium angeregt sind, ein solches erleichtern und auch eine Nachprüfung des Ge- botenen ermöglichen könnte. Jedenfalls ist das an instruktiven Abbildungen überaus reiche Buch sehr gut geeignet, in das Studium der Vorgeschichte einer Tiergruppe ein- zuführen, deren Kenntnis in den letzten Jahrzehnten ganz besonders stark gefördert wurde. Ernst Stromer. Anregungen und Antworten. Herrn C)berlehrer N., Heiligensladt. — Die wichtigsten Synonyme der 3 genannten Moose sind nach Raben hörst, Kryptogamenflora von Deutschland , Osterreich und der Schweiz, II. Aufl., Abt. VI, Laubmoose, bearbeitet von Lim- p r ich t , folgende: 1) Eurhynchium myosuroides Schimp. (1860) =^ Isolhecium myosuroides Brid. (1827) = Hypnum myosuroides L. = Rhynchostegium myosuroides De Not. 2) Rhynchostegium deprcssum Bryol. eur. (1852) = Plagiothecium depressum Dix. (1896) = Eurhynchium depressum Milde = Hypnum depressum Brueh (1824) 3) Hypnum arcuatum Lindb. (1861) = H. Lindbergii Mitten (1864). Buder, Leipzig. Herrn H. S. in Frankfurt a. O. — Nach Erscheinen des Artikels über Nachtphotographie (Naturw. Wochenschr. 1913, S. 312) sind Veröffentlichungen nicht mehr erfolgt. Ich selbst habe noch zahlreiche Versuche mit negativem Erfolge ge- macht, so daß mir jede Erklärung fehlt und ich die von Zcnger gegebene nicht für genügend balle. Zenger ist leider inzwischen verstorben und der mit ihm befreundete Prof. Lohse- Potsdam, der selbst Versuche angestellt haben soll, ist wenig unterrichtet. Die Literatur über dieses Gebiet ist nur sehr spärlich und die von mir veröffentlichten Tat- sachen beruhen größtenteils auf mündlichen Mitteilungen. Zenger 's Berieht an die Akademie in Paris 1884/85 ist in den betreffenden Sitzungsberichten erschienen. Kurze Mit- teilungen finden sich in Eder's Handbuch der Photographie, in Eder's Jahrbücher der Photographie 1SS4/85 und den Berichten der Sternwarte 1S84/85. G. Bl. Inhalt; Eckardt: Einige methodische Bemerkungen zum Problem der paläontologischen Entwicklung der Lebewclt in ihrer Abhängigkeit vom Klima. Rohland: Die 0.\ydatiou und Nichtoxydalion der Metalle. — Einzelberichte: Zw ei gelt: Wie saugen die Blattläuse? Onnes: Die elektrische Leitfähigkeit der Metalle bei sehr tiefen Tem- peraturen. Zschimmer: Über Erkennung des Schmelzens der Gläser. Steinmann: Rheotaxis. .Alt feld: Die physi- kalischen Grundlagen des intermittierenden Kohlensäuresprudels zu Namedy bei .Andernach a. Rh. Heger: Eine Er- scheinung von Bergschlag im Lausitzer Granitit. Meyer: Die Entstehung von Plasraaverbindungen bei Pfropfungen. — Kleinere Mitteilungen: Laurent: Tod ohne erkennbare Ursache. Hyalt; Über die Urheberschaft der Cellu- loidindustrie. l.averan: Die Kula-Azar. — Bücherbesprechungen: Corpus medicorum graecorum. Abel: Die vor- zeitlichen Säugetiere. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Mi ehe in Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pälz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den lo. Januar 1915. Nummer 2. Neuere Untersuchungen über das Gehirn der Insekten. Von Dr. F. Bretschneider, Stuttgart. [Nachdruck verboten.] Mi' l8 Figuren. Den Verschiedenheiten der Instinkte und insbesondere den sich mächtig entwickelnden geistigen Fähigkeiten bei den drei Formen der Pilzen sehr zurück. Diese Tatsache, sowie die Bienen und Ameisen (^, $ u. ^) entspricht nach eigentümliche Struktur dieser Gebilde und ihre den Untersuchungen von Jonescu *) und F"aserverbindung mit allen Sinneszeiitren und mo- P i e tsch ker 'j eine verschiedene Organisations- torischen Zentren hat mir die Ansicht aufgedrängt/') höhe der Gehirne und insbesondere der pilzförmi- daß der Zeiitraikörper ein primäres Reflexzentrum gen Körper, v. Alten'') hat gezeigt, daß ganz darstellt, während die pilzförmigen Körper ein allgemein in der Ordnung der Hautf^ügler (Hy- sekundäres Zentrum, somit der Sitz der kompli- menopteren) mit der Komplikation der Instinkte zierten Instinkte und des Gedächtnisses sind. Alle und dt;m Vorhandensein eines Gedächtnisses die bisher untersuchten Insektengehirne sprechen zu- Größe und Ausbildung der pilzförmigen Körper gunsten dieser Ansicht. '■) In Fig. 3 — 8 sind die parallel geht. Daß ein niederes Insekt auch ent- wichtigsten Stadien dieser Entwicklung dargestellt, sprechend niedere ( )rganisation des Gehirns und Zum Verständnis derselben muß jedoch zuerst der Pilze aufweist, hat die Arbeit von Böttger"') die Form der Neurone der pilzförmigen Körper an dem flügellosen Silberfischchen (Lepisma sac- erwähnt werden. charina) ergeben. Meine Untersuchung") an der Die Zellen im Zentralnervensystem der In- gemeinen Küchenschabe (Periplaneta orientalis) sekten sind fast ausnahmslos unipolar, d. h. der hat erwiesen, daß der relativ hohen Entwicklung Dendrit ist auf dem Neurit mehr oder weniger der pilzförmigen Körper dieses Geradflüglers das weit von der Zelle abgerückt (Fig. i u. 2). Auch Vorhandensein eines Gedächtnisses entspricht. der Neurit kann sich noch einmal teilen , wie es Über alle diese Arbeiten wurde in der Naturw. bei den Neuronen der pilzförmigen Körper der Wochenschr. bereits berichtet.'') Inzwischen hat P'all ist (P'ig. 1). Diese Neurone sind von Ken yon ^) eine Reihe von weiteren Untersuchungen unsere erkannt und durch die neueren Untersuchungen Kenntnisse vom Insektengehirn erweitert und ver- allgemein bestäiigt worden. Die Zellen derselben tieft. Eine Anzahl von Zwischenstadien in der (Becherzcllen) zeichnen sich durch Kleinheit und Entwicklung der pilzförmigen Körper Chromatinreichtum aus (F'ig. II, Bz.). Sie senden wurde gefunden, so daß man die Stammesge- ihre Faserfortsätze an die innere Wand der Becher schichte dieser Gebilde bereits in groben Zügen (Fig. 2 u. P"ig. 9) und senken hier ihre Dendriten erkennen kann. Sie haben sich in der Klasse in die Becher ein. In der Becherwand treten der Insekten \on kleinen Anfängen bei den Flügel- diese Dendriten mit den Endbäumchen von losen (Apterygoten) bis zu großer Entfaltung bei Fasern aus allen Teilen des Gehirns in Verbin- den Bienen und Wespen (Hymenopteren) ent- düng (Fig. 2). Die auf diese Weise in der Becher- wickelt. Ein weiteres im Gehirn aller Insekten wand gebildeten kleinen Faserknollen habe ich sich findendes Gebilde, der Zentralkörper (s. Fig. wie die entsprechenden Knollen im Riechlappen 10, C, Fig. ii,C), verhält sich in seiner Entwick- Glomerulen genannt: Becherglomerulen. Die lung umgekehrt wie die pilzförmigen Körper. Bei Becherglomerulen sind das Verbindungsorgan der niederen Insekten groß und mächtig ausgebildet pilzförmigen Körper mit dem übrigen Nerven- (Fig. 10, C) tritt er bei höheren F"ornien gegenüber System und so der Außenwelt, da an anderen dem zunehmenden Gesamtvolum des Gehirns und Stellen nur ausnahmsweise Fasern in die Pilze eintreten. Die Neuriten der Becherzellen gehen nach Abgabe der Dendriten in den Pilzstiel , wo sie sich dichotomisch in den Balken und den rückläufigen Stiel teilen (Fig. i). In Fig. 2 ist der rückläufige Stiel '■') weggelassen, dagegen sind die wichtigsten Verbindungsbahnen der Becher- glomerulen mit anderen Gehirnteilen eingezeichnet, mit den Sehlappen (Ganglion oplicum, links oben), ') Jonescu, 1909, Vergleich. Unters, über das Gehirn der Honigbiene; Jen. Zeitschr. f. Nat. Bd. 45. ''} Pietschker, 1910, Das Gehirn der Ameise; Jen. Zeitschr. f. Nat. Bd. 47. ^) Alten, 1910, Zur Phylogenie des Hymenopterengehirns ; Jen. Zeitschr. f. Nat. Bd. 40. ■*) Böttger, 1910, Das Gehirne eines niederen Insekts; Jen. Zeitschr. f. Nat. Bd. 46. °) Bretschneider, 1914, Über die Gehirne der Küchen- schabe und des Mehlkäfers; Jen. Zeitschr. Bd. 52. ^) H. E. Ziegler, Die Gehirn der Insekten; Naturw. Wochenschr. 19 12, S. 433 — 442. Bretschneider, Das Gehirn und das Gedächtnis der Küchenschabe; Naturw. Wochenschr. 1913, S. 154 — 156. Aichberger, Das Gehirn eines niederen Insekts; Na- turw. Wochenschr. 1913, S. 347—349. ') Bretschneider, 1914, Über die Gehirne des Gold- käfers und des Lederlauf käfers ; Zool. Anzeiger Bd. 43. ") Kenyon, 1896, The brain of the bee; Journ. comp. Neurology, Vol. 6. ") Über die Form der Pilze, vgl. meine Bilder vom Ge- hirn der Küchenschabe, in: Naturw. Wochenschr. 1913, ^' I55- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 2 mit dem Riechlappen (Olfactoriusganglion, links nach den Untersuchungen von Küh n 1 e ") jeder- unten) und mit dem Zentralkörper. Durch den seits eine „Becher"zellengruppe (P^ig. 3, Bz). Die Zentralkörper wird die Verbindung mit dem Achsenfäden der „Becher"ze]len verlaufen gemeinsam Unterschlundganglion und Bauchmark, also mit bis in die Gegend des Zentralkörpers und bilden motorischen Zentren vermittelt. Die Fig. 2 deutet so einen ijrimitiven Pilzstiel. Hier zerstreuen sie ä.B. i.B. Hz Bh R Ba Fig. I. Schema eines der pilzförmigen Körper von Hymcno- pteren (nach Kenyon aus Bauer). Zeigt die Form der Neurone. Becherzellen Bz punktiert. Deren Bildungsherd Bh schraffiert. ä.B. äul3erer Becher; i.B. Stelle wo der innere Becher ansitzt. Stiele nur angedeutet: Ba Balken, K rück- läufiger .Stiel. Bz Fig. 2. Schema des Xeuronenverlaufs im Gehirn der Küchen- schabe (nach H. K. 7. iegler). Zeigt die Neurone der pilz- förmigen Körper (ä.B. äußerer Becher, i B. innerer Becher), sowie deren Verbindung mit anderen Gehirnteilen (S Seh- lappen, A .-\ntennalnerv und Riechlappen); über dem Schlund die Balken Ba, darüber der Zentralkörper. Die rückläufigen Stiele sind weggelassen. ij^\^ 0 -Bg Fig. 6. , Fig. 7. Flg. 8. '■ 'g- 3 — S. Scliemata der pilzförmigen Körper und des Zentralkörpers C im Gehirn von : Fig. 3 .Tomocerus flavescens (Springschwanz, nach Küh nie), Fig. 4 Silberfischchen (nach Böttger), Fig. 5 Lederlauf käfer , Fig. 6 Mehlkäfer, Fig. 7 Goldkäfer, Fig. 8 Küchenschabe. Bei Fig. 5 und 7 sind die rückläufigen Stiele weggelassen. Bz Becherzellen; Bg Becher- glomerulen; 1' l'ilzsliclc; R rückläufiger Stiel; Ba Balken; Tn Trauben. Die punktierte Linie ist die Medianlinie (Symmetrieebene). auch an wie in den Stielen der Pilze die End- bäumchen der Bcchcrzcllen in äußerst enge und mannigfaltige Beziehung zueinander treten. Diese komplizierten Verhältnisse haben sich aus ganz einfachen entwickelt. Das niederste bisher untersuchte Insekt, der flügellose Sjiring- schvvanz Tomocerus flavescens Tullberg '") hat sich nach verschiedenen Richtungen. Dendriten sind nicht sicher festgestellt, enden aber wahr- '") Ein Schnittbild von Tomocerus siehe in Naturwiss. Wochenschr. 1912, S. 434. ") Kühnle, 1913, Untersuchungen über das Gehirn, die Kopfnerven und die Kopfdrüsen des gemeinen Ohrwurms; Jen. Zeitschr. f. Nat. Bd. 50. N. F. XIV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 19 scheinlich in der Nähe in ungenügend abgegrenzten Teilen des Gehirns, welche die Vorläufer der Becher darstellen (Fig. 3, Bg). Der Zentralkörper ist, wie die Figur zeigt , groß und schön ausge- bildet. Einen wesentlichen I<"ortschritt zeigt das von Böttger^) untersuchte Silberfischchen (Le- pisma saccharina, Fig. 4). Hier haben sich die Dendriten bereits zu Faserbällchen formiert, den Becherglomerulen (in den Fig. schwarz, Fig. 4, Bg). Auch die Neuriten haben sich schon ziemlich abgeschlossen in Gebilde, die ihrer Form nach Trauben genannt werden (Fig. 4, Tn). Sie bilden die Vorläufer der Pilzstiele (des Balkens und des rückläufigen Stiels). Bei dem Lederlauf- käfer (Procrustes coriaceus, Fig. 5) finden wir") die Becherzellen schon erheblich vermehrt und bereits eine Andeutung ihrer Trennung in zwei Gruppen (Fig. 5, Bz, als Kreise gezeichnet). Die Becherglomerulen (Bg) umgeben den Stiel ring- förmig. Die Enden der Stiele haben sich bereits zu dem Balken (Ba) und dem rückläufigen Stiel (auf Fig. 5 weggelassen) verdichtet, wenn auch noch allerlei Anhänge an die Trauben des Silber- fischchens erinnern. Die nächsthöhere Stufe zeigt uns der Mehlkäfer (Tenebrio molitor, Fig. 6). Die zunehmende Zahl der Becherzellen (Bz) und ihrer Fasern drängt die Glomerulen (Bg) stark aus- einander, so daß Anfänge einer Trennung der Glomerulen und der Stiele in zwei 1 eile sich bemerkbar machen (vgl. dazu das Schnittbild Fig. 9). Der Balken (Ba) und der rückläufige Stiel (R) haben schon ihre endgültige Gestalt angenommen. Die vollständige Trennung der Becherzellen in zwei Gruppen , der Becherglomerulen in zwei Ringe und der Stiele in zwei bald sich vereinigende Pilzstiele ist durchgeführt bei dem Goldkäfer (Cetonia aurata, F"ig. 7 ). Bei weiterhin zunehmender Zellenzahl treten die Becherglomerulen auseinander und nehmen eine Anzahl der Becherzellen zwischen sich auf. Diesen Fall zeigt uns die Küchenschabe (Periplaneta orientalis, P'ig. 8). Hier hat der Name Becher eigentlich erst seine Berechtigung. Bei den höchstentwickelten P'ormen, den Bienen und Wespen, werden die Becher so weitlumig, daß sie fast alle Becherzellen in sich aufnehmen. Man heißt sie dann auch wohl Kelche; diesen I'all zeigt Fig. I. Während dieser Entwicklung der Pilze ist der Zentralkörper relativ immer mehr zurückgetreten. Eine Anzahl weiterer Insekten ließe sich in die Entwicklungsreihe noch einfügen, insbesondere wenn man berücksichtigt, daß wir ja nur die Endzweige des Stammbaums vor uns haben, dessen Verzweigungsstellen uns nicht zu- gänglich sind. So hat es den Anschein, daß sich schon früh- zeitig, auf der Stufe des Silberfischchens, ein zweiter Ast abzweigte, der sich von der genannten Entwicklung dadurch unterscheidet, daß sich die Stiele nicht auf zwei Enden (Balken und rück- läufiger Stiel) beschränken, sondern 3 oder mehr Stielenden zur Ausbildung bringen. Zu diesem Typus gehören der Ohrwurm (Forficula auricularia), die indische Stabheuschrecke (Dixippus morosus) und die Termiten; alle drei Formen sind durch die Untersuchungen vonKühnle") bekannt ge- worden. Der Ohrwurm (Fig. 10) hat jederseits 2 Pilze, von denen der eine aus zwei Teilpilzen zusammen- gesetzt ist. Daher haben wir nicht wie sonst zwei, sondern drei Stiele. Diese haben auch drei Fig. 9. Schnitt durch das Gehirn des Mehlkäfers. Bz Bccher- zellen , Bg Becherglomerulen , P Pilzsliel , C Zentralkörper, Ba Balken, F Fettkörper. Photo des Verfassers. Mu Seh Fig. 10. Schnitt durch das Gehirn des Ohrwurms (Forficula auricularia). Mikrophotographie von K ü h n 1 e. Vergr. 45 linear. Pi Pilzförmige Körper, C Zentralkörper, Ri Riechlappen, Kn rückläufiger Nerv, A Antenne . Au Auge , Mu Muskeln, ScJi Schlund. Endstücke. Trotzdem stehen die pilzförmigen Körper des Ohrwurms in ihrer Ausbildung hinter denen der Küchenschabe weit zurück, was schon aus der viel geringeren Zahl der Becherzellen folgt (Fig. 10, Pi). Wie die Ingur zeigt, ist der Zentralkörper des Ohrwurms noch sehr groß. Die durch ihr biologisches Verhalten bekannte indische Stabheuschrecke (Dixippus morosus; Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 2 hat jederseits nur einen Pilz, dessen Stiel sich aber auch in drei Enden verzweigt. Bei den Termiten war aus ihrem Staaten- leben auf eine den Ameisen ähnliche Organisations- höhe der Pilze zu schließen; andererseits ließ ihre ganz andere systematische Stellung (.^rchiptereni Abweichungen von den Hymenopteren vermuten. Diese .Annahmen haben sich durchaus bestätigt. Eutermes peruanus Arbeiterin") hat sehr wohl- entwickelte pilzförmige Körper, deren Stiele sich aber jederseits in drei Endstücke teilen, also hierin Anklänge an die Stabheuschrecke und den Ohr- wurm zeigen. Der medianwärts ziehende Balken (Fig. II, Ba) teilt sich unterhalb des Zentral- körpers (C) nochmals in zwei Teile. Der rück- läufige Stiel endet unter der Hirnoberfläche eigen- tümlich keulenförmig (Fig. I2, R). Das dritte E.ndstück ist auf den Figuren nicht getrofifen, es zieht nach der Unterseite des Gehirns. Die Zahl der Gancrlienzellen und insbesondere der Becher- opticum und das P'acettenauge haben v. Rosen '-') und Jörschke'") gearbeitet. Die jüngsten Termitenlarven haben alle gleichgestaltete Augcn- anlagen. Die Larven dift'erenzieren sich dann in kleinköpfige und großköpfige. Bei den klein- köpfigen setzt eine sehr lebhafte Entwicklung der Augen ein, während bei den großköpfigen die Entwicklung stehen bleibt. Die ersteren werden die Geschlechtsticre mit hochentwickelten Augen und Sehlappen; die letzteren geben Arbeiter und Soldaten mit auf niederer Stufe stehen gebliebenen Augen und ebensolchen (mit Unrecht reduziert genannten) Sehlappen und Sehnerven. Es sind nämlich nach Rosen '-) die Soldaten (Nasuti von Calotermes und Leucotermes) nicht, wie häufig angenommen wird, vollkommen blind, sondern reagieren auf Lichtreize (das Auge gibt kein Bild, sondern funktioniert als sogenanntes Hell-Dunkel- auge). Holmgren'^) hat gefunden, daß bei den Vergr. 200. "■'*'-^. lerschnitt durch das Gehirn von Eutermes peruanus (nach Kühnle). Bz Becherzellen, B<; Becher, Ba Balken, C Zentralkörper, Br Brücke, ;, ." ■'"\ S Sehlappen, E Ersthirnlappen, Ri Kiechlappen, A Anten Seh Eig. 12. Längsschnitt (sagittal) durch das Gehirn von Eutermes peruanus (nach K ü h n 1 e). Vergr. 243, R rückläufiger Stiel, Seh Schlund, On Oberlippen- nerv; sonst wie Fig. II. Zellen (Bz) ist bei Eutermes ganz erstaunlich groß, was bei einem Vergleich mit dem Ohrwurm sofort in die Augen fällt (vgl. Fig. 10 mit Fig. 11). Die Trennung in zwei Becher jederseits ist noch nicht vollkommen durchgeführt, die Becher selbst sind ganz flach schalenförmig ( Fig. 1 2, Bg). Der Zentral- körper ist wohlentwickclt , tritt aber gegen die Pilze sehr zurück, was wieder ein Vergleich der Fig. 10 und II deutlich zeigt. So finden wir im Gehirn der Termiten primitive Merkmale mit einer auffallenden Entwicklung der Pilze vereint. Nach den Erfahrungen bei Bienen und Ameisen ist es selbstverständlich , daß den verschiedenen F"ormen der Termiten (Geschlechtstiere, Arbeiter, Soldaten) auch Unterschiede im Bau des Gehirns entsprechen müssen. Untersuchungen hierüber liegen noch nicht vor, nur über das Ganglion Geschlechtstieren, wenn sie nach dem Schwärmen die Flügel abwerfen und einen neuen Stock gründen, eine auffallend rasche Degeneration der Augen und der optischen Ganglien eintritt. Ja mit der Änderung der Instinkte sollen wesentliche Umwandlungen im Gehirn vor sich gehen. Jörschke''') sieht „im Abwerfen der P~lügel die eigentliche Ursache des Wechsels von Instinkt und Phototropismus, sowie der an Gehirn und P'acettenaugen eintretenden Reduktionserschei- ''^) V. Rosen, 1913, Studien am Sehorgan der Termiten; Zool. Jahrb., Anat., Bd. 35. Seine .Angaben über das Gehirn der Termiten sind leider ganz ungenügend. ") Jörschke, 1914, Die Facettenaugen der Orthopteren und Termiten; Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. ili. '■*) Holmgren, 1909, Termitenstudien; Kungl. Sv. Vet. Akad. Ilandl. Vol. 44. N. F. XIV. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. nungen". I herüber müssen noch eingehende Untersuchungen abgewartet werden. Soviel steht jedoch fest, daß die Entwicklung des Zentral- nervensystems mit der Embryonalzeit nicht ab- schließt, sondern daß sehr wesentliche Verände- rungen postembryonal vor sich gehen. Die seither verbreitete Ansicht '■'), daß die Vergrößerung des Gehirns bei der Metamor- phose holometaboler Insekten nur auf Größen- zunahme der Zellen beruhe und daß Neubildung und Phagocytose nicht vorkommen, hat sich als irrig erwiesen. Bauer"') hat als erster gezeigt, daß die postembryonale Entwicklung von be- stimmten Ganglienbildungsherden ausgeht. Diese bestehen aus Neuroblasten , welche von der Embryonalzeit übernommen werden. Die Neuro- blastenzelle spaltet durch Teilung eine Ganglien- mutterzelle ab, die ihrerseits durch Mitose in zwei Ganglienzellen zerfällt. Die Teilungen gehen nicht jederzeit gleichmäßig vor sich , sondern in bestimmten Perioden besonders lebhaft. So ist die Haupttätigkeit der Ganglienbildungsherde bei Insekten mit vollkommener Verwandlung un- mittelbar vor der Verpuppung und während der l'uppenruhe zu konstatieren. Ich habe diese Ver- hältnisse beim Mehlkäfer eingehend untersucht ''). Die Larve des Mehlkäfers, der Mehlwurm, hat noch keine Spur von Facettenaugen, dagegen jederseits zwei Punktaugen (Ozellen). Von den späteren Sehnerven ist an der Larve nichts zu finden, die Nerven der Punktaugen münden an ganz anderer Stelle ins Gehirn (gemeinsam mit den Antennennerven). Von dem späteren Seh- lappen (Ganglion opticum) ist an der Larve lediglich ein ringförmiger Ganglienbildungsherd vorhanden. Dieser teilt sich schon vor der Verpuppung in zwei Ringe, die lebhaft Ganglienzellen abspalten. Die Ganglienzellen rücken auseinander und senden in bestimmter, meist proximaler Richtung I'asern aus, welche die Fibrillärmassen des Sehla[ipens bilden. Vial lan es ^') hat zwei ganz ähnliche Ringe bei der Embryonalentwicklung der Gottesanbeterin (Mantis religiosai gesehen (Mg. 13, ä H. und i. PL). Die postembryonale Entwicklung verläuft also im Prinzip wie die embryonale. Der gesamte Seh- lappen der Mehlkäferpuppe wächst so immer mehr und tritt schließlich mit den Fasern aus dem in der H\podermis entstehenden Facetten- auge in Verbindung. Währenddessen werden die Punktaugen und ihre Nerven von Phagocyten resorbiert. Diese fressen sich mit dem Pigment der Punktaugen so voll, daß sie fast ganz schwarz erscheinen. Sie legen sich peripher an den Seh- lappen an und finden zum Teil bei der Bildung der F"acettenaugen Wiederverwendung. Die Sehlappen und die Facettenaugen werden also während der Metamorphose ganz neu gebildet. Die übrigen Teile des Gehirns sind zwar schon bei der Larve vorhanden, erfahren aber eine mehr oder weniger tiefgreifende histologische Ver- änderung. Eine bedeutende Vergrößerung weisen beim .Mehlkäfer der Zentralkörper, die Brücke, die Ersthirnlappen (Protocerebralloben) sowie das Zweit- und Dritthirn auf Als Ursachen der Zell- vermehrung habe ich im Zweit- und Dritthirn (Deutero- und Tritocerebrum) je einen Ganglien- bildungsherd gefunden. Die pilzförmigen Körper verändern sich beim Mehlkäfer nur wenig; es findet sich daher auch kein (ianglienbildungsherd. Dagegen habe ich ") inmitten der Becherzellen der Larve des Goldkäfers (Cetonia aurata) einen Ganglienbildungsherd mit mitotischen Zellteilungen vorgefunden. Bauer fand dasselbe bei Hyme- nopteren (Flg. I, Bh zwischen den Becherzellen Bz). Außer den Zellen zeigen auch die Fasermassen des Gehirns histologische Veränderungen während '■') Anglas, Les phenomenes des metamorphoses inter- nes; Scientia 1902. '"} Bauer, 1904, Zur inneren Metamorphose des Zentral- nervensystems der Insekten ; Zool. lahrb Anat. Bd. 20. ") Viallanes, Sur quelques points de l'histoire du developpement embryonnaire de la Mante religieuse (Mantis religiosa); Ann. sc. nat. Zool. (7) V. 11. ^'g- ^o- '.Querschnitt durch den Kopf eines Embryos von Mantis religiosa L. von 2 mm Lange (nach Viallanes aus Bauer). i.H. innerer, ä.II. äußerer Ganglienbildungsherd. der Metamorphose. So werden z. B. die Glomerulen des Ricchlappens während der Puppenruhe voll- ständig aufgelöst und neu gebildet. Auf die E mb r y o na 1 e n t w i c k 1 u n g des Insektengehirns werfen die Studien von Strind- berg'**) neues Licht. Es handelt sich hierbei um das sogenannte Kopfproblem, d. h. die Frage, in welcher Weise die (nach gewöhnlicher An- nahme) 6 zum Insektenkopf verschmolzenen Seg- mente an dem Bau desselben beteiligt sind. Das ("•berschlundganglion ist aus drei segmentalen Ganglienpaaren verschmolzen, das Unterschlund- ganglion ebenfalls aus drei (Mandibel, Maxillen und Unterlippenganglien). Das Oberschlund- ganglion besteht aus dem von Anfang an vor dem Schlund gelegenen Ersthirn (Protocerebrum) und dem sekundär mit ihm vereinigten Zweit- '*) Strindberg. 1913, Kmbryologische Studien an In- sekten ; Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 106. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 2 und Dritthirn (Deutero- und Tritocerebrum). Das Ersthirn entsendet die Nerven zu den Sehorganen, das Zweithirn zu den Antennen, das Dritthirn zur Oberlippe und dem Stirnganglion. Diese Einteilung wurde durch Janet'^) eine Zeitlang erschüttert. Nach Jan et 's Untersuchungen an Ameisen werden die Oberlippe und der Schlund im ersten Segment angelegt. .So sieht sich Janet zu der Annahme veranlaßt, daß die Oberlippen- nerven und die zugehörigen Zentren eigentlich dem Ersthirn angehören. Für das Dritthirn bleibt dann fast nichts mehr übrig; Janet sucht seine Reste in einem äußerst feinen nur schwer auf- zufindenden Nerven zur Schlundmuskulatur. Die Befunde Janet's werden durch Strindberg'**) nicht bestätigt. Nach ihm beginnt die Segmen- tierung des Insektenembryos (bei Eutermes) von vorn und kommt gleichzeitig im mittleren und äußeren Keimblatt (Meso- und Ektoderm) zum Ausdruck. Zuerst entsprechen dem späteren Kopf nur 4 Segmente: das primäre Kopflap]3en- segment und 3 Kiefersegmente. Das Kopflappen- segment ist größer und teilt sich später in 3 se- kundäre Segmente: das Ersthirn-, Zweithirn- und - > u D Fig. 14. Schemata des Gehirns von A Simocephalus sima, B Ohrwurm (Korf. aur.) , C Odonaten und andere Insekten, D Hymenopteren (nach Kühnle), E Ersthirn, Z Zweithirn, A Anlennennerv, A2 Nerv der 2. .\ntenne , M Mandibelnerv, Mx Maxillennerv , U Unterlippennerv, Dritthirnteile schwarz, Schlund punktiert (siehe Text). Anzeichen dafür, daß die Mundhöhle (Stomodäum) und die Oberlippe keineswegs Bildungen des Ersthirnsegmentes sind (protozerebral), sondern höchstwahrscheinlich des Dritihirnsegmentes (trito- zerebral). Nur diese Auffassung läßt sich ein- wandfrei mit der Tatsache vereinigen, daß bei den meisten Insekten das Dritthirn sehr deutlich vom Zweit- und Ersthirn getrennt ist und allein die Oberlippe innerviert. Eine starke Stütze erhält diese Annahme ferner Fig. 15. AStg Sch.k. Fig. 16. Fig. 15U. 16. Gehirn von Fig. 15 : Simocephalus sima, Fig.16: Cossus lignipcrda. Zeigt die Dritthirnverlagerung (s. Text). D.k. Dritlhirnkommissur, Seh Schlund, Stg Stirnganglion, Sch.k. Schlundkonnektive, Ug. Cnterschlundganglion, On Ober- lippenncrv, A Antennennerv, A2 Nerv der 2. Antenne. S Sehnerv. (Nach Kühnle.) Dritthirnsegment. Vorher tritt aber im Kopf- lappen eine seichte Einsenkung des Ektoderms auf, welche die Anlage des Mundes (Stomodäum) darstellt. Die Mundeinstülpung tritt in das noch einheitliche Mesoderm des Kopflappens ein. Dann erst bildet sich im Mesoderm die Cölomhöhle des Zweithirnsegmentes aus. Daran schließt sich nach hinten das Mesoderm des Dritthirnsegmentes (hier kommt es nicht zur Ausbildung einer Höhle). Das Ersthirnsegment bleibt mesodermfrei. Gleich- zeitig mit dem Mesoderm differenziert sich auch das Ektoderm und damit die Nervenanlage in 3 Segmente. Da die Mundeinstülpung vor dieser Segmentierung gebildet wird, läßt sich nicht be- weisen, zu welchem Segment sie zu rechnen ist. Doch sprechen nach Strindberg zahlreiche '") Janet, 1S99, Essai siir la Constitution morphologique de la trte de l'insecte ; Paris. Janet, 1909, Sur rontoginese de l'insecte; Limoges. Janet, 1909, Sur la morphologie de l'insecte; Limoges. durch die vergleichend - anatomischen Unter- suchungen von Kühnle"). Er homologisiert die beiden Dritthirnhälften der Insekten mit den Ganglien der zweiten Antennen der Krebse. Hierbei befindet er sich in Übereinstimmung mit der Auffassung von Goodrich'-") und Heider-'). Zum Vergleich dient die Figur 14; hier sind das Dritthirn und die entsprechenden Teile durch Schwarzfärbung hervorgehoben. Figur A zeigt das Gehirn eines Flohkrebses (Simocephalus sima). Das Dritthirn liegt hier gänzlich unterhalb des Schlundes, es hat zwei Kommissuren und ent- sendet die Nerven der zweiten Antennen (.A 2) sowie zwei den Schlund umgreifende Ncr\-cn zum Stirnganglion, die zugleich Oberlippennerven sind (nach Cii nnington). Fig. B zeigt die X'erhält- ">) Goodrich, On the Relation of thc .Arthropod Mead to the Annelid Prostoniium; (^uart. Jouru. Micr. Sc. Bd. 40. *') Heider, 1914, Phylogenie der Wirbellosen; Kultur der Gegenwart Teil III, .Abt. IV, 4; Teubner. N. F. XIV. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. nisse beim Ohrwurm (Forficula auricularia). Das Dritthirn ist den Längskonnektiven entlang nahe an das Zweithirn herangerückt und liegt nun seitwärts des Schlundes. Seine Kommissuren um- greifen den Schlund als Zeugen der Verlagerung. Das Vorhandensein von zwei Dritthirnkommissuren ist von Kühnle beim Ohrwurm und von mir bei der Küchenschabe festgestellt worden. Wahr- scheinlich besitzt ursprünglich jedes Insekt zwei solche Kommissuren, aber sie verschmelzen ent- weder unter sich oder mit dem Unterschlund- ganglion. Fig. 14, C zeigt den ersteren , D den letzteren Fall. Die Fig. 15 und 16 geben von der Seite gesehen ein klares Bild der Dritthirn- verlagerung (wenn auch der Schlund recht ver- schieden dick gezeichnet ist). Bei Fig. 15 (Simo- cephalus) liegt das Dritthirn mit seinen Kommis- suren noch unterhalb des Darms, die Oberlippen- nerven (On) umgreifen den Darm. Bei Fig. 16 dem Weidenbohrer (Cossus ligniperda) ist das Dritthirn zum Oberschlundganglion gerückt, die Oberlippennerven umgreifen den Darm nicht mehr, dagegen die Dritthirnkommissur (D. k.). Diese bei allen Insekten wiedergefundene, den Schlund umgreifende Kommissur, die mit dem Innervationszentrum der Oberlippe, eben dem Dritthirn, aufs engste verbunden ist, kann als Beweis dafür dienen, daß die Oberlippe der In- sekten zum Dritthirnsegment (häufig auch Vor- kiefersegment genannt) gerechnet werden muß. Mit den Oberlippeimerven eng vereinigt sind meist die Nerven zum Stirnganglion (Ganglion frontale, Fig. 16, Stg.) Dieses bildet nach meinen Befunden bei der Küchenschabe und dem Mehlkäfer ein motorisches Zentrum der Oberlippe; der Ober- lippennerv ist hier rein sensibel. Gewöhnlich wird das Stirnganglion zum Eingeweidenervensystem gerech- net, da von ihm nach rückwärts ein unpaarer Nerv entspringt, der über dem Darm verläuft, der sog. rückläufige Nerv (nervus recurrens, Fig. 16, n. r. Hinter dem Gehirn schließen sich an diesen Nerven zwei Paar „Ganglien" an, die sog. Darmganglien. Man hielt sie seither allgemein für nervös, bis Heymons"-') bei Bacillus rossii fand, daß nur das erste Paar echte Ganglien sind, das zweite Paar aber Drüsen mit innerer Sekretion '-'■'). Dieses zweite Paar nennt er Corpora allata. Die Corpora allata der Insekten hat Nabert'-*) ver- gleichend anatomisch in einer umfangreichen Spezialarbeit behandelt. Er hält sie für Drüsen mit innerer Sekretion, doch kommt es nur aus- nahmsweise (bei den Gespenstheuschrecken, wozu der ebengenannte Bacillus rossii gehört) zur Aus- bildung eines zentralen Drüsensekretes. Auch Zellen werden nur bei einzelnen Formen gebildet, sonst liegen die chromatinreichen Kerne in einer maschigen, stark vakuolisierten Grund- substanz. Auch die Histologie des Insektengehirns hat Fortschritte zu verzeichnen. Wir haben oben gesehen, daßKenyon die Neurone der pilzförmigen Körper entdeckt hat (Fig. i). Ich habe nachgewiesen, daß die Pilze eine große Zahl von Faserverbindungen mit allen Teilen des Gehirns besitzen (Fig. 2). Dasselbe gilt vom Zentralkörper. Auch im Sehlappen (Ganglion opticum) waren die wichtigsten Verbindungs- Nb ■--) Heymons, 1S99, Über bUischenförmige Organe der Gespenstheuschrecken; Sitzungsber. d. Al;ad. d. Wiss. Berlin. -^) Näheres hierüber im Handbuch der Entomologie, S. 83 — 87; Fischer, Jena 1912. '^*) Nabert, 1913, Die Corpora allata der Insekten; Zeilschr. f. wiss. Zool. Bd. 104. Fig. 17. Sehlappen der Libellenlarve. Schema des Neuronen- vcrlaufs nach Z a w a r z i n. Xb Nervenbündelschicht, ä.F. äußere, m. F. mittlere, i. F. innere Flbrillärmasse, ä.Iv. äußere, i.K. innere Kreuzung. demente schon bekannt. Nun ist es Zawarzin'®) gelungen, mit Hilfe sog. spezieller Methoden (elek- tiver Nervenfärbung) an einem besonders günstigen Objekt, der Libellenlarve (Aeschna) die bekannten Neurone des Sehlappens um eine erhebliciie An- '^") Za warzin, 1914, Histologische Studien über Insekten : IV, Die optischen Ganglien der Aeschnalarven ; Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 108. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 2 zalil zu vermehren. Seine wichtigsten Befunde gibt die Fig. 1 7 wieder. Die außerordentlich großen Sehlappen der Libellen zeigen die Ver- hältnisse auch schon bei gewöhnlicher h'ärbung ausnehmend klar, wie ich mich an eigenen Schnitten überzeugte. Andererseits sind sie auch viel kom- plizierter gebaut, als z. B. die von mir unter- suchten Sehlappen des IVIehlkäfers. Die Sehlappen der Insekten bestehen aus 3 Fibrillärmassen, äußerer, mittlerer und innerer (Fig. 17, ä.F.,m.F.i. F.). Zu jeder gehören Zellen, die größtenteils distal, zum kleineren Teil auch proximal der Fibrillär- massen liegen (in Fig. 17 angedeutet durch ein- zelne eingezeichnete Zellen). Zwischen den Fibrillärmassen liegen Faserkreuzungen (äußere und innere Kreuzung ä. K. , i. K.). Die äußere Fibrillärmasse ist beim Mehlkäfer wie ein Sieb durchlöchert. Diese Struktur ist auf der Photo- graphie Fig. 18 ersichtlich. Die Fortsätze der Retinulazellen des Facettenauges treten in Bündeln (sog. Nervenbündelschicht, Fig. 17, Nb) in den Sehlappen ein. Ihre Endbäumchen bilden die Fibrillärmasse (die Markpfeiler, welche die Löcher des Siebes umgeben 1. Die distalen Zellen der äußeren Fibrillärmasse (Fig. 17, Zelle 2) senden ihre Fortsätze durch die Löcher des Siebes hin- durch, wo sie nur Dendriten in die angrenzenden Markpfeiler abgeben. Die Neuriten gehen dann über die äußere Kreuzung (ä. K.) in die mittlere Fibrillärmasse (m. F., Neuron 2) über. Dieser Faserverlauf wird von Zawarzin bestätigt. Die Retinulazellfortsätze der Libelle enden in der Fibrillärmasse mit kolbenförmigen Anschwellungen (wohl Knäuel der Endbäumchen, Fig. 17, Neuron l). Jedoch liegen die Verhältnisse hier kompli- zierter als beim Mehlkäfer; die Fibrillärmasse ist geschichtet und diese Schichtung wird dadurch erzeugt, daß die Endbäumchen und Dendriten der verschiedenen P'asern bestimmte Schichten für ihre Ausbreitung bevorzugen und auch die Verzweigungen selbst sehr verschiedenen Charakter haben (s. Fig.). Noch auffälliger ist die Schichtung an der zweiten Fibrillärmasse (m. F.), wo bei der Libelle 18 Schichten festgestellt werden können. Zawarzin unterscheidet hier Neurone mit durchziehenden Fortsätzen (Neu ron 3 und 4), solche mit rückläufigen (Neuron 5), mit dichotom ver- zweigten (Neuron ()) und I,okalzellen, deren Ver- zweigungen sich nur auf eine Mbrillärmasse be- schränken (Neuron 7\ Im einzelnen kann hier- auf nicht eingegangen werden. Zawarzin legt mit Radi '■") großen tlieoretischcn Wert auf die Schichtung, weil hierin Vergleiche mit den eben- falls geschichteten Sehzentren der Wirbeltiere und Cephalopoden gezogen werden können (man denke an die Bilder von der Retina des Menschen 1) Radi findet hierin einen allgemeinenBauplan der Seh- zentren, ein mit der Sehfunktion verbundenes für das ganze Tierreich gemeinsames Strukturprinzip -') Wichtiger erscheint mir der durch solche Unter- suchungen erbrachte Reweis, daß dem kompli- zierten Vorgang des Sehens ein ebenso kompli- zierter Bau der zugehörigen Nervenzentren ent- spricht. Überhaupt kann das höchste Ziel der Gehirnuntersuchungen darin gesehen werden, daß Beziehungen zwischen dem Bau und der Funk- tion erkannt werden. Nach H. E. Ziegler-*) „darf ein physiologischer Vorgang nur dann als erklärt gelten, wenn er auf anatomische und F Fig. 18. Längsschnitt (sagittal) durch die äußere Fibrillär- masse des Sehlappens des Mehlkäfers. Mikrophotographie des Verfassers. F Fett, Mu Muskeln. histologische Befunde zurückgeführt ist." Seit die oben erwähnten Zentren des Insektengehirns, der Zentralkörper und die pilzförmigen Körper durch vergleichend-anatomische und histologische Untersuchungen als Sitz der Instinkte und des Gedächtnisses erkannt wurden, zeis^t sich mehr und mehr, daß die Lebensweise, die Instinkte und geistigen Fähigkeiten der Insekten sich im Bau des Nervensystems widerspiegeln. 2*) Radi, igo2, Über spezifische Strukturen nervöser Zentraloreane : Zeitschr. f. wiss. Zool. 1902. -') Übrigens sind die Angaben Radl's vielfach falsch, z. B. nimmt er an , daß die Retinulazellen durch die äußere Fibrillärmasse ohne Verbindung mit ihr durchlaufen und hier der Reiz einen bestimmten „Tonus" erhalte. Dies bleibt mir unverständlich, ebenso wie sich die Entwicklung und Ernäh- rung der Fibrillärmasse ohne Verbindung mit Zellen gestalten soll. -^) II. E. Ziegler, Über die Prinzipien der Tierpsycho- logie; Extrait du IX. Congrcs international de Zoologie ä Monaco 1913: Rennes 1914. Einzelberichte. Zoologie. Der Schirmrand der acraspeden Medusen oder Lappcnquallen ist in 8 Lappen geteilt, von denen jeder in einer Einkerbung ein Sinnesorgan enthält, welches zur Wahrnehmung der Lage des Körpers dient. Es besteht aus einem offenen oder geschlossenen Bläschen N. F. XIV. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 25 (Statocyste), in welches klöppelartig ein am Ende verdickter Stiel herabhängt. Unten umschließt derselbe eine große (Statolith) oder viele kleine Konkretionen (Statoconien). Die chemische Natur der Statoconien in den Rhopalien von Rhizostoma pulmo Less. unter- suchte" "josr Spek (Zool. Anz. Nr. 9 44. Bd. 1914). Er stellte fest, daß sie in der Hauptmasse aus schwefelsaurem Kalk bestehen; es sind Gips- kristalle mit einer geringen Beimischung von phosphorsaurem Kalk. Daß es sich tatsächlich um Sulfat von Kalzium, und nicht etwa von Strontium oder Barj'um handelt, wurde mit Sicher- heit auf chemischem und spektroskopischem Wege festgestellt. Die Statoconien zeigen zuweilen gut ausgebildete Kristallform und sind dann gleich- seitig, häufiger ungleichseitig, hexagonal; ziemlich sehen sind langgestreckte sechseckige Kristalle. Die Winkel sind meistens schlecht ausgebildet. Kathariner. Wie früher (Nr. 14 Bd. XIII. S. 220 d. Bl.) bereits mitgeteilt wurde, wirkt der Hunger auf die Metamorphose der Amphibienlarven beschleu- nigend. Hierhergehörige Versuche wurden mit den Larven der Geburtshelferkröte (A. obstetricans Laur.) angestellt. Franz Brendgen berichtet „Über die künstlich erzielte Metamorphose der Alyteslarven" (Anat. Anz. Bd. 46, 1914) folgendes. Eine Anzahl Larven wurde in iS" C warmem, alle 14 Tage gewechseltem Wasser ohne jede Nahrung gehalten. Während des dreimonatlichen Hungerns wurden die Tiere etwas kleiner, ihr Pigment nahm ab, der Fettkörper wurde resorbiert und die Leber von schwarzbrauner Färbung zeigte enorme Schrumpfungen. Von einer Beschleuni- gung der Entwicklung war aber keine Rede. B. erblickt darin eine Bestätigung der \^ersuche Barfurth's, wonach nur die letzten Stadien der Verwandlung durch den Hunger abgekürzt werden können. Ein anderer Teil der Larven wurde mit Thy- reoidea vom Kalb gefüttert. Bereits nach 10 Tagen brachen die Hinterbeine hervor und wuchsen rasch bis auf 7 mm Länge. Zu einem Durch- bruch der vorderen Extremitäten kam es jedoch nicht, da die Larven schon 21 Tage, vom Beginn der Thyreoideafütterung an, sämtlich eingingen. Dieser im Winter angestellte Versuch wurde im F"rühjahr (13. März 1914) wiederholt mit be- deutend stärkeren Larven, die schon 2 mm lange Hinterbeine hatten. Jetzt brachen aucli nach be- reits iS Tagen die Vorderbeine durch und er- reichten 5 mm Länge. Dann ging aber auch diese Serie ein. Der Darm war bis auf wenige Schiingen reduziert, der Fettkörper sehr groß und die Leber normal. Für das Absterben der mit Thyreoidea ge- fütterten Tiere kurz vor oder während der Metamor- phose weiß B. keinen Grund anzugeben. Auch bei normaler Fütterung sei die Sterblichkeit ver- hältnismäßig groß. Jedenfalls aber sei es möglich, durch Fütterung mit Thyreoidea, im Winter bereits Entwicklungs- stadien von Alytes zu züchten, zu einer Zeit, wo sie weder im Freien noch im Zimmer, weder bei Hunger noch bei Fütterung mit Fleisch zu er- halten seien. Kathariner. Geologie. Über Kornvergrößerung und Sinterung berichtet Kurd Endeil in Nr. i und 2 der Silikatzeitschrift 1914. Beide Vorgänge spielen bei vielen keramischen Prozessen, bei der Kontaktmetamorphose usw. eine große Rolle. Indessen sind die Verhältnisse hierbei dermaßen kompliziert, daß es zweckmäßig erscheint, die Dynamik der beiden Vorgänge an einfachen Stoffen (Metallen, Oxyden, Salzen) zu erläutern. Von besonderer Bedeutung ist es, daß die Gesetze der Phasenlehre nur streng für größere Massen gelten, bei kleineren dagegen Einschränkungen erfahren. Nach Wilh. Ostwald besitzen fein verteilte feste Stoffe infolge ihrer größeren Ober- flächenenergie eine höhere Löslichkeit und einen höheren Dampfdruck als gröbere Teilchen, so daß sich die feineren Teilchen in Gegenwart eines Lösungsmittels eher lösen bzw. als trockene Pulver eher verflüchtigen als die größeren Teilchen. Diese wachsen dadurch auf Kosten der kleineren, die intermediär gelöst oder verdampft werden. Es sind dazu nur sehr geringe Mengen nötig, die ständig ergänzt werden. Die Annahme einer intermediären Ver- dampfung oder Lösung kleinster Teilchen genügt in den meisten Fällen als Erklärung der Kornvergrößerung. Entsprechend Ost- w a 1 d s Prinzip wachsen größere Teilchen auf Kosten kleinerer. I. Kornvergrößerung infolge Verdampfung. Schon lange ist es bekannt, daß Metalle beim Er- hitzen weit unterhalb des Schmelzens Kornver- größerung zeigen. Platintiegel lassen bei tage- fangem Erhitzen auf looo — 1200" bis zu 2 qmm große Kristalle erkennen; Kupfer bereits bei 400". Bringt man Kupfer, welches Kornvergrößerung zeigt, mit kalt gestrecktem Kupfer zusammen, so tritt in diesem ebenfalls Kornvergrößerung auf. (Rekristallisation oder nach C o h e n P'orcierkrank- heit infolge Infektion). Kornvergrößerung kommt auch bei Metalloxyden vor. Feine (0,1 cbmm) Mol)'bdänsäure (MoO..) zeigt nach mehrstündigem Erhitzen auf Rotglut bis zu 4 mm große Kristalle, wobei am liegeldeckel sehr feine lange ( i cm und mehr) Nadeln sublimiert sind, sodaß der Zusammen- hang zwischen Sublimation und Kornvergrößerung offensichtlich ist. Feines unfühlbares Pulver von CaO und MgO besteht nach längerem Glühen aus Körnern von o,oi — 0,02 mm. Reine dichte Mangnesiageräte der k. Porzcllanmanufaktur werden beim Erhitzen auf 1500 — 1700" makro- kristallin. Die im Lichtbogen geschmolzene Magnesia weist große optisch isotrope Kristalle Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 2 mit senkrechter Spaltbarkeit auf, deren Eigen- schaften mit dem in der Natur vorkommenden regulären Periklas (MgO) übereinstimmen. Über Kornvergrößerung bei Salzen liegen interessante Untersuchungen von F. Rinne und H. E. B o e k e an CaCO,, vor. Zur Vermeidung von Dissoziation beim Erhitzen wurden die Versuche in einer Bombe unter Kohlensäuredruck ausge- führt. Es zeigte sich, daß dichter Kalkstein in Marmor übergeht (Sammelkristallisation). Feines Kalkspatpulver aus gröberen Stückchen auf feinem Untergrund bestehend, geht beim Erhitzen in gleichmäßig große Körner über. (Egalisierungs- kristallisation). 2. Kornvergrößerung kann auch eintreten in- folge plötzlicher Energieabgabe beim Erhitzen, häufig verbunden mit Stabilitäts- wechsel. Wird ein Glas bis zu seinem Erweichungs- intervalle erhitzt, so geht es in den bei diesen Temperaturen stabileren Zustand über. Die Korn- größe der gebildeten Kristalle ist dabei von der Temperatur abhängig. Beim Quarzglas sind die bei 1600" gebildeten Cristobaiitkristalle erheblich größer als die bei tieferen Temperaturen ent- standenen. Beim Verglimmen von Metallhydro- oxyden und -oxyden bilden sich die sogenannten pyrognomischen Mineralien Gadolinit, Samarskit, Aeschynit, PyrochJor, Euxenit, Tritonit, Orthit. In beiden Fällen wird beim Übergang vom amorphen in den kristalhnen Zustand Energie durch die frei- werdende Kristallisationswärme abgegeben. 3. Am häufigsten ist der 3. Fall von Korn- vergrößerung infolge intermediärer Lösung kleinster Teilchen nach Ostwalds Prinzip. Es genügen dazu sehr geringe Mengen, die ständig ergänzt werden. Durch Erhitzen kolloider Silber- haloide in Gelatine treten mikroskopisch nach- weisbare Kristalle auf. Die durch Einwirkung von NaCl oder NH.. Dampf bedingte Kornver- größerung, durch welche die Lichtempfindlichl. Die Extreme sind also 0,066 mm bei Austra- liern und 0,105 mm bei Japanern. Die indi- viduelle Variationsbreite gesunder menschlicher Kopfhaare, die Fried enthal maß, schwankte zwischen 0,053 ^nrn und 0,135 "ii"- Die Schwan- kung beträgt also fast 300 "/„. Bei Barthaaren von Europäern fanden sich Haarbreiten bis zu 0,153 mm. Friedenthal nahm auch genaue Wägungen von Haarstücken vor, die ein Bild der Wachs- tumsleistung der Haarpapille bei verschiedenen Menschenrassen geben. Als Vergleichsgrundlage wird das Gewicht pro Zentimeter Haarlänge, aus- gedrückt in Minigrammen'), angenommen; dieses Sireckengewicht betrug beim Kopfhaar der Kamerun-Neger 50 mg Peru indianer 57 mg Australier 52 „ Neu-Britannier 78 „ P_;uroi)äer 54 ,, Tasmanier 81 „ (Blond 50 mg) Papua 92 „ (Schwarz 59 „ ) Chinesen 98 „ (Braun 66 „ ) Das Streckengewicht des Barthaars eines Europäers ist etwa dreimal so groß als jenes des Kopfhaars (171 mg) und auch das Scham- haar ist bedeutend schwerer als das Kopfhaar; deshalb ist es in vielen P'ällen möglich , durch das Gewicht zu entscheiden , ob Kopfhaar oder Körperhaar (Terminalhaar) vorliegt. Nach P'riedenthal's Schätzung wird das Strecken- gewicht von europäischem Terminalhaar am Ende I Minigramm entspricht 1 Millionstel Gramm. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 2 seiner natürlichen Lebensdauer nur selten, viel- leicht überhaupt nicht, unter 70 Minigrammen pro Zentimeter zurückbleiben. Ausnahmen mag es in pathologischen hallen geben. Andererseits beträgt dasselbe Streckengewicht des europäischen Kopihaares nur selten 66 mg oder mehr, und wenn ein solches Gewicht vorkommt , möchte Friedenthal auf Vermischung mit Asiaten schließen. Die braune oder melanoderme Rassengruppe dagegen besitzt so körperhaarähnlichc Kopfhaare, daß eine Unterscheidung nicht immer möglich ist. Bei diesen Rassen ist namentlich der Schaft des Kopfhaares (wie der des Terminalhaares der Europäer) im Verhältnis zur Dicke sehr breit, ferner haben Kopf- und Körperhaare die geringe natürliche Länge sowie die Kräuselung gemein. — Bei der gelben Rassengruppe findet man des hohen Streckengewichts des Kopfhaares wegen die Streckengewichtsunterschiede zwischen Kopf- und Körperhaar nicht so sehr ausgeprägt wie bei den Weißen, aber die Unterschiede der Haar form sind bei den gelben Rassen noch größer als bei den Weißen , so daß man bei ihnen ohne weiteres ein gekräuseltes Schamhaar von einem straffen Kopfhaar unterscheiden kann. Der Terminalhaar- R eich tu m des Körpers ist bei manchen dunkelhäutigen Rassen, wie bei den Australiern imd Tasmaniern. den Papua und Wedda, viel bedeutender als bei den afrikanischen Negern. Die Terminalhaararmut der Neger scheint eine Anpassung an die reichliche Ausbildung der Schweißdrüsen bei dieser Rasse zu sein, letzten Endes eine Anpassung an das heiße Klima, das Haararmut , auch bei anderen Säugetieren, begünstigt. H. Fehlinger. Bücherbesprechimgen. Stefan v. Mäday, Gibt es denkende Tiere? Eine Entgegnung auf Krall's „Denkende Tiere" 461 S., 6 Texifig. Leipzig 1914, Wilh. Engehnann, geh. M. 9.60 ; geb. M. 10,40. Von dieser Arbeit erhielt ich zuerst Kunde durch einen vom Verlag versandten Prospekt, in dem es heißt: ,,Herr Dr. von Maday, ein vorzüglicher Pferdekenner, versucht nun in seinem Werke zum ersten Male an Hand der ganzen einschlägigen Literatur und eigener genauester Beob- achtungen^) jenes schwierige Problem objektiv zu lösen und kommt dabei zu einem den An- schauungen der vorgenannten Herren" (nämlich die Prof. H. E. Ziegler, H. Kraemer, Paul Sarazin, Ludw. Plate) ,, — die wohl nur die Minderheit der Zoologen bilden dürfen — ent- gegengesetzten Resultat". Eigener genauester Beobachtungen.' .Sollte v. Maday, trotzdem er, wie mir bekannt war, mehreren Einladungen Krall's nach Elberfeld zukommen, nicht nach- gekommen war, dennoch dort gewesen sein? Eine .Anfrage in Elberfeld belehrte mich, daß v. Mäday niemals dort gewesen sei und die Pferde nie- mals gesehen habe und in der Tat, als ich dann das Werk selbst in Händen hielt, ergab sich, daß V. Maday ein sehr dickes, scharf kritisches, zum Teil mit beleidigenden und schmähenden Aus- drücken gespicktes Buch' verfaßt hat, ohne das Streitobjekt — die Elberfelder Pferde — und Herrn Krall zu kennen! Demgemäß sollte man über das Mäday 'sehe Werk eigent- lich berichten, ohne es gelesen zu haben! .Aus mancherlei Gründen sei es mir gestattet, andere über diese Arbeit reden zu lassen, denn vielleicht bin ich nicht \öllig unbefangen, hat doch Mäday eine kurz \or dem Krall- schcn Buche erschienene umfassende Schrift über ') Von mir gesperrt v. B. die Psychologie des Pferdes ' I auch akkurat für meine bescheidene Persönliclikeit mit verfaßt. Es heißt darüber in einem zweiten Verlags- prospekt: „Andere Tierpsychologen jedoch, wie die Professoren Buttel-Reepen, Claparede, Ziegler, fielen bis zu einem gewissen Grade der Krall'schen Sensation zum Opfer und wurden für den von mir vertretenen Standpunkt unzu- gänglich" und im Vorwort seiner Streitschrift lese ich : „Wenn die engsten Fachleute, wie" (es folgen dieselben Namen wie die eben genanntem, ,, gerade diejenigen Männer, für die ich mein Buch geschrieben habe, einer Sensation zum Opfer fallen und für den von mir vertretenen Standpunkt vielleicht auf Jahre hinaus unzugänglich bleiben: wozu habeich dann 4 Jahre lang gearbeitet?" (nämlich an der erwähnten „Psychologie des Pierdes" '). Diese besonders be- tonte Standpunkts-Unzulänglichkeit möge daher bei einer in der wissenschaftlichen Welt ungewöhn- lichen Schrift ein ungewöhnliches BerichtsA'erfahren rechtfertigen. H. E. Ziegler schreibt'-): ,,Dr. Stefan v. Maday in Prag läßt ein großes. 30 Bogen starkes Buch erscheinen, welches den Titel führt: „Gibt es denkende Tiere ? ' eine Entgegnung auf Krall's „Denkende Tiere". Essoll, wie M aday an K rall schrieb, ,,die große Kanone" sein, welche die neue Lehre vom Denkvermögen der Tiere gründlich vernichten werde. Da Mäday weder die Elber- felder Pferde noch den Mannheimer Hund gesehen hat, wird dieses schwere Geschütz der neuen Lehre keinen Schaden tun. Man verstößt gegen die Prinzipien der Naturwissenschaft, wenn man über eine Sache ein Buch schreibt, ohne sich beniüht zu haben, dieselbe aus eigener .Anschauung kennen ') Stefan v. M a d a y. Psychologie des Pferdes und der Dressur. Berlin, P. Parey, 1912. -| H. E. Ziegler. Mitteilungen der Gesellschaft für Tierpsychologie. Nr. I, 2. Jahrg. 1914. N. F. XIV. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 31 zu lernen. Seit den Zeiten eines Baco von Verulam gilt für alle Naturwissenschaft der oberste Grundsatz, daß alle Forschung von der Beobachtung ausgehen muß. Die Gegner der Lehre vom Tierverstand haben an den neuen Beobachtungen gar keinen Anteil. Trotzdem halten sie sich für berechtigt, gegen diejenigen Forscher zu Felde zu ziehen, welche ihre Arbeit der empirischen Erforschung der neuen Probleme gewidmet haben. Solches Verhalten ist in den Naturwissenschaften nicht zulässig . . ." Unter dem Titel „Eine große Schmäh- schrift" veröffentlicht ferner der Münchener Privatdozent Dr. Karl Gruber (ebenda) aus- zugsweise folgendes : „hl allen Naturwissenschaften bilden die Beob- achtungen die Grundlage unseres Wissens. Wenn jemand über eine Sache ein Buch schreibt, ohne sie aus eigener Untersuchung zu kennen, so ist dies sehr bedenklich. Wenn aber jemand gar sich erlaubt, die Beobachtungen anderer falsch zu nennen, ohne in eigener Arbeit dieselben an den gleichen Objekten nachgeprüft zu haben, so ist dies sehr anmaßend und ungehörig. Dieser Vorwurf trifft das neue Buch von Dr. Stephan von Mäday: Gibt es den- kende Tiere? Leider muß dem Verf. dieses Buches ein noch viel schlimmerer Vorwurf gemacht werden. Er ergeht sich derart in persönlichen Angriffen, in Anschuldigungen und Verdächtigungen gegen Herrn Krall, daß das Buch — besonders in seinen letzten Abschnitten — geradezu den Charakter einer Schmähschrift bekommen hat. Die Triebfeder für die Abfassung des Buches, die Ursache des glühenden Hasses, der fast auf jeder Seite zu erkennen ist, läßt sich aus dem Vorwort leicht ersehen. Es ist der Ärger des Verf., daß sein Buch („Psychologie des Pferdes und der Dressur", 191 2) nicht das Aufsehen er- regte, wie er erwartete, vor allem aber, daß ein anderer, der seinen Weg abseits vom Herkömm- lichen gegangen, zu gleicher Zeit ein Werk der Öffentlichkeit übergab, das durch seine Originalität und durch die Mitteilung wichtiger neuer Beob- achtungen weiteste starke Anteilnahme erweckte. Aus dieser Stimmung ergibt sich, daß der Verf. nicht imstande war, eine objektive Kritik an dem Werke Krall's zu üben. Dazu kommt, daß er weder Krall, noch die Pferde kennt. Wie der in der „Tierseele" (Nr. 3, 1914) veröffentlichte Briefwechsel zeigt, hat er Krall's dringende Einladungen immer wieder abgelehnt, dann aber später in einem sehr sonder- baren Schreiben plötzlich Krall gebeten, ihm die Pferde doch zu zeigen, jedoch mit dem ausdrück- lichen Bemerken, daß sein Buch — die „große Kanone," wie er selbst sagt — fertig sei und daß er seine Meinung durchaus nicht ändern werde. Der Verdacht liegt also nahe, daß Mäday, um späteren Vorwürfen zu entgehen, wenigstens imstande sein wollte, zu sagen : ,,Ich habe die Pferde gesehen." Zum Glück war Krall stolz genug, ihm jetzt abzuschreiben. Maday will ein Charakterbild Krall's ent- werfen, das den Leser mit Abscheu erfüllen soll. Es ist traurig zu sehen, daß ein Mann wie Krall in dieser Weise geschmäht wird. Aber Mäday war klug. Er hat, wie er im Vorwort ehrlich genug selbst zugibt, sein Manuskript vor der Publikation einem Rechtsanwalt vorgelegt; so kann er unbesorgt die Pfeile vom Bogen seines Plasses abschnellen. Die ganzen Kapitel der zweiten Hälfte des Buches sind erfüllt von fortlaufenden Anwürfen, so daß ein näheres Eingehen darauf für mich unmöglich ist." Diesen G r u b e r ' sehen Erörterungen, die nur zum kleinen Teil herangezogen wurden, seien noch einige Anschauungen Vx. Freu den be rg's angefügt 'j : ,, Wieder eine von jenen völlig zweck- losen Publikationen, welche — ohne jede ge- nauere Kenntnis des Gegenstandes, näm- lich der Krall' sehen Pferde — in ihrem, gegen jene gerichteten Angriff selbst einen Schlag ins Wasser bedeuten müssen. Hierzu kommt bei dem Herrn Verf. allem Anschein nach noch der verhaltene Arger darüber, daß sein kurz vor dem Kr all' sehen erschienenes Werk über die Psycho- logie des Pferdes des Genannten wegen nicht die ihm, wie er glaubt, gebührende Beachtung in der Öffentlichkeit gefunden hat. In einer für den Psychologen ziemlich durchsichtigen Weise deckt der Herr Verf nämlich seine eigene Menta- lität auf, indem er Herrn Krall, wie folgt, haranguiert : „Wäre ich Karl Krall, hätte ich Pferde, die mit mir deutlich sprechen können, so hätte ich mein Juweliergeschäft längst verkauft und wäre durch die Pferde Millionär geworden usw." Versuche ich nun, mich persönlich dem rein Objektiven des Mäday 'sehen Werkes zuzuwenden, so befinde ich mich da in einer nicht sehr ange- nehmen Lage. Es ist verständlich, das bei dieser feindseligen Stimmung Mäday's die Objektivität mehr oder minder verloren geht und so finden sich denn auch durch den Eifer des Gefechts her- vorgerufene Widersprüche und manche Ungereimt- heiten. Und doch möchte ich das Buch neben dem von Krall") allen denen empfehlen, die sich näher mit dem Problem befassen wollen, denn es gibt eine Übersicht über das ganze Ge- biet. Mit großem Fleiß und vielem Scharfsinn ist das Wesentliche zusammengetragen und er- läutert; aber das Eine, das nur durch eigene Beobachtung geklärt werden könnte, das Rätsel der Elberfelder Pferdeleistungcn findet sich naturgemäß nicht gelöst. Mäday ent- schließt sich für eine „gemischte" Erklärungs- hypothese, er hält ,, unwillkürliche Zeichen für das Ausschlaggebende, wobei eine niedere Intelligenz ') Fr. Kr e ud enb er g. Psychische SIucülmi, 40. Jahrg., 4. Heft. S. 245. 1913. ''■) Karl Krall. Denkende Tiere, 532 S. Leinzig. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 2 vorausgesetzt werden muß, aber auch die gelegent- liche Mithilfe einer absichtlichen Zeichengebung kann nicht vollkommen ausgeschlossen werden". Im Grunde genommen, scheint er Krall aber als einen Betrüger anzusehen, er hütet sich freilich, das so einfach zu sagen, auch dürfte ihn, der oben erwähnte „Rechtsanwalt" davor behütet haben, aber auf S. 297 heißt es z. B. : „Auch optische Zeichen sind nicht in jedem Falle ausgeschlossen: bei den Versuchen 36 — 43 steht die Türe halb offen; wer weiß, wie oft da Krall von Büttel - Reepen unbemerkt, dem Pferde eine Anzahl Finger zeigen konnte". Glaubt M a day wirklich, daß die Pferde auf eine so plumpe Zeichengebung dressiert seien und daß so viele Beobachter derlei Zeichen nicht bemerkt haben würden? Ich habe schon früher erwähnt \l, daß mir die Erfahrung gezeigt habe, daß die Anwesenheit oder Ab- wesenheit Krall's vollkommen gleichgül- tig sei; die Pferde arbeiteten nicht anders, ob sich Krall im Stall, oder in seiner Wohnung oder ob er sich, wie in einem Falle, in Bonn befand. Da sich nun das ganze Werk Mäday's im wesent- lichen nur gegen Krall wendet, so muß man eine solche ungeheuerliche Kraft-, Zeit-, und Druckerschwärze-\'erschwendung bedauern, die nach dieser Richtung hin ofl'eiie Türen einrennt. Auf einen anderen Irrtum M a day 's bezüglich der bei Idioten festgestellten Rechenkunst wies ich bereits in dem eben erwähnten Artikel ^) hin und möchte unter vielem anderen nur noch folgendes heranziehen. M.iday sagt: „So schnell und entschieden wie Krall wirft nur noch Assa- gioli die Entwicklungslehre zum alten Eisen. In mehr konditionaler h'orm wird ihre Unvereinbarkeit mit den Krall'schen Beobachtungen von Butlel- Reepen, Freudenberg und Haenel aus- gesprochen". Diese Fassung verleitet zu einem dreifachen Irrtum. Glaubt man wirklich, daß ein Zoologe die Richtigkeit der Entwicklungslehre wenn auch nur in konditionaler Form verwerten könne, weil einige noch rätselhafte Pferde-Probleme auftauchen ? Dann habe ich überhaupt nicht die „Entwicklungslehre" und die „Krall'schen Be- obachtungen" in der angegebenen Art in Be- ziehung zueinander gebracht. Ich spreche nur von der Darwin'schen Theorie — also der Selektionstheorie — , die bekanntlich etwas ganz anderes bedeutet als die Entwicklungslehre, wenngleich beides in nicht wissenschaftlichen Kreisen oft zusammengeworfen wird. Schließlich ') Büttel- Reepen. Das l'roblem der Elberfekler Pferde und die Telepathie. Naturw. Wochenschr. N. 13, 1914. habe ich auch nicht in konditionaler h'orm die Selektionstheorie verworfen, sondern habe im Gegenteil die von manchen vermutete ,, mensch- liche Intelligenz" bei den Pferden abgelehnt, da diese ,, Annahme die Dar wi n 'sehe Theorie über den Haufen werfen würde". Ich weise diese Annahme also strikte ab unter Aufrechterhaltung der Selektionstheorie, ohne damit natürlich eine universelle Gültigkeit der letzteren zu postulieren. Es ist schade, daß Krall das Werk, auf dessen Inhalt hier nicht weiter eingegangen werden kann, nicht gelesen hat und nicht lesen wird, was man ihm einer ,, Schmähschrift" gegenüber allerdings nicht verdenken kann, aber es ist trotz allem sehr viel Interessantes und Nützliches auch für den Anhänger des „Pferde-Problems" darin enthalten. Allerdings irgendwie P^ntscheidendes ist, trotz der jubelnden Zustimmung der ultramontanen ,,Tremonia" ^), nicht gefördert worden und die „skeptische Grundstimmung", die ich den Pferde Leistungen nach wie vor entgegentrage -), hat sich jedenfalls durch dieses Werk nicht verstärkt. Buttel-Reepen. Danneel, Dr. Heinrich, Elektrochemie IL Experimentelle Elektrochemie, Meßmethoden, Leitfähigkeit, Lösungen. Bd. 253 der ,, Samm- lung Göschen". II. Auflage. 159 Seiten kl. 8" mit 26 Figuren und mehreren Tabellen? Berlin und Leipzig 1914, Verlag der G. J. Göschen- schen Verlagshandlung G. m. b. H. — Preis geb. 90 Pf. Die zweite Auflage des ersten Bändchens der ,, Elektrochemie" von Heinrich Danneel, dem früheren Redakteur der „Zeitschrift für Elektro- chemie" ist in dieser Zeitschrift bereits früher kurz besprochen worden (vgl. Naturw. Wochen- schrift N. F". Bd. X, S. 734; 1911). Auch der vor- liegende zweite Band, dessen wesentlicher Inhalt bereits im Kopf der Besprechung angegeben ist, weist die guten Eigenschaften auf, die dem ersten Band innewohnen. In dem Gesamtwerk liegt ein ausgezeichnetes Lehrbuch der Elektrochemie vor, das in gleicher Weise von dem theoretischen Wissen und der praktischen Erfahrung des Verf. wie von seiner Darstellungskunst Zeugnis ablegt. Das Werk verdient uneingeschränkte Empfehlung. Berlin-Lichterfelde W 3. Werner Mecklenburg. ') „Der Lorbeerkranz der Klhorfeklcr Kechenpfcrdc ent- blättert und zerfetzt". ,,Tremonia". Nr. 150 v. 3. Juni Dortmund, 1914. ^) Vgl. ,, Meine Erfahrungen mit den „denkenden" Pferden". 49 S. Jena 1913;- wie auch Naturw. Wochenschr. 12. Bd. 1913; ferner ''j. Inhalt: llretschneider: Neuere Untersuchungen über das Gehirn der Insekten. — Einzelberichte; Spek: Die clu-mischc Natur der Statoconien in den Rhopalien von Rhizostoma pulmo Less. Brendgen: Über die künstlich er- zielte Metamorphose der Alytcslarvcn. E n d e 1 1 ; Über Kornvergrößerung und .Sinterung. Rosenthal: Der Navaho- asphall. Kehlinger; Lber die Vererbung der Kurz>ichtigkeit. Friedenthal; Kragen des Haarwuchses verschiedener Menschenrassen. — Bücherbesprechungen: v. Maday; tlibt es denkende Tiere? Danneel: Elekirocliemie II. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. 11. Miehe in Leipzig, Marienstrade IIa, erbeten. Verlag von Gustav Kischer in Jena. Druck der G. Pätz'schcn Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Folge 14, Band; zeii Reihe 30. Ban Sonntag, den 17. Januar 1915. Nummer 3. Der Sexualakt bei den höheren Pilzen. [Nachdiuck verboten.] Es ist noch gar nicht SexuaUtät der höheren Pilze überhaupt in Frage gestellt werden konnte. Noch im Jahre 1901 haben Brefeld und seine Schüler diese Tatsache bestritten, trotzdem schon die wertvollen Arbeiten Harpe r's vorlagen, die für die Ascomyceten den Geschlechtsakt sicher stellten. Seitdem sind niclit nur diese II ar p e r' sehen Untersuchungen be- stätigt, sondern auch bei allen anderen Gruppen Sammelreferat von Wilhelm Nienburg. Mit 26 Abbildungen. ange her, daß die Beobachtungen gemacht Fig. I. Pyronema confluens. Autlieridium (an.), Ascogon (asc.) und Trichogyen (tr.). Nach C 1 a u ß e n. der höheren Pilze Sexualvorgänge in der einen oder anderen Form gefunden worden. Wir wollen die wichtigsten hier zusammen- stellen und beginnen mit den Ascomyceten. Bei ihnen hatte, wie gesagt, Harper in seiner Arbeit über Pyronema confluens ') die grundlegenden ') Harper, R. A. Sexual reproduction in Pyronema conlluens and the morphology of the ascocarp. Ann. of bot. 1900, 14, 321 — 400. Da sich aber bei einer Nachuntersuchung desselben Objektes heraus- gestellt hat, daß die Darstellung des amerikanischen Forschers nicht in allen Punkten zutrifft , geben wir hier den Entwicklungsgang nach der jüngeren C 1 a u ß e n 'sehen Schilderung wieder.') Pyronema ist ein Schlauchpilz aus der Gruppe des Discomyceten, die durch die bekannten schüsselfurmigen Fruchtkörper bekannt sind. Wenn Fig. 2. Pyronema confluens. Einwanderung der männliclien Kerne in die Trichogyne. Nach Claußen. der Pilz zur Fruchtkörperbildung schreitet, so wachsen aus zwei Zellen, die derselben oder auch benachbarten Hyphen angehören können, je ein Ast heraus, der sich mehrfach in kurze dicke Zweige gabelt. Der eine Ast ist männlichen Geschlechts, der andere weiblichen. Ihre Gabel- zweige flechten sich derart ineinander, daß sie meistens paarweise zusammen liegen. Darauf wandeln sie sich zu Sexualorganen um, indem die vorletzte Zelle der weiblichen Zweige zum dickbauchigen Askogonium wird, das an seiner Spitze die schlanke Trichogyne als Empfängnis- organ trägt, und die letzte Zelle der männlichen ') Claußen, P. Zur Entwicklungsgeschichte der Asco myceten. Pyronema conlluens. Zeitschr. für Bot. 1912, .^ I — 64. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 3 Zweige das Antheridium bildet. Ein glücklich geführter Mikrotomschnitt liefert dann das in Fig. I wiedergegebene Bild. Das Ascogonium (asc.) steht durch eine scheibenförmige Zelle mit dem Hyphens_\'stem in Verbindung. Oben ist es durch die Trichogyne (tr.) gekrönt, die das Antheridium (an.) umfaßt. In allen drei Zellen sind deutlich eine große Anzahl von Kernen zu erkennen. Die Befruchtung erfolgt in der Weise, daß zunächst die Kerne in der Trichogyne degenerieren. Da- rauf bildet sich eine Öffnung zwischen Antheridium und Trichogyne, durch die die männlichen Kerne in die Trichogyne einwandern. Dieses Stadium ist in Fig. 2 dargestellt. Hier liegen Ascogonium und Antheridium nicht nebeneinander, wie in der Fig. i, sondern stehen nur durch die Tricho- gyne in Verbindung. In dieser sind die Kerne undeutlich und zum Teil verschwunden, während schon der erste Antheridiumkern in sie eingetreten die männlichen und weiblichen Kerne nur neben- einander. Das sieht man schon in Fig. 4, noch deutlicher aber in der Fig. 5, die einen Querschnitt durch ein befruchtetes Ascogon darstellt. Aus dem Ascogon wachsen dann die ascogenen Hyphen her- vor (s. Fig.6 ascg. h), in welche die un verschmolzenen Kernpaare einwandern. Man erkennt in der Fig. 6 noch die abgestorbenen Zellen der Tricho- gyne und des Antheridiums und außerdem (nur in Umrißlinie) die HüUhypen, die wesentlich mit zur Fruchtkörperbildung beitragen, aber nicht aus Fig. 4. Pyronema confluens. Das befruchtete Ascogon. A'ach Claußen. Fig. Pyronema confluens. Einwanderung der männlichen Kerne in das Ascogon. Nach Claußen. ist. Wenn ihm die übrigen gefolgt sind, löst sich auch die Wand zwischen Trichogyne und Asco- gonium und die männlichen Kerne setzen ihre Wanderung in die letztgenannte Zelle fort. Dies zeigt Fig. 3, wo das .'\ntheridium und die Tricho- gynspitze weggeschnitten sind. Die Wand zwischen Ascogonium und Trichogyne ist verschwunden und an ihrer Stelle liegen eine Anzahl dicht ge- häufter Kerne, die offenbar aus dem Antheridium stammen, und im Begriffe sind, in das Ascogon zu wandern. Hat sich das vollzogen, so wird das Ascogon wieder durch eine Wand von der entleerten Trichogyne abgeschnitten, worauf diese und das Antheridium absterben (s. Fig. 4). Während Ilarper angenommen hatte, daß in dem be- fruchteten Ascogon die Sexualkerne paarweise verschmelzen, konnte Claußen feststellen, daß dies erst später eintritt. Einstweilen legen sicli I''K. 5' Pyronema confluens. Befruchtetes .Ascogon mit Kernpaaren. Nach Claußen. den Sexualorganen entstehen, weshalb sie uns hier weniger interessieren. Die ascogenen Hyphen werden etwa doppelt so lang wie das Stadium der Fig. 6 das zeigt. Während dieser Wachstums- periode treten nirgends Kernverschmelzungen ein. Die Kernpaare wandern miteinander weiter und treten auch gleichzeitig in Teilungen ein (s. Fig. 7 a — c), so daß man von konjugierten Teilungen spricht. Erst wenn aus den Endzeilen die jungen Asci werden — die Sporenschläuche N. F. XIV. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 35 nach denen die Ascomyceten ihren Namen liaben — verschmilzt das hier befindliche Kernpaar (s. Fig. 8 a— c) und erst damit ist die Befruchtung vollendet. Auf die Einzelheiten der Ascusbildung und die Entstehung der Ascosporen können wir hier nicht eingehen. Erwähnt sei nur, daß der Verschmelzungskern sich alsbald wieder dreimal hintereinander teilt, daß die erste von den drei Kernteilungen die Reduktionsteilung ist und daß die acht entstehenden Kerne sich mit einer Membran umgeben und dadurch zu Sporen werden. ..,/)A-%^±y Fig. 6. Pyronema confluens. Ascogon aus dem die ascogenen Hyphcn hervorwachsen. Nach Cl außen. Fig. 7 a — c. Pyronema confluens. Kernpaarteilungen in ascogenen Hyphen. Nach Claußen. .v- Die Wichtigkeit der Claußen'schen Beob- achtungen beruht auf der Feststellung, daß der Sexualakt der Ascomyceten in zwei weit ge- trennte Phasen zerlegt ist: den Übertritt der männlichen zu den weiblichen Kernen im Asco- gonium und ihre Verschmelzung in den Schläuchen. Diese letztere war auch Harper nicht unbekannt und er hatte deshalb eine doppelte Kernverschmel- zung im Entwicklungsgang der Ascomyceten an- genommen, wovon die erste im Ascogonium ein- treten sollte. Das dafür nötige Regulativ glaubte er dann in einer zweifachen Chromosomenreduktion im Ascus gefunden zu haben. Es darf nicht ver- schwiegen werden, daß dieser Forscher auch heute noch an seiner Ansicht festhält, und daß eine Anzahl amerikanischer und englicher Mykologen diese teilen. Es wird von ihnen gegen die Claußen 'sehe Arbeit der Einwand gemacht, daß man bei der großen Zahl der Kerne, die sich im Ascogen und in den zunächst querwandlosen ascogenene Hyphen von Pyronema findet, die Her- kunft der einzelnen gar nicht sicher entschieden werden könne. Unter diesen Umständen ist es wohl nicht überflüssig, hier einige Beobachtungen anzufügen, die der Verf. dieser Zeilen an einem Ascomyceten aus der Unterordnung der Pyre- nomyceten machte, der in mancher Beziehung einfachere Verhältnisse zeigt als das Claußen 'sehe Objekt 1). s Fig. Sa— c. Pyronema confluens. Verschmelzung des Kernpaares im jungen Ascüs. Nach Cl außen. Es handelt sich um Polystigma rubrum. Der Pilz hat einen vielzelligen Sexualapparat, es kommen aber nur zwei Zellen für den Geschlechtsakt in Betracht. Die eine ist das Antheridium, das viele kleine Kerne enthält (s. Fig. 9 die obere große Zelle), und die andere das Ascogonium , das nur einen großen Kern besitzt und direkt an das Antlieridium anschließt (s. Fig. 9 die mittlere große Zelle). Die beiden Sexualzellen sind im Gegensatz zu Pyronema Geschwisterzellen einer Hyphe. Die Befruchtung geht in der Weise vor sich, daß zunächst eine (Jffnung zwischen Anthe- ridium und Ascogonium gebildet wird (s. F"ig. 10). Durch diese tritt ein männlicher Kern in das Ascogo- nium, worauf die C)ffnung wieder geschlossen wird (s. Fig. 11). Der kleine männliche Sexualkern wächst im Ascogon schnell heran, ist aber durch den mangelnden Nukleolus deutlich von dem weib- lichen zu unterscheiden. Auch hier kommt es zu keiner Kernverschmelzung im Ascogon. All- mählich werden die beiden Kerne in Größe und Gestalt ganz gleich (s. Fig. 12 und 13), aber sie bleiben unverschmolzen nebeneinander liegen. Dar- auf sterben sämtliche Zellen des Sexualapparates bis auf das zweikernige Ascogonium ab und dieses ') Nienburg, W. Zur Entwicklungsgeschichte von Poly- na rubrum DC. Zeitschr. f. Bot. 6, 1914, 36g — 400. 3Ö Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 3 Fig. II. Fig. 12. Fig. 13. Fig. 9. Polystigma rubrum. Antlie- ridium und Ascogonium mit einer dünnen Stelle in der trennenden Wand. Nach Nienburg. Fig. 10. Polystigma rubrum. Wand zwischen Antheridium und Ascogonium ist durchbohrt. Nach Nienburg. Fig. II. Polystigma rubrum. Der männliche Kern ist in das Ascogonium eingewandert. Nach Nienburg. Fig. 12. Polystigma rubrum. Der männliche Kern hat einen Nukleolus bekommen. Nach Nienburg. Fig. 13. Polystigma rubrum. As- cogonium und Antheridium nach völliger Ausbildung des konjugierten Kernpaares. Nach Nienburg. Fig. 14. Polystigma rubrum. As- cogene Hyphe. Nach .Nienburg. Fig. 14. N. F. XIV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 37 wächst zu einer ascogenen Hyphe aus. Sie ent- hält je ein Kernpaar in jeder Zelle, wie aus Fig. 14 hervorgeht, bei der die Hüllhyphen nicht mit- gezeichnet sind. Die Hyphe steht links noch mit -dem degenerierten Antheridium (anth.) in Ver- bindung. Es folgt dann eine Zelle, die auch schon im Begriffe ist abzusterben. Der eine von den beiden Kernen ist noch ziemlich intakt, von dem an- deren findet man aber nur noch einen kleinen dunklen Klumpen. Daran schließen sich drei Zellen mit deutlichen Kernpaaren. Wenn auch die konju- gierten Kernteilungen bei Polystigma nicht direkt beobachtet wurden, so zwingen doch verschiedene Gründe, die wir hier nicht auseinander setzen können, zu dem Schlüsse, daß auch bei diesem Pilze jedes Paar aus einem männlichen und einem weiblichen Kerne besteht. zweikernig sind, und daß die beiden Kerne in der reifen Spore verschmelzen. Frst vor kurzem hat aber Rawitscher ') die Herkunft der beiden Kerne aufgedeckt. 4^' Fig. 15. Ustilago Maydis. Keimende Sporen mit Sporidien. Nach Rawitscher. Noch bei anderen Unterordnungen der Asco- myceten, bei den Plectascineen durch Schikorra ') und den Laboulbeniaceen durch P'auU -), sind ganz entsprechende Verhältnisse gefunden worden. Deshalb ist wohl anzunehmen, daß bald die ver- einzelten Stimmen, die sich der Clau ßen 'sehen Auffassung noch nicht angeschlossen haben, ver- stummen, und die letzten Widersprüche aufge- klärt sein werden. Das ist um so wahrscheinlicher, als man dann die Ascomyceten in vollständige Paralle zu den Basidiomyceten stellen kann, bei denen ein in zwei Phasen zerlegter Sexualakt, der durch konjugierte Teilungen getrennt ist, teil- weise schon länger bekannt, teilweise in der letzten Zeit aufgedeckt ist. Von den Ustilagineen, den Brandpilzen, wußte man schon länger, daß die jungen Brandsporen ') Schikorra, W. Über die Entwicldungsgeschichte von Monascus. Zeitschr. f. Bot. 1, 1909, 379 — 410. ■-) Faull, I. H. The cytology of Laboulbenia chaeto- phora aud L. Gyrinidarum. Ann. of Bot. 26 1912, 32^. / t^f /'*© t' Fig. loa — k. Ustilago Nach ') Rawitscher, 1' lagineen. Zeitschr. f. Bot. Maydis. Ra wi ts . Beiträs 4, 1912, Entwickln ch k. ng der Sporen. zur Kenntnis der Usti- 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 3 Die Entwicklungsgeschichte der Brandpilze ist sehr einfach. Bei Ustilago Maydis z. B. bildet die keimende Spore ein kleines Mycel, das nach und nach in lauter einkernige Stückchen zerfällt, die sogenannten Sporidien (s. Fig. 15). Wenn diese Sporidien durcli den Wind mit jungen Maispflanzen in Berührung kommen, so wachsen sie zu Hyphen aus, die in das Gewebe der Wirtspflanzen eindringen. Hier verzweigen und teilen sie sich, so daß bald ganze Nester von Pilzhyphen entstehen. Diese werden aus lauter einzelnen Zellen gebildet, die durch dicke Gallertschichten voneinander getrennt sind und wie die Sporidien je einen Kern enthalten (Fig. i6a). Nach einiger Zeit legen sich je zwei Hyphenzellen Ende an Ende dicht aneinander (Fig. i6b). Die benachbarten Enden schwellen an (Fig. l6c) während die trennende Zelhvand dünner wird (Fig. i6d). Schließlich verschwindet die Zellwand vollständig, die Kerne rücken beide in die Mitte des kopulierenden Zellgebildes, das hier an Größe zunimmt, während die beiden Schen- kel der Figur dünner werden (Fig. 16 e). Auf diese Weise entsteht aus zwei einkernigen eine zweikernige Zelle. Diese Gebilde können sich ent- weder sofort abrunden und zu Sporen heran- wachsen, oder sie wachsen unter konjugierenden Kernteilungen zu kurzen Hyphen aus. Das zeigen Fig. 16 f und g. Die kopulierenden Zellen sind dann bis auf die kurzen Schenkel am Grunde der H)-phe verschwunden. Durch Zerlegung entstehen auch aus ihr zweikernige Zellen (Fig. i6h). Sie runden sich ab und werden größer, während die beiden Kerne miteinander verschmelzen (Fig i6i). Nach Ausbildung einer derben stacheligen Mem- bran sind sie zu reifen einkernigen Sporen ge- worden (Fig. ir>k), die als schwarzes Pulver die Brandbeulen erfüllen. Damit ist der Lebenslauf des Maisbrandes abgeschlossen. bilden zwei aneinander stoßende Zellen an der sie trennenden Querwand je einen Fortsatz (Fig. 17 a). Zwischen den beiden Fortsätzen wird die Zellwand aufgelöst und der Kern der einen Zelle wandert in die Nachbarzelle über (Fig. 17b und c). Die nunmehr zvveikernige Zelle wächst dann mit kon- jugierten Kernteilungen weiter. Die Sporidien kopulieren paarweise miteinander, und auch dabei wandert der Kern der einen Sporidie in die andere über, aus der dann ein Mycel mit Paarkernen ent- steht. P"ig. icS gibt einige Stadien davon wieder. Die Kernverschmelzung erfolgt auch bei Ustilago Carbo erst in der reifenden Spore. Die Chromo- somenreduktion erfolgt wahrscheinlich bei den ersten Teilungen der Keimung. Man hat sie aber bisher noch nicht verfolgen können. tig. i-a — c. Ustilago Carfco. Keimende Sporen mit liopuliercnden Zellen. Nach Rawitscher. Bei dieser Art ist also der zweikernige Zu- stand auf wenige, häufig sogar auf eine einzige Zelle beschränkt. Es gibt aber andere, wie Usti- lago Carbo, wo schon die aus der keimenden Spore hervorwachsende Hyphc oder kopulierende Sporidien die Kerni:>aare bilden, so daß dann das ganze vegetative Mycel zweikernig ist. Wie dies vor sich geht zeigen die Figuren 17 und 18. Der Keimschlauch hat zunächst einkernige Zellen, dann l'ig. 18. Ustilago Carbo. Kopulierende Sporidien. Nach Rawitscher. l'ig. 19- Phragmidium speciosum. I-.ntwicklun< Acidiosporen. Nach Christman. Bei den Ustilagineen ist demnach die Dauer des Sexualaktes sehr schwankend: Während bei Ustilago Carbo Konjugation und Kopulation der Kerne durch alle konjugierten Kernteilungen im vegetativen Mycel getrennt sind, vollziehen sich die beiden Phasen bei Ustilago Maydis häufig in ein und derselben Zelle. Bei den Uredineen oder Rostpilzen, zu denen wir uns jetzt wenden, sind diese Verhältnisse ebenso festgelegt, wie bei den Ascomyceten. p^ür die Rostpilze sind die konjugierten Kern- teilungen schon seit dem Jahre 1895 bekannt, wo Poirault und Raciborski') diese inter- ') Poirault et Raciborski. Les phenonunes de karyokincse dans Ics Uredinces. Compt. rend. 1S95, 121, i;. N. F. XIV. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 39 essante Erscheinung zum überhaupt wohl ersten Male beschrieben. Die Entstehung der Kernpaare und ihre schließliche Verschmelzung ist aber erst zehn Jahre später durch Blackman'-) und vor allem Christman'*) aufgedeckt. Nach ihnen findet man, wenn die bekannten Rostpusteln, die sogenannten Äcidien, angelegt werden, im Gewebe der infizierten Blätter ein Knäuel von Hyphen, die sich bald alle senkrecht nach der Blattober- fläche wenden (s. Fig. 19 AI Diese Hyphenzellen sind sämtlich einkernig. Sie teilen sich in eine obere sterile und eine untere fertile (Mg. 19 B). Die kleine sterile Zelle degeneriert sehr bald (Fig. 19 B) und löst sich darauf ab. Die fertilen dagegen mutterzelle. Das heißt, ehe sie zur Äcidiospore wird, schneidet sie noch einmal eine kleine sterile Zwischenzelle ab, die bald zugrunde geht (s. Fig. igFzj u. z., ). Die Äcidiospore rundet sich dann ab, bekommt eine dicke Membran und wird allmählich reif, aber ihre beiden Kerne bleiben immer ohne Kopulation nebeneinander liegen. Indessen hat sich das Kernpaar in der Fußzelle mehrfach weiter geteilt und in Fig. 19F zwei neue Mutterzellen abgeschnürt, von denen a., auch schon die Zwischenzelle z„ gebildet hat. Diese Tätigkeit setzt das basale Kernpaar fort, solange das Acidium Sporen erzeugt. Es werden also in dem Maße, in dem oben der Wind die reifen Äcidiosporen fortführt, von unten neue nachgeschoben. Die Äcidiosporen können neue Wirtspflanzen infizieren, in denen sie ein Mycel erzeugen, das lauter zweikernige Zellen enthält. Dieses Mycel bildet im Herbst Dauersporen, die die Fähigkeit haben , den Winter zu überleben. ^ Fig. 20. Puccinia podo- pliylli. Entwicklung der TL-leutosporen. Nach C h r i s t m a n. Fig. 21. Gymnosporangium clavariac- forme. Keimende Teleutospore. In den linken Keimschlauch wandert der Kern gerade ein , im rechten befindet er sich schon in Teilung. Nach Blackman. Fig. 22 a u. b. Phragmidium violaceum. Bildung der Basidiosporen durch den aus der Teleutospore ent- standenen Keimschlauch. Nach Blackman. legen sich paarweise aneinander, worauf die obere Hälfte der Berührungswand aufgelöst wird (Fig. 19C). Dadurch verschmelzen die Plasmaleiber der beiden Zellen, aber nicht ihre Kerne. Diese treten viel- mehr jetzt in konjugierte Teilungen ein, während die durch die Plasmogamie verdoppelte Hyphe senkrecht nach oben weiter wächst (Fig. 19 D). Von den beiden Kernpaaren bleibt das eine in den I'^ußteilen der Doppelhyphe liegen, das andere dagegen wird durch eine Wand von der Fußzelle abgetrennt (s. Fig. 19 D und E). Diese dadurch entstandene neue Zelle ist eine jicidiosporen- ■^) Blackman, V. H. On the fertilization , alternation of generations and general cytology of the Lridincae. Ann. of Bot. 18, 1914, 323—373. ■') Christman, A. H. Sexual reproduction in the rusts. Bot. Gazette, 39, 1905, 267—274. In diesen, den sog. Teleutosporen, erfolgt endlich die Karyogamie. Das wird durch Fig. 20 ver- anschaulicht. Von unten konmit eine Hyphe mit zweikernigen Zellen , die sich in drei Äste teilt. Den linken bilden zwei Zellen mit je zwei Kernen im Ruhezustand; der mittelste ist im Entstehen begriffen und es erfolgt gerade die Kernteilung, die das für ihn bestimmte Paar liefert ; der rechte endlich hat oben schon eine zweizeilige Teleuto- spore gebildet, in deren oberster Zelle die Kern- verschmclzung vollzogen ist. Wenn dies auch in der unteren Zelle geschehen ist, so fällt die Te- leutospore ab und überdauert in diesem Zustande den Winter. Die Chromosomenreduktion erfolgt erst im nächsten Frühjahr, wenn die Teleutospore keimt. Dann wächst aus jeder ihrer Zellen eine Hyphe hervor, in die der Kopulationskern ein- 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIY. Nr. 3 wandert (s. ¥ig. 21). Hier erfolgt durch zwei Teilungen die Reduktion. Die vier Enkelkerne mit einfacher Chromosomenzahl werden durch VVandbildung v-oneinander getrennt. Jede von den so entstandenen vier Zellen bildet in der Weise, wie es die Fig. 22 a u.b besser als eine Beschrei- bung veranschaulicht, eine Basidiospore. Diese ist imstande neue Infektionen hervorzurufen. Wenn das junge einkernige Mycel dann wieder zur Bildung von Äcidien schreitet, so ist der Kreislauf geschlossen. haben , daß beim Sexualakt der Rostpilze die beiden Phasen der Kern-Konjugation und -Kopu- lation nicht nur räumlich durch zahlreiche Zell- generationen, sondern auch zeitlich durch die ganzen Sommermonate getrennt sind. Ganz im Gegensatz zu den Uredineen zeigt die letzte Gruppe, die wir zu behandeln haben, die Autobasidiomyceten , zu denen die Hutpilze gehören , einen verhältnismäßig einfachen Ent- wicklungsgang. Auch hier ist schon seit fast zwei Jahrzehnten bekannt, daß große Teile des i. k. 1. Fig. 23. Ilypoch.Tus terrcstris. .V — H. Kntwicklung der B.isidiosporeii. I — L. KntwicUlung des Mycels. Nacli K n i c p. Der Entwicklungsgang der Uredineen wird M)-cels konjugierte Kernpaare enthalten und daß durch mehrere Nebenfruchtformen und den Um- in der Basidie eine Kernverschmelzung erfolgt, stand, daß die verschiedenen Fruchtformen einer aber erst eine Arbeit von Kniep^) aus dem Art oft an verschiedene Wirte gebunden sind, noch kompliziert. Darauf brauchen wir hier aber ■) Kniep, H. Beiträge zur Kenntnis der Ilymenomy- nicht einzugehen; uns genügt es festgestellt zu ccten I, 11. /.eitschr. f. Bot. 6, 1913, 593—637. N. F. XIV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 41 Jahre 1913 hat die Verhältnisse völlig aufgeklärt. Nach ihm findet man bei Hypochnus terrestris in der jungen Basidie zwei Kerne, die dann ver- schmelzen (s. Fig. 23 A, B u. C). Es erfolgt durch zwei Kernteilungen sofort die Reduktion, so daß dann vier Kerne mit einfacher Chromosomenzahl in der Basidie liegen. Dies zeigt Fig. 2t, D, in der man gleichzeitig sieht, daß sich an der Spitze kleine Auswüchse bilden. Sie erzeugen vier Basidiosporen, in die die vier Kerne einwandern (s. Fig. 23 E u. F). Dort angekommen, teilt sich jeder Kern sofort wieder in zwei (Fig. 23 G u. H). Darauf fällt die Basidiospore ab und kann sofort wieder keimen (Fig. 23 I). Das in der Spore durch Teilung entstandene Kernpaar teilt sich fortan, konjugiert weiter (Fig. 23 K), und das ganze Mycel besteht dann aus zweikernigen Zellen, bis schließlich in der Basidie ; die ^Deszendenten des ursprünglich in der Basidiospore entstandenen Kernpaares wieder verschmelzen. ^m:s^ Gewebe paarkernig. Aber auch hier entstehen die Kernpaare nicht durch Konjugation aus zwei verschiedenen Zellen, sondern durch einfache Teilung, um später in der Basidie wieder zu ver- schmelzen. X- Fig. 2C,. Coprinus nycthemcrus. Einzellige Fruchtkörper- anlage. Nach Knie p. Es scheint also bei den Autobasidiomyceten all- gemein so zu sein , daß Geschwisterkerne wieder miteinander kopulieren. Können wir das nun überhaupt noch als einen Sexualakt bezeichnen ? Bei Beantwortung dieser Frage muß in Betracht gezogen werden, daß wir heute den Begriff der Befruchtung viel weiter fassen als früher. Man unterscheidet nach Hartmann ^): Fig. 24. Coprinus nycthemerus. Keimling aus einer Basidiospore. Nach Kniep. Das Eigentümliche bei diesem Entwicklungs- gang ist, daß nirgends eine Zellverschmelzung eintritt. Nun ist Hypochnus ein sehr einfach gebauter Pilz mit wenig differenziertem Frucht- körper. Kniep hat deshalb , in der Hoffnung bei höher organisierten Formen vielleicht Se- xualorgane zu finden, noch einen typischen Hut- pilz Coprinus nycthemerus untersucht. Bei dieser Form bleibt die Spore einkernig und erzeugt ein vegetatives Mycel mit meistens einkernigen Zellen (s. Fig. 24). Wenn dieses zur Fruchtkörperbildung schreitet, so bilden sich Seitenäste, die durch ihren starken Plasmagehalt von Anfang an als Frucht- körperanlagen charakterisiert sind (s. Fig. 25 u. 26). Sie sind wie das ganze aus ihnen entstandene Fig. 26. Coprinus nycthemerus. Zweizeilige Fruchtkörper- anlage. Nach Knie p. I. Die Amphimixis, die normale Art der ge- schlechtlichen Fortpflanzung, bei der der Sexual- akt sich zwischen zwei verschiedenen Individuen abspielt. II. Die Automixis. „Unter automiktischer Be- fruchtung verstehen wir alle Fälle von Selbst- befruchtung, also sowohl solche, die sich an Zell- ^) Hartmann, M. ^ Autogamie bei Protisten und ihre Bedeutung für das Befruchtungsproblem. Jena 1909. Dort auch die in Frage kommende Literatur. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 3 Individuen resp. Gameten abspielen , die direkt von denselben resp. Individuen abstammen, als auch solche, die an den Kernen einer einzigen Zelle vor sich gehen." III. Die Apomixis, d. h. ,,den vollen Verlust der Befruchtung und die Fortpflanzung eines Geschlechtsindividuums (Gamont, Gametophyt) durch Zellen ohne Zell- und Kernverschmelzung". Wenn man die von uns geschilderten Sexual- vorgänge unter diese Rubriken zu bringen sucht, so wird man finden, daß höchstens die Befruch- tung von Ustilago Maydis (s. Fig. i6) unter den Begriff der Amphimixis zu rechnen ist. Alle an- deren sind Fälle von konstanter Selbstbefruchtung. Im übrigen ist der Grad der Sexualität ein sehr verschiedener: Pyronema wird niemand typische Sexual Organe absprechen wollen, bei den Ure- dineen können sich in der Beziehung schon Zweifel regen und bei den Autobasidiomyceten ist nichts mehr von ihnen zu finden. Trotzdem ist Sexualität sicher bei allen vorhanden, besteht doch das Wesen der Befruchtung in der Ver- schmelzung zweier Kerne mit nachfolgender Re- duktion des Kopulationskernes durch Kernteilung (Hart mann 1. c. S. 57). Diese Definition trifft für alle bei den höheren Pilzen bekannt gewordenen Sexualvorgänge zu. Eine ganz andere Frage ist, ob wir die Sexua- lität heute schon kausal erklären können. Solange man die Amphimixis als die einzig normale Art der Befruchtung betrachtete, sah man die Be- deutung des Sexualaktes in der damit verbundenen Oualitätenmischung, der eine große Wichtigkeit für die Entwicklung der Art und für die Ver- erbung zugesprochen wurde. Seitdem aber die weite Verbreitung der Automixis erkannt ist, muß man die Bedeutung der Befruchtung in an- derer Richtung suchen. Den Weg zur Lösung dieses Problems haben wahrscheinlich Bütschli und später S c h a u d i n n gezeigt. Sie verwerfen die Ansicht, daß der Sexualakt nötig ist, um hin und wieder eine Art „Blutauffrischung" zu be- wirken. Sie meinen vielmehr, daß bei fortgesetzter Kernteilung die Abkömmlinge schließlich ungleich werden müssen, und daß deshalb der Sexualakt eingreifen muß, um durch den Ausgleich der Ex- treme den Normalzustand wieder herzustellen. Diese Hypothese ist geeignet, auch viele von den Fällen reduzierter Sexualität bei den Pilzen verständlich zu machen, sind doch Geschlechts- organe entbehrlich, wenn es nur darauf ankommt, daß überhaupt Kerne verschmelzen, und weniger darauf, daß sie von verschiedenen Individuen stammen. . Warum dann aber die Kernkopulation durch die voraufgehenden konjugierten Teilungen so sehr kompliziert ist, dürfte schwer zu erklären sein. Tatsache ist, daß die verzögerte Sexual- kernverschmelzung auch unter den Protisten ') vor- kommt, und daß durch Hacker'-) sogar ein Beispiel aus dem höheren Tierreich bekannt ge- worden ist, wo sich im befruchteten Ei die männ- lichen und weiblichen Kernelemente nur aneinander legen und ihre Autonomie in der ganzen Keim- bahn erhalten. Erst kurz vor der Bildung der neuen Keimzellen erfolgt die Vereinigung je eines väterlichen und mütterlichen Chromosoms. Die Erscheinung ist also wahrscheinlich weiter ver- breitet als bisher bekannt wurde. Vielleicht, daß sich in dem regelmäßigem Abwechseln der kon- jugierten und einfachen Kernteilungsfolgen ein reduzierter Generationswechsel ausprägt. Wenn diese Ansicht auch heute unter den Botanikern weit verbreitet ist, so stehen ihr, wie erst kürz- lich Hart mann'') auseinandergesetzt hat, ge- wichtige Bedenken entgegen. Wir können uns hier in diese Probleme nicht zu weit verlieren. Uns muß es genügen, daß wir den Sexualprozeß bei allen Gruppen der höheren Pilze konstatiert haben. Er beginnt in dem Augenblicke, wo zwei Kerne in derartig enge Verbindung treten, daß sie sich fortan nur noch gleichzeitig teilen, wobei dann ihre Teilprodukte immer paarweise beieinander bleiben. Mit der schließlichen Verschmelzung erreicht der Sexual- akt sein Ende. Dies erfolgt bei den Ascomyceten im Ascus, bei den Ustilagineen in der Brand- sjjore, bei den Uredineen in der Teleutospore und bei den Autobasidiomyceten in der Basidie. Die ersten auf die Verschmelzung folgenden Teilungen bewirken bei allen Gruppen die Chromosomen- reduktion. Ascus, Brandspore, Teleutospore und Basidie sind deshalb als homologe Organe anzu- sehen, das ist die wichtige Erkenntnis, die die neuere Pilzforschung zutage gefördert hat, sie wird fortan den sicheren .Ausgangspunkt für alle phylogenetischen Spekulationen bilden. ') Hart mann, M. u. Nägler, K. Kopulation bei Amoeba diploidea mit selbständigbleibender Gametenkerne während des ganzen Lebenszyklus. Sitzungsber. d. Ges. naturf. Freunde. Berlin 190S. -) Hacker, V. Über das Schicksal der elterlichen und gn)ßelterlichcn Kernanteile. Jenaische Zeitsch. f. Naturwiss. 37, igo2, N. F. 30, 373 ff. '] Hart mann, M. Der Generationswechsel der Protisten und sein Zusammenhang mit dem Reduktions- und Befruchtungs- problem. Verh. d. Deutsch. Zool. Gesellsch. Jahresversammlg. 1914. Meiiders Yererlmugsregelu [N.nchilruck verboten.] Von H. Fehlinger, München. Gregor Johann Mendel führte seine Unter- vorigen Jahrhundets aus suchungen über die Regelmäßigkeiten der Ver- erbung zu Anfang der sechziger Jahre des Seine Iirgebnisse wurden 1865 und 1869 in den Verhandlungen des natur- forschenden Vereins zu Brunn (Mähren) veröffent- N. F. XIV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 43 licht, doch blieben sie unbeachtet, bis im Jahre 1900 die Botaniker deVries.Correns und Tschermak fast gleichzeitig und voneinander unab- hängig auf diese Ergebnisse geführt wurden und ihre Wichtigkeit erkannten. Um die Entdeckung der Vererbungsgesetze hatten sich außer M e n d e 1 schon manche Forscher bemüht, die aber zu keinen positiven Resultaten kamen, weil sie immer das Individuum als Ein- heit betrachteten und damit zu dem Glauben ge- führt wurden, Bastarde oder Mischlinge seien ge- wöhnlich Mitteiformen der elterlichen Formen. Von der gebräuchlichen Methode abweichend be- trachtete Mendel die Vererbung jedes einzel- nen Merkmals für sich ; auch hielt er bei seinen Untersuchungen die Nachkommenschaft verschiedener Eltern und die einzelnen Nach- kommengenerationen auseinander. Diese Methode führte ihn zum Erfolg. Mendel's wichtigste Untersuchungen wurden mit Erbsen (Pisum sativum) angestellt, die sich in gewissen Merkmalen deutlich unterscheiden, welche ohne Bildung von Zwischenformen vererbt werden. Nehmen wir den Höhenwuchs der Pflanze als Beispiel an. Manche Varietäten der Erbse werden bis zu 2 m hoch, während andere eine Höhe von nur etwa 50 — 60 cm erreichen. Die Höhe beider Varietäten schwankt wohl von Pflanze zu Pflanze, aber die kleinsten Exem- plare der einen Varietät sind höher als die größten Exemplare der anderen. Wenn die beiden Varietäten gekreuzt werden, so geht daraus nicht etwa eine mittelgroße Zwischenform hervor, sondern die Kreuzungsprodukte sind alle groß. Werden nun diese großwüchsigen Bastarde (die erste Tochtergeneration oder F i) durch Selbstbefruchtung fortgepflanzt, so befinden sich unter ihren Nachkommen (der zweiten Tochter- generation oder F 2) sowohl groß- wie klein- wüchsige Exemplare. Die Auszählung derselben ergab ein bestimmtes Verhältnis : die großwüchsigen bilden nämlich drei Viertel und die kleinen ein Viertel der Gesamtzahl. Werden die klein- wüchsigen Pflanzen der zweiten Tochtergeneration abermals durch Selbstbefruchtung fortgepflanzt, so ist der Nachwuchs ohne Ausnahme klein- wüchsig. Anders verhält es sich bei den groß- wüchsigen Exemiilaren der zweiten Tochter- generation. Ein Teil von ihnen ergibt bei P"ort- pflanzung durch Selbstbefruchtung ausnahmslos großwüchsige Nachkommen, und es hat sich ge- zeigt, daß diese reinzüchtenden großwüchsigen Exemplare ein Viertel aller Individuen der zweiten Tochtergeneration bilden. Die restlichen zwei Viertel ergeben bei derselben Fortpflanzungsweise wieder sowohl groß- wie kleinwüchsige Nach- kommen, und zwar treffen wieder je drei große Exemplare auf ein kleines und dieselben Verhält- nisse kehren wieder, so oft die Bastarde durch Selbstbefruchtung fortgepflanzt werden. Das Verhalten der groß- und kleinwüchsigen Erbsen bei der Kreuzung wird durch folgende Darstellung anschaulich gemacht: Elterngeiieration 1. Tochtergeneration _ 2. Tochtergeneration G GXK G "I \ 1 GK GK K I 1 1 I 11^'' 3. Tochtergeneralion G G GK GK K G GK GK K K G bezeichnet dabei re inzüchtende groß- wüchsige und K reinzüchtende kleinwüchsige Exemplare, GK bezeichnet Bastarde, welche beide Anlagen besitzen, aber es tritt bei ihnen nur die eine Anlage, die für Großwuchs, zum Vorschein. Wegen des Umstandes, daß in dem gewählten Beispiel das Merkmal Großwuchs bei den Bastarden der ersten Tochtergeneration erscheint, die ent- gegengesetzte Anlage für den Wuchs (für Klein- heft) aber verborgen bleibt, um jedoch in späteren Generationen wieder zum Vorschein zu kommen, nannte Mendel die Großwüchsigkeit eine d omi- nante, die Kleinwüchsigkeit aber eine rezessive Eigenschaft. Die Regel, die hier veranschaulicht wurde, ist die D o m i n a n z r e g e 1 ; sie trifft zu hinsichtlich vieler Eigenschaften der Pflanzen und Tiere, ein- schließlich des Menschen, aber doch nicht hin- sichtlich aller Eigenschaften. Bei der Kreuzung von Individtien, die in einem bestimmten Körpermerkmal deutlich voneinander unterschieden sind, können durch Kreuzung auch Zwischen formen erzeugt werden; es können beispielsweise bei der Kreuzung gewisser Pflanzen- arten mit teils roten und teils weißen Blüten Bastarde mit rot-weiß gefleckten oder rosafarbigen Blüten entstehen. In solchen Fällen ergab die Beobachtung, daß bei der Kreuzung von Rot und Weiß in deV ersten Tochtergeneration alle Exem- plare gefleckt sind. In der zweiten Tochter- generation sind je ein Viertel der Exemplare wieder rot und weiß, die Hälfte aber ist gefleckt. Die roten und weißen Exemplare der zweiten Tochtergeneration züchten unter sich rein. Von den Nachkommen der gefleckten Exemplare dieser Generation sind abermals je ein Viertel rot, ein Viertel weiß und die Hälfte gefleckt. Mit diesen beiden Beispielen haben wir bereits eine zweite Mendel'sche Regel kennen gelernt, nämlich die Spaltungsregel, die darin be- steht, daß Anlagenpaare (wie die für Groß- und Kleinwuchs, oder für rote und weiße Blütenfarbe), die sich bei der Entstehung des Bastards _ ver- einigt hatten, sich in seinen Keimzellen wieder trennen, so daß bei den Nachkommen von Domi- nanzbastarden die bei diesen selbst verborgenen rezessiven Eigenschaften, oder bei Zwischenform- bastarden die reinen elterlichen Eigenschaften, wieder erscheinen. Spaltung scheint ganz all- gemein zu sein und auch in allen P'ällen zu er- folgen, in welchen Dominanz einer Anlage über eine korrespondierende andere nicht vorkommt. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. Wir haben gesehen, daß \on den Nachkommen der Bastarde manche nur die Anlage zu dem Merkmal der einen vorelterlichen Seite besitzen : sie bei Selbstbefruchtung oder bei Züchtung untereinander reinzüchtend. Man nennt die reinzüchtenden Individuen Homozygoten; die Bastarde jedoch, die ver- schiedene Anlagen für ein und dasselbe Merkmal in ihren Keimzellen enthalten, werden Heterozygoten genannt. Rezessive Merkmale sind immer reinzüchtend oder homozygot. Bei der Nachkommenschaft von Bastarden können sie nur dann zum Hervor- treten gebracht werden, wenn bei keinem der sich kreuzenden Individuen die dominante Anlage für das betreftende Merkmal vorhanden ist. Von besonderem Interesse ist die numeri- sche Häufigkeit, in welcher die vorelterlichen Merkmale bei den Nachkommen von Bastarden wieder erscheinen. In dem angeführten Fall der groß- und klein- wüchsigen Erbsen, wo von zwei Anlagen für ein Merkmal fden Wuchs) die eine durch die andere ver- deckt wird (oder rezessiv ist), ist das zum Ausdruck kommende numerische Verhältnis bei der zweiten 'I'ochtergeneration, und bei den Nachkommen von Bastarden späterer Generationen, wie 3 zu i, es treffen 3 große Exemplare auf ein kleines Exem- plar; in dem Fall der Kreuzung roter und weißer Blüten, wobei kein Merkmal dominiert, ergeben jedoch die spaltenden Bastarde ein numerisches Verhältnis der verschiedenen Nachkommen, das wie 1:2:1 ist (i rotes Exemplar, 2 gefleckte Exemplare, i weißes Exemplar). Im Grunde halten sich in beiden Fällen die zwei verschiedenen Eigen- schaften das Gleichgewicht, da bei Dominanz in den Bastarden (Heterozygoten) die Anlage für das rezessive Merkmal genau so vertreten ist, wie die für das dominante Merkmal. Wo Dominanz nicht besteht, ist das Gleichgewicht der konkurrierenden Anlagen noch deutlicher. VVenn Bastarde (Heterozygoten) mit einer der reinen elterlichen Formen rückgekreuzt werden, so wird die dominante Eigenschaft bei allen Nachkommen hervortreten, falls die Rückkreuzung mit einem durch diese Eigenschaft ausgezeichneten Exemplar erfolgt. Wird dagegen der Heterozygot mit einem Exemplar gekreuzt, das nur die Anlage zu der rezessiven Eigenschaft besitzt, so gibt es zwei Möglichkeiten: Es trifft entweder die domi- nante oder die rezessive Eigenschaft des Bastards mit der einen (rezessiven) Eigenschaft des Gegen- part zusammen, die Hälfte der Nachkommen er- hält also das eine (dominante), die andere Hälfte das andere (rezessive) Merkmal, nur daß die Indi- viduen, die das dominante Merkmal tragen, nicht reinzüchtend, sondern wieder Bastarde sind. Werden intermediäre Bastarde, die eine Zwi- schenform der elterlichen Formen darstellen, mit den reinen elterlichen Formen rückgekreuzt, so sind von den Nachkommen in jedem Fall die Hälfte wieder intermediäre Bastarde; die andere Hälfte zeigt das Merkmal jener elterlichen h^orm, die zur Rückkreuzung benutzt wurde. Wenn Bastarde mit einer Bevölkerung rück- gekreuzt werden, in welcher die beiden stamm- elterlichen Formen in gleicher Individuenzahl ver- treten sind, so erscheinen bei den Nachkommen die konkurrierenden Merkmale in demselben Ver- hältnis, wie bei der Kreuzung von Bastarden untereinander: Es kommen 3 Individuen, die das dominante Merkmal zeigen, auf i Individuum mit dem rezessiven Merkmal. Besteht die Wahr- scheinlichkeit, daß bei der Fortpflanzung Bastarde untereinander, sowie Bastarde mit jeder vorelter- lichen Form , g 1 e i c h h ä u f i g zusammentreffen, so ergibt sich folgendes Verhältnis der Nach- kommen : Dominante Rezessive von je 100 i) Bastard >x Bastard 75 25 2) Bastard >< dominante Elternform 100 — 3) Bastard X rezessive Elternform 50 50 -^25 75 Das Übergewicht des dominanten Merkmals wird in solchen Fällen bestehen bleiben. Doch ist stets zu beachten, daß in der Natur (oder bei sog. Ramschkultur) die Frequenz einerseits der dominanten und andererseits der rezessiven Merkmale vor allem davon abhängt, wie zahlreich jede der reinen elterlichen Formen, sowie die Bastarde, unter einer Bevölkerung vertreten sind. Darauf scheint nicht immer Be- dacht genommen zu werden, wie z. B. aus dem Disput von Kammerer und Schallmayer über Rudolf Goldscheid's „Höherentwicklung und Menschenökonomie" hervorgeht (vgl. „Höher- entwicklung und Biologie". Archiv für Rassen- und Gesellsch.-Biol., 1914, S. 222 u. ff.). Es ist ganz und gar haltlos, wenn Kammerer sagt, daß bei Naturzüchtung selbstverständlich die dominanten Merkmale von Generation zu Generation zunehmen müssen. Das tritt nicht immer ein, sondern bloß unter bestimmten Verhältnissen. Pflanzen sichBastarde untereinander fort, so ist die relative Zahl der Individuen jeder der beiden elterlichen Formen und der Bastard- form von der zweiten Tochtergeneration an wie folgt. (D = dominant, R = rezessiv.) 2. Tochtergenerat.: i D, 2 Bastarde, i R. 3. „ - 6 D, 4 „ 6 R. 4. „ 28 D, 8 „ 28 R. 5. „ 120 D, 16 „ I20 R. Der .Anteil der das dominante und der das rezessive Merkmal reinzüchtend aufweisenden Individuen nimmt mit jeder Generation zu, bis solche Individuen fast allein und gleich zahlreich vertreten sind. Die Spaltung führt so auf die reinen Vorfahrenformen zurück. \. F. XIV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 45 In der Praxis ergeben sich bei den Spaltungen in der zweiten und folgenden Tochtergeneration iift Abweichungen von den theoretisch zu erwarten- ilcii Zahlenverhältnissen der einzelnen Formen. Solche Abweichungen sind, wie Correns und andere Mendelianer überstimmend sagen, unzweifel- haft bloß auf nachträgliche Einflüsse zurück- j zuführen. Es kann sein, daß die eine Art von Keimzellen anders betroffen wird als die andere, sei es, daß die einen schon während ihrer Reifung weniger widerstandsfähig sind, sei es, daß die ver- schiedenen Kombinationen der Keimzellen ungleich leicht gelingen. Es kann auch sein, daß die Embryonen, oder schließlich selbst die Keim- pflanzen, solchen nachträglichen Einflüssen gegen- über ungleich widerstandsfähig sind. Was in der Natur durch uns noch zumeist unbekannte Ein- flüsse geschieht, wird später wohl auch durch ge- wisse künstliche Eingrifi"e zu erzielen möglich sein. Schon bei dem jetzigen Stande der Kenntnis können rezessive Eigenschaften, wenn sie als unerwünschte gelten, zurückgedrängt werden, indem Kreuzungen der damit behafteten Individuen untereinander vermieden, dagegen Kreuzungen derselben mit solchen Individuen begünstigt werden, aus deren Stammbaum zu erkennen ist, daß sie die Anlage zu dem korrespondierenden dominanten Merkmal rein besitzen. Eine dritte durch M e nd el' s Untersuchungen festgestellte Regel ist die Selbständigkeit der einzelnen Merkmale bei der Vererbung. Gewöhnlich ist nicht ein bestimmtes Merkmal, an ein bestimmtes anderes Merkmal gebunden , es findet keine „harmonische Vererbung" statt. Es kann bei Pflanzen z. B. einmal Großwüchsigkeit mit roter, das anderemal mit weißer Blütenfarbe zusammentreffen. Die Zahl der möglichen Kombi- nationen wächst mit der Zahl der Merkmale , in denen sich miteinander gekreuzte Individuen unter- scheiden. Merkmale, die bei dem einen Nach- kommen aus einer Kreuzung zusammentreffen, brauchen bei seinen Geschwistern nicht ebenfalls zusammenzutreffen, und auch von Generation zu Generation können die einzelnen Merkmale ver- schieden kombiniert sein. Deshalb erscheint es unmöglich, daß neue konstante Rassen aus Kreuzungen hervorgehen. Das gilt auch von den Menschen. Wie Eugen Frischer in seinem anerkennungswerten Werk über die Rehobother Bastarde treffend sagt, mögen bei Mischlingen die arithmetischen Mittel ziffermäßig ausdrückbarer Merkmale in der Mitte der elterlichen Werte liegen, aber die extremen elterlichen Eigenarten treten gleichfalls rein auf Es entsteht also durch die Kreuzung ein buntes Gemische von Rassemerk- malen, das von Individuum zu Individuum ver- schieden ist, nicht aber eine Mischrasse. Einzelberichte. Botanik. Algenkolonien im Dolomit. Durch die Forschungen von E. B a c h mann sind wir über die Kalkflechten unterrichtet, die nicht auf, sondern in dem Kalk- oder Dolomitgestein leben und ent- weder, gänzlich darin versteckt, nur ihre Frucht- körper (Apothecien) an die Oberfläche des Steines senden, oder dort ein Netz von „Deckhyphen" ausbreiten, das als zarter Anflug erscheint. Bei Untersuchungen, die L. Diels am Südfuße des Schiern in Südtirol, vornehmlich an einer fast senkrechten, kahlen Dolomitwand ausgeführt hat, fand er solche Flechten nicht, wohl aber Algen- kolonien, die teils auf, teils in dem Gesteine lebten. Jene, die Ep ilitho]ihy t en , bildeten auf der sonst völlig kahlen Wand die als „Tintenstriche" bezeichneten Vegetationsstreifen, die an der Stelle lagen, wo das Schmelzwasser im F'rühjahr von höheren Punkten herabrinnen mußte oder aus Spalten austreten konnte. Sie bestanden aus An- gehörigen der Schizophyceengattung Gloeocapsa, deren rundliche, mit Gallerthüllen versehene Zellen zu klumpenförmigen Kolonien verbunden sind. Die schwarzvioletten Formen der Sektion Cyanocapsa herrschten vor, doch traten neben ihnen auch stets g:elbe Arten der Sektion Chryso- capsa auf An stärker modellierten Flächen ge- sellten sich Schizophyceen der fadenförmige Kolonien bildenden Gattung Scytonema hinzu. und die Gloeocapsen bildeten dann gewissermaßen den Unterwuchs, blieben aber immer sehr augen- fällig. Neben diesen epilithophytischen Algen leben nun in den feinen Spalten, die den Fels nach allen Richtungen durchziehen, die gleichfalls größtenteils aus Gloeocapsen bestehenden Erd- lithophyten. Abweichend von den endolithi- schen F'lechten entwickeln sich diese Algenkolonien nicht von der Oberfläche aus und bleiben auch nicht mit ihr in Verbindung wie die Kalkflechten zur Zeit der Apothecienreife. Nach Diels' Be- obachtungen geht die Besiedlung des Gesteins- innern durch diese Gloeocapsen von den durch äußere Kräfte, wie thermische Schwankungen, Frost usw., gebildeten feinen Spalten aus; weiter- hin scheinen die Algen selbsttätig diese Spalten in Länge und Breite auszudehnen und auch seit- liche Verzweigungen zu bilden. Entfernt man durch einen Hammerschlag ein Stück (ABCDP^) aus der Gesteinsoberfläche, so erhält man ein Bild, wie es unsere Abbildung schematisch andeutet. Zwischen A und C wie zwischen C und D zieht sich i>arailel zur Oberfläche das lebhaft grüne Band der en- dolithischen Algen. Ihr Wohngebiet liegt in der Regel tiefer als die Gonidienschicht der endolithi- schen Kalkflechten: es beginnt, wenn der F"els außen kahl ist, in einer Tiefe von etwa 4 mm und reicht bis zu 8 mm hinab; ist der Fels nüt 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 3 epilither Vegetation bedeckt," so hegt die endohthe Algenzone höher und kann sich bis zu 2 und I mm der Oberfläche nähern. Neben den Gloeo- capsa-Arten, unter denen eine Form mit dicker Gallerthülle und bläulich grüner Zelle besonders hervortritt, kommt noch eine andere Chroococcacee, Schema eines Stückes der Felsoberfläche, aus dem der Teil A — E durch Haramerschlag entfernt ist, um die Endolithen- bänder zu zeigen. ::::: Oberiläche des Gesteins. ///// Innenflächen, durch den Bruch freigelegt. ^m Endolitlies Algenband. Aphanothece, ferner eine nicht bestimmte Grün- alge und endlich die auch zu den Chlorophyceen gehörige orangefarbene Trentepohlia aurea in der endolithen Pflanzenformation vor. Die Gattung Trentepohlia ist als flechtenbildend bekannt. Auch das Geflecht der Trentepohliafäden im Dolomit, das von den Gloeocapsakolonien eingehüllt ist, bietet ein geeignetes Substrat für eindringende Pilzfäden, so daß sich Anfänge von Flechtenbildung beobachten lassen. Die I'ilzfäden legen sich vielfach dicht an die Trentepohliafäden an, aber die Alge ist noch durchaus das Gestaltbestimmetide: ihre wachsenden Fadenenden eilen dem Pilzgeflecht voran. Mit den Gloeocapsen finden sich noch einige andere Schizophyceen vergesellschaftet. Die endolithischc Vegetation wird hauptsächlich durch die verhältnismäßig große Durchsichtigkeit des Schlern-Dolomits ermöglicht, der genügetid Licht durchläßt, damit die Algen assimilieren können. Nach innen nimmt die Durchlässigkeit offenbar schnell ab, und deshalb bleiben die Endolithen auf eine schmale, nach inneti scharf begrenzte Zone beschränkt. Nach den Bestim- mungen von K. Stuchtey dringen hauptsächlich rote und gelbe .Strahlen in das Gestein ein ; auch sie sind freilich in der Endolithenzone stark ge- schwächt, doch ist wenigstens für die Schizo- phyceen festgestellt, daß sie noch bei minimalen Lichtmengen zu assimilieren vermögen. Den StickstofTbedarf decken die Algen vielleicht mit den geringen IVlengen von Ammoniak und Salpeter- säure, die ihnen der Nebel aus der Luft zuführt, — falls die .Schizophyceen nicht doch, was ja be- hauptet, aber auch bestritten worden ist, den Luftstickstoff zu assimilieren vermögen. Auch das Vorhandensein nitrifizierender Bakterien im Gestein (IVlüntz) könnte für die Stickstoffernährung der Algen in Betracht kommen, was aber Di eis für die Endolithen des Schlern-Dolomits nicht als walirscheinlich betrachtet. Die Algenbänder durch- " klüften das Gestein und schaffen immer neuen Raum für weiteres Wachstum ; die älteren, dichten Partien üben dabei eine Keihvirkung aus, die jüngsten sind als Spitzen der Keile nur ganz dünn und erscheinen als schwach grüner Schimmer. An einem Dolomit-Stück, das im Marburger Institut unter einer feuchten Glocke lag, wuchsen die Endolithen weiter und brachten im Zeitraum von 4 Wochen eine Haarspalte zum Klaffen, von der vorher nichts zu sehen gewesen war. Durch das Wachsen und Drängen der Algenkolonien in Ver- bindung mit dem Wechsel der Temperatur und der Feuchtigkeit und chemischen Wirkungen wird allmählich eine Zerstörung des Gesteins herbei- geführt. Die epi- und endolithischen Algenvege- tationen wurden überall an den südlichen Abhängen des Schiernmassivs angetroffen und noch in einer Höhe von 2G50 m beobachtet; ihre stärkste Ent- wicklung scheinen sie zwischen i 500 und 2000 m zu haben. Flechten fanden sich indessen dort nur in sehr geringer Zahl vor; hauptsächlich wohl infolge der senkrechten Lage der Wände, die eine kräftigere Benetzung unmöglich macht. Endolithischc Algenkolonien, z. T. von ähnlicher Zusammensetzung wie im Schlern-Dolomit, fand Di eis auch an zwei von K. Andree für ihn aus Kanada mitgebrachten Kalksteinstücken (Be- richte der Deutschen Botanischen Gesellschaft Bd. 32, 1914, H. 7, S. 502 — 525). F. Moewes. Physiologie. In einer früheren Mitteilung war über die Ausfallerscheinungen berichtet, welche die experimentelle Entfernung der Thymus und der Epiph\-se bei Batrachierlarven zur Folge hat. Von den Ausfallerscheinungen nach der Ex- stirpation einer anderen endokrinen Drüse, der Nebenniere, bei Kaltblütern berichten O. Loewi und W. Gettwert (Über die Folgen der Neben- nierexstirpation. I. iVIitteilung. Untersuchung am Kaltblüter. Pflüger's Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. Bd. 158, 1914). Es scheint daraus hervorzugehen, daß die Nebennieren außer der sekretorischen Tätigkeit ^) auch eine davon unabhängige entgiftende Leistung haben. Man nahm bisher eine solche an, einmal auf Grund des Symptomenkomplexes, der nach Nebennierenexstirpation auftritt, dann auf Grund der I-'olgen der Übertragung von Blut bzw. Organ- extrakt nehcnnierenloser Tiere auf gesunde bzw. frisch exstirpierte. Die Versuche wurden mit hröschen angestellt, denen die Nebennieren in leichter Athernarkose mittels Thertiiokauters aus- ') Die Nebennieren bilden das .\drcnalin, ein inneres Sekret, das die Zusammenziehung der glatten Muskulatur be- wirkend den Tonus der Blutgefäße reguliert. N. F. XIV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 47 tjcbrannt worden waren. Während sie direkt im Anschluß an die Operation und 2 — 3 Tage danach nichts Abnormes zeigten, wurden die Tiere von da ab matt. Sie boten das Bild einer allgemeinen l.;ihmung. Bei dem nach spätestens 8 Tagen er- folgten Herztod, war das Herz diastolisch erschlafft, und die Kammer fast blutleer; das Blut war größtenteils in den stark erweiterten Abdominal- gcfäßen. Wurde das Herz vom Vorhof aus mit Ivinger Lösung durchspült, traten im Laufe von einer Viertelstunde wieder Kontraktionen auf auch wenn das Herz für elektrische Reize unempfindlich geworden war. Es spricht das für die Ver- giftungstheorie, und die Erholung des Herzens \\\ire eine Folge der Auswaschung des Giftes. f)aß nicht mangelnde Füllung den Herzstillstand verursacht hatte, ergab sich daraus, daß die Her- zen von Fröschen, welche die Verf aus den Aorten hatten verbluten lassen, noch bis zu 3 Tagen weiter schlugen. Um etwas über die Art des Giftes zu erfahren, brachte man Atropin auf den Sinus, eventuell auf den Ventrikel. In 3 — 10 Minuten begannen vom Sinus aus über Vorhof und Herzkammer sich ausbreitend die Pulsationen. Daß das Atropin die Kontraktionen angeregt hatte, ergab sich aus Kontrollversuchen, bei denen auch eine größere Menge von Ringer-Lösung, aber ohne Atropin, keinen Einfluß hatte. Dai3 es sich um ein Gift handelt, welches auf die peripheren Endigungen des Hemmungsnerven des Herzens, des Nervus vagus, einwirkt, ergab der Wiedereintritt der Pulsationen nach vorgängiger Durchschneidung des Nervus vagus oder der Wiedereintritt, wenn das stillstehende Herz dem Körper entnommen worden war. Intensive elektrische Reizung des ganzen Tieres beeinträchtigt beim normalen Frosch die Zahl und Intensität der Herzkontraktionen, wie schon Albanese beobachtet hatte, nicht oder nur minimal, setzt sie dagegen beim nebennieren- losen Frosch sehr stark herab. Wenn es auch noch nicht gelungen ist, das Gift rein darzustellen, handelt es sich doch höchstwahrscheinlich um ein Cholin. Kathariner. Die große Bedeutung der zur Verfügung stehenden Nahrungsmenge für die körperliche und geistige Entwicklung bei Tier und Mensch ist all- gemein bekannt. Wird doch darauf die Kultur des Menschen in den gemäßigten Breiten zurück- geführt. Exakte diesbezügliche Untersuchungen dagegen sind spärlich. Die Ergebnisse solcher liegen vor in : „Unter- suchungen über den Einfluß der Ernährung auf die morphologische und physiologische Gestaltung des Tierkörpers." (Kühn Arch., III. 191 3) von H e n - s e 1 e r. Die Jungen des Wurfes vom reinrassigen bayerischen Landschwein wurden in drei Gruppen geteilt : eine Mast-, eine Hungergruppe, jede aus einem männlichen und zwei weiblichen Tieren bestehend, sowie eine mittelernährte Gruppe, aus einem männlichen und einem weiblichen Tier. Während alle drei in völlig gleichen Saubuchten gehalten wurden, erhielten die Tiere der Mast- gruppc so viel Futter, als sie fressen wollten, während jenen der Hungergruppe nur die zum Leben unbedingt erforderliche Nahrungsmenge ge- geben wurde; es waren 28 g Gerstenschrot, pro Tag und Kilogramm Lebendgewicht. Nach 199 Tagen waren die Unterschiede in Größe und Gewicht der Tiere folgende : Das Gewicht der wüchsigsten Mastsau war von 17 auf 170 kg gestiegen, das der kümmerlichsten Hungersau nur von 12,5 auf 23,5 kg; die Gewichtszunahme des Hungerebers war relativ noch geringer, 18,5 bzw. 26 kg. Die Größenzahlen für den Masteber und den Hungereber waren : Widerristhöhe 40 cm, 1 2 cm ; Brustumfang 72 cm, 17 cm; Bauchumfang 71 cm, 19 cm; Rumptlänge8o,5 cm, 28 cm; Kopfbreite 6cm, 1,5cm. Auch die Körperformen waren verschieden; so war der Kopf bei den Masttieren kürzer und das Profil deutlich geknickt, das der Hungertiere lang und gerade. Auch das Benehmen der lebenden Tiere war gänzlich verschieden gewesen. Wäh- rend die Masttiere träge im Stall herumlagen, sich nur selten bewegten und kaum grunzten, durchstöberten die Hungertiere fast den ganzen Tag den Stall nach Nahrung suchend, lagen mit gespitzten Ohren in Reih und Glied da und sprangen bei jedem Geräusch mit Geschrei auf Kathariner. Physik. Verwendung von flüssiger Luft zu Sprengzwecken. Ein Gemisch von 50 "/o flüssigem Sauerstoff mit Holzkohle entwickelt nach den Untersuchungen von Prof Schu Iz 1200 Kalorien gegenüber 600 Kalorien beim Karbonit und 1170 Kalorien beim Gurdynamit. Seine erste prakti- sche Verwendung erfuhr dieses wirksame Gemisch durch Ingenieur Brandt und die Linde A.-G. bei Erbohrung des Simplontunnels, bei dessen Bau mit flüssiger Luft durchtränkter Kohlenstoff (Oxy- liquit) in ausgedehntem Maße zu Sprengungen herangezogen wurde. Die Schwierigkeiten in der Handhabung der flüssigen Luft ließen das Ver- fahren indes keine weitere Verbreitung finden. Erst nachdem Kowastek das Verfahren dahin abgeändert hatte, daß der trockene Kohlenstoff- träger zunächst allein in das Bohrloch zu bringen ist, ehe die flüssige Luft eingefüllt wird, scheinen die Aussichten für das Verfahren sich wieder er- heblich gebessert zu haben.') Nach Kolbe sollen bei den entsprechenden Versuchen in den fiskalischen Rüdersdorfer Kalk- und Steinbrüchen recht günstige Erfolge erzielt worden sein. Für schlagwettersischere Gruben ist das Verfahren be- reits betriebsi'crtig, und für schlagwetterführende Bergwerksbetriebe wird es wohl, bei dem heutigen Stand der Technik, nicht allzu schwer fallen, ') Zeitschrift für angew. Chemie 27. I. 269. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV.' Nr. 3 Mittel und Wege zu einer gefahrlosen Anwendung als Geschoßtreibmittel verwenden; eine für diesen zu finden. In l-'raiikreich will man außer für Zweck geeignete Mischung organischer Substanzen bergbauliche Zwecke die flüssige Luft sogar schon hat A. Nodon empfohlen. O. Bürger. Bticherbesprechimgen. Hermann, O., Gesteine für Architektur undSkulptur. 2. Aufl. Berlin, Gebr. Bornträger 1914. 4". 119 S. — Preis brosch. 4 Mk. Die vorliegende Schrift ist die zweite um- gearbeitete und vermehrte Auflage des Anhanges aus dem bekannten Werke des Verfassers „Stein- bruchindustrie und Steinbruchgeologie". Tech- niker, Industrielle, Architekten und Künstler sollen darin den ersten Aufschluß über geologische Stellung, Herkunft und mineralogische Zusammen- setzung, dann aber auch über die sich daraus ergebenden physikalischen und technischen Eigen- schaften erhalten. Was dem Geologen aber die Schrift bietet, geht aus dem als Motto gewählten Satz hervor: „Die wissenschaftliche Gesteinskunde und die Gesteinsindustrie sind im Laufe ihrer Entwicklung einander derart entfremdet, daß sie sich in vielen Fällen ohne Dolmetsch oder Wörter- buch gegenseitig nicht mehr verstehen". Dem Referenten, welcher vor Jahren an der Karlsruher Technischen Hochschule die ersten Anfänge einer technischen Gesteinssammlung aufstellte, ist es aus eigener Erfahrung bekannt, welche Schwierig- keiten hierbei die technischen Ausdrücke der ver- schiedenen Gesteinsarten machen, die nur dem Spezialisten auf diesem Gebiete geläufig sein können. Diesem Übelstande ist durch das vorliegende Büchlein, dessen Brauchbarkeit durch ein aus- führliches Register erhöht wird, abgeholfen. Auch die Druckfestigkeiten und andere „technische" Eigen- schaften, wie Abnutzung unter der Schleifscheibe werden manche Geologen interessieren. Die ersteren die Tektoniker, die letztere in bezug auf die Geröllbildung usw. Dem Wunsche des Verf, daß Technik und Gesteinswissenschaft sich wieder einander nähern möchten, kann auch von petro- graphischer Seite nur zugestimmt werden. K. Andree, Marburg. Anregungen und Antworten. In der .Xiilurw. Woclicnsclirifl Nr. 41, Seite 65 1 wird der Nutzen erörtert, den kolloidaler Kohlenstoff bei Vergiftungen haben könnte. Ich wurde dadurch an die Behauptungen eines Kapitäns erinnert, der mir versicherte, daß die Tropische Rulir vollkommen geheilt werde, wenn man im Anfangsstadium der Kranklieit ganz fein gepulverte 1 lolzkohle einnehme. Der Kapitän selbst war durch das Mittel, das ihm ein alter See- mann empfohlen hatte, gesund geworden und hat dieselbe Wirkung auch bei anderen Kranken konstatiert. K. K. Erwiderung. Ich möchte mir eine Erwiderung auf die in Nr. 44 Ihrer ,, Wochenschrift" erschienene Kritik des Herrn Angersbach über mein Buch „Das Ewige im Zeitlichen" erlauben, mit der höflichen Bitte, sie Ihrem Leserkreit mitzu- teilen. Ich tue dies nicht um meinetwillen, sondern weil ich nicht zugeben kann, daß in einer so wichtigen Sache für Ihre Leser das einzige und zugleich letzte Wort einer Kritik gehöre, deren Urheber offenbar das kritisierte Werk nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit und Gewissenhaftigkeit gelesen hat. Der Ausgangssatz meiner Schrift, daß zwei Dinge, die in Wechselwirkung stehen, einander nicht wesensfremd sein können, erweckt bei meinem Kritiker Bedenken. Hiergegen läßt sich an sich nicht viel einwenden ; denn wenn auch dieser Satz für mein und einer großen Zahl anderer, philosophisch und wissenschaftlich geschulter Menschen Denken ein abso- lutes Postulat ist, so scheint es eben iSIenschen zu geben, für die er dies nicht ist. Wenn der Kritiker seine Bedenken aber so begründet; ,,Wir erfahren nämlich nicht, ob der Verf. das Wesen der Dinge in deren Wechselwirkung oder ob er es in irgendeinem anderen Merkmale erblickt", so beweist er damit leider die Unkenntnis der Schrift, die er kritisiert. In ihr ist mit aller nötigen Klarheit auseinandergesetzt, daß das ,, Wesen der Dinge" in dem in ihnen wirksamen ewigen Prinziji zu suchen ist, das, im Gegensatz zu der ver- änderlichen Erscheinungsform der Dinge selbst, ewig unver- änderlich ist, das absolut ist und nicht nur erscheint. Ich zitiere einen einzigen, zufällig herausgegriffenen Satz aus p. 62 meiner Schrift: „Wie die Elektrizität und das Licht im Wesentlichen, d. h. in dem, was ihrem Seiri zugrunde liegt, dasselbe Ding sind und sich voneinander nur durch die Art der Anordnung des Wesentlichen unterscheiden, so sind auch Gas und Schallform im Wesentlichen das gleiche, unterscheiden sich aber voneinander durch den Cha- rakter ihrer inneren Bewegung." Und des Langen und Breiten ist ausgeführt, daß und warum und wie man sich dieses, allen Dingen gemeinsame Grundprinzip vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus als die in absolut einfache Uratome aufgelöste ewige Masse oder Substanz vorstellen müsse. Herr Angersbach tadelt ferner den Verf., weil er sich von grundsätzlich Unvorstellbarem sehr bestimmte BegrilTe zu bilden wisse, verschweigt aber die wichtige Tatsache, daß der Verf. sich dieses alten Problemes voll bewußt war und die relative ,, Berechtigung eines solchen Denkens", z. T. unter Berufung auf unseren größten Erkenntniskritiker Kant, nach- weist. Mit seinem letzten Satz, in dem er in Frage stellt, ob der Physiker die dargelegten Anschauungen billigen werde, spricht mein Kritiker nichts aus, als eine ganz banale Selbstverständ- lichkeit. Denn ganz naturgemäß müssen alle neuen, auf individu- ellem Boden gewachsenen Ideen die Kontrolle der Fachwissen- schaft passieren, ehe sie zu generellen Wahrheiten werden können. Meint er aber mit seinem ,, fraglich" ,, unwahrschein- lich", so hat auch das weiter nichts auf sich, solange er nicht sachlich begründete und sachlich nachprüfbare Einwände formuliert. Dr. Hegg. Inhalt; Nienburg: Der Sexualakt bei den höheren Pilzen. Fehlingcr: Mendel's Vererbungslehre. — Einzelberichte: Diels: Algonkolonien im Dolomit. Loewi und Gettwert: Von den Ausfallerscheinungen nach der Exstirpalion der .\cl>cnniere bei Kaltblütern. Henseler: Untersuchungen über den Einfluß der Fmähruni; auf die morphologische und ]iliysiologisclie (Jestaltung des Tierkörpers. Kowastck; \'erwenduug von flüssiger Lult zu .Sprcngzwocken. — Bucherbesprechungen: Hermann: Gesteine für .\rchitektur und Skulptur. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstraße na, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 24. Januar 1915. Nummer 4. Die Einwirkung der nordischen Vereisung auf die Oberflächenformen der Sudeten. Von Dr. Gottfried Hornig, Gnadenfrei. [Nachdruck verboten. 1 Mit 5 Tf Schon vor längerer Zeit ist von Partsch der Einfluß der Eiszeit auf das Riesengebirge ') er- örtert worden; es ist aber nur die eigene Grat- vergletscherung, die hier in Betracht kommt. Das diluviale Eis ist nicht bis an den Fuß dieses groß- artigsten Gebirges der Sudeten gelangt, es hat nur Einlaß gefunden in die Vorberge, in das Bober- Katzbach-Gebirge und in den Hirschberger Kessel. Durch die Untersuchungen von G. Berg") bei der geologischen Kartierung des hier in Betracht kommenden Gebietes ist festgestellt worden, daß das nordische Eis in mehreren Zungen in das BoberKatzbach Gebirge eingedrungen ist und dort bedeutende morphologische Umwälzungen hervorgebracht hat. Welcher Eiszeit diese Glet- scher angehörten , bleibe vorläufig noch uner- örtert. Im (jebiet des Landeshuter Kammes kann man zwei getrennte Verbreitungsgebiete der diluvialen Grundmoräiie unterscheiden, einerseits das Tal- becken sw. von Seiffersdorf und andererseits bei Streckenbach und Merzdorf Das Bobertal zwi- schen diesen Gebieten ist niemals von Eis über- flutet worden; dies beweisen die scharfen Erosions- formen, mit denen auch seine Hochterrassen in das Gebirge eingeschnitten sind. In den Ober- flächenformen ähnelt die Seiffersdorfer Geschiebe- lehmlandschaft lebhaft an die nordische Schären- landschaft. Rundliche Granitinseln ragen aus ebenen, feuchten Wiesenflächen hervor, auch die weitverbreiteten Beck e n form en der angrenzen- den Alluvial- und Gehängelehmbildungen lassen auf glaziale Entstehung der Bodenformen schließen. Im Merzdorfer Tale bildete sich oberhalb des Inlandeises ein seeartiges Staubecken aus, in dem Beckentone abgelagert sind. Endmoränenartige Sand- und Kies rücken überragen die Ebene des Geschiebelehms um 10 — 15 m. Sie sind ebenfalls an zwei Stellen nachgewiesen (bei Seiffersdorf und nördl. von Alt- Janowitz). Wahrscheinlich ist es auch, daß die großen Anhäufungen von Gehängelehm im Bober-Katzbach-Gebirge mit der nordischen Ver- eisung zusammenhängen. Es sind große Detritus- massen in den beckenförmigen Erweiterungen der ^) J. Partsch, Die Vergletscherung des Riesengebirges zur Eiszeit. Forschungen z. d. Landes- und Volksliunde. 1S94. -) G. Berg, Erläuterungen zur Gcol. Karte von Preußen usw. Lief. 193, igiz. Bl. Kupferberg und Schniiedeberg. 3) Erl. Bl. Kupferberg. S. 81—83. oberen Flußtalstrecken, die beim Aufstau der Flüsse durch das Eis und durch die Moränen- bildungen im Unterlauf abgelagert wurden. Die morphologischen Verhältnisse im Hirsch- berger Kessel sind noch zu wenig erforscht und mögen deshalb hier außer Betracht bleiben. Noch andere Eingangspforten hat das nordische Inlandeis im Diluvium in die Sudeten gefunden, besonders die Flußtäler der Weistritz und der Glatzer Neiße, dann auch kleinere Täler des Waldenburger Berglandes. Im Weistritztale*) wurden diese Verhältnisse genauer untersucht, da hier ein abgeschlossenes Gebiet vorlag und ziemlich einfache hydrographische und geologische Verhält- nisse. Geologisch wird das Gebiet beherrscht \-on dem Gneishorst des Eulengebirges, dessen Längs- achse in NW-SO-Richtung streicht. Im nord- westlichen Abschnitt, also nördlich des Haupt- gipfels der Hohen Eule (1014 m), herrscht nord- westliches Streichen bei südwestlichem und süd- lichem Einfallen vor. In der Richtung nach Charlottenbrunn setzt sich der Hauptkamm des Gebirges in etwa 700—800 m Höhe fort, während es sich nordöstlich dieser Linie bedeutend erniedrigt. Auf der Westseite dieses Horstes liegen ungleich- förmig die Sandsteine und Schiefertone karbonen und rotliegenden Alters, die den Ostrand der großen mittelsudetisclien Mulde bilden, in deren Zentrum die schlesischen Kreideablagerungcn von Adersbach-Weckelsdorf und der Heuscheuer liegen. Zwischen die Schichten des Rotliegenden sind Porphyr- und Melaphyr-Decken eingelagert, die „als erhabener Bergring über die vollkommen ab- getragene Umgebung -)" herausragen. So entsteht in der großen mittelsudetischen Mulde eine Spezial- mulde, deren Westgrenze, die Eruptivstufe, mit der Landesgrenze zusammenfällt. Diese Mulde wird von der Weistritz und ihren Nebenflüssen, von denen der von der Hohen Eule herabkommende Dorfbach der bedeutendste ist, entwässert. Im Oberlauf ein Längstal, nordwestlich ungefähr am W-Rande des Gneishorstes verlaufend, durchbricht die Weistritz bei Tannhausen das Gebirge in eingesenkten Mäandern, während ihr '■) G. Hornig, Die Oberflächenformen des nördlichen Eulengebirges als Beispiel der Einwirkung der nordischen Ver- eisung auf das mitlclschlesische Gebirge. — Landeskundl. For- schungen München Heft l8. München 1913. 2j J. Parts ch, Schlesien. I. Das Waldenburger Bergland. S. S3. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 4 von rechts her der Dorfbach zuströmt. In der Nähe von Schweidnitz verläßt sie das Gebirge, in nördlicher Richtung der Oder zufließend. Das gesamte I'lußgebiet der Weistritz be- kommt durch seine Oberflächenformen ein sehr eigentümliches Bild. Während der abgerundete und noch vielfach Reste einer alten Landoberfläche zeigende Hauptkamm des Eulengebirges doch kuppige Bergformen aufweist, verflacht sich nörd- lich der hohen Eule das Gebirge bedeutend. Breite mit Eeldern bestandene Flächen treten an -.Terr.v. Bärsdorf Pantenber^ 3 Weisfritj Abb. I. Rezentes und mit Geschiebelehm erfülltes diluviales Tal der Weistritz. (Maßstab 1 : 50000, 2''„ mal überhöhl.) den meisten Stellen überragt von einer Terrasse, die etwa 25 m relative Höhe besitzt. Sie ist meist ein Akkumulationsgebilde und besteht aus der Grundmoräne, welclie die nordischen Gletscher zur Eiszeit hier ablagerte. Diese Ablagerungen gehen weit hinein in das Eulengebirge und ins benach- barte Waldenburger Bergland. .Sie erreichen stellenweise 5 So m Meereshöhe und sind aus nordischem und einheimischem Material gemischt. Unterlagert werden sie von Sauden und Becken- ton, den Ablagerungen eines Stausees, der sich vor der Stirn des herannahenden Inlandeises im Mittellaufe der Weistritz bildete. An einigen Stellen des Tales (Abb. i) sind diluviales und rezentes Tal deutlich getrennt. In einer flachen muldenförmigen Talung erkennen wir den prä- glazialen Lauf der Weistritz, — es ist derselbe, den das Eis benntzte — , während sich am früheren Abhänge des Tales der Fluß in postglazialer Zeit ein neues Bett geschaffen hat. Diesen Vorgängen verdankt besonders das landschaftlich berühmte „Schlesiertal", der schönste Teil des Tales, seine diluviales Tal rezentes Tal Diluviales und rezentes Tal der Weistritz am Pantenberge. Phot. II. .=;enf Stelle der Waldberge, vielfach sind sumpfige Wiesen verbreitet, die zeigen, daß hier das Wasser in Sümi^fen und moorigen Wiesen stagniert und der normale Abfluß unterbrochen ist. Nur an den felsigen Prallhängen der Kerbtälcr findet sich Wald in ausgedehnterem Maße. Aber das eigen- tümlichste Kennzeichen der Landschaft sind breite Terrassen flächen, die die normale Böschung der Täler unterbrechen. Sie lassen sich zurückführen auf die Wirktnig der Eiszeit. Das schmale Talbecken des Flusses wird an Entstehung. Seine engen bewaldeten V-förmig eingeschnittenen Hänge heben es deutlich ab von den trogförmigen weiten Talstrecken, wie sie durch das Eis umgestaltet wurden. (Abb. 2.) Damit kommen wir auf die morphologischen Wirkungen des Eises. Hat das Eis, das in das nördliche Eulengebirge in einer Mächtigkeit von 200 m eindrang, irgendwie bedeutende Wirkungen auf die Landschaft ausgeübt? Durchwandern wir das obere Längstal der Weistritz, das in die im Verhältnis zum (jneis weicheren Sandsteine, Ton- N. F. XIV. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 51 schiefer und Konglomerate des Karbon und Rot- liegenden eingeschnitten ist, so fällt uns eine Er- scheinung besonders ins Auge, der terrassenförmige Aufbau der Landschaft. (Abb. 3.) Vom Talboden aus, der wie gesagt, von einer diluvialen Schotterterrasse begleitet wird, erhebt sich ein steiler Aufstieg zu einer Terrassenfläche, die auf beiden Seiten des Tales ausgebildet ist. (Fläche 2.) Während sie aber im Gebiet der Schiefer eine Breite von 2 km aufweist, ist sie im Gneisgebiet erheblich schmäler, nur 4C0 m breit, tritt aber ebenso deutlich hervor. Zugleich sehen wir, wie sie von einer noch höheren Terrasse überragt wird, die aber viel schmäler ist und die Schindelberg dann erst am Waldrande an die unveränderte Bö- schung des Gebirges grenzt. (Abb. 4.) Mor- phologisch macht sich die Böschung zwischen den beiden Flächen dadurch bemerkbar, daß sie aus- gezeichnet ist durch Bo- denversetzung,dann durch Buschwerk und Stein- reihen, während die Ter- rassenfläc h en von Fel- dern und Wiesen bedeckt sind. Das ist aber be- sonders bezeichnend, daß die Gesteinsgrenze und morphologische Grenze im allgemeinen nicht zusammenfallen. Die ge- schilderten Terrassen sind Schlifflächen, es sind keine Akkumulations-, sondern Erosionsterrassen, die aber noch an vielen Stellen Reste diluvialer Be- deckung tragen , wie z. B. erratische Blöcke in zahlreicher Menge, und Geschiebelehmmassen. Eine andere Eigen- tümlichkeit dieserbeiden Terrassen ist diese, daß sie in ihrer Höhe ein anderes Gefälle aufweisen als der Talboden der Weistritz. Während die Weistritz vom Ursprung bis zum Austritt in die Ebene von 525 m auf 290 m fällt, senkt sich die zweite Terrasse von 560 m bis auf 440 m auf derselben Strecke. Aber dieses Gefälle ist nicht gleichförmig; an zwei Stellen tritt eine Aufwölbung ein. Es treten dabei zwei Erscheinungen miteinander in Beziehung: einer Verschmälerung der Terrassen- fläche entspricht eine Erhebung derselben. Auch gegen ihre fluviatile Entstehung; sie ist auf die Erosionswirkung des diluvialen Eises, das im Weistritztale aufwärts gepreßt wurde, zu- rückzuführen. Daß tatsächlich das Eis diese beiden Terrassen schuf, ist noch an anderen Eigentümlichkeiten zu erkennen. Betrachten wir die Täler in ihrem Längsprofil, so zeigt sich die Erscheinung der Talstufen besonders ausgeprägt. Sie sind in den Nebentälern der Weistritz allgemein verbreitet und stehen in engem Zusammenhang mit dem Terrassenbau der Landschaft. Dort wo das Tal die Grenze zweier Terrassen quert, finden sich Saalberg Abb. 3. Querprofil des oberen Weistritztale s. (l Gneis; 2 Sandsteine, 3 Konglomerate des Ob. Karbon (Waldenburger und Saarbrücker Seh.); Unteres Rolliegendes: 4 braunrote Sandsteine, 5 Schiefertone, 6 Konglomerate der Unteren Kuseler Seh.; 7 Bausandsteine der Oberen Kuseler Seh.; 8 Quarzporphyr (mittl. Rotliegendes). Maßstab 1:50000, 2'/2 mal überhöht. .■\bb. 4. Phot. W. Volz. ferrassen im oberen Weistritztale. Die glazialen Niveaus 2 und 3 am Maiköppel bei Rudolfswaldau, einem rings umflossenen Berge. Stufen in den Quertälern; dort wo die Terrassen endigen, die Stufen in den Längstälern. Aber auch die Formen der Täler sind charakteristisch; den reinen Kerbtälern ist ge- meinsam, daß sie erst nach der Entstehung der Terrassen in ihrem Bau vollendet wurden. Da- gegen weisen die Sohlentäler manche Beziehungen zur Eiszeit auf. Es sind diejenigen Nebeniäler, in denen das Eis in selbständigen Strömen im daß die Terrasse sich an einer Eruptivkuppe, die Gebirge aufwärts drang, bis fast an die Paßhölien in Gneis durchgebrochen ist, einfach spaltet, spricht hinauf. Hier oben ist das Talprofil meist deutlich Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 4 muldenförmig, wie das Bild des Tales von Vier- Sternes reicht. Am Königswalder Spitzberg (s. das höfe (Abb. 5) beweist. Wir sehen deutlicli eine Bild) ist sie ebenfalls deutlich zu erkennen. Auf alte Fläche, die präglaziale Landoberfläche, trog- jener alter Landoberfläche sind nirgends mehr förmig in das Tal eingeschnitten. Gehen wir auf Ablagerungen diluvialen Alters gefunden worden, die Paßhöhe, so steigt die Straße nur langsam aber bis jetzt auch keine älteren Ablagerungen, bergan, verstreut liegen die Häuser des Dorfes auf die einen Schluß auf die Zeit ihrer Entstehung zu der plattförmigen Höhe. Stehen wir aber oben, ziehen gestatten würden. Ihr prädiluviales so blicken wir in ein tiefes Kerbtal, das von Alter ist höchst wahrscheinlich. Wenn sie, einem rasch dahineilenden Gebirgswasser durch- wofür vieles spricht, die alte Landoberfläche vor strömt wird und in dem die Häuser dicht an den Eintritt des sudetischen Randbruches darstellt, so Talweg des Flusses geschmiegt sind. Dieses würde ihr Alter ins Präoligozän zu setzen sein; typische Bild finden wir auf allen Pässen, die in was eine bemerkenswerte Analogie zu den in die Grafschaft Glatz hinüberführen. Sie machen Thüringen und im Harz entdeckten Flächen liefern uns aufs klarste den Gegensatz deutlich zwischen würde. Der sudetische Randbruch ') hätte dann der Wirkung des Eises und des Wassers. Auf eine Sprunghöhe von etwa 400 m, da das sub- die Verbreitung der Terrassenflächen und ihre sudetische Hügelland etwa 300 m durchschnittliche besonderen hydrographischen Eigentümlichkeiten, Höhe aufweist. sowie die mannigfachen Beziehungen, die sich Wie ist die Zweizahl der glazialen ergeben in pflanzengeographischer und Verkehrs- Terrassen zu erklären? Noch in meiner Arbeit -) geographischer Hinsicht, kann hier nicht einge- habe ich geschrieben, daß es nicht möglich ist zu gangen werden. unterscheiden, ob die beiden Flächen zwei ge- y trennten Vereisungen zuzu- schreiben sind oder als Wir- kung von Vorstoß und Rückzug einer Vereisung betrachtet werden können. Inzwischen ist aber durch Michael ■') erwiesen wor- den , daß in Oberschlesien eine zweimalige Vereisung des Gebietes eingetreten ist, in der letzten und vor- letzten Eiszeit, während die älteste \'ereisung sich wohl nicht bis Schlesien erstreckt haben wird. Wir können dementsprechend Fläche 3 der zweiten und Fläche 2 der dritten Eiszeit zuschrei- ben. Ob die Niveauverscliie- bung zwischen diesen Eis- zeiten, die Michael für Oberschlesien fordert, auch in den Sudeten eingetreten Wenn diese Niveaus ihrer Natur nach auch ist, darüber haben wir bisher noch keinerlei An- Schliffflächen sind, so sind doch an vielen Stellen haltspunkte. noch Ablage rungen der Eiszeit direkt erhalten. Wenn nun die eigentümlichen Oberflächen- und zwar fanden sich erratische Blöcke noch 165 m formen im P'lußgebiet der Weistritz, sich auf über dem Talboden der Weistritz, ein deutliches glaziale Erosion zurückführen lassen — die Akku- Zeichen, wie hoch die Vereisung ins Gebirge mulation hat eine wesentlich geringere Rolle hineingegangen ist -- liegen doch auch die glazial gespielt und eigentlich nur beim Aufbau der liearbeitetcn Pässe, auf die iioch schmale Zungen Terrasse i mitgewirkt — so müssen sich auch in des Eises gepreßt worden sind, fast 750 m hoch, anderen Teilen der Sudeten und auch in anderen Auf eine morj)hologische Eigentümlichkeit muß Teilen der deutschen Mittelgebirge ähnliche Er- noch etwas eingegangen werden, auf die alte scheinungen wiederfinden. Inder Tat sind solche Landoberfläche. Besonders weit verbreitet Formen bekannt. ist sie nördlich der Hohen Eule, aber auch west- lieh von ihr in zahlreichen Resten; und zwar in ') f. Frech, fjber den Bau der schlesischen Gebirge. einer Höhe von 6 —800 m bis zu dem Grenzkamm Geogr. Zt. 1902, S. 554 f. gegen das „Braunauer Ländchen", jenes abge- ' ?; 'l' '^■,^' V^:, .- ■ j u ..1 • 1 r>-i '^ ,", i- \ • , 1 1 1- .• , r 1 'i R. Michael, Zur Kenntnis des oberschlesischen Uilu- schlossene Gebiet, das von der Eruptivstufe des viums. Jb. K. Pr. Geoi. L. A. 1913, Bd. XXXIV, Teil I, Rotliegenden bis zur Kreidestufe des Braunauer H. z. — S. A. Phot. \V. Volz. Abb. 5. Muldental von Vierhofe am Königswalder Spitzberg, in die alte Land- oberfiäche (4) eingesenkt. Im Mittelgründe 1. ein das glaziale Niveau 3 überragender Nunatak (N). N. F. XIV. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 53 So finden wir nach Zimmermann^) im Waldenburger Bergland bei Freiburg und Salz- brunn, sogar bis an den Sattelwald ausgedehnte Verebnungen, die „fast alle auf dem Eingreifen dilu- vialer Bildungen" beruhen. Es sind genau dieselben „Einebnungen der Pässe", wie wir sie auch im Weistritztale gefunden haben. Am Sattelwald finden wir noch in 580 m Meereshöhe Ablagerungen des Eises, dessen Mächtigkeit Zimmermann hier noch auf mindestens 165 m schätzt. Es sind ähnliche Erscheinungen, wie sie Berg im Gebiet des Landeshuter Kammes beobachtet hat (s. o.). Gehen wir weiter nach S., so bildet das Tal der Gl atz er Neiße die nächste Eingangspforte für das Inlandeis ins Gebirge. Hier finden wir dieselben Erscheinungen wie im Weistritztale, nur noch in viel ausgedehnterem Maße. Ob auch hier eine Gliederung in drei bzw. vier Niveaus ') E. Zimmermann, Erläuteiungcn Bl. Freiburg. Geol. Karte Lief. 145. durchführbar ist, müssen spätere Untersuchungen lehren. Aber nicht nur durch dieses Flufital ist das Inlandeis in den Glatzer Kessel gelangt, auch über den Paß von Reichenstein hat sich ein Aus- läufer der Eismasse geschoben und sich dann wieder mit dem Haupistrom vereinigt. Bis weit westlich und südlich von Glatz sind die Ablagerungen und die Wirkungen des Eises zu erkennen. Im einzelnen ist der Glatzer Kessel ein sehr kompli- ziertes morphologisches Gebilde; aber die Grund- züge seines Baues und seiner Formen lassen sich doch schon erkennen. Alle die typischen Einzel- erscheinungen, die wir im Weistritztale erkannten, kehren hier wieder; sie vereinigen sich durch ein Prinzip zu einem Gesamtbilde, das je nach den örtlichen Bedingungen Variationen aufweist: die glaziale Erosion beherrscht noch heute das Landschaftsbild und die heute wirkenden Kräfte, vor allem die Ablagerung des fließenden Wassers und die Bodenversetzung, arbeiten un- ablässig an der Zerstörung dieser Formen. Neues über die Darstellung von Amniouiak und von Aniiuoniaksalzeu. [Nachdruck verboten.! Von U. Gerade die Ammoniakindustrie hat in letzter Zeit sehr viele Verbesserungen erfahren, man denke nur an die Hab er 'sehe Ammoniaksynthese aus den Elementen. Die Badische Anilin- und Sodafabrik, die auf diesem Gebiete bahnbrechend vorgegangen ist , hat zahlreiche Verbesserungen ihrer Verfahren eingeführt. Bei der Verwendung von Eisen oder Eisennitrid als Katalysator hat es sich gezeigt, daß die Kontaktwirkung dann be- sonders groß ist, wenn diese Materialien bei Tem- peraturen von nicht über 600" hergestellt sind. Bei der Reduktion der Eisenverbindungen darf jedoch diese Temperatur überschritten werden, wenn man dafür sorgt, daß unzersetztes Ammo- niak im Überschuß vorhanden ist. Der Vorteil einer Reduktion bzw. Nitridbildung bei höherer Temperatur liegt in dem viel rascheren Verlauf des Prozesses. Dieselbe Wirkung erreicht man, wenn man reines Eisen im Sauerstoffstrome oxy- dierend schmilzt, die Masse nach dem Erstarren zerkleinert und in einem Wasserstoff-Stickstoff- gemisch bei 800 — 900" rasch reduziert. Diese Kontaktmasse ist im Dauerbetrieb viel wirksamer als das Eisen, aus dem sie gewonnen wurde. Im Hauptpatente 249447 ist die Anwesenheit von Fremdkörpern, z. B. KNO,, als günstig wir- kend erkannt, so übertrifft z. B. Barium mit 3"/,, KXO3 das reine Barium vielfach an Wirkung. An Stelle des Bariums kann auch Lithium als Metall, Nitrid, Ilydrür verwendet werden. Elektro- lytisch hergestelltes Cermetall, mit 2"/^ Kalium- nitrat vermischt , liefert einen Katalysator, der viel besser wirkt als reines Cer. Weiter werden noch empfohlen Osmium mit lo"/,, Kaliumnitrat, Thorium oder Aluminium mit i — 3 "/„ Kalium- Bürger, nitrat. Im allgemeinen verwendet man bei Be- nutzung einer Mischung von Metallen und Metall- verbindungen eine solche, deren Bestandteile ver- schiedenen Gruppen des periodischen Systems an- gehören, und von denen die eine Komponente vorwiegend Wasserstoff, die andere vorwiegend Stickstoff" bindet. Man kaim Stickstoff und Wasserstoff auch abwechselnd über solche Gemische leiten, die Ammoniakbildung erfolgt dabei im allgemeinen in der Periode der Wasserstoffüberleitung. Bei diesem Verfahren ist es vorteilhaft, dem jeweils zugeführten Stickstoff etwas Wasserstoff beizu- mengen. Verwendet man Metalle als Katalysator, deren Oxyde durch Wasserstoff reduzierbar sind, so muß das Stickstoff- Wasserstofifgemisch praktisch vollständig von Wasser und solches bildenden Be- standteilen befreit sein. Die Badische Anilin- und Sodafabrik hat fol- gende Körper als für die Ammoniakbildung brauch- bar befunden: Karbide des Cers und der anderen seltenen Erden. Wolfram, gewonnen durch Reduktion von reiner Wolframsäure mittels eines gaslörmigen Re- duktionsmittels unter Druck bei mäßiger Tempe- ratur. Zur Ausführung der Synthese benutzt die Badische Anilin- und Sodafabrik für die eigent- liche Gefäßwand ihrer Apparatur kohlenstoffreies Eisen, da gewöhnliches, kohlenstoffhaltiges Eisen allmählich brüchig wird, was darauf beruht, daß sich der Wasserstoff unter Druck bei hohen Temperaturen mit dem im Eisen enthaltenen Kohlenstoff verbindet. Vor dieser Kohlenstoff- 54 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 4 Verarmung des Eisens schützt sich die Badische Anilin- und Sodafabrik dadurch, daß sie die heiße, drucktragende Wand des Apparates durch eine Stickstoffatmosphäre vor dem Angriff durch den Wasserstoff schützt. Zu diesem Zwecke versieht man das eiserne Gefäß innen mit einer nicht gas- dicht anliegenden Auskleidung und leitet in den Innenraum Stickstoff ein. Bit eigentliche Gefäß- wand kann natürlich in diesem Falle dann aus kohlenstoffhaltigem Eisen bestehen. Auch die Gewinnung des Ammoniaks aus Nitriden*) hat einige Neuerungen zu verzeichnen: Die Societe Generale des Nitrures stellt das Aluminiumnitrid anstatt in großen rotierenden Öfen in kleinen, festen Widerstandsöfen dar. Giulini will die hohen Hitzegrade des elektri- schen Ofens unnötig machen und erreicht dies durch einen teilweisen Ersatz des Kohlenstoffs durch Natrium: Al.,( )3 -f 3 Na, + N, = 2 AIN + 3 Na.,0. Das Natriumoxyd wird durch Zusatz von Kohle in Natrium zurückgeführt ; die Natriumdämpfe selbst werden durch Reduktion von kohlensaurem Natrium mit Kohle erzeugt. Dr. Stähl er und J. J. El bert-Charlottenburg stellen ein hochprozentiges Bornitrid durch Erhitzen von Borsäure und Kohle im Stickstoffslrome bei 1600" unter starkem Druck dar, das man durch Hydrolyse in Ammoniak und Borsäure spalten, oder als Ausgatigsprodukt zur Gewinnung von Ammonsalzen und Borsäure verwenden kann. K. Bu rkhe iser- Hamburg verwendet die Cyanverbindungen der Stcinkohlendestillationsgase, die er zuerst in Rhodanverbindungen und dann diese in Ammoniak überführt. Fritz Schreiber leitet stickstoffhaltige Kohlenstoffverbindungen bei etwa 200" über Eisenoxydhydrat und gewinnt auf diese Weise Ammoniak. Für die Nitridfabrikation sind natürlich auch neue Stickstoffgewinnungsmöglichkeiten von Vor- teil: Die Nitrogen Company, Ossining, Westchester gewinnt Stickstoff aus der atmosphärischen Luft ') Man vergl. Zeitschrift für angew. Chemie 27. I. 244 — 47. und mein .\ufsatz Ammoniaksynthesen in der Naturw. Wochen- schrift Neue Folge 13. Band Nr. 33. Seite 5l8ff. durch Überleiten über geschmolzenes Alkalicyanid bei 500". Das gebildete Cyanat wird durch Metall und Kohle wieder reduziert. Nach einem anderen Verfahren derselben Gesellschaft wird Luft durch ein Rohr in geschmolzenes Blei ge- blasen, das mit einer Schicht geschmolzenem Stein- salz bedeckt ist, um das entstehende Bleioxyd aufzunehmen. Ch. E. Acker benutzt zum Lösen des Bleioxyds ein Gemisch von So Teilen Alkali- chlorid und 20 Teilen Alkalikarbonat. Aus den Gasen der trocknen Destillation ge- winnt Heinrich Borgs, Wanne, direkt das Ammo- niak, indem er die Gase in einem Bottich und die Dämpfe des Gaswassers, getrennt davon, in einem Rieselturm mit Schwefelsäure behandelt. J. W. Cobb, Leeds, gewinnt Ammonsulfat aus atnmoniakhaltigen Gasen durch Waschung mit Zinksulfatlösung. Das ausfallende Sulfid wird von der Ammonsulfatlösung durch Filtration getrennt. Das Entfärben von Ammonsulfat, das unter Be- nutzung des Schwefelgehaltes der Kohlendestil- lationsgase gewonnen ist, geschieht nach F. Da hl durch Behandeln mit ammoniak- und harnsäure- haltigen Flüssigkeiten, wodurch eine Zersetzung der färbenden Eisenrhodanverbindungen stattfindet. Aus Ammoniak und schwefligsäurehaltigen Gasen gewinnt E. Collett Ammonsulfat (Schwed. Fat. 341 12). Die Gase werden hierbei in Gegen- wart vOn Wasser so aufeinander einwirken ge- lassen, daß die ablaufende Flüssigkeit vollkommen neutral reagiert. In dieser Flüssigkeit soll eine neue, bisher unbekannte A m m o n i a k - S c h w e f- 1 igsäureverbin dunggelöst sein, das sogenannte Neutralsulfit von der wahrscheinlichen Zu- sammensetzung: (NHJ3 . H(S03),. Bei der Einwirkung von Luft und Ammoniak auf die Lösung entsteht .Ammonsulfat. Ammoniumnitrat gewinnen Traine und Hellmers (Köln) und Dr. H. Weyer durch Umsetzung von Calciumnitrat mit überschüssigem Ammonsulfat. Die beiden Salze werden zum Schmelzen erhitzt und das gebildete Ammonium- nitrat aus dem Schnielzprodukt mit Alkohol aus- gelaugt. H. Birkeland gewinnt .Ammonnitrat, indem er eine stark verdünnte Salpetersäure ein- dampft, die Dämpfe mit reduzierten Gasen wie Wasserstoff oder Kohlenmonoxyd mischt und über erhitztes Zinkoxyd oder Fisenox\-d leitet. Die iiroteolytischen [Nacliciruclt verboten.] Von Dr. Th. Die Hefe ist eine Fundgrube von Enzymen. Sie können nach Delbrück z. T. als Ver- dauungs- (oder Ernährungs-) Enzyme aufgefaßt werden, wie die Invertase, Maltase und Diastasc, welche Kohlehydrate in einfachere, diosmierbare und leicht weiter zu spaltende Moleküle ver- wandeln, oder die Proteasen, welche die Eiweiß- Enzyme der Hefe. Bokorny. moleküle zerkleinern ; z. T. aber als Schutzenzyme oder Kraftenzyme, welche der Hefe Schutz ge- währen oder zu Energiegewinn verhelfen wie die Zymasen, die Oxydasen, Katalasen. Proteolytische Enzyme sind in der Hefe schon seit geraumer Zeit bekannt geworden. L. Ger et und M. Hahn schildern („über die X. F. XIV. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 55 im flefepreßsaft enthaltenen Enzyme", Ben d. d. B. G. 31) das im Hefepre(3saft enthaltene Enzym jirotcolytischer Art als ein sehr wirksames. Nicht nur das kongulierbare Eiweiß des Preßsaftes selbst, sondern auch eine weitere IVIenge zugesetzter l'jweißkörper wird von ihm zerlegt. Nach ein- stündiger Digestion sind dabei Leucin und Tyrosin mikrochemisch nachweisbar, dagegen kein echtes l'epton und nur Spuren von Albumosen. Es findet also durch dieses Enz)-m eine schnelle durch- greifende Zersetzung bis zu einfachen Amido- korpern statt, wie man sie sonst nur durch längeres Kochen mit Säuren und Basen oder durch längere Einwirkung von Trypsin in schwach alkalischer Lösung erhält. Trypsin ist bekanntlich in der Bauchspeichel- drüse der Tiere enthalten, ein sehr energisches Eiweißverdauungs-Enzj-m. Ähnlich spricht man nun auch von einem Hefe trypsin und zwar von einem Hefe endo trypsin, weil dasselbe mit Wasser nicht ausgezogen werden kann. Im Hefe- preßsaft ist es enthalten, weil durch das Preß- verfahren die Hefezellen zertrümmert werden. Die proteolytische Arbeit der Hefe kann man nach H. Will (Studien über Proteolysen durch Hefe, wissenschaftl. Station für Brauerei, München, und Zeitschrift für das gesamte Brauwesen 21) auch durch Ansetzen von Gelatinekulturen er- kennen. Sämtliche von ihm geprüften Hefen — es waren 27 Hefestämme und außerdem noch eine Mycodermaart — verflüssigten die Gelatine, frei- lich mit verschiedener Energie. Die sauerstofifbedürftigsten (Sacharomyces mycoderma, obergärige Bierhefe) verflüssigten am ehesten. Der Sauerstoff schien ihm direkt oder indirekt auf die Proteolyse zu wirken. Nach Beobachtungen des Verfassers dieser Notiz kann man die tryptische Wirkung der Hefe auch leicht an Trockenpräparaten der Hefe fest- stellen. Man braucht . nur einen kalt hergestellten Extrakt, z. B. von getrockneter Preßhefe, sich selbst zu überlassen. Dieser Extrakt enthält zu- erst die löslichen Albuminstoffe der Hefe, wovon in der Preßhefe 3,5 "/(, (auf Trockensubstanz be- rechnet) enthalten sind. Kocht man frischen Extrakt der getrockneten Preßhefe unter Zusatz einer Spur Essigsäure, so erfolgt eine starke Ge- rinnung. Wartet man einige Zeit, etwa 24 Stunden, und sucht an einem solchen gestandenen Extrakt die Gerinnung zu erhalten, so bemerkt man zu seinem Erstaunen, daß die Gerinnungsfähigkeit der Lösung verloren gegangen ist. Es ist aber statt des verschwundenen Albumins auch nicht viel Albumose oder Pepton da, wie die ein- schlägigen Reaktionen ausweisen. Also ist ein tryptisches PInzym in dem Extrakte der getrockne- ten Hefe vorhanden, durch welches die Albumin- stoffe weiter als bis zu Pepton verwandelt werden, nämlich in einfache Amidokörper. Endlich weist uns auf die proteolytische Kraft der Hefe auch noch die „Selbstverdauung" der Hefe hin. Die merkwürdige Erscheinung der Selbstver- dauung ist schon länger bekannt auf dem Gebiete der Tierphysiologie. Sie tritt an tierischen Organen ein, wenn sie dem Tode verfallen sind und den Zellentod überdauernde tryptische oder peptische Enzyme enthalten. Der tierische Magen beginnt nach dem Tode sogleich eine Selbstverdauung, während z. B. Amöben, Spaltpilze und andere Pilze, so lange sie leben, von wirksamem Magensafte unverändert gelassen werden (Permi). Auch die lebende Magenschleimhaut selbst wird von dem Pepsin des Magens nicht angegriffen, was darauf hin- deutet, daß lebende Zellen einen gewissen Schutz gegen Angriffe der proteolytischen Enzyme ge- währen. Dasselbe dürfte wohl darin bestehen^ daß lebende Zellen die Enzymlösung nicht ein- dringen lassen, infolge Anwesenheit einer für sie undurchdringlichen und unangreifbaren Haut. Zerkleinert man blutfrische Organe wie Leber, Milz, und digeriert man sie mit der zehnfachen Menge von Chloroformwasser, so finden sich bald in denselben Leucin und Tyrosin vor, die in den frischen noch lebenden Organen fehlen (Sal- k o w s k i). Werden die Organe vor der Digestion gekocht, so sind bei darauffolgender Digestion die genannten Spaltungsprodukte vom Eiweiß nicht nachweisbar. Auch bei Hefe hat man ähnliche Beobachtungen gemacht. Überläßt man gewaschene lebende Hefe in gröl3erer feucht gehaltener Menge bei höherer Temperatur sich selbst, so entwickelt sich, auch bei Abwesenheit von Zucker, längere Zeit Alkohol und Kohlensäure (Selbstgärung von Thenard, Paste ur, namentlich aber \'on Bechamp und Schützen berger studiert). Damit verknüpfen sich eine Reihe anderer chemischer Reaktionen, durch die sich in der der Selbstgärung überlassenen Hefe weit mehr in Wasser lösliche Substanzen bilden, wie in frischer Hefe vorhanden sind. Als solche lösliche Substanzen wurden von Bechamp und Schützen berger dem Ei- weiß nahestehender Körper (Hemialbumin), ferner Tyrosin, Leucin, Butalanin, dann die Alloxurbasen Carnin, Sarkin, Xanthin und Guanin nachgewiesen. Es sind das teilweise Bestandteile des P^leischextraktes; daher auch der Fleischextrakt ähnliche Geschmack der Hefe nach der Selbst- verdauung. Kutscher fand unter den Produkten der Selbstverdauung auch noch Ammoniak, Histidin, Arginin, Lysin, Asparagin- säure und eine Substanz von der Formel CsH^N^Oj. Um die Wirkung der Bakterien auszuschliel3en, haben die genannten Forscher meist Desinfektions- mittel wie Kreosot, Chloroform, Toluol zugesetzt, welche alles Protoplasma töteten, die proteo- l)-tischen Enzyme aber intakt ließen. Verf. hat ferner die Wirkung der i)roteo- 56 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 4 lytischen Hefeenzj-me an trockener Hefe durch Zusatz von eiweißhaltigen Mehlen versucht. Ks wurde meist 10% trockne Hefe und go^/f, Mehl (Fleischmehl, Erbsenmehl, Erbseneiweiß usw.) ge- mischt. Erbseneiweiß stellte ich mir durch Digestion von Erbsenmehl mit 0,1 prozentigem Kali wasser und Erhitzen der Lösung unter Ansäuern her. (Beibl. z. bot. C. Bl. 1902.) Dasselbe wurde dann feucht mit trockener Hefe vermischt unter Zusatz von Phosphorsäure bis zur Stärke von !"/(,. Die erste Verdauung ergab auf 108 g Erbsen- eiweiß (aus 1000 g Erbsenmehl) 12 g Albumose, bei 24 stündigem Stehen der Mischung im Brut- ofen mit 35". Eine zweite Verdauung derselben Eiweißmasse unter erneutem Zusatz von Hefe — abermals 24 Stunden bei 35" — ergab 2,8 g Albumose. Eine dritte Verdauung, ohne neuen Hefezusatz, aber mit neuer Phosphorsäurezugabe, ergab nach 72 Stunden bei 20" 0,6 g Albumose. Das macht zusammen : 1 2 -|- 2,8 -j- 0,6 = 1 5,4 g Albumose, d. i. 1,54% des Erbsenmehles. Die Albumose wurde jedesmal durch Aus- waschen mit lauwarmen Wasser, Eindampfen und Fällen mit Alkohol gewonnen. Auf die im Alkohol gelösten Substanzen wurde dabei nicht Rücksicht genommen, weil es dem Verf bei jenen Versuchen um Gewinnung von Albumose, einem ersten noch Eiweißnatur besitzenden Verdauungs- produkt, zu tun war. Die im Alkohol gelösten Stoffe sind z. T. scharf schmeckende und riechende Substanzen; sie betrugen z. B. bei den Fleischmehlversuchen (s. nachher) 2 — 3"/,) des angewandten Pleisch- mehles. Je länger die Einwirkung dauert, desto mehr ist von ihnen da. Eine geringe Quantität davon ist immer auch in der Alkoholfällung enthalten, sie verleiiien dem aus Alkohol ausfallenden Pulver einen eigenartigen bei geringer Menge angenehmen, bei etwas größe- rer Quantität unangenehmen fleischextraktartigen Geschmack. Durch ein ähnliches Verfahren erhielt ich aus 200 g Sojabohnenmehl mittels Verdauung durch Hefebeimischung 10,9 g Albumose, also 5,45";(i des Mehles. Aus Fleischmehl 1 1 "1^, Albumose. Eine zweiter Versuch mit nochmal solangcr Hefeeinwirkung ergab fast gar keine Albumose, ein Zeichen, daß dann die Verdauung schon zur Bildung einfacherer Spaltungsprodukte vorgeschritten war. Ausgekochtes Rapskuchenmehl ergab 4,5''/o Albumose. Pepton ist bei den beschriebenen Versuchen meist nur in geringer Menge nachzuweisen ge- wesen. Es fragt sich nun, ob unter den proteo- lytischen Enzymen der Hefe aucli ein peptisches sei. Die bisherigen Ergebnisse weisen nicht be- stimmt darauf hin. Geringe Mengen Pepton, wie sie beobachtet wurden, kommen ja normalerweise in der Hefe neben genuinen Proteinstoffen vor. Daß die Hefeverdauung bei saurer Reaktion am besten vor sich geht, beweist nicht, daß das Enzym pcptisch sei. Maßgebend sind die Spaltungs- produkte. Sie sind, soweit obige Versuche reichen, von der Art tryptischer Verdauung; diese liefert zuerst Albumosen , dann aus diesen einfache Aminokörper, kein Pepton. Es würde sich also um ein bei erheblich saurer Reaktion wirksames Trypsin handeln. L. Ger et und Hahn fanden bei einstündiger Digestion von Eiweißkörpern mit Preßsaft Leucin und Tyrosin als mikrochemisch nachweisbare Aminokörper vor, aber kein Pepton. Bei meinen Versuchen war aber häufig Pepton in allerdings meist geringer Menge nach- weisbar. In einem noch nicht angeführten Falle fand ich aber große Mengen von Pepton vor, freilich bei längerer Versuchsdauer und größerer Säure- menge als gewöhnlich. Das veranlaßte mich zu weiteren Versuchen. Auswahl der Säure, günstigsteSäure- menge bei tryptischen und peptischen Versuchen mit Hefe, Versuchsdauer, Tem- peratur. Es ist schon von G e r e t und Hahn hervor- gehoben worden, daß ein proteolytisches Enzym in der Hefe vorkommt, welches am stärksten bei Gegenwart nicht unbeträchtlicher Säuremenge wirkt. Sie rechnen dasselbe aber zu den tryp- tischen, was bei dem Ausfall ihrer Untersuchung über die Verdauungsprodukte nicht ungerecht- fertigt ist. Es ist ja auch sonst schon bekannt, daß es tryptische Fermente gibt, welche zu ihrer Wirkung die Gegenwart von Säure erfordern. So hat Green in Luzernenkeimlingen ein ]iroteolytisches Enzym gefunden, das saure Reaktion nötig hat zu seiner Aktion. Reeß und Will haben aus der fleisch- fressende Pflanze Drosera rotundifolia ein ver- dauendes Enzym mit Glyzerin ausgezogen, das bei Zusatz von Salzsäure am besten wirkt. Ein ähnliches Enzym wurde in den Körnern von Nepenthes gefunden. Bei der Verdauung ergibt sich Leucin. -Sogar in tierischen Organen wie Milz, Leber haben S. G. Med in und J. Rawland (Hoppe- Seyler's physiol. Zeitschr. 32. Bd.) tryptische Enzyme gefunden, welche in saurer Lösung am wirksamsten sind. Its fragt sich nun, ob denn die proteolytischen Wirkungen der Hefe nicht alle auf ein und das- selbe tryptische Enzym, das in saurer Lösung am besten wirkt, zurückzuführen sind. Daß muß verneint werden, wenn man auf die qualitativ und quantitativ sehr verschiedenen Aus- fälle der Hefeverdauung blickt. Es kann doch nicht ein und dasselbe Enzym das einemal gar kein N. F. XIV. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 57 Pepton, das anderemal wenig, das drittemal viel Pepton liefern. Es müssen wohl zweierlei proteolytische Enzyme angenommen werden, die beide in saurer Lösung wirken aber verschiedene Säuremengen erfordern. Das scheint nach dem Ausfall folgender Versuche des Verfassers (A. Br. u. G. Zig. 1914) faktisch zuzutreffen. Es wurde eine Verdauung von Eleischmehl (.'\bfall der Liebig'schen Fleischextraktfabrikation) mit Hefe vorgenommen a) bei Gegenwart von 0,2 "/„ Phosphorsäure; Zeitdauer 24 Stunden, Temp. 45. b) bei 0,5 '% Phosphorsäure, 24 Stunden, 35". c) bei I "/„ Phosphorsäure, 24 Stunden, 35". d) o,S % Schwefelsäure, 24 Stunden, 35". e) 0,8"/,, Weinsäure, 24 Stunden, 35". f) i,S "lo Phosphor- säure, zuerst 3 Tage bei 35" dann 6 Tage bei IS — 180. Ergebnis: 0,2 prozentige Phosphorsäure be- wirkte, daiä keine oder fast keine Bildung von Albumosen und Peptonen stattfand; vielleicht griff keines der beiden mutmaßlichen Enzyme richtig an oder es erfolgte der Angriff so langsam, daß die Albumose vollkommen in einfache Amino- körber verwandelt werden konnte. Bei 0,5 und i % Phosphorsäure (b und c) ergab sich reichlich Albumose. Bei Versuch d und e, also mit 0,5 "/o Schwefel- säure sowie 0,8 "/o Weinsäure ebenso. Bei Versuch f mit 1,5 "/„ Phosphorsäure, der auf 9 Tage ausgedehnt wurde, zuerst bei 35" dann bis 15", ergab sich keine Albumose, dafür reichlich Pepton. Somit mußte in meiner Hefe neben dem tryptischen auch ein peptisches Enzym enthalten sein. Praktisch sind die proteolytischen Enz}'me der Hefe nicht ohne Bedeutung. Sie treten aus der Hefe hervor, wenn dieselbe abstirbt oder der sog. Selbstgärung unterliegt, was ebenfalls auf ein Absterben hinausläuft. Nun kommt ein Absterben eines Teiles der Hefe bisweilen im Brauereibetriebe vor, z. B. wenn die Hauptgärung zu warm geführt wird. Es bildet sich dann, jedenfalls infolge der proteo- lytischen Bildung jener schmeckenden Spaltungs- produkte der Eiweißkörper, ein eigenartiger Ge- schmack des Bieres heraus, der als warmer Gär- geschmack bezeichnet wird. Auch beim Backen von Brod, das mit Hefe versetzt ist, findet ein Absterben der Hefezellen statt. Wenn auch die Zeitdauer der Enzym- wirkung hier nur kurz ist, wird doch wohl eine merkliche Bildung von Eiweißspaltungsprodukten eintreten. Nach dem Absterben der Hefezellen bleiben die Enzyme zunächst noch lebend und wirksam, bis dann auch sie der Hitze erliegen. Ferner ist schon eine Vernichtung oder Schwächung der Gärkraft durch das tryptische P^nzym der Hefe beobachtet worden. h\ dem Büchner'schen Preßsaft greift dieses kräftige Ferment des neben ihm vorhandene Gärungs- enzym, dem ja Eiweißnatur zukommt, an und zerstört es. In Hefekulturen kann unter ge- wissen Umständen dasselbe eintreten, so daß man gärschwache Hefe erhält. Endlich dürfte vielleicht die Hefe infolge ihrer proteolytischen Kraft einmal noch zur Her- stellung von Albumosen, die als teure Nährpräparate bekannt sind (i kg Somatose kostet im Detailverkauf ca. 48 Mk. I), Anwendung finden. Die Peptone, die ja auch mit Plilfe von Hefe hergestellt werden könnten, wie oben bei Versuch f) angeführt wurde, sind als Nährpräparate zu bitterschmeckend, als daß sie gerne genommen würden ; außerdem haben wir in dem tierischen Peptin ein besseres Mittel zur Peptonisierung von Eiweißkörpern. Zum Schluß möge noch ein dunkler Punkt in der Frage des Vorkommens von proteolytischen Enzymen in der Hefe kurz besprochen werden. Es muß Staunen erwecken, daß dieselben normalerweise in der Hefezelle keinen Schaden tun. Zymase und proteolytische Enzyme sind doch nebeneinander in der Hefezelle. Während aber im Preßsaft letzteres das erstere zerstört, findet das offenbar in der normalen Hefe nicht statt. Wie kommt das? Zwei Erklärungen können hierfür gefunden werden. Entweder sind die beiden in der Zelle räum- lich getrennt; etwa das eine im Plasma, das andere im Zellsaft; vielleicht auch jedes in einer besonderen Vakuole. Oder das proteolytische Enzym findet in der normal ernährten Hefezelle andere Eiweißkörper vor, die es zunächst angreift. Daß eine Proteolyse in der normalen Hefezelle stattfindet, darauf weisen schon die stets anwesenden Peptone und einfachen Aminokörper hin. Dieselbe Annahme würde dann auch erklären, warum das Plasma der Hefezelle unter normalen Umständen von den proteolytischen Enzymen nicht zerstört wird. Dasselbe wird eben nur dann angegriffen, wenn infolge des Hungerzustandes andere Eiweißkörper nicht dargeboten werden. In der „Hungerhefe" sind dann auch proteolytische Spaltungsprodukte in größerer Menge gefunden worden; ein Wiederaufbau der Aminokörper zu Organeiweiß kann infolge Schwächung der plas- matischen Organe nicht stattfinden. Im großen und ganzen kann man sagen, daß die proteolytischen Enzyme der Hefe in mehrfacher Beziehung Interesse beanspruchen und noch weiter studiert zu werden verdienen. 5S Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 4 Einzelberichte, Anthropologie. Die Verwandtschaft der Buschleute und der zentralafrikanischen Pj'Sjmäen besprach Prof. Dr. F. v. Luschan in der Berliner Gesellschaft für Anthropologie (Zeitschr. f. EthnoL, 46. Jahrg., S. 154—1731. Prof. v. Luschan stimmt im allgemeinen der Ansicht zu, daß diese beiden Menschengruppen einander nahe verwandt sind, doch macht er aufmerksam, daß zwischen ihnen auch bemerkenswerte Unterschiede bestehen. ') Die Körpergröße ist bei den Pygmäen noch Abi). I. A — C Haare von Buschleuten, U u. E Haare zentral- afrikanischer Pygmäen. Nach V. v. Luschan. (Natürlicher Radius der Spiralen 0,8 bis 1,5 mm.) Typisches ,, Pfefferkorn" (Haarwuchs afrikanischer Neger). Nach F. v. Luschan. (Stark vergrößert. ) geringer als bei den Buschleuten. Die Propor- tionen des Körpers scheinen bei beiden Gruppen ungefähr gleich zu sein; sowohl an Pygmäen wie Buschleuten fällt die enorme rela- tive Länge des Rumpfes gegenüber den kurzen ') ^S"- iiPygroäcn am Sanga'', Naturw. Wochenschr., 1914, S. 668—669. Armen und Beinen auf, und auch die Hände und Finger, wie die Füße sind nicht nur absolut, sondern auch relativ kurz. Die Buschleute sind durch extreme Lordose in der Gegend zwischen dem untersten Lendenwirbel und dem Kreuzbein ausgezeichnet. In der Seitenansicht ist in der Tat manchmal zu sehen, wie das Sacrum fast unter einem rechten Winkel von der Lenden- wirbelsäule absteht. Bei den Pygmäen ist die Biegung der Wirbelsäule wesentlich geringer, doch ist sie bei einem Teil von ihnen immerhin erheblich stärker als bei großgewachsenen Afri- kanern. Die Hautfarbe ist bei den Busch- leuten entschieden hell, und zwar so wie helles fahles Laub. Bei den Pygmäen ist sie zweifellos einer größeren Schwankung unterworfen, die sich zwischen blaß rötlichgelb und nahezu rußsclnvarz bewegt. Die Haut selbst ist bei jugendlichen und verhältnismäßig gut genährten Buschleuten so faltig, wie es bei Europäern (ireisenhaut nur jemals sein kann. Unter den Pygmäen kehrt der große Faltenreichtum mindestens bei älteren Personen wieder. Das Kopfhaar ist bei beiden Gruppen gleichmäßig büschelständig, so daß große Hautstellen von weitem wie ausgefressen aussehen. Ein großer Teil des Kopfhaares wächst in spiralig gedrehten engen Locke hen (Radius 0,8 — 1,5 mm), die von der bekannten „Pfefferkornbildung" anderer Afrikaner sehr deut- lich verschieden sind (vgl. Abbildung I und 2). Die Lidspalten sind bei den Buschleuten sehr enge, bei den Pygmäen aber normal. Die Enge der Lidspalten bei den Buschleuten ist offenbar durch den Aufenthalt in kahler Steppe und Wüste bedingt, und würde in das Dunkel der Urwälder nicht passen. Die Oberlippe ist bei beiden Gruppen von der Seite gesehen oft ausgesprochen konvex, während sie bei den großen Afrikanern, wie bei den Europäern, konkav ist. (Referent hat diese konvexe Oberlippe auch schon an einigen pAiropäern beobachtet.) Die Ohre n sind laei den Busclileuten kurz, breit und ohne deutliches Läppchen; bei den Pygmäen unterscheiden sie sich von der gewöhnlichen Form viel weniger. P'ettstein ist bei reinen Buschfrauen niemals sehr ausgeprägt und noch weniger fällt sie bei Pygmäenfrauen auf. Kürze und Breite der Ilirn- kapsel zeiciinet den Pygmäenkopf ebenso aus wie den der Buschleute. Auch die fast vollständige Orthognathie ist beiden Gruppen gemein. Die große Bigonialbreite verleiht dem Gesicht beider Gruppen ein viereckiges Aussehen. Auch Breite und Flachheit der Nasenwurzel ist Busch- leuten wie Pygmäen gemein. Aus dieser Zusammenstellung ersieht man, daß Übereinstimmungen oder Ähnlichkeiten des Kör]3erbaues viel häufiger sind als L^ntcrschiede. Welche der beiden P'ormen mehr L'rsprüngliches an sich hat ist nicht gar einfach zu ent- scheiden. Mancherseits wurden die Buschleute N. F. XIV. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 59 als kompakter Rest der afrikanischen Urbevölkerung betrachtet, doch wird v. Luschan wohl recht haben, wenn er meint, daß gerade die in die fast unzugänglichen Urwälder zurückge- drängten Pygmäen sich dort viel reiner und unvermischter erhalten haben, als die Buschleute, die von vornherein in der oftenen Steppe, in der wir sie jetzt finden, fremden Ein- flüssen viel mehr zugänglich gewesen sein mußten. Tat- sächlich liegt die Vorstellung nahe, daß alles, was die Buschleute von den Pygmäen trennt, auf Hoitentotteneinfluß zurückgeführt wer- den kann. Das gilt nicht bloß in soma- tischer Beziehung, sondern auch be- züglich des Kultur- besitzes. H. I'ehlinger. Kugeln und spärlichen Stäbchen bestand; sie färbte sich nach Gram und blieb über 2 Monate konstant. Am weitesten entfernt vom Typus waren Formen Kopf der gai 1 1 .RU . mos vrbwn l'.l scliiii.inii :,, de 1905 1 1 Johai iiesburg ; bgeloimt Imt. Bakteriologie. Wie bekannt, vernichten die ultravioletten Strahlen in hinreichender Stärke das Leben der Mikroorganismen. In geringerer, mit dem Weiterleben noch vereinbarer Intensität da- gegen rufen sie chemische Veränderungen hervor, die in einer molekularen Umlagerung des Proto- plasmas, namentlich des Kerns der Zelle bestehen. Wenn sie erbliche Veränderungen veranlassen, bewirken die Strahlen die Entstehung einer neuen Art. Über die morphologische und biologische Um- gestaltung des Milzbrandbazillus unter dem Ein- fluß ultravioletter Strahlen berichtet M'"" Viktor Henri. (Etüde de l'action metabiotique des rayons ultraviolets. Production de formes de mutation k la bacteridie charboneuse. C. R. Ac. sc, Paris, 6 avril 1914.) Aufschwemmungen einer Kultur von Milzbrandbazillen wurden verschieden lang (i — 40 Minuten) in einem. Ouarzröhrchen den Strahlen einer Ouecksilberlampe ausgesetzt. Während die meisten Mikroben zugrunde gingen und von den lebenden eine groiSe Anzahl das normale Aussehen zeigte, fanden sich hie und da Kolonien, die sich deutlich von dem normalen Anthraxbazillus unterschieden. Auf Agar und Bouillon geimpft, kehrten die meisten zur Normal- form zurück. Eine Ausnahme machte eine Form, die aus aus blatternarbigen Fäden. Sie färbten sich nicht nach Gram, verflüssigten die Gelatine nicht, brachten die Milch nicht zur Gerinnung und riefen eine vom normalen Milzbrand ganz verschiedene Krankheit hervor. Bei täglicher Weiterimpfung blieben sie länger als 80 Tage unverändert. Man erhielt also 2 neue Formen, die eine ent- hielt Kugeln und färbte sich nach Gram, die andere, die Form / bildete pockenartige Fäden und färbte sich nicht nach Gram. In vitro bildete sie auf Agar gelbliche oder orangegelbe Kolonien, gedieh schlecht auf Bouillon, gut dagegen auf Serum, Kartoffeln, Rübe, Traubenzuckeragar usw. Sporen bildete sie nie. Wenn sie auf Meerschwein- chen und Mäuse überimpft wurde, erschien am folgenden Tage ein Oedem, das spärliche und nach Gram nicht färbbare Stäbchen enthielt, daneben Kugelformen und Stäbchen, welche Gram annahmen. Die Krankheit entwickelte sich langsam unter äußer- ster Abmagerung in 10 — 20 Tagen. Die Autopsie ergab einen serösen PIrguß in der Bauchhöhle, in der Pleura und dem Herzbeutel, sowie zahlreiche Geschwürsbildungen in der Milz und Leber; die Ganglien des Mesenteriums waren verkäst. Bei zahlreichen Versuchen gelang es nie, die F"orm y in vitro wieder auf die Normalform zurück- zuführen. Nach Tierpassage dagegen bildete sie auf Agar Kolonien mit buchtigem Rand, bestehend aus Kugeln und sehr spärlichen Stäbchen, welche 6o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 4 sich nacli Gram färbten. Eingeimpft rief sie dieselben Krankheitserscheinungen hervor wie die Form y, nur schwächer. Verf. schließt, daß bei mäßiger Bestrahlung einige Formen tiefgreifende Änderungen erleiden, die sie von den normalen Milzbrandbazillen unter- scheiden. Die Unterschiede sind morphologisch, biochemisch und biologisch. Kathariner. Anatomie Die Haare der Säugetiere sind für diese so charakteristisch, wie die Federn für die Vögel. Ok e n bezeichnete die Klasse der Säuge- tiere kurzweg als Haartiere. Über die phj'lo- genetische Herleitung des Säugetierhaares aus Hautgebilden älterer Gruppen von Wirbeltieren wurden eine ganze Reihe von Hypothesen aufge- stellt. Während Goette (1868) die Haare gar nicht als anatomische Individuen auffaßte, sondern in ihnen nur besondere Teile der Epidermis sah, leitete sie Emery (1893) von den Hautzähnen der Selachier ab. Nach Maurer (1892) sind sie auf die Hautsinnesorgane der Amphibien zurück- zuführen, nach anderen wieder auf die Schuppen der Reptilien (Reh 1S95, Krause 1902). Brandt (1902 und 191 1) leitet sie von den Zähnen der Amnioten ab. Nach Oppenheimer (1895) sind sie aus den Tastflecken der Schuppen entstanden. Nur einem Teil der Schuppen entsprechen sie nach Pinkus (1902) und Wiedersheim. Leydig (1895) bringt ihre Entstehung mit den Perlorganen gewisser Knochenfische in Zusammenhang. Auf Grund eingehender Untersuchungen kommt E. Botezat („Über die I^hylogenie der Säugetier- haare" Verh. 85. Vers. Ges. Deutscher Naturforscher und Ärzte und ,, Phylogenese des Haares der Säugetiere". Ant. Anz. XXXXVII. Bd. 1914) zu dem Schluß, daß das Säugetierhaar eine selb- ständige Neuerwerbung der Säugetiere darstellt. Nach der Entstehung des ursprünglichen „Primor- dialhaares" aus der bildungsfähigen Epidermis hat es sich nach zwei divergenten Richtungen hin entwickelt, entsprechend der Tast- und der Schutz- funktion. Für die ursprüngliche Tastfunktion der Haare und für ihre Entstehung aus der Epidermis spricht das gemeinsame Vorhandensein der sensib- len Nervenendigungen in Form von baumförmigcn Endverzweigungen, die im Haartaschenhals in einer dem Haargebilde speziell angepaßten I""orm der Endbäumchen erscheinen; andererseits kommen die Nervenendapparate der Haare in Formen vor, welche auch sonst der Säugetierhaut eigntümlich sind. Kathariner. Zoologie. Ein neues Entomologenmikroskop. Die dem Entomologen zur Bestimmung seiner Fangobjekte zur Verfügung stehenden Instrumente bestehen aus gewöhnlichen Lupen und Mikro- skopen wie Spezialinstrumenten. Während letz- tere den Nachteil haben, daß sie für gewöhnliche Beobachtungen nicht zu gebrauchen sind, ist das Arbeiten mit Lupen wegen der ihnen anhaftenden Mängel der geringen Lichtstärke und Vergröße- rung, des kurzen OJjjektivabstandes und des kleinen Gesichtsfeldes ebensowenig angenehm wie das mit gewöhnlichen Mikroskopen, da hier wegen der notwendigen Betrachtung der Objekte im durchfallenden Licht eine für diese wenig vorteil- hafte und umständliche Präparation vorgenommen werden muß. Keiner dieser Mängel findet sich bei dem von M. Gamb e ra - München konstruierten und in der Zeitschrift der deutsch, mikrolog. Gesellschaft: „die Kleinwelt" (1914, Heft 7) beschriebenen Entomologenmikroskop, das mannigfache Arten der Verwendung zuläßt. Das ca. 35 cm hohe Instrument zeigt über dem Fuß eine durch Klemmschraube in der Höhe verstellbaren und Kugelgelenk allseitig beweglichen Korkarm, auf den die Objekte aufzustecken sind, darüber einen ebenfalls allseitig verstellbaren Plan- und Hohl- spiegel. Der Objekttisch ist in der Höhe und seitlich zu verschieben, der Tubusaufsatz weist Zahn- und Triebbewegung, Auszug, Millimeter- einteilung und kontinentales Gewinde auf, so daß sich alle Mikroskopobjektive der bekannten P'irmen verwenden lassen. Durch Rückwärtsdrehen des Objekttisches lassen sich die auf dem Korkarm aufgesteckten Objekte mittelst Drehen des daran befestigten Kugelgelenkes von allen Seiten be- obachten, ohne daß sie verletzt werden. Mit jeder gewünschten Lupenvergrößerung läßt sich durch Abnehmen des Tubusaufsatzes (Lösen einer Klemmschraube) der durch einen Lupenhalter ersetzt wird, arbeiten. Die scharfe Einstellung des Objektes wird hier durch Heben und Senken des Objekttisches herbeigeführt. Dasselbe Lupenmikroskop ist auch nach Ein- drehen des Tisches für Präparierzwecke ver- wendbar. Legt man auf den Tisch eine weiße, resp. eine schwarze Glasplatte auf, so lassen sich leicht mikroskopische wie makroskopische Insektenpräparate herstellen. Endlich läßt sich das Entomologenmikroskop auch als Dermato- skop verwenden, zum direkten Aufsetzen auf große Plächen und Beobachten derselben, indem der Tubusaufsatz mit dem Fuße direkt verbunden wird. Der Entomologe kann, indem er das Instru- ment darübersetzt und durch Heben und Senken des Tubus scharf einstellt, die fertig präparierten und auf Etiketten aufgeklebten Insekten vor dem Nadeln durch dieses Mikroskop noch einmal kon- trollieren, ebenso wie sich auch Lupenhalter und Fuß in ähnlicher Weise zusammen verwenden lassen. h'ür Mikrophotographie läßt sich das Entomologenmikroskop verwenden, indem man eine Umlegevorrichtung (die aus einem Zapfen, welcher anstatt der .Säule in den Fuß geklemmt wird, besteht) gebraucht. Sehr gut eignet sich dieses Entomologen- mikroskop auch als Reisemikroskop, da es außerordentlich leicht zerlegbar ist. Erleichtert X. F. XIV. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 6i wird diese Verwendung noch durch Lieferung einer Tischschraube, die den schweren Hufeisenfuß ersetzt. V. Aichberger. Anm. Herstellung des Instrumentes von C. Reichert, Wien. Das von dieser Firma als Spezialoptik beigegebene Objektiv (5 b, dreiteilig) kann, da der Tubus kontinentales Gewmde besitzt, ebensogut durch andere Objektive der be- kannten Firmen ersetzt werden. Kleinere Mitteilungen. Aus dem Leben der Hummeln. Ich bin kein Zoologe von Fach; nur durch meine Freude an der Bienenzucht, der ich früher gerne oblag, bin ich aucli dem Leben und Treiben der Hummeln näher getreten. Es lag auf der Hand, daß es ein leichtes sein müßte, diese Brummer, denen ich fast ohne Ausnahme große Gutmütigkeit nach- rühmen kann, in Beobachiuiigskästchen im Bienen- haus zu Haustieren zu maciien. Solche Kästchen erstellte ich aus Zigarrenkistchen; aucli umge- stülpte irdene Näpfe mit eingebohrtem Flugloch wurden von einer Hummelkolonie, nachdem sie abends aus der Freiheit eingebracht war, gerne als neue Wohnung angenommen. Beim Einfangen bediente ich mich eines Glasgefäßes von bauchiger Gestalt mit ziemlich langem Hals, der sich gegen den Eingang so verengte, daß der Daumen die Öffnung zu verschließen imstande war. Bei Moos- hummeln konnte man die Mulle, aus der das Nest bestand, leicht abheben und das Innere so frei legen, ohne daß seine Bewohner davonflogen. Diese Art von Hummeln ist zweifellos die gut- mütigste. Nie hat mich eine Mooshummel ge- stochen, wie ich auch vor dem Eingang stand oder im Nest hantierte. Mit Hilfe des Taschen- tuchs konnten die Tierchen leicht in die Flasche geschoben werden, wenn sie nicht' schon gut- willig in die ihnen vorgehaltene Öffnung krochen. War das letzte Famiiienglied in derselben unter- gebracht, so packte ich das Nest möglichst un- versehrt in das fürderhin als Wohnung dienende Kästchen und trug Flasche und Kästchen nach Hause. Dort stülpte ich die Flasche um, und in wenigen Minuten waren die Hummeln wieder mit ihrem Neste vereint, das sie sofort zu ordnen und auszubessern begannen. Anderen Tags ging ich nochmals zur Steile der ehemaligen Hummel- wohnung, wo gewöhnlich noch einige zerstreute Nachzügler zu finden waren, die, im Moos herum kriechend, vergebens nach dem Neste suchten. Auch sie brachte ich auf gleiche Weise nach Hause. Mehr Schwierigkeiten verursachte die Zähmung der Steinhummeln. Ihre Kolonie zählte stets weitaus mehr Bewohner als die der Moos- hummeln. Jedes Individuum ist durchweg ener- gischer, ja beim Angriff des Nestes stechlustig. Am stärksten verteidigen sich die grauen Hummeln, von denen es in Süddeutschland (Hohenzollern) zwei Arten häufig gibt: die mauer- graue Hummel und eine außerordentlich schön samtgrau - dunkelgelb - schwarz gebänderte Art. Beide zeichnen sich durch ein viel sonoreres Summen aus, umfliegen gereizt, in immer kleineren Bogen den Gegner, um ihm dann empfindliche Stiche zu versetzen. Ich fing bei diesen Sorten, die ihre Nester stets tief im Boden oder unter einer Mauer hatten (besonders an Brücken), zu- erst die einfliegenden Arbeiter alle ab, um so das Nest zu entvölkern. Dann grub ich den Boden auf oder legte den Eingang zwischen den Steinen bloß, bis ich zum Nest gelangte. Dies mußte alles am hellen Tag geschehen. Aber bald überkam auch sie der friedliche Geist der Haus- tiere. Ganz nach Art der Honigbienen flogen von jetzt ab die Hummeln von und zu ihrem neuen Heim, emsig tätig von früh bis spät. Eine allzu neugierige Beobachtung ihres Tun und Treibens schien sie jedoch zu behelligen; meistens gerieten sie beim Öffnen des Deckels oder Aufhelsen des Näpfchens in Erregung, die sie durch ein helles, klagendes „Geschrei", das unmöglich durch Flügel- schlag allein hervorgebracht werden kann, zum Ausdruck brachten, und wobei sie sich meistens auf den Rücken legten. Öfters hörte ich dasselbe auch, wenn ich zufällig auf ein Nest von Moos- hummeln trat. Gegen Abend eines schönen Tages halten sie die Honigtöpfe — fingerhut- artige Vertiefungen aus Wachs, in denen vorher sich eine Larve und Puppe entwickelt hatte — alle mit klarem Honig gefüllt, dem ich öfters mit einem Strohhalm Proben entnahm. An Güte dürfte er dem Bienenhonig nicht nachstehen; die Farbe ist etwas intensiver gelb. Bis zum kommenden Morgen waren die Honigzellen alle wieder geleert. Saßen die Hummeln an regne- rischen und kühlen Tagen regungslos auf dem traubenformigen Zellenbau , so füllte ich eine Anzahl Zellen wieder mittels des Strohhalmes mit Bienenhonig, den sie gerne annahmen. „Der erste Anfang einer Familie ist noch nie beobachtet worden, sondern nur der weitere Ver- lauf, lieißt es in Brehms Tierleben, 3. Aufl. 1900, Bd. Insekten S. 233. Ich glaube jedoch, diesen Status nascendi einmal nahezu vor mir gehabt zu haben: Anfangs Mai suchte ich an einer sonnigen Berghalde Morcheln. Dabei trat ich auf ein Moos- polster, worauf jene eigentümlich klagende und schreiende Antwort folgte. Nach Entfernung des Moospolsters fand ich, an etwas Mulle geklebt, ein kleines Wachsklümpchen und dabei ein großes Hummehveibclien, grau wie eine Mauerhummel, indessen auch mit einigen gelbroten Ouerstreifen wie eine Mooshummel gezeichnet. Mit größter Sorgfalt brachte ich den Einsiedler und seine erst begonnene Klause in ein Zigarrenkästchen und stellte dies, da die Hummel sich ihr Nest in der 62 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. Xl\'. Nr. 4 Höhe gewählt hatte, auf das Fenstergesims eines Mansardenzimmers unseres Hauses unmittelbar unter den Dachfirst. Durch Verabreichung von Bienenhonig gelang es, die Hummel auch da droben heimisch zu machen. Nach einigen Wochen, um Pfingsten, entschlüpften 3 junge, mauergraue Hummeln den inzwischen entstandenen Kokons, und so war die I'amilie auf vier Köpfe ange- wachsen. Ein Gewittersturm hatte jedoch bald darauf das Zigarrenkistchen aus der luftigen Höhe heruntergeworfen und das Nest samt seinen In- sassen in alle Winde zerstreut, so daß die Fort- existenz der Kolonie zu meinem großen Leidwesen aufhörte. Als der Herbst ins Land kam, und der Blumenflor von Wiesen und Feldern immer mehr schwand, nahm auch die Zahl der Hummeln in jedem Neste ständig ab. Kein Mittel half gegen das Hinsterben. Zuletzt blieben nur noch einige Weibchen zurück; aber auch sie entflogen eines Tages dem Nest, um nicht mehr zurückzukehren. Vergeblich versuchte ich zuletzt auch eine künst- liche Vereinigung mehrerer Kolonien. Sie mißlang total, indem ein großes neu hinzugekommenes Erdhummelweibchen sich sofort auf eine im Nest ansässige Mooshummel stürzte und ihr anscheinend mit den Kiefern am Rüssel eine tödliche Ver- letzung beibrachte. Nach wenigen Augenblicken starb die Mooshummel mit weit . herausragendem Rüssel. Hingegen sammelte ich einmal an einem Sommertag auf weitem Spaziergang aus von den Füchsen nächtlich heimgesuchten f-fummelnestern die verschiedensten Sorten der zurückgebliebenen Insassen in der Flasche und nahm auch einige Wabenstücke mit. Indem alle Hummeln im Glase bemüht waren, herauszukommen, schienen sie keine Zeit zu finden, sich gegenseitig zu befehden. Zu 1 lause brachte ich die gemischte Gesellschaft in ein Kästchen, und nach kurzer Zeit ver- sammelten sich alle in schönster Eintracht um die Wabenstücke. Sie flogen auch ab und zu, aber eine blühende Kolonie ward nie daraus. Ob die künstliche Vereinigung zahlreicher Hummel- kolonien dadurch, daß man ihnen allen denselben Geruch mittels einer geeigneten Substanz gibt, zu einem großen Hummelstaate ähnlich unseren Bienenschwärmen führen würde, vermag ich nicht zu entscheiden. Jedenfalls wäre das Experiment der Mühe wert. Mit Spannung erwartete ich in den ersten schönen Frühlingstagen des nächsten Jahres die Rückkehr der überwinterten Weibchen in ihre ehemaligen Wohnstätten. Wohl flogen des öfteren Hummeln um dieselben herum , krochen auch einmal in das Innere, aber keine entschloß sich, eine der verlassenen Wohnungen zum neuen Heim zu erwählen. Dr.-Ing. ; Dr. phil. nat. C. Schoy, Essen a. d. R. Bticherbespi Harms, W. Experimentelle Untersuchungen über die innere Sekretion der Keimdrüsen und deren Beziehung zum Gesamtorganismus. Mit I2(> Abb. und 2 Tafeln, IV und 368 S. Gustav Fischer, Jena 191 4. — Preis brosch. 12 Mk. Früher glaubte man, das Nervensystem hielte den Tierkörper zu einem funktionellen Ganzen zusammen, indem die Nerven die in einem Teile entstandenen Erregungen auf andere durch Leitung übertrügen. Das Nervens)'stem repräsentiere ge- wissermaßen das ganze Individuum. Cuvier sagte: „Le Systeme nerveux est au fond tout l'animal; les autres systemes ne sont lä que pour le servir." Demgegenüber gewinnt die Auffassung mehr und mehr an Boden, daß die Wechsel- beziehungen der einzelnen Teile des Körpers zu- einander chemischer Natur sind. Jede Zell- gruppe produziert danach Stoffe, Sekrete, die in anderen, oft ganz abgelegenen Teilen des Körpers bestimmte Wirkungen auslösen. Ihrem chemischen Aufbau nach sind sie gänzlich unbekannt; an ihren Bestimmungsort werden sie gebracht auf dem Weg der Blulbahn. Sie haben gemeinsam, daß ihr P^ehlen gewisse Ausfallserscheinungen zur P'olge hat, und indem wir diese bei einem Weg- fall ihrer Funktion (infolge Erkrankung oder nach absichtlicher Entfernung) feststellen, gewinnen wir echuiigen. Einblick in die Rolle, welche das betreftende Organ bei normalem Verhalten spielt. Während nun gewisse ,, endokrine" Drüsen, wie die Thymus, die Schilddrüse und die Hypophyse nur die innere Sekretion, die Bildung von „Hormonen" zur Auf- gabe haben, bilden andere dieselben gewissermaßen als Nebenprodukte (Parhormone Gley's). Eine hervorragende Stelle unter den letzteren nehmen die Keimdrüsen ein. In obigem Buch werden unsere bisherigen Kenntnisse über die Abhängigkeit des Tierkörpers von der inneren Sekretion der Keimdrüsen zusammen- gefaßt. Im Hauptabschnitt „Die innere Sekretion der Keimdrüsen" wird die Frage erörtert, ob das Keim- drüsenhormon vom Interstitium oder von den Keimzellen selbst produziert wird, und ob es Sexusmerkmale gibt, die von den männlichen oder weiblichen Keimdrüsen unabhängig sind. Es folgt darauf eine Darstellung der einschlägigen Versuche bezüglich einer Abhängigkeit der männ- lichen und weiblichen Ausführgänge und der se- kundären Geschlechtsmerkmale von den Keim- drüsen bei den Evertebraten und bei den Verte- braten. Es werden eingehend behandelt der Ein- fluß der Kastration auf die somatischen und psy- chischen Eisenschaften und auf den Stoffwechsel, N. F. XIV. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 63 das \^erliältnis der Keimdrüse zu den übrigen Organen der inneren Sekretion und jene der Brut- pflege. Darauf folgt eine Darstellung der Ausfall- erscheinungen nach Kastration, sowie ihre Be- kämpfung durch Transplantation, Implantation und Injektion von Keimdrüsensubstanz. In: „Die Frage nach dem Ablauf der inneren Sekretion" werden die Versuche besprochen, aus denen sich die vollständige Ausschaltung des Nerveneinflusses bei der inneren Sekretion der Keimdrüsen ergibt. Eine ausführliche Darstellung widmet Verf. den Versuchen, welche er mit Trans- plantation der Daumenschwiele des Frosch- männchens angestellt hat. Der Inhalt der beiden letzten Kapitel ist „Keimdrüsen und Seneszens" und „Charakterisierung des Keimdrüsensekrets und Folgerung für die Substitutionstherapie." Den Schluß des inhaltreichen Buches bilden die Versuchsprotokolle des Verf. sowie ein aus- führliches Literaturverzeichnis. Eine besondere Besprechung findet die PVage, ob die inneren Sekrete der Keimdrüsen von den Generationszellen selbst oder den 1850 von Leydig entdeckten Zwischenzellen produ- ziert werden. Diese bilden zwei dicht aneinander liegende Zellbänder, die sich oft dichotomisch teüen und mit ihren Endzellen immer dicht um eine Kaiiillare herumliegen. Es sind große Zellen von polygonaler Form, deren Protoplasma in großer Zahl Körnchen und Kristalle einschließt. Sie finden sich sowohl im Hoden als im Ovarium; besonders in ersterem sind sie reich entwickelt und bilden drüsenähnliche Komplexe (Pubertäts- drüse Steinach). Während sie den Wirbellosen ganz fehlen, kommen sie bei allen Wirbeltieren, besonders entwickelt bei den höheren P^ormen vor. I-'ür ihre Natur als Bildungsstätte des inneren Sekrets der Keimdrüsen spricht der Umstand, daß die sekundären Geschlechtsmerkmale trotz Röntgenbestrahlung und Transplantation der Keim- drüsen wohl erhalten bleiben, obschon die Gene- rationszellen selbst in den genannten Fällen zu- grunde gehen. Die Zellen des Interstitiums unter- liegen großen Schwankungen, je nach der Tierart und bei solchen mit zyklischer Sj^ermatogenese je nach der Lebensperiode. Bei den weiblichen Tieren wurden interessante Beziehungen zwischen ihm und dem Corpus luteum von Fränkel ge- funden. Die meisten Autoren sprechen sich dafür aus, daß wir im Interstitium den innersekretorischen Feil der Keimdrüse zu sehen haben. Nußbaum (1906) vertritt den Standpunkt, daß bei F^röschen die generativen Zellen auch das Plormon liefern. Eine Schwierigkeit für die Deutung des Interstitiums als Bildungsstätte des Keimdrüsenhormons bildet es, daß nach Versuchen von IL beim Regenwurm das Clitellum nur beim Vorhandensein der männlichen Keimdrüsen regene- riert, diese aber, wie die Keimdrüsen der Wirbel- losen überhaupt, kein Interstitium besitzen. Ein weiteres Gebilde von bisher zweifelhafter Bedeutung wird mit größter Wahrscheinlichkeit von H. als eine Drüse mit innerer Sekretion nachgewiesen. Es ist das sog. „Bidder'sche Organ". Es kommt bei der männlichen Kröte vor und wurde bisher für ein rudimentäres Ova- rium gehalten. Wurde es samt den Hoden ent- fernt, so blieb die Bildung der Daumenschwielen aus ; wurde es aber in den Rückenlymphsack transplantiert, so begannen die Daumenschwielen, wie beim normalen Pier, Ende Mai und anfangs Juni auch bei den vollständigen Kastraten anzu- schwellen. Beim Fehlen jeglicher nervösen Ver- bindung wurde also das von ihm gebildete Hormon offenbar durch den Säftestrom im Körper verbreitet. Ein Interstitium fehlt aber demBidder 'sehen Organ. Die vom Corpus luteum des Eierstocks der Säuge- tiere gebildeten Hormone scheinen die Umbildung der Schleimhaut des Uterus zur Aufnahme des Eies zu bewirken. Bei heteroplastischer Transplantation bei Amphibien, also bei der Einpflanzung des Eierstockes auf das Tier einer anderen Art, blieb die Kastrationsatrophie nur dann aus, wenn auch Keimzellen erhalten geblieben waren. Zwischen den Gliedertieren und den Wirbeltieren besteht ein fundamentaler Gegensatz bezüglich der Abhängigkeit der sekundären Geschlechtsmerkmale von den Keimdrüsen. Bei dimorphen Schmetterlingen, z. B. dem Schwammspiimer, konnte auch durch Übertragung der Keimdrüsen- anlage des anderen Geschlechts in die junge Raupe, wo sie gut anwuchs, eine Umstimmung der sekundären Geschlechtsmerkmale (P orm, Farbe usw.) des sich entwickelnden Schmetterlings nicht er- zielt werden (M eisenh eimer). Bei Wirbeltieren dagegen wurde eine völlige Umstimmung nach Übertragung der anderen Geschlechtsdrüse erzielt. Weibliche Meerschweinchen z. B., denen statt des Ovariums Hoden transplantiert worden waren, nahmen Behaarung, Kopfform und Instinkte der männlichen Tiere an. H. schließt sich in der Erklärung der auffallendtn Erscheinung des durchaus verschiedenen Verhaltens der Insekten und Säugetiere Meisen heimer an. Bei phylogenetisch alten Gruppen, hier also den Gliedertieren, sind die sekundären Geschlechts- charaktere derartig unabhängig von den Keim- drüsen geworden, daß sie, wie das Geschlecht selbst, bereits im Ei bestimmt sind. Sie ent- wickeln sich deshalb auch, wenn die Keimdrüse fehlt, während bei den phylogenetisch jungen Säugetieren die sekundären Geschlechtsmerkmale, wie bei ihrer ersten Entstehung des formativen Reizes (Herbst) seitens der zugehörigen Keimdrüse bedürfen. Während bei den Insekten sich die sekundären Geschlechtsmerkmale ganz unabhängig von den Keimdrüsen erweisen, ist es merkwürdigerweise bei der „parasitären Kastration" nicht der Fall. Man versteht darunter die Vernichtung der Keim- drüse von Krebsen (Stenorhynchus, Phalangium, 64 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 4 Eupagurus, Gebia usw.) durcli den schmarotzenden Rankenfüßler Saccuhna. Die Männchen nehmen dann die Form der Weibchen an. Bei Eupagurus entwickeln sich sogar kleine Eier im Hoden. Biedl meint, die Sacculina wären alle Weibchen, und nach der Zerstörung der Keimdrüse des Wirts wirke nun bei der innigen Verbindung zwischen Parasit und Wirtstier das weibliche Sekret des ersteren um- stimmend auf letzteren ein. Ursprünglich ist ja die Zelle geschlechtlich indifferent, was sich auch bei den Säugetieren findet. Bei eben geworfenen Katzen, Mäusen oder Meerschweinchen fand H. regelmäßig in den Hoden auch vereinzelte Ei- zellen. Gegen die Auffassung, daß die sekundären Geschlechtsmerkmale durch die innere Sekretion der Keimdrüsen bestimmt werden, scheinen die bei dimorphen Vögeln und Insekten beobachteten Fälle von Halbseitzwittern zu sprechen. So war bei einem solchen des Gimpels das Gefieder rechts rot, links graubraun; links war ein Eier- stock, rechts eine Samendrüse vorhanden. Eine befriedigende Erklärung des Befundes steht noch aus. Kathariner. Anregungen und Antworten. Herrn v. W. in Bonn. I. Eine .Auswahl von Schriften, die sich mit dem Problem vom elektromagnetischen Ursprung der Materie mehr oder weniger beschäftigen. W. Wien, Über die Möglichkeit einer elektromagneti- schen Begründung der Mechanik. Annalen der Physik und Chemie, V, 501 ff. W. Wien, Über Elektronen (Leipzig, TeubncrI. H. A. Lorentz, Ergebnisse und Probleme der Elek- tronentheorie (Berlin, J. Springer). G. Mie, Die neueren Forschungen über Ionen und Elek- tronen (Stuttgart, F. Enke]. F. Lenard, Über Äther und Materie (Heidelberg, C. Winter). E. Marx, Grenzen in der Natur und in der Wahrneh- mung (Leipzig, Teubner). Dieses lesenswerte Schriftchen führt auch die Abhandlungen an, in denen Kaufmann, Lenard, Abraham und Lorentz ihre grundlegenden Versuche und Ansichten verötfentlicht haben. Thomson, Elektrizität und Materie (Braunschweig, Vieweg & Sohn). Fournier d'.\lbe. Die Elektronenthcorie (Leipzig, J. A. Barth). O. Lodge, Elektronen usw. (Leipzig, J. A. Barth). A. Righi, Neuere Anschauungen über die Struktur der Materie (Leipzig, J. A. Barth). L. Poincare, Die moderne Physik (Leipzig, Quelle & Meyer), 10. Kapitel. H. Poincare, Wissenschaft und Hypothese (Leipzig, Teubner), 10. Kapitel. Vergleiche auch die von I.inde- mann zugefügten Anmerkungen. H. Poincare, Der Wert der Wissenschaft (Leipzig, Teubner), 8. Kapitel. E. P i c a r d , Das Wissen der Gegenwart in Mathematik und Naturw. (Leipzig, Teubner), 4. Kap., 4. Abschnitt. F. Enriques, Probleme der Wissenschaft (Leipzig, Teubner), 2. Teil, 6. Kap., § 29. A. Müller, Das Problem des absoluten Raumes (Braun- schweig, Vieweg tS: Sohn). Abhandlungen aus der Naturw. Wochenschrift: Becker, Über die Konstitution der Materie; 1903/4, S. 52g ff. Stickert, Was ist Elektrizität? 1905, S. 769 ff. Greinacher, Elektrizität und Materie ; 1906, S. 657fr. Aufsätze aus der Umschau: Rutherford, Existieren die Atome, Molekeln und Elektronen? 1910, S. 341 ff. und S. 369«'. Daitz, Die Elektronentheorie; 1910, S. 66S li\ Höchst eigenartig und lehrreich ist G. Le Bon, Die Entwicklung der Materie (Leipzig, A. Barth). In die experimentellen Grundlagen der elektromagnetischen Theorie führt ausgezeichnet ein: G. Mie, Lehrbuch der Elektr. u. des Magnet. (Stuttgart, F. Enke). Wer mathematisch genügend vorgebildet ist, wird heran- gehen an Drude, Physik des Äthers, neubearbeitet von W. Kö nig (Stuttgart, F. Enke), um dann zu den schwierigeren Werken moderner Theoretiker weiterzuschreiten. Außerdem beachte man auch die größeren Lehrbücher und Handbücher der Physik ! Über das Relativ itätsprinzip, das die Vorstellung des Äthers ganz auszuschalten versucht, siehe namentlich J. Petzoldt, Die Relativitätstheorie der Physik in der Zeitschrift für positiv. Philos., 2. Band, S. I fl'. Dortselbst finden sich reiche Literaturangaben. Ferner S. Valentiner, Vom Prinzip der Relativität; Naturw. Wochenschr. 1914, S. 769 ff. 2. Schriften über Rhythmus. Das von Ihnen angeführte Buch habe ich noch nicht ge- lesen; aber ich glaube, daß die eine oder andere der von Eisler in seinem „Wörterbuch der philosophischen Bcgrifl'e" (Berlin, Mittler & Sohn) unter dem Schlagworte ,,Rh y th mus" erwähnten Schriften Ihren Wünschen entsprechen wird. Außer den in der 3. Auflage angegebenen Werken beschäftigen sich noch mit Rhythmus ; W. Wirth, Die experimentelle Analyse der Bewußtseins- phänomene, Abschnitt 18 a; Benussi, Psychologie der Zeitauffassung; Müller-Freien fels, Psychologie der Kunst, 2. Band, S. 40 ff. Angersbach. Literatur. Becher, Prof. Dr. Erich: Weltgebäude, Weltgesetz, Weltentwicklung. Ein Bild der unbelebten Natur. Berlin '15, G. Reimer. Geb. 7 Mk. Die Kultur der Gegenwart usw. III. Teil. 7. Abteilung. I. Band: Naturphilosophie. Unter Redaktion von C. Stumpf bearbeitet von Erich Becher. Leipzig und Berlin '14, B. G. Teubner. Geb. 16 Mk. Richardswalde. Dr. E.: Was muß der .Arzt vom Okkultismus wissen? Leipzig '14, M. Altmann. Geb. 1,50 Mk. Inhalt: Hornig: Die iMnwirkung der nordischen Vereisung auf die Obertlächcnformen der Sudeten. Bürger: Neues über die Darstellung von .Ammoniak und von .Ammoniaksalzen. Bokorny: Die proteolytischen Enzyme der Hete. — - Einzelberichte: Luschan: Die Verwandtschaft der Huschleute und der zentralafrikanischen Pygmäen. Viktor Henri: Über die morphologische und biologische Umgestaltung des Milzbrandbazillus unter dem Einlluß ultravioletter Strahlen. Botezat: Die Haare der Säugetiere. Gambera: Ein neues Entomologenmikroskop. — Kleinere Mitteilungen: Schoy Aus dem Leben der Hummeln. — Bücherbesprechungen: Harms: Experimentelle V Sekretion der Keimdrüsen und deren Beziehung zum Gesamtorgan Liste. permientellc Untersuchungen über die mnere Anregungen und Antworten. — Literatur : Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Mie he in Leipzig, Marienstrafle IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 31. Januar 1915. Nummer 5. Das Verhältnis der Ein- und Zweikeimblättler in verschiedenen Ländersebieten. [Nachdruck verboten.] Von Prof. Dr, Jede Stati.-tik über Lebewesen hat mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, da diese beständigem Wechsel unterworfen sind. Die Volkszählungen setzen daher einen genauen Zeitpunkt nach Tag und Stunde an, für den die Verhältnisse festzu- stellen sind, und dennoch werden sicher manche Ungeiiauigkeiten im einzelnen unterlaufen. Diese kommen aber bei den großen Zahlen, mit welchen man es zu tun hat, nicht in Betracht, da das Ergebnis nur für Vergleiche verwertbar sein soll und das in hohem Maße ist. Ähnliche Zählungen für die Pflanzen- und Tierwelt sind nur soweit möglich, als ihre Glieder unmittelbar unter menschlicher Aufsicht stehen, es sich also um Zucht-l'flanzen und -Tiere handelt, im ersten Falle natürlich nicht um Einzelwesen, sondern um mit Beständen einer Art beflanzte Gebiete Tiotzdem hat man schon seit Jahrzehnten auch auf die wild lebenden Pflanzen und Tiere vieler Gebiete die Statistik angewendet und aus diesen schon lange auch gewisse Regeln erkannt, die vielleicht wohl einzelne noch nicht genügend geklärte Ausnahmen zulassen, im ganzen aber schon fast als Gesetze gelten können. Dabei sind meist die höheren Lebewesen, etwa die Wirbel- tiere und die Gefaßpflanzen berücksichtigt, da diese im allgemeinen höhere Beachtung finden, als die niederen, z. T. nur mit Hilfe mikrosko- pischer LJntersuchung bestimmbaren Wesen. Es werden dann diese entweder nach Verwandtschafis- gruppen oder nach Lebensformen geordnet. Von solchen Untersuchungen erregte eine über das Verhältnis der beiden Klassen der Deck- samer (Angiospermae), der Einkeimblättler (Mono- cotyleae) und Zweikeimblättler (Dicotyleae) in letzter Zeit meine Aufmerksamkeit, als ich sie für einzelne Teile unseres Vaterlandes vornahm und dabei eine größere Regelmäßigkeit erkannte, als sie mir bisher wahrscheinlich schien, weil sie doch mit nicht genügend gesicherten Einheiten rechnet. Es ist nämlich ja einerseits der Begriff der Art ein keineswegs überall feststehender, andererseits kann auch über das Heimatsrecht der Einzelarten großer Zweifel herrschen. So wurde noch vor wenigen Jahren der Kalmus bei uns als heimisch betrachtet, bis Mücke') eine vorher schon von verschiedenen Forschern geäußerte Meinung über seine Einführung aus Asien als sehr wahrscheinlich nachwies. Ähnliche Zweifel gelten aber noch F. Hock. für andere Arten, und werden z. T. von ver- schiedenen F"orschern ungleich beantwortet. Wenn trotzdem sich in der Arienzahl eine gewisse Regelmäßigkeit beim Vergleich verschiedener Gebiete zeigt, so kann dies nicht auf einem Zufall beruhen, sondern muß durch die ungleichen An- sprüche der Glieder dieser Klassen an das Klima bedingt sein. In meiner bisher vorliegenden Untersuchung ') wies ich darauf hin, daß 1. die Zweikeimblättler im Vergleich zu den Einkeimblättlern an Artenzahl zum Äquator hin stärker zunehmen, 2. die gleiche Zunahme bei Entfer- nung vom regenspendenden Meere statt- findet. Beide Regeln sind nicht etwa von mir zuerst erkannt, sondern schon länger aus Vergleichen erschlossen. Die erste scheint schon von A. de Candolle 1856 an der Hand ziemlich zahlreicher Belege erörtert zu sein.-) Maxim owicz '') hat die zweite Regel 1884 an der Hand von Zahlen über ostasiatische F"loren erläutert, doch vermag ich nicht zu sagen, ob nicht auch diese schon früher aufgestellt war. Nach meiner genannten Veröfientlichung wurde mir bei Untersuchungen über die Zahlenverhält- nisse in Norddeutschland, welche ich für eine größere Arbeit über die Pflanzenwelt Norddeutsch- lands vornahm, erst klar, in wie hohem Maße diese Regeln in einem Gebiete mit ziemlich gleichmäßigem Boden , d. h. ohne eigentliche Gebirge gelten. Werden nämlich nur die inner- halb der Gebiete urwüchsigen und seit langer Zeit eingebürgerten Arten gezählt, ähnlich wie es Ascherson und Graebner in ihren grund- legenden Florenwerken tun, aber im Gegensatz zu diesen Forschern die sicher nur eingebürgerten Arten (wieErigeron canadensis, Helodea canadensis, Arten von Oenothera und Rudbeckia u. a.) nicht mitgerechnet, so ergeben sich für die Hauptteile Norddeutschlands Ver- ') Botan. 'Zeitung LXVI, 190S, S. 1—23. ') Hock, Verbreitung der reichsdeutschen Einkeimblättler (Monocotyledoneae) (Beihefte zum Bot. Zentralbl. XXXII, 1914, Abt. II, S. 17 ff.); vgl. bes. S. 19—23- 2) Mir war sie zugänglich in Kabsch, Das Pflanzen- leben der Erde (Hannover 1865), wo S. 382 — 383 zahlreiche Belege dafür gegeben werden. =") Maximowicz, Sur les coUections botaniques de la Mongolie et du Tibet septentrional (Tangout) recueillies par des voyageurs Russes et conservees ä St. Petersbourg (Bulletin du congres international de bolanique et d'horticulture a St. Petersbourg 1S84 p. 135 — 146). 66 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 5 hältniszahlen , die in keinem Falle den oben- Ländern (wie natürlich auch in größerer Nähe der genannten Regeln widersprechen, wie die folgenden See) scheint nämlich in erster Linie die verhältnis- Zusammenstellungen zeigen mögen, von denen mäßig stärkere Zunahme der EinkeimblätUer zu hier nur dasEndergebniswiedergegeben werden mag. bedmgen, wie schon K ab seh (a. a. O. S. 382) Für die erste Regel sprechen die unter i mit- hervorhebt, denn im Gegensatz zu niederen Höhen- geteilten Zahlen, für die zweite die unter 2: lagen sind in größerer Höhe des Gebirges Verhältnis der Artenzahl der Ein- I a) Ostfries. Inseln Nordwestdeutsch. Festland Hercynischer Florenbezirk ^) 22,8 18,3 14.9 und Zweiblättler. "/„ Samenpflanzen grasartig I b) iVIecklenburg i : 2,; Sachs. Tiefland (IVIittelsachsen) I : 2,] I : 2,< Westpreußen -) Brandenburg (auch Posen) 17,9 16,1 17,0 16,8 (16,2) •'/q Samenpflanzen grasartig "/g Samenpflanzen grasartig 2 a) Nordfries. Inseln Schleswig-Holstein 27,1 18,2 % Samenpflanzen grasartig 2 b) Nord Westdeutschland I : 2,6 18,3 Mecklenburg (und Pommern) i : 2,7 17,9 We.st- (und Ost)preußen i : 2,8 17,9 "/q Samenpflanzen grasartig (17.2) „ (17,1) „ 2c) Mittel.^achsen Brandenburg (und Posen) 16,1 16,8 "/o Samenpflanzen (16,2) „ grasartig Die beigefügten Zahlen über den Anteil der grasartigen Pflanzen, d. h. der Graminaceae, Cyperaceae und Juncaceae zusammen, sollen zeigen , daß diese es in erster Linie sind, welche den Hauptanteil der Einkeimblätiler aus- machen. Sie bedingen allerdings nicht allein das Verhältnis. So sind z.B. die Potamoget on a - ceae auch verhältnismäßig stark in den an die See stoßenden Ländern entwickelt. Dagegen sind umgekehrt die Familien der Einkeimblättler, welche vorwiegend auf Kerfbestäubung angewiesen sind, also die Liliaceae, Narcissaceae (Amaryllidaceae), Iridaceae und vor allem die Orchidaceae in Norddeutschland, beson- ders im Nordwesten unseres Vaterlandes, verhält- nismäßig schwach ausgebildet, so daß sie nicht die vergleichsweise starke Ausbildung der Ein- keimblättler bedingen. Da nun die Gheder der großen Familien der Zweikeimblättler, vor allem die Korbblüter und Hülsenfrucht er, meist auf Kerfbestäubung ange- wieseri sind, mag die Zunahme der Kerfe nach dem Äquator zu auch die stärkere Zunahme der Zweikeimblättler mitbedingen, wenn auch anderer- seits die Orchidaceae, die Glieder der arten- reichsten Familie der Einkeimblättler auf der gan- zen Erde, ebenfalls vorwiegend in den wärmsten, allerdings zugleich auch feuchtesten Ländern der Erde am arienreichsten auftreten. Der größere Feuchtigkeitsgehalt der Luft und des Bodens in den weiter vom Äquator entfernten ^) Berechnet nach Drude 's Angaben in „Drude, der hercynische Florenbezirk (Leipzig ii)o2)." Dieses Vcrh;iUnis kann auch bei den folgenden Vergleichen hinzugclügt wtrdi-n, da sich der hercynis. he Bezirk auch noch südwärts an Mittel- sachsen und einen Teil Brandenburgs anschließt. ^) Pommern 1 : 2," s..2b. die Zweikeimblättler verhältnismäßig reichlich. So soll das Verhältnis der Ein- zu den Zweikeimblättlern auf den Bergspitzen in der Schweiz i : 5,5, ja in größeren Höhen i : 6 oder I : 7, auf Kalkboden sogar i : 9 erreichen. Für die Pflanzen, weiche in Schlesien vorwiegend das Hochgebirge bewohnen *) ergibt sich das Verhält- nis I : 3,8 , während für die Pflanzen der schlesi- schen Ebene dies Verhältnis i : 2,9 ist. -) Die Gipfelflorulae des Berninagebiets (von 3400 — 2920 m)^) ergeben das Verhältnis i :4,i, die Gipfelflora des Tai pa-shan (3350 m) in Ost- asien') gar 1:5,5 und in der Hochgebirgsflora des Kilimandscharo werden von Engler*) ') Berechnet nach Seh übe, Beitrüge zur Verbreitung der Gefäßpflanzen in Schlesien. Fesigruß dem XIII. deutschen Geographentage dargebracht von der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur. Breslau igol, S. 1 1 f . ^) Nur die höheren Teile der Gebirge können hier zum Vergleich in Betracht kommen. Bis zu gewisser Höhe steigt die Niederschlagsmenge im Gebirge, von da an sinkt sie wieder; ,,die deutschen Mittelgebirge erreichen nicht jene Höhe, von welcher an die Niederschlagsmenge wieder abnimmt" (Hann, Handbuch d. Klimatologie, Stuttgart 1 S83, S. 186). Für das schlesische Hochgebirge scheint dies aber doch schon in Be- tracht zu kommen, am Brockengipfel aber offenbar nicht, denn da ist das obige Verhältnis (nach Kabsch) 1:1,8. Sicher gilt es für die Alpen. — Unter den das deutsche Reich nur in den Bayrischen Alpen erreichenden Samenflanzen sind 14,5% grasartig, ist das Verhältnis der Ein- und Zweikeimblättler i : 5 (vgl. meine Arbeit in Verb. bot. Ver. Brandenburg LH, 1910 S. 41 f.). ^) Berechnet nach Rubel, Pflanzengeographische Mono- graphie des Berninagebietes (Engler's Bot. Jahrbücher XLVII, 1912) S. 222 f. *) Nach Di eis. Die hochalpinen Floren Ostasiens (Fest- schrift zur Feier des siebzigsten Geburtstages des Herrn Prof. Dr. Paul Ascherson, Leipzig 1904) S. 490 ff. '') Engler, Über die Hochgebirgsfloren des tropischen Afrika. (Abhandl. Kgl. Preuß. Akad. d. Wissensch., Berlin 1892) S. 49—55- N. F. XIV. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ^1 oberhalb 2800 m nur je eine Art Andropogon und Carex von Einkeimbläitlern angegeben, da- gegen 27 Zweikeimblättler, so daß dort das Ver- hältnis gar i : 13,5 wäre; doch ist natürlich in den letzten beiden Verzeichnissen an Vollständig- keit noch nicht zu denken. Da auch der Kamerun- berg ein ähnliches Verhältnis liefert, solche, wenn auch nicht ganz so hohe Zahlen, seit längerer Zeit aus Hochgebirgen Europas bekannt sind, zeigt sich, daß in dieser Beziehung die Hoch- gebirge mehr an die Tropen erinnern, während sie sonst in ihrem Pflanzenwuchs bekanntlich selbst in tropischen Ländern durch die Tracht der Pflanzen an die arktischen Gebiete erinntrn, andererseits durch Trockenschutzvorrichtungen die herrschende Dürre anzeigen. Für Hochgebirgsverhältnisse konnten natur- gemäß keine Beispiele aus Norddeutschland ge- geben werden ; ') aber auch für die beiden anderen Regeln möchte ich noch einige Beispiele aus anderen Ländern geben , zumal da diese selbst- verständlich größere Unterschiede in den Zahlen zeigen als die doch im ganzen ziemlich gleich- artige norddeutsche Flora. Zunächst sei die Zu- nahme der Zweikeimblättler nach S. durch einige nördlich und südlich vom Untersuchungsgebiet gelegene Landesteile oder Länder gezeigt, wobei soweit diese schon in meiner früheren Arbeit er- wähnt sind, auf diese verwiesen sei, soweit aber dort nicht berücksichtigte Gebiete in Betracht kommen, die Schriften, auf welchen die Angaben fußen, hier genannt werden sollen. Wenn mir dies möglich, ''j habe ich wieder die Vergleichs- zahl der grasähnlichen Pflanzen beigefügt. Verhältn. d. Ein- "/„ Samenpflanz, u. Zweikeimbl. grasähnlich Spitzbergen^) i : i,9 18,2 Norwegen i 12,4 21,3'') Norddeutschland i : 2,9 16,4 Hercynia l : 3,i I4,9 Bayern'*) i : 3,6 13,5 Italien ") l : 3,6 12,3 Tripolis i : 4,0 12,1 ') Daß Kalkboden bei seiner Durchlässigkeit den Zwei- keimblättlern im ganzen mehr zusagt, deutet auch ein offenbar recht vollständiges Verzeichnis der Samenpflanzen der dänischen Insel Moen von Rostrup (vgl. Bot. Jahresber. XXX, 1902, S- 393) '1" I nach dem dort 419 Zweikeimblättler, aber nur 139 Einkeimblättler vorkommen, also diese sich etwa wie 3,0: i verhalten, also im Verhältnis mehr Zweikeimblättler als selbst in den inneren Teilen Norddeutschlands (s. o.) vorkommen. '^) Einige Zahlen entnehme ich kurzen Berichten, die nicht Zahlen über die einzelnen Familien liefern. ') Nowaja-Semlja- Waigatsch (gleich ob. Angaben nach Kj eil mann, Vcga Exped. Vetensk. Jaktagelser) ergibt das Verhältnis I : 2,4 (23,2 "/„ grasähnl. Pflanzen). *) Hier sind also auffallend viele grasähnliche Pflanzen, noch mehr als auf Spitzbergen im Verhältnis. '') Nach Voll mann, Flora von Bayern (Stuttgart 19 14). Daß diese Zahl ebenso hoch wie die von Italien und die von der Schweiz gar 1 : 3,7, also noch höher, hängt vielleicht mit den vielen hohen Gebirgen und mit dem mehr festländischem Khma zusammen. Italien hat zwar auch hohe Gebirge, andererseits aber auch eine lange Küste, die für die niederen Landesteile entschieden den Feuchtigkeitsgrad sehr hebt. Eine noch wesentlich höhere Verhältniszahl (nämlich i : 5,3 ; 10,5 "/(, gra--ähnliche Pflanzen) liefert Ascherson's ältere Arbeit über Tripolis und einige benachbarte Oasen (Plantarum Africae septentrionalis mediae hucusque cognitarum con- spectus [Bot. Centralblatt VIII, 1881, S. 278 — 287]). Noch auffallender aber ist, daß eine fast ebenso hohe Verhältniszahl sich für die Kanaren ergibt nach „Sauer, Catalogus plantarum in Canariensi- bus insulis sponte et subsponte crecentium" (vgl. Bot. Jahresber. VIII, 1880, 2, S. 521 ff.), nämlich I : 5,3 (10,1 "/n grasähnlich). Zwar ist bekannt, daß diese Inseln viele Dörrpflanzen (Xerophyten) beherbergen, aber trotzdem wäre ein die Euikeim- blättler stärker begünstigender Einfluß des Meeres zu erwarten gewesen, zumal auf der kleinen Insel St. Vincent unter den Kapverden nach E. H. L. Krause (Flora der Insel St. Vincent in der Kap- verdengruppe [Engler's bot. Jahrbücher XIV, S. 394 ff.]) sich nur das Verhältnis i : 3,2 (22,6 % grasäiinliche Pflanzen) ergibt. Daß ähnliche Verhältnisse wie in der Alten Welt sich auch aus einem Vergleich nordameri- kanischer Floren ergeben, wurde schon in meiner genannten früheren Arbeit gezeigt; es soll darauf nicht wieder eingegangen werden. ') Um aber zu zeigen, daß ähnliche Verhältnisse wie auf der nördlichen auch auf der südlichen Erdhälfte herrschen, nur natürlich die Verhältnisse der Himmelsrichtung nach sich umkehren, sei eine Reihe für die Hauptgebiete Australiens ") mit- geteilt : Verhältn. d. Ein- % grasähnl. Pfl. u. Zweikeimbl. unter d.Samenpfl. Nordaustralien i : 3,7 16,8 Queensland i : 3,6 13,7 Neu-Süd- Wales I : 3,3 13.3 Viktoria i ; 3,i 14.8 Tsamanien i : 2,5 12,7 Südaustralien Westaustralien I :3.7 I : 4,6 13-2 7,3 ") Nach Arcangeli, Compendio della Flora Italiana (Fi- renze 1882). Einzelne Teile zeigen andere Verhältnisse, so ergibt sich nach Kabsch (a. a. O. S. 3S3) das Verhältnis 1:3,9 für die Lombardei, also den streng festländischen Teil, da- gegen I : 4,0 für Sizilien, also trotz der wesentlich südlicheren Lage nicht viel anders durch den Einfluß des Meeres. ') Ein Vergleich der Floren von Michigan und Indiana durch J. M. Coulter, M. S. Coulter und Ch. K. Barnes (vgl. Bot. Jahresber. IX, l8Si, 2 S. 474ff.) bestätigt die Regel weiter, denn d.as fragliche Verhältnis ist für Michigan I : 2,9. für Indiana 1:3,4. — Das Verhältnis für Kuba 1:4,5, <^^- sich aus „Sauvanne, Flora Cubana" (vgl. Bot. Jahresber. l.\, 18S1, 2 S. 493 f.) ergibt, ist wesentlich anders als das früher mitgeteilte (I :3,i) für Puerto Rico; vielleicht schwächt der stärkere Insel-Charakter bei dieser die südliche Lage ab, zumal sie mehr den Seewinden ausgesetzt ist, während das mehr als 12 mal so große Kuba z. T. im WindschaUen Floridas liegt. 8) Nach F. v. Müller, Systematic Census of Australiaa Plauts (vgl. Bot Jahresber. X, 1882, 2 S. 38Sff. ; z. T. ergänzt nach Wools, The Plauts of New South Wales (vgl. eb. S. 397 ff-)- Der Vergleich der grasartigen Pflanzen, der viel- leicht noch die Erio c au 1 ac e ae, Xyridaceae u. a. hätte berücksichtigen sollen, erleidet bei Victoria eine Unterbrechung. 6S Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 5 Die zwei unter dem Strich angegebenen Ver- hältnisse zeigen, namentlich bei einem Vergleich mit Tasmanien, daß die Trockenheit auf der südlichen Erdhälfte auch die Zweikeimblättler stärker fördert, als die Einkeimbläitler, denn im allgemeinen ist sie in Australien im Westen stärker als im Osten, namentlich im Südosten. Vorteilhaft wäre hier ein Vergleich mit dem inneren Wüstengebiet (Eremaea- Region von Di eis), doch stehen mir für eine solche nicht die nötigen Angaben zur Verfügung. Das Verhalten ozeanischer Inseln zu benach- barten Festländern ist offenbar verschiedenartig, 'j Während auf Juan Fernandez nach Johow (Estudios sobre la Flora de las Islas de Juan Fernandez. Sanuago de Chile 1896) das Verhältnis der Ein- zu den Zweikeiniblättlern i : 3,7 ergibt, die Zahl der grasähnlichen Pflanzen 18,1% aller Samenpflanzen ausmacht, in Chile aber nach den (eb.) mitgeteilten Angaben von Johow sich jenes Verhältnis kaum anders, nämlich auf i : 3,8 stellt, die Verhältniszahl für die grasartigen Pflanzen aber fast nur halb so groß, nämlich 9,8 "/^ , ist das Verhältnis der beiden Klassen der Decksamer auf den Galapagos (nach Stewart in Californian Academy of Science 191 1 p. 7 — 288) 1:5,2 bei 14,1 "/(, grasähnlichen Pflanzen, in dem diesen Inseln nächsten Festlande, Ecuador, aber nach Dressel (vgl. Bot. Jahresbericht X, 2, 1882 S. 435 ff.) I :4,3''l bei 9,5 % grasähnlichen Pflanzen, ergibt also in beiden Fällen geringere Verhältnis- zahlen. Diese Beispiele zeigen, daß wir keineswegs unbedingt aus der Lage eines Gebietes auf das Verhältnis der beiden größten Klassen der Samen- pflanzen schließen können ; dennoch ist die Fest- stellung dieses Verhältnisses sicher für die Kenn- Ihre Verhältniszahl ist für Neu-Seeland (nach ,,C h e c s eman , Catalogue of the Plants of New Zealand, Wellington 1906") 20,8% (mit Einrcchnung der Centrolepidaceae und Restionaceae gar ai.b",,), während das Verhältnis der Ein- und Zweikeimblättler dort ähnlich dem von Tasmania (1:2,8) ist. Die deutschen Schulzgebiete in der Südsee, (Deuisch-Neu-Guinea und die östlich und nördlich davon ge- legenen Inseln) ergeben nach S c h u m an n - L aut e r b ac h , Flora der deutschen Schutzgebiete in der Südsee (u. Nachtrag) dies Verhältnis nur als i : 2,0, was, wenn es annähernd richtig, nur durch den Einfluß der vielen kleinen Inseln zu erklären wäre. ') Vielleicht z. T. durch die Bodenverhältnisse bedingt. *) Das gleiche Verhältnis (aber bei 13,9 "/o grasähnliche Pflanzen) ergibt sich auch für die Hawaii-Inseln aus einer Be- rechnung an der Hand von H i 1 1 e b r a n d , Flora of the Hawaiian Islands". (London, New York, Heidelberg l8S8). Für Französisch-Polynesiin ergibt sich dagegen nach Drake del CastiUo (Flore de la Polynesic Franc^aise, Paris 1893) das entsprechende Verhältnis nur als l :3,I (bei Il,5 7o grasähn- lichen Pflanzen). Zeichnung des Klimas eines Landes von Bedeu- tung und verdient daher bei pflanzengeographischen Untersuchungen mehr betont zu werden als ge- wöhnlich der Fall ist, namentlich in neuer Zeit. Auch wenn ein Gebiet nur unvollkommen durch- forscht ist, läßt sich das Verhältnis annähernd feststellen. Eine ähnliche Regelmäßigkeit, wie sie zwischen den beiden Klassen der Decksamer ') wenigstens meist herrscht, kommt auch nicht annähernd bei einem Vergleich dieser mit den Nacktsamern oder bei dem Vergleich der Gefäßsporer mit den Samenpflanzen vor, wie verschiedene von mir an- gestellte Berechnungen ergeben haben. Zwar wer- den bei uns die Nacktsamer, die ja hier nur durch Nadelhölzer vertreten sind, nach dem Binnenlande und nach S. hin im allgemeinen auch häufiger, die Gefäßsporer, namentlich die Farne, nach dem Äquator zu und nach feuchteren Gebieten hin, aber es zeigt sich das mehr in der Gesamtzahl als in ihrem Vergleich mit den anderen Gruppen. Gefäßsporer sind auffallend reich in warmen Insel- gebieten. Während ihre Artenzahl sich zu der der Samenpflanzen auf der ganzen Erde etwa wie I ; 29 (in Norddeutschland wie i : 34) verhält, ist das entsprechende Verhältnis annähernd für Neu- Seeland 1:9, die Galapagos 1:7, die Hawaii-Inseln I ; 6, Juan Fernandez i : 5 und gar für Französisch - Polynesien 1:3, dagegen für Helgoland 1:336 (nach „Ascherson, Übersicht der Pteridophyten und Siphonogamen Helgolands" 1 Wissensch. Meeres- untersuch. IV, Heft i, Kiel und Leipzig 1900!), für Moen aber I : 29. Dies zeigt wohl zur Genüge, daß hier keine solche Regelmäßigkeit vorliegt oder diese wenigstens nicht so leicht erkennbar ist. Die Nacktsamer aber fehlen wie auf unseren Nordseeinseln auch auf den Polar-Inseln, ferner den Galapagos, den Hawaii-Inseln, in F"ranzösischT^oly- nesien, den Nicobaren-) und anderen Inselgebieten, verhalten sich zu den Decksamern auf den Kanaren wie I : 207, auf Kuba wie i : 205, auf Neu-Seeland wie I : 70, aber auf der kleinen Insel Miquelon^) wie I : 28. Auch da ist eine entsprechende Gleich- mäßigkeit schwer erweisbar. Trotzdem sind für Vergleiche gewiß auch diese Verhältnisse be- achtenswert, aber sie verdienen hier keine weitere Berücksichtigung. ') Daß unter den Einkeimblättlern, wenigstens in Europa, die auf Kerfbestäubung angewiesenen Liliales und Orchi- daceae nach S. sehr zum hmen , wurde von mir in meiner eingangs genannten Arbeit (S. 22) gezeigt. 2) Vgl. Bot. Tahresher. IV, 1S76, S. im. 3) Vgl. Bot. Zentralblatt XXXIV, 1S8S, S. 171. — Die hier nicht neu belegten Angaben fußen auf schon genannten Schriften über die betreffenden Gebiete. Der Wundstarrkrampf. [Nachdruck verboten.] Von Univ.-Prof. Dr. phil. et med. L. Kathariner, Freiburg (Schweiz). Im jetzigen Kriege tritt die gefürchtetsfe Wund- (Münchener med. Wochenschrift Nr. 40, 1914) be- krankheit, der Starrkram])f, Tetanus, in einer richtet, daß von den Verwundeten in Bayern (bis überraschend großen Zahl von hallen auf. So wird Ende September 60000) 0,7''/, starben, und daß N. F. XIV. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 69 davon 0,4^0 dem Starrkrampf erlagen. Aus Er- langen wird gemeldet, daß dort in 2 Monaten 31 Tetanusfälle vorkamen, eine Zahl, welche in Friedenszeiten in großen Kliniken kaum in 10 Jahren erreicht werde. Veranlassung zum Ausbruch des Starrkrampfes geben außer Verletzungen durch Gewehr- und Schrapnellschüsse namentlich Ver- wundungen durch Granatsplitter. Besonders ge- fährlich in dieser Beziehung sind die sog. „Prall- schüsse", bei denen das Geschoß ehe es den Körper trifft, den Boden berührt hat. Sehr häufig entwickelt der Starrkrampf sich im Anschluß an Schußwunden in den Beinen. Die große Häufigkeit desselben im gegen- wärtigen Krieg ist leicht begreiflich, wenn man die Aetiologie der Krankheit berücksichtigt und die Umstände, unter denen die Soldaten tage-, Wochen-, ja monatelang leben müssen.' Der Wundstarrkrampf wird veranlaßt durch eine Infektion mit dem Tetanusbaziilus. Überall da, wo sich Mensch und Tiere aufhalten, ist der Tetanusbazillus in der Erde sehr häufig, namentlich in Dung und Gartenerde, wo seine Sporen jahre- lang ausdauern. Beim wochenlangen Leben in den Schützengräben und nach Märschen auf schmutziger Straße ist also reichlich Gelegenheit gegeben, daß nach einer Verwundung Starrkrampf- bazillen in den Körper eindringen. Vielfach muß der Verwundete auch auf der Erde kriechend den Verbandplatz aufsuchen. Ein andermal dauerte der Transport vom Schlachtfeld bis ins Lazarett in der Heimat 4 — § Tage, und inzwischen wurde der Verband der nur oberflächlich desinfizierten meist schweren Wunden bis viermal gewechselt. Der Transport der Verwundeten, bei dem die- selben tagelang auf Stroh liegen, gibt weiterhin Gelegenheit zur Infektion. Denn der Starrkrampf- bazillus kommt sehr häufig im Darm der Haus- tiere, besonders des Pferdes vor, seltener bei Schaf und Rind. Lukas fand ihn 16 mal bei 17 darauf- hin untersuchten Pferden. In den Darm der Tiere kommen die Bazillen mit dem Futter, in den des Menschen mit ungekochtem Gemüse, Salat, Radies- chen usw. , sowie mit auf die Erde gefallenem Obst. Der Tetanusbazillus ist ein schlankes Stäbchen, 2 — 4 ,(( lang und an einem Ende nach Art eines Trommelschlegels verdickt. Zahlreiche Geiseln dienen der Eigenbewegung. Bei seinem Stoff- wechsel entwickelt er eine große Menge Gas, größienteils Kohlensäure. Er gehört zu den Anaeroben, d. h. verlangt zu seinem Gedeihen den Abschluß des Sauerstoffes der Luft. Er kann aber beim Zusammenleben mit anderen Mikroben, welche denselben absorbieren, wie nach einer Mischinfektion, auch ohne strengen Luftabschluß leben. Sein Wärmeoptimum liegt bei 27 " C. Er bildet ein außerordentlich energisch wirkendes Nervengift. Schon 0,000002 — 0,000005 ccm davon genügen, um eine Maus von 10 g Körpergewicht zu töten. Die Tiere dergleichen Art sind sehr gleich- mäßig empfindlich, sodaß die für ei n Individuum gültige letale Dosis für alle gilt. Sie läßt sich daher für die verschiedenen Spezies genau angeben, wenn man das Körpergewicht der Tiere berück- sichtigt. Nimmt man die Giftmenge, welche die Dosis letalis minima für i g Maus darstellt, als Einheit, so ist die tödliche Menge für je i g: Pferd Vit» Meerschweinchen '/„, Ziege 2, Kanin- chen 150, Gans 1000, Taube 4000 und Huhn 30000. Es ist also das Pferd das bei weitem empfind- lichste Tier. Geflügel erkrankt spontan niemals, Kaltblüter verhalten sich auch der experimentellen Infektion gegenüber refraktär. Der Tetanusbazillus wurde 1884 von zwei italienischen Forschern, Carle und Rat tone, entdeckt, deren Angaben 1885 Nicolaier be- stätigte. Während der Starrkrampfbazillus in der vege- tativen Peiiode sehr empfindlich ist, bleiben seine Sporen jahrelang am Leben und infektionsfähig. Sie ertragen stundenlang eine Hitze von 60 — 70" C. und sterben bei 80 " C. erst nach zirka einer Stunde 3b. 5 "/o 'S^ Karbolsäure tötet sie in 1 5 Stunden, I "/qi, iges Sublimat in 3 Stunden, und strömender Dampf in 5 Min. Im Anfang sind die Symptome des Starr- krampfes beim Menschen unbestimmt, Kratzen im Hals, wie bei einer beginnenden Halsentzündung, Beschwerden beim Schlucken; Kopfschmerz, Mattigkeit, Frostsjefühl und Schlaflosigkeit er- gänzen das Krankheitsbild. Eine charakteristische Wirkung des Tetanusgiftes ist eine krampfhafte Zusammenziehung des Kaumuskels, „Trismus", welcher als harter Wulst gefühlt wird. Im Beginn der Krankheit erfolgen Zuckungen in einzelnen Mu.--kelgruppen in der Nachbarschnft der Verletzung; zugleich ist die Rigidität des ver- letzten Gliedes gesteigert und äußerst schmerz- hafte Krampfanfälle sind nicht selten. Wenn die Krankheit ihren Höhepunkt erreicht hat, bietet der Patient folgendes Bild. Der Mund ist fest ge- schlossen und in die Breite gezogen „Risus sadonius," die Stirn ist gerunzelt, Krämpfe der Muskeln, welche die Stimmritze schließen, rufen einen Schlurken hervor, ähnlich dem, wie bei Glottisoedem. Häufig sind krampfhafte Zusammen- ziehungen der Nacken , sogar der Rücken- und Bauchmuskulatur, und vor allem des Zwerchfells und der Zwischenrippenmuskeln. Während Beine und Oberarme vom Krampf befallen werden, bleiben die Hände oft ganz frei. Besonders ge- steigert sind die Reflexe. So kann lautes Sprechen, das Rufen des Namens des Patienten, Türzuschlagen und andere laute Geräusche einen Krampfanfall auslösen, ebenso Lichtreize, wie z. B. das An- knipsen des elektrischen Lichts. Die Inkubationszeit wird sehr verschieden an- gegeben; sie soll bis zu drei Wochen dauern können. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, daß es schwierig ist, den Zeitpunkt der Infektion genau anzugeben. Die Krankheitsdauer schwankt zwischen ^6 ^o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 5 Stunden und 27 Tagen, die der tödlichen Fälle von 1V2 bis zu 8 Tagen. Je länger die Inku- bation dauert, um so günstiger ist die Prog- nose. Die direkte Todesursache ist gewöhnlich ein Ersticken infolge Stillstandes des krampfhaft ge- spannten Zwerchfells. Therapeutisch geht man sowohl kausal wie symptomatisch vor. Da es sich um anaerobe Bazillen handelt, sucht man ihnen durch Injektion von Wasserstoffsuperoxyd beizukommen. Das- selbe wird nach Einstechen rings um die Infek- tionsstelle in Dosen von 40 — 100 ccm injiziert. Große Erfolge verspricht man sich von der Serumtherapie. Das Antitoxin wirkt prophylaktisch und soll den Ausbruch des Starrkrampfes verhüten, wenn es rechtzeitig, d. h. spätestens innerhalb der ersten 30 Stunden nach der Verletzung injiziert wird; intravenös bzw. in den Subduralraum des Gehirns oder des Rückenmarks in der Lenden- gegend. Die Injektion geschieht meist in der Chloroformnarkose. Das französische Kriegs- ministerium hatte bis Ende September 1914 160000 Dosen des Serums, das im Institut Pasteur her- gestellt wurde, an die Truppen gelangen lassen. Auch das preußische Ministerium des Inneren hat angeordnet, daß für die Dauer des Krieges Teta- nusserum mit der Aufschrift „Nur zur prophy- laktischen Impfung" abgegeben wird. Die Abgabe geschieht in Abfüllungen von 10 ccm eines zwei- fachen flüssigen Serums, bzw. von je i g des zwanzig- fachen festen Antitoxins. Auch die gleichzeitige Anwendung von Salvarsan soll nach Rothfuchs (Zur Behandlung des Teta- nus. Münch. med. Wochenschr. Nr. 46, 1914) gute Erfolge gehabt haben. Die Ansichten über den Wert der Serum- therapie sind indes sehr geteilt, wie die Berichte aus verschiedenen Lazaretten ersehen lassen. Nach einem solchen (Bazy, Note statistique sur le tetanos. C. R. Ac. sc. Paris, Nr. 24, 14 decembre 1914) an die Akademie der Wissenschaften in Paris wäre die Serumbehandlung, und zwar nicht nur die vorhergehende Schutzinjektion , sondern auch die therapeutische Injektion nach bereits ausgebrochenem bei der französischen Armee sehr erfolgreich. B. macht darüber statistische An- gaben, die, obschon sie nur die im Lager von Paris versammelte Mannschaft betreffen , bereits sehr wohl die auf den Vorschlag der Akademie der Medizin in Paris hin getroffenen Bestimmungen von Ende September 1914 rechtfertigen; dieselben schreiben eine Schutzimpfung der französischen Soldaten mit Tetanusantitoxin vor. Auf 10896 Verwundete kamen 129 P"älle, gleich 1,184 "/^ von den Tetanuskranken starben 90, gleich 70"/,,, ge- nauer 69,76 "/„• Die Krankheit kam meistens 6 — 8 Tage nach der Verwundung zum Ausbruch; in 8 Fällen, von denen zwei tödlich ausgingen, am 14., 16., 17., 18., 20. und 27. Tag. Eine präventive Injektion war nicht gemacht worden, und B. glaubt, es sei wahrscheinlich, ja fast sicher, daß anderenfalls auch diese nicht ein- getreten wären. Man hätte außerdem den Ge- nesenen die Leiden erspart, die sie erduldet hätten. Andererseits wäre Tetanus nie aufgetreten bei Verwundeten, welche rechtzeitig die Injektion be- kommen hätten. Die Erkrankten aber hätten die Injektion erst I, 2, 3 Tage vor dem Erscheinen der Krankheit bekommen, also erst als der Tetanus schon in Wirksamkeit war, und die Heilwirkung des Serums sich nicht mehr vollständig geltend machen konnte. Die Präventivbehandlung darf, wo es noch nicht geschehen ist, nie vernachlässigt werden, auch wenn die Verwundung schon 24 Stunden zurückliegt oder die Wunde noch älter ist. Wie die Tierärzte längst wissen, ist der Starrkrampf, ebenso wie der Milzbrand in ge- wissen Gegenden besonders häufig („qu'il existait pour le tetanos des champs maudits, comme il en existe pour le charbon''). Das sei schon Pasteur bekannt gewesen. Wenn die Serum Injektion unterschiedslos präventiv gemacht würde betrüge die Zahl der Erkrankungen an Tetanus nur 0,418 ''/(,; wenn ihr aber nur verdächtige Wunden unterworfen würden, 1,279 ^j. Die Morbiditätsziffer sei dreimal größer da, wo die Injektion nur auf bestimmte Kategorien von Wunden beschränkt würde. Von 100 Verwundeten der präventiv Geimpften erkrankte an Wund- starrkrampf nur einer, und bei diesem war die Injektion offenbar zu spät vorgenommen worden, da die Krankheit schon am folgenden Tag zum Ausbruch kam ; eigentlich war also die Morbi- dität = o. Bei 100 Verwundeten mit ganz ähnlichen Wunden, die aber keine Injektion er- hielten, erkrankten 18 = i8*'(|, also fast V5 an Starrkrampf. Unter 129 Tetanuskranken waren 120 durch Granatsplitter oder Schrapnellkugeln verwundet worden, nur 9 dagegen von Gewehr- kugeln getroffen. Alle 9, die auch keine Präventiv- injektion bekommen hatten, starben. B. sagt, man wende gewöhnlich 10 ccm an, eine Dosis, welche für 5 Menschen ausreichen würde, da schon 2 ccm genügten. Gegebenenfalls aber müßten die durch Granatsplitter Verwundeten zuerst in Betracht gezogen werden. Jedenfalls aber ist die Mortalität an Starrkrampf gegen früher, wo sie bis 95" „ betrug, bedeutend herab- gegangen. Wir lesen fast in allen Lehrbüchern, daß sie 80 — 90" „ betrage. P e r m i n fand da- gegen in 330 Fällen eine Sterblichkeitsziffer von nur 62,i'7o- Bei Antitoxinbchandlung betrug sie 57,7''/ii, ohne sie dagegen 78,9"/o- Im Lazarett von Erlangen verliefen von 31 Phallen nur 11 (35,5" 0^ letal. Amputation, Exzision, Exartikulation u. dgl. haben keinen Erfolg, da der Starrkrampfbazillus nicht an der Eingangspforte bleibt, sondern durch den Blutkreislauf in das Innere des Körpers ver- schleppt wird. Die symptomatische Behandlung zielt auf eine Bekämpfung der das Leben gefährdenden Krämpfe der Atemmuskulatur. N. F. XIV. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 71 In leichten und mittelschweren Fällen haben heiße Bäder sehr wohltuende Wirkunpr, täglich 2 mal 20 — 30 Min., beginnend mit 36" C. und durch Zugießen heißen Wassers auf 41" — 42" C. gesteigert. Prof Ed. Müller (Einige Ratschläge für die Behandlung des Wundstarrkrampfes, Münchener med. Wochenschrift Nr. 46, 1914) rühmt sehr die günstige Wirkung des Luminal, das bei stärkerem Trismus und bei Schluckbeschwerden als Luminal- natrium subkutan injiziert wird. Es wirkt fast momentan krampfniildernd, schmerzstillend und schlafbringend. Von anderen symptomatisch wirkenden Mitteln werden Morphium, Chloralhydrat, Magnesiumsulfat und Karbolsäure gebraucht. Das Morphium wird subkutan 0,02 g gegeben, doch ist seine Wirkung nur sehr kurz, nur 2 — 3 Stunden. Chloralhydrat wird in großen Dosen rektal gegeben. Das Magnesiumsulfat erzeugt tiefen Schlaf mit völli- ger Erschlaffung der willkürlichen Muskeln und Ausschaltung der störenden Reflexe. Auch bei den Karbolinjektionen handelt es sich um die sedative Wirkung der Karbolsäure. 0,1 g davon werden in 5 ccm 2 % igem Karbolwasser injiziert. Geradezu verblüffende Resultate mit Karbolsäure hatte Baccelli. Bei sehr schweren Fällen betrug die Mortalität 20 7o und sank bei minder- schweren auf 2%, blieb also bei den 190 Fällen unter 20%. In jedem Einzelfall wird übrigens die Prognose von der größeren oder geringeren Giftigkeit des Infektionsträgers abhängen. Dieselbe unterliegt bei den verschiedenen Stämmen des Tetanusbazillus großen Schwankungen. Ein Brief Charpentier's an Karl Scliiniper. [Nachdruck verboten.] Mit einer Einleitung veröffentlicht von Max Hildebrandt. Als im Juli 1837 die schweizerische Natur- größere Publikum interessiere, veröffentlichen forscherversammlung zu Neuchatel, deren Präsi- könnte; — als ob es sich überhaupt dabei um dent als Professor daselbst Louis Agassiz war, dieses und nicht vielmehr um eine ganz spezifisch stattfand, gab ihm der bekannte Botaniker Karl fachwissenschafiliche Sache gehandelt hätte. Statt Schimper, der Entdecker der „Eiszeit", die der von ihm gehaltenen „Eröffnungsrede" aber auch von ihm ihren Namen erhielt, den Auftrag, ließ er eine nachträgliche Schreibtischarbeit, über diese Lehre einen Vortrag zu halten. „Discours preliminaire" genannt, in den Akten Agassiz kam dadurch in nicht geringe Ver- abdrucken, in den nicht nur der ungedruckte Teil legenheit und bat Schimper, ihm brieflich des Seh im per'schen Briefes überging, sondern Informationen zu erteilen. Schimper, der sich auch einige wichtige Stellen des gedruckten Teiles, damals in Karlsruhe authielt, tat dies auch, aber die deutlich genug verraten, daß Agassiz den der Brief gelangte erst in Neuchatel an, als Brief Seh im pe r 's, der doch erst in seine Hände Agassiz bereits seine Eröffnungsrede, in der er kam, als er die Eröffnungsrede bereits gehalten auch wirklich der Eiszeit gedachte, gehalten hatte, hatte, benutzt haben muß. Die Sprache in diesem Briefe ist die des Ent- Als bald darauf Schimper in ökonomische deckers und für Agassiz des Beraters; denn Not kam, entwendete ihm Agassiz die Eiszeit- „jedermann sieht, daß derselbe eine Belehrung lehre, und schon ein Jahr später auf der schweize- und Vorbereitung für einen in kritischer Lage rischen Naturforscherversammlung im Jahre 1838 befindlichen Freund ist", wie Schimper selbst sprach er von „seiner Theorie". Unterstützt wurde wörtlich sagt. Hätte Agassiz daher an der Agassiz von der preußischen Regierung, die Entdeckung irgendeinen Anteil gehabt, so würde ihn protegierte, und von dem damals alimächtigen er, wie jeder andere in dem gleichen Falle, sich Führer im Gebiete der Naturwissenschaften, diese Sprache verbeten, wenigstens nicht den Leopold von Buch, der Schimper als den Brief später veröffentlicht haben, ohne gegen diesen eigentlichen Schöpfer der Eiszeitlehre haßte. Doch Ton Protest einzulegen. würde dies alles dem Neuchäteler Professor nichts Die Diskussion über den Gegenstand wurde geholfen haben, hätte er nicht in Eduard Desor in die geologische Sektion verlegt, der Leopold und Karl Vogt zwei Assistenten gefunden, von von Buch präsidierte, und B uch griff Agassi z denen der erstere seine Eiszeitwerke bearbeitete in dieser Sektion heftig an, so daß dieser nicht und der letztere den Zeitungskampf gegen mehr aus noch ein wußte. Da, mitten in der Schimper für ihn aufgenommen hätte. Später Diskussion, wurde ihm Schimper's Brief über- kamen beide Assistenten selbst mit Agassiz in bracht. „Ein Brief von Schimper, ein Brief Streit und sahen sich genötigt, mehrere unter über die Eiszeit!" rief Agassiz, überflog die seinem Namen erschienene Werke als ihr geistiges erste Seite und las ihn dann der Versammlung- Eigentum zu reklamieren. vor. Nunmehr war er natürlich auch genötigt, ihn in die von ihm redigierten Akten der Ver- sammlung aufzunehmen, und so ist uns der Brief erhalten geblieben. Agassiz hätte ihn natürlich ganz abdrucken lassen müssen, da er ihn gar Der beifolgende Brief ^) Johann von Cliar- p e n t i e r 's wurde vier Monate nach der Neuchäteler ') Dieser Brief, wie auch d.is Material für die oben ge- gebene Darstellung, wurde aus dem Nachlaß Schimper's, , u ..1 u ^1-1 1 "■ 1 der von Otto Volger sorgfältig in schwarzen Pappkasten vorgelesen hatte, aber er tat dies dennoch nicht geordnet und nach seinem Tode dem badischen Landes- unter dem Vorwande, daß er nur das, was das museum in Karlsruhe übergeben wurde, entnommen. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 5 Versammlung an Schimper gerichtet und gibt ein sehr klares Bild eines Teilnehmers über den Verlauf derselben, sowie ein zuverlässiges Urteil über Agassiz' und Buch's mangelhafte Kennt- nisse der Gletscher in jeder Beziehung, woraus ganz allein schon erhellt, daß Agassiz unmöglich der wahre Autor der Eiszeit gewesen sein kann. Der zweite Teil des Briefes enthält einige bota- nische Auseinandersetzungen, für deren Richtigkeit ich mich jedoch nicht verbürgen kann , da die Handschrift Charpentier's doch viel an Deut- lichkeit zu wünschen übrig läßt. Charpentier's Brief.') Devens am 30. November 1837. Innigst geliebter und verehrter Freund! Nur erst vor 10 oder 12 Tagen habe ich die unbe'^chreibliche Freude gehabt Ihre lieben, freund- schaftlichen Zeilen vom 3''" Octobre zu erhalten; und schon eher als heute würde ich dieselben beantwortet und Ihnen dafür gedankt haben, wenn ich gewußt hätte wohin ich meinen Brief zu adressircn hätte um daß Sie ihn gewiß erhielten; denn Sie haben mir Ihre Adresse in München nicht angezeigt. Ich muß ihn also an Herrn Braun schicken damit er ihn richtig an Sie be- stellt, und dies konnte ich nicht füglich thun ohne ihm zugleich die Pflanzen mitzuschicken, um die er mich gebeten hatte. Dieses Pflanzen Auslesen ist also die Ursache der Verspätimg meiner Ant- wort und meines innigsten Dankes gewesen. Ich kann Ihnen nicht sagen, Sie herrlicher guter Freund, wie bange rs mir und der Schwester nach Ihnen thut, und wie sehr wir gewünscht hatten daß Sie wieder zu uns gekommen wären. Sie sind mir ein hell leuchtender Stern in meinem traurigen und abgeschmackten Leben gewesen, der wenn er mir gleich aus dem Meridian gekommen ist, mir immer doch noch freudig nach>chimmert. Es ist mir als hätte ich Ihnen so viel zu erzählen und zu sagen daß ich wirklich nicht weis wo ich anfangen soll. Erlauben Sie mir daß ich alles unter einander schreibe so wie es mir in die Feder kömint. Zuerst empfangen Sie meinen besten Dank für die übcrschicktcn Pflanzen, unter denen mir die Orobanchen hauptsächlich Freude gemacht haben. Ihnen habe ich es zu verdanken daß ich jetzt die Arten dieses schwierigen genus zu unter- scheiden gelt-rnt habe durch ihre eigemhümlichen Kennzeichen, ohne gerade zu wissen auf welchen Pflanzen diese oder jene .Art Parasit ist. Erken- nungs und Hestimmimgs-Wtant im allge- meinen und ein Naturforscher im besondern nichts träumen läßt. Vor allem jedoch sieht man nicht ein, welchen erkennbaren Sinn es haben kann, wissenschaftliche Gründe und Gegengründe über- haupt noch zu erörtern, wenn die Sache schließlich durch einen apodiktischen Machtspruch der Kirche entschieden werden soll. So muß denn auch Ref gestehen , daß ihn die Lektüre der Schrift weniger in Hinblick auf die darin behandelte P'rage als die darin hervor- tretende merkwürdig komplizierte und gelegentlich gewundene Denkweise interessiert hat. Es ist entschieden überraschend und ich möchte sagen belustigend, die Erschaffung des Weibes aus der Rippe des Mannes im 20. Jahrhundert wie ein ganz ernstliches wissenschaftliches Problem er- örtert zu finden. Und anderes mehr. Aber das dürfte kaum das Interesse sein, auf das es dem Verfasser bei seinen Lesern ankam. Andererseits ist es aus dem oben genannten Grunde unmöglich, die Schrift wissenschaftlich ernst zu nehmen und zu besprechen. Sobald das kirchliche .Autoritäts- prinzip als entscheidend anerkannt wird , wird jede wissenschaftliche Erörterung zu einer nutz- losen Spielerei. Auf der andern Seite wird der Naturforscher von heute wohl daran tun, sich gegenwärtig zu halten, daß die Versuchung und Gefahr, den Deszendenzgedanken als erwiesene Tatsache zu betrachten und dadurch seinerseits in einen gläubigen Dogmatismus zu verfallen, recht groß N. F. XIV. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ist. Kein Zweifel sogar, daß recht viele sich heute zu diesem Gedanken als einem Dogma be- kennen und ihre ganze Weltauffassung mit ihm steht und fällt. Demgegenüber muß immer wieder darauf hingewiesen werden, daß es sich in der Deszendenzlehre um keine direkte Er- fahrung, sondern um eine, freilich auf Grund von Erfahrungen aufgestellte Hypothese handelt, und daß Erfahrungen denkbar sind, die uns veran- lassen können, diese Hypothese ganz oder teil- weise fallen zu lassen und durch andere zu er- setzen, die sich der Gesamtheit der Tatsachen besser anpassen. Ich sage nicht, daß dies so ist, sondern daß es einmal so kommen könnte. Jeden- falls hat man Ursache, diesen Umstand nie aus den Augen zu verlieren. Wasielewski. Anregungen und Antworten. Brun Unterzeichner des Protestes gegen die Bescliießung der keimser Kathedrale. Der in Deutsthland wohlbekannte Vulkanologe Brun in Genf hat, wie die Zeitung ,,La Tribüne de Geneve" vom 23. Oktober v. J. erweist, den albernen Protest ,, gegen das Bombardement von Reims" (sie !) unter- schrieben. Einfluß hat das selbstverständlich nicht: Das Volk eines Goethe sieht in Ehrfurcht vor den Erzeugnissen gotischer Baukunst, in Verachtung gegenüber einer Feigheit, die den Kunstsinn — Anderer im Augenblicke der Gefahr als Schutz- mittel gerade gut genug findet. Wo selbst die Ehrfurcht vor dem Menschenleben schweigen muß und schweigen gelernt hat, im Kriege, dessen furchtbare Bedeutung den Herren et- was langsam einzuleuchten scheint, ist jede Diskussion über- flüssig. Und doch sei auch über diese Beteiligung an dem Proteste nicht zur Tagesordnung übergegangen: Herr Brun so gut wie seine Mitunterzeichner erlaubt sich damit ein abschließendes Urteil („l'attentat injustifie contre la cathedrale" und ,,1'incendie volontaire . . . de Lourain") über Verhältnisse, die er damals nicht kannte und selbst beute kaum völlig über- schauen könnte, auch wenn er sich darum bemülite. Deshalb und nur deshalb ist Herr Brun für deutsche Gewissenhaftig- keit als Wissenschaftler gerichtet I Edw. Hennig, Priv.-Doz. f. Geol.-Paläont. a. d. Univ. ^^^erlin. Die Herren, denen Eier mit Roßhaaren serviert wurden, sind das Opfer eines schlechten Scherzes geworden: denn schon vor ca. 35 Jahren habe ich in einem kl. Büchlein, Zauberkunststücke und allerlei Scherze enthaltend , gelesen, wie man derartige Curiosa herstellen kann , nämlich indem man mit einer feinen Nadel die Schale durchbohrt und dann das Haar einführt. Ein Auskochen ist wohl nicht zu be- fürchten, da das gerinnende Eiweiß die feine Öffnung ver- stopft und selbst mit schon gekochten Eiern läßt sich diese Manipulation ausführen. Auf das kleine Loch achtet niemand und wenn das Haar entdeckt wird, ist ja meist die Schale zertrümmert. Friedrich Frost. Herrn O. B. in L- ,, Natürlich sind gegenüber akuten Rauch- vergiftungen viele Laubhölzer ebenso empfindlich wie die Nadelhölzer, daher sind akute Beschädigungen der Laubhölzer durchaus nicht selten. In den Großstädten (Berlin, München usw.) kommen aber vielmehr die chronischen — schwach und langsam wirkenden — Vergiftungen in Betracht als die akuten. Und ersteren gegenüber sind die Nadelhölzer — mit ausdauernden Nadeln — viel empfindlicher als die Laubhölzer, und zwar aus einem sehr einfachen Grund: die 4 — 8 Jahre alt werdenden Nadeln speichern gewissermaßen die SOg in ihrem Innern , weil sie eben gezwungen sind, die SO« haltige Luft eine Anzahl von Jahren hindurch aufzunehmen. Die Laubhölzer, deren Blätter nur '/a Jahr dauern, kom- men nicht in diese Lage , bei ihnen erreicht daher der SOj- Gehalt im Innern nie die gefährliche Höhe wie bei winter- grünen Nadelhölzern. Die Lärche verhält sich wie sommergrüne Laubhölzer. Bei den immergrünen Nadelhölzern wird durch die allmähliche Vergiftung der Nadeln die Lebensdauer der letzteren sehr herabgesetzt, bei der Fichte von 6 (normal) auf 2 — 3 Jahre, bei der Tanne von 12 (normal) auf 4 — 6 Jahre." ad 3: Die Campanula- und Phyteum a- Arten sind deutlich protandrisch und dadurch allogam , ohne im Notfall auf Autogamie zu verzichten. Der Blühvorgang ist folgender : Die Staubblätter entleeren ihren Inhalt an den mit steifen Haaren bedeckten oberen Teil des Griffels noch bevor die Blute sich geöffnet hat. In dieser Zeit sind die Narbenäste noch zusammengelegt und unentwickelt. Erst wenn diese empfangsreif sind, öft'net sich die Blüte. Dann holen Insekten den Pullen und streifen ihn an der Narbe ab. Zuletzt krüm- men sich die Narbenäste — wenn keine Bestäubung stattge- funden hatte — so weit nach rückwärts, daß sie mit der empfänglichen Innenseite die pollenbesetzte Bürste des Griftels berühren und so Autogamie ermöglichen. Näheres hierüber in Knuth's Blütenbiologie. F. Neger. Wetter-Monatsübersicht. Während des größten Teiles des vergangenen Dezember herrschte in ganz Deutschland trübes, regnerisches und dabei für die Jahreszeit unge- wöhnlich mildes Wetter. In der ersten Hälfte des Monats wurden noch sehr häufig 10" C über- schritten. Zwischen dem 7. und 9. erreichten die Temperaturen an sehr vielen Orten 15, in Hildesheim, Dresden und Bamberg 16, in Xcmpcrafur-^ftinima einiqcr OrFe im BeicmterlOl^ A n i.. e u 4C 9* w 9C Karlsruhe und Mülhausen i. E. 17" C, in Lin- dau stieg das Thermometer am 9. sogar bis auf 19- C. Auch während der Nächte kühlte sich die Luft nicht gar zu sehr ab; Nachtfröste blieben bis kurz vor Weihnachten im Nordwesten völlig aus und waren auch sonst ziemlich selten und nur gelind. Nach der mittleren Temperatur be- messen, gehörte der 8. Dezember z. B. in Berhn, wo sie sich auf lo./** C belief, zu den allerwärm- sten Tagen, die man im Dezember überhaupt er- warten darf So Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 5 Seit Mitte des Monats wurden die bis dahin fast ausschließlich herrschenden milden Süd- oder Südwestwinde häufiger durch kältere östliche Luftströmungen ersetzt und fand daher zunächst überall eine allmähliche, später in Nordwest- und Mitteldeutschland eine stärkere Abkühlung statt. Frost- und Tauwetter wechselten jetzt mehrmals miteinander ab, wobei es am 28. Berlin, Breslau und zahlreiche andere Orte auf 5, Görlitz auf 8, Grünberg auf 9" C Kälte brachten. Die mittleren Temperaturen des Dezember lagen in den meisten Gegenden 3^/2 bis 4 Grad über ihren normalen Werten. Dabei war der Himmel weit überwiegend mit Nebelgewölk bedeckt, durch das die Sonne nur selten hindurchzudringen vermochte. Da je- doch auch einzelne heitere Tage vorkamen, so war die gesamte Dauer des Sonnenscheins von der gewöhnlichen des Dezember nur wenig ver- schieden. Bei>pielsweise hatte Berlin im ganzen Monat 37 Stunden mit Sonnenschein, während hier in den früheren , ebenfalls zum großen Teil trüben Dezembermonaten durchschnittlich 34 Sonnenscheinstunden verzeichnet worden sind. JBiedrer,scl2lapß'l2<>l2cn im Bsjeml&or 191^. ^ " y Mittlerer Wert füp Doufschland. yEi^SJi^mlilEii (ilonalssummeirtiDez, .13.12.11,10.09, Sehr häufig waren in allen Landesieilen im Laufe des Dezember die Niederschläge, die in unserer zweiten Zeichnung dargestellt sind. Nur in den ersten Tagen blieben sie, besonders im Osten und Süden, größtenteils aus. Im Laufe des 5. setzten aber in Südwestdeutschland ergiebige Regenfälle ein, die sich mit starken, vielfach stür- mischen südwestlichen Winden rasch nach Norden und Osten weiterverbreiteten und dann längere Zeit hindurch in den meisten Gegenden fast täg- lich wiederholten. Am andauerndsten und stärk- sten waren sie im Küstengebiete, wo z. B. vom 7. bis 8. früh in Hamburg 26, in Swinemünde 15, vom 13. bis 14. früh in Königsberg i. Pr. 17, in Memel 14 mm Regen fielen. Seit dem 18. Dezember ließen die Nieder- schläge an Stärke wesentlich nach und herrschte bisweilen heiteres, obschon noch sehr veränder- liches Wetter. Aber am 22. stellten sich zunächst in den Provinzen Ost- und Westpreußen, bald darauf auch weiter im Süden zahlreiche Schnee- fälle ein, die namentlich dem Oder- und VVeichsel- gebiet große Schneemengen brachten ; am 24. morgens betrug die Niederschlag.shöhe z. B. in Frankfurt a. O. 23, in Neufahrwasser 16 mm. In Ostdeutschland, wo sich die Schneefalle in den nächsten Tagen öfter wiederholten, lag der Schnee zwischen dem 26. und 28. vielfach i bis fast 2 dm hoch, schmolz aber dann nach Eintritt neuen Tau- wetters wieder rasch zusammen. Die Nieder- schlagssumme des Monats betrug für den Durch- schnitt aller berichtenden Stationen 56,3 mm, während die gleichen Stationen im Durchschnitt der früheren Dezembermonate seit 1891 nur 52,2 mm Niederschlag geliefert haben. In den ersten acht Tagen des Monats wurde die ganze nordwestliche Hälfte Europas von einer tiefen Barometerdepression eingenommen , deren mittlerer Teil sich meistens in der Nähe der nor- wegischen Küste befand. Zwischen dem 10. und 12. aber bildete sich auf der skandinavischen Halbinsel ein hohes barometrisches Maximum aus, worauf mehrere allantische Minima in das Fest- land eindrangen und hier an vielen Orten starke Regengüsse veranlaßten. Nachdem sich einige Tage später das skandinavische Hochdruckgebiet nordostwärts entfernt hatte und in Südwesteuropa ein anderes Maximum erschienen war, schlugen neue atlantische Depressionen wieder nördlichere Bahnen ein. Am 21. Dezember jedoch trat auch in Italien ein ausgedehntes, mäßig tiefes Minimum auf, von dem einzelne flachere Teildepressionen, von starken Schneefällen begleitet, durch Öster- reich-Ungarn nach Polen und Ostdeutschland vor- wärtsdrangen. Dr. E. Leß. Inhalt: Hock: Das Verhältnis der Ein- und Zweikeimblältler in verschiedenen Ländergebielen. Kathariner: Der Wundstarrkrampf. Hildebrandt: Hin Brief Charpentier's an Karl Schimper. — Einzelberichte: Base hin: Einfluß von stürzendem Eis auf die Gestaltung der Erdobertläche. Speiser: Die Eingeborenen der \euen Hebriden. Man- gold: Über glatte Muskclzellen mit myogcnem Rhythmus. — Bücherbesprechungen: Wilke: Die Elektrizität, ihre Erzeugung und ihre Anwendung in Industrie und Gewerbe. Martin: Lehrbuch der Anthropologie in systematischer Darstellung. Fraenkel: Unfruchtbarmachung durch Röntgenstrahlen bei Verbrechern und Geisteskranken. Forrer: Rassehygienc und Ehegesetzgebung im schweizerischen Zivilgesetzbuch. Meyer: Die Entwicklung des Temperatur- begrilTs im Laufe der Zeiten, sowie dessen Zusammenhang mit den wechselnden Vorstellungen über die Natur der Wärme. Udc: Kann der Mensch vom Tiere abstammen? — Anregungen und Antworten. — Wetter-Monatsühersicht. Manuskripte und Zuschritten werden an den Schrifüeiter Professor Dr. H. Mi ehe in Leipzig, Marienstraße 1 1 a, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ilge 14. Band; Reihe 30. Ha Sonntag, den 7. Februar 1915. Nummer 6. Ergebnisse neuerer Forschungen über parasitische Protozoa des Menschen. [Nachdruck verboten. 1 Wenn ich als Ausgangspunkt der folgenden Darstellung, die selbstverständlich nicht jede Einzelheit bringen kann, Rud. Leuckart's Parasitenwerk wähle, so bedarf es hierfür kaum besonderer Begründung. Leuckart's Werk ist unbestritten ein Markstein für die Kenntnis der tierischen Parasiten des Menschen, das fast überall auf eigenen, ausgedehnten Untersuchungen fußend das ganze große Uebiet in mustergültiger Weise darstellt und seinen Wert auch darin aufweist, daß es sich nicht sklavisch an die Parasiten des Menschen hält, sondern verwandte Formen und selbst frei lebende berücksichtigt, um die Isolierung, in welche die Parasitenkunde geraten war, zu beseitigen und ihr ein breiteres Fundament zu geben. Keinem Autor vor Leuckart noch auch nach ihm ist ein gleiches Werk gelungen, obgleich, wenn man will, sein Werk, dessen erste zweibändige Auflage 1863 bzw. 1876 erschien, von vornherein unvollständig war, da es die parasitischen Arthro- poden unberücksichtigt ließ. Die bald notwendig werdende zweite Auflage betrifft aber nur den früheren ersten Band, der bei der Fülle des Stoffes in zwei Teile zerfällt; ihr fehlen die gesamten Nemathelminthen, die nur in der früheren Bear- beitung vorliegen. Die lange Erscheinungszeit des ersten Teiles (1879 — 1886) bedingte Berück- sichtigung der inzwischen veröffentlichten Arbeiten in „Nachträgen" und der Tod Leuckart's vor Vollendung des zweiten Teiles, der von 1886 — 1901 erschien, das Fehlen solcher Nachträge überhaupt. Die hier interessierenden Protozoa sind im ersten Teile auf 113 Seiten geschildert und die 10 Seiten Nachträge reichen bis 1885. Alles in allem handelt es sich bei Leuckart um 7 Arten: unter den Rhizopoden um ^hiiocbn coli, den Sporozoen um Coccidiitm ovi/onitc, unter den Flagellaten um Ccrcoinonas intcsfinalis, Tricho- iiumas iiitcsfiiialis und vaginalis sowie Älcgasfoiiia cnfcriciiiii und unter den Ciliaten um Balaiifidtiiiii coli. Und heute kann man etwa 42 Arten nam- haft machen, die aus dem Menschen brkannt ge- worden sind. Drückt sich schon in diesen Zahlen ein beträchtlicher Fortschritt aus, auch wenn ein- zelnen Arten wegen ihrer großen Seltenheit beim Menschen allgemeine Bedeutung nicht zu- kommt, so erhöht sich der Fortschritt ganz be- deutend, wenn man die unterdessen hinzuge- kommenen Gruppen, die bis dahin nur zum Teil bekannt waren, und die schweren Erkrankungen berücksichtigt, die sie hervorrufen. ¥.s handelt M. Braun, Königsberg i. Pr. Mit 16 Textfiguren. sich um eine Form der Ruhr, die von der bazillären Ruhr als Amöbendysenterie, Amöben- enteritis oder Amöbiasis zu trennen ist, ferner um das Wechselfieber (Malaria) sowie die durch Trypanosomen und Leishmanien bedingten Krank- heiten, die zum guten Teil recht ernster .Art sind, wie die Schlaikrankheit, die tropische Splenome- galie (Kala-azar oder Dum- dum - Fieber), die schweren P'ormen der Malaria u. a. Dazu kommt weiterhin die Erkenntnis, daß durch Trypanosomen auch bei Haus- und Nutztieren der Menschen schwere Erkrankungen hervorgerufen werden, — alles Grund genug, um auch die größten An- strengungen zum Studium dieser Krankheiten und ihrer Erreger zu rechtfertigen Denn nur nach Klarstellung dieser Verhältnisse und nach Fest- stellung des Zustandekommens der Infektion des Menschen und seiner Nut/.tiere kann hier wie sonst bei parasitären Erkrankungen mit aller Aus- sicht auf Erfolg in den Kampf gegen die Krank- heitserreger eingetreten werden. Solange man z. B. die Erreger der Malaria nicht kannte und nicht wußte, in welcher Weise sie in den Menschen gelangen , fehlte für prophylaktische Maßregeln die sichere Basis, obgleich seit 1640 im Chinin ein wirksames Heilmittel wenigstens für die er- worbene Malaria bekannt war. Wir streben aber nicht nur danach , eine Erkrankung zu heilen, sondern vor allem auf wissenschaftlicher Grund- lage eine wirksame Prophylaxis auszubauen, um das Zustandekommen von Plrkrankungen zu ver- hindern. Trotz Chinin, das auch heute noch die Hauptrolle bei der Therapie des Wechselfiebers spielt, und trotz der fast drei Jahrhunderte, seit denen es angewendet wird, ist die Malaria selbst in Europa nicht ausgestorben. F'reilich sind im Laufe der Zeiten manche Bezirke so gut wie malariafrei geworden; das ist aber nicht eine Folge von Maßregeln, die von vornherein als gegen die Malaria wirksam ergriffen worden sind, sondern eine an sich sehr erfreuliche Begleiterscheinung der Ausbreitung der Kultur. Die starke Be- völkerungszunahme, die stellenweise schon zur Übervölkerung geführt hat, zwingt aber zur Aus- dehnung europäischen Besitzes über Europa hinaus und bei der Besiedelung fremder, namentlich tropischer und subtropischer Gegenden stießen und stoßen die Einwanderer häufig auf Krank- heiten, die leicht auch den Europäer befallen und so schwer sind, daß sie die Besiedelungs- fähigkeit vieler Gebiete geradezu in Frage stellen; Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 6 entsprechend verhält es sich mit eingeführten Nutztieren. Mußte man früher die Dinge gehen lassen, wie sie wollten, so ist man ihnen in den letzten Jahrzehnten direkt auf den Leib gerücl. iigandensc). Damit wurde der Schleier, der in ätiologischer Beziehung über der seit 1734 (J. Atkins) bekannten, die Ein- geborenen bestimmter Distrikte des zentralen .Afrika dezimierenden Schlafkranklieit lag, gelüftet; der Zufall hatte es gefügt, daß die erste Beob- achtung ein frühes, die folgende ein späteres Sta- dium derselben Kranklieit betraf, in dem die Er- reger bereits aus dem Blute nach dem Zentral- nervensystem vorgedrungen waren und damit die Fig. 6. Trypanosomen von Säugetieren bzw. des Menschen. A Trypanosotna lewisi aus Ratten; B u. C Tr. evaiisi, der Erreger der Surra der Pferde Indiens; D Tr. hrucei, der Erreger der Nagana der Rinder Südafrikas; E Tr. eijuiperdum , der Er- reger der Dourine der Pferde; F Tr. equiinim, der Erreger des Mal de caderas der Pferde Südamerilias; G Tr. dimorphon , der Erreger des Gambia- Fiebers der Pferde in Gambia; WTr. g.imbieusi., der Erreger der Sclilaf lirankheit des Menschen. I500/1. (Nach Novy.) Verschiedene Formen von Trypanosoma rliodcs'uiti;. (Nach Stephens und Fantham.) typischen Symptome der Schlafkrankheit hervor- gerufen hatten — mit anderen Worten: Tr. i/gaii- di'iisi- und Tr. gai/ibirnsc sind ein und dieselbe Art. Eine weitere, ebenfalls Schlafkrankheit her- vorrufende Art entdeckten 1910 Stephens und Fantham in Nordost Rhodesia und am Südufer des Nyassasees {Tr. rliodcsici/sc) und in Süd- Nigeria soll nach Macfie (1913) noch eine dritte Art [Tr. nigcricnse) den Menschen befallen, über die sich bisher noch nicht urteilen läßt. Der Boden für das Studium der Schlafkrank- heitstrypanosomen war durch vorausgehende 86 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 6 Untersuchungen anderer Formen gut vorbereitet und die Möglichkeit, sie durch Impfung auf Tiere zu übertragen und mit diesen lebend nach Europa zu bringen, förderte die Studien an ihnen wie an paihogenen, außereuropäischen Trypanosomen der Nutztiere des Menschen auch in europäischen Forschungsstätten. Ihr Hau und ihre Vermehrung im Blutplasma der natürlich oder künstlich infizierten Vertebraten ist gut bekannt. Auf die Überträger, als welche für Landtiere blutsaugende tracheate Arthropoden, für Wasserbewohner besonders Hirudineen in Betracht kommen , ist man früh- zeitig aufmerksam geworden: nahm doch Leydig, was allerdings vergessen worden war, bereits 1857 an, daß von ihm in Hirudineen gefundene Flagel- laten mit undulierender Membran aus dem Blute von Fischen stammen, während Bruce bei seinen Untersuchungen über die Naganatrypanosomen (Tr. bnicci) der Equiden und Boviden des Zulu- landes und von Uganda (1894) auf die Tse-tse (bluisaugende Dipteren der Gattung Glossiiid] auf- merksam wurde, welche die Eingeborenen all- gemein als die Krankheitserreger bezeichneten ; auch Rabino witsch und Kempner beschul- digten besonders die Flöhe der Ratten, auf diese das seit 1878 bekannte Trypnuusoiiia Ird'isi zu übertragen. Diesen mehr oder weniger deutlichen Beziehungen zwischen Blutsaugern und Trvpano somenträgern ist in der 1^'olge eingehend nachge- gangen worden, nicht nur aus praktischen Gründen, um die wirklichen Überträger der Trypanosomen herauszufinden, sondernauch aus mehrtheoretischen. Nach Analogie mit den Malariaj^arasiten und den Coccidien durfte man auch für die Trypanosomen im Körper blutsaugender Evertebraten geschlecht- liche Vermehrung erwarten, um so mehr, als unter den im Blutplasma lebenden und nur durch Längstellung sich vermehrenden Trypanosomen Individuen vorkommen, die sich in Form und Größe sowie auch in ihrem Geißelapparat ver- schieden verhalten und meist als Männchen und Weibchen, bzw. noch indifferente Stadien ange- sehen wurden. Dazu kam eine weitere Erfahrung: Stiche von Blutsaugern, z. B. Glossinen, die durch Saugen an Trypanosomenträgern sich infiziert hatten, sind eine mehr oder weniger lange Zeit nach dem ersten Saugen völlig unwirksam (nicht- infektiöse Periode), werden es aber schließlich und bleiben es wahrscheinlich während des ganzen Lebens; nur wenn das infizierende Saugen unter- brochen und unmittelbar darauf an einem ge- sunden Versuchsobjekt fortgesetzt wird , findet Übertragung von Trypanosomen auf dieses statt (die aber wie beim Impfen eine rein mechanische ist), sonst erst nach Ablauf der nichtinfektiösen Periode. Während dieser müssen daher irgend- welche Veränderungen mit den aufgenommenen Trypanosomen vor sich gehen und zur Hervor- bringung von die Infektion wieder ermöglichenden Zuständen führen. Es fehlt nicht an Untersuchungen über infizierte Blutsauger, die in ihnen zu beobachtenden ge- schlechtlich differenzierten Trypanosomen und ihre Kopulation — und doch steht man zurzeit gerade diesen Funden sehr skeptisch gegenüber, indem man sie in völlig anderem .Sinne deutet. Dagegen kann natürlich eine Entwicklung der aufgenommenen Trypanosomen nicht bestritten werden. Was hierüber bekannt geworden ist, er- gibt Verschiedenheiten sowohl in bezug auf den Gang der Entwicklung wie auf das Organ des Blutsaugers, in dem sie stattfindet, und auch auf den Ort, an dem schließlich die entstehenden, in- fektiösen Stadien sich ansammeln. Auch die .Art der Übertragung dieser ,,metacyklischen" Stadien auf Vertebraten ist nicht immer dieselbe. Oft geschieht sie, wie man stets angenommen hat, beim erneuten Saugen ; die metacyklischen Stadien waren dann in den Saugwerkzeugen oder den Speicheldrüsen angesammelt und in den ersteren zur Entwicklung gelangt. Demgegenüber steht die bestimmte Angabe verschiedener Autoren, daß z. B. Trypaiiosonia Icivisi und Verwandte zwar im Darm von Blutsaugern (Flöhen) sich entwickeln , im Endstadium aber niemals in die Speicheldrüsen oder Mundwerkzeuge gelangen, sondern sich im Enddarm ansammeln und mit Kottröpfchen nach außen entleert werden und so auch auf die Epidermis der Ratten kommen. Durch Auflecken des Kotes ihrer Ektoparasiten sollen sich schließlich die Ratten infizieren. Da- mit wird den metacyklischen Stadien gewisser Trypanosomenaiten die Fähigkeit zugeschrieben, die Schleimhäute von Säugern zu durchsetzen und auf diesem Wege ins Blut einzudringen, eine angesichts der Vielschichtigkeit des Mundhöhlen- epithels und der zarten Beschaffenheit der Trypa- nosomen gewiß überraschende Fähigkeit. Sie muß aber als erwiesen angenommen werden und wurde für ausgebildete Trypanosomen schon früher angegeben, nämlich für das die Dourine der Pferde erzeugende Tryp. equipcrditm , das ohne X'ermiitlung eines Blutsaugers beim Koitus von Pferd zu Pferd übertragen wird und die Schleim- häute der Genitalien durchsetzt. Hindle gibt an, daß auf Ratten überimpfte Schlafkrankheits- trypanosomen gesunde Ratten infizieren, wenn Bluttröpfchen aus kranken Ratten auf die Schleim- haut der Mundhöhle oder der Vagina gesunder aufgeträufelt werden. Eine Infektion per os wird demnach auch in natura stattfinden, z. B. wenn gesunde Ratten verendete Artgenossen, die Tryp. Icii'isi führten, oder Raubsäuger trypanosomen- haltige Beute verzehren. Ja sogar die intakte und ungeschorene Epidermis von -Säugern bietet nach Hindle und Manteufel für manche Trj'panosomen kein unüberwindliches Hindernis; sie dringen durch und gelangen ins Blut. Blutplasma und lymphoide Flüssigkeiten sind jedoch nicht die einzigen Stätten, in denen Trypa- nosomen vorkommen; man begegnet ihnen auch im Bindegewebe, in der Hornhaut, in Leber, Lungen, Knochenmark befallener Säuger. Noch weiter geht in dieser Beziehung Scliizoiryptvium N. F. XIV. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 87 cnizi, das 1909 von Chagas im Darm einer brasilianischen blutsaugenden Hemiptere [Cuiio- rhiiiiis lucoisf/is) entdeckt wurde, sich auf Labora- toriumstiere und Pinseläffchen {ILrpalc) über- tragen ließ und bald auch im Blute von kranken Menschen im Staate Minas Geraes (Brasilien) ge- funden worden ist. Es erzeugt allerdings keine Schlafkrankheit, wohl aber, namentlich bei Kindern, eine akut oder chronisch verlaufende Erkrankung, die nicht selten tödlich endet. Das eigentümliche dieser Art ist, daß sie sich als Bluttrypanosoma überhau|.n nicht vermehrt, sondern aus Coiiorlnuiis im metacyklischen Stadium überführt in die Ge- webe verschiedener Organe eindringt, hierbei den Lokomotionsapparat zurückbildet und in diesem Zustande, in dem nur der Kernapparat auf den binucleaten Flagellaten hinweist, eine lebhafte Ver- mehrung eingeht. Gelangen diese kleinen, intra- cellulär lebenden Stadien in die Blutbahn , so nehmen sie Trypanosomenform an. Ihre weitere Ent- wicklung erfahren sie aber erst nach Übertritt in den Darm geeigneter Blutsauger [Coiiorhiinis und andere, VVanzenarten, auch Zecken) und die Über- tragung der schließlich entstehenden metacyklischen Stadien geschieht auch hier nach Brumpt nicht durch den Stich, sondern wie '■bei Tryp. hvisi durch Schleimhäute, eventuell auch durch die Haut. Haustiere wie an Wild — , welche ebenfalls Träger von -Schlafkrankheitstrypanosomen sind, ohne daß sie schlafkrank zu werden brauchen, dann würde der Krankheitsherd bestehen bleiben und die Maß- nahmen müßten sich gegen diese „Virusträger" wenden. Diese wichtige Frage zu entscheiden, ist aber außerordentlich schwer, da für wenige Trypanosomenarten genügend scharfe morpholo- gische Unterschiede bekannt sind. Hie meisten kön- nen bisher nur durch Verschiedenheiten in ihrem biologischen Verhalten gekennzeichnet werden, was Irrtümer nicht ausschließt. Jedenfalls muß die Frage mit voller .Sicherheit entschieden sein, ehe man radikale Maßregeln wie die vorgeschla- gene .Ausrottung des Wildes ausführt. Die oben angeführten geißeliosen und intra- cellulär lebenden Stadien von Scliizofrypaiuciii lei- ten zu einer anderen, mit den Trypanosomen nahe verwandten Gruppe über, zu den Lcishinania- Arten, benannt von R. Ross 1903 nach Leish- man, der diese winzigen Parasiten bei einem importierten Falle von Dum-dum Fieber (Kalaazar, tropische Splenomegalie) in London entdeckte. Der erste Fund von Leishmanien liegt jedoch um fast 20 Jahre früiier (Cunningham 1884) und betrifft ihr Vorkommen in den sogenannten Orient- beulen, gutartigen, auf die Haut beschränkten Ge- schwülsten. Heute kennen wir außer diesem [L. V *• *• *• Fig. S. Schhotyypaniim cruti , im Flagellalenstadium aus dem Blute des Mensclien, rechts einem Blut- körperchen anhängend. (Nach Chagas.) Die Maßnahmen gegen die Schlafkrankheit, gegen welche die Therapie bis jetzt machtlos ist, laufen, da man auch der bekannten Überträger {Glossina palpalis für Tryp. gambiciisc und (U. inorsitans iür Tryp. rlwdcsicnse) noch nicht Herr werden kann, mehr auf persönlichen Schutz hin- aus. Man suclit ihn zu erreichen durch Konzen- tration der Schlafkranken und .Ansiedelung der Gesunden in Glossina-freien Gegenden und erhofft, wenn Glossinen nach Abwanderung der Bevölke- rung sich nicht mehr selbst am Menschen infi- zieren können, schließlich eine Sanierung der ver- lassenen Schlafkrankheitsgebiete. Hierbei spielt die Frage, ob die Schlafkrankheitserreger aus- schließlich nur beim Menschen vorkommen, eine wesentliche Rolle. Ist das der Fall, dann wird bei der kaum einjährigen Lebensdauer der Glos- sinen und der nicht erfolgenden ,, erblichen Über- tragung" von Trypanosomen auf Eier, Larven usw. der Glossinen der erhoffte Erfolg eintreten ; gibt es aber Säuger — man denkt dabei sowohl an Fig. 9. Schnitt ^durch die IMuskulatur' des Darmes eines mit Schho- «.« . « " 0 ^ • • !♦« s ^ , ♦ - ♦ f. ? ^ ^ 0 i. -:- - : -■ ■■.--, , -t'^v .. __ lijj. ;u. , ...,,,v.„v.../ Joi!(n>an! , der Erreger der Kala-azar des Men- schen, in Punktionsflüssigkeit der Milz, z. T. in roten Blutkörperchen. In vielen Exemplaren ist Hauptkern und Blepharoplast deutlich erkenn- bar. Stark vergr. (Nach Donovan.) tropica) und dem Erreger der besonders in war- men Gebieten Asiens auftretenden Kala-azar (Z. doiiovani) noch zwei weitere Arten: Lcislnnauia infantum als Erreger der bei Kindern im medi- terranen Gebiet vorkommenden „infantilen Kala- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 6 azar" und L. brasilüiisis, die wie L. tropica Haut- geschwülste und Geschwüre veranlaßt, die gern auf Nasen-, Mund- und Rachenscbleinihaut über- greifen und weitgehende Zerstörungen verursachen (Buba, Espundia , Baiiia-Beule). In nicht ulzerie- renden Hautknoten ägyptischer Neger soll noch eine weitere Art vorkommen (Z. iiilufica). A^ B Fig. 1 1. LehJimania liono- van'i im Flagellatenstadium aus einer Kultur; rechts in Liingsteilung. (Nach Chatterjee.) Fig. 12. Prowazekia cnn! mit Hauptkern (in der Mitte), darüber Blepharoplast und Basalkorn, von denen die beiden Geil3eln entspringen. (Nach Hartmann u. Chagas.) beobachteten Pro-Mtzckia-.\rXen (benannt nach dem verdienstvollen Erforscher parasitischer Protozoen, S. V. P r o w a z e k in Hamburg). Soweit man bis jetzt weiß, kommt ihnen eine pathogene Bedeu- tung, wenigstens eine größere nicht zu. Fig. 13. Telramitiis mesnili, links und rechts oben große Form, unten kleine Form, rechts unten Zyste. (Nach Wenyon.) Die Leishmanien hat man bisher bei den Kranken fast immer nur im geißellosen, der Ver- mehrung fähigen Stadium intrazellulär angetroffen. Flagellatenzustände sollen gelegentlich gesehen worden sein, doch treten solche regelmäßig in Kulturen schon nach wenigen Tagen auf und zwar in Leptomonas P'orm. Lcislniiama tropica, der Erreger der Orientbeule läßt sich durch Impfung von Mensch zu Mensch, sowie auf Affen, Hunde und Mäuse übertragen; die Infektion gelingt auch durch Benützung der in Kulturen erzielten Lepto- monas-Form, letzteres auch bei L. brasiliciisis und L. iiifantuin, die auch im intracellulären Stadium übertragbar ist. Dagegen ist die Übertragung von Kalaazar auf Tiere nicht gelungen. Spontan infizierte Säuger kennt man nur für Lcisinn. in- faiitinn, und zwar Haushund und Hauskatze. Es kann kaum noch bezweifelt werden, daß der Mensch mit dieser Art in erster Linie vom Haus- hunde aus durch Vermittlung der Flöhe (F/ilcx irritans und CtcnoccpJialiis cai/is) infiziert wird. Für die übrigen Lcis!iiiiairia-\rXcn, die anscheinend spezifisch für den Menschen sind, wird zwar L'ber- tragung durch blutsaugende Arthropoden ange- nommen, ist aber für keine so gut begründet wie für Lcislnnania infantiiiii. Nur beiläufig sei auf die im Blute von Säugern lebenden und seuchenartige Erkrankungen hervor- rufenden Babesiiden hingewiesen. Ihre .syste- matische Stellung ist umstritten und ihre Ent- wicklung im Säuger wie im Überträger, als welche anscheinend nur Ixodiden in Betracht kommen, weist trotz der Bemühungen tüchtiger E'orscher noch manchen aufzuklärenden Punkt auf. Sicherlich mit den Trypanosomen, speziell mit den Trypanoplasmcn nahe verwandt sind die teils freilebenden, teils in Dcjektionen von Menschen Fig. 14. Ti'ichoffiojias inUstinalls (Darm des Menschen), a = Achsenslab ; b = Basalkörper der drei in zwei Schlag- phasen gezeichneten Geißeln; f^ Basalfibrille der undu- lierenden Membran ; m = Cytostora ; u = undulierende Mem- bran. (Nach Rodenwaldt.) Zu den den Darm des Menschen bewohnenden E^lagellaten ist in Tctramitiis mesnili (Wenyon 19 10) eine neue Form hinzugetreten, die weit über die Erde verbreitet und gewiß schon früher ge- sehen, aber mit Triclwinoiias intestinalis ver- wechselt worden ist. Sie gleicht dieser in Kör- pergestalt, Besitz eines Achsenstabes und dreier freien Geißeln, verhält sich jedoch im C\-tostom und der vierten Geißel insofern verschieden, als das Cytostom groß und die Geißel, die bei Triclio- inonas als Randfaden der undulierenden Membran lokomotorische Funktionen ausübt, bei 'J'ctrainitiis im C)tostom geborgen ist und zum Herbeistrudeln der Nahrimg dient. Von parasitischen Infusorien des Menschen N. F. XIV. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. war zu Leuckart's Zeit nur Balajitidiuiii coli (Malmst. 1857) bekannt, das dieser Forscher selbst eingehend studiert hat, gleichzeitig die Meinung begründend, daß der Mensch sich Balaiit. coli vom Hausschwein holt, in dessen Dickdarm die Art beinahe regelmäßig angetroffen wird. In der Folge sind weitere Arten aus dem Menschen be- kannt geworden: durch Schaudinn 1899 Balaiil. niiiuif/nii und Aydof/wnis /aba, durch P.Krause 1906 Xyct. »ii^-iu/ic/ts, durch Castellani 1905 eine als AtcA africaiius bezeichnete, ungenügend bekannte Art und durch Martin 1910 aus Tsingtau Uroiiciiia caudafiiiii. Die letzte Angabe fällt in- Fig. 15. Teil eines Schnittes durch die Darmwand eines Menschen, in welche Balantidien eingedrungen sind. B = Balantidien ; M = Muscularis (Nach Solowjew. S = Schleimhaut. sofern auf, als Angehörige der Gattung Uroiiciiia bisher nur freilebend bzw. in einer Art von der Körperoberfläche von Seesternen bekannt waren. In allen diesen Arten handelt es sich, vielleicht von L >. caiida- finii abgesehen, um recht sel- tene, nur ein- oder zweimal zur Beobachtung gelangte For- men. So wendet sich das Hauptinteresse nach wie vor dem Balaiilidiiiui coli zu, das weit verbreitet und in manchen Gegenden auch beim Menschen recht häufig ist. In bezug auf seine pathogene Bedeutung haben sich seit 1 90 1 die Anschau- ungen geändert, seitdem man festgestellt hat, daß diese Infusorien beim Menschen, im Gegensatz zu ihrem Verhalten beim Haus- schwein, in die Darmwand eindringen und mehr oder weniger weitgehende Veränderungen veranlassen, die manchmal zum Tode der Kranken führen. Daneben kommen freilich Fälle vor, in denen sich die Balantidien harmlos verhalten; vielleicht han- delt es sich dann um sogenannte Virusträger. Von Wichtigkeit sowohl für das Studium der Krankheitsvorgänge wie für das der Entwicklung der Balantidien sind Übertragungsversuche, die jedoch nicht immer erfolgreich waren; es scheint, daß noch kaum bekannte Bedingungen gegeben sein müssen, um überführte Balantidien oder deren Cysten zur Ansiedelung in Versuchstieren kom- men zu lassen. Es sollen auch zweierlei Cysten gebildet werden, außer den schon lange bekannten, aus einem Individuum hervorgehenden größere, die nach völliger Verschmelzung zweier Ba- lantidien entstehen, und neben der ebenfalls früher bekannt gewordenen Querteilung soll bei Balan- fidiiiiii wie Nyctothcrus eine multiple Vermehrung vorkommen — der Stand unseres Wissens befrie- digt demnach jetzt nicht mehr. Andere protozoische Parasiten haben als Krank- heitserreger für den Menschen eine weit geringere Bedeutung. Aus dem vielen, was die letzten Jahrzehnte über sie gebracht haben, sei daher nur einiges angeführt. Zuerst die großen Fortschritte, die gegenüber dem, was Leuckart berichten konnte, über Coccidien erzielt sind. Sie erfolgten schrittweise, begannen mit der Feststellung Bal- biani's, daß in den Sporen 2 Keimstäbchen (Sporozoiten) enthalten sind, und führten dann zur Entdeckung der „endogenen Sporulation" (R.Pfeiffer), die im Wirte stattfindet und dessen Masseninfektion bedingt, während die bis dahin bei den Coccidien allein bekannte ,, exogene Spo- rulation" die Erhaltimg der Art, durch Übertritt der Sporen in andere Wirtsindividuen sichert. Eine der endogenen Sporulation entsprechende Vermehrung war bereits bei den sog. kugelförmi- gen Psorospermien bekannt und diente zur Unter- Fig. 16. Ehiieria stiedai. a Merozoit ; b Epithelzelle mit Kern (unten) und drei aus eingedrungenen Merozoiten hervorgegangenen Schizonten ; c und d Kernteilungen bei Schizonten ; e Schizont in Merozoiten zerfallen; f junges, g ausgebildetes Weibchen. (Nach Hartmann.) Scheidung dieser von den eiförmigen (Coccidien), ein Unterschied, der nunmehr hinfällig wurde, auch deshalb, weil man erfuhr, daß exogene Sporulation von den kugelförmigen Psorospermien eingegangen wird. Die wirkliche Zusammen- gehörigkeit beider Vermehrungsreihen, die wir jetzt Sporogonie und Schizogonie nennen, ist schließlich experimentell festgestellt worden 90 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 6 (Leger, Schaudinn, Siedlecki, Simon); dies führte weiterhin zur Entdeckung geschlecht- lieh differenzierter Individuen (Gameten), ihrer Kopulation und des Generationswechbcls der Coccidien. Ein anderer Punkt betrifft die Sarcospo- ridien, jene meist in Muskelfasern amnioter Wirbeltiere, sehr selten auch beim Menschen vor- kommenden Schläuche, die meist ganz mit sichel- förmigen Keimen gefüllt sind und in manchen Wirtsarten regelmäßig angetroffen werden. Ihr Bau wie der der Keime (Sporozoiten) unterliegt noch immer lebhafter Erörterung und über die Art der Infektion ihrer Träger, vielfach ausge- sprochener Pflanzenfresser ist man noch immer unsicher. Allerdings hat man erfahren (Smith, Koch, Erdmann u. a.), daß sie sich durch Verfütterung sarcosporidienhaltigen Fleisches nicht nur auf ihre Wirtsarten, sondern auch auf fremde übertragen lassen und daß eine Infektion auch durch Einspritzen einer Aufschwemmung der Keime in die Muskulatur zustande kommt (Darling), aber weder mit dem einen noch mit dem anderen kunstlichen Infektionsmodus ist der natürliche gefunden. Sehr viele Menschen haben oft genug sarcosporidienhaltiges Schweinefleisch genossen und fast niemals ist eine Infektion nach- weisbar; umgekehrt sind Schafe, Pferde, Büffel in manchen Orten fast regelmäßig mit Sarcosporidien infiziert und haben doch niemals Gelegenheit zur Aufnahme sarcosporidienhaltigen Fleisches ihrer Artgenossen oder anderer Wirbeltiere. Man muß also nach wie vor einen uns noch unbekannten Infektionsweg bzw. Überträger annehmen. Damit verliert die künstliche Infektion z. T. ihren Wert, bleibt aber wichtig zum Studium der Entwicklung der Sarcosporidien. Doch haben die in dieser Richtung vorgenommenen Untersuchungen bisher ein befriedigendes Resultat nicht ergeben. Besser sind wir über die Mikro- und die Myxosporidienj über Gregarinen und andere Formen orientiert; der zur Verfügung stehende, schon stark in An- spruch genonmiene Raum läßt aber ein näheres Eingehen hierauf ebensowenig zu wie auf Erörte- rungen über die notwendig gewordenen Änderungen im System der Protozoa, die in erster Linie die Hagellaten und die Sporozoa betreffen. Das Verliültuis von Familien nnd Arten der Gefäßpflanzen. Von Prof. Dr. F. Hock. Die Ansichten über die Verwandtschaft der Pflanzen sind noch keineswegs vollkommen ge- klärt; es werden nicht nur immer neue Arten selbst aus den höchstentwickelten Pflanzengruppen aufgestellt, auch neue Gattungen erscheinen massen- haft, und selbst neuen Familien begegnet man immer wieder in den Untersuchungen der Bota- niker, von neuen Gruppierungen dieser gar nicht zu reden. Daher könnte es gewagt erscheinen, das Verhältnis dieser Begriffe zueinander prüfen zu wollen. Man hat solche Untersuchungen aber schon vor einem halben Jahrhundert vorgenommen. Kabsch (Pflanzenleben der Erde, Hannover 1805) erwähnt die Ergebnisse einiger solcher Unter- suchungen, wobei er auf älteren Arbeiten fußt, und vor 30 Jahren hat Maximowicz M für die damals natürlich noch weit weniger genügend als heute durchforschten ostasiatischen Gebiete Verhältniszahlen berechnet und mit solchen aus anderen Ländern verglichen. Wenn schon ilamals einige Ergebnisse daraus zu ziehen waren, so wird heute möglich sein, diese nachzuprüfen und zu ergänzen. Den Begriff der Gattungen möchte ich hierbei aber ausschalten, da dieser mir von den verschiedenen P'orschern zu ungleich gehandhabt zu werden scheint; dagegen ist man mit wenigen Ausnahmen mindestens für die in Europa ver- tretenen Familien zu einer gewissen Einigkeit ') Sur Ics collcclions de la Moiigolie et du Tibet sep- tentrional (Tangout) recueillics par des voyageurs russes et conservees a St. Petersburg (Bulletin des congris international de botanique et d'horticulture ä St. Petersburg 1S84 p. 135 — 196). hinsichtlich ihrer Abgrenzung gekommen. Neue Kleinarten werden zwar hier auch noch immer aufgestellt; aber sie sind einerseits meist auf be- stimmte Gattungen beschränkt oder wenigstens nur bei diesen in großer Zahl vorhanden, anderer- seits wnrd ein P"lorenwerk, das diese berück- sichtigt, sie in allen Gruppen möglichst gleich- mäßig beachten, so daß wohl die Einzelzahlen, nicht aber die Verhältniszahlen dadurch wesent- lich beeinflußt werden. Deshalb ist es nicht wert- los, solche Verhältniszahlen auch für noch unge- nügend durchforschte Länder festzustellen. Leider sind die Floren und floristischen Auf- zählungen sehr ungleich brauchbar für solche Untersuchungen. Viele Verfasser zählen die Arten gar nicht, andere auch die Familien nicht, noch andere zählen die Arten nur innerhalb jeder ein- zelnen l-'amilie. Ferner werden in einigen Werken nur die heimischen und heimisch gewordenen, d. li. vollkommen eingebürgerten Arten gezählt, in anderen dagegen alle, vielleicht mit Ausnahme der selten angebauten oder vereinzelt einge- schleppten. Das erste ist entschieden am zweck- mäßigsten; es ist ungefähr das X'erfahren, welches Ascher son und Gr aebner in ihren in fast jeder Hinsicht vorbildlichen Florenwerken von l\liltelein'0]ia verfolgen. Wenn dies immer durch- geführt würde, wäre eine unmittelbare Vergleichung der floristischen Schriften verschiedener Länder weit leichter, da doch sonst wohl kein P'orscher die L'ngleichheiten für ihm ganz unbekannte Ge- biete ganz auszumerzen imstande ist. Es sei da-. N. F. XIV. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 91 her dieses Verfahren für künftige Werke dringend als nachahmenswert empfohlen. Daß aber noch bei anderer Zählungsart für Vergleichszwecke Floren benutzt werden können, habe ich früher gezeigt , indem ich ein anderes Verhältnis, das der Hin- und Zweikeimblättler in verschiedenen Ländern verglich M und dennoch auch bei anderer Zählungsart zu brauchbaren Er- gebnissen kam, weil nämlich auch die gebauten oder eingeschleppten Pflanzen sehr verschiedenen Gruppen angehören, z. T. Vertreter von F"amilien sind, welche unter den ursprünglichen Pflanzen des Landes fehlen. Es sollen daher auch hier wieder solche Ploren in zweiter Linie zum Ver- gleich herangezogen werden , in denen nicht eigentlich heimische oder eingebürgerte Arten mitgezählt sind. Aber ausgegangen werden soll auch bei dieser wie bei der vorigen Untersuchung von Gebieten, in denen die Arten und Familien in jeder Weise gleichbemessen wurden, nämlich den Teilen Norddeutschlands, für welche ich die Einzelarten (meist im Sinne von Ascherson-Graebner) nach ihrer Verbreitung in den Landschaften so- weit wie möglich an der Hand der neuesten Schriften prüfte. Entsprechend den Erfahrungen, daß in den warmen und zugleich hinreichend feuchten Län- dern die Pflanzenwelt mannigfaltiger wird, hatte man schon vor Jahren festgestellt, daß nicht nur die Zahl der Familien (Gattungen) und Arten, sondern auch die Verhältniszahlen zwischen diesen nach dem Äquator hin in Zunahme begriffen sind. Wenn für die h'amilien und Arten dies auch nicht in allen Einzelfällen gilt, so können wir es doch stets für das daraus berechnete Verhältnis für die norddeutschen Landesteile'-) zeigen, wie aus fol- genden Übersichten hervorgeht ; (Tabelle nebenstehend.) Für die vier ersten Gruppen von Gebieten sind genau gleiche Gesichtspunkte maßgebend gewesen, bei der letzten nur annähernd, aber es werden doch auch nur wirklich eingebürgerte Arten mitgezählt. Sie wurde aber hinzugefügt, um zu zeigen, daß unter annähernd gleichen Verhältnissen der Vergleich sich über Nord- Deutschland nach N und S fortsetzen läßt. Natürlich ließe sich die Übersicht nach Süden noch weiter ausdehnen; doch sind in den un- mittelbar zur Benutzung stehenden F'lorenwerken auch die gewöhnlichen Zuchtpflanzen mitgezählt, so daß die Zahl der Arten keinen Wert hat und auch die Zahl der Familien nicht den obigen Familien i Arten der Gefäßpflanzen Verhältnis beider ') Vgl. meine Arbeiten „Verbreitung der reichsdeutschen Einkeimblätller" (Monocotyledoneae) (Beihefte zum bot. Zentralblatt .\XXII, 1914, Abt. II, S. 17 ff.) und in dieser Naturwissenschaft!. Wochenschrift (N. F. 14. Bd. S. 65). ^) Hierbei habe ich die sicher oder wenigstens mit großer Wahrscheinlichkeit im Gebiete nichtheimisclien Arten, z. B. auch Acorus calamus, nicht mit gezählt, wohl aber die gewöhnlichen Unkräuter, obgleich einige von ihnen, wie die Kornblume und Kornrade, wahrscheinlich ursprünglich auch eingeführt wurden. Ostfries. Inseln 60 380 1:6,3 Niedersachsen 99 978 I :9,9 Mecklenburg 100 1069 I : 10,7 Mittelsachsen lOI 1158 I : 12,5 Pommern 104 1193 1:11,4 Brandenburg 102 1233 : : 12,1 Schles. ') Ebene 100 1208 I : 12,1 Westpreußen 103 1174 l: 11,3 Posen gS 1137 I : 11,6 Spitzbergen ^) 24 122 1:5,1 Norwegen ') 102 1248 I : 12,2 Norddeutschland 106 1503 l: 14,2 Hercynia*) 109 i5tJ4 I ; 14,4 Angaben entspricht. Es soll daher hier wie in den folgenden Fällen, wo oft auch der Grad der Durchforschung des Landes ein weit geringerer ist, nur das Ergebnis der Berechnung, die Ver- hältniszahl, mitgeteilt werden. Diese ist für Bayern (nach Vo 11 man n ^)) 14,4, doch für die Umgegend von Nürnberg — Erlangen (nach Schwarz' Flora nur 12,3) für die Schweiz (nach Schinz-Keller) 22,1, für Italien (nach Arcangeli) 44,3, aber nach Palanza, F"lora delle Terra di Bari für das Gebiet von Bari nur 11,8 also jedesmal für das ganze Land erheblich größer als in den vor- herigen Angaben, was sicher nur zu geringem Teil durch die Zählung der angebauten Gewächs- arten bedingt ist, weil durch solche auch die Zahl der Familien wächst;*') nur die für Bayern stimmt mit der der Hercynia überein. In den australischen Landesteilen, für welche in F. V. M ü 1 1 e r ' s Census ganz gleichartige Zählung vorliegt, ergeben sich großenteils entsprechende Verhältniszahlen, nämlich für Tasmanien 11,2, Victoria 16,8 und NeuSüd-Wales 26,0, aber für Queensland 22,2. Wenn diese Zahl wie die für Deutsch-Neu-Guinea und die benachbarten deut- schen Schutzgebiete sich nach Schumann- Lauterbach ergebende Zahl 18,8 vielleicht auf zu geringe Durchforschung dieser großenteils echt ') Für ganz Schlesien ergibt sich nach Schübe, Flora von Schlesien das Verhältnis I : 14,9; doch sind da im Gegen- satz zu meinen Berechnungen auch die eingebürgerten , aber sicher nicht heimischen Arten, z. B. O eno th era mitgerechnet. -) Nach Nathorst in Engler's bot. Jahrbüchern IV, S. 439 ; danach sind die entsprechenden Vergleichszahlen für Grönland 6,8, Nowaja Semlja 5,8. '■') Nach „Blytt, Haandbog i Norges Flora (Kristiania 1906)". ■*) Nach ,,Drude, Der hercynische Florenbezirk (Leipzig 1902)". ■'') Bei allgemein bekannten Floren lasse ich der Kürze halber den vollständigen Titel fort. ") Wenn auch kaum in gleichem Maße. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 6 tropischen Teile zurückführen ließe, so wäre das wohl schwerlich bei Neu-Seeland der Grund, das nach Berechnung an der Hand von Cheeseman's Angaben i6,2, also eine größere Zahl als für Tasmanien ergibt. ^) Wenn diese Zahlen, nament- lich die für Tasmanien, richtig sind, so könnte der verhältnismäßig größere Artenreichtum ein- zelner Familien in Neu Seeland vielleicht mit der stärkeren Abgeschlossenheit dieses Inselgebiets oder mit der eine größere Mannigfaltigkeit von Arten innerhalb einer Familie bedingenden Ge- birgsnatur zusammenhängen. Daß Abgeschlossenheit die verhältnismäßige Mannigfaltigkeit innerhalb der P'amilien erhöhen kann, schließe ich aus der sehr großen Verhältniszahl (34,4) , die sich nach F. v. Müller für West- australien ergibt, das bekanntlich durch die austra- lische Wüste sehr abgeschnitten ist. Für die verhältnismäßig große Zahl in einem Gebirgsland spricht der oben (anmerkungsweise) gegebene Vergleich der schlesischen Ebene mit ganz Schlesien und namentlich die sehr hohe Zahl für die Schweiz. Daß auch Bayern eine größere Verhältniszahl liefert als Württemberg (nach Kirchner-Eichler 13,9) kann durch das höhere Gebirge, aber auch wohl durch die weitere Ausdehnung des Landes bedingt sein, denn auch ganz Norddeutschland liefert eine höhere Zahl als jeder seiner Teile;") daß ähnlich auch andere Landesteile erhebHch gegen die ganzen Länder zurückbleiben , zeigen mehrere obige Angaben. Daß das kleinere Baden (nach Senbert-Klein aber noch etwas höher in dieser Beziehung steigt als Bayern, nämlich bis 14,6, wird doch wohl wieder durch das günstigere Klima bedingt sein. ^) Gebirge und abgeschlossene Lage zusammen bedingen sicher die hohe Verhältniszahl für Chile (35i9)- If* großem Gegensatz dazu steht die niedere des nahen Inselgebiets Juan Fernandez *) (3,7). Inseln scheinen vielfach geringere Verhältnis- zahlen zu liefern als benachbarte Festländer, so ergibt Ecuador 16,7,') aber die Galapagos*') 8,3 ') D.igegen liefert Feuerland (nach Alb off, Kssai de Flore Raisonnee de la Terre de Feu. La Plata 1902) die Zahl S,9. ^) Schleswig-Holstein liefert eine geringere Verhällniszahl (10,9) als das weiter nördlich gelegene, aber etwa doppelt so große Dänemark fll,8); aber dies steht noch wieder zurück hinter dem wieder wesentlich größeren und dabei großenteils gebirgigen Norwegen (12,2) trotz dessen nördlicher Lage. — .Auch ganz Australien übertrifft, mit der Verhällniszahl 58,1 weitaus jeden seiner Hauptteile. ") Die durch rauhes Klima ausgezeichnete Schwäbische Alb aber ergibt die im Vergleich zu ganz Württemberg nie- drige Zahl 1 1,8 (nach Grad mann , l'llanzenlcben der schwäb. .Mb), aber die mildere Umgegend von Stuttgart liefert nach Kirchner 's SpezialHora wegen des kleineren Gebietes eine noch geringere Zahl (10,3). *) Beide Zahlen sind berechnet nach Angaben von Johow (Estudios sobre la Flora de las Isla» de Juan Fernandez. Santiago de Chile 1896). '') Daß Kcuador (nach Bot. Jahresber. X, 2, 440) eine geringere Zahl liefert als Chile, hängt sicher 2. T. wenigstens mit der geringeren Durchforschung des Landes zusammen. als Durchschnittszahl der Familien. Auch die nord- friesischen Inseln liefern eine geringere Verhältnis- zahl (7,3) als Schleswig-Holstein (10,9); ebensolche Verhältniszahl gibt Helgoland nur bei Einrechnung der sicher durch den Menschen eingeführten (syn- anthropen) Arien (nach Ascherson), ohne diese aber eine noch viel geringere (4,4). Auch andere Inseln und Inselgruppen liefern niedere Verhältnis- zahlen, so die Gruppe Süd-Georgien (nach Engler in Engler's Bot. Jahrb. VII, 281) gar nur 2,2; eine ebenso geringe aber auch die in nur 31 Vo " s. B. gelegene Lord Howe Insel. Die zu den Kap Verden gehörige Insel St. Vincent ergibt (nach Krause in Engler's Bot. Jahrb. XIV, 399) die Verhältniszahl 4,3. Auch die nahe Gruppe der Kanaren ergibt nach Sauer') nur 11,7, St. Croix in Westindien (nach Millspaugh's Flora ^Chicago 1902]) nur 8,9, die Havaii - Inseln (nach Hille- brand) nur iO,l, so daß also selbst tropische Inselgruppen nur niedrige Zahlen liefern. Wie Inseln ergeben auch höhere Bergteile und besonders Bergspitzen niedrige Zahlen des hier erörterten Verhältnisses. So ist die Verhältniszahl in den höchsten Teilen der rätisch -lepontischen Alpen (nach Jos. Braun, Vegetationsverh. der Schneestufe i. d. rät.-lepont. Alpen Neue Denkschr. Schweiz. Nat. Ges. XLVIII, 191 3 S. 308]) nur 6,8, im schlesischen Hochgebirge (nach Schübe, Beitr. z. Kenntn. d. Verbr. der Gefäßpflanzen in Schlesien, Breslau 1901) nur 4,6, am Gipfel des Bernina (nach Rübel's Monographie des Gebiets) 3,7, auf dem Brocken, wenn man die nach Drude (Der hercynische Florenbezirk [Leipzig 1902] S. 501) kennzeichnenden Arten prüft, sogar nur 1,5. Zur Berechnung solcher Verhältnisse in den Zentral- karpathen geben die Standortsverzeichnisse ver- schiedener Gipfel dieses Gebirges in der Flora von Sagorski u. Schneider Gelegenheit; da- nach ergeben sich für die Gerlsdorfer Spitze 1,5, die Lomnitzer 1,9, die Eistaler 2,7, die Meeraugen- spitze 1,5, die Schlagendorfer 1,6 und die Rotesee- Spitze 1,6, also durchweg niedere Verhältnis- zahlen. *) Daß auch für Berggipfel wärmerer Länder niedrige Verhältniszahlen sich ergeben, sei an einigen Beispielen gezeigt. Die hier berechnete Zahl ist für die Schneeregion der Sierra Nevada ebenso die ganz geringe Zalil (3,6) für Birma (nach Bot, Jahresber. 111, 745). ") Nach der neuesten Arbeit von Stewart (Calif. Acad. Science igu p. 7 ff.). •) Catalogus plantarum in Canariensibus Insulis sponte et subsponle crescentium. (Dissert. Halle 1880.) ") Zum Vergleich sei auf das Verhältnis des Ein- und Zweikeimblättler hingewiesen ; dies ist für die Gerlsdorfer Spitze 1:5, für die Lomnitzer I : 5,8, die Eislalcr- und Meeraugen-Spilzc je I : 4,7 , dagegen für die Schlagendorfer Spitze I : 1,8, für die Roteseespitze nur I : 1,2. Es liefern also da nur die höchsten Spitzen große Verhältniszahlen. Auch der Brocken gibt, wenn wir obengenanntes Verzeichnis be- nutzen, nur I : 1,3, der 1229 m holie Leotar in Illyrien (nach Beck, Vegetationsverhältnisse der illyrischen Länder S. 396 f.) I : 2,6, während die in dieser Arbeit behandelte Verhältniszahl 3,1 ist. N. F. XIV. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. nach Willkomm (Grundzüge der Pflanzenver- breitung auf der iberischen Halbinsel [Leipzig 1896] 2,4, für den T'ai-pa-shan in Mittelchina nach Di eis (Ascherson - Festschrift [Leipzig 1904] S. 490 f.) 3,7 und für den Großen Ararat 3,3 (nach Radde, Grundzüge der Pflanzenverbreitung in den Kaukasus-Ländern [Leipzig 1899] S. 375 f) ') Von vornherein sollte man erwarten, daß wie die Wärme auch die Niederschlagsmenge fördernd auf die Mannigfaltigkeit der Pflanzenwelt wirkte, also auch den verhältnismäßigen Artenreichtum innerhalb der P'amilien beförderte. Für Nord- deutschland finde ich dies nur zum geringen Teil bestätigt. Für Pommern ist die Durchschnittszahl der Arten in einer Familie, wie oben angegeben, 11,5, für Westpreußen 11,3, für Ostpreußen ii,i; dort läßt sich also eine Abnahme von dem hauptsäch- lich den Regen spendenden atlantischen Meere erkennen; ebenso ist diese Zahl für Brandenburg 12,1 und für Posen 11,6. Dagegen triit keine Zunahme nach Mittelsachsen, Mecklenburg und Niedersachsen hin ein, wie die oben mitgeteilten Zahlen zeigen; im Gegenteil ist sie in dem letzten Gebiet germger als in irgendeinem anderen Fest- landsteil Xorddeutschlands. Dies erklärt sich leicht, da die Haupteinwanderung der Gefäßpflanzen in Norddeutschland nach der Eiszeit von Südost her erfolgte, steht aber jedenfalls im Gegensatz zu der Annahme , daß die Niederschlagsmenge sehr jene Verhältniszahl bedinge. Daß auch für die Nordseeinseln statt der zu erwartenden Vergröße- rung der Verhältniszahl eine Abnahme eintritt, wurde schon hervorgehoben. Diese steht aber mit einer allgemeinen Abnahme auf kleinen Inseln im Einklang, fällt also weniger auf Ganz aber widerspricht der Annahme von der geringeren Artenzahl innerhalb der Familien in trockenen Ländern, wenn Maximowicz (a. a. O.) diese Zahl für das baikalo-daurische Gebiet auf 13,0 und für die Mongolei auf 17,0 angibt, dagegen für Peking nur auf 9,2 (Hong- kong 8,oj. -) Unter den Leitpflanzen der katalonischen Steppe ergibt sich allerdings nach W ü 1 k o m m (Engler 's Bot. Jahrbücher XIX, S. 308 f.) eine wesentlich kleinere Zahl (3,3) als für das ganze Land (nach Willkomm-Lange: 31,0), und auch für die VVermutsteppen des Kaukasus ergibt sich nach Radde (a. a. O. S. 64 f.) nur etwa 5 als Vergleichszahl. Aber diese Aufzählungen ent- ') Das Verhältnis der Ein- und Zweikeimblältler stellt sich dort auf 1 : 4,3 , wie zur Ergänzung meiner früheren, oben zitierten Arbeit hier mitgeteilt sein mag. ''] Für die Mandschurei stellte sich die Vergleichszahl nach Max im o wicz auf 14,4; sie fällt aber nach Komarov (Flora Manshuriae. St. Petersburg 1907) auf 13,6. halten jedesmal nur die Leitpflanzen, sind also unvollständig und würden wahrscheinlich etwas größere Verhältniszahlen liefern, wenn vollständige Listen zur Berechnung verwendet werden könnten. Wichtiger ist, daß nach Durand und Ba- ratt e (Florae Libycae Prodromus) sich für Tripolis die Vergleichszahl nur auf etwa 9 stellt und für das sicher weit mehr durchforschte Ägypten nach Muse hl er (Manual P'lora of Egypt) doch auch nur auf 13,4. Es zeigt dies, daß auch ganze Landesfloren in warmen, aber trockenen Gegen- den doch verhältnismäßig sichere Vergleichszahlen liefern. Passen wir die Ergebnisse noch einmal kurz zusammen, so zeigt sich: 1. die verhältnismäßige Vertretung einer Fa- milie durch Arten wächst im allgemeinen mit der Zunahme der Wärme; 2. sie wächst bei etwa gleicher Durchschnitts- wärme mit der Ausdehnung des Landes und der Mannigfaltigkeit seiner Standorte (z. B. in Gebirgs- ländern), ist auch in scharf abgeschlossenen Län- dergebieten, in welche neue Familien schwer ein- dringen, verhältnismäßig groß; 3. sie nimmt dagegen ab auf kleinen \) Inseln und Inselgcbieten , sowie andererseits im Hoch- gebirge, besonders auf einzelnen Bergspitzen; 4. eine Abnahme dieser Verhältniszahl durch Trockenheit ist nicht immer deutlich erkennbar; im allgemeinen aber liefern doch sehr trockene Länder eine geringere Größe dieser Zahl als feuchte in gleicher geographischer Breite. Wie das Verhältnis zwischen Ein- und Zwei- keimblättlern, läßt auch das zwischen Arten und Familien der Gefäßpflanzen sich nicht einfach auf eine Ursache zurückführen; es ist aber sicher, wenigstens z. T., durch klimatische Ursachen be- dingt; diese sind aber nur z. T. in beiden Fällen die gleichen. Jedenfalls verdient auch dieses Ver- hältnis eine Berücksichtigung seitens der Pflanzen- geographen , und zu dem Zwecke ist erwünscht, daß in Zukunft in Plorenwerken eine möglichst gleichmäßige Zählung -j der Arten vorgenommen werde. Mit Recht wird in neuester Zeit in der Pflanzengeographie sehr die ökologische Seite ge- pflegt; die systematische Richtung sollte aber nicht darüber ganz vernachlässigt werden, wie vielfach dann geschieht, wenn statt der früheren rein systematischen Aufzählungen heute nur Standortslisten gegeben werden. ') Die japanischen Inseln sollen nach Maximowicz (a. a. O.) die Zahl 18,4 liefern. Großbritannien etwa II ; diese Inseln nehmen schon etwas Festlandsgepräge an, ebenso Neu-Seeland (s. o.). ''} Nach dem Vorbild der Florenwerke von Ascherson und Graebner. Bodenkunde. Das unter diesem Titel erschienene Einzelberichte. Die Typen der Bodenbildung. Russischen übertragene — Werk (Mit 65 Text- aus dem abbildungen und I Übersichtstafel. Verlag Burn- 94 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 6 träger 1914J K. GUnka's stellt eine der bemerkens- wertesten Neuerscheinungen auf dem Gebiete der modernen Bodenkunde dar. Es ist eine eingehende kritische Zusammenfassung der Probleme der Bodengenesis und der Geographie der Bodentypen unter besonderer Berücksichtigimg der russischen Verhältnisse. Im folgenden ist eine kurze Über- sicht des reichen Inhaltes dieses Buches gegeben unter etwas eingehenderer Berücksichtigung jener Kapitel, die auch für den der Bodenkunde ferner stehenden Naturwissenschaftler von Interesse sein dürften. Nach einleitenden Bemerkungen über Geschichte, Gegenstand und Aufgaben der Pedologie, die in der klaren Erkenntnis der Entstehung der Boden- typen in erster Linie unter dem Einfluß des Klimas gipfeln, werden nähere Hinweise auf die im be- sonderen bei der Untersuchung der Böden im Freien zu beobachtenden Gesichtspunkte gegeben. Ein Boden, d. h. das an Ort und Stelle gebliebene Verwitterungsprodukt eines Gesteines muß das Gepräge aller inneren und äußeren Kräfte tragen, die an seiner Bildung teilnehmen; die örtlichen klimatischen Bedingungen (Feuchtigkeit, Wärme), Charakter der Vegetation und des Muttergesteins müssen in seinem Habitus zum Ausdruck kommen, da alle diese Faktoren am Prozeß der Bodenbildung beteiligt sind. Im besonderen sind es ferner Be- obachtungen über den Bau des Bodens, d. h. über die im Profil zu erkennenden verschiedenen, aber keineswegs immer schichtmäßig angeordneten Horizonte, über deren Farbe und Struktur, über mannigfaltigste Ausscheidungen in Gestalt von Flecken oder Adern, Erscheinungen, die in ihrer Gesamtheit in gesetzmäßigen Beziehungen zu jenen Prozessen stehen , die sich im Boden ab- gespielt haben und noch gegenwärtig abspielen. Als besonders kennzeichnende, vorwiegend den oberen Bodenhorizonten eigene Strukturen sind erwähnt die erbsenartige Struktur des ungeackerten Tschernosems, die häufig lamellenförmige Struktur der Podsoligen- und der Salzböden, die bisweilen waben- oder schwammartigen Strukturen der Laterite. Um die genannten Erscheinungen, die fast ausschließhch in der Natur beobachtet werden müssen, gründlich zu erkennen, sind die künst- lichen oder natürlichen Profile mindestens bis zu der Tiefe zu studieren, bis zu welcher der Einfluß der Bodenbildung reicht, was gelegentlich infolge von Kapillarwirkungen noch in der Höhe des Grundwasserspiegels der Fall sein kann. Sodann erfolgen nähere Angaben bezüglich der Technik der Bodenentnahme und sonstiger Arbeiten im Felde, ferner eine kurze und zweckmäßige, bei den russischen Pedologen gebräuchliche boden- kundliche Nomenklatur, in welcher mit A, Aj, A.j usw. zuoberst liegende Eluvialhorizonte (d. h. solche, aus denen auf chemischem oder mecha- nischem Wege irgendetwas ausgelaugt wurde), mit B, Bj, B., usw. darunter folgende Illuvial- horizonte (d. h. solche, in die irgendwelche Sub- stanzen eingedrungen sind) und schließlich mit dem Buchstaben C das unveränderte Muttergestein bezeichnet wird. Im folgenden Abschnitt über die verschiedenen Bodenklassifikationen geht Verfasser kritisch auf die Systematik der Böden ein, wie sie von Thaer, Fallou, Knop und v. R i c h t h o f e n unter mehr oder weniger einseitiger Berücksichtigung physi- kalischer, chemischer oder petrographischer Merk- male geschaffen wurde. Besonders im Anschluß an die Anschauungen des russischen Pedologen Sibirceff, der neben der Beschaffenheit des Muttergesteins und der Gesamtheit der biolo- gischen Vorgänge in erster Linie in den physi- kalisch-geographischen Bedingungen, d. h. in dem Klima, einen ausschlaggebenden Einfluß beim Prozeß der Bodenbildung erkannte und auf dessen zonalen Charakter hinwies, teilt Glinka die Böden zunächst in endodynamomorphe und ekto- dynamomorphe ein. Zu ersteren sind jene Böden zu stellen , deren Bau und Eigenschaften durch die inneren Bedingungen des Bodenbildungs- prozesses, also durch die Beschaffenheit des Muttergesteines, bedingt sind, wofür die sog. Rendzina Böden, das sind humose Karbonatböden, besonders im Gebiete der Kalkgebirge ein Bei- spiel bilden. Wenn derartige Böden lokal in einer Region vorkommen, in der sich unter den ob- waltenden klimatischen Verhältnissen z. B. Podsol- boden (s. w. u.) herausbilden, so erweist sich stets, daß diese lokalen Vorkommnisse an ein chemisch ganz anders geartetes Gestein geknüpft sind, dessen Chemismus bei der Verwitterung die Heraus- bildung des normalen Bodentypus nicht gestattete. Endodynamomorphe Böden sind nach Glinka zeitliche Übergangsbildungen , da sie unter dem Einfluß des Klimas , auch des gleichbleibenden Klimas, allmählich in die andere Klasse der Böden, in die ektodynamomorphen, übergehen, d. h. in jene, deren Bau und Eigenschaften überwiegend durch von außen wirkende Faktoren bedingt sind. So war im Gouvernement Lublin bei Cholm der Übergang eines Rendzina-Bodens in einen Pod- soligen Boden zu beobachten. Ebenso sind jedoch auch die ektodynamomorphen Böden zeitliche Bildungen und können bei Änderung der klima- tischen Faktoren ihren bisherigen Habitus ändern, z. B. der Übergang eines Tschernosem (Schwarz- erde, s. w. u.) in grauen Lehm unter dem Einfluß einer dauernden Waldvegetation, welcher Vorgang im bodenkundlichen Sinne als Degradation be- zeichnet wird. Die ektodynamomorphen Böden werden von Glinka nach der relativen Feuchtigkeit, die den oberflächlichen Horizonten unter gegebenen klimatischen Verhältnissen zugeführt wird, in 6 Gruppen geteilt ; letztere umfassen die einzelnen Bodentypen, so daß sich insgesamt folgende Systematik ergibt : (Tabelle siehe nächste Seite.) N. F. XIV. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 95 Typ US der Bodenbildung Varietäten nach petrographisclier Zusammensetzung Varietäten nach Zusammen mechanischer Setzung. Tschernosem Tschernosem aus Löß toniger Tschernosem „ „ Granit lehmiger ,, „ „ Basalt usw. sandiger „ usw. Podsol Podsol aus Löß, Sandstein, Granit, Diabas usw. toniger Podsol sandiger ,, lehmiger ,, usw. I. Ektody namomor phe Böden. 1. Böden von optimaler Befeuchtung. a) Laterite; b) Roterden; c) Gelberden. 2. Böden von mittlerer Befeuchtung. a) Podsolige Böden; b) Graue Waldböden; c) Degradierte Tschernoseme. 3. Böden von mäßiger Befeuchtung. a) Tchernoseme und PRegur. 4. Böden von ungenügender Befeuchtung. A) a) Kastanienfarbige Böden; b) braune Böden; c) graue Böden; d) rotfarbige Böden. B) Wüstenkrusten, a) braune Schutz- rinden; b) Kalkkruste; c) Gipskruste. 5. Böden von übermäßiger Befeuchtung. A) a) Moorböden, Torf- und Schlammböden. B) a) Böden der Bergwiesen ; h) Torfböden der trockenen Tundren und Berggipfel. 6. Böden von zeitweise übermäßiger Befeuch- tung. a) Strukturförmige Salzböden (,, Solonetz"); b) Strukturlose Salzböden („Solontschak"); c) Solonetzartige Böden; d) Solontschak- artige Böden. II. E n d o d y n a m o m o r p h e Böden. a) Reudzine; b) Verschiedene Skelettböden. Als Beispiel einer vollständigen Klassifikation, die ihrerseits noch eine Reihe sekundärer Merk- male der obengenannten Bodentypen einschließt, sei folgende Tabelle wiedergegeben , aus der hervorgeht, daß bei der Charakteristik eines Bodens zunächst die Kenntnis des Bodentypus und damit der Hauptbedingungen, unter denen er sich bildete, erforderlich ist ; erst dann sind die petrographischen und median. -physikalischen Ver- hältnisse, die den Prozeß der Bodenbildung se- kundär beeinflußten, zu erforschen. Jellinek, Karl,Lehrbuch der physikalischen Chemie in vier Bänden. Erster Band : Die Lehre von den Aggregatzuständen, i. Teil. XXXVI u- 732 Seiten mit 81 Tabellen, 253 Ab- bildungen im Text und 4 Bildnissen. Stuttgart 1914. Verlag von Ferdinand Enke. — Preis ge- heftet 24, iri Halbfr. geb. 27 Mk. Die moderne physikalische Chemie ist vor allen Dingen durch die Anwendung der Thermodynamik auf die Probleme der Chemie gekennzeichnet und hat besonders in den letzten Jahren immer mehr einen „rein physikalischen" Charakter angenommen. Aus diesem Grunde verlangt das Verständnis der modernen physikalischen Chemie außer einigen nicht zu umfassenden mathematischen in erster Linie recht eingehende physikalische Kenntnisse, wie sie den meisten Chemikern nicht zur Ver- fügung stehen. Ist es doch nur wenigen Chemikern vergönnt, neben ihrer eigentlichen Tätigkeit noch die notwendige Zeit zu gewinnen, um die ver- hältnismäßig geringen in der Studienzeit erworbenen physikalischen Kenntnisse zu befestigen und vor allem zu erweitern und zu vertiefen. Daher sind die Chemiker in der großen Mehrzahl auf Lehr- bücher angewiesen, die ihnen die neueren Fort- Bücherbesprechungen. schritte der physikalischen Chemie in möglichst sorgfältig durchgearbeiteter und möglichst leicht- verständlicher Form unter besonderer Betonung der grundlegenden physikalischen Tatsachen und Theorien darbieten. In diesem Sinne ist das Lehrbuch von Karl Jellinek, Privatdozenten für physikalische Chemie an der Technischen Hoch- schule zu Danzig, geschrieben, und es war von vornherein zu erwarten, daß Jellinek das er- strebte Ziel erreichen würde, hat er doch durch sein vor kurzem erschienenes umfangi'eiches Werk die „physikalische Chemie der homogenen und heterogenen Gasreaktionen unter besonderer Be- rücksichtigung der Strahlungs- und Ouantenlehre sowie des Nernst'schen Theorems" (Verlag von S. Hirzel, Leipzig 19 13) seine große Befähigung zu klarer Darstellung gerade der neuesten und .schwierigsten Kapitel der modernen [ihysikalischen Chemie in verhältnismäßig leichtverständlicher Form bereits bewiesen. Der vorliegende erste Band des großen Werkes behandelt zunächst einige Grundprinzipien der physikalischen Chemie (so die stöchiometrischen Grundgesetze, die Gesetze der idealen Gase, die Atom- und Molekulartheorie und die Hauptsätze 96 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 6 der Thermodynamik). Daran schließt sich eine ausführliche üarstelJung der Lehre von den Gasen und ihrem Übergänge in den flüssigen Aggregat- zustand. Einige Abschnitte aus den Kapitel „Der flüssige Aggregatzustand", das im zweiten Bande fortgesetzt werden soll, schließen den ersten Band ab. Über die Art, wie der Stofi" behandelt worden ist und über die zum Verständnisse des Textes erforderlichen Vorkenntisse äußert sich der Ver- fasser im Vorworte des Werkes folgendermaßen: Es werden in allen Kapiteln stets zuerst die wich- tigsten experimentellen Methoden möglichst an Hand zahlreicher Abbildungen musterhafter Ver- suchsanordnungen der tüchtigsten Forscher er- läutert, sodann die gewonnenen Resultate in mög- lichst vielen Fällen graphisch dargestellt, sowie eine Vorstellung von der Genauigkeit durch Ta- bellen erzeugt, deren Zahlendaten im allgemeinen in ihrer letzten Stelle unsicher, in ihrer vorletzten Stelle dagegen völlig sicher sind. An die Darlegung der empirisch gewonnenen Daten schließt sich dann die theoretische Behandlung an, bei der stets von den Elementen der Differential- und Integralrechnung Gebrauch gemacht wird. Diese Elemente können heute als allgemein be- kannt vorausgesetzt werden, während etwa hier und da erforderliche höhere mathematische Kennt- nisse an Ort und Stelle entwickelt werden. Ebenso ist natürlich auch eine Kenntnis der Grundzüge der Chemie und Physik für das Verständnis des Werkes Voraussetzung". Der Text des Buches ist im allgemeinen von erfreulicher Klarheit und Präzision, wenn auch, wie das bei einem so umfangreichen Werke nicht anders zu erwarten ist, kleine Ungenauigkeiten nicht ganz vermieden werden konnten. So muß es z. B. auf Seite 17, Zeile 10 von oben, an- statt dv de heißen. Etwas störend haben auf den Referenten die philosophischen Betrach- tungen gewirkt, die der Verfasser gelegentlich in den Text verwoben hat; über solche Dinge kann man verschiedener Meinung sein, und sie gehören nicht in ein Lehrbuch der physikalischen Chemie. Doch sind das nur Kleinigkeiten, durch die der große Nutzen, den das Buch allen Freunden der physikalischen Chemie leisten wird, nicht beein- trächtigt werden kann. Es ist dringend zu wünschen, daß das Jellinek'schc Werk nicht nur auf den Regalen großer Bibliotheken verstaubt, sondern von eifrigen Lesern mit der Feder in der Hand durchgearbeitet wird; es ist nicht nur ein interes- santes Lehrbuch, sondern vor allen Dingen auch ein ausgezeichnetes Lernbuch, dem recht viele Leser zu wünschen sind. Berlin-Lichterfelde W 3. Werner Mecklenburg. Halbfafj, W., Das Süßwasser der Erde. (Bücher der Naturwissenschaft herausg. von S. Günther, 24. Bd.) 189 S. mit Abbildungen im Text und 14 Tafeln. Leipzig, Philipp RecJam jun. — Preis geb. in Leinw. i Mk. Der bekannte Seenforscher gibt in dem kleinen Büchlein eine vorzügliche Übersicht über die ver- schiedenen P'ormen, in denen das Süßwasser auf der Erde vorkommt, wobei die beiden Haupt- formen der Flüsse und Seen besonders berück- sichtigt werden. Die Entstehung der Flüsse, die Größe ihrer Einzugsgebiete, die physikalische und chemische Beschaffenheit ihres Wassers, ihre Be- ziehung zum Niederschlag und zu dessen Ver- teilung, ihr Einfluß auf die Formen der Erdober- fläche, ihre Veränderungen in prähistorischer und historischer Zeit werden in klarer Weise kurz behandelt. Bei den Seen bespricht der Verf in gleicher Ausführlichkeit ihre geographische Ver- breitung, ihr Entstehen und Vergehen, die Be- schaffenheit ihres Untergrundes, den Wasserhaushalt, die Schwankungen des Wasserspiegels, die Be- wegungserscheinungen des Seewa.ssers, sowie dessen Erwärmung und Abkühlung, Durchsichtig- keit und chemische Beschafi'enheit. Zum Schluß geht er noch auf die Sümpfe und Moore, die Quellen und das Grundwasser ein. Einen ganz besonderen Wert hat das Werk- chen durch die Fülle von zuverlässigen Zahlen- angaben, die jedem Leser und Benutzer ebenso willkommen sein werden wie die schönen, auf be- sonderen Tafeln beigegebenen Abbildungen und das sorgfältige Namen- und Sachregister. O. Baschin. Anregungen und Antworten. Die Pferdehaare, die man gelegentlich einmal in Hühner- eiern findet, sind wohl nie auf natürlichem Wege in die Eier gelangt. Es ist darum auch unnötig, zu untersuchen, auf welchem Wege das möglich wäre. Die Anwesenheit der Haare ist darauf zurückzuführen , daß die Köchin dem, der das Ei verzehren soll, oder auch dem Wirt, in dessen Dienst sie steht, einen Schabernack spielen will. Vor dem .\bkochen des Eies durchbohrt sie die Schale vorsichlig mit einer Nadel und schiebt das Haar durch die feine Öffnung hinein. Ist das Ei hartgekocht, so wird die kleine Eiweißmenge, die wäh- rend des Kochens aus der Stichöffnung aus};etrelen ist, ab- gewischt. Es dürfte dann ganz unmöglich sein, ohne die alK-rgenaueste Untersuchung den Nadelstich aufzufinden. Es ist mir aus sicherster (juelle bekannt, daß das angegebene Verfahren in Gasthäusern geübt wird. Meine Mutter hat in einem ländlichen Gasthofe das Kochen und dabei auch den Spaß von dem Roßhaar im Ei gelernt. Gerade der I7mstand, daß in den „Eppanerhof"-Gärten in Bozen gleichzeitig mehrere Eier, die Pferdehaare enthielten, vorgesetzt wurden, spricht zugunsten der hier "gegebenen Erklärung. F. Blochmann. Inhalt: Braun: Ergebnisse neuerer Forschungen über parasitische Protozoa des Menschen. Hock: Das Verhältnis von lainilien und Arten der Gcräßpflanzen. — Einzelberichte: Glinka: Die Typen der Bodenbildung. — Bücher- besprechungen: Jcllinek: Lehrbuch der physikalischen Chemie in vier Bänden, llalbfaß: Das Süßwasser der Erde. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 14. Februar 1915. Nummer 7. Auf den Höhen des Kilimandscharo. [Nachdruck verboten.] 5. II. 1912. Die Besteigung des Kibo. Der sog. Führer (Kirongozi) hatte es über- nommen, um 2 Uhr nachts zu wecken. Waren es die unerträgliche Härte des Lagers und die empfindliche Kälte der Nacht oder mehr noch die unbewußte Betätigung der Selbstregulation des Körpers, die schon lange vor i Uhr weckten: 3 Finger der rechten Hand waren völlig fühllos, bis in die Handfläche hinein, und ich durch- lebte während der langen Minuten, in denen ich ihnen durch energisches Reiben wieder Blut zu- zuführen strebte, die ganze Pein der Furcht, sie als erfroren zu verlieren, wie es von einem Mit- gliede einer früheren englischen Expedition be- richtet wird. Der Kirongozi scheint sich vorgenommen zu haben, die kommenden Schrecken zu verschlafen. Erst einige unzarte Rippenstöße geben ihn der Wirklichkeit zurück; mit fatalistischem Gleichmut erhebt er sich. Vollständig angezogen, die schweren Stiefel an den Füßen, um dem eisig streichenden Zug- winde gegenüber wenigstens dürftig die Eigen- wärme bewahren zu können, hatte uns der Schlaf- sack aufgenommen; es bedarf keiner Toilette; das Waschen dünkt einem schon seit mehreren Wochen überflüssiger Kuhurbedarf, man ist froh, das für die Ernährung nötige Wasser bereit zu haben. Recht heißer Tee — die einzig mögliche Weise, ihn nicht schmecken zu müssen I — und einige Albert-Kakes werden schnell pflichtgemäß ge- nossen; einige weitere, etwas Kognak, Schnee- brille und 2 photographische Apparate mit je 12 Platten sind schon am Abend zuvor 2 Ruck- säcken anvertraut, Eispickel und Bergstöcke stehen bereit. Je ein wollener Kragenschoner, der als Kopfbinde Mund, Nase und Ohren vor Erkältun- gen zu schützen berufen ist, vervollständigt die Ausrüstung. Das Vergessen von wärmenden Hand- schuhen sollte sich bald unangenehm bemerkbar machen. Weißfarben, gespenstisch bleich schimmert die Steinwüste des Bergrückens in das von Kerzen- licht geheimnisvoll unterbrochene Dunkel der Höhle hinein. In hockender Stellung, sitzend, liegend, von ihren Decken umhüllt, formlos, ohne Regung gleichen die Leute den Ftlsblöcken, die sie umgeben. Die Feuer glimmen kaum noch: ein Bild trostlosen Schweigens, unterbrochen hier und da von traumhaften Klagelauten oder dem Geräusche festeren Schlafes, ein todesdüsteres Bild, Teil II.*) Von Prof. Dr. Christoph Schröder, Berlin. das der dürftige Lichtesschein nicht lebenswärmer zu täuschen vermag. Wir schreiten zwischen den reglosen Körpern hindurch, über sie hinweg, in der Bewegungs- abschälzung wie gelähmt unter dem erstarrenden Einfluß des steinernen Lagers und der kalten Nacht zugleich, lieblos mit jenen zusammenstoßend, hinaus aus der stickigen, rauchgeschwängerten Höhlenluft. Es ist fast I 'Z, Uhr. Draußen liegt der wunder- bar milde Glanz fast vollen Mondes über dem All und leiht dem unabsehbaren Steinmeere den Ein- druck weichen Schlummers. Und der Sonne gleich löst der Silberschein auch unsere Seele aus den Fesseln der Höhlenmacht. Wie befreit atmet sie auf zu frischem Beginnen, und der Körper folgt ihr völlig. Der Kirongozi sollte, so war mir gesagt worden, wenigstens „bis an den Schnee" mitgehen. Aber schon fehlte ihm hierfür etwas Unentbehrliches: Stiefel und Strümpfe, die man ihm für jenen Zweck mitzugeben versäumt hatte. Zum Glück hatte ich noch ein Paar ungebrauchter Bergstiefel zur Hand, die mir „im Augenblick" nicht paßten, da die Füße (wie auch Gesicht und Hände) infolge der Kälte geschwollen waren. Die Angelegenheit war so schnell geordnet. Voran denn, den Blick auf die Johannes-Scharte gerichtet, die sich klar erkennbar scharf gegen die einschließenden Eis- wände hoch oben, 1300 m höher, am Himmel abhob. Das Gehen auf dem klirrend hartgefrorenen Boden war unbeschwerlich; eine schneeige Eis- kruste von etwa i cm Höhe bedeckte bald überall den Boden und zauberte den Anblick heimatlicher Flur. Doch mächtig, ob ihrer Steilheit unberührt, düster braunfarben ragen einzelne Felsmassen, die Schutthalde säumenden Grate, Mauern gleich, hoch auf. Schon nach kaum mehr als '/.^ Stunde sind wir in dem Schutterfelde angelangt, das sich all- mählich engend bis zur Scharte hinan führt. In dem Boden angepaßtem, großzügigem Zickzack geht es in bisweilen sicher 40" erreichender Stei- gung schnell bergan. Die in den Schutter ein- gestreuten Blöcke sind eisig kalt, zum Ausruhen fehlt jede Gelegenheit. So wird von Anbeginn *) Der Teil I im Hefte 48 (S. 753—760) der „Naturw. Wochenschrift" Bd. 13 (N. F.) 1914 schilderte meinen Aufstieg ,,vom 4050 m-Lager bis zur Biwakhöhle 4690 m" (3. II. '12) und ,. einen vollen Tag als Gast der Biwakhöhle" (4. II. '12). Im folgenden gebe ich eine Schilderung des In- lialtes der beiden nächsten Tage. 98 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 7 der Besteigung in etwa '/«stündigen Pausen, wenn irgendein näheres Ziel erreicht ist, über den Berg- stock gelreugt kurze Rast gehalten, um jede hr- hitzung und Ermüdung fernzuhalten. Das Schutz- tuch vor Mund und Nase ist alsbald naß, ferner ab vereist; der feuchte Atem schlägt sich an der Brille nieder, ich muß sie während der ersten Stunden abnehmen. Trotz fortgesetzten Schrei- tens werden die F'üße bald frostig kalt; die Hände frieren und lassen sich während der Rastpausen in den Hosentaschen nur flüchtig aufwärmen. Aber der bequeme Boden löst eine völlig normal wirkende Herztätigkeit aus und die Frische der Nacht gibt auch den Sinnen Frische der Auf- nahme. Langsam senkt sich der Mond auf seiner Bahn dem Kibogipfel zu; seinem Silberlichte eint sich das der funkelnden Sterne, die mit ihm von wolkenlos klarem, rätselhaft blautönigem Him- melszelt herniederschauen. Des Berges Weiten mildfarben weißen Scheines; Felszinnen Giganten gleich sich reckend und Leben formend in diese hehre Einsamkeit; des Gipfels ewige Eisesfirnen erstrahlend im zurückflutenden Mondenlicht macht- voll ragend hinauf, hinein in des Äthers uner- meßliche Fernen. Schweigen ringsum, das weihe- volle Schweigen einer unfaßbar großen Natur, groß gerade ob ihrer wenigen Farben, ihrer ein- fachen Linien. Es bedarf schier eines Entschlusses, sich diesem Zauber zu entziehen, den Blick dem anderen Gipfel des Bergriesen zuzuwenden. Eine schwere Wolken- bank, auf das Sattelplateau gestützt, birgt ihn bis an die höchsten, schneegekrönten Spitzen hinan, die klar hervorschauen, eigenartig schwebend ge- hoben erscheinen. Kurz nach 5 Uhr; über den finsteren, weitgestreckt horizontalen Saum der massig ruhenden Wolkenmauer gleitet ein leichtes Erhellen ; leise, einer Ahnung gleich, naht sich die Morgenröte, wenig südlich der Spitze ; die Stätte ihres Erscheinens kündete dort schon zuvor die wachsende Helle des Firmaments: die Sonne ist erwacht, Nacht und Mond sind gewichen; ein erster Sonnenstrahl begegnet dem sehnenden Auge, dem verlangenden Herzen, und — Und der Kirongozi erhält seinen Kognak. Schon Stunden zuvor, wenige Hundert Meter von der Höhle, als der Schnee anfing, die Landschaft völlig zu beherrschen, hatte er um seine Entlassung er- sucht, da er so sehr fröre. ,,Bis an die Schnee- grenze", ich mußte an diese Worte denken, wenn ich mir auch als jene Grenze die stetigere des Firneises gedacht hatte. Das Versprechen eines bakhshislü und vielleicht noch mehr eines .Schluckes Kognak bei aufgehender Sonne hatten ihn be- wogen, ferner auszuhalten. Die letztere Beloh- nung bekam er eben jetzt; er versank schließlich vor Behagen förmlich mit der Zunge in dem Gläschen. Doch war die Wirkung nur eine recht vorübergehende; keine halbe Stunde später wollte er wieder fort zur schützenden Höhle. Ich hielt das Verlangen für einen kindlichen Ausweg, zu einem weiteren Kognak zu kommen, und sagte ihm einen solchen für später zu. Denn ich hätte den Kirongozi gern bis an die Scharte mitgeführt; er wäre der erste Neger so hoch gewesen. Und ich durfte von der zunehmenden .Sonnenwärme Wunder erwarten. Aber nur wenig höher blieb er mit allen Zeichen völliger Abspannung zunächst zurück. Als ich dann nach ihm blickte, lag er, die Knie an den gebeugten Kopf herangezogen, auf der Seite, in völliger Apathie neben einem Felsblocke im Schnee. Ohne Zweifel, die Lage war kritisch. Ein guter Schluck Kognak und der ,, nachdrück- lich" gegebene Befehl, sofort zur Höhle zurück- zulaufen, haben den Mann gerettet. Unter schwieri- geren Verhältnissen ist auch der Dschagga-Neger für Kibobesteigungen unbrauchbar; Ungunst der Witterung macht sie daher im allgemeinen über- haupt unmöglich. Schon bei beginnendem Sonnenaufgang war in das Nebelmeer, das, sich am Horizont über der Steppe verlierend, den Urwald verhüllte und reg- los bis zum Sattelplateau und an den Fuß des Kibo beiderseits hinan lagerte, Bewegung gekom- men. Aus der ebenmäßigeren Fläche türmten sich langsame Wogen, die über den Bergrücken hinanglilten, vom Norden wie vom Süden, ein- ander begegneten und Wolken himmelwärts form- ten, die an dem Kibomassiv ringsum hinaufspülten, höher und höher greifend, die Schluchten entlang, mehr und mehr Land dem Auge entziehend. Ich war in diesen ganzen Tagen so oft Zeuge solchen lautlos erbitterten Streites zwischen Nebelfluten und Ausblick gewesen, hatte den Kampf so manch- mal auch zuungunsten des Nebels sich entscheiden sehen, daß ich nach der Klarheit des nächtlichen Himmels auch das Tagesgestirn aus reiner Bläue herniederleuchten zu sehen hoffte. Ich genoß mit Entzücken die unter dem Kusse der Sonne er- wachende Natur, die der Hauch der Morgenröte über Fels und Eis in zartester Tönung berührte, die oben am Gletschersaume in leuchtendem Er- glühen den Tag kündete. Schon zuvor hatte ich Abschied nehmen müssen von den greifbar nahe, und in den Einzelheiten ihrer Eisstruktur völlig kenntlich und gleicher Höhe erscheinenden nörd- licheren Gletscherstirnen, deren Bild ein hoher radialer Grat vom Gipfel her später entzog. Die Majestät der Formen, die märchenhaft schönen blautönigen Farben hätten mich fast verlockt, den Weg anstatt zur Scharte zu ihnen weiter zu nehmen. Aber die aufgehende Sonne sieht uns schon hoch neben dem steil abstürzenden Grate, welcher für sich geradlinig von der Gegend des Rats-el- Gletschers aus, der sich während des ganzen Auf- stieges auf diesem Wege unsichtbar hält, zur Scharte hinaufreicht, die kaum 250 m höher unschwer zu erreichen scheint. Unverdrossen, unermüdet geht es aufwärts, die Beschwerden der äußerst dünnen Höhenluft sind kaum merkbar; ich zweifle nicht, auch die Kaiser-Wilhelm-Spitze selbst weiterhin in den langen Stunden des Vormittages zu er- reichen und Schätze an Beobachtungen und Auf- N. F. XIV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 99 nahmen heim zu bringen. Aber schon eilen hie und da Nebelschwaden leichten Fußes voran, die zu herrlichen Lichtsymphonien von den Strahlen der Morgensonne durchflutet in necicischem Spiel dem Gipfel zujagen. Und schon beginnt der Boden, der allmälilich in mehr feingrandigen Schotter übergegangen ist, unter dem Einfluß der Tages- wärme zu tauen, dem steigenden Fuße nachzu- geben. Ich lerne so noch eine Spur jener äußer- sten Schwierigkeiten kennen, mit denen die For- scher sonst ihre Ersteigung der Scharte mühsam zu erkämpfen hatten: da das lose Geröll den Fuß einsinken und abgleiten läßt um nahe soviel, wie er Spannweite nahm, da jeder fester eingelassene Stein, jedes Stück gewachsenen Felsens zu einer bedeutungsreichen Hilfe gegen die vollständige Er- schlaffung der Kräfte wurde. Doch bereits droht die gewaltige Gletscherkrönung des Gipfeldömes nahe zu Häupten, über tieferen Schnee schreitet der Fuß wieder fast mühelos die letzte Wegeslänge zur Scharte hinan. Um seinem Träger alle Hoffnung für einen ferneren Erfolg des Tages restlos begraben zu müssen. Es ist kaum 7 ^|^ Uhr. Ich hatte schon vorher nicht mehr daran zweifeln können, daß der Nebel in Heeresmassen vor mir Besitz von der Höhe ergreifen werde; er ließ den Ausblick auf die Scharte in der letzten halben Stunde nur noch selten frei. Und aus der Nebeldecke heraus rieselte graupeiförmiger Schnee hernieder; doch auch er sollte und konnte die Erreichung des einen nahen Zieles nicht mehr hindern, um das schon mancher andere vergebens gerungen halte, die Erreichung der Johannes-Scharte und damit die 8. Besteigung des Berges, unter schwierigeren Verhältnissen, als sie die Vorgänger vorgefunden hatten. Dann aber — Nebel- und Graupelschauer, soweit das Auge reichte, über uns, um uns, zu Tal. Eine leichte Beklemmung ergreift mich trotz allen F"atalismus, den meine Begleitung und die Erlebnisse der letzen Woche auf mich ausgeströmt haben. Seit mehr als 6 Stunden unterwegs, nach 5 ^/j stündiger Wanderung keine Stätte zum Aus- ruhen, nach hellem Morgen von Finsternis um- hüllt, lehne ich über den Bergstock gebeugt neben der nördlichen Eismauer, unfähig, mich zum Abstiege zu entschließen, doch auch wieder ohne rechten Sinn für die teils verschneiten Strukturver- hältnisse derselben. Hatte ich nach den Anstren- gungen der Tage zuvor, des heutigen mit seinem Anstiege um mehr als iioom denn nicht einen förmlichen Anspruch errungen auf einen wenn auch einzigen nebeifreien Fernblick über das Ge- biet zu meinen Füßen — „halb .so weit wie das Deutsche Reich" würde das Auge in diese Fernen tragen — und mehr noch: jene Eis- und Felswunder zu schauen, die der Kesseides Kraterwalles birgt? Aus den Nebelschwaden ballten sich Wolken finsteren Aussehens, drohenden Inhaltes, zunächst demUrwalde nahe; langsam, stetig hinansteigend, zu Tal Gewitter-, an Bergeshöhe Schnee- und Hagel- sturm kündend. Schon rollen dieDonner erschreckend näher. Graupeln fallen niederund böig fegt der Wind die Scharte hindurch. Es ist etwa 8 Uhr; rings- um herrscht Dämmerung, auf kaum mehr als 5 Schritt läßt sich schauen; keine Felsnische ist zu erspähen, die Schutz vor dem Unwetter gewährte. Eis, Schnee, Graupeln, Nebel in einförmiger Wir- kung; es ist empfindlich kalt, die Füße frieren im Schnee, um den Körper rast ein eisiger Wind. Die Schloßen prasseln dichter und größer. Blitze zucken unter und über uns, die Donner lassen den Berg erzittern, völlig finster wird es: ein Chaos ele- mentarster Naturgewalten. Wir ihm schutzlos preisgegeben. Die Lage erscheint entschieden kritisch. Wohl hatte der Sturm vorher nur in einzelnen Augenblicken die Ncbelmassen gelichtet, zerrissen, um skizzengleiche Bruchstücke des macht- vollen Höhenbildes freizugeben, doch konnte einem längeren Abwarten unmöglich weitere Zeit ge- opfert werden. Ich war vom Schicksal schon vor unerträglichere Fügungen gestellt worden; der versagte ruhige Genuß eines Landschaftsbildes, sei es auch des unvergeßlich wirkungsvollsten, ließ sich ertragen. Und machtvoller, eindringlicher konnte die iSIatur im Sonnenglanze der bebend lauschenden Menschenseele gewiß nicht reden als aus jenen sturmgepeitschten, LInheil dräuenden Wolkenmassen. Der Abstieg über den losen feinen Schutter, vorerst auf dem frischen, mit Hagel untermengten Schnee, geschah leicht und schnell, trotz des Ge- witters ; weniger vielleicht unter dem instinktiven Drucke, der Gefahr des Verschneitwerdens, Er- frierens zu entgehen, als deshalb, da der Fuß in dem nachgebenden Geröll bei der starken Ge- ländeneigung sofort weiter zu Tal rutscht, und es sich dann nur nötig macht, durch Haltung und Bergstock beim Rutschen das Gleichgewicht zu bewahren. Es mag nicht viel mehr als 7-2 Stunde ver- gangen sein,- und wir befanden uns wieder 300, bald 400 m gerade unterhalb der Scharte. Schräg einfallende Blöcke hätten nun einigen Schutz ge- währen können, das Unwetter aber hatte allgemach ausgetobt, ein leichter Schneefall folgte ihm vor- erst nach, zwischen dessen zarten Flocken die Nebel einander weniger dicht jagten. Die Berges- höhen aber hielten sie verborgen; ich habe einen Blick von ihnen zu erhaschen gesucht wie von etwas Liebgewonnenem: doch erst 9 Tage später, von Mwika in der Rhombozone seiner Basis aus, habe ich sie wieder gesehen. Ich hatte doch ein Gefühl der Befriedigung, den Gipfel und seine Hänge für die ganze Folge der Tage von schweren Wolken oder massigem Nebel bedeckt zu sehen; ich hatte die kostbare Zeit des Aufenthaltes auf der Höhe nicht urteilslos einer vermeintlichen Gefahr geopfert! Der Anblick der Möglichkeit eines gewissen Schutzes gegen etwa wieder zunehmende Wetter- unbill, die Erfahrung der Leichtigkeit des Abstieges, die Hofi'nung auf weitere Aufhellung minderten alsbald die bisherige Hast. Und wenn hier und Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. da die zurückweichenden Nebel das Gemälde entschleierten , es zeigte Farben und Formen von packendem Hochgebirgscharakter; steilragende Felsblöcke wundersamer Gestalt, schartige Grate steilen Mauern gleich inmitten unübersehbarer Schneefelder, die, keineswegs einfarben weiß er- scheinend, von dem Tageslichte verschiedenwinklig getroffen und verschieden stark gelagert, wie das Gestein mannigfaltige Tönung zeigen. Die Natur bedarf für ihre wirkungsvollsten Schöp- fungen nur weniger, selbst einer einzigen Grund- farbe. Die gleichförmige Steinwüste am Fuße des Kibo, jeglichen Organischen bar, atmet eigenes warmes Leben, wenn sie unter dem Kosen der erwachenden Sonne erglüht, wenn sie die Strahlen der untergehenden goldig überfluten. Das Gestein des Aufstiegtales schien mir im ganzen überall, verwittertwie anstehend, der Schutter sowohl wie die eingelagerten Blöcke und starren- den Felszinnen, gleichartig, sog. Rhombentrachyt zu sein. Nachdem der Schutter ebenerer Lage weiter zu Tal unter dem Einfluß der Tageswärme wieder schneefrei erschien, sahen wir nun auch, da wir den Abstieg für nicht weiter gefährdet halten durften, ausgewitterte Feldspat- und Augit- kristalle, überall häufig zwischen dem Geröll, in verschiedener, auf dem nassen Boden selbst lebhaft roter Färbung, selten ganz, immer mit rauh ver- witterter Oberfläche. Wir mochten bis etwa 5200 m bergab gelangt sein, als die spärliche Flechtenvegetation der bedeutenderen Höhen einen eigentümlichen Gesellschafter fand: einen unseren Weißlingen nahestehenden, todesstarren Falter, der vom Steigewind emporgerissen in diese unwirt- lichen Höhen gelangt sein mochte. L;nd kurz darauf, in sicher mehr als 5 100 m Höhe, gaben Spuren der Elenantilope Zeugnis von dem merk- würdigen Anpassungsvermögen und Wandertrieb dieser rindsgroßen Antilope. Die Blütenpflanzen wie auch das Gras höchster Lage fanden sich ganz nahe der Höhle, erstere als etwa 35 cm in völlig geschützter Feldnische erreichende gelb blühende Komposite (das betreffende Bestimmungs- material ist mir leider verloren gegangen), letztere als vereinzelte kümmerliche, trockene Bulte im Geröll. Die Nahrungssuche konnte also die Tiere nicht zu solcher Höhe führen. Vielleicht das Wasserbedürfnis, das sie an den Schneespratzen sonngedeckter Lage zu stillen vermochten ? Anderen Spuren, menschlichen, waren wir zuvor in etwa 5400m Höhe begegnet; es waren indem letzten Halbjahre mehrfach Besieigungsversuche gemacht worden, von denen sie sich erhalten haben mußten. Merkwürdig berührte mich weiter zu Tal der Anblick einzelner Fclsindividuen , die höchst malerisch mit buntem Flcchtenbesatz gänzlich be- deckt waren, bis zu lebhaftestem Gelb und Rot, während sich benachbarte Blöcke gleichen Gesteins nur ganz spärlich bewachsen zeigten. So bot der Abstieg zu den wechselreichen landschaftlichen Schönheiten grotesker P'eldtürme und -zinnen, in Schnee und Nebel iialb versunken, auch ganz andersartige interessante Beobachtungen. Einen Irrtum im Wege schlössen zu Beginn die engenden Grate, später die wiederaufgefundenen eigenen Spuren wesentlich aus, und schneller als erwartet, langten wir am Fuße des Kibo an, nun doch eine starke Ermüdung spürend; denn auch der Abstieg hatte keine Gelegenheit zum Aus- ruhen geboten und eigentlich erst gezeigt, welche weiten Entfernungen bedeutender Steigung wir im unsicheren Mondenschein zurückgelegt hatten. Und schon setzte still wieder ganz feiner, bald dichter werdender Schneefall ein und hüllte die Land- schaft in eisiges Schweigen. Wir empfanden es so doch als eine kleine Enttäuschung, da wir eine Felsgruppe ähnlich erscheinender Gestalt irrtümlich als das Ziel betrachtet hatten. Die Höhle lag noch etwa 500 m entfernt, wenig tiefer; wir er- reichten sie kurz nach 1 1 ^'2 Uhr. Die ganze Besteigung hatte, sehr erleichtert allerdings durch den Bodenfrost, verzögert durch des Wetters Un- gunst 10 Stunden benötigt. Ein gerade wieder einsetzendes Graupelschauer läßt die Notwendigkeit, wieder zu den Schrecken der Höhle hineinzuklettern, weniger grausam er- scheinen; das Unwetter schließt auch jede Ab- sicht eines heutigen Abstieges endgültig aus. So sehe ich mich ungewünscht erkoren, mit einer 3. Nacht hier oben den Rekord dieser Art zu erzielen. Halbe Finsternis, apathisches Schweigen füllen die Höhle. Manche der Leute scheinen noch genau so zu hocken oder zu liegen, wie der Morgen sie fand; die übrigen, welche bereits einiges dürftige Holz herbeigeschleppt haben, hocken gleich reglos am rauchenden Feuer und wenden uns Eintretenden kaum einen Blick zu. Mürrisch wickelt sich endlich auf barsches Geheiß der Koch aus seinen Decken und lieblos bereitet er die Suppe aus Maggis „Erbs" und freudlosen Blickes auch setzt er eine halbe 2 -Pfund -Dose ,, junger feiner Erbsen" mit etwas ,, Holsteinischer Butter" zu Feuer, zu denen wir etwas Corned Beef verzehren ; Tee vor, während und nach der Mahl- zeit. Pflichtschuldig wird die Mahlzeit dem Körper einverleibt, der seinerseits wieder bereits gestiefelt und gekleidet, wie er war, dem Schlafsacke eingefügt wurde. Mit Grauen fast sah ich den vielen Stunden bis zum kommenden Morgen ent- gegen, von 2 Uhr nachmittags! Aber auf diesem steinigen Lager bin ich eingeschlafen, habe von all der Trübsal der Stätte nichts mehr gesehen, die Seele ist in das Wunderland des Traumes in die Heimat zu geliebten Toten entflohen; und es war gegen Mitternacht, als sie zur beschwerlichen Wirklichkeit zurückkehrte. 6. II. 1912. Der Tag des Abstieges von der Biwak -Höhle zurück zum 4050 m- Lager. Auch die dritte, die letzte Nacht, be- ginnt zu weichen; dem weißkalten Mondenlicht folgt warmleuchtcnder .Sonnenschein, der auch uns halberstarrten Höhlenmenschen seinen Gruß N. F. XIV. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. schüchtern entbietet. Wie bald mag er auch heute wieder im hochdrängenden Nebelmeere, unter gewitterschwangeren Wolkenmassen ver- sinken. Die vollkommene Teilnahmlosigkeit der Leute erschwert die Vorbereitungen für den Auf- bruch ins Endlose. Ungeduldig, hungrig scharrt und klagt das Maultier im Eingange. Der Boy ya frazi erhält den Auftrag es hinauszuführen und mit Bohnen zu füttern; der Maisvorrat ist er- schöpft. Schließlich liegen alle Lasten bereit; jeder Winkel ist abgeleuchtet, nichts scheint ver- gessen. Hinaus, milder Sonnenglanz liegt über der noch in Eisesbanden geschlagenen Weite des Sattelplateaus. Die Erwartung, heute ein gut Teil Weges ab- steigen zu können, weckt frohmütiges Empfinden. Der ungeahnten Möglichkeit, zu solchen Höhen mit einem Maultiere hiiianzureiten, soll eine photo- graphische Aufnahme unvergänglichen Ausdruck geben. Doch der Mittelpunkt dieser denkwürdigen Begebenheit, das Maultier, wo ist es? Auch sein Boy nicht da! Es ist durchgegangen, höre ich jetzt erst; er ist nachgegangen. Zwar hatte der Boy es auf meine Anordnung hinausgeführt; da aber gerade drinnen das Essen seiner harrte, die anderen mit dem Beginn der Mahlzeil auf ihn nicht warten würden, war er dann sofort zurück- gekehrt , ohne sich um das ungesattelte Tier draußen weiter zu bekümmern. Dieses hatte daher vorgezogen, die Nahrungssuche aus eigenen Mitteln zu betreiben, und den früheren Aufweg suchend diesen langsam zurückgenommen. Den Bemühungen des später nacheilenden Boy hatte es sich in neckischem Ausweichen und heraus- forderndem Davonlaufen erfolgreich entzogen. Der Kirongozi wurde daher beauftragt, seine An- strengungen mit denen des Maultier-Boy zu ver- einigen. Und da es inzwischen nach 8 LIhr ge- worden war, mußten auch die Träger unter ihrem Aufseher (wie der fußkranke Boy) vorausgeschickt werden. Mittlerweile blieb uns anderen Muße, dem Werben der beiden Leute um die Gunst des Maultieres zuzuschauen und der näheren und ferneren LTmgebung einige Aufmerksamkeit zu schenken. Nur hin und wieder zerrissen die dichten, wogenden Nebelschleier, die den ganzen Kibo dicht verhüllten. Der freigewordene Aus- blick zeigte ihn dann allüberall in glitzerndem Neuschnee, der sich in blendendem Glänze scharf gegen die trübweißen Nebel abhob, selbst wirk- sam unterbrochen von den frei gebliebenen tief- dunklen Steilwänden und .Abstürzen des Gesteins. Und näher, zu Fußen, wieder dieselbe Bildung von Bodeneis, das knirschend unter dem Schritte zerbricht, das unter den Strahlen der Morgensonne schwindet. Die vergnügl che Jagd zwischen Maul- tier und Mensi hen zieht sich in immer weitere Fernen fort, die Einzelheiten läßt selbst das Glas bald nicht mehr erkennen. Das Sattelzeug ruht inzwischen erwartungsvoll auf einem Block vor der Höhle, ein wunderlich wirkendes Kulturstück inmitten der Majestät dieser Natur. Meine Erwartung ist aber doch bald zur Un- geduld geworden, und der Boy ya frazi mag sich noch heute glücklich preisen, daß er nichts von den Hieben gespürt hat, welche die Luft im Ver- drusse ob dieser von ihm verschuldeten Ver- spätung durchsausen. Es ist 9 Uhr vorbei; die Zerstreuung, welche das Auflesen weniger stark verwitterter Feldspatkristalle gewährt, kann dar- über nicht täuschen; die buntfarbenen Flechten, welche hie und da reicher gedrängt die Blöcke zieren, verlieren ihren Reiz; selbst als ein leichter Schlag zum Ablösen eines flechtengeschmückten Gestein- splitters ganz unvermutet Leben unter ihm offen- bart, drei Ohrwürmer nämlich, wendet sich das Erstaunen über die Möglichkeit des Vorkommens dieser Organismen hier oben doch wieder so- gleich in wachsendem Mißmute der drängenden Frage zu, ob es noch ratsam sei, auf das Maul- tier länger zu warten. Denn schon gerät die kolossale Nebelbank, welche den ganzen Mawensi vom Gipfel bis zur Sohle eingeschlossen hielt, in wogende Bewegung, einzelne VVcllen streichen be- reits über das Plateau hin und die Flut des Nebel- meeres vom Tal her steigt höher und höher. Schließlich ist es nahezu 10 Uhr geworden; von dem durchgebrannten Tiere nichts zu sehen. Wir müssen gehen, der Sattel bleibt zurück. Hie und da auftauchende Ncbelstreiten, die eilenden Laufes der geschlossenen Masse voraus wehen, be- schleunigen unsere Schritte. Bald haben wir die matt algengrün schimmernde Fläche des Sattel- plateaus — sie wird zur Regenzeit voraussichtlich von Wasser bzw. Eis bedeckt sein — hart am „Roten Mittelhügel" vorbei verlassen, gerade liegt der „Westliche Lavahügel" wieder hinter uns, da machen uns laute Zurufe von weit her halten. Die beiden Wadschagga kommen mit dem ein- gefangenen Tiere. I)as Donnerwetter ist nicht gering, das über sie hereinbricht. Der Boy muß zurück, um den Sattel zu holen, dem Kirongozi wird die Sorge um das Tier anvertraut. Nach all dem Mißgeschick des Morgens, welches das sattsam bekannte Unverantwortlich- keitsempfinden des Negers heraufbeschworen hatte, wollte eine rechte Zuversicht auf ein glückliches Ende des Tages nicht wohl aufkommen. Über eine weite Wegesstrecke hat sich die Kette der Träger auseinandergezogen; in dem folgenden schwierigen Terrain der Ursprungshöhe der ersten blockübersäten Tiefenschlucht unseres Rückweges mit ihren erheblichen Steilstufen, zu Tal hier mit einer dichten und üppigen Strauchvegetation ge- sperrt, die gereiftfeste Grasnarbe gleitend feucht, ein sicher 6 m eingeschnittenes schmales, kaum überschreitbares Erosionsbett mit kalt rieselndem Wasser zu Füßen : in dieser Bodenformation sucht sich mehr oder minder jeder einen eigenen Weg in der gegebenen Richtung. Auf der Höhe hole ich die letzten Träger ein, zwei Leute, auf die ich den Msimamizi in lebhafter Weise einsprechen höre. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 7 Es sind der in dem Graupelschauer des 3. II. nahezu verunglückte und ein weiterer Träger, dessen Befinden zwar noch keinerlei Anlaß zu Besorgnis gegeben hatte. Ersterer hatte eine Last nicht mehr getragen, letzterem war sie bereits abgenommen worden. Wie gewohnt hatten sie sich auf dem naßkalten Boden zusammengekrümmt und in ihre Decken verhüllt. Die Worte des Msimamizi zeitigten keinerlei Wirkung, meine eigenen ebensowenig; desto vollkommener war jene meines Eispickels bei jenem ersteren von beiden, bis derselbe durch einen Bodenschlag zerbrach. Dieser Mann wurde gerettet. Der andere, der gleichfalls einen kräftigenden Schluck Kognak erhalten hatte und auf die Beine gestellt war, werde von selbst nachkommen, urteilte der Msimamizi. Wir gingen vor, die anderen Träger aufzu- holen. Denn schon war die Talschlucht in Nebel gehüllt, deren dichte Schleier bereits über die Höhen hinwegfegten ; und finstere Wolken häuften sich über den Nebeln talwärts. So wurde es dringlichst Zeit, die Mannschaft zum Schutze gegen des Wetters Ungunst zusammenzufassen. Nahe dem früheren 4050 m-Lagerplatze gelang es mir, die vordersten Träger einzuholen. Es war 2^3"^, als ich die Hütte selbst erreichte. Die Erinnerung an die in aller Mühsal hoff- nungsfreudigen Hindus vor nur 4 Tagen sah sich erdrückt unter den Sorgen des Tages. Noch waren weit nicht alle Lasten nachgekommen ; Nebel und Wolken nahmen jeden Ausblick. Und schon be- gann ein feiner Sprühregen zu fallen. Trotz des frühen Nachmittags konnte daher nicht mehr daran gedacht werden, weiter talabwärts zu gehen. Auch ich hatte mich für die kurze Strecke des unge- sattelten Maultieres kaum mehr bedient; der Kirongozi führte es am Halfter. Jetzt fraß es, als sei es gänzlich ausgehungert, an den armseligen Grasbulten, welche der Euryops- und Ericinellen- wuchs nicht erstickt hatte. Sein Boy (ya frazi) ist noch nicht zurück. Um es den Ereignissen des Tages weit vorauseilend zu berichten: Er war, wie erwähnt, auf mein. Ge- heiß zur Biwakhöhle zurückgekehrt, welche für einen unbeschwerten Menschen in i — 1'^|^ Stunde deutlichen Weges zu erreichen gewesen wäre. Nun mag er sich viel Zeit gelassen haben, viel- leicht zunächst unter dem lähmenden Eindrucke des Verlassenseins in dieser unabsehbaren (}de. Jedenfalls hat er meinen Aufenthaltsrekord in der Höhle um eine weitere Nacht geschlagen. Auch ihn, den am Kilimandscharo beheimateten Mdschagga, hatte das Gespenst fallenden Schnees gepackt, in die Höhle gebannt, gerade als er jene unheimliche Stätte mit dem erbeuteten Sattel- zeug wieder hatte verlassen wollen. Erst am nächsten Morgen hatte er sich herausgewagt und war, von Hunger, mehr noch jedenfalls vom „Berggeiste" (übersetzt: kilima ndscharo) mit Ent- setzen talabwärts gepeitscht davongegangen ; nicht auf unseren Spuren, um uns einzuholen, sondern blindlings dorthin, wo er am schnellsten wieder in bewohntes Gelände zu gelangen dachte. Blind- lings; denn ich begreife es im Hinblick auf den ausgeprägten Ortssinn des Negers noch heute nicht — er muß nach der unbewohnten Nord- seite des Berges zu abgelaufen sein, anstatt etwa nach dem südwärtigen Moschi. Erst nach weite- ren Tagen ist er völlig erschöpft auf einer ganz im Nordwesten des Bergmassivs (Kibonoto) ge- legenen Pflanzung angekommen , dessen Besitzer diese Tatsache brieflich anzeigte. Bei all diesem Mißgeschick aber hatte der Boy das Sattelzeug nicht im Stich gelassen, eine für einen Neger wahrhaft unerhörte Leistung an Gewissenhaftig- keit, die ich mit den sonstigen Erfahrungen nicht in Einklang zu bringen weiß. Der Lohn dafür hat ihm nicht gefehlt. Weiter und weiter rieselt der Regen hernieder, wie das Raunen des Sandes, der sich auf den Toten zur letzten Ruhe niedersenkt. Wie sie bleiern mit ihren Lasten ankommen, werfen die Träger sie hierhin, dorthin auf den feuchten Bo- den ab. Meine Zeltlast ist noch nicht beieinander. Mühselig, nach manchem harten Zuspruch steht schließlich das größere Trägerzelt, um auf seiner wasserdichten Bodendecke einstweilen die übrigen Lasten trockener aufzunehmen. Neben diese hocken sich sogleich jeder Anteilnahme bar die Träger nieder; im regnerischen Grau unter den Decken zu toten Felsenformen verhüllt. Zurede fruchtet nicht weder von dem Msimamizi, noch von mir; kerndeutsches Schimpfen nützt nicht, noch die Verheißung erheblichen Bakshishes; wieder nur die empfindlichere Wortumschreibung: bis endlich ein kümmerliches Feuer aus dem Staudengestrüpp halb unter dem Schutze des Trägerzeltes zieht. Noch fehlen von den Lasten, noch auch jener andere Träger, den ich mit einem kräftigen Schlucke Kognak auf die Beine gestellt und als letzten etwa I ^/.j Stunde zurückgelassen hatte. Durchnäßt, hungrig, abgemattet eile ich ihnen entgegen mit dem Trägeraufseher und 3 Leuten , während der Koch mit der Beschaffung von Wasser aus der nahen Talschlucht beauftragt wurde. Von den noch nicht angelangten S Lasten werden 4 schon bis zur ersten halben Stunde Weges er- reicht. Stumpf ächzen sie mit ihrer Bürde auf dem Kopfe daher, deren keine mehr als 40 — 42 Pfund an Gewicht betrug. Diese Träger würden es unschwer bis zum nahen Lagerplatz schaffen. Endlich, '/2 Stunde weiter, zwischen den Fels- blöcken des Kammes neben der Lastenkiste ein etwas, das ich auch auf den Hinweis des Msima- mizi nicht für einen deckenverhüllten Menschen gehalten halte, wenn ich solcher Bilder nicht schon hinreichend vorher aufgenommen hätte. Ein starker Zuschuß von Kognak, vielleicht auch die Aussicht auf die nahen Lagerbequemlichkeiten brachten den Mann auf die Beine; seine Last übernahm ein anderer. Noch aber fehlte der letzte, auf der gegenüberliegenden Höhe zurück- N. F. XIV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. gelassene Träger, die in 20—30 Minuten durch die Talschlucht hinauf zu steigen war. Bereits etwa 4'., Uhr; längst schon hatte sich der feine Sprühregen zu einem rauschenden Regenschauer vergröbert , welcher zu einem hagelgemischten Sturzregen immer mehr anwuchs. Der Msima- mizi bezeichnete genau und richtig die Stätte gegenüber, an welcher er sich als letzter von dem noch immer fehlenden Träger getrennt hatte, ich mußte mich überhaupt zu einem großen Teile auf die natürliche Spürfähigkeit der Leute ver- lassen; so sandte ich ihn auf die Suche und folgte selbst der dringlichsten Sorge um die Gesamtheit der Leute zum Lagerplatz. Ich muß gestehen, mehr als einmal glaubte ich inmitten der Müh- seligkeiten des Kletterns und Steigens meine Kräfte zu verlieren ; doch, es gelang. Und wie ich dann mein Zelt schon aufgestellt und befestigt fand, wie der Koch schon heißen Tee reichte und an Maggi'scher Erbswurst kochte, wie ich die Leute teils neben dem geschützten Feuer an der Bereitung ihres Reises tätig, zum anderen Teile unter ihren beiden Zelten geborgen und die Lasten sonst ziemlich geordnet sah, da mußte ich dem Koch, der dieses Wunder auf Grund angemaßter Herrenrechte vollbracht hatte, trotzdem mit i Rp. Bakshish danken. Unter dem Gefühl der Entlastung aber brach ich auch zusammen und verfiel in einen wenn auch leichteren Fieberzustand, der mich später nur unklar entsinnen ließ, daß der Msimamizi nach angebrochener Dunkelheit mit einer Meldung in das Zelt getreten war. Es war ihm und den beiden Trägern nicht möglich gewesen, eine Spur von dem Vermißten zu finden, trotzdem sie bis über die Stelle, da er zurückgelassen war, hinaus gesucht hatten. Ich halte es für wahrscheinlich, daß er einen kürzeren Abstieg etwa nach Moschi hat nehmen wollen, und nicht für unmöglich, daß es ihm ge- lungen ist. Eine Täuschung versucht der Neger gern , wenn er sich dadurch um eine Arbeit drücken kann. So zeigten mir im Januar 1906 die Träger in Kisuani (Pareberge) durch ihren Aufseher an, daß sie wunder Füße wegen nicht weiter gehen könnten. Dies nach im ganzen 4 Marsch- mit 3 Ruhetagen. Tatsächlich hatte niemand Fußwunden; aber es gab in Kisuani reichlich gutes Essen. Jedenfalls ist die Leiche des vermißten Trägers auch später nicht aufge- funden worden, was allerdings seinen Tod nicht ausschließt. Und 50 Rp., die ich für jeden Fall zugunsten etwaiger Hinterbliebener bei dem Be- zirksamt zu Tanga deponierte, sind mir später (17. Juli 1912) durch Postanweisung zurückgezahlt. Ununterbrochen prasselt der Regen unter dem Getöse des nächtlichen Fallwindes gegen das triefende Zelt. L^nunterbrochen weiter, als ich in später Nacht die Trostlosigkeit dieser Sprache wieder verstehe. Eisige Kälte weckte mich, stück- weise gewinne ich die Erinnerung an die Gescheh- nisse des letzten Tages zurück. Mühselig begreife ich, daß sich ein rauschender Bach mitten in das Zelt ergießt, der das über der nackten Erde aus geschnittenem Staudenwerk geschüttete Lager an Höhe erreicht, es zu überschwemmen droht. Die gänzliche Abspannung tagszuvor hatte mich ver- säumen lassen , vor dem Zelte gegen den Hang einen Auffanggraben ziehen zu lassen, und das rings um das Zelt zur Kälteabwehr geschichtete Euryops- und Ericinellenmaterial hatte nicht lange Widerstand leisten können. Mit unendlichen An- strengungen gelingt es schließlich, die Wasser- mengen zum Abfluß zu bringen; es war ein Glück, daß ich auch an diesem Abend in Anzug und Stiefeln in den Schlafsack gekrochen war. End- lich gelingt es auch , wieder einige Ordnung in die Lasten und Gegenstände zu bringen; für mehr als 4 Dtz. phot. Aufnahmen, das wertvollste Er- gebnis der ganzen Tage, kam die Rettung zu spät, sie hatten zu unterst in einer Kiste gelegen. Der Schlaf will nicht wiederkehren, auch nicht, da ich mein Lager über eine Zahl von Kisten „bette". Dennoch dringt das Einerlei des fallen- den Regens mir wie aus weiter Ferne, wie aus fernem Traumland heran. Als ob das Bewußtsein zögerte, die ganze Schwere der Wirklichkeit zu erfassen. Kein Wesenslaut ist zu vernehmen; die Stunden schleichen wie eine Ewigkeit! Ob denn der Morgen endlich die Sonne wiederbringen wird; kündet die Vogelstimme solche frohe Botschaft, die ich zu hören wähne? Fröstelnd richte ich mich auf zu horchen; es ist kein Zweifel , Finkenschlag heimatlicher Weise kündet den grauenden Tag. Und der Regen, der Wind schweigen. Nichts sonst regt sich draußen. Gespannt lausche ich dem Sänge, gespannt blicke ich auf die Zeltwand, um den ersten goldleuch- tenden Morgengruß der auferstandenen Sonne auf ihr zu erhaschen. Der Sang ist verstummt, kein Sonnenstrahl erhellt die Trübnis des sich mühsam anzeigenden neuen Tages. Das Warten, Hoffen vergebens. Ich zwinge mich hinaus vor das Zelt : Totenstille um verglommene Feuer; Toten gleich hockten einzelne der Träger außen neben ihren Zelten in ihren Decken; totengleich: denn ohne das Bedürfnis eines Schutzes gegen des Wetters Unbill. Der ersten Ratlosigkeit folgen fast zwei Stun- den härtester Arbeit, um neben einem flüchtigen Imbiß die Lasten wegebereit zu machen. Noch vorher begann von neuem ein feiner Sprühregen sich aus den Nebelmassen zu senken, unter denen sich der Bergriese verbarg. Und hinter all diesen Nebelwänden schien das Gespenst rettungsloser Verlassenheit drohend hinaufzuragen. Das Maul- tier war dieser Stätte des Elends längst entflohen; eine nicht gerade bescheidene Rechnung über 500 Rp. für es erreichte mich schon, als ich wenige Tage später kaum den Fuß wieder auf Kultur- boden gesetzt hatte. Auf eine Belohnung von 20 Rp. hin wurde es nach etwa 14 Tagen im Gebiete der Hochweiden oberhalb des Ürwald- gürtels wieder wohlbehalten aufgegriffen. Der 104 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 7 erste Eindruck seines Verlustes machte den Tag nicht sonniger. Schweigend, maschinenmäßig stolpert jeder seines Weges, doch mit dem gleichen Ziele, nahe dem Bismarckhügel ein wenn auch karges Obdach zu finden. Unaufhörlich wieder strömt der Regen nieder. Gleichmütig werden ausgedehnte Sumpf- strecken durchzogen, welche die Regenschauer der letzten Tage aus dem zuvor staubtrocknen Boden gewandelt haben; bald hier, bald dort versinkt der naßschwere Wanderer bis über das Knie durch die trügerisch grünende Moosdecke zwischen den Inselchen festeren Bodens, welchen das Wurzel- geflecht stattlicher Grasbulte bindet. Hart, schmer- zend schlägt das triefende Gestrüpp gegen den durchnäßten Körper, vergebens noch sucht das Auge dann und wann an bekannten Hügeln, an vorgeschobenen Erikaparzellen das Ende dieser Beschwerden zu erspähen. Aber unter dem eher- nen Zwange der Notwendigkeit gehen auch diese 7 Stunden vorüber; und nun endlich das boden- ebenere Gebiet des Abmarsches über die Hoch- weiden erreicht ist, straffe sich der Gang. Der Frühnachmittag hellt sich auf. Die Natur, welche uns in feindseligem Grimme gegenüberzutreten schien, wird wieder zum verstehenden lieben Ge- nossen. Und da ich am Bismarckhügel anlange, hat sie mir schon wieder manche Schätze, einen reichen Blumenstrauß heimatlichen Charakters ge- schenkt. Alle, alles sieht sich gegen den Abend geborgen, und die Erinnerung ist alsbald geschäftig, das Beschwerliche, Schmerzliche, Häßliche ver- gessen zu machen und selbst im Todesgrausen, in Eis und Schnee, in Sturm und Regen nur das Wirken der Allgewalt zu empfinden. Schon führt die Bahn nach Moschi, das selbst verwöhnteren Ansprüchen in mehreren Gasthäusern Bequemlichkeit bietet, die Entfernung von dort bis Marangu mit größerem, allerdings sehr ein- fachem Unterkunftshause, weiter zum Bismarck- hügel am oberen Urwaldrand (etwa 2600 m) mit steingefügter Hütte ist auch für wenig geübte Fußgänger unschwer zu bezwingen, mit einem Reittiere anstrengungslos. Überall eine Landschaft mit einer Fülle eigentümlichster Reize, eine neue Welt fremdartigster Eindrücke. Aber mag auch der Kilimandscharo immer lebhafter als Reiseziel begehrt werden, zum Vor- teil auch des heimatlichen Interesses an unseren Kolonien: immer wird die Besteigung des Kibo ein gut Teil Ausrüstung erfordern, auch bei gün- stigstem Wetter wird sie eine erhebliche persön- liche Leistung bleiben. Der Bergfrieden hat keine Störung zu fürchten. Die Wasserkleniiiie in Nord- und Mitteldeniscliland wiilirend des Soiumerlialbjahrs 1911. [Nachdruck verboten.] Von Prof. Dr. W. Halbfaß-Jena. Das jüngst erschienene neueste Jahrbuch die Frühherbstmonate August und September der Gewässerkunde Norddeutschlands gibt zum dort erheblich mehr Niederschläge brachten wie erstenmal authentischen Aufschluß über die hier. teilweise ganz ungewöhnlich nitdrigen Wasser- Schon ein anderes Bild gewährt die Betrach- stände während des durch seine Trockenheit im tung der hydrographischen Verhältnisse im O der ■ üblen Andenken stehenden Sommers des Jahres gebiet. Im ganzen wurde der Wasserstand im 191 1 und zeigt, daß die norddeutschen Fluß- Hauptfluß im Jahre 1904 nicht unterboten und gebiete nicht in allen ihren Teilen gleichmäßig wenn niedrigere Wasserstände als in jenen Jahren davon betroffen wurden, wenn auch überall die aufgeschrieben wurden, lag es ausschließlich an Wasserstände sowohl hinsichtlieh des Hochwasser- einer künstlich herbeigeführten oder natürlichen wie des Mittelwasserstandes hinter dem Mittel Senkung des Wasserspiegels an der beobachteten der 15 vorangegangenen Jahre 1S96— 1910 er- Stelle. Dagegen sank an der Warthe und Netze heblich zurüf kbiieben. Im Gebiet des Memel- der Wasserstand im August bis September 191 1 flusses blieb der Wa.sserstand der Memel bei noch unter denjenigen von 1904 und im ganzen Tilsit als HW bis 1^2 rn, im ganzen Sommer im Odergebiet war die Wasserklemme im Jahre 191 1 Mittel bis i m unter dem Durchschnitt jener für die Schiffahrt noch schädlicher als diejenige Jahre, im Pregelgebiet im Mai als HW bis von 1904, weil sie viel länger andauerte. Der 170 cm, als MW bis I m zurück; im Verlauf Hochwasserstand der Oder lag bei Hohenwarthe des Sommers nahm diese Unterschreitung allmäh- im .August und September i ^!„ m unter dem lieh ab, so daß ihr Betrag im September nur Durchschnitt, der Miltelwasserstand etwa iiocm, noch 100 bzw. 60 cm erreichte. Einer ähnlichen der Wasserstand der Warthe bei Landsberg Ersrheinungbegcgnen wir im Weich sei gebi et : zwischen 60 und 90 cm, derjenige der Netze bei bei Kurzebrack war der Hochwasserstand im Juli Vordamm 30 — 40 cm unter Mittel. Diese Zahlen 240 cm, im Oktober nur noch 130 cm unter sind bei den relativ recht geringen Wasserstands- jenem Mittel, der Mittel Wasserstand 120 bzw. Schwankungen beider Flüsse überhaupt recht be- 80 cm. Im östlichen Deutschland bedeutete über- deutend. Was von Warthe und Netze gilt, das haupt jene Wasserklemme nicht ein so außer- gilt für das gesamte Eibgebiet, in welchem, gewöhnliches Ereignis als weiter im Westen, weil namentlich in seinem Mittellauf und Unterlauf, N. F. XIV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. eine geradezu beispiellose Trockenheit herrschte, fielen doch bei Magdeburg vom 28. Juli bis zum 13. September im ganzen nur 3,5 mm Nieder- schläge. Im Havel- und Spreegebiet wurden nicht nur die Wasserstände von 1904 und 1S93 unterschritten, sondern sämtliche seit 1810 be- obachteten Wasserstände überhaupt; in diesem Gebiet lag der Wasserstand 50-60 cm unter dem normalen Wasserstand. Man beachte dabei, daß bei Havel und Spree der niedrigste Nieder- wasserstand zum höchstbeobachteten Hochwasser- stand sich wie 1 : 26 resp. i : 16 verhalten, während schon bei einem so zahmen Mittelgebirgsfluß, wie die Saale es ist, das Verhältnis i : 170, bei der Eder aber z. B. i : 600 ist. Die Hartnäckigkeit, mit welcher sich die über- aus niedrigen Wasserstände behaupteten, ist ein sicherer Beweis dafür, daß damals die Flüsse so gut wie ausschließlich durch Grundwasser ge- speist wurden. Eine natürliche Folge davon war der abnorm tiefe Grundwasserstand des Jahres 1912, obwohl dieser keineswegs als niederschlags- arm bezeichnet werden darf. Das Hochwasser der Elbe lag während der Monate August, September, Oktober andauernd iSo cm, das Mittelwasser 160 — 170 cm unter dem Durchschnittswasserstand der 1 5 vorange- gangenen Jahre. Aber nicht bloß die Wasser- stände, sondern auch die Abflußmengen waren 191 1 in manchen Teilen des Eibgebietes die ge- ringsten bisher beobachteten. Vollige Sicherheit über Wasserklemme und Wasserüberfluß geben bekanntlich erst die letzteren, da bei lang- andauerndem Niedrigwasser die Stromrinne sich allmählich ,, auslaufen", d. h. der Wasserspiegel sinken kann, ohne daß deswegen die Abfluß- menge abnimmt. Das bisher Gesagte gilt in fast noch höherem Maße für das Wesergebiet, wo das Mittel- wasser am Pegel Minden vom 7. April bis 24. De- zember, also 261 Tage lang, nicht überschritten wurde und das Maß der Wasserstandsschwankung nur 14 cm betrug. Beharrungszustände von solcher Dauer sind in Deutschland bisher un- erhört gewesen. Das Pegel Lingen an der Ems zeigte einen Monat lang überhaupt keine Wasser- standsänderung und auch die anderen Pegel der Ems wiesen äußerst geringe Schwankungen auf. Im allgemeinen waren im ganzen Emsgebiet die Wasserstände erheblich niedriger als in den früheren Trockenjahren 1904 und 1S93. Für das Rhein gebiet machte sich das Trockenjahr 1 9 1 1 nicht in dem ausgeprägten Maße geltend wie in den übrigen norddeutschen Stromgebieten wegen des Ausgleiches durch die Alpenzuflüsse; immer- hin blieb der Wasserstand des Rheins während des Sominerhalbjahrs im ganzen etwa ^/., m unter der Durchschnittshöhe der Jahre 1896 — 1910 zurück, ist aber von manchen Vorjahren noch etwas übertroffen worden und nur in den Neben- flüssen des Mittelgebirges, vor allem in der Lahn, Mosel und Nahe, wurde die Wasserklemme des Jahres 1904 noch unterboten. Für die Rheinschiffahrt kommt in Betracht, daß die Tage der Unterschreitungsdauer des Normal Wasserstandes stromabwärts sehr bedeutend zunahm. So betrug sie in Mannheim nur 66, in Mainz 86, in Köln dagegen iio, wovon 98 auf den Sommer kamen, in Ruhrort sogar 130 Tage (104 im Sommer). Der Unterschied gegen das Mittel aus den Beobachtungen der Jahre 1901 bis 1905 betrug in Köln 64, in Ruhrort 84 Tage, woraus man leicht abnehmen kann , welche schlimmen Folgen der niedrige Wasserstand namentlich des Unterrheins für die Schiffahrt ge- habt hat. Fassen wir das Gesagte kurz zusammen, so steht die Wasserklemme des Jahres 191 1 durchaus nicht beispiellos da, sie wurde im Haupt- strom des Odergebietes, noch mehr in den Flüssen des östlichen Deutschlands und im Rheingebiet noch durch diejenige des Jahres 1904 übertroffen, bzw. trat sie für diese Gegenden überhaupt nicht so abnorm in die Erscheinung. Besonders mar- kant zeigte sie sich in manchen Teilen des mitt- leren Norddeutschlands, wie Elb-, Weser- und Emsgebiet, am intensivsten im Spree- und Havel- gebiet. Vielfach hatten die Nebenflüsse noch mehr unter ihr zu leiden als der Hauptfluß. Als eigentliches Charakteristikum dieser Wasserklemme ist ihre unerhörte Hartnäckigkeit anzusehen, in welcher Beziehung sie wahrscheinlich, soweit exakte Aufzeichnungen existieren , bisher un- erreicht dasteht. Einzelberichte. Geographie. Auf dem XIX. Deutschen Geo- graphentage in Straßburg hielt Fritz Klute einen Vortrag über seine ,, Forschungen am Kili- mandscharo im Jahre 1912", dessen Inhalt nach der Geogr. Ztschr. 1914, H. 9/10 kurz wieder- gegeben sei. Der Kilimandscharo liegt in der Nähe des ost- afrikanischen Grabens (ungefähr 3 " südlich, 37 " östlich v. Gr.) und bedeckt einen Flächenraum, der dem des Harzes gleichkommt. Aus der lOOO bis 1400 m hohen Steppe steigt das Gebirge all- seitig sanft an. Während im N das Kultur- land ganz fehlt, bildet es an den anderen Seiten den Übergang zum Urwald, der in etwa 1400 bis 2100 m Meereshöhe beginnt. Im Urwald ist die Neigung des Geländes stärker, sein oberes Ende stellt geradezu eine Geländestufe dar, die möglicherweise mit der Bewaldung in ursäch- lichem Zusammenhange steht. Der Urwald endet vielfach dort, wo der sandige Glazialboden bc- io6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 7 Penckgletscher. Abb. I. Kibo von Südwesten mit Penckgletscher. (Mit Genehmigung des Verfassers und des Verlages B. G. Teubncr in Leipzig aus „Geogr. Zeitschr." 19 14, Tafel II.) der Talgletscher , deren Nährgebiete nicht mit- einander zusammen- hängen. Das Gebirge liegt im Gebiet der jahres- zeitlich wehenden Winde. Vom April bis Oktober weht der SO Passat, von Novem- ber bis März der NO- Monsun. Während derWindwechsel haben wir je eine Regenzeit. Da der SO - Passat feuchter ist als der Monsun , so ist die Südseite begünstigt. Der noch am Meru und im Usambaragebirge herrschende SO-Passat wird aber am Kili- mandscharo zu SVV- Wind ,' abgelenkt, so daß im SW des Ge- birges im Juli Nieder- ginnt, der nicht genug Feuchtigkeit zum Ge- deihen des Waldes hält. Über dem Urwald kommen wir in den Erikawald, der mit der typi- schen afrikanischen Reliktenflora, bestehend aus Senecien und Lobelien, durchsetzt ist. In noch größerer Höhe, auf den Plateaus zwischen Kibo und Mawensi einerseits, Kibo und Schira anderer- seits, wird die Vegetation immer spärlicher und zieht sich in Polstern zusammen. Bei 4200 m beginnt die Wüste, aus der sich der Kibo (Abb. i) mit 5900 m als abgestumpfter Kegel, der Mawensi (Abb. 2) mit 5250 m mit zackigen Graten und Zinnen erhebt, während der Schira nur 4600 m Höhe erreicht. Das Gebirge besteht aus drei Schicht- vulkanen, von denen der Schira der älteste ist, während zwischen Kibo und Mawensi eine wechsel- seitige t^berlagerung der Ergüsse stattgefunden hat. Auch im Gesteinscharakter sind die Berge ver- schieden; der Schira besteht hauptsächlich aus Trachydolerit und Nephelinbasanit, der Mawensi aus Trachydolerit und dessen Tuffen, der Kibo aus Rhombenporphyr. Die vulkanische Tätigkeit beginnt im Tertiär und setzt sich bis ins Diluvium fort; gleichzeitig entstehen auch die benachbarten Vulkane in der Nähe des ostafrikanischen Grabens. Für die morphologische Gestaltung sind die E isze i t spure n von Bedeutung. Den Typus der Gletscherkappe, der entsteht, wenn ein vollendeter Vulkankegel vom ¥Ase bedeckt wird, verkör])ert am reinsten der Kibo (Abb. I ). Sie bedeckt gleichmäßig die gesamte Oberfläche und erodiert auch gleichmäßig. Mawensi und Schira dagegen weisen den alpinen T)^pus auf, der entsteht, wenn ein zerschnittener ^^ulkankcgel vereist; einzelne Abb. 2. Mawensi von Osten aus 3800 m Höhe. Bemerkenswert ist die starke" Verwitterung der Tufi'breccie. (Mit Genehmigung des Verfassers und des Verlages B. G. Teubner in Leipzig aus der ,, Geogr. Zeitschr." 1914, Tafel II.) N. F. XIV. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 107 schlage fehlen. Wodurch kommt diese Ablen- kung zustande? Der Antipassat, der in 4000 m Höhe beginnt, übt auf der Windschattenseite eine Saugwirkung aus, die die Luft aus den tieferen Schichten mit sich reißt. Da der Antipassat ein NO-Wind ist, so erhalten die angesaugten Winde die entgegengesetzte, also SW-Richtung. Der Niederschlag nimmt bis zum Urwald hinein zu und erreicht dort sein IMaximum ; nach oben nimmt er wieder ab. Über 4800 m fällt sämtlicher Niederschlag wohl in fester Form. Bei dieser Höhe liegt auch die Nullgradlinie der Temperatur. Diese hängt von Bewölkung und Niederschlag sehr ab, so daß die Schwankungen der Temperatur ziemlich große Beträge erreichen. Die heutigeVergletscherung beschränkt sich auf den Kibo, während der Mawensi nur einen kleinen Kargletscher aufweist. ' Der Kibo trägt eine Gletscherkappe, von der sich einzelne Gletscher loslösen wie die Finger einer Hand. Die längsten Gletscher liegen im W (so der Penckgletscher mit 4 km Länge). Da acht Mo- nate im Jahre der trockene Antipassat aus NO weht, liegt die Schneegrenze auf dieser Seite am höchsten, im SW am tiefsten. Der Firn behält seine horizontale Lage bis zum Gletscherrande bei und zeigt eine deutliche Horizontalschich- tung. Am Rande schmilzt er in etwa i m hohen Stufen ab. Infolge der starken Strahlung zeigt die Oberfläche des Eises eine Unmenge kleiner Sprünge und Risse, das Gletscherende lange Eisstalaktiten. Wie in anderen tropischen Hochgebirgen, besonders den Anden, sind auch auf dem Kilimandscharo die Schmelzfiguren des Büßerschnees sehr auffallend. Intensität der Sonnenstrahlung sowie große Trockenheit der Luft sind ausschlaggebend für ihre Entstehung. Auch in der Eiszeit war die Süd- und Süd- westseite ebenso begünstigt wie jetzt. Der Schira hatte auf der Südseite mehrere Talgletscher, die bei 3600 — 4000 m Höhe endeten, während die Nordseite vergletschert war. Ähnlich waren die Höhenverhältnisse am Kibo und am Mawensi. Beide Berge sind ebenfalls im SW stärker abge- tragen als im N. Auch am Meru konnte dieselbe Erscheinung beobachtet werden. Klute kommt so zu einem wichtigen Schluß von allgemeiner Bedeutung, daß die Ursachen der Eiszeit nicht Polverschiebungen waren, denn dann hätten die Passatwinde damals eine andere Richtung haben müssen als heute. Dies ist aber nach der Lage der eiszeitlichen Gletscher nicht der Fall. Dr. Gottfried Hornig. Chemie. Die Anschauungen über den Zu- sammenhang zwischen den Atomgewichten und den chemischen Eigenschaften der Elemente haben in jüngster Zeit dank einer Reihe von grund- legenden Untersuchungen über die Atomgewichte und die Einordnung der radioaktiven Elemente in das periodische System tiefgreifende Um- wandelungen erfahren, über die im folgenden kurz berichtet werden möge. Unstimmigkeiten im periodischen System der Elemente, das bekanntlich auf der These beruht, daß die Eigenschaften der Elemente eine perio- dische Funktion der Atomgewichte seien , sind bereits seit langer Zeit bekannt. So ist — um nur zwei Beispiele anzuführen — das Atomgewicht des in der nullten Gruppe des periodischen Systems stehenden Argons 39,88 höher als das des neben diesem Elemente in der ersten Gruppe stehenden Kaliums 39,10, und das Atomgewicht des Tellurs, eines Elementes, das zweifellos in die sechste Gruppe des Systems gehört, — 127,5 — höher als das des in die siebente Gruppe neben dem Tellur einzuordnenden Jods 126,92. Alle Versuche, diese Unstimmigkeiten zu beseitigen, sind entschieden fehlgeschlagen. Die mit der größten Sorgfalt von verschiedenen Autoren nach verschiedenen Verfahren mit peinlichst gereinigten Ausgangs- materialien verschiedener Herkunft ausgeführten Atomgewichtsbestimmungen haben immer wieder zu dem Ergebnis geführt, daß entgegen den Forderungen des periodischen Systems das Atom- gewicht des Argons höher als das des Kaliums, das Atomgewicht des Tellurs höher als das des Jods ist. Die Beseitigung der Schwierigkeiten, die hier vorliegen, scheint nun durch neuere voll- kommen überraschende Entdeckungen auf dem Gebiete der Radioaktivität, von dem ja schon eine gewaltige Fülle von Licht auf alle Zweige der reinen und der angewandten Naturwissenschaft ausgeströmt ist, angebahnt zu werden: Das Atomgewicht ist — so läßt sich das Er- gebnis dieser Entdeckungen kurz zusammenfassen — überhaupt nicht, wie man bisher annahm, der Faktor, der allein die Eigenschaften der Atome bestimmt, es gibt vielmehr Atome von gleichem Atomgewicht, welche verschiedene Eigenschaften be- sitzen, und Atome von verschiedenem Atomgewicht, zwischen denen die ge- wöhnlichen chemischen und physika- lischen Methoden keinen Unterschied zu machen vermögen, die also physi- kalisch und chemisch als identisch an- gesehen werden müssen. Zur näheren Erläuterung des Gesagten muß etwas weiter ausgeholt werden. Die Umwandelung der radioaktiven Elemente kann bekanntlich in doppelter Weise vor sich gehen : Entweder wiid bei der Explosion des radioaktiven Atoms ein a-Strahlenteilchen, d. h. ein mit zwei positiven Ladungen versehenes Heliumatom von der Atomgewichtsmasse 4,002 abgegeben , oder es wird ein ,)'-Strahlenteilchen, d. h. ein negativ geladenes Elektron, abgeschleudert, dessen Atomgewichtsmasse — etwa '/jsoo '^^^ Masse eines Wasserstoffatoms — verschwindend klein ist. Bei der ß- Strahlenumwandelung wird also das zurückbleibende Atom ein um 4,002 Einheiten niedrigeres Atomgewicht als das zer- io8 Naturwlssenscliaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 7 fallene radioaktive Atom haben, während bei der ,6' -Strahlenum Wandelung das Atomgewicht des Zerfallsproduktes nur um einen außerordentlich kleinen Betrag kleiner als das des Mutteratoms ist. ') So wandelt sich z. B. das Uran auf dem Wege « ß ß ö « Uran,— >-UrXi— >-UrX.,— >Ur.,— »-Jonium— >-Radium in Radium um, das Atomgewicht des Radiums muß also, da auf diesem Wege dreimal je ein «Teilchen emittiert wird , um 3 X 4.002 Atom- gewichtsemheiten kleiner als das des Urans sein. Nun ist nach den neuesten, sehr zuverlässigen Bestimmungen von Hönigschmid das Atom- gewicht des Urans gleich 238,175. Daraus würde sich das Atomgewicht des Radiums zu 238,175 — 3 X4i002 = 226,17 berechnen, während sich der experimentell von Hönigschmid gefundene Wert, der wohl zurzeit als der zuverlässigste an- gesehen werden darf, zu 225,97 ergeben hat. Der Unterschied zwischen dem gefundenen und dem berechneten Werte ist in der Tat minimal und überschreitet wohl kaum die Genauigkeit der Atomgewichtsbestimmungen. Kennt man daher eine Umwandelungsreihe radioaktiver Elemente, d. h. die Reihenfolge, in der die einzelnen Elemente auseinander hervor- gehen, und weiß auch in jedem einzelnen Fall, ob die Umwandelung mit der Aussendung eines ß-Strahlenteilchens oder eines /J-Strahlenteilchens verknüpft ist, so kann man die Atomgewichte eines jeden einzelnen Gliedes der Umwandelungs- reihen mit großer Genauigkeit berechnen, sofern man nur — was praktisch immer der Fall ist — das Atomgewicht eines einzigen Elementes der Reihe kennt. Es sind demnach die Atomgewichte aller radioaktiven Elemente -) bekannt, auch wenn die direkte Bestimmung, die sich ja nur in einigen günstigen Fällen mit Sicherheit durchführen ließ, nicht möglich gewesen ist. Stellt man nun in der angedeuteten Weise die Atomgewichte sämtlicher radioaktiver Elemente, die bisher bekannt geworden sind und deren Zahl sich auf etwa 35 beläuft, zusammen, so findet man erstens, daß die Atomgewichte sämtlicher ') In Wirklichkeit dürfte selbst dieser kleine Unterschied zwischen dem Atomgewicht des radioaktiven Mutleratoms und dem des aus ihm auf dem Wege der ,.J-Strahlenumwandelung entstandenen Produktes kaum vorhanden sein, da ja bei der Emission eines ./-Strahlenteilchens ein positiv geladener Rest zurückbleiben muß. Dieser Rest aber muß sich, da die Atome elektrisch neutrale Komplexe darstellen, aus der Umgebung ein neues ,;-Strahlenteilchen cinfangeu, so daß das Atomge- wicht des neuentstandenen Atoms absolut gleich dem des Muttcratoms sein muß. Es wird daher im folgenden immer die Annahme gemacht, daß mit einer ..'AStrahlenumwandelung überhaupt keine Veränderung des Atomgewichtes verbunden ist. '') Ohne Aussendung von f- oder .i'-Strahlenteilchen ver- laufende, strahlenlose Umwandtlungcn sind bisher nicht mit Sicherheit bekannt. In den Fallen, in denen man von „strahlcn- losen" Umwandelungen spricht, dürfte es sich tatsächlich um /iy-Slrahlenumwandelungen handeln, bei denen die Geschwin- digkeit der emittierten f'J-Strahlen nur sehr gering ist, diese also sehr schwer nachweisbar sind. radioaktiven Elemente zwischen dem Atomgewicht des Urans und dem Atomgewicht 206, einer Zahl, die etwa dem Atomgewicht des Bleies entspricht, liegen, und zweitens, daß viele radioaktive Ele- mente, so z. B. schon alle die, die wie RaD, RaE und RaF durch eine reine ,^-Strahlenumwande- kmg miteinander verbunden sind, das gleiche Atom- gewicht haben. Schon diese Tatsachen weisen dar- auf hin, daß die Einordnung der radioaktiven Ele- mente in das periodische System auf Schwierig- keiten stoßen wird, denn einerseits sind zwischen dem Uran und dem Blei im periodischen System, wie es heute vorliegt, nicht so viele Stellen frei, als es radioaktive Elemente von verschiedenem Atomgewicht gibt, andererseits müßten alle die Elemente, die das gleiche Atomgewicht haben, an dieselbe Stelle des periodischen Systems ge- stellt werden, d. h. man müßte allen radioaktiven Elementen vom gleichen Atomgewicht die glei- chen chemischen Eigenschaften zuschreiben. Die Überwindung dieser zweifellos vorhandenen Schwie- rigkeiten wurde möglich, als es gelang, die che- mischen Eigenschaften der radioaktiven Elemente zu ermitteln und festzustellen, daß erstens radio- aktive Elemente von verschiedenem Atomgewicht chemisch vollkommen identisch und Elemente von gleichem Atomgewicht chemisch vollkommen ver- schieden sein können. Dem Beweise dieser über- raschenden Ergebnisse sollen die nächsten Be- trachtungen gewidmet sein. Während die Abtrennung mancher radioaktiver Elemente von ihnen nahestehenden Elementen, wie die klasssiche Scheidung des Radiums vom Baryum durch fraktionierte Kristallisation beweist, ohne allzu große Schwierigkeiten gelingt, sind in anderen Fällen, so z. B. im Falle der Trennung des RaD vom Blei, alle Versuche, durch irgend- welche Verfahren auch nur eine Anreicherung des einen Elementes aus einem Gemische beider zu erzielen, ohne jeden Erfolg geblieben. IVlan wurde daher mehr und mehr zu der Ansicht ge- drängt, daß in Fällen dieser Art die beiden Ele- mente nicht nur wie etwa gewisse Pllemente aus der Gruppe der seltenen Erden einander sehr ähnlich, sondern absolut identisch miteinander sein müßten. Die Richtigkeit dieser merkwürdigen Auffassung ist nun in neuester Zeit gerade an dem angeführten Beispiele des Radium D und des Bleies durch eine sehr bedeutungsvolle Arbeit von G. Hevesy und F. Paneth in einwandfreier Weise bewiesen worden. Diese beiden P^orscher führten die mit einem Gramm Radium im radioaktiven Gleich- gewichte stehende Menge Radiumemanation, die bekanntlich ein zur Gruppe der Edelgase gehö- riges Gas ist, in ein Ouarzgefäß über, schmolzen dieses zu, warteten, bis die Gesamtmenge der Emanation zerfallen war — dies dauerte einige Wochen — , öffneten dann das Gefäß wieder, lö- sten das beim Zerfall der Emanation gebildete Radium D in Salpetersäure und elektrolysierten die erhaltene Lösung. „Je nach den Bedingungen, unter welchen die Elektrolyse ausgeführt wurde. N. F. XIV. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 109 konnten wir, so schreiben die beiden genannten Autoren, Radium D oder dessen Superoxyd in sichtbaren Beschlägen von nahezu '/..^d mg Ge- wicht darstellen. Alle Operationen wurden zur Erzielung möglichster Sauberkeit in Ouarzgefäßen ausgeführt und die zur Verwendung gelangenden Lösungen durch Ouarzkühler destilhert; auch die starke Aktivität unserer Drähte, die mit der be- rechneten übereinstimmte, bewies, daß tatsächlich reines Radium D vorhanden war. Der Vergleich einer galvanischen Kette, aufgebaut aus RaD.O.,/ RaD (NO,)^ und der Vergleichselektrode, mit einer aus Pb.Ö., Pb (NOJ., analog aufgebauten, und der Zusatz von Bleiionen zu beiden Ketten ergab, daß RadiumD und Blei nicht nur in hohem Maße ähnlich, sondern chemisch völlig vertretbar sind." Radium D und Blei sind also als chemisch identisch anzusehen, denn die von v. Hevesy und Paneth ausgeführten Versuche stellen die empfindlichste Reaktion dar, die der Chemiker auf die Identität zweier Metalle anstellen kann. Die Atomgewichte von Radium D und Blei sind aber keineswegs identisch, denn das Atomgewicht des Bleis 207,15 ist erheblich niedriger als das des Radium D, das sich aus dem experimentell be- stimmten Atomgewicht des Radiums zu 209,96 berechnet. Aus diesen Tatsachen ergibt sich der Beweis für die erste der beiden weiter oben auf- gestellten Behauptungen: Elemente von ver- schiedenem Atomgewicht können che- misch identisch sein. Von vielleicht noch größerer Bedeutung als diese Feststellung ist eine auf Grund einer sehr interessanten Arbeit von Soddy etwa gleich- zeitig von K. Fajans, G. von Hevesy und Rüssel gemachte Entdeckung, die es ermöglicht, nach einigen einfachen Regeln den chemischen Charakter auch solcher radioaktiver Elemente, die sich in chemisch untersuchbaren Mengen nicht darstellen lassen, mit Sicherheit zu ermitteln : Nach jeder «-Strahlenumwandelung ist das Umwande- lungsprodukt elektrochemisch unedler, nach jeder /^-Strahlenumwandelung elektrochemisch edler als die direkte Muttersubstanz. Dieses Gesetz läßt sich unter Zugrundelegung des periodischen Systems noch schärfer fassen : Bei jeder « -Strahle n - um Wandelung steht das Umwandelungs- produkt im periodischen System in der- selben Horizontalreihe um zwei Stellen weiter nach links, und bei jeder ß- Strahlenum wan delung um eine Stelle weiter nach rechts als die unmittelbare Muttersubstanz, und alle radioaktiven Elemente, welche in derselben Vertikal- reihe des periodischen Systems stehen, sind chemisch miteinander identisch. ■'j ') Chemisch identische Elemente, die in derselben Gruppe des periodischen Systems stehend sich durch ihr Atomgewicht unterscheiden, werden von Fajans als ,,Plejaden" zusam- mengefaßt; Soddy bezeichnet sie als ,,is otopis ch e I'"le- mente" oder kurz als „Isotopen". So gehört z. B. die unmittelbare Muttersubstanz des bekanntlich in der zweiten Gruppe des Sy- stems in der Reihe der Erdalkalien stehenden Radiums, das lonium, das durch eine a-Strahlen- umwandelung in das Radium übergeht, in die vierte Gruppe des periodischen Systems zum Thorium, und in der Tat sind alle Versuche, das in der Pechblende gemeinsam vorkommende Tho- rium und lonium voneinander zu trennen, fehl- geschlagen. Mit der Umwandelung des Radiums in die Emanation ist die Aussendung eines a- Strahlenteilchens verbunden, und demgemäß steht die Emanation zwei Schritte weiter nach links in der nullten Gruppe. Das Radium D geht über das Radium E und das Radium F in das Blei über; die Umwandelung des Radiums D in das Radium E und ebenso die Umwandelung des Radiums E in das Radium F ist durch die Ab- spaltung je eines /:?-Strahlenteilchens charakterisiert, das Radium E inuß also in der dritten, das Ra- dium F in der vierten Gruppe gesucht werden. Bei der Umwandelung des Radium F in das Blei aber wird wieder ein «-Strahltcilchen ausgesendet, das Umwandelungsprodukt ist also in der zweiten Gruppe, d. h. in der Gruppe, der sein Urgroß- vater, das Radium D, angehört, zu suchen •. Blei und Radium D müssen also chemisch identisch sein, was sie, wie wir gesehen haben, ja auch tatsächlich sind. Das Actinium endlich, das neben dem Mesothorium in der dritten Gruppe des pe- riodischen Systems zu finden ist, geht durch eine ,)'-Strahlenumwandelung in das Radioactinium über, das mit den in der vierten Gruppe vereinten Ele- menten Thorium, Radiothorium und lonium che- misch identisch ist. Aus diesem „Verschie- bungsgesetz", insbesondere aus seiner Anwen- dung auf die /i-Strahlenumwandelungen ergibt sich der Beweis der zweiten der beiden oben auf- gestellten Behauptungen: Elemente mit glei- chem Atomgewicht können chemisch verschieden sein. Eine wundervolle Bestätigung dieser Ergebnisse ist schließlich noch durch Atomgewichtsbestim- mungen des Bleies erbracht worden. Weiter oben ist das Atomgewicht des Radium D zu 209,96 angegeben worden. Nun geht dieses Radium D durch zwei /j- Strahlenumwandlungen und eine «-Strahlenumwandlung, wie soeben schon erwähnt wurde, in „Blei" über, das Atomgewicht des Bleis sollte demnach um 4,00 Einheiten kleiner als das des Radium D sein, es sollte den Wert 205,96 haben. Tatsächlich ist nun aber der Atom- gewichtswert des Bleis nach der internationalen Atomgewichtstabelle 207,15, also um mehr als eine Einheit höher. Da dieser Unterschied die Fehlergrenzen der Atomgewichtsbestimmungen überschreitet, so liegt hier ein Widerspruch vor. Auch das Endprodukt der Thoriumreihe muß, wie sich aus dem Verschiebungsgesetz ableiten läßt, Blei sein, de.ssen Atomgewicht sich, da auf dem Wege vom Thorium zum Endprodukt der Reihe sechs a-Strahlenumwandlungen vor sich gehen, zu Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 7 232,4 — (6X4.002)= 208,4 berechnet. Endlich dürfte auch nach dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse die Aktiniumreihe in letzter Linie zum Hlei führen, indessen sind die Natur der Zwischenglieder und die Arten ihrer Umwandlung noch nicht mit der Sicherheit bekannt, die zur Berechnung des Atomgewichts des ,, Aktinium- bleis" erforderlich ist. Es war unter diesen Um- ständen eine äußerst wichtige Aufgabe, die ver- schiedenen Bleiarten, insbesondere das „Uranblei" und das „Thoriumblei" aus Uranerzen und Thor- erzen zu isolieren und die Atomgewichte der Präparate zu bestimmen. Sie wurde von ver- schiedenen Seiten in Angriff genommen. Lem- bert, ein Schüler von Fajans, wurde in das durch die Präzision der daselbst durchgeführten Atomgewichtsbestimmungen berühmte Labora- torium von Richards an der Harvard Uni- versity geschickt und machte dort unter der Anleitung von Richards eine Reihe von Atom- gewichtsbestimmungen mit gewöhnlichem Blei und mit Blei aus Uran- und Thorerzen. Die Er- gebnisse der Versuche, die mit aller der an Richards gewöhnten Sorgfalt durchgeführt worden sind, sind in der folgenden Tabelle zu- Atomgewicht der Bleie verschiedener Herkunft nach Richards und Lambert. Mineral Fundort Atomgewicht Uraninit Nord-Carolina 206,40 Pechblende Joachimsthal 206,57 Carnotit Colorado 206,59 Thorianit Ceylon 206,82 Pechblende England 206,86 Gewöhnl liches Blei 207,15 sammengestellt. Es ergibt sich aus ihr, daß in der Tat die aus uranhaltigen Erzen isolierten Blei- proben ein erheblich geringeres Atomgewicht iiaben , als das gewöhnliche Blei. Daß der theoretische Wert 205,96 in keinem Falle er- halten worden ist, kann seine Ursache in dem LTm- stande haben, daß die verwendeten Uranmineralien zwar so gut wie thoriumfrei waren , aber ge- ringe Mengen von Aktinium enthielten. Außer- dem ist nicht die Sicherheit gegeben, daß alles in den Erzen vorhandene Blei ausschließlich durch radioaktive Umwandlungen entstanden ist, es könnten ja die betreffenden Erze auch einen Ge- halt an gewöhnlichem Blei besitzen. Auffallend erscheint nur der verhältnismäßig niedrige Wert des aus dem Thoriummineral isolierten Thorium- bleis. Etwa gleichzeitig mit den Untersuchungen im Harvard-Laboratorium wurde auch von Hönigschmid in Prag eine Atomgewichts- bestimmung an einem aus Pcchblenderückständen gewonnenen Uranblei vorgenommen. Das Mittel aus allen von diesem Autor ausgeführten Be- stimmungen, die untereinander gut übereinstimmten, ist 206,736. Also auch hier ist das Resultat das gleiche: Das Uranblei hat, wie es die Theorie der radioaktiven Umwande- lungen verlangt, ein niedriger es Atom- gewicht als das gewöhnliche Blei. Das allgemeine Ergebnis der Untersuchungen, über die im Vorhergehenden berichtet worden ist, läßt sich in den Satz zusammenfassen, daß das Atomgewicht nicht die einzige Größe ist, welche die chemischen Eigenschaften der Elemente be- stimmt, daß vielmehr noch andere Faktoren, so z. B. der innere Bau der Atome, maßgebend sind. Dadurch erscheinen aber die im am Anfange dieses Berichtes erwähnten Unstimmigkeiten im periodi- schen System der Elemente in einem anderen Lichte: Es kann uns nicht mehr erstaunen, daß Unstimmigkeiten überhaupt vorhanden sind, es könnte uns im Gegenteil eher wundern, daß die Unstimmigkeiten nur verhältnismäßig selten sind. Vielleicht ist das Atomgewicht als die in erster Linie maßgebende Größe zu betrachten, und die sonst wirksamen Faktoren können daher nur inner- halb verhältnismäßig enger Atomgewichtsgrenzen einen bestimmten Einfluß gewinnen, der möglicher- weise besonders bei hohen Atomgewichten her- vortritt. Die interessanten Versuche über das Atom- gewicht des Bleis könnten ferner zu der Ver- mutung führen, daß die von uns experimentell be- stimmten Atomgewichte auch der anderen Elemente nur Mittelwerte aus den Atomge- wichten chemisch identischer Stoffe wären. Hierzu sind die folgenden Äußerungen von Richards in der bereits besprochenen gemeinschaftlich mit Lembert ausgeführten Arbeit über das Atomgewicht der Bleie verschiedener Herkunft anzuführen : ,, Viele Jahre hindurch ist die Möglich- keit, daß Proben eines gegebenen Elementes, die von verschiedener Herkunft sind, verschiedene Atom- gewichte haben könnten, in Betracht gezogen und auch experimentall verfolgt worden, niemals aber mit einem positiven Ergebnis. Bei der ersten Bestimmung des Atomgewichtes des Kupfers, die Richards schon im Jahre 1887 ausgeführt hat, ergaben Proben von Kupfer aus Deutschland und vom Oberen See (Lake Superior, Nordamerika) genau das gleiche Atomgewicht. Später wurde die Frage wieder aufgenommen, indem im Jahre 1897 Proben von kohlensaurem Kalk aus Vermont (Vereinigte Staaten von Nordamerika) und aus Italien untersucht wurden, um festzustellen, ob das Calcium an diesen beiden weit voneinander ent- fernten Orten dasselbe Atomgewicht hätte oder nicht: Es wurde nicht der geringste Unterschied gefunden. Dann wurde bei einer sehr sorgfältig durchgeführten Bestimmung des Atomgewichtes des Natriums Silber von mehreren verschiedenen Orten und Natriumchlorid zum Teil in Form von verschiedenen Steinsalzproben deutscher Herkunft, zum Teil in Form von Salz aus den Solquellen der Solvay Process Company in Syracuse im Staate New York verwendet. Diese Präparate, die nach Darstellung und Herkunft weit voneinander ver- N. F. XIV. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. schieden waren, lieferten innerhalb der Versuchs- fehler identische Atomgewichte. In noch neuerer Zeit endlich bestimmten Baxter und Thor- valdson in demselben Gedanken das Atom- gewicht von Eisen nichtirdischer Herkunft, näm- lich von Eisen aus dem Cumpas-Meteoriten; der erhaltene Wert fiel innerhalb der Versuchsfehler mit dem von gewöhnlichem Eisen irdischen Ur- sprungs zusammen. Nach diesen Untersuchungen dürfte es wahrscheinlich sein, daß selbst wenn das Blei eine unerwartete Anomalie aufweist, doch die meisten anderen Elemente eine derartige Un- regelmäßigkeit nicht zeigen." Danach liegt also bis jetzt kein Grund zu der Annahme vor, daß die Atomgewichte der gewöhnlichen Elemente Mittel- werte aus verschiedenen Atomgewichten chemisch identischer Elemente seien, denn in diesem Falle sollte man doch eigentlich erwarten, daß die Zu- sammensetzung von Elementproben verschiedener Herkunft je nach dem Ursprung wenigstens etwas verschieden wären, und das ist ja, wie Richards ausdrücklich betont, nach den bislang vorliegenden Untersuchungen nicht der Fall. Jedenfalls werden die Ergebnisse am Blei dazu führen, noch in viel größerem Maße, als es bisher geschehen ist, Ele- mentproben verschiedener Herkunft systematisch auf ihre Atomgewichtsgleichheit zu prüfen. Ob dadurch aber die alten Unstimmigkeiten im perio- dischen System, die ja nach den obigen Dar- legungen an theoretischer Bedeutung wenigstens zunächst erheblich verloren haben, beseitigt wer- den, muß zweifelhaft erscheinen, denn gerade beim Tellur hat man in der Hoftnung, ein vom Tellur schwer abtrennbares Begleitelement von höherem Atomgewicht zu finden, absichtlich Proben von sehr verschiedener Herkunft untersucht, ohne über die Fehlergrenzen der Versuche hinausgehende Unterschiede in den Atomgewichten zu finden. Literatur. Frederirk Soddy, The Chemistry of tlie Radio- Elements. Zwei Teile, London igii und 1914. Eine deutsche Übersetzung des Werkes ist von M. Ikle im Verlage von J. A. Barth in Leipzig veröffentlicht worden. K. Fajans, Die Radioelemente und das periodische System. Die Naturwissenschaften, Band 2, S. 430 — 434, und S. 463 — 468; 19 14. K. Fajans, Über die Endprodukte radioaktiver Zerfalls- reihen. Zeitschr. f. Elektroch., Band 20, S. 449 — 452; 1914. Otto Hönigschmid, Revision des Atomgewichtes des Urans mit einem Anhang über das Atomgewicht des ,, Uran- bleis". Zeitschr. f. Elektroch., Band 20, S. 452 — 45S; 1914. Die Diskussion über die beiden im Vorstehenden ange- führten Vorträge von Fajans und Hönigschmid auf der Hauptversammlung der Bunsen-Gcsellschaft 1914 siehe Zeitschr. f. Elektroch., Band 20, S. 45S — 460; 1914. Theodore W. Richards and Max E. Lembert, The Atomic Weight of Lead of Radioactive Origin. Journ. Amer. Chem. Soc, Band 36, S. 1329^1344; 1914. G. v. Hevesy und F. Paneth, Über die Darstellung von Radium D in sichtbaren Mengen und seine chemische Identität mit Blei. Ber. d. D. Chem. Gesellsch., Band 47, S. 2784—2786; 1914. G. Pellini, Das Atomgewicht des Tellurs und seine Beziehungen zu den Gruppenhomologen. In's Deutsche über- setzt von B. L. Vanzetti. Sammlung chemischer und chemisch-technischer Vorträge, begründet von F. B. Ahrens, herausgegeben von W. Herz, Band 21, Heft 8 — 11. Stuttgart 1914. Me. Bücherbesprechimgen. Eugenics Record Office: Report on the Best Practical Means of Cutting Off the Defective Germ Plasm in the American Population. i. und 2. Teil. 64 u. 150 Seiten. Verlag des Eugenics Record Office, Cold Springs Harbor, New York, 1914. Im Mai 191 1 wurde von der Sektion für Eugenik des amerikanischen Züchterverbandes ein Ausschuß zum Studium der Frage eingesetzt, wie das „schadhafte Keimplasma" in der Be- völkerung Amerikas am besten auszuscheiden sei. Nun hat der Ausschuß zwei Teile seines Berichts über diese Sache vorgelegt, von welchen der erste das Arbeitsgebiet des Ausschusses absteckt und der zweite die rechtlichen, gesetzgeberischen und administrativen Gesichtspunkte der Sterili- sation als Mittel zur Verbesserung der Mensch- heit behandelt. In dem ersten Teil wird ein- leitend die Bedeutung der Vererbung ganz kurz dargelegt und dann werden die sozial ungeeig- neten Bevölkerungselemente gekennzeichnet, näm- lich die Schwachsinnigen, die auf öffentliche Unterstützung angewiesenen Personen (Paupers), die Trinker, die Verbrecher, die Epileptiker, die Geisteskranken, die Schwächlinge, die zu Krank- heiten neigenden Personen und die Personen mit Sinnesmängeln. Die Fortpflanzung dieser defekten Klassen soll vornehmlich durch ihre Absonderung in Anstalten und durch Unfruchtbarmachung bei der Entlassung aus Anstalten verhindert werden. Außerdem werden noch einige minder tiefgreifende eugenische Maßnahmen erwogen. Im zweiten Teil des Berichts ist die ameri- kanische Gesetzgebung über die Sterilisation un- erwünschter Bevölkerungselemente ausführlich dargestellt. Dieses Heft wird allen willkommen sein, die sich mit dem Problem der künstlichen Auslese befassen, ob sie nun deren Befürworter oder Gegner sind. Bis Ende 191 3 wurden Sterilisationsgesetze in 13 Staaten der nordamerikanischen Union er- lassen, und zwar in Indiana, Washington, California, Connecticut, Nevada, Iowa, New Jersey, New York, Nord-Dakota, Michigan, Kansas und Wisconsin. In elf dieser Staaten ging man bei Erlaß der Sterilisationsgesetze ausschließlich oder haupt- sächlich von rassehygienischen Erwägungen aus, nur in Washington und Nevada war die Sterili- sation als Strafmaßrcgel gedacht. In einer Reihe anderer amerikanischer Bundesstaaten wurden Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 7 Entwürfe ähnlicher Gesetze eingebracht aber nicht angenommen. Tatsächlich ausgeführt wurden Sterilisationen bisher in den Staaten Indiana (300 Fälle), California (269 Fälle), Washington und Iowa (einige Fälle). In den übrigen Staaten sind die Gesetze entweder ganz neuen Datums oder sie stoßen auf den \^'iderstand der Verwaltungs- behörden, die ihre Durchführung unterlassen. In den meisten Staaten ist die Art der vorzu- nehmenden Operation nicht näher bezeichnet. Die Sterilisationsgesetze der vier Staaten Connecticut, Iowa, Kansas und Michigan schreiben für männ- liche Personen Vasektomie vor, also Durchtrennung der Samenleiter, so daß die Fähigkeit zum Sexual- verkehr erhalten bleibt. Für weibliche Personen ist in Iowa und Michigan Salpingektomie (Durch- trennung der Eileiter) vorgeschrieben, in Connec- ticut und Kansas aber Oophorektomie, also regel- rechte Kastration , die auch in der körperlichen Erscheinung des Individuums ihren Ausdruck finden muß. Das eingangs erwähnte Komitee schlägt ein Muster- Sterilisationsgesetz und ein Sterilisations- programm vor, demgemäß die Zahl der Sterili- sationen von 92,400 im Jahre 1920 auf 203,800 1950 und 415,500 1980 zunehmen sollten. In 65 Jahren würde damit ein erheblicher Prozentsatz der amerikanischen Bevölkerung fortpflanzungs- unfähig sein und ein großer Teil von ihnen wären regelrechte Kastraten. Man stelle sich vor, welchen Einfluß dies auf das öffentliche Leben haben würde. Und doch sind die Leute, die solche Vorschläge machen, als bedeutende Wissenschafter bekannt 1 Aber selbst sie können sich dem Geist des Puritanismus nicht entziehen , der auch in dieser Angelegenheit die ausschlaggebende Macht ist. H. Fehlinger. Schmidle W., Die diluviale Geologie der Bodenseegegend. Heft 8 der Sammlung „Die Rheinlande" hrsg. v. Dr. C. Mordziol. G. Wester- mann, Braunschweig 1914. — Preis 3,60 Mk. Die Aufgabe, die diluviale Geologie der Boden- seegegend einem weiteren Kreis von Lesern vorzu- führen, war wohl eine der schwierigsten, die im Rahmen der vorliegenden Sammlung bisher ge- stellt worden ist. Wie reichhaltig auch die bereits existierende Literatur über dieses Gebiet ist (vgl. vor allem die meisterhafte kartographische Dar- stellung von Penck in den „Alpen im Eiszeit- alter"), so stellt doch die: außerordentlich kompli- zierte Entwicklungsgeschichte, die das Bodensee- gebiet in der Ouartärzeit erfahren hat, und die mancherlei strittigen Punkte namentlich in diesem Falle an die Darstellungskraft hohe Anforderungen. Wenn sich bei der vorliegenden Arbeit natürlich auch manches über die Anordnung des Stoffes im einzelnen sagen ließe, so befriedigt doch die Anlage des Ganzen recht gut : statt einer ermüdenden Entwicklungsgeschichte, ist der induktive, man möchte sagen „geographische" Weg gewählt. Be- sonders erfreut die geschickte Art, mit der der Verfasser dem Leser in den Formenschatz und seine Pobleme einzuführen versteht: an der Hand einiger guter Photographien uud kleiner Spezialkärtchen wird zunächst die verhältnismäßig- einfache Umgegend der Stadt Konstanz geschildert und auf diesem Wege die Vorstellung der Kon- stanzer Eisrandlage entwickelt. Daran schließt sich dann zwanglos die Darstellung der übrigen Randlagen des Bodenseegebietes. Die Erörterungen allgemeiner Art sind jeweils an geeigneter Stelle eingefügt. Es folgt dann die Schilderung der früheren Vereisungen und schließlich eine Unter- suchung über die Entstehung des Unter- und Überlingersees, bei der nach Ansicht des Ver- fassers tektonische Kräfte erheblichen Anteil ge- habt haben sollen; der Bodensee wird im Gegen- satz zu P e n c k von Schmidle als diluvialer Kessel- bruch aufgefaßt. Auf weitere Einzelheilen kann an dieser Stelle natürlich nicht eingegangen werden. Besondere Freude erweckt die reiche Ausstattung des Heftes mit 7 Tafeln, die die Entwicklung des Bodenseegebietes, namentlich seines Entwässerungs- netzes zur Darstellung bringen sollen. Leider er- möglicht der Schwarzdruck der Karten nicht über- all eine klare Unterscheidung der Signaturen. Wünschenswert wäre, daß die Karten bei einer Neuauflage etwas reichlicher mit Ortsnamen aus- gestattet würden, vielleicht ließe sich das am besten erreichen, wenn die erste Tafel auf Pauspapier gedruckt und zum Überdecken der andern ein- gerichtet würde. — Erwähnen müssen wir übrigens noch, daß hier und da recht störende Druckfehler stehen geblieben sind (z. B. S. 72 „Steilanzüge") ; der Druckfehler „Aachenschwankung" wiederholt sich sogar mehrmals (S. 66). A. Wunderlich-Berlin. Literatur. Feerhow, Friedr., Eine neue Naiurkraft oder eine Kette von Täuschungen? (Reichenbachs Od und seine Nachent- deckungen). Historisch-kritische Studie über die Strahlung des Menschen und andere wenig bekannte Strahlungen. Mit 16 Abbildungen. Leipzig '14, M. Altmann. Thorbecke, Franz, Im Hochland von Mittel-Kamerun. I. Teil. (Abhandlungen des Hamburgischen Kolonialinstituts. Band .\XI.) Inhalt: Schröder: Auf den Höhen des Kilimandscharo. Teil 11. Halbfaß: Die Wasserklemme in Nord- und Mittel- deutschland während des Sommerhalbjahrs 191 1. — Einzelberichte: Klute: Forschungen am Kilimandscharo im Jahre 1912. Mecklenburg: Die .\aschauungen über den Zusammenhang zwischen den .'\tomgewichten und den chemischen Eigenschaften der Elemente. — Bücherbesprechungen: Eugenics Record Office. Schmidle: Die dilu- viale Geologie der Bodenseegegend. — Literatur: Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H.Mi ehe in Leipzig, Marienstrafle na, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. der^^lanzL" Reiht 3''o^"Bi„d, | Soniitag, den 21. Fcbruar 1915. I Nummer 8. [Nachdruck verboten.] Die Biologie des letzten halben Jahrhunderts steht unter dem Zeichen der Entwicklungslehre. Anfangs leidenschaftlich bekämpft, wohl gar mit- leidig verspottet, hat sie in wenigen Jahrzehnten ihren Siegeslauf vollendet, und wenn heute noch ein Kampf auf diesem Gebiete besteht, so geht dieser nicht mehr um die Frage, ob unsere heu- tige Lebewelt das Ergebnis einer Entwicklung ist, sondern wie diese Eniwicklung erfolgte und wel- ches die Kräfte sind, die sie bedingen. In dem Maße, in dem die durch Darwin neu begründete Deszendenzlehre sich steigende Anerkennung er- rang, wurden die Gedanken des großen Forschers über die Wege, auf denen die Umbildung der Arten sich vollzieht, schärferer Kritik unterworfen, und keiner der Stützpfeiler, auf die Darwin sein Gebäude gründete: natürliche Auslese, Vererbung erworbener Eigenschaften, geschlechtliche Zucht- wahl — ist in bezug auf seine Zuverlässigkeit unbestritten geblieben. Mit der Zahl der Arbeiter auf diesem Gebiete vervollkommneten sich die Untersuchungsmethoden. Neben Beobachtung und Spekulation trat das Experiment, und die plan- mäßige, unter verschiedenen Bedingungen aus- geführte Züchtung. Während viele Forscher sich der experimentellen Prüfung bestimmter Einzel- fragen zuwandten, suchten andere durch Zusammen- fassung und Sichtung des durch eigene und fremde Arbeit angesammelten Tatsachenmaterials zu um- fassenden Entwicklungs- und Vererbungstheorien zu gelangen. Einer der vornehmsten Streiter auf diesem Gebiet, der als einer der ersten die Frage nach dem Wesen der Vererbung der Forschung unterzog und in fast fünfzigjähriger Forscher- und Denkerarbeit immer neue Bausteine zu einer Ver- erbungstheorie sammelte, ist vor wenigen Wochen aus dem Kreise seiner Mitarbeiter geschieden : August VV e i s m a n n ist am 6. November in Frei- burg i. Br., der Stätte seiner gesamten wissen- schaftlichen und akademischen Tätigkeit, verstor- ben. Bei der hohen und bleibenden Bedeutung, die seinen Arbeiten zukommt, sei es gestattet, im nachfolgenden eine kurze Übersicht über den wis- senschaftlichen E^ntwicklungsgang Weismann's und über den allmählichen Aufbau seiner Theorien zu geben. Die Angaben über Weismann's äußeren Lebenslauf entnehme ich einem von ihm selbst anläßlich der Feier seines 70. Geburtstages in einer Tischrede gegebenen kurzen Rückblick. W e i s m a n n stammte aus einer Frankfurter Fa- milie; er wurde hier am 17. Januar 1834 geboren. Kurz vor seinem Tode konnte er noch die Freude erleben, seine Vaterstadt in den Kreis der deut- schen Universitätsstädte eintreten zu sehen. Schon August Weismann. Von Prof. Dr. R. v. Hanstein. als Knabe und Schüler ging er in seinen Frei- stunden naturwissenschaftlichen Liebhabereien nach. In den blühenden Kleefeldern, auf den Stoppel- feldern und im Stadtwalde sammelte er Schmet- terlinge, wandte sich später dem Sammeln von Käfern und weiterhin dem Botanisieren zu; ein kleines Buch ermöglichte ihm das Bestimmen der Gewächse, und sein Herbarium umfaßte gegen I^nde seiner Schulzeit „so ziemlich alle höheren Pflanzen, welche in einem Umkreis von 8 — 10 Stunden um Frankfurt wild wuchsen, die Gräser mit inbegriffen". Im Hause des Vaters, der diese Sammeltätigkeit anfangs nicht gern sah und erst gut hieß, als er sich überzeugt hatte, daß des Knaben Fortschritte in der Schule darunter nicht litten, empfing er auch künstlerische Anregungen mannigfacher Art. Der Unterricht eines Klavier- lehrers, der ihm aus alter Liebhaberei auch bei seinen Schmetterlingsstudien Anleitung gab, half den ausgesprochenen Sinn für Musik entwickeln, der Weismann eigen war und ihn in späteren Jahren zu einer Studie über die Entwicklung der Musik geführt hat; die Mutter war eine begabte Malerin, und auch der Vater, von Fach klassischer Philologe, besaß ausgesprochenen Kunstsinn. Schon als Knabe besuchte Weismann gern die Bilder- und Statuen.sammlung des ,, Städtischen Instituts", erhielt in diesem Institut später Zeichenunterricht und empfand während seines ganzen Lebens F"reude daran, sich mit Kunstgegenständen zu umgeben. Nach beendeter Schulzeit wandte er sich nach Göttingen, um dort zu studieren. Seine Neigung trieb ihn teils zur Botanik, teils zur Chemie, für die ihn die Vorträge Böttcher's amSenckenbergi- schen Institut begeisterten. Da aber der Vater ein Studium wünschte, das auch zu einer sicheren Lebensstellung führe, und der große Wöhler selbst dem jungen Studenten riet, lieber zunächst Medizin zu studieren, so entschloß sich Weismann für dieses Studium, dem er vier Universitätsjahre widmete. Die gründliche Beschäftigung mit Anatomie und Physiologie war für seine späteren zoologischen Arbeiten eine vortreffliche Grundlage; vorerst aber fand er den Weg zu diesem seinem späteren Arbeitsgebiete noch nicht. Mit einer Dissertation über die Entstehung der Hippursäure im Harn der Pflanzen- fresser erwarb er die medizinische Doktorwürde (1857), ""'^ begab sich dann nach Rostock, um am dortigen klinischen Hospital eine Assistenten- stelle zu übernehmen. Nach einem Jahr wechselte er diese Stellung mit der eines Assistenten des Chemikers Franz Schulze, überzeugte sich aber, daß seine Hauptneigung und Beanlagung doch 114 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 8 nicht nach dieser Seite hin ging, und kehrte des- halb im Jahre 1858 in seine Vaterstadt zurück, wo er sich als praktischer Arzt niederließ. Die freie Zeit, die ihm die zunächst naturgemäß ge- ringe ärztliche Betätigung übrig ließ, benutzte er zu einer Reihe histologischer Untersuchungen, die hauptsächlich den feineren Bau des Muskelgewebes betrafen. Im ganzen fühlte er sich aber in der ärztlichen Tätigkeit nicht sonderlich befriedigt und benutzte mehrfach sich ihm bietende Gelegen- heiten, um sich anderweitig umzusehen. So trat er im Jahre 1859, als der Krieg Österreichs mit Frankreich und Italien vorübergehend die Mög- lichkeit auftauchen ließ, daß auch Deutschland in diesen Kampf verwickelt werden könnte, als Ober- arzt in das badische Heer ein. Da aber der Krieg alsbald zu Ende ging, gingWeismann nach Verona, um sich in dem dortigen österreichischen Lazarett ärztlich zu betätigen, und benutzte diesen Aufent- halt, um auch andere oberitalienische Städte zu besuchen, von denen er reiche künstlerische Ein- drücke in seine Heimat zurücknahm. Mehr und mehr aber drängte sich ihm die Überzeugung auf, daß die ärztliche Tätigkeit nicht sein dauerndes Arbeitsgebiet sei. Ein mehrmonatlicher Aufenthalt in Paris, woselbst er im Jardin des plantes zoolo- gischen Studien oblag, und zwei Monate in Gießen unter der Anleitung Rudolf Leuckart's, die er in angestrengter Arbeit verbrachte, ließen ihn die Zoologie als künftiges Feld seiner Tätigkeit er- kennen. Eine ihm um diese Zeit angebotene Stellung als Leibarzt des Erzherzogs Stephan auf Schloß Schaumburg a. d. Lahn nahm er an, weil er dort Muße zu eigener freier Arbeit zu finden hoffte, und diese Erwartung wurde nicht getäuscht. Er durchstreifte die mannigfache Umgebung des schön gelegenen Schlosses , suchte zoologisches Arbeitsmaterial und fand alsbald ein lohnendes Arbeitsgebiet. Die Entwicklung der Insekten war damals zwar in ihren Hauptzügen bekannt, doch waren die ontogenetischen Vorgänge im einzelnen erst wenig geklärt. Sowohl die embryonale als die postembryonale Entwicklung bot noch viel ungelöste Fragen, und es erschien wünschenswert, die Beobachtungen, die Leuckart an Pupiparen, Zaddach an l'hryganeen angestellt hatte, durch Untersuchung anderer Insektengruppen zu ergän- zen. VVeismann wählte die Dipteren, und zwar zunächst die Fliegen für eingehendere Studien, und förderte diese während seines Aufenthalts auf der Schaumburg so weit, daß er ihre Ergebnisse in einer kleinen Veröffentlichung „über die Ent- stehung des vollendeten Insekts in Larve und Puppe" und einer umfangreichen Abhand- lung über „die Entwicklung der Dipteren im Ei" niederlegen konnte. Die erstgenannte Arbeit, die in den Schriften der Senckenbergischen Gesellschaft abgedruckt wurde, stellt fest, daß die Metamorphose bei den Miegen — die Beobachtun- gen betrafen in erster Linie die Schmeißfliege (Calliphora vomitoria) — kein einfacher Häutungs- vorgang ist, daß vielmehr eine völlige Neubildung aller wesentlichen Organe während der Puppen- zeit unter histolytischen Prozessen eintritt; in der an zweiter Stelle genannten größeren Arbeit gibt Weismann eine eingehende Darstellung der Ontogenese verschiedener Dipterenarten — Chiro- nomus, Calliphora vomitoria, Pulex canis — und erörtert im Anschluß daran einige wichtige Pro- bleme allgemeiner Natur. So tritt er der Auf- fassung einer Homologie der Keimblätter der Wirbeltiere mit den bei der Entwicklung des In- sektenkörpers aus dem Keimhautblastem sich bil- denden Zellschichten entgegen. Auch sieht er keinen Anlaß, die Kerne, die im Keimhautblastem sichtbar werden, für Abkömmlinge des Keimbläs- chens, also des Furchungskerns zu halten, wie dies kurz zuvor Claparede für wahrscheinlich erklärt hatte, da keinerlei direkte Beobachtungen dafür sprechen. Vielmehr nimmt er eine freie Kern- bildung und im Anschluß daran auch eine freie Zellbildung für die Keimhautzellen an, die nicht durch einen Furchungsprozeß, sondern infolge einer Einwirkung der Kerne — die als Attraktionspunkte wirken — auf die umgebenden Keimhautbezirke entstehen. Wenn uns heute diese Auffassung ge- rade bei dem späteren Begründer der Lehre von der Kontinuität des Keimplasmas verwunderlich erscheint, so ist zu bedenken, daß im Jahre 1863 die Anschauungen über die Bedeutung des Zell- kerns, die Vorgänge der Zellteilung u. dgl. noch wenig geklärt waren und daß gerade die eigen- artigen Entwicklungsvorgänge in den Insekten- eiern zugunsten einer freien Zell- und Kernbildung zu sprechen schienen. Zur Zeit, als diese Abhandlung veröffentlicht wurde, hatte sich inWeismann's äußerer Lebens- stellung ein Wandel vollzogen. In der Erkenntnis, daß die Zoologie in Zukunft sein eigentliches Arbeitsgebiet bleiben müsse, hatte er seine Stel- lung auf der Schaumburg aufgegeben und sich in Freiburg i. Br. als Privatdozent habilitiert. In der am Abhang der Schwarzwaldberge schön gelegenen badischen Universitätsstadt verblieb er während seiner ganzen akademischen Lehrerzeit, bis zu seinem Lebensende. Hier wurden die auf der Schaumburg begonnenen Studien eifrig fortgesetzt. Der Abhandlung über die embryonale Entwicklung folgte schon im folgenden Jahre eine ausführlichere Darstellung der nach embryonalen Entwick- lung der Museiden, für deren Studium die Schmeißfliegen (Calliphora vomitoria und Sarco- phaga carnaria) ihm gedient hatten. In dieser Arbeit legte er eingehend die tiefgreifenden Veränderun- gen dar, die während der Metamorphose im Kör- per der genannten Insekten Platz greifen. „Man könnte in der Tat zweifelhaft werden, ob man Larve und Imago als ein und dasselbe Individuum zu betrachten habe oder ob nicht vielmehr hier ein Generationswechsel vorliegt." Diese Frage schien ihm um so berechtigter, als von anderer Seite die Entwicklung der Echinodermen als Ge- nerationswechsel bezeichnet worden war. Nach Abwägung der Gründe für und wider kommt er N. F. XIV. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 115 jedoch zu einer Zurückweisung dieser Anschauung, weil der Körper der Larve und der Imago aus derselben Masse organischer Substanz bestehen. Heute dürfte sich wohl niemand finden, der diesen Erwägungen nicht beistimmt. Eine Erweiterung und Ergänzung finden diese entwicklnngsgeschichtlichen Studien durch Heran- ziehung einer Mückenart, und zwar der durch ihre große Durchsichtigkeit besonders für derartige Beobachtungen geeigneten Corethra plumicornis. Leydig's vorzügliche anatomische Untersuchung dieser Larve ergänzte Weismann durch eine genaue und mustergültige Darstellung ihrer Ent- wicklung, die in wesenilichen Funkien von der der Museiden abweicht, viel weniger tiefgreifende Umwandlungen umfaßt, so daß Weismann inner- halb der Dipterenordnung zwei Typen der Ent- wicklung, den „Typus Musca" und den „Typus Corethra" unterschied. Hatte sich schon innerhalb ein und derselben Insektenordnung eine solche typische Verschiedenheit ergeben, so mußte es dem Forscher, dem inzwischen eine außerordent- liche Professur übertragen war, als reizvolle Auf- gabe erscheinen, die Entwicklungsvorgänge durch die verschiedenen Insektenordnungen hindurch ver- gleichend zu verfolgen und so dies bisher erst wenig in Angriff genommene Gebiet weiter aus- zubauen. Hieran aber wurde er durch ein tra- gisches Schicksal gehindert. Er erzählte später, wie er eines Tages, am Mikroskop sitzend, plötz- lich bemerkte, daß ,,ein seltsames Wogen farbiger Wellen das Gesichtsfeld erfüllte, das allmählich heftiger wurde", so daß er von dem Gegenstand selbst, den er sehen wollte, nichts mehr erkennen konnte. Es war dies das erste Anzeichen eines Augenleidens, das ihn zwang, das mikroskopische Arbeiten aufs äußerste einzuschränken, wochenlang ganz auszusetzen. Schmerzlich empfand er das Schicksal, ,, gerade in der tatenlustigsten, arbeits- freudigsten Zeit des Lebens stillzuliegen und zu- zusehen, wie andere auf den Bahnen weiter schritten und Lorbeeren ernteten," die er eröffnet hatte. Einen Ersatz für die eigne mikroskopische Forschung suchte und fand er damals in der Be- schäftigung mit der Deszendenzlehre, die gerade in jener Zeit, in Deutschland Gegenstand lebhafter Diskussion war. Weis mann war einer der Zoologen, die von Anfang an für die Selektions- theorie eintraten. In seiner' kleinen Schrift über die Berechtigung der Darwin 'sehen Theorie (1868) spricht er sich für das Bestehen einer natürlichen Auslese aus und wendet sich gegen Wagner's Migrationstheorie, der er die durch paläontologische Befunde — z. B. die Steinheimer Planorbisfunde Hilgendorf's — , sowie durch die dimorphen Arten wahrscheinlich gemachte Möglichkeit einer Artspaltung unter gleichbleibenden äußeren Bedingungen entgegen- hält. Auch könne durch räumliche Sonderung eine Rückkreuzung mit der Stammform nicht verhindert werden, da die Umbildung infolge ver- änderter Lebensbedingung immer nur bei einem Teil der Individuen aufzutreten pflegt. Jedenfalls sei räumliche Sonderung allein nicht ausreichend, um die Entstehung der Arten zu erklären. Andererseits aber hält er auch die Selektion allein nicht für eine ausreichende Erklärung, da „mindestens ebensoviel von der Qualität des zu verändernden Organismus abhängt". Nicht nach jeder beliebigen Richtung kann eine Art ab- ändern , sondern die Anzahl der möglichen Richtungen ist durch die chemische und physi- kalische Konstitution der Art begrenzt. In diesem Gedanken liegen gewisse Anklänge an die wenige Jahre zuvor von Nägeli aufgestellte Vervoll- kommnungstheorie, zu der W e i s m a n n sich „mehr in formellem als in sachlichem Widerspruch" be- findet, einmal wegen des Vorkommens rückschrei- tender Veränderungen, dann aber auch wegen der Gefahr eines Mißverständnisses im Sinn von „etwas außerhalb und gewissermaßen über der physischen Natur der Organismen Stehenden". In jener Zeit gingen die Wogen des Kampfes um die Entwicklungslehre hoch. In demselben Jahr, in dem die eben besprochene kleine Schrift erschien, veröfi^entlichte Darwin sein Werk über das Abändern der Tiere und Pflanzen im Zustand der Domestikation; schon etwas früher war Haeckel's „Generelle Morphologie" erschienen, während desselben Verfassers „Natürliche Schöp- fungsgeschichte" das Deszendenzproblem in popu- lärer P'orm weiteren Kreisen näher brachte. Noch waren die Biologen in zwei Lager geteilt, die sich mit oft scharfer Polemik bekämpften. Bei dem weitgehenden Interesse, das Weismann den vielen sich hier bietenden Fragen entgegenbrachte, genügte ihm jedoch die rein theoretische .Anteil- nahme nicht. Wieder und wieder trieb es ihn zu eigener Beobachtung, aber sein Augenleiden stellte sich immer wieder ein. Dem Rat des be- freundeten Kußmaul, unter diesen Umständen wieder zur medizinischen Praxis zurückzukehren, die ihm wenigstens ein befriedigendes Tätigkeits- feld geboten hätte, setzte er den Wunsch ent- gegen, zuvor nocheinen letzten Versuch zu gänzlicher Heilung zu machen. Er erbat und erhielt einen zweijährigen Urlaub, den er mit seiner Familie — er hatte vor kurzem geheiratet — , zum Teil auch in Begleitung seines Vaters zunächst in Italien zubrachte, enthielt sich aller Anstrengungen seiner Augen, und konnte zu seiner F"reude nach Ablauf der zwei Jahre seine Vorlesungen und Arbeiten im alten Umfang wieder aufnehmen. Ihm war nunmehr das Ordinariat für Zoologie übertragen worden. Seine im Jahr 1872 erschienene Schrift über den Einfluß der Isolierung auf die Art- bildung knüpft direkt an seine letzterwähnte Veröffentlichung an, verhält sich auch in gleicher Weise ablehnend gegen Wagner's Migrations- lehre, gibt aber die Möglichkeit einer Ausprägung neuer Arten infolge der Isolierung unter gewissen Bedingungen zu. Hauptbedingung ist die wirk- ii6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 8 Hche UnmögHchkeit einer Kreuzung mit der Stammart (Weismann braucht hier zum ersten- mal das Wort Amixie). „Die Ausprägung und Erhaltung der Artcharaktere beruht auf der Wechselkreuzung aller Individuen" und „die einmal erreichte Konstanz wird so lange beibe- halten, bis eine Ursache eintritt, die zur Ab- änderung zwingt". Aus solchen Befunden aber, wie z. B. die Steinheimer Planorbisfauna, zieht Weismann den Schluß, daß in der Geschichte der Arten Perioden der Konstanz und Perioden der Variabilität miteinander wechselten, daß die Konstanz erst nach längeren Perioden der Varia- bilität erreicht wurde — ein Gedanke, den nahezu ein Menschenalter später de Vries in seiner Mutationstheorie wieder zur Geltung gebracht hat. Wurde nun, so fährt Weismann fort, eine Art während einer Variabilitätsperiode isoliert, so konnte in diesem Fall die Isolierung wohl zu einer neuen Artbildung führen. In seiner Kritik der Migrationstheorie zog Weismann mehrfach den Dimorphismus mancher Arten als Beweismittel für eine Spaltung der Art- charaktere ohne jede Isolierung heran. Betreffs des Geschlechtsdimorphismus scheint ihm die kurz zuvor (1871) von Darwin zur Erörterung ge- stellte geschlechtliche Zuchtwahl in vielen Fällen ein gutes Erklärungsprinzip zu sein. Diese Er- klärung versagt aber bei dem Saisondimorphismus, wie ihn z. B. manche Schmetterlinge zeigen; hier müßte daher eine andere Erklärung gesucht werden. Die Ergebnisse seiner Zuchtversuche und seine aus diesen gezogenen Schlüsse bilden den ersten Teil seiner 1875 erschienenen „Studien zur Deszendenztheori e". Unter Wiederaufnahme von Versuchen, wie sie ähnlich schon 1864 von Dorfmeister angestellt waren, experimentierte Weis mann mit der saisondimorphen Araschnia levana, einem Schmetterling, der eine vorwiegend rot gefärbte Frühjahrsgeneration und eine dunklere Sommergeneration besitzt. Abkömmlinge der P'rühjahrsform wurden während ihrer Puppenzeit bei einer Temperatur von etwa O " gehalten und lieferten beim Ausschlüpfen nur wenige echte Sommerformen {.\. prorsa), dagegen eine Anzahl Stücke, die der schon früher als Aberration be- kannten A. porima entsprachen, endlich aber solche, die der typischen levana mehr oder weniger, wenn auch nicht völlig glichen. Versuche, umgekehrt die Nachkommen der Hochsommer- form (A. prorsa) durch Züchten bei erhöhter Temperatur wieder zu Mochsommerformen zu er- ziehen, mißlangen dagegen gänzlich. Weismann zog hieraus den Schluß, daß die Entstehung von Abänderungen, die sich von der Stammform recht merklich unterscheiden, ganz ohne Mitwirkung der Naturzüchtung, allein durch den Einfluß der äußeren Bedingungen entstehen können. Schon damals erwog W c i s m a n n die Möglichkeit, ob wohl durch die auslösende Ursache des äußeren Reizes aus jedem Individuum die eine oder die andere Form hervorgehen könne, er hielt aber diese Annahme für unzutreffend. X'ielmehr sei die Dis- position für ein Abweichen von der gewöhnlichen Entwicklungsrichtung unter dem Einfluß äußerer Reize individuell verschieden. Die Art, in der das Klima einwirkt, denkt sich Weismann so, daß dies, „wenn es viele Generationen hinterein- ander in gleicher Weise beeinflußt hat, allmählich eine solche Veränderung in der physischen Konstitution der Art hervorruft, daß diese sich auch durch andere Färbung kundgibt". Wenn nun die Konstitution einmal auf diese Weise eine andere geworden ist, so wird sie auch anders, als die ursprüngliche, auf äußere Reize reagieren, und bei Wiederherstellung des ursprünglichen Klimas nicht wieder in die Stammform zurückschlagen. „Wenn auf der Erde auch nur zwei verschiedene Klimata in geologischen Perioden miteinander ab- wechselten, so müßten doch von einer jeden diesem Wechsel unterworfenen Schmetterlingsart eine unendliche Reihe verschiedener Artformen ausgehen". Das regelmäßige Alternieren zweier verschiedener Generationen, wie es der Saison- dimorphismus dieser Schmetterlinge zeigt, erklärt Weismann dadurch, daß zu einem Wiederauf treten der Abänderung auch wieder der gleiche Reiz erforderlich sei. Wenn die ursprüngliche Stammform A. levana unter Einwirkung der wärmeren Sommertemperatur in die prorsa-P'orm umgewandelt sei, so komme infolge der nunmehr veränderten Konstitution diese Form stets, aber auch nur dann zur Entwicklung, wenn der gleiche Reiz wieder auf sie einwirke. Am Schluß dieser Arbeit wirft er die Frage auf, ob die Erkenntnis von den Bedingungen solcher zyklischer Ver- änderungen vielleicht imstande sei, auch auf die zyklisch sich wiederholenden Entwicklungsvor- gänge während der Ontogenese und auf die Ver- erbung Licht zu werfen. Hier berührt Weismann zum erstenmal, wenn auch nur kurz streifend, das Gebiet, auf dem er später in hervorragender Weise sich betätigte. Diesen Untersuchungen ließ \\' eis mann im nächsten Jahr weitere Studien zur Deszen- denztheorie folgen, die unter dem zusammen- fassenden Titel : „Über die letzten Ursachen der Transmutation" vier Einzelabhandlungen brachten. Weis mann sucht an verschiedenen Beispielen nachzuweisen, daß die Annahme einer rein von innen heraus wirkenden Entwicklungs- ursache mit den Tatsachen nicht im Einklang stehe. So leitet er die P'ärbung der Sphingiden- raupen aus einer Anpassung an die Färbung und Gestalt der P'utterpflanzen her, und sucht wahr- scheinlich zu machen, daß diese Raupen ursprünglich einfarbig waren, und daß im Lauf der Zeit nach- einander Längsstreifung, Schrägstreifung und end- lich Augen- und Ringflecke auftraten. Es ist von Interesse, daß etwa 10 Jahr später Eimer dieselbe Entwicklungsfolge der Zeichnungen gerade als Beweise für eine solche, dem Organismus selbst innewohnende Entwicklungsanlage verwertete. Als gewichtiger Grund gegen die Annahme einer N. F. XIV. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. "7 von innen heraus wirkenden phyletischen „Lebens- kraft" erscheint Weismann ferner die Tatsache, daß die Raupen und die Psalter einer und derselben Schmetterlingsordnung durchaus unabhängig von- einander variieren, so daß eine Betrachtung der Raupen allein eine ganz andere systematische Gruppierung der Arten bedingen würde, als die der Falter. Dies scheint ihm durchaus verständ- lich unter Berücksichtigung der Tatsache , daß beide Entwicklungsstände unter ganz verschiedenen äußeren Bedingungen leben, mit einem inneren Entwicklungsgang aber nicht vereinbar. Großes Aufsehen machte damals die im Pariser Jardin des plantes gemachte Beobachtung, daß eine Anzahl mexikanischer Axolotl sich in lungen- atmende, landlebende Tiere umgewandelt hatten; schien doch hier unter den Augen des Beobachters die Bildung einer neuen Art sich vollzogen zu haben. Weismann veranlaßte Fräulein M. v. Chauvin, in seinem Institut die bekannten Versuche anzustellen, die seitdem vielfach wieder- holt und abgeändert wurden. Allerdings war die Deutung, die Weismann damals diesen Ver- suchen gab, nicht die, die wir heute auf Grund genauerer Kenntnis des Sachverhaltes geben. Weis mann sah zwar in der Umwandlung des kiemenatmenden Wassertieres in ein lungenatmen- des Lufttier keine neue Artbildung, er faßte sie vielmehr als einen Rückschlag auf Es war da- mals noch nicht bekannt, daß auch in der Natur die volle Entwicklung der Amblystomaform statt- findet und daß — gerade im Gegensatz zu Weis- mann's damaliger Auffassung — die damals als Siredon pisciformis beschriebenen Axolotl einen typischen Fall von Neotenie darstellen. Diesen Einzelabhandlungen ließ W e i s m a n n als Abschluß der Schrift eine Darlegung seiner Ansicht über die mechanische Auffassung der Natur folgen. „Was ist Naturforschung anderes, als der Versuch, den Mechanismus nach- zuweisen, durch den die Erscheinungen der Welt zustande kommen ?" Er spricht hier die Über- zeugung aus, daß jeder Organismus bis in die kleinste Einzelheit seiner Organisation seinen Lebensbedingungen angepaßt sei, daß selbst die sog. „morphologischen Charaktere" nicht anders sein könnten, als sie sind, ohne dadurch auch andere Teile mit lebenswichtiger Funktion zu beeinflussen, und ferner, daß die Entwicklung „in kleinen und kleinsten Schritten" und so allmählich erfolgt sein müsse, daß jede Abänderung Zeit hatte , sich mit den übrigen Teilen ins Gleich- gewicht zu setzen. Die durch äußere Bedingun- gen hervorgerufenen Abänderungen und die aus- scheidende Wirkung der Naturzüchtung vermögen die Anpassungen durchaus zu erklären, für eine phyletische Lebenskraft bleibe kein Raum. „Wie wir aber hinter der Erscheinungswelt unserer Sinne eine wirkliche Welt annehmen müssen , von deren wahrem Wesen wir nur unvollkommene Kenntnis erhalten , so müssen wir hinter den zweckmäßig oder „zielstrebig" zusammenwirken- den Kräften der Natur eine ihrem Wesen nach nicht weiter erkennbare Ursache erschließen, von der wir eben nur das eine mit Bestimmtheit aussagen können, daß sie eine teleologische sein muß. Wie die erste Erkenntnis uns erst den wahren Wert unserer Sinneseindrücke erkennen läßt, so läßt die zweite uns erst die wahre Be- deutung des Weltmechanismus ahnen. . . . Wenn man aber gefragt wird , wie denn das Geistige, das Empfindende, Wollende und Denkende in uns selbst und in der übrigen Tierwelt in den mechanischen Prozeß der organischen Entwicklung hineinpasse, ob denn auch die Entwicklung der Seele als rein mechanischen Gesetzen folgend gedacht werden könne, so antworte ich unbedenk- lich mit den reinen Materialisten bejahend. . . So mag denn das Plnd- und Hauptresultat dieser Schrift in dem versuchten Nachweis gefunden werden, daß die mechanische Naturauffassungsich mit einer teleologischen Weltauffassung nicht nur verbinden lasse , sondern mit ihr verbunden wer- den müsse." Bevor wir nun an der Hand der weiteren des- zendenztheoretischen Schriften Weismann's im einzelnen verfolgen, wie sich allmählich. Schritt für Schritt, seine Entwicklungs- und Vererbungs- theorie aufbaute, muß zunächst noch einer Reihe von Untersuchungen gedacht werden, die schein- bar von diesem Thema weit abliegen, dennoch aber durch ihre Ergebnisse zur Ausgestaltung der Weismann 'sehen Lehre wesentlich beigetragen haben. Schon im Jahre 1874 erschien, als erstes Er- gebnis seiner wieder aufgenommenen mikroskopi- schen Arbeiten, die Abhandlung über Bau und Lebenserscheinungen derLeptodora hya- lin a. Diese durch ihre Durchsichtigkeit ausge- zeichnete Cladocere, deren Bau Weismann hier eingehend monographisch darstellt, erschien ihm mit ihrer wenig entwickelten, napfförmigen Schale, ihrer scharfen Körpergliederung und der ver- hältnismäßig großen Zahl ihrer Gliedmaßen als eine primitive, der Stammform nahestehende Art. Indem er weiterhin die Entwicklung und die Fortpflanzungsverhältnisse dieses kleinen Krebses studierte, und diese Studien auf andere Arten der Daphniden ausdehnte, erschien im Laufe der folgenden Jahre eine Anzahl von Abhandlungen unter dem Titel „Beiträge zur Naturge- schichte der Daphniden" (Zeitschrift für Wissenschaft!. Zoologie, 1876 — 1880), die nament- lich die Bedeutung der Wintereier und die zykli- sche Generationsfolge bei vielen Daphnidenarten zum Gegenstande hatten. Die Daphniden pflanzen sich Generationen hindurch rein parthenogenetisch durch rasch entwickelte „Subitaneier" fort; gegen den Winter oder bei Eintritt ungünstiger Lebens- bedingungen treten Männchen auf, und nach er- folgter Befruchtung entwickeln sich hartschalige, durch einen Teil des mütterlichen Panzers, das Ephip- pium, umhüllte Dauer- oder Wintereier, die einen längeren Ruhezustand überdauern können und den ii8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 8 Bestand der Art über ungünstige Zeiten hinweg sichern. Diese Aufeinanderfolge in verschiedener Weise sich fortpflanzender Generationen forderte einmal zum Vergleich mit echtem Generations- wechsel auf, dann aber auch mit dem Saisondimor- phismus der Schmetterlinge. Von diesem ist die zyklische Entwicklung der Daphniden dadurch unterschieden , daß auf die Schmetterlingspuppen zweier aufeinanderfolgender Generationen infolge des Wechsels der Jahreszeiten verschiedene äußere Bedingungen einwirken, während die Daphniden- generation, die — als vorletzte des Zyklus — Dauereier hervorbringt und aus Tieren beiderlei Geschlechts besteht, unter ganz denselben Be- dingungen lebt wie die früheren, rein weiblichen, die sich durch Subitancier fortpflanzen. Weis- mann versucht diesen zyklischen Wechsel, ganz im Sinne seiner später entwickelten Theorie, durch alleinige Wirkung der natürlichen Auslese ver- ständlich zu machen : „Wenn also fünf Genera- tionen einen Zyklus bildet: und zwar so, daß die Generationen a, b, c, d nur aus Subitanweibchen bestehen, die letzte allein aus Geschlechtslieren, so kann sich dieser Zyklus nur dadurch gebildet haben, daß die Keime der geschlechtlichen Gene- ration e durch natürliche Auslese der auf sie fol- genden Generation a allmählich derart abänderten, daß sie nicht mehr die ursprünglichen Geschlcchts- tiere hervorbrachten, sondern nur noch Subitan- weibchen; ebenso werden die Keime der Gene- ration a durch Auslese der auf sie folgenden Generation b in Subitankeime verwandelt worden sein, desgleichen die Keime der Generationen b und c durch Auslese der reifen Tiere der Generationen c und d. So muß also eine Reihe von Genera- tionen entstanden sein, welche nur aus Subitan- weibchen bestanden und zugleich auch nur diese Subitanweibchen hervorbrachten, nämlich die Generationen a, b und c. Die Keime der Gene- ration d, der vorletzten des als Beispiel angenom- menen Zyklus, müssen dagegen durch umgekehrte Auslese in der letzten Generation die ursprüng- liche Beschaffenheit beibehalten und sich nach wie vor zu Geschlechtstieren entwickelt haben, denn diese (die vorletzte) Generation des Zyklus hat sich aus Geschlechtstieren in Subitanweibchen umgewandelt, dabei aber die Eigenschaft beibe- halten, Eier zu produzieren, aus denen sich Ge- schlechtstiere entwickeln." Es ist nicht zu leugnen, daß diese Deduktion doch zu mancherlei Bedenken Anlaß gibt, wie sich denn schon hier, und auch an manchen Stellen früherer Arbeiten, ein stark theoretischer Einschlag geltend macht. Weis- m a n n ' s ausgesprochene Veranlagung für deduk- tive Verknüpfung der induktiv gewonnenen Tat- sachen, die seine Vererbungstheorie, an sich be- trachtet, als ein in sich geschlossenes, logisches Meisterwerk erscheinen läßt, macht auch anderer- seits ihre Schwäche aus, indem hier und da ganz unwillkürlich Deduktionen an Stelle von Tatsachen treten. So wird man nicht zugeben können, daß die Erwägungen, deren Zusammenfassung oben mit Weismann's eigenen Worten wiederge- geben wurde, das Problem der zyklischen Entwick- lung dieser Krebse, das ja bis in unsere Tage noch den Gegenstand experimenteller Forschung bildet, restlos lösen. Noch zu anderen Beobachtungen geben diese Entomostraken Weismann Gelegenheit. Bunte Färbungen, die sich bei manchen Daph- niden, und zwar meist bei beiden Geschlechtern, seltener nur bei einem finden, deutet er als Schmuckfärbungen und denkt sie durch alternie- rende geschlechtliche Auslese erworben, indem im Beginn jeder Sexualperiode die noch seltenen Männchen die schönsten Weibchen bevorzugen, während später die Weibchen die Wahl unter den häufiger gewordenen Männchen treffen. Auch wer durch die Experimente von v. Heß noch nicht von der Farbenblindheit aller Arthropoden über- zeugt ist, dürfte diese Deutung wohl für zweifel- haft halten; ist doch ohnehin die sexuelle Auslese einer der schwächsten Punkte der Darwinschen Lehre; Weismann aber war bis zuletzt ein An- hänger Darwin 's auch in diesem Punkt und spricht noch in der dritten .Auflage seiner Vor- träge über Deszendenztheorie (1913) aus, daß wir die glänzenden Färbungen der Daphniden ,,kaum anders denn als Wirkungen geschlechtlicher Zucht- wahl deuten können". In das gleiche Jahr (1878) fällt Weismann's kleine Veröffentlichung über die Duftschuppen der Schmetterlinge. Sehen wir in diesen Arbeiten Weismann schon als Vorkämpfer ausgedehntester Geltung des Selektionsprinzips, so treffen wir in seiner wenige Jahre später veröftentlichten größeren Arbeit über die Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen (i 884) auf einen anderen, in seinen späteren theoretischen Arbeiten weiter ausgeführten Gedanken. Bei der Mehrzahl der Hydromedusen findet sich bekanntlich ein echter Generationswechsel, indem der festsitzende Polyp dui-ch Knospung freischwimmende Medusen er- zeugt, die ihrerseits die Geschlechtszellen hervor- bringen. Weismann zeigte nun, daß die ur- sprüngliche Keimstätte das Ektoderm des Manu- briums (Mundstiels) der Medusen ist ; dasselbe gilt auch für die Hydromedusen, die nicht freischwim- mende Medusen, sondern mehr oder weniger rückgebildete, dauernd am Polypenkörper sitzen bleibende Gonophoren erzeugen. Nun ließ sich weiter zeigen, daß im gleichen Schritt mit dieser Rückbildung der Knospen auch eine Verlagerung der Keimstätte erfolgt, so daß diese nicht mehr im Manubrium, sondern im Ektoderm der Knospe, bei noch anderen Arten im Entoderm, bei noch weiterer Rückbildung der Gonophoren end- lich im Entoderm des Stammes angelegt wird, von wo die Sexualzellen dann zu ihrer Reifungs- stätte hinwandern. Diese Verschiebung der Keimstätte bringt es mit sich, daß die Entwick- lung der Keimzellen zu einer früheren Zeit im Lauf der Ontogenese erfolgen kann. Aus der Art und Weise dieser phylogenedschen Verschie- N. F. XIV. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 119 bung zieht nun Weis mann den Schluß, „daß bestimmte somatische Zellen und Zellfolgen Träger von Molekülgruppen des Keimplasmas sind und die Kontinuität des Keiniplasmas durch die Gene- rationen hindurch vermitteln. Die Hydromedusen bilden somit einen Beweis dieser Kontinuität auch für diejenigen Fälle, in denen die Keimzellen sich noch nicht während der Embryonalperiode von den somatischen Zellen trennen". Diese letzten Sätze führen uns mitten hinein in die Anschauungen, die sich W e i s m a n n damals bereits über die Vorgänge der Entwicklung und Vererbung gebildet und mit deren Veröffent- lichung und allmählichem Ausbau er schon etwas früher begonnen hatte. Ein neuer Rückfall seines Augenleidens, das sich in der Folge nicht wieder dauernd besserte, nötigte ihn zu Anfang der acht- ziger Jahre ganz auf längeres Arbeiten am Mikro- skop zu verzichten, und den Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Tätigkeit auf den weiteren Aus- bau seiner Vererbungstheorie zu legen, die — ganz gleich, wie man sich zu seinen Anschauungen im einzelnen stellen mag — in ihrer geschlossenen Durchführung und ihrem bis ins einzelnste durch- dachten Gefüge einen dauernden Platz in der Ge- schichte der Entwicklungsbahn behalten wird. Es ist von großem Interesse, der Entwicklung dieser Theorie an der Hand seiner wichtigsten Abhandlungen zu folgen, und zu sehen, wie sich allmählich Stein auf Stein fügte, bis das Bauwerk vollendet war. Der Satz, daß alle Eigentümlichkeiten der Or- ganismen, bis zu den kleinsten und scheinbar un- bedeutendsten, Anpassungen an die Lebensbedin- gungen seien, ist ein Grundgedanke der Weis- mann'sehen Theorie. Es ergab sich daher für U' e i s m a n n die Frage, ob auch der natürliche Tod des Einzelwesens als eine nützliche Anpassung zu deuten sei. Dieser Frage hat er zwei kleine Schriften gewidmet und ist in seinen späteren Er- örterungen wiederholt darauf zurückgekommen. In einem Vortrage über ,,Die Dauer des Lebens" führt er aus, daß die Lebensdauer der Organismen durch eine Reihe von Umständen be- dingt werde: die Zeit, die der Organismus zur Erlangung der Fortpflanzungsreife braucht; die Zeit, die zur Hervorbringung einer den Fort- bestand der Art sichernden Menge von Nach- kommen erforderlich ist ; die größere oder ge- ringere Schwierigkeit des Nahrungservverbs; die größere oder geringere Gefährdung, der das Leben des betreffenden Organismus ausgesetzt ist und endlich die etwa bestehende Notwendigkeit einer Brutpflege. Bei den Einzelligen besteht nach Weismann's Auffassung ein natürlicher Tod nicht, sie sind potentiell unsterblich, fähig, sich unbegrenzt durch Teilung fortzupflanzen, wobei das Mutterindividuum nicht zugrunde geht, son- dern in seinen beiden Nachkommen fortlebt. Erst bei den Vielzelligen sei der Tod als zweckmäßige Anpassung entstanden, da hohes Lebensalter in der Regel zur Minderwertigkeit des alternden In- dividuums führt, das dann besseren den Raum nimmt, und da das Einzelwesen seine Bedeutung für den Fortbestand der Art erfüllt hat, sobald dieser durch hinlängliche Nachkommen gesichert ist. Geschieht dies, wie bei vielen Insekten und niederen Tieren durch einen einzigen Fort- pflanzungs- oder Begattungsakt, so tritt unmittel- bar nach diesem der Tod ein ; andernfalls dauert das Leben bis die nötige Nachkommenzahl er- reicht und die Brutpflege beendet ist. Im An- schluß an diese theoretischen Betrachtungen stellt Weismann in einer systematischen Tabelle alles zusammen, was bis dahin über die durch- schnittliche Lebensdauer verschiedener Tiere be- kannt war. — Diesen Ausführungen widersprach Goette in einer Schrift „Über den Ursprung des Todes" (1883), in der er die Enzystierung der Einzelligen mit dem Tode der höheren Organismen verglich, und den Tod als eine allen Organismen gemeinsame, durch die Fortpflanzung bedingte Eigentümlichkeit betrachtete. Auch sei nicht zu verstehen, daß die Eigenschaft der Unsterblichkeit, einmal vorhanden, wieder hätte verloren gehen können. Weis mann erwiderte in einer neuen Schrift „Über Leben und Tod" (1883), bestritt die Vergleichbarkeit der Enzystierung mit dem Tode, und führte aus, daß durch Teilung un- gleichartiger Teile recht wohl eine sterbliche und eine unsterbliche Zelle entstehen könne. Die potentielle Unsterblichkeit sei bei den Viel- zelligen auf die Keimzellen beschränkt, welche den Körperzellen gegenüber, die als somatische oder Somazellen bezeichnet werden , eine besondere Stellung einnehmen. Da die Unsterblichkeit der Somazellen für die Arterhaltung nicht mehr not- wendig sei, sei sie nicht mehr durch Selektion begünstigt worden und daher geschwunden. Diese Scheidung von Soma- und Keimzellen ist nun der Ausgangspunkt der W eis mann - sehen Vererbungslehre, deren ersten Entwurf er in demselben Jahr in der kleinen Schrift „Über die Vererbung" (1883) widerlegte. Für die von Lamarck angenommene Vererbung er- worbener Eigenschaften, die erbliche Wirkung von Gebrauch und Nichtgebrauch, vermißt Weis- mann einen auch nur in einem Fall streng durchgeführten Beweis; die einzigen etwa in Be- tracht kommenden Fälle, die Versuche Brown- Siiquard's über die erbliche traumatische Epi- lepsie bei Meerschweinchen, bedürfen genauer Nachprüfung. Wenn auch ein Gegenbeweis schwer zu führen sei, so dürfe doch eine Vererbung er- worbener Eigenschaften nur dann angenommen werden, wenn keine andere Erklärung möglich sei. Demgegenüber stellt nun W e i s m a n n seine Theorie von der Kontinuität des Keimplasmas auf. Er nimmt an, daß schon in der Eizelle die An- lagen zu allen später im Organismus sich voll- ziehenden Zelldifferenzierungen vorhanden seien. Die Eifurchung teilt die Eizellen in ungleich- artige Teilzellen; das durch besondere Molekular- struktur charakterisierte Keimplasma bleibt nur Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 8 in den Zellen unverändert erhalten, aus denen später die Keimzellen des neuen Organismus her- \-orgehen; die übrigen, aus denen die einzelnen Organe sich herausbilden, enthalten ein Plasma, das weniger Entwicklungsmöglichkeiten zuläßt und jede fernere Teilung bringt eine weitere Be- schränkung der möglichen Fortentwicklung der Teilzellen mit sich. Dabei läßt Weismann es hier einstweilen ganz dahingestellt, wie man sich diese in der Fizelle — oder Somazelle — befind- lichen Anlagen vorstellen solle, ob in Form che- mischer Differenzen oder abweichender moleku- larer Anordnung. Jede Abänderung führt Weis- mann auf äußere Einflüsse zurück, die auf den Kern von Beginn der Furchung einwirken. „Von dem Moment, in welchem die Vorbereitungen zur ersten I-'urchung der Eizelle beginnen, ist bereits darüber entschieden, was für ein Organismus aus ihr werden wird, ob ein großer oder kleiner, ob ein dem Vater oder der Mutter mehr ähnlicher usw." ,,Die Steigerung eines Organs im Lauf der Generationen beruht nicht auf einer Summierung der Übungsresultate des Einzellebens, sondern auf einer Summierung günstiger Keimesanlagen." Auch das Verschwinden eines Organs erklärt Weismann allein durch Naturzüchtung, sei es, daß die Rückbildung direkt nützlich sei, sei es, daß das Organ nur nutzlos und damit der schädigenden Wirkung der Selektion entzogen sei. Es verschwindet dann allmählich infolge des ,, Kampfes der Teile im Organismus", wie ihn Roux in seiner bekannten Abhandlung kurz zu- vor erörtert hatte, sowie infolge der allseitigen freien Kreuzung der Individuen, für die Weis- mann damals zuerst den Ausdruck „Panmixie" einführte. Weder die Verstärkung noch die Ver- kümmerung eines Organs kann nach W e i s m a n n durch die Wirkung des Gebrauchs oder Nicht- gebrauchs im Sinne Lamarck's erklärt werden. (Schluß folgt.) Der Nachweis der Kartoifel im Brot. Von W. Herter. [Nachdruck verboten.] Mit 6 Infolge der Verordnung des Bundesrats vom 28. Oktober 1914 darf vom i. Dezember 1914 ab Roggenbrot in den Verkehr nur gebracht werden, wenn zur Bereitung auch Kartoffel verwendet ist. Der Kartoffelgehalt muß bei Ver- wendung von Ka rto f f el fl oc ke n, Kartoffel- walzmehl oder Kart o ffelstärkem ehl min- destens 5 Gewichtsteile auf 95 Gewichtsteile Roggenmehl betragen. Roggenbrot, zu dessen Bereitung mehr Gewichtsteile Kartoffel verwendet sind, muß mit dem Buchstaben K bezeichnet werden. Beträgt der Kartoffelgehalt mehr als 20 Gewichtsteile, so muß dem Buchstaben K die Zahl der Gewichtsteile in arabischen Ziffern hin- zugefügt werden. Werden gequetschte oder geriebene Kartoffeln verwendet, so ent- sprechen 4 Gewichtsteile einem Gewichtsteil Kartoffelflocken, Kartoffelwalzmehl oder Kartoffel- Stärkemehl. ') Es darf angenommen werden, daß gegen diese Verordnung absichtliche Verstöße nicht vor- kommen werden. Trotzdem schien es mir als Mitarbeiter der Versuchsanstalt für Getreidever- arbeitung, Berlin, Seestraße 4a, angebracht, ein "') Durch Bundesratsbeschluß vom 5. Januar 1915 ist die für Roggenbrot vorgeschriebene Kartotifelmenge verdoppelt worden. Vom 15. Januar 1915 ab muß infolgedessen der Kartoffelgehalt bei Verwendung von Kartoffelllocken, Kartoftel- walzmehl oder Kartoffelstärkemehl mindestens 10 — bei Ver- wendung von gequetschter oder geriebener Kartoffel minde- stens 30 — Gewichtsteile betragen. Höherer Zusatz ist durch den Buchstaben K , Zusatz von mehr als 20 — bzw. 40 — Gewichtsteilen Kartoffel durch die Buchstaben KK zu kenn- zeichnen. Kommißbrot ist von der Vorschrift ausgenommen. Anstelle der Kartofi'el kann auch Hafer, Gerste oder Reis verwendet werden. Figuren. Verfahren auszuarbeiten, welches gestattet, Kartoffelzusatz im Brot qualitativ und quantitativ festzustellen. Bisher bereitete schon die bloße Erkennung der Kartoffel im Brot gewisse Schwierigkeiten. So berichtet A. Behre*), daß ihm die Versuche, geringe Mengen von Kartoffelwalzmehl im Brot auf chemischem wie auf mikroskopischem Wege nachzuweisen, gänzlich mißlangen. C. Griebe 1") beschreibt zwar ein Verfahren , geringe Mengen Kartoffelwalzmehl iin Brot festzustellen, doch be- ruht seine Methode allein auf dem Nachweis der verkorkten Schalenteile und Gefäße der Kartoffel, so daß sie wohl nur für die schalen- und ge- fäßhalt igen Kartoffelerzeugnisse brauchbar ist, die für die menschliche Ernährung kaum in P'rage kommen dürften, andererseits ist eine quantita- tive-Bestimmung des Kartofifelzusatzes auf diese Weise nicht möglich. Das im folgenden kurz geschilderte Verfahren berücksichtigt sämtliche überhaupt vorkommenden Kartoffelerzeugnisse gleichmäßig und gestattet außerdem, mit einiger Genauigkeit den Prozent- gehalt der Kartoffel im Brot anzugeben. Die verschiedenen Kartoffelerzeugnisse lassen sich in zwei Gruppen einteilen, die dadurch unter- schieden sind, daß die Produkte der einen Gruppe ohne, die der anderen mit Anwendung von feuchter Hitze gewonnen sind und daß sich ') A. Behre, Bericht über die Nahrungsmittelkontrolle in der Stadt Chemnitz im Jahre 1908. (Pharmazeutische Zentral- halle, Band 50, S. 171, 1909). ^) C. G riebet, Nachweis von Patentwalzmehl im Brot. (Zeitschr. f. Untersuchung d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 17, S. 657, 1909.) o O o ^ o ^1 o o O "' Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 8 demnach die Kartoffelstärke in den Produkten der ersten Gruppe in unverändertem, in den Produkten der zweiten in verändertem Zu- stande befindet. Unter diese beiden Gruppen verteilen sich die für die Bäckerei in Frage kommenden; Kartoffelerzeugnisse folgendermaßen: 1. Gruppe: Rohe Kartoffeln; gerieben, oder durch Auswaschen zu „Kartoffelstärke" oder „Kartoffelstärkemehl" („Kartoffelmehl" des Handels) verarbeitet. 2. Gruppe: Gekochte Kartoffeln; gequetscht oder zu „Kartoffelflocken" oder „Kartoffelwalz- mehl" verarbeitet. In beiden Gruppen kommen ungeschälte und geschälte , feuchte und trockene Produkte vor. Je nachdem ein Produkt der ersten oder zweiten Gruppe vorliegt, ergibt die mikroskopische Unter- suchung ein sehr verschiedenes Bild. Die Produkte der ersten Gruppe ent- halten die Stärke in folgender Gestalt: Stark lichtbrechende, unregelmäßig länglich-ellipsoidische, meist eiförmige, oft abgerundet drei- oder vier- kantige oder rhombische, keil-, muschel- oder fast beilförmige Körper mit exzentrischem Kern, der an dem schmalen Ende liegt und um den sich eine große Anzahl konzentrischer Ringe gruppiert. Auch zusammengesetzte Körner kommen vor. Nie finden sich aber abgeplattete, scheibenförmige Körner mit kreisförmigem Umriß und zentralem Kern, die von der Seite betrachtet linsenförmig erscheinen. Der Längsdurchmesser der Körner schwankt von wenigen n bis zu etwa I20 fx. Die größten Körner messen gewöhnlich 80 — 100, die mittleren 50—60, die kleineren 20—30 II (vgl. Fig. 4). Die Produkte der zweiten Gruppe ent- halten keine Stärkekörner. Die Stärke hat sich im Innern der Stärkezellen in Kleister umge- wandelt. Alle Übergänge zwischen Stärke und Kleister findet man in einer halb gar gekochten Kartoffel. In einigen Zellen liegen die Stärke- körner noch unverändert, in anderen lassen sie bereits die beginnende Verkleisterung erkennen, wieder andere Zellen sind mit Kleister angefüllt. Diese „Kleisterzellen" haben folgende Gestalt : Es sind abgerundet polyedrische oder ellip- soidische bis kugelige Gebilde, die nicht licht- brechend, meist schwach gelblich gefärbt er- scheinen und zahlreiche zarte unregelmäßige Aderungen erkennen lassen. Ihre Größe schwankt zwischen 100 und 300 /«. Die Form der Stärke- körner ist im Innern der Zellen nicht mehr zu erkennen (vgl. Fig. 6). Im Roggen m eh 1 sind diese beiden Elemente der Kartoffel, Stärkekörner und Kleisterzellen, leicht zu erkennen. Roggenstärke, der Haupt- bestandteil des Roggcnmehls, sieht nämlich fol- gcnderniaf^en aus: Wenig lichtbrechende, abgeplattete, Scheiben-, linsen- oder knopfförmige Körner mit kreis- förmigem, seltener unregelmäßigem Umriß, zen- tralem Kern und häufig mit sternförmigem Zen- tralspalt. Bisweilen ist eine zarte konzentrische Schichtung zu erkennen. Zusammengesetzte Körner sind selten. Nie ist die Schichtung so ausge- prägt wie bei der Kartoft'elstärke, nie liegt der Kern exzentrisch, nie sind die Körner eiförmig oder stark lichtbrechend. Der Durchmesser der Körner schwankt von wenigen /< bis zu etwa 6o {X. Die größeren Körner messen durchschnitt- lich 40 /«, während die größeren Körner der Kartoffelstärke durchschnittlich etwa 70 jx, die Kleisterzellen etwa 200 (x groß sind (vgl. Fig. i). Ist es im Mehl verhältnismäßig leicht, die Kartoffelelemente aufzufinden, so bereitet die Er- kennung derselben im fertigen Gebäck einige Schwierigkeiten. Hier sind alle Teilchen gequollen, verklebt und nicht leicht voneinander zu trennen. Das Brot wird daher vor der mikroskopischen Untersuchung zweckmäßig in folgender Weise vorbereitet: Ein kleines Körnchen Brotkrume wird in etwas Wasser aufgeweicht und zerkleinert. Eine kleine Probe der aufgeweichten IVIasse wird auf dem Objektträger in einem kleinen Tropfen Wasser mit einer Lanzettnadel oder mit Hilfe des Deck- gläschens recht fein, aber ohne Anwendung von Gewalt zerrieben und möglichst gleichmäßig ver- teilt. Bei genügender Trennung der einzelnen Teil- chen erkennt man, daß die Roggenstärke etwa folgendes Aussehen angenommen hat: Die Körner sind stark verquollen, ihre Ober- fläche ist runzelig geworden. Sie sind nicht mehr Scheiben- oder linsenförmig, die Ränder sind viel- mehr in mannigfacher Weise verbogen, oft bis zur gegenseitigen Berührung eingerollt oder um- geklappt, es sind Schüssel-, sattel-, tüten-, hufeisen-, halbmondförmige Gebilde entstanden. Der Umriß erscheint nicht mehr kreisförmig, sondern häufig viereckig, dreieckig oder halbkreisförmig, vielfach eingebuchtet. Der Zentralspalt ist stark vergrößert. Im verquollenen Zustande sind die Roggenstärke- körner beträchtlich gi'ößer als im unver(]uollenen Zustande. Immerhin erreichen sie nur selten einen Durchmesser von 100 /«. Die größeren Körner messen durchsclinittlich 70 /< (vgl. Fig. 2). Besonders schön treten die eben erwähnten charakteristischen Formen auf, wenn die im Wasser zerkleinerte Brotkrume Y> Stunde lang gekocht worden ist. In diesem Falle verschwindet die Runzelung, während die Ouellung der Ränder fort- schreitet (vgl. Mg. 3). Ebenso bedeutende Umwandlungen wie die Roggenstärke erfährt die Kartoffelstärke im Brot. Statt der glatten, eiförmigen, gleichmäßig ge- schichteten, mit exzentrischem Kern versehenen Körner finden sich jetzt stark verquollene, mehr oder weniger gehirnartig gewundene Gebilde von länglichem , aber unregelmäßigem Umriß. Die Körner sind tief gefurcht. Schichtung und Kern sind nicht mehr zu erkennen. Dagegen fällt wieder das hohe Lichtbrechungsvermögen auf. Die Körner N. F. XIV. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. erreichen oft 120 und 150 u, auch wohl mehr. Die durchschnittliche Größe der größeren Körner beträgt meist etwa 100 /< (vgl. Fig. 5). Durch V., stündiges Kochen der Probe werden die Stärkekörner nicht verändert. Im Gegensatz zu den Stärkekörnern bleiben die Kleisterzellen in Gebacken unverändert (vgl. Fig. 6). Auch nach Kochen der Probe bleibt die typische Form der Kleisterzellen erhalten. Es erfordert einige Übung, die beiden Elemente, Kartoffelstärkekörner und Kartoffelkleisterzellen zwischen den verquollenen Roggenstärkekörnern im Brot herauszufinden. Ist man sich aber einmal über die Unterschiede völlig im klaren, so gelingt es auch, durch Zähl- und Schätzverfahren den Ge- halt an Kartoffel in Prozenten anzugeben. Bedeutend verfeinert wird das Verfahren durch Anwendung von I" a r b 1 ö s u n g e n. Methylen- blau und Gentianaviolett färben zuerst die Kartoffelkleisterzellen, sodann die Kartoffelstärke- körner und erst zum Schluß die Roggenstärke- körner. Kongorot färbt ebenfalls zuerst die Kleisterzellen, dann aber die Roggenstärke und erst zum Schluß die Kartoffelstärke. Durch Zusatz eines Tropfens Farblösung in geeigneter Verdün- nung zu dem Präparat erhält man daher ein Bild, in dem die Kleisterzellen tiefblau, violett oder purpurrot gefärbt sind, während sich die Kartoffel- stärkekörner entweder als hellblau oder hellviolett gefärbte Körperchen von der ungefärbten Roggen- stärke oder als ungefärbte lichtbrechende Körper von der rosa gefärbten Roggenstärke abheben. Daß der Nachweis von Kartoffel im Brot von hohem praktischen Interesse ist, beweisen die zahl- reichen Anfragen über diesen Gegenstand, die in den letzten Wochen bei der Versuchsanstalt für Getreideverarbeitung eingegangen sind. Einzelberichte. Völkerpsychologie. Übertragung von Kultur- gütern. Der Kulturbesitz der meisten Völker ist sehr mannigfaltig zusammengesetzt. Das zeigt Dr. Otto Reche an dem Beispiel der Stämme des abflußlosen Gebietes von Deutsch-Ostafrika.') Nur bei ganz primitiven Völkern ist der Kultur- besitz einheitlich. Reche sagt zwar nicht, ob es seiner Ansicht nach heute noch ein so primitives Volk gibt, doch ist es unwahrscheinlich. Wo dieses Stadium überwunden ist, setzen sich die Kulturen aus älteren und jüngeren Elementen zusammen. Die letzteren sind zu dem ursprüng- lichen Urgut an Kultur in späteren Zeiten hinzugekommen und werden als F r e m d g u t bezeichnet. Fremde Kulturelemente können von einem Volk auf zweierlei Art übernommen werden ; nämlich i. indem sie von einem anderen Stamme entlehnt werden, in welchem Fall sie Lehngut sind, oder 2. indem sie von den Angehörigen eines in der betreffenden Bevölkerung aufgehenden fremden Stammes hineingetragen und durch Blutmischung psychologisch weiter vererbt werden. Diesen durch Rassenkreuzung übertragenen und vererbten Kulturbesitz bezeichnet Reche als E r b f r e m d g u t. Dieses Kulturelement ist immer an einen bestimmten psychologischen Habitus geknüpft, ,,sein Entstehen ist also nur aus einem ganz bestimmten Milieu und einer charakteristischen Rassenveranlagung zu erklären. Zu erkennen ist es daran, daß es ähnlich wie das Lehngut bei der Betrachtung einer Kultur in gewissem Sinne als P"remdkörper erscheint; vom Lehngut unter- scheidet es sich andererseits besonders dadurch, daß bei ihm auch der geistige Inhalt ') Ethnographie des abflußlosen Gebietes Deutsch - Ost- afrikas S. 121 ff. Hamburg 1914, Friederichsen. Übernommen wurde, was bei der Entlehnung in der Regel nicht der Fall ist." Trifft man bei einem Volk solches Erbfremdgut an, so wird man aus diesem Umstände folgern dürfen, daß eine Blutmischung mit einem kulturell anders gearteten Volk stattfand. Das Lehngut hingegen weist lediglich auf äußere Berührung hin. Es ist des- halb erforderhch, beide Arten von Kulturfremdgut scharf voneinander zu scheiden, da man nur dann verläßlichen Aufschluß über die Geschichte von Völkern ohne schriftliche Überlieferungen erhalten kann. Bei den Völkern des abflußlosen Gebietes von Deutsch-Ostafrika, deren Kulturbesitz Dr. Reche im einzelnen beschreibt, finden sich viele Kultur- elemente, die sich nur als Erbfremdgut auffassen lassen, deren Vorhandensein also einzig und allein aus einer Blutmischung zu erklären ist. Als Bei- spiel führt Reche die übertriebene Wertschätzung des Rindviehs bei solchen Stämmen an (wie etwa bei den Nyaturu), deren Wirtschaftsgrundlage der Hackbau ist, welcher mit der Rinderhaltung in keinem inneren Zusammenhange steht. Reche meint, ,, dieser förmliche Kultus des Rindes kann sich nur, wenn wir von den Völkern mit Pflug- baukultur absehen, bei einem typischen Hirten- volke entwickelt haben , dessen gesamte Lebens- haltung auf der Rinderzucht beruhte. Die Inter- essen des Hackbauers liegen ja in ganz anderer Richtung, sein Denken und Fühlen hat sich mit ganz anderen Dingen zu befassen; das Rind ist bei ihm nie Vorbedingung seines Daseins, sondern nur eine Art Luxusbesitz, zumal die Mistdüngung in Afrika eine ziemlich untergeordnete Rolle spielt und das Fleisch der Rinder von den Hackbauern so gut wie gar nicht benutzt wird. Der Hack- bauer wird also weder aus sich heraus diese über- triebene Liebe zum Rinde entwickeln, noch sie 1-4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 8 so ohne weiteres entlehnen können, denn dazu fehlt ihm nicht nur das Bedürfnis, son- dern auch die geistige Disposition. Also ist die Annahme berechtigt, daß überall dort, wo sich bei Hackbauern eine außergewöhn- liche Wertschätzung des Rindes findet, Träger dieser Ideen eingewandert und durch Blutmischung in der Bevölkerung aufgegangen sind, eine Ver- mutung, die sich übrigens meist auch mit dem anthropologischen Befunde deckt." Die Träger der Hirtenkultur in Deutsch-Ostafrika können nur Hamiten ^) gewesen sein. Zu dem Komplex der Hirtenkullur, die mit den Hamiten zu den Hackbauerstämmen drang, gehört die bevorzugte Verwendung von tierischem Material zur Her- stellung von Kleidung, Schmuck, Bindgarn und Wafifen. Auch die ausgesprochene Raublust, wie sie Reche bei den Nyaturu fand, führt er auf den Einfluß hamitischen Blutes zurück; „der typische Hackbauer ist nicht in dieser Weise aggressiv, sondern froh, wenn man ihn selbst in Ruhe läßt; der Nomade dagegen sucht stets zu ernten, wo er nicht gesät hat". Bei anderen Stämmen desselben Gebiets sind im Gegensatz zu den Nyaturu und ihren nahen Verwandten die mit dem Hackbau zusammen- hängenden Kulturelemente als ererbtes Fremdgut zu betrachten, das durch Rassenkreuzung eindrang: „Die eine hamitische Sprache redenden Fiomi beispielsweise dürften ursprünglich reine Hamiten und ein Hirtenvolk gewesen sein. Heute sind sie fleißige und besonders erfolgreiche Hackbauer und leben hauptsächlich von den Erträgnissen ihrer Felder. Nun ist es aber so gut wie aus- geschlossen, daß sich bei reinrassigen Hamiten ein intensiver Hackbau entwickeln könnte; das durchaus seßhafte an die Scholle gebundene Leben widerspricht gar zu sehr allen ererbten nomadi- schen Tendenzen. Wir werden also bei den Fiomi eine Beimischung von Hackbauerblut an- nehmen dürfen." Es ist wahrscheinlich, daß die Hackbaukultur mit den Bantunegern nach Deutsch- Ostafrika kam. Nicht zum eigenen Kulturbesitz eines Volkes gehört das Importgut, das — wie Reche sagt — oft einen viel größeren Raum einnimmt, als man vermutet. So findet man bei den bereits erwähnten Fiomi einen großen Reichtum an man- nigfachen und kunstvollen Geräten und Waffen, die aber fast ausnahmslos von den Nachbarstämmen eingehandelt werden. Importiert ist ferner in das abflußlose Gebiet Dcutseh-Ostafrikas, wenn man vom Stamme der Irangi absieht, das Eisen, dessen Gewinnung aus Erzen man nicht versteht. Roh- eisen wird eingehandelt und durch Schmieden weiter verarbeitet. Manche Stämme, wie die Fiomi und Kindiga, scheinen auch die Töpferei nicht zu kennen, während andere das einfache Geschirr selbst herstellen, das bessere aber von anderwärts bezichen. H. Fehlinger. ') Vgl. Kelilinger, Neues von der Anthropographic, Naturw. Wochenschr. 1913, S. 553. Über die Anfange der Kunst bei den Zwergvölkern hat Karl Schroeter Stu- dien ausgeführt und die auf die Wedda auf Ceylon, die Kubu auf Sumatra, die Andamanesen und die Negrito der Philippinen bezüglichen Er- gebnisse (zusammen mit Betrachtungen über die Anfänge der Kunst im Tierreich) in Heft 30 der „Beiträge zur Kultur- und Universalgeschichte" veröffentlicht (Leipzig 1914, Vogtländers Verlag). Schroeter betrachtet als Grundlage der Kunst die Ausdruckstätigkeit. Die Untersuchung der Ausdrucksbetätigungen auf ihre Motive hin zeigt, daß die unwillkürlichen den willkürlichen Hand- lungen vorauszusetzen sind, daß sich allmählich eine Zielbewußtheit ausbildet, wobei das be- sondere Ziel die Lusterregung ist. Diese kann durch Handlungen direkt erstrebt werden, was als Spiel bezeichnet wird, oder indirekt durch Vorteils- erlangung. Als eine vollkommenste spielerische Betätigung, deren Ziel das Schöne ist, erscheint die Kunst. Zielbewußtheit ist bei Tieren wohl äußerst selten, bei den Zwergvölkern ist sie aber schon einigermaßen — wenn auch noch mangel- haft — ausgebildet. Wie die Zielbewußtheit sich langsam entwickelt, so scheint auch die unregel- mäßige Tätigkeit schrittweise in die regelmäßige überzugehen. Schroeter sagt: In der gesamt- körperlichen Ausdrucksbetätigung entsteht dadurch der Tanz, beim lautlichen Ausdruck der Rhyth- mus im Gesang, beim optischen Ausdruck die Ornamentik. Bei Tieren kommen regelmäßige Tätigkeiten, wie Tanz und Gesang, noch wenig vor. Bei Naturvölkern zeigt sich, besonders im Tanz, in den Anfängen größere Wildheit und LTnregelmäßigkeit. Auch im Gesang wird der Rhythmus noch wenig durchgehalten. Die Or- namentik der von Schroeter behandelten Völker weist ebenfalls viel Unregelmäßigkeit auf, wogegen sie bei gewissen anderen primitiven Zweigen der Menschheit verhältnismäßig gut ausgebildet ist. Als erste Erscheinung der Regelmäßigkeit zeigt sich die regelmäßige Wiederholung. Der Rhyth- mus in Tanz und Musik ist zunächst zweiteilig, und die erste Ornamentik besteht aus einer stän- digen Wiederholung einfachster Linien, die unter Umständen zu einer fortlaufenden Reihe von Mustern führen. Zu größerer Kompliziertheit ge- langen bei den untersuchten Völkern die Orna- mente nur ganz ausnahmsweise; sie kommen kaum zu einer alternierenden Reihe oder zur Gruppierung um einzelne Punkte. Schroeter ist der Ansicht, daß sich die Aus- drucksbetätigung erst bei einzelnen Personen aus- gebildet hat, bevor sie von mehreren gleichzeitig ausgeübt wurde. Bei den Zwergvölkern ist die Gemeinschaftsbetätigung noch relativ ge- ringfügig; am meisten ist sie in der Bewegungs- tätigkeit ausgebildet. Singen im Chor kommt selten vor. Zum großen Teil ist die gemein- schaftliche Betätigung noch ein ziemlich unregel- mäßiges Durcheinander. Wenn sie dieses Stadium N. F. XIV. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. verlassen hat, so besteht sie zunächst in einer gleichförmigen Betätigung aller. Abwechs- lung kann dann durch gesteigerte Aktivität eines Teils der Beteiligten, oder durch mehr passive Beteiligung einer zweiten Gruppe von Personen, oder auf sonstige Art entstehen. Schwache An- fänge hierzu wurden schon bei Tieren beobachtet. Tätigkeiten, die ein Gegeneinanderhandeln er- fordern, führen zu verschiedenartiger Betätigung einzelner Personen oder Personengruppen. Dazu kommt es besonders bei den Darstellungen von Kampf, Jagd und Liebeswerben. Bei den Kubu und Andamanesen shid solche Darstellungen noch recht wenig ausgebildet, bei den Negrito der Philippinen dagegen trifft man ein ausgedehntes Gegeneinanderhandeln, wie z. B. beim Duelltanz. Die Tänze, als gesamtkörperlicher Gefühls- ausdruck, sind bei den tiefststehenden Natur- völkern viel geregelter und anhaltender als die Anfänge zur Tanzkunst im Tierreich, aber auch bei diesen Völkern sind die Tänze gewöhnlich äußerst monoton und mitunter nur durch groteske Bewegungen variiert. Die Gesänge bestehen bei den von Schroeter betrachteten Völkern bloß aus wenigen Tönen, die entweder monoton sind oder sich in geringen Intervallen folgen. Das gilt namentlich von den VVedda und Andamanesen, während sich bei den anderen doch bereits ein stärkerer Sinn für größere Intervalle ausgebildet hat. Auch Ansätze zu bestimmten Melodien sind vorhanden. Musikinstrumente besitzen die Natur- wedda noch nicht. Die Kulturwedda haben die Trommel. Die Andamanesen besitzen als ein- ziges Lautinstrument das Schallbrett. Bei den Kubu treten zu den Schlaginstrumenten noch Blasinstrumente und bei den Negrito kommen noch Streichinstrumente dazu. Die beiden letzt- erwähnten Völker sind aber von außen stark be- einflußt. Das anfängliche Bestreben ist auf in- tensivste Reizerzeugung durch die Instrumente gerichtet. Das Gleiche gilt hinsichtlich des optisch erregenden Gefühlsausdrucks, wie uns z. B. die Vorliebe der Naturvölker für grelle Farben zeigt. In bezug auf Ausbildung des Farbensinnes stehen die Naturwedda am tiefsten, ihnen folgen die Andamanesen, während bei den Kubu und Negrito schon ein mehr differenzierter Farbensinn beobachtet wurde. Hinsichtlich der Ornamentik sind von den vier behandelten Zwerg- völkern die Kubu und Andamanesen am meisten fortgeschritten; sie bringen es bis zu zusammen- gesetzten Winkelbandmustern, Netzwerken u. dgl. Die Darst ellu ngsku nst zeigt sich anfäng- lich in überwiegendem Maße als Wiederholung eigener Handlungen, und zwar im primitivsten Stadium als Wiedergabe von Erlebnissen im Kampf und im Liebeswerben. Erst nach und nach kommen auch weniger außergewöhnliche Ereignisse zu spielerischer Wiederholung. Die Entwicklung vollzieht sich von kurzen, vielfach noch unwiükürlichen Handlungen zu größeren Komplikationen. Bei dem höher kultivierten Teil der Kubu und bei den Negrito der Philippinen ist die darstellende Kunst schon bis zu ausge- dehnteren Vorführungen entwickelt, in denen unter Umständen eine Gliederung in Szenen und Akte erkannt werden kann. Viel seltener ist es bei den primitiven Völkern, daß jemand fremde Handlungen nachahmt, an die Stelle eines eigent- lich fremden Wesens tritt. Der Übergang von der Wiederholung eigener zur Wiederholung fremder Handlungen scheint gewöhnlich durch das Handeln als Geist zu erfolgen, wie wir es bei allen von Schroeter betrachteten Völkern, wenig- stens in Ansätzen, kennen lernen. Die künstliche Darstellung von Gegen- ständen oder Lebewesen steckt bei allen diesen Zwergvölkern erst in den Anfängen. Wie in der zeichnerischen Kunst, so ist auch bei der gegen- ständlichen Darstellung zunächst eine Darstellung in einfachen, regelmäßigen, geometrischen Figuren beliebt. Auch von der zeichnerischen Darstel- lung glaubt Schroeter, daß sie durch Assimi- lation, durch Hineinsehen, aus sinnloser Betätigung hervorgegangen sein dürfte. Bei manchen Natur- völkern haben die Ornamente noch keine Bedeu- tung, bei anderen sieht man die schrittweise Ent- wicklung einer bedeutungsvollen Ornamentik, von der aus dann der Übergang zum Naturalismus stattfindet. In der Dichtkunst zeigen bereits die pri- mitiven Völker ein Streben nach Regelmäßigkeit, speziell Gleichmäßigkeit, in der Betonung und Zahl der Silben, sowie nach Gleichheit von Lauten, Worten und Sätzen, besonders am Anfang und Ende. Zuerst sind die Lieder einfache kurze Sätze, wenn nicht wiederholte einzelne Worte. Bei den Zwergvölkern entwickeln sie sich nicht über wenige Sätze hinaus. Inhaltlich sind sie zu- nächst Improvisationen, die augenblickliche Zu- stände oder Vorgänge, Wünsche usw. wiedergeben. Dann treten Darstellungen früherer Ereignisse hinzu, namentlich solche, die einen besonders in- tensiven Eindruck machten. Bei allen Künsten läßt sich unter den Zwerg- völkern eine Entwicklung von der einfachsten zu mehr komplizierter Form feststellen. H. Fehlinger. Meteorologie. Leuchtfeuersystem für die Luftfahrt. Um den Fliegern das Anfahren an den Landungsort zu erleichtern und ihn schon weither des Nachts kenntlich zu machen, werden Leuchtfeuer errichtet. Zuerst wandte man Licht- kegel an, die senkrecht nach oben gingen ; da aber ihre Lichtstrahlen seitlich nur auf ganz kurze Entfernungen sichtbar sind, baute man solche, deren stärkste Lichtstrahlen etwas oberhalb der Horizontalen fielen. In horizontaler Richtung müssen aber nicht nur jene weithin erkennbar sein, sondern auch die öfters starke Dunstschicht der Erde schräg durchschlagen, um vom Flieger gc- 126 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 8 sehen zu werden und ihm die „Keniuing" des betreffenden Ortes zu gestatten. Die Leuchtfeuer sind , wie bei den Leucht- türmen an den Küsten, Dreh-, Bhtz- und Festfeuer. Verschiedene Orte werden kenntlich gemacht durch bestimmte Zahlen, hervorgerufen durch einen besonderen elektrischen Apparat. Als Lichtquellen dienen elektrische Scheinwerfer, Acetylen dissous- und Ölgasglühlicht. Acetylen dissous benützt z. B. das Blinkfeuer der Bamag bei einer Lichtstärke von 2500 HK und 20 — 30 km Sichtweite. Aus einer Gasflasche von 1 5 Atm. Anfangsdruck strömt das Gas zu einem Druckregler, der es auf gleichbleibenden Brennerdruck reduziert, und dann zum Blink- apparat, der die ,, Kennung" erzeugt und schließlich zu den Brennern. Leuchtfeuer von Jul. Pintsch haben rotierende Scheinwerferlinsen. Ihr vierteiliges Drehfeuer liefert kräftiges Licht in horizontaler Richtung. Es ist Acetylenglühlicht und der Gasdruck der Erzeuger der Rotation. In Döberitz hat das Leuchtfeuer eine Lichtstärke von etwa 27000 HK, die Lichtstärke 250 HK. (Journ. f. Gasbeleucht. u. Wasserversorg. 191 4, Nr. 16.) Dr. Bl. Physik. Über feuerfeste Geräte.^) Feuerfeste Stoffe untersuchte O.R u ff in bezug ihrerFeuerfestig- keit. Zur Herstellung von Gefäßen aus Karbiden nahm er die besonders feuerfesten Karbide des Titans und Zirkons als Grundmasse und fand, daß sich solche Gefäße ohne Glasur nicht gut dicht machen lassen. Er suchte dann Gegenstände aus Preßkohle durch Glasieren mit Karbiden zu dichten und dichte Wolframgegenstände herzu- stellen. Dann fabrizierte er feuerfeste Geräte mit Zirkondioxyd als Grundmasse und verwandte als Zusätze : Siliziumdioxyd, Aluminium-, Magnesium-, Beryllium- und Thoroxyd. Gegenstände aus Zir- kondioxyd sind mehrfach im Handel erschienen als sehr feuerfeste Tiegel, Schiffchen, Plättchen und Röhren (mit Zusatz von 5 — 15 "/„ Yttererdeii), Tiegel aus reinem Thordioxyd und aus rohem mit einem Korundzusatz, glasierte Schälchen aus Zirkondioxydmischungen mit Kaolin und feuer- festem Ton. Dr. Bl. Über die Abhängigkeit der Ausdehnungs- koeffizienten von tiefen Temperaturen be- richtete Valentiner in der Deutschen Physi- kalischen Gesellschaft. Die Ermittlungen er- streckten sich auf Platin, Iridium, Rhodium, Fluß- spat, Silicium und Pyrit. Die Ausdehnungskon- stanten nehmen mit abnehmender Temperatur ab, dies wurde bei allen .Substanzen beobachtet, mit Ausnahme des Invar, welches einen kleinen Aus- dehnung>kocffizienten besitzt und sich mehr un- regelmäßig verhält. .■\ußerdem leitete der Vor- tragende die Beziehung zwischen den Ausdehnungs- koeffizienten und den spezifischen Wärmen ab. Merkwürdig ist das Verhalten des Siliciums, das sich bei tiefen Temperaturen wie Quarz verhält, was nicht etwa auf vorhandene Verunreinigungen zurückzuführen ist. O. Bürger. „Flammenlose Oberflächenverbrennung".') Wird Gas mit Luft gemischt, und strömt es dann unter schwachem Druck durch eine poröse Platte aus feuerfestem Stein , so brennt dieses Gasgemisch zunächst bei der Entzündung mit gewöhnlicher Plamme. Bei weiterer Zufuhr von Luft nimmt die Leuchtkraft ab, die Flamme wird kleiner, tritt ganz zurück, und die Platte fängt allmählich an zu glühen bis zur hellen Weiß- glut. Die glühende Schicht dringt 3 — 7 mm von der Oberfläche aus ins Innere der Platte. Dabei teilt sich diese Wärme keinem anderen Teil der Platte mit, selbst die Rückwand bleibt verhältnis- mäßig kühl. So kann eine restlose Verbrennung des Gases mit vollkommener Wärmeausbeutung erreicht werden, wenn die Zufuhr von Gas und Luft richtig bemessen wird. Es werden Tempe- raturen von 900" C durch die Ausstrahlung der freien Oberfläche erreicht mit Leuchtgas, ob nun die poröse Tonplatte horizontal, schräg oder senk- recht angebracht ist. (Auch Naturgas, Wassergas, Mondgas, Blaugas u. a. mit entsprechender Luft- mischung können verwandt werden.) Anwendung kann diese neue Verbrennungs- methode auf vielen Gebieten finden, so z. B. zur Erwärmung der Luft für die Luftheizung, zum Heizen von Tiegeln und Mufteln zum Schmelzen und Härten. (Diese werden mit einer Schicht kleiner Tonstückchen umgeben in einem Gefäß, welches unten eine Öffnung zur Zuführung des Gasgemisches besitzt. Zuerst wird mit einer ge- wöhnlichen Gasflamme erwärmt , dann durch er- höhte Luftzufuhr der Oberflächenverbrennung be- gonnen. Man kann so bis 2000" und bei vorge- wärmter Luft noch höhere Temperaturen erreichen, welche zum Schmelzen der meisten Metalle aus- reichen.) Ganz wesentliche Vorteile bietet die Verwendung der strahlenden Oberfläche zur Be- heizung von Dampfkesseln und Dampfanlagen durch Fortfall der lästigen Rauchentwicklung. Die nach diesem Verfahren geheizten Kessel sind nach Art der Feuerrohrkessel mit wagerecht liegenden Röhren, und an der Gaseintrittsstelle jeder Röhre ist ein Pfropfen aus Schamotte, wäh- rend der übrige Teil der Röhre mit Stücken von feuerfesten Steinen angefüllt ist. Ein Ventilator für einen Druck von 500 mm Wassersäule saugt die zur Oberflächenverbrennung erforderliche Luft- menge , die dem Gase zuzuführen ist, durch die Röhren. Diese neue Verbrennungsart der Gase bietet also große Vorteile durch volle Ausnutzung der Gase und demzufolsje große Wirtschaftlichkeit des ') Zeitschr. f. angew. Cliem. 1914, S. 333. ') EleUtrocliem. Zeitschr. 1914, S. 66. N. F. XIV. Nr. S Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Betriebes, durch möglichst weitgehende Tempe- raturregelung und restlose Verbrennung, welche Abzugsvorrichtungen für Abgase erübrigt. Dr. Bl. Magnetische und mechanische Eigenschaften von Manganstahl ^). Wird eine Eisenlegierung von ca. I2"/|, Mangan und 1,25 "/^ Kohlenstoff auf etwa 1000^ erhitzt, in Wasser abgeschreckt (sie ist dann sehr zäh und fest), so ist sie prak- tisch unmagnetisch; sie wird magnetisch, wenn sie auf hohe Temperatur erhitzt und darauf langsam abgekühlt wird (ist dann aber sehr spröde). Der Übergang der magnetischen in die un- magnetische Form ist in allen Stählen begleitet von Wärmeaufgabe oder -abgäbe. Stahl, durch längeres Erhitzen auf etwa soo** in die mag- netische Form übergeführt, verliert aber bei 750" schnell seinen Magnetismus bei merklicher Wärmeaufnahme, zeigt jedoch bei Abkühlen keine Wärmeabgabe und erhält seinen magnetischen Zustand erst durch tagelanges langsames Abkühlen wieder. Darnach scheint die stabile Form der Le- gierung unterhalb 750" mehr oder weniger mag- netisch zu sein, und die im Gleichgewichts- zustand befindliche Menge an magnetischer Sub- stanz schnell abzunehmen mit Annäherung der Temperatur von 750". Ein kritisches Gebiet liegt zwischen 650 — 750" ähnlich dem Verlust des Magnetismus im gewöhnlichen Kohlenstoffstahl. Magnetische Änderungen dieses sind von solchen in der Konstitution begleitet, wie man unter dem Mikroskop beobachten kann. Abgeschreckter Stahl mit 24 % des ursprünglichen Magnetismus besteht fast ganz aus Austenit, durch Erhitzen auf 200" innerhalb 75 Stunden steigt sein Magnetismus auf ') Zeitschr. f. angew. Chera. 1914, S. 667. 90"/,,, und die magnetischen Teile bestehen aus Martensit. Ein unvollständig abgeschreckter Stahl von 60 "/ß Magnetismus zeigt Martensit- und Aus- tenitteilchen. Die magnetische Form ist immer die bei gewöhnlicher Temperatur stabile Form, bei Temperaturen oberhalb des Umwandlungspunktes ist die nichtmagnetische Form stabil (bei I2''/|| Mangan liegt der Umwandlungspunkt oberhalb 650"). Dr. Bl. Bakteriologie. Abtötung der Tetanuskeime am Orte der Infektion durch ultraviolettes Licht. In der Münchner medizinischen Wochenschr. Nr. 48, Dezember 1914 bringen E. Jacobsthal und F. Tann in Hamburg eine vorläufige Mitteilung über ihre darauf bezüglichen Untersuchungen. Die Tetanussporen sind danach sehr empfindlich gegen kurzwelliges ultraviolettes Licht. Die Verfasser setzten künstlich und natürlich mit Tetanus infi- zierte Wunden den Strahlen der Kromeyer'schen Quarzlampe und künstlicher Höhensonne aus. Die Applikation ersterer in tiefe Wundhöhlen erfolgte mittels besonderer von den Autoren angegebenen beweglichen Ouarzstäben. Die Strahlen der Höhen- sonne werden ^|^ — '% Stunden bei 25 cm Abstand unter Abdeckung der Umgebung gut vertragen. In einer Anzahl von Fällen gelang es auf diese Weise die Tetanusbazillen ganz zu entfernen. Ver- fasser empfehlen wegen des starken Toxingehaltes der Infektionsstellen daneben noch eine chirurgische Reinigung der Wunde. Im Falle eine Amputation nicht erwünscht oder unmöglich ist (wie bei Rumpf- wunden) eröffnet sich mit dieser Strahlentherapie in Ergänzung der übrigen Heilverfahren ein neuer Weg, auf dem sich nach Ansicht der Verfasser in vielen Fällen eine Heilung der furchtbaren, auch in diesem Kriege noch Opfer fordernden Krankheit erzielen läßt. R. v. Aichberger. Bücherbesprechimgen. Koepert, Prof. Dr., Jagdzoologisches aus Altsachsen. Beiträge zur sächsischen Jagd- geschichte 47 S. (In Kommission der Hof- buchhandlung von Warnatz und Lehmann, Dres- den). Wenn auch der „Heimatschutz" sich bestrebt, die in ihrem Bestände gefährdeten Pflanz- und Tierarten zu erhalten, so kann er in seinen Be- strebungen nicht soweit gehen, die großen Raub- säugetiere, die früher unsere Gebirge und Wälder bewohnten, zu erhalten bzw. wiedereinzubürgern. Es handelt sich vor allem um Bär, Wolf und Luchs, die der fortschreitenden Kultur und der wachsenden Bevölkerungsdichte weichen mußten. Verf. hat es nun unternommen das frühere Vor- kommen dieser großen Säuger in Mitteldeutschland bzw. Altsachsen (das jetzige Königreich Sachsen und die preuß. Provinz Sachsen) an der Hand archivalischer Quellen und alter Jagdchroniken zu untersuchen, und da diese Tiere einen Gegenstand der Jagd bildeten, so ergab es sich von selbst, daß auch der Jagdbetrieb früherer Zeiten in den Kreis der Betrachtung gezogen werden mußte. Nach einem Kapitel, das die Anschauungen früherer Zeiten über Bär und Wolf wiedergibt, behandelt Verf. Jagdrechtliches unter Zugrundelegung alter Akten- stücke aus dem Kgl. Sachs. Hauptstaatsarchiv. Die- selben sind in ursprünglicher Schreibweise wieder- gegeben und umfassen die Zeit vom Kurfürsten August bis zum Kurfürsten August dem Starken (Mitte des 16. bis Anfang des 18. Jahrhunderts). Da finden wir Schreiben, in denen nachbarliche Jagdstreitigkeiten erörtert werden oder \'erhand- lungen, die der Kurfürst wegen der Jagdfrohnden mit den Gemeinden pflog, welche dieselben zu- meist mit Geld abzulösen bestrebt waren. Die Jagdoberhoheit brachte es mit sich, daß die Grund- besitzer zur Ausübung der Jagd auf bestimmte 128 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 8 Tiere einer kurfürsthchen Konzession bedurften, deren eine, betr. die Erlaubnis zum Aussetzen von Fasanen zum Abdruck gelangte. Dann folgen Strafmandate gegen Wilddiebe und unbefugte Vogelsteller. Ein weiteres Kapitel behandelt das Vorkommen von Wölfen, Bären, Luchsen und Bibern in Altsachsen, wobei die kurfürstlichen Jagd- listen von 1611 bis 17 17 zugrunde gelegt wurden. Um Bären und Wölfe bei Hetz- und Kampfjagden verwenden zu können, fing man dieselben auch in besonderen Gruben und verbrachte sie in be- sondere Wolfs- und Bärengärten. Eingehender werden die Kampfjagden nebst dem Fuchsprellen geschildert, welche zumeist im „Jägerhofe" statt- fanden. Verf. beschränkt sich übrigens nicht auf die Bären und Wölfe, sondern erwähnt auch \^or- kommen und Fang des Bibers, sowie die Reiher- jagd mit den Falken. Eine Urkunde aus dem Jahre 1771 beweist, daß die Biber damals noch so häufig waren, daß zu ihrer Vertilgung wegen des Schadens, den sie an den Eibdämmen an- richteten, aufgefordert werden mußte. Bei den Kampfjagden wurden auch Tiere fremder Länder verwandt, welche in besonderen Behältern oder im „Jägerhof" gehalten wurde. So war bei Moritz- burg ein „Auergarten", in welchem der Wisent (Bos bison) gehalten wurde, desgleichen ein Straußen- behälter. Der „Jägerhof" war eine s. Zt. in ganz Europa berühmte Anlage. Schon Kurfürst August hielt einige Löwen im „Löwenhaus" zu Dresden. Anfang des 17. Jahrhunderts baute dann Johann Georg I. in Dresden-Neustadt den Jäger- hof, der aus einer großen Anzahl Gebäuden be- stand, die mehrere Höfe umschlossen. Hier war eine große Anzahl wilder Tiere untergebracht; wir haben hier sozusagen die Anfänge eines Zoologischen Gartens vor uns. Die Kurfürsten kümmerten sich eingehend um die Verpflegung der Tiere, wie die mitgeteilten Aktenstücke beweisen. Sogar eine Expedition nach Afrika ließ August der Starke ausrüsten, um „für die königlichen Cabinette und die Menagerie Thiere, Vögel, Kräuter, Blumen, Gewächse, Steine nebst anderen Dingen zu sammeln." Es mutet uns sonderbar an, wenn in dem Verzeichnisse der von AugustdemStarken erlegten Tiere aufgeführt werden: 3 Löwen, 2 Panther, 5 Tiger, 6 Affen, i Tier „Menschen- fresser" genannt und i Stachelschwein ! Der Jägerhof enthielt auch große Repräsen- tationsräume, deren malerische .Ausstattung sehr kostbar war, ferner eine Anzahl Hundezwinger und Wohnungen für die Beamten der Jägerei. Verf. hat in seiner Arbeit den ersten Versuch gemacht, die geschichtliche Entwicklung dieses für die Jagdgeschichte interessanten Gebäudes zu schil- dern. K. Bumüller, Dr. Johannes, Die Urzeit des Menschen. VII u. 307 Seiten, mit 141 Ab- bildungen. Köln 191 4, Bachem. — Preis 5 Mk. B u m ü 1 1 e r ' s Schrift liegt nun in dritter, stark veränderter und erweiterter Auflage vor. Ihr Zweck ist, weite Kreise eines wissenschaftlich in- teressierten Publikums mit der Entwicklung des Menschengeschlechts vertraut zu machen, wozu die Ergebnisse der prähistorischen Forschung in übersichtlicher Weise wiedergegeben werden. Die einzelnen Abschnitte betreffen : Spuren des Men- schen aus der Tertiärzeit, deren wissenschaftliche Beweiskraft der Verf. bestreitet; den Menschen und die Eiszeit im allgemeinen ; einzelne diluviale Niederlassungen und Funde ; das Alter des eis- zeitlichen Menschen; die körperliche und geistige Beschaffenheit des diluvialen Menschen ; die Ab- stammung des Menschen ; sowie die jüngere Stein- zeit, Bronze- und Eisenzeit. Die Darstellungsweise ist im ganzen sehr gut und sachlich, nur selten polemisch. In der Abstammungsfrage vertritt der Verfasser den kirchlichen Standpunkt. H. Fehlinger. Anregungen und Antworten. Zufällige Harnfarbstoffe. Bezugnehmend auf meine Notiz p. 800 Jahrg. 1914 dieser Zeitschr. hatten sowohl Herr Prof. Dr. V. Hansemann (Berlin) als Herr Prof. Dr. Stadimann (Wien) die Liebenswürdigkeit mich auf das Roiharnen nach Genuß von roten Rüben hinzuweisen. Bei der roten Rübe (Beta vulgaris var. cruenta) ist der Farbstoff nicht wie beim Reizker an Farbkörperchen, sondern an den Zellsafl gebunden. Dieser Farbstoff ist ziemlich resistent, da nur starke Säuren ihn zer- stören. Da ich auch nach reichlichem Genuß der in Essig eingemachten roten Rüben niemals Rotharnen an mir beobachtete, aß ich diesmal 250 g rote Beten als Salat zubereitet. Ca. 2 Stunden nach Genuß begann der Harn etwas dunkler zu werden, und zeigte der ab 4 Stunden nach Genuß der Speise produzierte und 5 Stunden nach dem Genuß gelassene Harn das tiefste, aber immerhin noch gelbe Kolorit, ohne daß es im Verlauf der Ausscheidung auch nur zu einer rötlichen Nuance der Harnfarbe gekommen wäre. Es scheint die zu- fällige Harnfärbung eben nicht nur von der (Quantität der in Frage kommenden Speise, sondern auch von der individuell verschiedenen Abbauliraft des Körpers wie der ditto Durch- lässigkeit des Nierenfilters für die jeweiligen Farbstofie ab- hängig zu sein. Auch weiterhin wäre ich für zuständige Mit- teilungen recht dankbar. F. Kanngießer (Braunfels ob der Lahn). Inhalt) V. Hanstein: August Weismann. Herter: Der Nachweis der Kartoffel im Brot. — Einzelberichte: Reche: Übertragung von Kulturgütern. Schroeter: Anfänge der Kunst bei den Zwergvölkern. Pintsch; Leuchtfeuersystem für die Luftfahrt. Ruff: Über feuerfeste Geräte. Valentiner: Über die .'\bhangigkeit der Ausdehnungskoeflizienten von tiefen Temperaturen. Blaschke: Flammenlose Uberilächcnverbrennung. Blaschke: Magnetische und mecha- nische Eigenschaften von -Vlanganstahl. Jacobsthal und Tann: .Xbtötung der Tetanuskeime am Orte der Infektion durch ultraviolettes Licht. — Bücherbesprechungen: Koepert: Jagdzoologisches aus Altsachsen. Bumüller: Die Urzeit des Menschen. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Mich e in Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pälz'schen Bucbdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 14. Bi der ganzen Reihe 30 Sonntag, den 28. Februar 1915. Nummer 9. August Weismann. [Nachdruck verboten.] Von Prof. Dr. Etwas weiter ausgeführt erscheint sein Thema in der wenige Jahre später erschienenen Schrift: „Die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage einer Theorie der Ver- erbung'' (1885). Hier versucht Weismann zu einer bestimmten Vorstellung von der Lokali- sation der Anlagen in der Keimzelle zu gelangen. In die Zwischenzeit fallen die Beobachtungen E. van Beneden's über die Befruchtung des Eies des Pferdespulwurms, sowie die ungefähr gleichzeitig erfolgten Publikationen O. H e r t w i g ' s und E. Straßburger's über den Befruchtungs- vorgang. Beide hauen unabhängig voneinander, der eine auf zoologischem, der andere auf botani- schem Gebiet, aus den eigentümlichen Vorgängen, durch die die väterliche und mütterliche Kern- substanz bei der Eifurchung auf die Purchungs- zellen verteilt wird, den Schluß zogen, daß die für die Vererbung maßgebenden Substanzen im Kern der Keimzellen lokalisiert seien. VVeis- mann schloß sich dieser Auffassung an und de- finierte nunmehr das Keimplasma als das spezi- fische Nukleoplasma der Keimzellen. Dabei denkt er sich die Vererbungssubstanz nicht in der Weise, ,,daß vorgebildete Anlagen im Plasma der Kerne enthalten sind, die nun nach rechts und links hm während des Aufbaues der Organe abgegeben werden, so daß ihrer immer weniger werden im einzelnen Kern, je weiter die Entwicklung voran- schreitei", sondern „daß die Kompliziertheit der Molekularstruktur abnimmt in dem Maße, als die Entwicklungsmöglichkeiten, deren Ausdruck die Molekularsiruktur im Kern ist, an Zahl abnehmen." Wie jeder Zelle ihr besonderer Charakter durch den Kern aufgeprägt werde, so müsse dies auch bei den Keimzellen der Fall sein. Es bedarf zur Entwicklung der Eizelle des Vorhandenseins eines bestimmten ovogenen Plasmas im Kern; dies müsse aber, als spezialisiert, vom Keimplasma, das die Bedingungen für alle Zelldifferenzierungen enthält, verschieden sein. Es sei deshalb wahr- scheinlich, daß dies ovogene Plasma vor Beginn der Furchung ausgeschieden werden müsse und dies dürfte die Bedeutung der Ausstoßung der Richtungskörperchen sein. — Die Möglichkeit der Parthenogenesis hängt, wie Weismann weiter ausführt, von dem Mengenverhältnis zwischen Kernplasma und Zellkörper ab. Die Kernsub- stanz kann durch Kopulauon, aber auch durch Wachstum eventuell nach Ausstoßung der Rich- tungskörper vermehrt werden. Hier streift W e i s - mann die Probleme, denen später R. Hertwig in seinen Untersuchungen über die K-ernplasma- relation weiter nachgegangen ist. Der wesentlich R. V. Hanstein. (Schluß.) neue Gedanke, den Weis mann in dieser Schrift seiner früheren Theorie hinzufügt, ist die von jetzt an bei ihm immer stärker betonte ausschlag- gebende Bedeutung, die er dem Kernplasma bei- legt. Die Fähigkeit der einzelligen und einer Anzahl mehrzelliger Organismen, sieh durch Teilung zu vermehren und die Möglichkeit einer vielen Gene- rationen hindurch ausschließlich parthenogeneti- schen Portpflanzung bei einer Reihe von Arten — Blattläusen, Entomostraken — mußte zu der Furage nach der Bedeutung der geschlechtlichen P'oripflanzung führen. Soll jede Fortentwicklung aut Anpassung und Selektion beruhen, so mußie auch die sexuelle Fortpflanzung einen bestinimien Nutzen haben. Mit dieser F'rage beschaltigte sich Weis mann in einem auf der Naiurtorscner- Ver- sammlung zu Slraßburg (i8ö6j gehaltenen Vor- trag über die Bedeutung der sexuellen P'ortpllanzungfurdieSelektionstheorie. Diese Bedeutung sieht er vor allem in der Vereinigung der in zwei getrennt entwickelten Keimzehen aulgespeicherten Erbanlagen und der hierdurch bedingten Schaffung neuer Kombinatio- nen als Angrirtspunkte lür die iXatui Züchtung. Für die Einzelligen bestehe die Moghchkcit einer Ver- erbung erworbener P.igenschatten, da hier die einzige den Körper bildende Zelle, falls sie durch äußere Einwirkungen verändert werde, auch aut den Kern zurückwirke. Für die Vielzelligen bestehe jedoch diese Vererbungsmöglichkeit nicht und es sei daher nur auf dem Wege der ge- schlechtlichen Vereinigung eine Neukumbination der Erbanlagen möglich. Die Rückkehr geschlecht- lich differenzierter Arten zu zeitweiliger oder aus- schließlicher Parthenogenese gewähre die iVlög- lichkeit erheblich schnellerer und stärkerer Ver- mehrung; diese werde aber erkauft durch die Unmöglichkeit weiteren Variierens. Diese An- schauungen hängen auf das engste zusammen mit der Aullassung, die W e i s m a n n inzwischen von der Bedeutung der Richtungskörper gewonnen hatte. Es war inzwischen lur eine Reihe von Arten ermittelt wurden — namentlich durch Weismann's Schüler I s h i k a w a — , daß von parthenogenetischen Eiern ein, von befruchiungs- bedurltigcn zwei Richtungskörper ausgestoßen werden. F'ür den P'all, daß hier ein allgemeines Gesetz vorliege, müßte dennoch den beiden Rich- tungsteilungen eine verschiedene Bedeutung zu- kommen. Hatte Weis mann diese früher in der Erscheinung des ovogenen Plasmas gesehen, so neigt er nunmehr („über die Zahl der Rich- tungskörper und ihre Bedeutung für die 130 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 9 Vererbung", 1887) einer anderen Deutung zu. Die Beobachtungen über die Anordnung und Längsteilung der Chromosomen läßt ihn in diesen die Träger der Vererbungssubstanzen erblicken. Wenn nun jedes dieser Chromosomen vor der Kernteilung eine Längsteilung erfährt und jeder Teilkern je eine Hälfte jedes Chromosoms enthält, so folgert Weismann hieraus, daß die Erb- anlagen zu qualitativ gleichen Teilen auf beide Tochterkerne übertragen werden, daß jeder von diesen also die gleichen Anlagen erhält (Äquations- teilung). Wenn jedoch, wie z. B. bei der zweiten Richtungsteilung beim Pferdespulwurm von den vier Chromosomen je zwei in jeden Tochterkern übergehen, so wird dadurch die Anzahl der „Ahnenplasmen" reduziert, jeder Tochterkern be- sitzt nun verschiedene Erbanlagen. Die Erban- lagen, die dabei in die Richtungskörper über- gehen, werden ausgestoßen oder gehen zugrunde; es verbleibt also nur die Hälfte der ursprünglichen Erbanlagen in der Eizelle, und da diese Reduktion aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in jeder Ei- zelle dieselben Anlagen ausscheidet, so werden hierdurch verschiedene Kombinationen geschaffen. Hieraus würde sich auch die Ungleichartigkeit der Nachkommen derselben JVIutter erklären. Das ver- schiedene Verhalten der parthenogenetischen und der befruchtungsbedürftigen Eier erklärt Weis- m a n n durch die Hypothese, daß die zweite, die Reduktion bewirkende Richtungsteilung erst durch das Eindringen des Sperma hervorgerufen werde. Es war damals noch nicht bekannt, daß durchaus nicht in allen Fällen die zweite Richtungsteilung die Reduktionsteilung ist; ebenso wußte man da- mals noch nichts von der Möglichkeit, künstlich Parthenogenesis herbeizuführen. Weismann konnte daher die mit der oben erwähnten An- nahme anscheinend im Widerspruch siehende Tatsache, daß bei Echinus die beiden Richtungs- körper sich schon im Ovarium bilden, mit dem Hinweis erklären, daß bei dieser Gruppe eben Parthenogenesis nicht vorkomme. Später hat er mit Rücksicht auf die Fälle von künstlich herbei- geführter Parthenogenese seine Anschauungen etwas modifiziert. Er sieht den Grund für die Entwicklungsmöglichkeit einer Eizelle nicht mehr in einer bestimmten Zahl von Chromosomen, son- dern in der Anwesenheit eines „Teilungsapparats"; dieser bestehe aber nicht in den Chromosomen allein, sondern auch in dem Centrosoma, und da dies bei den zu parthenogenetischer Entwicklung angeregten Eiern erhalten bleibe, so sei dadurch die Möglichkeit zur Teilung gegeben. Immer von neuem wendet sich Weismann gegen die An- nahme einer Vererbung erworbener Eigenschaften. Hatte er schon in seiner Studie „über den Rück- schritt in der Natur" (1886) ausgeführt, daß ein nutzlos gewordenes Organ einfach dadurch, daß es nicht mehr durch Selektion begünstigt werde, allmählich verschwinden müsse, so wendet er sich einige Jahre später gegen die „angeblichen botanischen Beweise für die Vererbung erworbener Eigenschaften" (l888j, wider- legt in einem auf der Kölner Naturforscherver- sammlung (iBSSj gehaltenen Vortrage die Hypo- these einer Vererbung von Verletzun- gen, indem er die zugunsten dieser Annahme angeführten Beobachtungen teils als nicht genau genug, teils als unsicher und mindestens noch- maliger Nachprüfung bedürftig erweist, und ver- sucht in einem für weitere Kreise geschriebenen Aufsatze „Gedanken überMusikbeiTieren und Menschen" (1890) den Nachweis zu führen, daß der Musiksinn, die Anlage für Musik sich im Laufe der Entwicklung des menschlichen Ge- schlechts nicht gesteigert habe, daß die Vervoll- kommnung der Leistungen auf diesem Gebiete nur eine Folge der Tradition sowie der Ver- besserung der musikalischen Instrumente sei. Es käme daher auch auf diesem Gebiet Vererbung erworbener Eigenschaften nicht in Betracht, wie dies schon daraus hervorgehe, daß musikalische Beanlagung eines Eiters durchaus nicht immer bei den Nachkommen sich wiederfinde, und daß der Sohn des größten Virtuosen doch immer wieder das Klavierspielen von neuem lernen müsse. Inzwischen hatte O. Hertwig den Nachweis erbracht, daß bei der Bildung der Samenzellen des Pferdespulwurms ganz ähnliche Erscheinungen sich abspielen, wie bei den Reifungsteilungen der Eizellen: Kurz hintereinander folgen zwei Zell- teilungen, deren letzte die Anzahl der Chromo- somen auf die Hälfte der in anderen Körper- zellen vorhandenen reduziert. Dies deutete Weis- mann in gleicher Weise, wie bei den Eizellen, auf eine Verringerung der Zahl der Erbanlagen, und damit gewann seine Theorie von der Be- deutung der geschlechtlichen Fortpflanzung eine weitere Abrundung. In seiner Schrift; „Amphi- mixis oder die Vermischung der Indi- viduen" (1891) bringt er diese Theorie noch- mals in geschlossener P"orm zur Darstellung. Die kleinste Einheit innerhalb des Kerns, die noch die sämtlichen Erbanlagen eines elterlichen Indi- viduums enthält, bezeichnet er als Ahnenplasma oder Id; aus diesem setzen sich die Kernstäbchen (Chromosomen) oder Idanten zusammen, und zwar in einer bestimmten Anordnung, die von dem elterlichen bis zum kindlichen Keimplasma erhalten bleibt, ab und zu aber auch Abänderun- gen erfährt. Die Längsspaltung und daraus her- vorgehende Verdoppelung der Idanten hat eine größere Zahl von Kombinationsmöglichkeiten zur Folge. Der Kern wird durch Vermittlung der Befruchtung — oder der Konjugation der Ein- zelligen — zu einem Organ für die Erhaltung, stete Erneuerung und Umformung der individuell erblichen Variabihtät. Die von R. Hertwig ge- nauer studierten und beschriebenen Vorgänge bei der Konjugation der Einzelligen, die auch hier einen Austausch von Kernsubsianz zwischen den konjugierenden Individuen erkennen lassen, sieht Weismann als einen direkten Beweis für die Kontinuität des Keimplasmas an, und er folgert N. F. XIV. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 131 daraus, daß — entgegen seiner früheren An- nahme — auch bei den Einzelhgen, soweit sie schon differenzierte Kerne besitzen, eine Vererbung erworbener Eigenschaften nicht bestehe. Indem sowohl die im männlichen als auch die im weib- lichen Kern vorhandenen Ide durch die Reduk- tionsteilung auf die Hälfte reduziert werden, diese Reduktion aber in jedem einzelnen Falle zur Aus- stoßung anderer Ide führen kann, ergeben sich durch die Vereinigung so reduzierter Kernpaare selbst bei denselben Eltern außerordentlich mannigfache Kombinationen. Hierin allein liege die Bedeutung der geschlechtlichen Vereinigung, da Beispiele zeigen, daß eine Fortpflanzung auch ohne Amphi- mixis möglich und auch die von Maupas ver- tretene Ansicht, daß die Vereinigung eine ,, Ver- jüngung" bedeute, nicht begründet sei. IMit dieser Arbeit war Weismann zu einem gewissen Abschluß seiner Vererbungstheorie ge- langt. Die Hauptgedanken: keine Vererbung er- worbener Eigenschaften, Zurückführung aller Varia- bilität auf Keimesvariation, LokaUsierung der Erb- anlagen im Keimplasma der Keimzellen, Kon- tinuität des Keimplasmas, weitestgehende Wirkung der Naturzüchtung, Anpassung der Organismen an die Lebensbedingungen bis in die kleinsten und feinsten F^inzelheiten ihres Baues, und damit die Möglichkeit, daß auch den kleinsten Ab- weichungen ein Selektionswert zukommen kann, strenge Scheidung zwischen somatischem und Keimplasma, potentielle Unsterblichkeit der Ein- zelligen und der Keimzellen, als Anpassungs- charakter erworbene Sterblichkeit der Somazellen — all diese Gedanken hatte Weismann im Laufe des Jahrzehnts, das zwischen seinen Ar- beiten über „die Dauer des Lebens" und „Amphi- mixis" lag, immer schärfer herausgearbeitet. So war es ein naheliegender Gedanke, daß er diese kleinen, teils als Gelegenheitsreden, teils als Vor- träge in wissenschaftlichen Gesellschaften, teils in Zeitschriften erschienene Schriften in einem Sam- melbande unter dem Titel „Aufsätze über Vererbung und verwandte biologische Fragen" (1892) nochmals herausgab; den Text änderte er auch bei solchen Fragen nicht, über die er inzwischen zu anderen Anschauungen ge- langt war, um den Lesern einen Einblick in den Werdegang seiner Theorie zu gewähren. Anderer- seits aber empfand er doch das Bedürfnis, seine nunmehr zu voller Überzeugung gewordenen An- schauungen im ganzen, in systematisch geschlos- sener P'orm den Fachgenossen vorzulegen. Es erschien deshalb schon in demselben Jahre eine völHge Neudarstellung seiner Theorie unter dem Titel: „Das Keimplasma, eine Theorie der Vererbung" (1892). In seinen ersten Schriften hatte Weismann nur allgemein von einem die Vererbung bestimmenden Keimplasma gesprochen, hatte dies später (1885) im Keim lokalisiert gedacht, ohne jedoch über die Art, in der man sich die Anlagen dort zu denken habe, sich näher auszusprechen, ja, er hatte sogar noch 1885 (Kontinuität des Keimplasmas) den Satz geschrieben : Man wird mir nicht eine Einschachte- lungstheorie vorwerfen wollen; ich meine nicht, daß vorgebildete Anlagen im Plasma der Kerne enthalten sind, die nun nach rechts und links hin während des Aufbaues der Organe abgegeben werden, sonst ihrer immer weniger werden im einzelnen Kern, je weiter die Entwicklung fort- schreitet". Inzwischen ist er jedoch zu einer ganz anderen Auffassung gelangt. Er betrachtet nunmehr als Grundlage jeder Vererbung „die Zusammen- setzung der lebenden Substanz aus kleinsten lebenden Einheiten, . . . welche die Fähigkeit der Assimilation, des Wachstums und der Vermehrung durch Teilung besitzen". Für diese kleinsten Teilchen führt er die Bezeichnung Biophoren ein, und er nimmt an, daß solche Biophoren, einzeln lebend, die ersten Lebewesen gewesen seien. Weiterhin seien Organismen aufgetreten, die aus zahh eichen, aber unter sich gleichen Bio- phoren sich aufbauten , und deren Vermehrung gleichfalls noch durch einfache Teilung erfolgen konnte. Diesen Homobiophoriden stehen solche, gleichfallä noch einzellige Wesen gegenüber, die aus Biophoren verschiedener Art bestehen (Hetero- biophonden), deren Verteilung eine Differen- zierung von Außen- und Innenplasma, von vorn und hmten, oben und unten, sowie das Auftreten besonderer Gebilde (Geißeln, Wimpern, Borsten) bedingt. Hier kann einfache Teilung nicht mehr jede Hälfte mit allen Biophorenarten ausstatten, vielmehr bedarf es eines besonderen Apparates für die richtige Verteilung eines „Magazins von Reservebiophoren", des Zellkerns. Eine weitere Komplikation bedeutet die Amphimixis. Während nun in den Kernen der Einzelligen die Biophoren direkt die Ide zusammensetzen, bedarf es bei den Vielzelligen noch einer Mittelstufe, einer Ver- erbungseinheit, die bestimmend für den Charakter einer einzelnen, selbständigen Variation fähigen Zelle oder Zellgruppe ist. Weismann bezeichnet sie als Determinante. „So viel selbständige vom Keim aus variable Zellen und Zellgruppen im Organismus auftreten, so viel Determmanten muß das Keimplasma einer Art enthalten und diese müssen in bestimmter gegenseitiger Lagerung im Keimplasma enthalten sein, folglich auch ein be- stimmt begrenztes Ganze darstellen, eine höhere Lebenseinheit, das Id." Solcher Ide sind zahl- reiche im Keimplasma vorhanden, das seinerseits sich aus einer größeren oder geringeren Zahl von Idanten zusammensetzt. Während der Ontogenese spaltet sich jedes Id bei jeder Zellteilung so, daß jeder Teil nur noch die Hälfte der ursprünglichen Determinanten enthält, so daß die Ide von Stufe zu Stufe ärmer an verschiedenartigen Determinanten werden , bis sie zuletzt nur noch eine Art davon enthalten. Jede Zelle wird stets nur durch eine Determinantenart bestimmt, die aber in vielen Exemplaren im Id enthalten sein kann. Diese „Bestimmung" erfolgt dadurch, daß sich die Determinante in ihre Biophoren auflöst, welche nun 13^ Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 9 die Kernmembran durchsetzen, in den Zelltcörper eindringen und dort unter starker Vermehrung auf Kosten der den Zellkörper schon bildenden Biophoren und unter Anordnung nach bestimmten uns unbekannten Krätten und Gesetzen die histo- logische Differenzierung der Zellen begründen. Jede Determinante muß auf einer bestimmten Stufe der Gesamtentwicklung die Reife zu ihrer Auflösung in die Biophoren erreichen. Die übrigen verharren unaufgelöst , ohne eine bestimmende Wirkung auszuüben; aber durch die Art und Weise ihrer Zusammenordnung im Id und durch den einer jeden Determinantenart eigenen Rhythmus ihrer Vermehrung bestimmen sie den Modus der nächsten Kernteilung , entscheiden sie darüber, welche Determinanten dem einen, welche dem anderen Tochterkern zugeteilt werden. Damit wird nicht' nur über die histologische Natur dieser Tochterzellen, sondern auch über die Bestimmung ihrer Nachkommenschaft entschieden , so daß die Verteilung der im Keimplasma vorhandenen An- lagen durch die anfangs schon gegebene, dann aber durch ungleiche Vermehrung und stufenweise Zerlegung der Ide sich stetig und gesetzmäßig verändernde Architektur des Ids bewirkt wird." Schon in den früheren Schriften hatte W e i s - mann die Schwierigkeiten nicht verkannt, die die Regeneration für seine Theorie bietet. Wenn gegebenenfalls aus einem beschränkten Teil des Soma ein Regenerat entstehen kann, in dem ganz andere Zellarten auftreten , so ist das mit der soeben dargelegten Entwicklungstheorie schwer vereinbar. Er erklärt einfachere Fälle von Re- generation dadurch, daß in dem fertigen, aus gleichartigen Zellen gebildeten Gewebe stets eine Reserve jugendlicher Zellen enthalten sei, die den normaler- oder abnormerweise eintretenden Verlust zu ersetzen vermögen. Zur Erklärung kompli- zierterer Fälle nimmt er an, daß in den Zellen der regenerationsfähigen Teile Ersatzdeterminanten vorhanden seien, die auf frühen Entwicklungs- stufen gewissen Zellfolgen als „inaktives Nebenidio- plasma" beigegeben werden und nur in Tätigkeit treten, wenn durch Verlust des betreffenden Teiles „die Wachstumswiderstände aufgehoben werden". Diese Ausstattung mit Ersatzdeterminanten setzt eine um so verwickeitere Verteilung derselben voraus, je komplizierter ein Teil gebaut ist, und hierin sieht Weismann den Grund, warum die Regenerationsfähigkeit begrenzt ist. Aus der Regenerationsfähigkeit, die nach Weismann keine ursprüngliche Eigenschaft, sondern durch Selektion erworben ist, leitet er auch die Fähigkeit einer Vermehrung durch Teilung oder Knospung her. Auch die Keimzellen entstehen dadurch, daß ein Teil des in der befruchteten Eizelle ent- haltenen Keimplasmas inaktiv bleibt und als Neben- idioplasma gewissen Zellfolgcn beigegeben wird, und so mit diesen an die Orte gelangt, an denen die Bildung der Keimzellen stattfindet. Bei der geschlechtlichen Fortpflanzung hängt die be- stimmende Wirkung der väterHchen oder mütter- lichen Determinanten davon ab, auf welcher Seite die Vermehrung der Determinanten stärker ist, und auf welcher Seite sich dennoch mehr gleich- artige, homodyname Determinanten befinden. So war nun aus dem zuerst vereinzelt auf- getretenen Gedanken Weismann's über Ent- wicklung und Vererbung ein geschlossenes System geworden, das Onto- und Phylogenese erklären sollte. Starke Angriffe erfuhr W e i s m a n n alsbald durch Herbert Spencer, der namentlich betonte, daß durch Naturzüchtung allein das gleichzeitige Auftreten zahlreicher, einander bedingender und unterstützender Abänderungen nicht verständlich sei. Das Hirschgeweih sei nur dann vorteilhaft, wenn auch der Schädel und die Nackenmuskulatur entsprechend stärker entwickelt seien; eins ohne das andere habe keinerlei Nutzen und es sei nicht anzunehmen, daß unabhängig voneinander die ver- schiedenen Teile des Körpers in entsprechender, einander ergänzender Weise variieren. Dies könne nur durch Vererbung erworbener Eigenschaften erklärt werden. Demgegenüber beruft sich Weismann in seiner Schrift „Die Allmacht der Naturzüchtung" (1893) auf ein Beispiel, auf das er in der Folge noch oft zuiückkam, da es die Annahme einer Vererbung erworbener Eigenschaften auszuschließen schien : auf die Arbeiterinnen der Ameisen. Diese besitzen in ilirer ganz abweichenden Organisation und ihren be- sonderen hochentwickelten Instinkten sehr zahl- reiche aufeinander abgestimmte, sich gegenseitig unterstützende und bedingende Eigenschaften, trotzdem ist bei ihrer normalerweise vorhandenen Unfruchtbarkeit eine Vererbung dieser Eigenschaften ausgeschlossen. Da nun außer der Vererbung erworbener Eigenschaften keine andere Erklärungs- möglichkeit bestehe, als die durch Selektion, die erstere aber nach Lage der Sache nicht in h'rage komme, so müsse die ganze komplizierte Orga- nisation dieser Tiere allein durch natürliche Aus- lese auf Grund vorteilhafter Keimesvariation er- klärt werden ; wenn das aber in diesem einen Falle möglich sei, so müsse diese Erklärung auch in allen anderen ähnlichen Fällen genügen. Der Polymorphismus der gesellig lebenden Hymenopteren, der sich in dem Auftreten einer besonderen Arbeiterform , oft sogar mehrerer solcher zeigt, erinnert in gewisser Weise an dem Polymorphismus gewisser kleiner Krebse sowie an dem Saisondimorphismus mancher .Schmetter- linge, denen Weis mann in früheren Jahren seine Aufmerksamkeit zugewandt hatte und die er in fortgesetzten Zuchtversuchen weiterstudierte. Es handelte sich um die weitere Prüfung des Problems, ob hier direkte Einwirkungen verschiedener äußerer Bedingungen vorlägen. In seiner Schrift „Äußere Reize als Entwicklungsreize" (1894) ver- tritt Weismann die Ansicht, daß dies beim Saisondimorpiiisnius der Schmetterlinge sowie beim Polymorphismus der Hymenopteren nicht der P"all sei, daß vielmehr bei diesen Tiergruppen durch Selektionsvorgänge Anlagen im Keimplasma ge- N. F. XIV. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 133 züchtet seien, die jedem Individuum die Entwick- lung nach verschiedenen Richtungen möglich machen; die äußeren Reize bewirken nur die Aktivierung einer oder der anderen dieser, bereits vorhandenen Anlagen, sie schaffen sie nicht neu. Die Verkümmerung dieser Eierstätte bei den Arbeiterinnen der Hymenopteren sei nicht eine einfache F"olge schlechter Ernährung; denn wenn z. B. Fliegenlarven bei knapper Nahrung aufge- zogen werden, so erhalten sie trotzdem, wie Zucht- versuche beweisen , einen vollkommen funktions- fähigen Fortpflanzungsapparat. Betreffs der saison- dimorphen Schmetterlinge berichtet Weismann ausführlich über „Neue Versuche zum Saison- dimorphismusderSchmetterlinge"(i895). Auch diese beiden Abhandlungen klingen aus in dem Ausdruck der Überzeugung, daß „Selektion allein das leitende und führende Prinzip bei der Entwicklung der Organismenwelt war und bis auf unsere Tage noch immer ist". Wie erwähnt, nahm Weismann in diesen Erörterungen mehrfach Bezug auf R o u x ' Lehre vom Kampfe der Teile im Organismus, der inner- halb des Körpers gleichfalls eine Auslese des besseren, leistungsfähigeren herbeiführe. Dieser, neben der von Darwin nachgewiesenen „Personal- selektion" bestehenden ,,Intraselektion" oder, wie Weismann sie nennt, „Histonalselektion", reiht nun Weismann eine dritte Form der Auslese an, die bereits im Keimplasma zwischen den Determinanten stattfinden soll. Schon im gleichen Jahr (1895) mit der letzterwähnten Untersuchung veröffentlichte er „Neue Gedanken zur Ver- erbungsfrage", wiederum eine Erwiderung gegen Einwände Herbert Spencer's, die sich im wesentlichen wieder auf die F'rage beziehen, ob Selektion allein das völlige Schwinden eines nutzlos gewordenen Organs erklären kann ; auf dem im Herbst desselben Jahres in Leyden tagenden internationalen Zoologenkongreß be- handelte er dasselbe Thema eingehender und veröffentlichte den Inhalt dieses Vortrages in er- weiterter und durch Zusätze vervollständigter P'orm im nächsten Jahr (1896) unter dem Titel: „Ger- minalselektion, eine Quelle bestimmt gerichteter Variation". Wie erinnerlich, war Weismann sich von .Anfang an darüber klar gewesen , daß Selektion nicht aus jedem Organismus alles schaffen kann, daß vielmehr die Anzahl der möglichen Entwicklungsbahnen durch die Konstitution des variierenden Organismus einge- schränkt wird. Inzwischen waren nun verschiedene Forscher (Cope, Eimer u. a.) gegenüber der von Darwin angenommenen allseitigen, richtungslosen Variabilität für das Bestehen einer nach bestimmten Richtungen verlaufenden Entwicklung, einer O r t h o • genesis eingetreten. Diese „bestimmt gerichtete Variation" sucht nun Weismann durch einen Kampf der Determinanten und eine zwischen diesen bereits im Keim sich vollziehende „Ger- minalselektion" zu erklären. Schon unter den Determinanten müssen , wie W e i s m a n n ausführt, Unterschiede in der Assimilationsfähig- keit bestehen, die dazu führen, daß einige infolge besserer Ernährung sich auf Kosten anderer kräftiger entwickeln und so aucli eine stärkere Entwicklung der durch sie bestimmten Zellgruppe bedingen. Da nun die Determinanten durch das Keimplasma direkt von Generation zu Generation übertragen werden, und da dieser im Innern der Keimzelle sich vollziehende Kampf die einmal ge- schwächten und in ihrer Assimilationsfähig- keit herabgesetzten Determinanten immer mehr schwächen, die stärkeren aber immer weiter be- günstigen müsse, so liefere diese Germinalselektion eine bessere Erklärung für die bestimmt ge- richteten Variationen, als die von Lamarck an- genommene Vererbung durch Gebrauch oder Nichtgebrauch, da dieser weder die rein passiv, nur durch ihr Dasein wirkenden Merkmale — starker Panzer, Schutzfärbung u. dgl. — noch die Entwicklung der durch besondere, dem Ge- schlechtstiere nicht zukommende Merkmale aus- gezeichneten Arbeiterformen der gesellig lebenden Insekten zu erklären vermöge. Auch werde durch die Annahme einer solchen Germinal- selektion, die natürlich nicht in jeder Keimzelle in gleichem Sinne wirke, das stete Vorhanden- sein nützlicher Abänderungen erklärt, das nun nicht mehr als ein zufälliges erscheine. Sobald die durch Germinalselektion bewirkte Variation in der Zusammensetzung des Keimplasmas so stark geworden sei, daß die dadurch bedingte Variation des betreffenden Organs oder Organteiles Selek- tionswert besitze, greife nun die Personalselektion ein und entscheide, welche der Variationsrich- tungen ausgeschaltet werden und welche bestehen bleiben ; die letzten aber müssen in gleichem Sinne so lange weiter verfolgt werden , bis wiederum Personalselektion eingreift und ihnen ein Ziel setzt. Von neuem wendet sich W e i s m a n n gegen die Auffassung seiner Theorie als „verfeinerte Ausgabe der alten Präformationstheorie"; „daß nicht in äußeren Umständen, sondern in einer Verschiedenheit der Kernsubstanz die Ursache liegt, warum aus dem einen Ei ein Huhn, aus dem anderen eine Ente hervorgeht, wird auch von den Gegnern zugegeben werden müssen"; „was selbständig, von sich aus variieren kann, das muß dort [im Kern] durch irgendein Substanzteilchen derart vertreten sein, daß dessen Veränderung keine andere Veränderung bei dem sich aus dem Keim entwickelten Organismus setzt, als eben nur an dem von ihm abhängigen Teil"; die Determi- nanten „sind einfach diejenigen lebenden Teile des Keims, deren Anwesenheit es bedingt, daß im Lauf der normalen Entwicklung ein bestimmtes Organ von bestimmter Beschaffenheit auftritt"; ,,eine wirkliche Epigenese aus völlig gleichartigen, nicht bloß aus untereinander gleichen Einheiten ist nicht denkbar". „Wenn ein arbeitsfreudiges Leben sich seinem Ende zuneigt, so regt sich wohl der Wunsch, die 134 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 9 Hauptergebnisse desselben zu einem abgerundeten und in sich harmonischen Bild zusammenzufassen und gewissermaßen als ein Vermächtnis den nach uns Kommenden zu hinterlassen". Mit diesen Worten leitet W e i s m a n n das Vorwort zu seinem (in erster Auflage 1902 erschienenen) Werk: „Vorträge übe r D eszenden ztheorie" ein. Wandte er sich in seinen bisherigen Veröffent- lichungen wesentlich an die Fachgenossen, so sollte dies, aus Vorlesungen an der Universität Freiburg hervorgegangene Werk in gemein- verständlicher Sprache Jedem, „den es interes- siert", einen P^inblick in die Grundgedanken der Deszendenzlehrc, und speziell in die Form, die ihr Weismann durch den Ausbau seiner Theorie gegeben hatte, vermitteln. Wie in all seinen rein wissenschaftlichen Schriften, so zeigt Weis- mann sich auch in diesem Werk als Stilist ersten Ranges, der Sprache und Darstellungsform in mustergültiger Weise beherrscht. Das Werk er- lebte drei Auflagen, deren letzte etwa ein Jahr vor dem Tode des Verfassers erschien. Es bedarf nicht der besonderen Erwähnung, daß die im vorstehenden entworfene Skizze des allmählichen Aufbaues der Weismann 'sehen Theorien nur die Hauptzüge hervorhebt, daß in allen' hier genannten und manchen kleinen, hier nicht erwähnten Arbeiten noch zahlreiche Ge- danken und Anregungen enthalten sind, die mit Rücksicht auf den verfügbaren Raum an dieser Stelle nicht berücksichtigt werden konnten. Fragen wir nun nach dem Einfluß, den Weis- mann's Arbeiten auf die Gesamtentwicklung der Deszendenzlehre gehabt haben, so ist zu einer endgültigen Antwort hierauf die Zeit naturgemäß noch nicht gekommen. Eins aber wird man schon heute sagen dürfen: die scharfe Kritik, die Weismann an der Lehre von der Vererbung erworbener Eigenschaften wieder und wieder ge- übt hat, hat nicht nur zu einer schärferen Aus- prägung des Begriffs der „erworbenen Eigen- schaft" geführt, sondern sie hat auch allgemein zu größerer Vorsicht bei der Entscheidung der Frage geführt, ob in einem einzelnen Fall Ver- erbung vorliegt oder nicht. Sollte demnach von Weismann 's ganzer Vererbungstheorie in Zu- kunft nichts anderes übrig bleiben, als die unter ihrem Einfluß wieder strenger und vorsichtiger geübte Kritik auf einem Gebiet, auf dem in der ersten Zeit des Darwinismus vielfach recht kritik- los verfahren wurde, so wäre schon dies ein durch- aus nicht zu unterschätzender Gewinn. Wenn wir im übrigen aus seiner Theorie den Grund- gedanken herausschälen, die Ableitung der ein- zelnen Merkmale des sich entwickelnden Orga- nismus aus einzelnen, durch das Keimplasma übertragenen Erbanlagen, so ist gewiß bemerkens- wert, wie viele Berührungspunkte Weismann 's Lehre mit der Vererbungslehre Gregor Men- del's besitzt. Liegt doch der Vergleich der Mendel'schen Erbeinheiten mit den Determi- nanten Weismann 's ungemein nahe, und daß die Mendel'schen Versuche, die vor Weis- mann's Arbeiten angestellt wurden. Weismann aber damals unbekannt waren, mit vielen Vor- stellungen Weismann 's in bestem Einklang stehen, spricht jedenfalls dafür, daß in diesen mindestens ein richtiger Kern enthalten ist. Ob der ganze komplizierte Vererbungsapparat, wie ihn Weis mann annahm, nun wirklich den natürlichen Verhältnissen entspricht , ist eine andere, aber mehr nebensächliche Frage. Weis- mann selbst hat wiederholt seine Theorie als eine Arbeitshypothese bezeichnet, die der beständigen Nachprüfung an den Tatsachen bedürfe, und hat an den verschiedensten Stellen seiner Schriften selbst zugestanden, daß sie noch weit davon ent- fernt sei, alles zu erklären. Andererseits aber betont er mit vollem Recht, daß „eine durch- gearbeitete Theorie überhaupt notwendig schien für weitere Fragenstellung und weiteren Fort- schritt. Auf dem so verwickelten Gebiet der Biologie und ganz besonders auf dem der Ver- erbung, ist die Theorie das einzige Mittel, um neue Fragen zu stellen und damit zugleich, um neue leitende Tatsachen zu finden". Er vergleicht wiederholt seine Determinantenlehre mit der Mo- lekular- und Atomtheorie, beide sind nicht be- weisbar, aber beide geben brauchbare Handhaben für eine klare Vorstellung der Naturvorgänge. Hierin wird man W e i s m a n n beistimmen müssen, denn selbst Theorien, die sich später als irrige erwiesen haben, sind oft — man denke nur an die Geschichte der chemischen Theorien — zur Quelle wichtiger neuer Erkenntnisse geworden. In der Frage nach der Vererbbarkeit der er- worbenen Eigenschaften gehen bekanntlich zurzeit die Auffassungen noch weit auseinander. Während zahlreiche Biologen mit Weismann diese Ver- erbbarkeit leugnen, sie zum mindestens für bisher nicht erwiesen halten, haben sich doch bis in die neueste Zeit — es sei nur an die geistvollen Schriften Semons erinnert — immer wieder Stimmen erhoben, die eine Möglichkeit, die Keimzellen vom Soma aus zu beeinflussen und so neue Vererbungstendenzen in ihnen hervorzurufen, noch nicht für endgültig wider- legt halten. Die experimentelle Entscheidung ist hier nicht leicht, da sich nur in den seltensten Fällen der Nachweis wird führen lassen, daß die- selbe Ursache, die auf die Somazellen verändernd einwirkt, nicht auch einen direkten Einfluß auf die Keimzellen ausgeübt habe, und auch wo eine solche Trennung gelungen zu sein schien, z. B. bei den bekannten Experimenten Tower's mit dem Koloradokäfer , sind Einwände gegen ihre Beweiskraft erhoben worden. So bleibt die Ent- .scheidung auf diesem Gebiete der Zukunft vor- behalten. Bemerkenswert, und für Weismann 's theo- retische Arbeiten charakteristisch ist der Umstand, daß die ersten Bedenken gegen die Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften bei ihm durch theore- tische Erwägungen hervorgerufen wurden, noch N. F. XIV. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 135 „ehe sich allmählich und im Lauf weiterer Unter- suchungen immer bestimmter die Überzeugung ausbildete, daß eine solche Art der Vererbung überhaupt nicht besteht". „Man vergleicht nicht selten — sagt er an anderer Stelle — die Wissen- schaft mit einem Gebäude, welches in solidester Weise aufgeführt werde, indem man Stein aut Stein, Tatsache auf Tatsache lege und so all- mählich zu immer größerer Höhe und Voll- endung emporsteige. Bis zu einem gewissen Grade trifft ja auch dieser Vergleich zu, aber er läßt doch leicht übersehen, daß dies Gebäude an keiner Stelle den Boden berührt, daß es für jetzt mindestens noch vollständig in der Luft schwebt, denn keine einzige Wissenschaft, auch die Physik nicht, hat ihren Bau von unten angefangen , viel- mehr haben sie alle mehr oder weniger hoch oben in der Luft begonnen und dann weiter nach unten gebaut ; den Erdboden aber hat auch die Physik noch nicht erreicht. . . . Wir können bei keiner Erscheinungsgruppe mit der Erforschung ihres letzten Grundes anfangen und zum Komplizierte- ren fortschreiten, nicht synthetisch und deduktiv verfahren und die Erscheinungen von unten an aufbauen, sondern analytisch und induktiv von oben nach unten, wenigstens doch im großen und ganzen". Ausführungen ähnlicher Art finden wir inWeismann's Arbeiten oft. Er läßt also den Leser niemals im unklaren darüber, daß er sich des hypothetischen Charakters seiner An- schauungen stets bewußt ist. Im einzelnen aber stoßen wir doch in seinen Schriften gelegentlich auf Unklarheiten. So schreibt er in seiner „Germinalselektion" (S.5 5) : „Gewiß muß die Theorie verlangen, daß schon die Anfangsstufen einer Variation Selektionswert haben , sonst kann eine Personalselektion nicht eintreten und damit auch keine Germinalselektion. Da wir aber .... in keinem Falle über den Selektionswert einer Abänderung ein Urteil haben oder eine Erfahrung machen können, so ist die Annahme, daß in einem bestimmten Falle von Um- wandlung eines Charakters die ersten Anfangsstufen der Variation Selektionswert hatten , nicht nur ebenso wahrscheinlich als das entgegengesetzte, daß sie keinen hatte, sondern sie ist unendlich viel wahrscheinlicher, weil wir mit dieser Annahme die rätselvolle Tatsache der Anpassung verständlich machen können, mit jener aber nicht. Wenn wir also nicht geradezu auf jede Erklärung verzichten wollen, so sind wir zu der Annahme gezwungen, daß die Anfangsstufen aller tatsächlich stattgehabten Anpassungen Selektionswert hatten." Es ist nicht zu verkennen, daß in diesen Sätzen eine Circulus vitiosus steckt. L^nd das gleiche läßt sich schließlich auch von der Beweisführung sagen, die Weis mann — aber durchaus nicht er allein — wiederholt zugunsten seiner Theorie von der Allmacht der Naturzüchtung anwendet : wir nehmen sie an, „weil wir müssen, weil es die einzige mög- liche Erklärung ist, die wir geben können"; und wenn er Lord Salisbury gegenüber, der diese Be- gründung nicht als genügend anerkennen wollte, da ,,we are under no Obligation to find a theory, if the facts will not provide a sound one", betont: „alle Naturforschung geht von der Erklärbarkeit der Natur aus; ihre Aufgabe ist es, die Erscheinungen aus den physischen Kräften abzuleiten, und sobald sie für eine Erscheinung — hier also für die Zweck- mäßigkeit der Organismen — einen Erklärungs- grund gefunden zu haben glaubt, so hat sie keine Wahl, sondern muß denselben annehmen. Daß der- selbe „a sound one" ist, wird dabei vorausgesetzt, andernfalls gäbe er eben für die Erscheinung nicht die ausreichende Erklärung", so ist dieser Satz, mit der letzten Einschränkung, zweifellos richtig. Wenn er aber weiterhin sagt: „Eine zwecktätige Kraft unter die Entwicklungsursachen aufzunehmen . . . wird dem Naturforscher niemals gestattet sein, weil er damit die Voraussetzung seines Forschens preisgäbe : die Begreiflichkeit der Natur", so läßt sich hiergegen zweierlei einwenden : erstens würde, falls die Annahme einer zwecktätigen Kraft sich notwendig herausstellen sollte, damit die Begreif- lichkeit der Natur noch nicht notwendig zu fallen brauchen; zweitens aber ist die Begreiflichkeit der Natur eben auch nur eine Voraussetzung, eine Annahme, die — falls wir nicht wieder einem Circulus vitiosus verfallen wollen — nicht als Beweis gebraucht werden kann. Wenn auch ähnliche Stellen sich noch mehrfach finden, so muß doch demgegenüber betont werden, daß Weis mann durchaus nicht nur dialektisch mit Schlußfolgerun- gen seine Lehre stützen wollte, sondern daß ihm die Tatsachen stets die Hauptsache waren, daß er aber für den Naturforscher auch das Recht in Anspruch nahm, aus diesen Tatsachen allgemeine Schlußfolgerungen zu ziehen. Dies dürfe nicht nur dem Philosophen überlassen bleiben, da „auch unter denjenigen Philosophen, die, wie Eduard V. Hart mann, den Willen haben, sich auf den neu gewonnenen Boden naturwissenschaftlicher Erkenntnis zu stellen, die Tatsachen häufig miß- verstanden oder wenigstens nicht in ihrem wahren Wert taxiert werden". So nahm er auch wieder- holt Gelegenheit, seiner allgemeinen Weltanschau- ung Ausdruck zu geben. Wie er den Widerspruch zwischen mechanischer Naturauffassung und teleo- logischer Weltanschauung auszugleichen suchte, wurde schon oben erwähnt. Seine soeben teilweise wiedergegebene Entgegnung an Salisbury (Neue Gedanken zur Vererbungsfrage, Schluß) schließt er mit den Worten: „Wenn auch für ihn (den Naturforscher) das zweckmäßige Eingreifen eines Schöpfers in die Ereignisse der Welt nicht denk- bar ist, welclies gewissermaßen als Nachhilfe da einträte, wo die Naturkräfte allein nicht ausreichen, so steht doch nichts im Wege, sich einem Schöpfer hinter den Naturkräften oder in ihnen als deren letzten Grund zu denken, falls man da noch von „Denken" reden mag, und so können Natur- forscher und Politiker sich vielleicht doch noch zusammenfinden in dem schönen Goethe 'sehen Bekenntnisse : „Das Unerforschliche still verehren". 136 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. In ähnlichem Sinn äußerte er sich im ersten seiner „Vorträge über Deszendenztheorie" (S. 1 5) mit Bezug auf den Schluß in Erasmus Darwins „Zoonomia" : „In diesen Worten ist zugleich seine Auseinandersetzung mit der Religion gegeben, und zwar genau in derselben Weise, wie wir sie auch heute noch geben können, wenn wir sagen: Alles, was in der Welt geschieht, beruht auf den Kräften, welche in ihr walten und erfolgt gesetz- mäßig; woher aber diese Kräfte und ihr Sub- strat, die Materie, kommen, das wissen wir nicht, und hier steht es frei, zu glauben." Je mehr Weismann durch sein Augenleiden genötigt war, sich von eigener mikroskopischer Arbeit fern zu halten, desto mehr widmete er sich dem weiteren Ausbau seiner Theorie. Als seine Freunde, Fachgenossen und Schüler seinen siebzig- sten Geburtstag durch festliche Veranstaltungen feierten, hob er in seiner schon eingangs erwähnten Tischrede hervor, daß ihm immerhin noch soviel Sehkraft verblieben sei, um die Arbeiten seiner Schüler zu verfolgen und sich von ihren Ergebnissen zu überzeugen. In den letzten Jahren seines Lebens nötigte ihn sein Leiden, sich mehr und mehr aller Geselligkeit zu enthalten, und es war ihm ein besonderer Schmerz, der in seinem letzten Lebensjahr in Freiburg stattfindenden Jahres- versammlung der Deutschen zoologischen Gesell- schaft nicht persönlich beiwohnen zu können. Wenige Monate vorher, gelegentlich seines So. Ge- burtstages, hatte die Gesellschaft ihn „in dankbarer > Verehrung und Bewunderung einer an Ergebnissen reichen und unermüdeten Forscherfähigkeit, welche in genialer Weise Beobachtung und Theorie ver- knüpfend, die Grenzen unseres Denkens erweiterte und der Erforschung der Lebewesen neue unge- ahnte Ziele steckte" zum Ehrenmitgliede er- nannt. In der Rückerinnerung an das erste Auftreten seines Augenleidens und dessen Besserung sagte später der Siebzigjährige: „Dann folgte im Sommer 1S70 die große nationale Erhebung des deutsch- französischen Krieges und es mag wohl sein, daß diese uns alle mit Jubel erfüllende, so wenig er- hoffte Wiedergeburt unseres Vaterlandes auch dazu beitrug, das doch wesentlich nervöse Leiden zu bessern." Und als nun am 6. November 1914 Weismann's Augen sich für immer schlössen, da schallte wiederum Europa vom Kriegslärm wieder, und Deutschland stand in einem Kampf um seine na- tionale Existenz, mit dem verglichen der Krieg von 1870 fast klein erscheint. Und wenn wir die zuversichtliche Hoffnung hegen, daß in dieser scharfen Auslese zwischen den Völkern Europas das deutsche Volk siegreich bestehen wird, dann danken wir dies dem in langer Friedensarbeit an- gesammelten Erbgut von idealer Begeisterung für hohe Ziele, von ausdauernder Energie pflichttreuer Arbeit, zu deren besten und namhaftesten Ver- tretern auch August Weismann zählt. Kleinere Mitteilungen. Wann begann die allgemeine Verwendung des Eisens? Diese Frage sucht Oskar Montelius in der ,, Prähistorischen Zeitschrift" (Bd. 5 S. 289 bis 330) zu beantworten, wobei er bemerkt, daß es sich nicht darum handelt, festzustellen, wann die Menschen zuerst einen Gegenstand aus Eisen herstellten, sondern darum, wann der Gebrauch des Eisens so allgemein wurde, daß man von einer Eisenzeit sprechen kann, in welcher das Eisen die materielle Grundlage der Kultur bildet. Bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts glaubte man, daß das Eisen in den Kulturländern des Südens mehrere tausend Jahre vor dem Beginn unserer Zeitrechnung allgemein benutzt wurde, daß dagegen sein Gebrauch in den Nordländern erst mehrere hundert Jahre nach Christi Geburt einsetzte. Nun ist aber sichergestellt, daß das Eisenzeitalter bei den Kulturvölkern des Südens nicht eher als gegen den Schluß des zweiten vor- christlichen Jalirtausends begann, während dieses Metall im Norden bereits in der ersten Hälfte des letzten vorchristlichen Jahrtausends bekannt war. Der zeitliche Unterschied im Beginn des Eisen- zeitalters im Süden und im Norden ist tatsächlich viel geringer als ehedem angenommen wurde. Am frühesten scheint die Verwendung des Eisens in Ägypten allgemeiner geworden zu sein. Lange Zeit glaubte man, dies sei schon zur Zeit der ersten Dynastien, mehrere Jahrtausende vor Christi Geburt, der Fall gewesen. Neuere For- schungen zeigen jedoch, daß die bei den älteren Bauten verwendeten behauenen Steine mit Bronze- meißeln bearbeitet wurden. Auf einem Denkmale des alten Reiches ist die Bearbeitung eines Steines mit Meißeln dargestellt, deren Farbe erkennen läßt, daß sie von Bronze oder Kupfer waren. Der englische Archäologe Wilkinson fand bei Theben unter einer Menge .Abfall von behauenen Steinen einen 22'/., cm langen Bronzemeißel, der sicher bereits vor Jahrtausenden von den Arbeitern dort zufällig zurückgelassen wurde. An seinem oberen Ende zeigt der Meißel sehr deutliche Spuren von Hammerschlägen, die Schneide ist jedoch ganz unbeschädigt, obwohl sie bald unbrauchbar würde, wenn ein mit solchem Werkzeug nicht vertrauter Arbeiter versuchte, damit dasselbe Steinmaterial zu behauen, an dem es verwendet wurde. Es ist nicht glaubhaft, daß die Ägypter ein Verfahren zum Härten von Bronze kannten. Vielmehr ist anzunehmen, daß sie ihre große Geschicklichkeit in der Mandliabung von Bronzewerkzeugen durch langdauernde Übung erworben haben. Beachtens- wert ist in dem Zusammenhang, daß man früher glaubte, die in vorgeschichtlichen Steinwerkzeugen N. F. XIV. Nr. y Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 137 vorhandenen Löcher könnten nur mit stählernen Werkzeugen hergestellt worden sein, doch ergaben Versuche, daß solche Steine mit ganz einfachen Werkzeugen aus Stein und sogar aus Holz durch- bohrt werden können. Auch in Mexiko und Zentralamerika wurden in vorkolumbischer Zeit reich verzierte Bauten aus hartem Stein ohne Verwendung eiserner Werk- zeuge errichtet; denn der Gebrauch des Eisens kam erst mit den Europäern nach Amerika. In bezug auf die Frage, zu welcher Zeit in den ägyptischen Inschriften ein besonderes Wort für Eisen erscheint, bemerkt Montelius, das Wort „bi", das manche Ägyptologen als „Eisen" deu- teten, sei eine Bezeichnung für „Metall" im all- gemeinen. Ein mit bi zusammengesetztes Wort bi-n-pet hat hingegen, wie das davon abgeleitete Wort benipe, die Bedeutung Eisen. Die ältesten Dokumente, in denen dieses Wort vorkommt, stammen wahrscheinlich aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts v. Chr. Auf den ägyptischen Monumenten sind Waffen und Geräte in der Zeit des alten Reichs immer rot gemalt; die das Eisen bezeichnende blaue Farbe tritt erst in der letzten Hälfte des zweiten Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung auf. Sichere Funde von Eisen selbst liegen erst vom Anfang des 13. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung an vor. Dagegen beweisen zahl- reiche Funde, daß Bronze noch während der 18. Dynastie allgemein zu Waffen und Werkzeugen verwendet wurde. Im südwestlichen Asien begann die allgemeine Verwendung des Eisens später als in Ägypten. In den Keilinschriften der Euphratländer wird das Eisen erst zu Beginn des letzten Jahrtausends V. Chr. erwähnt und diese Inschriften beweisen, daß das Eisen damals nur in geringen Mengen nutzbar gemacht wurde. Die Ruinenhügel der uralten Städte Chaldäas, Assyriens und Syriens enthalten Eisen erst in den Schichten aus der Zeit um 1000 V. Chr. Inschriften bezeugen auch, daß Werkzeuge von Bronze in diesen Ländern noch sehr spät verwendet wurden. In Armenien und den Kau kasusländern, die reiche Eisenerzlager besitzen, wurden Gräber aus der Bronzezeit sowie aus der Übergangsperiode von der Bronze- zur Eisenzeit aufgedeckt, wovon einige ziemlich genau datiert werden können. Es zeigte sich, daß Gräber, in denen das Eisen noch ganz fehlt oder sehr selten ist, in das 11. Jahr- hundert V. Chr. gehören. Ähnlich waren die Ergebnisse von Ausgrabun- gen im nordwestlichen Kleinasien. Bei Hissarlik, nahe an der Meerenge der Dardanellen, liegt ein mächtiger Ruinenhügel, welcher Reste von vielen übereinander gebauten Städten enthält ; eine davon gilt als das homerische Troja. Eisen kommt erst in der siebenten Ansiedlung vor, die jedenfalls erst nach dem Jahr iioo vor unserer Zeitrechnung entstanden ist. Auf europäischem Boden ergab die prähisto- rische Forschung, daß in Griechenland noch während der ganzen Mykenäzeit alle Waffen und Werkzeuge aus Bronze waren. Erst während der auf diese Periode folgenden „geometrischen" Zeit, die während des 12. vorchristlichen Jahrhunderts begann, wurde das Eisen allgemein verwendet. Auf Sizilien, sowie im südlichen und mittleren Italien begann die Eisenzeit ungefähr zum gleichen Zeitpunkt wie in Griechenland. An der O.stküste des südlichen Italien hat man Eisenschlacke zu- sammen mit bemalten spätmykenischen Tongefäß- scherben gefunden. In Mittelitalien kommt Eisen bis zur zweiten Hälfte des 12. vorchristlichen Jahrhunderts so gut wie gar nicht vor; in der folgenden Zeit ist es jedoch schon allgemein in Gebrauch. In Norditalien zeigt sich das Eisen nicht viel später als in Mittelitalien. In Mitteleuropa kam das Eisen während des 10. und zu Beginn des 9. vorchristlichen Jahr- hunderts allgemein in Gebrauch. Der ältere Teil der Eisenzeit in Mitteleuropa heißt nach dem großen Gräberfeld von Hallstadt die Hallstadtzeit. In diese Zeit gehören Eisenschwerter, die ganz die Form der am Ende der Bronzezeit benutzten Bronzeschwerter haben. Nach Norddeutschland und .Skandina- vien kam das erste Eisen kurz nachdem das neue Metall in den Mittelmeerländern bekannt geworden war. Aus der vierten Periode der nordischen Bronzezeit, dem 11. und 10. Jahrhundert v. Chr., sind aus Norddeutschland und Skandinavien meh- rere Eisenfunde bekannt, ein solcher Fund stammt sogar aus der dritten Bronzezeit. In den späteren Perioden, namentlich im 8. und 7. Jahrhundert v. Chr., mehren sich die nordischen Eisenfunde ganz bedeutend, und man darf annehmen, daß um diese Zeit die allgemeine Verwendung des Eisens im europäischen Norden begann. Die Verdrängung der Bronze durch das Eisen gestaltete sich hier verhältnismäßig langsam. Als Gründe dafür gibt Montelius an, daß das Eisen im Anfang selten und folglich kostbarer war als Bronze. Außerdem mußte eine neue Technik angewendet werden. Man konnte damals das Eisen nicht gießen, son- nur schmieden, und die Schmiedetechnik war im Norden während der Bronzezeit selten angewendet worden. Schließlich erwies sich das Eisen als kein besseres Material für Geräte und Waffen als Bronze. Guter Stahl ist gewiß besser als Bronze, aber am Beginn der Eisenzeit war es noch schwer, guten Stahl herzustellen; das geht aus Berichten alter Schriftsteller hervor. Die große Überlegen- heit, welche das Eisen heute besitzt, wurde ihm erst durch die Massenproduktion gesichert, die auf den technischen Fortschritten der jüngsten Ver- gangenheit beruht. H. Fehlinger. Die Verwendung eines Elektromagneten zur Entfernung magnetisierbarer I'Vemdkörper, die durch einen unglücklichen Zufall in die Bindehaut des Auges geraten sind, z. B. Eisenfeilspäne, ist nichts Neues. Neuerdings wird ein Riesenelektromagnet 1.8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 9 bei der Behandlung Verwundeter im Spital Des- genettes in Paris zur Entfernung von Kriegsge- geschossen benutzt. Rollet (Extraction des balles allemandes et des eclats d'obus ä l'aide de l'electro-aimant geant. C. R. Ac. sc. Paris Nr. 14, 5 octobre 1914) hatte 1910 einen Riesenelekromagneten konstru- iert, um damit Fremdkörper aus dem Auge und Nadeln aus der Haut zu entfernen. Mit der Be- handlung der Kriegsverwundeten beauftragt, be- nutzt er ihn mit Erfolg bei der Entfernung eisen- haltiger Geschosse. Während die französische Ge- Gewehrkugel, die größtenteils aus Kupfer besteht, sowie die französischen und deutschen Schrapnell- kugeln aus Blei nicht magnetisiert werden, ist in der deutschen Gewehrkugel — mit einem Mantel aus Nickeleisen — und in den Granatsplittern ge- nug Eisen, daß diese kräftig angezogen werden. So reißt der Riesenelektromagnet, der bei 23 Amp. und 1 10 Volt eine Tragkraft von mindestens 1 150 kg hat, die deutsche Gewehrkugel von 10 g Ge- wicht auf einer Entfer-nung von 1 1 cm ohne wei- teres an sich, die kleineren Granatsplitter dagegen schon aus ungefähr 15 cm. Nach einem ober- flächlichen Einschnitt kann das Geschoß ohne weiteres oder jedenfalls bedeutend leichter aus dem Körper gezogen werden. Hervorragende Dienste leistet der Elektromagnet beim Auffinden des Geschosses im Körper. Sitzt dieses nur im Unterhautzellgewebe, drängt es die Haut an einer scharf umschriebenen Stelle vor; wenn es dagegen tiefer sitzt, etwa intramuskulär, veranlaßt es eine allmählich verstreichende Geschwulst. In jedem Fall aber verursacht die Bewegung des Geschosses durch die dabei stattfindenden Zerreißungen einen ganz charakteristischen Schmerz, der indessen nur bei längerem Suchen eine lokale Anästhesie oder eine allgemeine Narkose nötig macht. Die Mus- kelzusammenziehungen und Blutungen bilden da- bei gewisse, aber nicht unüberwindliche Schwierig- keiten. Beim Arbeiten im magnetischen Feld muß der Chirurg natürlich nicht magnetiesierbare Instru- mente benutzen. R. empfiehlt dafür, solche aus 25 proz. Nickelstahl. Kathariner. Wettlauf zwischen Mensch und Tier. Von jeher hat es dem Menschen Freude bereitet, seine Kräfte zu üben und sich die liöchsten Ziele zu stecken. Alles, was er in der Natur an Vorbildern der Stärke oder Gewandtheit, der List oder der Schnelligkeit findet, hat er zu übertreffen ge- sucht. Und wie er jedes Tier, vom kleinsten bis zum größten , in seine Dienste zwingen oder es wenigstens als Nahrungsmittel nutzbar machen wollte, so hat er alle Vorbilder für seine eigenen Leistungen, die er im Reiche des tierischen Lebens beobachtete, nachzuahmen gesucht. Der Wettlauf mit schnellfüßigen Tieren ist daher eine uralte menschliche Gewohnheit. Unsere Kinder laufen mit ihren Hunden um die Wette, die größeren Knaben versuchen mit Pferden Schritt zu halten, und die Erwachsenen blicken sehnsüchtig und neidisch den Vögeln nach, die sich mühelos in den Äther erheben. Wollen die Gliedmaßen unseres Körpers einen direkten Wett- bewerb mit der Schnelligkeit nicht gestatten, so ersinnen wir Vorrichtungen oder Maschinen, um ihre Überlegenheit endlich doch zu brechen. Trotzdem wird es stets besonderen Reiz be- halten, wenn der Mensch nur durch die Kraft- aufwendung seiner Gliedmaßen es mit einem schnellfüßigen Tier aufnehmen kann. Piero von Medici, der selbst in körperlichen und rhterlichen Übungen das Menschenmögliche zu leisten suchte, der nicht nur der erste Reiter und der beste Ballschläger, sondern auch Sieger in den Turnieren sein wollte, war gewiß stolz darauf, einen Mann wie Michel Angelo als Künstler in seinen Diensten zu sehen. Nicht weniger aber tat er sich, wie uns Hermann Grimm erzählt, zur selben Zeit auf einen Spanier zu gute, der in seinem Marstall diente und so schnellfüßig war, daß er im Lauf ein Pferd in gestreckter Karriere überholen konnte. Der Wettlauf zwischen Mann und Pferd ist in früheren Zeiten eine häufige Belustigung gewesen. Zuweilen ist sie in grausamster Form ausgeführt worden. Als der Aufstand des Herzogs von Monmouth von den Truppen Jakobs II. im Westen Englands niedergeschlagen war, wurden die Ge- fangenen haufenweise hingerichtet. Feversham leitete diese Hinrichtungen. Macaulay sagt von ihm, daß er die Gesetze der Engländer nicht kannte und sich um ihre Gefühle nicht kümmerte, da er an den kriegerischen Übermut Frankreichs gewöhnt war und von seinem hohen Verwandten, dem Eroberer der Provence, nicht erobern, son- dern nur verwüsten und zerstören gelernt hatte. Er machte einem der Gefangenen, einem jungen Mann, der wegen seiner Schnelligkeit im Laufen berühmt war, Hoffnung, daß er mit dem Leben davon kommen könne, wenn er aus dem Wett- lauf mit dem Fohlen der Marschen siegreich her- vorginge. Noch heute ist der etwa ^/^ englische Meilen (ungefähr 1,2 km) lange Raum, den dieser Mann mit dem Pferd durchlief es am Ziel hinter sich lassend, durch Markzeichen auf dem Moore angegeben, wo sich die Hinrichtung abspielte. Feversham jedoch schämte sich nicht der Nie- drigkeit, den Unglücklichen, obwohl er die ver- langte Leistung vollbracht hatte, dennoch an den Galgen zu schicken, wo er neben einer langen Reihe anderer Gefangener auf der Straße von Bridgewater nach Weston Zoyland aufgeknüpft wurde; für jeden einzelnen hatte man einen Galgen errichtet, so daß die Straße in langer Reihe da- von gesäumt war. Unter den weißen Völkern der Gegenwart ist die Kunst eines so schnellen Laufes wohl nur mehr wenig verbreitet. Ein paar Sportleute mögen dazu imstande sein, während die aller- größte Menge der Bevölkerung kaum versteht, N. F. XIV. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 139 wie solche Leistungen auch nur möglich sind. Indessen gibt es noch heute ein Volk auf der Welt , dessen Menschen fast sämtlich diese P'ähigkeit raschesten Laufes besitzen. Professor W. J. Mc Gee hat vor einigen Jahren auf zwei von dem Smithsonian Institute in Washington nach Kalifornien entsandten Expeditionen den Stamm der Seri-Indianer genau erforscht, der am Golf von Kalifornien in einer abgelegenen trau- rigen Einöde wohnt, unter den ungünstigsten natürlichen Bedingungen lebend. Ihr Gebiet be- steht aus einem steinigen Gelände, das im Sommer furchtbar heiß, nachts eisig kalt ist, das sehr wenige Landtiere ernährt, und das die Bewohner daher zwingt, wenn sie nicht Hungers sterben wollen, allen Tieren, deren sie habhaft werden können, mit der größten Geschicklichkeit nach- zustellen. Schon die kleinen Knaben üben sich daher im schnellen Lauf, und sämtliche Mitglieder dieses Stammes bringen es darin zu hervorragen- den Leistungen. Die Knaben bringen es fertig, die Wolfshunde, mit denen sie aufwachsen, im Laufe einzuholen, nachdem sie ihnen einen be- trächtlichen Vorsprung gegeben haben. Auch belustigen sie sicii damit, Hasen im vollen Laufe auf weiter Ebene lebendig zu fangen, ohne daß sie dazu irgendwelches Wurfgeschoß oder Fang- mittel benutzen. Selbst davonfliegenden Vögeln laufen sie nach. Mc. Gee berichtet, es selbst mit angesehen zu haben, wie ein Knabe einem Vogel, den er einholte, eine Handvoll Schwanzfedern aus- riß. Auf dem Hasenfang tun sich meist drei Kinder zusammen. Eins folgt dem Tiere langsam, die beiden anderen nähern sich ihm von den Seiten her, bis es nach vergeblichem Hin- und Herlaufen an dem Schwanz oder an den Ohren ergriffen werden kann. Selbst die Frauen be- lustigen sich damit, Hasen ohne Hilfsmittel zu jagen. Die erwachsenen Männer nun gar sind imstande, auf diesen steinigen Ebenen den schnell- sten Hirsch, das leichtfüßigste Pferd einzuholen. Haben sie sich ihm im Laufe genähert, so machen sie eine letzte gewaltige Anstrengung, um es endlich in einem fast flugähnlichen Lauf zu er- reichen. Mc Gee veranstaltete ein Wettrennen zwischen einem Seri-Indianer und einem Pferd, wobei er letzteres als Preis aussetzte. Das Tier wurde los- gelassen und zu äußerster Schnelligkeit ange- trieben. Nach kurzer Zeit aber war ihm der Indianer schon auf den Fersen. Mc Gee erzählt, daß er sich in vollem Lauf auf den Rücken des Pferdes geschwungen, mit der einen Hand zwischen dessen Ohren und mit der anderen in die Schnauze gegriffen habe — und daß im nächsten Augen- blick das Tier mit gebrochenem Rückgrad sich an der Erde wälzte. Alsbald stürzten sich die übrigen Indianer mit Freudengeheul auf das Pferd, um mit den scharfen Muschelschalen, die sie an Stelle von Messern benutzen, seinen Bauch aufzu- reißen und auf der Stelle zu beginnen, die dampfenden Eingeweide zu verzehren. Diese Mitteilungen klingen allerdings etwas unwahrscheinlich. Seit Jahren haben sich die her- vorragendsten Sportsleute darin versucht, die Höchstleistungen im Lauf über bestimmte Strecken zu übertreffen. Hier und da ist es in der Tat gelungen, sie um Bruchteile von Sekunden zu verkleinern. Offenbar sind jedoch der Leistungs- fähigkeit des Menschen auf körperlichem Gebiet trotz der besten Ernährung und trotz der ausge- zeichnetsten Trainierung Grenzen gezogen, die nicht wohl, auch von Naturmenschen nicht, über- schritten werden können. Man rechnet, daß die Schnelligkeit des Pferdes und des Hirsches die- jenige des Menschen ungefähr um das Dreifache übertrifft. Immerhin bleibt vielleicht die Mög- lichkeit offen, zumal da die oben angeführten ge- schichtlichen Beispiele klar bezeugt sind, daß ein- zelne Menschen sich durch eine ganz besondere Fähigkeit des Schnellaufs auszeichnen, ebenso wie auch Menschen mit anderen abnormen Fähig- keiten — etwa in der Widerstandskraft ihrer Glied- maßen gegen Druck — geboren werden. Tritt dazu noch kräftige Übung, so können allerdings wohl erstaunliche Leistungen im Schnellauf erzielt werden, so daß solche Pferde, die nicht gerade zu den schnellfüßigsten gehören, wohl einmal aus- nahmsweise von einem Menschen übertroffen werden können. In der Regel allerdings bleibt das Pferd der schnellere Teil. Dennoch steigt in dem Menschen immer wieder der Wunsch auf, es an Schnellig- keit den leichtestbeweglichen Tieren gleichzutun. Nicht einmal die Brieftauben sind davor sicher, daß nicht der Mensch einen Wettlauf mit ihnen unternimmt. So hat kürzlich ein englischer Ab- geordneter, Mr. Handel Booth, eine Wette abge- schlossen, daß er schneller als 70 Brieftauben, die man von London nach seinem Wahlkreis Pontre- fact in der Grafschaft York auflassen wollte, dort ankommen würde. Während die Tauben auf- stiegen, jagte Booth im Auto vom Parlaments- gebäude zum Bahnhof King's Gross. Dort sprang er in den Schnellzug — der Zeitpunkt des Auf- lassens war so gewählt, daß er ihn erreichen konnte — der ihn bis nach Doncaster trug. Nach dreistündiger Fahrt traf er hier ein, wo er sich sofort wieder in ein Auto schwang, um nach etwa halbstündiger Fahrt in Pontrefact anzu- kommen. Drei Tauben aber waren bereits eine Viertelstunde vorher dort erschienen. Schultze. Getrocknete Bierhefe als Nahrungs- und Futter- mittel in Kriegszeiten. Schon im Frieden wurde oft auf die Bedeutung getrockneter Hefe als Nahrungs- und Futtermittel hingewiesen. Von größerer Wichtigkeit ist natürlich die Verwendung von Hefe in Kriegszeiten, wo auf ein haushälte- risches Verbrauchen der wichtigsten Futtermittel und des Brotgetreides geachtet werden muß. — Die Hefe ist gleichzeitig ein Nahrungsmittel, ein Genußmittel, ein diätetisches und ein Heilmittel. 140 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 9 Nach dieser Richtung ist übrigens nicht nur die direkt heilende, sondern auch die prophylaktische Wirkung hervorzuheben. Ihrer chemischen Zu- sammensetzung nach steht sie dem F~leisch am nächsten. Sie ist der gegebene Fleischextrakt. Nährhefe eignet sich daher in erster Linie zur Herstellung solcher Speisen, die gewohnheits- mäßig unter Verwendung von Fleisch und Fleisch- brühe bereitet werden. In viel größerem Maßstabe noch wie als Nahrungsmittel hat sich die Trockenhefe in Deutschland und Österreich als Futtermittel ein- geführt. Keins von all den vielen Futtermitteln, die als Haferersatz bei der Pferdefütterung heran- gezogen worden sind, hat sich auch nur annähernd derart bewährt, wie die Trockenhefe. Es kann die Haferration nach zahlreichen Erfahrungen, im besonderen an Arbeitspferden, ohne Bedenken, ja sogar mit Vorteil, bis zur Hälfte durch Trocken- hefe ersetzt werden. Otto Bürger. Einzelberichte. Chemie. Über optische Aktivität bei kohlenstofif- freien Verbindungen. In einem vor einiger Zeit in dieser Zeitschrift erschienenen Aufsatz über die Isomerie, ') in der auch über die wichtigen Arbeiten von A. Werner über optisch-aktive \'erbindungen mit asymmetrischen Metall-, insbesondere asym- metrischen Kobaltatomen berichtet worden ist, war darauf hingewiesen worden, daß Fälle von optischer Isomerie bislang ausschließlich an solchen Verbindungen beobachtet worden sind, in deren Molekül Kohlenstoffatome enthalten sind. ,, Sollte, so wurde die Frage damals erörtert, das \^or- handensein von Kohlenstoff im Molekül etwa auch wesentlich sein?" „Vermutlich nicht. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat der Kohlenstoff der optisch-aktiven Stoffe keine prinzipielle Bedeutung, sondern nur eine präparative Wichtigkeit". Be- gründet wurde diese Vermutung mit den Worten; ,,Jede Form der Isomerie setzt ja eine so große Stabilität der einzelnen Moleküle voraus, daß eine intramolekulare Umwandlung der Isomeren inein- ander nicht eintreten kann. Diese Bedingung genügender Stabilität scheinen nun gerade die Kohlenstoffverbindungen in besonders hohem Maße zu erfüllen, so daß die Isolierung der Iso- meren bei ihnen leichter als bei kohlenstofffreien Verbindungen gelingt". Die Richtigkeit dieser Vermutung ist nun kürzlich von Ä. Werner in einer glänzenden Arbeit (Ber. d. D. Chem. Gesellsch. Bd. 47, S. 3087 bis 3094; 19 14) bewiesen worden, über die im Folgenden kurz berichtet werden soll. Als wesentlich für das Auftreten optischer Isomerie ist schon seit langem die Existenz des fraglichen Stoffes in zwei verschiedenen, mitein- ander im Verhältnis von Bild zu Spiegelbild stehenden, ,,enantiomorphen" I-'ormen oder, wie es Pasteur ausdrückt, der zum erstenmal einen optisch- inaktiven Stoff, die Weinsäure, in Rechts- und Links-Form gespalten hatte, die Unmöglichkeit erkannt worden, durch das Molekül des Stoffes eine Symmctrieebenc zu legen. Diese Bedingung ist, wie Werner gezeigt hat, unter anderem auch bei gewissen komplexen Verbindungen des Ko- balts von der P"ormel [Co en^] Xg erfüllt, in der die Buchstaben en eine zwei Ammoniakgruppen äquivalente Äthylendiamingruppe NH.,-CH.,-CH.,.NH., und X einen einwertigen Säurerest bedeutet. ') Werner Mecklenburg; „Die Isomerie" Wochenschr., N. F. Bd. XI, S. 657 bi.s 666; 1912. Abb. I. Abb. 2. Die beiden enantiomorphen Formen der Triäthylendiamin- coballi-Salze. Der Innenring dieser Verbindungen Co eng kann, wie das räumliche Schema zeigt, in zwei enantio- morphen Formen vorkommen, und in der Tat weisen die Verbindungen dieser Art auch optische Aktivität auf. Es lassen sich nun — experimen- telle Einzelheiten kommen hier nicht in betracht — die drei kohlenstoffhaltigen Athylendiamin- gruppen durch die kohlenstofffreien Komplexe [Co (OH), (NHa)^ ersetzen, und es entsteht dann aus dem Triäthylendiaminkobalti-Komplex [Coenj] der Komplex der Dodekammin-hexol- tetracobalti-Salze : [co(^")Co(NH3), Dieser Komplex muß — das ergibt sich aus den Darlegungen ja ohne weiteres — genau ebenso wie der Triäthylendiaminkobalti-Komplex in zwei enantiomorphen P'ormen möglich sein und sich darum auch in die Rechts- und die Links- Form zerlegen lassen. Tatsächlich gelang es Werner, durch Behandlung des Dodekammin-hexol-tetra- kobalti-Chlorids mit rechts-brom-kampfersulfon- saurem Silber in üblicher Weise die Zerlegung durchzuführen und damit zum erstenmal eine kohlenstofffreie X^erbindung in Gestalt ihrer op- tischen Isomeren zu gewinnen. Die experimentellen Schwierigkeiten der Arbeit lagen vor allen Dingen, wie Werner ausdrücklich angibt, in der großen N. F. XIV. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 141 Neigung der aktiven Komplexe zur Autorazemi- sation, und es trug daher der Umstand, daß das + i*tt6 [r-670° / ^560° -858° - 675 6?6 560 516,5 WS"""- ■^ Wellenlänge in fifi Abb. 3. spezifische Drehungsvermögen des Komplexes den ganz enormen Wert von über 4000 " hat, wesent- lich zur Erreichung des Zieles bei. Bemerkenswert ist auch — darauf sei zum Schluß noch kurz hingewiesen — , daß das optische Drehungsver- mögen, wie die Abbildung 3 erkennen läßt, in hohem Maße von der Wellenlänge des Lichtes abhängig ist, eine Erscheinung, die sich sogar in ausgesprochen anomaler Rotationsdispersion, d. h. in der Tatsache zeigt, daß sich das Drehungs- vermögen bei dem selben Isomeren je nacli der Wellenlänge des Lichtes bald als Rechts-, bald als Links-Drehung äußert. Mg. Geologie. Das Meer des Kupferschiefers be- handelt Pompeckj in seinem Beitrag zur „Branca- Festschrift" '). Aus den orographischen, physi- kalischen, klimatischen, biologischen Zuständen jenes Meeres sind seine Absätzezu verstehen, nachträgliche Veränderungen (Diagenese, Tektonik, Erosion) haben die ursprüngliche Wirkung zerstört, erschweren die Deutung für uns. Dennoch muß es möglich sein unter Berücksichtigung aller in Frage kommenden Faktoren rückschließend ein Bild der Erdober- flächenverhältnisse zu entwerfen, denen der heutige geologische Befund zu danken ist. Das gilt für alle Gesteine, die die Erdrinde aufbauen ist bezüglich der kristallinen Gesteine aber nach Pompeckj vielleicht häufiger und mit besserem Erfolge in Angriff genommen wurden als für Sedimente. Der permische Kupferschiefer Nord- deutschlands zeichnet sich nun offenbar durch ganz ') Festschrift zum 70. Geburtstage WilhelmBranca's (9. Sept. 1914). Gebr. Borntraeger, Leipzig-Berlin 1914. S. 444 — 494. [Die Festsclirift enthält 2 paläozoologische (Schmidt, Wegener), I paläobotanische (Gothan), 2 tektonische (Haarmann, Lachmann), 2 diluvialgeologische (Gagel, Werth), 2 paläogeographische (Pompeckj, Hennig), I regional- geologische (Solger), 2 stratigraphische (Schöndorf, Stremme- Täuber), I bodenkundliche (Stremme), I vulkanische (Reck) Arbeit der Schüler Branca's.] besondere, von der Regel abweichende Entstehungs- bedingungen aus, ist auch ganz regional beschränkt und bietet daher gute Angriffspunkte zu einer Untersuchung im dargelegten Sinne. Pompeckj gibt einen Überblick über die Verbreitung, den Erzgehalt und sonstige litho- logische Eigenschaften, die bisher bekannt ge- wordene Fauna und Flora (nebst Fundorten und Häufigkeitsangaben) des Kupferschiefers, seine Be- ziehungen zu sonstigen Zechsteinbildungen Deutschlands und kommt durch deren ein- gehende Besprechungen zu folgenden Ergeb- nissen. Der Kupferschiefer ist eine marine Bildung, wie insbesondere die Brachiopoden beweisen. Die Seltenheit der Invertebraten spricht aber für sehr ungünstige Lebensbedingungen, wälirend der große Bitumengehalt nur durch reiche Mikrofauna er- klärlich wird, für die im übrigen keine Möglichkeit zur Erhaltung in F'orm von F'ossilien bestand. Im großen und ganzen stellt der Fossilgehalt eine Fischfauna dar. Die Fische sind jedoch kein primärer Faunenbestandteil des Kupferschiefermeeres. Denn die Mehrzahl der Fische dürfte als Bodenbewohner aufzufassen sein, einige als geradezu rochenartige Grundtypen. Am Boden des Kupferschiefers war aber für solche, insbesondere die mit Mahlzähnen versehenen, also auf Schaltiere angewiesenen, keine annäherend ausreichende Ernährungsmöglichkeit gegeben. Die Fische stammen also mindestens zum großen Teil aus kontinentalen (?) benachbarten Gewässern. Die Flüsse des umschließenden Lan- des brachten außer der feinen Tontrübe, die auf recht geringes Gefälle, also weitgehend nieder- geschliffenes Land hinweist, auch die Kupferlösungen mit sich, denen der heutige Erzgehalt zu danken ist, und deren Nährgebiet in den Eruptiven der vorangegangenen Rotliegendperiode gesucht wer- den. Pompeckj spricht sich also im Gegen- satz zu jüngeren Auffassungen für syngenetische Beimengung des Erzes, d. h. für gleichzeitige Ent- stehung, nicht nachträgliche Imprägnierung aus. Der Bitumengehalt kann deswegen doch zur Aus- scheidung beigetragen haben. Die Kupferlösungen sind es aber weniger gewesen, die vergiftend zu- ungunsten des organischen Lebens gewirkt haben, vielmehr war die LInwirtlichkeit des Wassers in der Tiefe durch Schwefelwasserstoff und Mangel an Sauerstoff bedingt. Eine nur geringe Ver- bindung mit dem offenen Meere im Osten (Rußland) ließ zwar hier und da Einwanderung von außen zu, verhinderte aber nicht allmähliche Anreicherung der mineralischen Bestandteile (in späterer Zeit unter etwas veränderten Umständen der technisch so wichtigen Salze!). Pflanzen und landbewohnende Wirbeltiere sind ebenfalls einge- schwemmt. Die gesamten Verhältnisse erinnern an den oberliassischen Posidonomyen-Schiefer und, wie früher für diesen, findet Pompeckj jetzt für den Kupferschiefer in der Heutzeit als bestes Analogon die Zustände im Schwarzen Meer, in dem ein un- 142 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 9 unterbrochener Regen planktonischer Klein- organismen zu Boden rieselt, in dem eine Süß- wasserdecke allein organisches Leben beherbergt, darunter aber ein Reich des Todes herrscht. Edw. Hennig. Botanik. Der Weg der Reizleitung in der Sinnpflanze. Wenn ein Fiederblättchen von Mi- mosa pudica stark gereizt wird, z. B. durch Ver- sengen, so antwortet nicht nur das gesamte Blatt, dem es angehört, mit den bekannten Bewegungen, sondern es treten auch der Reihe nach die zu- nächst befindlichen und die entfernteren Blätter in den gereizten Zustand ein. Der Reiz ist also sowohl in den Blattstielen wie im Stamme fort- geleitet worden. Auch nach einem Einschnitt in den Stamm oder nach Anwendung chemischer Reize läßt sich diese Reizleitung beobachten. Haber landt ist bei seinen ausgezeichneten Un- tersuchungen (1890) zu dem Ergebnis gelangt, daß die Reizleitung im Leptom (Siebteil) der Gefäß- bündel vor sich geht und durch Wasserströmungen in eigentümlichen schlauchförmigen Zellen, deren Querwände zahlreiche Poren aufweisen, vermittelt wird. Demgegenüber weist K. Linsbauer durch kürzlich veröft'entlichte Versuche nach, daß sich der Reiz auch in Mimosenstämmen fort- pflanzt, die durch Ringelung streckenweise vom Leptom völlig entblößt sind. Linsbauer er- zielte in einem Teil seiner Versuche den Reiz durch Abtötung der Wurzeln mittels Schwefel- säure. Beispielsweise wurde eine Topfpflanze zwischen dem ältesten und dem nächstjüngeren Blatte auf 2 cm geringelt. Nachdem sie sich dann eine Stunde lang im Schwitzkasten erholt hatte, wurde die Erde mit Schwefelsäure begossen : Dar- an! trat sowohl unterhalb der Ringelwunde wie an allen über ihr befindlichen Blättern die typische Reaktion auf Die anatomische Untersuchung er- gab völliges Fehlen des Leptoms. Diese Versuche wurden mehrfach abgeändert ; auch kam statt des chemischen Reizes auf die Wurzeln die Versengung von Fiederblättchen zur Verwendung. In allen Fällen pflanzte sich der Reiz über die entrindeten, des Leptoms beraubten Stammstücke (und selbst über eine ganze Reihe abwechselnd geringelter und unversehrter Zonen) sowohl nach oben wie nach unten fort. Nun hatte allerdings auch Ha- berlandt eine Reizfortleitung über geringelte Stammstücke beobachtet, aber nur, wenn die Reizursache darin bestand, daß unterhalb der Wunde ein Einschnitt bis zu dem Holzkörper gemacht wurde. Linsbauer hatte mit solchen Einschnitten keinen Erfolg; erst ein Schnitt, der durch mehr als die Hälfte des Stammes ge- führt wurde, löste bei ihm einen Reiz aus, der genügend intensiv war, um sich auch auf die über der Wunde befindlichen Blätter zu verbreiten. Im übrigen gibt Hab e rlandt an, daß in solchen Fällen, wo der Reiz sich nicht durch das Leptom, sondern durch das Hadrom, das Wasserleitungs- system des Holzkörpers fortpflanzt, der ganze Vor- gang sich viel langsamer und mit geringerer .Sicher- heit abspiele, während Linsbauer eine derartige auffällige Verzögerung und Unsicherheit in der Reizleitung in keinem seiner Versuche beobach- tete. Vcrf schließt daraus, das die Reizfort- pflanzung im Holzkörper nichts Abnormes darstelle, und weitere Erwägungen im Anschluß an Beob- achtungen Haberlandt's und Fitting's füh- ren ihn zu dem Ergebnis, daß ein zwingender Grund, die Reizleitung unter anderen Bedingungen in andere Bahnen zu verlegen, nicht vorliege, wennschon er die Möglichkeit einer Reizleitung im Leptom nicht leugnet. Er verweist auf die mor- phologische und physiologische Verschiedenheit zwischen den toten Elementen des Holzkörpers und den lebenden Zellen des Leptoms, die es schwer mache anzunehmen, daß sie sich gegen- seitig in der Reizfortpflanzung vertreten können. Wenn der Holzkörper sich in der Tat als die eigentliche Reizleitungsbahn erweisen sollte, so würde eine schon von Dutrochet und Meyen, später von Sachs und Pfeffer vertretene An- sicht wieder zu ihrem Rechte kommen. Wie einige Versuche Linsbauer's zeigten, genügt nach Abtragung eines Teiles des Holzkörpers an der Ringelungsstelle das Vorhandensein gering- fügiger Reste des Iladroms, um die Reizleitung zu bewerkstelligen. (Berichte der Deutschen Bo- tanischen Gesellschaft Bd. 32, 1914, S. 609 — 621.) F. Moewes. Bücherbesprechungen. Mayer P., Einführungen die Mikroskopie. Berlin 1914, Springer. 205 S. 8". — 4,80 Mk. Das handliche kleine Buch wendet sich an alle, die ohne fachmännische Anleitung mittels des Mikroskops sich einen eigenen Einblick in die Welt der Mikroorganismen und in die feinere Struk- tur der höheren Lebewesen verschaffen wollen, ins- besondere nennt der Verfasser im Vorwort Lehrer, Ärzte, Apotheker und Schüler. Dieser Zweck des Buches bedingt zunächst eine ziemlich ins einzelne gehende Anleitung, auch für die einfacheren vor- bereitenden Arbeiten und Handgriffe, eine tun- lichst weitgehende Vermeidung der fremdsprach- lichen Fachausdrücke und eine Beschränkung in der Auswahl der für die Untersuchung empfohle- nen Gegenstände. Im übrigen geht der \'crfasser auf die verschiedensten für die Mikroskopie in Be- tracht kommenden Arbeiten ein : von der Anferti- gung einfacher Präparate ausgehend, behandelt er das Fixieren und Härten, das Schneiden mit Ra- siermesser und Mikrotom, das Färben (Stück- und Schnittfärbung), das Schleifen, Entkalken, Bleichen N. F. XIV. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 143 und Mazerieren. Es bedarf nicht der besonderen Erwähnung, daß die Anweisungen für das Härten und Färben sich auf die verhältnismäßig ein- facheren Methoden beschränkt; immerhin wurden auch Beispiele für Doppelfärbung gegeben. Weitere Kapitel behandeln die Beobachtung leben- der Wesen unter dem Mikroskop, das Zeichnen und Messen der Objekte und zwei Schlußkapitel bringen übersichtliche Verzeichnisse über Farb- stoffe und chemische Reagenzien einerseits, sowie über geeignetes Untersuchungsmaterial andererseits. Aus dieser Übersicht dürfte ohne weiteres hervor- gehen, daß der, der all diese Abschnitte sorgfältig durcharbeitet und alle hier gegebenen Anwei- sungen praktisch erprobt und ausführt, bei einigem Geschick sich zu einem guten Mikroskopiker aus- bilden kann. Die Vermeidung aller entbehrlichen Fremdwörter ist besonders anzuerkennen; eine Reihe der hier vom Verfasser vorgeschlagenen Verdeutschungen oder Verkürzungen, z. B. Trag- glas für Objektträger, Auflicht und Durchlicht statt auffallendes und durchfallendes Licht eignen sich zur allgemeinen Einführung. Selbstverständlich beginnt das Buch mit einer Besprechung des Mi- kroskops und seiner wichtigeren Teile. Was nun im einzelnen die Anweisungen des Verfassers angeht, so hat man hier und da den Eindruck, als sei er bei der Beschreibung der nötigen Handgriffe u. dgl. etwas zu sehr ins einzelne gegangen , aber das ist schließlich kein Fehler. Die Einrichtung des Arbeitszimmers und Arbeits- tisches kann allerdings in manchen Punkten auch einfacher sein, als hier als „unumgänglich nötig" bezeichnet ist, wenn auch eine Einrichtung, wie sie hier empfohlen wird, recht wünschenswert ist. Natür- lich kommt es sehr darauf an, wie weit der angehende Mikroskopiker gehen will. Wer genötigt ist, mit be- schränkten Mitteln zu rechnen, wird schließlich an jedem Tisch, auch wenn seine Abmessungen wesent- lich kleiner und seine Ausstattung mit Schubladen einfacher ist, mikroskopieren können. Dagegen ist die Forderung, das Arbeiten bei künstlichem Licht nach Möglichkeit zu vermeiden, gerade für zahl- reiche angehende Mikroskopiker der vom Ver- fasser in erster Linie berücksichtigten Lebensstel- lungen schwer erfüllbar. Wer als Lehrer, Arzt oder Apotheker den größten Teil des Tages in An- spruch genommen ist, dem bleiben, namentlich im Winter, keine Stunden mit zulänglichem Tages- licht zu Privatarbeiten übrig, und für Schüler, die über ein Mikroskop verfügen, und dies nicht nur Sonntags oder in den Ferien benutzen wollen, liegt die Sache ebenso. Im übrigen enthält das Buch, wie schon be- merkt, zahlreiche aus praktischer Erfahrung her- vorgegangene Ratschläge und Anweisungen, deren sorgfältige Befolgung dem angehenden Mikrosko- piker vor Mißerfolgen und Enttäuschungen be- wahren und ihn zu erfolgreicher eigener Arbeit befähigen wird. Es sei namentlich allen denen empfohlen, denen die bisher existierenden Anlei- tungen entweder nicht verständlich genug sind oder in der Berücksichtigung der Technik des mikroskopischen Arbeitens nicht weit genug gehen. R. V. Hanstein. Mehlis, Dr. C. JurassusundVosegus. Eine ethnographische Wanderung im Oberrheintal. Heft 7 der Sammlung „Die Rheinlande" hersg. von Dr. C. Mordziol. G. Westermann, Braun- schweig 19 14. — Preis 1,80 Mk. Der erste der beiden je 20 Seiten starken Aufsätze beschäftigt sich mit der Herkunft des Namens Jura; der Verfasser leitet ihn aus dem baskischen gora = hoch, Höhe ab, und weiß diese Ableitung mit den verschiedensten topo- graphischen, sprachlichen und archäologischen Gründen überzeugend zu stützen. Er nimmt an, daß die Iberer bis zum Oberrheinknie gesiedelt haben und daß der Jura, „die Höhe", die Grenze zwischen Iberern und Ligurern bildete. — Der zweite Aufsatz unternimmt die Erklärung des Namens Vogesen. Als die echte alte Form wird Vosegus festgestellt und gezeigt, daß dazu ehemals auch Hardt und Donnersberg gerechnet wurden. Den Namen selbst bringt Mehlis mit der Ein- wanderung iberisch-baskischer Stämme in Ver- bindung und leitet ihn von dem baskischen baso = Wald ab. Auch hier knüpfen sich also wieder interessante Fäden zur Ibererfrage hinüber und machen verständlich, warum der Verfasser den Untertitel einer „e t h n o g r a p h i s c h e n Wan- derung" gewählt hat. Wir sind ihm für die Be- reicherung unserer historisch-geographischen Kenntnisse dankbar, um so mehr als der frische, lebendige Stil über die Schwierigkeiten der Materie forthilft. E. Wunderlich-Berlin. Karny, Dr. Heinrich. Wiederholungs- tabellen der Mineralogie. Nebst 30 Kri- stallnetzen. 4". Wien 1914, A. Pichlers Witwe & Sohn. — Preis 2,60 K. (2,20 Mk.) Die Tabellen sind hauptsächlich für die Be- dürfnisse der Schüler der Unterstufe der höheren Schulen Österreichs ausgearbeitet, dürften aber auch für die älteren Schüler und sonstige Liebhaber ein wertvolles Nachschlagebüchlein bilden. Die beigegebenen Kristallnetze dienen zur Herstellung körperlicher Kristallmodelle, welche die Anschauung der Schüler stark unterstützen dürfte. K. Andree. Wetter-Monatsübersicht. Während des vergangenen Januar war das WeUer in ganz Deutschland weit überwiegend trübe, windig und außer- ordentlich reich an Niederschlägen. Die Temperaturen waren in der ersten Hälfte des Monats für die Jahreszeit ungewöhnlich hoch ; zwischen dem 6. und 8. stiegen sie an vielen Orten bis auf 10, zu Frankfurt a/M., Geisenheim und Karlsruhe 144 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 9 sogar bis 12" C. Selbst die in der vorstehenden Zeichnung wiedergebcnen Temperatur-Minima lagen im Nordwesten um diese Zeit größtenteils über dem Gefrierpunkt und auch in Ost- und Süddeutschland kamen nur gelinde Nachtfröste vor. Nachdem um Mitte des Monats in einzelnen Gegenden nochmals 10" C. erreicht und ein wenig überschritten worden waren, erfolgte bei frischen nordwestlichen Winden überall eine bedeutende .'\bkuhlung. Im Laufe des 17. Januar trat an verschiedenen Orten leichter Frost ein, der sich bald auf X-mperafiir-Sßinima einiger 0rFe im3anuarl915 BerlinerWetlerbursau. das ganze Land ausdehnte und an Strenge allmählich zunahm. Am 20. sank das Thermometer z. B. in Plauen, Dahme und Ilmenau bis auf — 15, in Chemnitz und Greiz sogar bis — 16'^ C, und nach einem plötzlichen neuen Temperatur- anstiege, auf den in Nordwestdeutschland ein mehrmaliger Wechsel zwischen Frost- und Tauweiter folgte, brachten es in der Nacht zum 2g. Januar Dahme und Ilmenau wiederum auf 16, Coburg und Memel auf 17" C. Kälte. Im Monalsmittel lagen die Temperaturen, da der Wärme- überschuß der ersten Monatshälfte durch die nachfolgende Kälte keineswegs ausgeglichen wurde, in Norddeutschland um ungefähr I 'j^ , in Süddeutschland um reichlich 2 Grad über ihien normalen Werten. Dabei war die Bewölkung in den meisten Gegenden geringer als gewöhnlich , beispielsweise hatte Berlin diesmal im ganzen nur 32 Stunden mit Sonnen- schein, während hier im Mittel der früheren Januarmonate 42 Sonnenscheinstunden verzeichnet worden sind. Fast täglich kamen in allen Teilen Deutschlands mehr oder weniger reichliche Niederschläge vor. Zu Beginn des Jahres waren die Niederschlagsmengen sehr gering. Aber schon zwischen dem 3. und 4. Januar traten an der Ostsee- kUste zaiilreiche, großenteils ergiebige Schneefälle ein, die sich bald auf ganz I istdeulschland sowie das Nordseegebiet aus- dehnten und in den nächsten Tagen, abwechselnd mit Regen, öfter wiederholten; gleichzeitig gingen im westlichen Binnen- landc heftige Regengüsse hernieder. Von besonders starken, sich immer wieder erneuernden und auch mehrmals von Stürmen und Gewittern begleiteten Niederschlägen wurden etwa bis zur Mitte des Monats das Rhein- und das Weser- gebiet betroffen, wo daher an verschiedenen Stellen Hoch- wasser eintraten. Nachdem am 17. Januar im größten Teile des Landes Regen-, Schnee- und Graupelfälle stattgefunden hatten, hörten die Niederschläge im Nordwesten für kurze Zeit auf. In den übrigen Gegenden kamen noch sehr zahlreiche Schneefälle vor, die sich später auch wieder auf Nordwestdeutschland J^icJcr^cT^rag^l^cljcn im 3anuai'1915. 1^ .-5-14. tA.ttlerer Wert Für g.? ij' ij'^s =3 ■i^^^'5 Deutschland. -S i-| .;a S>1 -^1 l^"^"^ N-|^-i'|"i A'onatsEummcim Jan. Jj^JjJs^iiEcScScIs^^iliIcSs M5.1't,13.12.11.10. 201 1 1 ' ' A ,. ^ i 1 mm !■ 1 1 1 eo J 1 1 1 1 li L. 1 ^ är'mtr VVtl'crburiau. ilhii III Uli! mm 1 1 18 bis 31 Januar 1 1 -n _ 1 'Iri n"\"\"\ "\ II 1 ■ Ij^Jiiilli^iViJii ausdehnten und den Boden mit einer gegen das tielere Ein- dringen des Frostes hinreichenden Schneedecke überzogen; jedoch waren die Niederschläge, zwischen denen sich das Wetter jetzt auch bisweilen auf klärte, viel weniger ergiebig als in den vorangegangenen Wochen. Für den ganzen Januar ergab sich die Nicderschlagssumme aus dem Durchschnitt aller berichtenden Stationen zu 71,9 mm, während die gleichen Stationen im Mittel der früheren Januarmonate seit 1891 nicht mehr als 43,9 mm Niederschläge geliefert haben. Auch die allgemeine Anordnung des Luftdruckes im Januar blieb trotz rascher Wechsel im kleinen doch während längerer Zeitabschnitte ziemlich gleichartig. Während der ersten Hälfte des Monats zog eine .Anzahl mehr oder weniger tiefer Barometerdepressionen von England oder Frankreich über die Nordsee nach dem Ostseegebietc hin. Dabei wurde Nordosteuropa anfangs von einem Hochdruckgebiete bedeckt, das sich allmählich weiter nach Südosten hin verschob. Als darauf zwischen dem 17. und 19. Januar ein neues Maximum vom biskaischen Meere rasch nordostwärts vorrückte, gingen in Mitteleuropa die bisherigen milden Südwestwinde in eine kältere Nordwestströmung über. Nach einigen Tagen lag das Hochdruckgebiet wieder in Nordrußland, später auf der skan- dinavischen Halbinsel, während verschiedene Minima, teils von Westen, teils von Süden her gegen Mitteleuropa vorrück- ten, wo daher jetzt vielfach östliche, aber sehr veränderliche Winde wehten. Dr. E. Leß. Inhalt! V. Hanstein; August Weisniann (Schluß). Kleinere Mitteilungen; Montelius; Wann begann die allgemeine Verwendung des Eisens r Rollet; Ein Riesenelektromagnet bei der Behandlung Verwundeter. Schultze: Wcttlauf zwischen Mensch und Tier. Bürger: Getrocknete Bierhefe als Nahrungs- und Futtermittel in Kriegszeiten. — Einzel- berichte: Werner: Über optische Aktivität bei kohlenstoffreien Verbindungen. Pompeckj: Das Meer des Kupfer- schiefers. Habcrlandt; Der Weg der Reizleitung in der Sinnpflanze. — Bücherbesprechungen: Mayer; Ein- führung in die Mikroskopie. Mehlis; Jurassus und Vosegus. Karny: Wiederholungstabellen der Mineralogie. — Wetter-Monatsübersicht. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstrafle IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 14. Band; ganzen Reihe 30. Band. Sonntag, den 7. März 1915. Nummer 10. Betrachtungen über Begriff und Stellung der allgemeinen Geologie, sowie insbesondere über deren Förderung durch Aufstellung allgemein- geologischer Sammlungen. [Nachdruck verboten.] Von Dr. phil. K. Andree, Privatdozenten für Geologie und Paläontologie an der Universität Marburg i. H. Geologie im eigentlichen Sinne des Wortes erklärt worden. Eine solche Auffassung, wenigstens ist die Wissenschaft von der Erde und dement- soweit sie von geologischer Seite ausging, zeigt sprechend von einem Umfange, daß es schon aber nur, daß die Betreffenden selbst zu wenig lange keinen Menschen mehr gibt, der alle Zweige in die letzten Ziele ihrer eigenen Wissenschaft derselben gleichmäßig, wenn auch nur halbwegs hineingesehen haben, sie ist aber in manchen übersehen, geschweige denn beherrschen könnte. Fällen dadurch erklärlich, daß Übergriffe von Schon frühzeitig ist daher eine Teilung eingetreten Geographen auf geologisches Gebiet keineswegs in I. das, was wir heute Geologie nennen, — die zu den Seltenheiten zu rechnen sind, ganz im Lehre von der Zusammensetzung, den Kräften, Gegensatz zu dem umgekehrten Pralle. Aber solche dem Aufbau, sowie der Geschichte der Erdfeste Übergriffe kommen schließlich in allen Wissen- und der gesamten Erde — , 2. die Hydrologie, schafien vor, — wenn auch der Geograph bei der welche sich mit der Wasserhülle der Erde be- allseitigen Berührung seiner Disziplin mit allen schäftigt, eine Wissenschaft, deren einer Teil, die übrigen Wissenschaften am ehesten, ohne sich Ozeanographie, neuerdings eine hervorragende Be- dessen ganz bewußt zu werden, zu Grenzüber- deutung errungen hat, 3. die Lehre von der Atmo- schreitungen kommen wird — , und mit Branca"-) Sphäre \) und endlich 4. die Biologie, die sich mit brauchen wir solche Übergriffe nicht einmal zu dem Leben abgibt, das Hydrosphäre und Atmo- bedauern, solange nur mit der nötigen Vorbildung Sphäre enthalten. Es ist also, wie im Laufe einer gearbeitet wird und etwas Ordentliches dabei jeden Entwicklung, eine Arbeitsteilung eingetreten; herauskommt, solange also die Wissenschaft als aber was hierbei die Geologie an Breite hat auf- geben müssen, das ist ihr in der Tiefe zugute gekommen. Man hat wohl gesagt, Geologie in jenem weiten Sinne sei identisch mit Geographie. Aber diese Auffassung besteht keineswegs zu Recht; denn Geographie ist Erdbeschreibung und als solche jener großen Wissenschaft der Geologie solche nicht leidet. Ich selbst stehe aus Gründen, die sogleich verständlich werden dürften, der Geographie gegenüber nicht auf diesem ablehnenden Stand- punkte ; und wenn ich als Geologe in der Geographie als Wissenschaft jenes ungeheure Gebiet sehe, das sich mit der Aufgabe beschäftigt, die Beziehungen aller Erscheinungen der Erdoberfläche zueinander, mögen sie nun anorganischer oder organischer untergeordnet. Geographie im eigentlichen Sinne Natur sein, herzustellen und auszuwerten, also die des Wortes hat aber nichts mit der Geschichte Resultate der anfangs genannten vier Erdwissen- der Erde zu tun, die zum Ressort des Geologen Schäften zu einem Gesamtbild der Jetztzeit zu ver- gehört, sie besitzt vielmehr die Aufgabe, für die arbeiten, so glaube ich der Zustimmung der Mehr- jetztzeit ein anschauliches und verständliches Bild zahl der beteiligten Forscher hüben und drüben von der Erdoberfläche und allen auf derselben sicher zu sein. Ich befinde mich hierbei aber durchaus sich abspielenden Erscheinungen zu geben und deren konditionale Zusammenhänge aufzuklären. Sehen wir nun aber ganz von jener weiten Fassung der Geologie ab und nehmen unsere Wissenschaft in dem heutigen engeren Sinne, so ist gerade von geologischer Seite aus, allerdings nicht allein von dieser, der Geographie als selb- ständiger Wissenschaft jede Daseinsberechtigung ^) W. Branca, Über das Verhältnis der Geographie zur Geologie-Paläontologie und die Frage einer Teilung der Geologie-Paläontologie. Monatsberichte d. Deutsch. Geol. Ges. 65, 1913, p. 620 — 629. — Dem, was O. Jaekel „Über die Abgrenzung der Geologie und Paläontologie" (Monatsberichte d. Deutsch. Geol. Ges. 66, 1914, p. 316—324) geschrieben hat, kann im allgemeinen durchaus zugestimmt werden, wenn auch sein Wunsch nach getrennten Lehrstühlen vorläufig bei uns nur ein frommer bleiben dürfte. Wünschenswert gewesen wäre abgesprochen und dieselbe als eine zwecklose, ja jedoch eine schärfere Abgrenzung der Geographie von der verderbliche Mischung der verschiedensten und Geologie. Wenn berufene Vertreter der Geographie , wie heterogensten Natur- und Geisteswissenschaften ') Die Wortbildung ,,Atmology", welche Grab au bei Zerlegung der in ähnlicher Weise, wie oben, weitgefaßlen Geologie vorgeschlagen hat (Principles of Stratigraphy. New York 1913, p. 20), in der deutschen Sprache anzuwenden, dürfte kaum angängig sein. Andererseits umfaßt „Meteorologie" nicht die ganze Wissenschaft von der Atmosphäre 1 F. von Richthofen und A. Penck, vielfache geologische Probleme bearbeitet haben, so ist das mehr als ein Bekannt- machen der Vertreter ihrer Wissenschaft mit wichtigen Ergeb- nissen eines Nachbarfaches ; und es liegt, falls nicht die Ge- fahr eines Auseinanderfallens der Geographie in ihre Hilfs- wissenschaften aktuell werden soll, im Interesse dieser Wissenschaft selbst, daß deren Vertreter, unbeschadet der Freiheit ihrer Arbeitswahl, sich über den eigentlichen Gehalt der Geographie klar werden. 146 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 10 inÜbereinstimmung mit demGeographenFr.H ahn/') welclier kürzHch bei Erörterung der Grenzen der Geographie (Erdbeschreibung] gegen die Nachbar- wissenschaften schrieb: „Uns ist die Erdbeschrei- bung sowohl eine beschreibende wie eine er- klärende Wissenschaft — wie eigentlich jede andere auch — , aber wir denken bei der Erklärung an die Wechselwirkung zwischen den einzelnen Mo- menten, welche das Bild eines Erdraums in der Gegenwart oder in einer historisch faßbaren Ver gangenheit ausmachen, nicht an die Rückverfol- gung der Geschichte jener Momente bis in die fernste Vorzeit." Was aber der Geograph für die Jetztzeit zu leisten hat, das ist Sache des Geo- logen für die unendlich lange geologische Vorzeit, und wenn der Geologe dementsprechend versuchen muß, für jeden geologisch unterscheidbaren Zeit- abschnitt Paläogeographie zu treiben, so ist es klar, daß er des geographischen Denkens und der geographischen Arbeitsweise nicht entraten kann.*) Diese Stellungnahme gegenüber der Geo- graphie ist nichts anderes, als eine konsequente Anwendung des durch von Hoff und Lyell in unsere Wissenschaft eingeführten und von vielen späteren Forschern, F. von Richthofen, Joh. W a 1 1 h e r und manchen anderen mit großem Er- folg angewendeten Aktualitätsprinzipes. Der Geo- loge hat die Vorgänge der Jetztzeit zu studieren, um die Vorgänge der Vergangenheit richtig deuten zu können, — und dieses ist allerdings ein Gebiet, wo eine scharfe Grenze gegen die Geographie über- haupt nicht zu ziehen ist, denn das Studium der jetzt auf der Erdoberfläche tätigen Kräfte ist zweifellos ebensogut Sache des Geographen wie des Geologen. Überhaupt bietet gerade die exogene Dynamik überall die Möglichkeit, daß die oben erwähnten Grenzkonflikte entstehen; und es muß hier allerdings erwartet werden, daß, wenn Geographen sich solchen Problemen, wie z. B. der rezenten Sedi- mentbildung oder Abtragungsvorgängen widmen, sie dieses mit der ganzen Vorbildung und dem ganzen Rüstzeug des Geologen — und dieses ist nicht klein — tun. Andererseits gibt es so gut wie garkeine Berührungspunkte unserer Wissenschaft mit jenem anderen großen Teile der Geographie, der sich mit der Kultur des Menschen in ihrer Be- ziehung zur Umwelt beschäftigt (jedenfalls solange es sich um reine Wissenschaft und nicht um prak- tische oder nationalökonomische Fragen handelt). ') Fr. Hahn, Methodische Llntersuchungen über die Grenzen der Geographie (Erdbeschreibung) gegen die Nach- barwisscnschaftcn. 3. Geographie und Geologie. Petermanns Geogr. Mitt. 1914, 1, p. 121 — 124. ■*) Vgl. auch W. W. Watts, Geology as geographica! evolution. Quart. Journal Geol. Soc. London 67, 191 1, p. LXll — XCIII. — Die Bedeutung der Geographie für den Geologen habe ich bereits mehrfach gewürdigt: K. Andree, Probleme der Ozeanographie in ihrer Bedeutung für die Geo- logie. Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. 1912, p. 241 — 251. — Die paläogeographische Bedeutung sediment- petrographischer Studien. Petermanns Geogi. Mitt. 1913, 2, p. 117 — 123, 186 — 190, 245 — 249. Vgl. auch „Die Natur- wissenschaften" 1, 1913, p. 187 — 191 und Naturwissen- schaftliche Wochenschrift N. F. 13, 1914, p. 145—148. Und als Ausdruck dessen wird man wohl im Laufe der Zeit immer mehr dazu kommen, die phy- sische Geographie von einer „Kulturgeographie" zu trennen, wie es an manchen Universitäten (z. B. Utrecht) schon heute der Fall ist. Aller- dings wird eine solche Trennung, die als Arbeits- teilung eine ganz natürliche Folge der weiteren Entwicklung sein muß, schwere Gefahren in sich bergen , wird doch hierdurch die einheitliche Erfassung eines Weltbildes der Gegenwart, die wir als die Aufgabe der wissenschaftlichen Geo- graphie bezeichneten, mehr als erschwert werden. Sehen wir nun einmal von den praktischen Nebenzwecken der Geologie ab und bleiben bei unserem Gedankengange, dem Suchen nach einer rationellen Paläogeographie, so gibt es verschiedene Wege, dieses Ziel zu er- reichen , welche sich allerdings gegenseitig er- gänzen müssen, um zu möglichst vollständigen Weltbildern der Vorzeit zu gelangen. Wir be- trachten dazu die verschiedenen H i 1 f s w i s s e n - Schäften unserer Disziplin. Mineralogie und Petrographie, die sich ihrerseits wieder auf die Lehren der Chemie und Physik stützen, machen uns als zunächst lediglich beschreibende Wissenschaften mit dem Baumaterial unserer Erde bekannt, die erstere mit den einzelnen mineralogischen hidividuen, den Mineralien, die Petrographie mit den mehr oder weniger zusammengesetzten Gesteinen. Eine Geo- logie ohne die Grundlage dieser beiden Hilfs- wissenschaften, die für den Unterricht fast überall zu einem besonderen Fach zusammengeschlossen sind, ^) ist einfach undenkbar, und ein Geolog, der nicht durch ihre Schule, wie auch die der Chemie und Physik, hindurch gegangen ist, nur unvoll- ständig vorbereitet. Paläontologie beschäftigt sich mit den in den Sedimentgesteinen enthaltenen, versteinerten Resten der I^flanzen und Tiere und bildet einmal die Basis für eine Entwicklungs- und Stammes- geschichte der Lebewelt, zum anderen aber auch eben wegen der Tatsache der Entwicklung die Grundlage für eine Formationskunde oder Stratigraphie, die eine geologische Zeit- rechnung gestattet; eine geologische Zeitrech- nung, welche nötig ist, um das Neben- oder Nach- einander von Erscheinungen festzustellen, um eben Paläogeographie treiben zu können. Aber Hilfswissenschaften allein machen noch keine Wissenschaft ! Und wir haben gesehen, welclies Band zu ziehen ist, um das zu erhalten, was wissenschaftliche Geographie heißt. Die Hilfs- wissenschaften der Geologie, die ich genannt habe. '') ^S'- hierzu jedoch K. Andree, Moderne Sediment- petrographie, ihre Stellung innerhalb der Geologie, sowie ihre Methoden und Ziele. Geol. Rundschau 5, 1914, p. 463— 477, worin der Verf. zu dem Schluß kommt, dal3 nur ein Geologe genügend vorbereitet ist, um eine paläogeographisch verwert- bare Scdimentpetrographie zu treiben, woraus sich ergeben würde , daß das Gebiet der Petrographie zweckmäßigerweise eine Zweiteilung zu erfahren hätte. N. F. XIV. Nr. 10 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 147 Mineralogie und Petrographie einerseits, Paläontologie undStratigraphie anderer- seits, schließen sich vielmehr erst zur Geo- logie zusammen durch die Lehre von den geologischen Kräften, welche in und welche auf der Erde walten, und durch die gemeinsame Verwertung aller auf diesen Wegen gefundenen Resultate für eine Paläogeographie. Die Lehre von den geologischen Kräften oder die dynamische Geologie, wie wir sie mit James Dana bezeichnen, bildet den Kern der allgemeinen Geologie, welche die Grund- lage nicht nur jeder Geologie, sondern auch der physischen Geographie darstellt. J. Dana hat einen Teil der allgemeinen Geologie, der sich mehr beschreibend mit den Eigenschaften des Erdkörpers, wie ihrer Gestalt, ihrer Diciue, ihrem Magnetismus, der Gliederung ihrer Oberfläche usw. beschäftigt, als physiographische Geologie der dynamischen Geologie gegenüberstellt, und Em. Kays er schickt diesen Teil als Einleitung der dynamischen Geologie voraus. ") Ich möchte es für zweckmäßig halten, diese physiographische Geologie in ihrer Zusammenfassung ganz fallen zu lassen und unter die verschiedenen Abteilungen der dynamischen Geologie aufzuteilen. Schicken wir vorgreifend voraus, daß auch wir eine Zer- legung der letzteren in endogene und exogene Dynamik für äußerst glücklich halten, so dürfte es sich empfehlen, den astronomisch geophysikali- schen Teil der allgemeinen Geologie der endo- genen, den geographischen Teil der exogenen Dynamik, eventuell als Einleitung, zuzuteilen. Der dritte Abschnitt der physiographischen Geologie, den Em. Kayser unterscheidet, würde dann mit Ausnahme des Kapitels über Sedimentgesteine, der endogenen Dynamik zufallen. Demgemäß stellt sich mir die allgemeine Geologie mit ihrem weiten Ausgreifen in die verschiedensten Wissensgebiete dar als die Lehre von den endo- genen und exogenen Kräften, sie ist für mich identisch mit der dynamischen Geo- logie.') Die einzelnen Zweige der allgemeinen Geo- logie erfreuen sich bei der jetzt lebenden Gene- ") Em. Kayser, Lehrbuch der allgemeinen Geologie, 4. Aufl. Stuttgart 1912. ■) O. Wilckens, Grundzüge der tektonischen Geologie. Jena 1912, G. Fischer. — Hier muß ich einen Satz heraus- stellen, der kürzlich O. Jaekel (a. a. (J. p. 320) aus der Feder geflossen ist; ,,Der Schwerpunkt der Geologie, sowohl nach der Seite der Forschung wie nach der Lehrtätigkeit hin, liegt in der Gebirgsbildung." Jaekel ist anscheinend der Meinung, die ich keineswegs teilen kann, daß hiermit alles in Ordnung ist. Dem ist doch keineswegs so. Der be- stehende Zustand des fast einseitigen Hervortretens der tekto- nischen Geologie wird vielmehr der ungeheuren Vielseitigkeit der Allgemeinen Geologie in keiner Weise gerecht, wenn auch nicht zu leugnen ist, daß in der Lehre von der Gebirgsbildung die verschiedenartigsten Probleme auch aus anderen Gebieten der Allgemeinen Geologie einander begegnen , wie man z. B. dem in der übernächsten .Anmerkung zitierten Buche des Verf. entnehmen mag. ration von Geologen einer sehr verschiedenen Wertschätzung. Besonders günstig gestellt ist in dieser Beziehung die tektonische Geologie.') Tektonische Probleme harren mehr oder minder überall der Lösung, und in der letzten Zeit war es hauptsächlich die Tektonik der Alpen oder des Alpensystems, die eine Umdeutung alter Werte forderte und welche auch auf die Auf- fassungen des Gebirgsbaus älterer Faltengebirge nicht ohne Einfluß geblieben ist. Neuerdings hat man auch den lange Zeit mehr oder weniger ver- nachlässigten Schollengebirgen mehr Aufmerksam- keit geschenkt, und allem diesen ist es zugute gekommen, daß der eine oder andere Forscher sich der mechanischen Seite dieser Probleme zu- wandle. In der Tat erforderten die neueren Er- kenntnisse auf dem Gebiete der Alpentektonik, die Sicherstellung des Vorhandenseins gewaltiger Deckenüberschiebungen und anderes eine neue Durchdenkung in mechanischer Hinsicht '^) und es konnte nicht ausbleiben, daß hierbei manches Dogma sein wissenschaftliches Leben einbüßte. So mußte man folgerichtig dazu kommen, die Theorien zu revidieren, welche zur Deutung der tektonischen Oberflächenbilder aufgestellt waren, um sie eventuell den neuen Verhältnissen anzu- passen oder aber durch andere zu ersetzen. ") Mit der Beschäftigung mit Problemen der Tek- tonik ist das Interesse mancher Forscher für die allgemeine Geologie mehr oder weniger erschöpft. In der Tat erfordert eine fruchtbringende Mit- arbeit an diesen Problemen allein schon eine ganze Arbeitskraft. Demgegenüber ist es Pflicht der übrigen Vertreter unserer Wissenschaft, die anderen Zweige der allgemeinen Geologie zu be- treiben und besonders zu pflegen. Bleiben wir zunächst bei der endogenen Dynamik, so ist bei einem weiteren Zweig allerdings die Gefahr vor- handen, daß dem Geologen die F"ührung des- selben aus der Hand gleitet; ich meine die Erd- bebenkunde, die immer mehr in die Domäne des Geophysikers hineingleitet, als natürliche Folge der anfangs geschilderten und unabänder- lichen Arbeitsteilung. Aber Geophj-sik ohne geologische Grundlage ist ein Unding, ebenso wie umgekehrt; geophysikalische Schulung ist jedem Geologen vonnöten, der sich mit tektoni- schen und Erdbebenproblemen abgibt. Physik und Mathematik sind die nötigen Grundlagen, welche nicht wenige Geologen nur allzu sehr ver- missen lassen. Es wird einmal die Zeit kommen, wo der Geophysiker auch in einem dritten Gebiet der endogenen Dynamik ein gewichtiges Wort wird mitzureden haben, nämlich beim V u 1 kan ismus; vielleicht ist diese Zeit gar nicht mehr so fern. Vulkanforschungen wurden und werden noch *") O. Ampferer, Über das Bewegungsbild von P'alten- gebirgen. Jahrb. k. k. geol. Reichsanstalt, 56, igoö, p. 539 bis 622. ") K.Andree, Über die Bedingungen der Gebirgsbildung. Berlin 19 14, Gebr. Borntraeger. 148 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XI Y. Nr. lO heute vielfach von Geographen ausgeführt, welche ganz recht haben, sich auch mit diesen Dingen zu befassen. Wenn man aber unter Vulkanismus nicht nur, wie es in den Anfängen unserer Wissen- schaft naturgemäß war, die oberflächlich sicht- baren Erscheinungen desselben versteht, sondern den ganzen Komplex von Vorgängen, welche mit dem Aufsteigen und Erkalten von Magma- massen in Beziehung stehen , begreift , wofür Ferd. von Wolff's vielseitiges Buch*") oder R. A. D a 1 y 's Darstellung * ') als Symptome gelten mögen, dann haben wir ein ureigenes Gebiet unserer Wissenschaft vor uns, das noch viele zu lösende Probleme birgt und in vielem mit der Eruptiv petrographie Hand in Hand geht. Es ist zu bekannt, welch' große Errungenschaften auf dem letztgenannten Gebiete von Petrographen und Geologen fort und fort gewonnen werden, und es hieße jenen Forschern zu nahe treten, wollte man ihre Hauptwerke hier aufzählen. Im engsten Zusammenhang mit der Eruptivpetro- graphie steht die Petrographie der meta- morphen Gesteine. In bezug auf diese er- gibt ein Studium der Forschungsgeschichte die ausschlaggebende Bedeutung, welche weitgehendste Berücksichtigung der Geologie und intensivste Kenntnis der physikalisch-chemischen Gesetze für die Klärung dieser so schwierigen Verhältnisse gehabt hat, so daß wir heute die Grundlinien kennen dürften, nach denen die verschiedenen Metamorphosen verlaufen. Demgegenüber sind manche Gebiete der exo- genen Dynamik durch die Geologen vielfach zu stiefmütterlich behandelt worden, wobei wo- möglich noch der Verwunderung Ausdruck ge geben wird, daß Geographen sich solcher Arbeiten bemächtigt hätten; eineTatsache,welcheaber keines- wegs übel genommen werden kann, da es sich hierbei ja vielfach um Grenzgebiete handelt, die mit dem gleichen Rechte von beiden Seiten be- ackert werden dürfen, falls es nur mit dem nötigen Rüstzeug geschieht. Hierhin gehören die mannig- faltigen Vorgänge der Gesteinszerstörung, die Transportvorgänge, alles was mit Sedimentent- stehung*-) und Sedimentgesteinswerdung '^) zu- sammenhängt; dahin gehören auch die Eigen- schaften der Schichlflächen der Sedimentgesteine, da sie als Teile früherer Lithosphärenoberflächen die Dokumente bilden , deren Schriftzeichen zu entziffern eine der reizvollsten Aufgaben des Paläo- geographen bildet. Man sehe einmal die bisher erschienenen '") Ferd. von Wolff, Der Vulkanismus, Bd. I. Stutt- gart 1913/14, Ferd. Enke. ") R. A. Daly, Igneous Rocks and their Origin. New York 1914. ") Joh. Walther, Lithogenesis der Gegenwart. Be- obachtungen über die Bildung der Gesteine an der heutigen Erdoberfläche. Dritter Teil einer F.inleitung in die Geologie als historische Wissenschaft. Jena 1894, G. Fischer. '•') K. Andree, Die Diagenese der Sedimente, ihre Be- ziehungen zur Sedimentbildung und Sedimentpetrographie. Geol. Rundschau '2, 1911, p. 61 — 74, 117 — 130. Bände einer Zeitschrift, wie der Geologischen Rundschau, welche als Zeitschrift für allgemeine Geologie gedacht und auch bezeichnet ist, durch, um zu erkennen, wie ungleichmäßig die einzelnen Zweige der allgemeinen Geologie hierbei ver- treten sind. Die Forderung des Tages ist daher eine gleichmäßigere Behandlung aller Zweige der allg e m einen Geologie, nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Lehre. Es gibt verschiedene Wege, um das Interesse und Verständnis für allgemeine Geologie zu wecken und in immer weitere Kreise zu tragen. Wege, die auch schließlich dazu führen müssen, daß die Forschung selbst sich wieder mehr allen Zweigen dieser Wissenschaft zuwendet. Dahin gehören das -.'abhalten von Spezialvorlesungen und Vorträgen aus diesen Gebieten, ferner solchen allgemeinen Erscheinungen dienende Demonstra- tionen und Exkursionen, welch' letztere nicht, wie das vielfach der Fall ist, zu reinen Sammelexkur- sionen herabsinken dürfen, nicht zuletzt auch das Anstellen von geologischen Experimenten. Auf die erstgenannten Mittel brauche ich hier nicht näher einzugehen. Wenige Bemerkungen aber seien den geologischen Experimenten gewidmet. '*) Geologische Experimente dienen einmal der Demonstration von längst bekannten Vorgängen , und die meisten größeren Institute sind wohl im Besitze eines Geysirapparates nach Andreae oder eines Apparates zur Veranschau- lichung der Entstehung von Aufschüttungsvulkanen nach Linck oder endlich einfacher Apparate zur Erzeugung von Falten durch Zusammenschiebung, wie sie von den verschiedensten Autoren, am kompliziertesten von Paulcke, welcher an der Technischen Hochschule in Karlsruhe günstigste Bedingungen hierfür fand, konstruiert worden sind. Die Pau Icke'schen Experimente dienen aber nicht nur der Demonstration, sondern wollen durchaus als wertvolles Forschungsmittel bewertet sein. Paulcke schreibt in Zusammenfassung seiner Versuche:'") „Erreicht ist bis jetzt, daß ich Faltungen und Überschiebungen an den St el 1 en meiner Versuchsfelder erhalte, an denen ich sie erhalten will, und daß ich auch die tektonischen Typen erzeugen kann, die ich erhalten will, je nachdem ich die Anordnun- gen bei den Versuchen unter Vorbedingungen treffe, die ich bei analogen Naturvorgängen für besonders maßgebend halte. Die gewonnenen Ergebnisse sind keine Zufallsprodukte, sondern die gewollten Folgen bestimm- ter Versuchsanordnungen Die strati- graphische und tektonische Vorgeschichte eines Gebietes und seiner Umgebung bedingt und be- stimmt sowohl in den großen Zügen, wie in kleinsten Einzelheiten die Art der Reaktion auf '*) W. Paulcke, Das E.xperiment in der Geologie. Festschrift, Karlsruhe 19 12. (Auch Berlin 1912, Gebr. Born- traeger). "") Ibidem p. 107, 108. N. F. XIV. Nr. 10 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 149 gebirgsbildende Vorgänge." Aber es gibt auch Grenzen der Experimentalgeologie, die wir teil- weise niemals werden hinwegschaffen können. Diese Grenzen sind dadurch gegeben, daß es, wenigstens bei allen tektonischen, auch bei man- chen anderen Experimenten, unmöglich ist, ent- sprechend den kleineren Dimensionen gegenüber den natürlichen Verhältnissen alle Konstanten zu ändern,^") ganz abgesehen davon, daß sich viel- fach gar nicht voraussagen läßt, wie sich be- stimmte Stoffe bei gewissen hohen Temperaturen, Drucken usw., die man experimentell gar nicht feststellen kann, verhalten, in welchem Maße also jene Änderung stattzufinden hätte. Und wie z.B. für den Magnetismus der Erde im ganzen der mit dem Eisengehalt und der chemischen Bindung des Eisens zusammenhängende Magnetismus der einzelnen Gesteine ohne großen Belang zu sein scheint, ' ') so treten auch andere Eigenschaften der Gesteine, wie wir sie an kleinen Stücken mit unseren mechanischen Meßmethoden feststellen, als da sind Druckfestigkeit u. a. , immer mehr in den Hintergrund, je größere Verhältnisse wir annehmen ; für größere Teile der Erde oder für die Erde als Ganzes bestehen sie nicht mehr zu Recht. Hier treten ganz andere Erscheinungen in den Vor- dergrund, „kosmische Gesetze", Massenverteilung, Isostasie, Anziehung u. a. werden von Bedeutung. So stellten ja die Geophysiker schon lange fest, daß die Erde als Ganzes zwar die Starrheit von Stahl besäße, aber trotzdem infolge der Rotation sich abplatte; und es bedeutete einen Anfang jener Erkenntnis auch auf geologischer Seite, als Alb. Heim^') deutlich unterschied zwischen der im Laboratorium ermittelten Druckfestigkeit des einzelnen Gesteinsstückes und der sog. Gebirgs- festigkeit, welche infolge der massenhaften Ab- lösungsflächen bis 10 mal kleiner als jene sein kann. Schreiten wir aber weiter zu immer höheren Drucken, so kommen wir schliel31ich — wenn wir bei tektonischen Versuchen bleiben wollen — da- zu, nicht diese Gebirgsfestigkeit, sondern das plasti- sche Verhalten der Gesteine in größeren Tiefen unter hohem Druck für die entstehenden tektoni- schen Bilder verantwortlich zu machen ; wir dürfen daher nicht, wie es geschehen ist, ^^') den Stab über Reyer brechen, weil er versuchte, durch Fließbewegungen breiartiger Massen Faltungs- erscheinungen nachzuahmen. So wertvoll daher auch geologische Experimente, wie die von Reyer, Andreae, Linck, Paulcke und manchem '*) Vgl. hier z. B. O. Morath, Theoretische Grund- lagen für die Konstruktion geologischer Modelle, i. Teil einer Dissertation. Freiburg i. Br. 1913 und Joh. Königs- berger und O. Morath, Theoretische Grundlagen der experimentellen Tektonik. Monatsbcr. deutsch, geol. Ges. 65, 1913- P- 65—86. ") ^g'- Edm. Naumann, Geotektonik und Erdmagne- tismus Verh. XII. Deutschen Geographentages in Jena 1S97, p. 142 — 166, Taf. 2. ") Alb. Heim, Tunnelbau und Gebirgsdruck. Geolo- gische Nachlese Nr. 14. Viertel] ahresschr. d. naturforsch. Ges. Zürich 50, 1905, p I — 22. 'OJ W. Paulcke a. a. O. p. 66, 67. anderen für die Forschung und für die Lehre sind — , man sollte sich immer und immer wieder der Grenzen erinnern, welche diesem Zweige unserer Wissenschaft gezogen sind , wobei nur als auf warnende, krasse Beispiele auf die Schrump- fungsversuche von Ch. Lall em and ^") und Fr. Toula'^') hingewiesen sei. Ein vorzügliches, aber aus mannigfachen Gründen noch viel zu wenig angewandtes Mittel, die allgemeine Geologie in ihrer gan- zen Universalität, in ihren vielen Be- ziehungen zu der großen Reihe ihrer Hilfswissenschaften zu fördern, ist die Schaffung a 1 1 g e m ei n - g e o 1 o g i s c h e r Sammlungen, aufweiche im folgenden beson- deres Gewicht gelegt werden soll. Sammlungen für allgemeine Geologie, welche der oben gekennzeichneten Universalität dieser unserer Wissenschaft mehr oder weniger gerecht werden, sind bisher nur wenige vorhanden. An erster Stelle stand da bis vor kurzem die Samm- lung für Allgemeine oder Dynamische Geologie, welche Alb. Heim im Jahre 1873 in Zürich aufzustellen anfing und die seither mehrfach ver- größert worden ist. --) Eine ähnliche Sammlung ist später im Wiener Hofmuseum aufgestellt wor- den, und auch das Großherzoglich Badische Natu- ralienkabinett in Karlsruhe besitzt eine ausgezeich- nete, zu einem großen Teile den Bemühungen Futterers zu verdankende Sammlung für all- gemeine Geologie, für welche die Heim 'sehe Sammlung als Muster und Vorbild diente. '^''') Aber dem haben andere, berühmtere und größere Museen und Institute, wenn sie überhaupt der- artiges berücksichtigt haben, so doch nichts Gleich- wertiges an die Seite zu stellen ; zum mindesten lassen sie, — soweit dem Verf. bekannt ist, — alle, eine geschlossene, logische Anordnung des gewaltigen Stoffes vermissen. Das gilt, um eine bekannte deutsche Sammlung herauszugreifen, für Tübingen, '-*) das gilt für die bekannten Samm- lungen von Boston -'') und des United States Na- tional Museum in Washington. -®j -")Ch. Lalle man d, Volcans et tremblements de terre, leurs relations avec la figure du globe. Bull. Soc. Astron. de France, 1903, p. 213 — 222, Fig. i — 3. Auch Revue Scienti- fique. 25. IV. 1903, 21 p., 3 Fig. '") F. Toula, Schrumpfungsversuche. Petermanns Mit- teilungen 1914, II, p. S — 15, Taf. 3—8. ^') Alb. Heim, Über Sammlungen für allgemeine Geo- logie. Festschrift zur Feier des fünfzigjährigen Doktorjubiläums der Herren Prof. Dr. Karl Wilhelm v. Nägeli in München und Geheimrat Prof. Dr. Albert v. Kölliker in Würzburg, herausgegeben von Universität, Eidgenöss. Polytechnikum und Tierarzneischule in Zürich. Zürich 1891, Albert Müller's Ver- lag- P- 53~58- gl". 4°- -') Vgl. Max Schwarzmann, Führer durch die Mine- ralogisch-Geologische Abteilung des Großherzoglich Badischen Naturalien-Kabinetts. Karlsruhe 191 1, p. 120 — 144. '^*) Vgl. E. Koken, Das geologisch-mineralogische In- stitut in Tübingen. Centralblatt für Mineralogie usw. 1904, p. 673—693. ^') W. O. Crosby, Guide to the Museum of the Boston Society of N.atural History. Geological CoUections. Dynamical Geology and Petrography. 302 p. Boston 1892. -") George P. Merrill, Preliminary Handbook of the ISO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. lo Alb. Heim gliederte 1891 die Materie in folgende 8 Abteilungen; 1. Kosmische geologische Erscheinungen. 2. Mechanische Wirkungen der Atmosphäre. 3. Wirkungen des flüssigen Wassers. 4. Wirkungen des festen Wassers. 5. Wirkungen der Organismen. 6. Vulkanische Erscheinungen. 7. Dislokationen. 8. Kristalline Schiefer. Hiermit war der erste Schritt getan, das zu- nächst so heterogen erscheinende allgemein-geo- logische Material, welches sich mit den Fort- schritten der Wissenschaft in immer größerer Mannigfaltigkeit ansammelte, zu ordnen und zu- sammengehörige Sachen zusammen unterzubringen. In der Tat mußte es für den Anfang recht zweck- mäßig erscheinen, die gesamte geologische Tätig- keit der Atmosphäre oder des fließenden Wassers usw. usw. zusammen darzustellen; und, wo ge- nügend Material und Platz zur Aufstellung vor- handen ist, mag eine derartige Zusammenfassung des Stoffes, wie sie für die geologische Sammlung der geographischen Institute noch heute durchaus nützlich erscheinen muß, auch in geologischen Instituten neben einer großen logisch angeordneten allgemein-geologischen Sammlung mit didaktischem Erfolg zur erfolgreichen Anwendung gelangen. Aber diese Anregungen Alb. Heim 's sind so gut wie gar nicht aufgegriffen worden, und vor allem hat man sie nicht dem Fortschritt der Wissenschaft entsprechend weiter entwickelt. Und doch kann und muß auf diesem Wege mehr ge- leistet werden, läßt sich doch zeigen, daß man die allgemein -geologische Sammlung so anordnen kann, daß bei der bloßen Be- trachtung derselben in der gegebenen Reihenfolge ohne weiteres diewichtigstengroßen geo- logischen Geschehnisse und Zusammen- hänge, wie sie unsere Wissenschaft lehrt, heraus- springen und zugleich die Beziehungen derselben zu den allerverschiedensten Zweigen der Naturwissenschaft klar zu- tage treten. Ja, es ergibt sich eine Anordnung des Stoffes, welche allein, abgesehen von unter- geordneten Dingen, den logischen und di- daktischen-') Anforderungen gerecht werden dürfte, welche man an eine wisse n - Schaft liehe Sammlung stellen darf Es liegt allerdings auf der Hand, daß auch diese An- ordnung je nach der Auffassung, die der einzelne von gewissen Geschehnissen hat, eine besondere persönliche Note aufweisen wird, und so enthält auch die Anordnung, wie Verf sie vorschlägt, gleichsam sein wissenschaftliches Glaubensbekennt- nis bezüglich der wichtigsten Fragen der allge- Deparlment of Geology in Ihe U. S. National Museum. Re- port of tlie National Museum 1888 — 89, Appendi.\, p. i — 50. Washington 1891. ^') Hier ist nicht die Anfiingerdidaktik gemeint , welche allerdings eine andere Anordnung des Stoffes verlangt, wo- rüber noch an spiiterer Stelle verglichen werden möge. meinen Geologie. Aber diese Unsicherheiten im kleinen stören kaum die allgemeinen Richtlinien, die in der Hauptsache festliegen und von persön- lichen Meinungen unabhängig sind. Wenn oben gesagt wurde, daß, was die An- ordnung der allgemein- geologischen Sammlung anlangt, bis vor kurzem die von Alb. Heim angelegte Sammlung in Zürich an erster Stelle stand, so dürfte das heute nicht mehr zutreffen, denn es kann, wohl ohne Überhebung des Ver- fassers, der daran tätig mitwirken durfte, aus- gesprochen werden, daß die Züricher Sammlung, zwar nicht, was die Güte der einzelnen Objekte, aber was geschlossene und logische Anordnung betrifft, heute von der Allgemein -Geologischen Sammlung des Geologischen Instituts der Uni- versität Marburg i. H. übertreffen wird. Diese Sammlung ist durch die unermüdliche Sammel- tätigkeit und Fürsorge ihres langjährigen und derzeitigen Direktors, Herrn Geh. -Rat Prof. Dr. Em. Kayser zu einer Vollständigkeit gelangt, welche ihresgleichen suchen dürfte, und es war dem Verfasser der vorliegenden Schrift eine große Freude, als Herr Geh. -Rat Kayser an ihn mit der Bitte herantrat, diese Sammlung nach Ge- sichtspunkten neu aufzustellen, die sich im Laufe der Jahre dem Verfasser bei vielfacher Beschäftigung mit Problemen der allgemeinen Geologie aufge- drängt hatten. Diese Neuaufstellung ist in den Osterferien 1914 zu Ende geführt worden,-*) und die Marburger Sammlung mag allen denen als Muster dienen, die sich für die nun wiederzu- gebende Anordnung interessieren. Schon lange wurden in der Marburger Samm- lung zwei große Reiche der geologischen Er- scheinungen gesondert behandelt, das Reich der endogenen Kräfte oderDynamik — • man kann es auch das Reich der Erdenergie nennen — und das Reich der exogenen Kräfte oder Dynamik — d.i. das Reich der Sonnen- und Mondenergie (Ebbe und P^lut!). Diese überaus glückliche Trennung, welche bekanntlich auch der „Allgemeinen Geologie" von Em. Kayser zugrunde liegt, war unbedingt beizubehalten. Immerhin blieb es nicht ganz zu vermeiden, daß hier und da Übergriffe aus dem einen in das andere Gebiet zu machen waren, bestehen doch so viele Beziehungen der beiden Reiche in dem Spiel der endogenen und exogenen Kräfte, daß solche Übergriffe nur völlig naturgemäß genannt werden können; und sie stören im übrigen in keiner Weise das Bild der Trennung im großen. Es bedarf kaum einer weiteren Erklärung dafür, daß die endogene Dynamik der exogenen '-') K. Andree, Über die .Anordnung allgemein-geologi- scher Sammlungen zur Erläuterung der äußeren Dynamik. Geologische Kundschau V, 1914, p. 53 — 63. Ders., Über die Anordnung allgemein -geologischer Sammlungen zur Erläuterung der inneren Dynamik. Ibidem VI, 191 5 (im Druck). Ders., Die Förderung der allgemeinen Geologie durch Aufstellung allgemein-geologischer Sammlungen. Ibidem V. 1914 (im Druck). N. F. XIV. Nr. lo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 151 Dynamik voranzustellen ist. Gehen wir weit zu- rück, bis in die ersten Anränge der Erdgeschichte, bis zu Zeiten, in denen die Erkaltung unseres Planeten'--') noch wenig vorgeschritten war, so haben wir durchaus ein Vorherrschen derjenigen Kräfte anz.unehmen, welche wir die endogenen nennen. Erst als die flüssige Erdkugel sich mit einer festen Kruste bekleidete, begannen die exo- genen Kräfte in immer steigendem Maße ihren Einfluß auf die Oberfläche des Planeten geltend zu machen, erst dann begann jener , .Kreislauf der Gesteine", den wir hauptsächlich als die Folge der exogenen Kräfte kennen lernen werden. Das Reich der endogenen Dynamik. Keine Kraft existiert ohne einen Stoff, an dem sie sich äußert. Und am Anfang unserer Gedanken- folge, welche uns die Gliederung der allgemein- geologischen Sammlung an die Hand gibt, steht das Material, mit dem die endogene Dynamik arbeitet. Was bietet die Erde an Belegstücken zur Zusammensetzung des Erdkörpers im großen? — Wir wissen seit langer Zeit, daß im Innern der Erde spezifisch schwere Stoffe vorhanden sein müssen, da ihr Gesamtgewicht viel zu hoch ist, als daß sie nur aus Massen vom Gewicht der Oberflächengesteine bestehen könnte. In der Tat haben die neueren Erdbebenforschungen Unstetig- keitsflächen im Bau des Erdkörpers ergeben, und unter Berücksichtigung der neuesten Forschungen, unter denen besonders die Arbeiten von Wiechert und Ed. Sueß hervorragen, läßt sich zusammen- fassend ^*') sagen, daß die Erde aus zwei Haupt- schichten besteht, aus einem Kern wesentlich aus Nickeleisen von ca. 5000 km Radius, sowie einer mittleren Dichte von 8,5 und einem Stein- mantel von ca. 1400 km Dicke mit einer mitt- leren Dichte von 3,4. Dem Kern oder der Barysphäre entspricht Ed. Sueß' Nife {= Nickel- Eisen), während der Steinmantel nach demselben Autor in der Tiefe aus dem basischen und spezifisch schweren Sima (= Silicium- Magnesium), näher der Oberfläche aus dem saureren und spezifisch leichteren Sal (Silicium- Aluminium) besteht. Inner- halb des Steinmantels liegt in einer noch nicht genauer bestimmten Tiefe, die nach verschiedenen Methoden sich zu (50) lOO — 300 km ergibt, eine „plastische" Schicht, welche bei Entlastung, als „Magmazone", Schmelzflüsse nach oben abgibt, hierdurch vulkanische Erscheinungen erzeugend. Von den verschiedenen Schichten der Erde sind uns nur die obersten Teile der Lithosphäre, in der Hauptsache nur Gesteine des Sal, zugäng- lich, weil die tektonischen Umwälzungen sich im -") Man mag noch so modern denken, — solange nicht ein wirklicher Beweis geführt ist, daß durch radioaktive Vor- gänge der Abkühlungsprozeß der Erde kompensiert, bzw. in das Gegenteil verkehrt werden könnte, liegt kein Grund vor, an der Entwicklung der Erde im Sinne der Kant 'sehen oder Laplace' sehen Ansichten zu zweifeln. "") Vgl. z. B. in K. Andree, Über die Bedingungen der Gebirgsbildung. Berlin 1914, Gebr. Borntraeger, p. 28 — 32. wesentlichen auf eine verhältnismäßig sehr dünne Außenhaut unseres Planeten beschränken. Die zunächst berechtigt erscheinende Vermutung, die wenigen Vorkommen von gediegenem Eisen in Basalten (Insel Ovifak an der Küste von West- grönland, Bühl bei Weimar unweit Cassel) seien in die Höhe gebrachte Teile des Nife oder einer tiefsten Zone des Sima, muß aufgegeben werden, seitdem man erkannt hat , daß das Eisen dieser Gesteine aus dem Magma selbst durch Reduktion vermittels organischer Substanzen (nämlich durch- brochener Braunkohlenflöze) entstanden gedacht werden muß, wofür natürlich die Basizität dieser Gesteine, d. h. ihr Reichtum an Eisen von Be- deutung wurde. Trotzdem vermögen wir in der geologischen Sammlung natürliche Objekte auf- zustellen, welche uns die Zusammensetzung der Erde in großen Zügen schildern; Objekte, die aus dem Weltenraum zu uns kommen und uns einmal Kunde davon geben, daß auch außerhalb der Erde dieselben Stoffe herrschen wie auf unserem Planeten — dasselbe, was uns ja schon die Bun sen - Ki t chh o ff'sche Spektralanalyse gelehrt hat — , und uns zum anderen zeigen, daß diese Stoffe auch in ähnlicher Weise, wie auf der Erde miteinander verknüpft sind. Unter den Meteoriten unterscheiden wir neuerdings drei Gruppen, die Meteoreisen, von Daubree auch Siderite genannt, im wesentlichen nickelhaltige Eisen mit etwas Kohlenstoff, die eigentlichen Steinmeteoriten , welche in der Hauptsache aus Silikaten bestehen, und endlich die Glasmeteoriten, welche kosmische Gesteinsgläser darstellen. Stein- und Glasmeteoriten kann man als Asiderite den Meteoreisen gegenüberstellen ; einen Übergang zwischen beiden Gruppen bilden die Lithosiderite, denen das bekannte aus großen Olivinkristallen und Eisen bestehende Pallaseisen angehört. Die eigenartigste und besonders in der letzten Zeit vielfach diskutierte Gruppe der Meteoriten bilden die Glasmeteoriten oder Tektite, deren kosmische Natur zwar von manchen Autoren angezweifelt, doch über allen Zweifel erhaben ist, seitdem glaubwürdige Augenzeugen den Fall solcher Steine beobachtet haben. Ich verweise nur auf die Ar- beiten von Fr. Ed. Sueß über diesen Gegen- stand.^') Die Dreigliederung der Meteoriten er- laubt ohne weiteres eine Parallele zu ziehen zwischen dem hypothetischen Weltkörper von Daubree^^) und unserer Erde. Die Meteor- eisen entsprechen dem irdischen Nickeleisenkern ") Fr. Ed. Sueß, Über Gläser kosmischer Herkunft. Vortrag, gehalten bei der Si. Versammlung Deutscher Natur- forscher und Ärzte, S,alzburg, 23. September 1909. .abge- druckt in „Naturw. Rundschau", Braunschweig 1909, Nr. 4, p. 573 — 585. — Ders. , Rückschau und Neueres über die Tektitfrage. MiU. d. Geolog. Ges. Wien I. II. 1914. P- 5' bis 121, Tafel I— 111. '-) Daubree, Synthetische Versuche bezüglich der Meteoriten, Vergleiche und Schlußfolgerungen, zu welchen diese Versuche führen. (Übersetzt von Hauchecorne.) Zeit- schrift deutsch, geol. Ges. 22, 1870, p. 415—451. Vgl. auch bei Ed. Sueß, Das .\ntlitz der Erde. 3. 2. 1909 p. 625. 152 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. lo oder Nife, die Meteorsteine oder Asiderite dem irdischen Gesteinsmantel und die Glasmeteoriten oder Tektite haben ebenfalls ihr Analogen auf der Erde, in den Gesteinsgläsern der jungvulka- nischen Eruptivgesteine. Wir können sehr wohl erklären, weshalb Eruptivgesteinsgläser auf der Erde im Verhältnis nur so untergeordnet auf- treten; denn dieselben befinden sich unter den physikalisch-chemischen Bedingungen der Erd- oberfläche, an der sie durch rasche Abkühlung vulkanischer Schmelzflüsse entstehen , im labilen Zustande und fallen sehr frühzeitig den Agentien der Verwitterung zum Opfer. Demgegenüber läßt das verhältnismäßig reichliche Auftreten der Meteorgläser den Schluß zu , daß der kosmische Ursprungskörper derselben eine Atmosphäre nicht besessen haben dürfte. Auf dieselbe Verschieden- heit geht die Tatsache zurück, daß niemals als kosmische Körper Dinge in unsere Hände ge- langten, die den irdischen Sedimentgesteinen zu vergleichen wären , welche doch auf ungeheure Strecken den entstehenden kristallinen Steinmantel umhüllen und verdecken. Die Meteoriten bestätigen also aufs beste die im wesentlichen an der Erde allein gewonnenen Erfahrungen über die Gliederung der Tiefen unseres Planeten. S i e stellen wir an den An- fang unserer Aufstellung und erkennen zugleich daraus, wie methodisch richtig es ist, ein Lehr- buch der allgemeinen Geologie mit einem astro- nomischen Abschnitt zu beginnen, der auch die Meteoriten behandelt. Hauptsächlichster Sitz der endogenen Kräfte, deren Erläuterung unsere Sammlung dienen soll, ist der Gesteinsmantel unserer Erde, mit dem sich nunmehr das folgende allein beschäftigen wird. Wie im großen eine Gliederung nach dem spezifi- schen Gewicht, in Sima und Sal, so dürfte eine solche auch im kleinen zutreffen. Wenn ich sagte: im kleinen, so sind damit immer noch große, einheitliche Eruptivgesteinskörper, nicht die Verhältnisse eines einzigen Aufschlusses oder gar eines einzelnen Handstückes gemeint. Denn es ist jedem Geologen, der sich mit Eruptiv- gesteinskunde beschäftigt hat, bekannt, daß viel- fach eine schlierenartige Durchdringung in der Chemie und im spezifischen Gewicht verschiedener Magmen zu beobachten ist. Aber es lassen sich Beispiele dafür anführen, daß unter geeigneten Umständen langsamer und durch Bodenunruhe nicht gestörter Erkaltung ganze Eruptivgesteinsmassive eine Differentiation nach der Schwere ausbilden konnte. Durchaus dessen bewußt, daß von manchen Seiten Bedenken gegen das folgende Beispiel einer solchen Differentiation erhoben werden könnten, will ich hier doch anführen, was Ed. Sueß^'') in diesem Zusammenhange ge- schildert hat, zumal ich, nicht ohne Skeptizismus, einen Teil der in Frage kommenden Aufschlüsse selber sehen konnte, ohne dabei etwas zu bemerken, was gegen die Deutung dieses Autors sprechen würde. Es handelt sich um einen Lakkolithen im Präkambrium Nordamerikas, dem die reichste Nickelerzlagerstätte der Erde angehört, Sudbury, Ontario, in Kanada. „Eine etwa 20C0 m mäch- tige Gesteinsfolge liegt über Gneiß, Granit, Quarzit u. a. und unter mächtigen cambrischen und vorcambrischen Sedimenten. Sie bildet eine 58 km lange und bis 26,5 km breite Mulde. Oben besteht sie aus granitischem Gestein mit durch- schnittlich 66,87 SiOj ; dieses geht gegen unten unter Abnahme von Si, Na und K und Zunahme von Ca und Mg allmählich in Felsarten über, die von den einzelnen Beobachtern Granodiorit, Quarz- diorit, mikropegmatitischer Syenit genannt werden. Das Endglied ist ein grauer Norit mit 54,61 SiO.j. An seiner Basis, ohne scharfe Grenze gegen oben, liegen auf und in den Unebenheiten der Unter- lage die Nickelerze und ein Kranz von Minen folgt ringsum der Basis der großen Mulde. Neben Fe, Ni und Cu tritt Kobalt auf, dann der Menge nach Silber, Platin, eine geringe Menge von Frei- gold, Iridium, Osmium, ferner Spuren von Rho- dium und Palladium. Hier gelangt man also in dem geringen Abstände von 2000 m aus sali- schem Granit bis in eine nifesimische Zone mit Schwermetallen. Die Erfahrungen stimmen mit jenen überein, die Vogt an den norwegischen Nickelgruben sammelte. Die Differentiation ist hier, wie das Verhältnis der Erze zur Unterlage zeigt, unter wesentlichem Einflüsse der Schwere erfolgt, und vorläufig mag festgehalten sein, daß Na und K früher abnehmen als Ca und Mg. Damit in Sudbury solche Differentiation sich voll- ziehen konnte, mußten die Felsarten erst als ein geschmolzenes Gemenge heraufgetragen werden, um hier zum zweiten, ja möglicherweise zum dritten Male diese selbe Differentiation auszu- führen. Aber das Produkt stimmt sehr nahe über- ein mit den auf anderem Wege erlangten Vor- stellungen von jener primären Differentiation, welche die ursprüngliche Bildung des Erdkörpers begleitet haben mag. Es ist, als würde uns im Recoct ein Experiment vorgeführt." Die Nickelerzlagerstätte von Sudbury in Kanada bietet zugleich ein Beispiel für syn- genetisch-eruptive Erz- oder Minerallagerstätten.'''"') Gehen wir ins einzelne, so stellt sich der Stoff, der unsere Lithosphäre primär zusammensetzt, je nach dem geologischen Auftreten, je nach der Tiefe, in welcher und je nach den äußeren Um- ständen, unter denen seine Erstarrung erfolgte, in ganz verschiedenem inneren Aufbau, mit ver- schiedenen Strukturen, dar. Hier ist daher der Ort zur Erläuterung der verschiedenen Struktur- formen der Eruptivgesteine und ihres Zu- sammenhanges mit dem geologischen Auftreten. Ed. Sueli, ibidem p. 629/30. ") Bezüglich der Auffassung und damit der Einfügung der Mineral- und Erzlagerstatten in die allgemeine geologische Sammlung bin ich hauptsächlich den lichtvollen Ausführungen von Stelzner-Bergeat, Die Erzlagerstätten, Leipzig 1904 bis 1906, gefolgt. N. F. XIV. Nr. lo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 153 Typische Stücke mit körniger und porphyrischer Struktur, mit Fluidal- und Lavenstruktur, wie glasig erstarrte Gesteinsflüsse werden daher nun- mehr aufzustellen sein. Es folgt, was die Eruptiv- gesteine an gröberen Texturen bieten, also die primären Absonderungserscheinungen, welche, wie wir wissen, teilweise direkt von der Gestalt der erkaltenden Eruptivgesteinskörper ab- hängen, wie die Säulentextur der Basalte, die plattenförmige Absonderung der Phonolithe. Auf der Grenze von Struktur- und gröberen Textur- formen stehen die Kugelstrukturen mancher Tiefen- gesteine, wie des Granits und Diorits, deren wirk- liche Erklärung bisher noch sehr im argen liegt.^^') Wohl zu trennen hiervon sind die kugeligen Ab- sonderungen mancher Säulenbasalte, Diabase usw., welche wohl als Verwitterungserscheinungen auf- zufassen sind, bei denen die in das Gestein hinein- diffundierenden Verwitterungsagentien in der von Liesegang^") näher erläuterten Weise ein Ab- rundungsbestreben zeigen. Schon hier sich in Einzelheiten zu verlieren, ist aber nicht die Ab- sicht. Während sich das bisher Besprochene auf die Anordnung des Stoffes im großen und im kleinen bezog, soweit dieselbe von allgemeinen Gesetzen beherrscht wird, werden wir uns weiterhin zu- nächst nur mit den stofflichen Verschiedenheiten der einzelnen Gesteinskörper zu beschäftigen haben, wobei wir aus methodischen Gründen stets die Reihenfolge festhalten wollen, welche durch die Gliederung der Erdtiefen vorgeschrieben wird. Wir beginnen in den einzelnen zu schildernden Gesteinsgruppen stets mit den basischsten und spezifisch schwersten Vertretern und schließen mit den sauren und spezifisch leichten Endgliedern der Reihe. Eine alte Einteilung der Eruptivgesteine unter- schied gerne geologisch alte und geologisch junge Eruptivgesteine, und eine Tabelle der hauptsäch- lichsten Gesteinstypen nach diesem Schema zeigt etwa folgendes Aussehen: Schon bei diesen Tiefengesteinen finden sich ge- wisse Unterschiede, von denen ich nur die helleren F"arben z. B. der jüngeren Granite gegen- über den paläozoischen, dunkler gefärbten hervor- heben will. Viel ausgeprägter aber sind die Unterschiede zwischen den geologisch älteren und den geologisch jüngeren Ergußgesteinen, so zwar, daß die Vertreter derselben Magmareihe ganz verschiedene Namen erhalten haben, bis sich nach und nach doch gar zu viele Analogien heraus- stellten. In der Tat sind die Unterschiede zwi- schen Quarzporphyr und Liparit oder zwischen Diabas und Melaphyr einerseits, Basalt anderer- seits nur scheinbar und im Erhaltungszustand begründet, eine Tatsache, die dann Rosenbusch veranlaßt hat, die vortertiären Ergußgesteine mit den jüngeren zu gemeinsamen Gruppen zu ver- einigen. ^') In der Tat ist das geologische Alter ebensowenig für die Gesteinssystematik wie für die allgemein geologischen Fragen, denen unsere Sammlungen dienen sollen, von Bedeutung und wird daher im folgenden nicht mehr berück- sichtigt werden. Bevor ich aber auf die weitere Gliederung der Eruptivgesteine, wie sie für unsere Sammlungen zweckmäßig erscheint, eingehe, muß ich zu einer Gesetzmäßigkeit Stellung nehmen , deren Ent- deckung wir Becke und Prior verdanken.'^') Sie betrifft das Gebundensein bestimmter Gesteins- sippen, der atlantischen und pazifischen Magmen, wie Becke sie nannte, an Gebiete besonderer tektonischer Eigenart. Nach Becke gibt es eine tephritische oder atlantische und eine andesitische oder pazifische Reihe. Die erstere ist durch eine größere Menge von Alkalien ausgezeichnet, wäh- rend in den Gesteinen der letzteren Kalk, Eisen und Magnesia in größerer Menge auftreten. Beide Reihen besitzen auch saure Glieder, die basischen Vertreter scheinen aber in der atlantischen Reihe zu überwiegen. Becke wollte aber die beiden Begriffe nicht rein geographisch aufgefaßt wissen, sondern trennte die betreffenden Gebiete als solche Erguß- gesteine ältere jüngere Quarzporphyr Liparit Quarzfreier Porphyr Trachyt, Phonolith Porphyrit Andesit Diabas, Melaphyr Basalt Die genannten Tiefengesteine gehören im wesentlichen älteren geologischen Perioden an. Nur, wo durch starke orogenetische Bewegungen in jüngerer geologischer Zeit Streifen der Litho- sphäre gehoben und den Kräften der .Abtragung unterworfen wurden, kennen wir auch Tiefen- gesteine jüngeren, jurassischen bis tertiären Alters. *'■) Vgl. hierzu jedoch R. Ed. Liesegang, Geologische Diffusionen. Dresden und Leipzig 1913, Theodor Steinkopff, p. 171 und ,,Pseudoklase" in Neues Jahrb. f. Mineralogie usw. Beil. Bd. XXXIX. (Festbd. Bauer) 1914, p. 273—275. '") R. Ed. Liesegang, Geologische Diffusionen, p. 114 ff. ") H. Res e n bus ch , Mikroskopische Physiographie der massigen Gesteine. 4. Aufl., II, igoS, p. 724. (Vgl. auch L. Milch, Monatsber. d. Deutsch. Geol. Ges. 66, 1914, p. 148/149-) ä') Fr. Becke, Die Eruptivgesteine des böhmischen Mittelgebirges und der amerikanischen Anden. — Atlantische und pazifische Sippe der Eruptivgesteine. Tschermak's Min. u. Petrogr. Mitt. N. F. 22, 1903, p. 209 — 265. — G.T.Prior, Contributions to the Petrology of British East-Africa. Com- parison of volcanic rocks from the great Rift Valley with rocks from Pantellaria, the Canary Islands, Ascension, St. Helena, Aden and Abyssinia. Min. Magazine Vi, 1903, p. 228 — 263, I Taf. 154 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. lo des Einbruchs durch radiale Kontraktion (tephri- tisch, atlantisch) und als solche der Faltung durch tangentialen Zusammenschub (andesitisch, pazi- fisch). Berücksichtigt man die spezifischen Ge- wichte der beiden Gesteinssippen im Hinblick auf die besprochene Gliederung der Erdtiefen, dann wird man zurzeit schließen, daß das pazifische Magma über dem allantischen seinen Ursprung hat und wir auch hier eine DifTerentiation der Erdmaterie nach der Schwerkraft vor uns haben, ein Vorgang, welcher bereits vor Bildung der ersten Erstarrungskruste abgeschlossen gewesen sein muß. Der Hecke 'sehen Zweiteilung der Eruptivgesteine in Gesteinssippen, welche in be- stimmten ,,petrographischen Provinzen" auftreten, entspricht die Teilung in zwei Magmaserien, die Alkali- und die Alkali-Kalk-Reihe, welche Rosen- busch •'■'] durchgeführt hat, aber ohne sie zur Grundlage seines Systemes zu wählen. Schon Rosenbusch führte eine Reihe von Fällen an, in denen beide Reihen in demselben Gebiete, das man füglich nicht in zwei verschiedene petrogra- phische Provinzen stellen kann , räumlich zusam- men auftreten, — ob auch zeitlich zusammen, ist natürlich wichtig , für jeden einzelnen Fall fest- zustellen — , und in der Literatur der letzten Jahre sind solche Fälle mehrfach beschrieben worden. Aber an der großen , von B e c k e gefundenen Gesetzmäßigkeit ändern diese Fälle ebensowenig, wie die Tatsache, daß es Zwischen- glieder geben kann und daß es nicht selten schwer ist, die Zugehörigkeit zu einer der beiden Reihen einwandfrei festzustellen. Nach alledem müßte es eine reizvolle Aufgabe sein, in einer geologischen Sammlung die beiden verschiedenen auf ver- schiedene petrographische Provinzen von bestimm- ter tektonischer Eigenart beschränkten Gesteins- reihen auseinanderzuhalten. Aber es ist hierbei noch zweierlei zu bedenken : Notwendig hierzu ist einmal eine sehr große petrographische Samm- lung, wenn auch diese Forderung keinen abso- luten Hinderungsgrund für die Verwirklichung der in Rede stehenden Idee bietet; zum anderen aber scheint sich nach den Zusammenstellungen von von Wolff*") die Bedeutung der beiden Gesteins- sippen im Laufe der Erdgeschichte nicht un- wesentlich verschoben zu haben, so zwar, daß im Paläozoikum die pazifische Magmaserie, welche von der Tertiärzeit an auf die zirkumpazifische und Mittelmcerfaltengebirgszone beschränkt er- scheint, die herrschende ist, wogegen die atlantische nur sporadisch zutage tritt. So gerne man also den Versuch machen möchte, die B ecke' sehen Gesteinssippen auch in der allgemein-geologischen Sammlung auseinanderzuhalten, — die ablehnenden Äußerungen kommen bezeichnenderweise in der Hauptsache aus solchen Lagern, die sich mit den theoretisch zu fordernden Zwischengliedern be- '") H. K o s c 11 b u s c li , Elemente der Gcsteinslohre. i . Auil. 1898; besonders aber Mikroskopische Physiograpliie der massigen Gesteine. 4. .\utl., 1907/0S. *") K.vonWülff, Der Vulkanismus. 1. 1. 1913, p. I?/. schäftigen, — so unmöglich erscheint die wirk- liche Ausführung in der Praxis. Denn wollte man selbst unsichere Glieder der verschiedenen Gesteins- reihen fortlassen, — eine Fälschung der Tatsachen, die sich durch nichts rechtfertigen ließe, — so würde doch die scharfe Trennung nur für die jüngeren Erdperioden Geltung haben und einem Prinzip widersprechen, welches eigentlich für jede allgemein-geologische Sammlung gilt, die ja im Gegensatz zu der stratigraphischen oder paläo- geographischen Sammlung steht, der Außeracht- lassung der geologischen Zeit, in welcher die ver- schiedenen Vorgänge sich ereigneten. Mit von Hoff und Lyell nimmt die Mehrzahl der heutigen Forscher wohl mit Recht an, daß die Vorgänge der geologischen Vergangenheit sich völlig ausreichend durch die noch heute wirken- den P'aktoren erklären lassen und für die Kenntnis der allgemein-geologischen Gesetze ist es zu- nächst gleichgültig, in welcher Erdperiode z. B. eine bestimmte Art Kontaktmetamorphose stattge- funden hat; wenn aber trotzdem verschiedene Bei- spiele dieser oder anderer Erscheinungen etwa nach dem geologischen Alter geordnet werden, — wie ich es auch in der Marburger Sammlung getan habe, — so geschieht dieses nur, um im einzelnen eine bestimmte Ordnung inne zu halten, um lokalen Interessen zu dienen usw., aber nur dann, solange eine solche Anordnung nicht irgend- welchen allgemein-geologischen Gesetzen oder Zu- sammenhängen zuwiderläuft. Nach alledem werden wir weder das geo- logische Alter der einzelnen Gesteine, noch deren Zugehörigkeit zu einer der beiden Reihen zu be- rücksichtigen haben, und die Gliederung, die wir anwenden, ist zunächst rein geologisch. Wir unter- scheiden die drei Gruppen der Tiefen-, Gang- und Ergußgesteine und folgen im allgemeinen der An- ordnung von Rosenbusch's Mikroskopischer Physiographie der massigen Gesteine (4. Aufl.), nur in umgekehrter Reihenfolge.'""') Eine ein- gehendere Darstellung ihres geologischen Auf- tretens verlangen im Anschluß an diese petro- graphisch-systematische Darstellung nur die Er- gußgesteine, weil sie die Träger des Ober flächen Vulkanismus sind. Wo schmelz- flüssiges Magma an die Erdoberfläche tritt, da geschieht das entweder in mehr oder weniger ruhigem Ausfluß, es bilden sich Lavaströme oder -decken, oder die reichlich beigemengten vulka- nischen Gase bewirken ein Zerspratzen der flüssi- gen Lava, es erfolgt eine Förderung lockerer Aus- wurfsprodukte, durch welche Aschen, Tufi'e usw. gebildet werden. Hier werden daher die Ober- flächenerscheinungen der Laven, Block-, Strick- und Fladenlaven, die Bomben, Aschen und Tuffe ihre Stelle finden, zugleich mit den aus dem an- stehenden Untergrunde losgerissenen Brocken frem- lo») Man sage nicht, daß eine solche petrographische Sammlung dem Geologen nicht zukomme. Die Gesteine sind die Träger der geologischen Erscheinungen und ihre Kenntnis ist unentbehrlich zum Verständnis der geologischen Dynamik. N. F. XIV. Nr. lo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 155 der Gesteine, die verglast oder sonst umgewan- delt sind und manchmal (Sommablöcke, umge- wandelte kristalline Schiefer des Laacherseegebie- tes) reich an schön kristallisierten Mineralien sind. Den festen Auswurfsprodukten der Vulkane hätten sich jetzt die gasförmigen Aushauchungen der- selben anzureihen. Allerdings ist einmal die Be- schaffung derselben eine sehr schwierige Aufgabe, was ja besonders dazu beigetragen hat, die Lösung der jetzt wohl gegen Brun entschiedenen Frage der Bedeutung des Wassers für die vulkanischen Eruptionen zu erschweren. Zum anderen aber ist an solchen Gasproben herzlich wenig zu sehen. Allenfalls könnte man zum gleichen Zwecke einen Bergkristall mit sichtbarem Einschluß flüssiger Kohlensäure und Gaslibelle oder jene be- kannten mit wohl juveniler Flüssigkeit ge- füllten Enhydros aus Uruguay aufstellen. Wich- tiger als dieses ist es, die Veränderungen zu demonstrieren, welche durch die im Magma ge- lösten und beim Eruptionsakt freiwerdenden juve- nilen Gase erzeugt werden. Wir beginnen auch hier in derselben Reihenfolge wie oben, mit den Erscheinungen der Tiefengesteine, mit der so- genannten Pneumatolyse. Die Bildung der Zinnerze, — zugleich ein weiteres Beispiel für eine Erzlagerstätte, — die Greisenentstehung, die Topaslerung, Miarolithgranite werden hier aufzu- stellen sein, und es könnten sich auch zwanglos die „alpinen Minerallagerstätten" anschließen, welche die F"undorte der herrlichen Berg- und Rauchtopaskristalle, der Flußspäte, Turmaline, Adulare usw. bilden. Es hätten sich die festen Pro- dukte der vulkanischen Exhalationen anzuschließen, die Salmiakkrusten des Vesuv und anderer Vul- kane, die Sublimationen von Eisenglanz, die Pro- dukte von Solfataren und Fumarolen. Weniger um ein Urteil über die Entstehung der betreffen- den Vorkommnisse zu fällen, als vielmehr um darauf hinzuweisen, daß die Vulkane auch organische Verbindungen aushauchen, haben wir in der Mar- burger Sammlung eine Anzahl Vorkommnisse von Kohlenwasserstoffen aufgestellt, die möglicherweise juveniler Herkunft sind, wie z. B. die asphaltartige Masse, welche in Verknüpfung mit den Roteisen- steinen des höheren Devon die Schalsteine der Gegend von Herborn begleitet. Die .'Ausbauchungen der Solfataren und Fumarolen bewirken mannig- fache Umwandlungen des Nebengesteins. Durch Solfataren scheint gelegentlich Kalkstein in Gips umgewandelt zu sein, wie der Miocänkalk des Hohen Höwen im Hegau. Fumarolen, kohlensäure- haltige Gewässer (sogenannte Säuerlinge) und Thermen bringen mannigfache Zersetzungen im Gestein hervor, und es sind besonders in den letzten Jahren in Deutschland mehrfache Fälle solcher Erscheinungen genauer untersucht worden. Eine besondere Behandlung erfordern sodann die Thermen und ihre Absätze, die entweder Kalk- oder Kieselsinter darstellen; dieselben werden vielfach unter Beteiligung von Algen ausgefällt, und diese Dinge sind daher nicht immer scharf von vadosen Ouellsedimenten zu scheiden. Hier finden die teilweise oolithischen Aragonitsprudelsteine von Karlsbad und Hammam Meskutine in Algier ihren Platz, ferner die Kieselsinter des Vellow- stone-Nationalparks. Die Sinterabscheidungen der Thermen sind dann für das Folgende von besonderer Bedeutung, wenn sie Verbindungen von Schwermetallen enthalten, wie der Eisen- kies von Hammam Meskutine, sowie die Auri- pigmente und Realgare des Yellowstone-Parks zeigen. Denn dieses deutet auf die Möglichkeit der Förderung solcher Stoffe in größerer Menge hin und bildet gleichzeitig eine Einleitung zur Darstellung der Erzgänge, soweit sie auf juvenile Förderung aus der Tiefe zurückgeführt werden müssen. Den thermalen Kieselsintern vergleich- bar sind wenigstens teilweise wohl die Kiesel- ausscheidungen, welche sich in der vulkanischen Tertiärformation Deutschlands, z. B. des Vogels- berges, finden und gelegentlich auch Verkieselun- gen kalkigen Nebengesteins hervorgerufen haben. Alle diese Vorgänge, einschließlich der Pneu- matolyse, lassen sich als post vulkanische Prozesse zusammenfassen. Dahin gehört auch nach Ansicht vieler Autoren die Serpentin- bildung aus Olivingesteinen, und ich habe hier eine Nickelerzlagerstätte angeschlossen: Frankenstein in Schlesien. Ferner kann hier die Bildung des Meerschaums und mancher mit Serpentin auftretender Magnesite ihren Platz finden. Postvulkanisch im obigen Sinne müssen auch die Ausfüllungen von Mandel ho hlräumen in Laven, die Drusen füllungen und die Bildung der Achate genannt werden, und wir besitzen in den schon genannten südamerikanischen Enhydros aus- gezeichnete Demonstrationsobjekte für diese Vor- gänge. Auch manche Kluftausfüllungen in Eruptiv- gesteinen, der Natrolith des Hohentwiel u. a. dürften hierherzustellen sein. Wir kommen damit aber zu der großen Masse der Mineral- und Erz- gänge, welche auf Förderung juveniler Stoffe durch Thermen hinweisen; sie zeigen eine Mannig- faltigkeit, welche je nach dem in den einzelnen Sammlungen vorhandenen Material mehr oder weniger zum Ausdruck kommen wird. Die aszen- dierenden juvenilen Lösungen, welche ihren Mi- neral-(Erz-)Gehalt auf Klüften absetzen, verursachen aber auch in geeigneten Gesteinen, vor allem Kalksteinen und Dolomiten, metasomati=che Ver- drängungen unter Pseudomorphosenbildung; daher müssen manche der von den Lagerstättengeologen unterschiedenen „Höhlenfüllungen" hier ange- schlossen werden. (Fortsetzung folgt.) 156 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. lo Einzelberichte. Physik. Gleitfunken-Beobachfungen an Rönt- gfenröhren. Über schöne Bilder von Funkenver- zweigungen an der Außenwand einer Röntgen- röhre berichten B. Winawer und F. Pfeiffer in der Physikalischen Zeitschrift Nr. 20/21, 19 14 S. 895. Sie belasteten eine sehr harte Röntgen- röhre mit den gleichgerichteten Entladungen eines Hochspannungs-Transformators, so daß die JVIilli- amperezahl in derselben 1,5 betrug. Infolge der Härte der Röhre gingen zeitweise einzelne Fun- ken der Röhrenwand entlang und auch in die freie Luft und auf benachbarte Gegenstände über. Plötzlich entstand ein Kurzschluß durch einen von der Röhre überschlagenden F"unken auf eine Spule mit hoher Selbstinduktion, welche 8 cm von der Röntgenröhre entfernt war. Ein ziemlich kräftiger rußender Flammenbogen, teilweise aus dem Iso- lationsmaterial herrührend, entstand durch die hohe Selbstinduktion der Spule infolge des Kurz- schlusses. Die Rölirenwand, getrübt durch die rußende Flamme, zeigte nachher Funken mit selten schönen Verästelungen, welche sogar teilweise aus dem Rußbeschlag der Röhre hinausreichten, die äußere Wandung derselben überzogen und sich in immer feinere Zweige zerteilten. Aus Knick- stellen der Röhrenglaswand, dem Ansatz von Glas- tuben (dem Regenerieransatz , dem Ansatz mit der Hilfsanode der Röhre) wuchsen einige Funken- bäumchen heraus. Die Erscheinung ähnelt derjenigen der Gleitfunken, doch haben diese und die Gleitbüschel nicht die hier beobachtete Form sehr fein verästelter Bäumchen. Die Innenseite der Röhrkugel, im Innern stark ionisiert, ist der eine der beiden Beläge, der andere die Spule mit der Flamme, von welcher ein Teil der Entladungen wahrscheinlich einsetzte. Versuche mit Glasplatten ergaben Gleitfunkenbilder. Gleitfunken beobachtet man an isolierenden Körpern, z. B. einer Glasplatte. Wird diese ein- seitig belegt und auf die Mitte der nicht belegten Seite eine kleine Metallplatte aufgesetzt, so ent- steht bei entgegengesetzter Ladung dieser gegen- überliegenden Metallflächen zunächst eine „Streifen- entladung", die allmählich einen Gleitbüschel und dann einen Gleitfunken abgibt. Dr. Bl. Eine abgeänderte Konstruktion der Braun'schen Röhre zur direkten Darstellung von Wechselstrom- kurven. Bei Kurvenaufnahmen auf dem Leucht- schirm gibt die Braun'sche Röhre gewöhnlich nur die Ordinaten der aufgenommenen Kurven und die der Zeit entsprechende Abzisse, und damit die Kurve selbst, wird durch Auflösung im ro- tierenden Spiegel, oder bei photographischen Auf- nahmen durch die fallende Platte, oder auf einem umlaufenden Film erhalten. F. C. Kock berich- tet nun in der Physikalischen Zeitschrift Nr. 19, 1914 S. 840 über eine Abänderung der Braun'schen Röhre, um die zu untersuchenden Wechselstrom- kurven u. a. ohne Verwendung von elektrischen Hilfsmitteln auf mechanischem Wege im Rohr selbst sichtbar zu machen. Sie soll die Kurven direkt geben und sich für den gleichen Bereich der Schwingungszahlen wie der Oszillograph (n = ca looo/sec) eignen und zur objektiven Dar- stellung von Kurven für Demonstrationszwecke und photographische Aufnahme jener bei ruhender Platte dienen. Eine Trommel in Forni einer dop- pelten Archimedischen Spirale rotiert im zylin- drischen Teil des Rohres und ihr Radiusvektor wächst proportional dem Drehwinkel. Daher wird einem auf die Trommel fallenden Lichtfleck eine Verschiebung durch Rotierung derselben er- teilt, welche proportional ist der Zeit in Richtung der X-Achse. Die Flächen der Trommel sind mit einem Leuchtschirm aus Zinkfulfid bedeckt, und derselbe gerät in sichere und gleichmäßige Rotation entsprechend der Tourenzahl des Motors. Bei Aufnahmen von Wechselstromkurven verwen- det man außer dem Gleichstrommotor noch einen Synchronmotor, welcher nach Erreichung des Synchronismus statt jenes eingeschaltet wird, um völlig stillstehende Kurven zu erhalten. Es sind noch Vorkehrungen getroffen zur Aufhebung des Streufeldes des Elektromagneten auf den Kathoden- strahl, für die Ablenkung der Strahlen und gleiche Drehung des Drehschirmes im Vakuum. Dr. Bl. Chemie. Über das Härten der Metalle. ') Dieses kann auf zwei Arten geschehen und die Härte wird hervorgerufen durch direkte mechani- sche Bearbeitung (Hämmern , Walzen usw.) und durch plötzliche Abkühlung (Eintauchen in Wasser) bestimmter Legierungen. Das Härten der Metalle durch Erwärmen auf höhere Temperaturen und folgendes langsames Abkühlen beruht in einem Wachsen der Kristalle, einem Weicherwerden und allmählicher Entfernung des harten amorphen Materials, welches die Kri- stalle umgibt. Das amorphe iVIaterial will sich kristallisieren mit steigender Temperatur, und die Substanz eines Kristalls wird in die andere über- geführt. Zwiilingskristalle bilden sich beim Ab- schrecken von Legierungen. Geschieht dieses ober- halb des höchsten kritischen Punktes, so hängt die zunehmende Härte zusammen mit der Ge- schwindigkeit und dem thermischen Wert der unterdrückten Umwandlung. Auch die innere De- formation der Kristalle verursacht Härte beim Abschrecken. Dr. Bl. Der Vorgang bei Verbrennung fester Körper.") Bei Holz z. B. sind es drei Phasen: 1. Zuerst tritt bei Erhitzung trockene Destillation ein. Diese Abgase bilden den Flammenherd. 2. Am festen Körper kann die sich abscheidende Kohle nicht ') Zeitschr. f. angew. Chem. 1914, S. 668. ^) Zeitschr. f. angew. Chem. 1914, S. 426. N. F. XIV. Nr. 10 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 157 verlasen, sie verglüht, bildet den Glutherd. 3 Das Unverbrennliche (Karbonate des Kaliums, Natriums, Magnesiums, Kalziums) bleibt zurLick, wenn i. und 2. restlos zu Ende smd. Dr. Bl. Über die Zeilenstruktur. ') In allen technischen schmiedbaren Eisensorten, welche im hocherhitzten Zustand eine Formänderung durch Walzen, Schmie- den Pressen u. dgl. erfahren, tritt eine band- oder zeilenförmige Anordnung der Gefügebestandteile auf- die Zeilenstruktur. Man schreibt sie den mehr oder weniger vorhandenen Schlackeneinflussen zu die bei der Ferritbildung eine Keimwirkung ausüben. Da sie bereits während des Formande- rungsvorganges vorhanden sind und gewisse Plasti- zität besitzen, so paßt sich ihre Form der Form- änderung an. Weitere Beobachtungen über die Zeilenstruktur haben ergeben , daß die Ursachen dafür nicht in einer Behandlungsweise des Mate- rials zu suchen sind, sondern jedes heiß gewalzte oder geschmiedete Stück mehr oder weniger aus- gebildet die Zeilenstruktur erkennen laßt. In manchen Fällen bewirkte die Glühbehandlung des Materials ein fast vollständiges Verschwinden der Zeilenstruktur. Am wirksamsten dagegen er- wies sich ein Glühen von kurzer Dauer bei der berechneten Glühtemperatur mit darauf folgender schneller Abkühlung an der Luft. Eine unvoll- ständige Beseitigung und unregelmäßige Anord- nung der Zeilenstruktur wurde dann wahrgenom- men an solchen Stellen, an welchen eine beson- ders starke Anreicherung an Schlackenkeimen und Phosphor vorlag. Diese Phosphoranreicherungen erfahren wie die Schlackeneinschlüsse durch den Formänderungsvorgang bleibende Formänderungen und werden in der Streckrichtung gestreckt. Ver- suche mit Elektrolyteisen ergaben, daß phosphor- und schlackenfreies Material keine Zeilenstruktur zeigen, wohl aber phosphorfreies mit Schlacken- einschlüssen und phosphorhaltiges ohne Schlacken- einschlüsse. Phosphor- und Schlackeneinschlusse können also für sich allein als Zeilenbildner auf- treten. Welche Mengen von diesen aber zur Bil- dung der Zeilenstruktur nötig sind, müssen erst weitere Versuche lehren. Dr. Bl. Meteorologie. Die Abhängigkeit der J3allon- temperatur von der Ventilation. Es ist von Inter- ^i^^ f\ir die Lufts^iffahrt die Temperatur- schwankungen des Ballongases möglichst gering und seine Übertemperatur über die Lufttemperatur möglichst niedrig zu halten. Daher werden nach J. Stern, Zeitschr. f. Flugtechnik und Motorluft- schiffahrt, H. 18/19, 1914, S. 258, Versuche ange- stellt über das Absorptions- und Durchlaßvermogen von Ballonstoffen für strahlende Energie. Mit Hilfe eines genau regulier- und meßbaren Luftstromes, eines „künstlichen Konvektionsstromes", ventilierte man den Ballonstoff, um die Abhängigkeit der Stahl und Eisen 19 14 S. 124 1. Temperatur eines konstant bestrahlten Ballones von der Geschwindigkeit des vorbeistreichenden Luft- stromes zu ermitteln. Kreisförmige Stücke von Ballonstoffen ließ man durch 15 lineare Kohlen- fadenlampen, die in einer Ebene lagen, bestrahlen und den erwähnten Luftstrom vorbeistreichen. Die Temperaturen des Ballonstoffes wurden mittels eines Thermoelementes gemessen. Die Versuche ergeben eine große Ubertempe- ratur bei geringer Geschwindigkeit, eine kleine bei großer und erstarke dann immer langsamere Tempe- raturabnahme mit wachsender Geschwindigkeit. Das Temperaturgefälle eines mit konstanter Energie be- strahlten Körpers ist klein bei geringer und groß bei großerGeschwindigkeit innerhalb derLuft. Verminde- rung derBeslrahlung zeigt einenwesentlich geringeren Einfluß der Ventilationsänderungen bei mittleren Geschwindigkeiten (2— 9 m/sec). Der Ballon bzw. Ballonstoff reagiert auf Änderungen der Bestrah- lung viel stärker als auf solche der Ventilation. Ist die durch Strahlung aufgenommene Wärme- menge gleich der durch Strahlung abgegebenen, d. h. herrscht Strahlungsgleichgewicht, so ist die Temperatur unabhängig vom Absorptionsvermögen des betreffenden Körpers, weil diesem proportional ist das Emissionsvermögen. Aus der Erfahrung weiß man, daß ein Ballon aus metallisiertem Stoff in sehr hohen, also dünnen Luftschichten, annähernd die gleiche Temperatur hat wie ein Schwarzkugelthermometer. Dieses ist zwar nicht unempfindlich gegen Luftströmungen und seine Temperaturangaben nicht gleich denen eines absolut schwarzen Körpers im Strahlungs- gleichgewicht, aber in hohen Luftschichten ist der Einfluß der schwachen Konvektion so gering, daß man im allgemeinen mit einem Strahlungsgleich- gewicht rechnen kann. Im Bereich geringer Ventilationsgeschwindig- l^eiten (0—2 m/sec. oder 0—7,2 km/Stdn. Fahr- geschwindigeit) beeinflussen Ventilationsänderungen stärker die Übertemperatur des Ballones als bei großen Geschwindigkeiten (3— 10 m/sec. oder 18—36 km/Stdn. Fahrgeschwindigkeit). Sie werden hier praktisch gleich Null. Die durch Strahlungsänderungen verursachten Schwankungen der Übertemperatur des Ballon- stoffes (und Gases) sind größer als die durch ■ Ventilationsänderungen. Bei Ausschluß jeglicher Ventilation, d. h. im reinen Strahlungsgleichgewicht und den Strahlungs- gesetzen folgend, nehmen alle gleich bestrahlten Körper unabhängig von ihrer Farbe die gleiche Temperatur an. Dr. Bl. Physiologie. Auf den hohen Nährwert^des Osseins weist E. Maurie hin (Sur la valeur nu- tritive de l'osseine et l'interet qu'il y aurait de la faire entrer dans l'alimentation. C. R. Ac. sc. Paris, Nr. 8, 24 aoüt 1914-) Den ersten Hinweis darauf verdankt man nacn M Fremy, welcher in den Sitzungen der Aka- demie der Wissenschaften in Paris vom 31- ^>^- l^S Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 10 tober und 23. November 1870 seine Verwendung zum Zweck der Ernährung vorschlug. Nach ihm hat die organische Knochensubstanz, die 16 — iS"',, Stickstoff enthält, eine gewisse Bedeutung für die Ernährung, welclie man nicht übersehen darf. Sein Vorschlag, sie in dieser Beziehung nutzbar zu machen, fand die Zustimmung seiner Kollegen Chevreul, Dumas, Payen und M ilne -Ed- ward s. Das günstige Urteil der Akademie be- stimmte die französische Regierung zu ihrem Erlaß vom 3. November 1870, daß in allen Metzgereien von Paris die Knochen gesammelt würden; sie sollten verarbeitet und das Ossein an die Bevölke- rung verteilt werden. Es geschah zur vollen Zu- friedenheit jener, welche es benutzten. Nach der Belagerung wurde diese Verwendung des Osseins überflüssig und geriet in Vergessen- heit. M. beschäftigte sich, wie er angibt, seit bald 2 Jahren mit Versuchen über den Nährwert des Osseins für Mensch und Tier. Deren Ergebnisse stehen vollständig in Einklang mit den Vor- schlägen Fremy's. M. meint, die Umstände, welche jenen dazu bestimmten, das Ossein für Nahrungszwecke zu verwenden, könnten sich hie und da wieder einstellen, und es sei Aufgabe der Akademie der Wissenschaften, den Gedanken von 1870 wieder mit ihrer sachverständigen Autori- tät zu decken und darauf hinzuweisen, welchen Wert diese Substanz im gegenwärtigen Augen- blick bekommen könnte. Sie verderbe und ver- faule nicht und lasse sich bis zum Gebrauch vor- rätig aufheben. Man könnte sie aufspeichern so, wie sie aus dem Salzsäurebad komme, nach Neu- tralisierung mit Kalk, oder, wie dies Riche angab, noch besser mit Natriumkarbonat. Soll es zum Ge- nuß verteilt werden, würde das Ossein am besten gekocht und zu grobem Pulver vermählen, wie grobe Tapioca. In dieser Form konnte es ohne weiteres genommen werden, in Suppe oder Fleisch- brühe. Die Privatindustrie würde schon Formen finden, um die verschiedenen Geschmacksrichtungen zu befriedigen. Als tägliche Dosis gab M. 50 — 75 g des trocke- nen Osseinmehls. Die Menge könnte aber sehr wohl auf 100 g erhöht werden. Im StickstofTge- halt entspreche sie 200 bis 400 g frischen Fleisches. Was seine mineralischen Bestandteile anbetreffe, so könnte das Ossein nützen durch seinen Gehalt an Phosphaten und kohlensaurem Kalk. Es würde dies den geschwächten und abgehetzten Menschen sehr zugute kommen, deren es in diesen Zeit- läuften wohl genug geben dürfte (que les cir- constances peuvent faire si nombreux en ce moment). Kathariner. Parasitenkunde. A. Laveran (Infections ex- perimentales de la souris par la Leishmania tropica. C. R. Ac. sc. Paris Nr. 14, 5 oct. 1914) unter- suchte, ob die Leishmania tropica, welche die Orientbeule verursacht, mit L. infantum, dem Parasiten der Kala-azar der Mittelmeerländer und L. Donovani, jenem der indischen Form iden- tisch sei und stellte fest, daß es sich um eine durch- aus andere Art handelt. Das Ergebnis seiner Ver- suche weicht indes vollständig ab von denen, welche Gond er undRow bei Überimpfung von L. tropica auf Mäuse (in die Venen und in das Peritoneum) erzielt hatten. Ihr Impfmaterial stammte aus dem Institut Pasteur in Tunis bzw. aus Deli ; das seinige gleichfalls aus Tunis. Ge- impft wurden 12 weiße Mäuse, 8 Männchen und 4 Weibchen; bei 6, alles Männchen, gelang die Infektion. Während anfangs die Tiere nichts Ab- normes zeigten , bildete sich vom 4. Monat ab eine Volumvergrößerung und eine Verhärtung der Testikel aus. Oft zeigten sich kleine Hautschorfe auf der Geschwulst oder auf dem Schwanz, wel- cher ganz zerstört werden konnte. Die mit einer feinen Pipette der Geschwulst entnommene seröse Flüssigkeit enthielt zahlreiche Leishmanien. Wurden die Mäuse einige Zeit nach der Infektion unter- sucht, zeigten sich die Testikel hochgradig ver- ändert, hypertrophisch, mißbildet und verhärtet. Die L. selbst stimmte in ihrem Bau mit jenem der L. tropica überein ; die Tiere waren frei oder in Zellen des Gewebes ihres Wirtstiers einge- schlossen, 2 — 4 n lang und i — 2 /< breit. Nach Färbung mit Giemsa zeigten sie einen Kern und oft ein stäbchenförmiges Centrosoma. Von einer Geißel war dagegen nichts vorhanden. Eine L. fand sich weder in der Milz, noch in der Leber, noch im Knochenmark. Außer auf Mäuse wurde nach demselben Verfahren das Virus von L. tro- pica auch auf drei Wüstenmäuse (Meriones Shawi Roz) überimpft. Nach 5 Monaten zeigten sich bei der einen, einem Männchen, ganz entsprechende Erscheinungen. Die Testikel waren vergrößert, verhärtet und enthielten sehr zahlreiche L. Die Parasiten fehlten dagegen in der Milz, in der Leber und im Knochenmark. Die zwei weiblichen Tiere wurden nicht infiziert. Bei den weißen Mäusen und den Wüstenmäusen zeigte sich nach der Imp- fung das Gleiche. Die Parasiten vermehrten sich in den Testikeln und riefen tiefgehende Verände- rungen in diesen Organen und dem benachbarten Bindegewebe hervor. Das Auftreten von Gangrän in der Haut und im Schwanz bildete die Regel; Milz, Leber und Knochenmark waren dagegen frei von L., während sich L. infantum und Donovani gerade dort sehr reich vermehren und weder (langräne, noch die örtliche Erkrankung hervor- rufen. Kathariner. N. F. XIV. Nr. 10 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 159 Jahrbuch für die Gewässerkunde Norddeutsch- lands, herausgegeben von der Preußischen Landes- anstalt für Gewässerkunde Abflußjahr 191 1. 7 Hefte. Berlin 191 3. E. S. Mittler u. Sohn. Preis geh. 30 Mk. Da meines Wissens in dieser Zeitschrift dieses für alle hydrographischen Verhältnisse Norddeutsch- lands ungemein wichtige Ouellenwerk überhaupt noch nicht in ausführlicher VVeisebesprochen ist, so sei zunächst kurz über seine Einrichtung folgendes mitgeteilt. Es zerfällt in einen allgemeinen Teil und in 6 Sonderhefte, welche je das Gebiet der Memel, des Pregel und der Weichsel, in einem zweiten das der Oder, in einem dritten das der Elbe, in einem vierten das der Weser und Ems, in einem fünften das des Rheins und des preu- ßischen Gebietsanteils der Vechte, Maaß und Do- nau, endlich in einem sechsten das Küstengebiet der Ost- und Nordsee umfassen. Der allgemeine Teil enthält zunächst einen Arbeitsplan für das folgende und einen Geschäftsbericht für die vor- angegangenen Jahre, sodann Erläuterungen zum Inhalt der Sonderhefte (s. u.), ein alphabetisches Verzeichnis der Pegelstellen, von denen Wasser- standsbeobachtungen im Jahrbuch veröffentlicht werden und endlich eine kurze Übersicht über die Wasserstands- und Eisverhältnisse des betreffen- den Abflußjahres. Die Sonderhefte geben dann für den betreffenden Hauptfluß und seine wich- tigeren Nebenflüsse die täglichen Wasserstände an. Diese Rubrik bildet den Hauptbestandteil der einzelnen Hefte, sie ist in dem vorliegenden Heft erheblich gegen früher zusammengezogen, um den Umfang der Hefte zu verringern. Für die kleineren Nebenflüsse werden nur die Haupt- zahlen der Wasserstände angegeben. Weiter finden sich in den Heften für eine Reihe besonders wich- tiger Pegel die Häufigkeit der Wasserstände notiert. Den Beschluß der Sonderhefte bildet dann eine Nachweisung über die Abflußmengenmessungen, Gefall- und Ouerschnittaufnahmen sowie der Be- obachtungen des Grundwasserstandes, welche in einmalige und dauernde zerfallen. Endlich enthält jedes Heft eine Übersichtskarte in i : looooo des betreffenden Flußgebietes mit Angabe der Pegel- stellen. Die mehr östlich gelegenen Flüsse sind im allgemeinen reichlicher mit Pegelstellen ver- sehen als die westlichen, ein umstand, der einer- seits mit der Tatsache zusammenhängt, daß ein verhältnismäßig bedeutender Bruchteil des Rhein- gebietes vom schweizerischen bzw. badischen und bayrischen hydrographischen Dienst bearbeitet wird, andererseits damit, daß der Ausgangspunkt der Anstalt für Gewässerkunde die Überschwem- mungsgefahr im Gebiet der östlichen Flüsse ge- wesen ist. In dankenswerter Weise hält sich da- bei das Jahrbuch bei der Mitteilung der Pegel- stände nicht ängstlich an die schwarzweißroten Bücherbesprechungen. Beim Elbe-Weser- und Emsgebiet sind die an den Haupt- und Nebenflüssen durch Ebbe und Flut verursachten Schwankungen der Wasserstände durch besondere zahlreiche Pegelstationen aufge- zeichnet. Den meteorologischen Vorgängen entsprechend ist der Beginn eines Abflußjahres auf den Spät- herbst (i. November) festgelegt worden, weil die Abflußerscheinungen namentlich des Frühjahrs, aber auch noch des Sommers, viel mehr von den Vorgängen des Winters abhängen als die Abflüsse im Spätherbst oder im Winter von den meteorolo- gischen Erscheinungen des Sommers. Von den größeren Spezialarbeiten der Landes- anstalt sind als ,, besondere Mitteilungen" während der Jahre 1911/12 das Werk „die deutschen Küsten- flüsse" und 2 Arbeiten von Dr. Samt er über märkische Seen und im Jahre 191 3 eine Arbeit des Regierungsbaumeisters Thürnau ,,der Zu- sammenhang der Ruhmequelle mit Oder und Sieber" erschienen. Die Untersuchung über die Beziehungen zwischen Niederschlag und Abfluß, das geographisch wichtigste Problem, welches die Landesanstalt zu lösen unternommen hat, und an welche insbesondere der hochverdiente Leiter, der Geh. Oberbaurat Dr.-Ing. Keller beteiligt ist, ist für den Oderstrom im Felde abgeschlossen. Nach ihrer Publikation soll die entsprechende Untersuchung über das Wesergebiet sogleich in Angriff genommen werden. Die Untersuchungen über die Verdunstung von oft'enen Wasserflächen auf dem Grimnitzsee bei Joachimstal sind durch solche auf den nahen Wer- bellinsee ergänzt, aber noch nicht* zu Ende ge- führt worden. In der Meteorologischen Zeitschrift hat sich anläßlich dieser Untersuchungen und der \'on Maurer auf verschiedenen Schweizerseen nach ganz anderen Methoden vorgenommenen eine lebhafte Diskussion entsponnen, welche unzweifelhaft auf die Lösung des wichtigen Problems befruchtend einwirken wird. Die praktisch so wertvollen, zuerst von der Landwirtschaftskammer der Provinz Sachsen an- gestellten Grundwasserstandsbeobachtungen haben eine erfreuliche, wenn auch nur langsame Ver- breitung auch in anderen Provinzen und deutschen Bundesstaaten gefunden. Besonders eingehende Untersuchungen über das Verhalten des Grund- wassers in geologischer, hydrologischer und che- mischer Hinsicht sind seit einiger Zeit in dem Ge- biete zwischen Luckenwalde und Brandenburg be- gonnen worden. Auch die durch verschiedene Baubehörden und Kommunalverwaltungen ins Leben gerufenen Untersuchungen über die Bezie- hungen zwischen Grund- und Flußwasserständen haben Fortschritte gemacht. Über das Ergebnis aller dieser Untersuchungen bereitet die Landes- anstalt für Gewässerkunde ausführliche Veröffent- Grenzpfähle, sondern greift hier gelegentlich auf lichungen vor. Die allgemeine Untersuchung über österreichisches resp. russisches Gebiet über. die Wasserkräfte des Berg- und Hügellandes in i6o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 10 Preußen und benachbarten Staatsgebieten ist be- reits in einem stattlichen Quartbande veröffent- Hcht und vom Referenten in der Geographischen Zeitschrift ausfühdich gewürdigt worden. Über die zahlreichen Gutachten, welche die Landesanstalt in dem Geschäftsjahr 1911/12 er- stattet hat, soll hier nicht weiter eingegangen werden; die hydrologischen Verhältnisse des Ab- flußjahres 191 1 werden in einem besonderen Auf- satz „Die Wasserklemme des Sommers und Herbstes 1911 in Norddeutschland" eine eingehende Schil- derung erfahren. Halbfaß. Chemie der Erde. Beiträge zur chemischen Mineralogie, Petrographie und Geo- logie. Herausgegeben von Dr. G. Linck. I. Bd. I. Heft. Jena, G. Fischer 1914. 4". — (Preis pro Band von ca. 40 Druckbogen 20 Mk.) Mit dem vorliegenden Heft beginnt eine neue Zeitschrift zu erscheinen, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die bisher z. T. sehr zerstreut und an für Mineralogen oft unzugänglichen Stellen er- scheinenden chemischen Arbeiten aus dem Ge- biete der Mineralogie, Petrographie und Geologie aufzunehmen. Die Persönlichkeit des Herausgebers bürgt für Gediegenheit der einzelnen Beiträge und so kann man dem jungen Unternehmen nur weiteres Glück zur Fortsetzung wünschen. Das erste Heft von 100 S. mit 11 Textabb. beginnt mit einer interessanten Studie von G. Linck „Über das Fözoon und die Ophikalzite", wobei wir ein neues „geologisches Thermometer" kennen lernen. „Über die Mischkristalle von Salmiak und Eisenchlorid" berichtet A. Ritzel. Es folgt eine originelle Studie von R. E. Liesegang „Photo- chemie der Erde". Chemische und optische Unter- suchungen an Hornblenden und Augiten bringt Herbert Küchler. K. Andree. Uhlig, J. Die Entstehung des Sieben- gebirges. Heft 10 der Sammlung „Die Rheinlande" herausgegeben von Dr. C. Mordziol. G. Westermann, Braunschweig 191 4. — Preis 2,50 Mk. Der erste Teil der 80 Seiten starken Mono- graphie behandelt in vier Kapiteln die geologische Entwicklungsgeschichte des Siebengebirges und seiner nächsten Umgebung. Nacheinander werden das devonische Grundgebirge und seine Ein- rumpfung, die Bildung der Kölner Bucht mit ihren tertiären Sedimenten, die vulkanischen Ab- lagerungen des Siebengebirges sowie die Ent- stehung des Rheintales geschildert. Der zweite Teil enthält nähere Angaben über drei Ex- kursionen, die die Kenntnis des Gebietes im einzelnen vermitteln sollen. Der klar und über- sichtlich geschriebene Text erfährt durch Beigabe zahlreicher guter Photographien und einer geo- logischen Übersichtskarte (1:25000) in Schwarz- druck eine treffliche Unterstützung; allerdings ist wünschenswert, daß bei einer Neuauflage wenigstens einige charakteristische Höhenzahlen in die Karte eingetragen werden, die in ihrer jetzigen Ausführung kein klares Bild von dem orographischen Aufbau des Ganzen gewährt. Im übrigen kann das Heft jedenfalls bestens emp- fohlen werden; durch die Angabe der wichtigsten Spezialliteratur sind auch die Wege zu einem ein- gehenderen Studium gebahnt. E. Wunderlich-Berlin. Literatur. Müller, Prof. P. Joh., Das Rätsel der Schwerkraft ge- löst durch die Raumenergetik. Wien-Teschen-Leipzig '14, K. Prochaska. 1,20 Mk. Lindau, Prof. Dr. G. , Die Algen. 2. Abteilung. (Kryptogamenflora für Anfänger. Bd. IV, 2.) Mit 437 Fig. im Text. Berlin '14, J. Springer. Geb. 7,40 Mk. Solbrig, Dr. O. , Desinfektion, Sterilisation, Konser- vierung. 401. Bändchen der Sammlung ,,Aus Natur und Geistes- welt". Mit 20 Abbildungen im Text. Leipzig und Berlin '14, B. G. Teubner. Geb. 1,25 Mk. Riegler, Gideon, Sonnen- und Mondfinstermsse und ihre Bedeutung für die Hiromelsforschung. Leichtfaßlich dargestellt. Mit 39 Abbildungen. Wien und Leipzig '14, 2 Mk. Kleins Jahrbuch der Astronomie und Geophysik. Ent- haltend die wichtigsten Fortschritte auf den Gebieten der .Xstro- physik, physikalischen Erdkunde und Meteorologie. Unter Mitwirkung von Fachleuten herausgegeben von Dr. Th. Arldt. XXIV. Jahrg. 1913. Mit 6 Tafeln. Leipzig '14, E. H. Mayer. 12 Mk. Weyrauch, Prof. Dr. J , Robert Mayer zur Jahrhundert- feier seiner Geburt. Mit 2 Bildnissen und einer Darstellung der Totenmaske Robert Mayers. Stuttgart '14, K. Wittwer. 5 Mk. Synopsis der mitteleuropäischen Flora von Paul Ascher- son und Paul Gräbner. Nach Aschersons Tode fortgesetzt von F. Gräbner. 87. Lieferung. Band V.: Amarantaceae (.Ama- rantus von A. Thellung); Nyctaginaceae ; Thelygonaceae; Phytolaccaceae. Leipzig und Berlin '14, W. Engelmann. Kant's gesammelte Schriften. Herausgegeben von der Kgl. Preuß. .Akademie der Wissenschaften. Bd. XV. Geb. 30 Mk. Band .\VI. Geb. 25 Mk. (Handschriftlicher Nachlaß.) Berlin, G. Reimer. Das Pflanzenreich. Regni vegetabilis conspectus. Im -Auftrage der Kgl. Preuß. .Akademie der Wissensch. heraus- gegeben von A. Engler. 62. Heft. (IV. 68.) Myzodendraceae mit 46 Einzelbildern in 9 Figuren von Carl Skoitsberg. I Mk. 63. Heft. (IV. 147. VII.) Euphorbiaceae — Acalyphcae — Mercurialinae mit 317 Einzelbildern in 67 Figuren unter Mitwirkung von Käthe Hoffmann von F. Pax. 23,80 Mk. Leipzig und Berlin '14, W. Engelmann. Inhalt: Andree: Betrachtungen über BegrilT und Stellung der allgemeinen Geologie, sowie insbesondere über deren För- derung durch .Aufstellung allgemein-geologischer Sammlungen. — Einzelberichte: Winawer und Pfeiffer: Gleit- funken-Beobachtungcn an Röntgenröhren. Kock; Eine abgeänderte Konstruktion der Braun'schen Röhre zur direkten Darstellung von Wcchsclstromkurven. — Über das Härten der Metalle. — Der Vorgang bei Verbrennung fester Körper. — Über die Zeilenslruktur. Stern: Die Abhängigkeit der Ballontemperatur von der Ventilation. Maurie: Nährwert des Osseins. Laveran: Die Orientbeule. — Bücherbesprechungen: Jahrbuch für die Gewässerkunde Norddeutschlands. Chemie der Erde. Uhlig: Die Entstehung des Siebengebirges. — Literatur: Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstrafle 11 ; Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schcn Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. erbeten. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Folge 14. Band; zen Reihe 30. Ba Sonntag, den 14. März 1915. Nummer 11. Betrachtungen über Begriff und Stellung der allgemeinen Geologie, sowie insbesondere über deren Förderung durch Aufstellung allgemein- geologischer Sammlungen. [Nachdruck verboten.] Von Dr. phil. K. Andree, (Fortsetzung.) Privatdozenten für Geologie und Paläontologie an der Universität Marburg i. H. Übergänge aller möglichen Art verbinden ge- gegangen werden kann, geht nun nicht sowohl wisse Vorgänge postvulkanischer Natur, wie sie auf einfache Umkristallisation zurück, wie sie z. B. soeben besprochen wurden, mit dem, was ganz allge- mein als Kontaktmetamorphose bezeichnet wird. Es ließen sich Gründe anführen die es zweck- mäßig erscheinen lassen könnten, die Kontaktnieta- morphose schon an einer früheren Stelle abzuhan- deln, zumal die Vorgänge der Erzgangbildung in viel größerem räumlichen Abstände von dem zugehöri- gen erkaltenden Tiefengestein stattfinden, als jene. Andererseits hängen jedoch gewisse Erscheinungen der Kontaktmetamorphose so eng mit dem zu- sammen , was im Anschluß daran als Regional- metamorphose zu besprechen sein wird, daß wir es vorgezogen haben, diese kleine Unstimmigkeit die aus Kalksteinen hervorgegangenen Marmore zeigen, sondern auch in nicht zu geringem Maße, wie besonders neuere Arbeiten gezeigt haben, auf intensive Stofifausscheidungen seitens des Magmas. Das gilt in besonders starkem Maße für die Anreicherungen gewisser Schwermetalle in Kontakten und man spricht in solchen Fällen von kontaktmetasomatischen Lager- stätten oder auch einfach von Kontakt- lagerstätten. (Diese Kontaktlagerstätten dürfen nicht mit den im Kontakt umgewandelten kon- takt nietamorphen Lagerstätten, bei wel- chen eine bereits vorhandene Erzlagerstätte nur lit in Kauf zu nehmen und die Vorgänge der eine nachträgliche Metamorphose erlitten hat, ver- Kontaktmetamorphose an dieser Stelle geschlossen wechselt werden ; im Gegensatz hierzu ist der vorzuführen. Erzgehalt der Kontaktlagerstätten erst durch den Unter Kontaktmetamorphose versteht Kontakt erzeugt worden.) Ein nicht geringer man bekanntlich die Veränderungen, welche die Teil der Umwandlungen, welche zu der Bildung verschiedensten Gesteine durch die Berührung solcher Lagerstätten, wie der Eisenerzlagerstätten mit erkaltenden Magmen erleiden. Diese Ver- von Elba, von Campiglia Marittima in Toskana, änderungen sind in bezug auf das betreffende des Banat, von Concepciön del Oro im Staate Eruptivgestein exogen, und die exogene Kon- Zacatecas (Mexiko) usw., geführt haben, ist auf taktmetamorphose ist es, die bisher vor Rechnung pneumatolytischer Prozesse zu setzen, allem studiert worden ist. Aber auch das er- wie neuerdings besonders Arbeiten von A. B er- kaltende Eruptivgestein selbst erleidet im Kontakt geaf*'] und V. M. Goldschmidt ■''^) gezeigt mit anderen Gesteinen — und zwar am meisten haben, und es erscheint nicht möglich, eine scharfe dann, wenn größtmögliche chemische Verschieden- Scheidung von kontaktmetamorphen und pneuma- heit zwischen den einander berührenden Gesteins- tolytischen Prozessen zu ziehen, welche daher mit massen besteht, — endogene Veränderungen, ins- ebenso gutem Recht, wie oben, hier abgehandelt besondere durch Resorption des Nebengesteins, werden könnten. Das gilt wenigstens von den die sogenannte endogene Kontaktmeta- durch Goldschmidt als exopneumatoly- morphose. Die exogene Kontaktmetamorphose tische Kontakt metamorph ose beschrie- ist zum Teil nur eine kaustische Metamor'- benen Erscheinungen, die besonders als Topa- phose, wenn es sich um reine Hitzewirkungen, sierung und Turmalinisierung von Tonschiefern z. B. die Frittung, Verglasung oder Schmelzung oder (Absorptions-j Metasomatose von Kalksteinen von Nebengestein, auch von Einschlüssen in verbreitet sind. Dagegen würde die Endopneuma- Eruptivgesteinen (siehe oben unter Auswurfspro- tolyse der Tiefengesteine, welche zur Greisen- duktenj handelt. Auch die mit chemischen Ver- und Zinnerzbildung führt und auch das grobe änderungen Hand in Hand gehende Verkokung Korn der Pegmatile veranlaßt haben dürfte, an von Braunkohle durch Basalt, die Rotbrennung der früheren Stelle zu belassen sein. Eine ge- von Kalken und Tonen (natürliche Backstein- bildung) u. a. gehört noch zu dieser kaustischen Kontaktmetamorphose, die aber keineswegs scharf von den hydatot hermischen Prozessen getrennt werden kann, welche die Hauptmasse der normalen Kontakte rsc hei nungen hervorgebracht haben dürften. Die Bildung der Kontaktgesteine, auf deren Mannigfaltigkeit hier natürlich nicht ein- ^') Alfred Bergeat, Der Granodiorit von Concep- ciön del Oro im Staate Zacatecas (Mexiko) und seine Kon- laktbildungcn. Neues Jahrbuch für Mineralogie usw. 28. Beil. Bd. 1909, p. 557—569- *■'] V. M. Goldschmidt, Die Kontakimetamorphose im Kristiania-Gebiet. Videnskapsselskapets Skrifter. I. Mat.- Naturv. Klasse. Kristiania 191 1. Nr. I. p. 119 und in späteren Abschnitten. l62 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. II wisse Unterscheidung der kontaktmetamorphen Erscheinungen läßt sich auch nach der Dauer der umwandelnden Prozesse, welche ihrerseits wieder mit der Art des umwandelnden Eruptivgesteines, ob Tiefen- oder Ergußgestein , zusammenhängt, treffen. Nur bei den Kontaktprodukten der Tiefen- gesteine hat man es in der Regel mit IVIineral- kombinationen zu tun, die bei der Temperatur und dem Druck während der IVletamorphose einen absolut stabilen Zustand darstellen (Gold- schmidt), während bei der Kontaktmetamor- phose durch Ergußgesteine die Umwandlung sich oft nur auf kaustische Einwirkung beschränkt, jedenfalls selten Zeit gehabt hat, vollständig zu verlaufen , so daß neben den neu entstandenen Kontakimineralien oft noch korrodierte Reste des ursprünglichen Mineralbestandes vorhanden sind. Auf diese Weise sind oftmals labile, noch in Umwandlung begriffene Zustände durch plötzliche Abkühlung fixiert worden (Goldschmidt). Die Kontaktmetamorphose durch Tiefengesteine führt uns aber in ein Gebiet, in welchem auch andere Metamorphosen ihre Wirkungsstätte haben, die mit dem hohen Druck und der hohen Tempe- ratur der Erdtiefen arbeiten. Es ist leicht ver- ständlich, daß diese Regionalmetamorphose, wie wir sie ruhig benennen können, sich vielfach mit der Tiefenkontaktmetamorphose kombinieren muß und daß besonders in den größten Tiefen mit Annäherung an das Tiefenmagma immer mehr Erscheinungen der Kontaktmetamorphose sich einstellen werden. Die Wirkung der Regio- nalmetamorphose kann lokal dadurch erhöht wer- den, daß emer der in Betracht kommenden Fak- toren, nämlich der Druck, durch orogenetische Prozesse besonders verstärkt wird, so daß wir von Dynamometamorphose sprechen. Daß infolge dieser Vorgänge die Temperatur so wesentlich steigen könnte, daß sich Umwand- lungen ergeben, muß als durchaus unwahr- scheinlich betrachtet werden, da jene ja ohne Zweifel geologische Zeiten gebraucht haben, in denen sich eventuelle Reibungswärme sehr bald ausgeglichen haben müßte. — Auf Gebirgs- druck infolge orogenetischer Prozesse geht die gleich noch zu erwähnende Druckschieferung zu- rück, welche bei dem in bezug auf die Erdform meist tangential gerichteten Druck in der Regel steil gegen die Horizontale einfällt. Anders der Druck der Regionalmetamorphose, welcher stati- scher Druck ist, hervorgebracht durch die Be- lastung der überliegenden Gesteinsmächtigkeiten. Die Versenkung von Gesteinen in die Gebiete der Regionalmetamorphose geht auf tektonische Erscheinungen zurück, welche neben den vulka- nischen Erscheinungen das Leben der Erde re- präsentieren und deren einzelne Äußerungen noch im folgenden durch entsprechende Objekte zu belegen sein werden. Die Produkte der Regional- (und Dynamo-) Metamorphose sind die sogenannten kristallinen Schiefer, eine Gesteinsklassc, welche man trotz ihrer heterogenen Herkunft meistens den beiden anderen großen Gesteinsklassen, den Eruptiv- und Sedimentgesteinen, als dritte gegenüberstellt, weil es in sehr vielen F"ällen nicht möglich ist, das wahre Ursprungsgestein mit Sicherheit festzu- stellen. Zum wahren Verständnis der kristallinen Schiefer ist es nötig, einen Übergriff in das Gebiet der exogenen Dynamik zu machen, da es sich mit der Zeit herausgestellt hat, daß dieselben durch nachträgliche Metamorphose umgestaltete Eruptiv- und Sedimentgesteine (deren letzterer Entstehung aus den primären Eruptivgesteinen im Mittelpunkt unseres exogenen Kreislaufes steht) sind. Rosen- busch^^) hat die Methode kennen gelehrt, nach welcher eine Unterscheidung der danach zu bil- denden Gruppen unter günstigen Umständen möglich ist, der Gruppen der Ortho- und der Parages te ine, d. i. die chemische Analyse, da nach seiner Anschauung die Metamorphose den chemischen Bestand der ihr unterliegenden Ge- steine nicht wesentlich verändere. ,,Plnden wir in einem krystallinen Schiefer ein solches Mischungs- verhältnis der chemischen Bestandteile, wie es bei keinem Eruptivgestein vorkommt , so wird man schließen dürfen, daß derselbe nicht durch irgend- welche Dynamometamorphose" (inkl. unsere Re- gionalmetamorphose) „aus einem Eruptivgestein entstanden sein kann. — Ist dagegen die chemische Mischung in einem krystallinen Schiefer die gleiche wie in einem bestimmten Eruptivgestein, so wird man zugeben müssen, daß ersterer durch Dynamo- metamorphose aus letzterem hervorgegangen sein kann, nicht muß, denn ein Tonschiefer kann zweifellos auch die Zusammensetzung eines Granits haben. Die Entscheidung ist dann durch die Struktur bzw. die Stratigraphie zu suchen." Ganz illusorisch wird eine Unterscheidung von Ortho- und Paragesteinen natürlich dort, wo es sich infolge von Injektionsmetamorphose um vollkommene Mischgesteine , Migmatite (Sederholm), handelt. Nach alledem kann eine Klassifikation der kristallinen Schiefer, so wertvoll es auch ist, die beiden Gruppen der Ortho- und Paragesteine zu haben und zu wissen , welcher der beiden ein bestimmtes Gestein angehört, doch nicht hierauf Rücksicht nehmen. Das erste Prinzip für einen Klassifikationsversuch wird vielmehr der chemische Bestand der Gesteine sein, da derselbe ja im wesentlichen erhalten bleibt, und da chemisch gleiche Ausgangsmaterialien, welcher .Abstammung sie auch sein mögen, unter den gleichen Um- wandlungsbedingungen zu gleichen Endprodukten führen. Das zweite Klassifikationsprinzip ist — wir lolgen hierbei der zusammenfassenden Dar- stellung von U. Grubenmann *■*) — physikalisch- geologischer Art; es ist der Grad der Metamor- phose, welcher je nach der Tiefe, in welche ein *') H. Rosenbusch in Tschcrmak's Mineral, u. Petro- graph. Mitt. 12, 1891, p. 51, 52 und Elemente der Gesteins- lehre. I. Aufl., 1898. ■"*) U. Grubenmann, Die Kristallinen Schiefer. 2. Aufl. Berlin I910. N. F. XIV. Nr. II Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 163 bestimmtes Gestein versenkt wurde, ganz ver- schieden hoch ist. Wenn die älteren Autoren im Azoikum drei verschiedenaltrige Formationen, nämlich Gneise, Glimmerschiefer und Phyllite, unterscheiden zu können glaubten, so wissen wir heute, daß die Verschiedenheit dieser Gesteine kein Altersunterschied zu sein braucht, *•") sondern der Ausdruck verschieden tiefer Versenkung in die Lithosphäre ist. Nach dem Vorgange von van Hise *") kann man diesbezüglich verschiedene Zonen in der Erdrinde unterscheiden, welche natürlich ganz allmählich ineinander übergehen. Die Zoneneinteilung, wie sie im Anschluß an die Arbeiten von Becke*') und Grubenmann***) heute am meisten gebräuchlich ist, ,, gründet sich in der Hauptsache auf die Temperaturhöhe und Druckstärke in den verschiedenen Tiefen der Erdrinde; daneben kommt in Betracht die Art des Druckes, ob Streß oder hydrostatischer Druck, und endlich das Zusammenwirken oder der Ant- agonismus von Druck und Temperatur. Auch muß es innerhalb der Erdrinde eine Tiefenstufe geben, wo Druck und Temperatur in ihrer Wirkung einander mehr oder weniger das Gleichgewicht hal- ten, während tiefer dann die Temperatur, höher der Druck ausschlaggebend wird. So gelangt man zu einer Dreigliederung" der Erdrinde. (Dabei fällt ein alleroberster Gürtel der Lithosphäre als Zone der Verwitterung außer Betracht und in das Ge- biet der exogenen Dynamik. Hier herrschen nur der atmosphärische Druck und gewöhnliche Temperaturen, hier entfalten die Atmosphärilien unter Oxydation, Hydrat- und Karbonatbildung mit starker Stoffzufuhr und -abfuhr ihre ganz anders geartete Wirksamkeit.) Dementsprechend unterscheidet man unter den kristallinen Schiefern neuerdings innerhalb der einzelnen, chemisch charakterisierten 12 Gruppen nach ihrer Entstehung in einer der drei Zonen : Kata-, Meso- und Epi- gesteine; die Ausdrücke erscheinen ohne weitere Erläuterung verständlich. Zwischen diesen Grup- pen und Ordnungen existieren natürlich alle Übergänge. Übergänge existieren auch gegen die normalen Eruptiv- und Sedimentgesteine, und bei den letzteren ist es nicht möglich, eine scharfe Grenzlinie zwischen der Metamorphose, wie wir sie hier behandeln , und dem zu ziehen , was *^) Es möchte, da wir nur geologisch ganz alte Gneise kennen, die Frage aufgeworfen werden, ob denn die Gneisbildung nicht zeitlich beschränkt war, ob die Vorgänge , welche zur Gneisbildung führen, heute überhaupt noch tätig sind; sahen doch manche Autoren wenigstens in einem Teil der Gneise die erste Erstarrungskruste unseres Planeten. — Eine defini- tive Antwort auf diese Frage wird wohl kaum jemals zu geben sein. Nach der Vorstellung, die ich mir gebildet habe, geht Gneisbildung auch heute vor sich ; nur sind die Gneise jüngerer Zeilen noch im Laboratorium der Tiefe verborgen und unseren Augen zurzeit nicht zugänglich. ■"ä) van Hise, Metamorphism of rocks and rock flowage. Bull, of the c;eol. Soc. of America. Vol. 9. May 1898. ^') Z. B. Fr. Becke, Über die Beziehungen zwischen Dynamometamorphose und Molekularvolumen. Wiener Aka- dem. Anzeiger 1896. *8) A. a. O. p. 75 ff. wir in der exogenen Dynamik als Diagenese der Sedimente bezeichnen. Hier, wie so oft, wird es Sache des „wissenschaftlichen Takt- gefühls" sein , festzustellen , was der einen , was der anderen Gesteinsklasse zuzurechnen ist. Noch viel schwerer, ja z. T. unmöglich ist aber vielfach die Unterscheidung der kristallinen Schiefer von den Kontaktgesteinen. „Hier je eine reine Schei- dung zu vollziehen, wird vielleicht überhaupt nicht möglich sein" (Grubenmann). Für die Umbildung der Gesteine zu Kristal- linen Schiefern hatten wir auf Umwälzungen in der Lithosphäre, die den Bau der Erdkruste be- dingen, zurückgreifen müssen. Mit den Einzel- heiten'"') dieser „tek tonischen Erschei- nungen" beschäftigt sich der Schluß unserer Darstellung der endogenen Dynamik. Diese tek- tonischen Erscheinungen, welche sich ziemlich alle in der Sammlung durch entsprechende Stücke belegen lassen, beziehen sich, wie allgemein be- kannt, nicht nur auf die durch endogene Vor- gänge entstandenen bzw. umgebildeten Eruptiv- gesteine und Kristallinen Schiefer, sondern auch auf die exogen entstandenen Sedimentgesteine, und sind noch dazu in diesen infolge ihres tex- tureilen Aufbaus aus verschiedenartigen Schichten besonders deutlich ausgebildet und zu erkennen. Trotzdem ist es nicht angängig, die Erscheinungen der Tektonik von den übrigen im obigen be- sprochenen endogenen Vorgängen zu trennen. Wir müssen vielmehr solche kleine Unstimmig- keiten mit in den Kauf nehmen, um so mehr, als wir hierdurch die mannigfaltigen Beziehungen der verschiedenen auf und in der Erde tätigen Kräfte zueinander am besten vor Augen geführt bekommen. Es ist nicht meine Absicht, hier auf die Einzel- heiten der Umbildung der Gesteine durch tek- tonische Vorgänge und die dadurch entstehenden Bilder einzugehen. Was alles hierherzustellen und wie es durch Objekte zu belegen ist, wird sich ohne weiteres aus der Schlußübersicht ergeben. (Nur auf einen Punkt mag hier doch hingewiesen werden. Unter den Belegstücken für Faltung finden sich häufig in den Sammlungen die nicht seltenen „gefalteten" Gänge, wie sie z. B. das Grundgebirge Skandinaviens oder des kanadischen Schildes in großer Menge durchsetzen. Das Bild, das sie gewähren, ist das einer ausgezeichneten Faltung; und doch zeigt eine mikroskopische Untersuchung solcher Stücke nichts von einer teilweisen Zertrümmerung der Gesteinselemente, welche man erwarten müßte, wenn es sich um echte Faltung handelte. In Wirklichkeit dürfte die Mehrzahl dieser Objekte mit größerem Rechte unter den Fluidalerscheinungen untergebracht werden, da es sich wohl um Gänge handelt, die *") Die Vorgänge der Tektonik im großen lassen sich natürlich durch Sammlungsobjekte nicht darstellen. Hier muß die bildliche Darstellung mit Photographien und Profilen helfend eingreifen, worüber auch der Schluß dieser .Abhand- lung eingesehen werden mag. 164 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. II als Schmelzfluß in noch nicht ganz verhärtetes Gestein eindrangen und mit diesem noch hin und her bewegt worden sind. Es sind das Seder- hol m s ptygmatische Faltungen. "")) Das Reich der exogenen Dynamik. Viel besser als bei der endogenen Dynamik lassen sich die Erscheinungen der exogenen Dy- namik in logisch leicht verständlicher Reihenfolge vorführen, in einer Reihenfolge, welche in der Tat den natürlichen Geschehnissen vollkommen gerecht wird. ^^) Bei vielfacher Beschäftigung mit den Problemen der Sedimentbildung und der Wissenschaft der Sedimentpetrographie hatte ich die Erfahrung ge- macht, daß die Fragen, die hier der Lösung harrten, dieser nur unter Berücksichtigung der großen Probleme der äußeren Dynamik der Erd- rinde überhaupt näher gebracht werden konnten, und war dementsprechend dazu gekommen, mich nach und nach mit fast allen exogenen Vor- gängen, die in das Bereich des Geologen gehören, zu beschäftigen. Bei diesen recht vielseitigen Studien nun drängte sich mir immer mehr die Überzeugung auf, daß gerade die geographische Betrachtungsweise der geologisch so wichtigen Vorgänge der Abtragung und der Ablagerung von Nutzen für das Verständnis dieser Dinge überhaupt sei — , was wiederum im Hinblick auf das höchste Ziel unserer Wissenschaft, eine Paläo- geographie, betont sei — , und so ergab sich von selbst eine Gruppierung der einzelnen Erschei- nungen nach geographischen Gesichtspunkten, welche im folgenden ohne weiteres herausspringeii werden. — Mehr als das! Die Zyklen, die in der Wissenschaft der Geomorphologie so modern geworden, ja, welche für die Erdgeschichte über- haupt von großer Bedeutung sind, '-) wurden sehr wichtig für das Bild, welches sich mir allmählich von den V^orgängen der Sedimententstehung und ihrem Fossilwerden ergab, und ich kam dazu, sämtliche Vorgänge der äußeren Dynamik unter einem großen Kreislauf''^) zu begreifen, in dessen '•'') J. J. Sedcrholra, Über ptygmatische Faltungen. Neues Jahrb. für Mineralogie usw. Beil. Bd. 36, 1913, p. 491 — 512, Taf. XVII. '*') K. Andre e, Über die Anordnung allgemein-geolo- giacher Sammlungen zur Erläuterung der äußeren Dynamik. Geologische Rundschau V, 1914, p. 53 — 63. •^^) Vgl. u. a. in K. Andree, Über die Bedingungen der Gebirgsbildung. Berlin 1914, 'Gebr. Borntraeger, p. 79 — 85; „Der Zyklus der Bewegungsformen der Lilhosphäre". ^') G. Linck hat diesen Kreislauf in seiner akademi- schen Rede „Kreislaufvorgänge in der Erdgeschichte" (Jena, G. Fischer, 1912, p. 40) nicht behandelt. Im übrigen können wir für das folgende davon absehen, daß es nach Linck eigentlich in der Natur keine ,, Kreisläufe'' gibt, da die Erde in ihrer Entwicklung fortschreitet und ihre Eigenschaften der inneren Wärme, der Zusammensetzung der Atmosphäre usw. usw. wenn auch langsam, so doch kontinuierlich ändert. Immerhin sind hierfür doch unendliche Zeiten nötig, und der Kreislauf, wie wir ihn zu schildern vorhaben, ist im Laufe der Erdgeschichte nachweislich mehrfach vollendet und von neuem begonnen worden. — Was Bocke unter dem Titel „De Kringlcop der Gesteenten" (Gedenkboek — van Bemmclen Mittelpunkt das Werden der Sedimente und ihr Leben, ihre Physiologie, wenn ich so sagen darf, zu stehen kam, — einem Kreislauf, dessen Voll- ständigkeit allerdings nur unter Beteiligung der endogenen Dynamik gewährleistet ist. Urgebirge, d. h. kristalline Schiefer, sowie die primären oder Massengesteine bilden in letzter Linie das Ursprungsmaterial alier .Sedi- mente und der aus denselben entstehenden Sedi- ment- oder sekundären Gesteine. Es ergibt sich schon hieraus, wo unser Kreislauf zu beginnen hat, und daß vorausgesetzt werden muß die Kenntnis der Eigenschaften der unter dem Ein- fluß der endogenen Kräfte entweder erstarrten (also der Massengesteine) oder doch umgewandelten Gesteine (des Grundgebirges), mit anderen Worten die Kenntnis des ersten Hauptteiles der endogenen Dynamik. Endogene Kräfte erzeugen auch die Niveauunterschiede, welche die stärkere Abtragung der Höhen und die allmähliche Auffüllung der Tiefen bedingen. Sie sind damit zugleich die Ursache der Einleitung unseres Kreis- laufes überhaupt, dessen Fortgang nun an unserem Auge vorbeiziehen soll. Jeder Gesteinszerstörungsvorgang ist geographisch bedingt. Die Frostsprengung der Gesteine, um nur ein Beispiel zu nehmen, ist ge- bunden an Gebiete, in denen die Temperatur häufig um den Gefrierpunkt des Wassers schwankt, d. h. an die niederen Breiten oder das Hoch- gebirge. Der Windschliff wirkt dort besonders stark, wo das Vorhandensein trockenen Sandes mit starken Luftbewegungen zusammentrifft, d. h. hauptsächlich in der Wüste und an Meeresküsten, aber auch in sandigen Inlandgebieten. Und so ist es Pflicht des Geologen, welcher seine Wissen- schaft um des paläogeographischen Endziels halber treibt, die geographischen Bedingtheiten jedes einzelnen Zerstörungsvorganges, den die Geologie kennt (und der im zweiten Teile mit angeführt werden wird), zu studieren. Gleiches gilt für die Trans portvorgän ge, die in einer Sammlung von Gesteinen darzustellen natürlich schlechterdings nicht gut möglich ist, welchem Mangel jedoch jederzeit durch geeignete Bilder abgeholfen werden kann. Sowohl bei den Ge- steinszerstörungsvorgängen wie bei den Transport- vorgängen läßt sich ungezwungen eine geo- graphische Reihenfolge anwenden, indem auf die Zersprengungen und Schrammungen durch Gletschereis, wie sie in größeren Höhen (und hohen Breiten) stattfinden , die Erscheinungen folgen, welche das fließende Wasser bewirkt, und indeiti weiterhin einmal zu den Erscheinungen der Seen und der Trockengebiete, zum anderen zu denen des Meeres übergegangen wird. Wir 1910) beschrieben hat, ist nur ein Ausschnitt aus dem im Fol- genden zu schildernden Kreislauf. — Im übrigen vgl. auch G. Linck, Kreislauf der Stoffe in der anorganischen Natur. Handwörterbuch der Naturwissenschaften V, 1914, p. 1049 — 1056. N. F. XIV. Nr. II Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 165 schreiten also entsprechend der Richtun«^ der durch die Schwerkraft bedingten Transportvor- gänge jedesmal von den Höhen nach den Tiefen fort. Wir gehen einen Schritt weiter, zu der A b - lagerung des durch die Zerstörung älterer Ge- steine (welche natürlich in nicht wenigen Fällen ältere Sedimente sind) entstandenen Materials in den Depressionen der Erdrinde, in den abflußlosen Gebieten, auf den Abdachungen der Kontinente zu den Meeresbecken (hier in für die spätere Erhaltung und P'ossilisierung nicht sehr günstiger Lage) und in diesen Becken selbst. Schon die Art des Niederfallens der Sedimente in diesen verschiedenen Ablagerungsgebieten weicht so voneinander ab, daß es verfehlt wäre, hier keine Unterscheidung zu machen und, wie es früher überall üblich war, z. B. alle Sandsteine oder alle Tone zusammen zu gruppieren, einerlei ob es sich um Ablagerungen ganz verschiedener Arten von Ablagerungsgebieten handelt oder nicht. Die verschiedene Art der Sedimentation, wie sie durch die geographischen Bedingungen hervor- gerufen wird, bedingt das Fehlen bzw. die ver- schiedenen Arten der Schichtung. Die Schicht- flächen der Sedimentgesteine aber sind als Teile früherer Lithosphärenoberflächen von großer Be- deutung für die Paläogeographie, und ihr Studium bildet einen äußerst wichtigen Zweig der allge- meinen Geologie. Denn die Eigenschaften der Schichtoberflächen enthüllen einmal eine Fülle anorganischer Vorgänge, welche ihre Spuren auf denselben hinterlassen haben, sodann aber auch tragen sie häufig die große Mannigfaltigkeit der Erscheinungen, welche eine bodenbelebende Tierwelt ihnen aufprägte. Diese für die Paläo- biologie so wichtigen Dinge leiten aber über zu der Beimengung der fossilen Organismenreste, nicht nur nach Art und Zahl (gesteinsbildende Pflanzen- und Tierformen), sondern auch nach der Art ihrer Einbettung und Erhaltung. Mit dem Eingang dieser eventuellen organi- schen oder biogenen Komponente in das Sedi- ment ist der eigentliche Ablagerungsvorgang ab- geschlossen, und dasselbe tritt nun in diejenige Phase des Kreislaufes ein, die man zweckmäßiger- weise als Diagenese bezeichnet. Verfasser hat, im Anschlüsse an frühere Ausführungen von Joh. Walt her in seiner bekannten „Plinleitung in die Geologie als historische Wissenschaft", vor einigen Jahren auseinandergesetzt,''*) was er hier- unter verstehen wolle, und zwar sind es „die- jenigen molekularen und chemischen Umlage- rungen, welchen das sedimentierte Material unter ''*) K. Andree, Die Diagenese der Sedimente, ihre Be- zieliungen zur Sedimentbildung und Sedimentpetrographie. Geologische Rundschau 2, 1911, p. 61 — 74, 117 — 130. (Vgl. hierzu auch in Petermann's Geogr. Mitt. 1913, 11, p. 121, Anm. 3 und in Schrift, d. Ges. zur Beförderung d. ges. Na- turw. zu Marburg, 13, 7, 1914, p. 448, Anm. 1). — Ders., Moderne Sedimentpetrographie, ihre Stellung innerhalb der Geologie, sowie ihre Methoden und Ziele. Geologische Rund- schau .5, 1914, p. 463 — 477. dem Einfluß des Mediums, in welchem es abge- lagert wurde, unterliegt, und welche es auch noch nach Heraushebung aus diesem Medium durch die gewöhnliche Bergfeuchtigkeit erleidet, oder schließlich auch durch zirkulierende vadose Wässer, soweit dieselben keine von außerhalb des Sedi- ments stammenden Stoffe gelöst enthalten". Hier- nach gehören zur Diagenese z. B. die Entsalzung mariner Gesteine, die F!rhärtung lockerer Sedi- mente, Umkristallisierungen, Kornvergrößerungen, die Bildung von Konkretionen, sowie auch die mannigfachen Versteinerungsprozesse, alles Dinge, auf deren Einzelheiten hier natürlich nicht ein- gegangen werden kann. Nur einer Erscheinung sei hier besonders gedacht, weil sie zeigt, daß keine scharfe Grenze gegen das zu ziehen ist, was wir bei der endogenen Dynamik als Meta- morphosen kennengelernt haben; und in der Tat erfolgt diese Erscheinung, die wir gleichwohl nicht von der Diagenese trennen möchten, unter wesentlichem Einfluß der endogenen Dynamik. Das ist die Thermometaraorphose, welche ein- tritt, wenn irgendein Gestein infolge des fort- dauernden Sinkens seines Ablagerungsgebietes und eine dementsprechende Bedeckung mit jüngeren Deckschichten (wie es in den sog. Geo- synklinalregionen die Regel ist) in Gebiete höherer Erdtemperatur gerät, bei welchen gewisse Ge- steinskomponenten unbeständig werden und sich umwandeln. Fr. Rinne'''') hat zuerst auf die diagenetische Thermometamorphose der wasser- halugen Salze hingewiesen, welche bereits bei ver- hältnismäßig so geringen Bedeckungen und(Druck- und) Temperatursteigerungen eintritt, bei welchen andere Gesteine noch weit von irgendwelchen Umwandlungen entfernt sind. Aber erst neuer- dings hat die Thermometamorphose der Salze im Anschlüsse an Arbeiten von H. E. Boeke und später von Arrhenius und R. Lach mann die Beachtung gefunden, die derselben zukommt; und gerade sie zeigt zur Genüge, daß die stoff- liche Zusammensetzung der Sedimente in ihrer Verschiedenheit eine große Verschiedenheit des Zeitpunktes und des Ortes bedingen kann, an dem bestimmte Vorgänge der Diagenese (und weiter- gehender Metamorphosen) einsetzen. Der Abschluß der Diagenese ist dort anzu- nehmen, wo andere Erscheinungen, die durch wesentlich neuartige Bedingungen gegeben sind, auftreten, und hiermit ist der eigentliche Werde- gang eines jeden Sedimentgesteines beendet. Es folgt daher hier in unserer Sammlung eine syste- matische Aneinanderreihung der sämtlichen Sedi- mente und Sedimentgesteine, wobei, wie aus der Schlußübersicht hervorgeht, ebenfalls die geogra- phische Reihenfolge eingehalten wird. Eine Darstellung, die sich nur mit der Ent- stehung der Sedimentgesteine beschäftigen wollte, '''') Fr. Rinne, Gesteinskunde. I. Aufl. Hannover 1901, p. 164. — Vgl. auch Ders., Metamorphosen von Salzen und Silikatgesteinen. 7. Jahresber. N'iedersächs. Geol. V'er. zu Hannover, 1914, p. 252 — 269. i66 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 1 1 könnte nun hiermit abgeschlossen werden, und in der Tat ist mit dem Behandelten die exogene Dynamik in der Hauptsache erschöpft. Nicht so unser Kreislauf, den wir bis zu seinem Ausgangs- punkt weiter verfolgen wollen, wobei wir aller- dings bis in die endogene Dynamik zurückgreifen müssen. Nicht immer, aber vielfach unterliegen die Sedimentgesteine umwandelnden Vorgängen, welche weder in der Natur ihrer Substanz, noch in den Bedingungen, unter denen sie nieder- gefallen sind, begründet liegen. Alle diese \'or- gänge, denen man auch die Vorgänge der Ver- witterung, welche in der Darstellung unseres Kreislaufes schon unter den Zerstörungsvorgängen mit einbegriffen wurden, unterordnen kann, wollen wir unter der allgemeinen Bezeichnung der iVIeta- morp hosen zusammenfassen. Was ich darunter verstehe, möge durch einige .Schlagworte erläutert werden: Die Bildung der Stylolithen und Druck- suturen, wie die Umgestaltung der Sediment- gesteine durch den tektonischen Gebirgsdruck überhaupt. Nachträgliche Dolomitisierung von Kalksteinen durch Bitterwässer. Verkieselung von Kalksteinen durch Quellwässer. Phosphoritbildung von Kalkstein unter txuano. Metasomatische Ver- drängungen von Kalksteinen oder Dolomiten durch Eisenerze, bzw. durch Zink- und Bleisulfide. Zuletzt aber auch z. B. die Kontaktmetamorphosc. Das sind alles nur Beispiele aus der großen Zahl von Erscheinungen, welche alle aufzuführen, zu zu weit gehen würde. Es ist unschwer zu erkennen, daß ein Teil der genannten Metamorphosen auf solchen bereits be- sprochenen Vorgängen beruht, die der inneren Dyna- mik Erde oder Erdrinde eigentümlich sind oder doch durch dieselbe bedingt werden. Das gilt nicht nur für die Kontaktmetamorphose und die Umwand- lungen durch den Gebirgsdruck, sondern zum Teil auch für die metasomatischen Verdrängungen bei Verkieselungen und Erzbildungen. Das gilt aber noch mehr, wenn wir uns nun anschicken, den Kreislauf zu schließen, indem wir uns der Regionalmetamorphose zuwenden; und diese führt die Sedimentgesteine in Zustände zu- rück, welche dem Zustand des Ausgangsmateriales wenn nicht identisch, so doch sehr ähnlich sind, mit dessen Zerstörung unser Kreislauf eingeleitet wurde, des Urgebirges und der primären Massen- gesteinc. Ich wiederhole kurz, indem ich die Bildung der kristallinen Schiefer, soweit sie ursprüngliche Sedimente darstellen (der sog. Paragesteine) folgendermaßen erläutere: Betrachten wir die Mächtigkeit der Schichtenfolgen unserer jüngeren oder älteren Kettengebirge, so stellen wir fest, daß dieselben oft viele Kilometer überschreiten. Im Rheinischen Scliiefergebirge als einem Frag- ment des Variskischcn Hochgebirges der Karbon- zeit findet sich eine Mächtigkeit von mindestens 6000 m zu intensiven Falten zusammengestaucht. In anderen Faltengebirgen mag die Gesamt- mächtigkeit der Schichtenfolgen vielleicht das Doppelte betragen; und doch sind in allen diesen F"ällen, wie die Art der Gesteine zeigt, nicht viele Kilometer tiefe Becken allmählich mit Sedimenten zugefüllt worden, sondern sukzessive (bald schneller, bald langsamer, bald auch mit Unterbrechungen und Rückschlägen) ist die Basis solcher „Geo- synklinalregionen" in die Tiefe gesunken, und die entstehenden marinen Sammeltröge sind ebenso sukzessive ganz naturgemäß ausgefüllt worden, da allen Transportvorgängen in letzter Linie die Schwerkraft zugrunde liegt, durch welche die ent- standenen Niveauunterschiede nach Möglichkeit ausgeglichen werden. Ich habe an anderer Stelle '"'"^j auseinandergesetzt, daß ich die An- schauung nicht anerkennen könne, nach welcher die Geosynklinalregionen sinken sollen, weil sie mit Sedimenten überlastet würden, kann an dieser .Stelle aber nicht näher hierauf eingehen. Sei dem nun, wie es will, es ist klar, daß in den Tiefen einer Geosynklinale, deren Boden Tausende von Metern unter die Lithosphärenoberfläche sinkt, sich thermometamorphe Vorgänge einstellen müssen, welche nicht nur so empfindliche Ge- steine, wie wir sie in den wasserhaltigen Salzen kennen gelernt haben, sondern auch andere „nor- male" Gesteine umwandeln werden. Solche Um- wandlungen bedingen in ihrer weiteren Steige- rung jene Metamorphose, die zur Entstehung der kristallinen Schiefer führt. Es ist nicht meine Absicht, hier in Einzelheiten einzutreten. Betonen muß ich nur, daß außer der Thermometamor- phose naturgemäß auch die Druckmetamorphose liinzutritt, welche, besonders in den höheren Zonen, das Wirken des B ecke 'sehen Volum- gesetzes bedingt und im Verein mit vorhandenem Lösungsmittel das Ri ecke 'sehe Prinzip von Be- deutung werden läßt. In den gröfSeren Tiefen dagegen wirkt der Druckmetamorphose die Thermometamorphose entgegen und hier, wo das Tiefenmagma mit Kontaktmetamorphose und Injektion zu ursprünglichen Sedimenten hinzu- tritt , können selbst aus diesen Gesteine ent- stehen, welche unter Umständen mineralogisch und strukturell Eruptivgesteinen, bzw. aus solchen hervorgegangenen Orthogesteinen nahestehen. iLrhöht werden mag die Wirkung solcher Regionalmetamorphose durch die Tektonik der F"altengcbirge, in denen, wie wir ja heute wissen, oft ganze große Mächtigkeiten in ausgedehnten Decken oft mehrfach übereinandergeschoben sind, wodurch sowohl Druck wie Temperatur in der Tiefe um so mehr gesteigert werden müssen. Diese durch Gebirgsbildung bedingte Dynamo- metamorphosc hat aber das Bild verschleiert, das sonst verhältnismäßig einfach sein müßte. Und so komme ich zum Schlüsse des Kreis- laufes. Aus dem Material, welches den mannig- fachsten Zerstörungs- und Verwitterungsvorgängen unterlegen ist, welches auf den mannigfach ver- '•'••') i'hpr die Beding. .1. ( li-l.irg.sbildun}; p. IS, 10- N. F. XIV. Nr. 1 1 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 167 schiedcnen Transportwegen eine Auslese nach den verschiedensten Prinzipien erlitten hat, und über welches nach der Wiederablag-erung manche Umwandlungen hinweggegangen sind, aus diesem Material wird schließlich doch einmal wieder etwas substantiell Ähnliches, wenigstens wenn wir größere Gesteinskomplexe und nicht einzelne dünne Gesteinslagen in Rücksicht ziehen, und so stehen wir nunmehr wieder dort, wo wir aus- gegangen waren , im „Grundgebirge", das wir wegen der erläuterten Entstehung als solches und nicht als Urgebirge oder Archäicum zu bezeichnen uns gewöhnen sollten, sowie in den Eruptiv- oder „primären" Gesteinen und wir finden den Anschluß Die allgemein -geologische Sammlung. Nunmehr sei in einer Art Tabelle vorgeführt, wie sich im Anschluß an das vorher Gesagte die Anordnung einer allgemein-geologischen Sammlung zweckmäßigerweisc vornehmen läßt. Als Muster hierfür dient , wie gesagt , die von mir neu auf- gestellte Marburger Sammlung, wobei indes zu bemerken ist , daß in der folgenden Übersicht bereits manche Lücken geschlossen sind, welche die Marburger Sammlung trotz rühmlichst bekannter Vollständigkeit ganz naturgemäß doch noch aufzu- weisen hat, welche aber hoflentlich um so eher verschwinden werden, als nunmehr ihr Vorhanden- sein offen zutage liegt. Abb. 1. Die SaratnluQg des Marburger Geologisch-Palaontologischen Universitätsinstitutes zur Erläuterung der endogenen .Dynamik. an die Erscheinungen der inneren Dynamik, deren Hauptzüge kennen muß, wer die äußere D)-namik verstehen will. Es braucht kaum betont zu werden, daß dieser Kreislauf keineswegs immer in gleichem Sinne verläuft. Auch bei diesem , wie bei allen geologischen Kreisläufen, gibt es Rückschläge, kann ein Teil der von denselben ergriffenen Materie wieder herausgenommen werden, um schließlich aber doch, wenn auch auf Umwegen, wieder in denselben einzutreten und zum ur- sprünglichen Zustand zurückzukehren. A. Die Sammlung zur Erläuterung der endo- genen Dynamik. I. Die Zusammensetzung des Erdkörpers. a) Die Meteoriten als Vergleichsobjekte. I. Meteoreisen oder Eisenmeteorilen. II. Lithosiderite (l^bergänge von I zu III). III. Meteorsteine oder Steinmeteoriten (Asi- derite): a) Gewöhnliche oder kristallinische. ß) Glasmeteoriten oder Tektite. b) Das „eruptive" Material (der uns zugänglichen Teile) des Steinmantels der Erde. i68 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 11 1. Allgemeines. a) Differentiationen in Tiefengesteins- massiven nach der Schwere (Lakkolith von Sudbury in Kanada, zugleich als Beispiel einer syngenetisch- eruptiven (Nickel-) Erzlagerstätte). ß) Sonstige Differentiationen und Schlieren- bildungen in Eruptivgesteinen, wie ba- sische Randfazies, basische Einschlüsse, leukokrate und melanokrate Gesteins- fazies. Gesetzmäßigkeit der „Gangge- folgschaften". ;') Struktur der Eruptivgesteine.''") aa) Glasige oder amorphe Struktur, bb) Holokristalline Strukturen : Panidiomorphe , panallotriomorphe oder autallotriomorphe Struktur. Eutekt- oder Schriftgranitstruktur, poikilitische Struktur. Hypidiomorph-körnige oder eugra- nitische Struktur (Gabbro-, Ophit- und Intersertalstruktur). Holokristallin-porphyrischeStruktur. cc) Hemi- oder hypokristallin - porphy- rische Strukturen : Trachytische, orthophyrische, pilo- taxitische, hyalopilitische und vitrophyrische Struktur. ö) Textur der Eruptivgesteine, aa) Massige Textur, bb) Zentrische, sphärische und Kugcl- textur, sphärolithische Textur. cc) Eagen- und Bändertexlur. dd) Fluidaltextur. ee) Schlierige oder Eutaxittextur. ff) Poröse Textur: Schlackige, schwam- mige, schaumige (Bimstein-)Tex- tur, Mandelsteintextur. f) Absonderungserscheinungen der Erup- tivgesteine: Säulige Absonderung der Basalte und Diabase, plattige der Phonolithe, kugelige der Basalte und Diabase. 2. Das System der Eruptivgesteine. «) Tiefengesteine : Familie der Peridotite und Pyroxen- gesteine. „ „ Shonkinite und Theralitlic. „ „ Essexite. „ „ Gabbrogesteine. „ „ Dioritgesteine. „ „ Eläolith- u. Leucitsyenite. „ „ Syenite. „ „ Granite. (i) Ganggesteine: Gruppe der lamprophyrischcn (iang- gesteine : '•*) Bezüglich der für die Genese so wichtigen Strukturen und Texturen der Kruptivgestcine und Kristallinen Schiefer vgl. die übersichtliche Darstellung von U. Grubenmann, Gesteinsstruktur und Gesteinstextur. Handwörterbuch der Naturwissenschaften 4, 1913, P- 1065 — 1071. Camptonit-Alnöitreihe. VogesitOdinitreihe. Minette-Kersantitreihe. Gruppe der aplitischen und pegmati- tischen Ganggesteine : Aplite im engeren Sinne. Bostonitische Gesteine. Tinguaitische Gesteine. Malchitische Gesteine. Pegmatitische Ganggest. Gruppe der Granitporphyrischen Ganggesteine : Gabbroporphyrite. Dioritporphyrite. Eläolith- und Leucitporph\rc. Syenitporphyre. Granitporphyre. 7) Ergußgesteine: Familie der lamprophyrischcn Erguß- gesteine. „ ,, Limburgite und Augitite. „ „ Melilithbasaltc. „ „ Nephelingesteine. „ „ Leucitgesteine. „ „ Tephrite und Basanite. „ ,, trachydoleritischen Gest. „ „ Pikrite und Pikritporphy- rite. „ ,, Basalte , Melaphyre und Diabase. „ „ Andesite und Porph)Tite. „ „ Dacite und Quarzporphy- rite. „ „ Phonolithe, Leucitophyre. „ „ Trachyte und quarzfreien Porph\-re. „ „ QuarztrachyteundOuarz- porph\Te (Liparite, Rhy- olithe). II. Die endogene Dynamik des Erd- körpers. c) Der Oberflächenvulkanismus: Die Arten der Lavaoberflächen: Strick-, Fladen- usw. Lava. Peles Haar. Submarin entstandene Kissenlava. Lapilli, Aschen, Bomben (Gedrehte und Brot- krustenbomben). Tuffe. Traß. Mitgerissene Brocken des Untergrundes mit An- und Umschmelzungen, sowie hoch- gradiger Metamorphose: Z. B. zu Sana- dinit umgewandelte Gesteine des Grund- gebirges im Laacherseegebiet. (Diese Dinge können mit demselben Recht bei der Kontaktmetamorphose gebracht werden). d) Begleiterscheinungen des Vulkanismus und postvulkanische Prozesse. I. Die vulkanischen Gase, sowie juvenilen Wässer und die durch sie hervorgerufenen Umwandlungen : N. F. XIV. Nr. II Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 169 Flüssigkeitseinschlüsse in (Juarz. Pneumatolyse (Endopneumatolyse) : Zinn- erzbildung-, Greisen, Topas- und Tur- malinfels. Turmalin- und Miarolith- granite. (Auch Pegmatite könnten in diesem Zusammenhange nochmals auf- gestellt werden). Fumarolenprodukte: Steinsalz, Salmiak, Eisenglanz, Atakamit usw. Solfatarenprodukte: Schwefel, Realgar, Auripigment , Zinnober usw. (Es ist wichtig, das Vorkommen von Schwer- metallverbindungen hervorzuheben, da dasselbe die Ableitung der Entstehung der Erzgänge aus dem Magma er- leichtert. Auch können hier gewisse Kohlenwasserstoffe ihren Platz finden, die fraglicher vulkanischer Entstehung sind.) Kalksinter: Sprudelsteine von Karlsbad, Hammam-Meskutine in Algier mit Eisenkies usw. Thermalabsätze : Kieselsinter des \'ellow- stone National-Parks mit Auripigment. Opalausscheidungen in der vulkanischen Tertiärformation Deutschlands, hier- durch hervorgerufene Vcrkiesclungen von Kalksteinen. Gesteinszersetzungen und -Umwandlungen durch Fumarolen, Solfataren, Thermen, Mofetten und Säuerlinge. 2. Weitere postvulkanische Prozesse : Serpentinbildung (Nickelerzlagerstätten in Verknüpfung mit Serpentin, z.B.Franken- stein in Schlesien). Bildung von Sekretionen, Kristalldrusen- und Achatausfüllungen von Mandel- hohlräumen (Enhydros), sowie Eücken und Klüften in Eruptivgesteinen (und deren Auswurfsprodukten). Mineral- und Erzgänge, (hi der Haupt- sache apomagmatische Mineralausschei- dungen im Sinne von A. Bergeat.) Injektionslagerstätten. Pneumatolytisch-hydatogene Gänge. Hydatogene Gänge. Metasomatische Lagerstätten (soweit sie auf aszendierende , juvenile Lösungen zurückzuführen sind). 3. Kontaktmetamorphose : P^ndogene und exogene Kontaktmeta- morphose ; kaustische, hydatothermische und (exo-) pneumatolytische Kontakt- metamorphose. Kontakt an Ergußgesteinen : Z. H. Ver- edelung von Braunkohlen im Basalt- kontakt (säulige Absonderung). Frittung von Sandstein im Basaltkontakt (säulige Absonderung, Cordieritneubildung). Frit- tung von Tonen zu Bandjaspis (natür- liche Backsteinbildung) , Rolbrennung von Kalken. Diabaskontakt (Desmo- site und Spilosite). Kontakt an Tiefengesteinen, z. B. Kontakt- hof des Brockenlakkolithen. (Kontakt- (metasomatische) Lagerstätten: peri- magmatische oder magmanahe Lager- stätten im Sinne von A. Bergeat). e) Regional- und Dynamometamorphose: Bil- dung der Kristallinen Schiefer: l. Allgemeines. 1. Einleitendes über die P'aktoren der Meta- morphose : Druckschieferung. Bildung der Griffel- schiefer. Streckung von Gesteinen. Streckung und Verdrückung von Fossi- lien. Wirkung des Volumgesetzes, z. B. zu demonstrieren durch zu Magnetitschiefer umgewandelte Eisenoolithe des alpinen Doggers. Kristallisationsschieferung; Gesteine mit zu Linsen ausgezogenen Feldspäten, geschwänzten Quarzen u. dergl. Kornvergrößerung (Sammelkristallisation) : Zu Marmoren umgewandelte Kalke. 2. Strukturen der Kristallinen Schiefer: (Die kristalloblastischc Struktur der meta- morphen Gesteine ist stets holokristallin.) Homöoblastische Strukturen : Granoblastische Strukturen (Pflaster-, poikiloblastische, diablastische Struk- tur). Lepidoblastische (schuppige) Struktur. Nemato- oder fibroblastische (faserige) Struktur. Hetero- oder Porphyroblastische Struktur. Reliktstrukturen : Blastogranitische , blastoporphyrische, blastophitische Strukturen. Mechanische Strukturen : Kataklas- und Mörtelstruktur (l'rotoklas- struktur). 3. Texturen der Kristallinen Schiefer: Schiefertexturen : (Adhäsions- und Kohäsionsschieferung). Druckschieferung : Kristalloklastese. Kristalloplastese. Kristalloblastese ( Kristallisations- schieferung , Kristallisations- streckung). Relikt- oder Palimpseststextur. Massige Textur, usw. II. Das S\stem der Kristallinen Schiefer: I. Gruppe: Alkalifeldspatgneise (in dieser und allen folgenden Gruppen ist in einer vollständigen Sammlung eine weitere Teilung in epi-, meso- und kata-Gesteine durchzuführen, so zwar, daß von der schwächeren zu der stärkeren 170 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 1 1 Metamorphose vorgeschrit teil wird). 2. Gruppe: Tonerdesilikatgneise. 3- „ Kalknatronfeldspatgneise. 4- Eklogite und Amphibolite. 5- Magnesiumsilikatschiefer. 6. „ Jadeitgesteine. 12. Gruppe: Aluminiumoxydgesteine ( Smirgelgesteine). f) Tektonische Erscheinungen: I-'altungen ( Außendruckfaltungl Unter- scheidung von Quellfaltungen und ptyg- matischen Faltungen). Klüfte und Verwerfungen. Die Samnilung des Marburger Geologisch-Paläontologischen l'niversitalsinstitutes zur Krläuterung der exogenen Dynamik. j. Gruppe : 8. 9- Chloromelanitgesteine. (Juarzitgesteine. Kalksilikatgesteine. Marmore: (Kalk- und I3olo- mitmarmore , metamor])hc Anhydrite). Eisenoxydische Gesteine (Magnetitgesteine). Schleppungen. Tektonische Breccien. Überschiebungsflächen und -Breccien. Tektonisch gekritzte Geschiebe. Rutschflächen und Harnische, Stylolithen und Drucksuturen , GeröUe mit Ein- drücken. iSchluß folgt.) Über elektrische Lampen. ' lampe wird an Wattverbrauch nur durch die neuen Bogenlampen , die sog. Effektkohlen- bogcnlampcn, übertroffen, bei denen dieser auf 0,1 iS Watt pro Hefnerkerze sinkt. Die Doppelbogenlampen, bei denen wechsel- Kleinere Mitteilungen Die Ilalbwatt ') Zeitschr. f. angew. Chcm. 27. Jahrg. S. 339. weise Kohlenpaare abbrennen, sollen den schnellen Verbrauch an Kohlen, die hohen Kohlen- und Bedienungskosten verringern. Die Quarzlampe, eine Metalldampflampe für Gleich- und Wechselstrom, hat als Leuchtmittel Quecksilberdampf in einer luftleeren Ouarzruhre. I3er Quarzkörper soll 5000 — 6000 Brennstunden aushalten. Ihre Lichtfarbe ist deswegen so fahl, N. F. XIV. Nr. II Naturwissenschaftliche Wochenschrift. weil die roten Strahlen fast ganz fehlen. Für Straßenbeleuchtung ist sie deshalb nicht ge- eignet, wohl aber für Innenbeleuchtung in Fabrikräumen, in welchen es nicht auf Unter- scheidung der Farbe ankommt, wie in Gießereien und ähnlichen Werkstätten. Dr. Bl. Schlagwetterpfeife.') Sobald der Methangehalt der Grubenluft über die Explosionsgrenze von 5'/.,",, steigt, kann sich die explosible Mischung bei gegebener Gelegenheit entzünden. Bisher war die Grubenlampe der einzige brauchbare Schlag- wetteranzeiger, indem bei zunehmendem Methan- gehalt der I^uft die Flamme der Lampe eine Licht- aureole zeigt. Bei schlagenden Wettern ist aber die Flamme gefährlich und auch die Davy'sche Sicherheitslampe ist dadurch nicht ohne Gefahr. Auf akustischem Wege aber ist durch die Schlag- wetterpfeife der Methangehalt der Grubenluft nachzuweisen. Äußerlich erscheint diese Pfeife als ein handlicher, runder Messingzylinder, der im Innern zwei gedeckte Lippenpfeifen enthält, Zeitschr. f. komprim. und flüssige Gase 1914, S. I2. die bei gleicher Gasfüllung auf denselben Ton ge- stimmt sind und durch denselben Gasstrom an- geblasen werden. Es wird nun die eine I'feife über Tage mit reiner Luft gefüllt, die andere mit Gru- benluft (durch Ausziehen des als Pumpe konstru- ierten Pfeifenmantels nach unten). Die bei vor- handenem Methan hörbaren .Schwebungen nehmen mit steigendem Gehalt desselben rasch zu und werden in der Nähe der Explosionsgrenze zu einem charakteristischen Trillern. Tonunterschiede lassen sich aber in der Grube auf gerader Strecke mehr als 100 m weit wahrnehmen. Dr. Bl. Solex-Scheinwerfer.') Derselbe besteht aus einem kleinen zylindrischen Glühkörper zur Weiß- glut erhitzt durch eine Benzin-Sauerstofff^amme. Das von einem parabolischen Spiegel reflektierte Licht leuchtet auf mehrere 100 m; die Licht- stärke soll mehr als 100 000 HK betragen. Drei Scheinwerfer sollen 20 Stunden lang mit einer Sauerstoffpumpe von 800 1 Gasinhalt und i 1 Ben- zin unterhalten werden können. Dr. Bl. ') Zeitschr. f. komprim. und flüssige Oase 1914, S. 14. Einzelberichte. Physik. Einiges über die Theorie der ionomag- netischen Drehungen. Nach A. Righi, Physikal. Zeitschr. Nr. 19, 1914, S. 833, treten Drehungen von Körpern, die in einem Magnetfeld angeordnet sind und sich um eine zum Felde parallele Achse drehen können, dann auf, wenn das sie umgebende Gas ionisiert wird. Das einzelne Gasion legt unter Einwirkung des Feldes zwischen zwei aufeinander folgenden Stößen keine geradlinige Strecke, son- dern eine Kurve zurück, die eine Schraubenlinie darstellt, wenn das E'eld gleichförmig ist. Die be- obachtete Drehung selbst entsteht dadurch, daß die Stöße rings um den beweglichen Körper in einem gewissen Sinne schräg gerichtet erfolgen. Eintgegengesetzt gerichtete Drehungen sind natür- lich bedingt durch die beiden Vorzeichen der Ionen, sie sind Dift'erentialeffekte. An Größe wie an Richtung, an Zeit wie an Ort veränder- lich ist die Geschwindigkeit, mit welcher ein Ion auf ein gegebenes Oberflächenelement des beweg- lichen Körpers aufprallt. Voraussetzung für diese Theorie sind gewisse Gleichförmigkeits- und Sym- metrieverhältnisse. Dr. Bl. Über die Vertretbarkeit der Atome. Nach F. Paneth, Physikalische Zeitschr. Nr. 22, 1914, S. 928, gibt es Vertretbarkeit verschiedener Grade. Die vollkommene Vertretbarkeit der Atome einer .Art für alle physikalischen und chemischen Vorgänge. Die Vertretbarkeit isotoper Atome hat Geltung bei allen „Elektronenreaktionen" in der ganzen Chemie, Elektrochemie und manchen Gebieten der Physik. Gelegentliche Vertret- barkeit tritt auf bei einzelnen chemisciien und physikalischen Vorgängen. „In je engeren Gren- zen die Vertretbarkeit Geltung beansprucht, desto weniger ist sie auf eine bestimmte Gruppe che- mischer Atome beschränkt." Liegt eine V'ertretbar- keit der .Atome eines Elementes mit denen eines an- deren vor, Isotopen oder nicht Isotopen, so kann auch vor Erreichung der Konzentration des Lös- lichkeitsproduktes das betreffende Element gefällt werden. Bei Isotopen ist als lonenkonzentration im Löslichkeitsprodukt die Summe der Isotopen Ionen einzusetzen. Dr. Bl. Über Adsorbierung der Radioelemente. Aus Untersuchungen über die Adsorbierung verschie- dener Radioelemente durch schwer lösliche Salze und Ox}-de fanden F. Paneth und K. Horo- vitz, Physikalische Zeitschrift Nr. 22, S. 924, daß jene Radioelemente gut adsorbiert werden, deren analoge Verbindung in dem betreffenden Lösungsmittel schwer löslich ist. Das Sulfat des Thorium B ist weder in Säuren noch .Ammoniak, wohl aber in Kalilauge löslich, das des Thorium C in Säuren leicht, in Ammoniak und Kalilauge nicht löslich. Es scheint die chemische Natur des Adsorbens in erster Linie für die Stärke der Wirkung und nicht die Ionen im Lösungsmittel maßgebend zu sein und der kinetische Austausch der Atome an der Oberfläche des Adsorbens eine Rolle zu spielen. Die Adsorbierung von Radio- elementen an Isotopen .Adsorbentien wird um so stärker sein, je schwerer löslich das .Adsorbens ist. Das Verhältnis des adsorbierten Teiles des Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 1 1 Radioelementes ist zu dem in Lösung verbleiben- den konstant, wenn man seine Menge gegenüber der Löslichkeit des Adsorbens vernachlässigt. Die adsorbierte IMenge ist proportional der Konzen- tration. Die Betrachtung der Adsorbierung nicht isotoper Elemente führt zu folgenden Vorstellungen. Wir schreiben dem elektropositiven und elektro- negativen Bestandteil der Salze auch im festen Zustand gesonderte X'alenzen zu, und es scheint die Schwerlöslichkeit eines Niederschlages auf das feste Zusammenhalten dieser \'alenzen zurück- zuführen zu sein. Die Löslichkeit der analogen Verbindung scheint maßgebend zu sein für den Grad der Adsorption und für die Bildung eines Niederschlages. Aus den Versuchen mit Radio- elementen fand man, daß bei diesen Verdünnungen Isomorphie nicht notwendig ist, sondern Schwer- löslichkeit der analogen Verbindung bedingt, daß ein Element auch unterhalb seines Löslichkeits- produkts zum Mitausfallen mit einem anderen Ele- ment veranlaßt wird. Dr. El. Geographie. Von großer Bedeutung für die Eiszeitforschung sind die Fragen nach den Ver- hältnissen am Rande eines Inlandeises sowohl in klimatischer als in morphologischer Beziehung. Keine anderen Gebiete der Erde können auf diese hVagen so gut eine Antwort geben wie die Polar- gebiete und vor allem Grönland, das am besten bekannte, in dem noch heute eine Inlandeisdecke das Innere bedeckt. Otto Nordens kjöld unternahm im Sommer 1909 eine Reise nach dem dänischen Südwestgrönland, besonders um die Frage zu studieren, wie es möglich ist, daß in einem klimatisch so begünstigten Lande das In- landeis existieren kann. Die Ergebnisse seiner hochinteressanten Forschungen ') reichen aber viel weiter und haben ein so allgemeines geo- graphisches Interesse, daß es sich verlohnt, ausführlicher auf sie einzugehen. Die Küste Südwest- Grönlands wird von tiefen Fjorden zerschnitten, aus denen sich äußere Vorberge zu 500 — 600 m Höhe erheben, die in der Regel zusammenhängende Massive bilden. An einigen Stellen dagegen ragen einzelne Berg- gruppen bis zu 1000 — I 500 m Höhe empor und erhalten durch Karbildung rein alpine Formen. Je weiter man in die Fjordtäler hineingelangt, desto mehr besteht das Land aus einer flach- welligen Rumpfebene, die etwa lOOO — 1 200 m über dem Meere liegt und von den Tälern zerschnitten wird. So kommt man zu der An- sicht, daß Inner-Grönland ein ziemlich ebenes wenig zerschnittenes Felsplateau ist. Aber anstatt daß sich nun die hochgelegene Rumpffiäche in immer mehr zusammenhängender Form fortsetzt, folgt vor dem Rande des Inland- eises eine niedrige Landschaft mit abge- rundeten Hügeln und Landrücken. Sie ist von ') Einige Züge der physischen Geographie und der Knt- wickelungsgeschichte Süd-Grönhinds. Geogr. Zcitschr. 1914, H. 8— II. tiefen Tälern zerschnitten und mit unzähligen Seen bedeckt. Der Nachweis dieser niedrigen Landschaft auf der Innenseite der Gebirgs- zone ist eines der wichtigsten Ergebnisse der Reise Norde nskjöld's. Eine weitere morphologische Eigentümlichkeit des südlichen Grönland ist eine etwa 50 m hohe Küstenplattform, vor der eine breite Halb- insel zwischen dem Meere und den Fjorden liegt; vor ihr liegen Schären, die im Maximum 20 bis 30 m Höhe erreichen. Diese Küstenplattform, die 10^20 km Breite besitzt und eine echte Fels- terrasse ist, begleitet die ganze Südvvestküste Grön- lands. Als tektonisches Gebilde ist sie nicht zu erklären; dagegen folgt aus ihrer geographischen Verbreitung, daß sie durch Abrasi on unter ganz besonderen Umständen gebildet worden ist. Ein wiederliolt kleinen Hebungen und Senkungen unterworfenes Küstenterrain, auf welches zugleich Eis und Frostverwitterung vereint mit den Kräften des Meeres gewirkt haben, ist wohl die Grund- bedingung ihrer Entstehung. Die Entstehung der inneren Rumpfebene ist auf eine Hebung des Landes zurückzuführen, die in der Tertiärzeit vor sich gegangen ist. Jedenfalls bildet das Innere eine Denudationsfläche eines alten Rumpfschollenlandes. Die Hebung hat aber nicht gleichmäßig Süd-Grönland betroffen, sondern die Randgebiete scheinen stärker gehoben zu sein als das Innere des Landes. Im grönländischen Binnenlande erscheinen die Spuren der Tätigkeit des Eises vielfach verwischt, besonders durch die starke Verwitterung. Trotz der Seen zeigt nämlich das innere niedrige Land ein besonders trockenes Klima, und die Schmelzwässer des Eises fließen ausschließ- lich in großen tiefeingesenkten Tälern ab. Aus den meteorologischen Beobachtungen ergibt sich, daß der Unterschied im Klima bei Orten, die un- gleich weit vom Meere entfernt sind, oft sehr groß ist. In der Zeit vom 28. Juni bis 3. Juli, als sich Norde ns- kj(Jld in der schmalen Zone des niederen Hügel- landes östlich Holstensburg befand, war die Tempe- ratur im Binnenlande um 6,5" höher als an der Küste. Da er sich außerdem im Durch- schnitt 300 m über dem Meere befand, ist der Unterschied in Wirklichkeit noch größer. Nach Reduktion auf M. N. würde die Sommertempera- tur im grönländischen Binnenlande 15 bis 16" C betragen. Die Ursache dieses abnorm warmen Sommerklimas ist wohl darin zu suchen, daß die hohen Küstengebirge alle kalten Seewinde ab- sperren: auch l'öhnwirkungen scheinen eine Rolle zu spielen. Die Hauptsache des warmen Klimas ist wohl die Wirkung der Insolation in diesem trockenen Gebiet. Winterniederschläge fehlen fast völlig, die Seen sind oft abflußlos; weiter spricht das Vorhandensein von Salzseen und Salzausblühu ngen für große Trocken- heit des Klimas. Diese Trockenheit des Klimas führt zu eigen- tümlichen Verwitterungserscheinungen N. F. XIV. Nr. II Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 173 (pilzähnliche Felsformen, halbkugelige Aushöh- lungen im Granit, Karrenbildung am Gneis). Die Entstehung dieser Formen steht wohl vor allem mit einer Beeinflussung durch freie Salze in Ver- bindung. Die Hügel und Hochflächen in der Nähe des Eisrandes sind oft mit staubähnlicher Fein- erde bedeckt, deren Mächtigkeit i — 2 m betragen kann. Vom mechanischen Gesichtspunkte ist diese Erde als Löß zu bezeichnen. Er entsteht also in einem trockenen Gebiet am Rande des Inland- eises, durch Ablagerung des vom Winde trans- portierten Staubes auf grasbewachsene Plateau- ebenen. Daß aber in der Tat das Eis der Landschaft sein Gepräge aufgedrückt hat, wird bewiesen durch den Seenreichtum, durch das Vorhandensein von echten Sollen, von Moränen, Wällen und Osern. Die weiteren Kräfte, die die Erdoberflläche um- gestalten, sind das Erdfließen und der Wind, der die Lößbildungen hervorbringt. Man kann wohl mit N o r d e n s k j ö 1 d aus allen diesen Beobachtungen den Schluß ziehen, daß auch in Europa in derNähe des Inland- eises das Klima verhältnismäßig trocken und warm gewesen sei. Dabei ist in Grönland nicht einmal die Annahme nötig ge- wesen, daß die Luftdtuckverteilung am Eisrande kontinentale Winde hervorgerufen habe. Die größte Verschiedenheit zwischen dem grönlän- dischen Gebiete und dem Randgebiete des euro- päischen Inlandeises liegt aber darin, daß die Ent- fernung vom Meere dort geringer war und daß die Längsrichtung des Eisrandes hier westlich und nicht nordsüdlich war. Aber die Folge würden nur noch kontinentalere Verhältnisse, also bedeu- tend wärmere Sommer in Mittel- Europa gewesen sein. Ein sehr auffallender morphologischer Zug Grönlands ist der scharfe Gegensatz zwischen den ßergmassiven und Hochflächen einerseits und den tiefen trogförmigen Fjordtälern andererseits. Die wichtigsten Fjorde zeichnen sich durch grad- linigen Verlauf, parallele Seiten und konstante Breite aus; sie sind an Spaltlinien gebunden. Sie sind in ihren inneren Teilen meilenweit mit Gletscherschlamm ausgefüllt, denn das Eis hat einst- mals sämtliche Fjorde angefüllt und umgestaltet. Da die Schmelzwässer das Trockengebiet in wenigen Haupltälern durchschneiden, so haben sie im Gegensatz zu den Tälern, die das Inlandeis nicht speist, einen beinahe caflonartigen Charakter. Auch verschiedene Täler im höheren Lande, die durch die Tätigkeit des Eises umgestaltet wurden, zeigen eine prachtvolle U-form. In der Fortsetzung der Fjorde liegen vielfach Seen, die sich wohl bei der Hebung des Landes gebildet haben. Während die meisten an Einsen- kungen im Gesteinsgrunde gebunden sind, treffen wir am Eisrande auch echte kreisrunde Solle an. Die Landschaftsformen im Kleinen sind ebenfalls direkt oder indirekt vom Eise gestaltet worden. Abgesehen vom Schichtenstreichen spielen dieDiaklase und Kluftflächen eine große Rolle. Sie erleichtern die Frostsprengung oft in hohem Grade. Besonders auffallend ist aber die intensive Verwitterung des Gesteinsgrun- des. Der Gneis zerfällt in besonders groben Schutt. An einigen Stellen entstehen karrenartige Verwitterungsformen, die an die von Salzen aus- getieften Hohlblöcke erinnern. Die Formen der Schären werden in der Regel von Spaltensystemen bestimmt, zwischen denen sich rundbuckelige Formen erheben, deren Entstehung noch wenig geklärt ist. Möglicher- weise sind sie durch Einwirkung des Eises ent- standen, aber durch andere Faktoren modifiziert. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Spuren der ehemaligen Vereisung überall stark verwischt sind, so daß auch in Grönland die Eiszeit eine längst abgeschlossene Pe- riode gebildet hat; das Inlandeis ist nur noch ein Überbleibsel einer kälte- ren Eisperode. Dr. G. Hornig. Zoologie. Linksgewundene Exemplare von Helix pomatia, H. aspersa können sich wegen der Lage der Geschlechtsöffnungen und der Form der Schale mit Normalexemplaren nicht paaren und geben, wie einige Zuchtversuche lehren, mit ihres- gleichen gepaart nur rechtsgewundene Nachkom- men. P. Hesse wirft die Frage auf, ob sich abnorm gewundene Exemplare anderer Arten ebenso verhalten? Er weist auf einen Zuchtver- such C o 1 1 i n ' s mit linksgewundenen Liinuaea sfagiinlis hin, die dieser einmal in etwa 20 Exem- plaren neben zahlreichen normalen in einem Tüm- pel gefunden hatte; aus ihrem im Aquarium ab- gesetzten Laich entwickelten sich nur linksgewun- dene Individuen. In diesem Falle ist nicht nur das gegenteilige Resultat der Zucht bemerkens- wert, sondern auch die große Anzahl im Freien gefundener linksgewundener Limnaeen. Von ver- schiedenen Pupiden, Buliminiden und Clausiliiden weiß man, daß dieselben Arten an bestimmten Lokalitäten in rechts-, an anderen in linksgewun- denen Exemplaren vorkommen, so daß sich also auch hier die abnorme Windungsrichtung auf die Nachkommen überträgt. Auch von einer Kolonie linksgewundener IRlix aspersa hat man durch Jeffrey 's Kenntnis und durch Welc h von dem Vorkommen nur linksgewundener (subfossiler) FIclix iieiiioralis in Irland. Hesse ist der Mei- nung, daß sich verkehrte Windungsrichtung ver- erbt, jedoch nicht in der ersten Filialgeneration, sondern in einer folgenden. Dazu dürfte in natura bei Arten mit schlankem, hochgewundenem Ge- häuse und schmaler Basis desselben die Möglich- keit deshalb gegeben sein, weil die Form des Gehäuses die Paarung eines gelegentlich einmal auftretenden abnorm gewundenen Exemplares mit einem normal gewundenen kaum verhindern wird, während dies bei ILlix poii/afia und Verwandten ausgeschlossen ist und eine Vermehrung abnorm gewundener Exemplare nur in dem äußerst sehe- 174 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. II nen Falle eintreten kann, daß an derselben Loka- lität einmal gleichzeitig zwei Linksschaler vor- handen sind, die sich finden müssen. Bei Lim- naeen ist eine Vermehrung Linksgewundener auch ohne Auftreten eines Partners möglich , weil die Tiere sich selbst befruchten können. Demnach wünscht Hesse zur Prüfung seiner Ansicht er- neute Zuchtversuche mit abnorm gewundenen Schnecken, die aber auf mehrere Generationen auszudehnen sind. Brn. Ein Höhlen bewohnender Egel. Nach den Zu- sammenstellungen Hamann 's sind Hirudineen aus Höhlen Europas wenigstens bis 1S96 nicht bekannt geworden. Neuerdings beschreibt Jo- hannssen aus Höhlengewässern der Herzegowina eine völlig pigmentlose und auch des Augen- pigmentes entbehrende Form, die dort häufig ist und zu der früher Nepheliden, jetzt aus Prioritäts- gründen Herpobdelliden genannten Familie der Hirudineen gehört. Ihr nächster Verwandter ist Herpobdiila lincata (O. F. M ü 1 1 e r 1 774) = Ncphelis qitadrisfriafa Grube 1 850 ^ iV. bi striata Bran- des 1900, mit der Z)/«r7 /Vi?«;-/ B 1 a n c h a r d 1893 zusammenfällt. Mit Rücksicht auf gewisse Unter- schiede gegenüber Herpobdella wird die von Blanchard 1893 aufgestellte Gattung Dina auf- rechterhalten und die Höhlen bewohnende Art zu Ehren ihres Entdeckers Diiia absoloiii genannt. Durch A. Mrazek erfahren wir, daß diese Art auch in Höhlen Montenegros vorkommt, bis 55 mm lang wird und nicht nur des Augenpigmentes, sondern auch der Augen selbst entbehrt; ihre Farbe ist „mehlweiß." M. Brn. Artemia salina in Deutschland. Über das Vor- kommen der in Salztümpeln und Salinen beson- ders an der Mittelmeerküste häufigen ^irteuiia sali'na (L.) im Inneren Deutschlands lag nur eine Angabe Zenker's aus dem Jahre 1 8 54 vor, wonach diese Branchipodide in der Greifswalder Saline beob- achtet worden ist. Das dortige Gradierwerk ist aber schon lange nicht mehr im Betrieb und so wird Artemia von dort verschwunden sein. Die Art kommt aber, wie Wundsch 1914 berichtet. massenhaft in einem stark versalzten Abwasserfluß des Kaliwerkes Wintershall vor, der in die Werra einmündet und nur grüne Fadenalgen aufweist. Da das Kaliwerk erst seit 1908 in Be- trieb ist und die Art in anderen Kaliabwasser- gräben des Gebietes fehlt , muß die Ansiedlung erst kürzlich stattgefunden haben, wohl durch Überführung von Dauereiern durch Wildenten, die sich dort beobachten lassen. M. Brn. Über die Salzwassertierwelt Westfalens haben A. Thienemann und Rob. S^chmidt ein- gehende Untersuchungen angestellt und rund 120 Arten nachgewiesen. Gänzlich fehlten Hydren, Spongien, Hirudineen, Bryozoen, Lamellibranchier, Ephemeriden, Perliden und Amphibien ; nur ein- zelne Vertreter, die meist nur in schwach sal- zigem Wasser gefunden wurden, stellen Gastro- poden, Nematoden, Cladoceren, Trichopteren und Protozoen des süßen Wassers; mehr als die Hälfte der gefundenen Arten gehört Coleopteren und Dipteren an. Die Fauna setzt sich zusammen 1. aus typischen Salzwasserbewohnern (Halobien), 2. aus Halophilen d. h. Süßwasserformen , die auch im Salzwasser gut gedeihen und in diesem sich in Mengen finden und 3. aus Haloxenen, ebenfalls Süßwasserformen, die aber im Salzwasser der Individuenzahl nach stark zurücktreten. Die Zahl der beobachteten Halobien-Arten beträgt 9, unter denen auch wiederum die Insekten (3 Dip- teren-, 3 Coleopteren- und i Schlupfwespenart) überwiegen, auch wenn man noch 3 weitere Arten als Halobien ansieht. Sicher sind Halobien eine Harpacticide (Nitocra siinpkx Schmeil) und einRotator {BracIiioiiHS miiUeri Ehrbg.), möglicher- weise auch eine Hydrachnide {TJiyupsis caiiciilata Protz), ein Ostracode (Cyprinotiis saliniis Brady) und ein Rotator {Colli ms luiicJicres Ehrbg.), sicher ferner 3 Arten der Dipterengattung'£/>Z'y(;'/''^, je eine Art der Coleopterengattungen Philliydrtts, Ocliflirbiiis und Paracyiiiits und eine Schlupf- wespenart aus Ephydra riparia, Urohpis maritima Walk. Auffallend ist, daß manche haloxene und halophile Formen sehr starken Salzgehalt (15 resp. 11%) vertragen. M. Brn. Bttcherbesprechungen. Schmeil, Prof. Dr. O. und Jost Kitschen, Flora von Deutschland. Ein Hilfsbuch zum Be- stimmen der zwischen den deutschen Meeren und den Alpen wildwachsenden und angebauten Pflanzen. Mit 1 000 Abbild. 15. Auflage (unver- änderter Abdruck der 13. Aufl.) Leipzig '14, Quelle und Meyer. — Geb. 3,80 Mk. Der , besondere Vorzug dieses Bestimmungs- büchleins liegt in seinem handlichen Format. In- folge des sehr dünnen aber gleichwohl haltbaren Papieres bildet es trotz seiner 439 Seiten keine unbequeme Belastung des botanisierenden Pflanzen- sammlers ; und da es auch seinen Geldbeutel wenig in .Anspruch nimmt und, wie der Rezensent sich während zahlreicher Exkursionen überzeugte, prak- tisch brauchbar und zuverlässig ist, kann es durch- aus empfohlen werden. Allerdings muß man auf manche ausführlichere Notiz im Interesse der Raum- oder vielmehr Gewichtsökonomie verzichten; da würde ich doch Wünsche, Garcke u. a. vorziehen. Aber seinen hauptsächlichen Zweck, zuverlässige und bequeme Bestimmung draußen beim Sammeln sowohl wie daheim zu ermöglichen, kommt es völlig nach. Sehr schätzenswert sind die in- zwischen auf icoo vermehrten kleinen Bilder. Miehe. N. F. XIV. Nr. II Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 175 Kohlrausch, Fr., Lehrbuch der praktischen Physik. 12. stark vermehrte Auflage (5. — 42. Tausend). In Gemeinschaft mit verschiedenen Gelehrten herausgegeben von E. Warburg. Mit 389 Textfig. Leipzig und Berlin '14. B. G. Teub- ner. — Geb. 1 1 Mk. Das rühmlichst bekannte und jedem, der sich praktisch mit physikalischen Studien befaßt, un- entbehrliche Lehrbuch, erscheint nach den Tode des Verfassers in neuer Autlage, die unter Mit- wirkung verschiedener Gelehrter von O. Warburg besorgt ist. An dem Charakter des bewährten Buches ist nichts geändert worden, doch zeugen eine ganze Anzahl durchgreifend geänderter Ka- pitel, sowie zahlreiche Ergänzungen von der Tätigkeit des Herausgebers und seiner Mitarbeiter. M. Remsen, Ira, Anorganische Chemie. Autorisierte deutsche Ausgabe, selbständig bearbeitet von Karl Seubert. 5. Auflage. XVII und 519 Seiten mit 2 Tafeln und 22 Textabbildungen. Tübingen 19 14. Verlag der H. Laupp'schen Buchhandlung. — Preis geheftet 9,40 Mk. , in Leinewand gebunden lO Mk. Die anorganische Chemie von Remsen- Seubert hat sich gerade so wie die früher in dieser Zeitschrift (Band XIII, Seite 558; 1914) besprochene „Einleitung in das Studium der Chemie" derselben beiden Verf als ein klares und sachgemäßes Lehrbuch von durchaus ele- mentarem Charakter bestens bewährt. Trotz vieler Abschnitte physikalisch-chemischen Inhaltes stellt es doch nach Art der älteren Lehrbücher der anorganischen Chemie die beschreibenden, experimentell-präparativen Gesichtspunkte in den Vordergrund und kann in gewissem Sinne als ein Werk aus der Übergangszeit von der klassi- schen zur modernen anorganischen Chemie ange- sehen werden. Es wird daher vielen gute Dienste leisten und kann auch in der neuen fünften Auf- lage als Lehrbuch der angedeuteten Art ohne Einschränkung empfohlen werden. — Der Satz, daß die /J-Strahlen der radioaktiven Stoffe nament- lich dadurch ausgezeichnet seien, „daß sie sich zu neuen chemischen Elementen umlagern können" (S. 242J könnte leicht mißverstanden werden und dürfte daher in der nächsten Auflage zweckmäßig etwas anders formuhert werden. Berün-Lichterfelde W 3. Werner Mecklenburg. Aus Fedor Jagor's Nachlaß. Mit Unterstützung der Jagorstiftung herausgegeben von der Ber- liner Gesellschaft für Anthropologie unter Leitung von Albert Grünwedel, i. Bd.: Süd- indische Volksstämme. Berlin 1914. Dietrich Reimer. IV und 155 Seiten Folio mit vielen Tafeln und Textbildern. — Preis 20 Mk. Der im Jahre 1900 verstorbene Berliner Völker- forscher Fedor Jagor hat mehrere große Reisen in Ostasien ausgeführt; zuerst 1859 — 1861 dann 1873 — 1876 und 1890— 1893. Während seiner zweiten Reise nach Vorderindien und Birma hat Jagor die große Sammlung zusammengebracht, die heute noch als der Grundstock der Be- stände des Berliners Museums für Völkerkunde gelten muß. Eine zusammenfassende Beschrei- bung seiner Sammlungen und Beobachtungen hat jedoch Jagor nicht geliefert; er hat nur in der „Zeitschrift für Ethnologie" eine Reihe von Aufsätzen veröffentlicht und ein umfangreiches lite- rarisches Material hinterlassen , aus dem nun die Berliner Anthropologische Gesellschaft das veröffentlichen will, was noch Interesse hat, oder was geeignet ist, Jagor's Priorität im Felde der P^orschung darzutun. Der erste Band dieser Veröffentlichung liegt nun vor. Er ent- hält Beschreibungen südindischer Kasten und Stämme, die Jagor in der zweiten Hälfte 1875 und anfangs 1876 besuchte. Jedem Kapitel ist ein Literaturverzeichnis vorausgesiellt. Darauf folgt die Beschreibung des betreffenden Stammes oder der Kaste, so wie sie Jagor in seinen Tagebüchern gegeben hat. Ein weiterer Ab- schnitt enthält eine kurze Aufführung der von dem Reisenden mitgebrachten zugehörigen völkerkundlichen Gegenstände. Der Schluß- abschnitt jedes Kapitels enthält einen Kommentar, der auf Grund des seit Jagor's Forschungen angehäuften Materials von Dr. W. Planert ge- schrieben und von Prof Grünwedel revidiert wurde. Aus den umfangreichen Mappen mit Zeichnungen Jagor's hat Prof. Grünwedel gegeben, was irgend möglich war. Die Verlags- buchhandlung hat für mustergültige Wiedergabe dieser Zeichnungen wie der anderen Bilder, ge- sorgt. Das Werk enthält manches Neue und noch mehr vermittelt es bisher schwer zugänglich ge- wesenes Tatsachenmaterial. Es ist eine schätzens- werte Bereicherung unserer Kenntnis der geistigen Eigenarten und P'ähigkeiten der Südinder. Zu- gleich ist es ein Monument für Fedor Jagor, als dessen Verdienst es gelten muß, daß er, ent- gegen den damals alles überflutenden indo- germanischen Idyllen, wieder auf das wirkliche Leben der indischen Völker zurückgriff und die Dinge nahm wie er sie fand. Er war übrigens der erste in Deutschland, der sich um die nie- drigen Kasten, die Reste aller Stämme Südindiens, bemühte. Es ist zu hoffen, daß diese Publikation so wie geplant fortgesetzt werden kann. H. Fehlinger. Knieriem, Dr. Fr. Bau und Bild des Taunus (Ein Beitrag zu einer Landeskunde). Heft 9 der Sammlung „die Rheinlande" hersg. von Dr. C. Mordziol. G. Westermann, Braunschweig. — Preis 2 Mk. Auf physiogeographischer Grundlage entwirft der Verfasser eine klar disponierte Beschreibung der wichtigsten landeskundlichen Züge des Taunus. 1/6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. II Wenn auch das Hauptgewicht des Ganzen sichtlicli auf dem anthroi)Ogeographischen, speziell siedlungs- geographischen Teil der Arbeit ruht, so sind doch die einzelnen Abschnitte recht gut zueinander in Beziehung gesetzt, so daß die erklärende Methode iiberall zu ihrem Recht kommt. Im einzelnen hätte die Darstellung wohl manchmal etwas ge- schickter erfolgen können ; das Bestreben, allgemein verständlich zu schreiben, verleitet den Verfasser mehrfach zu überflüssiger Breite. Hier und da erregt auch mancher Ausdruck sachliche Bedenken, z. B. die Bezeichnung „Hochfläche mit aufge- setzten Rücken" (S. 31), ferner der Satz „von einer diluvialen Eiszeit können wir im Taunus nicht sprechen" (S. 26) u.a.m. Merkwürdig be- rührt auch, daß in der Tabelle der geologischen Formationen (S. 18) Schichten des Kambrium an- gegeben werden, während es in der Zusammen- fassung heißt (S. 20) „Ablagerungen aus der kam- brischen Zeit fehlen". — Gern hätte man ein paar charakteristische Photographien gesehen; die bei- gegebenen Kärtchen vermögen diesem Mangel nicht völlig abzuhelfen. Die Siedlungskarten nehmen jedenfalls unverhältnismäßig viel Platz ein, dagegen ist der Maßslab der geologischen Karte für eine Monographie reichlich klein ; dafür hätte z. B. die Formationstabelle wesentlich ge- kürzt werden können. — Besondere Mühe hat sich der Verfasser mit dem Literatur- und Karten- verzeichnis gegeben, womit den Zwecken des Büchleins besonders gedient ist. E. Wunderlich-Berlin. Rivers, W. H. R. Kinship and Social Organisation. 96 S. London 1914. Con- stable. Rivers behandelt das vom völkerpsycho- logischen Standpunkt sehr wichtige klassifizierende Verwandtschaftssystem, bei dem es nur Gruppen- bezeichnungen, nicht aber individuelle Verwandt- schaftsbezeichnungen gibt. Die Aufmerksamkeit der Ethnologen wurde auf dieses System Anfang der 70er Jahre durch den Amerikaner L. H. Morgan gelenkt, doch haben hauptsächlich Morgan 's weitgehende Folgerungen über die frühere allge- meine Geltung des klassifizierenden Verwandt- schaftssystems und entsprechender Eheverhältnisse bewirkt, daß sich viele Gegner erhoben, die dar- zutun suchten, daß Morgan 's Theorie ganz halt- los sei, weil nach ihrer Meinung das fragliche Verwandtschaftssystem nur ein System von An- sprachen bilde und einer sozialen Grundlage ent- behre usw. So schien es fast, daß Morgan ganz in den Hintergrund gedrängt werde, bis es Rivers gelang, tatsächliche Beweise dafür zu finden, daß das klassifizierende Verwandtschaftssystem — das bei den einzelnen Völkern, bei denen es gilt, in wesentlichen Punkten differiert — auf sozialen Einrichtungen, namentlich Heiratsregeln, beruht. Einige Beispiele der von ihm entdeckten Reste solcher Einrichtungen, die uns recht fremdartig anmuten, erläuterte Rivers in den Vorträgen, die in dieser Schrift abgedruckt sind. Das klas- sifizierende Verwandtschaftssystem und die Ein- richtungen, worauf es beruht, waren aber keines- wegs ehedem allgemein, wie Morgan meinte, sondern sie sind Merkmale ganz bestimmter Kul- turen. H. Fehlinger. Literatur. Przibram, Hans, E.xperimental-Zoologie. 5. Funktion inklusive Sexualität. Leipzig und Wien '14. Fr. Deulicke, 12 Mk. Eug. Warming's Lehrbuch der ökologischen Pflanzen- geographie. 3. umgearbeitete Auflage von Prof. Dr. Eug. Warming und Prof. Dr. P. Gräbner. I. Lieferung. Berlin '14, Gebr. Bornträger, 4 Mk. Reichenow, .\ntou, Die Vögel. Handbuch der syste- matischen Ornithologie. II. Band. .Stuttgart '14. Ferd. Enke. 18,40 Mk. Frisch, K. v. , Der Farbensinn und Formensinn der Biene. Mit 12 Textabbildungen und 5 Tafeln. Jena '14, G. Fischer. 13 Mk. Lifschits, Dr. J., Die Änderungen der Lichtabsorption bei der Salzbildung organischer Säuren. Mit 15 Text- abbildungen. Stuttgart '14, Ferd. Enke. Pellini, Prof. Dr. G. , Über das Atomgewicht des Tellurs und seine Beziehungen zu den Gruppenhomologen. Mit 6 Textabbildungen. Stuttgart '14, Ferd. Enke. Beyschlag, Prof. Dr. F., Krusch, Prof. Dr. P. und Vogt, Prof. Dr. J. H. L., Die Lagerstätten der nutzbaren Mineralien und Gesteine nach Form, Inhalt und Entstehung. 3 Bände. I. Band: Erzlagerstätten I. 2. neu bearbeitete -Aufl. Mit 281 Abbildungen. Stuttgart '14, Ferd. Enke. Dammer, Dr. Br. und Tietze, Dr. O., Die nutzbaren Mineralien mit Ausnahme der Erze, Kohlen, Kalisalze und des Petroleums. II. Band. Mit 93 Abbildungen. Stuttgart '14, Ferd. Enke. Geb. 17,40 Mk. Rohmann, Dr. H, Elektrische Schwingungen I. und II. „Sammlung Göschen." Je 90 Pfg. Berichtigung. Zu meiner Mitteilung ,,Ein neues Verfahren zur Unschäd- lichmachung und Wiedergewinnung von Abfallauge" in Heft 46 (1914) ist zu bemerken, daß dieses Verfahren (Verbrennung der Lauge) auch schon von Ingenieur O. Krüger-Bieberich a. Rh. früher angewendet worden ist. O. Bürger. Inhalt I .'\ndrce: Betrachtungen über Begriff" und Stellung der allgemeinen Geologie, sowie insbesondere über deren Förderung durch Aufstellung allgemein-geologischer Sammlungen. I Furlsetzung.) — Kleinere Mitteilungen: Über elektrische Lampen. Schlagwctterpfeife. Solex-Scheinwerfer. — Einzelberichte: Righi: Einiges über die Theorie der ionomagnetischcn Drehungen. Paneth: Über die Vertretbarkeit der Atome. Paneth und Horovitz: Über Absorbierung der Radio- elemente. Nordens kjöld: Südwestgrönland. Hesse: Linksgewundene Exemplare von Hclix pomatia, H. aspersa. Johannssen: Ein Höhlen bewohnender Egel. Wunsch: .Artemia salina in Deutschland. Thienemann und Schmidt: Salzwassertierwelt Westfalens. — Bücherbesprechungen: Schmeil und Fitschen: Flora von Deutschland. Kohl- rausch: Lehrbuch der praktischen Physik. Remsen: Anorganische Chemie. Aus Fedor Jagor's Nachlaß. Knie- riem: Bau und Bild des Taunus. Rivers: Kinship and Social Organisation. — Literatur: Liste. — Berichtigung. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstraße II a, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Bucbdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Seue Folge 14, Band; ganzen Reihe 30. Band. Sonntag, den 21. März 1915. Nummer 12. Die Körpergröße des Menschen. [Nachdruck verboten.l Von H. Fehlinger. Die Körpergröße ist bei den Menschen der ein, was besonders durch die Aushebungen zum Rasse nach, sowie innerhalb jeder Rasse indi viduell, sehr verschieden. Sie kann als eines der wichtigsten Rassen- wie Individualmerkniale gelten. Innerhalb der heute lebenden Menschenrassen setzt Prof. Dr. Rudolf Martin i) die physiologisch normale untere Grenze der Körpergröße bei 121 cm und die obere Grenze bei 199 cm an. Die mittlere Körpergröße beträgt bei Zusammen- fassung aller Rassen beim männlichen Geschlecht 165 cm und beim weiblichen Geschlecht 154 cm. Für die einzelnen Rassen ergeben sich zum Teil hiervon weit abweichende Mittelwerte. Die Körpergrößen werden im allgemeinen in drei Hauptgruppen und diese wieder in mehrere Unter- gruppen eingeteilt. Wenn man das Rassenmittel mit 165 cm für das männliche und 154 cm für das weibliche Geschlecht annimmt, so ergibt sich — nach Martin — folgende Emteilung: Zwergwuchs sehr klein klein Männl. Geschl. cm unter 129,9 130 bis 149,9 150 bis 159,9 Weibl. Geschl. cm unter 120,9 121 bis 139,9 140 bis I4!S,9 Untcrmittelgroß 160 bis 163,9 mittelgroß 164 bis 160,9 übermittelgroß 167 bis 169,9 Groß 149 bis 152,9 153 bis 155,9 156 bis 158,9 sehr groß Riesenwuchs 170 bis 179,9 180 bis 199,9 200 u. darüber 159 bis 167,9 löS bis l8b,9 187 u. darüber Zwergwuchs wie Riesenwuchs sind physio- logisch abnormal. Ist die Mittelgröße einer Bevölkerung eine andere als vorstehend angegeben, so ändern sich dementsprechend auch die Grenzen der einzelnen Größengruppen und Untergruppen. Handelt es sich beispielsweise um einen sehr hochwüchsigen Menschenzweig, wie etwa die Schotten, deren Mittelgröße beim männlichen Geschlecht 175 cm beträgt, so endet die Grenze des Zwergwuchses bei 138 cm Körpergröße, der sehr kleine Wuchs reicht von 139 — 158 cm, der kleine Wuchs von 159 — 169 cm, der mittelgroße Wuchs von 170 — 178 cm, der große Wuchs von 179 — 190 cm, der sehr große Wuchs von 191 — 211 cm und der Riesenwuchs beginnt mit 212 cm. Die individuelle Variation der Körper- größe wird in sehr bedeutendem Maße durch die äußeren Lebensbedingungen beeinflußt. Mit dem Aufschwung der wirtschaftlichen Verhältnisse trat in den letzten Jahrzehnten in den meisten Ländern eine Zunahme der durchschnittlichen Körpergröße Militär festgestellt wurde. Den Zusammenhang zwischen dem Wohlstand einer Bevölkerung und der Körpergröße in gleichem Alter stehender Kinder haben zum Bei- spiel Mackenzie und Foster deutlich nach- gewiesen. ') Sie untersuchten Schulkinder in der Stadt Glasgow und fanden, daß die Körpergröße der Kinder in wohlhabenden Bezirken jene der gleichaltrigen Kinder in armen Bezirken ent- schieden übertraf (Das Gleiche gilt vom Körper- gewicht.) Ausnahmen von der Regel machten nur einige Jahrgänge von Kindern in sehr kleinen Wohnungen, doch beeinträchtigt dies die prak- tische Bedeutung des Gesamtergebnisses nicht, da auch in den wohlhabenden Bezirken die kleinsten Wohnungen von armen Leuten bewohnt werden. Aus dem reichen Zahlenmaterial von Mackenzie und Foster sei nur folgender Vergleich ent- nommen, der sich auf Knaben gewisser Alters- klassen in den ein- und dreiräumigen Wohnungen der ärmsten und der wohlhabendsten Bezirke be- zieht. Einräum. Wohnungen Dreiräum. Wohnungen ärmste wohlhabendste ärmste wohlhabendste Stadtteile Stadtteile Körpergröße in cm 98,8 100,3 101,6 105,4 107,7 115.' l".3 "3,*S 117,9 117.6 122,5 125,0 II . . ■ ■ 127,0 I33ii 132,2 I33i6 13 • • • • 134.4 132,8 138,4 141,7 Im Alter von 13 Jahren betrug die durch- schnittliche Körpergröße bei den Knaben in ein- räumigen Wohnungen (ohne Unterscheidung des Stadtteils) 135,6 cm, in zweiräumigen Wohnungen 137,4 cm, in dreiräumigen Wohnungen 140,4 cm, in vier- und mehrräumigen Wohnungen 141,7 cm; bei den ebenso alten Mädchen war die Durch- schnittsgröße in einräumigen Wohnungen 136,8 cm, in zweiräumigen Wohnungen 139,2 cm, in drei- räumigen Wohnungen 141 cm, in vier- und mehr- räumigen Wohnungen 143,3 cm. Ähnliche Feststeilungen machten L. Hoesch- Ernst bei Schulkindern in der Stadt Zürich, A. Geißler und R. Uhlitzsch in Freiberg, Rietz in Berlin, Hasse in Gohlis, Bowditch in Boston und andere Forscher. ■) Altersklasse (Jahre) 5 . . . . 7 . . . . 9 . . . . ') Lehrbuch der Anthropologie in systematische Stellung. S. 208. Jena 1914, Gustav Fischer. ') Report on a collection of statistics as to the physical condition of cbildren usw. London 1907. ■■') Vgl. Hoesch-Ernst, Anthropologisch-psychologische Untersuchungen an Züricher Schuikmdcrn. (Lissertalion.) Zürich 1906. — Geißler und Uhlitzsch, Die Größen- Verhältnisse der Schulkinder im Schulinspekiionsbezirk Frciberg. (Zcitschr. d. k. sächs. Statist. Bureaus , 34. Jahrg., S. 28.) — Rietz, Das Wachstum Berliner Kinder. (Archiv für .'\nthro- 178 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 12 Prof. Martin gibt folgende Zusammenstellung der durchschnittlichen Körpergröße von Studieren- den und Arbeitern in verschiedenen Ländern (a. a. O. S. 225): Studierende Arbeiter Körpergröße in cm Italien 166,9 164,4 Frankreich im allgemeinen . . 168,7 l64i4 Nordfrankreich 169,7 165,0 England I72i4 lög.S Spanien 163,9 159,*^ Es ist als sicher erwiesen zu betrachten, daß ungünstige wirtschaftliche und soziale Verhält- nisse in der Wachstumsperiode hemmend auf das Körperwachstum einwirken , so daß die Ange- hörigen der unteren sozialen Schichten durch- schnittlich kleiner sind als die Angehörigen der besser situierten Bevölkerungsklassen. Den gleichen Effekt wie ungünstige Ernährungs- und Wohnungsverhältnisse haben Krankheiten, die im Kindes- und Jugendalter auftreten. Zwischen wirtschaftlichen Verhältnissen und der Morbidität bestehen übrigens enge Zusammenhänge. Die individuellen Verschiedenheiten der Körper- größe, die innerhalb einer Bevölkeruug bestehen, sind jedoch zum Teil auch durch erbliche Ver- anlagung mitbedingt. Von äußeren Beeinflussungen der eben erwähnten Art abgesehen, verhält sich die ererbte Körpergröße ziemlich konstant. Das kann man sowohl bei der Kreuzung klein- und großwüchsiger Schläge (Familien), die zu einer und derselben Rasse gehören, wie bei der Rassen- kreuzung beobachten. „Sind die beiden elterlichen Komponenten von verschiedener Größe, so zeigt sich bei den Kindern immer die Prävalenz des einen oder anderen Elters, wie dies für alle Merk- male gilt. Würden bei der Mischung großer und kleiner Individuen Mittelformen entstehen, so müßte längst die ganze Menschheit von mittlerer Körpergröße sei n." Damit weist Martin die altbeliebte Mischrassentheorie ab. ^) Er vertritt ferner die Ansicht, die wahr- scheinlich richtig ist, daß die menschliche Körper- größe von einer untermittelgroßen Statur ausging, wie sie wohl Homo neandertalensis besaß, und daß erst im Laufe der Zeit die Unterschiede, hauptsächlich durch Selektionsvorgänge, sich aus- bildeten. Die Entwicklung vollzog sich, in An- passung an die Umweltverhältnisse, vom Gleichen zum Verschiedenen, es fand ein Differenzierungs- prozeß statt, der gewiß noch weiter dauert. Die selektiven Einflüsse, welche die Differenzierung der Körpergröße bewirkten, sind wohl recht zahl- reich und verschiedenartig gewesen. Die heute lebenden Menschenrassen weichen in ihrer durchschnittlichen Körpergröße wie in ihren extremen normalen Körpermaßen , weit vonein- ander ab. Die Rassenvari^tion der Körper- größe ist sehr bedeutend. Nach Martin's um- fangreichen Vergleichen schwanken die Rassen- mittel beim männlichen Geschlecht zwischen 140 und 181 cm. Das sind Unterschiede in der Längenentwicklung des Körpers, wie wir sie nicht bei vielen Arten der Säugetiere finden, wenn von einigen durch künstliche Züchtung entstandenen Haustieren abgesehen wird (Martin). Aus der geographischen Verteilung der mitt- leren Körpergrößen geht keine bestimmte Regel hervor. Früher wurde manchmal gesagt, die Körperlänge nehme nach dem Äquator zu ab, oder die Körpergröße der Tieflandsbewohner übertreffe jene der Hochlandsbewohner. Beides ist unzutreffend. So leben z. B. in kalten nörd- lichen Ländern sehr kleine Rassen, wie die Lapp- länder (durchschnittliche Körpergröße der Männer 154 cm), Wogulen (159 cm), Samojeden (155 cm), Ostjaken und Jukagiren (156 cm), nahe dem Äquator aber sehr großwüchsige Zweige des Menschengeschlechts, wie die Malaien von Zentral- Sumatra (176 cm), die Dinkaneger (180 cm), die Wadaineger (178 cm), die Masai (175 cm), die Bororö Indianer (174 cm) usw. In Gebirgsländern leben sowohl große wie kleine Menschenschläge ; groß sind z. B. die Hoch- landschotten, die Oberbayern, die Navaho-Indianer, klein die Savoyarden, die Igoroten im gebirgigen Norden von Luzon, verschiedene Gruppen der Indianer in den nordamerikanischen Felsenbergen und andere. Der häufig beobachtete Klein- wuchs von Gebirgsbewohnern ist wohl auch, wie Buschan ^) bemerkt, durch ungünstige Lebens- bedingungen zu erklären, wie spärliche Nahrung, rauhe Witterung und sonstige .Schwierigkeiten im Kampf ums Dasein. Der italienische Anthro- pologe Livi fand, daß die Höhenlage die Körper- größe von Leuten nicht herabdrückt, die in einer gewissen Wohlhabenheit aufwachsen; wo sich im Gebirge ausgedehnte Weideplätze finden, welche die reichliche Versorgung mit Milch und Fleisch ermöglichen, dort gedeihen auch große Menschen. Die in jüngster Zeit viel besprochenen Pygmäen- rassen, die in Gebieten mit ungünstigen Lebens- bedingungen wohnen, wurden von G. S c h wa 1 b e-) ebenfalls als Kümmerformen erklärt, die infolge der widerwärtigen Verhältnisse ihrer Wohngebiete entstanden. Wäre diese Anschauung zutreffend, wendet hiergegen P. W. Schmidt ein, so müßten in nicht allzu weiter Entfernung von den Pygmäen- rassen, oder wenigstens überhaupt auf der Erde, die großwüchsigcn Rassen noch aufzufinden sein, aus denen die Pygmäen durch Degeneration ent- standen. Aber die eigenartigen Körpermerkmale derselben finden sich bei keiner einzigen groß- wüchsigen Rasse vereint. Gerade der LTmstand, daß die Pygmäen, trotz der weiten räumlichen pologie, N. F. Bd. I, S. 30.) — Hasse, Beiträge zur Ge- schichte und Statistik des Volksschulwesens von Gohlis. 1891. — Bowditch, The Growth of Children. (Eight Annual Report of thc State Board of Health, Boston 1877.) ') I.clirbuch der Anthropologie, S. 226. ') Menschenkunde, S. 45. ^) Die Pygmäen und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Menschenrassen. Zeitschr. f. Morphol. u. Anthrop., Sonder- heft 2 (1906). N. F. XIV. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 179 Trennung der einzelnen Gruppen, viele Überein- stimmungen der Körpermerkmale zeigen, die ihre rassenhafte Zusammengehörigkeit beweisen, spricht sehr stark gegen die Verkümmerungstheorie ; denn eine degenerierte Rasse hätte sich nicht so weit auszubreiten und im schwersten Kampfe ums Dasein zu erhalten vermocht.') Schmidt be- trachtet die eigenartigen Merkmale der Pygmäen als primitiv im entwicklungsgeschichtlicheu Sinne; es sind fast lauter Merkmale des Kindesalters, welche auch die Individuen der großwüchsigen Formen des Menschen durchlaufen, aber im reifen ^) Die Stellung der Pygmäenvölker und die Entwicklungs- geschichte des Menschen. Stuttgart 1910. Alter nicht beibehalten , während sie bei den Pygmäen bestehen bleiben. Mit der Annahme, daß die Pygmäen dem Ur-Stamme des Menschen- geschlechts nahestehen, stimmt die Tatsache gut überein, daß die Neandertaler und andere früh- zeitige Formen des Menschen von kleinem oder doch nur untermiitelgroßem Wuchs waren. Die geringe Körpergröße bestand in Europa sowohl in der paläolithischen wie in der neolithischen Zeit. Die später eingetretene Größenzunahme war mindestens nicht in allen Gebieten unseres Erdteils ununterbrochen; es kamen auch Rück- gänge vor, teils infolge von Änderungen der Lebensbedingungen und teils infolge von Bevölke- rungswechsel durch Wanderungen. Betrachtungen über Begriff und Stellung der allgemeinen Geologie, sowie insbesondere über deren Förderung durch Aufstellung allgemein geologischer Sammlungen. (Schluß.) [Nachdruck verboten.] Von Dr. phil. K. Andree, Privatdozenten für Geologie und Paläontologie an der Universität Marburg i. H. feststellen konnte, eine Erscheinung, welche in der Marburger Sammlung durch zwei in- struktive Stücke von Oeland und Goiland vertreten ist. b) Gesteinszerstörung durch einfache Auflösung: B. Die Sammlung zur Erläuterung der exogenen Dynamik. I. Gesteinszerstörungsvorgänge. a) Mechanische Zerstörungsvorgänge: Frostsprengung. Gletscherschliffe. Polierte und gekritzte Geschiebe (I'acetten- geschiebe). Wirkung starker Temperaturschwankungen: In- solationssprünge, Desquamation. Zerbröckeln von Eruptivgesteinen aus verschiedenfarbigen Mineralkomponenten. Windschliff (natürliches Sandstrahlgebläse). Dreikanter. Gegenseitige Abnutzung der in Transport be- findlichen Komponenten im fließenden Wasser, in der Meeresbrandung oder im Küstenstrom. Bildung der Gerolle. (Tongallen im Bunt- sandstein). (Überleben des Härtesten, z. B. alpine Radiolarite in den Schottern des Rhein- stroms. Edelsteinseifen). Gerolle mit Schlag- figuren. Wassererosion mit Hilfe mitgeführten suspen- dierten Materials (Strudellöcher). Ein sehr instruktives, von Herrn Dr. Richter ge- stiftetes Stück der Marburger Sammlung zeigt die gleiche Erscheinung, welche durch Auf- tropfen von Wasser auf kleine Geschiebe Vertiefungen in der Sinterkruste des Höhlen- bodens einer Tropfsteinhöhle erzeugt hat. Brandungserosion. In derselben Weise wie bei den Strudellöchern erzeugen kleine Wellen durch Hin- und Herschieben kleiner Geschiebe runde Vertiefungen in weichen Gesteinen, wie das der Verfasser an dem weichen Hoburgensandstein des südlichen Gotland Entstehung von Karren auf Gips und Kalk. Auflösung von Klüften aus. Aublaugung von Kalkfossilien. .Schaumkalk- bildung. Zellenkalke. Hohle Gerolle. „Kra- menzelkalk". Tigersandstein, c) Chemische Zerstörungsvorgänge , Ve r - Witterung im eigentlichen Sinne: Verwitterungsrinden. Bleichung von der Ober- fläche und von Klüften aus, durch Oxy- dation der Bitumina. Oxydation der Eisen- verbindungen. Kugelschalige Verwitterung. Liesegang'sche Diffusionsringe. Entstehung von Hohlräumen in Kalken durch Verwitterung von Schwefelkies (Bildung von H.2S0^). Gipsbildung (z. B. in Septarienton) aus verwitterndem Schwefelkies. Entstehung des Schlangengipses aus Anhydrit durch Wasseraufnahme (Quellfaltung I). Kaolinbildung. Tonige Zersetzung. (Entstehung der Ackererde). Terra rossa. Laterit und Bauxit. Entstehung der Bleichsande, Auslaugung des Eisengehaltes durch die sog. Humussäuren, nochmals Kaolinbildung. Einförmig helle, graue Färbung der Gesteine der Kohlen- formationen. Ortsteinbildung. Raseneisensteine. Bohnerze. „Schutzrinden" der Trockengebiete. Katarakt- rinden. Verkieselung der Gesteine in Wüsten. ([V^gl. i8o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 12 Passarge und Kalkowsky]. Diese Ver- kieselung ist nach den übereinstimmenden Angaben verschiedener Forscher [Z i 1 1 e 1 , Futterer, Bergeat, Stromer] das Er- gebnis eines eigentümlichen, mit der Ver- witterung in Zusammenhang stehenden Vor- ganges, der aber noch eingehender Unter- suchung bedarf). Anreicherung und Wiederausscheidung von bei der Verwitterung in Lösung übergeführten Substanzen, Lateralsekretionen: Dendriten. Limonitanreicherungen auf Klüften des Bunt- sandsteins. Kalkspatadern in Kalksteinen, Ouarzadern in Grauwacken oder kalkfreien Kieselschiefern, Osteolith zwischen den Basalt- säulen. — Tropfsteinbildungen. d) Ges teinszerstöru ngen durch Orga- nismen : Durch Pflanzen: Epi- und endolithische Algen- vegetationen'") auf und in Kalkstein-, bzw. Dolomitoberflächen. Flechtenerosion. Che- mische Auflösung von Kalk durch die von den Wurzeln ausgeschiedenen Säuren. Furchen- steine des Genfer- und Bodensees, Chiemsees, norddeutscher und kanadischer Seen. **) Me- chanische Gesteinslockerung durch Wurzeln. Durch Tiere : Bohrschwämme, Bohrwürmer, Bohr- muscheln (Teredo, Pholas), bohrende Schnecken (mit HjSO^-Ausscheidung). Gesteinszerstörung durch Seeigel (in der Marburger Sammlung durch zwei instruktive Stücke von St. Nazaire in der Bretagne vertreten). Angebohrte Gerolle und Meeresboden- oberflächen. 2. Sedimentationsvorgänge. a) Arten der Schichtung: Normale Schichtung. Diskordante und Kreuzschichtung, Diagonal- schichtung. Flußgeschiebeschichtung. Störung der normalen Schichtung: Sandstein- kegel. •'") Subaquatische Rutschungen (dadurch hervorge- rufene Faltungen). b) Eigenschaften der Schicht flächen: (Diese Schichtflächen der Sedimentgesteine sind als Teile früherer Lithosphärenober- flächen von großer Bedeutung für die Paläo- "*") Vgl. L. Diels, Die Algen-Vegetation der Südtiroler DolomitritTe. Ein Beitrag zur Ökologie der Lithophylcn. Be- richte der Deutschen Botanischen Gesellschaft XXXll, 1914, p. 507 — 531, Taf. XI und K. Andree, Über die Zerstörung von Kalkstein, haujitsächlich unter Mitwirkung von Algen- vegetationen, nebst Bemerkungen über Flechtenerosion. Schrift, d. Ges. zur Beförderung d. ges. Naturw. zu Marburg, XIII, 7, 1914. P- 414—431- ''*) Die Furchensleine gehören vielleicht auch in die nächste Abteilung, bzw. sind durch kombinierte Wirkung von Pflanzen- und Tierleben zu erklären (vgl. K. Andree, ibidem p. 428 bis 431, Tafel II). *") Vg'- hierzu in K. Andree, Schrift, d. Ges. zur Be- förderung der ges. Naturwissenschaft, zu Marburg, XIU, 7, 1914, p. 431—433, Tafel III, IV und in der dort zitierten Literatur. geographie, ihr genaues Studium daher mit eine Hauptaufgabe des Sedimentpetrographen). I.Wirkungen anorganischer Art: Rotfärbung der permischen Landoberfläche zu Beginn des Mesozoikum und tiefgrün- dige Zersetzungserscheinungen in der Ter- tiärzeit in Deutschland. Steinsalzpseudomorphosen. Trockenrisse (Netzleisten ^= deren Ausgüsse). Rezente und fossile Tondüten; letztere sind in der Marburger Sammlung in ausgezeich- neten Platten aus dem Marburger Bunt- sandstein vertreten und stehen den zuerst durch van Werveke aus dem elsaß- lothringischen Buntsandstein beschriebenen an Schönheit nicht nach. Regentropfeneindrücke. Wellenfurchen. Fließwülste, Rieselspuren (hierzu manche „Hieroglyphen"). Frühzeitig erhärtete Meeresbodenoberflächen mit Anbohrungen. (Z. B. Französische Kreide, Deutscher Muschelkalk). Ätzsuturen; von oben her submarin wegge- ätzte Fossilien (Orthoceren, Clymenien, Ceratiten, Ammoniten). 2. Wirkungen organischer, paläobiologischer Art: Bohrlöcher und Wohnröhren, Kriechspuren (hierzu viele weitere „Fucoiden und Hiero- glyphen"). c)Die Beimengung und das Verhalten von Organismenresten: Die Einbettung der Ammoniten im Solnhofener Plattenkalk (vgl. Rothpletz). Die gesetzmäßige Lage der Fossilien zur Schich- tung und zur Schichtober- und -unterfläche. Vereinzeltes und gehäuftes Vorkommen von Fossilien. Gesteinsbildende Pflanzen und Tiere. 3. Die Diagenese der Sedimente. Gesteinserhärtung. Tutenmergelbildung. Umwandlung des Aragonits von Fossilien in Kalkspat (z. B. bei quartären Riffkorallen). Neubildung von Schwefeleisen und Glaukonit. Kieselringe, Feuersteinbildung. Konkretionsbildung: Unterscheidung von Kon- kretionen mit durchgehender Schichtung und solchen, bei deren Entstehung die ursprüng- liche Schichtung gestört und das Sediment beiseite gedrängt worden ist (Äußerung der „Kristallisaiionskraft"). Geoden und Septarien; Anreicherung von Mineralien (Kalkspat, Schwerspat, Zinkblende, Schwefelkies usw.) auf Septariensprüngen. Lößkindel. Konkretionen und ihr Verhältnis zu Fossilien. Die Erhaltungszustände der Fossilien: Stein- kerne und Abdrücke. Skulptursteinkerne. Fossilreste mit Farbzeichnungen. Verkiese- lung und Verkiesung (Kiessteinkerne und in Kies verwandelte Skelettsubstanzen, z. B. Spongien; dünne Kiesbeschläge auf den Fos- N. F. XIV. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. silien). Sekundäres Kalkspatwachstum im Innern hohler Echinodermen (z. B. Ananchyten aus der Schreibkreide). Verschwinden der feineren Strukturen bei Dolomitisierung. 4. Die Sedimente und die Sediment- gesteine. A) Kontinentale Sedimente. a) Glazialablagerungen: Rezente und diluviale Grundmoräne. P'luvioglazialbildungen, Schotter und Sande. Ältere Glazialbildungen : Z. B. Permische Grundmoräne mit Fazettengeschieben. b) Fluviatile Ablagerungen: Schotter, Sande. Goldsand des Rheines. Ältere Flußablagerungen : Z. B. Kiesel- oolithschotter des Rheingebietes. Sand- steine des mittleren Keupers. c) Klastische Ablagerungen des trockenen Festlandes: Festländische Arkosen und Sandsteine. F"ossile Gehängeschuttbildungen. Torridon- Sandstein. Öld Red. Windgeschliffene Geschiebe aus dem Kambrium, Rotliegen- den, Zechstein (von Marburg), Buntsand- stein. d) Chemische Sedimente der Trockengebiete: Salze, Salpeter. Wüstenverkieselung, Bunt- sandstein-Carneol. Oolithe des Salt Lake. Buntsandstein- Rogenstein, Stromatolithe. Steppenkalke. ej Äolische Sedimente: Dünensande. Löß. f) Knochenbreccien in Höhlen und Spalten. g) Koprolithen in Wüsten und Steppengebieten (vom Lama, Kamel usw.). Guano, h) Quellsedimente vadoser Herkunft: Kalk- tuffe, Travertine (Bergeier aus Höhlen und Kalktufflagern). i) Limnische Sedimente: Sande, Sandsteine, Tone , Tonschiefer. Kalke (Conferven-, Phryganeen-, Cypris-, Schneckenkalke, „Schneckelisande" des Bodensees). Süß- wasseroolithe und Sinterbildungen. Diato- meenerden, Kieselgur. Seekreiden (Dolo- mitische Seekreide von Garbenteich im Vogelsberg). Kaustobiolithe: Fossile Harze (Bernstein). Liptobiolithe. Sapropelite und das daraus abgeleitete Petroleum, Asphalt, Erdwachs. Humusgesteine: Torf und Kohlen (Erd- brandgesteine). B) Lagunäre Sedimente: Salze z. B, des Zechsteins, Rots, mittleren Muschelkalks, mittleren Keupers, Münder- mergels und Mitteloligozäns in Deutschland. Anhydrit und Gips. Bunte Mergel und Dolomite. Sande. Sand- steine und Quarzite. (Schwefelablagerungen Siziliens und ver- wandte Lagerstätten). C) Meeressedimente. Rezente Meeressedimente: a) Strand- und Schelfablagerungen. Brandungsschotter. Sande. Organische Kalksande (z. B. der Taubenbank). Riffkalke: Korallenriffkalke, Algenkalke (Lithothamnienriffe). Oolithsande. b) und c) Küstenferne Sedimente: b) Hemipelagische Ablagerungen : Blauer und roter Schlick (incl. glazialmarine Sedimente). Grünsand und grüner Schlick. Kalksand und Kalkschlick. c) Eupelagische Ablagerungen : Kalkreich: Globigerinenschlamm nebst der Fazies des Pteropodenschlammes. Kalkarm, bzw. -frei : Roter Tiefseeton nebst der Fazies des Radiolarienschlammes. (Manganknollen !) Diatomeenschlamm. Fossile Meeressedimente: Vorwiegend detritogene Sedimente der Flachsee. Schotter, Konglomerate, Breccien. (Ange- bohrte und mit benthonischen Organismen bewachsene Gerolle.) Sande, Sandsteine, Quarzite (Grauwacken). Grünsande und Grünsandsteine. Bonebeds. Vorwiegend organogeneSedimente der Flachsee: Korallenriff kalke ; Bryozoenriffkalke ; Algen- riffkalke: Sphärocodienkalke des schwedi- schen Obersilurs, des deutschen Muschel- kalkes (Wagner). Gyroporellen-, Nulli- poren-, Lithothamnienkalke. Daraus her- vorgegangene Dolomite. Foraminiferenkalke : Fusulinen-, Nummu- liten-, Alveolinenkalke. Crinoiden-, Trochitenkalke. Echinodermen- breccien. Serpulit. Gastropoden- und Bivalvenkalke. Brachio- podenkalke. Bryozoen- oder Tuffkreide. Chemische oder halmyrogene Sedimente: Marine Kalkoolithe und Rogensteine. Stro- matolithe. Marine Eisenoolithe und Eisensteinkonglo- merate. Ockerkalke. Marine Dolomite. Vorwiegend detritogene , bathyale Sedimente : Kalksteine, Kieselkalksteine, Mergel, Tone. Abnorm bitumen- und schwermetallsulfid- reiche Sedimente schlecht ventilierter Meeresteile: Rußschiefer, Alaunschiefer. Graptolithenschiefer, Kupferschiefer, Pyrit- schiefer (Bundenbacher, Wissenbacher, Büdesheimer Schiefer). Kieslager (Ram- melsberg, Meggen). Schreibkreide. Sedimente der Tiefsee: Knollenkalke. l82 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 12 Globigerinengesteine : Globigerinenkalk- steine, Couches rouges. Radiolaritkalke, sowie eigentliche Radiolarite und Kiesel- schiefer (Adinole z. T.j. Tiefseetone. Manganerze in Verknüpfung mit solchen. D) Vulkanische VVassertufte : a) Limnischer Entstehung (mit Blattresten). b) Mariner Entstehung (mit marinen Fossilien). 5. Metamorphosen (der Sediment- gesteine). (Die Vorgänge, welche hierher gehören, sind nur zum kleinen Teile exogener Entstehung. Hierbei sind aber auch solche berücksichtigt, welche nicht nur Sedimentgesteine ergreifen.) Exogene Metamorphosen. Blitzschmelzungen auf isolierten Bergspitzen. Blitzröhrenbildung in Sanden. Magnetisie- rung eisenreicher Gesteine durch Blitzschlag. Produkte von Erdbränden (bereits bei den Kohlen usw. berücksichtigt). Metasomatische Verdrängungen durch vadose Ouellwässer und deszendierende Lösungen: Nachträgliche Dolomitisierung und Verkieselung von Kalksteinen. Phos- phoritbildung auf Kalkstein (Nassau). Ver- drängung von Kalkstein durch Eisen- Manganerze oder Zink- und Bleisulfide (Metasomatische Lagerstätten z. T.) u. a. m. Zum Teil zu den exogenen Metamorphosen gehörend, aber mit dem gleichen Rechte bereits am Schlüsse der endogenen Sammlung stehend, können hier die Stylolithen und Drucksuturen, die Rutschflächen, sowie die Gerolle mit Ein- drücken nochmals folgen, und zwar insbesondere deshalb, weil es sich dabei in der Regel um Se- dimentgesteine handelt. Auch die Wirkungen des Gebirgsdrucks, Druck- und Griffelschieferbildung und manches andere, würden hier abermals abzuhandeln sein , zumal dieselben bei den Sedimentgesteinen ganz andere Formen annehmen, als bei den Eruptiven. Damit aber tritt die Sammlung ein in das Gebiet der echten Endogenen Metamorpliosen. Folgen wir dem Sinne des Kreislaufs, wie er die Anordnung des ganzen zweiten Teiles unserer Sammlung beherrschte, so können wir folgende Reihenfolge wählen : Kontaktmetamorphose von Sedimentgesteinen an Ergußgesteinen. *") Bildung der Paragesteine unter den Kristallinen Schiefern durch Regionalmetamorphose (Druck- * und Thermomctamorphose) und Dynamo- metamorphose. (Infolge der vielfachen während des beschriebenen Kreislaufes er- *") Als wahrscheinlich im Gefolge von Eruptionen hervor- gerufen, haben an dieser Stelle in der Marburger Sammlung die Roteisenstein- und Eisenkieselbildungcu des Rheinischen Devon in Verknüpfung mit Schalstcinen Aufstellung gefunden. folgten Umgruppierungen des Stoffes, welche nach den verschiedenartigsten Prinzipien arbeiteten, entstand jene ungeheure Mannig- faltigkeit der Gesteine, in welche erst die neueren Gliederungen, wie sie im endogenen Teile besprochen wurden, einigermaßen Ord- nung hineingebracht haben. Da die Gesamt- heit der Kristallinen Schiefer bereits in der endogenen Sammlung Platz gefunden hat, bleibt hier nur übrig, eine Anzahl be- sonders charakteristischer Paragesteine aufzu- stellen.) Konglomeratgneise. Dynamometamorphe Mar- more. In Magnetitschiefer umgewandelte Eisenoolithe des alpinen Doggers (zur Er- läuterung des B e c k e ' sehen Volumgesetzes). Graphitquarzite, Graphitgneise, Kinzigite. Metamorphes Karbon (z. B. des Wallis) mit Pflanzenresten. Phyllite (z. B. des Taunus). Kontakthöfe von Tiefengesteinen. Resorption oder Verdauung eingeschlossener Schiefer- schollen (basische Anreicherungen undSchlieren mancher Petrographen). Über einige die Allgemein-geologische Sammlung betreffende praktische Fragen. Die Beschaffung des Sammlungs- materials. Das Zusammenbringen einer allgemein- geologi- schen Sammlung von einer Vollständigkeit, wie sie nach dem Vorhergehenden wünschenswert ist, gelingt natürlich nicht von heute auf morgen, ist auch von einem Einzelnen , selbst mit noch so großen Mitteln , nicht im Laufe weniger Jahre zu bewältigen, sondern ein großer Teil der Beleg- slücke für die einzelnen Erscheinungen muß systematisch selbst gesammelt werden. Denn, wie schon Alb. Heim 1891 schrieb — und das hat glücklicherweise noch heute dieselbe Gel- tung— ; ,, Hierhergehörige Stücke findet man nur zum kleinsten Teile bei den geologischen und mineralogischen Handlungen, man mui3die meisten derselben selbst suchen." Aber auch dieses ist nur zu einem Teile möglich. Doch mit der Zeit ge- lingt es, vieles zusammenzubringen, wenn man nur weiß, was und wie man sammeln will. Hier- für ein Beispiel: Einzelne I'lußgerölle in einem geologisch so bekannten Gebiet wie Deutschland zu sammeln, hat gewiß keinen großen Zweck. Man sammele aber z. B. bestimmte charakte- ristische Gerolle längs der ganzen Linie eines Flusses, z. B. die aus dem Oberlauf des Rheines in die Rheinschotter gelangenden roten Radio- larite des alpinen Mesozoikum, und die Abnahme der Durchschnittsgi öße der Gerolle dieses Ge- steins "-) mit der fintfernung von seinem An- «') A. a. O. p. 53. "-) Vgl. dazu .AI. Steuer, Über das Vorkommen von Kadiolarienhornsteinen in den Diluvialterrassen des Rheintales. Notizbl. d. Ver. f. Erdk. u. d. Großherzogl. Geol. Landes- anst. zu Darmstadt. 4. Folge. Heft 27. 1906. p. 27 — 30. N. F. XIV. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 183 stehenden wird in einer solchen Serie von Ge- rollen außerordentlich klar zum Ausdruck kommen. Auch Belegstücke für die verschiedenen tektoni- schen Erscheinungen kann man mit der Zeit, zu- mal in den Alpen, außerordentlich schön zusammen- bekommen; und das gilt von vielem anderen. Große Schwierigkeit aber macht z. B. schon die Beschaffung rezenter Tiefsee- und überhaupt Meeres- sedimente, und so geht es mit manchen anderen Ob- jekten. Jedoch auch diese Schwierigkeiten können überwunden werden; es müßte nur gelingen, einen regeren Tauschverkehr zwischen den einzelnen Instituten und IVIuseen in die Wege zu leiten, als solcher bisher besteht. Ein jedes Institut hat wohl in seinen nicht ausgestellten Beständen Dubletten von Belegstücken zu der einen oder anderen Erscheinung oder hat die Hand auf Fund- punkten gewisser besonderer Vorkommnisse oder endlich Beziehungen zu Personen, die solche zu beschaffen in der Lage sind. So ist es z. B. für die Marburger Sammlung ein Leichtes, Wellen- furchenplatten (auch mit doppelten Systemen), Trockenriß- und Dütenplatten aus dem Marburger bzw. niederhessischen Buntsandstein, Sandstein- kegelplatten aus dem Marburger Unterdevon oder submarine Rutschungen aus dem oberdevonischen Pönsandstein zu beschaffen. Sodann "•'') müßte es z. B. eigenartig zugehen, wenn nicht das Museum für Meereskunde in Berlin, das die Grundproben der Deutschen Südpolar Expedition auf dem „Gauß", oder das Geologisch-Mineralogische Museum Ham- burg, das sich manche andere Grundproben, so die- jenigen verschiedener „Planef'-Expeditionen aufbe- wahrt, rezente Tiefseesedimente abgeben könnte. Wenn es auch nur kleine Proben sind, welche nach der Herstellung eines mikroskopischen Präparates für die Anschauung aus der Nähe übrig bleiben, so dürften doch in keiner allgemein - geologischen Sammlung Proben von Blauschlamm, Globigerinen- schlamm und rotem Ton fehlen ; denn wie bei der Heim 'sehen,''*) so bildet auch bei unserer Sammlung das Lyell'sche Aktualitätsprinzip eine der Hauptgrundsätze der Anordnung. Aus demselben Grunde wird man daher mit didakti- schem Erfolg z. B. neben den bekannten Bern- steintropfen rezente Harztropfen, neben den fos- silen Regentropfeneindrücken rezente Vergleichs- stücke und neben den schönen Dütenplatten aus dem lothringischen oder Marburger Buntsandstein rezente Tonrollen ausstellen. Gerade die eben genannten Dinge sind ja ganz im Gegensatz zu den Meeresabsätzen der Jetztzeit überall zu haben, und es ist nur nötig, dieselben aufzuheben, und, nötigenfalls, gut zu konservieren. Daneben wird man auch nicht auf künstliche Objekte verzichten; ich nenne nur die Entglasungen künstlicher Gläser zur Erläuterung der Mikrolithenbildung in Gesteinsgläsern, säulenförmig abgesonderte Hoch- *■') Ich wähle nur wenige Beispiele aus vielen. Jeder kennt ja solche und sollte nach Möglichkeit zur Förderung unserer schönen Wissenschaft Gebrauch davon machen. "') Alb. Heim a. a. O. p. 55. ofensteine als Analoga zu den Säulenbasalten bzw. den in Basaltkontakt zu kleinen Säulen umge- wandelten Sandsteinen und Braunkohlen. Daß man nach manchen recht wünschenswerten Beleg- stücken eventuell lange wird suchen müssen, darf einen nicht entmutigen. Und wenn z. B. nur wenige Sammlungen Proben von jenem Zufalls- produkt besitzen, das in den siebziger Jahren der Bau der Eisenbahnbrücke bei Breisach geliefert hat — es wurden dort im Rheinbette Pfähle von Fichtenholz eingerammt, welche dort, wo sie auf festen Felsen auftrafen, stark gefältelt und in „Braunkohle" bis ,, Anthrazit" verwandelt wurden, *^) — so können doch solche „Zufälle" wiederkehren, bzw. durch bewußt angelegte Experimente herbei- geführt werden. '^^) Auf alle Fälle sollte auch eine relative Un- vollständigkeit einer im Werden begriffenen Sammlung nicht davon abhalten, den Versuch einer Aufstellung, wie der vorgeschlagenen, zu wagen. Denn erst dann, wenn eine solche ge- schlossene Aufstellung versucht wird, werden die Lücken, die noch vorhanden sind, erkannt und können dann unter Umständen leicht geschlossen werden. Wo aber keine guten Stücke vorhan- den sind, wird man sich zunächst mit weniger instruktiven Exemplaren begnügen und dieselben nach und nach durch bessere ersetzen. Die Etikettierung der Sammlung. Für unsere notgedrungen so heterogene Dinge enthaltende Sammlung für Allgemeine Geologie ist die Frage der Etikettierung eine außerordent- lich bedeutungsvolle. Eine allgemeine, überall gültige Anweisung zu geben, ist natürlich um so weniger angängig, als meistens einmal die Platz- frage hierbei eine große Rolle spielt und dann auch die Art des betreffenden Museums, ob das- selbe für Studenten oder für ein größeres Publi- kum bestimmt ist, hierfür von Wichtigkeit ist. Ein weniger instruktives Stück wird natürlich eine eingehendere Etikette verlangen, als ein anderes, andern alle Besonderheiten klar zutage liegen. Eine Gleichmäßigkeit in der Ausführung der einzelnen Erklärungen ist daher nicht möglich. Auf alle Fälle sollte aber jede P^tikette zunächst enthalten die Art der zu demonstrierenden Erscheinung, sowie die Art und das eventuell feststellbare geo- logische Alter des Gesteins, den genauen Fund- ort*') und schließlich noch den betreffenden ^^) Vgl' Em. Kayser, Allgemeine Geologie. 4. Aufl. Stuttgart 1912, p. 526. *'*) Fr. Bergius, Die Anwendung hoher Drucke bei chemischen Vorgängen und eine Nachbildung des Entstehungs- prozesses der Steinkohle. Halle a. S., W. Knapp, 1913. — Vgl. auch Verh. Ges. Deutsch. Naturforsch, u. Ärzte 1913. 11. i. p. 28g, 290. "') In manchen Sammlungen besteht die Unsitte, auf den oft recht kleinen Ausstellungsetiketten den Fundort vollkommen abzukürzen, bzw. nur bekanntere Orte anzugeben, in deren Nähe die betreffenden Fundstellen liegen. Diese Unsitte kann gar nicht genug gegeil3elt werden, denn erfahrungsgemäß gehen dann nicht selten die in den Kästen liegenden oder .ander- i84 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 12 Sammler bzw. Schenker, ja auch das Jahr der Aufsammlung; ist es doch für Nachprüfungen bzw. Neuaufsammlungen von großem Werte, zu wissen, ob und wann der betreffende Fundort noch zugänglich und ergiebig war. Den Namen des Sammlers oder Schenkers wird man aber deshalb gerne ausdrücklich mit auf die Etikette nehmen, weil einmal bekanntere Namen sofort eine Gewähr für Sicherheit des Fundortes, der Altersbestimmung usw. bieten, zum anderen aber auch diese Gewohnheit den Schenker erfahrungs- gemäß dazu anregt, weiterhin an der Vergrößerung der betreffenden Sammlung aktiv teilzunehmen. Im übrigen läßt sich über die Abfassung der Etiketten nur sagen, daß der ganze Bestand der Sammlung zweckmäßigerweise durch verschiedene Größe der vorangestellten Etiketten systematisch in Abschnitte, wie sich solche etwa aus den vorstehenden Übersichten ergeben, eingeteilt wird, und daß eine Zusammenstellung sämtlicher Eti- ketten einen kurzen Abriß der allgemeinen Geo- logie geben sollte. Rücksichten auf das Publikum, welches die betreffende Sammlung vorzugsweise aufsucht , werden natürlich in jedem Falle Be- sonderheiten der Etikettierung verlangen; doch hierauf, wie auf die Etikettierung betreffende technische Fragen kann hier nicht weiter einge- gangen werden. Weitere Ausgestaltung der Sammlung durch Bilder, Profile, Karten, Reliefs usw. Durch eine solche Sammlung, wie sie zur Förderung der Allgemeinen Geologie als Wissen- schaft für jedes Institut und Museum wünschens- wert ist, läßt sich gleichwohl nicht alles, was zu dieser vielseitigen Wissenschaft gehört, darstellen. Hierzu bedarf es vielmehr der weiteren Ausge- staltung und Ergänzung durch Bilder, Profile, Karten, Reliefs, Erdbebendiagramme, Tabellen und manches andere mehr. Namentlich das große Gebiet der Geomorphologie, jenes Grenzland zwischen Geologie und allgemeiner Geologie, läßt sich eigentlich nur durch Bilder und Reliefs in der Sammlung darstellen. Die beste bildliche Darstellung ist natürlich hier, wie überall, die Photographie, und in der reichen Anwendung dieses Mittels kann ebenfalls die Marburger Sammlung als Muster und Vorbild dienen. Aus- gezeichnet wirken in Fensternischen Diapositive großen Formats, wie man das im Berliner Museum für Meereskunde und andernorts feststellen kann. Auch schematische Darstellungen, Blockdiagramme u. dgl. werden zum Verständnis mancher Er- scheinungen mit Erfolg Verwendung finden. Be- kannt sind die schönen Heim 'sehen Reliefs der Alpengletscher, und eine allgemein - geologische Sammlung kann gar nicht genug derartiger geo- morphologischer Darstellungen haben. Für alle Reliefs aber sollte als Regel gelten, daß sie maß- stabsgerecht in Länge und Höhe, daß sie niemals überhöht sind. Das gilt in noch viel höherem Maße von den geologischen Reliefs. Einzigartig und unübertroffen steht von allen diesen An- schauungsmitteln das Alb. Heim 'sehe Säntis- Relief obenan; aber es ist leider nur wenigen Sammlungen vergönnt, ein derartig teures Objekt zu erwerben. Kleinere geologische Reliefs von besonders gut erforschten Nachbargebieten , von den bekannten Vulkanen und anderem sollten jedoch nirgends fehlen. Beim Vulkanismus wird man vergleichsweise gerne Photographien und Reliefs der Mondvulkane ausstellen. Die ver- schiedenen Gesteinsstrukturen kann m?n durch Dünnscliliffbilder erläutern, wenn man nicht, wie das in mustergültiger Weise im Großherzoglichen Naturalienkabinett in Karlsruhe durch M. Schwarz- mann geschehen ist,''*} zu dem kostspieligeren Mittel greifen kann oder will, instruktive Dünn- schliffe direkt in besonders zur Handhabung durch das Publikum umgeänderten und mit (aufdrehbarer Scheibe befestigten) mehreren Schliffen zu be- schickenden Mikroskopen zu demonstrieren. Alles dieses ist aber zweckmäßigerweise so anzuordnen, daß der Besucher der Sammlung nach Möglichkeit Belegstücke und zugehörige bildliche usw. Dar- stellung dicht beieinander hat, allerdings eine Forde- rung, die bei beschränktem Platz — der dauernden Not unserer Museen — und vielfachen Zugängen an neuem Material ein großes Geschick und manche Arbeit erfordert. So wird man die Belegstücke zum Spaltenfrost und zur Felsbearbeitung durch Gletscher durch Bilder von Karen, von Gletschern und Solifluktionen näher erläutern. Zu der Torf- und Kohlenbildung werden die Web er 'sehen Moorprofile und der Potonie'sche Steinkohlen- wald, zum Löß eine chinesische Lößlandschafi usw. usw. hinzuhängen sein. .-Zufalle Fälle aber kann nur empfohlen werden, wenigstens alle Photographien in dauerhaftem Rahmen und unter Glas *^) auf- zuhängen. Wieviele solcher in Sammlungen auf- bewahrten Bilder sind unersetzliche Unika von Naturdenkmälern, und nur die beste Behandlung — mag sie ruhig etwas kosten — vermag sie für längere Zeit zu konservieren, sowie auch für die Vorlesung benutzbarer zu machen. Nur durch wärts aufbewahrten Originaletiketten verloren , und manches Sammlungsstück hat auf diese Weise schon einen großen Teil seines Wertes eingebüßt. Überhaupt empfiehlt es sich, auf die Rückseite größerer Stücke Zettel zum mindesten mit der genauen .Angabe des Fundortes dauerhaft aufzukleben. .Mies andere kann ein Kenner leicht wieder feststellen, aber wichtige Fundorte gehen infolge solcher Unachtsamkeit oft völlig unserer Kenntnis verloren; ") Max Schwarz mann, Die Polarisationsbank für die mineralogisch-optische Schausammlung. Centralblatt für Mineralogie usw. 1904, p. 330 — 333. — Ders. Sammlungs- mikroskope für Mineraliensammlungen. Ibidem 1907, p, 615 bis 624. *") Gegen die Glasbedeckung der Bilder könnte die Ein- wendung gemacht werden, daß sie blendet und nicht eine Be- trachtung aus allen Richtungen erlaubt. Sicherlich ist dieses richtig. Doch ist ohnehin zur genaueren Betrachtung der meisten Photographien ein näheres Herantreten erforderlich, wobei das Glas dann nicht mehr stört. N. F. XIV. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 185 Bilder und Profile lassen sich auch jene mannig- faltigen Bewegungserscheinungen im Felsgerüst der Erde demonstrieren, welche uns die Tektonik kennen lehrt. Und denken wir schließlich weiter an die Lotablenkungen, welche uns die Schwere- verhältnisse der Erde zeigen, an die Temperatur- verhältnisse des Erdkörpers, an Erdmagnetismus und an Erdbeben, an die Verhältnisse des Grund- wassers und der Quellen u. a. m., so erkennen wir, wie die verschiedenartigsten bildlichen und dia- grammatischen Darstellungen herangezogen wer- den können und müssen, um die aus Belegstücken bestehende eigentliche Sammlung entsprechend der Vielseitigkeit der Allgemeinen Geologie weiter auszugestalten. Rückblick. Es könnte die Frage aufgeworfen werden , ob die im obigen vorgeschlagene Anordnung der allgemein-geologischen Sammlung die dem heutigen Stande der Wissenschaft allein entsprechende sei oder ob noch andere Anordnungen als ebenso berechtigt erscheinen. Ich möchte glauben, daß die erste Frage mit „Ja" und die zweite mit „Nein" zu beantworten ist: Wo es sich um die wissen- schaftliche Darstellung des so vielseitigen Gesamt- gebietes der Allgemeinen Geologie handelt, sollte nirgends eine wesentlich andere Anordnung , als die erläuterte zur Anwendung kommen. Etwas anderes ist es natürlich mit Lehrsammlungen, die man dem Studenten zum Selbststudium in die Hand gibt. Für diese, wie auch für Schulsamm- lungen wird es sich empfehlen, in anderer Weise „didaktisch" vorzugehen , indem zuerst das dem Schüler, bzw. jungen Studenten zunächst Liegende und Einfachste behandelt wird. Und hierbei er- gibt es sich von selbst, daß Zusammenfassungen des Stoffes gemacht werden, wie sie Alb. Heim in seiner zitierten Schrift von 1891 vorgeschlagen hat. '") Auch wird man in solchen Sammlungen gerne an die Verhältnisse der nächsten Umgebung, der Heimat anknüpfen , wie das ja überall im Anfängerunterricht geschieht und schon durch die Exkursionen gegeben ist. Die Allgemeine Geologie in ihrer universellen Vielseitigkeit hat als Propädeutik nicht nur aller übrigen Naturwissenschaften zu gelten, — denn '") Wenn in neuerer Zeit auch geographische Institute beginnen, sich geologische Sammlungen anzulegen und aufzu- stellen, wie Verf. das in Berlin gesehen hat, und wie es auch im Geographischen Seminar in Marburg beabsichtigt ist, so kann es sich dabei natürlich nur um die Demonstration der allerverbreitet>ten und einfacheren Vorgänge handeln , falls nicht auf diese Weise die jungen Geographen dem Studium der Geologie bei dem betreffenden Fachvertreter gänzlich ent- zogen werden sollen, was auch der geographischen Bildung derselben kaum von Vorteil sein würde. Für solche Samm- lungen aber würde es direkt unzweckmäßig sein, eine Gliede- rung zu wählen, die sich z.B. z. T. auf geologische, in der Zeit verlaufende Kreisläufe stützt. Im Gegenteil müßten auch hier Zusammenfassungen, wie sie Alb. Heim vorgeschlagen hat, die Anordnung ergeben. nur sie vermittelt zwischen allen diesen und gibt uns die Möglichkeit eines einheitlichen natur- wissenschaftlichen Weltbildes an die Hand, — sondern die genaue Kenntnis ihrer Gesetze ist auch unerläßlich für ein fruchtbares Mitarbeiten auf den anderen Gebieten unserer Wissenschaft, dem der Stratigaphie, Paläogeographie , Paläo- biologie, nicht zuletzt auch der praktischen Frage, welche unsere Bodenschätze uns stellen. Auch diese Gebiete sind durch Sammlungen zu belegen und außer einer möglichst vielseitigen allgemein- geologischen Sammlung sollte jedes geologisch- paläontologische Museum '"'') noch folgende all- gemeine Sammlungen haben : zunächst eine syste- matisch - paläontologische Sammlung und eine stratigraphische Sammlung. Über die erstere braucht hier ein Wort nicht verloren zu werden; nur ist es an der Zeit, darauf hinzuweisen, daß die systematisch-paläontologische Sammlung durch eine paläobiologische Abteilung oder auch gesonderte Sammlung dieser Art zu ergänzen ist. Gerade die paläo- biologische Betrachtung der F'ülle fossiler Formen ist geeignet, nicht wenige bisher unverstandene Erscheinungen in neuem Lichte erscheinen zu lassen und der Paläontologie viel mehr Freunde zu erwerben, als sie jemals haben konnte, solange sie rein beschreibend und registrierend und ledig- lich eine Hilfswissenschaft der Stratigraphie war. Das gilt aber für alle Fossilien, nicht nur für die Wirbeltiere, für welche wir ja die ausgezeichnete Darstellung von O. Abel ") besitzen. Die Paläo- biologie der Wirbellosen enthält vielmehr schon jetzt eine große Fülle wissenschaftlich sicherer Errungen- schaften, und es müßte eine reizvolle Aufgabe sein, aus einer reichhaltigen paläontologischen Sammlung paläobiologisches Material auszu- suchen. '') Lediglich Anfänge einer paläobiologi- schen Sammlung sind es, wenn hier und da eine Zusammenstellung von Faziesfossilien, ein fossiles Korallenriff, kranke P'ossilien oder anderes zusam- men aufgebaut ist. Auch auf diesem Gebiete, wie in der Allgemeinen Geologie, kann und muß mehr geleistet werden. Die stratigraphische Sammlung aber, wie sie fast in jedem Institut und Museum schon heute vorhanden ist, muß ebenfalls erweitert wer- den. Ist sie jetzt in der Regel nur eine Anein- anderreihung von Leitfossilien oder Faunen, so muß sie, dem Fortschritt der Wissenschaft ent- '"'J Einen Teil der Literatur über geologisch -paläonto- logische Sammlungen hat P. Dienst in Naturw. Wochenschr. N. F. 11, 1912, p. 816 zusammengestellt. '') O. Abel, Grundzüge der Paläobiologie der Wirbel- tiere. Stuttgart 1912, E. Schweizerbart. '■'') Man mache nur einmal, wie der Verf. bei Gelegenheit der Abhaltung von Vorlesungen über ,, Paläobiologie, insbe- sondere der Wirbellosen" im S. S. 1914 in Marburg, den Versuch und wird über die Fülle von paläobiologischen Tat- sachen und Problemen erstaunt sein, die einem gleichsam ent- gegenspringen, wenn man sich erst einmal gewöhnt hat, die Fossilien nicht rein morphologisch-statistisch, sondern biolo- gisch zu betrachten. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 12 sprechend, durch Hinzunahme der betreffenden Gesteine und durch Erläuterung der in den einzelnen Perioden festgestellten Erscheinungen zu einer paläogeographisc h en Sammlung weiter ausgestaltet werden. In welcher Weise das im einzelnen zu geschehen hat, kann nicht mehr erörtert werden. Wie überall, so wird auch hier die leidige Platzfrage allerdings manchem Wunsch die Erfüllung versagen. Zu diesen, in jedem geologisch-paläontologi- schen Institut und Museum zu erwartenden Samm- lungen können für besondere Zwecke und in Fachhochschulen noch Spezialsammlungen hinzutreten. An Technischen Hochschulen wird man z. B. technisch-geologische Samm- lungen aufstellen, in welche nicht nur die tech- nisch wichtigen Mineralien und Gesteine in Hand- stücken aufzunehmen, sondern in denen auch ihr Vorkommen, ihre Gewinnungsmethoden, "'') sowie ihre technisch wichtigen Eigenschaften (wie Druck- festigkeit, Biegungsfestigkeit, Abnutzbarkeitusw.)"*) zu demonstrieren sind. Eine landwirtschaftliche Hochschule und Forstakademie wird nicht ohne eine bodenkundliche geologische Samm- lung auskommen und die Bergakademien werden ihr Hauptgewicht auf die Lagerstätte n- sammlung'") legen müssen. Außer diesen allgemeinen und Spezialsamm- lungen wird aber überall eine Heimat- oder Lokalsammlung ihre guten Dienste tun und ist z. B. ohne weiteres gegeben für Provinzial- oder städtische Museen. '*) Aber auch sonst ist sie durch- '''■') Als ein sehr wichtiges Buch für die nutzbaren Ge- steine ist hier zu nennen: O. Herrmann, Steinbruchindustrie und Sleinbruchgeologie. Berlin 1899, Gebr. Borntraeger; desgl. die 2. Aufl. eines Anhanges aus diesem Werke: Ge- steine für Architektur und Skulptur. Berlin 1914, Gebr. Borntraeger. ") Vgl. besonders J. Hirschwald, Handbuch der bau- technischen Gesteinsprüfung. Berlin, Gebr. Borntraeger, und ders., Bautechnische Gesteinsuntersuchungen. Bei demselben Verlag. '■^) Vgl. z. B. O. Stutzer, Über Einrichtung und Auf- stellung von Erzlagerstättensammlungen. Zeitschr. f. prakt. Geol. 1!), 191X, p. 215 — 218. ■") Vgl. z. B. H. Philipp, Aufstellung und Einrichtung einer geologischen Provinzialsammlung in Greifswald. ,,Mu- aus angebracht, und das Marburger geologische Insti- tut nennt seit Jahren eine ausgezeichnete hessische Lokalsammlung ihr Eigen. Gelegentlich einer Diskussion über solche Sammlungsfragen ist nun für einen bestimmten Fall (Senckenbergisches Museum in Frankfurt a. M.) in Erwägung gezogen worden, eine allgemein-geologische Sammlung als solche ganz fallen zu lassen und die einzelnen geologi- schen Erscheinungen an der Hand der Belegstücke aus den verschiedenen Nachbargebieten vorzuführen. Bei der großen Vielseitigkeit der Wissenschaft der allgemeinen Geologie ist aber dieser Vor- schlag von Fr. Drevermann nicht oder nur in sehr gezwungener und ungenügender Weise durchführbar, selbst wenn man sich an einem hierfür so besonders günstigen Punkte, wie in Frankfurt a. M. befindet. Eine Heimatsammlung kann niemals eine allgemein-geologische Samm- lung ersetzen; sie wird aber neben einer solchen gewiß die besten Dienste leisten. Nach alledem sollte ein geologisch-paläonto- logisches Universitätsinstitut , welches modernen Anforderungen genügen will, mindestens folgende allgemeine Sammlungen besitzen: 1. Allgemein-Geologische Sammlung. 2. Systematisch-Paläontologische Sammlung. 3. Paläobiologische Sammlung. 4. Paläogeographische (d. h. erweiterte strati- graphische) Sammlung. Aber erst dann, wenn alle die ein- zelnen Teile unserer schönen Wissen- schaft, welche durch diese Sammlungen belegt werden, überall in wirklich gleichmäßiger Weise gelehrt und be- trieben werden, wird die Geologie die überragende Stellung einnehmen kön- nen, welche ihr unter den Naturwissen- schaften als Grundlage einer natur- wissenschaftlichen Weltanschauung und für die allgemeine Bildung unseres in aufstrebender Kultur befindlichen Volkes zukommt. seumskunde" Bd. V, Heft 2, p. 82 — 90. Berlin 1909, Georg Reimer. Einzelberichte. Zoologie. Tränkt der weiße Storch seine Jungen? In „Ardea" Nr. 4 (1914) berichtet A. Bürdet, wie ein Storch, den er in Wageningen (Holland) beobachtete, in einem nahen Graben Wasser holte, d. h. den Kehlsack damit füllte, zu seinem Nest flog und seine Jungen tränkte und bespritzte. P-^in klarer Wasserstrahl sei deutlich sichtbar gewesen. Der Verf hat den Hergang photographiert. Er macht mit Recht darauf auf- merksam, daß dieser Zug aus dem Leben eines so leicht zu beobachtenden Vogels von den Or- nithologen offenbar übersehen wurde. In der Literatur schreibt nur Naumann: „Auch Wasser schleppen sie im Kehlsacke zum Neste." Und Alfred B r e h m (Tierleben) : „Die nötige Wasser- menge schleppen die Alten mit der Nahrung im Kehlsacke herbei und speien sie diesen vor. Bei großer Hitze sollen sie die Jungen auch über- spritzen." Der schweizerische Storchenbeobachter Fische r-S ig wart in Zofingen glaubt nicht an ein solches Tränken und vermutet, daß die Be- obachter einen Vorgang beim h'üttern unriclitig gedeutet haben. Die jungen Störche sind in den Nestern auf N. F. XIV. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 187 den Haus- und Kirchendächern sehr stark den Sonnenstrahlen ausgesetzt. Die alten Störche trinken fleißig und viel. Der Bedarf an Wasser wäre daher begreiflich. Bei den Vögeln ist aber ein richtiges Tränken der Jungen durch die Alten sonst nicht der Fall, so daß dieser Punkt der be- sonderen Beachtung verdient. Alb. Heß. Über die Beziehung zwischen Baumneigung und ^rT gefiederten Baumhöhlenbewohnern be- rTchtet KurTLoos. 1) Er stelh fest, daß die von unsern gefiederten Höhlenbrütern angebrachten Höhlen fast ausnahmslos an den gegen die Erde geneigten Stammseiten der Waldbäume angelegt seien. Bei allen spechtartigen Vögeln spielt beim Klettern wie auch bei der Höhlenbereitung und der Futtersuche der Schwanz eine sehr wichtige Rolle, indem er ihnen die unentbehrliche Stütze bildet. An einer gegen die Erde geneigten Stamm- seite wird der Schwanz auf rein automatischem Wege, d. h. durch die Körperschwere des Vogels, an den Stamm gedrückt, während auf der ent- gegengesetzten Stammseite naturgemäß (infolge der Körperform der Spechte) der Kopf gegen den Stamm geneigt sein, während der Schwanz davon abstehen wird. Sollte in dieser Lage der Schwanz als Stütze dienen, so würde das Anpressen desselben an den Stamm nur durch das Heben des Körpers möglich sein, was einen gewissen Kraftaufwand erfordern würde, der z. B. beim Bearbeiten des Baumes nicht be- langlos wäre. Umgekehrt sei eine Neigung der Innenseite der Höhle gegen das Flugloch zu den jungen Spechten sehr willkommen , um ihnen das Erreichen der Öffnung zu erleichtern. Der Schwanz der Jungspechte ist nämlich selbst beim flüggen Vogel noch nicht vollkommen ent- wickelt und wird erst nach und nach zu der wichtigen Stütze aus- und umgebildet, wie sie der Specht später zur selbständigen Nahrungs- suche usw. dringend bedarf. In der gleichen Zeit entwickelt sich auch der Schnabel, der an- fänglich ebenfalls nicht hart genug ist, um die gleichen Funktionen wie derjenige der Alten zu verrichten. Eine weitere Bedeutung des Unterbringens der Bruthöhlen in geneigte Stämme ist offenbar darin zu suchen, daß durch die Schieflage der Horizontalschnitt der Höhle wesentlich vergrößert wird. Infolge der Stammneigung braucht die Nisthöhle nicht so umfangreich zu sein, als wenn sie in einen senkrecht stehenden Baum unter- gebracht würde. Dieser Punkt dürfte gar nicht so unwesentlich sein, spielt doch die Ausnützung solcher Vorteile bei vielen Bauten, z. B. von In- sekten (Bienenzelle usw.) eine sehr wichtige Rolle. Rechnerisch weist der Verfasser nach, daß ') Welche Beziehungen bestehen zwischen Baumneigung und den geflnderten Baumhöhlenbewohnern und welche Nutz- anwendungen ergeben sich daraus? (Sonderdruck 1914-) eine um 33" geneigte Höhle einen um 20 "/„ größeren Horizontalschnitt, als eine senkrecht stehende von gleichen Dimensionen, d. h. vom nämlichen Durchmesser. Bei einer Neigung von 45" ist der Horizontalschnitt schon um 42 "/„ größer. Nach den Beobachtungen des als vorzüglicher Kenner des Schwarzspechtes bekannten Verfassers kommen in Laubhölzern Bruthöhlen in bis zu 45" geneigten Stämmen vor. Die Nadelhölzer weisen viel geringere Neigungen auf. Bei ihnen kommen in der Regel nur solche von 3 — 10" gegen die Senkrechte vor. Die Kiefer stellt sich hinsichtlich der stärkeren Stammneigung den Laubhölzern am nächsten und es werde dieselbe von den Spechten auch mit Vorliebe zur Anlage von Nisthöhlen benützt. Der Verfasser empfiehlt von diesen Tatsachen eine Nutzanwendung zu ziehen, indem die künst- lichen Nisthöhlen entsprechend herzustellen, oder doch wenigstens in einer Neigung von bis zu 33'^ nach vorn aufzuhängen seien. Alb. Heß. Einen riesigen Amphipoden aus unterirdischen Gewässern der Herzegowina beschreibt der ver- diente Höhlenforscher K. Absolon. Die Tiere sind 5 cm lang, haben noch längere Antennen, sind schneeweiß und augenlos. Die Art erhält den Namen Stygodytes balcaiiicus. Entsprechend große Gammariden waren bisher nur aus dem Baikalsee bekannt. Brn. Nemertinen lassen sich nach Gering für Ostpreußen in drei Arten nachweisen. Die eine ist eine in Ost- und Nordsee, nordatlantischem Ozean und Mittclmeer lebende Heteronemertine {Lineas ndwr), die noch bei Memel angetroffen wird ; die andere ist eine Metanemertine (Prosfonia obscii- mm), die M. Schnitze 1851 in der Ostsee bei Greifswald entdeckt hat, bis in den Finnischen Meerbusen vordringt und im Frischen Haff bei Pillau zwischen den an Hafen-, Brücken- und Molenpfählen wuchernden Algen ganz häufig ist, an Stellen, wo der Salzgehalt zwischen 0,02 und 0,7 "/,j schwanken kann — es ist daher nicht verwunderlich, wenn sich die Pillauer Nemertinen ganz leicht in Aquarien im Wasser der Königs- berger Leitung halten lassen. Die dritte ist eine Süßwassernemertine, eine Stichosh-i/niia-.\r{, höchst wahrscheinlich clepsiiioidcs, deren bisher bekannte Fundorte in Deutschland, Livland, Südrußland, England, Frankreich, Nordamerika und Ost-Afrika liegen. In Ostpreußen ist diese Art bisher nur aus der Alle bei Heilsberg bekannt geworden. Sie dürfte aber ebenso wie andere Süßwasser- nemertinen häufiger sein; die Tiere sind recht klein und schwer zu finden. Im ganzen beträgt die Zahl der Süßwasser-Arten bis jetzt nur elf, deren Verbreitung sich über alle Erdteile mit Ausnahme von Australien erstreckt; die bisherigen Fundstellen drängen sich in Mitteleuropa zusam- men, weil dieses am besten durchforscht ist. Brn. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. i: Ein neuer Fall von Schwanzbildung beim Menschen. Unter denjenigen Bildungen des Men- schen, die man Schwanz nennt, pflegt man zwi- schen wirbelhaltigen und wirbellosen (weichen) Schwänzen zu unterscheiden. Letztere führt man mit W. His auf Erhaltenbleiben des auch bei menschlichen Embryonen regelmäßig vorkommen- den, normalerweise wieder schwindenden „Schwanz- fadens" zurück. Der neue Fall, über den P. Sa- rasin berichtet (1914), gehört in diese Kategorie und betrifft ein Tamilenkind von Südindien, das, wie eine Photographie beweist, am Ende seiner Wirbelsäule einen etwa kleinfingerdicken Anhang trug; er wurde in Tranqunbar (Madras) entfernt, in Alkohol gebracht und gelangte mit der Photo- graphie auf einem nicht mehr festzustellenden Wege schließlich in die „Brockensammlung" in Basel. Von dort erwarb Sarasin, durch eine Anzeige in Zeitungen aufmerksam gemacht, das interessante Objekt, das eine Länge von 60 mm und einen Durchmesser von 13 mm aufweist. Die Untersuchung mehrerer in der Nähe des Ansatz- endes gelegter Querschnitte ließ peripher die mit Schweißdrüßen, Haarbälgen und dünnen Haaren versehenen, in der tieferen Schicht pig- mentierte Epidermis deutlich erkennen, der sich nach innen das verhältnismäßig dicke Corium anschließt. Der Hauptteil der Querschnitte wird von Fettgewebe eingenommen, während exzen- trisch ein dicker Bindegewebsstrang mit 2 Arterien und 2 Venen gelegen ist, von dem aus Faserzüge das Fett durchsetzen und bis ans Corium reichen. Eine im Achsenstrang gelegene drüsenähnliche Masse wird als Gloimts coccygeiim gedeutet. Quergestreifte Muskelfasern, die andere Autoren bei Untersuchung weicher Schwänze mit im Leben festgestellter Bewegungsfähigkeit beobachtet haben, wurden nicht gefunden. Alles in allem kann nicht daran gezweifelt werden, daß es sich in dem vor- liegenden Falle um einen typischen „weichen Schwanz" iiandelt. M. Brn. Die Larven unsererer Tritonen (Mo Ige) be- sitzen unmittelbar nach dem Ausschlüpfen am Kopfe zwei tentakelförmige, am freien Ende etwas verdickte Anhänge, welche etwas hinter und unter dem Auge entspringen und mit der stärkeren Ausbildung der Extremitäten wieder schwinden. Sie bestehen aus einer bindegewebigen, ein zu- und abführendes Gefäß enthaltenden Achse und einem Überzuge von Epidermis. Da in letzterer keine Spur von isolierten oder zu Knospen zu- sammengetretenen Sinneszellen zu finden ist, können diese Anhänge nicht, wie man zunächst vermuten dürfte, sensorielle Funktionen ausüben, ebensowenig ist wegen des Fehlens eines Blut- gefäßnetzcs in ihnen und wegen der Dicke der sie überkleidenden Epidermis an eine respira- torische Funktion zu denken. Sie sind vielmehr nach Fr. Egert Stützorgane, welche die zu dieser Zeit noch kleinen Extremitäten ersetzen und dem Körper die normale Stellung einzuhalten ermöglichen. Schneidet man die beiden Stütz- organe weg, so wird die Larve bei der gering- sten Bewegung des \\'assers von einer Seite zur anderen geworfen und bleibt nach Aufhören der noch unbeholfenen Schwimmbewegungen meist auf der Seite liegen, wogegen die unversehrte Larve unter diesen Umständen die normale Hal- tung beibehält; die verhältnismäßig weit ab- stehenden Tentakel verhindern ein Umkippen. Brn. Astronomie. Photo-elektrische Messungen in der Astrophotometrie. Wenn auch die bisher angewendeten Methoden der Photometrie der Gestirne recht befriedigend arbeiteten, so daß unsere Kenntnis der Veränderlichen recht viel- seitig ist, so war doch ein großes Gebiet davon noch sehr wenig angebaut, das der Veränderlichen mit sehr geringer Amplitude, weil hier oft der Umfang der Veränderlichkeit durch die Beobach- tungsfehler verdeckt wurde. Hier ist nun eine neue Methode von außerordentlicher Genauigkeit und vielseitiger Anwendbarkeit eingetreten, die auf der Eigenschaft der Alkalimetalle beruht, auch bei langwelligen Lichtstrahlen einen merkbaren und meßbaren Photoeffekt zu erzeugen. Während schon auf der Astronomenversammlung in Ham- burg 1913 EdgarMeyer und H. Rosenberg von ihren ersten Versuchen und Messungen be- richteten (Vierteljahrsschrift der astronom. Gesell- schaft 191 3, Heft 3), so haben nun die Herren Guthnick und Prag er auf der neuen Stern- warte zu Babelsberg an dem dortigen großen 30 cm Refraktor sehr zahlreiche Beobachtungen angestellt und in den Veröffentlichungen der Stern- warte (Bd. I, Heft I, 1914) darüber eingehend berichtet, sowie in den Astronom. Nachrichten Nr. 4763 Guthnick über weitere Messungen. Das wichtigste der ganzen Versuchsanordnung ist die lichtempfindliche Zelle. Diese wird inwendig zur Hälfte mit kolloidalen Alkalimetallen beschickt, und um deren Zersetzung zu verhindern, mit Argon gefüllt. Die Zelle erhält dann eine genau abge- messene elektrische Ladung, unter deren Einfluß sie lichtempfindlich wird. Sie spaltet Elektronen ab, und die .Anzahl der abgespaltenen Elektronen ist der Beleuchtungsstärke proportional, wie Elster und G eitel streng nachgewiesen haben. Diese beiden, sowie die Physiker Pohl und Prings- heim haben sich um die theoretische und prak- tische Seite der Sache große Verdienste erworben. Die Herren Guthnick und Prager geben in ihrer Veröffentlichung eine genaue Beschreibung und Abbildung des sehr komplizierten Apparates, der an das Okularende des erwähnten großen Refraktors angesetzt wird. Die .Alkalimetalle Na, K, Rb und Cs unterscheiden sich hinsichtlich ihres photoelektrischen Verhaltens erheblich. Die Na- und K-Zellen sind wenig voneinander ver- schieden, und reagieren vor allem auf die blau- violetten Strahlen. Die Rb- und Cs-Zelle ist grün- N. F. XIV. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 189 blau-violett empfindHch, und ganz besonders ist die Cs-Zelle im sichtbaren Teil des Spektrums ganz erheblich überlegen. Die Genauigkeit der Methode geht am besten aus den mitgeteilten Messungen hervor. /:?Cephei ist ein spektroskopischer Doppelstern mit der außerordentlich kurzen Periode von 0,1 90479 Tagen, also etwa 4^., Stunden, die spektroskopisch fest- gestellt ist. Der Stern ist sehr wenig veränder- lich, und es galt, den Umfang des Lichtwechsels festzustellen. Etwa 200 Messungen im Herbst und Winter 1913/14 ergaben einen Lichtwechsel von nur 0,050 Größenklassen, und der Moment des Maximums der Helligkeit ist bis auf 0,001 Tag genau angebbar, das sind i '/• Minute. Das sind also Werte, die die ganz erhebliche Genauigkeit des Verfahrens besser als Worte beweisen. Sodann ist cc Canum venaticorum gemessen worden, dessen Veränderlichkeit Belopolski vor kurzem auf Spektralaufnahmen nachwies. Hier ist der Zeitunterschied von einem Maximum bis zum folgenden = 5,54 Tage, und die Größe des Lichtwechsels beträgt 0,051 Größen. Bei y Bootis ist die Epoche 0,2905 Tage und die Amplitude 0,043 Größen. Es erübrigt auf die anderen mit- geteilten Messungen einzugehen. Eine besondere Beobachtungsreihe diente noch der Errnittlung des wahrscheinlichen Fehlers einer Messung, der sich in dem erstaunlich geringen Betrag von 0,0060 Größen ergeben hat. Solche Ergebnisse konnten dann dazu ermuti- gen, der oft erörterten Frage nach einer Hellig- keitsschwankung der Sonne näher zu treten. Solche ist von Abbot, Fowle und Aldrich behauptet worden; sie solle eine Periode von 7 — 10 Tagen haben, und etwa 0,02— 0,08 Größen umfassen. Nun läßt sich die Sonne ihrer gewal- tigen Leuchtkraft wegen nicht direkt phometrieren, so daß versucht werden sollte , etwaige Schwan- kungen der Helligkeit vom Saturn und Mars auf die der Sonne zurückzuführen. Während aber diese Messungsreihe das gewünschte Ergebnis nicht erzielt hat, so hat sich doch eine starke Veränderlichkeit des Mars ergeben , die von der jeweils uns zugewendeten Oberfläche abhängig ist, und 0,18 Größenklassen beträgt. Wenn man bedenkt, daß diese Ergebnisse schon in den ersten Jahren seit Entdeckung der photoelektrischen Eigenschaften der Alkalimetalle erzielt worden sind , so muß zugegeben werden, daß von dieser Methode noch eine große Be- reicherung unserer Kenntnisse erwartet werden darf Riem. Botanik. Zur Physiologie der Zellteilung. Vor einiger Zeit wurde an dieser Stelle über Kulturversuche berichtet, die G. Haber 1 an dt mit kleinen Gewebestückchen der Kartoffelknolle angestellt hatte, und die zu dem Ergebnis führten, daß in kleinen, dünnen Plättchen aus dem Mark der Knolle Zellteilungen fast ausnahmslos nur dann auftreten , wenn sie ein Leitbündelfragment enthalten, und daß es genügt, wenn dieses aus Leptom, d. h. aus Siebröhren mit ihren Geleit- zellen besteht. Weiter ergaben sich experimen- telle Belege für die Annahme, daß die Leptom- bündel einen Reizstoff aussondern, der in Kombi- nation mit dem Wundreiz die Zellen des Speicher- gewebes zur Teilung veranlaßt (siehe Naturwiss. Wochenschr. 191 3, S. 443). Haberlandt hat inzwischen diese Versuche fortgeführt, um festzu- stellen, ob der für die Kartoffelknolle nachge- wiesene Einfluß des Leptoms auf den Zellteilungs- vorgang auch für andere phanerogame Pflanzen gilt. Zu diesem Zwecke wurden zunächst 10 — 15 mm hohe Stengelstücke und 0,7 — 5 mm hohe Stengelquerscheiben des chinesischen Sedum spectabile in Petri-Schalen bei 21 — 24" auf nassem Ulterpapier kultiviert, wobei sie mit einer Schnitt- fläche dem Substrate auflagen. Es ergab sich, daß Kallusbildung und Zellteilungen um so spär- licher auftraten, je niedriger die Scheiben waren. Während bei den Stücken von größerer Höhe die ganze Schnittfläche sich mit Kallus bedecken kann und mehr oder minder zahlreiche Zellteilungen auftreten, kommt es bei i mm Höhe nur noch über der Kambialregion und stellenweise über der Epidermis zur Kallusbildung und nur über ersterer auch zu einigen Zellteilungen. In noch niedrigeren Schichten unterbleibt beides. Für dieses Verhalten ist nicht etwa der verschiedene Gehalt der Stücke an plastischen Baustoffen entscheidend, wie aus Versuchen mit isolierten Mark- und Rindenstücken hervorging. Gewebsstückchen aus dem primären Rindenparenchym zeigten in der Mehrzahl der Fälle keine Zellteilungen; noch seltener traten solche in Markstückchen auf Dagegen ließen Gewebestückchen , die auch die Gefäßbündel- elemente enthielten, ausnahmslos Zellteilungen erkennen, die namentlich im Mark sehr zahlreich waren. Dies ist im wesentlichen dasselbe Ergeb- nis, das Verf auch bei der Kultur kleiner Gewebe- stückchen der Kartoffelknolle erzielt hatte. Auch bei Sedum spectabile ist demnach in kleinen Gewebestückchen für den Eintritt von Zellteilungen das Vorhandensein von Gefäßbüiidelfragmenten unentbehrlich oder wenigstens in hohem Maße förderlich. Daß es sich hier wieder um einen Einfluß des (eiweißleitenden) Leptoms der Gefäß- bündel handelt, geht ganz klar aus der Tatsache hervor, daß Markwürfel mit Resten des (wasser- leitenden) Hadromteils der Bündel keine Zell- teilungen erfahren. Bei Berechnung des Volumens des Leptoms und desjenigen der Rinde ergibt sich , daß die Menge der Eiweißsubstanzen , die im Leptom enthalten sind, zu gering sein würde, als daß die beobachteten Zellteilungen auf Er- nährungseinflüssen beruhen könnten. Vielmehr ist nach Haberlandt anzunehmen , daß das Leptom einen „Zellteilungsstoff' bildet und aus- scheidet. Kulturversuche mit Gewebsstückchen von Laub- und Blütensprossen der Althaea rosea zeigten insbesondere, daß das Auftreten von neuen Zellwänden nicht an die vorherige Auflösung der 190 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 1 2 Stärke geknüpft ist. Verfolgt wurde weiter das Verhalten des Markes von Kohlrabiknollen, das Vöchting wegen seiner Regenerationsfähigkeit „ein wahrhaft proteisches Gebilde" nennt. Auch hier zeigte sich bei kleineren Stücken des Markes das Auftreten von Zellteilungen an die Gegen- wart von Gefäßbündeln geknüpft, die auch das Auswachsen von Kalluspapillen und Wucherungen begünstigen. „Daß dieser Einfluß vom Leptom ausgeht, kann schon im Hinblick auf den Bau der Gefäßbündel nicht zweifelhaft sein." Beson- ders bemerkenswert sind endlich die Ergebnisse von Kulturversuchen, die W. Lamprecht auf Veranlassung des Verf mit kleinen Laubblatt- stückchen von Bryophyllum calycinum und Pepe- romia-Arten anstellte. Unter den Wundflächen aus der .Spreite ausgeschnittener Blattstückchen tritt leicht Wundkorkbildung ein. Um zur Beob- achtung der Zelheilungsvorgänge auch bündelfreie Partien zu erhallen , wurden quadratische oder rechteckige Blattstückchen von 4 — 7 mm Seitenlänge durch zur Oberfläche parallele Schnitte so in zwei Längshälften zerlegt, daß die eine Hälfte das ober- seitige Mesophyll mit den Gefäßbündeln, die andere Hälfte nur das unterseitige bündcllose Mesophyll aufwies. Beide Hälften wurden dann nebenein- ander in derselben Schale kultiviert. Nach 6 — 9 Tagen wiesen nur die bündelführenden Lamellen Zellteilungen auf, hauptsächlich in der Nähe der Gefäßbündel, während die bündelfreien Lamellen niemals Zellteilungen erkennen ließen, obgleich sie weit stärkereicher waren als bündelführende Längshälften. Als (in ähnlicher Weise wie bei den Kartoffeln) bündellose Lamellen (von Pepe- romia) auf bündelhaltige gelegt wurden , traten auch in einer Anzahl Zellen der bündelfreien La- mellen Teilungen auf. Diese und andere mit dem gleichen Ziele ausgeführte Versuche „lehren in einwandfreier V\'eise, daß von den Gefäßbündeln ein Reizstoff ausgeschieden wird, der in Kombi- nation mit dem Wundreiz Zellteilungen bewirkt". Alle Befunde lassen ferner darauf schließen, daß dieser Reizstoff aus dem Leptom stammt. Da die Versuche mit Pflanzen angestellt wurden, die sehr verschiedenen Phanerogamenfamilien ange- hören, so ergibt sich der Schluß, daß es sich bei dieser Bildung eines „Zellteilungsstoft'es" durch das Leptom um eine bei den höheren Pflanzen sehr verbreitete, wahrscheinlich ganz allgemeine Erscheinung handelt (Sitzungsberichte der König- lich Preußischen Akademie der Wissenschaften 1914, XLVI, S. 1096 — im). F. Moewes. Anthropologie. Über die Bevölkerung von Algerien und Tunesien hielt H. Picard einen Vortrag in der Berliner Gesellschaft für Anthro- pologie'). Nach den Beobachtungen Picard's bilden in den südlichen Landesteilen, ab- seits der Oasen, die ISerber den Grundstock der noch vorwiegend nomadischen Bevölkerung Nord- afrikas. Teilweise, und vor allem in den Städten, sind sie etwas mit Arabern untermischt, in den südlichen Landesteilen dagegen mit Negern. Nur die Gebirgi.berber haben sich relativ rein erhalten. Picard traf solche Gebirgsberber im Aures auf etwa 1 300 m Höhe. Sie waren blond, blau- äugig und von ziemlich heller Hautfarbe. — Im Saharagebiet leben zahlreiche „vernegerte Araber" ; trotz verhältnismäßig heller Hautfarbe kommt bei ihnen der Negertypus in der breiten und platten Nase, den wulstigen Lippen und den überlangen Armen zum Ausdruck. — Bei der jüdischen Bevölkerung sind zwei Gruppen zu unterscheiden, nämlich i. die zu Ende des 15. Jahrhunderts aus Spanien und Portugal ver- triebenen Juden, die meist in den Küstenstädten leben und sich wenig von den europäischen Juden unterscheiden. Von diesen wesentlich verschieden sind 2. die eingeborenen Juden Süd-Tunesiens, die dort seit über 2000 Jahren leben. Sie ähneln den mohamedanischen Stämmen, unter denen sie leben, und sind gleich diesen Nomaden. Man findet unter ihnen ebensoviel Einschlag von Neger- blut wie bei den Berbern. — Ob die in der zen- tralen Sahara lebenden Tuareg als besonders kriegerische Berberstämme zu betrachten sind, oder als Rest einer früheren Bevölkerung zu gelten haben, vermag Picard nicht zu entscheiden. H. Fehlinger. ') Zeilsclir. f. Ethnologie, Jahrg. 1914, S. 486 — 49(1. Bücherbesprechimgen. Verworn, Prof. Dr. Max, Ideoplastische Kunst. Ein Vortrag. Mit 71 Abbildungen im Text. Jena 1914, Verlag von Gustav Fischer. — Preis brosch. 1,50 M. Verworn bezeichnet mit ideoplastischer Kunst die Gesamtheit der bildnerisch-künstleri- schen Bestrebungen, die nicht darauf ausgehen, wirklich beobachtete Gegenstände darzustellen, sondern abgeleitete Inhaltsbestandteile des Vor- stellungslebens. Solche Richtungen finden sich sowohl in der Kunst der wilden und vorhistori- schen Völker, als auch im Bereiche der engeren Kunstgeschichte. Außerdem ist die Kunstaus- übung des Kindes ganz von ihnen durchsetzt. Als die wirksamen Momente, die eine Kunstrich- tung zur Abkehr von der Naturwahrheit ver- anlassen können, findet Verworn erstlich das ornamentale, sodann das schematisierende und schließlich das phantastische, verschiedene Vor- stellungsinhalte frei verknüpfende Element. Zahl- reiche Abbildungen illustrieren jedes derselben. Weiterhin wendet sich Verworn der Frage N. F. XIV. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 191 zu, ob die, gegenüber den realistisch so über- raschend guten Zeichnungen der älteren Steinzeit weit zurückstehenden Leistungen der anschließen- den Epoche als Zeugnisse eines zeitweiligen kul- turellen Rückganges angesprochen werden dürfen. Er kommt zu dem Schlüsse, daß dies nicht der Fall sei, wogegen sich nichts sagen läßt. Statt aber nun weiter zu schließen, daß man aus diesen alten Bildern nicht ohne weiteres die Höhe der jeweiligen Gesamtkultur ablesen dürfe, kehrt Verworn merkwürdigerweise die Sache um und behauptet, den Augen zum Trotz, die natur- unwahre spätere Kunst des Neolithikums usw. stelle gegenüber der naturwahren des Paläolithi- kums die höhere Stufe dar, und zwar, weil in ihr ein Überwiegen des Denkens über das einfache Sinnesleben zum Ausdruck gelange. Dies ist nun doch ziemlich bedenklich. Erst- lich sind die Beziehungen zwischen Kunstentwick- lung (übrigens selbst ein recht mißlicher, obschon derzeit überaus beliebter Begriff) und allgemeiner kulturell-zivilisatorischer Entwicklung keineswegs so eng, daß ein durchgängiger Parallelismus anzutreffen wäre. Sodann muß man doch wohl die zweifellose Tatsache voranstellen, daß die Kunst des Neolithikums, soweit sie uns bekannt ist, ganz entschieden schlechter als die des Paläo- lithikums ist. Ob sie nun deshalb schlechter ist, weil die Leute inzwischen geistig gebildeter ge- bildeter geworden waren (was ganz möglich ist), ist ein Kuriosum für sich. Verworn bewertet hier das Kunstwerk an etwas Außerkünstlerischem, der Fähigkeit zu abstrakterem Denken. Etwas Ähnliches passiert ihm S. 37 — 40, wo er sich von den Futuristen, obschon sie ihm sichtlich nicht behaglich sind, leider imponieren läßt, indem er ihre „ernste Tendenz" hervorhebt. Nun haben aber die ernstesten Tendenzen ebensowenig wie das abstrakte Denken etwas mit der Güte eines Kunstwerks zu tun. als welche immer nur aus ihm selber zu ersehen ist. Doch ist eine natur- wissenschaftliche Zeitschrift nicht der Ort, solche Probleme im einzelnen zu erörtern. Im letzten Teile der anregungsreichen kleinen Schrift beschäftigt sich Verworn mit der Kunst des Kindes. Er stellt fest, daß sie im allgemeinen durchaus ideoplastischer und zwar schematisierend ideoplastischer Art ist. Auf Grund dieser Fest- stellung tritt Verworn, unserer Überzeugung nach durchaus mit Recht, der von verschiedenen Seiten her vorgebrachten Anschauung entgegen, daß es sich bei der Kunst des Kindes, im Sinne von Häckel's biogenetischem Grundgesetz, um eine Parallelerscheinung zu der prähistorischen Kunst handle. Beachtenswert erscheinen Ver- worn's an die Eigenheiten der Kinderkunst geknüpften Betrachtungen über die notwendige Schulung der sinnlichen Beobachtung. Das Kind zeichnet weit weniger, was es wirklich sieht; als das, was es weiß, was es gelernt hat, was man ihm gesagt hat. So zeigt sich hier schon deutlich die allgemeine und verhängnisvolle menschliche Neigung ausgeprägt, mit den Rechen- münzen anschauungsarmer Begriffe den geistigen Haushalt zu bestreiten, anstatt sich an der Wirk- lichkeit selber einen eigenen konkreten inneren Besitz zu schaffen. Freilich gehört hierzu mehr Energie, als ein Kind im allgemeinen von sich aus aufzubringen vermag , und es müßte das Elternhaus und die -Schule in diesem Sinne kräftig einwirken. Daß letztere, besonders das Gym- nasium, gerade das umgekehrte Ziel verfolgt, in- dem sie bemüht ist, die jungen Geister mit Ab- straktionen aufzufüllen und der Wirklichkeit gegenüber uninteressiert und unfähig ins Leben zu entlassen, ist wohl der schwerwiegendste, hoffentlich nicht unausrottbare Mangel unserer öffentlichen Jugenderziehung. Wasielewski. Sinram, A., Die Welt der höheren Er- kenntnis und der Überzeugung (Welt- anschauung der notwendigen Selbstenstehung). 184 Seiten und i Figurentafel. Hamburg 1914, Grefe & Tiedemann. Nach allgemeinen Betrachtungen über Raum, Zeit, Unendlichkeit und Ewigkeit und nach Auf- stellung des ,, Gesetzes der Notwendigkeit" und insbesondere nach Definition des idealen Schöpfungs- motivs tritt der Verfasser in das Reich der „reinen Begriffe", in die „höhere" (metaphysische) Welt ein. Außer vielem anderen erfahren wir, daß die Finsternis (Kälte) als Ausbreitungsform das posi- tive, die Leere als Dulderin ihrer Besitzergreifung das negative Schöpfungsprinzip (S. 56), daß jeder „Ichpunkt" des Raumes empfindender Wesen- heitspunkt seiner selbst ist (S. 63), daß die Fun- damentaleigenschaft der universalen Grundzustands- form des Raumes zur Fähigkeit der „Erwärmung und Erkältung" das fundamentale Zweckmäßig- keitsmittel des „kategorischen Imperativs" ist (S. 66), daß der „Weltgeist" die Erfüllungsform der unbedingten Notwendigkeit oder das oberste Grundprinzip der Übereinstimmung im allge- meinen ist (S. 69), daß die „Weltseele" die Eigen- schaft der inneren Zustandsform des Rauminneren selbst (S. 71), und der Mensch die sich bewußt- werdende Bewußtseinsform der Weltseele (S. 73), diese selbst aber die Gebärerin und reale Bildnerin der befruchteten lebendigen kosmischen Formen- welt ist (S. 85) usw. — Wohl wenigen dürfte es glücken, durch „dieses Labyrinth vollständig neuer Vorstellungen und Begriffe" in die vom Ver- fasser erschlossene „Welt von geradezu über- wältigender und ungeahnter geistiger Schönheit und Pracht" einzugehen ! Angersbach. Beiträge zur Kenntnis der Land- und Sü§- wasserfauna Deutsch-Südwestafrlkas, heraus- gegeben von W. Michaelsen (Hamburg) Lief. I. Hamburg. 19 14 L. Friederichsen u. Co. 182 Seiten gr. 8°. 4 Taf., 18 Textabb. und 8 Kartenskizzen. — Preis 12 Mk. Beiträge zur Kenntnis der Meeresfauna West- afrikas, herausgegeben von W. Michaelsen 192 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 12 (Hamburg). Lief. i. Ebenda 1914. 84 Seiten gr. 8". 2 Taf., 2 Portr., 12 Textabb. und 2 Kartenskizzen. — Preis 6 Mk. Um etwaige erdgeschichtliche Beziehungen zwi- schen den drei in die südlichen Meere hineinragenden Kontinentalspitzen Amerikas, Afrikas und Austra- liens aufzuklären, sind von Hamburg aus unter Michaelsen's Leitung drei Expeditionen ent- sandt worden, welche die Faunen der genannten Gebiete (Land, Süßwasser und Küsten) eingehend studieren und damit die zur Entscheidung der Frage notwendige Grundlage schaffen sollten. Die ,, Ergebnisse der Hamburger Magalhaenischen Sammelreise 1891/92" liegen in 3 Bänden ab- geschlossen vor, die ,, Fauna Südwestaustraliens", die während der zweiten Forschungsreise 1905 gesammelt wurde , geht der Schlußdarstellung entgegen; mit den hier angezeigten Lieferungen beginnt die Darstellung der Faunen Südwest- bzw. Westafrikas, wobei aus bestimmten Gründen im Gegensatz zu früher die marine Fauna von der des Festlandes getrennt ist. Das definitive Re- sultat kann natürlich erst nach Abschluß aller drei Werke gewonnen werden; bis dahin müssen wir uns mit den Einzelergebnissen begnügen, die, wie auch die Antwort auf die Hauptfrage ausfallen möge, ihren Wert behalten werden, da es sich um große Landstrecken handelt, die faunistisch noch wenig durchforscht waren. Den Bericht über die Land- und Süßwasser- fauna Deutsch-Südwestafrikas leitet M i ch a e 1 s e n mit einem „Reisebericht" ein, der ein Terrain be- trifft, über das schon viel von Berufenen und Un- berufenen veröffentlicht worden ist und daher viel Neues nicht bringen kann, aber einen eigenartigen Reiz dadurch besitzt, daß ihn ein Zoologe, der in erster Linie der Kleintierwelt nachgeht und deren Lebensverhältnissen nachspürt, gleichzeitig aber auch die Schönheiten der Landschaft zu bewerten versteht, geschrieben hat. P^erner behandelt in dieser ersten Lieferung Michaelsen die Oligo- chäten, Kraepelin die ßryozoa, Skorpione und Solifugen, Sjöstedt die Isopteren und van Douwe die Copepoden. Beschränkt sich dieses Werk auf Deutsch-Süd- vvestafrika, so ist für das zweite, das die Küsten- fauna betrifft, die Grenze nach Norden viel weiter gezogen, nämlich bis zum Kap Verde, weil das Naturhistorische Museum in Hamburg ein reiches Material tropisch-afrikanischer Meerestiere besitzt, das ihm von mehreren Seiten, besonders aber durch C. Hupfer und R. Greeff zuge- flossen ist und noch nicht durchgearbeitet war. Mit Rücksicht darauf, daß die beiden Bereicherer der Hamburger Sammlung nicht mehr unter den Lebenden sind , leitet ihre Biographie die erste Lieferung ein ; sie enthält außerdem eine Bearbeitung der Hydrozoa und Pennatulacea durch B r o c h und der Gephyrea durch W. Fischer. Wir wünschen beiden Werken guten Fortgang in gleich gediegener Form und Ausstattung. M. Braun. Literatur. Külpe, < >., Die Philosophie der Gegenwart in Deutsch- land. Eine Charakteristik ihrer Hauptrichtungen nach Vor- trägen, gehalten im Ferienkurs für Lehrer zu Würzburg. 6. verbesserte Aufl. 41. Bändchen der Sammlung „Aus Natur- und Geisteswelt" Leipzig und Berlin '14, B. G. Teubner. Geb. 1,25 Mk. Weinstein, Prof. Dr. M. B., Der Untergang der Welt und der Erde in Sage und Wissenschaft. 407. Bändchen der gleichen Sammlung. Forch, Dr. K., Das Leuchtgas, seine Herstellung und Verwendung. Kempten und München '14, Jos. Kösel. Geb. I Mk. Volk, K. G. , Geologisches Wanderbuch. Ein Weg- genosse für fahrende Schüler und junge Naturfreunde. 2. Teil. ^Iit 269 Textabbildungen, einer (»rientierungstafel und einem Titelbild. Leipzig und Berlin '14, B. G. Teubner. Geb. 4,40 Mk. See feldner, Dr. E,, Morphogenetische Studien aus dem Gebiete des Fränkischen Jura. Mit 6 Tc.xtfiguren und 6 Tafeln. Heft 3 des 21. Bandes der „Forschungen zur deutschen Landes und Volkskunde". Stuttgart '14, J. Engelhorn. 6,40 Mk. Locy, Prof. Dr. William, Die Biologie und ihre Schöp- fer. Autorisierte Übersetzung der 2. Amerikanischen Auflage von E. Nitardy. Mit 97 Abbildungen im Text. Jena '15. Geb. 8,50 Mk. Gröber, F., Der südliche Tien-Schan. Mit 7 Text- abbildungen, 12 Tafeln und 3 Karten. Heft I des X. Bandes der ,, Geographischen .Abhandlungen." Leipzig und Berlin '14, B. G. Teubner. Geb. 10 Mk. Entomologischesjahrbuch. XXIV. Jahrg. Kalender für alle Insektensammler auf das Jahr 1915. Herausgegeben von Dr. Oskar Krancher. Mit vielen Original-.\bbildungen und einem Inseratenanhange. Leipzig '15, Frankenstein & Wagner. 1,60 Mk. Hann's Lehrbuch der Meteorologie. Lieferung 8 — 10 (Schluß). Leipzig '14, Chr. Herrn. Taucbnitz. Jede Lieferung 3,60 Mk. Buttel-Reepen, Prof. Dr. H. v., Leben und Wesen der Bienen. Mit 60 .Abbildungen nnd einer Tabelle. Braun- schweig '15, Fr. Vieweg & Sohn. Geb. 8 Mk. Levin, Dr. E., Zur Klimatologic und Hydrologie des Peenegebietes (Abflußvorgang der Peene). Mit 10 Text- abbildungen und 9 Tafeln. Berlin '14, E. S. Mittler. 4 Mk. Berichtigung. In der Mitteilung : Wann begann die allgemeine Verwen- dung des Eisens (Nr. 9 des vorl. Jahrgangs, S. 137) ist ein sinnstörender Druckfehler stehen geblieben ; es soll dort auf der I. Spalte, im 4. Absatz, letzte Zeile, statt „Jahrhunderts" richtig ,, Jahrtausends" hci£en. Inhalt: Fehlinger: Die Körpergröläe des Menschen. .Andrce: Betrachtungen über Begrift" und Stellung der allgemeinen Geologie, sowie insbesondere über deren Förderung durch .Aufstellung allgemein-geologischer Sammlungen. (Schluß.) — Einzelberichte: Bürdet: Tränkt der weiße Storch seine Jungen? Loos: Über die Beziehung zwischen Baumneigung und den gefiederten Baumhöhlenbewohnern. Absolon: Kiesige Amphipoden. Gering: Ncmertinen. Sarasin: Ein neuer Fall von Schwanzbildung beim Menschen. Egert: Larven unserer Tritonen. Guthnick: Photo-elektrische Messungen in der .Astrophotomctrie. Ilaberlandt: Zur Physiologie der Zellteilung. Picard: Bevölkerung von Algerien und Tunesien. — Bücherbesprechungen: Verworn: Ideoplastische Kunst. Sinram: Die Welt der höheren Erkenntnis und der Überzeugung. Beiträge zur Kenntnis der Land- und Süßwasserfauna Deutsch Südwestafrikas. Bei- träge zur Kcnnlnis der Meeresfauna Westafrikas. — Literatur: Liste. — Berichtigung. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstrafle IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S, Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 14. Band ; der ganzen Keihe 30. Band. Sonntag, den 28. März 1915. Nummer 13. Über einige Fragen der geologischen Wärmelehre. [Nachdiuck verboten.] Von Raphael Ed. Liesegang. Die Thermophysik ist so weit ausgebildet, daß man erwarten sollte, es sei auch einige Klarheit in jenen Zweigen der Geologie vorhanden, welche sich mit VVärniefragen befassen. Wie wenig dies aber zuweilen der l'all ist, das zeigt die Neben- einanderstellung der Berichte über zwei neuere Veröftentlichungen : F. N ö 1 k e versuchte die Eiszeit dadurch zu erklären, daß das Sonnensystem zu jener Zeit eine kosmische Nebelmasse (vielleicht den Orionnebel) durchquert habe. Die Nebelmassen hätten einen großen Teil des Sonnenlichts zuriickgehalten, und hierdurch sei die Abkühlung der Erde erfolgt. ^J — Ein anderer Gelehrter sprach den Gedanken aus, daß ein scheinbar neuer Stern dann aufleuchte, wenn ein bis zur Dunkelheit abgekühlter Hinmiels- körper in eine kosmische Nebelmasse hineinge- rate. Der gleiche Vorgang soll also hiernach eine ungeheure Erhitzung hervorrufen. Nicht ganz so entgegengesetzt, aber doch sehr weit auseinandergehend sind die Ansichten, welche verschiedene Forscher über die Mitwirkung des Radiumzerfalls im Wärmehaushalt der Erde haben. Die Beantwortung der Frage wird noch schwie- riger werden, wenn man einmal in Erörterungen darüber eintritt, ob in .sehr großen Tiefen viel- leicht eine Synthese des Urans eintritt. Wäh- rend im Reiche der Atome bei einem Zusammen- tritt Wärme frei wird, müßte man im Reiche der Elektronen, insbesondere bei der Synthese des Radiums und seiner noch schwereren Muttersub- stanzen mit einer starken Wärmebindung rechnen. Aus der geothermischen Tielenstute ist ein ungeheurer Hitzegrad des Erdinnern berechnet worden. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, daß man zu einer Extrapolation der Temperaiurzahlen der uns gegenwärtig zugänglichen dünnen Kruste berechtigt ist. Dynamische Betrachtungen über den Wärmeausgleich drängen zu der Annahme, daß das Temperaiurgefälle in viel größeren Tiefen immer weniger steil werde. O. Heß-') bestrich Metallplatten mit einem Stoff, welcher bei einer gewissen Temperatur auf- fällig seine Farbe ändert (Jodsilber- Jodquecksilber). Eine aufgesetzte punktförmige Wärmequelle er- zeugte um sich herum einen immer größer werden- den roten Kreis. Wurde gleichzeitig in der Nähe eine zweite Wärmequelle angebracht, so traten Abweichungen von der Kreisgestalt auf. Die Rö- tung breitete sich in der Verbindungslinie beider Wärmequellen rascher aus als nach den anderen Richtungen. Die Ovale vereinigten sich zu einer Lemniskate, und diese wuchs zu einer Ellipse aus. — Diese Tatsache kann zur Deutung geolo- gischer Erscheinungen herangezogen werden. So befindet sich an der irischen Küste eine .Stelle, an welcher die Kreide von mehreren Basaltgängen durchbrochen ist. Durch die Hitzevvirkung der letzteren ist die benachbarte Kreide auf eine kurze Strecke hin in Marmor umgewandelt. Zwischen zwei Basaltsäulen reicht nun diese Umknstalli- sierung sehr viel weiter. Eine solche gegenseitige Beeinflussung ist nur dann möglich, wenn die Hitzewirkung der Basalt- gänge eine gleichzeitige war. Auch bei anderen Arten von Kontaktwirkung kann man aus deren verschiedener Reichweite Rückschlüsse auf die re- lativen Zeiten der Magmavorschübe machen. In der Umgebung von Plauen sind, ebenso wie an so vielen anderen Orten, die Schiefer durch die Hitzewirkung des benachbarten Granits in P'ruchtschiefer umgewandelt. D. h. es ist in ihnen ein schwärzliches Kontaktmineral : der Cordierit in Form von kleinen Einsprengungen vorhanden. Hier kommt noch etwas Besonderes dazu. B. BaumgärteP) fand nämlich in diesem FVucht- schiefer feine eruptive Quarzgänge. In der un- mittelbaren Nachbarschaft derselben zeigten sich in einer Breite von wenigen Zentimetern die Cor- dieritindividuen bedeutend größer. Dafür war aber ihre Anzahl entsprechend vermindert. — Diese weitere Reifung ist nur dadurch möglich, daß die Hitze der Quarzgänge noch zu jener kam, welche das Granitmassiv bewirkte. Die Quarzgänge können also nicht so viel später nach letzterem vorgedrungen sein, daß das Nebengestein schon erkaltet gewesen wäre. Andererseits ist ein Rückschluß auf ein gewisse Kälte des Nebengesteins erlaubt, wenn man be- obachtet, daß Erupiivgesteingänge randlich fein- körniger erstarrt sind als in der Mitte. Der Unter- schied in der Kristallgröße muß mit zunehmender Tiefe immer geringer werden. Beobachtungen über eine gegenseitige diesbezügliche Beeinflussung mehrerer gleichaltriger Gänge liegen noch nicht vor. Eine von I^udwig und Soret aufgestellte Regel besagt, daß bei der lokalen Erwärmung oder Abkühlung einer homogenen Lösung sich verschiedene Konzentrationen in den Gebieten ver- schiedener Temperatur ausbilden. Es ist viel dar- über gestritten worden, ob durch die langsame ') F. Nölke, Abh. Naturwiss. Verein Bremen 20, 1. 1909. ^) O. Heß, Dissertation Marburg 1907. ') B. Baumgärtel, Zeitsclir. d. Geolog. Ges. 03, 175, 191 1. — Jahresber. Niedersächs. Geolog. Verein 4, 153, 1911 194 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 13 einseitige Abkühlung eines unterirdischen Magma- herdes eine Differentiation des letzteren eintreten könne.^) Man glaubte dagegen besonders ein- wenden zu können, daß infolge der hohen Vis- kosität der Schmelze die Beweglichkeit der Be- standteile darin allzu gering sei. M. Schweig wies darauf hin,-) daß sich in technischen Glas- flüssen die schlierenartigen Ansammlungen gewisser Bestandteile so schwer verteilen, und er bezeich- nete deshalb die Diffussion darin als sehr gering. Er vergaß dabei allerdings, nachzuforschen, ob die Bedingungen in den untersuchten Glasflüssen nicht eher zu einer Ausscheidung (also zu einer zentri- petalen Diffusion) der betreffenden Stoffe drängten. — Wichtige Beiträge zu einer Bejahung der Frage nach der Möglichkeit der Thermodifferentiation der Magmen hat neuerdings H. Wessels^) ge- liefert. Er stellte nämlich fest, daß das Ludwig- Soret'sche Phänomen selbst in festen Körpern möglich sei. Als er Silikatgläser, die mit den Oxyden von Eisen, Mangan oder Chrom gefärbt waren, auf der einen Hälfte tagelang auf etwas über 600" erhitzte, während die andere Hälfte aus dem Ofen herausragte, sammelten sich diese Me- talloxyde teilweise auf der kalten Seite an. Ahn- liche Erfolge wurden mit Borsäuregläsern erhalten. Unabhängig von diesen Arbeiten auf physika- lisch-chemischem Gebiet hat A. Bergeat*) schon vorher das Prinzip der Thermolyse in festen Stoffen zur Beantwortung einer geologischen Frage an- gewandt. Er bemerkt nämlich, daß das Tempe- raturgefälle, welches zeitweilig im Nebengestein um einen Magmaherd herum herrscht, einen er- heblichen Einfluß auf die Verteilung der Erze haben muß. Die leichter löslichen und flüchtigen Stoffe können erst in viel größerem Abstand vom heißen Zentrum zur Verfestigung kommen, als diejenigen, welche schwer schmelzen, lösen oder verdampfen. Aus diesem Grunde ist der Magnetit dem Magma am nächsten. Dann folgt Kupfer- kies, und nach einer an Quarz undWollastonit reiciien Zone schließUch Bleiganz und Zinkblende mit den wasserhaltigen Silikaten. Bei der später folgenden ■ Abkühlung konnten natürlich Blei und Zink auch ') Zusammenfassung bei; F. Loewinson-Lessing, Compt. rend. VII, session du Congri-s geol. Petersburg 1897 und C. Doelter, Hdb. d, Mineralchemie 1, Soo, 1912. 2) M. Schweig, N. Jahrb. f. Min. Beil.-Bd. 17, 516, 1903. ') H. Wessels, Zeitschr. f. physik. Chem. 87, 215, 19 14. ■•) A. Bergcat, Fortschf. d. Mineral. 2, 9, 1912. näher zum Eruptivgestein gelangen. Diese er- scheinen dann wie jüngere Nachschübe, ohne es aber in Wirklichkeit zu sein. In Siebenbürgen befinden sich einige Salzseen mit sehr eigenartiger Wärmeverteilung. Sie sind be- sonders von M. Rözsa studiert worden.') 1,3 m unter der Oberfläche kann eine Temperatur herr- schen, welche 50" höher ist als diejenige der Oberfläche. Die aus dem Sonnenlicht hervor- gehende Wärme wird hier in gleicher Weise wie in einem Gewächshaus gespeichert. Wie das Glas in einem solchen wirkt eine salzarme Wasser- schicht, welche an der Oberfläche durch Bäche oder Regen erzeugt wird. Während hier nur 7,5 "/(, Kochsalz vorhanden sind, steigt dessen Ge- halt bei I m auf i^s"/« und bei 2 m auf 24 "l„. Rözsa überschichtete versuchsweise in 20 cm hohen Porzellangefäßen verdünnte Salzlösung über konzentrierte, und erhielt dann bei auffallendem Sonnenschein immer stärkere Erwärmungen, als wenn er eine homogene Lösung mit dem gleichen Salzgehalt belichtete. Je mehr Lagen von ver- schiedener Konzentration er übereinanderlegte, desto größer wurde die Erwärmung unter sonst gleichen Verhältnissen. Aus eigenen Beobachtungen ergab es sich nun, daß gerade durch die Erwär- mung eine Vermehrung der Schichten von ver- schiedener Konzentralion eintreten kann. Not- wendig war, daß in der Lösung ein Konzentrations- gefäile bestand, und daß dieselbe von unten er- hitzt wurde. Am deutlichsten zeigte sich bisher die Erscheinung beim Coffein Natrium salicj'licum, von welchem 200 g in einen Kolben mit etwa 500 cm Wasser geschüttet und dann durch Ein- stellen in ein niedriges Wasserbad erwärmt wurden. Wegen ihrer höheren Konzentration steigen die erhitzten tieferen Lagen nicht in die Höhe. So konnte in einem Fall die Temperatur unten auf 78" steigen, während an der Oberfläche, d. h. nur 55 mm darüber 18" waren. Bei einem anderen Ansatz, der vor der Erwärmung erst einige Zeit gestanden hatte, und bei welchem deshalb das Konzentrationsgefälle gut ausgebildet war, ent- standen auf 6 mm Höhe 14 sehr scharfe .•\bsatze. Es ist also möglich, daß auch bei den Sieben- bürgener Salzseen gerade durch die Erwärmung die Schichtenbildung, also die Treibhauswirkung verstärkt wird. ') M. Rozsa. Neuere Daten zur Kenntnis der warmen .Salzseen. Berlin 191 1. [Nacluinick verboten.] Feuerfeste Tone. Von Prof. Dr. P. Rohland-Sluttgart. Durch meine kolloidchemischen Unter- suchungen über die Tone, Kaoline usw. ') sind ganz neue Gesichtspunkte in die schon den älte- sten Kulturvölkern bekannte Ton- und keramische Industrie hineingetragen worden. Trotz hoher V^ollendung der keramischen Pro- dukte, auch besonders in Deutschland, waren doch ') Vgl. P. Rohland, Die Tone. A. Hartleben. Wien N. F. XIV. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 195 die Ursachen der wichtigsten Eigenschaften der Tone, der Plastizität, der Seh wind ung, des Binde verm ügens usw. nicht bekannt, und erst dadurch, daß sie auf den Gehalt an kol- loiden Stoffen zurückgeführt wurden , wurde mit einem Schlage dieses ganze Gebiet aufgehellt, das vorher im empirischen Dunkel gelegen hatte. Schon bei den Verwitterungsvorgängen, bei den Vorgängen, bei denen aus den genniti- schen Gesteinen, Porphyr, Gneis, bzw. aus ihren Bestandteilen, den Feldspaten, die Tone und Kaoline gebildet werden, entstehen die Ton- kolloide. Die Feldspate, diese Alkali-Aluminiumdoppel- silikate, werden von der Feuchtigkeit und der Kohlensäure der Luft zersetzt. Das in Freiheit gesetzte Alkali bzw. Karbonat wird vom Wasser fortgeschwemmt, es bleibt ein mehr oder weniger reines Aluminiumsilikat zurück, aus dem in Be- rührung mit Wasser Kolloide, die Hydroxyde des Siliciums und Aluminiums, abgespalten werden. Diese Verwitterungsvorgänge gehen aber nicht überall soweit, und es bleiben Reste der Ur- gesteine dabei zurück. Jedenfalls aber bilden sich hierbei kolloide Stoffe, die Hydroxyde des Siliciums, Aluminiums, Eisens und organische Sub- stanzen, vielleicht Überreste einst organisierter Materie , die zusammen den Tonen Plastizität, Bindevermögen usw. verleihen. Der Sauerstoff der Luft wirkt hierbei in- sofern mit, als die Beimengungen, Verbindungen des Eisens und Mangans oxydiert werden. Durch diesen Verwitterungsvorgang wird zu- gleich eine feine Verteilung des Materials herbei- geführt, so daß es leicht vom Wasser fortgeführt und an anderen Stellen sedimentiert werden kann. Die verschiedenen Tonarten werden am besten durch den Grad der Plastizität, Schmelzpunkt, Bindevermögen usw. charakterisiert. Das Rohmaterial für die Herstellung feuer- fester Steine sind Schiefertone von hohem Schmelzpunkt in Verbindung mit sehr plastischen Tonen. Frisch gebrochener Tonschiefer ist fast unplastisch, erst durch Lagern an der Luft, unter Einwirkung ihrer Feuchtigkeit bilden sich Kolloide, die ihn plastisch machen. Die Zusammensetzung der Tonschiefer ist der chemischen Analyse nach die folgende : IL Hasenton von Grünstadt. I. Tonschiefer von Saarau. 43,84% 36,30% 0,46% 0,19% 0,19% 0,42 Kieselsäure Tonerde Eisenoxyd Calciumoxyd Magnesia Alkalien Glühverlust Kieselsäure 47,33% Tonerde 35,05% Eisenoxyd 2,30% Calciumoxyd 0,16% Magnesia 1,11% Alkalien 3,18% Glühverlust 10,51% 99,64 "/o III. Kieselsäure 44,87% Tonerde 39,07% Eisenoxyd 1,14% Calciumoxyd 0,67 "In Magnesia Spuren Alkalien 0,67% Glühverlust 12,95% 99,97 7o Nach der rationellen Analyse : Ton 99,07 % Quarz 0,32 % Feldspat 0,61 % 17,18% 99,18% Schmelzpunkt: Segerkegel 35. Außer dem hohen Schmelzpunkt sind in den Begriff der Feuerfestigkeit noch einige andere Eigenschaften, wie indifferentes Verhalten gegen Phosphorsäure, schwefelsaure, kohlensaure Alkalien, ferner gegen gesinterte und geschmolzene metallische und glasartige Stoffe bei hoher Tem- peratur mit hineinbezogen. Solche Eigenschaften stehen sowohl mit der chemischen wie der physikalischen Zusammen- setzung der feuerfesten Steine in Zusammenhang. Da offenbar eine größere Diclitigkeit das Eindringen zerstörender Stoffe hemmt, so würden sich zur Herstellung feuerfester Steine ganz be- sonders solche Tone eignen, die in Berührung mit Wasser zahlreiche Kolloide bilden, also sehr plastische Tone eignen, weil sie sich beim Trocknen und Brennen zu einer fest geschlossenen, dichten Masse zusammenziehen. Indessen ist mit einem hohen Cxrade von Plastizität auch starke Schwindung ver- bunden, so daß leicht Risse und Sprünge in den .Steinen entstehen. Auch das ist eine Folge der Kolloidstoffe; diese haben eine große Wasserimbibitions- kraft, das sie dann beim Trocknen abgeben; dadurch wird aber auch eine größere Schwindung erzeugt, die beim schnellen Trocknen zu Rissen und Sprüngen führen kann. Um diesen Übelstand einigermaßen abzuhelfen, fügt man Schamotte (eigentlich Charmotte von scarmare, mager werden) hinzu. Chamotte ist bei sehr hoher Temperatur gebrannter Ton, und wird als Magerungsmittel in grob zerkleinerter Form, als Schamottekörner oder in gefeintem Zu- 196 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XrV. Nr. 13 Stande als Schamottemehl hinzugesetzt. Auch grober scharfkantiger Quarz kann als solches mit gutem Erfolge verwendet werden. Durch diese Zusätze wird eine größere Dichtig- keit der feuerfesten Steine ohne allzu große Schwindung erreicht. Es ist klar, daß die Einwirkung von Säuren, Alkalien oder Feuergasen auf „Schamottesteine", wie diese feuerfesten Steine nunmehr heißen, um so kleiner sein wird, je größer ihre Dichte ist. Aber auch ein rein chemisches Moment ist bei der Beurteilung des Grades der Feuer- festigkeit von .Schamottesteinen in Betracht zu ziehen, das sich nicht verallgemeinern läßt, son- dern für jeden speziellen Fall einer Prüfung unter- zogen werden muß. Die Intensität der Wirkung zerstörender Agentien wird sich nämlich sowohl nach der Zu- sammensetzung dieser Agentien bzw. Feuergase, als auch nach der der verwendeten Schamotte- .steine richten. So hat sich als allgemein gültige Regel heraus- gestellt, daß feuerfeste Steine mit stark basi- schem Charakter gegen Alkalien eine größere Widerstandsfähigkeit besitzen, daß dagegen solche mit hohem Kieselsäuregehalt gegen Säuren diese Eigenschaft zeigen. Z. B. brauchen die Zuckerraffinerien bei dem Strontianverfahren für ihre Öfen hochbasische feuerfeste Steine, die isie aber meistens noch aus England beziehen, da in Deutschland kein ge- eignetes Material vorhanden zu sein scheint, das die erforderlichen Eigenschaften hat. Trotzdem werden auch die englischen Steine verhältnis- mäßig stark angegriffen und müssen öfter erneuert werden. Dagegen besitzen einen hohen Grad von Säure festigkeit die Dinassteine (Dinas bricks), die fast ausschließlich aus Siliciumoxyd (94 — 98 "/(,) und etwas Tonerde, Kalk und Eisen- oxyd bestehen ; während sie also große Wider- standsfähigkeit gegen Säuren haben , wirken basische Stoffe leicht auf sie ein. Zum Unterschied von den im Feuer schwinden- den tonreichen Steinen dehnen sie sich im Feuer beträchtlich aus; das kommt daher, daß sie fast gar keine Kolloidstoffe, denen die Schwin- dung eigentümlich ist, enthalten. Die Dinassteine können hohe Wärmegrade zwar vertragen, sind aber sehr empfindlich gegen plötzlichen Temperatürwechsel. Diese Eigenschaft haben Produkte, die aus Graphit und Ton hergestellt werden; diese bleiben bei schnellem Temperaturwechsel unver- ändert. Die sog. hessisch en Tiegel werden aus Ton und Sand hergestellt, sind aber von geringerer Feuer- beständigkeit als Graphittiegel. Damit ist so ziemlich die Grenze der Feuer- festigkeit der Steine erreicht; sie liegt etwa bei 1830", dem -Schmelzpunkt des reinen Kaolins und des Tonschiefers: 1850". Die Brenntemperatur der Schamottesteine liegt zwischen Segerkegel 10 und 20, Temperaturen von etwa 1330" — 1520" entsprechend. Pur noch höhere Temperaturen, wie sie z. B. im elektrischen Ofen erzielt werden, muß dann reiner Graphit verwandt werden. In der letzten Zeit sind auch Absichten be- kannt geworden, die Ablauge der Sulfit zellu- losefabriken zum Gießen der Tone zu verwenden. Diese Ablauge, die organische, kolloide Stoffe, Gerbstoffe, ferner ligninsulfonsauren Kalk, schwef- lige Säure enthält, ist versuchsweise schon zu allem möglichen verwendet worden, als Futter- mittel, als Gerbstoff, als Straßenstaubbindungs- mittel ist sie benutzt worden; es ist eine dunkel- braune Plüssigkeit, die Konstitution des braunen Farbstoffs ist noch nicht bekannt. Die Tone werden nun zum Gießen verwendbar, wenn sie mit einer Lauge zusammengebracht werden; dabei erfolgt eine kolloidchemische Konstitutionsänderung der Tonteilchen, die mit einer Volumenvergrößerung verbunden ist. Die Ablauge der Sulfitzellulosefabriken reagiert aber sauer infolge ihres Gehalts an schwelliger Säure, Sulfonsäure usw.; infolgedessen erfolgt auf Zusatz dieser Lauge keine Verflüssigung des Tons, die ihn zum Gießen brauchbar macht, sondern vielmehr eine Ansteifung, die eine Zunahme des Elastizitätsgrads bedeutet. Denn alle Stoft'e, die Wasserstoft'ionen ent- halten und sauer reagieren, rufen eine Koagu- lation der Kolloidstoffe der Tone und Kaoline hervor, die mit einer Zunahme am Plastizitätsgrad verbunden ist. Um diese Ablauge der Sulfitzellulosefabriken zum Gießen der Tone zu verwenden, müßte erst ihre Azidität durch Zusatz von Laugen, Kalk usw. beseitigt werden, was aber dann weiter keinen Zweck haben würde. Dagegen läßt sich diese Ablauge, wie ich ge- funden habe, beim Herstellen feuerfester Steine verwenden, denen sie besondere vortreff- liche Eigenschaften verleiht. Ferner adsorbieren Tone und Kaoline kompli- ziert zusammengesetzte Farbstoffe und kol- loidgelöste Stoffe; aber es muß hierbei darauf geachtet werden, daß das benutzte Material ge- nügend Kolloide in Berührung mit Wasser bildet. So hat z. B. N. Carli beobachtet,^) daß der von ihm benutzte Kaolin kein kolloidgelöstes Eisen- hydroxyd adsorbiert. Dagegen haben meine Versuche mit Kaolinen aus Sachsen erg(;ben, daß sie außer kompliziert zusammengesetzten Farbstoffen auch kolloides Eisenhydroxyd adsorbieren. Sie müssen nur erst in Beziehung mit der Feuchtigkeit der Luft Kolloide in genügender Menge gebildet haben. Denn diese bedingen neben der Plastizität, Schwindung und Binde- vermögen auch die Adsorptionsfähigkeit gegenüber diesen Stoffen. ') Zcitschr. phys. Chcni. 2, 1912. N. F. XIV. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 197 Kleinere Mitteilungen. Als es sich darum handelte, das Rekrutierungs- gesetz auch auf die Eingeborenen der Kolonien in Nordafrika auszudehnen, ließ die französische Re- gierung Untersuchungen über die zweckmäßigste Art der Ernährung der eingeborenen IVIannschaften vornehmen. Über die Resultate seiner in den Jahren 1907 — 1909 vorgenommenen Versuche berichtete einer der Beauftragten in der Akademie der Wissenschaften in Paris (Jules Amar, Sur l'ali- mentation et la force des Arabes. C. R. Ac. sc. Paris Nr. 24, 14 decembre 1914). Jetzt, wo meh- rere tausend Araber von Nordafrika unter den französischen Fahnen kämpften, hätten die Resul- tate ein besonderes Interesse, welche die verschiede- nen Faktoren physiologischer und psychologischer Natur beträfen, von denen die Leistungsfähigkeit der Araber abhänge, und die an Hunderten von Eingeborenen Marokkos, Algeriens und Tunesiens gewonnen wurden. Ganz Entsprechendes gelte ja auch für die in der englischen Armee dienenden Indien Aus seinen Stoffwechselversuchen ergab sich, daß bei gleicher Kalorienzahl der Nahrung die- selbe um 7 — 10 "/o besser ausgenutzt und in Muskel- arbeit umgesetzt wurde, wenn die Kost in der landesüblichen Form geboten wurde. So erzielte z. B. eine solche, in der das volkstümliche Kuskus- gericht vertreten war, bei einer um 1 5 "/„ spar- sameren Ration die gleiche Leistungsfähigkeit. Auch Kaffee und Tee erwiesen sich als vorteilhaft, dagegen besteht A. nicht darauf, daß der Speise- zettel was Öl, Datteln und F'eigen anbetreffe, in der gewohnten Weise innegehalten werde. Die Alkaloide von Tee und Kaffee wirkten auf die Verdauungsnerven und damit auf die Verdauung günstig ein. Die Araber seien ausdauernd; ihre Muskelkraft in der Zeiteinheit aber der des Euro- päers kaum gleich. Der Stadtbewohner und der Handwerker seien stärker als der Landbewohner und der Bauer. Auf dem Marsch lege der Araber mit 40—45 kg Last 4,8 — 5 km pro Stunde und 35 — 40 km pro Tag zurück; er vermöge dies mehrere Monate lang zu leisten. Alkoholische Getränke seien strengstens fern zu halten. Die Araber vertrügen den Alkohol schlecht; 50-60 g setzten die physischen Kräfte stark herab. Es sei sonst alles von der niedrigen Temperatur und der Ermüdung des Nervensystems zu befürchten. Man solle Tee oder Kaffee, noch besser gesundes Trinkwasser geben. Kathariner. Über die Verwendung des gehärteten Trans in der Margarinebutter - Fabrikation berichten J. Klimont und R. Mayer in der Zeitschrift für angewandte Chemie (27. I., 645). Trotz des roten Streifens hat sich die Mar- garinebutter im Laufe der Jahre derart als Volks- nahrungsmittel eingebürgert, daß es im Interesse der Konsumenten und ganz besonders auch in demjenigen der Margarinefabrikanten gelegen ist, die Qualität der Margarinebutter einwandfrei be- urteilt zu sehen. Produzent und Konsument sind berechtigt, die Margarinebutter nicht nur als Surrogat, sondern als selbständiges Speisefett auf ein diesem Produkte gebührendes Niveau gehoben zu sehen. In der Tat hat die einwandfrei und kunstgerecht hergestellte Margarinebutter Eigen- schaften, die sie wesentlich und vorteilhaft von willkürlich hergestellten Produkten unterscheidet, was im nachfolgenden näher dargelegt werden soll. Durch die katalytische Hydrogenisierung ani- malischer und vegetabilischer Öle gelangen Pro- dukte in den Handel, welche die volle Aufmerk- samkeit der Chemiker und Margarinebutterfabri- kanten in Anspruch nehmen. Insbesondere deshalb, weil es gelungen ist, den billigen Tran in solcher Weise umzuwandeln, daß er in Gemengen schwer vom Hammel- und Rindertalg zu unterscheiden ist. Der hydrogenisierte Tran ist völlig geruchlos und ist fest und schön wie Ceresin. Es ist also für die Zukunft die Möglichkeit nicht ausge- schlossen, Speisefette vor sich zu sehen, die vor- wiegend aus gehärtetem Tran bestehen. Gegen die Verwendung des gehärteten Trans in der Margarineindustrie können nun allerdings einige Bedenken vorgebracht werden, die haupt- sächlich auf der Unkontrollierbarkeit der Her- stellungsweise des rohen Trans basieren, da ja die Gewißheit fehlt, ob nicht auch das Fett ge- fallener Tiere hydrogenisiert in Nahrungsmittel gelangt. Der ekelerregende Geschmack ver- schwindet ja zwar bei der Hydrogenisierung; es ist jedoch nicht ausgeschlossen , daß er bei längerer Lagerung wieder auftreten kann. Be- kanntlich wird der Tran nach dem Nor mann - sehen Verfahren gehärtet, indem unter Anwesen- heit von Nickel oder Nickeloxyd Wasserstoff hin- durch geleitet wird; hierbei bleibt ein Teil des Nickels im gehärteten Trane zurück, und zwar beträgt die Nickelmenge bei 100 g hydrogeni- siertem Tran bis zu 0,6 mg nach den Unter- suchungen von R. C. Lehmann, H. Thoms und H. Müller. Selbst bei täglichem Genuß dürfte jedoch diese Nickelmenge unschädlich sein. Wichtiger ist jedoch die Tatsache, daß der ge- härtete Tran höher schmilzt, als alle bisher ge- bräuchlichen und für Nahrungszwecke zulässigen festen F"ette. Wenn nun auch der hydrogenisierte Tran nicht als solcher zum Genüsse gelangt, sondern mit weicheren Fetten und Ölen gemischt im Speisefett erscheinen wird, so ist es doch fraglich, ob es für den menschlichen Organismus wirklich gleichgültig ist , wenn ein unter der Körpertemperatur liegender Schmelzpunkt nicht durch die Konstitution des Fettes selbst, sondern durch halbfeste Lösungen von hochschmelzenden in niedrigschmelzenden Fetten erzeugt worden ist. Und in der Tat gibt es Margarinebuttersorten, Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 13 die unbekömmlich sind, weil sie Bestandteile des Preßtalges enthalten, der entweder künstlich zu- gesetzt worden ist, oder aber bei der Oleomarga- rinebereitung durch hohe Kristallisationstempe- ratur hineingelangt ist. Genau so können dann auch bei Verwendung von hydrogenisiertem Tran, der einen ebenso hohen oder noch höheren Schmelzpunkt besitzt als der Preßtalg, sehr wohl Verdauungsschwierigkeiten eintreten. Das Oleomargarin stellt infolge seiner chemi- schen Zusammensetzung ein natürliches Produkt dar, welches nicht leicht künstlich nachgeahmt werden kann, ohne daß dessen wertvollste Eigen- schaft, die leichte Schmelzbarkeit, ungünstig be- einflußt würde. Zur Untersuchung der höchstschmelzenden Be- standteile hydrogenisierter Trane kam nur die durch fraktionierte Kristallisation und Fällung be- wirkte Trennung der höchstschmelzenden Gly- ceride von anderen Fettelementen mittels ver- schiedenartiger Lösungsmittel in Betracht. Das Vorkommen vieler ungesättigter, hochmolekularer Fettsäuren im rohen Tran ließ vermuten, daß aus dem Härtungsprodukte verhältnismäßig leicht die daraus entstandenen gesättigten Glyceride mit hohem Schmelzpunkte abzuscheiden sein würden. Die Versuche zeigten jedoch, daß im hydrogeni- sierten Trane keine derartig charakteristische, hochschmelzende und leicht abscheidbare Ver- bindungen vorhanden sind, welche als Kriterien für dessen Anwesenheit dienen könnten. Ein Nachweis von Nickel gelang den Verfassern nicht. Die für Tranöle sonst spezifische Reaktion der Abscheidung von Oktobromiden der ungesättigten Fettsäuren versagt aus leicht begreiflichen Gründen beim hydrogenisierten Produkte. Die Fabrikation der Margarinebutter findet be- kanntlich in der Weise statt, daß die niedriger schmelzenden Anteile des Rindstalges, welche durch Auspressen eines bei 35 — 36" erstarrten „Premier jus" gewonnen werden und den Namen Oleomargarin führen, mit Milch gekirnt und nach Zusatz von Sesamöl sodann gebuttert werden. Der Schmelzpunkt vom Oleomargarin hängt selbst- verständlich nicht nur vom Rohmaterial, sondern auch von der Temperatur ab, bei welcher die Pressung erfolgt, er schwankt jedoch nur zwischen 30 — 40". In manchen Margarinebutterfabriken kommt es jedoch bisweilen vor, daß der Rück- stand aus der Auspressung vom Oleomargarin, der sog. Preßtalg, der einen Schmelzpunkt bis zu 52" hat, ebenfalls mit dem Oleomargarin zu- sammen zu Margarinebutter verarbeitet wird. Um diesen Zusatz zu verdecken, muß der F"abrikant so viel Öl zum Preßtalg zusetzen, daß der Schmelz- punkt des Gemisches etwa gleich dem des Oleo- margarins ist. Elbenso wäre zwecks Beimengung von gehärtetem Tran zum Oleomargarin eine Herabminderung des Schmelzpunktes durch ein Speiseöl erforderlich. Alle diese Produkte mit künstlich herabgesetztem Schmelzpunkt müssen nun die in ihnen enthaltenen hochschmelzenden Komponenten in größerer Menge abscheiden lassen, als wirkliches Oleomargarin, welches eben durch Entfernung der hochschmelzenden Anteile ge- wonnen wurde und der Hauptsache nach niedrig- schmelzende gemischte Glyceride enthält. Aceton hat nun die Eigenschaft, Fette in der Wärme leicht zu lösen, während mit fortschreiten- der Abkühlung die festen Glyceride ausfallen, während die flüssigen und halbfesten Bestandteile in Lösung bleiben. Zuerst kristallisieren die am höchsten schmelzenden Fettelemente. Die Menge der höchstschmelzenden Bestand- teile läßt sich nun auf folgende Weise leicht be- stimmen : ,,2 — 3 g Fett werden in einem 50 ccm Meß- kölbchen gewogen, durch Einstellen in warmes Wasser geschmolzen und in Aceton, welches bis zur Marke eingefüllt wird, unter Umschütteln ge- löst. Nach 12 stündigem Stehen bei Zimmer- temperatur (15°) werden die abgeschiedeneu Kristalle auf einem gewogenen Filter abgesaugt. Das Filter mit samt dem Rückstände trocknet man bei 100" bis zum Verschwinden des Aceton- geruches. Nach dem Erkalten wird gewogen und die auf die ursprüngliche Substanz berechnete Ausbeute prozentual bestimmt." Auf diese Weise ist es möglich, die Beimengungen hochschmelzen- der Fette zum Oleomargarin festzustellen. Die Versuchsergebnisse lassen den Schluß zu, daß Zusätze von hydrogenisiertem Tran zum Oleo- margarin die normalen festen Anteile letzterer über 12 — 16"/^ hinaus erhöhen. Schon bei einem Zusatz von 9%, einer Mischung von hydrogeni- siertem Tran mit Rüböl zum Oleomargarin, mit- hin schon bei einem Zusatz von 3,5 *'„ gehärteten Trans, ist eine größere Abscheidung an festen Anteilen als sonst in jeder Margarinebutter nach- weisbar. Otto Bürger. Den Einfluß des Menschen auf die Natur behandelt Prof. Dr. W. Ule in der Zeitschrift „Himmel und Erde", 24. Jahrg., S. 348 — 365. Wie alle Organismen, so ist auch der Mensch in hohem Maße von der umgebenden Natur ab- hängig und er wird von ihr stark beeinflußt. Im Gegensatz zu den anderen Lebewesen steht aber der Mensch nicht willen- und hilflos der Natur gegenüber, sondern sein Wille hat ihn vielmehr wieder vielfach vom Einfluß der Natur befreit und sogar zum Herrn seiner Umgebung gemacht: Unter allen Faktoren, die das Antlitz der Erde verändern, ist der Mensch unstreitig einer der gewaltigsten. In bezug auf den Grad ihrer Ein- wirkung auf die Natur verhalten sich die Völker freilich sehr verschieden. Je weiter die Kultur eines Volkes fortgeschritten ist, desto tiefergreifend ist die Umgestaltung der Natur seines Wohn- gebietes. U 1 e sagt : Die sog. Wilden vergehen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Wir nennen sie Naturvölker, weil sie eben noch in völliger Abhängigkeit von der Natur leben. Dazu gehören alle Sammel- und Jägervölker, aber auch N. F. XIV. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 199 noch die meisten Hirtenvölker, deren Existenz nur an das Vorhandensein von Weide gebunden ist, die sich fast überall auf der Erde findet. Ist die Weide abgefressen, so ziehen die Herden weiter zu einer anderen und der alte Weideplatz bleibt in seinem Äußeren unverändert. Selbst von der Ansiediung des Menschen zeugen dann auf solchem Weideland nirgends Spuren, denn diese Hirten ziehen im wahren Sinne des Wortes mit Sack und Pack mit der Herde weiter. Ihr ganzes Leben, alle Geräte und selbst die Wohn- hütten, sind dem steten Wanderleben und da- mit der Natur ihres Wohngebietes angepaßt. Sogar auf höherer Kulturstufe, wie bei den Beduinen und bei vielen Negern, bleiben die Hirtenvölker im allgemeinen ohne Einfluß auf ihre Umgebung. Erst mit dem Ackerbau und der Seßhaftigkeit beginnt ein solcher Einfluß, wird die Naturland- schaft in eine Kulturlandschaft umgestaltet, treten künstliche an die Stelle der natürlichen Pflanzenbestände, nehmen geschontes Wild oder gezähmte Haustiere die Stelle der wilden Tiere ein. In Steppenländern, wo Getreidefelder an die Stelle der Grasflächen treten, ist die Veränderung der Natur nicht gar auffallend. Viel größer ist sie, wenn erst Busch und Wald beseitigt werden müssen, bevor Getreidefelder angelegt werden können ; an die Stelle des Waldes tritt in solchen Fällen ein Vegetationsbild, das dem der Steppe gleicht. Die Möglichkeit der Umwandlung des Pflanzen- kleides ist durch das Klima und die Boden- beschaffenheit sehr beschränkt. In den Tropen gleichen die Kulturpflanzen weit mehr als in den gemäßigten Erdstrichen jenen Pflanzen, welche die natürliche Vegetation bilden ; es sind oft Bäume wie diese. Die Plantagen schaffen kaum ein neues Landschaftsbild. Deshalb ist in den Tropen der Unterschied zwischen Natur- und Kulturlandschaft gering. F"erner stellt sich infolge der Üppigkeit des Pflanzenwuchses der ursprüng- liche Landschaftscharakter viel schneller wieder her als bei uns. Doch gibt es auch in den Tropen stark umwandelnde Eingriffe des Menschen, wie etwa die Anlage von Reisfeldern, durch welche die tropische Landschaft der Kultursteppe unserer Breiten ähnlich gemacht wird. Ein gutes Beispiel der Umwandlung eines Naturlandes in ein Kulturland bietet Italien, das ursprünglich Waldland war, aus dem schon in der Zeit der römischen Republik ein Getreide- und Weinland wurde. Zur römischen Kaiserzeit wurde das Bild abermals verändert, als unter der wirtschaftlichen Blüte Italien zu jenem Gartenland gemacht wurde, das es im wesentlichen bis heute geblieben ist. Oftmals treten unwillkürliche Umwand- lungen in Begleitung der gewollten auf; sie sind oft von diesen nur schwer zu unterscheiden und häufig für sie nachteilig. Es sei nur an die Einführung der Unkräuter zusammen mit dem Getreide erinnert. Mit der Umwandlung der Waldlandschaften in Ackerlandschaften wurden vielen Tieren die Existenzbedingungen geraubt: An die Stelle der Waldtiere traten Feld- und Wiesentiere. Das Aussterben der wilden Tiere in Kulturländern ist eben nicht nur eine P'olge der Jagdlust der Menschen, sondern eben so sehr auch eine Wirkung der Bodenkultur. Doch der Mensch hat nicht bloß vernichtet, er hat auch neues Tierleben eingeführt, und zwar, wie bei den Pflanzen, absichtlich und unabsichtlich. Vielfach hat der Mensch durch Einführung seiner Nutztiere vordem öde Landschaften erst belebt und damit auch für den Menschen bewohnbar gemacht. Zum Teil sind die eingeführten Haustiere wieder ver- wildert, wie die Pferde in den Pampas Süd- amerikas, die Kaninchen in Australien usw. Außer den nützlichen Tieren haben Händler und Kolo- nisten auch überall hin Schädlinge mitgebracht, wie Ratten, Mäuse, Spatzen usw. Der Mensch wirkt nicht bloß auf die Pflanzen- und Tierwelt, sondern auch auf die Boden - g est alt und das Klima ein. Bekannt ist der Streit über den Einfluß des Waldes auf den Niederschlag; nach Ule's Ansicht wurde dieser Einfluß weit überschätzt. Durch künstliche Bewässerung und Entwässerung hat der Mensch stark umgestaltend auf seine Umgebung gewirkt. Er hat damit oft menschenleere Einöden zu den dichtest besiedelten Ländern der Erde gemacht. Für die Bewässerung kommen hauptsächlich nur warme Gebiete der Erde in Betracht, besonders jene, wo es gerade in der wärmeren Jahreszeit an Befeuchtung mangelt. Es sind das die Subtropengebiete der Erde mit Winterregen und Sommerdürre, wozu auch die Mittelmeer- länder gehören. Gerade die künstlich bewässerten Landschaften erweisen sich so recht als Schöpf- ungen der Menschen; sie bestehen und vergehen mit ihm. Wo der Mensch in solchen Gebieten seine ländergestaltende Arbeit vernachlässigt hat, da stellt sich sofort Verfall ein. Darum, sagt Ule, finden wir so viele Ruinen einstiger Kultursitze inmitten der Wüsten. Man hat aus dem Vorhandensein dieser Ruinenstätten auf Klimaänderungen geschlossen — wie z. B. in Zentralasien ^) — , allein die großartigen Bewässe- rungsanlagen oder künstlichen Wasserleitungen, die sich immer bei solchen Ruinen finden, be- weisen nur zu deutlich, daß auch zur Zeit der Blüte jener Städte schon Wasser- mangel herrschte, daß die dauernde An- siedelung zahlreicher Menschen nur durch deren eigenes Wirken möglich gewesen ist. Kaum weniger bedeutsam sind die Anlagen, die der Mensch in Gebieten mit zu reicher Be- netzung ausgeführt hat, die Entwässerungsarbeiten. ') Vgl. meinen Bericht über Mark Aurel Sl< Reise in Zentralasien, „Urania", 5. Jahrg., S. 699—704. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 13 Wir finden sie vorwiegend in den Tiefländern der gemäßigten Zone, wo infolge der Ebenheit des Bodens das Wasser nicht abzufließen vermag. In manchen Gebieten, wie in der Poebene, findet man künstliche Bewässerungs- und Entwässerungs- anlagen kombiniert. Zu den Folgen der Ent- wässerung sumpfiger Gebiete gehört auch die Einschränkung oder das Aufhören der dort auf- tretenden Fieberkrankheiten. An den Meereskijsten, wie z. B. an den Nord- seeküsten, kämpfen die Menschen erfolgreich gegen das Vordringen der Hüten, und sie ringen dem Meere einstmals verlorenes Land wieder ab. Weit- hin sind heute die Küsten in ihrem Verlauf durch den Menschen allein bestimmt und sie haben ein von dem natürlichen stark verschiedenes Aus- sehen erlangt. Die Verkehrsanlagen bedeuten gleichfalls meist gewaltige Eingriffe in die natürlichen Verhältnisse, wie etwa die Anlage von Dämmen, Schleusen und Überfällen bei Flußregulierungen , der Bau von Kanälen usw. Am gewaltigsten sind auf diesem Gebiete jene Werke, durch welche Meere miteinander verbunden werden. Der Bau von Eisenbalinen wirkt hauptsächlich durch die in seinem Gefolge auftretende dichte Besiedelung der berührten Ge- biete umgestaltend auf diese. Es entstehen Dörfer und Städte, die viel zur Eigenart des Landschafts- bildes beitragen. Allerdings müssen auch Lock- mittel für die dichtere Besiedelung vorhanden sein und die wichtigsten davon sind Fruchtbarkeit des Bodens und mineralische Hilfsquellen, be- sonders Kohle und Eisen : Diese geben die Grund- lage für Bergbau und Industrie, durch die wieder der Mensch die Natur seiner Umgebung in be- deutendem Maße beeinflußt. Industrie und Berg- bau, die durch reiche Naturschätze eines Gebietes angelockt werden, haben oft arge Entstellungen des Landschaftsbildes und Beschädigung der Vege- tation durch Rauch usw. zur Folge, wogegen man bei uns anzukämpfen beginnt, während man sich in Amerika und anderen Ländern gegen solche Verunstaltungen noch völlig indifferent verhält. Ganz richtig sagt Ule diesbezüglich: Man wird ohne Erhöhung der Anlagekosten Industrie- und Bergbaubetriebe errichten können, die das Auge nicht verletzen. Mit dem Fortschritt der Kultur wird auch der Einfluß des Menschen nach dieser Richtung geläutert werden. H. Fehlinger. Einzelberichte. Zoologie. Die Untersuchung der Entwicklung von Rieseneiern von Echiniden durch J. A. Bierens de Haan hat zu recht interessanten Ergebnissen geführt. Aus unbekannter Ursache fanden sich in den Ovarien von Sphaerechiiais grannlaris häufiger als sonst sog. Rieseneier, die, wie Messungen ergeben , das doppelte Volumen der normalen besitzen. Diese Eier sind entwick- lungsfähig: wenn auch ein großer Teil infolge von Polyspermie sich unregelmäßig furcht und auf dem Blastulastadium abstirbt, so entwickelten sich andere ganz normal und ungefähr in dem- selben Tempo wie unter den gleichen Bedingun- gen gehaltene Normaleier derselben Art. Ein Vergleich der Maße der Normallarven (Blastula, Gastrula und Pluteus) mit denen der Riesenlarven lehrte, daß die letzteren das doppelt-normale Volumen aufweisen, ebenso ihre Organe. \\'enn man berücksichtigt, daß die Ausgangszelle der Riesenlarven doppeltgroß war und die Furchung wie bei Normallarven abläuft, so ist der Schluß berechtigt, daß nicht nur die Furcliungsstadien der Rieseneier aus der Normalzahl doppeltgroßer Furchinigszellen bestehen, sondern auch die späte- ren Stadien bis zum Pluteus, deren Zellen sich freilich nicht zählen lassen ; immerhin gelang es festzustellen, daß Riesengastrulae mit zwei Skelet- dreistrahlern und einem Ring von Mesenchymzellen diese letzteren in derselben Zahl gebildet haben wie entsprechend weit entwickelte Normallarven, daß aber ihr Volumen doppelt so groß ist. Der Autor hat ferner auch die Chromosomenzahl in Ftirchung begriffener, befruchteter Rieseneier von SpJiaerecJiinns gezählt und 60 — 63 gefunden; da nun Sphaercchimis in den reifen Geschlechts- zellen 20 Chromosomen führt, so kommen von den gefundenen 60 — 63 Chromosomen befruchteter und sich teilender Rieseneier 20 auf das einge- drungene Spermatozoon, die übrigen (rund) 40 auf das reife Riesenei, das demnach bivalent ist. Die Elntstehung der Rieseneier ist noch nicht sicher aufgeklärt; manches spricht dafür, daß sie aus Verschmelzung von zwei reifen Normaleiern ihren Ursprung nehmen, was sich experimentell nachahmen läßt. Es kommen jedoch auch unreife Rieseneier bei Sphacrccliiiuis vor, die wohl aus Verschmelzung von noch unreifen Normaleiern (Oocyten) hervorgehen ; ob sie reifen , befruchtet werden und sich entwickeln können, ist nicht be- kannt, ebensowenig die Ursache, die überhaupt zu solchen Verschmelzungen führt. Jedenfalls lassen sich die bivalenten Rieseneier von SpJiacrccMiiiis befruchten und entwickeln sich bis zum Pluteus; es spricht nichts dagegen, daß solche Riesenplutei sich nicht auch weiter entwickeln und metamorpho- sieren könnten. Dann würden, falls nicht nachträg- lich eine Regulation eintritt, Individuen entstehen, deren Zellen (statt 40) 60 Chromosomen führen. Wenn nun aber, was bis jetzt nicht beobachtet ist, Sphacrcchinus entsprechend den bivalenten Eiern auch bivalente Spermatozoen bilden könnte und eine Befruchtung möglich wäre, dann gäbe CS Individuen mit der doppelten Chromosomen- zahl (80 in den Körper- und 40 in den reifen N. F. XIV. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Geschlechtszellen). Der Verf. erinnert an Oeno- thera gigas , an Ascaris megalocephala uriivalens und bivalens und an Echiiuts microtubcrcnlaius, welch letzterer jetzt nach Boveri die doppelte Chromosomenzahl gegenüber früher aufweist, was vielleicht auf dem vermuteten Wege zustande gekommen ist. Riesenbildungen entstehen bei Echiniden auch durch völlige Verschmelzung normaler Blastulae; es sind total verwachsene Zwillingsbildungen, deren Körper aus der doppelten Anzahl normal großer Zellen besteht und sich dadurch von aus Rieseneiern hervorgegangenen unterscheidet. Brn. Über die Tierwelt der Quellen in der Um- gebung von Basel veröffentlicht K.Born hauser eine interessante Studie, die auf der Untersuchung von 680 Quellen beruht. Als Quellen bezeichnet der Verf. festumschriebene Ortlichkeiten von natürlicher Beschaffenheit, wo Wasser zutage tritt, und unterscheidet Sturzquellen (Rheokrenen) und Tümpelquellen (Limnokrenen). Sturzquellen sind solche, bei denen das Wasser seitlich abfließt und sofort mit stärkerem oder schwächerem Gefäll zu Tal eilt; sie haben steinigen Untergrund, sind nicht bewachsen oder bieten nur spärliche Moos- und Algenrasen dar. Bei den Tümpelquellen sammelt sich das aufsteigende Wasser erst in einer Art Weiher an, der verschieden groß sein kann, schlammigen oder humösen Untergrund und dementsprechend reichlicheren Pflanzenwuchs aufweist. Fast alle Quellen des untersuchten Ge- bietes sind ausgesprochen kalte Gewässer. Ins- gesamt wurden 287 Arten Wirbelloser, die 147 Gattungen angehören, aufgefunden. Nur typische Sturzquellen beherbergen eine biologisch einheit- liche Fauna; diejenige der Tümpelquellen ist ge- mischt aus Formen stehender Gewässer, echten Bachtieren und erratischen Elementen; eupe- lagische Tiere fehlen den Quellen. Untergrund, Vegetation, Gesteinsart und aquatile Nachbarschaft sind wie auch sonst im Wasser von Einfluß aui die qualitative und quantitative Entwicklung des Tierlebens in den Quellen. Der wichtigste bio- logische Faktor ist aber die Temperatur; konstant warme Quellen und Limnokrenen mit starken Temperaturschwankungen, besitzen eine rein kosmopolitisch- eurytherme Fauna, in den kalten Quellen dagegen ist neben Ubiquisten die steno- therme Kaltwasserfauna reich vertreten, auch fehlt hier infolge der dauernd tiefen Temperatur jeder Einfluß der Jahreszeiten auf das Tierleben. In zweifacher Hinsicht ist die Tierwelt der Quellen eine Mischfauna: biologisch insofern, als sie aus Ubiquisten, stenothermen Kaltwasserformen und Elementen der subterranen Fauna, die auch für die Umgebung Basels regelmäßig in Quellen auf- treten, besteht, und geographisch insofern, als sie aus Kosmopoliten, alpinen, montanen, nordisclnen und profunden Formen zusammengesetzt ist. Die stenothermen Kaltwasserformen sind in der Ebene zu echten Quellentieren (Krenobien) geworden und müssen als Reste der eiszeitlichen Misch- fauna betrachtet werden. Mit dem Rückzug der Gletscher stieg die Temperatur in den meisten Seichtwässern der Ebene und die Temperatur- schwankungen wurden größer — die Folge war eine Auswanderung der Kaltwasserformen nach Gewässern, in denen die eiszeitlichen thermischen Bedingungen bestehen blieben, das sind Berg- bäche, Alpenseen, Gewässer des Nordens und des Erdinnern sowie die Tiefenregion der Alpenrand- seen und zahlreiche Quellen der Ebene. Aber nur dort ist die Anwesenheit stenothermer Tiere festzustellen, wo zu der dauernd niedrigen Tem- peratur noch Bedingungen hinzukommen, die das Einwandern von Kosmopoliten wenigstens er- schweren. Manche Formen suchten die kühlen Wasserläufe des Erdinnern auf, bildeten sich dort zu Dunkeltieren um und erreichten von dort aus kalte Quellen. Nur mit dieser Anschauung läßt sich das Vorkommen montaner, alpiner, nordischer, profunder und subterraner Arten in den kalten Quellen der Ebene verständlich machen. Brn. Die Opilioniden- Fauna von Norddeutschland stellt O. Le Roi nach Revision verschiedener Sammlungen zusammen; es sind im ganzen 17 Arten mit Sicherheit nachzuweisen, die 11 Gat- tungen angehören. Die meisten Arten sind in ganz Europa verbreitet, zum Teil auch in Mittel- und Nordasien sowie in Nordafrika, 2 kommen außerdem noch in Nordamerika vor. Lcibumim rupestrc , das an die Küstenländer gebunden zu sein scheint, aber auch im Gebirge in Deutsch- land und in den Alpen vorkommt, dürfte westlich das Gebiet nicht überschreiten, während 5 andere Arten, soweit sich bis jetzt urteilen läßt, die Ost- grenze ihrer Verbreitung in Norddeutschland fan- den. Die meisten Arten treten allenthalben gleich- mäßig auf; Anelasinoccphalus canibridgci ist im Gebiet bisher nur aus der Umgebung von Ham- burg bekannt, ist aber auch sonst in Deutschland selten (nur 3 Fundorte), während der bisher auch nur sporadisch gefundene Trogiiliis tncariiiafiis weiter verbreitet sein dürfte — er wird wegen seiner Wanzenähnlichkeit wohl oft verkannt, bzw., da er schwer aufzufinden ist, übersehen. Brn. Zur Adventivfauna. Die Zahl der durch exotische Pflanzen in botanische Gärten Europas eingeführten Tiere, die sich freilich nicht immer dauernd erhalten, ist schon eine recht beträcht- liche und würde gewiß noch größer sein, wenn Zoologen sich der Durchmusterung der tierischen Bewohner von Gewächshäusern mehr angelegen sein ließen. Für den botanischen Garten in Basel stellt R. Menzel das Vorkommen folgender Kruster fest: Sfri/nrYpris umlrolii/soin' Brady, im Viktoria-regia-Bassin lebend und sich dort par- thenogenetisch fortpflanzend (Heimat: Asien, Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 13 Australien und Ostafrika), Cypndopsts globulus Sars, ein Australier, der sich in einer im Freien stehenden Tonne vorfand, und Orchestia seniii n. sp., ein Amphipode, der aus der Umgebung von Buitenzorg (Java) nach Basel verschleppt worden ist. Brn. Fischegel (Ichthyobdellidae) in Deutschland. ManHiennt nur 2 Arten : Piscicola gcomdra (L.), die häufig ist und auch an Ostseefischen i) vor- kommt, und P. respirans Trosch., die erst 1850 an Barben entdeckt und 1858 von Diesingzum Vertreter einer besonderen Qi2X\.\\x\^(Cystohranchus) erhoben worden ist. Die hauptsächlichsten Unter- schiede liegen in der Zahl der auf ein Körper- segment kommenden Ringel (14 bei Piscicola, 7 bei Cystobraiichiis) und in der Ausbildung der an den Körperseiten stehenden pulsierenden Bläs- chen, die bei Cystobranchiis stets deutlich hervor- treten, während sie bei Piscicola oft kaum wahr- nehmbar sind. Cvsfobranchiis respirans ist aus Deutschland nur ' von wenigen Stellen bekannt geworden, aus dem Rhein und der Sieg in der Nähe von Bonn und aus der Nagold in Württem- berg; neuerdings meldet Wund seh das Vor- kommen dieser Art aus der Felda, einem Neben- fluß der Werra, wo sie Cboiidrosfovia nasiis be- fallen hatte; der andere Fundort, Brölbach (Zufluß der Sieg bei Hennef) fällt in das bereits bekannte Verbreitungsgebiet. Verf kennt die Art aus den Altwässern des Mains bei Würzburg, die aber wohl heute nicht mehr bestehen. M. Brn. Paläontologie. Eine Monographie englischer Graptolithen. 1 90 1 erschien der erste von den i o Bän- den des im~Februar 1914 abgeschlossenen Werkes der Gertrude L.Elle s und Et hei M. R. Wood als „Monograph of British Graptolites". Alles Wissen über diese zur Zonengliederung des eng- lischen Silurs so wichtigen Tiere ist in diesem umfangreichen Werke zusammengefaßt. Von der ältesten diese Tiere behandelnden Literatur bis zu den im Jahre 1901 erschienenen Arbeiten ist in Auswahl eine Übersicht gegeben, so daß bei jeder angeführten Arbeit die in ihr neu beschrie- benen Spezies ausdrücklich erwähnt werden. Leider vermißt man manche deutsche Abhandlung, wie z. B. die grundlegenden Arbeiten R. Eisel's ') Die in Mund- und Kiemenhölilen von Ostseefischen (Gadtis callarias und PUwoiucles fients) vorkommenden Fisch- egel unterscheidet Grube (N. Preuß. Prov.-Bl. Vit. 1849. p. 424") als Phc. maculata von der Siißwasserform ( P. i,'eom.), gibt jedoch selbst an, daß der Unterschied „nur durch die meistens großgefleckte Zeichnung" gegeben ist. Nach Jo- hann sen variieren aber gerade die Brackwasserformen der Piscicola geometra sehr stark, stärker als die des süßen Wassers. Auf verschiedenen Meeresfischen des Kattegat und Skagerak, aber auch im Sund bei Helsingborg lebt Piscicola nodulif/ra Malm 1863, die jetzt zur Gattung Callobddla v. Ben. et. H. gestellt wird. Lata - iilgaris der Umgebung von Stockholm und des Wetternsees beherbergt eine zweite, durch das Fehlen der .'\ugen gekennzeichnete Cystoliiatichus-\t\. {C. mammillatus Malm), die vielleicht noch in Ostpreußen und den baltischen Provinzen gefunden werden wird. Über die ostthüringischen Graptolithen, obwohl der Monograptus Reitzhainensis Eisel von den beiden Verfassern als Art Eisel's Seite 473 an- geführt wird. Der Methode bei der Bestimmung der einzel- nen Arten ist das Millimetermaß zugrunde gelegt. Sikula und Zelle und Zellenzahl werden nach Millimetern gemessen. Darum die vielen neuen Arten und neuen Varianten. Mir scheint es, als ob von den beiden Verfassern die doch auch in England beobachtete Verdrückung der Grapto- lithen bei Neuaufstellung von Spezies und Varietät nicht berücksichtigt worden ist. So erscheinen manche neue Spezies und Variante dem ostthüringer Kenner der Graptolithen als nichts anderes als Verdrückungsvarianten, die Gebirgsdruck erzeugte. Und wenn man das Gummispannbrett Eisel's benutzt, so ist es unschwer, manche der neu beschriebenen Spezies und Varianten durch Ex- periment herzustellen. 1879—80 hatte Lapworth in seinem grund- legenden Zonenwerke über englische Graptolithen (On the Geological Distribution of the Rhabdo- phora) den ersten Versuch gemacht, nach dem Auftreten der Graptolithen das englische Silur in 20 Zonen einzuteilen, von denen 1 —9 dem Ordo- wician und 10—20 dem Silur angehören. M. Ell es und M. Wood konnten nun in diesem Werke vermöge ihrer Mehraufstellung von neuen Spezies und Varianten eine noch ins ein- zelnere gehende Zoneneinteilung wie Lapworth treffen. Sie zerlegen das Silur Englands in 36 Zonen und führen für jede Zone einen charakte- ristischen Graptolith an, wie es Lapworth auch schon getan hatte. Neu beschrieben werden 36 Arten und ebensoviel Varianten. Die Rastriten, jene Graptolithen, deren auffallend lange Zellen sich an der Virgula nicht berühren, werden von den beiden Verfassern zu den eigentlichen Mono- grapten gezählt. Die ihrem Werk zugrunde gelegte Systematik ist folgende: Familie der Dichograptidae, Lapworth. Genus: Didymograptus, M'Coy. 7 Gruppen. Genus: Tetragraptus, Salter. 5 Gruppen. Genus: Schizograptus, Nicholson. Genus: Trochograptus, Holm. Genus: Holograptus, Holm. Genus: Dichograptus, Salter. 2 Gruppen. Genus: Loganograptus, Hall. Genus: Monograptus, Hall. Genus: Temnograptus, Nicholson. Genus: Bryograptus, Lapworth. 2 Gruppen. Genus: Trichograptus, Nicholson. Genus: Azygograptus , Nicholson und Lapworth. 3 Gruppen. N. F. XIV. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 203 A js „A Menographe of British GraptoHtes". 1914. Aus „On the Geological Distri- bution of the Rhabdophora". 1879—80. Stratigraphie 36 Mon. leinwardinensis 20 Mon. Niisoni Lower Ludlow 35 34 Mon. tumescens Mon. scanicus 33 Mon. Niisoni 19 Mon. testis 32 Mon. vulgatus 31 Cyrtogr. Lundgreni 18 Cyrt. Linnarsoni Wenlock 30 Cyrt. rigidus 29 Cyrt. Linnarsoni 28 Cyrt. symetricus 17 Cyrt. Murchisoni 27 Mon. riccartonensis 26 Cyrt. Murchisoni 25 Mon. crenulatus 16 Cyrt. Grayi Taranon ^ 24 Mon. griestonensis 23 Mon. crispus IS Mon. exiguus m Mon. turriculatus Band mit Mon. (R.) maximus 22 14 Rastr. maximus Llandovery 21 Mon. Sedgwicki 13 Mon. spinigerus, Subzone : Ceph. cometa 20 Band mit Ceph. cometa Mon. convolutus 12 Mon. gregarius 19 Mon. gregarius Subzone: M. argentus „ M. triangulatus „ M. fimbriatus 18 Mon. cyphus II Dipl. vesiculosus 17 Mesogr. modestus und Orthogr. vesiculosus 16 Cephalogr. acuminatus 10 Dipl. acuminatus 15 Dicellogr. anceps 9 Dicellogr. anceps Caradoc 1 . 14 Dicellogr. complanatus 8 Dicellogr. complanatus 13 Pleurograpt. linearis 7 Pleurogr. linearis 12 Dicranogr. Clingani 6 Dicranogr. Clingani II Climacogr. Wilsoni 6-5 Cl. Wilsoni 10 Clim. peltifer und Mesogr. multidens 5 Coenogr. gracilis Llandeilo U 9 Nemagr. gracilis 0 8 Glyptogr. teretiusculus -0 i-, 7 Didymogr. Murchisoni 4 Didymogr. Murchisoni 0 6 Didymogr. bifidus 3 Didymogr. bifidus Arenig 5 Didymogr. hirundo 2 Tetragr. bryonoides 4 Didymogr. extensus 3 Dichograptus 2 Bryograptus I Bryogr. Callavei Trematoc Cambrium I Dictyonema gracilis 204 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 13 Genus: Phyllograptus, Hall. Familie der Leptograptidae, Lapworth. Genus: Leptograptus, Lapworth. Genus: Pleurograptus, Nicholson. Genus: Amphigraptus, Lapworth. Genus: Nemagraptus, Emmons. 2 Gruppen. Familie der Dicranograptidae, Lapworth. Genus: Dicellograptus, Hopkinson. 4 Gruppen. Genus: Dicranograptus, Hall. 4 Gruppen. F a m i 1 i e der Diplograptidae, M'Coy. Genus : Climacograptus, Hüll. 5 Gruppen. Genus: Diplograptus, M Coy. Sub-genus : Orthograptus, Lap- worth. 3 Gruppen. Sub-genus: Mesograptus, Files and Wood. 2 Gruppen. Sub-genus : Petalograptus, Sueß. 2 Gruppen. Genus: Gryptograptus, Lapworth. Genus: Triganograptus, Nicholson. Familie der Gl ossogra p tidae, Lapworth. Genus: Glossograptus, Emmons. Genus: Retiograptus, Hall. Genus: Lasiograptus, Lapworth. Sub-genus: Hallograptus, Carruther. Subgenus: Thysanograptus, Elles and Wood. Sub-genus: Nymphograptus, Lap- worth. Sub-genus: Neurograptus, Lap- worth. Familie der Retiolitidae, Lapworth. Sub-genus : Gladiograptus, Hopkinson and Lapworth. Sub-genus: Plegmatograptus, Elles and Wood. Subgenus: Gothograptus, Frech. P' a m i 1 i e der Dimorphograp tidae, Elles and Wood nomen. Genus: Dimorphograptus, Lapworth. 3 Gruppen. Familie der Monograptidae, Lapworth. Genus: Monograptus, Geinitz. 7 Gruppen. Genus: Cyrtograptus, Carruther. Nun folge noch eine Übersicht, die uns das Verhältnis der neuaufgestellten Zonen der M. Elles und M. Wood zu den Lapworth 'sehen Zonen und zur Stratigraphie zeigen soll. Rudolf Hundt. Parasitenkunde. Als Überträger verderblicher Krankheiten des Menschen, welche durch tierische Parasiten (Schlafkrankheit, Wcchselfieber, gelbes Fieber usw.) oder durch Bakterien (Pest) ver- ursacht werden, spielen die Gliedertiere eine her- vorragende Rolle. Eine wegen ihrer Ansteckungsgefahr besonders gefürchtete Infektionskrankheit, welche epidemisch auftritt, besonders gern dort, wo Ansammlungen durch Entbehrungen aller Art (Hunger, Krieg usw.) geschwächter Menschen stattfinden, ist der Fleck- typhus (Hunger-, Kriegs-, Schiffs-, Kerker-, irischer Typhus). Über seine Ätiologie sind die Meinungen ge- teilt. Es werden als Erreger verschiedenartige Bakterien, sogar Protozoen genannt, welche mit dem Blut des Kranken auf den Gesunden über- tragen, bei diesem den Flecktyphus hervorrufen sollen. Die Experimente — als Versuchstiere dienten Affen — haben ergeben, daß Flöhe und Wanzen als Überträger nicht in Frage kommen. Die Kleiderlaus (Pediculus vestimenti Nitzsch.) ist dagegen der hauptsächlichste Verbreiter des Flecktyphus. Sie hat sich auch als die Über- trägerin einer nahe verwandten Krankheit, des mexikanischen Flecktyphus (tabardillos), erwiesen. Auch die Kopflaus soll ihn übertragen können. Jetzt, wo gröiäere Mengen von russischen Kriegs- gefangenen, welche den Krankheitserreger und -Überträger einschleppen, in den deutschen Ge- fangenenlagern zusammenkommen, gewinnt die Kenntnis ihrer Lebensweise und Bekämpfung an Bedeutung. In einem Aufsatz: „Bemerkungen über die Biologie und Bekämpfung der Kleiderlaus" von Dr. S. v. Prowazek ') (Münchener med. Wochenschrift Nr. 2, 12. Januar 1915) wird mit- geteilt, daß die Vernichtung der Läuse und ihrer Brut das erste Mittel bei der Bekämpfung der Seuche sein müßte, da uns bei einmal ausge- brochener Krankheit die Therapie im Stiche lasse, wie z. B. die Anwendung von Chinin, Methylen- blau, Salvarsan, Arsalyt u. a. m. Diese Mittel er- wiesen sich als unwirksam. Die erwachsene Laus muß etwa zweimal innerhalb von 24 Stunden Blut saugen, um sich fortpflanzen zu können. Gegen eine dauernde Einwirkung von hohen Temperaturen (über 30" C) ist sie empfindlich und geht bei -{-^S" zugrunde. In Übereinstim- mung damit fehlt sie z. B. in den warmen mexi- kanischen Küstenstrichen, während sie bei der Bevölkerung des Hochlandes vorkommt. Die Kleiderlaus saugt am liebsten an den Hautstellen des Nackens, des Rückens und des Gürtels, wo die Kleider dicht anliegen. Das Weibchen legt 70—80 Eier (Kopflaus 50). Die Entwicklung dauert 3—4 Tage und nach 15 — 18 Tagen sind die Jungen fortpflanzungsfähig, so daß ein Weib- chen in 8 Wochen 5000 Nachkommen hat. Die Eier (Nisse) werden an die P'asern der Nähte der Umsäumung der Wäsche usw. abgelegt. Die Bekämpfung der erwachsenen Läuse ist auch deshalb geboten, weil eine Art Superinfektion ') Ciestorbcn am 17. Februar 1915 als Abteilungsvorsteher im Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten zu Hamburg an l'leckty phus. N. F. XIV. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 205 beobachtet wird, die darin besteht, daß die Schwere der Krankheit bei einem nicht entlausten Kranlcen, welcher wiederholt von den infizierten Tieren gestochen wird, an Schwere zunimmt. Als Mittel werden empfohlen Xylol, Nelkenöl, Abkochungen von Tabak, Schwefeläther, Insekten- pulver, Fenchelöl usw. Die widerstandsfähigeren Nisse vernichtet man durch Ausschwefeln oder in Dampfdesinfektionsapparaten bzw. durch Benzin- dämpfe in einem sorgfältig abgedichteten Faß, in welches man die Kleider legt. Als für die im Osten kämpfenden Soldaten praktisch empfiehlt Prowazek die ätherischen Öle, unter denen der Reihe nach Eukalyptusöl, Fenchelöl und besonders Anisöl obenan stehen. Kathariner. Physiologie. Der Magen der Vögel besteht bekanntlich aus zwei Abteilungen, dem Drüsen- magen und dem Muskelmagen. Die Wand des ersteren ist dünn und enthält die das Verdauungs- sekret absondernden Drüsen, während die mehr oder minder dicke — bei Körnerfressern be- sonders mächtige — Wand des letzteren aus Muskelgewebe besteht. Im Muskelmagen, der mit einer hornigen Auskleidung versehen ist und in welchen kleine Steinchen aufgenommen werden, wird die Nahrung in kleine Stückchen zerrieben und letztere mit den Verdauungssekreten durch- mischt. Die von dem Muskelmagen zu leistende Arbeit unterliegt je nach der Härte der Nahrung erheb- lichen Schwankungen. Ein wie gewaltiger Druck in demselben auf den Inhalt ausgeübt wird, ist schon seit langem bekannt. Borelli (1743) gab für den Hühnermagen einen Druck von 1350 Pfund an. Redi (1667J und Magalotti fanden, daß Hühner, Enten und Tauben in ihrem Magen Kri- stallkugeln in kleine Stücke und zu Pulver zer- malen. In Spallanzani's Versuchen wurden kleine Glaskugeln, die sich, ohne zu zerbrechen, ge- waltsam auf den Boden werfen ließen, im Magen einer Henne in drei Stunden in sehr kleine Stücke zer- malen, und der Kaumagen eines Truthahns zerbrach 12 Stahlnadeln in I V2 Tagen; Blechröhren, welche die Nahrungsproben schützen sollten, wurden ver- bogen; dasselbe sah Reaumur bei Versuchen mit Röhren aus Eisenblech, die sich erst bei einer Belastung von 437 Pfund verbogen. Der Frei- burger Pliysiologe Mangold beschäftigte sich mit der Beeinflussung des Muskelmagens von Huhn, Krähe und Bussard durch die Härte des Futters, durch mechanische und chemische Reize usw. Exakte Druckmessungen im verdauenden Magen ergaben Drucksteigerungen beim Bussard von 8 — 26 mm Hg, beim Schleier- kauz von 34 — 84 mm Hg. Eine Untersuchung (Toyoj iro Kato, Druck- messungen im Muskelmagen der Vögel, Pflüger's Arch. f. d. ges. Physiologie des Menschen und der Tiere. Bd. 159, 19 14) bezieht sich auf die Druck- verhältnisse im Muskelmagen der Körnerfresser. Schon früher (Mangold und F e 1 1 d i n , Über den Einfluß verschiedenartiger Fütterung aui die Bewegungen des Hühnermagens. Zentralbl. f. Physich Bd. 23, 1909) hatte man den Einfluß ver- schiedenartiger Fütterung auf die Frequenz der Magenbewegungen durch wochenlang täglich aus- geführte Registrierungen beim Huhn festgestellt und gefunden, daß der Magenrhythmus von der verschiedenen Stärke des mechanischen Reizes seitens der Nahrung abhängt. Je härter das Futter ist, um so schneller folgen sich die einzelnen Zu- sammenziehungen des Muskelmagens. F. fand, daß auch die Größe der aktiven Druck- steigerungen im Muskelmagen der Vögel sich den Anforderungen anpaßt, welche verschiedenartige Nahrung je nach ihrem Härte- grad stellt. Hühner wurden eine Zeitlang (12 — 21 Tage) ausschließlich mit Weizen, nach Einschaltung einer Hungerperiode ausschließlich mit Gerste er- nährt, und bekamen dann drei Tage gemischtes Futter, d. h. Gerste und gekochte Kartoffeln; darauf folgte eine Periode ausschließlicher Kartoffel- fütterung und zum Schluß wieder Gerste. Wie bei den Versuchen von Mangold und Felldin betrug diePause zwischen zwei Zusammen- ziehungen des Muskelmagens bei einem Huhn wäh- rend der Weizenfütterung 28 Sekunden, verkürzte sich bei Gerste auf 24 Sekunden, zeigte bei Kar- toffeln die größte Verlangsamung auf 34 Sekunden und beschleunigte sich bei einer neuen Gersten- fütterung wieder auf 24 Sekunden. Ganz ent- sprechend verhielt sich die Druckänderung, welche beim Übergang zum Hartfutter eine Steigerung von rund S'^"lo erfuhr. Im Hungerzustand (24 — 50 Stunden nach der letzten Fütterung) zeigte der Magen eine sehr beträchtliche Steigerung des Drucks. Die Druckschwankungen wurden gemessen nach einem von Mangold angegebenen Ver- fahren, bei welchem eine Ballonsonde in den Magen eingeführt wird, welche durch einen Schlauch mit einem Manometer in Verbindung steht. Die durchschnittliche Größe der aktiven Druck- steigerung im Muskelmagen während seiner Kon- traktion betrug beim Huhn 138 mm Hg, bei einer Dauer der einzelnen Magenperiode von 25 Se- kunden, bei der Gans 257 mm Hg und 17 Se- kunden, bei der Ente 178 mm Hg und 19 Se- kunden. Mit der Größe des Tieres nimmt also Druck und Frequenz zu. Bei demselben Tier er- wies sich die Drucksteigerung abhängig von dem Härtegrad der Nahrung (Weizen, Gerste, gekochte Kartoffeln). Beim Übergang von Weizen auf Gerste (mittelweich auf hart) betrug die Druck- steigerung rund 50%, um wieder beim Übergang von Gerste auf Kartoffeln (hart auf weich) abzu- sinken. Gesetzmäßige Beziehungen zwischen der Muskelmasse, des Magens und dem Druck wurden nicht festgestellt. Der die Kontraktion der Muskelfasern des Kaumagens auslösende Reiz scheint durch den Nervus vagus zugeleitet zu werden. Bei einseitiger Durchschneidung desselben war der Druckwert 206 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 13 und die Prequenzziffer auf die Hälfte der Normal- zahl herabgesetzt. Kathariner. Botanik. Das Zusammenrollen der Blätter an welkenden Pflanzen ist eine bekannte Erscheinung. Weniger bekannt ist es, daß das Blattrollen bei der Kartoffel als Krankheitssymptom auftritt. Es zeigt sich einmal bei der sog. Schwarzbeinigkeit. Diese Krankheit ist dadurch gekennzeichnet, daß die Stengel an ihren unterirdischen Teilen schwarz werden und abfaulen, und wird durch Bakterien hervorgerufen, die vom Boden aus an verletzten Stellen des Stengels eindringen. Vor allem aber ist das BiattroUen ein Symptom der sog. Blatt- rollkrankheit. Die erkrankten Stauden rollen — an den untersten Blättern zuerst — ihre Fiederblättchen röhren- oder tütenförmig nach oben zusammen, die Stiele krümmen sich abwärts oder führen Torsionen aus, und das ganze Laub wird früh- zeilig gelb, rötlich oder bräunlich, ohne zunächst abzufallen. Die Knollen sehen wie die gesunder Pflanzen aus, bleiben aber in ihrem Gesamt- gewicht unter dem normalen Durchschnitt. Die Krankheit wird mit den Knollen vererbt und kann den Ertrag bei längerer Nachzucht bis zum völligen Abbau herabsetzen. Es handelt sich also um eine Krankheit, deren Bekämpfung von großer wirtschaftlicher Bedeutung ist. Mit der Ermittelung ihrer Ursache haben sich eine ganze Reihe von Forschern beschäftigt. Ich nenne nur Appel, Sorauer, Hiltner, Kornauth,Reitmair, Sc hander, Spiee k er- mann, Himmelbaur. Sie sind aber leider nicht zu übereinstimmenden Ergebnissen ge- kommen. Appel, Himmelbaur u. a. führen die Krankheit auf eine Verstopfung der Gefäße durch Pilze {Fiisnn'mii) zurück, die vom Boden aus in die Pflanze eindringen und mit den Knollen von einem Jahr zum andern verbreitet werden sollen. Sorauer schreibt den Pilzen nur eine sekundäre Bedeutung zu und sieht die primäre Ursache in einer Störung der Enzymtätigkeit der Saatknolle; diese Störung soll sich in einer ver- mehrten Stärkelösung und Zuckerbildung äußern und so einen für die Pilze besonders günstigen Nährboden schaffen. Hiltner wiederum nimmt an, daß die rollkranken Pflanzen aus nicht voll- ständig ausgereiften Knollen hervorgehen: Wenn die Lebenstätigkeit im Herbst nicht zum nor- malen Abschluß gelangt, sind die Stoffwechsel- vorgänge in der überwinternden und austreibenden Knolle gestört, und das Wachstum wird in un- gewöhnliche Bahnen gedrängt. Keine dieser Erklärungen hat sich bisher ein- wandfrei beweisen lassen. Insbesondere ist gegen die Pilztheorie, die wohl die meisten Anhänger hat, von anderer Seite geltend gemacht worden, daß Pilzfäden sich nicht selten auch in gesunden Pflanzen finden und andererseits in kranken zu- weilen fehlen. Neuerdings hat nun Quanjer („Die Nekrose des Phocms der Kartoffelpflanze, die Ursache der Blattrollkrankheit". Wageningen in Holland, 191 3) eine Erklärung in anderer Richtung versucht. Verschiedene äußere Merkmale der Krankheit, wie z. B. das Sitzenbleiben der bereits abge- storbenen Blätter am Stengel, schienen ihm darauf hinzudeuten, daß die Assimilate nicht abgeleitet werden können, daß also eine Stockung ihrer Be- wegung im Phlotim (Siebteil der Gefäßbündel) vor- liegt. Genauere Untersuchungen ergaben in der Tat, daß das Phloem in den rollkranken Pflanzen, und n u r in diesen, eine von der gewöhnlichen abweichende Beschaffenheit aufweist. Quanjer bezeichnet diese Abweichung als Nekrose und versteht darunter die Erscheinung, daß die Mem- branen der Siebröhren und Geleitzellen aufquellen, das Lumen der Zellen mehr und mehr einengen und schließlich mit den Plasmaresten zu einer gelblichen, strukturlosen Masse zusammenfließen. Diese Veränderungen schreiten von den unteren Teilen des Stengels nach den oberen fort. Sie ergreifen gewöhnlich nur einen Teil der Leit- bündel und lassen sich am besten in den mark- ständigen Siebröhrensträngen des Stengels ver- folgen, aber auch in den Blattstielen und den Mittelrippen der Blättchen noch feststellen. In- folge der Nekrose werden die Bahnen, auf denen sich die Assimilate aus den Blättern in die übrigen, ober- und unterirdischen Teile der Pflanze be- wegen, mehr oder weniger vollständig gesperrt. Nach außen tritt das in den Erscheinungen zu- tage, die oben als Merkmale der Biattrollkrank- heit geschildert wurden. Insbesondere erklärt sich das Blattrollen selbst ungezwungen aus der Stauung der Assimilate im Zusammenhang mit dem anatomischen Bau des Blattes. Die Kartoffel hat bekanntlich bikollaterale Gefäßbündel, deren Gefäßteil auf beiden Seiten von einem Siebteil begrenzt wird. In den Blattnerven verlaufen nun oberhalb der Gefäße viel weniger und kleinere Siebröhrenstränge als unterhalb, ja in den feineren Verzweigungen fehlen die oberen ganz. Bei einer Hemmung der Stoffleitung in den Siebröhren stauen sich die Assimilate überwiegend an der Unterseite des Blattes, und es muß infolge der erhöhten Spannung eine Krümmung nach oben eintreten. Die von Quanjer gegebene Erklärung unter- scheidet sich von den früheren wesentlich da- durch, daß sie die Ursache der Krankheit nicht im Xylem, sondern im Phloem sucht. Die Phloömnekrose wäre allerdings nur die nächste Ursache; die tiefere Ursache, welche ihrerseits die Nekrose bewirkt, ist damit noch nicht entdeckt. Quanjer hält es für ausgeschlossen, daß sie durch irgendwelche Parasiten hervorgerufen wird, er vermutet vielmehr, daß es sich um eine physi- kalische oder chemische Störung der Lebens- funktionen handelt. Die Arbeit von Quanjer ist zweifellos ein wertvoller Beitrag zur Erforschung der Blattroll- krankheit. Aber eine endgültige Lösung der N. F. XIV. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Frage hat sie doch noch nicht gebracht. Das er- gibt sich aus Untersuchungen von Schander und V. Tiesenhausen, die sich mit einer Nach- prüfung der von Ouanjer aufgestellten Erklärung befassen („Kann man die Phloemnekrose als Ur- sache oder Symptom der Blattrollkrankheit der Kartoffel ansehen?" Mitt. d. Kaiser- VVilhelms- Instituts Bromberg, Bd. VI, Heft 2, 1914). Sie be- obachteten die Phloemnekrose nicht nur in blatt- rollkranken, sondern auch in kräuselkranken und von PhytupJifliora iiifcstans befallenen Pflanzen, ferner in gesunden Pflanzen, deren Blättchen künstlich gerollt und mit Bindfaden längere Zeit in dieser Stellung festgehalten waren, und in voll- kommen gesunden, üppig gewachsenen Sämlingen und Knollensprößlingen. Im Gegensatz zu Ouanjer fanden sie ferner, daß die Nekrose ge- wöhnlich von oben nach unten fortschreitet. Auf Grund dieser P>gebnisse lehnen sie die Phloem- nekrose als Ursache der Blattrollkrankheit ab; denn es ist undenkbar, daß die gleiche Ursache eine Pflanze zum Rollen, eine andere zum Kräuseln veranlaßt und eine dritte in keiner Weise in ihrer Entwicklung behindert. Die Nekrose kann dem- nach nur eine sekundäre Erscheinung sein, die anscheinend immer dann eintritt, wenn die P"unktionen der Blätter aus irgendeinem Grunde gestört sind. Das Ergebnis dieser zweiten Arbeit ist in gewissem Sinne dem der ersten gerade entgegengesetzt. Hier wird die Nekrose des Phloems auf das Rollen der Blätter zurückgeführt, dort umgekehrt das Rollen auf die Nekrose. So viel scheint aber festzustehen, daß in derPhloem- nekrose ein Symptom der Blattroll- krankheit vorliegt. Damit ist wenigstens die Richtung gegeben, in der die Lösung des Pro- blems zu suchen ist. F. Esmarch-ßromberg. Bücherbesprechimgen. Reichenow, Anton, Die Vögel. Handbuch der systematischen Ornithologie. II. Band. Stuttgart 1914, Ferd. Enke. — Preis 18,40 Mk. Unter Bezugnahme auf die Anzeige des ersten Bandes (Naturw. Wochenschr. 1914, p. 415) sei auf das Erscheinen des zweiten Bandes und damit auf den Abschluß des ganzen trefflichen Werkes aufmerksam gemacht. Er behandelt zwar nur 5 Ordnungen, gegenüber 18 im ersten Bande, darunter aber die artenreichen Klettervögel (Scan- sores) und Singvögel (Oscines), welch letztere trotz aller Einschränkung genau die Hälfte des Textes beanspruchen. Dementsprechend ist auch die Zahl der Abbildungen erhöht (273 gegenüber 185). Für die europäischen und in den deutschen Kolonien vorkommenden Arten ist annähernde Vollständigkeit angestrebt, sonst koimten nur typische Vertreter der einzelnen Gattungen be- schrieben werden ; da jedoch der Verf. regelmäßig die Artenzahl angibt, ist man rasch und leicht über die Zahl der nicht beschriebenen Arten orientiert, für welche dann ausschließlich die Spezialliteratur (faunistische und systematische) in Betracht kommt. Zwei Register und Literatur- nachweise vervollständigen das Werk, das tat- sächlich eine bestehende und oft empfundene Lücke ausfüllt, zu dessen Abfassung ebenso sehr umfassende Kenntnis des weiten Gebietes wie großer Fleiß und abwägende Sorgsamkeit gehören. M. Braun. France, R. H., Spaziergänge durch den Hausgarten. Mit 24 Text- und Vollbildern von Dr. G. Dunzinger, H. Dopferf u. a. Deutsche Naturwissenschaftliche Gesellschaft. Geschäftsstelle Theod. Thomas Verlag, Leipzig. Verfasser verbreitet sich in gefälliger Form über einige Erscheinungen des Pflanzenlebens, die zum Teil an bekannten Garten- und F"enster- pflanzen beobachtet werden können, so über Licht- genuß, Wasserausscheidungen, Standortsanpas- sungen, Schutz- und Bestäubungseinrichtungen der Blüten usw. Hübsche Abbildungen sind beigefügt, auch einige Betrachlungen vom Standpunkte des „idealistischen" Naturfreundes eingestreut, so daß vielen Lesern das Schriftchen Unterhaltung bieten und Anregungen zu eigenen Beobachtungen geben wird. Einige LInklarheiten muß man freilich mit in den Kauf nehmen. Über die Verwendung des Lichtes durch die Pflanze stehen S. 31 einige krause Bemerkungen, und S. 44 wird eine ver- worrene Belehrung über die Nährelemente ge- geben. Windende und rankende Pflanzen sind (S. 63 ff.) durcheinander geworfen. Die L'rsachen der Blattstellung machen dem Verfasser wenig Sorge: „Die Blätter sind so angeordnet, daß jedes von ihnen zu einem gewissen Quantum Licht kommt." Fertig. Die Mannigfaltigkeit und die physiologische Rolle der Bodenorganismen scheinen erst 191 3 durch die Untersuchungen des Ver- fassers aufgedeckt worden zu sein ; vorher waren bloß „die Wurzelpilze und die Knöllchenbakterien" bekannt (S. 49). Wer über solche Schönheits- fehler ebenso hinwegsieht wie über die Inter- punktionsfehler wird an dem geschickt ge- schriebenen Büchlein seine Freude haben. F. Moewes. Wetter-Monatsiibersicht. Wahrend des diesjährigen Februar h.-iUe die Witterung in ganz Deutschland einen selir veränderlichen Cliarakter, je- doch herrschte trübes, nebeliges , ziemlich mildes Wetter bei weitem vor. Nur am Anfang des Monats trat, besonders im Osten und Süden, noch sehr strenge Kälte ein ; in der Nacht zum 2. oder 3. Februar sank das Thermometer z. B. in Breslau und München bis auf — 12, in Fraustadt bis — 13, in Dahme und Beuthen bis —14, in Pleß sogar bis — 18, 208 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 13 dann wiederum in der Nacht zum 6. in Königsberg i. Pr. Seit Mitte des Monats waren die Niederschläge im große bis —14, in Tilsit bis — 15, in Memel und Insterburg bis ren Teile des Landes etwas seltener und noch weniger er — 16° C. In Westdeutschland aber führten milde südliche giebig als zuvor, in manchen Gegenden, besonders in Ost ^[cra^erafur-Sßinima einiger 0rfe im^trtiar I.Fabpujr 6. II. ZC. 2S. ^-7» Berlintr WWtei+urtlu. Winde schon in den ersten Februartagen einen raschen Über- gang zu Tauwetter herbei, das dort mit kurzen Unterbrech- ungen anhielt und sich langsam weiter nach Osten fortpflanzte ; erst kurz vor Mitte des Monats hatte es sich auch auf die Provinz Ostpreußen ausgedehnt. Am 4. und 5. l'ebruar wur- den in der Kheinprovinz und Westfalen , einige Tage später in Hessen-Nassau, in der zweiten Hälfte des Monats auch im mittleren Norddeutschland lo" C erreicht und wenig über- schritten; am 4. stieg die Mittagstemperatur in Aachen, am ig. in Magdeburg, am 20. in Dahme bis auf 12" C. Gegen Ende des Monats wechselten Nachtfröste mit ziemlich hohen Tagestemperaturen in den meisten Gegenden regelmäßig ab, in der klaren Nacht zum 27. brachten es Dresden und ver- schiedene andere Orte nochmals auf 6, Bamberg und München auf 8, Friedrichshafen auf 9" C Kälte. Im Novembermittel wurden die normalen Temperaturen in den meisten Gegenden um nicht ganz einen Grad über- troffen. Ebenso wich die mittlere Bewölkung und daher auch die Dauer des Sonnenscheins im allgemeinen wenig von der im Februar gewöhnlichen ab. Beispielsweise hatte Berlin im vergangenen Februar im ganzen 61 Sonnenscheinstunden, ge- rade so viele, wie hier im Mittel der 23 früheren Februar- monate verzeichnet worden sind. Niederschläge kamen während des ganzen Monats sehr häulig in Deutschland vor, ihre Mengen waren aber im all- gemeinen ziemlich gering. In der ersten Hälfte des Februar wechselten im Nordwesten und Süden Regen- und Schneefälle oftmals miteinander ab, wogegen im Osten, bis zur Elbe hin, an den meisten Orten nur Schnee fiel. Besonders gingen im östlichen Ostseegebiete große Schneemengen hernieder, so daß z. B. in Memel vom 8. bis 12. eine 25 cm hohe Schnee- decke lag. Jlkr. Dr. C. Schoy. Mit I Abbildung. Je mehr die Ägyptologen, Assyriologen und anderen Orientalisten das Dunkel zu entschleiern vermögen, das insbesondere noch über den ein- stigen Kulturvölkern des Euphrat und Nil lagert, desto deutlicher wird uns die hervorragende Be- deutung, die sie den täglichen und jährlichen Er- scheinungen des Himmels beimaßen. Diese früh- zeitige Ausbildung der Astronomie und Chronologie konnte freilich nur in südlicheren Breiten erfolgen, wo der Himmel klarer und ausdrucksvoller ist als bei uns. So leiteten auch die Griechen die Her- kunft ihrer Sternkunde aus dem Süden ab. Alle Be- sucher des Nihales preisen begeistert die nächt- liche Schönheit des ägyptischen Himmels, so Parthey,') der nach der Schilderung des Mond- glanzes in Nubien fortfährt: „Einen noch erheben- deren Eindruck macht in den mondlosen Nächten die unbeschreibliche Fülle des gestirnten Himmels; aber das Wort ist unzureichend für einen Anblick, der nur gefühlt, nur mit den innersten Tiefen der Seele ergriffen werden kann. Unmittelbar nach Sonnenuntergang fangen am östlichen Himmel die Sterne an zu funkeln, und je tiefer die Nacht her- absinkt, desto unzählbarer dringen die goldenen Lichter am hohen Gewölbe hervor, daß das er- staunte Auge nicht aufhört, eine Stelle nach der andern genau zu durchmustern, und der nach- strebende Geist sich versenkt in den unendlichen Reichtum der überall hervorquellenden Welten. Wohl erscheint dem Deutschen der italische Stern- himmel von einer ungewöhnlichen Klarheit, doch sieht man ihn zumal am Horizont nie ganz frei von trüben Dünsten ; hier, in der trockenen Wüste, ist dieser letzte Schleier hinweggehoben von der nächtlichen Herrlichkeit Gottes, und man schaut sie in unverhüllter Schönheit, soweit dem unbe- waffneten Auge vorzudringen möglich ist . . ." Wir wissen auch, daß es nur den Bewohnern tropischer und subtropischer Himmelsstriche ver- gönnt ist, jenes reizvolle Vor- und Nachspiel zur Morgen- und Abenddämmerung in seiner ganzen Schönheit genießen zu können, das in der astro- nomischen Wissenschaft das Zodiakal- oder Tier- kreislicht genannt wird. Es ist undenkbar, daß die besonders in der Astronomie so bewanderten alten Kulturvölker nicht auf dasselbe aufmerksam geworden sein sollten. Und in der Tat, wir haben heute bereits mehrere Belege, daß sie dasselbe wohl kannten. Außerordentlich geistreich in ihrer Idee muß entschieden die überzeugende Deduktion Wanderungen durch das Niltal, Berlin, 1840. Hermann Grusons') genannt werden, der da sagt, daß die pyramidale Gestalt des Tierkreis- lichtes — man sehe die zwei prachtvollen Farben- tafeln und einige andere sehr sinnfällige Figuren in seinem Buche — den Ägyptern geradezu ein Vorwurf für ihre Pyramiden, Obelisken und gleich- schenkligen Triangels war, welch letztere in allen Abbildungen das Haupt ihrer Lichtgötter schmücken. Die ägyptische Darstellung des Sonnenauf- und Untergangs, die sich auf einem sog. ,, Totenpapyrus" des Leydener Museums findet — vgl. deren Re- produktion auf Tafel VI und VII bei Gruson — spricht in dieser Hinsicht eine deutliche Sprache. Diese Gruson 'sehe Entdeckung von dem Zodia- kallicht als Prototyp der Dreiecksgestalt bei den alten Pharaonen verhalf dem bekannten Ägypto- logen H. Brugsch zur Entschleierung der wahren Bedeutung des auch in der Bibel vorkommenden Wortes Gosem. Nach dem koptischen Lexikon wurde es als Stadt der Dämmerung oder des Dreiecks gedeutet, was unter Beachtung der vor und nach der Dämmerung sich ausbreitenden Dreiecksgestalt des Zodiakallichtes mit seiner ab- gerundeten Spitze einen vollen und klaren Sinn erlangt. Noch mehr: „Das geheimnisvolle Dreieck der alten Ägypter, das uns bisher be- schäftigt hat, dürfte vielleicht auch die Lösung eines Rätsels darbieten, das mit allgemein be- kannten altjüdischen Vorstellungen über die sym- bolische Bedeutung eines Dreiecks zum Ausdruck des großen Jahwe oder Jehova im Zusammenhang steht . . . Sollte es gelingen, woran ich nicht zweifle, die Entstehung des Gottes-Dreiecks in eine etwas verhältnismäßig ältere Epoche zurück- zuversetzen, so würde der Annahme nichts im Wege stehen, das Urbild desselben in dem Pyra- midenlichte von Gosem wiederzuerkennen. Bei einem mehr als 400jährigen Aufenthalt der Kinder Israels gerade in dieser Provinz des alten Ägyptens konnte die Kenntnis und Bedeutung dieses Drei- ecks nicht spurlos an ihnen vorübergehen." (Gru- son a. a. O. S. 254). Nach der lebendigen Schilderung dieser „lieb- lichen Erscheinung von dem milden Glänze, mit mit dem das Tierkreislicht pyramidal auf- steigend, einen Teil der immer gleich langen Tropennächte erleuchtet . . ." (Nach Alex- ander von Humboldt, im i. Bande des „Kosmos" S. 142 ff.) ist zu erwarten, daß es auch den zivilisierten Völkern Mittel- und Südamerikas nicht verborgen bleiben konnte. Den eifrigen Be- mühungen des großen Reisenden ist es denn auch M Im Reiche des Lichtes, Hraunschweig, 1S95. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 14 gelungen, in der Kgl. Bibliothek zu Paris im Codex Telleriano-Remensis eine altaztekische Handschrift zu finden, wo von diesem in der Hochebene IVlexikos im Jahre 1509 in 40 Nächten beobach- teten Lichtschimmer die Rede ist. Da diese Naturerscheinung, wie schon erwähnt, sich unmittelbar nach der Abenddämmerung (cre- pusculum ) und vor der Morgendämmerung (aurora) zeigt, so ist zu verstehen, daß orientalische Dichter und Astronomen von einer falschen und wahren Dämmerung sprechen. Besonders die falsche Dämmerung war Gegenstand der arabischen, per- sischen und türkischen Lyrik, die ~- wohl wegen der länglich-runden Gestalt des Zodiakallichtes') — da- für die Namen „Wolfs-, Hunds- oderGazellenschwanz" erfand, Ausdrücke, die dem naiven Gemüt der Hirten entsprangen, wenn sie in stiller Nacht „des Himmels goldne Schrift" anschauten. ") Als aber der Koran den Islamgläubigen zur Pflicht machte, sich in der Morgendämmerung vor Sonnen- aufgang (Fagr) zum ersten Mal im Gebet an Allah zu wenden, da wurde es zur Notwendigkeit, die falsche und wahre Morgendämmerung scharf auseinanderzuhalten. I b n I ü n i s sagt (Hake- mitische Tafeln, z. T. übersetzt von Caussin, Notices et extr. de manuscr. de la bibl. nat. tome VII, pag. 76): ,,L'etude des corps Celestes n'est point etrangere a. la religion. Cette etude seule peut faire connaitre les heures des prieres, le temps du lever de l'aurore, oü celui qui veut jeüner doit s'abstenir de bois et de manger (le jeüne des Mahometans commence selon le pre- cepte du Coran, lorsqu'on peut distinguer un fil blanc d'un noir, ou, selon quelques auteurs, au lever de la seconde aurore, Coran, Sure 2) la fin du crepuscule du soir, le terme des veux et des obligations religieuses, le temps des eclipses, temps dont il faut etre prevenu pour se pre- parer ä la priere qu'on doit faire alors. (Les Ma- hometans fönt une priere publique pendant des eclipes de soleil et des prieres particulieres dans Celle de lune.") Wie sehr die arabischen Gebetszeiten von astro- nomischen Erscheinungen beherrscht sind, habe ich zu zeigen versucht in zwei früheren Aufsätzen dieser Zeitschrift: Die arabische Sonnenuhr in ihrer Bedeutung für die arabische Astronomie und Religion (191 1) und die arabische Sonnenuhr im Dienste der islamitischen Religionsübung (191 2). II. Es ist gewiß von Interesse, zu erfahren, wo der eigentlichen oder wahren Dämmerung in der ') Daß die fulschc Dämmerung der Orientalen faktisch nichts anderes ist als der Schimmer des Tierkreislichtes wurde durch die verdienstlichen Nachforschungen . — mit zahlreichen brieflichen Belegen maßgebender Autoritäten , so auch vom Mufti von Damaskus — J. W. Redhouse's zur Gewißheit erhoben. (Vgl. J. W. Kedhouse, ,, Identification of the ,False Dawn' of the Muslims with the ,Zodiacal Light' of F.uropeans." Journ. of the Roy. As. Soc. 1880, S. 327.) ^J Vgl. J. W. Kedhouse, „On the Natural-Phenomenen known in the East by the names Sub-hi-Käzib etc. etc. Journal of the Royal .\siatic Society, 1878, S. 344. Literatur zum erstenmal Erwähnung getan wurde. Wohl weisen die lateinischen Wörterbücher das Wort „crepusculum" schon als vorklassisch auf und geben es mit „Dämmerung", „Zwielicht" wieder. Es ist ja ganz begreiflich, daß man schon in den ältesten Zeiten diese Übergangszeit vom Tag zur Nacht oder umgekehrt wohl unter- schied ; aber weder bei den Griechen noch den Römern und Indern wird in wissenschaftlicher Weise irgendwie von der Dämmerung als astro- nomischer Erscheinung gehandelt. *j So sind es in der Tat die Araber, bei denen wir den ersten näheren Aufschluß über das Krepuskularphänomen erhalten; war es doch eine religiöse Pflicht des Imäms, den zeitlichen Eintritt und die genaue Dauer der Dämmerung für jeden Tag zu bestimmen und danach die Gläubigen zum Gebet rufen zu lassen. Bekanntlich unterscheiden wir heute zwei Arten von Dämmerung: die bürgerliche und die astronomische. Erstere endigt abends, wenn die Sonne etwa 6^1^° unter den Horizont hinabgesunken ist, so daß wir zur \'er- richtung der häuslichen Arbeiten künstlichen Lichtes bedürfen; am Ende der letzteren steht die Sonne bereits 16" — 18" unter dem Horizont, und der Sternhimmel ist in Erscheinung getreten. Die Aufmerksamkeit der Araber galt nur der astronomischen Dämmerung. Aber wie überall, so bekunden sie auch hier nicht nur ihre ausge- zeichnete Beobachtungskunst, sondern auch ihre Fähigkeit, die Aufgabe richtig zu erfassen. Wir können deshalb nicht umhin, das, was wir bei dem Volke Allahs über die Dämmerung ermitteln konnten, hier ausführlich mitzuteilen, da unseres Wissens über derartige Dinge noch nirgends in der europäischen Literatur gehandelt wurde. Eine rein optische Studie über die Dämmerung ist in dem ,,Opticae thesaurus Alhazeni .Arabis libri Septem eiusdem über de crepusculis et nubibum ascensionibus des Alhazen oder Ibn-al- Haitam enthalten (* Bassora 950?, f Kairo 1038), den F. R isner 1572 zu Basel in lateinischer Sprache erscheinen ließ (pag. 283 — 288). Die kurze Abhandlung hat Gerhard von Cremona zum Interpreten. Es ist darin von Alhazen der Versuch gemacht, aus den Dämmerungs- erscheinungen die Höhe der Erdatmosphäre zu ermitteln. Das Resultat ist dieses: Wenn der Umfang der Erde 24000 italische Meilen beträgt, so ist die Höhe der Atmosphäre 52 Meilen (1 italische Meile = looo geometrische Schritte). Für das Ende der Abenddämmerung und den Be- ginn der Morgendämmerung, die also nach Al- hazen von gleicher Dauer sind, gibt er eine negative Sonnenhöhe von 19" an; jedoch kennt ') Freilich überliefern griechische und römische Schrift- steller einige Angaben über Dämmerung und Tiefenwinkel der Sonne — so Posidonius, Plinius, Strabo — allein ohne sich auf Beobachtungen oder irgendeine Theorie zu stützen. Vgl. für die geschichtliche Seite unsres Problems den gehaltvollen Aufsatz von G. Hell mann, ,, Beobachtungen über Dämmerung". Mcteorol. Zeitschr. 1884, S. 57 und 162. N. F. XIV. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. er, wie alle arabischen Astronomen, bereits den Farbenunterschied zwischen dem Crepusculum matutinum und vespertinum. Bei ersterem spricht er von einer albedo et claritas, von der Abend- dämmerung aber sagt er, daß sie ad rubedinem aliquantulum vergit. AusführHche Belehrung über die meteorologi- schen und astronomischen Anschauungen der Araber hinsichtlich der Morgen- und Abend- dämmerung bieten die beiden großen Über- setzungsarbeiten des Vaters und Sohnes J. J. S e - dillot und L." Am. SediUot. Der erstere lieferte eine französische Übertragung des Ms. 1147 der Kg). Bibliothek zu Paris unter dem Titel Traite des instruments astronomiques des Arabes compose au treizieme siecle par Aboul Hhassan Ali de Maroc, Paris 1834, die uns einen vollständigen Einblick in den Stand der arabischen Astronomie im 13. Jahrhundert gestattet. L. Am. Sedillot verarbeitete den Hauptinhalt der arabischen Mss. 1103, IUI, II 38, 1148 und II 57 zu dem stattlichen Folianten : Memoire sur les instruments astronomiques des Arabes, Paris 1841. Die namentliche Vorführung der einzelnen Autoren wollen wir hier übergehen, sie findet sich bei A. Sedillot pag. 26. Dies letztere Werk gibt besonders über die meteorologische Seite unseres Problems Aufschluß, während man in der Über- setzung des Abul Hassan'schen Ms.' astronomische Ermittelungen des Beginns und der Dauer der Dämmerung findet. Wir geben die charakteristi- schen Stellen wörtlich wieder. Im Ms. 1103 (Perles repandues sur l'usage du quart de cercle) sagt der Autor (Schafei j : „Die Abenddämmerung ist die Röte, die am Westhimmel nach Sonnen- untergang verbleibt, und die Morgendämmerung ist die Weiße, die am Ende der Nacht am Morgen- himmel erscheint; diese beiden Erscheinungen rühren von der Durchdringung der Erdatmosphäre durch die Sonnenstrahlen her, 'j und die Ansichten der Beobachter über diesen Gegenstand sind sehr auseinandergehend. Die alten haben gesagt, daß die Abenddämmerung endige und die Morgen- dämmerung anfange, wenn die Sonne 18" unter dem Horizont stehe, aber einige neuere sagen anders. Besonders Abul Hassan Ali von Marokko. Er und alle jene, die ihm folgten, waren der Meinung, daß die Abenddämmerung mit dem Tiefenwinkel der Sonne von 16" endige, die Aurora bei einer solchen von 20*' zu erscheinen anfange, was mehrere der geschicktesten neueren Astronomen bestätigt fanden, so der berühmte und hervorragende Scheik Ala Eddin, bekannt unter dem Namen Ibn Schätir, dessen Ansicht viele Astronomen, nämlich Nasir el Tusi, Abul Wefa, Al-Birüni u. a. der späteren Zeit beipflichteten, denn sie fanden 18" für die hellste, 20" für die dunkelste Zeit (sc. tempus nitoris = hervorbrechender Tag), d.h. 18" liegt unter dem wahren Wert des Hissah, ^) 20" darüber. Die Wahrheit ist, daß die Vermehrung oder Ver- minderung des Hissah gemäß der geographischen Breite bedingt ist durch die Reinheit oder Trübung der Atmosphäre , durch die Anwesenheit oder Abwesenheit des Wasserdampfes, durch den ge- ringen oder starken Luftdruck, durch die An- wesenheit oder Abwesenlieit des Mondes am Himmel und die Sehschärfe oder geringe Seh- kraft des Beobachters. Nun, diejenigen, welche in dieser Hinsicht die Wahrheit feststellten, haben 17" für das Crepusculum und 19" für die Aurora angenommen. Es sind jene, die wir soeben nannten, außerdem noch der Scheik Abu Tah er u. a." Hieraus ersehen wir, daß die Araber auch in diesem Punkt bereits zu einer P^einheit der Be- obachtung gelangt waren, der die moderne Me- teorologie kaum viel neues hinzuzufügen hat. Auch sie ist der Meinung, daß die von Schafei bereits hervorgehobene Variation des Depressions- winkels der Sonne tatsächlich von jenen Varia- tionen des Zustandes unseres Luftmeeres her- rühren. -) Bemerkenswert ist auch die Äußerung Abul Hassans zu dieser Frage. Er sagt wörtlich: „Zu gewissen Zeiten gibt es Nebel über dem Hori- zonte, die das Licht verschlucken ; dann ist die Dauer der Röte länger als sonst, und der Eintritt der Weiße am Morgen erfolgt früher. Man hat auch schon beobachtet, daß das Licht des Mondes die Röte vermindert oder gar verschwinden läßt, während es den Glanz der Aurora vermehrt. Ausgenommen diese Tatsachen, gibt es nichts zu irgendeiner Zeit, was die gegebene Regel un- gültig machen könnte und nichts, was auch nur eine Veränderung von einem Grad hervorzurufen imstande wäre. Wir haben uns davon selbst überzeugt an Orten, die unter ganz verschiedenen Breiten liegen und deren größte etwa 45", deren kleinste etwa 20" war ; '^J dabei haben wir immer das eben Gesagte bestätigt gefunden." III. Wir gehen jetzt dazu über, die astronomische Berechnung des Beginns der Morgendämmerung oder des Aufhörens der Abenddämmerung dar- zustellen, so wie sie von den arabischen Astro- nomen gelehrt wurde. Bei Al-Battani, einem der ältesten arabischen Astronomen (f 929), dessen ') Bei Abul Hassan steht: ,,ces deux couleurs sont occa- sionnees par la reflexion des rayons du soleil sur la sphere terrestre" (pag. 295). ') Winkel, hier Tiefenwinkel der Sonne. -) Hell mann findet (a. a. O. S. 60) für den Anfang der Morgendämmerung der Sonne in Südspanien den Tiefen- winkel I7°52' und für das Ende der Abenddämmerung 15''40'. Gleichzeitig ersehen wir aus obigen Angaben, daß also die Araber die ersten gewesen sind, die für die Morgen- und Abenddämmerung eine verschiedene Dauer angenommen haben, nicht erst R i c c i o 1 i im Jahre 1651, wie H e 1 1 m a n n (a. a. O. S. 63) glaubt. ä) Für die Geschichte der arabischen Geographie ergibt sich hieraus die wichtige Tatsache, daß Abul Hassan bis zum 20." nach Süden reiste, also in den Tropen weilte. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 14 Werk : „Über die Bewegung der Sterne" wir in zwei lateinischen Ausgaben (von Plato v. Tivoli 1537 und von C. A. Nallino 1899— 1907) findet sich nichts dergleichen ; wohl aber löst Ibn lijnis (f 1009) in seinen Hakimitischen Tafeln die Aufgabe, anscheinend zum erstenmal. Hätte nicht glücklicherweise J. J. Sedillot in einer Randnote seiner Abul - Hassan - Ausgabe (S. 298) die Jünisische Bestimmung des Eintritts der Dämmerung, die den Inhalt des 16. Kapitels des großen Werkes des Kairoaner Astronomen bildet, zum Vergleich mit dem Hassan'schen Ver- fahren dargestellt, würden wir die Priorität dem 2\'., Jahrhunderte später lebenden Marokkaner zu- schreiben. Denn leider wissen wir von dem Werke des Ihn I ü n i s noch recht wenig , da nur 3 Kapitel (III— V) von Caussin ins Fran- zösische übersetzt sind. Jedoch hat J. J. S e d i 1 1 o t das handschriftliche Material studiert und für Delambre einen Auszug aus der Jünisischen Astronomie geliefert, den der letztere in seiner Histoire de l'astronomie du moyen age benutzte; aber über das Kapitel „Dämmerung" berichtet Delambre nichts. So wollen wir denn die wichtigste Stelle wörtlich mitteilen. Ibn lünis sagt: „Wenn ihr den Zcit[iunkt des Aufgangs des Morgenrotes und des \'crlöschens des Abendrotes erfahren wollt, so füget dem tatsächlichen Sonnen- orte noch 6 Linien hinzu und ihr findet den Nadir dieses Ortes. Berechnet alsdann den Stunden- winkel für eine Höhe von 18", nach einer Me- thode, die wir zur .Auffindung des Stundenwinkels aus der Hölie angegeben haben ; damit kennet ihr jenen Teil des Nachtbogens, welcher bis zum Ende der Abenddämmerung beschrieben sein muß und ebenso jenen, der noch zur Zeit des Anfanges der Morgendämmerung bleibt. Teilet die Grad- zahl eines dieser Bogen durch die Anzahl der Grade, welche eine temporäre Stunde für die be- treffende Nacht ausmachen , so wird euch der Quotient die Stunden , Minuten und Sekunden geben, welche schon von der Nacht bis zum Ende der Abenddämmerung verflossen sind, und dies wird auch die Zeit sein, welche noch von der Nacht zur Zeit des Beginns der Morgendämmerung bleibt. Bei gleichen Stunden ist der Stunden- winkel durch 15" zu teilen." Zur Aufhellung dieser Vor- schrift sei auf nebenstehende P'igur verwiesen, die die Himmelskugel darstellt. HHj ist der Durch- messer des Horizontkreises, H.^Hj jener desGrenzkreises(linea crepus- culi) des Dämmerungsgürtels, der sich also nach Ibn lünis bis zu — 18" ausdehnt. Unter Nadir versteht man in der arabischen Astronomie im allgemeinen den tiefsten (Nacht-)Punkt. Für die Sonne, die im Kreise um den Ort C (Mittelpunkt) läuft, kann nur Punkt B Nadir sein. Punkt C er- gibt sich aus der geographischen Breite (p des Beobachtungsortes und der Sonnendeklination 6 für den Tag, an dem man das Ende der Abenddämmerung wissen will. Nach der Vorschrift des Textes sind zur Auffindung des Nadir von C aus sechs Linien abzutragen. Danach muß bei Ibn lünis der Radius irgend- eines Kreises zu 6, der Durch- messer stets zu 12 Linien ange- nommen worden sein. *) (Sonst findet man in der älteren Mathe- matik gewöhnlich den Radius zu 60 partes-Teilen angegeben.) Es sei nun für einen gegebenen Tag (Sonnen- deklination cl bekannt) BB, der Durchmesser des Tageskreises der Sonne. Dann erhebt sie sich in A (Aufgang) über den Horizont HHj des Ortes M mit der bekannten geographischen Breite und erreicht ihn abends wieder in U (Untergang); der halbe Tagesbogen der Sonne reicht also von A bis B, oder von B, bis U und entspricht dem Stundenwinkel s„. Dieser ist aus dem bei H rechtwinkligen sphärischen Dreieck PUH sofort zu berechnen, da die eine Kathete IIP=:(f und die Hypothenuse UP = 90" — ö gegeben sind. Für den Nebenwinkel von s^ ergibt sich ') Der Text läßt uns hier im Unklaren. Möglich, daß die 6 Linien am Horizont nach unten abgetragen, zum Däm- mer\ingskreis führen sollten. N. F. XIV. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 213 cos ( 1 80" — So) = cotg (90" — rp) ■ cotg (90" — d) = tgfp-tgd Der hieraus ermittelte Bogen ist für temporäre Stunden (von denen bekanntlich immer 12 auf einen Tag und 12 auf die Nacht gehen) 6 Stunden gleichzusetzen, für gleiche Stunden aber durch 1 5 zu dividieren. Daraus erhält man den Zeitpunkt des Untergangs oder Aufgangs der Sonne. Wie wir sehen, hat Ibn lünis die Auffindung der Auf- und Untergangszeit der Sonne nicht näher illustriert, sondern als bekannt vorausgesetzt, sie findet sich bei ihm aber im vorhergehenden 15. Kapitel dargelegt. Die Dämmerung währt so lange, bis die Sonne z. B. abends von U nach Uj gelangt ist. Zu dieser Zeit gehört der Stundenwinkel UPUj-= 180» — So— s. Der Kairoaner Astronom bestimmt aber statt dieses Winkels erst den Rest des Nachtstunden- winkels UiPB = s, und zwar in höchst origineller Weise. Diese hat ihren tieferen Grund darin, daß die Araber die Berechnung schiefwinkliger sphä- rischer Dreiecke vermieden und stets versuchten, die gestellte Aufgabe auf die Berechnung eines rechtwinkligen Dreiecks zurückzuführen. Um dies zu erreichen, verbindet Ibn lünis den West- punkt des Horizonts W (Durchschnitt des Him- melsäquators QQ] mit dem Horizont) mit dem Sonnenorte Uj, wo die Sonne also bereits 18" tief steht und die Dämmerung aufhört. Da es von W bis zum Meridian 90" sind, so steht der verlängerte Bogen WU, in D senkrecht auf dem Meridian, mithin ist Dreieck UjPD bei D recht- winklig. Bogen WUj führt bei Ibn lünis den Namen baad und wird durch direkte Messung er- mittelt. Das hierzu benutzte Instrument ist der Destur. Da aber Uj unter dem Horizont liegt, so muß man in diesem Falle den Bogen wOj gleichen Bogen WU^ messen. In U., steht die Sonne aber, wenn ihre Höhe 18" über dem Hori- zont und ihre Deklination denselben negativen Betrag hat, der ihr am Beobachtungstag mit posi- tivem Wert zukommt. (Also '/■, J^hr früher oder später.) Es ist nicht ausgeschlossen, daß Ibn lünis, um die Aufgabe zeitlich nicht auseinander- zureißen, sich in U2 eines passenden Sternes be- diente. Mit der Kenntnis von WUj ist auch BUj = 90" — WUj =90" — baad bekannt. Aus dem rechtwinkligen Dreieck BPU, folgt dann cos (90" — WUJ ^ sin (90" — XUi ) sin s d. i. sin baad = cos ö'-sin s woraus sich sin baad sm s ^ ^ cos 0 ergibt. Will man Bogen UU^ = AAj in modernen Zeitstunden haben, so dividiert man seine Grund- zahl durch 15; für temporäre Nachtstunden ist jedoch zu ermitteln, wieviel Stunden dem Bogen UUj zukommen, falls auf ÜB deren 6 entfallen. Damit dürfte die lünis ische Regel zur Bestimmung der Dämmerung wohl genügend illustriert sein. Wir wollen zum Schluß noch die rechnerische Ermittlung der Dämmerungsdauer erwähnen, wie sie sich bei Abul Hassan findet, der, wie wir bereits wissen, den Tiefenwinkel der Sonne für den Beginn der Morgendämmerung zu 20", das Ende der Abenddämmerung zu 16" angibt und ausdrücklich betont, daß die Morgendämmerung länger dauert als die Abenddämmerung. Seine kurze Lösung, der, wie allen seinen Vorschriften, jede Spur eines Beweises fehlt, ist diese : „Für die Morgendämmerung: Ziehe jedesmal vom Sinus der Meridianhöhe des Nadirs der Sonne den Sinus von 20" ab und teile den Rest durch den Assi des Nadir; der Quotient wird der Sinus versus des Stundenwinkels sein, der zwischen Mitternacht und Aufgang des Morgenrotes liegt; diesen ziehe man vom halben Nachtbogen ab, so wird der Rest gleich dem Stundenwinkel sein, der zwischen dem Beginn der Morgendämmerung und dem Sonnenaufgang liegt." F'ür die Abendämmerung hat man nur den Tiefen- winkel h der Sonne von 20" auf 16" zu verringern. Die Entstehung dieser Regel kann man sich etwa so denken : Wir fällen (s. Figur) von T, dem Durchschnitt der den Auf- und Untergang der Sonne verbindenden Linie AU mit dem Horizont HHj, auf H.jHg, das Lot TV und nennen den Durchschnitt des Parallelkreisdurchmessers BB, mit dem Durchmesser des Dämmerungskreises Y. Es ist nun leicht zu sehen, daß CB = CB, = MB^ • cos ö = cosd ist, falls man den Radius der Himmels- kugel gleich der Einheit setzt, wie das immer geschieht. Dann ergibt sich auch; TV = sinh=sin 20" resp. sin 16" Aus dem rechtwinkligen Dreieck TV Y liest man ab : sin h , ^,, sin h „,,^^cosf/i, also I\ = . 1 V cos rp Aus dem ebenfalls rechtwinkligen Dreieck CTA folgt CT:=CA-cos (180" — So) = cosd-cos (180" — s«), und ebenso aus dem rechtwinkligen Dreieck CAjY CY = CA j • cos s = cos d ■ cos s. Mithin ist C\' — CT = TY ; cos d [cos s sin h cos (180" — s,|)l cos r/1 Wir fanden aber cos (180" — s„) = tg(/"'-tg(5, also läßt sich auch schreiben sin h „ , ^ ,,, — = cos 0 (cos s — tg «) • tg 0), cosrp ^ s f s j, woraus durch Auflösen folgt : sin h , ., cos s = s + tg o ■ Igrp Das ist cos ö • cos (p sin h — sin d-sin fp cos S ■ cos {p Wenn wir zu der letzten Gleichung links und rechts die Einheit addieren, folgt: 214 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 14 I — cos s = oder sin vers-s : cos (p ■ cos ö — sin (p • sin ö — sin h cos (5 • cos (fi cos (fp -\-ä) — sin h ■ cosd'Cosy Diese letzte Gleichung gibt tatsächlich die Hassan 'sehe Vorschrift genau wieder. Es ist nämlich die Meridianhöhe des Nadir -5 HMB = 90" — y — d = 90" — (rp + ö) also sin [90" — {cp -\- d)] = cos [cp + <5') ; hiervon ist sin h zu subtrahieren. Was nun den Assi (Wurzel) anbelangt, so ist dies eine von Abul Hassan in die arabische Astronomie ein- geführte Bezeichnung für die halbe Summe der Sinuswerte jener Winkel, die eine Parallelkreis- sehne mit dem Horizonte bildet. Also Assi des Nadir : sin -4 HiMBi -f-sin 3 H^MB _ sin [90» - (cp - (?)] + sin [90« - {cp + 6)] 2 cos (cp — ö) -\- cos {cp-\-d 2 • cos cp ■ cos d ~ 2 "~ 2 = cos cp ■ cos 6. Das ist aber das Produkt, das im Nenner steht. Daß I — cos s ehemals als sinus versus und I — sin s als cosinus versus bezeichnet wurde, lehrt jede Geschichte der Mathematik. Wir werden ein anderes Mal Gelegenheit nehmen, einige interessante astronomische In- strumente der Araber zu besprechen. Prinzipieu der Skelettbild iiiig. [Nachdruck verboten.] Von Dr. Edw. Hennig. Als Skelett werden Hartbestandteile des Tier- Entwicklung zurückgelegt hat, und die Richtung körpers bezeichnet, die sehr verschiedenen Ur- dieses Weges. Es ist von großem Interesse, Sprungs sein und sehr verschiedene Aufgaben dieser Richtung nachzuspüren. Denn die philo- erfüllen können. Sie gelten unklarer Vorstellung sophische Überzeugung, daß die Annahme einer nicht selten gewissermaßen als anorganische, tote ,, Zielstrebigkeit" jenseits allerhöclistens indi- Körperteile, kommen aber in der Paläontologie vidueller Grenzen kein wissenschaftliches Prinzip um so mehr zur Anerkennung. Müssen sie doch sei, und die immer wieder gemachte Erfahrung als (mit nicht allzu wenigen, aber verhältnismäßig einer oft geradezu genialen Vervollkommnung ') bedeutungslosen Ausnahmen) einzige Überbleibsel des Tierkörpers in ganz bestimmter, oft durch einer vergangenen Welt das ganze reiche Leben Jahrmillionen verfolgter Richtung rivalisieren im ungemessener Zeiträume vor unseren Augen wieder Geheimen noch immer miteinander. Die Aus- erstehen lassen. Als Ausscheidung des Weich- drucksweise der Paläontologie ist jedenfalls viel- körpers lassen sie Rückschlüsse auf jene fossil fach eine fast überschwenglich teleologische, wenn nicht erhaltungslähigen Teile zu; ja sie sind in auch wohl in der Mehrzahl der Fälle nur auf Gestaltung und Wechsel lediglich aus den Weich- stillschweigende Übereinkunft hin und mit voller bestandteilen heraus verständlich. Nicht etwa Absicht zugunsten einer klaren Charakterisierung, schmiegt der Weichkörper dem starren Skelett- Wir wissen aus der gewaltigen Zahl skelett- gerüst sich an , sondern umgekehrt : nicht der loser Tiere verschiedener niederer Stämme, daß Nerv findet ja das winzige I-'oramen im Knochen Hartbestandteile dem Körper nicht unentbehrliche als Durchtrittsstelle, sondern der Knochen wird Lebensnotwendigkeit sind. Wo aber ein Skelett in ursprünglich schmiegsamer Masse wie ein Gips- bei niederen Tieren auftritt, ist es ein äußeres, ein abguß um ihn herum gegossen und empfängt von Hautskelett, eine Schale, und seine Funktion ist den eigenen Funktionen seine Gestalt. Darum ist einfach dieselbe wie bei der „harten Haut" einer es natürlich nur ein verkürzter bildlicher Ausdruck, Arbeitshand (wo der „Zweck" in seltener Klarheit wenn die Paläontologie bei der Beschreibung der als das Ergebnis wechselseitiger Förderung von Wandlungen des Tierkörpers von der Streckung Ursache und Wirkung erkennbar ist). Der Schutz eines Schädels, der Aufrollung einer Mollusken- gegen äußere Einflüsse und Gefahren, kurz gegen Schale, der Zuspitzung oder Abplattung von die Außenwelt, den das Außenskelett mit fort- Zähnen spricht. Wenn das scheinbar Starrste, schreitender Entwicklung in immer steigendem das Skelett, in paläontologischer Betrachtung als unerhört schmiegsames Wachs in den Händen ') ist nicht z. B. die 'Jarnkappe der Tlntenlische, die der Natur erscheint, so sind es im allgemeinen schwarze sie ihren Verfolgern entziehende Flüssigkeit, ge- eben die noch weich vorgebildeten Jugendgewebe, Jf^T •',',' I'-'fin'lung zu bezeichnen und ganz ähnlich den .. r , j j . j 1 I I Kaucnwolken , in die sich angeblich unsere rlieger im Not- die geformt werden und erst das abgeschlossene f^ng hüHen kö Ergebnis jedes einzelnen individuellen Schrittes wird uns als Hartbestandteil überliefert. Die Veränderungen des Skeletts lassen uns also den Wechsel von Lebensfunktionen erkennen, d. h. aber den Weg, den eine riergrui)pe in ihrer nen.- Sind Giftdrüsen nicht bewundernswerte technische Errungenschaften und gehen gewisse Mimikry- erscheinungen nicht schlechterdings in ihrer Vollendung über das Notwendige (z. B. bei Schmetterlingen nicht nur Nach- ahmung eines Blattes, sondern auch noch des Raupenfraßes daran !) und damit über das durch den Daseinskampf Erklär- liche hinaus? N. F. XIV. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 215 Maße gewährt, hat aber Kompromisse einzugehen mit anderen unabweisbaren Lebensbedürfnissen, die in entgegengesetztem Sinne wirken: Beweg- lichkeit, Verbindung und Stoffaustausch mit der Außenwelt. Eine Stadtmauer, die nicht Tore (offenbare Schwächepunkte) enthielte, würde er- drücken, statt zu schützen; und eine Schildkröte, die durch ihren kompakten Panzer geradezu im Fortpflanzungsgeschäft beeinträchtigt wird, die sich, auf den Rücken gelegt, nicht selbst wieder aufzurichten vermag, erstickt im — „Militarismus" (wenn dieses Wort einen Sinn haben soll), weil sie über den Schutzmaßregeln, einem Mittel zum Zweck, andere wichtige Bedürfnisse vernach- lässigt und damit schließlich selbst den Schutz zu einer Gefahr werden läßt. Die Art und Weise, in der das Dilemma ge- löst wird, macht die Schale erst verständlich, die Zahl der Methoden zur Erreichung des Schutzes unter Umgehung der angedeuteten Schwierigkeiten ist groß in der Natur. Und jeder Methode ent- spricht etwa eine große genetisch-systematische Einheit des Tierreichs. Es kommt aber hinzu, daß ein fertig gebildetes Skelett vorher ungeahnte Möglichkeiten gewissermaßen zufällig mit sich bringt, die von der unermüdlichen Natur begierig aufgegriffen werden. E^in Hartbestandteil ermöglicht als fester Ansatzpunkt erst bestimmte Ausbildungen der Muskulatur, die ursprüngliche Funktion kann in ihrem Werte daneben und neben anderen Möglich- keiten ganz verblassen und vernachlässigt werden. Dadurch kann es sich als erforderlich erweisen, den ursprünglichen Beschützer selbst in zarteste Obhut zu nehmen, gerade wie der Mensch (aus anderen Gründen) seinen Kopf „behütet" und den Hut seinerseits „beschirmt". So wird dann schließ- lich nicht nur im Wirbeltierstamme das Skelett nach innen verlagert und es kann daneben von neuem zur Hautskelettbildung Raum werden, wie vor allem bei den Fischen und Reptilien. Als drittes bzw. viertes formgebendes oder abänderndes Moment tritt endlich das Wachstum ein. Gerade die Jugendstadien bedürfen ja des Schutzes in besonderem Maße, die Skelettbildung hat also nicht Zeit, das Stadium des erwachsenen Tieres abzuwarten. Andererseits behindert natur- gemäß eine feste Außenhülle das Ausdehnungs- bedürfnis; es sind also bestimmte Kunstgriffe der Natur erforderlich, über diese neue Schwierigkeit hinweg zu verhelfen. Ein Außenskelett wird von Zeit zu Zeit abgelegt und ersetzt oder einfacher erneuert wie ein Anzug und dazu ist ein nicht unbeträchtlicher Energie- oder Stoffaufwand nötig, aber gerade daraus können auch wieder neue Quellen der Lebensfähigkeit erstehen. Unter den Einzelligen kommen als Skelett- bildner für die Paläontologie nahezu ausschließlich die Rhizopoden, von diesen wieder nur die F"oraminiferen und Radiolarien in Be- tracht. Schon zwischen diesen beiden besteht — es können in dieser kurzen Übersicht natürlich nur schematisch Hauptzüge angeführt werden — ein wichtiger Gegensatz, der auch im Namen zum Ausdruck gelangt: Ein bedeutender Teil der Radiolarien scheidet ein sehr zierliches, meist kugeliges Gehäuse aus, das allenthalben wie feinstes .Schnitzwerk durchbrochen ist und die Sarkode strahlt allseitig und gleichmäßig durch diese Öffnungen aus. Im Verlaufe des Wachs- tums scheidet sie außen über dem ersten, also in größeren Dimensionen ein zweites konzentrisches Gitterwerk ab und so fort. Die ineinander ge- fügten und miteinander durch Streben verbundenen Kügelchen erinnern an prächtige chinesische Lack- schnitzereien. Bei den Foram inifere n ist die kuglige oder gestreckte, sehr verschiedenartig gestaltete Schale nur an einem Ende mit einer Öffnung ver- s e h e n. Nur hier kann also die Sarkode austreten, nur hier weiterwachsen und weiterbauen: eine Zelle fügt sich an die andere, wobei eine unendliche Mannigfaltigkeit der Richtung und Größenände- rung im Aneinanderreihen die einzelnen Gattungen charakterisiert. Aber wir treffen schon hier neben dichten auch auf poröse Schalen und damit auf einen oft wiederholten Gegensatz (Perforata-Im- perforata bei Foraminiferen, Porulosa-Osculosa bei Radiolarien, Perforata-Aporosa bei Korallen), der zunächst dem angegebenen zwischen Radiolarien und Foraminiferen selbst entspricht und eine meist sekundäre, daher erst bei jüngeren Gruppen auf- tretende Durchbrechung des Panzers bei einem Teil der I*"ormen betrifft. Atmung und Ernährung verlangen trotz dem Schutzbedürfnis ihr Recht, aber auch das Gewicht der Schale dürfte in Frage kommen, daß den winzigen Körpern unbequem werden oder das Tier im Schlamm des Bodens versinken lassen könnte. Die Porosität der Schale würde dann etwa der Materialersparnis bei Extre- mitäten und Wirbeln riesiger landbewohnender Wirbeltiere entsprechen. Indem sich nun unter Arbeitsteilung zahlreiche Zellen zum Aufbau metazoischer Tierkörper zu- sammentun, werden naturgemäß die Bedingungen der Skelettbildung wesentlich andere, nicht aber die zu erfüllenden Aufgaben. Daher finden sich beispielsweise bei Schnecken und Ammoniten mehrfach biologisch sehr wertvolle Konvergenzen des Schalenbaues zu den F'oraminiferen. Unter den Coelenteraten zeigen sich zu- nächst wieder durchbrochene und undurchbrochene Stütz- und Schutzpanzer bei den Schwämmen bzw. Korallen. Der große Magenraum, dem alles andere dienstbar ist, steht durch eine Haupt- öffnung mit der Außenwelt in Verbindung. Ist diese Öffnung aber bei den Korallen sowohl Mund als After, strömt also durch sie unter Mit- wirkung der randlichen Tentakel das Wasser ein und aus, so dient sie bei den Schwämmen ledig- lich der Ausfuhr; die Einfuhr erfolgt durch seit- liche, die „spongiöse" Wandung (die nicht ganz dem Skelett identisch ist!) durchbohrende Kanäle. Die Tentakeln sind hier also entbehrlich, dafür tritt innerhalb der Zufuhrröhren ein Flimmer- 2l6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 14 epithel ein. Das Skelett der Schwämme be- steht aus einzelnen, nicht einmal stets miteinander verfilzten Nadeln im Fleische, ist also kein Schutz- organ, sondern lediglich Stüizgerüst, kann auch ganz fehlen. Bei den Korallen ist es dagegen wirklich ein allseitig abschließendes und auch im Innern gekammertes Gehäuse, gleichsam eine künstliche Felshöhle. Porosität betrifft hier großen- teils nur die inneren Septen, nicht die äußere Wandung. In diesen Fällen ist sie offenbar nicht zur Erleichterung des Verkehrs nach außen, son- dern nur zur V^erminderung des Materialverbrauchs und des Gewichts bestimmt. Das Echi n odermen- Skelett ist nach ganz anderemGrundpIaneaufgebaut,wieer uns erst wieder im Schuppenpanzer bei Wirbeltieren ähnlich ent- gegentritt. Einzeltäfelchen mosaikartig zusammen- gesetzt erlauben nicht nur den Körper bis auf die wichtigsten Leibesöffnungen zu schützen, sondern gewährleisten als ein echtes „Panzerhemd" auch die notwendige Beweglichkeit. Dem Grade der Be- weglichkeit entspricht aber, was bei diesen Wirbel- losen immerhin ins Gewicht fällt, im umgekehrten Verhältnis der Grad der Festigkeit. So sehen wir denn nicht etwa in gerader Entwicklungslinie, sondern mit vielfachem Hin und Her den je- weiligen Bedürfnissen oder wenn man will Launen entsprechend die mannigfachsten Übergänge und Kombinationen von beweglichem und durch Ver- wachsung unbeweglichem Plättchenpflaster bei Blastoideen, Cystoideen, Crinoideen, Asterozoen und Echinozoen. Zu Zwecken der Respiration und Fortbewegung kommen wieder Porendurch- brechungen in wechselnder Anordnung vor. Inner- lialb der Crinoiden (Seelilien) sehen wir eine allmäh- liche Verschiebung im Verhältnis zwischen solidem Kelch und frei beweglichen Armen zugunsten letzterer in der Weise sich vollziehen, daß mehr und mehr Plättchen von oben her den Armen angegliedert und beweglich werden. Sind sie doch im ganzen dem Boden angewachsen und somit auf größere Schmiegsamkeit in den Einzelteilen unbedingt an- gewiesen. Bei den Seesternen kann es dagegen bis zu angenähert vollständiger Reduktion der hier Leibesorgane mit enthaltenden Arme kommen (Sphaerites) und die Seesterne haben (durch Heraufziehen der ,,Ambulakra" auf den „Kelch" oder die „Krone") völlig auf bewegliche .^rme Verzicht geleistet (ganz ähnlich aucli paläozoische Pclmatozoen, bei denen freilich die .Arme nicht reduziert, sondern umgeschlagen und dem Kelche aufgewachsen erscheinen, was äußerlich gewisse Konvergenzen bedingt). Beide erfreuen sich ja der Möglichkeit der I-'ortbewegung auf dem Meeres- boden mittels kleiner Füßchen, auch der sekundär hierzu herangezogenen Hautstacheln und können somit auf die F"estigkeit das Hauptgewicht legen, die Platten zu einem starren , unbeweglichen Panzergewölbc vereinigen. Wieder ein anderes Prinzip ist bei den „Zwei- schalern" zurDurchführung gelangt: Zwei Klappen umhüllen etuiartig den Weichkörper, den sie völlig gegen die Außenwelt abschließen können. Aber in diesem ,, Können" ist schon ein der eigenen Willkür untertäniges Element enthalten: Das Tier öffnet und schließt seine Schutzhülle vorüber- gehend und nach Belieben. Dennoch sind auch hier tiefgreifende Abwandlungen möglich und vorhanden; umfassen doch die Zweischaler als nicht-natürliche Einheit je einen Teil der Mollusken, der Molluskoidea und gewisse Arthro- poden (Schalenkrebse). Liegen die beiden Schalen der Muscheln rechts und links dem Tiere an, so entsprechen die der Brachiopoden dem oben und unten als Dorsal- und Ventral- klappe. Damit ist der bekannte Gegensatz ge- geben, daß die mediane Symmetrie-Ebene des bilateralen Körpers bei Brachiopoden die Schalen halbiert, bei den Muscheln dagegen zwischen ihnen hindurchgeht. Daher die Symmetrie der Doppelschale hier, der Einzelklappe dort, die dem Paläontologen ein so wichtiges Merkmal an die Hand gibt. Die Zweischaligkeit ist also lediglich ein auf sehr verschiedenen Wegen erreichtes, der Wirkung nach gleiches System. Eine bedeutende Verschiedenheit der Methode besteht ja vor allem auch darin, daß die Muscheln die Muskulatur nur zum Schließen verwenden, die Öffnung der Schalen dagegen selbsttätig durch das elastische Band geschieht, während die Brachiopoden auch das Offnen durch einen als Heber wirkenden Muskel besorgen. Den Zweischalern stehen die ,, Einschaler" unter den Mollusken entgegen: Schnecken und ,, Kopffüßler" oder Gastropoden und Cephalopoden. Die Embryonalzelle umgibt sich wiederum nahezu allseitig mit einem festeren, später verkalkenden Häutchen. Während des Wachstums wird das Skelett an der einzigen Öffnung in entsprechen- dem Maße ergänzt und erweitert; das Tier wandert also vorwärts aus der Schale heraus oder besser schiebt die nicht mehr bewohnbaren Teile rückwärts ab. Dabei besteht aber ein wesent- licher L-nterschied. Die beiden gemeinsame bilaterale Sjmmetrie des Weichkörpers wird (mit geringen Ausnahmen, deren biologische Deutung sich mit diesem Vergleiche von selbst ergibt) von der Cephalopoden-Schale deutlichst zum Ausdruck gebracht, die Schneckenschale dagegen rollt sich zwar auch wie ein Ammonshorn spiralig auf, doch nicht in der einen medianen Ebene. Der Grund dürfte in den Lebensgewohnheiten zu suchen sein : Die Schnecken, auch die iMehrzahl der meeres- bewohnenden, bewegt sich kriechend auf dem Boden, der durch die Schale beschwerte Mantel- sack hängt seitlich herab und läßt daher die kalkige Ausscheidung schief weiterwachsen. Die .'Ammoniten dagegen müssen als gute Schwimmer gelten; damit hängen einige Eigenschaften ihrer Schale im Zusammenhang, die einander weciisel- seitig bedingen und fördern, die ihrerseits durch eine ganz neuartige Ausnützung der Schale das Schwimmen ganz wesentlich erleichtern und da- mit aufs klarste wieder das Wesen der Selbst- N. F. XIV. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 217 Steigerung, *) d. h. der gradlinigen Fortentwick- lung kennzeichnen. Die Verbindung des Weich- körpers mit der Schale wird gefestigt, indem der Mantel im Gegensatz zu den Schnecken nicht nur seitlich an der Schalenmündung, son- dern auch rückwärts eine Kalkwand absondert, die freilich beim allmählichen Herausrücken des Körpers aus den Jugendwiiidungen von Zeit zu Zeit ersetzt werden muß: die sog. Septen oder Kammerscheidewände. Dadurch entstehen inner- halb der außer Dienst gestellten Schalenteile leere Zellen (ähnlich wie bei gewissen Foramini- feren). Diese bloßen Relikte greift die Natur be- gierig auf und weiß die Abfälle in trefflichster Weise zu nützen : mit Luft oder richtiger Gasen erfüllt, dienen sie als Ballonkörper und liefern dem Tiere so einen beliebig regulierbaren Auftrieb, lenkbare Luftschiffe des Meeres! Damit sind sie aber zugleich gerade gerichtet, rollen sich also in der Medianebene auf und auch dies gewährt einen Vorteil, der alsbald ausgenützt, d.h. vervollkommnet wird. Die ausgedienten zarten Embryonalkammern haben ja plötzlich einen Wert erhalten und durcji die symmetrische Aufrollung gelangen sie in die Mitte der Schalenspirale, wo sie gegen Verletzung besser geschützt sind als an der Spitze des Schnecken- gehäuses. Nun legt sich in den verschiedensten Abteilungen der Cephalopoden der Weichkörper möglichst breit von außen über seinen Auftriebs- apparat und umhüllt ihn ebenso, wie die neuen von ihm ausgeschiedenen Windungen es tun, zu vermehrtem Schutze: die evoluten Gehäuse wer- den involut, ungenabelt, bis im höchsten Sta- dium dieser Entwicklung die inneren Um- gänge von außen her überhaupt nicht mehr zu erreichen sind. Die Schwimmfähigkeit wird also immer mehr gesichert und gesteigert, der vermehrte Stoffwechsel führt zu erhöhter Gas- ausscheidung, der Weichkörper wird gewisser- maßen von innen aus der Schale nach vorn ge- drängt, der Widerstand des Wasserdrucks von außen, wie das Solger einleuchtend dartat, über- wunden. Entsprechend finden wir bei den Am- moniten gegenüber den geologisch älteren (und wenn man von der lebenden Gattung rück- schließen will, trägeren) Nautiloideen vorwärts ge- wölbte Scheidewände. Mit dem Kräftigerwerden der Muskulatur des Mantels mag auch die immer kompliziertere Schlitzung der „Lobenlinien" (Nähte der Kammerwände) zusammenhängen, mit ihr ge- meinsam wieder zu einfachen Stadien von dem Augenblick an zurücksinken, wo zu verschiedenen Zeiten, besonders in der Kreide, kurz vor dem endgültigen Absterben die Ammoniten altern. Ein ') Zum Vergleich ein Beispiel unseres Kulturlebens : Längere geradlinige Straßen einer Großstadt pflegen den Durchgangsverkehr anzuziehen, dieser lockt größere Kauf- häuser an, die ihrerseits erneutes Zuströmen des Publikums, vermehrte und verbesserte Verkehrsmittel hervorrufen, womit wieder neue Absatzgelegenheiten gegeben sind und so fort, bis schließlich Geschäftsstadt und Wohnstadt sich durch Ar- beitsteilung voneinander sondern. Aufgeben des Schwimmens, eine Rückkehr zum Bodenleben mochte die gleichen und ähnliche un- symmetrische Spiralenbildungen zur Folge haben, wie wir sie bei den Schnecken fanden. Die un- regelmäßigen „Nebenformen" gehen mit verein- fachten Lobenlinien einigermaßen parallel. In größerer Häufigkeit und mehr als normale Nebenzweige zeigen sich aber bei Nautiloideen an Stelle der gewundenen die gestreckten Schalen ; „Orthoceras'', das „gerade Hörn" ist eigentlich eine contradictio in adjecto. Auch hier bestand ja aber die Kammerung und damit der Zwang, das schützende Skelett selbst zu schützen, ja die neu entstandene Funktion in den Vordergrund zu stellen, selbst wenn damit Preisgeben des ur- sprünglichen Schutzes verbunden war. Es kommt hinzu, daß die Cephalopoden sich beim Schwimmen vorwiegend rückwärts bewegen, eine lange ge- streckte Schale also um so gefährdeter ist. Damit ist die eigenartige Abänderung des Skeletts bei der Ascoceraten - F"amilie in Zusaminenhang ge- bracht worden. Hier werden die ersten Kammern nach einiger Zeit abgeworfen und die neuen Kammern seitlich bzw. dorsal zur Wohnkammer angelegt, wodurch Vereinigung auf engerem Raum ebenfalls erzielt wird. Indessen hat diese Gruppe das Silur, in dem sie entstand, nicht überlebt, wogegen die Orthoceraten als solche sich bis zur Trias zu halten vermochten. Hier gehen, soweit wir zurzeit übersehen, aus ihnen die Aulacoceraten und damit die Belemniten hervor und zwar infolge Anwendung eines neuen , Prinzips" zum Schutze der geraden Luftkammerreihe, insbesondere der Anfangskammern: der Weichkörper tauscht die Rolle des Beschützers mit der Schale, umhüllt sie und inacht sie so zum Innenskelett, das außer bei den Vertebraten nur noch bei den Dibranchiaten (Zweikiemer der Cephalopoden) eine bedeutende Rolle spielt. Noch mehr: der Weichkörper scheidet eine neue sehr kompakte Hülle aus Kalkkriställchen aus, die die Spitze der Kammer- schale umfaßt und mehr und mehr zu deren Schutze einhüllt, ja schließlich ganz aufnimmt. So entsteht das meist allein erhaltene feste Rostrum der Belemniten, der „Donnerkeil" des Volks- mundes. Da die fleischliche Hülle nur dünn ist, vermag dieser spitze Sporn beim Rückwärts- schwimmen nebenbei auch noch als Wasserteiler zu dienen. Die ursprüngliche Schale sinkt zum bedeutungslosen ,,Phragmokon" herab, an Stelle der Wohnkammer tritt die nur dorsal vorhandene Verlängerung der Schalenmündung, die als „Proo- strakum" der Belemniten bezeichnet wird und als Schulp der Tintenfische (Sepien) schließlich fast allein vom ganzen Innenskelett übrig geblieben ist. Denn nachdem eine Reduktion der Kammerung eingetreten war, wurde auch ihr Schutz überflüssig und der ganze innere Ballast fliegt über Bord. Gewiß ein Beispiel für nicht gradlinige, „ziel- strebige" Entwicklung! Bei den Arthropoden stoßen wir wieder auf ein freilich meist chitinöses Außenskelctl und aber- 2l8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 14 mals auf ganz neue Grundzüge und ungeahnte Entfaltungsmöglichkeiten. Das Prinzip des beweg- lichen Panzers tritt wieder auf und zwar erstreckt er sich im Gegensatz zu den Crinoiden selbst auf die Fortbewegungsorgane, die zu kunstvoll ver- schienten Gliedmaßen werden und nachträglich nur infolge dieser Beschaffenheit Umwandlungen zu Fühlern , Kiefern , Greif- und Abwehrorganen er- fahren können. Demgegenüber ist jetzt der Leib selber nicht stets allenthalben gleichmäßig ge- schützt: der Erdboden, auf dem das Tier kriecht, schützt auf der Unterseite, die hauptsächlichen Panzerplatten finden sich also dorsal und sie sind nunmehr nach Segmenten des wurmförmig ge- streckten Körpers verteilt angebracht, gegenein- ander verschiebbar und dachziegelartig als Schuppen einander randlich aufgelagert, so daß auch bei Krümmung des Leibes keine Lücke zwischen ihnen klafft. Vorbildlich fast sind darin die Panzer der (paläozoischen) Trilobiten gebaut. Häufig sind diese Tiere in eingekrümmter Stellung erhalten, wobei Schwanz- und Kopfschild einander berühren und decken. Die Möglichkeit, die weniger ge- panzerte Bauchseite zu schützen, ist also dennoch gegeben, aber wiederum dem freien Willen des Individuums anheimgelellt. An Stelle des zwei- klappigen Etuis ist hier nur die aufrollbare spa- nische Wand getreten. Besser noch wäre mit dem Igel zu vergleichen : Denn auch seitlich bleibt der Schutz dabei durch äußerst sinnreiche .Anordnung der Einzelplatten vollkommen gewahrt. Die Ver- schmelzung mehrerer ursprünglicher Platten oder Segmente ist beim Kopf- und Schwanzschild der Tri- lobiten in allen .Stadien zu verfolgen und geht wohl in Anpassung an bestimmte Funktionen vor sich, die nicht nur den Schutz umfassen, sondern zum Teil neue ,, Einfälle" an Hand des gegebenen Skelett-Materials darstellen. Der ungeheuerliche Reichtum an Formen bei den Arthropoden, die ja als erste neben dem Elemente des Wassers und des trockenen Landes auch die Luft erobern und sich dort frei in unabsehbar mannigfaltigen Gestalten entfalten, kann bei dieser flüchtigen Übersicht nicht umfaßt werden. Bemerkt sei nur hinsichtlich des TrilobitenSchwanzschildes (Pygidum), daß es nach einer einleuchtenden Darstellung als Schlagruder beim Schwimmen dient und zwar in einer verti- kalen (dorso-ventralen) Bewegungsrichtung. Denn damit ist ein wichtiger Gegensatz ge- geben gegenüber den mit ihnen gemeinsam vor- kommenden ältesten Wirbeltieren, die eine ge- radezu erstaunliche -äußerliche Ähnlichkeit mit jenen Invertebraten aufweisen und daher des öfteren zu der Frage angeregt haben, ob hier das paläontologische Beweismaterial für eine Ableitung der Wirbeltiere, und zwar der l-'ische von den .Arthropoden gegeben sei. ') Es ist ja vor allem höchst interessant und überraschend, bei diesen ') Vgl. besonders die interessante und geschickte, wenn auch in der Behandlung des paläontologischen Materials nicht immer ganz einwandfreie Studie von Gaskell: Origin of vertebratcs. London 1908. ältesten Wirbeltieren nicht das innere Skelett zu finden, das uns als ihr wesentlichstes Merkmal vor Augen steht, sondern einen Panzer, der Kopf und Brust außen umgibt und nur am Hinterleib, so- weit dieser bei mehreren Formen erhalten ist, in ein Schuppenkleid übergeht, wie wir es von Fischen und Reptilien her gewöhnt sind. Unbe- dingt erforderlich zur Klärung jener Streitfragen ist ein noch viel intensiveres Studium der mikrosko- pischen Skelettstruktur. Innerhalb der silurisch-de- vonischen Panzerfische sind ja freilich schon große Verschiedenheiten .in dieser Hinsicht festgestellt worden. Aber es ist verständlich, daß die selte- nen Funde nicht jederzeit zu mikroskopischen Schliffen geopfert werden können, bedauerlicher, daß gewiß manches hierfür geeignete, sonst der Erhaltung wegen unbrauchbare Bruchstück ver- worfen oder nicht beachtet und erkaimt werden mag. Was die wirklich weitgehende, selbst die Bestimmung erschwerende Übereinstimmung in der äußeren Gestalt angeht, wie sie insbesondere an Arthropoden und Placodermen der gleichen obersilurischen Schicht der Insel Oesel bemerkt werden kann, so ist Vorsicht unbedingt v'onnöten : es gibt in der alpinen Trias Fälle, wo Schnecken und Cephalopoden äußerlich überraschend gleichen Habitus annehmen, wobei Ammonilen (z. B. Coch- loceras) zur Schneckenspirale übergehen, Schnecken (z. B. die Pleurotomaride Kokenella) sich in einer Ebene aufrollen und auch die Skulptur entsprechend variieren kann. Wir kennen noch nicht endgültig die Pjnflüsse der Außenwelt und Lebensweise auf die Gestaltung der Organismen. Vielleicht verbergen sich unter einigen als Mimikry bezeich- neten Gleichartigkeiten in ähnlicher Weise gleiche Wirkungen gemeinsamer Ursachen? Sobald wir jedenfalls ganze Abdrücke von Panzerfischen finden, machen die Rücken- und Schwanzflosse die Zu- gehörigkeit zu den Fischen auch dem Unein- geweihten ganz plausibel. Und in dieser Neu- erwerbung kündigt sich eben eine ganz andere Schwimmbewegung, der seitliche, horizontale Schlag des Hinterleibes an (vgl. das Rudern eines Kahns mit nur einem Riemen). Die Mäche muß der größeren W'irkung wegen senkrecht zur Be- wegungsebene stehen, d. h. bei einem Kruster- schwanz der angedeuteten Art in einer seitlichen Verbreiterung (flache Pygidien), beim Fisch in einer senkrecht stehenden Hauterweiterung (Plosse) bestehen. Eine derartige „schlängelnde" Bewegung des Fisch-Hinterleibes ist funktionell unter keinen Umständen von dem Schwimmen solcher Kruster abzuleiten, die an Stelle eines Schwimmfußes einen Schwimmschwanz entwickeln. Wenn wir bei den Nautiloideen ((~)rthoceraten ) Belemnoideen das Hereinziehen des Außen- skeletts in den Körper kennen lernten, so tritt bei den Wirbeltieren ein ähnlicher Wechsel, aber im ganzen ') keine Wiederholung jenes Vorgangs ein: ') Ein ,,Hineinwaadern" von dermalen Knoclienelementen in den Körper ist auch bei Vcrtebraten nicht ausgeschlossen N. F. XIV. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 219 neben dem Hautskelett entsteht das innere Gerüst der Wirbelsäule und ihrer Anhänge, das so unendlich neuartige und wechselreiche Gebilde und Funktionen im Verlauf der Stammesgeschichte (Schädel, Schultergürtel). Das Umgekehrte ist in der Tierwelt wohl kaum beobachtet, doch aber angedeutet bei dem Flug- drachen (draco volans) , dessen Rippen außerhalb des Brust- korbes die Schwebehaut (Fallschirm) tragen und etwa bei den Schildkröten , die ja sozusagen mit dem ganzen Leib sich im eigenen Brustkorb verkriechen. ermöglicht, zu voller Entfaltung seiner Möglich- keiten und Fähigkeiten aber erst da gelangt, wo auf den schützenden äußeren Panzer konsequent verzichtet wird. Das sehen wir unabhängig von- einander zu verschiedenen Malen sich vollziehen, z. B. bei den Knochenfischen und besonders er- folgreich bei Säugern und Vögeln. Diesen Ver- änderungen desinnnenskeletts sei indessen hier nicht nachgegangen. Seine großartigen Anpassungs- erscheinungen sind ja verhältnismäßig bekannt. [Nachdruck verboten.] Die gesegneten Marschen an den deutschen und holländischen Küsten gehören zu den frucht- barsten Fluren der Welt, sie versorgen weite Länder mit Nahrung an Getreide und Schlacht- vieh und machen ihre Besitzer wohlhabend und reich. Aber so einig man über die Fruchtbarkeit der Marschen ist, so verschiedene Urteile hört man über die Entstehung derselben. Gewöhnlich wird gesagt, die Marschen be- stehen aus einem fruchtbaren Ton, den die Flüsse ins Meer führen und den das Meer dann absetzt. Zum Teil wird dies wohl richtig, wenigstens mög- lich sein. Aber dann müßte man auch anderswo Marschland finden und nicht nur an der Nordsee- küste. Es gibt aber auf der ganzen Erde nur hier Marschland. Demnach kann auch diese An- nahme nicht richtig sein. Ferner sagt man, daß eine Unzahl mikroskopischer Lebewesen, nament, lieh in dem Brackwasser der Flußmündungen- sterben, zu Boden sinken und ganze Schichten bilden. Ähnlich ist es mit anderen im Meer sterbenden Pflanzen und Tieren. Aber die Reste aller dieser Wesen bilden immer noch keine Marsch, höchstens helfen sie, dieselbe bilden und machen den Boden fruchtbar. Die eigenartigste Ansicht dürfte wohl die sein, daß der zu Millionen im Meeressande lebende Pierwurm die Marscherde erzeuge, ähnlich wie sein Vetter Regenwurm zur Fruchtbarkeit der Gartenerde mit beitrage. Wohl möglich, aber kaum glaublich. Der Sache etwas näher dürfte man kommen, wenn man eine Bodenprobe der Marsch schlemmt, um die Bestandteile kennen zu lernen. Da findet man denn feinen Sand, viel Ton und Glimmer- blättchen. Das sind aber im Grunde genommen die Bestandteile, aus welchen alle unsere Boden- arten mehr oder weniger zusammengesetzt sind, und da diese fast alle diluvialen L^sprungs sind, so wird es mit den Bestandteilen der Marsch ähn- lich sein, sie verdanken den Eiszeiten zur Haupt- sache ihre F.ntstehung, obwohl die Marschablage- rung eine alluviale ist. Selbstredend wirken eine ganze Anzahl von Umständen mit, wodurch noch heute der Bestand der Marsch erweitert wird, aber der Hauptteil gehört dem Diluvium an. Der Beweis für diese Annahme ist nicht schwer Über die Eutstehung der Marschen. Von H. Philippsen, Flensburg. ZU führen. Als in den verschiedenen Perioden der Eiszeit sich die gewaltigen Eismassen vom skandinavischen Hochgebirge nach allen Seiten ausstreckten, da führten sie auch das Material der dortigen Gebirge mit und brachten dasselbe überall zur Ablagerung. Im LInterboden lagerten die Grundmoränen die Schichten von Ton und Mergel ab, und die gewaltigen Ströme von Schmelzwasser schwemmten die feinen Teilchen wie Sand und Ton mit fort und lagerten sie all- mählich nach dem Gesetz des spezifischen Ge- wichtes ab, zuerst den Sand und zuletzt die feinen Tonteilchen. Die weiten Sandflächen Norddeutsch- lands sind Ablagerungen aus jener Zeit, aber süd- wärts werden sie von einem Kranz fruchtbarer Fluren umsäumt, wo einst die leichteren Ton- teilchen aus dem Wasser abgeschieden W'urden. Diese Fluren sind freilich keine Marschen, aber Bodenproben enthalten zur Hauptsache dieselben Schlemmrückstände, so daß ihr LTrsprung gleich sein dürfte. Es darf nicht unerwähnt werden, daß die damaligen Urströme viele Schlammteilchen ins Meer führten. In dem Gebiet der jetzigen Nordsee vollzogen sich die Ablagerungen ganz ähnlich; dabei ist es gleichgültig, ob die Nordsee damals in ihrer jetzigen Foim bestand oder nicht, jedenfalls aber füllten die Ablagerungen einen großen Teil aus und das Festland reichte weit ins Meer hinein. Schon damals muß sich am LTfer ein fruchtbarer Marschstreifen gebildet haben. Als nun infolge von Bodensenkungen die Sturmfluten das neu geschaffene Land nach und nach zerstörten, da wurde aus dem Boden der Ton ausgewaschen, der fast chemisch reine Sand blieb übrig und die leichten Stoffe wurden als Marsch an den geeigneten Orten abgesetzt. Je weiter die Zerstörung fortschritt, desto mehr häuften sich die Bestandteile der Marsch, und sicher ist dieselbe mehrmals zerstört worden, um dann an anderen Orten wieder neu abgelagert zu werden. Die Schlemmrückstände wurden durch Zufuhr neuer Stoffe nach und nach vermehrt, wenngleich dies wenig von Bedeutung war. Eben- falls zerstörten die Fluten die Mergel- und Ton- lager der Grundmoränen, und die feinen Teile lieferten reichliche Stoffe zum Aufbau der Marsch. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 14 Auch die weit ausgedehnten mächtigen Schichten des miocänen Glimmertons, der noch auf Sylt ansteht, und dessen Schichten sich vormals weit in die Nordsee erstreckte, wurden zerstört und die fetten Tone vergrößerten nicht unwesentUch die Bestandteile der Marsch. Gegenwärtig können neue Tonteile ausgewaschen werden aus dem Glimmerton und den Mergellagern, andere ge- langen mit den Flüssen ins Meer oder werden im Meere selbst durch die Reste verendeter Wesen tierischen oder pflanzlichen Ursprungs vermehrt. Alle Schlickteile der Nordsee treiben mit der herrschenden Wasserströmung von Nordost nach Südost. Die ganze Nordsee hat kristallklares Wasser, genau wie jedes andere Meer; sowie man aber in den Bereich des Wattenmeeres kommt, nimmt das Wasser von den Schlickteilen einen schmutzigen, grauen Ton an. Die Schlick- ablagerung erfolgt an der ganzen Linie von Tegel in Holland bis nach Fanö in Dänemark, am stärksten aber wohl im Wattenmeer der deutschen Bucht. Die Ablagerung ist an bestimmte Regeln gebunden und erfolgt nicht immer und überall. Die Wasserströmung durch Ebbe und Flut oder durch Sturmfluten verhindern sie, sie kann nur erfolgen bei ruhigem Wasser. Solches gibt es in der Nordsee eigentlich nur kurze Zeit, nämlich zwischen der höchsten Flut und dem Eiiitritt der Ebbe. Da senken sich alle Teile und bleiben liegen, sofern sie nicht wieder vom Ebbstrom entführt werden bis an einen Ort, wo sie der Strömung weniger ausgesetzt sind. Die Ablage- rung erfolgt besonders an folgenden Orten: 1. in künstlich geschaffenen oder natürlichen ruhigen Buchten, 2. an der Seite der Inseln und Ländereien, die dem herrschenden Wind entgegengesetzt sind und 3. wo zwei von verschiedenen Seiten zusammen- kommende Flutströme sich treffen. Die abgelagerten Schlickteile erhöhen nach und nach den Meeresboden und in interessanter Weise trägt jetzt der Pflanzenwuchs zur Erhaltung des neuen Landes bei. Zuerst siedelt sich der Queller, Salicornia herbacea an. Ist der Boden höher geworden, so kommen andere, namentlich Meldenarten, ferner das Meerstrandsgipskraut, die Meerstrandsaster und der Wermut. Bald ist eine richtige Vorstrandswiese geschaffen mit buntem Blumenteppich. Ist der neue Boden von dem Regenwasser so ausgelaugt, daß der weiße Klee erscheint, so hält man ihn für reif zum Eindeichen, führt erst einen sog. niederen Sommerdeich, dann aber einen haltbaren Winterdeich auf, und so hat man einen Koog gewonnen. Freilich geht die Sache nicht immer so glatt vonstatten, da Sturm- fluten und im Winter Eisgang oft das wegreißen, was jahrelange friedliche Arbeit der Natur aufge- baut hatte. Gewöhnlich kommt der Mensch der langsam aufbauenden Natur zur Hilfe. Auf mannig- fache Weise wird versucht, stilles Wasser zu schaffen und den Schlick zum Ablagern zu bringen. So macht man zur Ebbezeit Gräben durch den Wattenschlick, erhöht dadurch das Watt, schafft aber in den Gräben ruhiges Wasser, worin sich neue Senkstoffe ablagern können. F"erner baut man Buhnen und Lahnungen. In großartigster Weise ist schon seit Jahren die Regierung tätig, um durch Verbindungsdämme zwischen den Inseln unter sich und mit dem Fest- land eine große Zahl stiller Buchten zu schaffen, in denen sich der Schlick ablagern muß. Die ersten Erfolge damit sind recht viel versprechend, und mancher glaubt schon, durch friedliche Arbeit hier im Wattenmeer dem Meere eine Provinz ab- ringen zu können. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Mög- lichkeiten vorhanden sind, hier recht viel frucht- bares Marschland dem Meere abzugewinnen ; aber die Hoffnungen darauf dürften durchweg viel zu weitgehend sein. Ist die anfangs erwähnte An- nahme über den Ursprung des Marschschlickes richtig, so kann sich nur wenig Schlick mehr bilden, und damit wäre auch die Anschlickung für die Zukunft recht begrenzt. Wenn bald alle hin und her treibenden Stoffe endlich zur Ab- lagerung gelangt sind, so ist es auch mit dem neuen Anwachs vorbei, da die wenigen Stoffe aus den Flüssen kaum von Bedeutung sind. Mancher Hektar Boden dürfte noch gewonnen werden, be- vor es so weit ist, aber dann ist auch alles vor- bei und manche Hoffnung ist dann zunichte ge- worden. Vielleicht aber läßt sich die Küste dann noch weiter hinausschieben durch Festhalten des flüchtigen Sandes, der am Außenrand der Marschen sich zu schützenden Dünen auftürmen würde. Aber würde das nicht wieder ein Schritt der Natur im Wechsel der Dinge sein, die den Sand über die Marschen weht, um am Außenrande das ungeschützte Land dann wieder dem Meere zu übergeben, wie schon so oft vorher? Doch das sind Dinge, die erst der fernen Zukunft ange- hören. Einzelberichte. Zoologie. Jagende Seesterne. Die Seesterne ernähren sich von Schnecken und Muscheln, Krustern, Würmern, kleinen Fischen und Seeigeln. Arten mit breiter Mundscheibe und wenig beweg- lichen Armen führen ihre Beute direkt durch das große Maul in den Magen, \erdauen dort die Weichteile und geben die unverdaulichen Hart- teile durch das Maul wieder von sich. Andere Arten dagegen, deren kleine Mundöffnung die Aufnahme größerer Heute unmöglich macht. N. F. XIV. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. stülpen ihren Magen aus, umhüllen damit die Beute, überdecken sie mit verdauendem Sekret und schlürfen die flüssig gewordene Nahrung ein, wozu mehrere Stunden gehören; doch sind nicht alle Beutetiere den Seesternen gegenüber völlig hilflos, selbst nicht solche, bei denen lebhaftere Bewegungen für gewöhnlich nicht eintreten. V. Bauer berichtet, daß Herzmuscheln {Cardi/iin) vor Seesternen dadurch fliehen, daß sie ihren Fuß weit herausstrecken, fingerförmig nach unten krümmen und sich mit einer kräftigen Bewegung vom Boden abstoßen, wodurch sie sich ziemlich weit fortschnellen. Der Seestern jagt mit er- hobenen Armspitzen hinterher und folgt den un- regelmäßigen Zickzacksprüngen der Muscheln mit einer gewissen Sicherheit, indem er seine Be- wegungsrichtung entsprechend abändert. Der Ausgang der Jagd hängt natürlich von ver- schiedenen Umständen ab. Eine andere Beute von Seesternen, eine Schnecke (N^(2ssa rcficiilafd), versteht es, mit Hilfe ihres Fußes sich derart vom Boden fortzuschnellen, daß sie mehrere Purzelbäume hintereinander schießt und zwar so rasch, daß man die einzelnen Phasen nicht recht verfolgen kann. Bauer stellte hierbei fest, daß die eigenartige und bei einer Schnecke gewiß überraschende Fluchtbewegung nur dann zustande kommt, wenn die Schnecke direkt vom Seestern berührt wird, doch verhalten sich die aus der Schalenmündung frei herausragenden Teile des Weichkörpers verschieden: Berührung der Fühler bewirkt eine Zurückziehung in die Schale, Be- rührung des Rückens oder der Ränder des Fußes eine Zusammenziehung des Lokomotionsorganes und eventuell eine Änderung in der Bewegungs- richtung; sobald aber tentakelförmige Anhänge, die Nassa auf dem Hinterende ihres F~ußes in der Zweizahl besetzt, von einem Seestern berührt werden , tritt sofort die lebhafte Purzelbaum- bewegung ein, die nur durch diesen, wohl von der Haut des Seesternes ausgehenden Reiz, nicht durch andere Reize (mechanische , chemische) ausgelöst wird. Auch bei der Pilgermuschel [Pedcii jacobaciis) verursacht die Berührung mit der Haut von Seesternen eine hier durch stoß- weises Fortschwimmen zum Ausdruck kommende Flucht. Brn. Einkapselung bei einem Süßwasseroligochaeten. In Tümpeln und Gräben längs des Elbeufers bei Celakovice in Böhmen fandMrazek Oligochaeten, die der wenig bekannten Lumbriculidengattung Claparedcilla (Vejd. 1883) angehören. Das Ge- biet, auf dem sie vorkommen, ist zwar oft Über- schwemmungen ausgesetzt, liegt aber im Sommer bei niedrigem Wasserstande der Elbe größtenteils vollkommen trocken. Im selben Gebiet finden sich dMchAptis \ind B>'a)U'Iii[)iis. Die genannten Borsten- würmer besitzen, wie Mräzek feststellte, die Fähigkeit, sich einzeln nach Zusammenrollen zu einer Kugel unter Abscheidung einer schleimigen, aus Hautdrüsen stammenden Masse einzukapseln. Die 2 — 3 mm im Durchmesser haltenden Kap- seln sind durchsichtig, kuglig oder oval; durch Hinzutreten weiterer Kapseln häufen sich diese zu mehr unregelmäßigen Klumpen an, die Hasel- nußgröße erreichen können. Offenbar ermöglicht es diese Fähigkeit den Tieren, die trockene Zeit zu überdauern. Mindestens ebenso bemerkenswert ist die weitere Angabe, daß während des einge- kapselten Zustandes ungeschlechtliche Vermehrung erfolgt; allem Anschein tritt nach Verlassen der Kapsel Geschlechtsreife ein. Seit längerer Zeit bereits (Beddard 1892) ist bekannt, daß ein anderer limicoler Oligochaete sich bei Eintritt kühlerer Temperatur einkapselt, näm- lich Acolosoma , doch erfolgt keine Teilung in diesem Zustande, möglicherweise aber nach Vejdovsky in der Folge Geschlechtsreife. Auch Padiydnlus cafaueiisis, eine auf den Kiemen von TdpliKsa lebende Enchytraeide kann sich nach Drago (1899) einkapseln und in einem gewissen Sinne kann man auch bei Lumbriciden von Ein- kapselung sprechen : diese Tiere pflegen sich bei zunehmender Trockenheit des Bodens in die Tiefe zurückzuziehen, sich zusammenzuknäulen und in einer Höhle zu verharren, die innen von dem erhärteten Sekret der Hautdrüsen ausgeglättet ist (Korscheit 1914 nach älteren und eigenen Beobachtungen). Solche Regenwürmer einschlie- ßende Erdklöße findet man oft in trocken ge- wordenen Komposthaufen. Brn. Einen Frosch mit haarähnlichen Anhängen beschreibt neuerdings W. Kü kenthal. Die von Kamerun stammende Art ist allerdings bereits seit 1900 bekannt und von Boulenger als Triclwbatraduis robiistiis beschrieben worden; über Bau und Bedeutung der dicht stehenden, die Körperseiten sowie Rücken- und Hinterfläche der Oberschenkel einnehmenden haarähnlichen Anhänge, die bis 20 mm lang werden können, herrscht jedoch keine Übereinstimmung in der Literatur. Nach Kükenthal kommen diese Bildungen nur den Männchen zu, die Weibchen weisen an den entsprechenden Körperstellen nur niedrige Warzen auf. Die Anhänge sind Fort- setzungen des Integumentes mit einer bindege- webigen, Blutgefäße führenden Achse, die von nicht besonders drüsenreicher Epidermis überzogen ist. In ihr finden sich jedoch Nerven, die mit Zellen in derselben Weise in Verbindung treten wie bei den M erkel'schen Tastzellen. Demnach stellen sie ein sekundäres männliches Merkmal dar, das wohl nur während der p-ortpflanzungszeit auftritt und Sinnesfunktionen ausübt. M. Brn. Geographie. Unter dem Titel „Geomorpho- logische Probleme aus Kamerun" versucht C. Guillemain^) (in Petermann's Mittei- ')Dr. Constantin Guillemain, Privatdozent der Geologie an der Technischen Hochschule in Aachen, ist be- reits Anfang September auf dem westlichen Kriegsschauplatze Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 14 lungen, 1914, M. 9/10) eine Reihe von Problemen der Lösung näher zu bringen, die S. Passarge bereits im Jahre 1910 gestelU hat. Auf Grund seiner Forsciiungen in den Jahren 1905 — 07 und anderen Forschungen seit dieser Zeit bespricht Guillemain zunächst die Entstehung des Kamerunästuars. Es spielen hierbei tel. 25 — 32). H. Kränzlin, 1907. Peloria, die Wunderblume Linne's. (Aus der Natur. III, 1907 — 1908, p. 152—157). C. C. Gmelin, 1806 — 1826. Flora Badensis, II u. IV. .\. P. de CandoIIe, 1812. Elmigen. Digit. Monogr. Montpellier, 1812. G. Vrolik, 1S44. Über eine sonderbare Wucherung der Blumen bei der Digitalis purpurea. (Flora XXVII, 1844, P- 1—13)- G. Vrolik, 1846. Fortgesetzte Beobachtungen über die Wucherung (Prolifikation) in den Gipfelblüten der Digitalis purpurea. (Flora XXIX, 1S46. p. 97 — 103). M. T. Masters, 1869. Vegetable Teratology. (London, Kay-Society, 1869). Kleinere Mitteilungen, Ein neues Die Vitriolgrotten und Diadochithöhlen bei Erdmann 1831 zum ersten Male aus der Garns- dorfer Vitriolgrotte beschreibt. Dieses Mineral ist als Stalaktit, als Stalagmit, als VVandbekleiduiig in den verschiedensten Farben überall in den Stollen zu beobachten. Nach seinem Eisengehalt richtet sich bei ihm die wechselnde Farbe. Im mittleren Teile des Stollens, in dem anstatt des obersiluri- sehen Alaurischiefers glimmerreiche Untersilur- Garnsdorf unweit Saalfeld a. d. Saale. Thüringer Naturdenkmal. Am Fuße der hohen Bergzüge der Garten- kuppen, die der Umgebung von Saalfeld eine landschaftlich so anziehende Lage verleihen , sind im Berginnern noch heute lange Stollen und ge- waltige unterirdische Räume und Weitungen vor- handen, die aus der Zeit eines umfangreichen Alaun- und Vitriolbergwerks, „Jeremiasglück" stammen. Große schwarze Halden und Lauge- bühnen, davor am Bachgelände das alte Vitriol- werk, erzählen von der Bedeutung des Bergbaues, der im 17. und 18. Jahrhundert hier umging. Als im Jahre 1910 der Berliner Geologe Dr. Heß von Wichdorff Studien zu seiner Geschichte des Thüringer Bergbaues nachging und die alten Stollen und Baue von Jeremiasglück besuchte, entdeckte er die ungeahnten Schönheiten der wundervoll buntgefärbten Mineralabsätze, die sich seit dem Erlöschen des Alaunschieferbergbaues überall in den Stollen und deren saalartigen Er- weiterungen abgesetzt haben. Seinen unermüd- lichen Bemühungen ist es zu danken, daß dieses prächtige Naturdenkmal der allgemeinen Besichti- gung zugänglich gemacht wurde und nun seit seiner Erschließung, Pfingsten 1914, den Natur- freunden eine Quelle reiner Freude und anregen- der Belehrung geworden ist. Die Besitzer dieser über einen Kilometer langen unterirdischen Räume, die mit anerkennenswerter Freude und Liebe die Höhlen mit großen Kosten dem allgemeinen Be- such erschlossen, haben ihnen den Namen „Feen- grotten" gegeben. Die Farbenpracht in den erschlossenen Stollen- räumen ist eine wunderbar reichhaltige, so daß das Auge neben dem blendendsten Weiß hell- braune, gelblichweiße, rotbraune, tiefsmaragdgrüne, kaffeebraune und himmelblaue Abstufungen in einer Grotte wahrnehmen kann. Dazu wird diese unvergeßliche, märchenhafte Pracht durch elek- trische Beleuchtung, deren Lichtquellen geschickt schichten anstehen, hängen \on den Decken und Abb. I. Eigenartig Tropfsteingebilde au der Vitriolgrotten. dem Butterkeller angebracht sind, in ihrer Fülle auf die größtmög- liche Weise gesteigert. Diese Farbenwirkung erzeugen seltene, zum Teil nur in Saalfelds Umgebung in so reicher Entwicklung nachgewiesene Mineralien. Da ist in erster Linie der Diadochit zu nennen, den O. L. bekleiden die Stollenwände Aragonitbildungen, unter denen die kolloide Form ,,Ktypeit" vor allen bemerkenswert ist. Wo die mittel- und ober- silurischen Kiesel- und Alaiinschiefer im Stollen anstehen, findet sich an ihren Wänden der wun- derbar blaue Allophan. „Selten, aber doch hin 232 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. iq Abb, II Der Märchendom mit der Gralsburg. Abb. III. Einzelbild von der Gralsbur und wieder trifft man als kolloides Zwischenglied zwischen Tropfen und Diadochitsäulen noch weiche, biegsame , dem Kirchbaumharz auffällig ähnliche Bildungen, die im Innern tiefrotbraun, durchsich- tig und von vollkommen musch- ligem Bruche sind" (Heß von Wichdorffl. Dieses seltene Mineral nennt man Orthodia- dochit. Auch der Üiadochit hängt nicht nur als Stalaktit an den Decken und baut sich als Stalagmit auf dem Boden auf, sondern bildet wundervoll rote Tautropfen, die sich später zu Säulen formen und beweglich, freischwebend in der Luft hängen oder an den Wänden herabfließen. So kommen wir auf den an- deren Wert dieser Grotten. Sie erlauben uns einen Blick in das Werden dieser wunder- vollen Mineralgebilde mit den un- beschreiblich schönen Farben. Ich führe zu diesem Punkte die Worte und das Urteil des Entdeckers dieser Wunderwelt an : „Wir haben hier eine ausgezeichnete Tropfsteinhöhle vor uns, die um so interessanter erscheint, als sie in mehreren, durch Bergmanns- tätigkeit geschaffenen Hohlräumen und unterirdischen Grotten im Laufe des letztvergangenen Jahr- hunderts sich erst gebildet hat, gewissermaßen unter unseren Augen. Und was die Garnsdorfer Vitriolgrotten so ungemein an- ziehend, nicht nur für den Natur- forscher, sondern auch für jeden anderen Gebildeten macht, das ist der LTmstand , daß man hier auf Schritt und Tritt die Ent- stehung dieser eigenartigen Tropf- steingebilde beobachten und einen Blick in die schaffende Werkstatt der Natur tun kann, wie kaum an einem anderen Orte der Welt. Obwohl Deutschland so viele Tropfsteinhöhlen in seinen zahl- reichen Gebirgen aufweist, so ist doch nirgends das Werden dieser steinernen Gebilde noch heute mit Sicherheit zu beobachten, da ihre Entstehung meist längst ab- geschlossen ist oder mindestens viel langsamer vor sich geht. Das Geheimnis, das den Werdegang unserer Mineralien und ihre ganze Bildungsweise noch heute um- gibt, läßt sich hier in den N. F. XIV. Nr. iq Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 233 Garnsdorfer Vitriolgrotten etwas lüften." Die Kluftwässer und Schichtwässer, mit Sauerstoff reich beladen , vereinigen sich mit den Ouell- wassern des Berginnern. Phosphorilknollen und Schwefelkieskälber, Alaun- und Kieselschiefer wurden zersetzt und ihre leichtlöslichen Bestand- teile aufgenommen. Wenn dann diese Wasser im Stollen dahinflössen , wurden die Eisenlösungen zu Eisenocker oxydiert, den man lange Zeit zur harbenfabrikation verwandte. Im Innern der Stollenräume bilden sich Stalaktiten und Stalag- miten von Phosphoreisensinter (Diadochit). Wo der Felsen vorsieht, entstehen schwalbennester- gleiche Tropfwannen oder Sintervorhänge, Ter- rassen, die versteinerten Wasserfällen nicht un- ähnlich sehen. Ihre wechselnden h'arben vom tiefsten Dunkel zum reinen Weiß hängt, wie schon oben erwähnt wurde, von dem wechselnden Eisen- gehalt ab. Man hat den einzelnen Stollenräumen Namen ge- geben. Nachdem man gegen 50 m Stollenlänge durchschritten hat, kommt man in die ,, Blaue Grotte", die wie der „Zimmermann-Saal" beide von erhabener Farben- wirkung sind. Letztge- nannter Saal trägt seinen Namen nach dem Geh. Bergrat Prof Dr. E. Z i m - mermann, dessen grund- legende Arbeiten den geologischen Bau des südöstlichen Thüringer Waldes ausgezeichnet er- klärt haben. Das Werden dieser farbigen, formen- reichen Wunderwelt kön- nen wir vor allen in den drei Ouellgrotten und den „Heß von Wtchdorff- Grotten" studieren. In den Ouellgrotten werden die Ouellwasser, die reich an Lösungen von Arsen- und Eisenverbindungen sind, Lünstlich gestaut. Wenn dann das elektrische kicht die Stollenwände in ihren unzähligen Farben erglühen läßt, die Farbenpracht sich in der ruhigen Wasserfläche spiegelt, nur das Tropfen der ewig tätigen Klufiwässer die heilige Ruhe stört, dann ist's hier unten weltvergessen schön. Die anderen oben in diesem Zusammenhange genannten Grotten sind dem Entdecker Dr. Heß von Wichdorff zu Ehren genannt. Die zartesten Diadochit- gebilde bewundern wir in der „Venetianischen Grotte" und im sogenannten „Märchendom" (.Abb. II), von dem Abb. III die Gruppe wieder- gibt, die zu dem Namen ,, Gralsburg" geführt hat. Auf Abb. II sind die feinen, von der Decke herabhängenden Diadochitstalaktiten zu sehen, die noch weich, vom geringsten Luftzug bewegt werden. Es ist der Verwaltung dieser Grotten zu danken, daß sie ein so großartiges Naturdenkmal für alle Naturfreunde erschlossen hat. Bis jetzt kamen Fachgeologen und Naturfreunde nach Saalfeld, um am Bohlenprofil bei Obernitz Studien zu machen. Heute kann der reisende Geologe neben dem Bohlen und den anderen geologischen Natur- denkmälern Saalfelds auch die unterirdische Wunder- welt der Garnsdorfer Vitriolgrotten und Diadochit- höhlen kennen lernen. Für eingehendere Studien sei auf die grund- legenden Schriften H eß von Wi c h d o r f f's hin- gewiesen und auf weitere X'eröffentlichungen, die Abb. IV. Die Gralsburg im Märchendom. an Ort und Stelle bei der Verwaltung der „P"een- grotten" in Saalfeld zu erhalten sind. Rudolf Hundt. Einbürgerungsversuche als Möglichkeiten zur Erforschung des Vogelzuges. 2. Mitteilung. Die von mir in dem gleichnamigen Aufsatz in Nr. 10 der Naturwissenschaftlichen Wochen- schrift, N. F. 13, 19 14 aufgeworfenen Fragen scheinen einer schnelleren Lösung entgegenzugehen, als man im allgemeinen hätte erwarten sollen. Ich betonte in jenem Aufsatz, daß sich Braut- und Mandarin-Ente aus verschiedenen Gründen vortreft'lich zu Studien zur Erforschung des Vogel- zuges eignen dürften. Doch hatte ich dabei das Bedenken nicht unterdrücken können von der Un- wahrscheinlichkeit, daß ein als Exote in ein anderes Land gebrachter Zugvogel sich ohne weiteres eine 54 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 15 planmäßig;e „Zugslraße" schaffen könne, die ihn unter Umständen sogar wieder an den Ausgangs- punkt, der ihm als neue Heimat angewiesen wurde, zurückführen kann. Hier scheint nun die inzwischen hier und da systematisch durchgeführte Beobachtung, d. h. die exakte, mit Ringversuclien operierende Forschung allmälilich Licht zu ver- breiten, und es ist erfreulich, daß wir inzwischen auf Grund solcher Beobachtungen der Lösung jener Frage wiederum einen Schritt näher ge- kommen sind. Denn Dr. O. Heinroth schreibt im Journal für Ornithologie, öt,. Jahrg., Heft i, 191 5, S. 132, daß ihm aus Dönnerhof, Kr. Elley (Kurland, Ru{3- land) berichtet worden sei, daß im Februar dort zwei beringte fremdländische Enten (Mandarin- und Brautente) gefangen worden seien, die nach den Ringaufschrifien im Jahre 19 13 im Zoologi- schen Garten zu Berlin, welcher von jener Ört- lichkeit 850 km entfernt ist, erbrütet worden sind. Da nun die in Berlin erbrüteten und im Herbst weggezogenen Braut- und Mandarinenten sonst immer in südlicher und südwestlicher Richtung angetroffen wurden, so ist es zweifellos in hohem Maße interessant, daß diese Tiere zum Frühjahr die nordöstliche also genau entgegengesetzte Richtung eingeschlagen haben. Dr. H e i n r o t h selbst fügt die Bemerkung hinzu, daß die Frage schwer zu entscheiden sei, ob die Berliner Lnten mit europäischen, fremden Wildenten in Gemein- schaft zusammen gezogen seien, oder ob sie dabei lediglich ihrem eigenen Wandertriebe folgten. Wenn also auch nach dieser Seite hin noch völliges Dunkel herrscht, so wirft diese Beobach- tung doch immerhin einiges Licht auf das Ver- halten von exotischen Zugvögeln in Europa über- haupt. Ob nun beide Vertreter der Schmuck- entengattung allein oder mit anderen europäischen Wildenten in Gemeinschaft bis nach Rußland hinaufgezogen sind, ist zunächst gleichgültig. Wichtig ist vor allem die Feststellung, daß jene exotischen Entenarten, genau wie unsere ein- heimischen Zugvogelarten, im Herbst in süd- westlicher Richtung und in jenem speziellen Falle zu Ausgang des Winters in einer von Berlin nord- östlich gelegenen Gegend beobachtet wurden. Die Richtung dieser Beobachtungsgegenden im Vergleich zu ihrem Ausgangspunkt, wie in Rück- sicht auf die Jahreszeiten, stimmt vollkommen mit den in Nord- und Mitteleuropa für den Vogelzug überhaupt maßgeblichen Winden überein, indem bei uns im h'rühling südwestliche Winde die Zug- vögel nach Nordosten und im Herbst \-on hier nach Südwesten führen. Wichtig ist dabei, daß bei den Mandarin- imd Brautenten ein physiologischer Reiz zur Zug/.eit seitens der Witterungsverhältnisse, vor allem seitens der Windverhältnisse, sich bemerkbar machen mußte, der mindestens mitbestimmend war als Aufbruchsignal: mochten die Enten nun von anderen europäischen auf ihrem Zuge geführt werden, oder mochten jene Enten, den Weg zum ersten Male allein zurücklegend, auf ihrem Zuge Lokalitäten von einer bestimmten Beschaffenheit wählen, indem die gegenseitige Reihenfolge dieser Lokalitäten die Zugrichtung bestimmte. Jedenfalls aber hat die für den Vogelzug so außerordentlich günstige Luftdruckverteilung des Februar 1914 jene beiden Schmuckenten von Mitteleuropa im \'erein mit einheimischen wilden .Arten nach dem Nordosten geführt, wofür auch die folgende \on mir beobachtete Tatsache zu sprechen scheint: Die von mir in Nr. 11, N. F. 13 dieser Zeit- schrift beschriebenen Mandarinenten, welche im Sommer 1913 auf der Werra dicht unterhalb der Stadt Hildburghausen das Licht der Welt erblickt hatten, blieben auch den strengen Winter 19 13 14 hindurch, als der Muß fast gänzlich zugefroren war, und wechselten nur von etwa .Anfang Januar ab ihren Aufenthalt insofern, als sie zum Zweck der Nahrungssuche sich auch zeitweise an mehreren flußabwärts gelegenen Stellen aufhielten, indem sie sich auf diese Weise bisweilen 3 — 4 km von ihrem ursprünglichen Aufenthaltsort entfernten. Im hohen Grade bemerkenswert ist nun aber die Tatsache, daß jene .Mandarinenten, als im März der Fluß wieder gänzlich eisfrei geworden war und somit bessere Nahrungsbedingungen eintraten, plötzlich auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Allem Anschein nach sind die Tiere wohl ledig- lich deswegen abgezogen, weil sie sich zuletzt an einer Stelle des Flusses vorzugsweise aufhielten, die in jedem Jahre, sowohl auf dem Frühlings- wie auch auf dem Herbstzuge, regelmäßig von zahl- reichen Schwimmvögeln der verschiedensten .Arten durchzogen wird, während das an dem ursprüng- lichen Aufenthaltsort der Mandarinenten nicht, oder höchstens zufällig einmal, der Fall ist. Die jungen flugfähigen Mandarinenten werden im Herbst 191 3 trotz ungünstiger Nahrungsverhält- nisse daher wohl aus dem Grunde nicht weggezogen sein, weil der herbstliche Vogelzug an einer Stelle des Flusses stattfand, den die Enten seinerzeit noch gar nicht kannten; sie zogen also wohl des- halb nicht weg, weil sie mit anderen Wasserzug- vögeln nicht in Berührung kommend, von diesen nicht geführt werden konnten. Erst auf das Früh- jahr wurde ihnen hierzu die Gelegenheit zuteil. Es werden demnach wohl auch diese Mandarin- enten mit anderen heimischen Entenarten in nördlicher oder nordöstlicher Richtung abgezogen sein, obwohl ihnen überdies an der zuletzt er- wähnten Stelle des Flusses als Höhlenbrüter sogar ausgezeichnete Brutbedingungen zur Verfügung standen, nämlich unter Wurzelstöcken an einem hohen und sehr steilen Flußufer. Es will mir demnach wahrscheinlicher dünken, daß die oft längere Zeit an einem Orte ansässigen Braut- oder Mandarinenten gelegentlich, d. h. zu einer Zeit, wo sich ihr Zuginstinkt regt, gemeinschaftlich mit anderen europäischen Enten wegziehen. Immer- hin scheinen sich nach meinen bisherigen , wenn auch in dieser Beziehung gerade nicht zahlreichen N. F. XIV. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ^35 Heobachtiingen, die einzchien Individuen der bei- den SchmLickeiUenartcn sehr verschieden zu ver- haken. Wenn überdies Braut und Mandarineiiten als einander sehr nah verwandte Arten (obwohl die Mandarinente, wie zu allen übrigen Entenarten, so auch zu der ihr nächst verwandten Brautente vollkommen unfruchtbar zu sein scheint) fast immer mehr oder weniger eng zueinander halten, so wird doch meiner .\nsicht nacli auch das auf- fallende Zusammenhallen jener beiden von Berlin bis nach W'esirußland zusammen gezogenen Vögel am besten dadurch erklärt, daß taeide eben doch in Gemeinschaft mit anderen Entenarten zogen. Immerhin werden noch sehr viele Beobachtungen angestellt werden müssen, bis die hier aufge- worfenen Fragen restlos gelöst sein werden. Wilh. R. Eckardt. Einzelberichte. Chemie. Neuere Anwendungen der Fluor- wasserstoffsäure. In den größeren, zum Teil ganz neuen Werken über chemische Technologie (Damm er, Molinari, Dictionary of Applied Chemistry, Ed. Thorpe, Henri Moissan, Traite de Clümic Minerale) finden sich folgende Angaben über die Anwendung der Flußsäure ; I. Flüssiger und gasförmiger Fluorwasserstoff wird zum .Atzen von Glas benutzt. Die flüssige Säure gibt eine glatte, durchsichtige Ätzfläche, während das Gas eine rauhe Fläche hinterläßt. 2. h'lußsäure in Verbindung mit Fluorwasser- stoffverbindungen der Alkalien und mancherlei anderen Zusätzen wird zum Mattätzen benutzt. In den Vereinigten Staaten wird hierzu allgemein eine Auflösung von saurem Fluorammonium NHjFHF in Flußsäure benutzt. Diese unter dem Namen „cohite acid" im Handel befindliche Flüssig- keit enthält etwa 320/,, NH^FHF und 20"/,, HF und wirkt ungemein rasch; z. B. erfordert das Mattätzen von elektrischen Birnen nur i Minute. 3. In der Gärungsindusttie dient die Flußsäure dazu, um die Entwicklung gewisser Bakterien zu verhindern. Die Hefe wird nach und nach an die Wirkung der Flußsäure oder deren Salze ge- wöhnt, so daß sie selbst nicht geschädigt wird, während z. B. Milch- und Buttersäurebakterien abgetötet werden. Hierdurch wird ein reineres Produkt und eine größere Ausbeute erzielt. Der belgische Chemiker Effront, der dieses Ver- fahren ausgearbeitet hat, empfiehlt 5 — 10 g F"luor- wasserstoff auf i hl Würze. Sehr viel wird das saure Ammoniumfluorid zum Desinfizieren der Gärbottiche und Schläuche angewandt, die dann vor dem Gebrauch mit reinem Wasser abgespült werden. 4. Zur Darstellung der Kieselfluorwasserstoff- säure und deren Salzen (Moissan). 5. Nach Thorpe zur Entfernung der Alkalien aus dem Rübenzuckersaft. Dies scheint aber nur ein Vorschlag zu sein, der wohl im großen nie ausgeführt wurde. 6. Um Kieselsäure und kieselsaure Salze aus Anthrazit zu entfernen, welcher zur Darstellung von künstlicher Kohle verwendet werden soll. Dieses Verfahren wurde von F. v. Hardmuth im großen Maßstabe angewandt, aber als zu teuer wieder aufgegeben. ') 7. Reinigen von Rohgraphit (Prior). -) 8. Behandlung von Tongefäßen zur Erzielung größerer Porosität (Prior), -j g. In der Färberei dienen die Antimondoppel- fluoride als Brechweinsteinersatz. 10. Entziehung der Seidebeschwerung, aber wohl nur im Laboratorium zur Untersuchung von Seidengeweben (?). 11. Im Laboratorium ist die Flußsäure ein unentbehrliches Mittel zur Lösung und Entfernung von Kieselsäure und deren Salzen. 12. Nach -Stahl zum Reinigen von Eisenguß- stücken und Öffnen von Bohrlöchern auf Naturgas oder Erdöl. '') 13. Zur Entfernung von Rostflecken aus Leinen und Baumwollgeweben nach Deussen (Angew. Chem. 18, 814 ^1905^). Dies ist die beste Me- thode zur Entfernung von Rostflecken ohne wesentliche Schwächung der Faser. Diesem durch Veröftentlichung bekannten Ver- wendungsarten fügt Stahl *) folgende in den Ver- einigten Staaten gebräuchliche hinzu : a) Außer zum Reinigen von Eisenguß wird die Säure in großen Mengen teils allein, teils mit Schwefelsäure gemischt, zum Reinigen von Röhren benutzt, die zur Einschließung von elektrischen Leitungsdrähten dienen sollen. Ferner wird sie mit Vorteil auch zum Reinigen von Messing und anderem Guß benutzt. Der Vorteil beim Reinigen von Metallguß und Röhren liegt erstens darin, daß die Säure den Sand direkt auflöst, während andere Säuren ihn nur dadurch auflockern, daß sie das darunter be- findliche Metall auflösen. Die Fiußsäure löst auch das Eisenoxyduloxyd viel leichter auf als Schwefelsäure oder Salzsäure. Der zweite Vorteil ist, daß die Flußsäure eine reinere Oberfläche erzeugt und nicht in die gegossenen Metalle eindringt, wie dies die anderen Säuren unzweifelhaft tun. Denn wenn Gußstücke, die mit Schwefelsäure oder Salz- säure gereinigt und gut abgewaschen und ge- trocknet wurden, nachher mit einem Metall- oder Lacküberzug versehen werden, so kommt es sehr ') Züller, Die künstlichen Kohlen. '-) Angew. Chemie |6, 195 [1903]. ■) Angew. Chemie 9, 2251 [1890J. *| Angew. Chemie 27, III. 709 [iqi4l. Berlin 1903. 236 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 15 häufig vor, daß die letzteren durch Auswüchse von innen stellenweise beschädigt werden. Zum Reinigen der Röhren für elektrische Leitungen kommt es nur auf die innere Seite an, da dieselbe absolut glatt sein muß, um die Leitungsdrähte nicht zu beschädigen. Nun finden sich aber im Innern der geschweißten Röhren ab und zu Stellen, welche mit geschmolzener glas- artiger Schlacke bedeckt sind und mit Schwefel- säure oder Salzsäure nur unter großem Metall- verlust zu entfernen sind. Diese Schlacke und das magnetische Eisenoxyd werden von der Muß- säure aufgelöst. Bei -Stahlguß geht die Reinigung zu langsam von statten. Je nach dem Zustande der Röhren oder Guß- stücke und der zur Verfügung stehenden Zeit wird die Flußsäure verschieden stark angewandt. I Teil 30prozentige Flußsäure wird mit 4 bis 40 Teilen Wasser verdünnt, was also eine 6- bis 0,7 prozentige HF-Lösung gibt. Hat man ge- nügend Gefäße zur Hand, um die Gußstücke längere Zeit in dem Säurebad zu belassen, so ist die schwächere Säure, die allerdings oft bis zu 12 Stunden zur vollständigen Reitügung braucht, vorzuziehen, da hierbei verhältnismäßig weniger Säure gebraucht wird. Als Gefäße benutzt man gewöhnlich solche aus Holz ohne irgendwelchen Schutzanstrich. Kleinere Gegenstände legt man praktisch in ein zweites in das erstere passende Hol/gefäß mit durchlöcherten Seiten. Dies hat den Vorteil, daß abgefallener Sand auf dem Boden des inneren Gefäßes liegen bleibt und so der weiteren Ein- wirkung der Säure entzogen wird. Das Säurebad kann kalt und warm angewandt werden; die Wärme beschleunigt die Reaktion. Nach Ge- brauch setzt man dem Bad etwa ' ;, der anfangs verwendeten Säuremenge wieder zu, und es ist von neuem gebrauchsfertig. Um ein Blankbleiben der Säurestücke zu erzielen, wäscht man dieselben direkt einige Male mit heißem Wasser. Wäscht man in kaltem Wasser, so setzt man diesem etwas Kalkmilch zu; dies kommt jedoch nur in Be- tracht, wenn ein HIankbleiben nicht notwendig ist. Die Emailletcchnik bedient sich nach Schäfer ") vielfach der Mußsäure zum Beizen der Eisenguß- stücke. Gerade hier sind die von Stahl ange- gebenen Vorteile der Flußsäure von großer Be- deutung. Die Gußstücke müssen absolut blank und frei von Sandkörnchen sein, wenn die Emaillemassen gut auf dem Eisen haften sollen. Handelt es sich um Eisengußstücke, die zum Apparatebau Ver- wendung finden sollen , so muß unbedingt P'hiß- säure angewandt werden, da diese Stücke häufig Lunkerstellen und Poren aufweisen, die, wenn sie nicht ganz frei \'on Sand und Beizsäure sind, beim Emaillieren große Schwierigkeiten bereiten können. Zurückbleibende geringe Mengen von Salz- und 607. •') .-Vngew. Chenür. 2S. 1. 04. 119151. Gießcrei-Zlg. I914, Schwefelsäure verursachen beim Brennen das ge- fürchtete „Aufkochen" und bilden in der Emaille- schicht Blasen, die nur schwer zu beseitigen sind. Bei Anwendung von h'lußsäure ist diese Gefahr beseitigt. b) In keinem der technologischen Werke ist jedoch die in Amerika seit Jahren gebräuchliche Verwendung öoprozentiger Säure zum Polieren von Kristallglas für Tafelgerät, Vasen, KarafTen usw. erwähnt. Diese Verwendung hat vor etwa 18 Jahren angefangen und ist jetzt wohl in all den vielen und teilweise großen Fabriken, welche Kristallglas herstellen, gebräuchlich. Das Polieren mit P'lußsäure hat den Vorteil, daß das mit .Säure polierte Glas schöneren Glanz und schärfere Kanten besitzt. Früher wurde das Polieren mit Eisen- oder Zinnoxyd bewerkstelligt, wobei jede Fläche einzeln zu polieren war. Auf folgende einfachere und raschere Art er- reicht man eine schönere Politur: Bei Vasen u. dgl., wo die Polierung nur außen stattfinden soll, wird mit Paraffin oder Wachs ein hölzerner Stopfen wasserdicht eingekittet. Andere P'lächen können durch eine Decke von Wachs usw. vor Berührung mit Säure geschützt werden. Vor dem Polieren werden alle zu polierenden Flächen durch Bürsten in einer Sodalösung ge- waschen und gut abgespült, um jede Spur P'ett zu enternen. Ist alles Wasser abgetropft, so werden die Gefäße in das Säurebad getaucht, das aus einer Mischung von i Gewichtsteil Schwefel- säure (66" Be) mit 3 Gewichtsteilen 6oprozentiger Mußsäure besteht. Diese Mischung befindet sich in einem Bleigefäß, das groß genug ist, um alle -Stücke untertauchen zu können. Die zu polieren- den Stücke werden unter gewissen Vorsichts- maßregeln für den Arbeiter (Abzug, Gummihand- schuhe) \,, — I Minute in das Bad eingetaucht und nach dem Herausnehmen sofort in einen Trog mit Wasser gelegt. Durch die Säure bildet sich eine dünne Kruste (Bleisulfat, Fluorkalzium), die durch Bürsten entfernt werden muß, worauf sich der Prozeß noch 2 — 3 mal wiederholt. Jedes Stück wird nun genau nachgesehen, und sollten ausnahmsweise Stellen fehlerhaft sein, so werden sie nachpoliert. c) Gebäude und Monumente von Granit oder Sandstein in Industriebezirken nehmen im Laufe der Jahre eine dunklere Farbe an und werden un- ansehnlich. Durch -Abwaschen mit Flußsäure können diese ihr ursprüngliches Aussehen besser und billiger zurückerhalten, als durch irgendein anderes Mittel. Die Säure wird etwa i^prozentig angewandt. Ein kleines Stück der zu reinigenden Pläche (20 X 20 bis 30>, 30 cm) wird zuerst mit Wasser befeuchtet und dann mit der Säure mittels eines Pinsels bestrichen. Nach Verlauf von etwa 1 Minute wird die Fläche mit einer Bürste und Wasser gescheuert und mit reinem Wasser nach- ge.spült. Polierte Flächen müssen natürlich ge- schützt werden, da sie sonst matt werden. Dieses Verfahren wird seit etwa 15 Jahren in der Gegend N. F. XIV. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 23; von Pittsburgh mit überraschend günstigem Er- folge angewandt. d) Auf ähnliclie Weise werden die Glasdächer von Gewächshäusern gereinigt, die im Sommer, um die Sonnenstrahlen zu dämpfen, mit Kalk- milch getüncht werden. Man bestreicht die Glas- fläche mit 1 5 prozentiger Flul?)--äure und wä-cht mit viel Wasser gut ab. Auf diese Weise wird das Glas vollkommen klar und durchsichtig, wenn man früh genug mit dem Abwaschen anfängt (etwa wenn 8 Reihen gestrichen sind). Da gewisse Farne (Smilax und Asparagus plumosus nanus) von den Säuredämpfen, welche durch undichte Stellen in das Gewächshaus ein- dringen, gelbe Flecken bekommen, empfiehlt sich die Reinigung, ehe die Pflanzen hineinkommen. Andere Pflanzen sind weniger empfindlich. Keins von all diesen Verfahren ist patentamt- Hch geschützt. ()tto Bürger-Kirn. Zoologie. Der braune Bär (Ursus arctos L.) ist bekanntlich in Mitteleuropa längst ausgerottet. In Deutschland wurde das letzte Stück 1835 bei Traunstein in Oberbayern erlegt. In der Schweiz sollte er noch im Kanton Graubünden in dem wildromantischen Val Cluoza vorkommen. Dieses Tal soll den Grundstock des von der schweize- rischen Bundesregierung unterstützten Naturschutz- parkes bilden. Alle einheimischen Tierarten sollen darin ohne Rücksicht auf Nutzen oder Schaden frei von jeder Verfolgung durch den Menschen bleiben. Bereits im Oktober 19 14 kam aus dem Oberengadin die Kunde, daß man dort auf Spuren des ISären gestoßen sei. Jetzt hat man auch ein lebendes Tier gesehen und damit ist die P"ort- existenz des Bären in Graubünden auf freier Wild- bahn außer Frage gestellt. Prof L. Rütimeyer schreibt darüber im „Freien Rätier": „Es war anfangs Oktober 1914, als eine Doppel- schildwache bei Punt Perif einen großen Bären sah. Der Bär kam durch die Geröllhalde westlich Punt Perif herunter und näherte sich dem Posten auf ca. 100 m. Die Soldaten sahen ganz deutlich den großen Kopf und die Tatzen; auch am Gang erkannten sie das Tier als Bär. Der eine der Soldaten gab dann zwei Schreckschüsse ab, worauf sich der Bär in riesigen Sprüngen entfernte. Als ich davon hörte, begab ich mich sofort nach Punt Perif und fand auf dem linken Spölufer auf dem weichen Waldboden die Spur der Tatzen und Krallen, wobei die Breite 45 cm, die Länge der Schritte 1 10 cm betrug." Kathariner. Ein tracheales Atmungsorgan besitzen nach 0. Fuhrmann die fußlosen Amphibien {= Gym- nophionen = Coeciliiden) neben den Lungen. Verf konnte Arten der auf Südamerika be- schränkten Gattung Typhloucctcs Pet. 1879 unter- suchen , die von anderen Gymnophionen sich durch ihren Aufenthalt im süßen Wasser aus- zeichnen, und feststellen, daß hier beide Lungen, wenn auch ungleich lang, jedoch weit nach hinten entwickelt sind, während bei den landbewohnen- den Arten die linke Lunge ganz rudimentär ist. Auch setzen sich , was unter Am[)hibien sonst nicht vorkommt, die Knorpelhalbringe der Trachea über die Lungen bis an ihr Hinterende fort. Die Trachea selbst ist kurz vor ihrer in der Höhe des Herzens gelegenen Gabelstelle auf eine Länge von 4— (> cm spindelförmig bis auf 6 mm auf- getrieben und weist hier, wie Schnitte lehrten, ein reich verzweigtes, mit der Lichtung der Luft- röhre mehrfach in Verbindung stehendes Kanal- system auf das den Eindruck einer Drüse macht. Da aber nirgends Drüsenzellen aufzufinden waren, vielmehr überall nur die histologische Struktur der Amphibicnlunge, muß man die ganze Auf- treibung als ein in der Wand der Luftröhre ge- legenes Atmungsorgan betrachten, das vielleicht für die Atmung mehr in Betracht kommt, als die zwar langen, aber sehr engen Lungen, deren Al- veolensystem schwach ausgebildet ist. Dasselbe Organ fand sich auch bei der einzigen darauf untersuchten landbewohnenden Coeciliide, Iditliy- (ipliis <;I////'//i'S//s\ Brn. Die stachelartigen Auswüchse an den Schalen verschiedener mariner Gastropoden glaubt V. Bauer als einen Schutz vor Angriffen von See- sternen ansprechen zu können; wenigstens ließ ein Seestern, der einen Alitrcx brandan's in der üb- lichen Weise umklammert und seinen Magen an einem der Stacheln des Gehäuses umzustülpen begonnen hatte, von der Beute ab, als der Magen an dem Stachel entlang gleitend auf das Gehäuse selbst gelangte und sich ihm hier die Nachbar- stacheln hindernd in den Weg stellten. Ähnlich ausgestattete Schalen führen Aliirex fniiiciilus, Typhis fctrcptanis, Trucliiis can'iiafiis und ^bfra- liitiii rngosuiii, letzteres freilich nur in der Jugend, wo die Schale einem Zackenrade gleicht; beim erwachsenen Tiere treten die Stacheln immer mehr zurück, dafür gewinnt die Schale durch Ausbildung muschelförmiger Schüppchen das Aussehen einer Raspel, was entsprechenden Vorteil gewähren mag. Brn. Anthropologie. Die Negrito der Philippinen- Inseln sind den Europäern viel längere Zeit be- kannt als irgendeine andere Pygmäenrasse. Sie werden in Berichten der spanischen Eroberer der Inselgruppe bereits im 16. Jahrhundert erwähnt und in der Folgezeit sind namentlich Missionare mit ihnen häufig in Berührung gekommen. ') Während der spanischen Herrschaft wurden die Negrito von den malayischen Stämmen noch mehr in die unwirtlichen gebirgigen Teile der Inseln zurückgedrängt, doch ist es nicht wahr- scheinlich, daß mit diesem Zurückdrängen eine bedeutende Abnahme der Kopfzahl der Negrito verbunden war. Dr. Barrows schätzt die Ge- 1) Dr. D. P. Barrows, History oftlie Population. Census of the Philippine Islands, Bd. i, S. 411 ft'. und 455 tV. 238 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 15 samtzahl der Negrito auf 30 000, Prof W o r c e s t e r nimmt sie mit 25000 an.') In den Kontakt- gebieten der Negrito und der Malayen (Indonesier) trifft man zahlreiche Personen, bei welchen die IVlerkmaJe beider Rassen kombiniert sind. Am zahlreichsten sind rassenreine Negrito noch in den Bergen der Provinzen Bataan und Zambales (Nordiuzon); außerdem leben sie auf Luzon in den Provinzen Apayao, Cagayan, Isabella, Abra, Tayabas und an einigen isolierten Plätzen der weiter südlich gelegenen Provinzen. Sie wurden ferner festgestellt im Nordosten der Insel IVIin- danao, auf Samar, in Zentral-Negros, Zentral- Panay, auf den kleinen Inseln nördlich von Panay und in Zentral-Palawan. Es ist fast zweifellos, daß man 'ihnen auch noch anderwärts in ent- legenen Berggegenden begegnen wird. In diesen Fig. 2. Negritofrau. (Nach D. C. W o r c e s t e ! Kig. I. Ncgritomann. (Nach D. C. W orcestev.j Gebieten wird es um so leichter sein, ihr Dasein zu schützen, als dort die Bodenverhältnisse der Besiedelung durch malayische Völkerschaften oder Europäer nicht günstig sind. Die Körpcrgniße der von Dr. Barrows ge- messenen Negritomänner schwankte zwischen 137 und 150 cm, im Durchschnitt betrug sie 145 cm. W. A. Reed, der in der Provinz Zambales eine größere Anzahl von Negrito maß, fand, daß die Körpergröße der IVlänner zwischen 128 und 160 cm und jene der Frauen zwischen 127 und 150 cm schwankte. Der Durchschnitt betrug bei den Männern 146 und bei den Frauen 13S cm.') In der Körperlänge scheinen die Negrito der Philippinen ganz mit den zentralafrikanischen Pygmäen übereinzustimmen. Von den Malayen der Philippinen unter- scheiden sich die Negritos nicht nur durch ihre Kleinheit, sondern auch durch ihre fast schwarze Hautfarbe und ihr spiralgelocktes Haar. Andere Rassenunterschiede bestehen ebenfalls, doch sind sie weniger auffallend. Die Kopfform variiert sehr stark; der Längen-Breitenindex schwankt bei den Negrito von Zambales zwischen 78 und 92. Wenn eine größere Anzahl von Personen gemessen würde, so ergäbe sich zweifels- ohne noch eine größere Variationsbreite. Die Mehrzahl der Personen haben Indices von mehr als 80. Die Nasen sind allge- mein sehr breit und flach und an der Wurzel eingesunken ; die Breite übertrifft vielfach die Länge. Die Augenöffnung zeigt alle Formen von der negerhaft run- den bis zur enggeschlitzten mongolischen: es ist möglich, daß die besonders engen Augenöffnungen auf malayische Blulbei- mischung zurückzuführen sind. Die Lip- pen sind viel weniger dick und nicht so vortretend wie bei den Negern. Die Spannweite ist bei der Mehrzahl der Individuen größer als die Körperlänge. Nach Reed beträgt sie im Maximum bei Männern 164 cm und bei Frauen T54 cm, doch traf weder bei Männern noch bei Frauen die größte Spannweite mit der größten Körperlänge zusammen. Die Körperentwicklung ist gewöhnlich eine durchaus gute; die Mubkeln sind ziemlich stark ausgebildet, die Brust ist breit, die Glieder sind s)-mmetrisch. Doch altern die Leute sehr rasch und 40— 50- jährige machen bereits einen völlig greisen- ) haften Eindruck. Das Kopfhaar ist schmutzig schwarz; infolge der Wirkung der Sonnenstrahlen erscheint es jedoch oft rotbraun. Kahl- köpfigkeit ist häufig. Die Augenbrauen sind spärlich und noch spärlicher ist die Entwicklung des männlichen Bartes. Körperliaar wächst nur an der Scham und in den Achselhöhlen; bei vielen Personen ist jedoch gar kein Achselhaar vorhanden. Hände und Füße sind klein, wie bei allen anderen Pygmäenrassen. Die Zehen stehen ge- spreizt. Besonders bei jungen Leuten sind die Füße sehr gelenkig und sie benutzen sie zu Ver- M Worc Osler, D. C, The Non-Christian Pcoples ol the Philippine Islands. National Gi-ograpliical Magazine (Washington) 24. Hd., S. 1157 ff. 1904. Reed, Negritos of Zambales, .S. 33 u. 75 — 77. Manila N. F. XIV. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 239 richtungen, die wir nur mit den Händen auszu- füliren vermögen. Der Gesichtsausdruck der Negrito ist meist heiter und verhältnismäßig intelligent. Manche Amerikaner halten diese Pygmäen für durchaus bildungsfähig. Sie sind viel scheuer als die die Malayen, aber aufrichtiger als diese, und auch harmlos. Jagd und Fischfang sind die wichtigsten Erwerbszweige, doch verstehen die Negrito auch die Bebauung des Bodens; sie pflanzen Tabak, Mais und verschiedene Gemüsearten. In bezug auf gewerbliche Künste sind sie sehr wenig ge- schickt. Die natürliche Fruchtbarkeit scheint, den bis- herigen Beobachtungen zufolge, eine relativ ge- ringe zu sein. Die Kinder werden gewöhnlich gut behandelt und es gehen wahrscheinlich nur wenige durch schlechte oder fahrlässige Behand- lung zugrunde. Die reproduktive Periode ist kurz; sie währt bei den F"rauen selten über das 35. Lebensjahr hinaus. H. Fehlinger. Bücherbesprechungen. Riegler, G., .'^onnen- und Mondfinster- nisse, und ihre Bedeutung für die Himmels forschung. Mit 39 Abb. 171 S. Wien und Leipzig 1914, A. Hartleben. — Preis brosch. 2 Mk. = 2 Kr. 20 H. Das kleine, sehr anschaulich geschriebene Buch soll allen Freunden der Astronomie vollständige Auskunft geben über alle bei Finsternissen in Betracht kommenden Umstände. Es zieht auch die Durchgänge von Merkur und Venus in Be- tracht, die ja in gewissem Sinne auch Sonnen- finsternise sind. Da die Berechnung einer Finster- nis nicht so einfach ist, so wird in sehr dankens- werter Weise ein graphisches Verfahren ange- geben, nach dem man sich über die Sichtbarkeit für einen bestimmten Ort Rechenschaft geben kann. Das Verfahren wird an der letzten großen -Sonnenfinsternis vom 21. August 191/I erläutert, die leider durch den Kriegsausbruch so wenig Ergebnisse erzielt hat. Der zweite Teil des Buches widmet sich den physikalischen Beobach- tungen bei Finsternissen, den auftretenden P'arben- spielen auf dem Mond und in der Umgebung, an Pflanzen und Tieren. Bei den Sonnenfinsternissen wird zugleich der Ergebnisse gedacht, die deren Beobachtungen in den letzten Jahren für die Physik der Sonne gezeitigt hat. Da gerade Sonnenfinsternisse bei uns keine seltene Erschei- nung sind, und immer das Interesse weitester Kreise anziehen, so ist dem gut ausgestatteten Büchlein eine weite Verbreitung zu wünschen. Riem. Goldschmidt, R., Einführung in die Ver- erb u n gs wis s e n sc h a ft. 2. .Auflage. Leipzig und Berlin 19 13, Wilhelm Engelmann. Es ist ein erfreuliches Zeichen der regen An- teilnahme, die von weiten Kreisen dem jüngsten Zweige der Biologie, der Vererbungslehre ent- gegengebracht wird, daß die vor wenigen Jahren wie Pilze emporschießenden Lehrbücher der Ver- erbungslehre schon Neuauflagen erleben. Goldschmidt's Buch hat als eines der besten und vielseitigsten großen Anklang ge- funden und der zweiten Auflage wird man den gleichen Erfolg voraussagen können. Die Besonderheit des Buches, noch strittige Fragen vorsichtig zu behandeln und sie von mög- lichst vielen Seiten her zu beleuchten, ist er- halten geblieben und gestaltet seine Lektüre vor allem für den nutzbringend und anregend, der die Grundlagen der diskutierten Probleme bereits eini- germaßen beherrscht. Die Anordnung des Stoffes hat einige Änderungen erfahren, indem jetzt die Lehre von der Bastardierung vor dem Kapitel der Mutation und der sog. Vererbung erworbener Eigenschaften behandelt wird , was ja fraglos zweckmäßiger ist. Den beim Menschen be- obachteten Fällen der Gültigkeit der Mendel' sehen Gesetze ist jetzt ein eigenes Kapitel eingeräumt worden, was besonders von medizinischer Seite begrüßt werden wird. Die Ausstattung des Buches ist die gleiche geblieben, die Zahl der Abbildungen, die durchweg glücklich gewählt und sauber wieder- gegeben sind, ist von 161 auf 189 gestiegen. Buder. Anregungen und Antworten. H. H. in B. Fr. — Sie fragen: „Worauf beruht die Fluorescenz bei gewissen Sorten des Flußspats? Ist sie viel- leicht zurückzuführen auf einen geringen Gehalt an Kohlen- wasserstoffen und wäre es denkbar, daß diese etwa organi- schen Ursprungs sind •" C. Hi n tze schreibt in seinem Handbuch der Mineralogie 1, Leipzig 1913, p. 240S; ,, Gewöhnlich erscheinen die fluores- cirenden Fluoritc grün (hellgrün, resp. meergrün) im durch- gehenden und in verschiedenen Nuancen blau , violblau oder Amethyst-, auch pHaumen- bis dunkelblau im reflektierten Licht. Die Fluorescenz selbst rührt vom F^arbstoff her, so daß es sich thatsächlich um eine Auflösung der fluoresciren- den Substanz (als tluorescirend im engeren Sinne lassen die Physiker nur flüssige Körper [wie Chlorophyll-Lösung, Chinin- Lösung, Aufguß der Kastanienrinde u. a.j gelten) , aber in einem festen Körper handelt, wie Groth (Physikalische Krystallographie, Leipzig 1885, p. 156; 1895, p- 162; 1905, p. 175) und auch Retgers (Zeitschrift für physikalische Chemie 1893, 12, p. 603, Anm. 2 ; „feste Lösung") betonen." Chemisch reiner F'lußspat ist farblos und wasserklar. Meistens ist der Flußspat jedoch gefärbt, oft sehr intensiv. Seit langen Zeiten wird nun von gewissen I-'lußspaten ein Kohlenvvasserstoflgehalt angenommen ; das sind aber keines- wegs immer diejenigen, welche die beste F'luorescenz zeigen. Besonders ein russischer Forscher, Wyroubo ff, schloß aus seinen vor ca- einem halben Jahrhundert angestellten Unter- suchungen, daß die färbenden Stolle im F'lußspat verschiedene 240 Naturwissenschaftliche Wochenschrifi. N. F. XIV. Nr. 15 Kohlenwasserstoffverbindungen seien, und seither ist diese Ansicht lange Zeit unangefochten die herrschende gewesen. Von solchen organischen Verbindungen sollte auch der Ge- ruch des Flußspates (sog. Slinkflusses) von Wölsendorf in der bayerischen Obrrpfalz herrühren; doch haben Low, Bec- querel und Moissan an diesem und anderen Vorkomm- nissen solche Gerüche auf freies Fluor zurückführen können, das auch durch seine typischen Reaktionen nachgewiesen wurde. Später ist dann der Verallgemeiaerung der Wyrou- b off 'sehen Schlüsse besonders Weinschenk (Zeitschrift deutsch, geol. Ges. 48, 1896, p. 706; Zeitschr. f. anorgan. Chemie 12, 1S96, p. 380) entgegengetreten, besonders auch unter Hinweis auf der Flußspalfärbung ganz ähnliche Nuancen bei den verschiedenen Arten des (Quarzes und vieler anderer Mineralien. Weinschenk glaubte verschiedene anorganische Stoffe als färbende Prinzipien annehmen zu dürfen. In der Folge haben von Kraatz-Koschlau und L. W ö h 1 e r (Tschermak's Min. Petrogr. Milt. N. F. 18, 1899, p. 317) die ort^anische Natur der Farbsubstanz in manchen Flußspatsorten abermals behauptet, sind aber den strikten Beweis für diese Behauptung schuldig geblieben. Im folgenden Bande der gleichen Zeitschrift (igoo, p. 145) konnte Weinschenk darauf hinweisen , daß auch farbloser, also sicher organische Substanzen nicht enthallender Flußspat beim Erhitzen ,,empy- reumalisch" riecht, besonders aber, daß durch Erhitzen im Stickstoff- oder im Sauersioffstrom entfärbter Wölsendorfer Fluß-^iiat, dem also die angebliche organische Substanz ver- loren gegangen sein mußte, unter dem Einfluß von Kathoden- strahlen seine ursprüngliche Farbe und Pyrophosphorescens wieder annimmt. In der Folge sind vielfache ähnliche Ver- suche mit Kathoden- und Kadiumstrahlcn, auch an den ver- schiedensten anderen ähnlich gefärbten Mineralien ((^uarz, Topas, Steinsalz, Diamant usw.) angestellt worden, und be- sonders auch die Untersuchungen am blauen Steinsalz haben gezeigt, daß die Beteiligung von organischen Substanzen an diesen Färbungen sehr unwahrscheinlich ist (vgl. hierzu z. B. K. Andree, Über ein blaues Steinsalz, in Zeitschr. „Kali" 6, 1912, Heft 20, p. 497—501 mit Tafel und die hier ange- gebene Literatur). Nach alledem konnte Do elter (Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. 10. Dezbr. 1908, p. 1312 und in „Radium und die Farben", Dresden 1910, p. 76, 119, 127) die Ver- mutung aussprechen, daß der Farbträger und damit auch der Erzeuger der Fluorescenz in Bindung mit dem Calciumfluorid steht. Recht wahrscheinlich h.andelt es sich um ein kol- loidales Färbemittel anorganischer Natur, vielleicht Calcium (beim blauen Steinsalz wird entsprechend Natrium angenom- men) oder eine Art Subtluorid oder endlich eine andere „kolloide Calciumverbindung von großer Labilität". Ist durch alle die bisherigen Untersuchungen die Frage nach den betreffenden färbenden Substanzen nicht endgültig entschieden, so kann es doch als höchst unwahrscheinlich gelten, daß hierfür Kohlenwasserstoffe in Frage kommen. Be- sonders aber muß aus geologischen Gründen als ausgeschlossen gelten, daß solches Färbungsmittel, worauf Fragesteller in seiner Anfrage hindeutet, organische Entstehung haben könnte. Denn viele der tluorescierenden Flußspate und ähnlich ge- färbten Mineralien, wie Amethyste, Citrine usw. usw. finden sich auf Lagerstätten, die in größeren Tiefen der Erdrinde unter rein anorganischen Bedingungen und ohne Berührung mit den C)rganismcn der Erdoberfläche entstanden. Weitere Literatur über diese Fragen findet sich in Hintze's genanntem Handbuch p. 2384 — 2390. Neuere Literatur als diese, die bis 1913 reicht, ist mir nicht bekannt. .•\ndree. Zur Erwiderung des Herrn Hegg in Nr. 3 der Naturw. Wochenschr. Jahrg. 191 5' 1. Eine nachträgliche Kürzung hatte bei der Besprechung des Hegg 'sehen Buches in Nr. 44, Jahrg. 1914, leider einen von Hause aus nicht gewollten Sinn ergeben. In ursprüng- licher Fassung sollte es so lauten: ,,Zwei Dinge, die in Wechselwirkung stehen, können ein- ander nicht wesensfremd sein." — Sieht man das Wesen der Dinge in der Tatsache der Wechselwirkung, so bedarf jener Satz keiner Begründung. Sieht man es aber in irgendwelchen anderen Merkmalen — z. B. in der ewigen Kugelform oder der absoluten Härte oder der unveränderlichen Bewegungs- intensität der die Dinge zusammenziehenden Uratome — , so muß er begründet werden. Eine solche Begründung ver- missen wir. Sie kann aber auch nicht geliefert werden. Wie will man beweisen, daß mit jenen ewigen Merkmalen die Wechselwirkung der Dinge notwendig verknüpft sei • Der oben angeführte Satz ist ein Dogma. 2. Herr Hegg wundert sich, daß ich eine wichtige Tat- sache verschwiegen habe, nämlich die, daß Herr Hegg sich des alten Problems, von grundsätzlich Unvorstellbarem be- stimmte Begriffe zu bilden, voll bewußt war und die „relative Berechtigung eines solchen Denkens" z. T. unter Berufung auf Kant nachgew'iesen habe. Daß Herr Hegg sich der Schwierigkeit jenes Problems bewußt war, ist zu selbstverständlich, als daß es hervorgehoben werden mußte. Die Berufung auf Kant aber verpflichtet nicht, ein Hinabsteigen in die grundlosen Tiefen einer meta- physischen Seinslehre zu billigen, zumal da nicht nur ausge- sprochene Empiristen, sondern auch gerade Neukanti- aner hierin dem großen Philosophen nicht folgen. Es ge- nügt daher, in aller Kürze die Tatsache zu betonen, daß Herr Hegg es wirklich gewagt hat, sich Vorstellungen von grundsätzlich Unvorstellbarem zu machen. 3. Wer, wie Herr Hegg im Lichte einen materiellen Vorgang (Lichtstrahl = monodimensionale Anordnung der Uratome) und zwar das .^nfangsglied aller Aggregation sieht, wer das weiße Licht nicht für eine Mischung der sog. homo- genen Lichter, sondern für eine physikalische Einheit sui generis hält, wer ferner von einer Schallform spricht und in ihr einen Aggregatzustand erblickt, der sich zwischen den des Lichtes und der Gase einschaltet, wird sich nicht wundern dürfen, wenn der Leser, auch bei voller Würdigung des positiven Beweismateriales, die zwar ,,banale", aber mit Gewalt sich aufdrängende Frage stellt: Was wird der Phy- siker dazu sagen? — Gewiß ist der Wunsch des Herrn Hegg, gegen seine neuen .Ansichten voll wiegende Einwände zu erheben, sehr berechtigt. Da wir es aber mit der Besprechung eines vorwiegend philosophischen Werkes zu tun haben, dessen Wert vor allen Dingen von der- erkenntnislheoretischen Me- thode abhängt, so können wir die Beurteilung des Fach- wissenschaftlichen getrost dem Fachwissenschaftler überlassen. Uns genügt die entschiedene .Abweisung einer Methode, die dem Denken souveräne Macht einräumt und vor dem kühnsten Überschreiten der Grenzen des Erfahrungsgebietes nicht zurückschreckt; gleichzeitig ist uns damit auch das Recht gegeben, zum wenigsten ein Bedenken gegen naturwissen- schaftliche Ansichten auszusprechen, die von jenem metaphy- sischen Denken mitbeeinflußt sind. ') Angersbach. ') Um Mißverständnissen zu begegnen, betonen wir, daß wir durchaus nicht Gegner hypothetischen Denkens sind Vgl. Naturw. Wochenschr. X, S. 399 u. 400. Inhalt: Maurizio: Brotgewürze. Sirks: Gescliichtliches über Pelorienblüten (mit I Abbildung). — Kleinere Mitteilungen : Hundt: Die Vilriolgrotten und Diidochithöhlcn bei Garnsdorf unweit Saalfeld a. d. Saale (mit 4 Abbildungen). Fckardt; Einbürgerungsversuche als Möglichkeiten zur Erforschung des Vogelzuges. 2. Mitteilung. — Einzel- berichte: Dammer, Molinari, Thorpe, Moissan: Neuere .Anwendungen der Fluorwasserstoffsäure. Rüti- meyer: Der braune Bär (Ursus arctos L.). Fuhrmann: Tracheales Atmungsorgan. Bauer: Stachelartige Aus- wüchse. Barrows, Worcester, Reed: Die Negrito der Philippinen-Inseln (mit 2 .Abbildungen). — Bvicher- besprechungen: Kieglcr: Sonnen- und Mondfinsternisse, und ihre Bedeutung für die Himmelsforschung. Gold- schmidt: Einführung in die Vererbungswissenschaft. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstraße 1 1 a, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den i8. April 1915. Nummer 16. Über das Rechenvermögen der Elberfelder Pferde. [Nachdruck verboten.] Von Prof. Dr. H. E. Oft wird die Meinung ausgesprochen, daß die Elberfelder Pferde überhaupt nicht rechnen könnten und daß sie die richtigen Antworten aus irgend- welchen Zeichen ersehen oder durch Zufall finden. Ich vertrete dagegen die Überzeugung, daß sie ein wirkliches Rechenverniögen besitzen, sogar ein erstaunlich hohes. Ich kenne die Elberfelder Pferde aus eigener Anschauung ') und will hier gegenüber dem absprechenden Artikel von Prof. Schröder'-) in Nr. 21 und 22 des vorigen Jahr- gangs dieser Zeitschrift meine Ansicht aufrecht erhalten. Wie ich in Nr. 37 des Jahrgangs 1913 dieser Zeit- schrift gezeigt habe, besitzt das Pferd ein sehr schön gefurchtes Gehirn (Eig. 13 auf S. 581), so daß man nach dem anatomischen Befund wohl begreifen kann, daß bei ihm ziemlich hohe Geisteskräfte vorhan- den sind, welche allerdings individuell etwas ver- schieden sein können. Ich habe dort auch dar- gelegt, daß die Furchung des Großhirns in den einzelnen Ordnungen der Säugetiere selbständig entstanden ist ; dementsprechend muß auch die Zunahme der geistigen Fähigkeiten in jeder Ordnung ihren besonderen Weg gegangen sein. Die Größe der Hirnrinde und die damit zusammenhängende Denkfähigkeit des Pferdes ist also im Verhältnis zu den entsprechenden Eigenschaften des Men- schen nicht als Vorstufe, sondern als Parallelent- wicklung ^j aufzufassen. Vom Standpunkt der Deszendenztheorie braucht also gegen das Denk- vermögen der Pferde kein Einwand gemacht zu werden. Auch steht das Rechenvermögen der Pferde mit der Selektionsleiire keineswegs im Widerspruch. Dasselbe ist nur eine Folge des relativ hohen Denkvermögens, und dieses konnte den Pferden im Naturzustand nützlich sein. Beim Menschen gilt ja dasselbe. Ebensowenig wie für wilde ') Ich habe die Hengste Muhamed und Zarif in den Jahren 1912 und 1913 in der Zeit ihrer besten Leistungs- fähigkeit gesehen. Im Laufe der Jahre wurden die Pferde infolge der vielen Vorführungen immer unaufmerksamer und eigensinniger. Während des Krieges brachten französische Zeitungen die Nachricht, daß die Pferde ausgehoben worden und in Flandern auf einem Schlachtfeld umgekommen seien. Diese Nachricht wurde von vielen deutschen Zeitungen nach- gedruckt, ist aber unrichtig. 2j Prof Dr. Christoph Schröder (Berlin), Eine Kritik der Leistungen der Elberfelder denkenden Pferde. Naturw. Wochenschr. 1914, Nr. 21 u. 22. ^) Auch bei anderen Organsystemen der Säugetiere gab es solche Parallelentwicklung. Z. B. hatten alle alttertiären Säugetiere Zähne mit Höckern; aus solchen haben sich in mehreren Ordnungen und Unterordnungen schmelzfaltige Zähne gebildet, und die kompliziert gebauten Zähne verschiedener Ordnungen sind oft durch Konvergenz sehr ähnlich geworden. Ziegler in Stuttgart. Pferde hatte es für die Menschen der Steinzeit einen biologischen Nutzen, daß ihr Gehirn die Fähigkeit besaß, später das Rechnen zu erfinden oder zu erlernen. Nicht die Rechenfähigkeit ist durch die Selektion zu erklären, sondern die Denk- fähigkeit, und das Rechenvermögen bildet nur einen Fall spezieller Anwendung des Verstandes. Man kann für die Rechenfähigkeit des Menschen ebensowenig eine natürliche Selektion annehmen, wie etwa für das Schachspielen oder für die Buch- stabenschrift. Das Rechnen gehört überhaupt nicht zu den ererbten Eigenschaften, sondern es wird im individuellen Leben erlernt. Ich bin also der Ansicht, daß das Rechenvermögen weder beim Menschen noch bei den Pferden auf einer Selektion dieser Fähigkeit beruht. Es ist demnach ganz unrichtig, werm Prof. Schröder meint, daß die geistigen Leistungen der Pferde der Selektionstheorie widersprechen.'} Überhaupt ist das Rechenvermögen der Elber- felder Pferde eine empirisch festgestellte Tatsache, welche man mit keinen apriorischen Gründen aus der Welt schaffen kann. Es sind so viele wissen- schaftliche Beobachter in Elberfeld gewesen, daß es ganz aussichtslos ist, alle ihre F"eststellungen für Täuschungen oder Suggestionen zu erklären. Auch ist es für die Wissenschaft völlig gleichgültig, ob das Rechenvermögen der Pferde einem fernstehenden Kritiker, welcher die Pferde nie gesehen hat, als wahrscheinlich oder als unwahrscheinlich erscheint. Prof. Schröder meint, daß es unmöglich sei, daß die Pferde so rasche Fortschritte in den einfachen Rechnungsarten hätten machen können, wie Krall angibt (Naturw. Wochenschr. 1914, S. 322J. Wenn so eine apriorische Meinung einer Beobachtung gegenübersteht, so ist eben die Beobachtung interessanter als die entgegenstehende Meinung. Selbstverständlich kann ich an dieser Stelle nicht das ganze Material beibringen, welches den Beweis für die Richtigkeit der Elberfelder Beob- achtungen bildet. Ich verweise auf das Buch von Krall;-) ferner auf die früheren Mitteilungen von Prof. V. Buttel-Reepen und Prof. Plate in dieser Zeitschrift *) und auf die zahlreichen ') Ich nehme hier auf die Äußerung von Prof C h r. Schröder Bezug: ,,Daß die behaupteten Leistungen der Pferde der Selektionstheorie widerspreclien würden, ist gewiß" (Biologisches Zentralblatt, Sept. 1914, S. 609). '-) Karl Krall, Denkende Tiere, Leipzig 1912. ^) H. v. Buttel-Reepen, Meine Erfahrungen mit den denkenden Pferden (diese Zeitschrift 1913, Nr. lü und 17). Das Problem der Elberfelder Pferde und die Telepathie (diese Zeitschrift 1914, Nr. 13). — L. Plate, Beobachtungen an den denkenden Pferden des Herrn Krall (diese Zeitschrift 1913, Nr. 17). 242 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. i6 Beobachtungen und Gutachten, welclie in den „IVIitteilungen der Gesellschaft für Tierpsycholo- gie" enthalten oder zitiert sind.^j Ich muß mich hier auf diejenigen Streitpunkte beschränken, welche in dem Artikel von Schröder berührt sind und bei welchen ich auch persönlich angegriffen bin. An manchen Stellen seiner etwas unklaren Darstellung stellt sich Schröder auf den Standpunkt der Zeichenhypothese, welche ja den gewöhnlichsten Einwand gegen die neuen Be- obachtungen auf diesem Gebiete bildet. Es wird angenommen, daß die Anworten der Tiere auf der Beachtung feiner optischer Zeichen beruhen. Diese Hypothese ist schon längst dadurch wider- legt, daß die Tiere auch bei verhangenem Kopf richtige Antworten gaben und daß viele unbe- wußte Versuche gelungen sind, bei welchen die vorführende Person das Resultat nicht kannte. Ferner hat Krall ein blindes Pferd unterrichtet, bei welchem optische Zeichen gar nicht möglich sind. Außerdem haben alle Tiere oft ganz un- erwartete Antworten gegeben, welche doch einen guten Sinn hatten. Würden die Antworten aut Zeichen hin erfolgen, so wäre das nicht möglich. Prof. Schröder glaubt aber noch eine andere Lösung des Problems gefunden zu haben ; er hält die richtigen Antworten lediglich für Zufällig- keiten. Hätte er die Leistungen der Pferde selbst gesehen, so würde er sich in der ersten Viertel- stunde von der Unrichtigkeit dieser Vermutung überzeug;! haben. Denn die Pferde haben so oft zweistellige Zahlen sofort richtig angegeben, daß die Annahme des Zufalls sich völlig ausschließt. Die Wahrscheinlichkeit, eine zweistellige Zahl durch Zufall richtig zu finden, ist ja nur 1:90. Selbst dann, wenn die Zahl erst zweimal falsch angegeben wurde, und erst das dritte Mal richtig kam, wie dies auch zuweilen geschah, ist die Wahrscheinlichkeit immerhin nur 1:30; die richtige Lösung kann also auch bei dreimaligem Antworten nur selten und ausnahmsweise durch Zufall gefunden werden. Noch viel unwahrscheinlicher ist es, daß eine dreistellige Zahl durch Zufall richtig getroffen wird; es würden in diesem Falle nach den Ge- setzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung 900 falsche Antworten auf eine richtige Antwort kommen. Die Pferde haben aber sehr oft dreistellige Zahlen sofort richtig angegeben. Zuweilen kamen zuerst einige falsche Antworten, aber selbst in diesem Falle bleibt es ausgeschlossen, daß die richtige Antwort durch Zufall gefunden wurde. Bei drei- maligem Antworten wäre ja die Wahrscheinlich- keit der richtigen Antwort nur i : 300, selbst bei 10 Antworten nur 1:90. Ich halte also die Theorie von Schröder für ganz verfehlt. Ich habe die Unwahrscheinlich- keit von richtigen Zufallsantworten schon früher mathematisch dargelegt 'j und brauche von Prof. Schröder auf dem Gebiete der Wahrscheinlich- keitsrechnung keine Belehrungen entgegen zu nehmen. -) Ich will hier aus den rechnerischen Leistungen der Pferde nur das Wurzelziehen herausgreifen, welches ja das meiste Kopfschütteln erregt. Iis ist zunächst festzuhalten, daß es sich bei den Pferden nicht um ein Wurzelziehen aus beliebigen Zahlen handelt, sondern nur um das Angeben der Grundzahlen zu Potenzzahlen. Es gibt dafür gewisse, längst bekannte einfache Regeln, welche ich an anderer Stelle zusammengestellt habe, '^j Ich werde ihre Anwendung in den unten folgen- den Beispielen zeigen. Ferner bestand in bezug auf das Wurzelziehen ein großer Unterschied unter den Pferden, welcher hauptsächlich auf ungleicher Begabung beruhen dürfte. Nur die Hengste Zarif und Muhamed haben sich auf diesem Gebiete ausgezeichnet, und auch hier war der letztere dem ersteren bedeutend über- legen. Diese UngleichheU, welche vielen Be- obachtern aufgefallen ist, widerlegt sowohl die Zeichenhypothese als auch die Zulallstheorie. Gewiß kann angenommen werden, daß die Pferde bei ihrem guten Gedächtnis eine Anzahl Quadratzahlen kannten und deren Wurzel ohne geistige Anstrengung angeben konnten. Dies trifft meiner Ansicht nach für die zweistelligen Potenzzahlen zu und vielleicht auch für einige mehrstellige. Aber selbstverständlich konnten sie nicht alle die mannigfaltigen Potenzzahlen ge- dächtnismäßig kennen, welche von den ver- schiedensten Beobachtern aus einer langen Liste der zweiten und dritten Potenzen zufällig zur Aufgabestellung ausgelesen wurden oder von den Besuchern zu Hause ausgerechnet worden waren. Die beiden Pferde mußten also jedenfalls das Ver- fahren kennen, wie man zu zweiten, dritten und vierten Potenzen die Wurzel findet. In der An- wendung dieses Verfahrens zeigt sich eben ihre Verstandestätigkeit. Prof. Schröder suchte in den veröffentlichten Protokollen nach, ob eine Wurzel vielleicht im Laufe der Zeit zweimal oder mehrmals als Auf- gabe gegeben wurde. Das ist gewiß zuweilen vorgekommen, und Schröder zählt einige solche P'älle auf Aber das ändert an dem Problem gar nichts. Denn es wäre unsinnig zu denken, daß alle die unzähligen Wurzelaufgaben eingelernt ge- wesen seien. Wer aber doch diese Idee hegen will, müßte wenigstens das merkwürdige Ge- dächtnis der Tiere für solche abstrakte Zahlen bewundern. Man kann aber beweisen, daß die Tiere in ') Mitteilungen der Gescllscli.ift für Tierpsycliologic 191.- Nr. 1 — 4, 1914, Nr. i u. 2. ') H. E. Ziegler, Falsche St.ilistik. Milt. der Ges. für Tierpsychologie 1913, Nr. 4. -) Ich sage dies insbesondere in bezug auf die Polemik Schröder's gegen mich auf S. 325 seines oben erwähnten .Artikels in der Naturw. Wochenschrift. Ein kritischer Leser möge den dortigen Streitfall selbst prüfen. ■'1 Mitteilungen der Ges. f. Tierpsych. 1913, Nr. 2 u. 3. N. F. XIV. Nr. i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 243 der Tat in den allermeisten Fällen die Wurzel- zahleri nicht im Gedächtnis hatten, sondern durch eine Überlegung fanden. Denn sie machten sehr oft Fehler, und die Art dieser Fehler ist gerade wichtig. Auch Plate hat auf diesen Punkt auf- merksam gemacht und ich nehme zuerst ein von ihm beobachtetes Beispiel. ^) Bei der Aufgabe }3I36 gab das Pferd zuerst die Antwort 54, dann 56. Es ist einleuchtend, daß die erste Ziffer 5 sein muß, denn die Zahl 31 liegt zwischen den Quadratzahlen 25 und 36. Man kann aber zweifelhaft sein, ob die zweite Ziffer 4 oder 6 werden muß, weil diese beiden Zahlen im Quadrat am Ende die Ziffer 6 ergeben. Die falsche Zahl 54 war also nicht durch Zufall ent- standen, sondern sie stellt einen rechnerisch er- klärlichen Irrtum dar. — Einen ganz ähnlichen Fall sah ich am 22. August 191 2 bei dem Hengst gab die Aufgabe y 582 169 und erhielt die Ant- worten 523, 347, 177, 132, 747, 787, 773, 783, 363 und endlich richtig 763; er fügt mit Recht hinzu : „Daß diese Zahlen nicht ohne Überlegung geklopft sind, zeigt das beständige Wiederkehren von 3 und 7 bei den Einern und von 7 bei den Hunderten." Zuweilen wurden noch falsche Zahlen dabei gegeben, welche sich leicht aus Unachtsamkeit erklären lassen. Z. B. sah ich von dem Hengst Muhamed am 22. August 191 2 folgende Ein- mischungen falscher Zahlen. Aufgabe: 1^17424; Antworten: 32, 14, 6, dann richtig 132. Ferner Muhamed. Die Aufgabe lautete ]'779689; das Pferd gab erst 887, dann S83 an. Man beachte, daß die erste Zahl 8 werden muß, da "j"] zwischen den Quadratzahlen 64 und 81 liegt; bei der letzten Zahl kann man zweifelhaft sein, ob sie 3 oder 7 werden soll, denn diese beiden Zahlen er- geben im Quadrat als letzte Ziffer 9. — Einen weiteren P"all ähnlicher Art sah ich an demselben Tag bei demselben Pferd. Die Aufgabe lautete: }'5565i6; das Pferd gab die Zahlen 764, 754, 774, dann richtig 746. Man sieht auch hier, daß es sich nicht um ein beliebiges Raten handelt, sondern um ein allmähliches Herankommen an die richtige Zahl. Die erste Ziffer (welche sofort richtig getroffen wurde) muß 7 werden, da die Zahl 55 zwischen den Ouadratzahlen 49 und 64 liegt, bei der letzten Ziffer kann man zweifelhaft sein, ob sie 4 oder 6 sein wird. Krall richtete nun an das Pferd folgende Frage : „Wenn in einer Quadratzahl hinten eine 6 steht, was kann dann die letzte Zahl der Wurzel sein ?", worauf das Pferd sofort die Zahlen 4 und 6 klopfte! In dem oben erwähnten Beispiel ist die mittlere Zahl mehrmals verfehlt worden. In der Tat ist bei dreistelligen Quadratwurzeln die mittlere Zahl am schwersten richtig zu treffen. Ich habe viel- fach beobachtet, daß die Pferde gerade bei der mittleren Zahl die meisten Fehler machten, und diese Tatsache widerlegt sowohl die Zeichen- hypothese als auch die Zufallshypothese; z. B. 2 ä 1/119025, erst 335, dann richtig 345 ; l''i5 376 erst 146, dann 144, dann richtig 124;^) }' 55 225 erst 245, dann 225, dann richtig 235. Plate ') L. Plate, Beobachtungen an den denkenden Pferden des Herrn Krall (diese Zeitschrift 1913, Nr. 17). — Prof. Plate veröffentlichte das ganze Protokoll seiner sehr inter- essanten Versuche im Zoologischen Anzeiger Bd. 53, Dezember 1913. » ^) Bei dieser Aufgabe hatten alle Zuschauer mit Herrn Krall den Stall verlassen und beobachteten das Tier nur durch kleine Gucklöclier in der Türe. die Aufgabe ]/ 50625 mit den Antworten 154, '55. 135. 7. 125, 235, dann richtig 225. Es ist in solchen Fällen wohl zu beachten, daß das Tier nicht auf die Stelle des P'ehlers aufmerksam ge- macht wurde, so daß es sich von sich aus ver- bessern mußte. — Am 24. August 19 12 gab Prof. Kraemer dem Hengst Muhamed die Auf- 2 gäbe y 54756 und erhielt die Antworten 13, 4, 54, dann richtig 234. Man hat in diesem Falle guten Grund, die Zahl 13 nur als Unachtsamkeit aufzufassen, da das Tier nach der obigen Dar- legung sicherlich wußte, daß eine dreistellige Zahl kommen mußte und daß am Ende nur die Zahlen 4 oder 6 möglich waren. — Beim Buch- stabieren kamen auch solche Unachtsamkeiten vor und wurden auf Vorhalt sofort korrigiert. Z. B. wurde dem Hengst Muhamed am 23. August 191 2 ein Hund gezeigt und er buchstabierte „Honnd". Nun frug Krall: „Welcher Buchstabe ist falsch?" und sofort kam die Zahl 51, welche u bedeutet. An demselben Tag sah ich folgendes : Dem Pferde wurde ein Spiegel vorgehalten, und es wurde ge- fragt, wen es sehe ; das Pferd buchstabierte „ihg". Krall frug: „Welcher Buchstabe ist falsch?" und sofort kam die Zahl 22, also h. Eines Tages hatte ich das Bild eines Fasans aufgehangen, und das Pferd sollte den Namen buchstabieren. Es gab ,,Fasaln" an. Krall frug wieder, welcher Buchstabe falsch sei. Das Pferd gab 5 an. Krall rief, die Antwort sei unrichtig, weil er die Zahl 23 erwartete, welche 1 bedeutet. Aber das Pferd hatte doch richtig geantwortet, denn der fünfte Buchstabe war falsch. Es ist schon aus diesen Beispielen ersichtlich, daß man das Problem der denkenden Pferde nicht durch eine Statistik falscher und richtiger Antworten lösen kann. Vielmehr ist die Art der Fehler zu beachten. Oft kann man gerade aus den Fehlern die eigene Denktätigkeit der Tiere erkennen, wie ein guter Lehrer die Geistes- beschaffenheit eines Schülers eher aus der Art der Fehler als aus der Zahl derselben erschließt. Je genauer man die Antworten der Pferde studiert, um so mehr überzeugt man sich von der Denkfähigkeit der Tiere. Der Vorwurf der 244 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. i6 Kritiklosigkeit trifi't niclit diejenigen Forscher, Schröder die Behauptung gegenüber, daß es welche die Pferde beobachtet und ihre Antworten sich bei dem vielgcschmähten ,, Krallismus" nicht gepriift haben, sondern die Schriftsteller, welche um eine Verirrung, sondern um eine wiciitige über die Versuche aburteilen, ohne sie gesehen Entdeckung handelt, die eben wegen ihrer Neu- 7.U haben. In diesem Sinne stelle ich Herrn heit solchen heftigen Widerspruch erregt. Ist die milde Witternng dieses Winters eine Wirkung des Kriegs i [NachdiTjck verboten.] Von Dr. A. Der Krieg, das wissen wir jetzt aus eigener Anschauung, hat einen gewaltigen Einfluß auf das ganze menschliche Denken und Tun in seinem vollen Umfang. Mit mildem Auge lesen wir da- her in unseren Zeitschriften auch jene Betrach- tungen, die offensichtlich über das Ziel hinaus- schießen. Daß aber nach unserer Überschrift so- gar die unabhängigen Kräfte der freien Natur seiner Einwirkung unterliegen sollen, scheint denn aber doch zu weit zu gehen. Und doch liegt vom wissenschaftlichen Standpunkt aus durchaus die Wahrscheinlichkeit vor, und — was noch wich- tiger ist — die Möglichkeit, die Frage diesmal zu lösen. „Diesmal" — sie ist nämlich nicht erst jetzt aufgetaucht, sondern hat schon ein recht erheb- liches Alter, denn schon im Anschluß an den Krieg 1870 — 71 wurde sie aufgeworfen. In dem jetzigen Zustand allgemeiner Änderung aller unserer Verhältnisse ist es vielleicht nicht jedem bewußt geworden, daß die Witterung unseres diesjährigen Winters recht erheblich von der üb- lichen abweicht : es fehlt der Frost und statt über- wiegend zu schneien, fällt die größere Menge der Niederschläge in der Form von Regen. Hand in Hand damit geht eine erhöhte Temperatur, sie hält sich um den Gefrierpunkt herum und bedingt durch ihre kleinen Schwankungen einen ewigen Wechsel von Frost zu Auftauen, von Schnee zu Regen. Man bezeichnet eine solche Witterung mit dem, seinem Gedankeninhalt nicht ganz ent- sprechenden Wort „milde". Weder für unsere und unseres Heeres Gesund- heit, noch für das Fortschreiten unserer kriege- rischen Aufgaben sind diese Witterungsverhältnisse förderlich. Sie versetzten die Straßen und Wege in einen unbeschreiblichen Zustand, da der Boden nicht gefrieren kann, und so durch die marschie- renden Truppen und die zahlreichen Munitions- und Bagagewagen — von den schweren Geschützen gar nicht zu reden — immer und immer wieder mit dem nicht abfließenden Gemisch aus Schnee und Regen verknetet wird. Außerdem füllen sich die Wiesen zum schlammigen Sumpf auf, da durch die vermehrte Bewölkung weder die Sonne genügend Wärme zum Verdunsten zuführt, noch die Vegetation das Niederschlagswasser aufsaugt. Besondes im Osten, wo die Wege an sich schlecht hergerichtet sind, und schon von Natur aus sie auf beide Seiten Sümpfe begleiten, warten wir sehnlichst auf den befestigenden I'Vost. Aber auch im Westen wäre er hochwillkommen, würde Nippoldt. er doch aus dem Verkehrshindernis des Über- schwemmungsgebiets einen Verkehrsweg schaffen. Wenn auch die überlieferte Volksmeinung den Eintritt des Winters viel zu früh ansetzt — gehört doch zum Begriff der richtigen Weihnachten ein leichter Frost und eine tiefe Schneedecke, was nur im Osten unseres Vaterlandes und im Gebirge die Regel ist — , so ist doch, für Ende Dezember zum mindesten, das Einsetzen des scharfen Frostes zu erwarten, und damit das Aufhören der Regenfalle. Insbesondere ist es ein selten verlassenes Gesetz, daß die ersten drei Wochen des Januar die tiefsten Jahrestemperaturen und zugleich eine lange Frostperiode mit sich bringen. Davon ist dieses Jahr nichts zu merken, es sei denn der schwache Versuch zu einem strengeren Frost, den die letzten Tage des Monats gebracht haben. Da erinnert man sich denn der in vielen Gegenden als Volksmeinung verbreiteten Ansicht, daß das Schießen mit Pulver regenerzeugend wirke, so daß an Stelle des Schnees Regen ent- stünde. Da bei der Verdichtung des Wasserdamp- fes zu Tropfen viel Wärme frei wird, erwärmt sich die Luft, sie setzt den wetterändernden Kräften, insoweit sie zum P"rost treiben wollen, ein größeres Hindernis entgegen als die schnee- bildende Luft. Außerdem verhindert die Wolken- bildung zugleich die nächtliche Ausstrahlung der Wärme gegen den Himmel und damit die wirk- samste Ursache der Januarfröste. Man sieht also, ist die regenbildende Wirkung des Schießens erst nachgewiesen, so macht die Erklärung der jetzigen außergewöhnlichen Witte- rungszustände dem Meteorologen keine weitere Schwierigkeit. Wie gesagt, hat schon der Krieg von 1870/71 die Fachwelt an den alten Volksglauben erinnert. Ein Beweis für die Richtigkeit desselben ist für die damalige Zeit nicht möglich gewesen, da es an einem planmäßigen Zusammenarbeiten der maßgebenden Kreise fehlte, das Problem wohl auch zu spät auftauchte. In den 80 er Jahren hat man dann in der Schweiz gelegentlich artilleristi- scher Übungen einige Beobachtungen angestellt. Das ganze Material zieht sich aber schließlich auf drei Tage zusammen, denn zu den übrigen Tagen hätte es auch aus anderen Gründen regnen können als gerade durch das Schießen. Diese drei Tage aber waren der .Annahme, daß das Schießen Regen erzeuge, günstig. N. F. XIV. Nr. 16 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 245 Einige Jahre später kam der Gedanke, das Wetter zu beeinflussen, in der Form des „Hagel- schießens" wieder auf. In den österreichischen Alpenländern glaubte man, festgestellt zu haben, daß durch Abgaben von reinen Pulverschüssen ohne Geschoß die Hagelkörner innerhalb einer Wolke in Regentropfen verwandelt würden, und so die Pluren vor dem Hagelschlag bewahrt werden könnten. Da zu dieser Zeit die wissenschaftliche Arbeit gelernt hatte, sich internationalen Aufgaben planmäßig zu widmen, so ist die Wirksamkeit des Hagelschießens wohl ziemlich abschließend unter- sucht, wenigstens nach der praktischen Seite hin. Die beabsichtigte Wirkung des Schießens scheint darnach immerhin möglich, tritt aber nicht mit genügender Sicherheit ein, um das Verfahren und seine praktische Einführung zu rechtfertigen. Auch auf die Gewitterhäufigkeit sollte das Schießen vermindernd einwirken. Dies gab dem Meteorologischen Institut zu Berlin den Anlaß, durch meteorologische Beobachtungen auf den großen Schießplätzen des Reichs in Zusammen- arbeit mit den betreft'enden militärischen Behörden die Frage systematisch zu prüfen. Hier handelte es sich nun, im Unterschied zu dem Hagelschießen um das Abfeuern von Geschossen. Prof. Lach- mann, der das gesamte Material verarbeitete, fand, daß in der Tat an den Schießplätzen gegen- über ihren Nachbarorten eine erhebliche Ver- ringerung der Gewittertage eintrat, im Mittel von rund 23 "/ij. Mithin ist wenigstens für ein Witte- rungselemerit der Einfluß des Schießens festgestellt. Leider hat Lach mann sich der Frage der Regen- erzeugung gar nicht zugewendet. Fragt man nun nach der physikalischen Er- klärung des Einflusses des Schießens auf das Wetter, so scheinen oder schienen wenigstens zuerst die mit dem Schuß verbundenen mechanischen Kräfte die Ursache der Wirkung zu sein. So sollte ins- besondere der Luftstoß des Hagelböllers bis zur Wolke gelangen und dann dort das Entstehen des Hagels verhindern. Im Besitze der neuen, tieferen Erkenntnis über das Wesen der Niederschlags- entstehung, will es uns heute mehr scheinen, daß die mit dem Schuß ausgeschleuderten Rauch- und Munitionsgase das wirklich Maßgebende sind. Der Regentropfen kann unter den in der Atmo- sphäre für gewöhnlich herrschenden Verhältnissen nur entstehen, wenn er einen sogen. „Konden- sationskern" vorfindet.') Vielfach ist der überall herumschwebende Staub der gesuchte Kern. Feine physikalische Messungen haben aber darge- tan, daß auch in staubfreier Luft die Verdichtung des Wasserdampfes zu Tröpfchen um Konden- sationskerne stattfindet und daß diese Kerne äußerst kleine, elektrisch geladene Teilchen sind, Körper- chen, die der Physiker längst kannte, und denen er den Namen ,, Ionen" gegeben hat. Die luft- elektrische Forschung hat gezeigt, daß die atmo- sphärische Luft stets Ionen enthält, und damit dem Regen auch ohne Staub jederzeit Konden- sationskerne zur Verfügung stehen. Weiter weiß man aber auch, daß alle Flammen ebenfalls Ionen erzeugen. Da liegt es doch nahe, als das Regen- bildende beim Schuß, die gewaltige Menge von Ionen anzusehen, die durch die Munitionsgasflam- men entstehen ; dazu kämen noch die reinen Rauchgase. Wirken aber diese Flammen, so muß gleich von vornherein daran erinnert werden, daß es auf unseren Schlachtfeldern noch andere Flam- men, und zwar von großer Ausdehnung gibt: die P'lammen der brennenden Dörfer und Ortschaften. Es wird nicht gut möglich sein, beide Einflüsse zu trennen. Wenn man bedenkt, ein wie großer Munitions- verbrauch auf beiden Kampfplätzen stattfindet, ferner, wie langgezogen die Kampflinien sind und die lange Zeit beachtet, die diese künstliche Kernerzeugung schon währt, so wird man denn doch die Möglichkeit, daß der Krieg den Regen- reichtum und die Milde unseres Winters verschul- det, nicht bestreiten können. Eine Prüfung der PVage kann natürlich erst erfolgen, wenn das me- teorologische Beobachtungsmaterial eingelaufen sein wird, dies wird aber — und darauf können wir stolz sein — ein vorzügliches werden, läßt doch die Heeresverwaltung selbst durch ihre Wetterfeldstationen die metorologischen Vorgänge in dem Kampfgebiet verfolgen, und haben wir doch in den besetzten Gebieten den staatlichen Wetterdienst in feste Verwaltung genommen. (' Vgl. dazu Naturw. Wochcnschr. Bd. 13 {1914'), S. 78. Die Härtung der Fette. [Nachdruck verboten. | Von Otto Die Fett verarbeitenden Industrien hatten schwer unter der Erscheinung zu leiden, daß ihre teils aus dem Pflanzen-, teils aus dem Tierreich stammenden Rohmaterialien immer knapper wurden, weil die Produktion mit dem Verbrauch kaum Schritt halten konnte, und weil anderer- seits eine Wertverschiebung zwischen den festen und flüssigen Fetten sich ziemlich plötzlich ein- stellte. Die Fettindustrie hat nicht einen solch radi- kalen F"ortschritt erzielt, wie die Industrie der Bürger-Kirn. Stickstoffverbindungen, wo man sich infolge der Ammoniaksynthese aus den Elementen von den natürlichen Stoßen frei machen konnte ; man wird wohl kaum die Rohstoffe der Fettindustrie aus den Elementen oder aus leicht zugänglichen Auf- baustofifen synthetisieren können. Man hat bis jetzt nur vermocht, die verschiedenen Rohmate- rialien durch chemische Plingrifife so zu verändern, daß man solche, an denen man Überfluß hat, durch andere, an denen Mangel herrscht, er- setzen kann. 246 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 16 Die Rohfette werden nur zu einem ganz ge- ringen Teil- im Inlande erzeugt; zum weitaus größten Teil sind wir auf die ausländische Pro- duktion angewiesen, und da die größten Mengen pflanzlichen Ursprungs sind, schwanken die ver- fügbaren Mengen und somit auch deren I-'reise sehr, so daß heute die Seifenindustrie z.B. mehr von der richtigen Ausnutzung einer guten Marktlage beim Einkauf der Rohmaterialien abhängig ist, als von der rationellen Leitung des Betriebes, weil die Preise der fertigen Waren nur langsam den Preisen der Rohmaterialien folgen können. ^) In den letzten Jahren ist dieser Übelstand noch dadurch besonders verschärft worden, daß die Fette, die die Seifenindustrie zur Herstellung harter Haushalts- und Toiletteseifen unbedingt notwendig hat, in immer steigendem Maße von der Speisefettindustrie beansprucht wurden, so daß die harten Fette einen höheren Preis erzielten, als die Seifenindustrie anlegen konnte. Über das ganz verschiedene Verhältnis der Verwendung der flüssigen und festen Fette von den drei wich- tigsten Fett verarbeitenden Industrien (Seifen- industrie, Kerzenindustrie und Kunstspeisefett- industrie) sei kurz folgendes gesagt: Die Kerzen- industrie kann nur hochschmelzende Grundmate- rialien verarbeiten, das Feit der Speisefettindustrie muß bei Zimmertemperatur feste Konsistenz haben, während nur die Seifenindustrie zum Teil flüssige Fette mitverwenden kann für einen Teil ihrer Produkte. Die Tabelle veranschaulicht die Entwicklung dieser Industrien : Fettverbrauch 1900 1913 Kerzenindustrie 5 000 t Speisefettindustrie 80 000 t 200000 t Seifenindustrie 1 50000 t 3 50 000 t, wovon auf harte Seifen 55", auf Schmierseifen 30" entfallen. Durch die Entwicklung der Palmölspeisefette ist der F'ettbedarf der Speisefettindustrie auf nahezu 200000 t angestiegen, auf Kosten der festen Fette. Palmkernöl und Kokosöl waren neben den tieri- schen F"etten am stärksten an diesem Bedarf be- teiligt, gleichzeitig stiegen die Fettpreise ganz außerordentlich. Da nun die Tage der billigen festen Fette ge- zählt waren, mußte die Seifenindustrie immer mehr zu flüssigen h'etten ihre Zuflucht nehmen, was natürlich für die Qualität der festen Seifen nicht von Vorteil sein konnte. Noch vor 10 Jahren war das Hauptrohprodukt für die Herstellung der harten, sogenannten Oranienburger Haushaltsseife das Palmkernöl, und zwar enthielt eine solche Seife etwa 75"/,, dieses Produktes. Die heuligen Haushaltungsseifen enthalten nur mehr 2o"„ Palm- kernöl, der Rest muß durch andere Produkte er- setzt werden. ') Siehe auch den Vortrag von Priv.-Doz. Dr. F. Bcrgius anläßlich der 27. Hauptversammlung des Vereins Deutscher Chemiker in Bonn [Zeitschrift für angew. Chemie 27. 70/71 (513— 5'7) "Dd 72/73 (522-525)]- Es war daher für die verschiedenen Fett- industrien eine Existenzfrage , auf möglichst rationellem Wege die flüssigen F"ette in feste um- zuwandeln, um einmal der Seifenindustrie billigere Rohmaterialien zugänglich zu machen und anderer- seits die Speisefettindustrie von tierischen F"etten unabhängig zu machen. Dieses überaus wichtige Problem ist heute durch den Fetthärtungsprozeß gelöst. Die physikalischen Unterschiede zwischen festen und flüssigen Fetten sind durch die Kon- stitution der die Triglyzeride aufbauenden Fett- säuren bestimmt. Die festen F"ette sind für ge- wöhnlich die Ester gesättigter Säuren, der Stearin-, Palmitinsäure, vermischt mit denen der Ölsäure; die flüssigen l<"ette dagegen sind die Ester unge- sättigter, wasserstoffärmerer Säuren, der Ölsäure, der Linolsäure, der Linolensäure und anderer. Im folgenden sind die wichtigsten P'ettsäuren mit 18 Kohlenstoffatomen zusammen gestellt : P'ormel Schmelzpunkt Stearinsäure Cjj,H.jyO., 09,3" Ölsäure QsHj^O.^ 14" Linolsäure CjgHg.jO., «C^o" Linolensäure CigH.j^O., <^o^ Clupanodonsäure Ci>jH2sOo ■cC^o" Die Clupanodonsäure wurde vor einigen Jahren von dem Japaner Mitsumaru Tsujimoto in den Fischtranen entdeckt; Oxydationsprodukte von ihr bewirken den durchdringenden und unangenehmen Geruch der Fischtrane. Wird diese Säure jedoch beim Härtungsprozeß in eine gesättigte ver- wandelt, so bewirkt die Härtung natürlich gleich- zeitig die Entfernung des Geruchbildners, was eine Gleichstellung den anderen Fetten gegenüber bedeutet. Aber auch die chemischen Eigenschaften dieser ungesättigten Verbindung spielen für ihre Ver- wendbarkeit eine große Rolle, da naturgemäß die ungesättigten Stoffe leichter zu chemischen Um- bildungen, zu O.xydationen und Zersetzungen, neigen. Besonders kommt dies bei der Speise- fettindustrie in Betracht, wo die stark unge- sättigten Fette, wie Leinöl, Bohnenöl und Tran leicht zum Verderben des F"ettes Anlaß geben können. Man ist aus diesen Gründen hierbei im wesentlichen auf die gesättigten und schwach un- gesättigten Fette Premier Jus, Oleomargarin, Palmöl, Kokosöl angewiesen, .\hnlich ist es bei der Seifenindustrie, wo die stark uno;esättigten Fette nur zur Herstellung weicher dunkler Pro- dukte benutzt werden können. Am frühesten war wohl das Bedürfnis, feste F"ette aus flüssigen herzustellen, bei der Kerzen- industrie rege gewesen , wo man bei der Ver- seifung des festen Talges neben der Stearinsäure flüssige Ölsäure, Olein genannt, erhielt, das für die Zwecke der Kerzenherstellung nicht mit be- nutzt werden konnte. Es konnte höchstens zur Herstellung gewisser Textilseifen verwendet werden. Aus diesem Bedürfnis entsprang natürlich bald der heiße Wunsch nach einem Verfahren zur N. F. XIV. Nr. i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 247 Härtung des Oleins, was man denn auch in der Tat schon früh erreicht hat. Schon seit langer Zeit kennt man ein Verfahren, nach dem es möglich war, aus der Ölsäure ein festes Produkt herzustellen, das, wenn es auch chemisch keine Stearinsäure war, doch einen Schmelzpunkt hatte, der seine Verwendung in der Kerzenindustrie in gewissem Umfange ermöglichte. 1855 schon hatte Fremy bei der Spaltung der Fette durch Schwefelsäure in Fettsäuren und Glyzerin eine höhere Ausbeute an Fettsäuren beobachtet, was eben darauf beruht, daß neben der Fettspaltung die Schwefelsäure die Ölsäure unter Bildung von Oxy- stearinsäureester angreift, der mit Wasser in Oxy- stearinsäure übergeht. Bei der darauffolgenden Destillation wird die Oxystearinsäure unter Wasser- abspaltung wieder zerstört, und es bildet sich Ölsäure zurück, die jedoch einen wesentlich höheren Schmelzpunkt, 44 — 45", hat und IsoÖl- säure genannt wird. Die Ausbeute an IsoÖlsäure ist zwar nicht quantitativ, sie kann jedoch immer- hin zur Kerzenfabrikation verwendet werden und wäre auch wohl mehr angewendet worden, hätte nicht die Seifenindustrie den Fortschritten der Wissenschaft zu geringes Interesse entgegen- gebracht, wodurch sie nur allzu häufig der Ent- wicklung aussichtsreicher Verfahren hinderlich gewesen ist. Ein ähnlicher Weg zur Gewinnung fester Fettsäuren wurde in den siebziger Jahren von Fournier beschritten, der mit Hilfe der Varrentrap'schen Reaktion durch Abspaltung von zwei Kohlenstofifatomen aus der Ölsäure Palmitin- säure neben Essigsäure unter Wasserstoffentwick- lung herstellte. Dieses Verfahren war jedoch eines zu großen Fettverlustes wegen recht un- rentabel, die Umwandlungskosten für 100 kg Palmitinsäure betrugen etwa 25 M. An Stelle von Schwefelsäure behandelte Schmidt Ölsäure mit Chlorzink bei 185'^; eine in Österreich aus- geführte Versuchsanlage zeigte jedoch die Un- verwendbarkeit auch dieses Verfahrens. Nach diesen mißlungenen Versuchen blieb noch die Möglichkeit, die ungesättigten Glyzeride oder die ungesättigten F"ettsäuren durch Anlage- rung von Wasserstoff direkt in die gesättigten Verbindungen zu verwandeln. Leider reagiert nun aber gasförmiger Wasserstoff unter gewöhn- lichen Bedingungen nicht mit den Fettsäuren, und es bedarf eines besonders reaktionsfähigen Zu- standes desselben, um ihn an die Glyzeride in Reaktion zu bringen. Wenn sich auch der be- kannte englische Fettchemiker Lewko witsch noch im Jahre 1897 äußerte, die Ölsäure wider- stände allen Versuchen zur Hydrogenisierung, so schien ihm nicht bekannt zu sein, daß schon viel früher, nämlich im Jahre 1S75, Guido Gold- schmidt die ( Ölsäure mittels Jodwasserstoff- säure und amorphem Phosphor bei 200" hydriert hatte. Auf diese Beobachtungen Goldschmidt 's geht auch wohl das Verfahren von Wilde und Reyschler zurück, die Ölsäure durch Jod in Stearinsäure zu verwandeln. Hierbei wurde die Ölsäure bei 280° mit i"/,, Jod erhitzt, wobei eine Ausbeute von 70"/,, Stearinsäure erreicht wurde, außerdem wurden ''/., des zugesetzten Jods wieder- gewonnen. Nach einer Abänderung dieses Ver- fahrens von Zürrer aus dem Jahre 1891 wurde die Fettsäure chloriert, und dann in Gegenwart von Zink und fein verteiltem Eisen mit Wasser erhitzt, um eine Einwirkung naszierenden Wasser- stoffs zu erreichen. Beide Verfahren haben sich jedoch nicht in die Praxis eingeführt; das erste war zu unrentabel, und bei dem zweiten bildete sich, wie Lewko witsch nachwies, keine Stearin- säure, sondern das Material verwandelte sich in Ölsäure zurück. Fissier glaubte im Jahre 1897 die geplante Wirkung dadurch zu erreichen, daß er das Fett mit gepulvertem, metallischem Zink und Wasser im Autoklaven unter Druck erhitzte. Freund- lich und Rosauer') wiesen jedoch nach, daß dieser Prozeß nicht durchführbar ist. Bei der großartigen Entwicklung der Elektro- chemie wässeriger Lösungen kam natürlich auch bald der Gedanke auf, die Fettsäuren auf elektro- lytischem Wege zu reduzieren, was dann auch von Weinegg, Magnier, Bragnier und Fissier dadurch versucht wurde, daß das mit Schwefelsäure gemischte Fettmaterial mit der sechsfachen Menge Wasser zersetzt und unter 5 Atmosphären Druck in einem Autoklaven der Einwirkung des elektrischen Stroms ausgesetzt wurde. Wie jedoch eingehende Untersuchungen von Petersen ergeben haben, betrug hierbei unter günstigsten Arbeitsbedingungen die Strom- ausbeute nur 10 — 20 'Vy. Auch der russische Forscher Fokin hat sich mit der elektrolyti- schen Fettspaltung bzw. Fetthärtung befaßt, und die Firma C. F. Böhrin ger in Waldorf fand, daß die Stromausbeute besser wurde, wenn die Kathoden mit Metall in schwammförmigem Zu- stand überzogen waren. Alle diese Versuche haben jedoch nie zu bedeutenden technischen Verfahren geführt, was wohl vor allem auf die nicht unerhebliche apparative Schwierigkeit beim Bau der Zellen zurückzuführen ist. Ein aus dem Jahre 191 1 stammendes Patent von Was er greift wieder auf die oben angegebene Arbeitsweise zurück, jedoch mit dem Unterschied, daß hierbei die konzentrierten Sulfosäuren der P'ette als Katalyt benutzt werden. Die im organischen Laboratorium üblichen Reduktionsmethoden konnten also ebensowenig wie die Elektrochemie die Aufgabe lösen, die flüssigen Fette in feste zu verwandeln. Mehr Erfolg versprach man sich nun mit Recht, als am Ende des vergangenen Jahrhunderts die Lehren der physikalischen Chemie Allgemeingut zu werden begannen und mit ihnen die Lehre von den Reaktionsbeschleunigern, den Katalysatoren. Die Resultate der klassischen Versuche von Sabatier undSenderens über die Reduktion organischer ') Chcm. Zeitg. 1900 : 566. 248 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. i6 Stoffe in Dampfform mit Nickel oder ähnlichen Metallen hat sich die Industrie in immer größerem Umfange zu Nutzen gemacht, wobei die be- treffende organische Verbindung mit Wasserstoff vermischt über den Katalysator geleitet wurde, der in möglichst fein verteilter Form in einem erhitzten Rohr verteilt war. Bei allen Versuchen wurde stets großer Wert darauf gelegt, daß die betreffende organische Substanz nur in Form von Dampf den Katalysator berührte, weil Flüssigkeits- tropfen die Wirksamkeit des Katalysators be- einträchtigten. Nach diesen Darlegungen war eine Hydrierung der ungesättigten Fette nicht ohne weiteres möglich, weil sie im dampfförmigen Zustande nicht durchgeführt werden konnte, da diese nicht ohne Zersetzung destillieren. Eher möglich war dies bei den Fettsäuren, was denn auch von Schwörer erreicht und zu Patent angemeldet wurde. Wollte man also bei der Fett- härtung die Vergasung des Fettmaterials ver- meiden, so mußte man die Fette in direkte Be- rührung mit dem Katalysator bringen, ohne daß dieser unwirksam gemacht wurde. Dieser wichtige Punkt wurde zuerst von Normann erkannt und experimentell durch- geführt. Auf dessen Versuchsergebnisse erhielt die Herforder Maschinenfett- und Ölfabrik Leprince und Sivecke im Anfang des Jahres 1903 ein Patent folgenden Inhalts: Die Ölsäure wird mit Nickelpulver, das man durch Reduktion des Oxyds im Wasserstoffstrom gewinnt, vermischt und im Ölbad erwärmt. Dann leitet man einen kräftigen Wasserstoffstrom hindurch; bei genügend langer Einwirkung wird die Ölsäure vollständig in Stearinsäure umgewandelt. Nickelmenge und Temperaturhöhe sind für den Prozeß selbst un- wesentlich und beeinflussen höchstens seine Dauer. Die Reaktion verläuft mit Ausnahme der Bildung einer kleinen Menge Nickelseife ohne Nebenreaktion und man kann den Katalysator öfter benutzen. Außer den freien F"etten lassen sich auf diesem Wege auch die natürlichen Glyzeride, wie Olivenöl, Leinöl und Tran in harte Produkte verwandeln. Nach der Angabe der Patentschrift kann statt reinen Wasserstoffs auch Wassergas usw. verwandt werden. Dieses grund- legende Patent wurde sowohl in Deutschland als auch in England ohne irgendwelches intensives Einspruchverfahren sehr schnell erteilt (Patent- anmeldung in Deutschland im August 1902), was wohl besonders der guten Fcttmarktlage 1902/03 zu verdanken war, wo niemand die Umwandlung der flüssigen Fette in feste für unbedingt not- wendig hielt und daher der Sache keine Bedeu- tung beigelegt wurde. Als das Verfahren in den Großbetrieb übergeführt werden sollte, fand sich denn auch natürlich kein Industrieller, der Unter- nehmungslust genug hatte, die No rm ann 'sehen Ideen zu einem technischen Verfahren auszubilden, was allerdings vielleicht zum Teil mit der Schwierigkeit zusammenhing, reinen Wasserstoff in größeren Mengen herzustellen. Besser als in Deutschland wurde die Bedeutung des Norman n 'sehen Patentes in England er- kannt, wo sich die Firma Joseph Crosfield and Sons in Warrington im Jahre 1905 die alleinige Eizenz für das Vereinigte Königreich erwarb. Schon im nächsten Jahre wurden mehrere tons P'ett pro Tag von dieser Plrma hydriert, die je- doch vorerst nur im eigenen Betrieb zur Seifen- herstellung verwendet wurden, wodurch es erklär- lich ist, daß Fachleute, wie z. B. Le wko w it seh, von der Entwicklung des Norman n' sehen Ver- fahrens und dessen Ausführbarkeit nur wenig er- fuhren. Nachdem dann das Verfahren noch weiter bis ins feinste durchgebildet worden war, besonders von dem Leiter der Crosfielder Fabrik, Herrn Dr. Markel, und die wöchentliche Pro- duktion bereits Hunderte von tons betrug, gingen die inzwischen auch von Crosfield erworbenen deutschen Patentrechte an die Naamlooze Ven- nootschap Anton Jürgens in Oss in Holland über, die im Jahre 1911/12 in Emmerich am Nieder- rhein eine große Fetthärtungsanlage, die Germania- Öl werke, errichtete, deren Leitung Nor mann übernahm und deren Betrieb bald einen außer- gewöhnlich großen Umfang annahm, so daß dort heute täglich 100 Tonnen Fett gehärtet werden. Bei der Ausführung des Verfahrens wird das Öl in Rührgefäßen mit dem Katalysator gemischt und wandert dann in große Bottiche zur Hy- drierung. Während der Operation werden Härte- gradbestimmungen vorgenommen, um festzustellen, ob die Härtung genügend schnell fortgeschritten ist. Das Öl wird dann durch Filterpressen abge- lassen, wobei der Katalysator zurückbleibt. Für einen günstigen Ablauf des Prozesses ist eine Vor- reinigung der Öle erwünscht, die jedoch nicht unbedingt erforderlich sein soll. Der Wasserstoff wird nach dem Eisen-Wasserdampfverfahren her- gestellt und zur Befreiung von Schwefel über Raseneisenerz geleitet. Das zur Verwendung ge- langende Nickel wird auf einem porösen Material, wie z. B. Kieselgur, niedergeschlagen und redu- ziert, was schon in der Patentschrift vorgesehen war. I "/ü eines frischen, richtig hergestellten Katalysators vermag reines Cottonöl bei 180" in 'j^ Stunde vollständig bis zum Schmelzpunkt von 61" zu hydrieren. Mit das wichtigste Rohmaterial für die I'ett- härtung ist der Tran, ferner werden noch Rizinusöl, Cottonöl und Leinöl zur Fetthärtung verwandt. Je nach dem Bedarf der Verbraucher werden Fette von verschiedenen Schmelzpunkten her- gestellt; so bringen die Germania-Olwerke Talgol und Talgol extra in den Handel mit 35 — 37" bzw. 42 — 45" Schmelzpunkt und das noch festere Produkt Candelit (48 — 52"). Speziell für die Seifenfabrikation bringt sie ein zum Teil ge- härtetes Produkt Krutolin in den Handel. Ge- härtetes Leinöl vertreibt sie unter dem Namen Linolit. Das Normann 'sehe Verfahren ist nur in Deutschland und England durch Patent geschützt. N. F. XIV. Nr. i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 249 in allen anderen Ländern ist daher die Verwen- dung des Nickelkatalysators frei. Nach der Veröffentlichung des Norman n- schen Patentes haben sich natürlich auch andere Forscher mit der Frage der Fetthydrierung be- faßt. Erdmann und Bedford glaubten, daß durch die feine Verteilung des Nickels in dem Öl keine guten Ergebnisse erzielt werden könnten. Erdmann fand, daß die Hydrierung wesentlich günstiger verläuft, wenn man das Ol durch Wasserstoff zerstäubt und auf den auf einer festen Unterlage angebrachten Katalysator bläst. Nach dieser allerdings von dem Nor ma n n'schen Verfahren abhängigen Arbeitsweise soll die Hy- drierung besser und vollständiger verlaufen. NilsTestrup und der Russe Wilbusch e- witsch änderten das Verfahren daiiin ab, daß der Katalysator mit dem Ol vermischt in einen Raum gespritzt wurde, in dem Wasserstoff unter erhöhtem Druck vorhanden war. Das Gemisch kann auch mehrfach in hintereinander geschaltete mit Wasserstoff gefüllte Gefäße eingespritzt und auf diese Weise vollständig hydriert werden, da die Geschwindigkeit der Hydrierung mit steigen- dem Druck wesentlich wächst. Dieses Verfahren ermöglicht, im Gegensatz zu der Norman n- schen Anordnung, einen kontinuierlichen Betrieb, ist also eine Vervollkommnung der Ausführungs- form. Andererseits ist jedoch dieses Patent wieder von dem Norman n'schen abhängig, weil es den Katalysator Nickel benutzt. In Deutschland wurde dieses Verfahren namentlich dadurch bekannt, daß es für einen außergewöhn- lich hohen Preis vom Eigentümer erworben wurde, trotzdem ein wesentlicher Patentschutz dafür bei uns nicht besteht. Es wird jetzt, nach- dem eine Einigung mit den Germania-Ölwerken zustande gekommen ist, von den Bremen-Besig- heimer Olwerken zur Herstellung von gehärteten Speisefetten benutzt. Außer diesen sind noch eine ganze Anzahl anderer Patente auf verschiedene .'\usfuhrungs- formen des Nickelverfahrens erteilt worden, die mehr oder weniger große Bedeutung erlangt haben. Von größerer Bedeutung für die Entwicklung der Fetthärtung als diese Apparatenfragen sind die Untersuchungen über andere Katalysatoren, die man etwa an Stelle von Nickel benutzen könnte. Fokin konnte die Umwandlung von Ölsäure in Stearinsäure schon bei gewöhnlicher Temperatur unter Benutzung von Palladium- schwamm erreichen. Paal stellte 1902 kolloidale Lösungen von Metallen und Metallhydroxyl da- durch her, daß er Lysalbin und Protalbinsäure als Schutzkolloid verwandte. Auf diese Weise hergestelltes Palladiumsol vermag die looo- bis 3000 fache Menge Wasserstoff aufzunehmen und eignet sich daher vorzüglich zur Durchführung der Fetthydrierung. Ölsaures Kali ließ sich auf diesem Wege quantitativ bei gewöhnlicher Tem- peratur in reine Stearinsäure umwandeln. Bei Rizinusöl, Olivenöl und l^ebertran genügte die geringe Temperatur von 60" zur Hydrierung. Die Vereinigten Chemischen Werke in Char- lottenburg reduzieren mit Palladiumchlorür in saurer Lösung, unter Verwendung von Leim oder Gummi als Schutzkolloid, ein Teil Palladium ver- mag hierhei looooo Teile Fett zu hydrieren. Dieser Weg wurde von Skita angegeben. Da jedoch bei diesem Verfahren pro Tonne Fett i g Palladium verloren geht, würde dieser Metall- verlust eine große Preissteigerung des Metalls zur Folge haben, wodurch die Durchführbarkeit des Verfahrens immer schwerer werden müßte. Das neueste Patent, das die Verwendung von Edel- metallen als Katalysator betrifft, ist das von der Naamlooze Venootschap Anton Jürgens ange- meldete. Es betrifft die Anwendung von Palla- dium in metallisch zusammenhängender Form, sei es als Blech oder sei es als Überzug auf anderem Metall. Man füllt die Palladiumblech- schnitzel in ein drehbares Gefäß, läßt das Öl hinein und verbindet das Gefäß mit der Wasser- stoffzuleitung, wobei es gedreht und erwärmt wird. Die Vorteile dieses Verfahrens sind, daß das Fett viel leichter vom Katalysator getrennt werden kann, und daß die Verluste am Katalysator ver- schwindend gering werden. Neben diesen Verfahren sind nun wieder neue entstanden, die nicht von dem Metall selbst aus- gingen, sondern Metallverbindungen als Kataly- sator anwandten. Da über die großen Erfolge Crosfields noch nichts bekannt geworden war, hielt man es für einen großen Fortschritt, der das technische Arbeiten überhaupt ermöglichen sollte, als es Erdmann und Bedford gelang, den Nickelkatalysator auszuscheiden und statt dessen mit Nickeloxyd zu arbeiten. Diese Um- änderung des Norman n 'sehen Verfahrens geht auf die Arbeiten von Ipatieff zurück, der die Reduktion einer großen Reihe von organischen und anorganischen Stoffen mit Wasserstoff unter hohen Drucken von etwa loo Atmosphären in Gegenwart von Metallen und Metalloxyden durch- führen konnte. Nickeloxyd und Nickeloxydul be- wirken eine schnellere Hydrogenisation als die Metalle selbst und können wiederholt gebraucht werden, ohne ihre Zusammensetzung zu ändern. Die Wirkung der Oxyde als Katalysatoren ist so zu erklären, daß der Wasserstoff mit einer Spur des Nickeloxyds unter Wasserbildung reagiert, so daß auf diese Weise eine kleine Menge Nickel reduziert wird, welches wieder auf das gebildete Wasser einwirkt, Oxyd zurückbildet und so Wasserstoff in statu nascendi freimacht, der sehr reaktionsfähig ist. Alle diese Reaktionen gelingen jedoch nur bei Verwendung von Wasserstoff unter hohem Druck. Die ersten, denen es gelang, auch mit Wasser- stoff mit Atmosphärendruck die Reduktion der Fette und Fettsäuren durchzuführen, waren, wie oben schon erwähnt, Erdmann und Bedford, deren Verfahren in der Fabrik von WilHams in ISO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. i6 Sleaford durchgeführt und an verschiedenartigen Ölen erprobt wurde. Bringt man das Nickeloxyd in das Öl und beginnt rnit der Wasserstoffein- leitung, bei einer Temperatur von etwa 230", die also etwas höher ist als die für das N o r m a n n ' sehe Verfahren erforderliche, so bildet sich zuerst Nickeloxydul, wodurch die Masse grünlich wird, nachher wird sie tiefschwarz, und die Metallver- bindung findet sich in ganz feiner Verteilung im Öl. Jetzt beginnt die Hydrierung, bis zu deren Beendigung der Katalysator im Öl verteilt bleibt, woraus er nur durch Schleudern oder durch gute Filtration entfernt werden kann. Erst wenn die Hydrierung vollständig beendet ist, flockt er von selbst aus. So scharf auch die Gegensätze zwischen den beiden Hauptverfahren sein mögen, im Interesse der Allgemeinheit ist es nur erfreulich, daß das- selbe Ziel sich auf zwei Wegen erreichen läßt. Der unabhängige Beurteiler wird die Verdienste Normanns, der als erster mit einem technisch entwicklungsfähigen Ver- fahren an die Öffentlichkeit trat, nicht etwa deswegen geringer einschätzen, weil Erd- mann und dessen Mitarbeiter nach eingehenden, unabhängigen Studien mit einer veränderten Ar- beitsmethode aufgetreten sind. Technische Bedeutung hat auch noch ein Ver- fahren von Wim er und Higgins gewonnen, die z. B. ameisensaures Nickel im Öl auflösten und dann unter Erwärmung Wasserstoff einleiteten. Hierbei zerfällt das ameisensaure Nickel in Nickel und Kohlensäure. Zur Ausbeutung dieses Ver- fahrens hat sich die Fettraffinerie A.-G. in Bremen gebildet, die in Brake in Oldenburg eine große Anlage errichtet hat. Natürlich hat es auch nicht an Versuchen ge- fehlt, die Katalysatoren vollständig zu vermeiden. So ist es Hemptinne gelungen, mit Hilfe der Wirkung der Glimmentladungen die (Jlsäure bis zu einem gewissen Grade in Stearinsäure umzu- wandeln. Ein deutsches Patent von Utescher in Hamburg benutzt die gemeinsame Wirkung von Kontaktsubstanz und elektrischen Glimm- entladungen dazu, um die Reaktion schneller durchzuführen, die Kontaktsubstanz dauernd aktiv zu erhalten, und um deren Aktivität zu erhöhen. Bergius suchte die Konzentration des in dem Öl gelösten Wasserstoffs zu erhöhen und durch diese erhöhte Konzentration die Reaktionsge- schwindigkeit des trägen Wasserstoffs zu steigern. Durch die Versuche von Kalwin endlich ist bewiesen worden , daß man eine glatte Hydrie- rung erzielen kann, wenn man in Gegenwart von Alkali arbeitet. Ölsäure geht beim Er- hitzen mit Alkalilauge unter etwa 30 Atm. Wasser- stoffdruck bei 30" glatt in stearinsaures Natron über, ohne Zersetzung der Ölsäure. Durch An- wendung dieser Methode auf stärker ungesättigte Fettsäuren kann man den Hydrierungsprozeß direkt mit dem Verseifungsprozeß vereinigen. Die Technik ist also beute in der Lage, über eine ganze Reihe brauchbarer Methoden zur Ge- winnung fesler Fette aus flüssigen Materialien zu verfügen, so daß der Fettbedarf der Industrien nicht mehr allein von der beschränkten, stark be- anspruchten natürlichen Produktion abhängig ist. Die hydrierten P'ette haben sich in der Seifen- industrie immer mehr eingeführt, was sich schon daraus ergibt, daß die Germania Ölwerke allein ca. 10 "q des gesamten F'ettbedarfs der deutschen Seifenindustrie liefern. Seifen, die aus ganz harten Fetten hergestellt werden , schäumen nun aber nicht genügend ; dieser P^ehler kann jedoch durch Mischung mit anderen, weichen Rohmaterialien behoben werden. Ein anderer großer Vorteil, der den Fett ver- arbeitenden Industrien durch die Fetthydrierung gebracht worden ist, liegt darin, daß man nun auch die Trane in geruchlose (s. Anfang der Ar- beit), gut verwendbare Materialien verwandeln kann. Hierdurch hat sich die Tranproduktion in den letzten Jahren außerordentlich vergrößert, und da für die Fetthärtung nur die besten Tran- sorten verwandt werden, ist der Walfischfang so groß geworden, daß man berechtigte Bedenken für die Zukunft trägt. Je wirksamer aber anderer- seits auch die Katalysatoren werden und je mehr man imstande sein wird, die Katalysatoren zu vermeiden, um so mehr kann man auch andere Tranquellen heranziehen und so z. B. die Sardinen- und Heringstrane für die Seifenindustrie zugäng- lich machen. Für die Speisefettindustrie will man jedoch die Trane nicht benutzen, obgleich der Verwendung keinerlei Einwände im Wege stehen, damit nicht von selten der Butterproduzenten den üblichen Angriffen gegen die Margarinefabrikation ein neues Agitationsmittel hinzugefügt werden kann. Bei der Kerzenindustrie scheint der hohe Preis der Einführung gehärteter Fette etwas hinderlich zu sein. Der hohe Preis erklärt sich zum Teil aus der Monopolstellung der Produzenten, die Bearbeitungskosten sind jedoch auch nicht ganz unwesentlich. Braucht man doch je nach der Art des F"ettes V2 — - % Wasserstoff vom Fett- gewicht zur vollständigen Härtung, wobei das Kilo reiner Wasserstoff sich auf etwa 1,60 bis 1,70 Mk. stellt, Amortisation und Verzinsung der Anlage nicht eingerechnet. Außerdem ist zu be- rücksichtigen, daß große Anlagen zur Stapelung des Rohmaterials (Tran) erforderlich sind, und daß große Kapitalien im Rohmaterial festgelegt wer- den müssen. Günstiger würde sich vielleicht die Hydrierung beim Seifenfabrikanten selbst stellen; jedoch wer- den wohl nur große Fettkonsumenten daran denken können, selbst zu hydrieren, wenn im Jahre 1917 der Patentschutz des N o r m a n n ' sehen Verfahrens abgelaufen sein wird. Bemerkenswert an der Geschichte der F'ett- härtung ist, daß die einzelnen Verfahren zum großen Teil von Deutschland ausgegangen aber N. F. XIV. Nr. i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 251 in England durchgebildet worden sind, um dann hältnisse im Jahre 1903 und 1904 richtiger er- erst von dort wieder nach Deutschland zurück- kannt, so wäre dem deutschen Wirtschaftsmarkt zukehren. Hätte man in Deutschland die Ver- viel Kapital erhalten geblieben. Einzelberichte. Paläontologie. Unter dem Titel „Zur An- wendung der Röntgenstrahlen in der Paläontologie" veröffentlicht Ernst Fischer interessante Unter- suchungen in den Mitteilungen der Naturforschen- den Gesellschaft zu Halle a. S. Band 4, Nr. 2, 1914. Die ersten praktischen Versuche mit Röntgen- strahlen für die Zwecke der Paläontologie bei durch Gestein oder übereinanderliegende Knochen verdeckten wertvollen paläontologischen Objekten verdanken wir Branca (Abh. d. K. Pr. Akad. d. Wiss. Berlin 1906). Seine Untersuchungen, die an verschiedenen fossilführenden Sedimentgesteinen und vulkanischen Tuffen ausgeführt wurden, er- gaben naturgemäß sehr verschiedene Resultate, zumal viele Gesteine eine relativ starke Durch- dringbarkeit zeigten. Außerdem wurden verschie- dene fossile Erhaltungszustände untersucht und es zeigte sich dabei, daß die Natur der Fossili- sationsmittel von besonderer Bedeutung war. In einer Anzahl von F"ällen konnten sogar innere Organisationsverhältnisse festgestellt werden. Die Dicke der durchleuchteten Stücke betrug bei Kalksteinen 4 — 16 mm, bei losem bindemittel- freiem Sand 5 — 35 mm, bei Ton 8 — 40 mm, bei bituminösem Schiefer (sehr gut zu durchleuchten) ' bis 40 mm, bei lockerem vulkanischem Tuff bis 30 mm. Die den Untersuchungen beigegebenen Abbildungen der Röntgenaufnahmen lassen indessen im großen und ganzen nicht besonders deutliche Bilder erkennen und so erklärt es sich, daß weitere Versuche bei dem kostspieligen und auch umständ- lichen Verfahren bisher unterlassen blieben. Überraschend ist es nun, daß es Dr. Ernst FTscher am Geologischen Institut in Halle a. S. gelungen ist, dickere Sandsteinplatten mit gutem Erfolge zu durchleuchten. Veranlassung dazu gab ein äußerst wertvolles Stück (Unikum) einer Sau- rierplatte aus dem mittleren Buntsandstein von Bernburg, von dessen Bearbeitung man sich viel versprechen durfte. An den Bruchrändern der Platte sind mehrfach Knochenreste sichtbar, so daß man annehmen konnte, daß in der Platte noch mancherlei Knochen von dem ziemlich zer- fallenen Tiere zu vermuten seien. Das sonst an- gewandte Verfahren der Abpräparation empfahl sich diesmal nicht, da zusammen mit den Skelett- resten auf derselben Platte noch Fährten vor- kommen, was bisher überhaupt nirgends beob- achtet wurde. So erschien zur vollständigen Kenntnis sämtlicher Knochenreste eine Durch- leuchtung der 6 — 10 cm dicken Platte der einzige Weg. Die ersten Versuche wurden an einem 1 "/., cm starken Sandsteinplättchen desselben Gesteins mit einem Trematosaurusschädel von Bernburg ange- stellt. Nach etwa i'/.. Minuten Belichtung kamen der Umriß, die Durchbrüche des Oberschädels wie der Gaumenseite, die Alveolen der Zähne, dann der Aufbau der einzelnen Knochen deutlich zum Vorschein. Weitere Versuche wurden an dem bis 5 cm starken Capitosaurusschädel von demselben Fund- ort angestellt, den erst kürzlich H. Schröder beschrieben und abgebildet hat. Bei 5 Minuten Belichtungszeit mit einer sehr guten frischen Gundelachröhre und einem Abstand von 50 cm von der Antikathode ergaben sich wiederum sehr befriedigende Resultate. Die Aufnahmen waren außerordentlich schön und klar. Der von oben her durchleuchtete Schädel zeigte den Umriß der sämtlichen Durchbrüche und namentlich die Be- zahnung gut. An mehreren Stellen traten sehr deutlich eine Art dunkler Punktierung (Granu- lierung) auf, die nach der regelmäßigen Verteilung zu schließen, einen deutlichen Zusammenhang mit dem Schädel selbst erkennen läßt. Diese bisher noch nicht gemachte Beobachtung, deren Deu- tung auch nicht ganz einfach ist, dürfte wohl am ehesten als stärker verknöcherte Partien der zahntragenden Teile, event. auch zahn- artige Bildungen als die Ursache angesprochen werden. Weiterhin ergab sich eine Verstärkung des Baues des Schädeldaches beiderseits in einer geschwungenen Linie, die von dem vorderen Teile der Parietalia beginnend, sich im Bogen vor den Augendurchbrüchen vorbei, über die Lacrimalia bewegt und sich in der Nähe der Nasalia wieder etwas nähert, zugleich abschwächt und verschwindet. Dieser Zug entspricht ziemlieh genau dem Verlaufe der sog. Lyra. Es sind das charakteristische Kanäle des Schädeldaches der Labyrinthodonten, die vielleicht ein Sinnesorgan bergen. An einzelnen Knochen, so namentlich der Schädeldecke, konnten auch deutliche Struk- turbeobachtungen angestellt werden. Die eigentlich zu untersuchende 6 — 7 cm dicke Platte wurde nun mit einer Müller' sehen Röhre mit Wasserkühlung bei 4V2 Minuten Expositions- dauer und etwa 45 cm Abstand von der Anti- kathode zu durchleuchten versucht, jedoch ohne genügenden Erfolg. Eine spätere Beleuchtung derselben Stelle mit einer Gundelachröhre bei 6 Minuten Belichtungsdauer ergab ein befriedigendes Resultat. Ein anderer Teil der Platte mit einer Dicke von fast lo cm wurde dann mit derselben Röhre 6 Minuten lang bestrahlt. Das Bild war gerade ausreichend, jedoch für feinere Beobach- 252 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 16 tungen nicht mehr genügend. Mehrere ober- fiächhch nicht sichtbare Knochen konnten durch die Versuche in 2 — 4 mm unter der Oberfläche aufgedeckt werden. Die Resultate der Röntgenversuche lassen sich somit dahin beantworten, daß sich der ziemlich reine Ouarzsandstein des mittleren Buntsandsteins von Bernburg bis zu einer Dicke von fast 10 cm durchleuchten läßt. Als praktische Regel für die Belichtungszeit kann etwa i Minute für den Zenti- meter Dicke angenommen werden. Bei größerer Dicke müßte, um eine Schädigung der Röhre zu vermeiden, die Belichtung in mehreren Raten vor sich gehen. Das Sichtbarwerden der Knochen beruht wesentlich auf ihrem Gehalt an Eisen, das ursprünglich wohl in der Form des Vivianit oder Schwefelkies vorhanden war und jetzt völlig in Brauneisen übergegangen ist. Schwache Knochen können bei Uberbelichtung wieder verschwinden. Die Versuche zeigen, daß sich die Röntgen- strahlen bei gutem Erfolge 1. zum Sichtbarmachen oberflächlich verdeckter Knochen 2. zur Feststellung der relativen Stärke der Ver- knöcherungen 3. zur Beobachtung der Knochenstrukturen anwenden ließen. Diese ganz unerwartet günstigen Resultate hoffte der Verfasser später fortsetzen zu können. Leider ist der hoffnungsvolle junge Gelehrte in den Vogesenkämpfen bei Freconrupt am 21. August 1914 den Heldentod für Vaterland gestorben. V. Hohenstein. Geographie. S. Passarge, der schon in seiner ,, Physiologischen Morphologie" für eine fest durchgebildete Terminologie eingetreten ist, stellt jetzt in „Petermann's IVIiiteilungen" (1914, H. 9) Grundsätze bei der Beschreibung und Namen- bildung von Oberflächenformen auf. Er wendet sich gegen die erklärenden Namen Davis', da- mit vor allem bei der Beschreibung unbekannter Gebiete jeder F"orschungsreisende in der Lage ist, ohne Kenntnis des Aufbaues zutreffende Bezeich- nungen anzuwenden. Die rein äußerlichen Formen sind am leichtesten festzustellen; so ist die Form- beschreibung oder Orograph ie das erste. Man teilt z. B. die Berge ein in Kegel-, Kuppen-, Tafel- und Kammberge; für auffallende Besonderheiten sind natürlich besondere Bezeichnungen am Platze. Die Strukturbeschreibung, die F'eststellung des geologischen Baues, ist das zweite. Orographie und Strukturbeschreibung bilden gemeinsam die Morph ographie, unter der man Beschreibung der äußeren Gestalt und des Aufbaues versteht. Sie braucht daher unbedingt Worte, die Form und Bau erkennen lassen. Solche gibt es bereits in großer Zahl (Bruchstufe, Schichtstufe, Keil- scholle; dann auch Rumpfebene, gefaltetes Ketten- gebirge usw.l Eine wirksame Erklärung kann aber nur durch die Kräfte geschehen, die die Formen schufen. die endogenen und exogenen Kräfte, die Kräfte der Erdrinde und die der Gestirne (vor allem Sonne und Mond), die die atmosphärischen Erscheinungen bewirken. Demnach zerfällt die Morphologie, die Lehre von den Oberflächen- formen, in die geologische Morphologie, die Strukturerklärung und in die p h y s i o 1 o g i s c h e Morphologie. Die exogenen Kräfte sind gut bekannt, während die endogenen im wesentlichen unbekannt sind und man nur bezüglich ihrer Äuße- rungen — Gebirgsbildung und Vulkanismus — genauer unterrichtet ist. So macht man auf in- duktivem Wege Schlüsse aus dem geologischen Bau auf die Bewegungsvorgänge, und die den Aufbau beschreibenden Namen enthalten somit eine gewisse relative Erklärung der Bewegungs- vorgänge; ihrem Wesen nach sind sie aber nur als beschreibend anzusehen. Es sind nicht ein- mal morphologische Namen, da sie ja über die Oberflächenformen nichts aussagen. Bei den exogenen Kräften hat man zuerst die Bewegungsart festzustellen, ob es sich um Auf- schüttung oder Ausräumung handelt. Man kann dann selljst eine Erklärung durch die klimatischen Kräfte versuchen. Neben relativ erklärenden Namen gibt es ab- solut erklärende Namen, in denen die Entstehung durch gewisse Kräfte angezeigt wird. Da der Gebrauch kurzer absolut-morphologischer Namen sehr oft ein falsches Bild von der Entstehung der Formen gibt, so sollte man grundsätzlich mor- phographisch e oder relativ morpholo- gische Namen vorziehen. Dr G. Hornig. Dünen und Wald. An den europäischen Küsten beobachtet man häufig, wie Dünen ganze Wälder ersticken können. Ein Beispiel dafür, wie nun umgekehrt der Wald den Kampf gegen den Flugsand erfolgreich aufnimmt, wird von dem P^orschungsreisenden T h. Herzog (Zürich) berichtet (Petermann's Mitteilungen, 1914, H. 10, S. 173). Bei Santa Cruz in Ostbolivien begleitet ein Band von Dünen in etwa 20 km Entfernung den P^uß der Kordilliere, aus der auch das Material der Düne stammt. Der von den Flüssen verfrachtete Sand, dem Sandstein der Randkordilliere entstammend, wird in der Trocken- periode auf die Pampas hinausgetragen. Pline Stunde weit von Santa Cruz entfernt am West- ufer des Rio Pirai befindet sich in dem Galerie- wald des Flusses eine niedrige Hügelschwelle, die auf der anderen Seite in die Pampa als blendend weiße unbewaldete Düne abfällt. Palmen sind bis unter den Ansatz der Blattwedel in der S bis 10 m hohen Düne vergraben; dahinter liegt die dichte von Schlinggewächsen verflochtene Ilecke des Waldes. Auch Gräser haben schon auf der Düne Wurzel gefaßt. Damit ist das Schicksal der Düne entschieden; sie ist zum Stillstand ge- bracht. Auch schon befestigte Dünen sind in den Savannenwäldern südlich von Santa Cruz häufig beobachtet worden als schanzen- oder N. F. XIV. Nr. i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 253 wallartige Erhebungen von 5 — 10 m Hohe. Da der Wald in diesen Gebieten in natürlichem Zu- nehmen ist und die tropische Vegetation den Kampf gegen den Flugsand kräftig aufnimmt, so lassen sich diese Verhältnisse unschwer erklären. Dr. G. Hornig. Zoologie. Der Einfluß der Nahrung auf das Geschlechtsverhältnis von Hydatina senta. Vor einigen Jahren fand Whitney, daß, wenn man Hydatina senta mit einer Reinkultur eines farb- losen Flagellaten, mit Polytoma, füttert, fast aus- schließlich oder gar ausschließlich partheno- genetisch wieder Weibchen erzeugende Weibchen entstehen. So konnte er z. B. eine Linie 25 Gene- rationen lang züchten, ohne daß männchen- erzeugende Weibchen in nennenswerter Zahl — es waren nur einige wenige — auftraten. Whitney hat nunmehr auch eine Nahrung ge- funden, die in entgegengesetzter Weise auf den Fortpflanzungszyklus des genannten Rädertiers einwirkt. ') Zwar ist es nicht möglich, die weib- chenerzeugenden Individuen durch männchenerzeugende ganz zu verdrängen — für die Art wäre es ja auch höchst unzweckmäßig, wenn eine solche Möglichkeit be- stände ^, aber der Prozent- satz der Männchenerzeuger ist in manchen Experimenten immerhin recht hoch, im Durchschnitt betrug er in den zahlreichen Experimen- ten, die Whitney aus- führte, 57%,. In einem Experiment konnten nahezu 88 "/„ Männchenerzeuger festgestellt werden, der höchste beobachtete Pro- zentsatz. Zur Fütterung verwandte Whitney in diesen Experimenten eine Reinkultur eines grünen Flagellaten, Dunaliclla. Dieses ist nur im Sonnenlichte in beweglichem Zustande, nachts be- findet es sich im Ruhestadium, in diesem aber wird es von Hydatina nicht gefressen. Soll die Fütterung mit Dunahella den besprochenen Effekt auf den Fortpflanzungszyklus des Rädertiers aus- üben, so muß die bewegliche P^orm des P'lagel- laten in großer Menge vorhanden sein. Nach- stehende Tabelle zeigt, in welcher Weise die Polytoma-Nahrung einerseits, die Dunaliella-Nah- rung andererseits wirkt. Betrachten wir kurz das erste der in der Tabelle angegebenen fünf Experimente. Zu dem Experi- ment wurden vier geschlechtsreife junge Weibchen verwandt, die mit Polytoma aufgezogen worden waren. Zunächst blieben sie in einer solchen Nährflüssigkeit und erzeugten 16 Nachkommen. Alle diese Nachkommen waren wieder Weibchen- ') The inlluence of food iu Controlling sex in Hydatina senta. Journ. of experim. Zool., Vol. 17, 1914. crzeuger ($$). Nunmehr wurden die vier Weib- chen mit Dunaliella gefüttert und erzeugten weitere 70 Nachkommen. Von diesen aber waren 45 Männchenerzeuger (c?$), also über 64" „. Als hierauf die Weibchen wieder mit Polytoma ge- füttert wurden, sank der Prozentsatz der Männchen- erzeuger sofort wieder: Unter 70 weiteren Nach- kommen waren nur noch 4 Männchenerzeuger (etwas über 5 "/o)- In anderen Experimenten ver- schwanden, wie aus der Tabelle ersichtlich ist, die Männchenerzeuger bei der zweiten Fütterung mit Polytoma wieder vollständig. Die Zusammensetzung der Nahrung hat also einen wesentlichen Einfluß auf das Geschlecht der Nachkommen eines Hydatina- Weibchens, und zwar beeinflußt sie das (leschlecht der Enkel- generation. Es legt diese Feststellung einen Ver- gleich mit ähnlichen Experimenten nahe, die mit Cladoceren angestellt wurden. ') Wenn auch im einzelnen manche Verschiedenheiten in der Fort- pflanzung der beiden Gruppen bestehen — bei den Cladoceren sind z. B. die Dauereier eine be- Junge geschlechtsreife 99, die mit Polytoma aufgezogen Dieselben geschlechtsreifen Dieselben geschlechtsreifen wurc en , werden in eine 99, übertragen in eine 99, wieder übertragen in fiische Polytoma - Nährtlüssig- Dunaliella - Nährflüssigkeit eine Polytoma-Nährflüssigkeit keit gebracht Junge Nachkommenschaft 99 Nachkommenschaft 99 Nachkommenschaft Mütter Mütter 99 0^9 %«^9 Mütter 99 0^9 7oo-^9 99 , o'-'9 ''/oo-^9 4 16 0 0 4 25 45 ' 64+ 4 66 1 4 5+ 5 26 0 0 5 4« 25 37+ 5 32 00 5 16 0 0 5 10 1 26 72-j- 5 24 0 0 1 2 1 0 0 I 9 7 43+ I 16 0 0 5 30 0 0 5 •5 1 55 i 78+ 5 «4 2 12+ sondere Sorte von Eiern, bei den Rotatorien gehen sie aus befruchteten ,, Männcheneiern" hervor — , so ist doch bemerkenswert, daß bei Hydatina senta sowohl wie bei Daphnia magna beim Über- gang von der parthenogenetischen F'ortpflanzung zur zweigeschlechtlichen die chemische Zusammen- setzung der Nahrung eine wichtige Rolle spielt. Bei manchen anderen Gruppen, die ebenfalls eine Heterogonie besitzen (z. B. die Aphiden), hat sich herausgestellt, daß die Nahrung — wie überhaupt äußere Bedingungen — gar keinen Einfluß auf den Ablauf des Generationszyklus hat. Doch auch bei Rotatorien und Cladoceren haben die äußeren Bedingungen nicht allgemein die Bedeutung für den Generationszyklus wie bei Hydatina senta und Daphnia magna. Daß gerade diese beiden Formen so leicht auf ihre Umgebung reagieren , hängt wohl mit ihrer besonderen ') Siehe das Referat einer Arbeit v. Scharfenberg's über die experimentelle Eecinllussung der Dauercibildung und des Geschlechts bei Cladoceren. Diese Zeitschrift 13. Band, 1914, S. 395. 254 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 16 Lebensweise zusammen. Beide bevorzugen kleine Teiche und Tümpel, die leicht austrocknen können. In dem austrocknenden Tümpel entstehen für Hydatina undDaphnia neue „äußere Bedingungen", Männchen bzw. üauereier werden erzeugt, und in der Form von Dauereiern vermögen beide Formen die Zeiten der Trockenheit zu überstehen. Fehlte ihnen die Reaktionsfähigkeit auf die äußeren Be- dingungen, so müßten alle Tiere zugrunde gehen. Nachtsheim. Bauchständige Tasthaare. Man wird gewiß glauben, daß die Zeiten, in denen man mit bloßem Auge bei tausendfältig untersuchten Säugetieren Entdeckungen machen kann, längst vorüber sind. Und doch ist dies nicht der Fall. Es sei nur auf die Untersuchungen von d e M e y e re über die eigen- artige Gruppenstellung der Haare hingewiesen, die aus dem Jahre 1894 stammen. Erst 1873 wurde durch D i e 1 1 festgestellt, daß Tasthaare (Sinus-, Spür- oder Schnurrhaare, Vibrissae) außer am Kopfe bei manchen Säugern (Eichhörnchen, Wiesel) auch am Vorderarm stehen, und ig02 gibt Beddard eine Übersicht über das Vor- kommen der Carpalvibrissen bei Säugern , aus der hervorgeht, daß diese mit bloßem Auge er- kennbaren Bildungen im allgemeinen solchen Säugern zukommen, die ihre Vorderbeine außer zur Fortbewegung auch zum Greifen benützen, während sie den Ungulaten, deren Beine nur loko- motorische Dienste leisten, durchweg fehlen. Ein- zelne, baumbewohnende Arten weisen sie auch an den Hinterbeinen auf 1911 berichtet FI. Breß - lau, daß bei unserem gewöhnlichen Eichhörnchen (Sciurus vulgaris L.) Tasthaare, die das Haar- kleid um 2 — 3 cm an Länge überragen, auch aul der Bauchfläche regelmäßig zu finden sind, gleich- viel ob man junge oder ausgewachsene Exem- plare, Männchen oder Weibchen untersucht. Frei- lich handelt es sich nur um 2 Paare, die nach innen von den beiden vorderen Brustwarzenpaaren stehen, zu denen gelegentlich noch ein oder zwei weitere Bauchvibrissen kommen. Der interessante Fund wurde die Veranlassung, die Sciuriden über- haupt auf das Vorkommen von bauchsländigen Tasthaaren zu prüfen; es stellte sich heraus, daß sie den Mughörnchen (Pteromyinen) fehlen, höchst- wahrscheinhch auch den noch wenig bekannten Zwerghörnchen (Nannosciurinen), die wegen ihrer Seltenheit in Sammlungen nicht untersucht wer- den konnten, daß sie aber unter den Sciurinen Arten mit kletternder Lebensweise (arboricole Arten) zukommen, also den grabenden oder doch wenigstens an das Leben auf der Erde gebundenen Formen (Automyinen, Erdhörnchen [Xerus] und Backenhörnchen [Tamias usw.]) fehlen. Im einzel- nen ergeben sich manche Verschiedenheiten in bezug auf Zahl und Anordnung der ventralen Tasthaare; schon unter Sciurus- Arten finden sich solche mit 8 — lO ventralen Sinushaaren, das Maximum von 16 findet sich bei Ratufa macrura, wo sie in 2 Längsreihen zu je 8 von den vor- deren Brustwarzen bis zur Nabelgegend ange- ordnet sind. Die Funktion der ventralen Vibrissen ist sicherlich dieselbe wie die der an anderen Körperstellen stehenden; es sind Tastorgane, durch welche die Tiere ständig mit der oft schwanken Unterlage, auf der sie sich bewegen, in Berührung bleiben. Absolut notwendig sind sie freilich hierfür nicht, denn sie fehlen nicht nur den ebenfalls gut kletternden Flughörnchen, son- dern auch einigen Gattungen bzw. verschiedenen Arten einer weiteren Gattung der Sciurinen. Von besonderem Interesse ist ferner die Erkennt- nis, daß die ventralen Sinushaare sich ihrer Ent- wicklung nach vom Milciidrüsenap parat ab- leiten. Unser gewöhnliches Eichhörnchen besitzt jederseits 4 Zitzen, eine pektorale, zwei abdomi- nale und eine inguinale, deren Anlagen aus je einer Milchlinie hervorgehen; während aber die beiden hinteren Anlagenpaare (hinteres abdomi- nales und inguinales) in der gewöhnlichen Weise sich weiter entwickeln, teilen sich die beiden vorderen noch im Embryonalzustande der Quere nach in 2 Stücke; das seitliche wird zur Zitze, das mediane läßt ein Sinushaar entstehen. Diese genetische Beziehung zwischen Haaren und Milch- organen ist gewiß auffallend, verliert aber das Be- fremdende, wenn man berücksichtigt, daß nach Breßlau die Milchdrüsen bei Monotremen und Beuteltieren als sekundäre Sprossen an den sog. Mammarhaaren entstehen, welch letztere sich bei den Monotremen erhalten, bei den Beuteltieren wieder schwinden. Bei den placentalen Säugern kommt es nicht mehr zur Entwicklung von Haaren, wohl aber bei einigen Formen zur Anlage von Haarbälgen, die bald wieder schwinden. Demnach steckt in der Zitzenanlage die Fälligkeit zur Ausbildung von Mammarhaaren, die tatsächlich beim Eich- hörnchen in den vorderen Anlagen erfolgt; diese Fähigkeit erklärt auch das gelegentliche Auftreten von überzähligen ventralen Tasthaaren, die wie überzählige Brustwarzen aus erhalten bleibenden Stücken der Milchlinie entstehen. M. Brn. Bücherbesprechungen. Foerster, W., Kalenderwesen und Ka- lenderreform. 49 S. Braunschweig 1914, Vieweg & Sohn. — Preis brosch. 1,60 M. Der Wunsch nach einer Kalenderreform kommt in den weitesten Kreisen in Gestalt des Wunsches nach einer P'estlegung des Osterfestes zum Aus- druck, ohne daß dabei der zahllosen inneren Zusammenhänge der einzelnen Einrichtungen unseres Kalenders gedacht wird. Das vorliegende Heft 13 der „Sammlung Vieweg von Tagesfragen aus den Gebieten der Naturwissenschaften und der Technik" bemüht sich nun, zu zeigen, wie sich die Berücksichtigung der Umläufe von Sonne und Mond und deren immer genauer werdende N. F. XIV. Nr. 10 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 255 Kenntnis von jeher in den verschiedenen Kalendern gezeigt hat. Sonnen- und Mondkalender, dazu die Festlegung des Frühlingspunktes, kamen nicht nur in landwirtsciiaftlicher, sondern auch in sozialer Hinsicht in Betracht, so daß es kein Wunder ist, wenn der Einfluß der Gestirne schließlich auch im Leben der Menschen und Völker gesucht wurde, und die Astrologie ein wissenschaftliches Lehrgebäude wurde. Die zunehmende Genauig- keit in den Himmelsbeobachtungen verlangte dann bisweilen Reformen des Kalenders, unter Cäsar und Gregor XIII., bis in unseren Tagen eine für Jahrtausende genügende Schaltmethode ange- wendet wird, die nur noch Wünsche für das Osterfest, die Jahreseinteilung und einen Welt- kalender übrigläßt. Riem. Feerhow, Friedrich, Eine neue Naturkraft oder eine Kette von Täuschungen? (Reichenbach's Od und seine Nachentdeckungen.) Historisch-kritische Studie über die Strahlung des Menschen usw. Mit 16 Abbildungen. Richardswalde, Dr. E., Was muß der Arzt vom Okkultismus wissen? (Bibliothek für psychische Forschung Bd. II.j Beide Bücher im Verlage von Max Altmann. Leipzig 19 14. — Preis des zweiten i Mk. Der Verfasser des erstgenannten Buches hat sich die Aufgabe gestellt, durch eine Anein- anderreihung von Auszügen aus den Arbeiten neuerer Forscher (meist Franzosen) über wenig bekannte Strahlungserscheinungen nachzuweisen, daß es sich hierbei wesentlich um Wiederentdeck- ungen (zum Teil natürlich auch nur angrenzender und erweiternder Art) jener Phänomene handelt, die um Mitte des vorigen Jahrhunderts zuerst aus- führlicher von dem Freiherrn von Reichen- bach studiert wurden, der als ihren Träger das von ihm so genannte Od in die wissenschaftliche Welt einzuführen suchte. Man weiß, daß dieser Versuch an dem einhelligen Widerstände der Fachwelt scheiterte, und erst ganz neuerdings, teils unter dem Einfluß der Röntgen- und be- sonders der Radiumstrahlungen, teils durch das fraglos derzeit sich vollziehende Vorrücken des Okkultismus, erneut in den Gesichtskreis getreten ist. Tatsächlich ist es schwer, bei einer Durch- sicht des kleinen Buches sich der Vorstellung zu entschlagen, daß diese, von den verschiedensten, voneinander unabhängigen Forschern in ähnlicher Form neuentdeckten, z. T. photographisch nach- gewiesenen Strahlungen auch wirklich existieren, und daß man, statt sie fortgesetzt zu leugnen, vielleicht weiter kommen würde, wenn man sich entschlösse, sie lieber zu untersuchen. Daß von Magneten, Kristallen, vor allem aber von Orga- nismen und organischen Körpern, ja vielleicht von allen Dingen in der Welt Strahlen ausgesandt werden könnten, die wirksam, obschon im allge- meinen nicht sichtbar sind — dieser Gedanke als solcher hat ja in unseren Tagen durchaus nichts Überraschendes oder Unwissenschaftliches mehr. Ja, er würde den Umkreis der „legitimen" Wissen- schaft überhaupt nicht überschreiten und mit dem ( )kkultismus gar nichts zu tun haben, wenn nicht der Faktor der Sensitivität wäre. Die fraglichen Strahlungen sollen eben nicht von einem jeden, sondern nur von gewissen Personen wahrzunehmen sein. Nun scheint es aber noch gar nicht ausge- macht, daß die in solchem Sinne Sensitiven zu- gleich „Medien" im Sinne des Okkultismus sein müssen (obschon es auch nicht gerade unwahr- scheinlich ist). Es könnte sich ja zunächst nur um eine einfache Verschiebung der optischen Empfindungsschwelle bei gewissen Personen han- deln, die anzunehmen wiederum keine beson- deren Bedenken zu machen brauchte. Übrigens soll hiermit keineswegs der Gesamtheit der be- richteten Erscheinungen das Wort geredet sein; manches mag auf unfreiwilliger Täuschung, man- ches auch auf Betrug beruhen. Nur hat wenigstens Referent entschieden den Eindruck gewonnen, daß es sehr an der Zeit wäre, auch bei uns in Deutschland dem Phänomen der organischen usw. Strahlungen wirklich näher zu treten, wobei wir als Deutsche sowohl, wie als Nachkommen der Generation, die Reichenbach's Bestrebungen unterdrückt hat, Grund hätten, zunächst auf seine verspotteten Beobachtungen zurückzugreifen und sie sorgfältig nachzuprüfen. (Seine Werke sind größtenteils neu im Altmann'schen Verlage er- schienen.) Gewiß gibt es in der Wissenschaft keine Nationalitätenfrage; es ist jedoch nicht ein- zusehen, weshalb ein Gebiet, an dessen Spitze ein deutscher Name steht, fast ausschließlich der französischen Forschung überlassen bleiben soll. Inzwischen sei das kleine Buch von Feerhow, der übrigens selbst auf diesem Gebiete arbeitet, zu der vorläufigen Orientierung, die es bezweckt und gewährt, empfohlen. Was das zweitgenannte Werklein betrifft, so kann sich Referent zu keiner Empfehlung ent- schließen. Sicher ist es sehr gut gemeint, wie an vielen Stellen ersichtlich , aber durchaus unüber- zeugend für jemand, der nicht schon Anhänger des Okkultismus ist, dazu oft unklar und ver- worren. Auch scheint es eilig verfaßt, wie schon aus gewissen sinnentstellenden Druck- (oder Schreib- ?)fehlern hervorgeht, die nicht hätten stehenbleiben dürfen. Da lesen wir z. B. von plazentarischen Beeinflussungen, wo es planetari- sche heißen soll, von achatischen Magnetnadeln (für astatischen), von offiziellen Mitteln (für offi- zineilen) und mehr derart. Aber schlimmer sind gewisse hingeschriebene Sätze, wie daß Gedanken spiritueller Stoff (!) sind; daß in der reinen Ma- thematik das Wort „unmöglich" ein rückschritt- liches Denken kennzeichnet ; daß die Lichttherapie die fünf „Tattwas" benutzt, und daß diese „Schwin- gungen höherer Ätherarten" (?) sind; daß Samen- und Eizellen von den Auren der Eltern um- geben sind, und daß dies eine wichtige Tatsache (I) sei, die leider noch nicht experimentell bewiesen werden konnte (!), und Vieles derart. Ich glaube. 2s6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 16 daß ein Arzt, der das Büchlein durchliest, hier- nach geneigt sein wird, nie im Leben wieder von dem Okkultismus Notiz zu nehmen. Und das ist recht bedauerlich. Denn der Okkultismus hat es mit Tatsachen zu tun, und es wird nachgerade höchste Zeit , daß jeder Ge- bildete, und gewiß auch jeder Arzt, hiervon über- zeugt werde. Aber dazu bedarf es der besonnen- sten und ruhigsten Darlegung und nicht wilder und unklarer Behauptungen, bei denen, selbst wenn Wahrheit darin enthalten sein mag, niemand Anregungen und Antworten. Zu den beistehenden Photogrammen der letzten Sonnen- finsternis vom 21. August 1914 teilt der Beobachter, Photo- graph Stephani aus Zittau, folgendes mit. Sie sind in Hernösund in Schweden mit einem Teleobjektiv aufgenommen, auf Agfa Isolardiaposiiivplatten, mit der Blende F 32 und Be- lichtungszeit '/„Q Sek. , außer Aufnahme 7 , die die Totalität wiedergibt, und bei der Öffnung F 8 und 3 Sek. Belichtung erhalten ist, auf einer Chromo-Isolarplatte. Die Aufnahmen geben das Fortschriten der Finsternis sehr gut wieder, und sind aufgenommen zu den Zeiten nach Mitteleuropaischer Zeit : l) 12I1 8 Min. 33 Sek. 2) 12. 10. 38. 3) !2. 12. 36. 4) :. Fig. 1—3. 4 6- Fig. 7. Fig. 8—10. weiß, wo diese am Wort ist, oder wo unbeweis- bare Phantasie ihr Wesen treibt. Ich persönlich weiß nichts von Astrologie, aber das weiß ich, daß man mit dogmatisch vorgetragenen astro- logischen Lehrsätzen (S. 9, S. 13) heute keinem Gebildeten, und vor allem keinem Arzt, impo- nieren wird. Gewiß tut Aufklärung über den Okkultismus not, aber sie muß von Köpfen aus- gehen, die selber klar sind. Wasielewski. 6. 7. 5) I. 6. 50. 6) 1. 7. 51. 7) Totalität lli I4ii-.. 8) i. 17- 43- 9) I- '8. 39. 10) I. 20. 40. Die Originalabzüge haben 17 mm Durchmesser und zeigen bei bemerkenswerter Schärfe bei Fig. I — 3 einen kleinen Sonnenfleck, der also schon so groß gewesen ist, daß er mit geringen optischen Hilfsmitteln sichtbar war. Diese Aufnah- men zeigen , daß man mit einigem Geschick und genügender Übung auch mit einfachen Mitteln ganz brauchbare Aufnah- men erzielen kann, obwohl die Sonne ihrer Helligkeit wegen das schwierigste Objekt der ganzen Astrophotographie ist. Riem. Inhaltt Ziegler: Über das Rechenvermögen der lilberfclder Pferde. Nippoldt: Ist die milde Witterung dieses Winters eine Wirkung des Kriegs? Bürger: Die Härtung der Fette. — Einzelberichte: Fischer: Zur .\nwendung der Röntgenstrahlen in der Paläontologie. Passarge: Grundsätze bei der Beschreibung und Namenbildung von Ober- flächenformen. Herzog: Dünen und Wald. Whitney: Der Einfluß der N.ihrung auf das Geschlechlsverhältnis von Hydatina senta. Breßlau: Bauchständige Tasthaare. — Bücherbesprechungen: Foerster; Kalenderwesen und Kalenderreform. Feerhow: Eine neue Naturkraft oder eine Kette von Täuschungen? Rieh ar ds w al de: Was muß der Arzt vom Okkultismus wissen? — Anregungen und Antworten (mit 10 -Abbildungen!. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstrafle IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 14. Band; ;r ganzen Reihe 30. Hand. Sonntag, den 25. April 1915. Nummer 17. Zur Frage der Geschlechtsbestimmung bei der Honigbiene. Sammelrcfcrat [Nachdruck verboten. 1 von Univ.-Prof. Dr. phil. et med. L. Kathariner, Freiburg (Schweiz). Mit I Abbildung. Die männlichen Bienen, Drohnen, entwickeln sich nach der Lehre von Dzierzon ausschliei3- lich aus unbefruchteten Eiern. Nach F. Dickel dagegen sind auch die Eier, aus welchen die Drohnen entstehen, befruchtet, ebenso gut wie jene, welche weibliche Tiere, Arbeiterinnen bzw. Königinnen ergeben. Die Entscheidung über das Geschlecht des Tieres treffen die Arbeitsbienen durch die „Einspeichelung" der Larve mit einem bestimmten Drüsensekret. Diese Auffassung hat trotz lebhafter Verteidigung seitens ihres Autors vor allem wegen des Widerspruchs, in dem sie zur Lehre von der Befruchtung überhaupt steht, keinen Anklang in wissenschaftlichen Kreisen gefunden. Der Sohn von F. Dickel (Zur Geschlechtsbe- stimmungsfrage bei den Hymenopteren, insbeson- dere bei der Honigbiene von Dr. Otto Dickel, Augsburg. Biol. Centralbl. XXXIV. Bd., 191 4) vertritt den Standpunkt, daß zwar nicht alle Drohnen aus befruchteten Eiern ent- ständen, wie sein Vater meint, daß aber unter gewissen Umständen Drohnen sich auch aus befruchteten Eiern entwickeln können. O. Dickel sagt : „Durch die LIntersuchungen der Neuzeit, nament- lich durch die Versuche von Bresslau (1908), die Untersuchungen über die Spermatogenese der Bienen von Meves (1904, 1907), Mark and Copeland (1906) und Doncaster (1906, 1907b), vor allem aber auch durch die zytologischen Be- funde Nachtsheim's (1912, 1913) am Bienenei selbst, ist für die Wissenschaft mit aller wünschens- werten Klarheit der Nachweis erbracht worden, daß die fehlerfreie, normale, begattete Königin in Drohnenzellen unbefruchtete Eier absetzt." Die Tatsache, daß Männchen aus unbefruch- teten Eiern entstehen können und in der Regel entstehen, ist abernochkein Beweis dafür, daß aus befruchteten Eiern keine hervorgehen können, wie es die Lehre Dzierzon's behauptet. Eintreten oder Ausbleiben der Befruchtung würde ja nach ihr das Geschlecht bestimmen. Schon Leuckart (1854) hatte daraufhinge- wiesen, daß zwar normalerweise die Drohnen aus unbefruchteten Eiern entständen, daß aber daraus keineswegs folge, daß nun eine jede Drohne aus einem unbefruchteten Ei hervorgegangen sein müsse. Von den neueren Forschern lassen Goldschmidt (1911), R. Hertwig (1912), Schleip (1913) und Armbruster (1913) wenigstens die Möglichkeit des Entstehens der Drohne aus einem befruchteten Ei zu. Zwar sei es ausgeschlossen, daß aus einem Ei mit haploidem Chromosomenbestand ein weibliches Tier mit diploiden Kernen entsteht, wohl aber könne nach Ausschaltung des einen Chromosomen- sortiments eines diploiden Eies die Entstehung des haploiden männlichen Geschlechtstiers, hier also der Drohne, möglich sein. In gewissen phy- siologischen Zuständen und in bestimmten Jahres- zeiten sei dies nun (nach O. Dickel) regelmäßig der Fall. Die Befruchtung ist für die Geschlechts- bestimmung zwar sehr wichtig, aber nicht aus- schlaggebend. Dzierzon's Theorie ist falsch. O. Dickel spricht sich sehr entschieden dafür aus, daß die Geschlechtsbestimmung bei der Biene epigam sei, d. h. erst nach der Befruchtung erfolge. Darauf hinzuweisen sei um so dringender notwendig, als man bestrebt sei, die Lehre Dzierzon's von der syngamen Geschlechtsbestimmung auch auf andere Hymenopteren, die Ameisen und die Soli- tären auszudehnen. Bezüglich der Entstehung der Drohnen liege ein Doppelproblem vor. I. Warum entstehen aus unbefruchteten Eiern stets Drohnen, und 2. unter welchen Bedingungen können solche aus den befruchteten Eiern liervor- gehen. Daß aus dem unbefruchteten Ei nur IVIännchen entstehen können, gilt ohne Ausnahme, da hier ja nur die halbe Chromosomenzahl vor- liegt. Aus den befruchteten Eiern aber entwickeln sich Weibchen, „weil das mit dem Sperma ein- dringende zweite Chromosomensortiment den weibchenbestimmenden Faktor enthält". Dzier- zon entschloß sich nur schwer zu seiner Lehre von der parthenogenetischen Entstehung der Drohnen, noch weniger war er, wie man in Laien- kreisen vielfach meint, Begründer der Lehre von der Parthenogenese. F. Dickel begann 1897 mit seinen Versuchen, die er in opferwilliger Weise weiterführte. Es sei indeß, meint sein Sohn, ein Fehlschluß, wenn er behaupte, alle von der begatteten Königin abgelegten Eier seien befruchtet, auch jene, aus welchen die Drohnen hervorgingen. Im Widerspruch mit allem, was wir sonst über geschlechtsbestimmende Lirsachen wissen, stehe seine Ansicht, die verschiedenen Drüsensekrete der Arbeitsbienen bestimmten das Geschlecht des sich aus dem Ei entwickelnden Individuums. Dafür, daß im Gegensatz zu Dzierzon's Lehre Drohnen auch ausbe- 258 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 17 fruchteten Eiern entstehen können, führt O. Dickel eine Reihe von Be- weisen auf. Nach sorgfältiger Entfernung aller Drohnen- zellen fand der Lehrer der Bienenzucht Meyer (Gadernheim) trotzdem mitten in der Arbeiterbrut vereinzelte Drohnenzellen, zur Zeit, wo die Bienen „drohnentriebig" sind. Es ist ja eine jedem Bienenzüchter bekannte Erscheinung, daß auf dem Höhepunkt des Bienenjahres, Ende April bis Ende Juni, die Bienen um jeden Preis — oft zum Leid- wesen des Imkers — Drohnenzucht treiben wollen und in jedem freien Eckchen des Stockes Drohnen- bau aufführen ; da ihnen dies im vorliegenden Fall unmöglich war, trieben sie Drohnenzucht in den Arbeiterzellen. C. Th eilmann (1885) fand, das königinnenlos gewordene Schwärme aus Arbeiterbrut, also befruchteten Eiern, alle drei Bienenwesen aufzogen. Besonders lehrreich ist ein Bericht von Petillot, dem Vorsitzenden des Bienenzüchtervereins Heiligenwald (Rheinland). Als man die goldgelbe amerikanische Bienenrasse einführen wollte, kam ein derartiges Volk in so schlechtem Zustande an, daß es vermutlich in demselben Jahre keine Drohnen mehr erzogen hätte. In einem drohnentriebigen einheimischen Volk entfernte nun Petillot die jungen Drohnen- larven und ersetzte sie durch junge Arbeiterlarven aus dem amerikanischen Stock. Es entwickelte sich nun ungefähr die Hälfte zu gelben Drohnen. Nach demselben Verfahren vermochte auch O. Dickel in einem schwarzen Volk gelbe Drohnen aus Arbeitereiern zu erziehen. Im Gegensatz zu den normal erzogenen Drohnen hatten die künst- lich gezüchteten, die also aus befruchteten Arbeiter- eiern entstanden waren, gleich den Arbeitern ein schwarzes Pünktchen an der Spitze des goldgelben Hinterleibes. Ein positives Resultat hatte auch eine Reihe von weiteren Versuchen, die mit der aus- gesprochenen Absicht angestellt wurden, die Mög- lichkeit der Entstehung einer Drohne aus einem befruchteten Ei zu prüfen; so 1907 auf der Wander- versammlung in Frankfurt (Main). Dort wurde folgender Versuch gemacht. Ein seit etwa 14 Tagen auf reinem Drohnenbau sitzendes Volk wurde am I. August in Gegenwart sachverständiger Zeugen untersucht und festgestellt, daß sämtliche Drohnen- zellen ausschließlich Arbeiterbrut in allen Stadien enthielten. Die Königin wurde entfernt, und der .Stock verschnürt und versiegelt. Am 9. August fand man außer fünf Weiselzellen gedeckelte und offene Drohnenbrut. In dem Vergleichsvölkchen dagegen, welches die Königin enthielt , war nur .^rbeiterbrut. Andere Versuche bewiesen gleich- falls, daß Drohnen aus befruchteten Eiern ent- stehen können. Die direkte Übertragung von Eiern aus Zellen einer, in die einer anderen Art bietet besondere Schwierigkeiten, namentlich, weil solche Eier leicht von den Bienen entfernt werden. Über einen gelungenen Versuch derart wird folgendes berichtet. Nachdem am 11. Juli die Königin ab- gefangen war, wurden am 13. Juli frisch gelegte Drohneneier vorsichtig mit einem Marderpinsel in künstlich hergestellte Weiselzellen gebracht, und etwas Königinfutterbrei aus einer ausge- brochenen Weiselzelle zugefügt. Am 17. Tag fand sich eine wohl entwickelte Königin. Ein anderer derartiger Versuch verlief ebenso. Die verwendeten Eier waren also zweifellos befruchtet. Es darf aber daraus nicht geschlossen werden, es seien alle Drohneneier befruchtet, vielmehr kommt es darauf an , in welcher Zeit sie gelegt werden. Im vorliegenden P"all war es bereits Juli, eine Zeit, in der die Königin auch die Drohneneier befruchtet ablegt, während sie in der Schwarmzeit dieselben unbefruchtet läßt. Beim Ablegen befruchteter Drohneneier handelt es sich nicht um seltene Ausnahmefälle. Auf Grund theoretischer Erwägungen kommt Lenhossek (1903) zu demselben Schluß, es sei verkehrt, wolle man behaupten, die Befruchtung wirke geschlechtsbestimmend. Vielmehr lege die Königin geschlechtlich präformierte Eier ab. D. ist fest davon überzeugt, daß die Beobachtungen, welche das Vorhandensein befruchteter Drohnen- eier voraussetzen, unzweifelhaft richtig sind. Auch die Bastardierungsversuche mit verschiedenen Rassen sprächen unbedingt für das \'orkommen der Entstehung von Drohnen aus befruchteten Eiern ; so bei Kreuzungen der schwarzen ein- heimischen mit der gelben italienischen Biene. Dabei sei zu berücksichtigen, daß bei einer Kreuz- befruchtung die Nachkommenschaft zunächst aus- schließlich väterliche Merkmale zeigt, in späteren Generationen väterliche und mütterliche Eigen- schaften gemischt, um schließhch in Nachkommen von rein mütterlichem Typus überzugehen. Wird z. B. eine italienische Königin von einer deutschen Drohne begattet, sind die Bienen erst schwarz, dann schwarz mit gelben Abzeichen und endlich rein italienisch. „Hier liegt nach meiner Ansicht", sagt von Buttel-Reepen (Leben und Wesen der Bienen, Braunschweig 191 5, S. 43), „nicht eigentlich eine Beeinflussung der Nachkommen- schaft vor, sondern anscheinend eine Beeinflussung der Spermien im Receptaculum seminis." Eine allseitig anerkannte Erklärung dieser Erscheinung liegt bisher nicht vor. Petillot stieß auch auf dieselbe bei der Kreuzung der deutschen schwar- zen und der gelben amerikanischen Biene. Er meint, daß der P^utterbrei des schwarzen Volkes, dem die amerikanische Brut okkuliert worden war, die Ursache für das Auftreten der schwarzen Farbe bei den ersten Bienen gewesen sei. Eine auffallende, gleichfalls noch nicht erklärte Erscheinung ist die, daß frisch begattete junge Königinnen zunächst mir Drohnen erzeugen ; sie bestiften dabei trotz vorhandener Drohnenzellen Arbeiterzellen. Man hat gemeint, der Geschlechts- apparat habe einen vorübergehenden Defekt er- litten, dessen Ausheilung die normale Eiablage wieder ermöglichte. Diese Eigentümlichkeit tritt besonders nach N. F. XIV. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 259 ungünstiger Witterung ein, welche die Königin am Hegattungsausflug hinderte. Huber (1S14), der bekannte Schilderer des Bienenlebens und Entdecker des „Begattungszeichens", des abge- rissenen in der Scheide der vom Begattungsflug zurückkehrenden Königin steckenden Penis, stellte fest, daß die Königin, wenn sie länger als 16 Tage am Ausflug verhindert worden war, trotz nachher stattgefundener Begattung Eier ablegte, die sich zu Drohnen entwickelten. Es liegt dies nach O. Dickel an der inzwischen eingetretenen Über- reife der Ovarialeier; damit aber sei die Tendenz verbunden, Eier zu legen, die sich zu männlichen Tieren entwickelten. Gynandromorphe und zwar Mittelformen zwischen Arbeitsbiene — nicht Königin — und Drohne, sog. Stacheldrohnen sind bei der Biene selten, v. S i e b o 1 d und Leuckart {1863) untersuchten die Mißbildungen aus dem Stocke von Eugster in Konstanz: männliche und weibliche Geschlechtsmerkmale waren bei ihnen gemischt vorhanden. Die Eierstöcke waren immer verkümmert, wie bei einer Arbeitsbiene, die männlichen Geschlechtsorgane dagegen wohl entwickelt, wie bei einer normalen Drohne. Der Zwitter entstand in Arbeiterzellen, die flach ge- deckelt waren, wie Arbeiterbrut, nicht hoch ge- wölbt wie Drohnenbrut. Zahlreiche Erklärungs- versuche (v. Siebold, Leuckart usw.), die nur mehr historisches Interesse haben, suchen den Grund für die Entstehung der Zwitter teils im Samen, teils im Ei. Die neueste Hypothese von Boveri (1902) sieht den Grund dafür in mehr- poligen Mitosen. Er meint, schon vor der Be- fruchtung seien aus irgendwelchen Gründen die ersten Furchungsteilungen vor sich gegangen, und der Spermakern sei dann mit einem Furchungskern verschmolzen, oder bei Polyspermie habe eine Verschmelzung mehrerer Furchungskerne mit je einem Samenkern stattgefunden. In dieser Weise könne man sich die Mischung männlicher und weiblicher Charaktere entstanden denken. D. er- scheint diese Auslegung, wenn auch nicht direkt widerlegbar, so doch sehr unwahrscheinlich. Im Gegensatz zu den Versuchsobjekten Boveri's, welche nur die ersten Entwicklungsstadien durch- machten, ergäben die Bieneneier fertige Tiere. Einer Befruchtung mehrerer Furchungskerne wider- sprächen die Befunde Nachtsheim's, wonach die überzähligen Spermatozoen zugrunde gingen. Gegen Boveri's Hypothese spreche auch der Umstand, daß dieselbe voraussetze, Eireife und Furchung gingen schon im Ovarium vor sich; V. Siebold hebe aber ausdrücklich hervor, daß dies nicht der Fall sei. Unerklärlich wäre ferner, daß man bei den Zwittern niemals Eier, wohl aber Spermatozoen fände. Man sollte das Gegen- teil erwarten, da ja Polyspermie das Auftreten des weiblichen Geschlechtes begünstige, das des männlichen dagegen unterdrücke. Die Arbeits- bienen als verkümmerte Weibchen anzusprechen, sei nicht angängig. ,,Sie besitzen eine Reihe von Organen, die der Königin fehlen, die der Wachs- ausscheidung, die Sammeleinrichtungcn für Honig und Pollen, den wohl entwickelten Rüssel, dessen geringe Ausbildung die Königin zur selbständigen Nahrungsaufnahme unfähig macht, hochentwickelte Sinnesorgane und ein Ganglienhirn auf entsprechen- der Stufe, sowie Drüsensysteme, die den Geschlechts- tieren teils ganz fehlen, teils bei ihnen nur mangel- haft entwickelt sind." Die x'\rbeiterlarven haben noch indifferente Geschlechtsdrüsen , entsprechend den Feststellun- gen, welche R. Hertwig an Froschlarven ge- macht habe. H. fand Froschlarven, verwandelte Larven und sogar zweijährige Frösche, bei wel- chen die Geschlechtsdrüsen nur als unansehnliche Stränge den Nieren auflagen und noch völlig in- difterent waren. D. wirft die Frage auf: Welche Ursachen be- wirkt die sexuelle Dift'erenzierung? Bei den Froschlarven überwogen in Kälte- kulturen auffallend die Männchen. Für Säugetiere und den Menschen war früher die Ansicht weit verbreitet, daß der Embryo sich unter dem Ein- fluß der Mutter zum Männchen oder Weibchen entwickele. Infolge der zytologischen Ergebnisse, namentlich nach Entdeckung des sog. Geschlechts- oder X-Chromosoms wird von den meisten For- schern zurzeit eine epigame Geschlechtsbestim- mung abgelehnt, zugunsten einer syngamen, d. h. der Bestimmung des Geschlechts je nach der Art des Samenkerns, welcher mit dem Eikern ver- schmilzt. Bei den Bienen aber kommen nur einerlei Samenfäden vor, und außerdem ist ein exakter Beweis für die syngame Geschlechtsbe- stimmung noch für kein Objekt erbracht wor- den. Eine Reihe hervorragender Forscher (Haecker, Montgomery und Woltereck) sprechen denn auch dem X - Chromosom die geschlechtsbestimmende Bedeutung ab. Anfäng- liche Gegner (Morgan und Buchner) haben ihre Ansicht inzwischen geändert. Während die älteren Forscher äußeren Einflüssen (Nahrung, Temperatur usw.) eine sehr hohe Bedeutung für die Bestimmung des Geschlechts zuschrieben, andere dagegen (Weismann und seine Schüler) inneren Einflüssen, liege die Wahrheit nach den neuesten Untersuchungen in der Mitte. So sind bei den Cladoceren (kleine Krebstiere) Nah- rung und Temperatur, bei den Rädertierchen chemische Änderungen des Milieus besonders wirksam. Außerdem reagieren die verschiedenen Altersstufen und Rassen derselben Art verschieden. Bei der Biene scheiden die Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnisse von vornherein aus, da sie an und für sich nur geringen Schwankungen unterliegen und für alle Tiere gleich sind. Da sich ferner die Larven ihre Nahrung nicht selbst holen , sondern von den Arbeitsbienen gefüttert werden, müssen äußeren die geschlechtsbestim- menden Einflüsse mittelbar oder unmittelbar von diesen ausgehen. Zunächst wird die verschiedene Nahrungsmenge eine Verschiedenheit im Wachstum bedingen. Die Königinlarven erhalten ja auch 26o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 17 entsprechend des durcli die Ausbildung der ( ic- schlechtsorgane gesteigerten Bedarfs mehr Nahrung. Es Icann durch die reichlichere oder spärlichere Nahrungszufuhr aber nur ein Unterschied insofern bewirkt werden, als kümmerliche und schwäch- liche Formen oder kräftige, schöne Tiere ent- stehen. Der sexuelle f^abitus wird dadurch nicht im geringsten geändert. Bessel (1868) züchtete Arbeiterinnen, von denen die kleinsten nur die Größe einer Stuben- fliege hatten. Fruchtbare Zwergköniginnen, die nicht größer als eine Arbeiterin sind, entstehen unter Umständen bei der Umwandlung der Arbeiter- larven zu Nachschaffungsköniginnen. In Arbeiter- zellen entstandene Drohnen sind kleiner als die normalen. In allen Fällen aber bleibt das Ge- schlecht unverändert. Versuche von Fabre (1899), welcher Mauer- bienen ihre Nester in Schneckenhäuser bauen ließ, ergaben ein ganz entsprechendes Resultat. Die Regel , nach der zuerst die weiblichen, dann die männlichen Eier abgesetzt werden, wurde auch hier eingehalten. Die Männchen lagen aber in den gröl3eren Zellen nächst dem Schalenausgang und wurden der reichlicheren Nahrung entsprechend besonders groß. Ähnliches fand Morgan (1909) an der Pflanzenlaus Phylloxera fallax. Bei Nah- rungsmangel entstanden hier weibliche Kümmer- formen. Eine ausführliche Besprechung widmet D. den von ihm und seinem Vater angestellten Ver- suchen. Mittelst eines feinen Pinsels wurde einer Weiselzelle Futterbrei entnommen, und damit der Boden bestimmter Zellen, gleichgültig ob Arbeiter- oder Drohnenzellen, betupft, nachdem vorher etwa vorhandener Futterbrei entfernt worden war. Darauf wurde die Wabe dem entweiselten Volk wieder eingehängt und schon am nächsten Tag fanden sich die Anlagen von Weiselnäpfchcn an den betupften Zellen. Bis 100 "^ der Zellen waren umgebaut oder wenigstens der Versuch dazu ge- macht. Als am wirksamsten erwies sich der Futtersaft aus Weiselzellen mit ganz jungen Lar- ven. Bei einer näheren Untersuchung des Futter- breies zeigte sich, daß derselbe aus zwei Sub- stanzen zusammengesetzt ist, einer körnigen, breiigen konsistenteren Grundsubstanz und einer ölig flüssigen. Letztere, die Sekretschicht D.'s, im Gegensatz zur Chylusschicht, scheint das wirksame Agenz darzustellen. Auch in Arbeiter- oder Drohnenzellen ist der Futterbrei derart zusammen- gesetzt und hat auch hier die Geruchs- oder un- bekannte Reflexwirkung den entsprechenden Bau- reiz auszulösen. Schneidet man eine Wabe halb- kreisförmig aus und imprägniert die angeschnittenen Randzeilen, so erfolgt die Umwandlung mit Sicherheit. Besonders beweisend war folgender Versuch. In den ersten Maitagen 1914, wo die naßkalte Witterung jede Bautätigkeit lähmte, wurden in zwei Reihen Zellen teils mit Drohncnfuttersaft, teils mit Königinfuttcrsnft betupft. Von den völlig ausgebauten Arbeiterzellcn waren trotzdem 5 von 16 in vollkommener, eine in weniger \'ollkomme- ner Weise in Drohnenzellen auf Kosten benach- barter Zellen umgewandelt, von den 10 mit Königinfutter behandelten Zellen 5 in Näpfe, bei einer sechsten war der Versuch dazu gemacht. Wie jeder Bienenkenner weiß, kommen derartige in den Arbeiterbau eingestreute Zellen normalerweise nicht vor. Kikt^tfiir^MAA^f XU IWnt liiivnizhiMliiid, Jungfernwabe mit Arbeiterzellen. Die mit -j- versehenen Zellen wurden mit Drohnenfuttersaft betupft. Zelle I — VI unter seiner Wiikung zu Drohnenzellen umgebaut. Eine Analyse der offenbar auch chemisch ver- schiedenen Drüsensekrete wäre nach D. sehr wünschenswert. Nach Schiemenz (i 883 ) haben die Bienen vier Paar Speicheldrüsen: i. die obere Kopfspeicheldrüse; sie funktioniert bei den Arbeitsbienen sehr stark, fehlt dagegen den Ge- schlechtstieren vollständig. 2. Die hintere Kopfspeicheldrüse; sie ist bei den Arbeits- bienen gut, bei den Geschlechtstieren nur mangel- haft entwickelt. 3. Die Oberkieferdrüse; sie findet sich bei allen drei Bienenformen, am besten jedoch bei der Arbeitsbiene. 4. Dasselbe gilt von den Brustspeicheldrüsen; sie liegen auf beiden Körperseiten und haben eine gemeinsame Mündung. Es wäre also die Möglichkeit gegeben, daß die verschiedenen Sekrete im Bienenkörper gebildet werden. Indeß wissen wir über die Funktion jener Drüsen nichts Bestimmtes. Wichtig wäre die Kenntnis der chemischen Zu- sammensetzung ihres Sekrets. Schon Schiemenz erklärte den P'uttersaft für das Sekret einer Speicheldrüse. Nähere Angaben macht Langer (1912). Nach der biologischen P^iweißmethode hat er die Her- N. F. XIV. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 261 kunft des Futtersaftes untersucht und festgestellt, daß derselbe das Produkt, Sekreteiweiß, einer Kopfspeicheldrüse ist. Es widerspricht das der herrschenden Ansicht, nach welcher derselbe aus dem Chylusmagen kommt. La Planta (1889) fand, daß die chemische Zusammensetzung des Fultersaftes verschieden ist, je nachdem es sich um Königinnen-, Drohnen- oder Arbeiterlarven handelt. Wie D. sagt, besteht aber der Futterbrei nicht allein aus dem Sekret einer Drüse, sondern ent- hält auch eine Reihe von Körpern, die unbedingt anderen Ursprungs, sind, wie Pollen, freies Wachs und Chitin. Er ist also vielmehr ein Gemisch hochkomplizierter organischer Substanzen. Er kann nicht dem Chylusmagen entstammen, denn der Bau und die Behaarung des Magenmundes lassen einen Rücktritt des Mageninhaltes nicht zu (Fl eise h man n). Maaßen fand im Futterbrei niemals Nosema bei kranken Bienen, und endlich enthält der Futterbrei niemals Pepton (Dönhoff). F. Dickel meinte, der Futtersaft würde in der Honigblase junger Bienen gebildet. Eine weitere Furage ist die, ob Chylus und Drüsensekret unabhängig voneinander abgeschieden werden. Bei völlig brutlosen Völkern sieht man auf dem Boden der leeren Zellen kleine Tröpfchen, deren ölartiges Aussehen an die Sekretschicht er- innert. Die Annahme liegt nahe, daß das Sekret der Größe der Zelle entspricht. Schon H u b e r (1814) war es bekannt, daß die Königin eines mit Brut und Eiern völlig besetzten Stockes nicht sofort eine hineingestellte leere Brutwabe bestiftet, selbst wenn ihr Hinterleib mit Eietn vollgepfropft ist. Es geschieht stets erst nach einiger Zeit, während welcher die Arbeitsbienen die Zellen durch ,, Besichtigen", „Belecken", ,, Bespeicheln" usw. vorbereitet haben. Daß die Arbeitsbienen einen Einfluß inbezug auf die Geschlechtsbestim- mung ausüben, geht auch aus folgender Erschei- nung hervor. Wird das Volk auf reinen Drohnen- bau gesetzt, so beginnt die Königin nach Erfüllung der dargelegten Bedingungen alsbald mit der Ei- ablage. Die Arbeitsbienen aber entfernen die Eier tage-, ja wochenlang aus den Zellen, wenn die Verpflanzung zu einer Zeit geschah, wo der Drohnentrieb noch nicht erwacht war. Die sexuelle Differenzierung der Larven scheint auf sehr frühen Stadien zu erfolgen. F. Dickel, Mulot und Hensel gelang es in seltenen Fällen aus ganz jungen, soeben in Drohnenzellen abge- setzten, von den Arbeitsbienen noch unberührten Eiern durch Übertragung in Arbeiterzellen Arbeiter- innen zu erzielen. D. will auf der Beweiskraft dieser vielfach angezweifelten Versuche indeß nicht be- stehen. Für einen vollgültigen Beweis hält er dagegen Versuclie von Hensel, der Königinlarven in Ar- beiterzellen übertrug und stets Königinnen erhielt. Demnach tritt die sexuelle Differenzierung der I^arven sehr frühzeitig ein. Den Zeitpunkt zu bestimmen, ist aber sehr schwierig. R. Hertwig fand bei Froschlarven dreierlei Formen, frühzeitig ausgebildete Männchen bzw. Weibchen und indiffe- rente Larven. Bei Cladoceren, Rädertierchen und Blattläusen ist scheinbar schon im Keimplasma die Tendenz festgelegt, agame, sexuell labile und ausgeprägt sexuelle Formen zu produzieren. Auf Grund der gewonnenen Ergebnisse von der Geschlechtsbestimmung durch die Arbeits- bienen versucht D. eine Erklärung der Engst e r- schen Zwitterbienen zu geben. Es lag offenbar eine Störung im Geschlechtsapparat des Mutter- tieres und zwar eine solche im Eierstock vor. Neben normalen Eiern wurden auch solche abge- legt, die bereits überreif waren, also männliche Tendenz hatten. Letztere konnte durch die Be- fruchtung nicht mehr abgeändert werden , weil uns unbekannte protoplasmatische Veränderungen die Ausbildung des männlichen Pronukleus ver- hinderten oder die Verschmelzung der beiden Vorkerne unmöglich machten. Die Eier wurden aber in Arbeiterzellen abgesetzt, also den Ein- flüssen unterworfen, welche auf Arbeiterinnen- bildung hin-, also der Ausbildung vom Männchen entgegenwirkten. Viele der Eier indeß hatten ein derartiges Stadium der Überreife erreicht, daß die Sekrete unwirksam blieben , und es ent- standen vollkommene Drohnen. Die anderen, weniger überreifen Eier ergaben Zwitterformen. O. V. Rath (1894) beobachtete ein weiselloses Volk, welches über Drohnenlarven Weiselzellen errichtete. In 7 — 8 derartigen Weiselzellen wurden die Larven schon frühzeitig von den Bienen ent- fernt und nur 3 kamen bis zum Puppenstadium. Die in Schnitte zerlegten Tiere bildeten eine merk- würdige Mittelform zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht. Sperma waren noch nicht vorhanden, die Vasa deferentia waren nur schwach angedeutet, die Vesiculae seminalis fehlten voll- ständig und von dem Kopulationsorgan war keine Spur vorhanden. Dagegen strotzte der Hinterleib von einer merkwürdigen „Fettmasse". Eine weitere Frage ist die, was veranlaßt die Königin bald befruchtete, bald unbefruchtete Eier abzulegen ? Denn das willkürliche Offnen und Schließen des Samenblasenganges, wodurch der Austritt von Sperma in den Uterus ermöglicht oder verhindert wird, liegt zweifellos für die Königin im Bereich der Möglichkeit, wie aus dem Bau des sehr komplizierten Muskelapparates her- vorgeht (Adam 191 2). Dzierzon hielt die Königin für ein hoch begabtes Tier, die in Be- sorgnis um das Wohl ihres Volkes bald befruch- tete, bald unbefruchtete Eier ablege. Schon die relative Kleinheit ihres Gehirns läßt die Unrichtig- keit dieser Auffassung erkennen. Leuckart und V. S i e b o 1 d glaubten, infolge des Druckes seitens der engeren Arbeiterzelle öffne sich reflektorisch der Schließmuskel des Samenbehälters. Auf den Hinweis von v. Berlepsch, daß auch in halb- ausgebauten Zellen, wo doch von einem Druck keine Rede sein könne, befruchtete Eier abgelegt würden, gab Leuckart diese Ansicht auf. Auch die Anschauung, daß der verschiedene Geruch der 202 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 17 verschiedenartigen Sekrete das reizauslösende Agens sei , ist unhaltbar. Bei einer Drohnenbau und Arbeiterzellen gemischt enthaltenden Wabe kann der Körper der Königin sich größtenteils über den Drohnenzellen befinden, während aus der Hinterleibsspitze befruchtete Eier austreten. Daraus geht hervor, daß auch Geruchsreize nicht das reizauslösende Agens sind. Es scheint demnach, daß, wie schon Reaumur annahm, die Königin dreierlei geschlechtlich präformierte Eier legt: nämlich präformierte, die nicht befruch- tungsfähig sind , weil sie das Sperma abstoßen, weiblich präformierte befruchtungsbedürfiige und indifferente. Die progame Geschlechtsbestimmungsweise wurde vertreten von Lenhossek (1903), Schnitze (1904), Castle (1903), Beard (1902) und Godlewsky (1913). Auf die Biene will sie dagegen nicht angewandt wissen v. Buttel- Reepen (1904); ihm pflichtet Nachtsheim bei. Die Einwände von v. Buttel-Reepen decken sich mit jenen, welche von den Gegnern der Dz ierzon 'sehen Lehre gegen diese vorge- bracht wurden. D. bespricht die drei dagegen angeführten Gründe. Der erste Einwand besagt, die Drohnen- brütigkeit wäre doch nicht möglich, wenn männ- lich und weiblich präformierte Eier im Ovarium gebildet würden. Schon Lenhossek wies darauf hin, daß es gar nicht zur Bildung weiblicher Eier komme, wenn die Königin der unentbehrlichen Samenfäden ermangele. Wenn auch solche an- gelegt wären, kämen sie doch nicht zur vollkom- menen Ausreifung und Ausscheidung. Sie ständen im Stadium ovarialer Frühreife und hätten nach den Befunden von R. Hertwig männliche Ten- denz. Der zweite Einwand stützt sich darauf, daß beim Einhängen einer Drohnenwabe in einen Stock, in welchem bis dahin wochen- und monate- lang ausschließlich Arbeiterbrut gepflegt wurde, dieselbe von der Königin alsbald mit Drohneneiern bestiftet werde. Dies spreche eher für als gegen eine Präformation. Da die männlich präformierten FAev sich in Arbeiterzellen nicht entwickeln könnten, würden sie vorher von den Bienen aus den Zellen entfernt. Der dritte Einwand von v. Buttel- Reepen bezieht sich auf die Eiablage in Waben, welche Arbeiter- und Drohnenzellen gemischt enthalten. D. meint, beim Wegfall eines Kontakt- oder Geruchreizes spräche dieser Einwand eher für als gegen eine Präformation. Die Schul- meinung, welche von Leuckart herstammt, geht dahin , daß das Ei im Augenblick des Vorüber- gleitens an der Einmündung des Ausführungs- ganges des Receptaculums befruchtet werde, in- dem es mit seiner Mikropyle genau an die Öff- nung des Samenganges herangedrückt werde. Diese Auffassung ist mit der großen Zahl der abgelegten Eier — in 24 Stunden durchschnittlich 3000 — nicht gut in Einklang zu bringen. Da es sich außerdem dabei um Größenverhältnisse handele, die nach /< gemessen werden müssen , so wäre ein Präzisionsmechanismus aus Stahl und Hart- gestein nötig, dagegen wäre dafür eine Einrich- tung aus dem weichen nachgiebigen Muskelmaterial unzureichend. Vielmehr würden viele Samenfäden (12 — 100) gleichzeitig in den Uterus eintreten. Die Befruchtung der Drohneneier würde durch negative Chemotaxis verhindert. Aber auch biologische Erscheinungen sprächen für die Präformationstheorie. Die Geschlechtstiere, Drohnen und Königin, träten normalerweise nur zu bestimmten Jahreszeiten auf Es zeigte sich dies besonders deutlich bei der ägyptischen Biene, einer Varietät unserer deutschen Honigbiene. Außer der einzigen begatteten Königin leben im Stock auch noch zahlreiche unbegattet gebliebene Weib- chen, die aber regelmäßig unbefruchtete Eier legen, aus welchen Drohnen hervorgehen , die sich von den Drohnen der begatteten Königin unterscheiden. Die Afterköniginnen haben einen Eierstock und ein Receptaculum, wie die Stockmutter, unter- nehmen aber nie einen Begattungsausflug und unterscheiden sich von jener durch ihren ganzen Habitus. Ihr auffallendste Erkennungsmerkmal ist die gelbe Farbe des Schildchens, das bei jener rotgelb gefärbt ist wie bei den Arbeitsbienen und wie ihr übriger Körper. Auch sind nur die beiden ersten Rückenbögen gelb, wie bei den Arbeits- bienen, während bei der Stockmutter alle Hinter- leibssegmente rotgelb gefärbt sind. Bei der deutschen Biene hat man gleichfalls lange das Vorkommen sog. Drohnenmütterchen vertreten, besonders gefärbter Arbeitsbienen, wel- chen das Legen von Drohneneiern obliegen sollte, wäiirend die Königin nur befruchtete arbeiter- und weibchenerzeugende Eier ablege. Es würden in diesem F~all dreierlei geschlechtlich präformierte Eier vorauszusetzen sein. O. Die kel trifft keinen bestimmten Entscheid in dieser Frage, hält sie indeß einer Nachprüfung für wert. Beziehungen der («letscherziinge zur Unigebiing. Von Alfred Frey, Zürich. |N.ich mm lang und 3'^/,, mm breit, eine andere dagegen nur 4 mm lang, aber 2^;'j mm breit. -) Viel zahlreicher als die Weizen- und die Saat- gerstenfrüchte waren in dem verkohlten Pflanzen- material der Braunsdorfer Wohngrube die Früchte des I«"! u gha fers, Avena fatua. Von den meisten dieser Früchte sind die Spelzen entweder vollständig geschwunden oder es haften an ihnen nur noch kleine Spelzenfetzen. Die spelzenlosen Früchte sind 4'!^ — 6 mm lang, i '/g — 2 mm breit (die längsten sind am schmälsten) und durch- schnittlich I mm dick. Sie sind am Keimende spitz, am oberen Ende abgestutzt oder abgerundet. Ihre meist schwach gefurchte Bauchseite ist meist wenig gewölbt oder ganz flach. Einige l'rüchte sind jedocii auf der Bauchseite ebenso stark wie auf der Rückenseite gewölbt, zum Teil im Querschnitt fast kreisrund. Einige tragen noch einen Haarschopf am oberen Ende. Außer reifen Früchten sind auch unreife vorhanden. Diese sind sehr dünn und entweder auf der Bauchseite muldig vertieft oder von den Seiten her so stark zusammengedrückt, daß sie eine sehr tiefe Bauch- furche haben. Wenn nur diese spelzenlosen Avena-Früchte ^) vorhanden wären, so würde man wohl kein Be- denken tragen, sie als Früchte des Rispenhafers, Avena sativa, anzusehen. Denn sie gleichen im Aussehen den von Heer^) abgebildeten Pfahl- bautenfrüchten , die von diesem Forscher für Früchte von Avena sativa erklärt werden, nur sind sie durchschnittlich etwas kürzer als diese. Nun habe ich aber auch einige Avena-Früchte gefunden, an denen noch der größte Teil der Deckspelze und das diese Deckspelze sowie die zugehörende Frucht tragende Glied der Ahrchen- achse haftet. *) Diese Früchte gehören nicht zum Rispenhafer, Avena sativa, — und auch nicht zum Fahnenhafer, A. orientalis. *) Denn das sie tragende — hohle — Glied der Ahrchenachse läßt durch seinen scharfen schiefen Rand deutlich erkennen, daß es sich zur Zeit der F"ruchtreife wie beim Flughafer entweder von der Basis der Ahrchenachse, die in Form einer konkaven Schuppe ') Vgl. S. 266 .'\nm. I rechts. ■■=) Vgl. Schulz, a. a. O.Taf. 3, Fig. 8. ') Vgl. Schulz, Über Kulturpflanzen und Unkräuter usw., a. a. O. Taf. 3, Fig. 10, wo eine Anzahl spelzcnloser Früchte in zweifacher Vergrößerung dargestellt ist. *) Heer, Die Pflanzen der Pfahlbauten. Separatabdruck aus dem Neujahrsblatt der Naturforschenden Gesellschaft [in Zürich] auf das Jahr 1866 (Zürich 1865) S. 16—17 "icl Fig. 24. '■) Vgl. Schulz, a. a. O. Taf. 3, Fig. 11, wo drei der bespelzten Früchte in doppelter Größe dargestellt sind. ") Betri ffs der Forraengruppen des Saathafers vgl. Seh ulz, Geschichte der kultivierten Getreide Bd. I (Halle 1913) S. 117 u. f., und Derselbe, Geschichte des Saathafers, 41. Jahresbericht d. Westfälischen Provinzialvereins f. Wissen- schaft und Kunst für das Rechnungsjahr 1912/13 (1913) S. 204 bis 217. mit den an ihr sitzenden Hüllspelzen an der Rispe haften blieb, oder — falls es die obere I'rucht oder eine der oberen Früchte des Ahr- chens trug — von dem an der nächst unteren Deckspelze haften bleibenden Achsengliede von selbst abgelöst hat. Bei .'\vena sativa — und A. Orientalis - - ist dagegen zur Zeit der F"rucht- reife die Ährchenachse so zäh, daß sie nicht von selbst zerfällt, sondern nur durch Schlag, Druck oder Zug in einzelne, ungleichmäßige Stücke zer- brochen oder zerrissen werden kann. Die Bruch- oder Rißstellen, deren Ränder unregelmäßig sind, verlaufen ungefähr senkrecht zu der Ährchen- achse. IVIan muß deshalb wohl annehmen, daß die gefundenen bespelzten Braunsdorfer Avena- Früchte zum Flughafer, Avena fatua, gehören, ob- wohl die mir vorliegenden rezenten P'lughafer- Früchte aus Mitteldeutschland wesentlich größer sind. Bei einigen der bespelzten Braunsdorfer Früchte haften an den /ihrchenachsengliedern und an der unteren Partie der Deckspelzen einige Haare. Offenbar waren diese Teile wie beim rezenten Flughafer lang und dicht behaart. Über die Spitze der Deckspelze läßt sich leider nichts sagen, da diese an allen vorliegenden F"rüchten abgebrochen ist. An einigen von diesen ist aber noch die untere Partie der Granne erhalten. Diese gleicht der des rezenten Flughafers. Wenn nun aber auch die bespelzten Avena-Früchte von Braunsdorf zum Flughafer gehören, so kann doch nicht mit Sicherheit behauptet werden, daß auch die dort gefundenen spelzenlosen Avena- Früchte zu dieser Art gehören. Sie könnten auch wenigstens zum Teil zu Avena sativa gehören. Doch halte ich dies nicht für wahrscheinlich, da die spelzenlosen Früchte den bespelzten durchaus gleichen. ') Das Vorstehende zeigt, daß man bei der Be- stimmung von prähistorischen .Avena- Früchten sehr vorsichtig sein muß, und es in allen den Fällen, wo nur spelzenlose P'rüchte vorliegen, zweifelhaft lassen muß, ob die F"rüchte zu Avena fatua oder zu Avena sativa • — bzw. A. orientalis — gehören. Nach Neu Weiler'-) sind Früchte von der Porm und Größe der Früchte von .Avena fatua imd mit einem Haarbüschel an ihrem unteren Ende aus bronzezeitlichen Pfahlbauten von Möringen am Bielersee bekannt. Nach seiner Angabe führt auch D einig er A. fatua als in der — der neolithischen und der Bronzezeit angehörenden — Siedelung von Lengyel im ungarischen Komitate Tolna gefunden an : „Bei diesem Vorkommen weicht die Größe der Samen (Mittel 4,5 mm lang) ') Man könnte daran denken, daß die Früchte mit fast kreisrundem Querschnitt Rispenhaferfrüchte seien, doch habe ich eine solche F'rucht aus einer Flughaferspelze herausprä- pariert. ^) Neuweiler, Die prähistorischen Pflanzenreste Mittel- europas mit besonderer HerUcksichtigung der schweizerischen Funde, Vierteljahrsschrift d. Naturforschenden Gesellschaft in Zürich Jahrg. 50, 1905 (1905) S. 23 — 132 (50). N. F. XIV. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 269 bedeutend vom rezenten (6,26 mm lant,') ab. Auch die Vertiefung am oberen Ende kann sich auf dem Rücken des Korns fortsetzen, was bei der rezenten Art nicht der Fall ist. Ich glaube eher, daß man es hier mit verschiedenen Pflanzen zu tun hat." ') Die geringe Größe würde der An- nahme, daß hier Früchte von Avena fatua vor- liegen, nicht widersprechen, da sie ungefähr der der beschriebenen Braunsdorfer Früchte gleicht. '-) Wie man es unentschieden lassen muß, ob die Braunsdorfer Avena-Früchte sämtlich oder nur teilweise zum Plughafer gehören, so muß man es auch unentschieden lassen, ob dieser damals wie heute in der Merseburger Gegend ausschließlich ein nicht nur wertloses, sondern sogar sehr lästiges Unkraut war, oder ob er dort auch als Getreide kultiviert wurde, oder ob wenigstens die Früchte seiner als Unkraut auftretenden Individuen gesammelt und benutzt wurden. Daraus, daß seine Früchte in größerer Menge in der Wohn- grube lagen, darf man nicht schließen, daß sie damals benutzt worden sind, denn es fanden sich in der Grube auch Früchte und Samen von Formen, die sicher nur Unkräuter waren ^) und unabsichtlich mit den P'eldfrüchten eingeerntet worden waren. Auf diese Weise können auch die Früchte des P"lughafers in die Wohngrube ge- langt sein. Doch ist es auch möglich, daß in der Braunsdorfer Gegend damals die Früchte der als Unkraut auftretenden Individuen des Flug- hafers eingesammelt wurden, oder daß diese Art damals bei Braunsdorf sogar als Getreide ange- baut wurde. Ihre Früchte eignen sich offenbar durchaus zur menschlichen Nahrung. Der Flughafer wächst zwar gegenwärtig im größten Teile Europas, Nordafrikas und des ge- mäßigten Asiens, sowie in verschiedenen Gegenden Südafrikas, Amerikas und Australiens, er ist aber wohl nur in Osteuropa und im westlichen Zentral- asien, und vielleicht auch in den Steppengegenden Nordafrikas sowie in Nord- und Ostasien indigen, dagegen in das westlichere Europa, und so auch in Deutschland, erst durch die Kultur eingeführt worden. Es darf wohl als sicher hingestellt werden,*) daß die in Deutschland am meisten angebauten Formengruppen des Saathafers, der Rispenhafer und der Fahnenhafer, in der Kultur entstandene Abkömmlinge — Kulturformengruppen — des Flughafers sind. Ihre Entstehung wird ge- wöhnlich in das östliche Europa oder die an- grenzenden Gegenden Zentralasiens verlegt, und es wird angenommen, daß der Rispenhafer schon früh in der prähistorischen Zeit hier entstanden und von hier in das westlichere Europa einge- führt worden sei. Denn es ist bereits eine An- zahl von bronzezeitlichen Haferfrüchten in Savoyen, der Westschweiz, Schwaben und Dänemark auf- gefunden worden, die als P"rüchte des Rispen- liafers, Avena sativa, angesehen werden. ') Ich will die Möglichkeit nicht bestreiten, daß diese Früchte wenigstens zum Teil Rispenhaferfrüchte sind, doch ist ein sicherer Beweis für die Zuge- hörigkeit zu dieser Formengruppe wohl bei keiner von ihnen erbracht und läßt sich vielleicht auch nicht erbringen, da die gefundenen P'rüchte offen- bar sämtlich spelzenlos sind. '-') Es ist also wohl nicht ausgeschlossen, daß sie wenigstens teilweise zum Flughafer gehören. Abweichend von den meisten übrigen P'orschern verlegte Haußknecht'') die PJntstehung des Rispenhafers aus dem Flughafer nicht nach Ost- europa oder Zentralasien, sondern nach Deutsch- land. Er nahm an, daß der Flughafer hier auf Steppen einheimisch gewesen sei, als die Germanen in Deutschland einwanderten, daß ihn die Ger- manen , die ihn als vorzügliches Grünfutter schätzten, zum Unterhalt ihrer zahlreichen Vieh- herden kultiviert hätten, da er nicht in allen Teilen des Landes vorkam, und daß sich dann in der Kultur aus ihm der Rispenhafer entwickelt hätte. Es spricht aber nichts iür Haußknecht's Annahme, daß der Flughafer ein Glied der indi- genen Flora Deutschlands sei oder in prä- historischer Zeit gewesen sei. Er tritt gegen- wärtig in Deutschland außerhalb des Kultur- bodens nur vereinzelt und vorübergehend auf; und es liegt kein Grund zu der Annahme vor, daß er in prähistorischer Zeit in Deutschland einheimisch gewesen sei. Ganz unmöglich ist aber Haußknecht's Annahme, der Rispenhafer sei in Deutschland aus dem P'lughafer ent- standen, doch wohl nicht, jene Formengruppe könnte ja hier aus dem ursprünglich als Acker- unkraut auftretenden oder von vornherein als Ge- treide eingeführten P'lughafer gezüchtet worden sein. Wenn der Flughafer in der Hallstattzeit bei Braunsdorf nicht als Getreide angebaut wurde, so war er damals hier offenbar ein sehr lästiges Acker- unkraut, durch das die Getreideernte erheblich vermindert wurde. Ich halte es deshalb, wie ich *) Neuweiler, a. a. O, S. 50. ^) Man muß auch bedenken, daß die Getreide- und die Flughafcrfrüchle bei der Verkohlung geschrumpft sind , ihre Größe sich also nicht direkt mit der rezenter Früchte ver- gleichen läßt. ') Vgl. S. 267. *) Vgl. S. 268 Anm. b. ') Außer den Braunsdorfer sind mit Sicherheit keine an- deren deutschen aus der prähistorischen Eisenzeit stam- menden zum Rispen- oder zum Flughafer gehörenden Früchte bekannt geworden. Dagegen sind in Deutschland eine Anzahl aus dem historischen Altertum sowie dem deutschen und sla- vischen Mittelalter stammende Früchte gefunden worden , die als Rispenhaferfrüchte angesehen werden. ^) Vgl. Heer, a. a. O. S. I6 — 17, und Fig. 24; sowie Thellung, Über die Abstammung, den systematischen Wert und die Kulturgeschichte der Saathaferarten (Avenae sativae Cosson), Vierteljahrsschrift d. Naturforschenden Gesellschaft in Zürich Jahrg. 56, 19U (19I1) S. 293 u. f. (344). ■') Vgl. Haußknecht, Über die Abstammung des Saat- habers, Mitteilungen d. geogr. Gesellschaft (f. Thüringen) zu Jena. Zugleich Organ des botanischen Vereins für Gesamt- thUringen Bd. 3 (1885)8. 231 — 242 (241); Derselbe, Über die Abstammung des Saathabers, Mitteilungen des Thüringi- schen botanischen Vereins N. V. Heft 2 (1S92) S. 45 — 48. 270 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 17 schon angedeutet habe, nicht für ausgeschlossen, daß man in dieser Gegend, nachdem man er- kannt hatte, daß sich die Flughaferfrüchte sehr gut zur menschlichen Nahrung eignen, den Flug- hafer als Getreide benutzt hat, daß man zuerst die I'rüchte der als Unkraut unter anderem Ge- treide wachsenden Individuen des Flughafers ein- gesammelt und dann den hlughafer sogar ange- baut hat. Hierbei könnte sich aus ihm der Rispenhafer entwickelt haben. Und dies könnte auch in anderen Gegenden des westlicheren Europas — zum Teil vielleicht schon in der Bronzezeit — stattgefunden haben, es könnte also der Rispenhafer an mehreren Stellen im west- licheren Europa entstanden sein. ') Eine — mehr- fache — Entstehung des Rispenhafers aus dem Flughafer im westlicheren Europa könnte auch erfolgt sein, wenn der Flughafer hier von vorn- herein als Getreide eingeführt und angebaut worden wäre. Es ist auffällig, daß der Rispenhafer bei ver- schiedenen europäischen Völkern — bei den Kelten, Germanen im allgemeinen und Angelsachsen im besonderen , sowie bei den Slawen — durchaus voneinander abweichende Namen hat. Wenn man aus dieser Tatsache auch nicht bestimmt auf einen mehrfachen Ursprung des Rispenhafers schließen darf,-) so spricht sie doch in Verbindung mit der anderen Tatsache, daß die Stammform dieser Formengruppe, der Flughafer, bereits in der prähistorischen Zeit, und zwar mindestens schon in der Hallstattzeit, in Mitteldeutschland vorkam, immerhin zu gunsten der Annahme einer mehr- fachen Entstehung des Rispenhafers im westlicheren Europa. Die andere der beiden normalen Kulturformen- gruppen der Avena fatua-Reihe des Saathafers, der Fahnenhafer, Avena orientalis, ist dagegen wohl ausschließlich in Osteuropa oder im angrenzen- den Asien entstanden. Sie führte in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts, wo sie zuerst wissenschaftlich \om Rispenhafer, A. sativa, unter- schieden wurde, in Mitteldeutschland den Namen ,,Türckischer Haber", und wurde hier auch noch im Jahre 1771, wo sie von Seh reber ihren ') Er ist sicher aber — auch — im Osten entstanden. ') Vgl. hierzu Hoops, Artikel Hafer in seinem Keal- lexikon der Germanischen Altertumskunde Bd. 2 (Straßburg 1914) S. 352 u. f. (357). heutigen wissenschaftlichen Namen erhielt, so und „Ungarischer Hafer" genannt. Diese Namen deuten auf eine späte Einführung des Fahnenhafers aus dem Osten hin. Die mißbildete Formengruppe dieser Saat- haferreihe, der Nackthafer, Avena nuda (im weite- ren Sinne), ist offenbar an mehreren Stellen aus dem Rispenhafer und dem Fahnenhafer hervor- gegangen. Auch heute wächst der Flughafer — als Acker- unkraut — in der Gegend von Braunsdorf. Hieraus darf man aber nicht schließen, daß er sich in dieser Gegend ununterbrochen von der Hallstattzeit bis heute erhalten habe. Es ist vielmehr nicht aus- geschlossen, daß er später aus dieser Gegend — und aus ganz Mitteldeutschland — verschwunden und erst in den letzten Jahrhunderten wieder in sie — wie in das südliche Deutschland — durch den Ackerbau eingeführt worden ist. Etwas Be- stimmtes läßt sich hierüber nicht sagen. In einer der ältesten der mitteldeutschen floristischen Schriften, der ältesten ,, Flora" einer deutschen Landschaft überhaupt, inJohannesThals 1588 erschienener ,,Sylva Hercynia", ist*) zwar eine Avena sylvestris seu nigra, cuius grana paulo longiora crassioraque sunt avenae sativae, ac ex rubro nigricantia mit dem Zusatz: ,,est autem Aegylops seu festuca Pliniana apud Dodonaeum"'-) — ohne Fundortsan- gabe — aufgeführt, die meist als Avena fatua ge- deutet wird, doch ist es durchaus nicht sicher, daß diese Deutung richtig ist.^) Mit Sicherheit tritt uns der Flughafer als mitteldeutsches Ge- wächs erst im Anfang des 18. Jahrhunderts ent- gegen. Da er damals aber in Thüringen bereits eine „nimis frequens pestis inter segetes praecipue hordei et avenae"*) war, so muß man annehmen, daß er nicht erst damals, sondern bereits früher eingeschleppt worden ist. Vielleicht fand dies im Laufe des 17. Jahrhunderts statt, wo er in Süd- deutschland eingeführt worden zu sein scheint."') ') Auf S. 14. ') Dieser Name bezieht sich auf den Flughafer. ^) E. H. L. Krause (Diese Wochenschrift Bd. 26, 1911, S. 249 — 250) bezweifelt die Richtigkeit dieser Deutung. Er halt es für wahrscheinlicher, dafi Thals Pflanze schwarzer Rispenhafer war. *) Rupp, Flora Jcncnsis 2. Aufl. (Frankfurt u. I^eipzig 1726) S. 255. '■) Vgl. F. 11. L. Krause, a. a. O. Bücherbesprechungen. Henry Suter, Manual ofthe New Zealand Mollusca. With an Atlas of Quarto Plates. l'ublishcd by the authority of the government of New Zealand. Wellington 1913. Die Fauna von Neuseeland heischt das be- sondere Interesse des Biologen, da diesem fernsten Erdenwinkel noch so mancherlei fehlt, was fast allen übrigen Teilen unseres Planeten den .Stempel höherer und vollkommenerer Schöpfungsstufen verleiht. .Selbst .'\ustralien, mit dem die große Doppelinsel früher einen zusammenhängenden Kon- tinent bildete, ist trotz seiner Altertümlichkeit besser gestellt, sind doch sogar die Beuteltiere und die Schnabeltiere nicht einmal bis nach Neu- seeland vorgedrungen. Da ist denn die genaue Durcharbeitung eines Typus besonders erwünscht, N. F. XIV. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 271 zumal wenn es sich um eine für die Zoogeographie so wichtige Gruppe handelt wie die Mollusken. Bisher waren wir auf das IVIanual of the New Zealand Mollusca von H u 1 1 o n aus dem Jahre 1 880 angewiesen, das nach kritischer Streichung der falsch oder unsicher zitierten Formen ungefähr 450 Arten behandelte. Die vielen, die inzwischen dazu gekommen sind, mußte man sich aus einer zum Teil sehr versteckten Literatur zusammen- suchen. Das ist jetzt glücklicherweise überflüssig geworden. Suter, ein geborener Schweizer, der seit langen Jahren an den Museen von Neuseeland gearbeitet, eifrig selber gesammelt und publiziert hat, legt uns jetzt in einem stattlichen Bande von ca. 1140 Seiten, mehr als looo Spezies vor, zu denen noch reichlich 100 Subspezies und Varietäten treten. Leider steht der Atlas noch aus. Aber der Text genügt für den, der nicht selbst als Spe- zialist arbeiten und bestimmen will; denn er bringt eine sorgfältige, auch die anatomischen Grundzüge berücksichtigende systematische Übersicht, mit genauen Angaben der Literatur, der Synonymie, sowie der geographischen und geologischen Ver- breitung, dazu Bestimmungstabellen der Gattungen neben den peinlichen .Artbeschreibungen. Noch sind nach früherer Manier die Brachiopoden ein- geschlossen, eine spärliche Zahl, die weiter nichts ausmacht. Kurz wir haben eine musterhafte Fauna auf moderner Höhe, die wohl für lange Zeit die Grundlage bilden wird und für jeden, die sich in irgendeiner Weise mit dem Gegenstand beschäftigt, unentbehrlich sein muß. Freilich hat es Suter vermieden, selbst all- gemeine Schlüsse zu ziehen und Vergleiche mit anderen Faunen anzustellen. Wir wollen wenig- stens einige Züge hervorheben. Nehmen wir ein- mal die bekannteste Gruppe, unsere Landlungen- schnecken oder Stylommatophoren ! Da treffen wir zunächst unsere gemeinen Limax- und Arion- arten, Helix aspersa und hortensis und andere all- bekannte Formen. Aber sie sind durch den Ver- kehr mit England eingeschleppt und haben mit der indigenen Fauna nichts zu tun. Diese umfaßt ungefähr 130 Arten, für die Größe der Inseln etwa eine normale Zahl. Nur fällt uns alsbald der ge- ringe Leibesumfang der Schnecken auf Die He- liciden, die bei uns vorwiegen, fehlen vollkommen ; sie werden vertreten durch die kleinen Endodon- tiden im weiteren Sinne, denen der Liebespfeil fehlt, etwa 90 bis 100 Spezies. Die größten Formen sind altertümliche Raublungenschnecken, Rhytida und Paryphanta, von denen sich eine, Schizoglossa, zu einer testacellenartigen Nacktschnecke umge- wandelt hat. Daran schließen sich ein Paar schlanke Placostylus, zu den Bulimuliden gerechnet. Alle unsere Clausilien, Pupen usw. fehlen durchaus. Die Bernsteinschnecken sind durch die primitiven Athoracophoriden vertreten, als die abweichendste Gruppe der Nacktschnecken schlechthin. Die Ba- sommatophoren oder Wasserlungenschnecken aus dem Süßwasser und vom Meeresstrande sind nicht ganz so ärmlich. Besonders altertümlich ist Am- phibola, die einzige Lungenschnecke, die ihr Ge- häuse mit einem bleibenden Deckel verschließt. Latia ist eine Sonderform mit flacher Schale, ähn- lich unserem Ancylus. Noch näher an diesen schließt sich Gundlachia an, mit einer vor- springenden Scheidewand unter der Schalenspitze. Besondere Aufmerksamkeit verdient ihre allgemeine Verbreitung, denn es fällt auf, daß sie erst in einer ungeheuren Entfernung wieder auftaucht, auf den Antillen nämlich. Das Rätsel wird etwas weniger schwierig, wenn wir Amphipeplea betrachten, die Limnäenform, die ihre Schale in den Mantel ein- hüllt. In fernen Südosten geht sie von Neuseeland bis zu den Philippinen, außerdem lebt sie bei uns in Zentral- und Nordeuropa. Hier tritt die Pen- dulationstheorie in ihr Recht. Viele Endodontiden von Neuseeland haben zwar ihre nächsten Ver- wandten auf der Südspitze von Amerika; und man hat zur Erklärung vielfach eine Landbrücke durch den Stillen Uzean angenommen. Aber schon Am- phipeplea zeigt, daß der Zusammhang über Europa geht, das ja auch noch spärliche Endodontiden beherbergt. Klar tritt die Beziehung bei dem ver- wandten Basommatophor Marinula hervor, deren Arten jetzt in Südamerika, Australien und auf den Südseeinseln leben, während sie zuerst aus dem Eozän von Paris nachgewiesen ist. Unmittelbar neben ihr steht Leuconia mit der Verbreitung Neuseeland — europäische Meere — Antillen. Der Ausgangspunkt liegt wieder bei uns. Die Gattung gibt den Schlüsel für Gundlachia (s. o.), bei der nur der europäische Herd, während der Eiszeit, ausgefallen ist. Ebenso deutlich liegt die Sache bei Siphonaria, deren Arten noch über die meisten warmen und gemäßigten Meeresküsten zerstreut sind, ihr Maximum aber auf der südlichen Halb- kugel haben. Hier tritt die nach Süden gerichtete Verschiebung während der polaren Schwingungs- phase im Tertiär schon paläontologisch hervor, denn die Gattung erscheint zuerst im Eozän von Paris und dann im Miozän von Piemont. Es ist hier nicht der Ort, den Gegenstand weiter zu ver- folgen ; es fehlt keineswegs an Beispielen von anderen Molluskenklassen des Meeres. Nur darauf wollte ich hinweisen, daß eine so sorgfältige und gewissenhafte Arbeit wie die vorliegende dem aufmerksamen Leser die vielseitigsten Argumente liefert für weittragende Schlüsse, je genauer, desto beweiskräftiger. Sie erlauben durchweg die Aus- breitungslinien von uns aus zu verfolgen während der geologischen Vergangenheit. Und dafür spricht noch ein merkwürdiger Umstand. Suter schließt die Geologie mit dem Pliozän ab, er kennt kein Pleistozän. Die gelegentliche Bezeichnung Post- pliozän besagt nichts weiter, als unser ,, subfossil". Daraus aber ist wohl zu folgern, daß das Pliozän Neuseelands etwa unserem Pleistozän entspricht, daß wirs mit einer geologischen Welle zu tun haben, die, von uns ausgehend, erst weit später Neuseeland erreichte. H. Simroth. 272 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. i; Anregungen und Antworten. Herrn Dr. O. Herr. — Die von D a h 1 konstruierte Laterne zum Nachtfange von Insekten wurde von ihm be- schrieben und abgebildet in den Sitzungsberichten naturfor- schender Freunde zu Berlin 1903, Sitzung vom 8. Dezember und in seiner bei Quelle & Meyer in Leipzig erschienenen Anleitung zu zoologischen Beobachtungen. Der Apparat be- steht aus einer vierfach geknickten Blechrinne. Von den vier inneren Pxken der Kinne gehen übereck gebogene doppelte Blechstreifen schräg nach oben und außen, so daß man vier trapezförmig geschnittene Glasscheiben einklemmen kann. Die Glasscheiben müssen frei an den Rand der Rinne herantreten und bestehen entweder aus Milchglas oder aus Fensterglas, das man innen mit weißem Seidenpapier beklebt. Derartige .Scheiben haben den Vorteil , daß man sie überall ersetzen kann. Das Glas soll deswegen nicht durchsichtig sein, weil es weniger auf die Intensität des Lichtes, als auf die Gröfle der leuchtenden Fläche ankommt. Die Lampe ist eine Tierfalle oder ein Selbstfänger. Um sie zu benützen, wird in die Blechrinne Alkohol gegossen und im Innern des von den Scheiben eingeschlossenen Raumes ein Petrolcumlicht angezündet. Die von der Lichti|uelle an- gelockten Insekten stoßen an die Scheiben , gleiten abwärts und fallen in den Alkohol. Wenn man den Alkohol mit den gefangenen Tieren beim Nachhausetragen nicht zu stark schüttelt, so kann man später alles bestimmen, auch die Klein- schmetterlinge. Man bringt das Material, das man trocken aufbewahren will, erst in absoluten Alkohol, dann in Äther und schließlich zum Trocknen auf Fließpapier. Die zarten Schuppen oder Haare ordnet man mit einem feinen Pinsel. Dr. F. Stell waag. Dr. F. B. Coruna (Spanien). Wegen der Bereitung vitaminhaltiger Speisen aus vitaminhaltigen Rohmaterialien (Ein unentbehrlicher Bestandteil unserer Nahrung, 14. Bd. d. Bl. Nr. 17, 26. April 1914), bitten Sie am besten um Auskunft Herrn Dr. Casimir Funk, Cancer Hospital Institute Fulham Road , London. Daß Wein Vitamin enthält, halte ich für ausgeschlossen. Sollte der Traubensaft solches enthalten, würde die labile Verbindung wohl beim Gärungsprozeß zer- fallen. Kathariner. R. H., Buchau (Böhmen). Über die Rolle, welche die innere Sekretion im menschlichen Stoffwechsel spielt, finden Sie Näheres in Biedl, Innere Sekretion, 2. Aufl., 1912. Kathariner. Als Nachtrag zu dem in Nr. 14 enthaltenen Aufsatz „Geschichtlich-astronomische Studien über die Dämmerung" möchte ich noch den Beitrag zur ,, falschen Dämmerung" an- fügen, den der Physiker und Orientalist Eilhard Wiede- mann (Erlangen) neulich in der Zeitschrift ,, Der Islam", 1912, S. 195 lieferte. Ich gebe die Stelle wörtlich wieder, da die wenigsten Leser der ,,Naturwiss. Wochenschrift" den ,, Islam" werden bequem einsehen können. Sie lautet: ,,Über al Subli al Kädib (die falsche Dämmerung.) Cber die Bedeutung von al Subh al Kädib, die der wah- ren Dämmerung (Subh al Sädiq) vorausgeht, sind verschiedene Vermutungen aufgestellt worden; sie könnte die durch dop- pelte Ketle.\ion hervorgerufene 2. Dämmerung sein (vgl. E. Wiedemann, Beiträge zur Geschichte der Naturwissen- schaften, II, S. 334), oder aber, was wahrscheinlicher ist, das Zodiakallicht , so nach J. B. Messerschmitt (Kosmos, 8. Bd., 191 1, S. 418). Eine sichere Entscheidung darüber, was die alten Araber darunter verstanden haben, kann nur auf Grund entsprechender Beschreibungen gefällt werden. Eine solche, und zwar eine ganz meisterhafte, gibt .\ 1 - B i r 11 n i in seinem KitAb al Tafhim usw. Die Stelle lautet: ,Was ist al P'agr und was al Schafa<]? Die Nacht be- steht in Wahrheit darin, daß wir uns in der Dunkelheit des Erdschattens befinden. Nähert sich die Sonne uns , während sie noch unsichtbar ist, so bemerken wir ihren Glanz, der den Schatten umgibt, es ist al Fagr im Osten , eine Vorhut vor der Sonne, und al Schafaq im Westen, die Nachhut ihrer Strahlen hinter ihr. Im Osten erhebt sich nach dem Morgen- grauen (Saliar) eine längliche weiße Stelle , die nach oben zu schwächer wird, sie heißt al Subh al Kädib; auf sie beziehen sich keine Vorschriften im göttlichen Gesetz; sie gleicht dem Schwanz des Wolfes in bezug auf Längsersireckung und die Art der Verschmalerung und dann wie sie emporsteht. Sie bleibt eine Zeitlang, dann folgt ihr al Subh, der quer dazu gestellt, und über den ganzen Horizont ausgebreitet ist; al Subh bestimmt das Fasten und das Gebet ist von ihm ab- hängig. Hierauf wird der Horizont rot, weil die Sonne sich nähert und ihre Lichter sich über die Trübungen, die sich nahe der Erde befinden, ausbreiten. Ihnen folgt der Sonnen- aufgang. Beim Sonnenuntergang verhält sich die Sache gerade umgekehrt wie in der eben geschilderten Reihenfolge. Der Horizont bleibt nach Sonnenuntergang rot. Dann hört die Röte auf, und es bleibt die weiße Färbung, welche al Fagr entspricht. Durch sie und die Röte ist das Gebet des 'Ascha bestimmt. Ist diese quer gelagerte weiße Färbung verschwun- den, so bleibt die längliche, die ebenso wie .Subh al Kadib aufgerichtet ist, während eines Teiles der Nacht übrig. Die Inder nennen in ihrer Sprache al Fagr und al Schafaq ,,Sanud" (indisch Samdhi, vgl. A 1 - B i r ü n i s India, ed. v. E. Sachau, Übers. Bd. 1, S. 364) und zählen sie weder zur Nacht noch zum Tag. Manche von ihnen halten sie für ein Mittelding zwischen ihnen und nennen Sanud die beiden Zeiten, in denen der Mittelpunkt der Sonne sich im Horizont befindet.' Aus dieser Stelle folgt, wie mir Kenner der Himmels- erscheinungen im (Orient mitteilen, mit Sicherheit, daß Subh al Kadib das Zodiakallicht ist, das Al-Birüni in Gazna in Indien zu beobachten, reichlich Gelegenheit hatte. (Dr. M. Meyerhof, Prof. Schweinfurth und Dowson, Leiter des Survey Departements in Kairo.) Herr Prof. Dr. Heß hat mir auch mitteilen lassen , daß die zentralarabischen Be- duinen das Zodiakallicht Amüd al Subh = Säule der Dämme- rung nennen. Leider gibt uns Al-Birüni keine Erklärung für die Entstehung des Zodiakallichtes. Aus einer kurzen Notiz in dem Kode.\ Nr. 1043 des India Office erfahren wir, daß die Ansichten der Gelehrten über seine Ursache verschieden waren; der Verfasser der betreffenden Stelle führt sie auf Reflexionen im Dunstkreis zurück. Leider fehlt die Figur in dem für sie frei gelassenen Raum, so daß sich der Gedankengang zunächst nicht genau feststellen läßt. Gelegentlich hoffe ich auf die Frage zurückzukommen." Schoy, Bezüglich der Roßhaare in Hübnereiern vermag ich Ihnen die Aufklärung zu geben. Im ,,Fppanerhof" bei Bozen be- fand sich jedenfalls solch ein Spaßvogel, wie ich selbst einer in meiner Jugend war, der mehrfach Roßhaare in Hühnereier hineinpraktiziert hat und sich dann an den erstaunten Ge- sichtern der Eierverzehrcr weidete. Es ist das ein in früheren Zeiten hier in Norddeutschland weit bekannter Scherz, der sich leicht ausführen läßt. Mit einer feinen Nähnadel wird ein winziges Loch in die Schale des frischen Eies gestoßen und das Roßhaar hineingefädclt. Beim Kochen schließt sich das kaum sichtbare Loch sofort durch das Gerinnen des Eiweiß, CS dringt nicht das Geringste heraus. Die Eintritts- stelle ist oftmals auch bei schärfster Untersuchung nicht wiederzufinden. Eine andere Möglichkeit ist nach meiner Überzeugung ausgeschlossen. Buttel-Reepen. Inhalt: Kathariner: Zur Frage der Gcschlechtsbestimmung bei der Honigbiene (mit I Abbildung). Frey: Beziehungen der Gletscherzunge zur Umgebung (mit 2 Abbildungen). Schulz: Über neue Funde von Getreideresten aus prähisto- rischer Zeit in den tliüringisch-sächsischen Ländern. — Bücherbesprechungen: Sutor: Manual of Ihe New Zealand Mollusca. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstrafle 11 a, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Folge 14. Band; zeii Reihe 30. Band. Sonntag, den 2. Mai 1915. Nummer 18. Der Farbensinn und Formensinn der Biene. Von A. Kühn, Freiburg i. Br. [Nachdruck verboten.] Mit 6 Textfiguren. Vor einiger Zeit hat in dieser Zeitschrift Die Methodik der Versuche geht von folgen- Stellwaag über „neuere Untersuchungen über der Überlegung aus: Ist ein Tier total farbenblind, den Farbensinn der Insekten" ') berichtet. Er so sieht es eine Farbe, z. B. ein bestimmtes Blau, hob, besonders auf Grund der Untersuchungen genau so wie ein Grau von bestimmter Hellio-- von L. V. Dobkiewicz, K. v. Frisch und keit. In einer Serie grauer Töne, welche in hin- C. V. Heß die scharfen Gegensätze hervor, die reichend feiner Abstufung von Weiß bis zu heute in der Beurteilung der Frage herrschen, ob Schwarz führt, muß also ein Grau enthalten sein, den Insekten ein F'arbensinn zukonmit oder nicht. das für das Tier mit dem Blau identisch ist. Seitdem sind zwei neue wichtige Verofifent- Wenn man ihm nun ein blaues Blatt in einer lichungen v. Frisch 's über den Farbensinn der solchen Serie grauer Blätter von gleicher Form Bienen erschienen. Die eine Arbeit -) ist eine und Oberflächenbeschaffenheit vorlegt, so kann es ausführliche Darstellung seiner sämtlichen Ver- das blaue Blatt nicht mit Sicherheit herausfinden, suche und .Schlüsse mit zahlreichen photographi- es muß es mindestens mit einem der grauen sehen Aufnahmen und umfangreichen Versuchs- Blätter verwechseln. Man muß nur das Tier ver- protokollen; die andere Mitteilung'') ist zwar nur anlassen, nach der gewünschten P'arbc zu suchen, ein kurzer Vortrag, den v. Frisch vor der Ver- und dies geschieht am einfachsten durch Dressur Sammlung der Deutschen Zoologischen Gesell- mit Hilfe von Futter. Schaft anläßlich der Vorführung seiner Versuche Die Versuchsanordnung v. F'risch's ver- gehalten hat, ist aber wichtig dadurch, daß bei anschaulicht Fig. i.') Eine Serie von Graupapieren, dieser Gelegenheit eine große Zahl deutscher die in 30 (bei späteren Versuchen 15) gleich- Zoologen, unter ihnen auch der Verfasser dieser mäßigen Abstufungen von Schwarz bis Weiß Zeilen, die 1 lauptversuche v. Frisch 's durch führt, wurde in beliebiger Reihenfolge auf einem eigene Erfahrung kennen lernen konnte und sich Tisch befestigt und an einer beliebigen Stelle von ihrem sicheren und eindeutigen Ausfall über- darin ein farbiges Papier, z. B. ein bestimmtes zeugte. Blau, eingelegt. Auf jedem Blatt stand ein Uhr- Es ist V. F"risch gelungen, nicht nur ein- schälchen mit flachem Boden. Zur Dressur wurde wandfrei festzustellen, daß die Bienen in der Tat das Schälchen auf dem blauen Papier mit Honig Farbensinn besitzen, sondern auch über die Be- gefüllt, die anderen blieben leer. Sobald die schaffenheit dieses I<"arbensinnes Aufschluß zu geben. Bienen den Honig entdeckt hatten, besuchten sie Daß sich Insekten unter entsprechenden Be- ihn in wachsender Zahl. Von '/-j z" '/■• Stunde dingungen an gewisse Farben gewöhnen, auf sie wurde das leergetrunkene Schälchen anfänglich „dressieren" lassen, ging schon aus Versuchen von mit Honig, später mit Zuckerwasser aufgefüllt. Lubbock, Forel, V. Dobkiewicz u. a. hervor. Bald verkehrte bei dem Futterschälchen eine an- Es galt aber mit Sicherheit zu entscheiden, ob nähernd gleichbleibende Zahl von Bienen, die in diesem h'arbenunterscheidungsvermögen ein „Far- der überwiegenden Mehrheit aus denselben stets bensinn" zugrunde liegt, oder ob die Insekten wiederkehrenden Bienen bestand, wie man sich total farbenblind sind, wie v. Heß glaubte nach- durch Markieren (Betupfen des Thoraxrückens mit gewiesen zu haben, und die Farben nur nach Ölfarbe) überzeugen konnte. Um die Dressur ihrem farblosen Helligkeitswert unterscheiden, wie auf einen bestimmten Ort zu vermeiden, wurde ein total farbenblinder Mensch. Im letzteren die Lage des Farbpapiers in der Grauserie häufig Falle wäre die alte Lehre von Sprengel, daß geändert. Trotzdem flogen die Bienen nach die Blumenfarben ,,um der Insekten willen" da kurzer Dressurzeit ohne Zögern immer nach dem seien, insofern nicht zutreftend, als nicht ihre Farbpapier. Farben, sondern höchstens ihre Helligkeiten von Nachdem etwa i Tag lang dressiert worden jenen als Merkzeichen benützt werden könnten. war, begannen die Versuche. Vor jedem Ver- such wird ein neues, noch ganz reines Farb- ') Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 13, 1914. blatt an einer neuen Stelle der Grauserie einge- 2) K. V. Frisch, Der Farbensinn und Formensinn der {(ja-t und das alte durch ein graueS Papier ersetzt. n"phvJoi\a1rRf t' l^T'^Z' f p 'Vl^'^'r ^'°''?^''" Zunächst werden alle Uhrschälchen leer gelassen: u. Physiologie, Bd. 35, 1914, und als Buch bei G. hischer, ,.,->• 1 ■• • 1 r . 1 1 n • Jena, Preis 13 Mk. die Bienen drangen sich auf dem blauen rapier ') K. V. Frisch, Demonstration von Versuchen zum Nachweis des Farbensinnes bei angeblich total farbenblinden M Die .Abbildungen sind alle dem Buche v. Frisch 's Tieren, in: Verhandl. d. deutsch, zoolog. Gesellschaft 191 4. entnommen. 274 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. i8 um das leere Schälchen und besuchen keines der grauen Papiere. Ja man kann sogar sämtUche Uhrschälchen mit Zuckerwasser füllen und nur das auf dem blauen Papier leer lassen : scharen- weise stürzen sich die Bienen auf das leere Schälchen und lassen die gefüllten Schälchen in l'if;. I. Bienenansammlung auf dem blauen Pa nächster Nähe ganz unbeachtet. Allerdings, wenn man auf alle Felder den stark duftenden Honig bringt, dann lockt der Geruchsinn die Bienen auch auf andere Felder; da v. Meß nur gerade diese Versuchsanordnung gewählt hat , ist das völlige Mißlingen seiner Dressurversuche erklär- lich. Auch wenn v. lyrisch von allen Papieren die Schälchen entfernte, ließen sich die Bienen durch diese X'eränderung nicht stören, und flogen vvciter zu dem blauen Blatt. Die Bienen waren somit tatsächlich auf eine Eigenschaft des farbigen Blattes dressiert, v. Frisch prüft eingehend die Einwände, die man nun doch noch dagegen er- heben könnte, daß es die Farbe des Blattes ist, welche den Bienen als Merkzeichen für die Fund- stelle der Nahrung eingeprägt wurde. Zunächst könnte irgendeine besondere, wenn auch für unser Auge nicht wahrnehmbare Oberflächen- bcschaffenheit des I'arbpapiers den Bienen auf- fallen. Man kann nun aber die Oberflächen- beschaffenheit des Farbblattes ändern, z. B. durch I'lrnissen, ohne daß das Versuchsergebnis anders würde; und man kann auch einem Graupapier in der Serie die gleiche glänzende Oberfläche wie dem Farbpapier geben, es wird trotzdem nur dieses beachtet. — Die Dressur könnte aber viel- leicht auf einen für uns nicht wahrnehmbaren Geruch de^ h'arbpapiers erfolgt sein, ein Einwand, der tatsächlich von v. ließ erhoben wurde. Um diesen lunwand auszuschalten, deckte v. P'risch eine große Glasplatte über sämtliche Papiere (Fig. 2) und stellte auf diese, den darunterliegen- den Papieren entsprechend, reine leere Uhr- schälchen. Ohne sich durch den ungewohnten Anblick der Glasplatte schrecken zu lassen, bildeten die Bienen alsbald einen Klumpen auf der Stelle der Glasplatte, unter der das Dressurpapier lag. Mit dieser Versuchsaiiord- nung ließ sich auch leicht zeigen, daß die anfliegenden Bienen sich nicht etwa nur nach der bereits vorhandenen Bieneiiansammlung richten und ein Klumpen da ent- steht, wo sich einmal eine erste Biene niedergelassen hat: Die Glasplatte mit dem über dem Dressurpapier befindlichen Bienen- klumpen wurde so verschoben daß die Bienenanhäufung mitten auf ein beliebiges graues Feld ge- riet. Binnen ' ^ bis Y: Minute bildete sich auf dem Blau ein neuer Bienenklumpen, und der alte auf Grau versetzte erhielt nicht nur keinen weiteren Zuzug, sondern löste sich in kurzer Zeit völlig auf. Der X'ersuch ließ sich beliebig oft wiederholen, stets erhielt man dasselbe PIrgebnis, auch wenn man die Bienen auf ein Grau versetzte, das dem total farbenblinden Menschen genau jleich erschien wie das Blau. Fig. 2. iliencnansamnilung auf der (ilasplalte über dem blauen Pajiier, Auch wenn die Grau- und F"arbpapicre in Glasröhren eingeschmolzen waren, wie das bei einer weiteren Versuchsreihe v. Frisch 's der N. F. XIV. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Fall war, wurde die Versuchsfarbe gleich sicher aufgefunden. Somit ist als bewiesen anzusehen, daß die Dressur tatsächlich auf einem optischen Unter- scheidungsvermögen zwischen dem farbigen und den verwendeten grauen Papieren beruht. Immer- hin kiinnte man noch einen Einwand dagegen er- heben, daß die Bienen das blaue Papier als Farb- qualität, unabhängig von seiner 1 lelligkeit, aus der Zahl der Graupapiere herauskeiinen : Die Bienen könnten ein viel feineres Vermögen der Hellig- keitsunterscheidung haben als der Mensch. Wenn auch für das menschliche Auge die Grauserie aus 30 Stücken (Fig. 3) in kaum unterscheidbaren Abstufungen von Weiß bis Schwarz führt und das farbige Blatt für den völlig farbenblinden Menschen mit einem der grauen Blätter iden- tisch ist, so könnte doch für das mit einem feineren Hellig- keitssinn ausgestattete Bienen- äuge noch ein Untei schied vor- handen sein und in allen bis- herigen Versuchen die „Dressur- farbe" doch am farblosen Hellig- keitswert erkannt worden sein. Sollte das der Fall sein, so müßten sich die Bienen mit der gleichen .Sicherheit wie auf eine Farbe auch auf ein Grau von bestimmter Helligkeit dres- sieren lassen. Das ist aber nicht der Fall! v. Frisch 's Versuch , die Bienen auf ein ,,(Trau von mittlerer Helligkeit" zu dressieren, mißlang vollständig. Die Bienen konn- ten noch nach 9 Tagen das Dressurgrau, wenn sein Ort in der Serie verändert war, nicht herausfinden. Ziellos schwärmten die Bienen über der Grauserie hin und her und ließen sich wahllos auf den ver- schiedensten Feldern nieder. Nicht einmal eine Bevorzugung der mittelgrauen Papiere vor den ganz heilen und ganz dunkeln war festzustellen. Durch Dressur auf die Helligkeitsextreme, auf Schwarz und Weiß, konnte v. Frisch nur er- reichen, daß die Bienen nach Schwarzdressur die dunkeln Papiere der Grauserie, nach Weißdressur die hellen Papiere bevorzugten, ohne aber mit Sicherheit das Dressurpapier aufzufinden. Daraus ergibt sich nun mit Gewißheit, daß die Dressur der Bienen auf eine P'arbe nicht als Dressur auf eine scharf unterschiedene Helligkeitsstufe aufge- faßt werden kann, sondern auf einer spezifischen Erregung durch die P'arbe, unabhängig von dem farblosen Helligkeitswert, beruhen muß. Die Bienen besitzen somit einen Farbensinn. V. Frisch 's weitere Versuche geben Auf- schluß über die Beschaffenheit des P'arbensinnes der Biene. Eine Dressur auf reines Rot gelingt nicht : die Bienen umschwärmen gleichmäßig das rote und die dunkelsten Papiere der Grauserie. Rot und Schwarz muß also für das Bienenauge sehr ähnlich oder gleich erscheinen. Ebenso miß- lingt der Versuch, die Bienen auf Blaugrün zu dressieren : die Bienen zeigen dasselbe Verhalten wie nach der Dressur auf ein Grau von mittlerer Ilelligkeit ; sie schwärmten planlos über dem Ver- suchstisch und ließen sich auf den verschiedensten Graupapieren nieder. Daraus geht hervor, daß die blaugrünen Töne des Spektrums den Bienen farblos, wie Grau, erscheinen. Das für das normal farbentüchtige Menschenauge in seinem Verlauf von Rot bis Violett zusammenhängende Farben- band wird also für die Bienen durch einen farb- losen Bezirk in zwei Gebiete zerlegt, die den sog. „warmen" und „kalten" Farben entsprechen, und ist aul3erdem an seinem roten Ende verkürzt, Fig. 3. Anordnung der Graupapiere nach der Ilelligkeitsabstufung ; Bienenansammlung auf dem eingelegten blauen Papier. d. h. es geht früher als für unser Auge in farb- lose Dunkelheit über. Über die Art, wie die Töne des warmen und kalten Farbengebietes von den Bienen gesehen werden, geben folgende ,, Verwechslungsversuche" V. Frisch's Aufschluß. In ihnen wurde den auf eine bestimmte Farbe dressierten Bienen die gesamte Farbenserie, teils mit grauen Papieren untermischt, teils allein vorgelegt. Bienen, die auf Gelb dressiert waren, besuchten die Dressur- farbe am stärksten , daneben auch diejenigen E'arben, die für unser Auge dem Dressurgelb ähn- lich sind. Sehr eigenartige Ergebnisse hatten die Dressurversuche auf Töne, die sich innerhalb des langwelligen Farbbezirks dem Rot oder Grün näherten : Bienen, die auf Orangerot und ebenso solche, die auf Gelbgrün, Grasgrün oder Blattgrün dressiert waren . besuchten die Dressurfarbe schwächer als die gelben Papiere. Daraus ist zu schließen, daß alle Farben von Rot bis Grün für das Bienenauge nicht wesentlich verschieden sind. Nur durch Helligkeit und Sättigung werden sie sich voneinander unterscheiden : mit der An- näherung an Rot werden sie dunkler, mit An- näherung an Grün ungesättigter und schließlich bei Blaugrün grau. Wenn nun den Bienen ein Durcheinander von bunten Papieren vorgelegt 2 76 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. i8 wird, so suchen sie dasjenige Feld am meisten auf, das die Dressurfarbe am intensivsten zeigt; die auf Orangerot i^= dunkles Gelb) und die auf Grün (= ungesättigtes Gelb) dressierten Bienen werden durch das reine Gelb stärker angezogen als durch das Dressurpa])ier. Ein eigentümliches Verhalten zeigen auch die auf Blau dressierten Bienen, wenn man ihnen die Gesamtheit der bunten Papiere vorlegt: sie suchen ebenso wie die blauen auch die Purpurtöne auf. Das wird l'ig- 4. üiMä. Fig. 5 b. dadurch erklärt, daß das Bienenauge für reines Rot unempfindlicii ist. So werden von den roten und blauen Strahlen, die das purpurrote Pa])ier zurückwirft, nur die letzteren wirksam. Aus dieser \'ersuchsreihe ergibt sich, daß die Bienen zwar „warme" und „kalte" P'arben mit Sicherheit unterscheiden, daß sie aber innerhalb dieser beiden Bezirke ein feineres Unterscheiduiigsverniiigen für Farbenabstufungen nicht besitzen. Das Verhalten der Bienen in diesen Versuchen erinnert durchaus an das P'arbenunterscheidungs- vermögen „rotgrünblinder" Menschen („Protanoper" v. Kries): .^uch hier ist das Spektrum am lang- welligen Ende verkürzt, ilunkelrote Gegenstände erscheinen wie schwarz; im Farbenband wird die Gegend des Blaugrün farblos grau gesehen, und nur eine warme und eine kalte Farbe entsprechen den übrigen Tönen des Spektrums; Purpur wird mit Blau verwechselt. V. Frisch hatte Gelegenheit, auch ■■^B selbst einem t)'pischen Protanopen die Ifür seine Bienenversuche verwandten h^arbenpapiere vorzulegen und die große Übereinstimmung in dem Farbensinn des Parbenblinden und dem Verhalten I seiner X'ersuchstiere festzustellen. Die Ergebnisse v. h" r i s c h ' s über die Beschaffenheit des Farbensinnes der Bienen sind sehr wichtig für die Be- urteilung der Beziehungen zwischen Blumenfarben und Insektenbesucli. Wenn sich die farbigen Blumen in Anpassung an den Insektenbesuch entwickelt haben, wie die alte Sprengei- sche Lehre annimmt , so muß man erwarten, daß ein Zusammenhang zwischen der Beschaffenheit des Farben- sinnes der Insekten und der Beschaffenheit der Blumen- farben besteht. Das ist nun in der Tat der P'all : Jene Farben, die von den Bienen nicht farbig gesehen werden, kommen in unserer Flora nicht oder nur äußerst selten vor. Es fehlen Blüten von der F"arbe des Blaugrün, das die Bienen mit Grau ver- wechseln; und der Mangel an rein roten Blüten ist den Botanikern schon längst in unserer h'Iora aufgefallen. Die Farbe der meisten un- serer „rotblühenden" Pflan- zen ist ein Purpurrot, das reichlich ]51au enthält. Und es ist festgestellt, daß gerade jene purpurroten Blüten, die verhältnismäßig arm an Blau sind, ausschließlich oder vor- wiegend von Schmetterlingen bestäubt werden. Bei den höchstorganisierten ,,Inimenblumen" herrschen, wie die Botaniker längst ohne Rücksicht auf den Farbensinn der Insekten festgestellt hatten, Blau und Purpur als Blüteiifarben auch vor Gelb stark vor. Das läßt sich damit in Zusammenhang bringen, daß sich Blau (und damit auch Purpur) für das Bienenauge von der P'arbe N. F. XIV. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 277 der Blätter (Grün = ungesättigtes Gelb!) am wirksamsten abheben muß. Auch die FarbenzAisammenstellung gewisser Blütenzeichnungen , die nach der Ansicht der Blütenbiologen als „Saftmale" den Ort andeuten, wo der Honig verborgen ist, nehmen auf die Be- schaffenheit des Farben- sinnes der Insekten Rück- sicht : Wie V. F r i s c h an vielen Beispielen aus botanischen Werken zeigt, finden sich in den Saft- malen fast durchweg Far- ben zusammengestellt, die sich nach den neu ge- wonnenen Erfahrungen für das Bienenauge deut- lich voneinander abheben. Bei den verschiedensten Blüten ist Gelb neben ^'- i' -''"^• Blau, Gelb neben Violett, Gelb neben Purpur, '^ Orange neben Blau — also iür das Bienenauge immer „Gelb" neben „Blau" gesetzt. Häufig hebt sich die Farbe von weißem, seltener von dunklem Grunde ab. Sehr selten kommt bei der Zusammenstellung nur ein Helligkeitsgegensatz für das Bienenauge heraus. Der nunmehr sicher erwiesene Farbensinn der Bienen wird ohne Zweifel sie in erster Linie beim Aufsuchen der Blüten in der Landschaft leiten. Doch genügt er nicht allein, um auch die „Blu- menstetigkeit" der best- angepaßlen Blütenbe- sucher zu erklären, die Erscheinung, daß in der Regel jedes Individuum bei seinen Ausflügen längere Zeit hindurch (stunden- und tagelang) nur Blüten der gleichen Art besucht. Da das Bienenauge rotgrünblind ist, und kein ünterschei- dungsvermögen für feinere Nr. 2, weiß. Nr. Farbenabstufungen be- sitzt, müssen zur Unter- scheidung der Blumen voneinander noch weitere Merkmale als die h^arbentune benützt werden. Als solche kommen Form und Zeichnung und ihr Duft in Betracht, v. Frisch berichtet in seinem Buche über eine .'\nzahl von Dressurversuchen mit bestimm- ten Formen und Farbenzusamnienstellungen in der Zeichnung. Die Formen, auf welche dressiert werden sollte, wurden auf die Vorderwand von Holzkästchen (Fig. 4,V) geheftet; ein Loch in der Mitte der Figur führte ins Innere des Kästchens. Nr. 4, blau. Fig. 6a. Nr. 5, gelb. Nr. 4, gelb. Fig 6 c. Nr. 5, 4 Kästchen wurden nebeneinander aufgestellt und im Innern der Dressurkästchen in einem Uhr- schälchen(Z) Zuckerwasser gefüttert. Hierbei wurde die .'\nordnung der Kästchen häufig gewechselt. E'ür die Prüfungsversuche wurden neue leere 278 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 18 Kästchen mit neuen Schablonen in vertauschter Anordnung aufgesteUt. Die Bienen lernten inner- halb eines Tages eine an eine Kompositenblüte erinnernde Strahlenform von einer „Enzianform" unterscheiden. .Sie eilten auf die mit der Dressur- form versehenen Löcher zu (Fig. 5 a), während die beiden anderen Kästchen wenig Beachtung fanden. v. Frisch dressierte ferner mit ver- schiedenen Schablonen, in denen Blau und Gelb zusammengestellt waren : Kreisscheiben aus einem blauen Ring innen und einem gelben Ring außen und umgekehrt, Scheiben, die in blaue und gelbe Sektoren eingeteilt waren (die Hälfte gelb und die Hälfte blau, 2 Viertel gelb und 2 Viertel blau, 4 Achtel gelb und 4 .'\chtel blau). Alle diese Formen wurden schon nach kurzer Dressur von- einander unterschieden; ja sogar lernten die Bienen überraschend schnell Scheiben, die hälftig links gelb und rechts blau waren von links blauen und rechts gelben unterscheiden (Fig. 5 b). Aus allen diesen Versuchen geht hervor, daß neben der Blumenfarbe auch die Blumenform, bei mehr- farbigen Blumen auch die Anordnung der Farben an der Blüte, vielleicht auch die Saftmale, von den Bienen als Merkzeichen beim Aufsuchen der Blüten verwendet werden können. Eigenartig ist, daß die Dressur auf I-'ormen mißlang, die den Bienen von Natur ganz fremd sind (geometrische Figuren). Auch bei der Heimkehr nach dem Stock be- nutzen die Bienen die Stockfarbe und die Farben- zusammenstellung der Stockumgebung als Merk- zeichen. V. Frisch 's Versuche hierüber werden durch Fig. 6 veranschaulicht. Stock Xr. 4 ist be- völkert (Fig. 6a), Stock Nr. 3 und 5 sind leer. Stock Nr. 4 ist mit blauen, Stock Nr. 5 mit gelben Schablonen auf Vorderwand und Anflugbrettchen versehen. Um die Farben vertauschen zu können, ohne die Schablonen miteinander zu verwechseln und da- durch etwa einen anhaftenden Bienengeruch zu übertragen, sind die blauen Schablonen auf der Rückseite gelb, die gelben auf der Rückseite blau gestrichen. Dreht man nun die Schablonen an Stock 4 und 5 um und vertauscht so die Farben, so zieht ein großer Teil der heimkehrenden Bienen in den leeren Stock Nr. 5 ein (Fig. 6 b). Ja die Bienen lassen sich sogar restlos in den falschen Stock locken, wenn die Lage des Stockes zu seiner näheren Umgebung gewahrt bleibt. Wenn man, ausgehend von der Lage in Fig. 6 a, die Schablonen an dem Stock 4 umdreht, so daß er nun gelb erscheint, und die Schablonen von Stock Nr. 5 entfernt und umgedreht (blau) am Stock Nr. 3 befestigt, stürzen sich alle heim- kehrenden Bienen (Fig. 6c) in den leeren Stock, der die Farbe des alten trägt und wie jener rechts neben sich einen gelben und links neben sich einen weißen Stock stehen hat. Sogar in fremde, bewohnte Stöcke lassen sich die Bienen, durch die Farbe verführt, locken, obwohl sie hier auf's feindlichste empfangen werden. Hier über- wiegen also die optischen Eindrücke bei den heimkehrenden Bienen alle anderen vom Stock ausgehenden Reize. Somit geht aus den Versuchen v. Frisch's hervor, daß die Verwertung der optischen Er- regungen, in erster Linie der Erregungen des Farbensinnes, für die Bienen von größter Bedeu- tung beim Auffinden der Nahrungsquellen und bei der Heimkehr zur Wohnstätte ist. Einzelberichte. Botanik. Was verursacht die Teleutosporen- bildung der Getreiderostpilze? Vielfach wird das Entstehen der Teleutosporen und das Ver- schwinden der Uredosporen bei den Getreide- rosten darauf zurückgeführt, daß klimatische Ein- flüsse auf den I^ilz einwirken. Hierfür scheint die Beobachtung zu sprechen, daß die Teleutosporen- bildung auf den Getreidefeldern meist in einer ganz bestimmten Jahreszeit gleichmäßig einsetzt. In dem gleichen Sinne wird auch die Erscheinung gedeutet, daß bestimmte Rostpilze in gewissen Klimaten überhaupt nicht zur Teleutobildung schreiten, sondern eine ständige Uredo-Existenz führen. Von anderer Seite wird nicht das Klima, sondern werden bestimmte Eigentümlichkeiten und Veränderungen der inneren Organisation des Pilzes zur Erklärung des Beginns der Teleuto- sporenbildung lierangezogen : Alter und Zahl der Üredogenerationen sowie vor allem Eintreten oder Nichteintreten des Wirtswechsels sollen es sein, die den Eintritt, Umfang und die sonstigen Ver- hältnisse der Teleutosporenbildung bedingen. Ganz abweichend ist die zuerst von P. Magnus vertretene Ansicht, daß in erster Linie das Ein- treten einer gewissen „Erschöpfung" der Nähr- pflanze das Aufhören der Uredobildung und den Beginn der Teleutobildung bestimme. Zu einer ähnlichen Anschauung ist jetzt Gustav Gaßner gelangt, aus dessen Darstellung auch die vor- stehenden Angaben entlehnt sind. Er stellte zur Lösung der Frage im La Plata-Gebiet während der Jahre 1907 — 1910 Aussaatversuche in der Weise an, daß die gleichen Getreidearten und Getreidesorten in regelmäßigen Zeitabständen von meist 2 — 3 Wochen zur Aussaat gelangten, so daß während des ganzen Jahres Getreidepflanzen verschiedener Entwicklungsstadien zu Rostbeobach- tungsversuchen zur Verfügung standen. Das sub- tropische Klima des La Plata-Gebietes begünstigt solche „kontinuierlichen" Versuche. Die Ergeb- nisse lehrten, daß die Wirkung des Klimas nicht oder doch nicht in der Hauptsache in einer direkten Einwirkung auf den Rostpilz besteht, sondern sich auf dem Umweg über die Nähr- N. F. XIV. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 279 pflanze, d. h. durch eine Beeinflussung der Entwicklung der Getreidepflanzen voll- zieht. Bei Puccinia triticina, die auf zwei deutschen Sommerweizensorten beobachtet wurde, ist der Beginn der Teleutobildung an das Ein- treten eines ganz bestimmten Entwicklungs- stadiums der Nährpflanze gebunden, nämlich an das Entwicklungsstadium kurz vor dem Hervor- schossen der Ähren. In derselben Weise ließ sich für Puccinia coronifera (auf Uruguayhafer) ein Zusammenhang zwischen dem Beginn der Teleuto- sporenbildung und dem durch das Ausschossen charakterisierten Entwicklungszustand der Nähr- pflanze feststellen; doch fällt hier der Beginn der Teleutobildung meist annähernd mit dem Zeit- punkt des Ausschossens zusammen. Komplizierter erwies sich das Verhalten der P. coronifera auf deutschen Hafersorten, doch ergab die genauere Betrachtung der Umstände, daß eine Ausnahme von der Regel : Einsetzen der Teleuto- sporenbildung bei Eintreten eines be- stimmten und stets gleichen l^ntwick- lungsstadiums der Nährpflanze nicht vorliegt. So erklärt sich die abwechselnd stärkere und schwächere oder ganz fehlende Teleutobildung im Wechsel der Jahreszeiten nicht durch eine direkte Beeinflussung der Rostpilze durch kli- matische Faktoren , sondern auf dem Umweg einer Beeinflussung der Entwicklung der Nähr- pflanze durch das Klima. Leitet man in ge- eigneter Weise das Schossen der Pflanzen im Winter ein, so kann man auch in dieser Jahres- zeit Teleutosporenbildung erzwingen. Auffällig ist der völlige Parallelismus zwischen der an der Pflanze von unten nach oben fortschreitenden Teleutobildung und der Biattentwicklung; er „zwingt zu der Annahme, daß der Piintritt der Teleutosporenbildung durch das Fortwandern der Assimilationsprodukte und sonstiger für die F"ruchtbildung der Nährpflanze wichtigen Stoffe bedingt wird, also, um den von P. Magnus ge- wählten Ausdruck zu gebrauchen, an eine Er- schöpfung der Nährpflanze gebunden ist." Die Teleutobildung von Puccinia graminis (auf Gerste, Hafer und Weizen) beginnt erst in einem späteren Entwicklungsstadium der Nährpflanze als diejenige von Puccinia coronifera und P. triticina; diese Rostart erfordert also zum Eintreten in die Teleutobildung ein ungleich weiter vorgeschrittenes Erschöpfungsstadium der I'flanzenteile als die bei den anderen Arten. Bei allen dreien aber macht das etwa gleichzeitig mit der Teleutobildung oder kurz danach beginnende Vergilben der befallenen I'flanzenteile den Erschöpfungszustand ohne weiteres kenntlich. Puccinia Maydis (auf Mais) weicht in mehreren Beziehungen von den bisher betrachteten Rostarten ab; doch ist auch hier die Teleuto- bildung an einen bestimmten Entwicklungszustand der Nährpflanze gebunden; sie setzt annähernd mit der Blüte oder kurz nach der Blüte der Maispflanzen ein. Die von Gaßner im La Plata- Gebiet angestellten Beobachtungen wurden von 1910 — 1914 in Deutschland fortgesetzt. Das Er- gebnis entsprach durchaus den in Südamerika festgestellten Tatsachen; für eine große Zahl von Puccinia-Arten wurde der Zusammenhang der Teleutobildung mit dem Entwicklungszustand der Pflanze nachgewiesen. Das gleiche ergab sich auch für andere Rostpilzgattungen (Uromyces, Phragmidium, Melampsora, Ravenelia). Somit dürfte es sich hier um eine allgemeine Erschei- nung handeln. l)ie von einigen Beobachtern beliauptete direkte Einwirkung des Klimas auf die Sporen- bildung ist nach den Darlegungen des Verf nicht erwiesen. Auch die hier und da vorkommende vollständige Unterdrückung der Teleutosporen- bildung kann nicht auf Klimawirkungen zurück- geführt werden. Uromyces fabae, die nach Lagerheim in Ecuador unter Unterdrückung der Teleutobildung (wobei dem Einflüsse des Klimas eine wesentliche Rolle zugeschrieben wird), zu einer isolierten Uredo geworden sein soll, bildete in La Plata Teleutosporen, aber erst in einem sehr späten Entwicklungsstadium. Da die Nährpflanze, Vicia faba, im La PlataGebiet (wahr- scheinlich wohl auch in Ecuador) meist zu Ge- müsezwecken angebaut wird, so gehören Felder mit älteren Pflanzen zu den Ausnahmen. Bei spät gesäten Pflanzen trat zudem ein vorzeitiges Vertrocknen der Blätter ein. So wird das Aus- bleiben der Teleutobildung in diesen F"ällen erklär- lich. Daß, wie Plowright annimmt, die Te- leutobildung bei Rostpilzen durch eintretenden Wirtswechsel beschleunigt, durch längere Uredo- dauer abgeschwächt wird, bezweifelt Verf. Im übrigen hebt Gaßner hervor, daß der besondere Entwicklungszustand, der nach seinen Beobach- tungen die Teleutobildung bedingt, nicht immer ein „Erschöpfungsstadium" zu sein braucht. Bei Puccinia Maydis z. B. tritt sie vielfach schon an noch völlig grünen Blättern ein, und bei Chryso- myxa Rhododendri und C. Ledi erscheinen die Teleutosporen auf den wintergrünen Blättern nicht im Herbst, sondern im Frühling. Indessen stehen auch diese F'älle nicht im Widerspruch mit der Behauptung, daß die Teleutobildung an ein be- stimmtes Entwicklungsstadium, an das Eintreten bestimmter Stoffwechselvorgänge in der Nähr- pflanze geknüpft ist. Auch bei anderen noch der Erklärung harrenden Erscheinungen muß nach Gaßner 's Ansicht vor allem der Zustand der Nährpflanze in Betracht gezogen werden. Wenn z. B. unter bestimmten klimatischen Verhältnissen, nämlich bei starker Verkürzung der Vegetations- periode (Alpenregion) die Uredobildung ganz aus- fällt, so könnte der Rostpilz ganz unverändert, die Uredobildung nur latent sein (wie z. B. bei LIromyces fabae die Teleutobildung latent sein kann), während die Nährpflanze vielleicht so ver- ändert ist, daß der für die Uredobildung not- wendige Entwicklungszustand nicht oder zu schnell durchlaufen wird und Lh'edosporen daher nicht Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. iS gebildet werden können (Zeitschrift für Botanik, Jahrg. 7, 1915, H. 2, S. 59" 120). 1-. Moewes. Chemie. Die optische Aktivität der Erdöle, üie Tatsache, daß in der Natur ausschließlich optisch-aktive Erdöle vorkommen, bildet eine I lauptstütze der Theorie, nach der das Erdöl organischer Herkunft ist. Da sich in der Literatur über die optische Aktivität des Petroleums ver- schiedene widersprechende Angaben finden, weisen C. Engler und W. Steinkopf in den Berichten der D. Chem. Ges. (47, 3358) auf die Vorsichts- maßregeln hin, die bei der Untersuchung von Erdölen auf ihre optische Aktivität einzuhalten sind. Es ist vor allem nötig, die Erdöle in eine möglichst große Zahl von Einzelfraktionen zu zerlegen. Das Optimum der Aktivität läßt sich oft erst dann erkennen, wenn das Ol in 30 und mehr hVaktionen zerlegt wird und alle Fraktionen noch weiteren Rektifikationen unterworfen werden. Daß die Aktivität fast aller h^rdule langsam sich immer mehr einem stets annähernd in denselben Siedegrenzen liegenden Höchstwert nähert und nach Erreichung dieses Höchstwertes wieder fällt, deutet darauf hin, daß die optisch aktiven Teile des Erdöls in der Hauptsache Zersetzungsprodukte des Cholesterins sind, da auch diese ein in fast den gleichen Siedegrenzen liegendes Aktivitäts- maximum besitzen. Von Einfluß auf die Akti- vität sind die bei der Destillation der Rohöle etwa eintretenden Zersetzungen, die davon her- rühren, daß die Erdöle unter höherem Drucke nicht unzersetzt flüchtig sind. Zur Vermeidung von Zersetzungen muß daher im Vakuum und unter Verwendung von geeigneten Luftbädern destilliert werden. Alle Erdöle, die von Engler auf diese Weise sorgfältig untersucht wurden, er- wiesen sich ah optisch aktiv. Daß trotzdem Erd- öle vorkommen können, die kein nachweisbares Drehungsvermögen zeigen, hält Engler nicht für ausgeschlossen. Denn da bekanntermaßen die optisch aktiven Substanzen beim Erhitzen durch Razemisierung oder durch volle Desaktivierung ihr Drehungsvermögen verlieren können, so ist es wohl möglich, daß derselbe Vorgang sich in sehr langen Zeiträumen auch bei niederer Temperatur abspieU. Bugge. Über die Reaktion zwischen Kohlenoxyd und Eisen. ') Werden Eisen und Kohlenoxyd zusam- mengebracht, so entsteht Eisenpentakarbonyl und zwar verläuft die Reaktion schon bei Zimmer- temperatur mit meßbarer Geschwindigkeit, wäh- rend Dissoziation erst bei höheren Temperaturen auftritt. Aus 5 Molekülen Kohlenoxyd entsteht I Molekül T(CO).-,. Leitet man nun Eisenkarbonyl enthaltendes Kohlenoxyd durch ein erhitztes Gas- rohr, so zersetzt sich das Karbonyl und Eisen setzt sich in Form eines Spiegels auf das Rohr ab, welcher aus nahezu reinem Eisen besteht (Qo — 95 "'ij) bei 270 — 300". Man nimmt an, daß das anfangs adsorbierte Kohlenoxyd sofort mit dem Eisen reagiert unter Bildung von Eisen- karbonyl, welches selbst durch das Eisen adsor- biert bleibt und nun das Zutreten des Kohlen- oxyds zum Eisen verhindert. Das Produkt zeigt erst eine Zu- und später eine Abnahme. Die Oberfläche des Eisens besteht aus vielen kleinen Teilchen (von 0,1 — 0,01 mm Durchmesser), an deren Berührungsstellen eine Schicht einen großen Teil der Oberfläche der Wirkung des Kohlen- oxj-ds entzieht, wodurch wohl bei weiterem Fort- schreiten der Reaktion die .Abnahme des Produktes verursacht wird. Zugleich ist ein Teil des Kar- bonyls als Dampf anwesend und der Partialdruck des Kohlenoxyds wird demzufolge erniedrigt. Dieser Karbonyldampf ist aber nicht rein infolge gleichzeitiger Anwesenheit von Kohlenoxyd oder Wasserstoff. Es ist auch anzunehmen, daß festes Karbonyl und feste Lösung von Karbonyl in Eisen vorliegt. Während bei Temperaturen oberhalb 50" eine teilweise Zersetzung des Karbonyls ein- tritt, welche bei 100" schon nahezu vollständig ist, so daß hier bei gewöhnlichem Druck gar keine Reaktion zwischen Eisen und Kohlenoxyd mehr stattfindet, besteht bei niedrigen Temperaturen ein Gleichgewicht zwischen Eisen, Kohlenoxyd und gasförmigem Karbonyl. Die Verschiebung des Gleichgewichtes mit der Temperatur bewirkt, daß bei 100" und i Atmosphäre Druck die Re- aktion praktisch ganz aufhört und das Erreichen des wirklichen Gleichgewichtes äußerst schwierig ist. Dr. Bl. Flüssige Eisen-Kohlenstofflegierungen') ent- halten, kurz vor ihrer Erstarrung auf Graphit ge- sättigt, 4 "1, Kohlenstoff in Lösung. Dabei kann die Schmelze neben diesem gelösten Kohlenstoff noch beliebig viel suspendierten Graphit enthalten und ihr Gesamtkohlenstoffgehalt beliebig hoch sein. Erstarrt eine solche Schmelze, so bildet sich in der Regel das Zementiteutektikum, der sog. Ledeburit, welcher 4,2 " „ gebundenen Kohlen- stoff verlangt. Damit der Rest der Schmelze Ledeburit bilden kann, muß daher zunächst Auste- nit ausgeschieden werden, welches bei Behandlung mit flüssiger Luft Martensitnadeln bildet. In der Nähe von Graphitausscheidungen finden sich dann .-\ustenitdendrite vor. Bei nicht ganz rascher .Ab- schreckung zersetzt sich dieser Austenit während der .Abschreckung zu Osmondit und gibt die ver- schiedenartigsten .Atzfärbungen und Atzfiguren. Zum .Auftreten eines eutektischen Gefüges muß der eine Bestandteil mehr der andere weniger gelösten Stoff enthalten, als die mit dem Eutek- tikum im Gleichgewicht stehende Mutterlauge. Dr. Bl. ') Zeilschr. f. anorgan. L liemic 1914, Bd. 84, S. 56. ') Zeitschr. f. anorgan. Chemie 1914, Bd. S4, S. I — 23. N. F. XIV. Nr. iS Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 281 Über den Abbau der Holzsubstanz durch Pilze hat C. Wehmer in den Berichten der D. Chem. Ges. (48, 130 — 34 191 Sj) eine in- teressante Arbeit veröffentlicht. Er hat sich die Aufgabe gestellt, den bisher noch nicht sicher erkannten Chemismus der Wirkung des Haus- schwammes (Merulius lacrymans) auf die Sub- stanz des Holzes aufzuklären. Zu diesem Zwecke wurden die Zersetzungsprodiikte des Holzes, sog. morsches Holz, experimentell untersucht. Morsches Holz besteht nicht mehr aus Holzsubstanz, son- dern der Pilz wandelt den von ihm nicht ver- brauchten Teil des Holzes in Huminstoffe um, die teils wasser-, teils alkalilöslich sind; auch der zurückbleibende unlösliche Rest enthält mehr Kohlenstoff als Holz, sieht wie Torf aus und rötet, ebenso wie die löslichen Huminstoffe, blaues Lackmuspapier lebhaft. Auch andere Bauholz- zerstörer (Merulius Silvester, Coniophora cerebclla, Polyporus vaporarius usw.) führen die Holzmem- bran in gleicher Weise in llumuskörper über. Aus meruliuskrankem Fichtenholz konnten von Wehmer folgende stickstoffreie Substanzen isoliert werden: Humin I, ein braunschwarzer, glänzender Körper von der Zusammensetzung 40,42 7,, Kohlenstoff, 6,02"',, Wasserstoff, 47,45 ",'„ Sauerstoff; Humin II, ein kohleartiges, mattes, körniges Pulver von der Zusammensetzung 51,6"',, Kohlenstoff, 5,G"„ Wasserstoff, 42,83 " „ Sauerstoff; Humin III, braun- schwarze, glänzende, brüchige Stückchen, die im Gegensatz zu Humin I und II in Wasser unlös- lich sind (Zusammensetzung 6_|,io% Kohlenstoff, 7,95 "» Wasserstoff, 27,95 "„ Sauerstoff); ein un- löslicher Rückstand, der bei der Extraktion von Humin III mit verdünnter Sodalösung aus dem morschen Holz zurückbleibt und unter dem Mi- kroskop noch unveränderte 1 iolzstruktur zeigt (Zusammensetzung: 60,5 "/u Kohlenstoff, 9,35"/,, Wasserstoff, 30,14% Sauerstoff). Diese Humin- stoffe bilden also eine Reihe mit allmählich ab- nehmendem Sauerstoffgehalt und steigendem Kohlenstoftgehah. Welcher Bestandteil des Holzes zur Huminbildung beiträgt, ob neben Zellulose auch Lignin oder Holzgummi, konnte vorläufig noch nicht entschieden werden. Jedoch sind Ver- .suche im Gange (Kuhur des Pilzes auf reiner Zellulose), welche diese Frage beantworten sollen. Freie Säuren sind in pilzkrankem Holz nicht vor- handen; die saure Reaktion rührt ausschließlich von dem Gehalt an Huminen her. Folgende Übersicht veranschaulicht die Zer- setzung von Fichtenholz durch Merulius: 100 Teile Holzsubstanz (Kohlenstoff: 5i"/„) liefern: 1. 50 Teile Kohlensäure, Wasser (und Pilz- substanz), 2. 50 Teile morsche Substanz (Kohlenstoff: 56,8",,); davon sind: a) wasserlöslich 1 5 % = Humin I und II (Kohlen- stoffgehalt 46 — 51",',,); b) alkalilöslich 35",, = Humin III (64 ",j); c) unlöslich 50 "/^ (Kohlenstoff: 60%); Be- standteile: kohlenstoffreichere Substanzen, unver- änderte Holzsubstanz). Bun-o-e. Geographie. Seine Studien über Eis in und um Spitzbergen faßt M. R o b i t z s c h" in Peter^ mann's Mitt. 1914, H. 10 zusammen. — Während die Küsten des Nordostlandes nur selten frei von Packeis sind, sind die Eingänge der Buchten Westspitzbergens fast alljährlich vom Eise frei und bequem zu erreichen. Die normale Treibeis- grenze biegt von der Nordküste Spitzbergens aus nach SW um und verläuft dann, den o'^-Meridian in 76" N schneidend , wieder nördlich bis zur Südspitze Grönlands. Diese Eisverhältnisse sind durch die Meeresströmungen bedingt, während die Winde große Abweichungen hervorbringen können. Leichteres Scholleneis findet sich aber noch viel weiter südlich bis zum 73. Breitengrade. Das Gefrieren des Meer w assers be- ginnt in unmittelbarer Nähe des Landes durch Bildung von Eisnadeln in horizontaler Richtung. Beim weiteren Wachsen der Kristalle findet das Hauptwachstum in vertikaler Richtung statt. Eine Decke von 4 cm Stärke ist noch plastisch, sie schmiegt sich den Wellen langer Dünung an. Aber die Tragfähigkeit ist noch gering, sie be- ginnt erst bei 10 cm Dicke; die Kristalle hängen hierbei aber immer noch lose zusammen. Da das Meerwasser Salze enthält, wird die Salzsole beim Gefrieren abgeschieden, entweder lose ober- flächlich oder in Form von Tropfen im Eise. Eisbruch erfolgt nie unmittelbar an der Küste, sondern gewöhnlich im Innern flacher Lagunen längs der Küste. Die losgebrochenen Schollen treiben als Eisfelder in das offene Meer der Fjorde. Durch Zusammenfrieren entstehen geschlossene Eisdecken, deren Bildung eine ge- wisse Zeit beansprucht. Vor Mitte oder Ende Dezember ist eine solche nicht zu erwarten; hat sie sich einmal gebildet, so ist sie sehr dauerhaft. Die Buchten der Nordküste werden schon früh im Winter von Packeis blockiert ; sie sind deshalb nur kurze Zeit eisfrei. Während also, um die Verhältnisse der Seh röder-S tranz-Expe- dition zu erklären, die WijdeBai relativ früh passierbar ist, schließt sich der Eisfjord ziemlich spät, erst Mitte Dezember. Kapitän Ritscher hätte bis zu diesem Zeitpunkt bei Kap Petermann warten müssen. Beim Schmelzen des Eises, das im Laufe des Winters von Schnee bedeckt wurde, schmelzen zuerst die Schneeschichten. Das Schmelzwasser sammelt sich in der Mitte der Schollen; so ist eine schmelzende alte Eisdecke einem Aggregat von Wassertümpeln ähnlich, unter denen immer noch I — 2 m starkes Eis vorhanden sein kann. Die Meereisdecke selbst mit Stücken des an der Küste sich bildenden „Eisfußes" bildet Treibeis- felder, auf denen oft kleine runde streuseiförmige Gletscherkälber festfrieren. Der Eisfuß entsteht in der Nähe des Landes, indem sich durch Wind- richtung und Gezeitenströmung die Eismassen Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. i8 übereinander pressen. Er wird im Frühjahr von dem erwärmten Wasser unterspült und bricht schließlich ab. Das Packeis bildet sich ähnlich, aber inner- halb der Meeresstraßen oder auf offener See. Die Hispressungen können auch hier gewaltige Schollen- komplexe übereinander schieben. Im Polarbecken sind diese Erscheinungen am großartigsten aus- gebildet. Das Süßwassereis, das sich durch seine Durchsichtigkeit und blaue oder grüne P'arbe aus- zeichnet, entstammt meist den Gletschern. Beim Schmelzen treten die Gletscherkörner als rund- liche erhabene Gebilde von 3— lO cm Durch- messer hervor; es sind sphärisch angeordnete Kristallaggregate, deren Kittsubstanz leichter schmilzt. Untere Gnipahöhle aufSpit/berg (Aus: Petermann's Mitteilungen 1914, Öktobe Die Gletscher Spitzbergens können ganz er- hebliche „Kälber" produzieren. So bringt der Lilliehookgletscher, der selbst schwimmt, Kälber hervor, die schwimmend 15 m die Wasserober- fläche überragen. Er ist ein Gletscher mit senk- rechter Steil front, zum Unterschied von den Gletschern mit überhängender Steil front oder mit Trum mer fron t. Auch die Spalten zeigen bei diesen drei Modifikationen spezifische Unterschiede. Die schwimmenden Gletscher bil- den Spalten, die sich nach unten erweitern; die Gletscher mit überhängender .Steilfront solche, die sich nach unten verengern, während bei den letzt- erwähnten zwei zueinander senkrechte Spalten- systeme sich bilden. Auch tote Gletscher, die auf Land liegen, konnten in Spitzbergen konstatiert werden; ihre Sohle ist meist schwach geneigt, so daß sie eine geringe fortschreitende Bewegung besitzen. Auf ihnen bilden sich ausgedehnte Oberflächen- bäche, während sich bei stark fortschreitenden Gletschern Bachsysteme unter dem Plise bilden. Auch perennierende Schneewehen (sog. „Schnee- wehengletscher") traf Robitzsch in Spitzbergen an Stellen, die für die Ausbildung größerer Glet- scher ungünstig sind. Ihnen entströmen im I*"rüh- jahr Gletscherbäche, die, falls sie andere Schnee- wehengletscher treffen, zur Bildung von Eis- höhlen Veranlassung geben. In der Nähe des Hergesell-Observatoriums liegt eine solche Eis- höhle von 250 ni Länge und 6 m Höhe (s. Abb.). Sie wurde gemäß der ostgronländischen ebenfalls „Gnipahöhle" genannt und weist an ihrer Wan- dung eigentümliche (Juerrippen auf, die von der schwachen Wanderung des Eises herrühren. Die Wanderungsgeschwindigkeit im Innern des Glet- schers ist größer als am Talboden, da hier die Reibung hindernd wirkt. Die Beobachtung, daß an einer Biegung des Tunnels in der Mitte der Höhle die konvexe Seite Näherung, die kon- kave Entfernung der Ouer- ri[ipen zeigt, spricht dafür, daß die Rippenstruktur einen Gleich- gewichtszustand innerhalb der Eismasse infolge des seitlichen Druckes darstellt. ') Dr. G. Hornig. Geologie. „Über die Bil- dung dichter Kalke" berichtet W. Salomon in der Geolo- gischen Rundschau Band V, Heft 7, 1914, S. 478—480. Während früher Bischof die Ansicht vertreten hatte, daß °; ^ , die dichten Kalke wesentlich Heft. j \ u ■-] -1 aus den Ausscheidungen mikro- skopisch kleiner ( )rganismeii aufgebaut seien, erblickte später Sorby in ihnen den auf das feinste zerriebenen Detritus makroskopi- scher Hartgebilde von Tieren und Pflanzen. Letzterer Auffassung steht nun die Tatsache gegenüber, daß vielen Kalken der zu erwartende allmähliche Über- gang von gut erhaltenen makroskopischen Resten zur homogen erscheinenden „Kalkgrundmasse" fehlt. Vielfach sind vorzüglich erhaltene Schalen von Muscheln, Schnecken usw. in eine mikrosko- pisch allerfeinsle Kalkmasse eingebettet, während man nach Sorby annehmen sollte, daß besser erhaltene .Schalen zusammen mit einem Zerreibsei schlecht erhaltener Schalen vorkommen würden. Die Ansicht Sorb\-'s kam auch dadurch ins Pliot. M. Kobitzsch. Wanken, daß nicht selten eine melir oder weniger ') Die klimatischen Verhältnisse, aus denen sich die Ver- eisung Spitzbergens erklärt, sind erörtert in M. Robitzsch, Einige bemerkenswerte Registrierungen und Heobachtungen vom deutschen .Spitzbergen-Observatorium 1912 — 13. (Natur- wissensch. Wochenschr. Bd. 13, 1914, S. 513). N. F. XIV. Nr. iS Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 283 große Beteiligung mikroskopischer Organismen am Aufbau der Kalksteine festgestellt wurde. Voeltzkow's Untersuchungen an Rififkalken er- gaben eine recht beträchtliche Beteiligung von Coc- colithophoriden.') Es sind das marine Tiere von winziger Größe (4,3^32 /.i), deren mit 2 Chro- matophoren versehene Zellen in ihrer sehr feinen Schalenhaut nur wenige /« große Scheibchen aus kohlensaurem Kalk (Coccolithes) enthalten, die zwar sehr verschieden für das einzelne Individuum sein können, aber doch für die Arten charakte- ristisch sind (Discolithes,RhabdoIithes,Cyatholithes). Die Coccolithophoriden leben als assimilierende Organismen im Oberflächenplankton der wärmeren und gemäßigten Zone. Nach dem Tode fallen die Skeletteile auseinander und gelangen so in Meeresablagerungen aller Art, sowohl in Tiefsee- als auch in Seichtwasserbildungen. Mancher Globigerinenschlick besteht zu zwei Drittel dar- aus. Gesteinsbildend treten sie in tertiären Schichten und dann vor allem in der Schreibkreide (Senon) auf, von wo sie auch zuerst bekannt wurden. Gümbel hatte Coccolithen bis zum Kambrium zurückverfolgt. Vielfach werden neben den Coccolithen auch noch deren Zerfallsprodukte in den dichten Kalken vorkommen. Eine weitere Stütze erfährt die alte Bise ho f- sche Theorie durch die vor kurzem veröffentlichten Untersuchungen des nun bereits verstorbenen ame- rikanischen Forschers G. H. Drew, welcher im Meere denitrifizierende Bakterien in großer Menge nachweisen konnte. Durch ihren Lebensprozeß vermögen diese CaCOg aus den gelösten Ca-Salzen des Seewassers auszufällen. Westlich der Bahama- Inseln und in der Nachbarschaft einiger der Florida Keys konnte Drcw eine im großen Maßstabe sich vollziehende Kalkbildung durch diese Bakterien beobachten. Die von ihm näher untersuchte Art nennt er Bacterium calcis, doch hält er es für sehr wohl möglich, daß auch noch andere Bakterien im Meere die I'ähigkeit besitzen, Kalk auszuscheiden. Man ist dann wohl zu der Annahme be- rechtigt, eine bakterielle Kalkausscheidung auch in früheren Perioden der geologischen Vergangen- heit anzunehmen. In Meeren von niederer Tem- peratur dürfte diesen Bakterien eine viel geringere Bedeutung in der Kalkausscheidung zukommen, da sie hier ungünstigere Lebensbedingungen finden und darum seltener sind. Hinsichtlich der Ver- teilung und der Häufigkeit des Bacterium calcis in bezug auf die einzelnen Meerestiefen konnte Drew ermitteln, daß es am besten in den oberen warmen Wasserschichten gedeiht und von unge- fähr 300 Faden ab sehr rasch abnimmt. Schon bei 15" ist die Entwicklung langsam und bei lo" wird sie überhaupt eingestellt, so daß nur Trojicn- meere eigentlich in Betracht kommen. Wenngleich Drew 's Untersuchungen nur an wenigen Punkten ausgeführt sind, somit ihre volle Bedeutung für die Kalkausscheidung noch nicht klar ist, so ist doch die bakterielle Ausscheidung von Kalk in den tropischen Meeren von großer Bedeutung. Entsprechend Bischofs Auffassung müssen wir nun um so mehr annehmen, daß dichte Kalke eher durch Kalkausscheidung mikroskopischer Organismen als durch Zerrcibung von tierischen Hartkörpern entstanden sind. Die wichtigsten Bildner sind nach dem heutigen Stande unserer Kenntnisse das Bacterium calcis Drew und even- tuell andere Bakterien, die Coccolithophoriden und dann erst die Foraminiferen. Die Bedeutung der letzteren ist bekanntlich schon recht groß. V. Hohenstein. Physik. Über den Einfluß des Metalls der Lagerflächen auf den Gesamtreibungswiderstand.^) Der Reibungswiderstand bewegter Maschinenteile wird beeinflußt durch die Schnelligkeit, den Druck und die Temperatur, bei welchen die Be- wegung stattfindet, die Art und Anwendung des Schmiermittels, dessen innere Reibung, die Eigen- schaften der betreftenden Materialien sowie die der Gleitflächen. Die Bewegung der Maschinen- teile soll bei den gegebenen Druck- und Schnellig- keitsverhältnissen den geringsten Kraftaufwand, die schwächste Erwärmung und kleinste Ab- nutzung herbeiführen. Einfluß auf die Reibungs- arbeit hat die Natur der Gleitflächen; denn die dünne Ölschicht zwischen solchen verursacht nicht allein die Reibungsarbeit. Dies wurde festgestellt durch Versuche, indem man mit demselben Ol, bei sonst gleichen Umständen der Bewegung, ganz verschiedene Werte der Reibungsarbeit bei Anwendung verschiedener Metalle als Gleitflächen erhielt. Da die Moleküle des Schmiermittels nicht an jeden Punkt zwischen den Lagerschalen zu bringen sind, so entstehen eben unmittelbare metallische Berührungspunkte, deren Größe und Anzahl nach der Art des Lagermetalls verschieden sind. Infolge der verschiedenen Wärmeleitungs- zahlen der verschiedenen Metalle, erwärmen sie sich auch verschieden, wodurch eine verschiedene Erwärmung der Lagerflächen, eine verschiedene Temperatur der Ölschicht und ein abweichender Flüssigkeitsgrad eintritt, wozu noch infolge der durch Temperatur bedingten Ausdehnung eine Veränderung der gegenseitigen Lage der Gleit- flächen hinzukommt. Die innere Struktur der Metalle beeinflußt die Molekularkräfte und diese bewirken die Adhäsion des Schmiermittels. Die Verschiedenheit dieser Kräfte je nach der Art der Metalle bedingt auch eine Veränderlichkeit der auftretenden Gegenkräfte, welche den während der Bewegung entstehenden Widerstand zu über- winden hat. Die Abnutzung des Metalls durch die Bewegung der Flüssigkeit ist auch abhängig von ihrer Natur. In Form feinen Metallstaubes verschwindet das Metall durch die mechanische ') E. Stromer von Reichenbach Lehrbuch Paläozoologie 1. Wirbellose Tiere, S. 48 u. 49, ') Petroleum 1914, S. 105. 2S4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. iS Arbeit und die Veränderung der Oberflächen- beschaffenheit. Über den Einfluß des Metalls der Lagerflächen auf den Gesamtreibungswiderstand lassen sich durch eine X'ersuchsmaschine zahlen- mäßige Vergleiche anstellen und sowohl die Schmiermittel als die Lagermetalle unter sehr günstigen Bedingungen untersuchen. Mit Hilfe dieser Maschine lassen sich die Reibungswider- stände bei den verschiedensten Druck-, Tempe- ratur- und Schnelligkeitsverhältnissen, bei Ver- wendung dünn- oder dickflüssiger Öle , Fett, Graphit usw. untersuchen. Meßvorrichtungen zeigen die Widerstandskoeffizienten, den Ölver- brauch bei verschiedenen Temperaturen an. Der Anschlag eines Galvanometers und Tourenzählers bestimmt die gewünschte Schnelligkeit und An- zahl der L'mdrehungen einer Scheibe mit einer auswechselbaren Gleitfläche. Die Reibung ent- steht durch den Druck eines Lagers gegen diese. Durch Gasbrenner lassen sich Temperaturen von 200 — 300" im Ölbehälter erreichen. Dr. Bl. Metallmikroskopie mit Anwendung polari- sierten Lichtes. ^) Nach dieser Methocfe ist es möglich, die optischen Eigenschaften einzelner Gefügebestandteile zu beobachten. Mit dem zu- erst konstruierten großen Apparat ließ sich nur die Natur des gesamten in das Okular fallenden Lichtes untersuchen und nicht das von einem Gefügebestandteile ausgehende Licht, da die er- forderliche weitgehende Abbiendung und Zen- trierung das Verfahren erschwerte. Der zu diesem Zwecke konstruierte sog. kleine Apparat beruht auf einer Differenzmethode unter Anwendung der Biot-Solel'schen Platte. Diese wird so angeordnet, daß ihre Trennungslinie zugleich mit dem Ge- fügebild scharf beobachtet wird. Zu diesem Zweck wird die Platte in das Okular an den Ort des Zwischenbildes gelegt, ein isotropes Metall vor das Objektiv gebracht und so ausgerichtet, daß der Schliff genau senkrecht zur Mikrosko])- achse steht. Die Färbung wird im allgemeinen in den beiden Hälften des Gesichtsfeldes ver- schieden sein. Nun dreht man das Nikol so, daß beide Hälften farbengleich das empfindliche Violett zeigen. Es ist jetzt keine P^atbenänderung mehr zu beobachten bei beliebiger Drehung des isotropen Schliffes. Bringt man aber ein anisotropes Metall in den so vorbereiteten Lichtweg und ver- schiebt das Objekt, so daß' der zu untersuchende anisotrope (iefügebestandteil von der Trennungs- fläche der beiden Gesichtsfeldhälften gesciinitten wird, so gibt es bei Drehung des Sclilift'es nur wenige Lagen, in welchen die beiden auf ver- schiedenen Seiten der Trennungsfläche liegenden Teile gleichgefärbt das empfindliche Violett auf- weisen ; sie sind in allen anderen Lagen ver- schieden gefärbt. Auf diese Weise sind auch ge- ringe Farbenunterschiede genau festzustellen neben 'J Zeitschr. f. anorgan. Chemie 1914, Bd. S8, ö. 265. Beobachtungen über Isotropie bzw. Anisotropie von Gefügebestandteilen. Liegt ein Gemisch von isotropen und anisotropen Gefügebestandteilen vor, so bewegt man den Schliff und beobachtet die Kristalle, welche die Trennungslinie über- schreiten. Beim Übergang über diese wechseln die anisotropen im allgemeinen ihre Färbung und die isotropen bleiben gleichgefärbt. Mit dieser Differenzmethode läßt sich bei jedem Gefüge- bestandteil die Lage feststellen, in welcher er wie ein isotroper Körper das Licht reflektiert (er er- scheint in beiden Hälften des Gesichtsfeldes gleichgefärbt und ist in der Nullage). In der Regel sind vier Nullagen und zwischen diesen ein Maximum der Anisotropie, deren Größe durch Kompensation meßbar ist. Schaltet man eine Kontrastplatte zwischen Polarisator und Doppel- platte, so lassen sich die Farbenumschläge noch deutlicher machen. Wird ein Glasplättchen imit Fadenkreuz) an den Ort des Zwischenbildes in das Okular gelegt, so kann dadurch eine kleine Vermehrung des Anisotropieeftektes erzielt werden. Die Anordnung ist zur Beobachtung von Metall- schliffen im polarisierten Licht zu beliebig hohen Vergrößerungen anwendbar. Nach so ausge- führten Beobachtungen sind Martensit und Austenit verschiedene Phasen, und es bedarf noch der Untersuchung, ob nicht etwa im Martensit bereits ultramikroskopische Zementitausscheidungen exi- stieren. Beide Hälften zeigen farbengleich das empfindliche X'iolett, sobald das eine Nikol um einen gewissen Winkel gedreht wird. Dr. Bl. Thermoelektrisches Verfahren , um die Rein- heit von Platingeräten zu bestimmen. ^) Das Ver- fahren aus dem Verdampfungsverlust bei einer bestimmten Temperatur (etwa 1200") die Rein- heit von Platingeräten zu ermitteln, ist jedenfalls' zeitraubend und schwierig. Am genauesten läßt sich wohl der Reinheitsgrad von Platin bestimmen durch Messung seines Temperaturkoeffizienten des elektrischen Widerstandes. Dieser beträgt im Mittel 0,00391 für 1" im Intervall o — ioo" für das reinste erhältliche Platin und vermindert sich, wenn das Platin noch I-Vemdkörper enthält. Da aber diese Messung genau nur mit Drähten aus- führbar ist, so ist sie für Bestimmung des Rein- heitsgrades von Platingeräien weniger geeignet. Genau, schnell und einfach für die meisten Platin- gegenstände läßt sich dieser aber bestimmen nach dem Verfahren , welches die thermoelektrische Kraft von Platin gegen viele seiner Legierungen zur Grundlage hat. Zur Prüfung von Tiegeln /. B. werden an den Rand mit dem Lichtbogen zwei reine Platindrähte angeschweißt und mit einem Pyrometergalvanometer oder Millivoltmeter verbunden. Die eine Verbindungsstelle wird durch einen kleinen Gebläsebrenner erhitzt, die andere durch einen Luftstrom gekühlt. Die Tem- ') Zeilschr. f. anorgan. Chemie 1914, Bd. S8, S. 349. N. F. XIV. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 285 peraturen mißt man durch ein Tliermoelement, dessen einer Draht aus 90 Teilen Platin und 10 Teilen Rhodium besteht, während der andere aus Platin ist. Der Platinirhodiumdraht wird mit dem Bogen an den Tiegel geschweißt, in die Nähe desjenigen Platindrahtes, dessen Verbindungs- stelle erhitzt wird. (Die Platindrähte kimnen auch einfach mit dem Tiegel in Berührung gebracht oder an ihm mit Platinklammern befestigt werden.) Durch einen Stromwender können die IVIessungen erfolgen bald von der Temperatur, bald von der elektromotorischen Kraft an der erhitzten Ver- bindungsstelle. Alle Verunreinigungen werden als „Tridiumgehalt" ausgedrückt, welcher selbst bei „raffiniertem", ,, besonders raffiniertem" und „bestem Tiegelmaterial" nicht unbeträchtlich ist. Mit die- sem Verfahren läßt sich nun feststellen , ob die gewünschte Grenze der Verunreinigung (Iridium- gehalt) eingehalten worden ist (sie läßt sich bis zu 0,01 "1, bestimmen), ohne daß eine Unter- scheidung der Metalle selbst erfolgte. Um zwischen kleinen Mengen von Rhodium und Iridium eine Entscheidung treffen zu können, müßte man das thermoelektrische Verfahren mit der Methode des Gewichtsverlustes vereinen. Durch ein Verfahren von elektrischen Entladungen bei hohen Tempe- raturen könnte vielleicht zwischen Legierungen des Platins mit Iridium oder Rhodium entschieden werden. (Besser ist es statt Iridium das Rhodium in Platintiegeln beizumischen, wenn Steifigkeit verlangt wird und genaue Wägungen vor und nach dem Glühen auszuführen sind, weil Rhodium viel weniger flüchtig als Iridium und auch etwas weniger flüchtig als Platin ist.) Dr. Bl. Zoologie. Die Ameisen des Bernsteins hat zuerst G. Mayr im Jahre 1S68 dargestellt. Seit dieser Zeit sind nicht nur die Kenntnisse über die heut lebenden Arten erheblich gewachsen, es hat auch das Material an im Bernstein einge- schlossenen Ameisen ganz bedeutend zugenommen; eine erneute Bearbeitung durfte daher besondere Ergebnisse erwarten lassen. Ihr unterzog sich W. M. W h e e 1 e r von der Harvard - Universität, dem 9527 Ameisen aus baltischem Bernstein vor- lagen (gegenüber 1461 bei Mayr). Bei der Be- urteilung der Funde ist zu berücksichtigen , daß es sich um eine Waldfauna handelt, von der die- jenigen Arten am häufigsten in den Bernstein geraten mußten, die Bäume zu bewohnen pflegen. Dementsprechend entfallen auf die Dolichoderinen beinahe -, aller imtersuchten .Stücke, auf die Camponotinen beinahe '/g, wogegen die mehr an den Boden gebundenen Ponorinen und Myrmicinen trotz verhältnismäßig größerer .'\rtenzahl sehr zu- rücktreten. Dor)linen fehlen im Bernstein. Die Zusammensetzung der Fauna (92 Arten in 43 Gat- tungen) erinnert an die der heutigen paläarktischen Region, weist aber auch .Arten von indomalaiischcm und australischem Charakter und eine neotropische Form auf. — Im allgemeinen waren die Bernstein- ameisen ebenso hoch spezialisiert wie die heut lebenden, auch in bezug auf den sozialen Aufbau des Ameisenstaates mit Männchen, Weibchen und .'Arbeitern, bei einzelnen sogar mit polymorphen Arbeitern und aberranten P'ormen von Männchen und Weibchen, von denen eine auf die Anwesen- heit von myrmekophilen Gästen zurückschließen läßt. Schon damals fehlte bei den Dolichoderinen das Einspinnen der Puppen. Auch die tropho- biotischcn Beziehungen zwischen .Ameisen und Blattläusen bestanden bereits und ebenso plagten wie heut noch Milben auch die Bernsteinameisen. Die Annahme, daß Arten der Bernsteinzeit, die sich als nahe verwandt mit heut lebenden Arten erweisen, auch deren Lebensweise besessen haben, gibt der Vermutung eine einigermaßen sichere Grundlage, daß unter den Bernsteinameisen Arten gelebt haben, deren Weibchen, wie die einheimi- sche Foniiica fniiicicola , die Fähigkeit verloren haben, selbständig neue Kolonien zu gründen; sie suchen schwache vifeisellose Kolonien der Foiimca fiisca auf und lassen ihre erste Brut von deren Arbeitern aufziehen. Der F. trmicicola ist F. plial'tosa des Bernsteins sehr nahe verwandt und von F. fusca ist F. flori kaum zu unterscheiden. Solche Beziehungen bestehen heut auch zwischen bestimmten Lasins-^xitw {L. imibrafiis und L. iiigi'r)\ ihnen sehr ähnliche Lasius- Arten kommen auch im Bernstein vor und dürften dieselbe Lebensweise gehabt, d. h. Adoptionskolonien ge- bildet haben. Auch dafür, daß aus solchen .-Adop- tionskolonien „Raubkolonien" hervorgehen können, haben sich für Bernsteinameisen Anhaltspunkte finden lassen, ebenso für das Vorkommen soge- nannter zusammengesetzter Nester. Erwähnens- wert ist endlich noch das Vorkommen der Gat- tung (h'cupliyUa im Bernstein; deren heut lebende, hauptsächlich im tropischen Asien vorkommende Arten bewohnen Baumnester, die sie unter Be- nutzung ihrer Larven als lebende Instrumente aus einem zusammengebogenen Blatte zusammen- nähen, was wohl auch die Oecophyllen des Bern- steins tretan haben werden. Brn. Bttcherbesprechiingen. Mangold, Ernst, Hypnose und Kataleiisic untersuchen, inwieweit die „bei Tieren vorkommen- bei Tieren im Vergleich zur menschlichen den hypnotischen oder mit solchen verwandten Hypnose 82 Seiten mit 18 Abbild. Jena 1914, und vergleichbaren physiologischen Zustände in Gustav Fisclier. — Preis 2,50 Mk. physiologischer Beziehung eine der menschlichen Der Verf hat sich die Aufgabe gesteht zu Hypnose analoge Erscheinung darstellen", um da- 2S6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. i8 mit „auf neue Gesichtspunkte und Fragestellungen hinzuweisen, die auf diesem ebenso anziehenden als bisher wenig berücksichtigten Gebiete zu weiteren Versuchen, Beobachtungen und Deutungen Anlaß geben". Zu diesem Zwecke gibt er zunächst unter eingehender Berücksichtigung auch der älteren Beobachtungen eine systematisch und nach phy- siologischen Gesichtspunkten geordnete Darstellung der in Betracht kommenden Zustände (tierische 1 iypnose, Bewegungslosigkeit, Totstellungsreflex und Katalepsie) bei Säugetieren, Vögeln, Reptilien, Amphibien, Krebsen und Insekten. Nach einer kurzen Auseinandersetzung der biologischen Bedeu- tung dieser Frscheinungen und einer ebenso kurzen Zusammenfassung der wichtigsten früheren Deu- tungsversuche, bei denen meist schon die Analogie mit der menschlichen Hypnose zum .'\usdruck kommt, geht der Autor zu einer Darstellung der Grunderscheinungen der menschlichen Hypnose über. Nach F'eststellung der physiologischen Unter- schiede zwischen menschlicher und tierischer Hj'p- Mose untersucht M. dann eingehend die Bedingungen des Plintritts und der Dauer der tierischen H)-p- nose. Diese Untersuchungen führen ihn schließ- lich zur Frage nach den physiologischen Verände- rungen während der tierischen Hypnose. Durch Exstirpationsversuche stellt er fest, daß diese phy- siologischen Veränderungen im Zentralnerven- system zu suchen sind und zwar in einer tonischen Hemmung des Zentrums der C)rtsbewegung und der Lagekorrektion. Im letzten Abschnitt gibt der Autor dann eine klare und übersichtliche Zu- sammenfassung seiner Untersuchungsergebnisse, wobei er zugleich auf die Übereinstimmungen der tieriscjien mit der menschlichen 1 Iypnose hinweist. M. H. Baege. Weyrauch, Prof. Dr. Jakob J., Robert Mayer zur Jahrhundertfeier seiner Geburt. Mit zwei Bildnissen und einer Darstellung der Totenmaske Robert Mayer's. 105 Seiten. Stutt- gart 191 5, Verlag von Konrad Wittwer. — Preis brosch. 5 Mk. Goethes Wort, daß die Nachwelt dem Manne das ganz geben solle, was ihm das Leben nur halb gab, hat im h'alie Robert Mayer's eine besonders umfassende Bestätigung erfahren. Immer wieder wird es sich ereignen, daß Steine, die von den Bauleuten — den Fachgenossen — verworfen wurden, später zu Grund- und Ecksteinen der Wissenschaft werden. Und der Hinweis auf frühere Fälle wird denen, die ihr Schicksal zu Trägern eines der jeweilig letzten Fortschritts- gedanken macht, wenig nützen; denn man wird die sämtlichen vergangenen Fälle zugeben und im selben .Atemzuge sagen, diesmal handele es sich aber siclier um .Schwindel, Verrücktheit oder was sonst. So ging es schon mancliem vor Mayer, so ging es nach ihm den ersten Entdeckern der menschlichen .Strahlungen, die jetzt wieder zum Vorschein kommen, so ging es und geht es heute noch den geduldigen .Arbeitern im Gebiete der sog. okkulten Erscheinungen — Telepathie, I lell- sehen, Teleplastie usw. — , so ging es dem Vater der Homöopathie, deren leitende Gedanken jetzt nach 100 Jahren von denkenden Medizinern, wie Hugo Schulz, Rudolf Tischner u.a. er- neut in den Gesichtskreis der offiziellen Wissen- schaft getragen werden. Weyrauch, dem wir die Herausgabe der gesammelten Schriften Robert Mayer's ver- danken, und der bereits in mehreren Publikationen sich über Mayer's Bedeutung und die mannig- fachen, an des Forschers Namen und Leistung geknüpften Prioritäts- und anderen Streitigkeiten verbreitet hat, gibt im Vorwort der vorliegenden stattlichen Broschüre an, daß für den 25. November des vergangenen Jahres, als den 100. Geburtstag des Forschers, eine größere Feier in Stuttgart be- schlossen war, deren Abhaltung jedoch durch den Krieg unmöglich gemacht wurde. Der Festvor- trag Weyrauch's erscheint nun hier als erster Abschnitt des Buches. Ihm folgt ein Aufsatz ,, Technisches bei Robert Mayer". Die zweite Hälfte des Buches ist im wesentlichen erfüllt von einer eingehenden, durch viele Zitate gestützten Erörterung der schiefen Beurteilungen und Pri- oriiätsstreitigkeiten, die dem hochverdienten Manne das Leben und die Schaffensfreude ver- bittert und beeinträchtigt haben. Durch diese sorgfältige Zusammenstellung ist es jedem In- teressenten ermöglicht, sich in dieser Frage ein eigenes Urteil zu bilden. Schließlich folgen noch Mitteilungen über die beiden Porträts und die Totenmaske Mayer's, die in wohlgelungener Reproduktion das Buch zieren. Wasielewski. Geschichte der Chemie. Kurzgefaßte Darstel- lung von Dr. Thor. Ekekrantz, o. Professor der Chemie und pharm. Chem. an dem phar- mazeut. Institut zu Stockholm. Leipzig 1913, .Akademische X'erlagsanstalt G. m. b. H. In der Einleitung betont der Verf. die einzig richtige Ableitung der Worte: Chemie, Che- miker; sie stammen aus dem alten Ägypten, das den Namen Cham oder Chemi hatte , der Geburtsstätte der Chemie. Die alten Ägypter waren in der chemischen Technik, auch in der Wissenschaft, in der Färberei, Töpferei, Malerei usw., den übrigen Völkern weit voraus. Noch heute erfreut die Frische der alten Malerfarben, Farben, wie wir sie jetzt wahrschein- lich nicht wieder herstellen können. Die einzelnen Kapitel umfassen die Chemie im Altertum, wo die chemische Technik der alten Ägypter etwas ausführlicher hätte behandelt werden können, auch ihre Naturphilosophie, die alchimistische, iatrochemische, phlogistisch e Periode, den P'all der Phlogistik, die chemische Forschung nach Lavoisier bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, die Ent- wicklung in theoretisch chemischer Hinsicht von dort bis zur Gegenwart und die Entwicklung des chemischen Unterrichts. N. F. XIV. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 287 Angefügt ist den einzelnen Kapiteln die kurze Beschreibung der hervorragendsten Chemiker; wer sich für einzelne näher interessiert, findet ihre ausführliche Charakteristik in den „Großen Männern" von VV. O s t w a 1 d , das in dem gleichen Verlag erschienen ist. Das Buch ist mit den Abbildungen dieser her- vorragendsten Chemiker geschmückt. Es eignet sich vortrefflich zur Lektüre nicht nur für Studenten und Techniker, sondern auch für jeden , der über die Entwicklung dieser mo- dernen Wissenschaft, der wir, wie wir gerade jetzt in der Kriegszeit sehen, in volkswirt- schaftlicher und kriegstechnischer Hin- sicht soviel verdanken, sich unterrichten will. Prof. Dr. Rohland-Stuttgart. Liebmann, Dr. phil. ^A^ilIy, Oberlehrer, Die Be- ziehungen der Früchte und Samen zur Tierwelt. 46 S. Leipzig 1914, Verlag von Quelle und Meyer. — Preis 80 Pf. Das Schriftchen stellt die Hauptergebnisse einer vom Verfasser in der Jenaischen Zeitschrift für Naturwissenschaft 1910 und 191 3 veröffentlichten LIntersuchung „Die Schutzeinrichtungen der Samen und E"rüchte gegen unbefugten Vogelfraß" für einen größeren I^eserkreis in allgemein verständ- licher P'orm zusammen. Während dabei natür- lich viel gekürzt und weggelassen wurde, sind andererseits einige Abschnitte eingefügt; so finden auch die Säugetiere Berücksichtigung, ohne frei- lich neben den in erster Linie behandelten Vögeln eine wesentliche Rolle zu spielen. In zwei Teilen werden erstens die bei Samen und Früchten vor- handenen Einrichtungen zur Anlockung der tieri- schen Freunde, im zweiten solche zum Schutze gegen die tierischen Feinde behandelt. Als un- entbehrliche Grundlage für die Untersuchung der fraglichen Beziehungen gibt \'erfasser einen Über- blick über den Verdauungsapparat und die für die Nahrungsaufnahme in Betracht kommenden Sinnesorgane der beiden Tierklassen, vorzugs- weise der Vögel, und berichtet über Versuche über die F"rage, ob die Vögel einen Geschmacks- sinn haben. Es ergibt sich, daß er ihnen nicht völlig fehlt, aber auf einer sehr niedrigen Stufe steht. Im übrigen werden die Hauptergebnisse der Betrachtungen in folgenden Sätzen zusammen- gefaßt; Die Beziehungen der Früchte und Samen zur Tierwelt sind für beide Teile vorteilhaft. Die in Betracht kommenden Tiere erhalten von den Pflanzen Nahrung und besorgen dafür unabsicht- lich und auf ganz verschiedenartigem Wege die Verbreitung der Samen und Früchte. Für die letzteren aber zeigt sich auch ein Nachteil, denn der Tierfraß kann leicht unbefugt werden, indem er den Keim für die neue Pflanze zerstört. Aus diesem Grunde sind zahlreiche Schutzeinrichtungen entstanden, und zwar sowohl bei reifen wie auch bei unreifen und bei fleischigen wie auch bei nicht fleischigen PVüchten und Samen. Einige Literaturangaben sind beigefügt. Die Schrift ist unstreitig geeignet, weitere Kreise für den Gegen- stand zu interessieren und zu neuen Beobach- tungen und Untersuchungen anzuregen, wenn man auch manchen Aufstellungen gegenüber anderer Meinung sein kann als der Verfasser. !■". Moewes. Willgerodt , Prof. Dr. C, Die organischen Verbindungen mit mehrwertigem Jod. XII -\- 265 Seiten. Stuttgart 1914, Ferd. Enke. — Preis geh. 8,40 Mk., in Leinw. geb. 9,20 Mk. Vor 30 Jahren wurde von Willgerodt das Phenyljodidchlorid [C„H-, • JCl.,] dargestellt, die erste organische Verbindung, in der das sonst einwertige Jod offenbar dreiwertig ist. Später wurden die Jodosoverbindungen (mit dreiwertigem Jod) und die Jodoverbindungen (mit fünfwertigem Jod) entdeckt , und allmählich hat sich eine weit verzweigte Chemie der organischen Verbindungen mit mehrwertigem Jod entwickelt, die nicht nur in der aromatischen, sondern auch in der alipha- tischen Reihe zahlreiche \'ertreter aufweist. Das vorliegende Buch , der VII. Band der von Prof. Jul. Schmidt herausgegebenen Sammlung „Chemie in Einzeldarstellungen", will die zerstreute Literatur über diese organischen Jodverbindungen sammeln, sichten und kritisch beleuchten, ein l'nternehmen, dessen Ausführung der organische Chemiker dankbar begrüßen wird, da es ihn der Mühe enthebt, sich die hierhin gehörenden Ar- beiten aus der umfangreichen Zeitschriftenliteratur zusammenzusuchen. Derartige erschöpfende Be- handlungen größerer Teilgebiete der organischen Chemie werden immer wichtiger werden, in dem Maße wie die in einer Enzyklopädie kaum noch zu bewältigende organische Chemie weiter an- schwellen wird. Sie gewinnen an Wert, wenn sie — wie im vorliegenden Fall — als Bearbeiter einen Gelehrten finden, der bei der Erschließung des betreffenden Gebietes selbst als Pionier in hervorragender Weise tätig war. Auf einen geringfügigen Nachteil des Buches glaubt der Berichterstatter aufmerksam machen zu dürfen. Werke wie das vorliegende, die in erster Linie zum Nachschlagen benutzt werden sollen, müssen unbedingt ein sorgfältiges und nie versagendes Register haben. Ein Autorenregister fehlt hier leider ganz, und das Sachregister ist nicht konsequent durchgeführt (man vergleiche z. B. die Stichwörter unter J . . ., die teils alpha- betisch, teils nach systematischen Gesichtspunkten geordnet sind). ]''ür die praktische Benutzung des im übrigen sehr gründlichen Werkes wäre eine Berücksichtigung dieser „Äußerlichkeiten" bei der Neuauflage sicher von Vorteil. Bueee. Wetter-Monatsiibersiclit. Innerhalb des diesjährigen März herrschte trübes, nasses Wetter in Deutschland bei weitem vor, während die Tempe- raturen aul3erordentlich starke Schwankungen aufwiesen. Bald 288 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. i8 nach Anfang des Monats stellte sich in Nordost- und Mittel- deutschland Frost ein, der an Strenge mehr und mehr zunahm. In der Nacht zum 9. sank das Thermometer z. B. in Breslau ,5ßttTfcre T«inj?«rafurcn citii^sr ©rf« im 5ßäPi 1915. IMifi 6. 11. 16. Zt. 26. * 31. >lincrWctlerbu. bis auf — 12, in Königsberg i. Pr. bis — 16, in Mcmel bis — 17, in der Nacht zum ii. in Ostrowo bis — 18, in Schreiberhau bis — 22" C, während der Boden im östlichen Ostseegebiete nur mit einer leichten, in Schlesien aber durch- schnittlich mit einer etwa 20 cm hohen Schneedecke bedeckt war. Im Nordwesten und Süden hingegen wurden zwischen dem 3. und 6. März an verschiedenen Orten lo** C erreicht und sogar etwas überschritten. Nachdem dann auch dort eine sehr starke Abkühlung eingetreten war, führten milde West- winde schon zwischen dem 9. und 10. an der Nordseeküste neues Tauwetter herbei, das sich allmählich weiter nach Osten und Süden fortpflanzte. Um Mitte des Monats war ganz Deutschland frostfrei, an vielen Stellen des Rheingebietes überschritten die Mittags- temperaturen 10" (", am 18. erreichten sie in Friedrichshafen, Karlsruhe und Metz 13, in Mülhausen i. E. 15" C. Inzwischen war im östlichen Ostseegebiete wietler ziemlich strenger Frost eingetreten, der an Ausdehnung allmählich zunahm ; am 19. brachten es Osterode und Tilsit auf 14, Insterburg auf 15" C Kälte. P>ald darauf fand überall bei veränderlicher Bewölkung, aber nur vereinzelten leichten Rcgenfällcn eine starke Erwärmung statt, so daß während einiger Tage außer- ordentlich schönes, warmes Frühlingswetter herrschte; am 24. stieg das Thermometer in Gardelegen bis auf 20, in Magde- burg bis 21, tn Torgau sogar bis 22" C. Desto empfind- licher war der neue Temperaturumsturz, der schon am 2U. überall eintrat. Die mittleren Temperaturen des Monats lagen in Nord- west- und Süddeutschland weniger als einen, östlich der Elbe jedoch beinahe zwei Grad unter ihren normalen Werten. Die durchschnittliche Bewölkung war überall etwas stärker als gewöhnlich. Beispielsweise hat' zu Berlin im ganzen an nicht mehr als 87 Stunden die Sonne geschienen, während hier in den früheren Märzmonatcn durchschnittlich 105 Stunden mit Sonnenschein verzeichnet worden sind Desto häutiger waren überall die Niederschläge, deren Mengen in unserer zweiten Zeichnung dargestellt sind. Be- sonders in den ersten acht Tagen des Monats waren sie in den meisten Gegenden sehr ergiebig, vom 5. bis 6. morgens fielen z. B. in Berlin und in Kiel 22, in Schwerin und in Dresden 26, in Görlitz 32, in Dahme 33, in Passau 26 mm Jlkizrßi^jaß0^rgane berichtet. Und dann ist N. F. XIV. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 293 zu bedenken, daß die Betätigung, durch die man den Feind einzuschüchtern hofft, für den Han- delnden selbst eben gerade dadurch anziehend und erfreulich ist, erfüllt sie ihn doch mit Sieges- zuversicht und dem Gefühl der Macht und wirkt in derselben Weise auch auf die zuschauenden Freunde. Dieses psychologische Moment ist ebenfalls von Wichtigkeit für die Steigerung der Einschüchterungskünste durch Auslese. Man darf sich natürlich nicht vorstellen, daß der Auerhahn es weiß, daß kein Nebenbuhler sich seinen Hen- nen nahen wird, wenn er recht auffällig und wild balzt. Ebensowenig will der Hirsch durch sein „Orgeln" andere Hirsche einschüchtern. Die Zeit der Geschlechtsreife ist es vielmehr, die ihn auf- reizt, die Triebe der Eifersucht, der Kampflust, der Wut in ihm erweckt. Und wir haben uns vorzustellen, daß immer die Hirsche am ehesten im Besitze der „Tiere", wie der Jäger sagt, blieben, bei denen dieser Trieb am stärksten entwickelt war, denn der Erfolg des wilden Gebarens war — ganz unabhängig davon, ob der Hirsch es be- absichtigte oder nicht — die Einschüchterung des Gegners, zugleich war aber auch der Hirsch, dessen Triebe und Leidenschaften am stärksten waren, der kühnste Draufgänger, und wir wissen, Sieges- zuversicht ist schon halber Sieg. Ahnliches werden wir uns für die ersten Menschen vorzustellen haben. Auch hier sind immer die Männer und später die Stämme zur Nachzucht ausgelesen worden , die in Körper- schmuck, Kriegstanz und -musik am meisten Ein- druck hervorriefen, einschüchternd auf die Feinde, kräftigend und erhebend auf sich selbst, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie den Zweck ihres Gebarens kannten oder nicht. In der späteren Entwicklung des Menschen, in der der Verstand sich höher und höher entwickelte, kam es öfters den Darstellenden zum Bewußtsein, daß sie mit ihrem Tun wirklich etwas erreichten ; zu dem bisherigen Benehmen kam dann noch die Absicht steigernd hinzu. So weiß unser Militär die Be- deutung des Soldatengesanges und der Musik wohl zu schätzen und auch die erst in neuester Zeit aufgegebene Buntheit der Uniformen diente dazu, den Soldaten freudig zu machen und voller Lebenslust. Im allgemeinen aber hat sich doch das Prinzip der Einschüchterung unbewußt weiter entwickelt und wurde so zu einer der Ursitten der Menschheit. Was aber Sitte wird, gilt sehr bald auch als schön und so haben wir eine neue Brücke von den Abschreckungskünsten zur wahren Kunst gefunden. Nach dem biogenetischen Prinzip *) lassen sich in der Entwicklung eines jeden Lebewesens Bilder aus seiner Ahnengeschichte wieder auffinden. Darnach würden unsere Kinder in ihrem Denken und Handeln manches erkennen lassen, was dem ') Ich habe in meinem Werke „Vom Urtier zum Men- schen" Stuttgart I[. Aufl. 1914, darzulegen versucht, daß es sich niemals um ein biogenetisches ,, Gesetz',, sondern nur um ein biogenetisches ,, Prinzip" handeln kann. Menschen früherer Zeiten eigen war. Und in der Tat, im Hinblick auf unser Prinzip stimmt das. Schon zu Fastnacht sieht man, wie unsere Jungen am liebsten sich möglichst abschreckend machen, der Gedanke, sich zu verschönern, liegt ihnen viel ferner. Und fast jedem Kampf von zwei Buben gehen Einschüchterungsversuche in Gestalt höhni- scher und den anderen herabdrückender Reden, von sich in die Brust werfen und anderm voraus. Überhaupt ist der Trieb, mehr zu scheinen, als man ist, seinen Mut und seine Taten zu über- treiben, groß zu tun und zu imponieren, bei der Jugend auffällig entwickelt. Deswegen ver- schwindet aber der Drang beim erwachsenen Menschen durchaus nicht. Im Gegenteil, es ließe sich in langen Abhandlungen verfolgen, wie sehr er unser Handeln beeinflußt, welchen Einfluß er in der Geschichte des einzelnen und der Völker gehabt hat. Schon die griechischen Meister- dramen handeln von dem Übermut der Menschen und seinen tragischen Folgen, und ihre Sagen er- zählen immer wieder, wie starke und begabte Leute auftraten, die sich mehr als die Götter dünkten und von diesen dann vernichtet wurden. Überblickt man unter solchen Gesichtspunkten die Geschichte, die Völkerkunde und sieht man sich in seinem Bekanntenkreise um, so möchte man dem Trieb zum Imponieren, zum mehr Dar- stellen als man ist, keinen geringeren Einfluß auf das „Menschengetriebe" einräumen, als den anderen beiden Mächten, von denen bisher die Rede war: Hunger und Liebe. Noch ein Bedenken könnte gegen unsere Theorie geäußert werden. Wir haben diese „ge- schlechtliche Einschüchterungsauslese" ge- nannt. Das soll besagen, daß ihr nicht die ganze Art, sondern nur das eine Geschlecht, das männ- liche nämlich, unterliegt. Lind das, was zur Nach- zucht ausliest und gewisse Eigenarten weiter- züchtet, ist hier nicht ein „Kampf ums Dasein" überhaupt, sondern nur der ,, Kampf ums Weib". Wer in diesem die Nebenbuhler am besten ein- schüchtert, bleibt Sieger und vererbt die Eigen- arten, auf Grund deren er siegte. Es entsteht nun die P>age, ob der Kampf um den Besitz des Weibchens wirklich eine so große Rolle spielt, daß er derartige Zuchtresultate hervorrufen kann und ob in ihm auch die Anfänge aller Kriege zu sehen sind. In bezug auf die Tierwelt wird man das gern zugeben. Hier ist in der Tat der Liebeskampf die hauptsächlichste, oft die einzige Form des Streites unter den Angehörigen einer und der- selben Art. Der Kampf um die Nahrung spielt eine weit geringere Rolle, ist ja auch nur durch Zufall möglich — etwa bei hungrigen Wölfen, die eine kleine Beute erlegt haben — und kehrt nicht periodisch wieder, um längere Zeit die Leidenschaft auf einer sonst kaum erreichten Höhe festzuhalten. Jeder, der einmal eine Hündin be- sessen hat, weiß, wie stark der Liebestrieb der Hunde ist, wie die Verehrer sich durch nichts 294 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 19 von ihren Besuchen abhalten lassen. Eine so tolle Selbstvergessenheit zeitigt der Hunger nur in den äußersten Fällen. Außerdem kommt für die Pflanzenfresser das letztere Moment kaum oder überhaupt nicht in Betracht. Für Hirsche, Antilopen, Hasen, die meisten Vögel, Ei- dechsen und andere gibt es nur einen Liebes- kampf, in diesem werden aber dann die ängstlich- sten und zartest angelegten Tiere zu mutigen und grausamen, die kein Erbarmen kennen. So werden wir auch beim Menschen annehmen müssen, daß seine ersten Kämpfe Liebeskämpfe waren. Diese Vorstellung hat sich ja in vielen Sagen erhalten. Die frühesten Kriege, von denen uns die beiden ersten europäischen Kulturstaaten, Hellas und Rom berichten, geschahen um des Weibes willen. Vom Raube der Helena und dem der Sabinerinnen weiß ja ein jeder. Auch bei den Naturvölkern war und ist Frauenraub eine Hauptursache zu Kriegen. Auch darüber ließen sich Bände schreiben. Und schließlich, Völkerkunde und Urgeschichte legen uns die Vorstellung nahe, daß das Seßhaftwerden und die Heimgründung in erster Linie ein Werk der Frau ist. Der Mann zog auf die Jagd, die Frau suchte pflanzliche Nahrung, sie gab den An- fang zum Feldbau, sie bewachte das Feuer, hütete die Heimstätte und machte sie wohnlich. Mit der Verteidigung seines Weibes verteidigte der Mann also auch sein Heim. Auch ist das Weib das konservative Element, die Hüterin der Sitte, die Bewahrerin der Erlebnisse des Stammes. Nicht umsonst sind noch heute die Großmütter die eigentlichen Märchenerzählerinnen. Alle diese Gedanken führen uns hinüber zu den Völker- kriegen, in deren edelster Form ebenfalls um die Heimat gekämpft wird. Das ist der Gedanke, der uns auch in dem heutigen Kriege Kraft und Einigkeit gibt. Wir wissen, es handelt sich um unser Deutschland, den deutschen Boden und deutsche Art. Darum sagen wir mit unserem großen Dichter, der die Seele seines Volkes kannte und mit ihr empfand, und fühlen uns der Welt von Feinden gewachsen: „Der Güter höchstes dürfen wir verteid'gen Gegen Gewalt — Wir steh'n vor unser Land, Wir stehn vor unsre Weiber, unsre Kinder!" Kleinere Mitteilungen. Verlängerung des Brotgetreides. Die Maß- nahmen der Regierung zur Verlängerung des Brot- getreides darf ich als bekannt voraussetzen. Neue Vorschläge sind folgende: Oskar Köhler (D. Zucker-Ind. 40, 22 [191 5]) schlägt vor, beim Bundes- rate dahin vorstellig zu werden, daß für das Brot- getreide ein obligatorischer Zusatz von mindestens 5^/(1 (wünschenswert lO^/j,) Rohzucker oder min- destens 10 "/(, (wünschenswert 15%) Rüben-Sirup (Melasse) vorzuschreiben ist ; die Verbrauchsabgabe für den hierzu zu verwendenden Rohzucker ist auf mindestens 6 Mk. für Ersterzeugnis und 5 Mk. für Nacherzeugnis festzusetzen. Da Rohzucker ge- nügend vorhanden, so würde eine wesentliche Streckung des Brotgetreides erreicht und der wertvolle Zucker in bequemer Weise zur Volks- ernährung mit herangezogen. Köhler hat Ge- bäcke aus Roggenmehl, Kartoffelflocken, Melasse, Rohzucker und Salz hergestellt, die er selbst seit längerer Zeit in seiner Familie bevorzugt. Ebenso empfiehlt L. Weil (Die Mühle, 1915, Heft 7, S. 120) einen Zuckerzusatz. Was den Kartoffelzusatz zum Brotmehl betrifft, so äußerte sich Volkmar Klopfer gelegent- lich seines auf der Hauptversammlung des Bezirks- vereins Sachsen-Thüringen des Vereins deutscher Chemiker zu Dresden am 13. Dezember i9i4(Ztschr. f. angew. Chemie 28, 1915, L Bd., S. 57) gehaltenen Vortrags ungefähr folgendermaßen : Die Streckung des Weizenmehls durch einen Zusatz von Roggen- mehl ist sicher gutzuheißen, dagegen muß man die Verwendung \on Kartoffelstärkemehl und Kartoffelflocken zum Roggenbrote als bedenklich bezeichnen. Das Kartoffelstärkemehl enthält so gut wie gar keine Eiweißstoffe und Nährsalze. Durch seinen Zusatz wird also der so überaus wichtige Gehalt des Brotes an diesen wichtigen Nährstoffen noch vermindert, außerdem hat der Brothersteller dadurch die Möglichkeit, bedeutend größere Wassermengen in das Brot zu bringen, als dies im Interesse der Bevölkerung liegt. Auch die Herstellung von Kartoffelflocken durch Dämp- fung und Trocknung auf hoch geheizten Walzen ergibt eine Karloffelpräserve (,, Kartoffelflocken", gemahlen: „Kartoffelwalzmehl"), die alle Bestand- teile der gereinigten Kartoffel enthält, in der aber das Eiweiß durch die zweimalige Erhitzung ge- ronnen, die Enzyme geschädigt und die Stärke verkleistert ist. Das Verfahren hat an sich große Bedeutung, da dadurch die Möglichkeit gegeben ist, wenigstens einen Teil der sonst veratmenden und verfaulenden Kartoffel - in Deutschland be- trägt der Veratmungs- und h^äulnisverlust 450000 Doppelwagenladungen Kartoffeln zu je 200 Ztr. — zu retten und in eine haltbare, für die Viehfütte- rung sehr geeignete Kartoffelpräserve umzuwandeln. Die Verwendung dieses Verfahrens zur Herstellung einer Kartoffelpräserve zur Brotbereitung stellt aber einen Fehlgriff dar, da durch die zweimalige Erhitzung der Kartoffel wichtige Nährstoffe ge- schädigt werden und bei der Teigbereitung mit dem kartoffelflockenhaltigen Roggenmehl eine sehr hohe Wasseraufnahme (infolge der Verkleiste- rung der Stärke) eintritt. Wenn man schon die Mitverwendung von Kartoffelerzeugnissen zur Brotbereitung durchführen will, so sollte man zur N. F. XIV. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 295 Trocknung der Kartoffel ein Verfahren wählen, bei dem unter Verwendung von ganz niederen Trockentemperaturen das Eiweiß, die Vitamine und sonstigen Nährstoffe in ihrer Quellbarkeit und Unversehrtheit erhalten bleiben, und die Stärke nicht verkleistert wird. Dies ist eigentlich selbstverständlich, da ja die Brotbereitung nur mit Getreidemehlen erfolgt, die nicht durch hohe Temperaturen geschädigt worden sind. Neuer- dings hat Z u n t z darauf aufmerksam gemacht, daß die Ausnutzung von Roggenbrot verschlechtert wird, wenn durch Erhitzung gewonnenes Kartoffel- produkt mit verwendet wird. Eine solche scho- nende Trocknung der Kartoffel zwecks Herstellung von Vollkartoffelmehl ist möglich , wenn nach dem Verfahren von Walter Loebel, Leipzig, in Trockentürmen die mäßig erwärmte Luft durch das fallende Trockengut streicht und, ohne die Zellwände zu schließen, die Feuchtigkeit aus ihnen gewissermaßen „wegatmet". Hoffentlich gelingt es, diesen neuen Bestrebungen auch auf dem Ge- biete der Kartoffeltrocknung den vollen Gehalt an Nährstoffen unversehrt zu bewahren und sich durchzusetzen. Man würde dann nichts gegen die Mitverwendung von Kartoffelerzeugnissen einzu- wenden haben. Einen eigenartigen, sehr beachtenswerten Vor- schlag macht Geheimrat Professor Dr. R. Kobert (Chem. Ztg. [191 5] 35), 69 und „Über die Benutzung von Blut als Zusatz zu Nahrungsmitteln". H. Warkentien, Rostock 191 5. Preis 70 Pf; Er- trag für das rote Kreuz bestimmt), das Blut unserer Schlachttiere als Nahrungsmittel auszunutzen, statt es der jetzt ungleich weniger wichtigen Verwen- dung in den Düngemiitelfabriken zuzuführen. Kobert weist darauf hin, daß es bei den Esten der baltischen Provinzen Rußlands seit vielen Jahren üblich ist, das Blut vom Schwein mit Roggenmehl zu einem Teig anzukneten und in der Weise des gewöhnlichen Landbrotes im Back- ofen zu backen. Frisch genossen schmeckt dieses Blutbrot den meisten nicht schlecht und hat einen erheblich höheren Nährwert als gewöhnliches Brot. Tausenden von Menschen dient es Zeit ihres Lebens als Hauptnahrungsmittel. Geheimrat Kobert schlägt vor, die Kontrakte, welche die meisten Schlachthäuser mit Düngemittelfabriken haben, die das Blut zu Dünger verarbeiten, durch das Kriegsministerium wenigstens für die Dauer des Krieges und die nächste Zeit danach aufzu- heben, so daß das Blut menschlichen Nahrungs- zwecken dienlich gemacht werden kann. Das Blut unserer Schlachttiere enthält bis 18% Eiweißstoffe (Hämoglobin, Stromaeiweiß, Albumine, Globuline, Fibrin), Lipoide (Lecithin, Cholesterin), Fette (bei Schwein und Gans nach dem Mästen), Salze (Phosphate, Sulfate, Chloride, Eisen, Kalium, Calcium, Magnesium, Natrium). Von den Eiweißen sind beträchtliche Mengen ver- daulich. Der Blutfarbstoff wird bis zu Hämatin abgebaut und als solches z. T. durch den Stuhl entleert, z. T. aber — entgegen früheren An- schauungen — aufgesogen und verwertet. Die beiden Lipoide, Lecithin und Cholesterin, sind überaus wichtige Nahrungsbestandteile und die anorganischen Blutbestandteile spielen als Nähr- salze eine Rolle. Kobert macht besonders dar- auf aufmerksam, daß es Raubtiere gibt, die fast nur von Blut sich nähren und dabei sehr kräftig werden, und daß die Verwendung des Blutes zu Blutwurst, zu Schwarzsauer und anderen Gerichten zeigt, daß uns der Genuß von Blut keineswegs zu widerstehen braucht. Tierkrankheiten, welche das Blut verändern , kommen bei Schlachltieren zur Kenntnis des aufsichtsführenden Veterinär- arztes, der krankes Blut natürlich von der Abgabe ausschließen wird. Aber selbst wenn ein Schwein eine der gefährlichsten bakteriellen Krankheiten, wie z. B. den Rotlauf, hätte, würde nach Kobert das Blut in Form von Blutbrot ohne Schaden ge- nossen werden können, da der Backprozeß keim- tötend wirkt. Die Menge des Blutes, welche dem Mehl zugesetzt wird, wird von den Esten in ver- schiedenen Orten verschieden hoch angegeben. Kobert empfiehlt 10 "/„ des verwendeten Mehles, gleichgültig, ob Kartoffelmehl dabei ist oder nicht, an Scliweineblut zu nehmen und mit derartigem Brote zunächst in Gefängnissen, Armenhäusern und Asylen für Obdachlose Versuche zu machen, und falls diese günstig ausfallen , alsbald breitere Schichten des Volkes an diese Brotart dauernd zu gewöhnen. In seinem oben angeführten Schrift- chen „Über die Benutzung von Blut als Zusatz zu Nahrungsmitteln" zitiert Kobert eine Notiz der Frankfurter Zeitung vom i. Februar 1915, in der es unter dem Stichwort „Deutsch es Blut- brot" heißt: ,, Ein Roggenbrot, bei dem Schweine- blut mitverwendet ist, wird in den Oldenburgischen Landen seit undenklicher Zeit gebacken , und zwar nicht nur von den einfachen Leuten, sondern auch von den gut situierten Bauern. Dies Brot ist dort unter dem Namen „Blutball" bekannt; sein Gewicht beträgt etwa zwei Pfund. Es soll nach den Erfahrungen de r Baue rn einen kräftigen Wohlgeschmack besitzen; es wird namentlich in den Wintermonaten gebacken." Die Frankfurter Zeitung setzt mit Recht dieser Mitteilung hinzu, daß daraufhin die von Kobert vorgeschlagenen Vorversuche in Gefängnissen und Armenhäusern überflüssig sind. Das muß auch ich bestätigen, denn ich habe als Junge in meiner westfälischen Heimat mit großem Appetit mehr Blutbrot gegessen als zwei Stadtjungen Semmel. Dieses Blutbrot, genannt „Wöppchenbrot" wird in den Provinzen Westfalen und Hannover ungefähr folgendermaßen hergestellt: Beim Schlachten des Schweines wird das Blut in einer Schale aufge- fangen und, damit es nicht klumpig wird, tüchtig mit einer Rute geschlagen und dann durch einen Durchschlag (Sieb) geschüttet. Zu etwa 2 Liter Blut gibt man 3 Liter von der Fleischbrühe, in der das Fleisch und der Speck, welche zu Leber- und Blutwurst und zur Sülze gebraucht werden, gekocht wurden. Hierzu gibt man in kleine 296 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 19 Würfel geschnittenen Speck, geschmorte Zwiebeln, Majoran, Thymian, Pfeffer, Salz, Nelken und Nelken- pfeffer je nach Geschmack sowie schließlich einige Schöpflöffel voll abgefülltes Feit aus dem Wurst- kessel. Zu dieser Mischung setzt man soviel Roggenschrotmehl, daß nach genügender Durch- arbeitung ein zäher, fester Teig entsteht, aus dem man eiförmige Brötchen formt, die in kochendes Wasser gelegt und eine Stunde lang darin belassen werden. Hierauf nimmt man ein Brötchen heraus, teilt es durch und wenn es im Innern trocken ist, so sind die Wöppchenbrote fertig, sie werden heraus- genommen und zum Abkühlen hingelegt. Das Wöppchenbrot kann nach dem Abkühlen roh ge- gessen werden oder es wird, in Scheiben ge- schnitten, in der Backpfanne mit aufgelegtem Deckel in Wasser gedämpft oder unter Zusatz von Fett gebacken. Geruch und Geschmack sind vorzüglich. In der angeführten Broschüre gibt Kobert verschiedene Back- und Kochvorschriften zur Ver- wertung von Blut , weitere findet man in der lesenswerten Schrift von J. Block „Blut als Nahrungsmittel" (Naturwissensch. Verlag in Godes- berg bei Bonn 191 5. 40 Pf.). Ferner macht Wa. Ostwald (Chem. Ztg. 1915, Nr. 24, S. 154) auf zwei in den Ostseeprovinzen beliebte blut- haltige Gerichte, die „Palten" und die „Blutgrütz- wurst" aufmerksam. Die Redaktion der „Chemiker- Zeitung" versendet auf Veranlassung von Wa. Ost wald Interessenten erprobte Rezepte für diese beiden Gerichte, die von Frau Pia Ostwald ausgearbeitet wurden. Dr. Rammstedt. Über das „Altbackenwerden" des Brotes macht M. P. N e u m a n n in der Zeitschr. f d. ges. Ge- treidewesen (6, 119 I1914]) einige bemerkenswerte Mitteilungen. Die äußeren Erscheinungen der Zustandsänderung, welche das Brot bei längerer Aufbewahrung erfährt (die Kruste wird runzelig und zähe, die Krume trocken, fest und hart), sind begleitet von meßbaren physikalischen Änderun- gen. Durch Schrumpfung wird das Gesamtvolum kleiner; die Volumverringerung kann bis zu 25"/,, betragen. Obwohl sich hierbei die Porenräume des Brotes verkleinern, nimmt doch das Gesamt- porenvolum zu, da beim Trocknen und Schrump- fen der Brotmasse neue Hohlräume gebildet wer- den. Altes Brot zeigt gegenüber frischem eine verringerte Aufnahmefähigkeit für Was.ser; bei- spielsweise betrug die höchste Wasseraufnahme der Brotkrume von frischem Weißbrot 289"/,,, die von altem i53''/f|. Dies läßt schon erkennen, daß das Altbackenwerden von Brot nicht auf einfaches Austrocknen zurückzuführen ist, da dann ja die Aufnahmefähigkeit für Müssigkeiten bei der wasser- ärmeren Brotmasse größer sein müßte als bei der frischen. Zudem geht die Feuchtigkeitsabnahme im Brot so langsam vor sich, daß der verhältnismäßig schnell verlaufende Vorgang des Altbackenwerdens nicht durch das Austrocknen erklärt werden kann. Der Wasserverlust schreitet solange fort, bis das Brot den Wassergehalt aufweist, den das Mehl unter normalen Umständen hat (14 — iS^/o)- Von da ab ändert sich das Gebäck nicht mehr, wie die Untersuchung von 40 — 50 Jahre altem Brot zeigte. — Die wichtigste chemische Änderung, die das Brot beim Backprozeß erfährt, besteht darin, daß die Stärkemehlkörner verkleistern und das Klebereiweiß gerinnt. Diese Zustandsände- rungen der Mehlbestandteile sind — wenigstens bei der Stärke — umkehrbar, und die Umwand- lung und Ausscheidung der verkleisterten Stärke ist es in erster Linie, die das Altbackenwerden des Brotes bedingt. Alle Hilfsmittel, die zur Hintanhaltung des Altbackenwerdens vorgeschla- gen worden sind, wirken in dem Sinne, daß sie die Verkleisterung der Stärke vollkommener machen, damit die Rückbildung der Stärke aus dem Kleisterzustand möglichst verzögert wird. Daß altbackenes Brot durch Erwärmen wieder aufge- frischt werden kann, läßt sich leicht durch die Annahme einer erneuten Verkleisterung der Stärke erklären; diese Erklärung steht im Ein- klang mit der Tatsache, daß die Auffrischung nur bis zu einem bestimmten Mindestgehalt Wasser (etwa $0'%) möglich ist. Es ist auch schon lange bekannt, daß niedere Temperaturen die Koagula- tion von Stärkelösung beschleunigen, während höhere Temperaturen sie hemmen. Weitere Auf- klärung über den Vorgang des Altbackenwerdens dürfte eine genauere Untersuchung des Zusam- menhangs dieser Erscheinung mit der physikali- schen und chemischen Beschaffenheit der Stärke- körner, mit dem Mineralstoffgehalt des Mehles und den Zutaten zum Brotteig (z. B. Kochsalz) bringen. Bugge. Über die Ausnutzbarkeit eines neuartigen Voll- brotes sprach Geh. Rat. Prof. Z u n t z in der Phy- siologischen Gesellschaft zu Berlin.') Lieb ig 's Vorschlag, die in der Kleie des Brotes enthaltenen wertvollen Nährstoffe im Brote auszunutzen, sind nicht zur Ausführung gekommen, weil es sich zeigte, daß das hierdurch mehr zu- geführte Stickstoffquantum die Ausnutzung des Mehlkörpers beeinträchtigt. Später hat man es mit den sog. Vollbroten versucht, wobei nur die Aleuronschicht verwandt w'urde, während die iiol- zigen Außenteile fortgelassen wurden. Plagge und Lebbin haben jungst in der Kaiser- Wilhelm- Akademie mit derartigen nach dem Verfahren von Klopfer hergestelltem X'ollbrote Ausnut- zungsversuche angestellt, die zu dem Ergebnis führten, daß die Militärbehörde recht damit habe, wenn sie bei ihrem Roggenbrote die 25",, Kleie entfernen lasse. Zuntz' Versuche stehen im Gegensatze zu diesen Ergebnissen, sie wurden an einem Brote ausgeführt, dessen Mehl nach einem neuen Verfahren so bereitet war, daß nur etwa 3 — 5" „, und zwar der holzige Außenteil, durch ein nasses Verfahren entfernt wurden. Die Stoff- ') Zeitschrift für angew. Chemie. 2S, III, 37. N. F. XIV. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 297 wechselversuche wurden unter Zusatz von etwas Butter und P'leisch lo Tage lang an 3 Personen durchgeführt, wobei sich zeigte, daß mit eintreten- der Gewöhnung auch die Ausnutzung eine bessere war. Für die Ausnutzung ist die Zeit des Ver- weilens der Masse im Dickdarm maßgebend, die bei verschiedenen Personen verschieden ist. Je länger der Darm ist, desto mehr haben die Er- reger, die nach früheren Arbeiten von der Heide 's die Zellulosegärung hervorrufen, Gelegenheit, sich zu betätigen. Man kann also nach diesen Ver- suchsergebnissen ruhig dem Brote größere Kleien- mengen als bisher zusetzen, namentlich dann, wenn man bei der Ernährung mit demselben plötzliche Übergänge vermeidet. Auf diese Weise können unsere augenblicklichen Getreidevorräte nicht nur erheblich vermehrt, sondern auch die in ihnen enthaltenen Nährwerte bedeutend besser ausge- nutzt werden. Gerade in der Schale des Getreide- korns finden sich nicht näher erforschte, aber für die menschliche Ernährung zweifellos sehr bedeu- tungsvolle Stoffe vor. Otto Fr. Bürger. Die Desinfektion des Wassers im P'elde. Als die brauchbarsten Verfahren zur Wasserreinigung sind nach H. Kühl') anzusehen: i. Abkochen des filtrierten Wassers, verbunden mit nachfolgen- der Beseitigung des Kochgeschmacks. 2. Filtra- tion unter Benutzung geprüfter und im Gebrauch überwachter Berkefeld- und Hansafilter. 3. Ozo- nierung des filtrierten und gegebenenfalls vom Eisen befreiten Wassers. O. Bürger. ') Z. f. öffentliche Chemie 20, 382 — 86 [1914I, Einzelberichte. Geologie. „Über tektonische Druckspalten und Zugspalten" gibt Johannes Walt her in der Zeitschrift der Deutschen geologischen Ge- sellschaft, Bd. 66, Jahrgang 1914, Monatsbericht Nr. 5, S. 284 — 311 äußerst interessante Mit- teilungen. Lange Zeit versuchte man vertikale Höhen- unterschiede unserer Faltengebirge durch eine senkrecht von unten nach oben wirkende Kraft zu erklären. F>st ganz allmählich konnte sich die moderne Ansicht durchringen, daß die vertikale Hebung aus horizontal wir- kenden Druckkräften resultiert. Vor allem war es der große Wiener Geologe Eduard Sueß, der in seiner Schrift über „die Ent- stehung der Alpen" und dann hauptsächlich in seinem „Antlitz der Erde" die Grundlage unserer modernen Anschauungen von der Entstehung der Faltengebirge durch Seitenschub geschaffen hat. Allein nicht nur in hebenden, sondern auch in horizontalen Bewegungen der Erdrinde kommt die Seitenspannung zum Ausdruck. Li vielen Teilen Europas sind in jüngster Zeit riesige horizontal weit ausgedehnte Überschiebungen nachgewiesen worden. Ein großer Teil der Westalpen besteht nach Seh ardt aus übereinander geschobenen Decken. Doch nicht allein die Falten und Über- schiebungen, sondern auch die tektonischen Ablösungsflächen (Klüfte, Bruchlinien, Gänge usw.), sowie alle kleinere Gräben und viele Horste müssen wir nunmehr nach Joh. Walther auf tangentialen Seite nschub zurück- führen. Im folgenden soll zunächst über die tek- tonischenSpaltensysteme berichtet werden. Davon sind Klüfte und Verwerfungen durch seitlichen Druck, dagegen Gangspalten, Trümmerzonen und Spaltentäler durch Z u g zu erklären. Das geringste Ausmaß tektonischer Störungen bilden die Klüfte (Diak lasen), die wir als feine Fugen (nicht zu verwechseln mit den Ab- sonderupgsformen von erstarrenden Eruptiv- gesteinen) in fast allen Gesteinskomplexen finden. Untersuchungen in Sandsteingebieten haben er- geben, daß die Mehrzahl der Klüfte dasselbe Streichen wie die Verwerfungen zeigen, mithin beide auf gemeinsame Ursachen zurückzuführen sind. Ähnlich wie Mauerwerk bei Erdbeben Risse bekommt, so dürfte wohl die Mehrzahl der Klüfte auf einstige Erdbeben zurückzuführen sein. Es kam nicht zu einer dauernden Verschiebung, sondern es war sozusagen ein Pendeln um eine Gleichgewichtslage, wie das die Harnische (Spiegel) mit ihrer Politur, Riefung und Glättung zeigen. Horizontale Harnische, die übrigens gar nicht selten sind, geben ein Bild von dem stattgehabten seitlichen Druck. Vielfach sind sie mit Gletscher- schliffen verwechselt worden. Während die Klüfte eine weite Verbreitung haben und in ihrer großen Zahl meist nur in Aufschlüssen deutlich zu erkennen sind, lassen sich die Verwerfungen (Paraklasen) leicht über das Gelände verfolgen und auch auf der Karte darstellen. Ihre Bedeutung wurde erst nach und nach richtig gewürdigt. Eine geologische Karte von heute verglichen mit einer solchen der 70 er Jahre läßt eine überraschend große Zahl von Verwerfungen auf der neuen Auflage er- kennen. Man hat feiner beobachten gelernt, zu- dem sind die topographischen Unterlagen jetzt genauer geworden, wodurch das Heraustreten von Störungen dem kartierenden Geologen offensicht- licher wird. Und doch lassen sich nicht alle Störungslinien zur Darstellung bringen, da viel- fach die Sprunghöhe zu gering ist. Wollte man alle Störungen auf den Kartenblättern eintragen, so würde sich ein mannigfaltiges Spaltennetz er- geben. Neuere Untersuchungen haben auch ge- 298 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 19 zeigt, daß die Faltengebirge von zahlreichen Ver- werfungen durchzogen werden. Die Verwerfungen bilden in der Regel fein geschlossene Fugen, die nur an der Oberfläche im Ausgehenden durch die Verwitterung erweitert sind. Da sie meist keine Gangmasse enthalten, so ist ein seitliches Zusammenpressen der Gesteine um so offensicht- licher, was auch aus den vielfach zu beobachten- den Harnischen und Rutschstreifen auf Ver- werfungsspalten hervorgeht. Bisher nahm man an, daß Verwerfungen durch vertikales Abrutschen an stehenbleibenden Pfeilern unter dem Einflüsse der Schwerkraft entstanden seien. Dies mag auch für einige Fälle zutreffen, doch ist nach Joh. Walt her für die größere Zahl der Verwerfungen eine Bewegung auf flach an- oder absteigenden schiefen Ebenen unter Zusammenpressung der Verwerfungsklüfte anzunehmen. Selbst bei größeren Verwerfungen, wo man am ehesten vertikale Rutschstreifen erwarten sollte, sind spitzwinklige Bewegungsstreifen häufig, wie das die Unter- suchungen der Verwerfungen am Rheintalgraben gezeigt haben. Der Verlauf von Verwerfungen an der Oberfläche ist selten auf größere Strecken gerade. Auch nach der Tiefe zu ist durch berg- männische Untersuchungen festgestellt, daß Biegungen und Änderungen des Fallwinkels eine große Rolle spielen. Wir dürfen also nie von einem oberflächlichen Verlaufe auf gleiche Fort- setzung in die Tiefe schließen. In diesem Sinne sind auch die Bruchlinien in Profilen unserer Lehrbücher zu verstehen, die in Wirklichkeit nur auf wenige Meter Länge beobachtet sind, so daß der weitere Verlauf völlig hypothetisch ist. Genau parallele Bruchlinien sind selten. Wohl in den selteneren Fällen sind sie direkt senkrecht, sondern meist divergierend. Werden Spalten mit Mineralien oder Gesteins- massen angefüllt, dann spricht man von Gang- spalten (A ntiklas en). Sie unterscheiden sich von den bisher besprochenen Spalten dadurch, daß die F'elsmasse auseinandergewichen ist und nachher der Hohlraum mit neugebildeten Massen angefüllt wurde. Je breiter die Spalte, desto größer ist das Ausmaß der stattgehabten Be- wegung. Aus der Füllmasse können wir schließen, nach welcher Richtung die Spalten während ihrer Auffüllung geöffnet waren. Die Entstehung der Gangspalten kann verschiedener Natur sein. Die aplitischen und pegmatitischen Gänge, wie auch die Ganggesteine im Kontakthofe und dessen Umgebung dürften wohl im Zusammenhange mit der Eruption entstanden sein ; in diesem Falle Star die Öffnung nach unten. Anderer Ent- wehung sind die mit Erzea oder Mineralien er- füllten Gangspalten. Fremde Gesteine in Gängen zeigen uns, daß die Spalten zu einer Zeit klafften, wo jetzt längst denudierte Gesteinsmassen oft mehrere Hundert Meter tief in sie hineinfallen konnten.' 1 Die übrigen (iangspalten, die weitaus die Mehrzahl bilden, sind durch chemische Nieder- schläge aus Lösungen vadoser Natur (von oben) oder eruptoser Natur (von unten ; weitaus die Mehrzahl) ausgefüllt worden. Vielfach bilden schwer lösliche Mineralien wie Schwerspat und Quarz die Füllmasse, da sie — weil am schwer- sten löslich — zuerst aus den Lösungen ausfielen. Interessante Untersuchungen an den Gängen des Siegener Landes haben gezeigt, daß die Streich- richtung und das Fallen der Gänge stark schwankt, wenngleich innerhalb enger Bezirke gewisse Streichrichtungen vorherrschen. Die Gänge folgen dort vorwiegend dem Hauptstreichen des rheinischen Schiefergebirges. Spätere tektonische Störungen haben nicht selten die Gänge ver- schoben und zertrümmert, so daß sie unabbau- würdig werden. Die Entstehung der Gangspalten deutet Joh. Walt her so, daß zwischen den durch Seitendruck gepreßten und verschobenen Schollen Interferenzzonen eingeschaltet sind, deren Spalten- wände nachträglich klaffend auseinandergewichen sind. In gefalteten oder gebrochenen Störungsgebieten entstehen durch tektonische Bewegungen inner- halb der Erdkruste die Trümmerzonen (Poly- k lasen). Es sind schmale oder breite Zonen, bei welchen das Gestein aus zahlreichen scharf- kantigen Trümmern besteht, die lose oder wieder verkittet sein können (Reibungsbreccien bzw. Schalen- oder Ringelerze, wenn die Trümmer von Erzen umrindet sind). Die verkitteten Trümmer- massen gehen vielfach in unverkittcte Trümmer über, wie das bei den tiefen Alpentunnels, aber auch bei Bahnbauten in wenig gestörten Schichten - tafeln Deutschlands festgestellt werden konnte. Solche lose Trümmerzonen sind für den Bergbau mit großen Schwierigkeiten verknüpft. Von besonderem Einflüsse ist die Tektonik auf die Talbildung. \^ielfach kann man be- obachten, daß Täler in gefalteten Gebirgen ein paralleles Streichen mit den tektonischen Leitlinien zeigen. Die Täler entsprechen stets einem ge- öft'neten Sattel und sind darauf zurückzuführen, daß die Sattelachsen durch einen seitlichen Zug gelockert und deshalb durch Erosion leichter aus- geräumt werden konnten. Streng davon zu scheiden sind die Spaltentäler. Nicht selten kann man beobachten, daß manche Talstrecken in nicht gefalteten und scheinbar ungestörten Tafelländern den tektonischen Leitlinien benach- barter Horste und Gräben parallel gehen. Im allgemeinen konnte man sich bisher einen Zu- sammenhang zwischen beiden Erscheinungen nicht erklären. Nach Joh. W a 1 1 h e r müssen wir aber annehmen, daß es Zugspalten im Sinne von ge- radlinigen Trümmerzonen sind, die nicht wieder verkittet wurden, weil sie an die Erdoberfläche mündeten. Die Erosion hatte dann hier ein leichteres Spiel eine Rinne einzuschneiden als auf den benachbarten geschlossenen Tafeln. Ein rezentes Äquivalent der tek- tonischen Spaltensystcme sind die Erd- bebenspalten. Zugspalten treten als klaffende, an der Erdoberfläche geöffnete Spalten N. F. XIV. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 299 in Schüttergebieten allgemein auf. Weit ausge- dehnte, beständig wechselnde Spalten streichen durch weite Gebiete. Augenzeugen haben be- obachtet, wie sich Spalten durch Zug öffneten und im nächsten IVIomente wieder geschlossen haben, wobei vielfach Gegenstände eingeklemmt wurden. Druckspalten sind viel schwerer zu beobachten, weil sie fest aneinander gepreßt wurden ; horizontale Verschiebungen sind nur dann zu erken- nen, wenn zufällig EisenbahngIeise,Grundstücksgren- zen oder Wege verschoben sind. Besonders interes- sant ist es, wenn horizontale Verschiebungen ohne Bildung einer Geländestufe stattgefunden haben. Das Ausmaß horizontaler Verschiebungen während eines kurzen Bebens in Kalifornien wurde zu 5 — 10 m bestimmt. Auffälliger sind die Bruch- spalten, wenn eine vertikale Bewegung unter Bil- dung einer Geländestufe eintritt. Vorher ebene Straßen, Eisenbahnen oder Flüsse werden durch eine Verwerfung durchrissen, so daß bei letzteren ein Wasserfall entsteht. Bei den meisten Erd- bebenspalten müssen wir annehmen, daß ebenso wie bei fossilen Spalten der seitliche Druck auf einer sehr wenig ansteigenden schiefen Ebene er- folgte, wobei der vertikal zurückgelegte Weg ver- schwindend klein ist gegenüber der horizontalen Verschiebung. Ebenso wie die tektonischen Spalten und die Erdbebenspalten müssen wir nach Joh. Walther auch die Bewegung ganzer Schollen durch seit- lichen Druck erklären. Nach dem Höhenunter- schiede benachbarter Schollen unterschied E. S u e ß in seinem „Antlitz der Erde": Treppenbruch, wobei mehrere Schollen in auf- oder absteigender Richtung aufeinander- folgen, und Graben bzw. Horst, wo ein Streifen tiefer bzw. höher als seine Nachbargebiete liegt. Im besonderen erklärt E. Sueß die deutschen Horste so entstanden, daß sie die auf dem alten Niveau stehen gebliebenen später getrennten Stücke einer einheitlichen Hochebene sind , während die Zwischenstücke als Gräben oder Senkungsfelder der Schwere folgend in die Tiefe gesunken sind Was die Horste anbetrifft, so hat Walt her schon früher die Ansicht geäußert, daß das rheinische und böhmische Massiv im Sinne von E. Sueß aufzufassen seien („ständige Horste" nach Joh. Walther), dagegen die übrigen Horste gehoben seien („gehobene Horste" nach Walt her). Letzteren gehören Schwarzwald - Odenwald = Vogesen-Hardt, der Seeberg bei Gotha, der Kyff- häuser, der Harz, der Flechtinger Höhenzug usw. an. Mehrere Beweise sprechen für diese Auf- fassung. Die angeführten Horste zeigen ein widersinniges Einfallen der Randspalten gegen das Gebirge (keilförmige Gestalt des Horstes). Weiterhin besteht ein Mißverhältnis zwischen den Dimensionen kleiner Horste und ihren benach- barten Senkungsfeldern. Der Seeberg ist ein 5 km langer und nur 200 m breiter Horst, dessen Kamm mittlerer Muschelkalk mit Gipsen bildet; die Sprunghöhe beträgt 400 m. Angesichts dieser Tatsachen, die nicht allein sind, wird man zu der Überzeugung geführt, daß diese kleinen Horste nicht im Sinne von E. Sueß stehen ge- blieben sind, sondern auf schiefen Ebenen empor- gepreßt sind, wie das auch die fast horizontalen oder unter spitzen Winkeln ansteigenden Rutsch- streifen auf den Havnischen beweisen. Von besonderem Interesse ist es, daß Joh. Walt her all seine neuen Anschauungen über Tektonik mit Hilfe des Experimentes durch einen relativ einfachen Apparat — den orogenetischen Spaltenapparat (käuflich bei Dr. F. Krantz, Mineralienkontor, Bonn) — bestätigen konnte. Der orogenetische Spaltenapparat besteht aus einem nachgiebig eingespannten Rahmen mit völlig aneinanderpassenden Holzstücken, deren Umriß einem Spaltenzug aus NW-Deutschland entspricht. Durch einen langsam wirkenden ein- seitigen Druck tritt eine Bewegung fast aller Teile ein. Obwohl der Druck vorwiegend in horizontalem Sinne erfolgt, steigen Horste empor und Gräben sinken in die Tiefe, während Treppen- brüche beide Regionen verbinden. Hierbei ent- stehen nicht nur Druckspalten mit horizontalen, schrägen und vertikalen Verschiebungen, sondern es öffnen sich infolge Entlastung von gepreßten Partien gleichzeitig große und kleine Zugspalten mit klaffenden Rändern. So hat uns Joh. Walt her in genialer Weise damit vertraut gemacht, daß Druck und Zug für die Gestaltung und den Bau der Erdrinde von großer Bedeutung sind. Die Faltung der Gebirge, die Überschiebungen und die Ver- werfungen sind durch seitliche Druckkräfte be- dingt, aber wir sehen auf der anderen Seite in zahllosen Mineral- und Erzgängen, in verkitteten Reibungsbreccien und Trümmerzonen auch deut- liche Zeichen dafür, daß ganze Stücke der Erde zu gewissen Zeiten seitlich gezerrt worden sind. Da sich die tektonischen Bewegungen auf lange Zeiträume verteilen können, so sind gehobene Streifen meist abgetragen und entlastet, dagegen Gräben und Senkungsfelder mit neuen Sedimenten bedeckt und belastet, wodurch es zu lokalen Zer- rungen kommt (Gangspalten, Trümmerzonen). Auf Grund von Tatsachen müssen wir uns damit vertraut machen, daß die Bewegung der Schollen vor allem auf schiefen Ebenen erfolgt. V. Hohenstein. Physiologie. Wie bereits früher (Nr. 17 u. 19 N. ¥. 14. Bd. d. Bl.) mitgeteilt wurde, sind die Augen der im \\'asser lebenden Wirbeltiere und der untersuchten Wirbellosen nach dem Münchener Ophtalmologen C. v. Heß nicht im- stande, die verschiedenen Lichtstrahlen nach ihrer Farbe wahrzunehmen; sie sind nur fähig, dieselben nach ihrem Helligkeitswert zu unterscheiden, wie das Auge eines total farbenblinden Menschen. H. untersuchte nun auch die Lichtempfindlichkeit der Stachelhäuter. (Untersuchungen über den Lichtsinn bei Echinodermen. Pflüger's Archiv für die ges. 300 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 19 Physiologie des Menschen und der Tiere. 160. Bd. 1914). Er fand nicht nur, daß sie dieselbe Reaktion auf Lichtstrahlen von verschiedener Wellenlänge haben wie die übrigen Wirbellosen, sondern auch , daß die Lichtempfindlichkeit an andere Organe gebunden ist, als man bisher meinte. Bis jetzt bestanden zahlreiche Unklarheiten und VMdersprüche über den Lichtsinn der Stachel- häuter. Ehrenberg (i 834) glaubte, das rotgelbe Fleckchen an der Armspitze des Seesterns als ,, Augenpunkt" auffassen zu müssen. Auch andere Forscher, R omanes und Ewart (1881), Preyer (1886/87) und Pfeffe r (1901) hatten entsprechende Ansichten, weil nach Abschneiden der Armspitzen, sonst phototropische Seesterne nicht mehr zum Licht oder ins Dunkele krochen. Im Gegensatz dazu fand Mangold (1909), daß die Lichtreaktion vom Vorhandensein oder Fehlen der Armspitze nicht abhängt, der „Augenpunkt" also nichts mit .■\bb. I (nach Heß). der Photorezeption zu tun haben kann. H. fand einen hohen Grad von Lichtempfindlichkeit bei den Seesternen der Familie Astropectinidae, na- mentlich bei Tieren von Astropecten aurantiacus Gray. Wird ein Teil des Armes belichtet, so ziehen sich nach i Sekunde die bestrahlten Füß- chen zurück, und zwar um so rascher, je intensiver der l.ichtreiz ist, und die Ambulacralrinne verengt sich, indem die Stacheln an ihrem Rand über den eingezogenen Füßchen zusammenschlagen (Abb. I). Daß die Armspitze für das Eintreten der Licht- reaktion ohne Belang ist, zeigten auch die Ver- suche von Heß. Es war ganz einerlei, ob die Armspitze belichtet oder verdunkelt wurde, oder ob sie samt dem Augenpunkt ganz fehlte. Der abgeschnittene Arm zeigte die Lichtreaktion noch nach 8 Tagen, und selbst 2—3 cm lange Stücke aus dem mittleren Armteil reagierten noch tage- lang. Von den verschiedenen Strahlen des Spek- trums wirkte Rot gar nicht, auch wenn es dem menschlichen Auge hell erscheint. Ein für dieses viel dunkleres Blau dagegen veranlaßt die Füßchen sich zusanmienzuziehen und zwar um so rascher und energischer, je heller es war. Die Art der Reaktion war also abhängig von der Wellen- länge und eine ähnliche oder gleiche, wie bei allen bisher von H. untersuchten Wirbellosen und beim total farbenblinden Menschen. Daß auch adaptive Änderungen in den P'üßchen vor sich gehen, ergab sich daraus, daß lange hell gehaltene Tiere bei Belichtung kein oder nur ein geringes Ein- ziehen der Füßchen zeigten ; bei Dunkeladaption da- gegen erfolgte dasselbe um so rascher und ener- gischer, je weiter die Dunkeladaption vorgeschrit- ten war. Besonders merkwürdig ist , daß die Lichtempfindlichkeit hier gar nicht an besondere Sehorgane gebunden, und ein so großer Teil der Körperoberfläche lichtempfindlich ist. Rechnet man nämlich 800 Füßchen (jeder der 5 Arme zu 160 Stück) zu je I cm Länge, ergibt das einen Streifen von 8 m Länge lichtempfindlicher Sub- stanz. Bei den anderen im Golf von Neapel vorkom- menden Seesternen fand H. nichts ähnliches wie bei den Astropectiniden. Wir haben also die auffallende Erscheinung vor uns, daß der Sitz der lichtempfindlichen Elemente Organe sind , die nach unserer bisherigen Meinung ausschließlich der Fortbewegung dienen , und daß keine Eigentüm- lichkeit in ihrem Bau auf die besondere Licht- empfindlichkeit hinweist. Beispiellos ist zweitens in der Tierreihe, daß ein verhältnismäßig so großer Teil der Körperoberfläche eines Tieres in so liohem Maße lichtempfindlich ist. Drittens endlich ist es auffallend , daß die anderen Gattungen der Seesterne und die Astropectiniden solche Ver- schiedenheiten in der Lichtreaktion zeigen. Die roten Lichtstrahlen sind auch hier ganz oder fast unwirksam im Gegensatz zu einem für uns viel dunkleren Blau. Der Lichtsinn bei Holothurien hat seinen Sitz in den die Mundöftnung umgebenden l'ühlern. Eine deutliche Lichtempfindlichkeit zeigte Holo- thuria poli. Wenn die Tiere im Aquarium eine Zeitlang ungestört sind, öffnen sie den Mund und strecken die Tentakeln mehr oder weniger weit aus. Werden diese mit der Hammerlampe') oder nur mit einer gewöhnlichen Taschenlaterne be- strahlt, schließen sie nach i — 2 Sekunden den Mund und ziehen die Tentakeln ein, und zwar erfolgt die Reaktion schon, wenn das Licht die Mundgegend nur den Bruchteil einer Sekunde lang trifft. Auch bei den Seewalzen ist eine Adaption ') Dieselbe gestattet die intensive Belichtung eines kreis- förmigen Feldes von gewünschtem Durchmesser, während die Umgebung fast im Dunkeln bleibt. N. F. XIV. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 301 an das Licht festzustellen. Bei wiederholter Be- lichtung sind immer größere Lichtstärken erfor- derlich und die Reaktion erfolgt langsamer als bei dunkeladaptierten Tieren. Den verschie- denen Lichtstrahlen gegenüber zeigen die Holo- thurien dasselbe Verhalten, wie die Seesterne; Rot wirkt fast wie Dunkelheit, Blau am stärksten. Eigentümliche Reaktionen beobachtete H. bei Seeigeln. Aus den Untersuchungen von Sa- rasin (1887) und von v. Uexküll (1896) ist bekannt, daß bestrahlte Seeigel bei nachfolgender Beschattung ihre Stacheln ein wenig heben. H. gelang es nun, die Empfindlichkeit auch für die verschiedenen Strahlenqualitäten an dem Seeigel Centroitephanus zu prüfen (Abb. II). Er erhielt .\bb. II (nach Hefi). von dem im Golf von Neapel seltenen Tier 19 Exemplare mit 10 — 12 cm langen Stacheln aus 50 m Tiefe. Er beobachtete außer der schon be- kannten Lichtreaktion der Stacheln eine viel emp- findlichere Reaktion, die schon bei sehr geringer Lichtstärkeabnahme sichtbar wird und zu den von ihm geplanten Prüfungen geeignet war. In der Umgebung der Analöffnung finden sich bei Centrostephanus eigentümliche schön hellvio- lette Gebilde, die man merkwürdigerweise bisher als „Stacheln" bezeichnete. H. nennt sie dagegen, entsprechend ihrem Aussehen, „Kölbchen". Es sind 25 — 35 ca 2 — 3 mm lange und kaum i mm dicke Röhrchen mit kolbenförmiger hellvioletter Verdickung am freien Ende. Zu je 3 — 4 stehen sie in i — 2 cm Abstand vom aboralen Pol, be- festigt auf kleinen flachen Erhebungen. Um sie herum stehen i — 2 cm lange harte, spitze weiße Stacheln, die bei dem Versuch, die Kölbchen mit der Pinzette zu fassen, wie zum Schutz über diesen zusammenschlagen. Diese Kölbchen führen rotierende Bewegungen aus, indem sie in einem Winkel von 30 Grad eine Kegelfläche beschreiben. H. fand nun, daß diese rotierenden Kölbchen- bewegungen nur bei Belichtungsabnahme auftreten. Schon erstaunlich geringe Lichtstärkeverminderun- gen lösen lebhafte Rotationsbewegungen aus, so daß die Kölbchen besonders geeignet sind, mit ihrer Hülfe Messungen über den Helligkeitswert verschiedenfar- biger Strahlen anzustellen. Der biologische Wert dieser Kölbchenbewegung ist völlig unklar, während jener des Aufrichtens der Stacheln bei Beschattung wohl als Schutzvorrichtung gegen nahende Feinde aufgefaßt werden kann. Stellt man einen mög- lichst frischen Centrostephanus ans helle Fenster, so zeigen die Kölbchen zunächst lebhafte Rotation, die aber allmählich langsamer wird und etwa nach I Minute ganz aufhört. Fährt man nun einmal mit der Hand rasch an der hellen Seite des Fensters vorüber, so daß das Tier für den Bruchteil einer Sekunde leicht beschattet wird, tritt alsbald eine lebhafte Rotation ein, die nach 10 — 30 Sekunden wieder aufhört. Lichtvermeh- rung dagegen löst niemals eine Bewegung der Kölbchen aus; selbst dann nicht, wenn dunkel ge- haltene Tiere plötzlich mit der Hammerlampe be- strahlt wurden. Bei sich in Bewegung befindenden Kölbchen wird das Tempo der Bewegung bei stärkerer Belichtungszunahme verlangsamt. Zu den messenden Untersuchungen über den Helligkeits- wert konstruierte H. zwei einfache Einrichtungen. ~®~] Kig. I. Die eine war folgende (Fig. 1). Der Seeigel S wird in einem Glasbehälter dem Fenster F gegen- über aufgestellt, zwei zu prüfende farbige Kartons, Quadrate von 40 cm Seitenlänge, P, und P.,, werden dicht hintereinander etwa 10 — 20 Sekun- den über den Behälter gehalten und dann rasch der vordere weggezogen. Wirkte z. B. erst ein weißes oder ein hellgraues Papier, dann ein schwar- zes oder dunkelgraues, trat sofort eine Kölbchen- bewegung ein, nie im umgekehrten Fall. Bei der zweiten Einrichtung war jeder Einfluß der Bewegung ausgeschlossen (Fig. 2). In einem langen K Fig. 2. innen geschwärzten Tunnel T ist eine elektrische Lampe L leicht verschieblich angebracht; sie be- strahlt die unter einem Winkel von 45 Grad aufge- stellte mattweiße Fläche F; das von ihr zurück- geworfene Licht trifft den Seeigel S. Geringes Zurückschieben der Lampe genügt schon, um eine Kölbchenbewegung auszulösen. Nur plötzliche Lichtstärkeabnahme wirkt, während allmähliches Zurückschieben der Lampe viel weniger wirksam 302 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 19 oder ganz unwirksam ist. Bei der Prüfung mit verschieden hellem Grau und verschiedenen far- bigen Flächen trat eine Kölbchenbewegung immer nur ein, wenn Hell durch Dunkel ersetzt wurde. Die verschiedenen Farben wirkten wie beim total farbenblinden Menschenauge; das Ersetzen eines ziemlich dunklen Blau durch ein für uns helleres Rot riet lebhafte Bewegung hervor. Der Hellig- keitswert von Rot war also für den Seeigel viel geringer als jener von Blau. Zwei verschiedene Farben haben einen gleichen Helligkeitswert, wenn beim Ersetzen von einer durch die andere keine bemerkenswerte Bewegung der Kölbchen eintritt, z. B. bei einem bestimmten Gelb und Blau, einem bestimmten Rot und Dunkelgrau usw. Die ver- schiedenen farbigen Flächen wirken auf die Kölb- chen von Centrostephanus gerade so, wie auf das total farbenblinde Auge des Menschen. H. bedient sich noch eines neuen Apparats, der gestattet noch genauere Bestimmungen über die Empfindlichkeit für kleine Lichtstärkeunter- schiede vorzunehmen. Die damit angestellten Ver- suche zeigten, „daß nahezu die kleinsten Licht- stärkeunterschiede, die von einem normalen Men- schenauge noch eben als Helligkeitsverschieden- heiten wahrgenommen werden, auch genügen, um bei unseren Seeigeln noch regelmäßig Kölbchen- bewegungen hervorzurufen". Aus den bei den verschiedensten Tierarten angestellten Untersuch- ungen hat H. in Übereinstimmung mit seinen früheren Resultaten „bei allen eine ähnliche oder die gleiche Abhängigkeit ihrer Reaktionen von der Farbe des Reizlichtes gefunden, wie sie das Pupillenspiel des total farbenblinden Menschen zeigt." Kathariner. Chemie. Die Alkaloide im Tabaksaft sind von Eugen Noa') untersucht worden. Aus türkischen Tabakabfäilen wurde durch systema- tisches Auslaugen mit Wasser und nachheriges Eindampfen der Auszüge im Vakuum ein Extrakt gewonnen, aus dem durch chemische Operationen, insbesondere durch Ausschütteln mit Benzol, eine kleine Menge von mit Wasserdämpfen nicht flüch- tigen Alkaloiden erhalten werden konnte. Durch fraktionierte Destillation ließen sich aus dem Al- kaloidgemisch vier P^raktionen isolieren: i. Ni- co toin (CgHijN), eine farblose Flüssigkeit von eigenartigem, an Pyridin erinnerndem Geruch, die bei 208" siedet und in Wasser, Alkohol und anderen Lösungsmitteln leicht löslich ist; 2. Nie ot ein (Siedepunkt 267^); 3. Isonicotein (CioHp^Nj), ') Fachliclie Mitteilungen d. österr. Tabakregie 1914, Heft I u. 2. eine farblose, ölige I-'lüssigkeit von starkem , an- haftendem Geruch, die bei 293" siedet, in orga- nischen Lösungsmitteln leicht, in Wasser und Petroläther nur wenig löslich ist, bei der Oxydation Nicotinsäure liefert und die charakteristische Plchtenspanreaktion gibt; 4. Nicotellin (CioHsN.^), eine Substanz, die bei 148" schmilzt und oberhalb 300" siedet. Bugge. Über die trockene Destillation von Holz hat P. Klason eine neue Arbeit') im Jour- nal f. praktische Chemie ([II] 90, 413) veröffent- licht. Bei der Trockendestillation des Birkenhol- zes handelt es sich um einen primären und einen sekundären Verlauf des chemischen Vorgangs. Der erstere, der am reinsten im hohen Vakuum ist, liefert aus lOO Teilen Holz etwa 20,8 Teile primäre Holzkohle, 16,8 Teile Wasser, 6,5 Teile Kohlendioxyd, 4,4 Teile Kohlenoxyd, 7,5 Teile Plssigsäure, 2,2 Teile Ameisensäure, 1,6 Teile Methyl- alkohol, 6 Teile Pech und 4,2 Teile Pechöle, Formal- dehyd usw. Beim sekundären Verlauf der Destil- lation, der am vollständigsten bei hohem Druck oder — unter gewöhnlichem Druck — bei sehr langsamer Temperatursteigerung in Erscheinung tritt, wird kein Pech erhalten, indem dieses „se- kundäre" Holzkohle, Wasser, Kohlendioxyd, Pech- öle usw. bildet. Die Ausbeute an Pech wird also um so geringer, und die Ausbeute an Holzkohle um so höher, je langsamer man die Temperatur bei der Destillation steigert. Die Menge der Essig- säure, die bei der Destillation unter gewöhnlichem Druck entsteht, ist nahezu unabhängig von der Verkohlungsgeschwindigkeit; für wasser- und asche- freies, entrindetes Birkenholz beträgt sie etwa 6,5 "/i,, bei der Destillation im Vakuum ist sie etwa 0,5 % größer. Auch der Betrag des Methyl- alkohols (1,5 "/o bei asche- und wasserfreiem Holz) ist unabhängig von der Verkohlungsgeschwindig- keit. Als sekundäres Produkt liefert die Essig- säure bei der Destillation des Holzes unter ge- wöhnlichem Druck (nicht im Vakuum) Aceton. Charakteristisch für den Verlauf der Destillation ist das Verhältnis zwischen dem Esssigsäuregehalt der Holzsäure (= 1 00) und ihrem Ameisensäuregehalt (der „Ameisensäurezahl"). Die letztere ist ein Maß für die Geschwindigkeit der Verkohlung und infolgedessen auch für die Pechmenge, die Ausbeute an Holzkohle und ihre Beschaffenheit. Ist sie kleiner als 5, so muß auf eine starke Überhitzung der Reaktionsprodukte geschlossen werden. ') Eine frühere Arbeit findet sich Zeitschr. f. angewandte Chemie, 23, 1252 (igio). Bücherbesprechungen. Bateson, W., Mendel's Vererbungstheo- rien. Aus dem Englischen übersetzt von Alina Winckler. Mit einem Begleitwort von R. v. Wcttstein sowie 41 Abbildungen im Text und 6 Paf. Leipzig-Berlin 1914, B. G. Teubner. — Preis geb. 13 Mk. N. F. XIV. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 303 Als vor 6 Jahren Bateson's Buch Mendel's l'rinciples of Heredity erschien, war es die erste icritische und eingehende Darstellung der Mendel- schen Lehren, die auch die seit ihrer VVieder- entdeckung gewonnenen Erfahrungen zusammen faßte und die bis dahin geglückte Analyse ver- wickelter Spaltungen einem größeren Leserkreise — in englischer Sprache — zugänglich machte. Wäre damals gleichzeitig eine deutsche Über- setzung erschienen , so hätte sie fraglos eine viel wärmere Aufnahme gefunden als heute, wo in- zwischen eine ganze Reihe vorzüglicher Lehr- bücher der Vererbungslehre von deutschen Autoren vorliegt. Immerhin darf man die Übersetzung auch jetzt willkommen heißen, wenn ihr freilich wohl kaum ein großer buchhändlerischer Erfolg be- schieden sein wird. Die Eigenart des Buches , die sie von den deutschen Lehr- und Handbüchern ähnlichen Gegenstandes unterscheidet und die Übersetzung rechtfertigt, liegt in der Beschränkung auf ein ganz bestimmtes und zwar das wichtigste Gebiet der modernen Vererbungslehre: den „Mendelismus", und in seiner ganz ausführlichen Behandlung. Ein außerordentlich reiches Material ist hier zu- sammengetragen, zu dem Bateson's eigene und seiner Schüler Versuche einen bedeutenden Teil geliefert haben. Die Darstellung, der man frei- lich die „Übersetzung" hier und da anmerkt, ist durch zahlreiche meist instruktive, wenn auch nicht immer gerade besonders schöne, Abbildun- gen und 6 teilweise farbige Tafeln belebt. Ein zweiter Teil enthält eine Biographie Mendels sowie den Abdruck seiner beiden klassischen Schriften, „Versuche über Pflanzenhybriden" und „Über einige aus künstlicher Befruchtung ge- wonnene Hieraciumbastarde". Die Vereinigung dieser Abhandlungen ^) mit der Übersicht über die bisherigen Ergebnisse des Mendelismus zu einem Buche ist ganz glücklich und wird vor allem denen willkommen sein, die selber auf dem Gebiete praktisch und theoretisch sich betätigen. Aber gerade diese Leser werden den gänzlichen Mangel eines Registers, das für ein solches Buch kaum ausführlich genug sein kann, besonders empfinden. Buder. Michel, Dr. Hermann, Die künstlichen Edelsteine, ihre Erzeugung, ihre Unterschei- dung von den natürlichen und ihre Stellung im Handel. 4". Leipzig 1914, W. Diebener. — Preis geb. 4,50 Mk. Die vorliegende ausgezeichnet ausgestattete Schrift ist in erster Linie für Edelsteinliebhaber, Juweliere und Steinhändler, dann aber auch als Basis für weitere wissenschaftliche Untersuchungen gedacht. Einer Einleitung über Begriff, Zweck und Methoden der Mineralsynthese folgt ein längerer Abschnitt über die künstliche Darstellung der ein- zelnen Edelsteine. Darin werden zunächst als im Handel verbreitete Kunststeine die verschiedenen Korundvarietäten (Rubin , Saphir) und Spinelle behandelt. Es folgt die größere Zahl allerdings künstlich herstellbarer, aber noch nicht zu prak- tischer Verwendung gelangender Edel- und Schmucksteine (Diamant, Quarz, Chalcedon, Opal, Alexandrit, Smaragd, Phenakit, Euklas, Topas, Spodumen), wobei insbesondere der wissenschaft- lich bedeutungsvollen Diamantsynthese in längeren Ausführungen gedacht wird. Der III. Abschnitt enthält die Unterscheidungs- merkmale und gibt dem Juwelier einfache mikro- skopische Methoden an, mit deren Hilfe die Aus- einanderhaltung natürlicher und künstlicher Steine gelingt. Kompliziertere Untersuchungsmethoden, die aber noch in den Anfängen stecken, stützen sich auf Verfärbungen und Lumineszenzerschei- nungen unter dem Einfluß von Radium-, Röntgen-, Kathoden- und ultravioletten Strahlen. Nur mehr praktisches Interesse hat der Schluß- abschnitt über den Einfluß der Kunststeine auf den Preis und Absatz der Natursteine, die Handels- bezeichnung der Kunststeine und den Export der- selben nach Indien, von wo sie dann als ,, echte" teuer verkauft werden. Das Buch, welches durch eine große Zahl guter Mikrophotographien geschmückt ist, wird zweifellos Erfolg haben, nicht nur in der Praxis, sondern möglicherweise auch für die wissenschaft- liche Synthese solcher Steine, die heute praktisch noch nicht darstellbar sind. K. Andree. ') Sie sind übrigens auch in Ostwal d's Klassilsern der Naturwissenschaft erschienen. Seefeldner, Erich, Morphogenetische Stu- dien aus dem Gebi ete des fränkischen Jura. — Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, XXI. Bd., Heft 3. — Stuttgart, J. Engelhorn, 1914. — Preis geh. 6,40 Mk. Im schwäbisch-fränkischen Becken lagerte sich auf dem variskischen Grundgebirge die postvaris- kische Decke ab, deren tiefstes Glied das Rotlie- gende ist, das aber ebenso wie die Schichten des Zechstein nur stellenweise zum Absatz kam. Buntsandstein bis Jura dagegen bilden eine mehr als 1 200 m mächtige Schichtserie. Am Ende der Jurazeit begann eine Landperiode, die nur im Osten durch die Transgression des Cenomanmeeres unterbrochen wurde. Infolge der präoligozänen Dislokationen im Oberrheingebiet wurden auch die mesozoischen Deckschichten emporgehoben und nach und nach entfernt. So entstanden die rückwärtsschreitenden Landstufen, die Keuperstufe (Steigerwald und Frankenhöhe) und die Jurastufe (Schwäbischer und Fränkischer Jura). Auch auf der Hochfläche kommen wir von W nach O schreitend in immer jüngere Schichten, ohne daß sich die verschieden alten Gesteine morphologisch bemerkbar machen. Die Hoch- fläche des fränkischen Jura ist also eine Rumpf- fläche. Dem Nachweise dieser Rumpf fläche ist 304 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 19 der größte Teil der vorliegenden Untersucliung gewidmet. Sie ist also vorwiegend morpho- logischer Art und geht auf die niorphogra- phische Beschreibung der Einzelformen leider nicht näher ein. In den kleinen jungen Formen zeigt sich ein Unterschied im Steigerwald und im Ober- pfälzer Triasgebiet gegenüber dem Jura. In diesem Gebiet sieht man auch, wie die Rumpffläche ins Böhmische Massiv hineintritt, in den Bayrischen Wald. Bei Regenstauf geht die Rumpffläche des Jura in eine breite Verebnungsfläche des Regen und seiner Nebenflüsse über, die fingerförmig in die sie umgebenden größeren Höhen hineingreift. Reste eines alten Talbodens in etwa 50— Go m relativer Höhe an allen Flüssen des Bayrischen Waldes deuten darauf hin, daß die Senkung der Erosionsbasis sich in zwei Absätzen vollzogen hat. Die Gleichmäßigkeit der Höhen des Bayrischen Waldes läßt nach See feldner auf eine noch höhere Rumpffläche schließen, die präjurassischen oder präkretazeischen Alters ist und die in flache Antiklinalen und Synklinalen verbogen ist. Aus den Braunkohlenablagerungen der Gegend von Regensburg, deren Quarzschotter aus der Zeit der oberen Süßwassermolasse auf der Rumpffläche sich finden, kann See feldner den Schluß ziehen, daß die Entstehung der Rumpffläche in die Zeit vor der oberen Süßwassermolasse, also vor das obere IVIiozän fällt. Sie ist subaerischen Ursprungs und unter Mitwirkung von Flüssen entstanden, was ja am Südrande des Bayrischen Waldes deut- lich hervortritt. Die Flüsse durchbrechen die harten Schichten in Form von epigenetischen Denudationsdurch- brüchen, und wir gelangen an der Gesteinsgrenze in ein Tal von durchaus anderem Charakter. Zahl- reiche flach muldenförmige Trockentäler, die in Stufen in die Haupttäler einmünden, lassen da- rauf schließen, daß zur Zeit der alten Landober- fläche das Flußnetz viel dichter war als heute. ^) Auf die Entwickelung des Karst phänomens und die damit verbundenen Oberflächenformen geht der Verfasser leider nicht näher ein. Interessant ist der Nachweis junger Dis- lokationen, junger Verbiegungen, die in flachen Geoantiklinalen und -Synklinalen herzynischen Streichens erfolgt sind. Sie knüpfen an die alten tektonischen Linien an und sind erst ausgebildet ') Auf dieselbe Erscheinung der Trockentäler weist V. Schulz hin, der auch hinsiclitlich der Rumpftläche im Thü- ringer Triasgcbict zu ähnlichen Ergebnissen kommt. (Beiträge zur Morphologie des Buntsandsteingebiets im Mittellauf der Saale. Diss. Jena. — Halle 1913.) worden, als das F'lußnetz bereits in der Anlage vollendet war. Die Entwickelung des l'Tußnetzes ist nach den folgenden mehr hypothetischen Ausfüh- rungen so vor sich gegangen, daß an Stelle der ursprünglich konsequenten immer mehr eine sub- sequente Entwässerung getreten ist. Konsequent sind nur noch W'iesent und Pegnitz; das sub- sequente Tal der Regnitz-Rednitz erlangt allmäh- lich das Übergewicht vor den obsequenten Neben- flüssen (Rezat). Der von zahlreichen instruktiven Profilen und einer Karte unterstützte Nachweis der alten ge- hobenen Rumpffläche des fränkischen Jura ver- vollständigt in schöner Weise das Bild, das wir uns vom Aussehen der deutschen Landschaft in der jüngsten geologischen Vergangenheit machen. Es wird so möglich sein, einmal ein paläomor- phologisches Bild derselben für die jüngste Ver- gangenheit zu konstruieren. Zugleich erkennt man, wie ähnlich die Schicksale sind, die die deutschen Mittelgebirge erlebt haben, und daß nur noch eine genauere Zeitsetzung nötig ist, um ein klares Bild zu bekommen. G. Hornig. Literatur. Koppe, Prof., Die Bahnen der beweglichen Gestirne im Jahre 1915. Eine astronomische Tafel nebst Erklärung. Ber- lin '15, J. Springer. 40 Pf. Hupka, Dr. E., Die Interferenz der Röntgenstrahlen. Heft iS der ,, Sammlung Vieweg". Braunschweig '14, Fr. Vieweg. 2,60 Mk. Zoth, Prof. Dr. O., Über die Natur der Mischfarben auf Grund der Undulationshypothese. Ebenda Heft 14. 2,80 Mk. Valentiner, Prof. Dr. S., Die Grundlagen der Quanten- theorie in elementarer Darstellung. Ebenda Heft 15. 2,60 Mk. Valentiner, Prof. Dr. S. , Anwendungen der Quanten- hypothese in der kinetischen Theorie der festen Körper und der Gase. Ebenda Heft 16. 2,60 Mk. Witte, Dr. H., Raum und Zeit im Lichte der neueren Physik. Ebenda Heft 17. 2,80 Mk. P'ltzbacher, Paul, Die deutsche Volksernährung und der englische Aushungerungsplan. Eine Denkschrift im Ver- ein mit verschiedenen Autoren herausgegeben. Braunschweig '14, Fr. Vieweg. i Mk. Eltzbacher, Prof. Dr. P., Oppenheimer, Prof. Dr. C, Frau H. Heyl, Rubner, Prof. Dr. M. und Zuntz, Prof. Dr. N., Ernährung in der Kriegszeit. Ein Ratgeber für Behörden, Geistliche, .\rzte, Lehrer und Lehrerinnen, Gewerk- schaftsbeamte, Hausfrauen und alle, die raten und helfen wollen. Braunschweig '14, Fr. Vieweg. 15 Pf. Henning, Dr. H., Ernst Mach als Pliilosoph, Physiker und F'hysiolog. Eine Monographie. Mit einem Bildnis. Leip- zig ''S. J- A. Barth. Geb. 5 Mk. Hertwig, Prof. Dr. Oscar, Die Elemente der Entwick- lungslehre des Menschen und der Wirbeltiere. Anleitung und Repetitorium für Studierende und Ärzte. 5. .\ufl. Mit 416 Abbildungen im Text. Jena '15, G. Fischer. Geh. 11 Mk. Inhalt! Guenther; Das Prinzip der Einschüchterung im K.ampf von Tier und Mensch. — Kleinere Mitteilungen: Köhler: Verlängerung des Brotgetreides. Neumann: Über das „Altbackenwerden" des Brotes. Zuntz: Über die Ausnutzbarkeit eines neuartigen VoUbrotes. Kühl: Die Desinfektion des Wassers im F"elde. — Einzelberichte: Walt her: Über tektonische Druckspalten und Zugspalten. Heß: Die Lichtempfindlichkeit der Stachelhäuter (mit 4 Abbildungen). Noa: Die Alkaloide im Tabaksaft. Klason: Über die trockene Destillation von Holz. — Bücher- besprechungen: Bateson: Mendel's Vererbungstheorie. Michel: Die künstlichen Edelsteine. Seef eidner: Morphogcnetische Studien aus dem Gebiete des fränkischen Jura. — Literatur: Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Mi ehe in Leipzig, MarienstraSe 11 a, Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Bucbdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. rbeten. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den i6. Mai 1915. Nummer 20. Harnstoflfzersetzende und salpeterbildende Spaltpilze. ') Von Prof. Dr. M. Düggeli, Zürich. Beim Studium der Bakterien erkannte man bald, daß die große Mehrzahl nicht krankmachend auf Mensch und Tier wirkt, sondern im Haus- halte der Natur eine Riesenaufgabe von grund- legender Bedeutung löst. Die Spaltpilze zersetzen nicht bloß die Ausscheidungsprodukte des leben- den Menschen- und Tierkörpers, sondern sie sind auch bestrebt, nach dem eingetretenen Tode der Lebewesen ihre Leiber zu zersetzen und die Stoffe umzuformen. In der Durchführung der Abbauprozesse für die pflanzliche und tierische Substanz, oder mit anderen Worten, in der Durch- führung ihrer Mineralisierung, liegt eine Haupt aufgäbe der Spaltpilze. Aber diese Erkenntnis hat sich noch nicht in weiteren Volksschichten einbürgern können und in unseren täglichen Redewendungen gehen wir stillschweigend über die innere Ursache der Zer- setzungs- und Umsetzungsprozesse, die Mikro- organismen, hinweg. Sind uns doch Ausdrücke wie: ,,Das Laub zersetzt sich", oder: „Im Boden bildet sich Salpeter" oder: „Die Milch säuert", sehr geläufig. Bei näherer Betrachtung erweisen sich die genannten Wendungen als ebenso un- logisch, wie wenn wir sagen würden: „Auf den Feldern bildet sich Stärke und Zucker", oder: „Aus dem Futter bildet sich im Stalle Fleisch und Fett". Wie in diesem letzteren Falle die stallbewohnenden Tiere die naturnotwendige Vor- aussetzung für die Fleisch- und Fettproduktion im Stalle sind, genau so ist für jene Zersetzungen und Umsetzungen die Anwesenheit bestimmter Mikroorganismen unumgänglich notwendig. Wir dürfen also in den Bakterien nicht ohne weiteres ein gefährliches Milliardenheer von lästigen Mitbewohnern unseres Planeten erblicken, sondern müssen uns dessen stets bewußt sein, daß neben manchen schädlichen noch viel mehr nützliche Spaltpilze unablässig wirksam sind ; diese letzteren in fördernde Bahnen zu leiten, das soll und muß unsere Aufgabe sein. Nach unseren heutigen Kenntnissen mag sich die Zahl der schädlich wirkenden Spaltpilze zur Menge der nützlichen ungefähr so verhalten, wie etwa die Giftpflanzen zu allen übrigen Gewächsen. Die folgenden Zeilen sollen der Besprechung von zwei Bakteriengruppen gewidmet sein, welche wir in ihrer gesamten Tätigkeit unbedingt als sehr nützlich bezeichnen dürfen, nämlich der harnstoft'zersetzenden und salpeterbildenden Bak- terien. Wie allgemein bekannt ist, verläßt ein Teil der vom Menschen- und Tierkörper aufgenommenen stickstoffhaltigen Nährstoffe den Organismus als Harnstoff. Die Absonderung des Harnes und da- mit des Harnstoffes durch die Nieren ist einer der Ausscheidungswege, auf welchem die stick- stoffhaltigen Zersetzungsprodukte aus dem Körper entfernt werden. Der Stickstoffgehalt des Harnes bzw. sein Gehalt an Harnstoff, bietet uns einen Maßstab für die Größe des Zerfalles stickstoff- haltiger Stoffe im Körper. Der Stickstoff, den wir vorwiegend in Form von Eiweiß und eiweiß- ähnlichen Stoffen unserem/ Körper einverleibten, wird teilweise in Form von Harnstoff dem Kreis- laufe in der Natur zurückerstattet. Die Menge des von den höheren Organismen tierischer Natur an die Außenwelt abgegebenen Harnstoffes ist keine konstante Größe; sie schwankt nicht bloß bei den verschiedenen Arten, sondern auch bei den einzelnen Individuen der- selben Spezies sehr stark, je nach der Ernährungs- und Betätigungsweise. Auf jeden Fall aber ist die Menge des täglich produzierten Harnstoffes eine sehr bedeutende. Entwerfen wir an Hand einiger Zahlen ein skizzenhaftes Bild über die Größe der Harnstoffproduktion. Angenommen die Stadt Zürich zähle heute 190000 Einwohner, so ist die Menge des von den Bewohnern täglich ausgeschiedenen Harn- stoftes 76 q bei der Voraussetzung, daß im Durch- schnitt 40 g Harnstoff pro Individuum und Tag ausgeschieden werden, eine Zahl, die bei der in- tensiven Eiweißernährung der städtischen Be- völkerung eher zu niedrig als zu hoch gegriffen sein dürfte. Bedeutender ist die Menge täglich produzierten Harnstoffes, wenn wir die Zahl der Bewohner der Schweiz berücksichtigen. Bei einer Ein- wohnerzahl von 3765123, wie sie durch die Volkszählung vom i. Dezember 1910 festgestellt wurde, resultieren unter den obigen Voraus- setzungen ca. 1 500 q Harnstoff im Tag. Sehr groß ist die vom schweizerischen Vieh- bestand täglich produzierte Harnstoffmenge. Ich berechnete dieselbe auf Grund der Viehzählungs- ergebnisse vom Jahre 191 1 auf rund 3500 q Harn- stoff pro Tag. Gewaltig ist die vom Gesamt- menschengeschlecht auf unserem Planeten produ- zierte Harnstoffmenge. Bei einer Zahl von ca. iSoo Millionen Menschen und einem durchschnitt- lichen Quantum von 30 g Harnstoff pro Tag (ich wähle die Durchschnittszahl absichtlich ') Nach einem Vortrage , gehalten in der Botanischen Gesellschaft in Zürich. Das vorwiegend in Foim von leben- den Bakterienkulturen gebotene Deraonstrationsmaterial eignete sich nicht zur Reproduktion, weshalb Illustrationen wegge- lassen sind. 3o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 20 niedrig, um auch die mit Eiweißstoffen mangel- haft ernährten Völker gebührend zu berück- sichtigen), beträgt die Menge des täglich ausge- schiedenen Harnstoffes 540000 q. Um uns eine Vorstellung von dieser Harnstoffquantität zu machen, will ich erwähnen, daß 180 Eisenbahn- züge mit je 30 schwerbeladenen Güterwagen (jeder Wagen mit 10 Tonnen Last) notwendig wären, um diese vom Menschengeschlecht täglich produzierte Harnstoffmenge wegzuführen. Fragen wir uns im Anschlüsse an diese Zahlen : Welches dürfte das Fahrtziel dieser Eisenbahn- züge sein ? Dürften sie vielleicht ihre Fracht in einem Proviantmagazin für Mensch und Tier deponieren? Antwort: Nein, deim der Harnstoff ist ein Aus- scheidungsprodukt des Menschen- und Tierkörpers und kann zu dessen Ernährung keine Verwendung finden; ja nicht bloß das; der Harnstoff wirkt vielfach direkt vergiftend auf die genannten Or- ganismen und bedingt bei ungenügender Aus- scheidung verschiedene Krankheiten. Aber, so fragen wir: Könnte uns nicht die Fracht dieser Eisenbahnzüge für die Düngung der Gärten, der Getreidefelder und Wiesen willkommene Dienste leisten? Antwort: Leider nein, der un- zersetzte Harnstoff kommt für Kulturpflanzen nicht ohne weiteres als gute Stickstoffquelle in Betracht und wir müssen auch da vielfach Ver- giftungserscheinungen konstatieren. Wie jeder praktische Landwirt weiß, wirkt die junge, un- vergorene Jauche ungünstig auf die Wiesen- pflanzen ein; sie verbrennt, wie wir im täglichen Leben sagen, die Gewächse. Dieses Verbrennen ist, neben anderen Faktoren, teilweise durch die Wirkung des Harnstoffes zu erklären. Wie wir aus dem Angeführten entnehmen können, ist der Harnstoff dieses Ausscheidungs- produkt des Menschen- und Tierkörpers, im Haus- halte der Natur nicht ohne weiteres stets ver- wendbar und es müßten sich im Laufe der Zeiten ungeheure Harnstoff Kanalwasser S^^lno und Abortwasser öö^^ der Gesamtflora an Spaltpilzen, welche Harnstoff zu zerlegen vermochten. Nach meinen Untersuch- ungen vermögen i — 2^0 der in gedüngtem Boden vorkommenden Bakterien und 10— 15"',, der Stall- mist und Jauche bewohnenden Spaltpilze den ge- botenen Harnstoft' zu vergären. Durch .aus- trocknen des Bodens und Aufwirbeln von Staub gelangen die Urobakterien gelegentlich in die Luft, so daß Miquel bei diesbezüglicher Prüfung in der Straßenluft von Paris von je 68 einen Keim als mit dem Harnstoffzersetzungsvermögen ausgerüstet nachweisen konnte. Durch die weite Verbreitung der Urobakterien in der Natur ist also reichlich Vorsorge dafür ge- troffen, daß der ausgeschiedene Harnstoff umge- setzt werden kann. Die häufig anzutrefi'enden Arten von Uro- bakterien sind etwa folgende: Micrococcus ureae Cohn, Kugelgestalt zeigend, Zellen i — 1,5 /< Durchmesser, meist zu zwei vor- kommend. Planosarcina ureae Beij. Die einzelnen Zellen messen 0,7 — 1,2 u im Durchmesser, sind aber zu größeren Paketen vereinigt , die in ihrem Aus- sehen an Warenballen erinnern. Die Art ist leicht kenntlich an ihrer Bewegung und Sporen- bildung, ein Vorkommnis, das bei den Kugel- bakterien recht selten ist. Unter den nichtsporenbildenden Stäbchenarten sind zu nennen: Urobacterium Freudenreichii Miquel , Urobac- terium Miquelii Beij., Urobacterium Beijerinckii Christensen. P'erner sind erwähnenswert: Bacterium fluorescens (Flügge) L. et N., Bact. vulgare (Hauser) L. et N., Bact. coli Escherich, Bact. prodigiosum (Liirenberg) L. et N., Bact. erythrogenes (Grotenfeldt) L. et N. Die sporenbildenden Stäbchen umfassen die kräftigsten Harnstoffzerstörer, so: Urobacillus Pasteurii Miquel, Urobac. Duclauxii Miquel. Ferner: Bacillus megatherium De Bary und Bac. myco- ides F"lügge, zwei verbreitete Bodenbakterienarten. Wie alle Organismen so stellen die Urobak- terien an ihre Umgebung bestimmte Bedingungen hinsichtlich Ernährung, Temperatur, Sauerstoff- zutritt usw., wenn sie freudig gedeihen sollen; doch sind ihre erhobenen Ansprüche im großen und ganzen als recht bescheidene zu bezeichnen. Entsprechend allen übrigen Spaltpilzen verlangen sie großen Wasserreichtum des Substrates, da- gegen nur geringen Gehalt an diversen Mineral- stoffen. Als geeignete Stickstoft'quelle dient allen Harnstoff bzw. auch Ammonkarbonat, wobei sie aber nicht an die genannten stickstoffhaltigen Verbindungen gebunden sind, sondern auch gegen- über Eiweißstoffen, Peptonen und Albumosen keineswegs Abneigung zeigen. Als Kohlenstoff- quelle dienen: Für einige Arten ebenfalls Harn- stoff, für andere dagegen Zuckerarten und andere Kohlenhydrate, für dritte sogar Humusstoffe. Für die Großzahl der Urobakterien sind Tempe- raturen von 25 — 35" C optimale. Eine Ausnahme macht der Urococcus ureae Cohn, der am besten bei II — 13" C gedeiht. Alle bekannten Arten von Harnstoffbakterien sind aerob, d. h. sie wachsen nur bei Sauerstoffzutritt; doch kann stets die Beobachtung gemacht werden, daß schon be- scheidener Zutritt von Sauerstoff zum üppigen Gedeihen genügt und die Harnstoft'gärung un- abhängig vom Luftsauerstoff eingeleitet und durch- geführt wird. Gegen ungünstige Existenzbedingungen sind die Harnstoffbakterien meistens recht empfindlich. Wenn die Züchtungstemperatur im Thermostaten auf 42" C eingestellt wird, so gehen die nicht- sporenbildenden Arten in wenigen Stunden zu- grunde, während die Sporen erst bei 80 — 90" in einigen Stunden getötet werden. Verglichen mit der großen Wärmeresistenz der Sporen anderer Bakterienarten, beispielsweise der Kartoffelbazillen, sind die Sporenbildner unter den Urobakterien allerdings noch als recht empfindlich zu be- zeichnen ; halten doch gut ausgereifte Kartofifel- bazillensporen, ohne irgendwelchen Schaden zu 3IO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 20 nehmen, mehrstündiges Kochen aus, eine Tat- sache, die vielfach angezweifelt wurde, aber jeder- zeit durch das P^xperiment nachweisbar ist. Diese einzig dastehende VVärmeresistenz ist die Ursache, weshalb man früher glaubte, bei den Spaltpilzen Urzeugung beobachten zu können. Bemerkens- wert ist das Unempfindlichsein der Sporen von Urobacillus Pasteurii Mi(]uel gegen Trocken- heit; sie hielten sich nach den Angaben von Miquel in trockener Erde volle 18 Jahre lebens- fähig. Mittels der Desinfektionsmittel können die Urobakterien leicht bekämpft werden ; genügte es doch schon einem Nährboden oder einer Nähr- flüssigkeit nur '/51, "/(ig Sublimat zuzusetzen, um ihre Entwicklung zu verunmöglichen. In Erstaunen versetzt uns die äußerst intensive Harnstoff zersetzende Tätigkeit der Urobakterien, die selbst im Reiche der Mikroorganismen ihres- gleichen sucht. Miquel berichtet, daß sein Uro- bacillus Pasteurii pro Liter passende Nährlösung in einer Stunde 3 g Harnstoff in Ammonkarbonat überführt und dabei in einer 14 "/„ Harnstoff bergenden Flüssigkeit die Entwicklung noch keineswegs einstellt. Auch der Urobacillus Duclauxii Miquel arbeitet sehr energisch, da i g Bakteriensubstanz bis zu 4000 g Harnstoff zer- setzend beeinflußt. Es ist in der Natur also reichlich dafür ge- sorgt, daß der Harnstoff, dieses Stoffwechsel- produkt des Menschen- und Tierkörpers, rasch und vollständig unschädlich gemacht wird; sind doch die Urobakterien nicht bloß in großer Zahl weit verbreitet vorhanden, sondern gleichzeitig auch mit großer Arbeitslust ausgerüstet. Und dabei kennen diese winzigen Arbeiter weder Ruhe noch Rast, weder Sonntag noch Ferien, unver- drossen arbeiten sie, bis ihre kurzfristige Lebens- uhr dem Wirken Einhalt gebietet. In der Regel findet die Zersetzung des Harn- stoffes durch die IVobakterien durch ein von den Zellen produziertes Enzym, die Urase oder Urease statt. Eine an Urase reiche Flüssigkeit gewinnen wir dadurch, daß wir kräftig wirkende Urobak- terien in harnstoffhaltiger Bouillon während einiger Tage züchten und dann die Flüssigkeit durch Chamberland- oder Berkefeldkerzen filtrieren. Die genannten Filter bestehen aus gebrannter Porzellanerde im einen, aus Diatomeenerde oder Kieseiguhr im anderen Falle. Die Poren dieser P'ilter sind so fein, daß .sie wohl die Plüssigkeit und die darin enthaltenen Enzyme, nicht aber die Bakterienleiber durchtreten lassen. So trennen wir die Zellen von jenen Enzymen, die sie bildeten. Nebenbei bemerkt, benutzt man vielfach diese Mlter, um kleine Quantitäten von durch Bakterien stark verunreinigten Wassers zu filtrieren und dadurch genießbar zu machen. Die filtrierte Bouillonkultur zersetzt mit der gleichen Intensität Harnstoff, wie die nichtfiltrierte, obwohl sie keine einzige lebende Zelle enthält. Diese Kenntnisse über die Wirkungsweise der meisten Urobakterien verdanken wir dem französischen Bakteriologen Miquel, der 1890 auf die Urase aufmerksam machte. Es hat nicht an Stimmen gefehlt, welche nach Entdeckung der Urase die Wichtigkeit der Uro- bakterien für die Harnstoffzersetzung in Frage stellten, indem sie darauf hinwiesen, daß nicht die lebende Bakterienzelle als solche, sondern das von ihr produzierte Enzym die Spaltung vor- nehme; aber es ist ein und dasselbe, ob wir sagen: Der Organismus verdaut die aufgenommene Nahrung, oder die von ihm produzierten Ver- dauungsenzyme tun dies; der innere Grund für die Möglichkeit der Verdauung ist und bleibt der lebende Organismus. Die Urobakterien büßen dadurch, daß sie mit Hilfe der Urase Harnstoff zerlegen, nichts von ihrer Bedeutung ein. Die Urase ist ein sog. Ektoenzym, d. h. sie verläßt die Zelle, wenn sie Harnstoff zersetzend tätig sein will — darum finden wir sie in der filtrierten Bouillonkultur der Harnstoft'bakterien. Gegen Gifte und höhere Wärmegrade ist die Urase recht empfindlich; so schwächt der Zusatz von I mg Sublimat (HgCl,,) zu einem Liter urase- haltiger Flüssigkeit zugesetzt, ihre Wirksamkeit schon bedeutend und die Temperatur von 80" während einer Minute genügt, um die L-rase zu vernichten. Die günstigste Temperatur für die Harnstoffspaltung durch Urase liegt bei 45 — 50" C. Es sind durch die L'ntersuchungen von Beijerinck auch Spaltpilzarten bekannt ge- worden, die schwach Harnstoff spaltend tätig sind, ohne daß Urase in nachweisbarer Menge produziert würde. Die Zersetzung findet statt durch bloßen Kontakt des lebenden Zellplasmas mit dem Harnstoff. Beijerinck' bezeichnet diese für die Praxis weniger in Betracht kommende schwache Zersetzung des Harnstoffes, als Kata- bolismus, wie er beispielsweise bei Bacterium indicum (Koch) L. et N. beobachtet werden kann. Damit verlassen wir die Besprechung der harn- stoffspaltenden Bakterien und wenden unser In- teresse noch den salpeterbildenden oder nitrifi- zierenden Spaltpilzen zu. Unter Nitrifikation verstehen wir die Über- führung von Ammoniakverbindungen in Nitrite und Nitrate , also in die Salze der salpetrigen Säure und der Salpetersäure. Die Praxis der Nitrifikation oder Salpeterbildung ist schon recht alt, waren doch die Salpeterhütten im 18. Jahr- hundert in Europa eine sehr verbreitete Erschei- nung. Schon früh brauchte der Mensch viel Sal- peter, speziell Kalisalpeter, zur Gewinnung von Schießpulver; bevor die gewaltigen Salpeterlager in Chile entdeckt waren, mußte der benötigte Salpeter mühsam durch die Salpeterhütten oder Salpeterplantagen gewonnen werden. Durch lang- jährige Erfahrungen waren die Bedingungen für eine rasche und ergiebige Nitrifikation bekannt und manches Staatsoberhaupt spornte seine „viel- getreuen" Untertanen zu eifriger Salpetergewinnung an. So erließ im Jahre 1777 die französische Regierung eine ausführliche Instruktion, welche N. F. XIV. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 311 eine lukrative Salpetergewinnung gewährleisten sollte. Als wichtige Momente für den Betrieb der Salpeterhütten waren erkannt: 1. Anwesenlieit von stickstoffhaltiger organi- scher Substanz, innig gemischt mit lockeren Erd- schichten. 2. Möglichst vollkommene Durchlüftung dieser Schichten. 3. Ein passender Feuchtigkeitsgrad , der am besten durch Zufuhr von Urin erhalten wird. 4. Vorhandensein basischer Körper, speziell von kohlensaurem Kalk. Obwohl die Bedingungen und Merkmale für die Nitrifikation schon lange bekannt waren, so gab man sich hinsichtlich der Ursache des Vor- ganges bis ins letzte Drittel des vorigen Jahr- hunderts Täuschungen hin. Man betrachtete all- gemein die Salpeterbildung als einfachen chemi- schen Oxydationsvorgang. Die Ursache dieser Erklärungsweise lag in dem Experimente begründet, wonach beim Durchleiten von .Ammoniak durch eine erwärmte, mit Platinschwamm beschickte Röhre, Salpetersäure entsteht. Man kalkulierte nun: In den Salpeterhütten spielt der poröse Boden die Rolle des Platinschwammes — mithin ist auch hier die Salpeterbildung auf rein physikalisch-che- mische Prozesse zurückzuführen. Die Nitrifikation teilt also mit der Harnstoffgärung das Los der meisten durch Bakterien verursachten Umsetzungs- prozesse, vorerst für rein chemische oder physi- kalisch-chemische Vorgänge gehalten zu werden. Nach der Entdeckung des Ozons machte man dieses Gas für die Durchführung der Salpeter- bildung verantwortlich. Erst als es im Jahre 1862 dem bahnbrechen- den genialen Pasteur gelang, zu zeigen, daß die Essigsäuregärung auf die Tätigkeit bestimmter Mikroorganismen zurückzuführen sei, nahm die Erklärung für den Salpeterbildungsprozeß eine biologische Wendung. Bis anhin war auch die Essigsäuregärung ein solcher Prozeß, den man sich durch Platinschwammwirkung des porösen Holzes erklärt hatte. Pasteur wirft deshalb im Anschlüsse an seine Untersuchungen über die Essigsäurebakterien die berechtigte Frage auf: Ist nicht auch die Nitrifikation ein biologischer Vorgang? Die beiden französischen P'orscher Schlösing und Müntz wiesen 1878 nach, daß durch Zusatz von Chloroform zu kräftig nitrifizierenden Kiär- zylindern die Salpeterbildung sofort aufgehoben wurde. Die gleiche Erscheinung konnte auch an hoch erhitzter Erde gemacht werden. Es schien nach diesen Beobachtungen kaum mehr zweifel- haft, daß bestimmte Mikroorganismen die Ursache der Nitrifikation seien. Schlösing und Müntz kannten die Nitrifikationsorganismen aber weder in ihren morphologischen noch physiologischen Eigenschaften; sie sprechen nur ganz allgemein gehalten von einem „ferment nitrique". So waren nun die Mikrobiologen vor die inter- essante Aufgabe gestellt, das Dasein der hypothe- tischen Nitrifikationsfermente nachzuweisen und sie rein zu züchten. Dies war aber leichter ge- sagt als getan, denn die Koch 'sehe Platten- kulturmethode, mit Hilfe derer die meisten be- kannten Bakterienarten relativ leicht isoliert wer- den können, ergab nur Mißerfolge. Erst im Jahre 1889 ist es dem russischen Forscher Winogradsky, damals zu Studien- zwecken sich in Zürich aufhaltend, durch die An- wendung der elektiven Methode gelungen, die nitrifizierenden Organismen erst anzureichern und dann rein zu züchten. Das Prinzip der elektiven Methode besteht darin, daß durch die Anwendung spezifischer Verhältnisse beim Heranzüchten die gewünschten Organismen in dem Maße begünstigt, wie unerwünschte Begleitorganismen geschwächt werden. Für die Salpeterbildner unter den .Spalt- pilzen kommen als speziell begünstigende Faktoren die Verwendung rein mineralischer Nährlösungen und der reichliche Zutritt von Luftsauerstoff in Betracht. Um Rohkulturen von nitrifizierenden Spaltpilzen zu gewinnen, ist nach meinen Erfah- rungen folgendes Verfahren empfehlenswert. In weitausladende Erlenmeyerkölbchen wird so viel mineralische Nährlösung gegeben , daß dieselbe höchstens i cm hoch im Glasgefäße steht. Die mineralische Nährlösung ist nichts anderes als eine einpromillige Lösung von Dikaliumphosphat in Leitungswasser. In den Kolben wird eine Messerspitze pulverisiertes Magnesiumkarbonat und nach erfolgter Sterilisation im strömenden Wasserdampf noch etwas Ammonsulfat gegeben ; am besten 2 ccm einer 2 proz. wässerigen Lösung. Diese keine organische Substanz bergende Nähr- lösung, die in dünner Schicht sich findet, also guten Sauerstoffzutritt gewährt, wird mit einer Spur Gartenerdeemulsion geimpft und im Thermo- staten bei 35 — 37" C bebrütet. Erst nach Verfluß von 10 — 14 Tagen bemerkt man schwache Bak- terienentwicklung in Form einer sehr dünnen, zarten Decke an der Oberfläche der Flüssigkeit und als kleine Klümpchen auf dem weißen Boden- satz von Magnesiumkarbonat. Trotz dieser nur schwachen Spaltpilzentwicklung ist unsere ursprüng- lich salpeterfreie Nährlösung ziemlich reich an Nitrit und Nitrat geworden. Es hat mithin im Kölbchen Nitrifikation stattgefunden. Vergeblich werden wir vom Übertragen kleiner Deckenfrag- mente oder winziger Bodensatzklümpchen auf bereitgehaltene Gelatineplatten Wachstum erhoffen — die Kulturen gehen trotz aufgewendeter Sorg- falt nicht an. Dagegen bemerken wir nach Über- tragen genannter Bakterienanhäufungen in neue Nährlösungen rascheres Entwickeln und kräftigeres Nitrifizieren, als in der ersten Anreicherungskultur. Zufolge der äußerst sorgfältigen Arbeiten von Winogradsky und seiner Schüler wissen wir, daß die Nitrifikationsbakterien zwei streng spezia- lisierte Gruppen von Spaltpilzen umfassen, die zueinander in metabiotischem Verhältnisse stehen. Dabei arbeitet die eine Gruppe der anderen ge- wissermaßen in die Hände, bereitet ihr das Wir- 312 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 20 kungsfeld vor. Diese beiden Bakteriengruppen sind : Die Nitrosobakterien auf der einen , die Nitrobakterlen auf der anderen Seite. Betrachten wir zunächst kurz die Nitroso- bakterien oder Nitritbildner. Ihre Tätigkeit Ist dadurch charakterisiert, daß sie Ammoniakverbin- dungen überführen in Nitrite, also in die Salze der salpetrigen Säure. Die Leistungen der Nitroso- bakterien können wir durch folgende zwei Glei- chungen unserem Verständnisse näher bringen: (NHJ,C03 + 3 O, = 2 HNO, + CO., + 3 H,0 + 148 Cal (NHJaSOj + 3 O., + 2 CaCOg = Ca(NO,\, + CaSO, + 4 KO -f 2 CO., + X Cal " " Bei der zweiten Gleichung nenne ich absichtlich keine bestimmte Zahl, sondern füge die allgemein gehaltene Zahl von x Kalorien an , da von ver- schiedenen Forschern verschiedene Zahlen an resultierenden Kalorien angegeben werden. Aus den beiden Gleichungen ist sofort ersicht- lich, daß die Nitrosobakterien Ammoniakverbin- dungen verarbeiten zu salpetriger Säure, bzw. zu Nitrit, wenn ein basischer Körper vorhanden ist. Frage: Woher beziehen die Nitritbildner die für ihre Tätigkeit notwendigen Ammoniakverbindun- gen? Eine solche stetig fließende Quelle haben wir schon kennen gelernt in den Urobakterien, die aus Harnstoff kohlensaures Ammon produ- zieren. Aber es gibt noch zahlreiche andere Mikroorganismen, die Eiweißstoffe zersetzen unter Abspaltung von Ammoniakverbindungen; auch sie liefern Rohstoff für die Tätigkeit der Nitroso- bakterien. Aus der einen Gleichung Ist aber auch ersichtlich, daß die Nitritbildner für ihre Tätigkeit nicht bloß des Sauerstoffes, sondern auch eines basischen Körpers bedürfen, welch letzterer in der Natur wohl vorwiegend kohlensaurer Kalk sein dürfte. Es ist uns an Hand dieser Gleichungen leicht erklärlich, weshalfe das Lockern des Bodens und die Zufuhr von kohlensaurem Kalk die Nitri- fikation im Erdboden mächtig fördern. Wir ver- stehen jetzt auch, weshalb die Nitrosobakterien sich hauptsächlich in den oberen Bodenschichten aufhalten und In brach gehaltenem Boden kräftigste Vermehrung erfahren, da dort viel or- ganische Substanz abgebaut wird, mithin auch Ammoniakverbindungen produziert werden. Wir wollen aus den Gleichungen auch das festhalten, daß die Nitritproduktion ein energieliefernder Prozeß ist, welche FLnergie zu anderweitigen Vor- gängen verwendet werden kann. Die Nitrosobakterien bilden in den besprochenen Anreicherungskulturen einen Hauptbestandteil der zarten Haut und der feinen Klümpchen. Es sind dicht gedrängt beieinandersitzende kokken- oder kurzstäbchenförmige Spaltpilze. Wenn der Am- mongehalt der Nährlösung zurückgeht, so bilden die früher unbeweglichen Mikroorganismen Schwärmstadien, wobei die einzelnen Zellen größere Oxydationskraft besitzen als im Klümp- chen- oder Zooglöenstadlum. Ist das Ammon gänzlich verschwunden, so hört die Schwärm- fähigkeit auf und die Geißeln werden abgeworfen. Nach erneutem Zusatz von passendem Ammon- salz wird wieder ein Schwärmstadium gebildet und dieses Spiel läßt sich mehrmals wiederholen. Die Bildung des Schwärmstadiums ist makro- skopisch erkennbar an eintretender Trübung der Flüssigkeit; die Zooglöenbildung aber an der sich vollziehenden Klärung. Großen Schwierigkelten begegnete Wino- gradsky bei der Reinkultivierung der Nitroso- bakterien; sie wachsen nur auf Nährböden, die frei oder doch zum mindesten sehr arm sind an löslichen organischen Stoffen; bewährt haben sich Plattenkulturen mit Kieselgallerte, Gyps und Papierscheiben. Ihr vegetatives Gedeihen auf festen Nährsubstraten ist trotz größter Sorgfalt stets sehr kümmerlich; es werden erst nach Wochen Kolonien, d. h. Anhäufungen gebildet, die bei genauem Zusehen von bloßem Auge wahrgenommen werden können. Die Systematik der Nitrosobakterien ist noch nicht befriedigend ausgebaut. Wir unterscheiden heute zwei Genera: Nitrosomonas, die stäbchen- förmigen und Nltrosococcus, die kugelförmigen Nitritbildner umfassend. Die Gattung Nitroso- monas birgt, so weit bekannt, nur eine Spezies, Nitrosomonas europaea Winogradsky, ein durch- schnittlich 1 /< breites und i '/.i ." langes Kurz- stäbchen, das in den Böden Westeuropas stets nachweisbar ist. Bei der Gattung Nltrosococcus Winogradsky werden mehrere Spezies unter- schieden, von denen genannt seien: Nltrosococcus europaeus mit i fx Zelldurchmesser, In Osteuropa vorkommend. Nltrosococcus javanensis mit \'._, u Durch- messer und sehr langer Geißel, aus der L^mgebung von Buitenzorg bekannt geworden. Nltrosococcus brasiliensis aus Erde von Cam- pinas gezüchtet, mit 2 it Zelldurchmesser. Die Tätigkeit der zweiten Gruppe der nitrlfi- zierenden Spaltpilze, der Nitrobakterlen oder Nitratbildner, können wir durch folgende Gleichung umschreiben : 2 K NO,, -|- O., = 2 K NO3 -f 44 Cal. Die Nitrobakterlen verarbeiten also das Produkt der Tätigkeit der Nitrosobakterien, nämlich das Nitrit, und wandeln es in Nitrat, in das Salz der Salpetersäure um. Bei diesem Prozesse wird wieder Energie frei und der Sauerstoff muß zur Auslösung desselben zutreten können. Die .An- reicherung der Nitrobakterlen aus dem Boden geschieht auf gleiche Weise, wie wir dies bei den Nitrosobakterien besprochen haben, ja wir können, sofern wir nicht bestimmte Züchtungsbedingungen auslesend tätig sein lassen, stets neben Nitroso- auch die Zellen von Nitrobakterlen beobachten. Sollen statt des Gemisches von Nitrifikations- organismen nur die Nitrobakterlen sich in der Nährlösung entwickeln, so fügen wir derselben vor dem Impfen mit Bodenemulsion statt Ammon- sulfat eine entsprechende Menge von Natrium- nitrit zu. N. F. XIV. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 313 Bis heute ist als Vertreter der Nitrobakterien nur ein einziges Genus bekannt geworden, das aus den verschiedensten Böden isoliert werden kann, nämlich das Genus Nitrobacter. Es sind länglich ovale, meist schwach birnförmige Zellen, die zu den kleinsten Wesen gehören, die wir mit Hilfe unserer Immersionsmikroskope sichtbar machen können. Messen die Zellen doch nur ^|^ II in der Breite und 7., /( in der Länge. Im Vergleich zu der kräftigen Oxydationswirkung ist die vegetative Entwicklung von Nitrobacter in nitrithaltiger Nährlösung eine sehr spärliche zu nennen. Reinkulturen von Nitrobacter sind auf Nitritagarplatten erhältlich. In der vollen Entfaltung ihrer ammonoxy- dierenden Tätigkeit sind die Nitrosobakterien aut die Nitrobakterien angewiesen, indem ihr eigenes Stoffwechselprodukt, das Nitrit, schließlich ihre weitere Tätigkeit verunmöglicht. Die Nitro- bakterien ihrerseits empfinden Ammoniakverbin- dungen als mehr oder weniger intensiv wirkende Giftstoffe und beginnen erst dann mit ihrer nitrat- produzierenden Tätigkeit, wenn der Ammongehalt der Nährlösung auf ein bestimmtes Minimum zurückgegangen ist. Sowohl die Nitroso- wie die Nitrobakterien sind streng spezialisiert und ver- mögen ohne diese Oxydalionsprozesse nicht zu leben. Nie konnte beobachtet werden, daß die Nitrobakterien Ammonverbindungen und Nitroso- bakterien Nitrite verarbeiten würden. Die beiden Bakteriengruppen stellen in ihrer Tätigkeit eine typische IVletabiose dar; erst wirken die Nitroso-, dann die Nitrobakterien. Ich möchte, um früher aufgetretene Mißver- ständnisse zu beseitigen, ausdrücklich darauf hin- weisen, daß die nitrifizierenden Spaltpilze nur Ammoniakverbindungen verarbeiten, nicht aber organisch gebundenen Stickstoff, also beispiels- weise nicht Eiweißstoffe bzw. den darin ent- haltenen Stickstoff. In den früher erwähnten Salpeterhütten werden erst andere Spaltpilze aus den organischen Stickstoffverbindungen Ammoniak- verbindungen schaffen und dann beginnt erst die Nitrifikation. Ein Versuch von Omeliansky, eines Schülers von Winogradsky, gibt uns einen schönen Einblick in diese Verhältnisse. Der genannte Forscher brachte drei verschiedene Spaltpilzarten teils einzeln, teils in Kombination in eine Flüssigkeit, die 2o";'o Bouillon enthielt. Die 3 Arten waren: Bacillus mycoides Flügge, der wurzelähnliche Erdbazillus, eine häufige Erd- bakterienart. Nitrosomonas europaea Winogradsky, unser Nitritbildner und Bacterium Nitrobacter (Winogradsky) L. et N., unser Nitratbildner. Wurde Bac. mycoides allein in die Flüssigkeit eingeimpft, so produzierte er aus den enthaltenen Eiweißstoffen Ammoniakverbindungen. Wurden Nitrosomonas und Nitrobacter je einzeln oder in Kombination in die Flüssigkeit gebracht, so bedingten sie keine Umsetzungen, da die enthaltenen Eiweißstoffe das Wachstum verunmöglichten. Wurde Bac. mycoides mit Nitrosomonas kom- biniert, so resultierte Nitrit; Bac. mycoides mit Nitrobacter rief nur der Ammonproduktion. Durch gemeinsames Arbeiten von Bac. mycoides mit Nitrosomonas und Nitrobacter wurde Nitratpro- duktion gesichert, ein Fall, wie er in den Salpeter- hütten stets vorzukommen pflegt. Die bekannt gewordenen nitrifizierenden Spalt- pilze sind Nichtsporenbildner und als solche gegen- über ungünstigen äußeren Einflüssen sehr emp- findlich. Ich will, um das Gesagte zu erhärten, anführen, daß weder Nitroso- noch Nitrobakterien, also weder Nitrit- noch Nitratbildner das gänz- liche Austrocknen des Bodens ertragen und des- halb noch nie im Staube der Luft nachgewiesen werden konnten. Die Temperatur von 50 — 55" C genügt schon während 5 Minuten, um die Zellen abzutöten. Auch die Empfindlichkeit gegenüber den verschiedenen Giftstoffen ist eine sehr große. Beim künstlichen Züchten im Laboratorium sind Temperaturen von 35 — 37" C optimale, beim natürlichen Vorkommen im Boden dagegen, so- weit bekannt, ungefähr 20" C. Erstaunt sind wir deshalb darüber, daß bei uns die Nitrifikation ein Frühjahrs- und ein Herbstmaximum besitzt und zwar das erstere im März bei einer Bodentempe- ratur von nur 2" C. Diese Beobachtung können wir uns vorläufig nicht einwandfrei erklären. So oft auch schon bei den salpeterbildenden Spaltpilzen nach nitrifizierenden Enzymen ge- forscht wurde, so geschah das immer mit nega- tivem Resultate. Ob es je gelingen wird, solche Enzyme zu isolieren, müssen die Forschungen der Zukunft ergeben. Befremdend und nicht deutbar ist die große Empfindlichkeit der Nitrifizierenden in der künst- lichen Zucht gegenüber organischen Stoffen; so bald dieselben auch nur spurenweise in den Nähr- flüssigkeiten oder Nährböden vorkommen, so ver- sagen sowohl die Nitroso- wie die Nitrobakterien jegliches Wachstum. Das Zufügen kleinster Quantitäten von Pepton oder Zucker genügt, um den Salpeterbildnern das Gedeihen zu verunmög- lichen. Es wäre nun für das Vorkommen der Nitrifizierenden in unseren Böden, speziell in den gut gedüngten Kulturböden sehr fatal, wenn sie sich auch da als so feindselig gegen organische Substanzen verhalten wollten; ja es müßte bei hoher Empfindlichkeit auf organische Stoffe das Vorkommen der Nitrifikationsorganismen in unseren Böden direkt in Frage gestellt werden. Meine diesbezüglichen Prüfungen haben aber mit aller Deutlichkeit gezeigt, daß unsere Spaltpilzgruppe in allen Böden mit neutraler Reaktion mehr oder weniger reichlich vertreten ist und daß sie selbst im Alpenhumus, der doch zu 80—90% aus Humusstoffen besteht, sich guten Gedeihens er- freuen kann. Es bietet denn auch keine Schwierig- keiten, zu zeigen, daß der sog. milde Humus, ab- sorptiv gesättigte Humusstoffe enthaltend, den Nitrifizierenden im Boden keineswegs schäd- lich ist. 114 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 20 Wir wollen uns in die Erinnerung zurück- rufen, daß die Salpeterbildner im Laboratorium nur bei 35 — 37" C kräftig sich entwickeln und nur bei Abwesenheit von organischen Stoffen ge- willt sind, sich zu vermehren und ihre Tätigkeit aufzunehmen; im Boden dagegen ein Maximum der Nitrifikation im März bei 2" C bedingen und durch absorptiv gesättigte Humusstoffe nicht be- nachteiligt werden. Es soll uns diese Beobach- tung ein erneuter Fingerzeig dafür sein, wie vor- sichtig wir sein müssen in der Übertragung der Ergebnisse unserer Laboratoriumsexperimente auf die natürlichen Standortsbedingungen. Staunenerregend ist die Anspruchslosigkeit der Nitrifizierenden hinsichtlich Ernährung. Sie leben in des Wortes eigentlicher Bedeutung aus der Luft. Das zum Gedeihen notwendige Wasser und die Spuren von benötigten Mineralsalzen finden sie wohl überall da, wo Organismen über- haupt zu gedeihen vermögen. Als geeignete Stickstoffquelle dienen Ammonverbindungen, die spurenweise in der Luft, in den atmosphärischen Niederschlägen und im Boden sich finden. Dabei verwenden sie höchstens 1% des verarbeiteten Stickstoffes zum Körperaufbau. Als Kohlenstoff- quelle benutzen die Salpeterbildner das Kohlen- dioxyd der Luft oder auch die in Bikarbonaten halb gebundene Kohlensäure. Durch folgendes Experiment können wir uns von dieser natur- wissenschaftlich sehr wichtigen Erscheinung über- zeugen. Wir stellen die Nährlösung, in welchen die Nitrifizierenden gedeihen sollen, mittels ab- solut reiner Nährsalze her und bedecken die Kulturgefäße nach erfolgter Impfung mit Glas- glocken, die nur solche Luft zutreten lassen, die auf das sorgfältigste auch von Spuren flüchtiger organischer Stoffe befreit worden ist. So lange Kohlendioxyd zutritt, so lange gute Entwicklung der Nitrifizierenden unter den Glasglocken; so bald aber der Kohlendioxydzutritt abgesperrt ■wird, hört jegliches Wachstum auf. Die Salpeter- bildner benutzen also, wie die grünen Pflanzen, das Kohlendioxyd der Luft als Kohlenstoffquelle. Während aber die chlorophyllführenden Gewächse unter Ausnutzung der Energie des Sonnenlichts das Kohlendioxydmolekül sprengen, dann den Kohlenstoff verwenden, also Photosynthese be- treiben, benutzen die Nitrifizierenden eine andere Energiequelle. Die Nitrifizierenden sind, wie alle übrigen Spaltpilze, mit Ausnahme der Purpur- bakterien, lichtscheu und fliehen das Licht. Da- gegen schaffen sich die Salpeterbildner in der Oxydation der Ammoniakverbindungen zu Nitriten und Nitraten eine ausreichende FInergiequelle. Sie betreiben also Chemosynthese. Dabei gehen sie mit dieser gewonnenen Energie aber keines- wegs ökonomisch um. Die Nitritbildner legen auf 35 Gewichtsteile oxydierten Stickstoffes nur einen Teil Kohlenstoff in organischer Form in den Zellen fest und der Nitratbildner braucht sogar zum gleichen Effekt die Energie aus 40 Ge- wichtsteilen oxydierten Stickstoffes resultierend. Dabei sind die Nitrosobakterien in der Energie- beschaffung streng auf die Ammonoxydation, die Nitratbakterien aber auf die Nitritoxydation an- gewiesen. Die Nitrifizierenden sind also nicht bloß ein wertvolles Glied im Kreislaufe des Stickstoffes, sondern sie sind nicht weniger wichtig im Kreis- laufe des Kohlenstoffes in der Natur. Nach diesen Mitteilungen über die Ernährungs- physiologie der Nitrifizierenden wird als gegebener Schluß erscheinen, wenn ich bemerke: Wir finden die Nitrifizierenden nicht bloß in unseren Kultur- böden, sondern auch im frischen Verwitterungs- schutt unserer Alpen, ja sogar in den Klüften und Spalten der Gesteine in unmittelbarer Nähe des ewigen Schnees. Wie oft habe ich sie aus Material von solchen Stellen isoliert und ich will nicht versäumen, darauf hinzuweisen, daß die Nitrosobakterien durch die Produktion von sal- petriger Säure neben anderen Spaltpilzen ein nicht zu verachtender Verwilterungsfaktor biologischer Natur für die Gesteine sind. Besprechen wir noch kurz die Bedeutung der Nitrifikation im Haushalte der Natur. Es sei zu zu dem Zwecke ein Ausspruch von L ö h n i s zitiert: „Fast alle Gefäß- und Feldversuche lassen erkennen, daß Ammonwirkung nur dann der Sal- peterwirkung gleich kommt, wenn die Bedingungen für eine ungestörte Nitrifikation gegeben sind." Es ist also mit anderen Worten die Überführung der Ammonverbindungen in Nitrate durch die salpeterbildenden Spaltpilze ein recht erwünschter Prozeß. Ich möchte aber nicht versäumen, darauf hinzuweisen, daß diese bakterielle Medaille auch eine Kehrseite hat. Leider wird das gebildete Nitrat vom Boden nicht absorbiert, so daß in dem Falle, wo durch die Nitrifizierenden mehr Salpeter produziert wird, als die Kulturpflanzen mit ihrem Wurzelwerk aufzunehmen vermögen, die Gefahr des Ausgewaschenwerdens von Salpeter besteht. Daß dieser Fall wirklich vorkommt, geht aus den Feststellungen von Schlösing hervor, wonach im Flußgebiet der Seine pro Hektar und Jahr 4,2—8,5 kg Stickstoff in Form von Nitrat durch die Sickerwässer fortgeführt werden. Bei der An- häufung von Nitrat im Boden entsteht auch die Gefahr der Denitrifikation, also der Zersetzung von Salpeter durch bestimmte Spaltpilze unter Abspaltung elementaren Stickstoffes oder flüchtiger Stickstoffverbindungen. Doch ist die Denitrifikation für alle jene kein Schreckgespenst mehr, welclie die Biologie der Denitrifizierenden kennen, indem sie leicht unwirksam gemacht werden können. Wir kennen aber auch einen Fall, vi'o die Tätigkeit der nitrifizierenden Spaltpilze stets als sehr lästig empfunden wird, es ist dies die Bildung \on Mauersalpeter oder der sog. Mauerfraß. Der Mauersalpeter findet sich an Mauern von Ställen, Aborten usw., kurz da, wo häufig Produktion von Amnioniakverbindungen eintritt. Die genannte Bildung ist ein weißer, schneeähnlicher l'berzug, der in der Hauptsache aus den Kristallen von N. F. XIV. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 31: salpetersaurem Kalk besteht.' Die nitrifizierenden Spaltpilze vermögen zufolge ihrer kargen An- sprüche an die Ernährung auch an und in Mauern zu wachsen, bilden dort unter Bindung der pro- duzierten salpetrigen Säure an kalkhaltige Steine und an Mörtel salpetersauren Kalk. Der Mauer- fraß ist eine sehr lästige Erscheinung, indem durch ihn die Mauer allmählich zerfressen wird, abbröckelt und schließlich einstürzt. Ein Überkleistern der Mauerfraßstellen mit Mörtel und Zement hilft er- fahrungsgemäß nicht viel; die Nitrifizierenden werden nur vorübergehend geschädigt , erholen sich aber rasch wieder. Wir müssen das Übel an der Wurzel fassen, indem wir mittels tiefeindringen- der Desinfektionsmittel Nitroso- und Nitrobakterien töten. Als gutes Bekämpfungsmittel hat sich in der Praxis das sog. Antinonnin (Orthodinitrokresol- kalium + Glyzerin -|- Seife) als fünfprozentige Lösung in Wasser bewährt. Da die Nitrifizierenden als eine im allgemeinen recht nützliche Gruppe von Mikroorganismen be- zeichnet werden dürfen, so hat es nicht an Vor- schlägen gefehlt , dem Boden künstlich salpeter- bildende Spaltpilze zuzufügen. Die zu dem Zwecke in den Handel gebrachten Kulturen wurden Chi- linit genannt. Ich persönlich bringe dem Boden- impfen, abgesehen von ein paar Spezialfällen, wenig Sympathie entgegen, indem ich folgende Überlegung pflege : Die Spaltpilze sind überall da in der Natur sehr verbreitet, wo ihnen die Ver- hältnisse zusagen; an solchen Orten vermehren sie sich kräftig und entfalten auch intensive Tätig- keit — sind die Verhältnisse des Standortes aber ungünstig, so nützt auch das Zufügen der Bak- terien durch Impfung des Bodens nicht viel. Unser Streben hat also dahin zu gehen, die Ent- wicklungsbedingungen für bestimmte, erwünscht arbeitende Mikroorganismen im Boden recht günstig zu gestalten und damit rufen wir ihrer Ansiede- lung, V^ermehrung und lebhaften Tätigkeit. Damit bin ich am Schlüsse meiner Ausfüh- rungen angelangt. Ich bin mir wohl dessen be- wußt, daß ich die beiden Themata harnstofif- zersetzende und salpeterbildende Spaltpilze, keines- wegs erschöpfend behandelt habe. Nur das Wich- tigste, das Grundlegende durften wir in den Kreis unserer Betrachtungen einbeziehen. Und, gestehen wir es offen, wie vieles wissen wir auf diesen beiden doch so eng begrenzten P'orschungsgebieten noch nicht. Kaum, daß es gelang, mit Hilfe von Mikroskop und mühevoller Kultur die eine Frage befriedigend zu lösen , so tauchen gleich neue Probleme an ihrer Stelle auf. Dieses wunderbare Getriebe im Reiche der Kleinsten unter den Kleinen ist so recht dazu angetan, uns die be- scheidenen Kräfte und Mittel vor Augen zu führen, mit denen wir es unterfangen, die Natur zu er- forschen. Kleinere Mitteilungen. Die Menschenaffenstation auf Teneriffa. Die Menschenaffen sind unter den höheren Säugetieren nicht nur diejenigen, die uns in bezug auf Bau und Funktion ihres Körpers und seiner einzelnen Organe am ähnlichsten sind, sie nehmen geradezu eine Mittelstellung zwischen den niederen Affen und den Menschen ein. Dafür, daß die Menschen aus den Menschenaffen sehr ähnlich gewesenen Tieren sich entwickelt haben, sprechen neben den altbekannten Argumenten der vergl. Anatomie und Physiologie, der Embryologie und Paläonto- logie auch Ergebnisse der vergl. Hirnforschung, die viele Merkmale des Menschenhirns auch am Hirn der Menschenaffen feststellen konnte. Für eine Entwicklung zeugt z. B. die Tatsache, daß bei den niederen Menschenaffen die sog. Sehsphäre den ganzen Hinterhauptslappen einnimmt, bei den Menschenaffen erstreckt sie sich nur noch über den größeren Teil, beim Menschen sogar nur noch über die Konvexität des Hinterhaupt- lappens. Beim Neger ist dieser Teil übrigens wieder noch etwas größer als beim Europäer. Auf jeden Fall stehen die Menschenaffen dicht an der Wurzel der Menschenentwicklung. Ja einige Forscher neigen zurzeit wieder der schon von Karl Vogt ausgesprochenen Annahme zu, daß die Verschiedenheit der Menschenrassen auf Ab- stammung von verschiedenen Arten von Menschen- affen zurückgeführt werden könne. Es erhellt hieraus, daß ein gründliches Studium der Lebens- gewohnheiten, des Verhaltens und der geistigen Eigenschaften der Menschenaffen nicht nur zur Bereicherung unserer zoologischen resp. tier- psychologischen Kenntnisse dienen kann, sondern auch wertvoll für das Verständnis der Menschen- entwicklung sein dürfte. Die Fragen nach dem Ursprung des menschlichen Geistes und der menschlichen Gemeinschaft werden einmal von hier aus eine ganz neue Beleuchtung empfangen. .Schon jahrzehntelang hat man sich deshalb be- müht, durch Beobachtung von Menschenaffen tiefere Einblicke in deren Lebensgewohnheiten und eine genaue Kenntnis ihrer geistigen Anlagen und P'ähigkeiten zu erhalten. So brachte man verschiedentlich Menschenaffen in die zoologischen Gärten unserer Großstädte. Aber die Bedingungen, unter denen die Affen hier nun leben mußten, wichen so sehr von ihren natürlichen Existenz- bedingungen ab, daß wir über ihre w i rklichen Lebensgewohnheiten nur sehr, sehr wenig dadurch zu erfahren vermochten. Die Tiere sind hier aus ihrem Zusammenhang init der Natur heraus- gerissen. Sie müssen sich akklimatisieren, ganz neuen Lebensumsländen anpassen. Dadurch ver- ändert sich natürlich ihr Tun und Treiben wesent- lich. Es wäre nun aber falsch, wollten wir aus 3i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 20 den neu erworbenen Lebensgewohnheiten und den dadurch bewirkten Veränderungen ihres Seelen- lebens Schlüsse auf ihr Verhalten, auf ihr geistiges Gebahren draußen in der freien Natur ziehen. Um eine richtige Kenntnis von dem Verhalten eines Tieres, seinen geistigen Eigenschaften zu bekommen, ist notwendig, es unter seinen natür- lichen Lebensumständen zu studieren. In bezug auf die Menschenaffen ist das ja augh schon getan, aber doch nur ganz gelegentlich durch Forschungsreisende, die in die von diesen Affen bewohnten Gebiete drangen und dabei hier und da Gelegenheit hatten, Menschenaffen mehr oder weniger kurze Zeit zu beobachten. Um nun das Affenstudium gründlicher und systematischer und zugleich unter möglichster Belassung der Studienobjekte in ihren natürlichen Lebensumständen betreiben zu können, ist vor wenigen Jahren — besonders auf Anregung von Prof. Waldeyer und Prof. Rothmann in Berlin — mit Hilfe von Unterstützungen aus der Plaut-Samson- und der Selenka-Siiftung sowie der Berliner Akademie der Wissen- schaften in Orotava auf der Insel Teneriffa eine Menschenaffenstation errichtet worden. Vor kurzem hat Prof Rothmann über Zweck, Ziele, Einrichtungen und bisherige Forschungsresultate dieser Station in der Berliner Anthropo- logischen Gesellschaft^) eingehend be- richtet. Die folgenden Angaben stützen sich auf diesen Bericht. Bestimmend für die Wahl Teneriffas waren sowohl seine günstige geographische Lage wie seine günstigen klimatischen Verhältnisse. Die geographische Lage dieser Insel ist für das Unter- nehmen insofern günstig, daß man sie von Deutschland aus — und das Unternehmen ist ja ein deutsches — in 5 Tagen erreichen kann und ungefähr ebenso lange braucht man von Teneriffa bis an die Küste von Guinea. In den Urwäldern des Hinterlandes dieser Küste leben die Chim- pansen und Gorillas. Den dort für die Station gefangenen Affen braucht also keine lange See- reise zugemutet zu werden. Die klimatischen Verhältnisse sind günstig dadurch, daß auf der Insel eine für die Affen, die gegen Kälte sehr empfindlich sind, sehr angenehme mittlere Jahres- temperatur von 16 — 22,50" C herrscht. Diese Temperaturverhältnisse erlauben es nun, daß die Affen den weitaus größten Teil des Jahres im Freien verbringen können und somit ist die Mög- lichkeit geschaffen, sie unter natürlichen Lebens- verhältnissen zu beobachten. Die Station, die einen halben Morgen Land umfaßt, Hegt inmitten einer größeren Bananenpflanzung, die den Affen die Nahrung zu liefern hat. Gegen die Pflanzung ist sie durch ein festes und hohes Drahtnetz, das sie gewissermaßen überwölbt, abgeschlossen. Das ist nötig, denn sonst würden die Affen die Pflan- zung in kurzer Zeit total zerstören. Trotzdem ') In der Sitzung vom 20. Februar 1915. wird das Drahtnetz von den Affen nicht als Be- hinderung empfunden. Auf dem Gelände steht ein kleines einstöckiges Haus zum Aufenthalt für die Beobachter. An das Haus unmittelbar ange- baut sind die Schlafräume der Affen. In dem eingezäunten Teil, der meist von hohem Gras bewachsen ist, haben die Affen vollste Bewegungs-, freiheit. Ohne daß sie es merken, können sie aber jederzeit beobachtet werden. Die Leitung der Station übernahm Herr G. Teuber mit seiner Frau. Er begann seine Beobachtungen mit 7 jungen Chimpansen, etwa im Alter von 5 — 6 Jahren. Zwei starben nach kurzer Zeit. Andere kamen später hinzu. Nachdem die Tiere angekommen waren, wurden sie jeder in einen besonderen Raum getan und dort blieben sie zu- nächst ein Vierteljalir hindurch. Diese Zeit be- nutzte der Stationsleiter, um sich mit den ein- zelnen Tieren allmählich anzufreunden, was bei einigen nicht ganz leicht war. Aber die Tiere freundeten sich auch untereinander an. Es ent- standen Freundschafts- und Liebesbünde unter ihnen. Später wurden die Affen dementsprechend paarweise zusammengesteckt. Sultan, ein sehr intelligentes Männchen, erhielt sogar drei Weib- chen. Interessant war es nun festzustellen, daß die Tiere, als sie zum ersten Male ins Freie ge- lassen wurden, sofort eine Herde bildeten, die von Sultan bei ihren Wanderungen geführt und von einem großen Weibchen, das die Sicherung nach hinten übernahm, regelmäßig beschlossen wurde. Die einmal eingeschlagenen Wege wurden immer wieder benutzt. Bei Annäherung eines Menschen stieß der Führer Warnungsrufe aus. An der entlegensten Ecke des Grundstückes kauerten sie sich oft stundenlang im Grase nieder. Man beobachtete auch wiederholt, daß sie mit Steinen nach anderen Tieren warfen. Die Herde war aber nicht immer so friedlich, wie es oft aussah. Es kam öfter zu Prügeleien, wobei alle gewöhnlich über das schwächste Tier herfielen. Auch Neulinge wurden erst gründlich verprügelt, ehe sie in die Herde aufgenommen wurden. Bei den Freundschaftsbünden — auch homosexuelle gab es — war übrigens das sexuelle Moment stets vorherrschend. Alle Liebesbezeugungen endeten stets in sexueller Betätigung. Als Spiel war das sich gegenseitige Haschen sehr beliebt. Auch spielten sie gern mit Wasser und machten sich deshalb oft an der Wasser- leitung zu schaffen. Sie hatten alle schnell die Benutzung des Stellhahns gelernt. Ja, sie ver- standen sogar, je nachdem ob sie viel oder wenig Wasser haben wollten, den Hahn zu drehen ! Einer von ihnen war übrigens (wohl durch Be- obachtung) dahintergekommen, daß die Leitung durch Abdrehen des Haupthahns abgestellt resp. durch Andrehen desselben wieder eingestellt werden kann. Er hat sich diese Kenntnis dann oft auch zunutze gemacht. Mitunter umzingelten sie durch Kreisbildung eine Eidechse und jagten sie unter großen Freuden- N. F. XIV. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 317 bezeugungen von einem zum andern. Auch Tänze wurden von einzelnen Tieren ausgeführt, sie hatten aber immer ausgesprochen sexuellen Charakter. So führte Sultan beim Eintritt in den Schlafraum öfter einen merkwürdigen Tanz auf, wobei ihm die Weibchen zusahen. Bei dem Tanz trat ein gewisses rhythmisches Empfinden zutage, indem der Tänzer in bestimmter Zeitfolge immer dreimal mit der Hand auf den Boden schlug. Wenn der Stationsleiter übrigens dem Affen den- selben Rhythmus durch mehrmaliges Aufschlagen mit der Hand an die Wand angab, konnte er den Sultan dadurch zum Tanz anregen. Auch die Weibchen tanzten mitunter, wobei sie sich um sich selbst drehten und dabei ebenfalls rhythmisch mit der Hand auf den Boden schlugen. Auf das Männchen wirkten diese Tänze stets erregend. Bei ihren Spaziergängen gingen die Affen übrigens stets aufrecht. Ja sie gingen mitunter in ebenso aufrechter Haltung, d. h. ohne die Hände zur Fortbewegung zu gebrauchen , eine schrägstehende Leiter hinauf und hinunter. Am Tage schliefen die Affen nie, während es ihre Verwandten im zoologischen Garten oft tun. Nach Sonnenuntergang gingen sie von allein und in größter Ordnung in ihre Schlafräume. Trotz- dem sie jeder seine besondere Schlafstelle mit Decken besaßen, zeigten sie doch Hang zum Nester- bau im Freien. Ein großer weiblicher Affe brachte es dabei zu einer besonderen Virtuosität. Die Nester werden aus Gras, Ästchen und Zweigen gebaut und sehen etwa aus wie große Storch- nester. Bekanntlich bauen die freilebenden Menschenaffen sich immer Nester. Alle Sinnesfunktionen (Gesicht, Gehör, Geruch und Geschmack) erwiesen sich als sehr kräftig entwickelt. Das Riechen wurde mitunter in der Weise ausgeübt, daß das betreffende Tier mit dem Zeigefinger über den zu beriechenden Gegen- stand strich und dann am Finger roch. Im Essen waren die Tiere sehr mäßig. Die Bananen wurden von ihnen regelmäßig abgeschält, das Trinken besorgten sie, indem sie sich, wie andere Tiere zum Wasserbehälter niederbeugten. Später gingen sie oft direkt an die Leitung. Auffällig war ihre starke Empfindlichkeit gegen direkte Sonnenbestrahlung. Wenn die Sonne ihnen zu heiß brannte, sammelten sie sich immer unter dem Sonnendach. Abgesehen von einigen Prügeleien waren sie verhältnismäßig recht friedlich untereinander. Das kam wohl auch daher, daß man es mit der ehe- lichen Treue nie so genau nahm. iHteressant sind auch die Beobachtungen über die Lautgebung und die Ausdrucksbewegung der Tiere. Sie benutzen die Vokale a, o, u, e und i zur Äußerung ihrer Gefühlszustände. Die beiden erstgenannten Vokale wurden dabei am meisten gebraucht. Die Freude wurde z. B. ausgedrückt durch ein mehrmaliges kurzes „och". Das gewöhn- liche Weinen vollzog sich in tiefen u-Lauten, bei sehr heftiger Betrübnis in hohen i-Lauten. Das Minenspiel und die Ausdrucksbewegungen mit den Armen zeigen eine erstaunliche Mannigfaltig- keit. Trauer, Freude, Angst, Begehren, Hoffnung usw. finden darin ihren beredten Ausdruck, und es ist zweifellos, daß sich die Affen besonders aus diesen Ausdrucksbewegungen über die Gefühls- zustände ihres Herdengenossen informieren. Für die Mannigfaltigkeit der Ausdrucksbewegungen mit Armen und Händen möchte ich nur einige Beispiele anführen. Die Geste des wiederholten Greifens mit ausgestrecktem Arm bedeutet: Heran- winken. Die richtige Winkbewegung hingegen ist ein Zeichen hoher Ungeduld. Verlegenheit äußert sich — wie beim Menschen — durch Kratzbewegung am Kopfe oder anderen Körper- teilen. Das Zeichen größten Zugetanseins ist das sog. Flohsuchen. Ergebenheit wird ausgedrückt durch Niederducken unter gleichzeitiger Zukehrung des Hinterteils. Staunen kommt — wie bei uns — durch Offenstehen des Mundes zum Ausdruck. Bei starken Unlustzuständen kreischen sie laut und werfen sich wie ungezogene Kinder auf den Erdboden. Das Küssen kommt auch bei ihnen vor. Es ist aber nicht das Zeichen der Liebe, sondern dient lediglich zur Weitergabe von ge- kauter Nahrung an den Nachbar. Das Lachen geschieht lautlos, das Weinen ohne Tränen. Die Affen besitzen außerdem noch eine besondere Mundmimik, worauf wohl auch die Tatsache zurückzuführen ist, daß die Mundmuskulatur beim Affen viel feiner als beim Menschen entwickelt ist. ^) Die Bedeutung der einzelnen Mund- bewegungen als Ausdrucksform für Gemüts- zustände ist uns erst zum Teil bekannt. So be- deutet z. B. eine vorgeschobene Unterlippe Ängst- lichkeit, eine fast rüsselförmig verlängerte Mund- form (lange Schnute) Widerwillen usw. Das Verhalten der Tiere spricht für ein vor- sichtiges und überlegtes Handeln. Natürlich gibt es da auch allerlei individuelle Unterschiede. Manches Tier zeigte ausgeprägte Nervosität, hier und da war sogar Hysterie zu beobachten. Was nun die Intelligenz der Tiere anbetrifft, konnte festgestellt werden, daß sie wohl fast alles durch Nachahmung erlernen. Das gewöhnliche Auf- und Zumachen der Türen war ihnen schnell geläufig. Das Verschließen hingegen lernten sie nicht (mindestens nicht von allein). Sie wußten zwar den Schlüssel in das Schloß zu stecken, aber weiter kamen sie nicht. Durch Nachahmung hatten sie auch das Scheuern und (durch Be- obachtung von spielenden Knaben wohl) das Bockspringen gelernt. Benutzung von Werk- zeugen war ihnen unbekannt. Nur ein einziges Mal konnte beobachtet werden, daß der be- sonders intelligente Sultan mit Hilfe eines Stockes sich- eine Banane heranholte. War es draußen kalt, so nahmen einige der Tiere ihre Decke mit hinaus, breiteten sie auf dem Boden aus und setzten sich dann darauf ') Herr Professor Virchow machte in gleicher .Sitzung auf diese Tatsache noch besonders aufmerksam. 3i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 20 Höchst eigenartig war das Verhalten der schon genannten großen Äffin. Während alle anderen Tiere ihre Bananen sofort nach Empfang ver- tilgten, fraß diese nur einen Teil davon, den Rest trug sie auf ihr Lager. Alle paar Stunden nahm sie sich dann etwas davon. Dabei ist beobachtet worden, daß sie einmal dem Sultan, mit dem sie ein besonders inniges Liebesverhältnis verknüpfte, die Hälfte von der geholten Nahrung abge- geben hat. Den Menschen lernen die Affen nicht nur schnell kennen, sondern erkennen ihn auch nach langer Zeit sofort wieder. Auf menschliche Zu- rufe, z. B. ,,geh hinein", ,,komm herunter", lernen sie schnell in entsprechender Weise zu handeln. Neuerdings ist man auf der Station, der jetzt infolge Einberufung des Herrn Teuber zum Heeresdienst Herr Dr. K ö hier vorsteht, dabei, durch sog. Intelligenzversuche weitere und tiefere Ein- blicke in das Seelenleben der Menschenaffen zu erlangen. Nach dem Kriege wird man die Be- obachtungen und Untersuchungen übrigens auch auf Gorillas und eventuell noch auf Orangs und Gibbons ausdehnen. Aufgabe des Studiums soll es wie bisher auch weiterhin sein, die Eigen- leistungen der Tiere — ohne jede Beein- flussung durch Dressur — hinsichtlich ihres Gemeinschaftslebens, ihrer Individuali- tät und in bezug auf die Anfänge einer Verständigung der Tiere untereinander fest- zustellen. Aus dem Vergleich der Ausdrucks- bewegungen von Menschenaffen mit denen primi- tiver Menschen hofft man außerdem noch An- haltspunkte für das Abstammungsproblem im Sinne Karl Vogt's finden zu können. Dr. M. H. Baege. Einzelberichte. Anthropologie. Über die Eingeborenen Zentralaustraliens berichten Prof B. Spencer und F. J. GiUen in ihrem Werke „Across Australia". \) Diese Stämme sind ein treffliches Beispiel der Anpassung von Menschen an sehr harte Lebens- bedingungen. Das Klima der zentralaustralischen Steppe ist im Sommer sehr heiß und trocken, aber dank ihrer von frühester Jugend an geübten Abb. 1. Australier vom Stamme der Arunta. (Aus Spencer und Gillen, „Across Australia".) Beobachtungskunst vermögen die Eingeborenen Wasser und Nahrung in verhältnismäßig reich- lichen Mengen aufzutreiben, selbst an Orten, wo ein Europäer zweifellos verdursten und verhungern würde. Allerdings gibt es Zeiten andauernder Dürre, wo auch dem Australier all seine im Busch erlernte Geschicklichkeit nichts hilft, und er geht dann durch Hitze und Wassermangel jämmerlich zugrunde. Das kommt aber nur ausnahmsweise vor. Im Winter sind die Tage warm, die Nächte jedoch hell und kalt, die Temperatur sinkt nicht selten unter den Gefrierpunkt. Trotzdem gehen die Eingeborenen auch im Winter vollständig nackt und sie haben nichts zu ihrem Schutz als Windschirme und überhängende Felswände. Kommen sie mit Europäern in Berührung, so ') „Across Australia". XIV, XVII u. 515 S., mit 365 Abb., 7 farbigen Tafeln und 2 Karten. New York u. London, Mac- millan. Abb. 2. Junge .AuilKilieriuiien vom Stamme der Arunta. (Aus Spencer und Gillen, ,, .across Australia".) gewöhnen sie sich bald an Decken und Kleider, doch wird ihnen das zum Nachteil, weil sie nicht ständig bekleidet, sondern abwechselnd auch wieder unbekleidet gehen. Dabei neigen sie zu Lungen- entzündung, die viele von ihnen hinwegrafft. Eine vollständige Anpassung an die europäische Lebens- weise scheint den Australiern unmöglich zu sein. Die Berührung mit Weißen hat zur Folge (wenn man von der Übertragung von Krankheiten ganz N. F. XIV. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 319 absieht), daß die jüngeren Eingeborenen sich von den Gewolinheiten und Einrichtungen ihrer Vor- fahren abwenden, ohne daß sie die europäische Kultur annehmen. Dadurch verlieren sie den moralischen Halt, sie büßen überdies ihre Ge- schicklichkeit im Kampf mit der unwirtlichen Natur ein und verkommen daher nur allzu leicht. Die Behandlung der Eingeborenen durch die Weißen ist in Zentralaustralien — mit seltenen Ausnahmen — eine gute; in der Regel stehen die wenigen Regierungsbeamten und Ansiedler, die hier leben, mit den Eingeborenen auf bestem Fuße. Wo die Ansiedlungen der Weißen dichter sind, wie etwa in Queensland, kommt es jedoch vor, daß durch das Abschießen von Känguru und Emu den Australiern die Mittel zur Lebenshaltung entzogen werden. Daher darf man sich nicht wundern, wenn sich diese an den Herden der Weißen vergriffen ; aber die Weißen rächten solche Viehdiebstähle barbarisch, es wurden des- wegen viele Australier vernichtet, selbst Kinder und Frauen wurden nicht geschont. Am schlimm- sten benahmen sich dabei im Dienste der Weißen stehende Eingeborene, die ,, Trackers", die be- sonders zur Verfolgung der Viehdiebe gehalten wurden. In somatischer Beziehung bestehen zwischen den einzelnen Stämmen Zentralaustraliens keine Unterschiede. Die Hautfarbe ist allgemein dunkel-schokoladebraun. Neugeborene Kinder sind kupferrot, doch dunkelt die Farbe sehr rasch nach. Das Kopfhaar ist immer lockig, nie kraus. Die Haarfarbe ist bei PIrwachsenen schwarz, wenn sie auch bei den Männern vielfach durch Behandlung mit Ocker braun oder rotbraun erscheint. Kinder und junge Mädchen haben manchmal bedeutend helleres Haar; es wurde sogar flachsfarbiges Haar beobachtet. Das Haar ergraut erst im hohen Alter und Kahlköpfigkeit wurde von Spencer und Gillen selbst bei alten Leuten nicht ge- sehen; freilich ist bei ihnen der Haarwuchs spärlich, doch scheint es nie zu vollständigem Haarausfall zu kommen. Die Männer — und be- sonders ältere Männer — sind durch sehr reich- lichen Terminalhaarvvuchs ausgezeichnet. Charak- teristisch sind die weit vortretenden Überaugen- wülste, die tiefe Einsenkung der Nasenwurzel und die plumpe breite Nase. Prof Gregory hat in seinem Buch „The Death Hearth of a Continent" (S. 178) das Tiefliegen der Augen bei den Australiern auf ein Zurücktreten derselben zurück- geführt, das als eine Anpassungserscheinung an das grelle Sonnnenlicht der Sandebenen Zentral- australiens aufgefaßt wird. Dem halten Spencer und Gillen entgegen, daß das auffallende Tief- liegen der Augen allen Australiern gemein ist, auch jenen, die in den klimatisch ganz ange- nehmen Hügel- und Waldgebieten in der Nähe der Küsten leben. Die Körperlänge betrug bei 40 zentral- australischen Männern 158 — 182 cm, im Durch- schnitt 169 cm. Die körperliche Erschei- nung kann keineswegs armselig genannt werden. Meist ist jeder Muskel gut entwickelt , nur die Beine sind häufig zu dünn, was auch bei vielen anderen „Wilden" schon beobachtet wurde. Nicht gerade wenige Männer könnten prächtige Bildhauermodelle abgeben. Körperhaltung und Gang sind ausgezeichnet. Die Erscheinung der weiblichen Personen ändert sich stark mit dem Alter, weit mehr als die Erscheinung der Männer. In der Jugend ist der Körper der Australierin gewöhnlich wohlgebildet, obzwar die Brüste häufig hängend sind. Mädchen und junge Frauen sind durch große Elastizität des Körpers und Gelenkig- keit ausgezeichnet, die aber im höheren Alter schwindet. Mit dem 25., längstens dem 30. Lebens- jahre, tritt ein rascher Verfall ein, ohne daß man außergewöhnliche Entbehrungen oder schlechte Behandlung dafür verantwortlich machen könnte. Frauen erreiclien anscheinend nur ganz ausnahms- weise ein Lebensalter von 50 oder mehr Jahren. Bei dem Stamme der Arunta sind weibliche Per- sonen häufig etwas heller pigmentiert als Männer, weiter im Norden aber besteht kein solcher Unter- schied zwischen den Geschlechtern. Die Kinderzahl ist gering (wohl infolge der Kürze des reproduktiven Lebensabschnittes der Frauen), was im Verein mit den Schwierigkeiten der Nahrungsbeschaffung usw. den Bestand der Rasse gefährdet. Dazu kommt noch die bereits erwähnte Gefährdung durch die Berührung mit der europäischen Kultur, die jedoch gerade in dem unwirtlichen Zentralaustralien nicht sehr be- deutend ist. H. Fehlinger. Chemie. Die Bildung von Acetaldehyd bei der alkoholischen Gärung. Nach Beobachtungen von Kos tyt sehe w ') soll es möglich sein, durch verschiedene Zusätze den Verlauf der alkoholischen Gärung so abzuändern, das an Stelle des Äthyl- alkohols dessen Oxydationsprodukt, Acetaldehyd, auftritt. Später haben Buchner und Lang- held angegeben,-) daß man durch Zugabe von primärem und sekundärem Natriumphosphat bei der Vergärung von Zucker durch Hefesaft Acetal- dehyd erhalten könne, wenn man durch dauernde Extraktion mit Äther den Aldehyd schnell fort- schafft. In einer neuen Veröffentlichung derselben Autoren •') ist diese Angabe dahin berichtigt wor- den, daß der Acetaldehyd wahrscheinlich erst sekundär aus bereits gebildetem Äthylalkohol durch Oxydation mittels Luft, vermutlich unter dem Einfluß katalytisch wirkender Substanzen (Oxydasen der Hefe?), gebildet wird. Ein vor kurzem erschienener Bericht über Versuche von Neufeld und Kerb') zeigt, daß die Frage, ob bei der alkoholischen Gärung Acetaldehyd auf- tritt, noch dadurch kompliziert wird, daß bei der ') Zeitschr. f. physiol. Chem. 79, 150, 359 [1912]. 2) Berichte d. D. Chem. Ges. 4(5, 1972. ^1 Berichte d. D. Chem. Ges. 47, 2550. ■*) Berichte d. D. Chem. Ges. 47, 2730. 320 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 20 Autolyse frischer Hefe unzweifelhaft Acetaldehyd entsteht. Neufeld und Kerb konnten nach- weisen, daß die Bildung von Acetaldehyd aus Hefe auch dann erfolgt, wenn sich der Vorgang der Selbstverdauung der Hefe in Kohlensäure- atmosphäre vollzieht, also unter Versuchsbedingun- gen, bei denen eine sekundäre Bildung von Acet- aldehyd durch Luftoxydation ausgeschlossen ist. Beim Lagern von Hefen, die in frischem Zustande keinen Aldehydgehalt aufwiesen, konnte stets nach einiger Zeit die Bildung von Acetaldehyd festgestellt werden , auch dann , wenn die Hefe in verschlossenen Blechbüchsen aufbewahrt wurde. Bugge. Bücherbesprechimgen. Rcsenthaler, Prof. Dr. L., Der Nachweis organisch er Verbin dun gen. Ausgewählte Reaktionen und Verfahren. XIX. bis XX. Band der Sammlung „Die chemische Analyse". Stutt- gart 1914, F. Enke. — Preis 34 Mk. Während es auf dem Gebiet der anorganischen Chemie zahlreiche vortreffliche analytische Bücher gibt, ist die organische Chemie in dieser Hinsicht weniger reichlich bedacht worden. Der Organiker, der sich über Analyse und spezielle Reaktionen ein- gehender unterrichten wollte, war hauptsächlich auf die zerstreute Originalliteratur angewiesen. In dem Maße aber, wie die Zahl der organischen Substanzen ins Ungemessene gestiegen ist, wuchs das Bedürfnis für ein größeres analytisches Nachschlage- und Sam- melwerk. Diese Lücke ist jetzt ausgefüllt durch das vorliegende umfangreiche Werk (1070 Seiten). Wenn sich auch die Zuverlässigkeit und der Wert derartiger Kompendien erst nach längerer Be- nutzung in der Praxis erweisen lassen, so kann doch die ganze Anlage des Buches zu der Hoff- nung berechtigen, daß es eine wertvolle Bereiche- rung der chemischen Literatur darstellt ; zahl- reiche vom Referenten angestellte Stichproben verstärkten den Eindruck, daß hier ein durchaus erstklassiges Werk vorliegt, das in Zukunft in keinem organischen Laboratorium fehlen wird. Der Stoff ist bei den einzelnen Verbindungen in der Weise angeordnet, daß zunächst die phy- sikalischen und, wenn nötig, physiologischen Eigen- schaften angeführt werden; dann folgen Angaben über die analytisch wichtigen Verbindungen der Substanz, ihre qualitativen Reaktionen (einschließ- lich der mikrochemischen), über IVIethoden zum Nachweis der Substanz neben anderen und über Trennungsverfahren. Folgende Körperklassen werden berücksichtigt: Kohlenwasserstoffe, Alko- hole, Aldehyde, Ketone, Kohlenhydrate, Phenole, .Säuren und ihre Derivate, Äther, Chinone und Oxyde, Ester, Halogenderivate, Nitro-, Nitroso- und Isonitrosoverbindungen, Nitrile und Isonitrile, Säureamide und imide, Amine (Hydrazine, Diazo- und Azoverbindungen), heterozyklische Basen, Aminosäuren (Polypeptide, Betaine), Schwefel- verbindungen, Arsenverbindungen, Alkaloide, Harz- säuren, Gerbstoffe und Flechtensäuren, Glykoside, Bitterstoffe, Farbstoffe, Eiweißstoffe, Enzyme, Toxalbumine. Diese Übersicht läßt schon er- kennen, daß das Buch nicht nur dem eigentlichen Organiker wertvolle Dienste leisten wird, sondern daß es auch dem Biologen, dem Nahrungsmittel- chemiker, dem Pharmazeuten und dem Mediziner die Arbeit erleichtern will. Als weiteres Hilfs- mittel sei noch die tabellarische Zusammenstellung der nach der Höhe geordneten Schmelz- und Siedepunkte organischer Stoffe genannt, die dem Praktiker sehr willkommen sein wird, sowie ein umfangreiches Sachregister, das außer dem Namen der Verbindungen noch ihre Formel, ihr Mole- kulargewicht und ihre prozentische Zusammen- setzung enthält. Bi'gge. Literatur. Maurer, Prof. Dr. Fr., Grundzüge der vergleichenden Gewebelehre. Mit 232 Abbildungen im Text. Leipzig '15, Kmanuel Reinicke. Geb. ls,20 Mk. Rabenhorst's Kryplogamcntlora. 6. Bd.: Die Leber- moose, bearbeitet von Dr. K.Müller. 20. Lieferung. Leip- zig '14, E. Kummer. 2,40 Mk. Anregungen und Antworten. Herrn H. Wegener. Die Auf- und Untergänge des Mondes wie aller übrigen Gestirne hängen vom Orte an der Ilimmelssphäre ab. Ändert sich dieser Ort, so auch die be- trelTenden Zeiten. Die Änderungen des Mondortes von Tag zu Tag hängen natürlich auch von der Entfernung des Mon- des ab, in der Hauptsache aber von der täglichen Bewegung in Deklination. Von der Richtigkeit dieser Angaben über- zeugt man sich leicht durch Rechnung, wozu nur die Kenntnis der sphäiischen Trigonometrie nötig ist. Notiz. Der .-\ufsatz von O. Bürger „Die Härtung der Fette" in Nr. 16 der Naturw. Wochcnschr. stellt eine Inhalts- angabe des in den Nummern 70 — 73 der Zcitschr. f. angew. Chemie (27. Jahrg. 19 14) abgedruckten Vortrages von Dr. F. Bcrgius dar, deren engen Anschluß an das Original die Redaktion nachträglich mißbilligt. Red. Inhalt: Düggeli: Ilarnstoffzersetzende und salpcterbildende Spaltpilze. — Kleinere Mitteilungen : Baege; Die Menschen- affenstation auf Teneriffa. — Einzelberichte: Spencer und Gillen: Über die Fingeborcnen Zentralaustraliens (mit 2 Abbildungen). Kostytschcw: Die Bildung von Acetaldehyd bei der alkoholischen Gärung. — Bücher- besprechungen: Rosen thaler: Der Nachweis organischer Verbindungen. — Literatur: Liste. — Anregungen und Antworten. — Notiz. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstrafle IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H , Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Folge 14. Band; zen Reihe 30. Ba Sonntag, den 23. Mai 1915. Nummer 31. Moorboden. [Nachdruck verboten.] Entstehung und die Geschichte seiner Nutzung. Von Ad. Mayer. neueren chemischen Bedeutung des Wortes. Der Moorboden kann brennen. Torf ist ja nichts anderes als in Backsteinform gestochener oder anderswie so geformter Moorboden, an der Luft getrocknet. Wer aus Gegenden kommt, wo es kein Moor gibt, der ist aufs äußerste überrascht durch die Tatsache, daß der Boden, der doch sonst eher Verwandtschaft mit der Erde, auch der vulkani- schen, hat und als ein Verbranntes angesehen wird, auch brennen kann. — Beinahe als ein P'revel erschien es dem Römer, als er an den germanischen Flußniederungen erschien, daß man hier den Boden, die fruchtbare Muttererde, als Brennstoff benützte; hatte man doch in der sonnigen Italia keine Moore und zudem nur ein geringes Heizbedürfnis. Diese Überraschung nun auch, durch die Zeugen seine7pracht7j"ene'ln' die Welt hat vielfach poetischen Ausdruck _ gefunden, der hinausgehenden Siimmungsbilder der .Worpsweder' sich sich ungefähr wiedergeben läßt in den Versen, einen immer größer werdenden Freundeskreis zu er- .^^jg gjg ähnlich in der alten niederländischen Literatur vorgefunden werden: „Es gibt kaum eine von der Umgebung so scharf abgegrenzte und für sich so typische Ptlanzenforraation wie das Moor. Kaum irgendwo herrschen, mitunter auf ganz beschränktem Raum, öfter über kilometerweite Strecken so eigenartige Lebensbedingungen , daß sich eine Vegetation herausbildet, die gegenüber den Ver- tretern anderer biologischer Formationen, wie Wald oder Kulturwiese, so exklusiv dasteht, wie die Pflanzen- decke der Moore. Dies prägt sich schon im ganzen Landschaflsbild aus. Und wie man vor wenigen Jahr- zehnten das Eigenartige der Heide erkannt und seither oft zum Gegenstand künstlerischer Studien gemacht hat, so beginnt auch das Moor mit seinem geheimnisvoll- düsteren Charakter und seiner Weltverlassenheit auf gemütvolle Naturen eine immer größere Anziehungskraft auszuüben. Man hat sogar die im Jahre 1884 von jugend- lichen Künstlern gegründete Malerkolonie in Worpswede in innigen Zusammenhang mit dem dortigen ,, Teufels- moor" gebracht. ,,t)as eigenartige ,närnsche' Moor, das es jenen Künstlern angetan und sie, die Großstadt- kinder, bei sich bodenständig gemacht hat, beg' Camill Montfort. Moorboden ist bekanntlich eine ganz be- sondere Art von Boden. Sonst ist dieser das Mineralische, das verwitterte Gestein, oft vielleicht durch Schlämmen des Wassers oder durch den ,,0 seltsam kannibalisch Land, Wo von dem Sohn die Mutter wird verbrannt." Dies Verbrennliche, Kohlenstoffhaltige stammt Wind in gröbere und feinere Bestandteile zerlegt aus der Pflanze, aus Resten derselben, die nach und dadurch — vom Wüstensande bis zum fetten dem Absterben auf dem Boden, auf dem jene er- Marschboden — recht verschieden in seinen Eigen- wuchs, liegen geblieben sind. Daran ist kein Schäften, aber immer noch der Hauptsache nach: Zweifel; denn man sieht ja noch im gestochenen mineralisch — unorganisch. Torfe das Faserige, ja so viele andere Besonder- Erst die Pflanze, die auf dieser Grundlage heiten des Pflanzengewebes, daß ein Determi- wächst, erschafft sich das Organische aus Be- nieren der Art in den meisten Fällen noch mög- standteilen der Luft und läßt Reste kohlenstoff- lieh ist, und man unterscheidet wohl gar Moos- haltiger Substanz in den Boden gelangen, die torf, Binsentorf, Rohrtorf in diesem Siime. aber unter gewöhnlichen Umständen bald durch Die Frage ist also nur: Warum verwesen diese Verwesung wieder verschwinden — bis auf einen noch kleineren Rest, den wir Humus nennen. Ebenso die Leichen von Tieren und Menschen, von denen bald nur noch die Knochen übrig bleiben, die zu zwei Drittel ihrer Masse eben Dinge nicht, da doch sonst die Verwesung das Los alles Organischen ist.? — Auf diese Frage kann leicht eine Antwort gefunden werden, wenn man nur ein wenig die tatsächlichen Umstände der Moorbildung und die fraglichen der Ver- mineralischer Natur sind, und Zeugnis ablegen wesung ins Auge faßt. Zu dieser gehört Luft -— von dem, was gewesen ist. Insoweit die Ge- Sauerstoff; denn das Ziel derselben sind die schöpfe Erde sind, werden sie auch wieder zu sauerstoffreichen Produkte: Wasser und Kohlen- Erde. Das ist der früh erkannte Kreislauf des säure, die wieder der Ausgangspunkt neuer pflanz- Stofflichen, eine so alte Weisheit, daß sie sym- licher Produktion sind. Ist keine Luft vorhanden, bolische Bedeutung für die Vergänglichkeit gerade so können zwar auch tiefgreifende Veränderungen des Höchstorganisierten gewonnen hat. stattfinden, die in gasförmigen Produkten endigen Die Moorböden aber machen hiervon eine und so gut wie nichts zurücklassen, und die wir Ausnahme. — Sie sind zu einem weit größeren im allgemeinen als Gärung bezeichnen. Aber Teile (als die erst halb verweste Humusschicht dazu gehört Wärme, da diese Vorgänge an die des gewöhnlichen Ackerlandes) kohlenstoff- Entwicklung von niederen Lebewesen auf mittlere halt ige Substanz, also organisch in der Temperaturen Anspruch machen. 322 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 21 Abschkiß von Luft kann in der Natur durch stagnierendes Wasser erreicht werden, da Wasser nur Spuren von Luft löst, die zu raschen Ver- wesungsvorgängen nicht ausgiebig genug sind. Also Sümpfe, in die sich Wasserpflanzen ver- senken, müssen der IVIoorbildung eine geeignete Stätte bieten; es sei denn, daß die Gegend oder die Jahreszeit z u warm ist, wo dann aus den unter Wasser faulenden Pflanzen Gase aufsteigen, mit denen die Bestandteile der organischen Stoffe verloren gehen. Das wichtigste dieser Gase hat sogar, dieser Entstehungsart entsprechend, den Namen „Sumpfgas" erhalten. Es ist brennbar, da es aus Kohlenstofi" und Wasserstoff besteht. Geht dieser Prozeß lange genug vor sich, dann sind endlich alle organischen Reste auch bei Luft- abschluß im Wasser verschwunden. So geschieht es in den Tropen, und der im Elsaß ansässige französische Agronom und Natur- forscher Boussingault, der vor nun beinahe hundert Jahren auch in Südamerika reiste, kon- statierte schon das Fehlen der Moore in den Tropen, bis er sie dann in entsprechender Höhe auf dem peruanischen Hochplateau wiederfand. Dort herrscht infolge der bedeutenderen Meeres- höhe, auch innerhalb der Wendekreise, eine mittlere Temperatur, ähnlich wie im gemäßigten Klima, und so wurde die Abhängigkeit der Er- scheinung von Wärmeverhältnissen besonders deutlich. Andere Reisende berichteten bald aus anderen Weltteilen ähnliches. ^) Ganz streng richtig war das freilich nicht. Ich selber habe später öfters sog. Pahjaböden (aus den Niederungen der Insel Sumatra, auf welchen Tabaksbau betrieben wird) untersucht. Diese sind so humusreich, daß man sie ruhig als Moorböden bezeichnen könnte, obgleich sie sich kaum ein paar Grade vom Äquator und nicht viel über Meereshöhe gebildet haben. Und diese Erscheinung ist erklärlich genug. — Wenn im üppigen Urwald die Pflanzenreste sich gar zu sehr häufen, so kann manchmal selbst die starke V^er- wesung mit dieser Riesenproduktion nicht Schritt halten. — Und umgekehrt kennen wir auch im gemäßigten und kalten Klima die Sumpfgasgärung; ja ähnliche Vorgänge setzen sich in schon ge- bildetem Moore, das späterhin mit anderen Boden- arien überdeckt wurde, noch fort. Dies ist selbst in einem Grade der Fall, daß das Pumpwasser in vielen Gegenden der Provinz Nord-Holland, wo sich moorige Schichten im Untergrunde befinden, so viel brennbares Gas abscheidet, daß dies ■ — man nennt es Brunnen gas — auf den Bauern- höfen zu Brenn- und Leuciitzwecken allgemein benutzt wird. Die Wahrheit ist nur, daß im ge- mäßigten Klima der eine, in den Tropen der andere Vorgang überwiegt, wie ja die Natur über- haupt dem Kategorischen, das die Menschen für ') Literatur in dem Prachtwerke Früh und Schröter, Die Moore der Schweiz, 1904, p. 143. Auch dort sind viel mehr Moore am Nordhange der Alpen konstatiert als am Süd- hange derselben. ihre Systematik so lieben, abhold ist oder, wie wir zu sagen pflegen, „keine Sprünge macht".; Also ist die Entstehung von eigentlichen Mooren auf das kühlere Klima beschränkt. Nord- west-Europa, Skandinavien, die F"alklands-Inseln und Tasmanien auf der südlichen Halbkugel sind ihre typischen Länder. Überall, wo das Wasser stagniert und eine Pflanzendecke sich auf ihm bildet oder binsenartige Gewächse mit lang- gestreckten Hohlräumen (wodurch sie zu dieser Lebensweise geeignet werden) im Wasser selbst sich entwickeln, fallen die abgestorbenen Teile ins Wasser. Die etwaige Sumpfgasgärung dauert in der rasch vorübergehenden heißen Zeit des Jahres zu kurz, um die Masse zu bewältigen; und nun findet eine langsame und ganz andersartige Zersetzung statt, in welcher die Masse nicht Kohlenstoff verliert, sondern im Gegenteil kohlen- stofTreicher wird, was im wesentlichen durch Wasserabspaltung zustande kommt. Die Pflanzen- masse behält dabei zunächst noch ihre Struktur, aber sie bräunt sich stark und schwärzt sich endlich. Auch unsere fossilen Brennstoffe, die Braun- koiile und selbst die Steinkohle, sind offenbar auf ähnliche Weise entstanden, wenn sie auch keine streng kontinuierliche Reihe bilden und aus sehr verschiedenen Pflanzenmaterialien hervorgegangen sind. Das Moor ist also das Resultat einer Zer- setzung, das mit Gärung und Verwesung, die beide durch Lebewesen hervorgebracht werden, wenig zu tun hat. Ja Gärung und Verwesung werden durch dasselbe gebannt, ^) und daher sind auch die Moore der Fundort von Tier- und Menschenleichen, die in sehr wenig verändertem Zustande dort Jahrhunderte gesteckt haben und deutlicher die Züge verraten einer gewesenen Fauna und der Menschengeschichte selbst als die gewöhnlichen Versteinerungen und Knochenfunde, die das Resultat einer vollendeten Verwesung sind. Auch poetisch hat diese Tatsache angeregt, wofür ich hier ein Zeugnis bringe, das „Die Hand im Oldenburger Moore" betitelt ist, wovon die folgenden Strophen hier von Interesse sind. Durch Moor und Heide setz ich meinen Stab, Die sich unendlich wie ein Meer verbreiten, Ein schwarzes, stummes, trümnicrhaftes Grab, Drauf Niemands Fuß, nur Wolkenschatlen schreiten. Vor schwanker, nasser Grube mach' ich halt. Wo einer gräbt und wühlt mit seinem Eisen. Es hebt sich eines Mannes Großgcstalt. „Wollt ihr den Weg mir durch die Heide weisen?" Schwarz triefend kommt es aus dem Pfuhl heran : „Herr, guten Tag ! Ihr kommt zur rechten Stunde. Seht, einen seltnen Fund hab ich getan Tief aus des weißen Muttersandes Grunde." Und eine Menschenhand, verschrumpft und braun, Die er hervorgeschaufelt diesen Morgen, ') Leinenstoffe linden sich an den „Moorleichen" nicht selten wohlerhalten. N. F. XIV. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 323 Ein Stumpf, vielleicht vom Körper abgehaun Und tausend Jahre hier im Moor verborgen, Der Mann aus einem Korbe lächelnd nimmt. Groß war die Hand und sehnig, stark von Knochen, Zur Faust geballt, mit Fingern, die ergrimmt. So schien es fast, manch Leben schon zerbrochen. Woher die Hand? Hat sie ein Frankenschwert Von eines Sachsen starkem Arm geschnitten? Hier trafst Du Feinde, Karl, die Deiner wert, Die nimmer müd um ihre Freiheit stritten. Das Gedicht nimmt dann eine politische Wendung, die heute weniger interessiert, da nun erfüllt ist, was der Dichter ersehnte. Es stammt aus dem Jahre 1843. — Vielleicht aber gehört die Hand auch einem jener Feiglinge, die von den alten Germanen, wie uns Tacitus berichtet, oft im Moraste ersäuft wurden. Die Frage ist also nur: Warum verwesen diese Reste nicht, da doch sonst die Verwesung das Los alles Organischen ist ? Auf diese Frage kann, wie wir gesehen, leicht eine Antwort gefunden werden, wenn man nur ein wenig die Umstände der Moorbildung und der Verwesung ins Auge faßt. Auf die vorhin beschriebene Weise füllt sich das Sumpfbecken des stehenden Wassers immer mehr und mehr mit den braunen, nur langsam modernden Stoffen, welche schließlich dicke Lagen (man hat deren bis zu 17 m gemessen) bilden, die auch wohl wieder auftauchen und sog. ,, Schaukelmoore" oder gar schwimmende Torfinseln bilden. Diese kommen nicht bloß in den nordischen Flußniederungen, sondern auch auf den kleinen Schwarzwaldscen (die ehemaliger Gletschertätigkeit ihr Entstehen verdanken) vor und bedecken sich wieder mit Grün und sind zu- weilen massiv genug, um selbst Weidevieh, ja sogar menschliche \Vohnungen zu tragen. Von solch einem Fall wird aus dem Jahdebusen be- richtet, wo die Torfinsel gar eine Hütte trägt, von der aus man zu Zeiten der Flut über den Seedeich wegblicken konnte. (Doch wird dieses schwimmende Moor wohl unter anderen Um- ständen, als den jetzt bestehenden entstanden sein). Auf dem Hvungsee in Livland findet sich sogar eine schwimmende Insel, auf der im Sommer Gras gemäht wird, die aber im Winter unter- taucht. Sie ist schwerer als Wasser und wird nur durch Sumpfgas, das sich im Sommer ent- wickelt, gehoben. Allmählich wächst dann wohl der ganze Sumpf zu und sein Bett füllt sich bis zum Rande mit der schwarzen verfilzten Masse, die schließlich das Wasser nur noch aufgesogen (wie in einem Schwämme) enthält und nach dem Abzapfen des Wassers Festland bleibt , freilich mit einer gewissen Neigung, wieder zu schwinden und Mulden zu bilden. Dies ist der Prozeß der Verlandu ng '), und sein Ergebnis sind dann ') BloSe Überwachsungen von Wasser und sogar von Strömen kommen auch in den Tropen vor. (Vgl. z. B. Richard Kandt, Empfindsame Reise zu den Quellen des Nils, 2. Aufl., p. 396; aber Überwachsungen sind noch keine Verlandungen. die Mach- oder Grünland moore, so genannt, weil sie ihres großen Wasserreichtums wegen sich vor allem zu Wiesen- und Weideland eignen. Will man Torf aus ihnen stechen, oder, wenn der Boden noch nicht fest genug hierfür ist, durch Baggern gewinnen, so vernichtet man notwendig das gewonnene Land und muß viele, viele Jahre warten, bis man den Prozeß wiederholen oder Weideland aus ihm gewinnen kann; es sei denn, daß die Wasserverhältnisse es gestatten, die ganze Fläche tiefer zu legen, was aber gerade in den Niederungen gewöhnlich seine in der Natur ihrer Entstehung selber gelegenen Schwierigkeiten hat. Die Pflanzenarten einzeln zu nennen, aus denen sich das Grünlandmoor bildet, hat wenig Sinn, da je nach den sonstigen Umständen sehr ver- schiedene daran beteiligt sein können. Man nennt besonders (außer den Sumpfalgen) Armleuchter- Gewächse, Laichkräuter, die Wasserpest (Elodaea canadensis), Riedgräser, das Schilf (Arundo phrag- mites), Rohrkolben, Binsen und Simsen; aber es beteiligen sich noch viele andere, und keine der genannten ist absolut unentbehrlich für diese Moorbildung. Ein ganz neuer biologischer Umstand kommt hinzu lür die Entstehung der abweichend gearte- ten Hochmoore, die wirtschaftlich von noch viel größerem Interesse sind. Diese wachsen aus dem Niveau des Wassers heraus, das auch zu ihrer Bildung notwendige flüssige Element mit in die Höhe saugend. Wie das möglich ist, war lange ein Rätsel, bis man auf die ganz be- sondere Organisation eines Mooses aufmerksam wurde, das in keinem Hochmoore zu fehlen scheint. Dieses Moos nennt der Botaniker Sphagnum, und mehrere Arten sind davon be- kannt, die sich aber alle durch eine ganz merk- würdige Struktur auszeichnen. *) Macht man einen mikroskopischen Durch- schnitt, so erblickt man gleichsam Zellen mit sehr dicken Zwischenwänden. Sieht man aber näher zu, so sind gerade diese Zwischenwände selber langgestreckte prismatische Zellen, mit Blattgrün und all den Besonderheiten lebender Pflanzenzellen ausgerüstet; die vermeintlichen runden Zellen aber sind — leer. Es sind Hohl- räume, die durch kleine Löcher ") mit der Außen- welt in Verbindung stehen und die — was sie auch ursprünglich gewesen sein mögen — jetzt biologisch nur den einzigen Zweck erfüllen, sich mit Wasser voll zu saugen, weit über die sonst übliche Kapazität pflanzlicher Gebilde hinaus, wie ein Schwamm mit dem zwanzig- und mehr- fachen seines eigenen Gewichts. Wie Fettöpfchen bei einer Illumination an den Gebäuden, so sind ') Vielfach werden andere Definitionen gegeben und auf den größeren Gehalt an mineralischen Nährstoffen im Wasser, in dem sich Flachmoore bilden, Gewicht gelegt. Ich stelle aber mit guter Überzeugung den Gesichtspunkt, der mir als der wichtigste erscheint, in den Vordergrund. ■') Vortrefflich belehrende Abbildungen in dem Pracht- werke von Kern er, Pflanzenleben 1890 I. S. 203. 324 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 21 die mikroskopisch kleinen Becher von oben bis unten zu Tausenden an der Pflanze angebracht, und dadurch eben ist das wasserfassende Ver- mögen derselben ins Unendliche gesteigert. ') Denn nicht bloß in den sumpfigen Niederungen, gelegentlich schwimmend in und auf dem Wasser, gelegentlich sich festsetzend auf dem festen Land, findet man dieses Moos. Man findet auch Polster desselben hoch oben auf den Schwarzwaldbergen, in der Eifel, auf dem Harz, kurz überall, wo die Feuchtigkeitsverhältnisse seinen Ansprüchen ge- nügen ; und diese Polster sind selbst infolge der F~ähigkeit , Wasser aufzusaugen , nach langen trockenen Tagen noch so voll Feuchtigkeit, daß man sie wie einen Schwamm auspressen kann und man erstaunt, wieviel Wasser herausfließt. Sie schöpfen dieses Wasser nicht wie andere Pflanzen aus dem Boden, -) sondern aus den Niederschlägen, die sie nur eben mit äußerster Zähigkeit festzuhalten wissen. Gegen Frost aber sind sie sehr unempfindlich, was gleichfalls wichtig ist. Wer eine deutlichere Vorstellung von der Wirkungsweise dieser Einrichtung erlangen will, wird gut tun, sich zu erinnern, wie schon die Pflanzensubstanz überhaupt sich anziehend auf Wasser verhält. Jeder hat nach einem Regen schon Blätter auf dem Steinpflaster liegen sehen und sich verwundert, wie schon ein einzelnes die Feuchtigkeit stunden- und tagelang bewahrt. Trockene Leinwand, aus Pflanzenfaser bereitet, wird von den Physikern als eines der allerbesten Mittel benutzt, Luft von den letzten Resten von Feuchtigkeit zu befreien, selbst wo die chemischen Mittel der Wasseranziehung nicht mehr ausreichen. Adhäsion und Kondensation sind also beide außer- ordentlich. Wie groß muß die Wirkung erst sein, wenn noch die vorteilhafteste Gestaltung in Form von einer Unzahl kleiner mikroskopischer Becher, wie wir sie für das Sphagnum-Moos als charakteristisch geschildert haben, dazu kommt. Der Jäger, der erfahrene Tourist, macht davon nützlichen Gebrauch, die wunde Haut zu kühlen und zu erfrischen. Er braucht in diesen Gegenden keinen Waschschwamm mitzunehmen, bedarf auch keines Beckens. Er findet Geräte und Wasch- wasser vorbereitet in der Natur. — Wohl kann das Torfmoos austrocknen, aber es stirbt dabei nicht sogleich. Bei dem ersten Regen durch- feuchtet es sich wieder und lebt weiter. Dieses Torfmoos ist also der wesentlichste Be- standteil des Moores. Ja beide Begriffe fließen auch etymologisch ineinander, wie denn der Bayer, der Deutsch-Schweizer und der Öster- reicher seine Moore Moose nennt. Nicht als ob die ganze Moormasse aus Sphag- num bestünde. Es ist wohl überall ein charak- teristischer Bestandteil, aber das ganze besteht ') Mehrere (gewöhnlich zwei) in einer Zelle sind nötig zum Saugen und bei den Weißmoosen besonders deutlich er- kennbar. ') Entbehren darum auch der leitenden Gefafle. nicht allein aus diesem Torfmoos. — Viele andere typische Sumpfpflanzen und solche, die wenigstens viel \\'asser vertragen, sind beigemischt : Ried- gräser, Heidekraut, Wollgräser u. dgl. ') Aber diese allein bilden niemals Hochmoore. Man kann es deutlich bei der schärferen Beobachtung der Moordecke wahrnehmen, wie sie sich passiv ver- halten. Sie werden überall umgeben, isoliert, gleichsam eingemauert vom Schwämme des Torf- mooses, das sie in die mit Feuchtigkeit gesättigte Masse bettet, ihnen die Lebensluft verkümmert und sie zum Absterben zwingt, so daß sich ihre Masse der des überhaupt wurzellosen, von unten absterbenden, von oben weiterwachsenden Sphag- num beimischt und sie alle zusammen endlich dann braunen Torf bilden, erst loseren sog. Moos- torf, der weiter in der Tiefe in schwärzere dichte Masse übergeht, die kohlenstoff"reicher ist und dementsprechend einen größeren Wert als Brenn- material besitzt. Genau auch wie in den Stein- kohlenflözen der wertvollere Anthrazit der ge- wöhnlichen Flammkohle unterbreitet ist, was eben- falls eine Folge ist des länger dauernden Ver- kohlungsprozesses in wachsender Tiefe. Mit dem geschilderten Absterben ist aber immer wieder eine Erneuerung der Vegetation verbunden, wie auch sonst auf der Erde, nur daß die Flora durch neue Einschleppungen zuweilen und mit dem Wachsen der Moore in die Höhe auch in charakteristischer Weise wechselt, so daß z. B. in der Tiefe Reste von Föhren und anderen Waldbäumen ') zu bemerken sind. Nämlich der Wald macht durch die in ihm und über ihm er- folgende Kondensation eine Gegend feucht. Zu oberst aber hält sich die gewöhnliche Heide- und andere Erikazeen ; denn durch das periodische Ersticken der Pflanzen in der großen Nässe ist eine Samenbildung der an diese "Lebensweise teil- weise angepaßten Flora nicht ausgeschlossen. Auch wechseln ja die Jahreszeiten der größeren Trockenheit oder Feuchtigkeit miteinander, so daß manchmal eine Zeitlang ein gedeihlicheres Wachstum möglich ist. Aber eines bleibt für die Biologie der Hoch- moore unter allen Umständen charakteristisch. Mit dem In-dic-Höhe-wachsen der Information ent- fernt sich die Zone des Lebens immer mehr von dem ursprünglichen mineralischen Grunde, weiter und weiter, oft 4 — 5 m weit. Ja in einzelnen Fällen wird eine Höhe bis über 10 m beobachtet. Die mineralische Nahrung, die bei dem gewöhn- lichen Laufe der Dinge (und selbst in den Grün- landmooren) einer jeden entstehenden Vegetation aus den Trümmern der alten (die ja hinreichend ') Ein sorgfältige Aufzählung der für Flach- und Hoch- moor charakteristischen Pflanzen in dem schon zitierten großen Werke von Früh und Schröter, Die Moore der Schweiz, 1904. Daselbst auch der Hinweis, daß Sphagnum eine kräf- tige mineralische Ernährung gar nicht verträgt. ^) Man vgl. z. B. Die geologischen Moorprofile von ('. A. Weber in Bremen, 1907, wo die Bodenschicht Nr. S mit Baumstanimresten bedeckt ist. N. F. XIV. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 325 umgesetzt werden und so die Nährstoffe immer wieder freigeben) zur Verfügung stellt, wird fort und fort spärlicher. Und ist selbst ein Hochmoor auf ursprünglicli fruchtbarem Grunde entstanden, so wird es 'eben diesem Werdegang zufolge an- dauernd unfruchtbarer infolge der unausbleiblich fortschreitenden Verdünnung der mineralischen Bestandteile. Ein Grünlandmoor läßt sich, wenn nur Sand in d(?r Nähe zugegen ist und die Wasserverhält- nisse sich regulieren lassen, leicht urbar machen durch Überdecken mit einer Sandschicht von 10 cm oder wenig mehr und durch verhältnismäßig schwache Düngung, da die Pflanzen aus dem moo- rigen Untergrunde noch genug stickstofthaltige Nahrung ziehen. Der Ökonom Rimpau auf Cunrau hat bekanntlich vor reichlich einem Men- schenalter auf diese Weise wertloses sumpfiges Ge- lände in Ackerland von der allerersten Oualität verwandelt. Nur ist die Bodenbehandlung auf solchem Neulande natürlich eine von der gewöhn- lichen sehr abweichende. Diese Bodenverbesserung gelingt bei den mine- ralstoffarmen ') Hochmoorboden in der Weise nicht, und daher sind diese Hochmoore ein Pro- blem der eigentümlichsten Art, um so mehr, da sie viele Ouadratnieilen in den Nordseeniederungen und in den skandinavischen Ländern einnehmen, dabei unmittelbar an Landstriche von hoher Kul- tur grenzen und zugleich einen großen Vorrat von brennbarer organischer Substanz in sich enthalten. Wohl sind sie als Wasserreservoir auf unseren Gebirgen zuweilen von Bedeutung, aber setzen der Kultivierung derart große Schwierigkeiten ent- gegen, daß Moor und Ödland lange als gleich- bedeutend galt. Man traute seinen Augen nicht, wenn man unmittelbar aus den Marschniederungen von sprichwörtlicher Fruchtbarkeit (vielleicht nur einen schmalen Gürtel von sandigem Geestland überschreitend) auf diese düsteren Einöden stieß, in denen man (trotz des Vorhandenseins eines Kapitals von Brennstoffen und von Wasser) noch weniger Spuren einer betriebsamen Bevölkerung traf, als auf dem ärmsten Sande, wo alles: Pflan- zenreste, Wasser, lösliche Pflanzennahrung zu fehlen scheint, und wo doch ein zäher Menschenschlag aushält, dem undankbaren Boden durch verdrei- fachte Energie und geringe Lebensansprüche einen genügenden Ertrag abzuringen. Es ist in der Tat von hohem Intereresse, weit über die Grenzen der sich mit der Landwirtschaft Beschäftigenden hin- aus, zu betrachten, auf welche verschiedene Weisen eine rationelle Bewirtschaftung dieser Moore be- trieben wird, und wie endlich deren völlige Urbar- machung geglückt ist. Man kann deutlich drei Betriebsarten der ') Den durchschnittlichen Kalkgehalt des Hochmoortorfs fand man nach Analysen von Fleisch mann = '/40 von den von Flachlandtorf. Übrigens werden bei Kulturen in Schweden die Hochmoorböden auch übersandet mit 5 cm und für Gras- land mit halb so viel Sand. Ann. d. 1. stat. agron. 1909, S. 98. Nutzung der Hochmoore unterscheiden, wozu noch eine vierte ganz neue kommt, die eben 'n fc^ntstehung begriffen ist. Die älteste und pri- mitivste ist die des Brennens des Moores. Das Prinzip davon ist leicht deutlich zu machen, wie auch die unangenehmen I'olgen weltbekannt sind. Wenn sich beim Wachsen des Moores in die Höhe die mineralischen Nährstoffe, die ur- sprünglich der Boden liefert, und die nun auf die ganze Torfmasse verteilt sind, mehr und mehr verdünnen, so wird das Gedeihen der zuletzt vege- tierenden Pflanzen natürlich ein sehr spärliches sein. Nur einige Moorpflanzen, die eben von der Natur auf diese ISedingungen gezüchtet sind, halten noch aus. Will man aus dem Moore Ackerland machen, so genügt es also nicht, die wildwachsende Vegetation mittels Pflügen uud Säen durch eine gewollte Kultur zu ersetzen. Diese muß miß- glücken, weil jedes nützliche Gewächs weit größere Ansjjrüche macht, als der sonderbare Boden zu befriedigen vermag, ganz abgesehen von dem chemischen Widerslande, den die zähe Narbe dem Pfluge entgegensetzt. Da tritt nun das Verbrennen der oberflächlich abgeschälten Vegetationsnarbe als naheliegendes Hilfsmittel ein, weil dadurch nicht allein der vor- handene Pflanzenbestand auf einfache Weise ge- tötet wird, sondern weil auch dessen mineralische Bestandteile als Asche frei werden. — Der mit dieser Asche gemischte Boden wird also ärmer an organischen Stoffen, was aber nicht schadet, da er deren in großer Masse enthält, und wird prozentisch reicher an mineralischen Pflanzen- nährstoffen. Natürlich muß, sowohl im Interesse des Bren- nens als des nachherigen Anbaues, zuerst mäßig entwässert werden, was an sich gerade auf dem Hochmoore durch Ziehen von Gräben unschwer gelingt. Und nun wächst wenigstens eine so an- spruchslose Pflanze wie der Buchweizen , eine Pflanze, die den gewöhnlichen Angaben zufolge aus den Wolgaländern stammt, den aber wohl die Sarazenen aus den magern afrikanischen Wüsten mit nach Europa gebracht haben. Dar- auf deutet wenigstens der französische Name: sarasin. In Süddeutschland heißt er charakteristisch Heidekorn, während der Name Weizen ent- schieden euphemistisch ist. — Die Silbe „Buch" mag er erhalten haben, weil der Samen einer kleinen Buchel aufs Haar ähnlich sieht. Diese sehr alte (die Geschichte des Buch- weizens weist ja schon hierauf) Kultur ist also tatsächlich möglich, aber mit welch bescheidenem Resultat. Nur 'in die frische Asche gesät, gedeiht die Pflanze. Dann muß man dem Boden viele (meist sieben) Jahre Ruhe lassen, bis man bei ihm wieder um eine Ernte anklopfen darf. — Man berechne hieraus die Größe der Bodenfläche, die ein einzelner Kolonist — denn es sind Aus- wanderer aus den übervölkerten Landstrichen, also Kolonisten, die sich in diese Unternehmung be- 326 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 21 geben — unter dem Pfluge haben muß, um eine magere Existenz zu finden. Dazu kommt nun die Überlast, die man mit dieser Brentikultur der Umgegend bereitet; der M o o r r a u c h , der vom Nordwind Ende Mai von den norddeutschen und holländischen Niederungen bis nach Frankreich und Süddeutschland verweht wird, dort früher unter dem Namen von Höhen- rauch als eine besondere, schwer erklärliche, meteorologische Erscheinung betrachtet wurde, aber mehr in der Nähe seiner Entstehung Städtern und Landbevölkerung geradezu das Leben ver- leiden kann. Die Sonne steht dort zur Zeit des Moorbrennens selbst zur Mittagszeit hochrot am Mimmel, und die ganze Luft ist erfüllt von einem die Brust beklemmenden Rauch, und das dauert wochenlang, bis — der Wind sich dreht. Man erzählt zwar, daß der vorige Großherzog von ( )ldenburg den Moorrauch sehr geliebt, sogar an anderen Städten weilend, sich ordentlich nach demselben zurückgesehnt habe. — Aber was be- weist das, als daß auch der Lokalpatriotismus bei gemütlichen oder eigensinnigen Naturen bis ins Schrullenhafte sich versteigen kann ! — Wir wer- den sogar sehen, daß die Unannehmlichkeiten des Moorrauches einer der Gründe gewesen sind, warum man nach neuen Methoden auszuschauen begann. Die Brandkultur ist also der extensivsten eine, mit Widerwärtigkeiten, die wir eben geschildert haben, verbunden und von kleinem Ertrage. Wüstes Aussehen der vveitgestreckten Ländereien und spärliche Bevölkerung von primitivster Lebens- weise charakterisieren die so behandelten Flächen. Man wird sich dieses Zustandes deutlich bewußt bleiben, wenn man sich die alte Anekdote aus Oldenburgs ,,Franzosentid" ins Gedächtnis zurück- ruft. Als im Jahre iSo6 das Herzogtum zu Frank- reich geschlagen wurde, hielt der französische Marschall, der die Einverleibung vollzog, eine feurige Rede, worin er unter anderem auch ge- lobte, daß sich nun die weiten Heiden- und Moorflächen unter dem glorreichen Regimente Napoleons in fruchtbare Auen verwandeln würden. L'nd wirklich sollten das keine leeren Versprech- ungen sein. Einige Tage später ließ der Macht- haber landwirtschaftliche Autoritäten zu sich ent- bieten, um mit ihnen zu bereden, was denn zur Melioration jener öden Flächen geschehen könne, worauf denn ein alter Oldenburger Bauer das ein- fache Gutachten abgab : ,,Da müssen die Herren Franzosen eben vierzehn Tage Mi.st regnen lassen". — Neben dem lästigen Rauche ist eben der Mangel an Nährstoffen die Schattenseite des alten Systems. Begreift man dies, so ist man gut vorbereitet, um die Zweitälteste der Methoden zu be- sprechen, die seit Mitte des 17. Jahrhunderts in Holland ausgebildet worden ist, und die wir mit dem Namen der holländischen Moor- oder F e h n k o 1 o n i e n bezeichnen wollen. Die- selbe hat relativ sehr rrlänzendc Resultate ge- zeitigt und ist kulturgeschichtlich gerade im Gegensatze zu der ältesten primitivsten äußerst interessant. Denn die Landschaft und die Bevöl- kerung ist nach Durchführung dieser Methode kaum wieder zu erkennen. Wenn sich die Methode des Moorbrennens durch die Einführung eines zerstörenden Prinzips kennzeichnet — nicht bloß die Energie der im Boden aufgespeicherten organischen Substanz, auch der Stickstoff derselben, das kostbare Ele- ment, geht großenteils verloren — , wenn sie alle Eigentümlichkeiten eines rohen Raubsystems an sich trägt, so ist die Methode der holländischen F"ehnkolonien auf das Prinzip der Kanalisation gegründet. Kanalisation aber ist überall kultur- bringend, denn sie bedeutet billigen Transport von Grundstoffen und Erzeugnissen, wodurch die Möglichkeit eines jeden Betriebes gehoben wird. Überall wo in Holland und den norddeutschen Niederungen die Moore große Inseln von VVüst- land darstellen, die nur an ihren Küsten von der Kultur bespült werden, bedeutet das Hineinführen von schiffbaren Kanälen mitten in dieses, seiner morastartigen Beschaffenheit wegen beinahe unzu- gängliches Wüstland hinein neue Kulturmöglich- keiten. Die Moorsubstanz selbst wird zu Torf verarbeitet, der Torf auf den Kanälen nach den Städten und Fabriken weggeführt; und der zurück- bleibende mineralische Mutterboden, der absolut arm ist, da nicht bloß seine Pflanzennährstofte auf die mehrere Meter hohe Torflage sich verteit haben, sondern da er überdies durch die saure Moorsubstanz völlig ausgelaugt ist, wird durch Abfallstoffe befruchtet, die wieder aus den Städten geliefert werden. Lange Reihen von Kähnen führen z. B. noch jetzt aus der Stadt Groningen, die sich deshalb zu einem wenig appetitliclien Tonnensysteme bequemen mußte, die kostbaren Fäkalien heran. So werden zwei Pliegen mit einer Klappe ge- schlagen; und dazu gesellt sich noch eine dritte. Dieselben Kanäle dienen natürlich auch zur Ab- fuhr der Ernten, die bei der starken Düngung und der idealen Regulierung des Wasserstandes, wie sie unter diesen Umständen möglich ist, sehr große sind. An Kartofteln werden z. B. Ernten erzielt, die überall anders unbekannt sind. Frei- lich ist die Oualität eine schlechte; aber für die Stärkefabrikation sind sie wohl geeignet, und daher hat sich diese Industrie in den Pehnkolonien ausgebildet und drückt ihnen dort noch jetzt ihren Stempel auf Interessante Besonderheiten bietet die Methode für den Kulturtechniker und den Landwirt in größerer Anzahl, wovon hier nur angedeutet werden darf, daß der eigentliche Kulturboden, der durch gut kompostierte Fäkalien befruchtet wird, aus dem Sande der kleinen Gräben und der obersten Moorerde, dem sog. Moostorfe („bonkarde", holländisch), die zur Torffabrikation nicht brauchbar und nur als Streu für Pferdeställe gesucht ist, zusammengemischt wird. N. F. XIV. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ?>^7 Nähere Beschreibung kann hier unterbleiben; aber interessant in der Ökonomie unserer Dar- stellung ist, daß die Kultur dieser nach der Ab- grabung des Torfes sog. „Dalgronden" ein merk- würdiges und vielleicht das einzige Beispiel dar- stellt, daß der Ackerboden, der sonst überall dem iVlenschen als ein der Hauptsache nach ge- gebenes erscheint, hier von ihm in allen seinen Besonderheiten geschaffen wird, noch weit mehr als die der See durch Einpolderung abge- rungenen Landstriche, bei denen doch, so groß- artig dieser Eingriff in die Natur auch ist, sich alle Maßnahmen nur beziehen auf die Beseitigung des Wassers. Der Kampf mit der See ist gewiß einer in gewaltigem Stile und läßt deutliche und bleibende Spuren in dem Charakter der so ihren Kulturboden erobernden Menschen zurück. Aber die Kultur der Moore ist raffinierter im einzelnen, ist auch erst ein paar Jahrhunderte alt, ') und in einer Zeit erfunden, als die Menschen schon ab- strakter die einzelnen I'Vuchtbarkeitsbedingungen voneinander zu unterscheiden wußten. ^) 1636 begann sie in Holland. Vgl. die lesenswerte Skizze von l'rost, Die Woche, 1912, S. 661. (ScliluU folgt.) Uiigleiclie (Jesclileclitsaitlcroiizicniiis; der MenschiMi lassen. Von H. Fehlinger. (Nachdruck verboten.] Mi' 5 -^'^b Die körperliche Erscheinung des Menschen wird VLir allem durch die Rassen- und (Tcschlcchts- mcrkmale bestinmit. Individuelle Abweichungen fallen weniger auf. In bezug auf die Rasseiiein- teilung der Menschen herrscht in den Kreisen der Anthropologen noch viel Meimmgsverschiedenheit. Man kann zwar gewisse Varietäten leicht vonein- ander unterscheiden, wie etwa den Weißen vom Neger, oder den Neger vom Mongolen, aber es gibt auch Menschengruppen, deren Zuteilung zu einer der anerkannten drei Hauptrassen großen Schwierigkeiten begegnet. In neuester Zeit ge- winnt die von Fritsch und St ratz vorgenom- mene Einteilung immer mehr Anhang; sie unter- scheidet neben den drei bereits genannten Haupt- rassen noch eine Anzahl protomorpher Rassen, die sich wenig entwicklungs- und anpassungsfähig erwiesen, sowie eine Reihe sogenannter metamor- jiher Rassen, von denen angenommen wird, sie seien durch Kreuzung anderer Rassen entstanden. Allerdings ist der Beweis, daß „Dauerrassen", d. h. relativ beständige Rassen, durch Kreuzug entsteh- hen können, noch nicht erbracht worden und ge- wichtige Tatsachen sprechen gegen eine solche Annahme.') Doch kann diese Frage hier nicht weiter behandelt werden. Die Unterscheidung der Geschlechter ist weit leichter als die Rasseneinteilung. Von gewissen Scheinzwittern abgesehen, ist die Zugehörigkeit zum männlichen oder weiblichen Geschlecht an den primären Geschlechtscharakteren — den Zeu- gungsorganen — bei jedem Menschen ohne Schwierigkeit feststellbar. Aber auch die sekun- dären Geschlechtscharaktere weisen beim Men- schen eine starke Differenzierung auf. Mit diesen allein wollen wir uns in den folgenden Zeilen be- fassen, da es unbekannt ist, ob die primären (le- schlechtscharaktere Rassenunterschiede zeigen. Die Geschlechtsmerkmale sind, wie Tandler ildungcn. und (t roß einwandfrei feststellten,') abgeänderte S)-stenunerkmale, Organe, die bereits auf einer gewissen Höhe der morphologischen Differenzie- rung standen und anderen Funktionen dienten und später unter vollständiger oder teilweiser Aufgabe ihrer ursprünglichen Funktion zu Auxiliärappa- raten des Fortpflanzungsaktes wurden. Der Vor- gang dieser Geschlechtsdifferenzierung, der Aus- bildung von Unterschieden zwischen Mann und Weib, ist bei den verschiedenen Menschenrassen ungleich weit gediehen. Auch ist es warschein- licli, daß dabei das männliche Geschlecht weiter vorgeschritten ist als das weibliche. Daher findet man häufig die Ansicht ausgesprochen, daß die Frau dem Kinde — also der asexuellen Form — näher steht als der Mann. Die Rasscnmcrkmale sind, wenn man genau beobachtet, beim Weibe viel reiner ausgeprägt als beim Mann.-) Besonders bei der europäischen oder weißen Rasse sind die sekundären Geschlechtsunterschiede sehr auffallend. Das reife Weib ist durch beson- ders starke Tailleneinzichung und große Becken- breite ausgezeichnet, welche die Schulterbreite übertrifft, während beim Mann das Verhältnis um- gekehrt ist. Der Gegensatz zwischen der Run- dung des weiblichen Körpers durch Fettanhäufung und der kräftigen muskulösen Bildung des männ- lichen Körpers ist bei den Europäern — minde- stens unter halbwegs günstigen Lebensbedingungen — entschieden größer als bei den farbigen Rassen. Sehr auffallend ist auch der Unterschied in der reichen Terminalbehaarung des Mannes und der spärlichen Terminalhaarentwicklung beim Weibe. Dazu kommen namentlich noch die LInterschiede im Gesichtsausdruck und den Bewegungen, deren Eigenart dem europäischen Weibe den meisten Reiz verleiht.'*) Die auffallende Differenzierung ') Vgl. Fischer, Die Rehobother Bastards, S. 223 IT. Jena 1913. ') Tandler und Groß, Biologische Grundlagen der Sek. Geschlechtsmerkmale, S. 3 ff . Berlin 1913. ■-') Stratz, Die Rassenschönheit des Weibes, 5. . Aufl., .'^.5. ■') Vgl. Seil he im, Die Reize der Krau usw., S. 1511". StuUgart 1909. 328 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 21 der Geschlechter ist beim Europäer eine biolo- gische Notwendigkeit. Sie ist deshalb er- forderlich, weil bei ihm der Geschlechtstrieb am meisten von dem echt Triebmäßigen eingebüßt hat, das ihn bei Tieren auszeichnet. In bedeutend höherem Maße wie bei den Farbigen wird beim Europäer das Geschlechtsleben vom Verstände beherrscht. Außerdem hat er mehr materielle wie geistige Bedürfnisse zu befriedigen, wodurch ein ungemein großer l'eil seiner Energie verbraucht wird, so Abb. I. Nordamerikanische Indianerin (,, Männlicher Typus"). daß nur verhältnismäßig wenig davon für die Fortpflanzung verbleibt. \) Um unter solchen \'er- hältnissen den (Tcschlechtstrieb wachzurufen, ist ein ungleich größerer Sinnesreiz erforderlich als bei IVIenschen mit geringem Kulturbesitz, bei wel- chen ein bedeutender Teil der Energie für Fort- ') Scllheini, l'roduktionsgrenze und Geburlenrückj;:in<;, S. 9. Stuttgart 19 14. pflnnzungszwecke reserviert bleibt. Deshalb ist die weitgehende Geschlechtsdifterenzierung beim Europäer als eine Anpassungserscheinung zu be- trachten. Der Europäer stellt in dieser Beziehung, wie in mancher anderen, die höchstentwickelte Form des Menschen dar. Verschiedene Beobachtungen zeigen, daß bei farbigen Rassen die individuelle körperliche Ent- wicklung früher abge- schlossen ist, rascher dem Eintritt der geschlecht- lichen Reife folgt , als bei der weißen Rasse, die längere Zeit braucht, um zur vollen Reife zu ge- langen. ') Das ist gleichfalls ein Beweis ihres llöher- stehens. Was weib- liche Schön- heit anbelangt, so scheinen mindestens gebildete An- gehörige der farbigen Ras- sen die Emp- findung zu haben , daß ihre Frauen in diesem Punkt von den'Euro- ])äerinnen übertroften werden, denn in der Kunst bringen sie bei weibliciien Darstellungen jiäufig nicht die eigenen Rasseneigen- arten, sondern vielmelir die Eigenarten der weißen Rasse zum Ausdruck. C. H. Stratz, der gleich anderen diese Tatsache beobachten konnte, gibt deshalb der Meinung .Ausdruck, daß in der Kunst höher entwickelter Völker das weibliche Ideal den ') l'"e li 1 i n g e r , Uie Geschlechtsreife l)ci tlen taringen Menschenrassen. Die Naturw., 1914, S. 1003 ff. Abb. 2. Xegcrin aus dem uslliclien Kongo-\\'ald. (l^liot. C z e k an o \v s k i.) N. F. XIV. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 3^9 l-iassentypiis verliert, um sich mehr und mehr dem weißen Rassenideal zu nähein. Jene farbigen Künstler merken eben, daß das höchste Maß von Weiblichkeit bei europäischen Frauen zum Aus- druck kommt. Al)b. 3. Somali ■ Mann mit geringer Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale. (Phot. Umlauff.) Bei manchen farbigen Rassen ist — von den l^rüsten abgesehen — das Maß der geschlecht- lichen Dift'erenzierung so gering, daß selbst intelli- gente Betrachter von Bildern nicht entscheiden können, ob diese Bilder männliche oder weibliche Personen darstellen. Diese Erfahrung, die ich oft machte, bestätigt der bekannte Neapolitaner An- thropologe Prof. Giu f fr ida-Ruggeri, indem er sagt:') ,,Ich habe sehr reichhaltige photographi- sche Sammlungen durchgesehen und es ist mir stets die Tatsache aufgefallen, daß man, wenn man nur das Gesicht betrachtet, speziell bei Süd- amerikanern, oft nicht weiß, ob es sich um einen Mann oder ein Weib handelt. Bei diesen hat Rivet bei der Untersuchung von Skelettreihen den geringsten anatomischen Unterschied zwischen den Geschlechtern gefunden. Trotz der vielen lokalen Varietäten, die bei einem so ungeheuer ausgedehnten Festlande nicht fehlen können, kehrt immer dasselbe Leitmotiv wieder, jene mit L'nrecht vernachlässigte morphologische Tatsache des geringsten geschlechtlichen Dimor- phismus." — Nicht bloß im Bilde, sondern auch 1913- 1) Giuft'rida- Kuggeri, Homo Sapiens, S. 83. Wi( bei lebenden Farbigen ist oftmals die Cieschlechts- zugehörigkeit mit einem Blick nicht zu unter- scheiden. So z. B. bei den reichlich bekleideten nord- amerikanischen Indianern, bei denen das weibliche Geschlecht durch grobe Gesichter und mangelnde Tailleneinziehung ausgezeichnet ist. Namentlich ältere Indianerinnen hält inan ganz leicht für Männer. In der ethnographischen und anthropolo- gischen Literatur ist die männliche Gesichtsbilduiig der Indianerinnen oft erwähnt. Weniger aufge- fallen zu sein scheint die ihnen mangelnde .Anmut der Bewegung (Abb. i ). Die vermutlichen Lheinwohner Afrikas sowie großer Teile Asiens, Australiens und Ozeaniens, die Pygmäe nrassen, sind wegen ihrer zahl- reichen ,, infantilen Merk- male" bekannt; besser sollte man diese freilich asexuelle Merkmale nen- nen. ^) Ihre Züge sind gewöhnlich indifferent,-) die Körperform ist meist ausgesprochen kindlich. Bei den langgliedri- g e n Buschleuten, wo dies nicht zutrifft, ist wohl an Kreuzung mit Hotten- totten zu denken. Die Neger sind zwar, im Gegensatz zu den Pygmäen, durch lange und oft überlange Glieder ausgezeichnet, aber auch bei ihnen ist die ge- schlechtliche Differenzie- rung gewöhnlich weniger ausgeprägt wie bei den Weil3en. Das Gesicht ist oft nicht entschieden männlich oder weiblich; bei weiblichen Personen sind die Schultern oft zu breit und die Becken- breite ist dafür zu gering, so daß man sie, auch wenn sie ganz wenig bekleidet sind, von rückwärts für Männer hält; unweiblich muten auch ihre langen dünnen Beine an. Die Kürperbehaarung ist bei Männern wie Weibern sehr spärlich ; gewöhnlich kommt es nur zur t^nt- wicklung eines Altersbartes (Abb. 2). Giuffrida- Ruggeri bezeichnet die große Länge der Glied- ') Pöch, Die Stellung der Buschmannrasse. Korres|>.- Bl. d. d. Ges. f. Anthr., 1911, S. 7S; dazu v. Lu seh au 's Bemerkungen, S. 79. — v. Luschan, Buschleute und l'yg- mäen , Zeitschr. 1'. Ethn. , 1914, S. I54ff. — v. d. Broek, Pygmäen in Niederländ. Neuguinea. Zeitschr. f. Kthn., 1913, s. 33. '■') Eine Ausnahme von dieser Regel bilden die Pygmäen auf Neuguinea. Tingian-Mann ( Malaye). .^sexueller Typus. 330 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. -I maßen der Neger und ihre mäl3ige Breitenentwick- lung des Rumpfes als „ein Zeichen ihres Ver- weilens im langlinigcn Infantilstadium (in der Streckungsperiode), welches wir Europäer in der Pubertät überschreiten". ') Deutlicher ausgeprägt als bei den Negern ist die Geschlechtsdifferen- zierung bei der andern großwüchsigen afrikanischen Rasse, den Hamiten, doch gibt es auch bei diesen noch viele Individuen, deren Körperbildung und (xesichtszüge gewissermaßen asexuell anmuten (vgl. Abb. 3). Die große Extremitätenlänge haben die 1 lamiten mit den Negern gemein. Bei den eigentlichen Mongolen Ostasiens sind beide Geschlechter durch verhältnismäßige Plumpheit des Rumpfes ausgezeichnet, die oft noch durch übermäßige Feltentwicklung gesteigert wird. Bei den mongolischen Weibern sind ebenfalls die .Schultern so breit wie bei Männern und die l'ailleneinziehung ist mäßig. Beide Geschlechter haben kurze kleine Hände und Füße und beide (ieschlechter weisen nur ganz schwachen Termi- nalhaarwuchs auf; aber richtige Barte sind bei .Mongolenmännern doch häufiger als bei Negern. Sehr auffallenil ist der mangelhafte Geschlechis- dimorphisnius bei den Malayen oder Indonesiern der südostasiatischen Insela und einiger benach- barten l'estlandsgebiete. -) Hier kommt es, im (iegensatz zu den nordamerikanischen Indianern, vor, daß man Männer für Weiber hält, denn die (Tcsichtcr der jungen Männer sind bartlos, meist mäßig gerundet (nicht so fett wie etwa bei Chi- nesen) und weich, der Körper ist bei beiden Ge- schlechtern schlank und haarlos, die Muskelbildung ist gewöhnlich auch bei den Männern recht mäßig. ') Giu ffrid .1-Ku ggc r i , a. a. (). S. 82 ) Vgl. Worccster, The Non-Christian Pcoplus of tlic l'hilippine Islands. Nat. Geogr. Mag. (Washington), 1913, S. 1157 ff. Diese „Weiblichkeit" der Indonesier ist um so mehr auffallend, als sie zumeist sehr kriegerisch veranlagt sind und seit langen Zeiten in nie en- denden Kämpfen miteinander leben (Abb. 4 u. 5). Abb. 5. Tingian-Frau. Den h.urojiäern in bezug auf weitgehende ge- schlechtliche Differenzierung am ähnlichsten sind die Polynesier, auf den Inseln des östlichen Stillen ( )zeans, deren Frauen wegen ihrer Schönheit be- rühmt sind. Bedauerlicherweise ist die geogra- phische Eigenart des Wohngebiets der Polynesier eine solche, daß diese körperlich und geistig un- gemein gut veranlagte Rasse keine .Aussicht auf starke numerische Ausbreitung hat. Kleinere Mitteiliinsen. Das Wasserkalb (Gordius aqualicus Duj.). So oft er mir begegnete, habe ich mich über den Namen „Wasserkalb" gewundert, den Gordius aqua- licus Duj., ein im Süßwasser häufiger Saitenwurm führt. In der Körperform gleicht das 28- 89 cm lange und 0,5 — i mm dicke Tier einer Baßsaite; seine Gestalt kann also unmöglich den Namen veranlaßt haben. In der .'.Synopsis der Tierkunde" von Leunis wird der deutsche Name gar nicht gebraucht. In Brehm's Tierleben heißt es: ,,Der wahrscheinlich sehr alte im Volke entstan- dene Name „Wasserkalb" ist seit 1550 durch Gesner aufbewahrt". Über den Grund der auf- fälligen Namengebung erfahren wir indes nichts. Im ,,I*'ischbuch, P'rankfurt a. Meyn 1598" finde ich die Erklärung des Namens. „Das Wasserkalb ist bc\- vns bekandt / wirt in faulen Brunnenwassern gefunden bedunckt sich daher genennt seyn , daß solche viel und manches mal von den Kälbern gesotten werden von welchen sie nach vnd nach abnemmen vnd sterben". „So sie von einem Men- schen gesoffen / so nimpt er ab vnd stirbt. Artz- ney ist Tausendgüldenkraut in Wein gesotten und gesoffen / darauff sich wol erl)rechen". Das Vorkommen im Darm des Menschen wurde also auch schon damals beobachtet inul ihm fälschlicherweise die schwersten Folgen zugeschrie- ben. Der Wurm kommt offenbar mit Trinkwasser in den Darm. V. S i e b o 1 d erzählt darüber folgendes : „Wie häufig übrigens die Gordiaceen in der Umgebung von Streitberg vorkommen, konnte ich noch aus einem anderen Grunde entnehmen. Der Post- halter und Gastwirt im Dorfe Streitberg kannte nämlich die h'adenwürmer, denen ich mit soviel Interesse nachspürte, recht gut, da sie, wie er mir mitteilte, nicht selten in dem Brunnentroge hinter seinem Hause gefunden würden ; auch wußte der- N. F. XIV. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 331 selbe, daß diese Würmer mit dem laufenden Wasser seines Röincnbrunncns dort hinein gelangten, weshalb er seiner Dienerschaft zur besonderen Pflicht gemacht, bei dem Herbeiholen von Trink- wasser stets nachzusehen, ob nicht ein solcher Fadenwurm in das dem Brunnenrohr untergehal- tene Gefäß mit dem Wasser hineingespült worden sei. Ich nahm hiernach Veranlassung, einige Rrunnentröge des Dorfes zu untersuchen, und er- hielt auf diese Weise wirklich noch einige (lordien". Im Buch : ,,Die tierischen Parasiten des Men- schen" von Braun 190S wird das gelegentliche Vorkommen des Wasserkalbs im Darm des Men- schen erwähnt, in den es mit dem Trinkwasser gelangt sei. Diese Art der Infektion ist leicht be- greiflich bei Personen, welche die Gewohnheit haben, an Bächen und Brunnen zu trinken, zumal selbst lange Exemplare des Wasserkalbs sich zu einem kleinen Kliimpchen zusanimenknäueln und so verschluckt werden können. Die Würmer werden meistens ausgebrochen. Das Wasserkalb kann aber auch Wochen-, ja monatelang im Darmkanal des Menschen am Leben bleiben und ruft dann, nach M. Braun, die Symptome einer Helminthiasis her- vor, Magenstörungen und Krämpfe, das Gefühl eines in der Speiseröhre oder im Darm sich be- wegenden und den Platz wechselnden Kiirpers und Koliken , auch nervöse Erscheinungen und hj-steri- forme Zufälle werden als die gewöhnlichsten Kenn- zeichen einer Infektion mit Gordius genannt. In : „Gordius als Parasit des Menschen" (Zeii- tralbl. f I^akteriologie, Parasitenkunde und Infek- tionskrankheiten, 63. Bd. 191 2) berichtet Prof Dr. F. Z s c h o k k e über einen P'all, in welchem ein etwa 17 cm langer Wurm bei einem 2 '/„jährigen Knaben in Derendingen bei Solothurn mit einigen Exemplaren von Oxyuris per anum abging. Nach der Entleerung aus dem Darmkanal lebte der Wurm noch drei Tage in einem mit Wasser ge- füllten Pläschchen und bewegte sich lebhaft, wenn er aus dem Dunkeln in das Licht gebracht wurde. Seit mehreren Wochen war der Kranke nervös gereizt gewesen und hatte nachts plötzlich aufge- schrieen; auch hatte er über Leibschmerzen ge- klagt. Der Knabe hatte die Gewohnheit, Wasser aus einem Troge des Ziehbrunnens zu trinken. Genügend verbürgte Nachrichten über das Vorkommen von Gordius im Menschen gehören zu den seltenen Fällen. Von anderen Gordiiden wurde Gordius tricuspidatus von einem 15 jährigen Knaben durch den Schlund abgegeben. Charakte- ristischerweise waren 4 von den 10 der mit Gor- dius aquaticus besetzten Patienten Kinder unter 10 Jahren. Sie hatten offenbar beim Trinken an Uuellen, Brunnentrögen usw. den Wurm mit dem Wasser aufgenommen. Der Verfasser des „Plschbuchs", Conrad I'^orer, der Artzney D., nimmt die Gelegenheit wahr, sich gegen die Urzeugung auszusprechen. „Etliche haben vermeynt sie wachsen aus dem Rosszhaar / welches in solchen Wassern gelegt , bewegligkeit vnd Leben an sich nemmen soll. Ist doch endtlich nit zu glauben". Kathariner. Unterirdische Höhlen von tiefer Temperatur. Von solchen Höhlen haben wir in Deutschland die kühlen Keller von Niedermendig. Wenn man von Andernach nach dem Laacher See hinaufsteigt, stößt man gleich hinter Niedermendig auf eine seltsame kleine Welt. Schon von weitem tönen einem die Schläge der Steinhauer entgegen von merkwürdigen metallischem Klang. Nähert man sich in langsamer Steigung dem Orte ihrer Tätig- keit, so sieht man ihre Hütten zwischen mächtigen umherliegenden Gesteinsbrocken und, wie sie diese mit Hilfe von Kellen nach Willkür sprengen und weiter zurecht hauen in allerlei geformte Stücke für Bauten und andere technische Zwecke. Hier holten schon die alten Römer ihre Mühlsteine. Dazwischen ragen verwitterte Holzgerüste von gespenstischem Aussehen, beinahe an Galgen er- innernd, vielleicht schon Jahrhunderte alt. Dies sind Holzwinden über Schachten, die senkrecht in das Gestein eindringen und Zugang geben zu den Hohl- räumen in demselben, zu den berühmten alten F"elscnkellern, die auch ohne Eiskühlung eine Temperatur zeigen von o" oder nur wenige Grade darüber, und die lange als Lagerkeller für unser Nationalgetränk Dienst getan haben und zum Teil noch Dienst tun. Diese niedrige Temperatur ist nun ein physi- kalisches auch landwirtschaftlich interessantes Problem, an dem mancher achtlos vorübergeht, und das doch der Untersuchung überwert ist, so einfach auch die Verhältnisse liegen. Geradeso, daß dieses Resultat daraus hervorgeht, liegen sie doch selten. Die mittlere Jahrestemperatur der Gegend von Niedermendig wird ziemlich nahe 9" C betragen. Tiefe Keller eines Ortes haben natürlich minde- stens diese mittlere Jahreswärme — in Wahrheit beinahe immer ein klein wenig wärmer. Dringt man zu tief in den Boden ein, bis unter die Stufe der Beständigkeit durch alle Jahreszeiten hinab, dann wird es (wegen der Wärme des Erdinnern) noch wärmer, und höher hinauf hat man wech- selnde Temperaturen , die aber im L^urchschnitt mit denen der Oberfläche gleich sind oder ein wenig höher. So ist es überall in der Welt, nur daß die Stufe der konstanten Temperatur an den Polen sehr viel tiefer liegt als in den l'ropen und auch in ihrer Lage durch die spezifische Leitungs- fähigkeit des Erdbodens mitbestimmt wird. Feste Gesteine leiten die Wärme natürlich besser als lose Erde. Wir haben also in den P'elsenkellern von Niedermendig eine Ausnahme vor uns, die erklärt sein will. Natürlich handelt es sich um Ver- dunstungskälte, wie ja auch ein nasser Boden kälter ist als ein sonst gleicher aber trockener, aber wie? Wo kommt das Wasser her, das ver- dunsten muß? Wie kann es unten in der Tiefe verdunsten? Und warum, wenn eine so einfache 33: Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 21 Erklärung möglich ist, gilt sie nicht für andere Orte? Und das Phänomen muß doch selten sein, daß wir hier, wie wir zu sagen pflegen, darauf stoßen, daß es unser Erstaunen weckt. Vielleicht hilft uns die Erörterung der geo- logischen Situation zur Erklärung. Hätten wir unsere Wanderung aufwärts noch ein paar Kilo- meter fortgesetzt, so würden wir den Laacher See erreicht haben, den geheimnisvollen Gebirgs- see mit seinem berühmten Kloster. Dieser ist das Ziel der meisten Reisenden, die bis zu Nieder- mendig die Eisenbahn benutzen und dann dort in einem der vielen bereitstehenden Einspänner achtlos an den Wundern der Niedermendiger Steinbrüche vorüberfahren. Der Laacher See ist einer der vielen Seen des Eiftelgebirges, die meist (noch von der Römerzeit her) sich der Benamsung „Mare" oder Maar erfreuen. Er ist der größte dieser Maren, aber auch er ist wie die andern der Krater eines erloschenen Vulkans, genauer das Explosionsbecken durch vulkanische Dämpfe auf- geblasen, das sich, nachdem der Vulkanismus er- loschen war, mit Wasser füllte. Der Stein von Niedermendig ist die Lava, die den Dutzenden Vulkanen entstammt, welche einst den See umgaben. Die Gestalt des Lavastromes, der nach dem heutigen Niedermendig abströmte, ist noch deutlich erkenntlich. Noch eine Station weiter unterhalb und wir treffen auf tonige Ver- witterungsprodukte (von weiter weg geschleuderten vulkanisclien Massen), die jetzt für die Zement- fabrikation abgebaut werden, und noch weiter unten, die jetzige Rheinebene stundenweit aus- füllend, findet sich die weiße vulkanische Asche, durch das Wasser, das zur Zeit der Ausbrüche die Ebene bedeckte, regelmäßig geschichtet und chemisch ausgelaugt. Auch dies dritte Produkt der einstigen vulkanischen Tätigkeit hat längst eine technische Verwertung gefunden. Es dient zur Darstellung des als leichtes Baumaterial be- liebten ,, Schwemmsteins", der unten im Rheintal in dieser ganzen Gegend aus dem Untergrunde des Ackerbodens hergestellt wird. Aber zurück nach Niedermendig. Der vulka- nische Ursprung des oberen festen Gesteins, das der Abhang von Niedermendig bildet, erklärt dessen Porosität, und das ist das eine Moment, dessen wir zu unserer Erklärung bedürfen. Die Laven schließen , da sie unter hohem Gasdrucke gebildet sind. Gase ein, die bei ihrer Erstarrung entweichen. Daher sind sie voller Hohlräume. Außerdem ist die Lava infolge der starken Ab- kühlung, die sie plötzlich erlitt, sehr abweichend von den sog. Tiefengesteinen, stark zerklüftet. Das Wasser aber, das für den Verdunstungsprozeß nötig ist, und das zum Teil aus dem rasch ver- sinkenden meteorologischen Niederschlägen , zum Teil vielleicht aus den unterirdischen Abflüssen des Sees stammen wird, dringt kraft dieser Zer- klüftung und Porosität auf eine andere Weise ein wie in die gewöhnlichen plutonischen und nep- tunischen Gesteine, in denen es an den selteneren Klüften sich sammelt und gelegentlich Ouellen bildet. Das ganze Gestein ist hier gleichmäßig durchfeuchtet. Man kann sich leicht davon über- zeugen, wenn man einen der Pelsenkeller besucht und durch einen schrägen Stollen hinabsteigt. Zu der gleichmäßig verteilten P'euchtigkeit kommt nun aber noch ein Weiteres hinzu , um die dauernde Verdunstung und die dadurch er- zeugte Kälte möglich zu machen. Das sind die Windlöcher, die gleichfalls durch die natürlichen Zerklüftungen des harten und spröden Gesteins ursprünglich von selbst vorhanden waren , dann aber noch durch künstliche Schachte und Stollen verbessert und vergrößert worden sind. Ich habe mich bei dem Besuch der Keller ausdrück- lich danach erkundigt : wenn die Windlöcher ge- schlossen werden, steigt die Temperatur nach kurzer Zeit auf die normale. Wie man sieht, die Erklärung ist eine überaus einfache und liegt nur deshalb nicht auf der flachen Hand, weil die 3 Umstände: regelmäßige Anfeuchtung, Porosität des Gesteins und Wind- löcher nur selten in der Natur zusammentreffen. Vulkanische Gegenden sind schon an sich nicht häufig, und dann fehlt es ihnen meist wenigstens oberflächlich an Wasser. Am seltensten ist dort aber die gleichmäßige und nicht zu starke Be- feuchtung. Von großer praktischer Bedeutung ist übrigens diese natürliche Abkühlung wohl nicht, da sie einerseits in vielen Fällen nicht ausreicht, und da die Fabrikation von künstlichem Eise bei dem gegenwärtigen Stande der Technik so wohlfeil geworden ist. Zwei Tatsachen sprechen in dieser Beziehung deutlich genug. Einmal wird in den Kellern von Niedermendig neben der natürlichen Abkühlung auch Kunsteis gebraucht, und dann war, als ich vor einiger Zeit die Gegend besuchte, der eine der Keller zu einem sehr niedrigen Preise käuflich angeboten. Darum ist das Vor- kommnis aber doch immer von einem gev^'issen theoretischen Interesse. Und man kann ja nie wissen, wann ein solches wieder praktisch werden wird. Jedenfalls breitet man durch Kenntnis eines solchen sein Urteil über die Entstehungs- l)edingungen der Verdampfungskälte aus, und so etwas wird ja irgend einmal zu gebrauchen sein. Ad. Mayer. Einzelberichte. Geologie. In einer Reihe von Aufsätzen, die Xr. y_ Nr. 17 u. 18, Nr. 21 erschienen sind, gibt unter dem Titel „(Geologisch-mineralogische Be- R. La ng interessante Mitteilungen über eine Reihe obachtungcn in Indien" (i — 3) im Centralbiatt für wichtiger Probleme. Mineralogie, (ieologie und Paläontologie 11JI4, Im i. Aufsatze „Kli ma wec lisel seit der N. F. XIV. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 333 Diluvialzeit auf Sumatra" (Centralbl. Nr. 9 S. 257 — 261) berichtet R. Lang über eine Klima- änderung von wenigerfeuchtem zu feuchterem Klima, die auf Sumatra in geologisch jüngster Zeit stattge- funden haben muß. Daselbst befinden sich an der Erdoberfläche stets Braunerden oder Humuserden, also gelb, braun oder schwarz gefärbte Böden wie bei uns und erst unter dieser ßodendecke treten, wenn nicht das unzersetzte Gebirge folgt, grell- rote oder bunte leuchtende Verwitterungsschichten auf, die sich infolge der häufig vorkommenden Eisenkonkretionen als echter Laterit erweisen. Nach alledem was wir über den Laterit wissen, können Böden mit mehr oder weniger reichlichem Gehalt an Humusstoffen nicht gleichzeitig mit Laterit am selben Orte entstanden sein. Zur Zeit der Lateriibildung muß eine vollständige Zersetzung des Humus stattgefunden haben. Daraus können wir weiter schließen, daß die Niederschläge damals geringer waren als zur Jetztzeit, wo infolge der gewaltigen Regenmengen (3C00 mm und mehr) keine vollständige Zersetzung der Humusbestand- teile im Boden mehr möglich ist. Es können sich also jetzt nur Braunerden oder Humuserden bilden. Nirgends ist mehr rezente Lateritbildung auf Sumatra zu beobachten , sondern der Laterit ist fossil und in einer früheren geologischen Periode entstanden. Alle diese Gründe haben R. Lang veranlaßt, eine Klimaänderung von weniger feuchtem zu feuchterem Klima anzuneh- men. Das Wesen der Klimaänderung besteht, wie bereits angedeutet, in einer beträchtlichen Steigerung der Niederschläge seit der Zeit, in welcher der Laterit entstanden ist. Heute haben wir dort in den niederen Teilen 2500 — 3500 mm, während das Gebirge wesentlich höhere Werte aufweist. Über die Ursachen dieser Änderung läßt sich nichts Bestimmtes sagen. Eine Ernie- drigung der Temperatur seit jener Zeit dürfte wohl nicht eingetreten sein, da wir auf Sumatra infolge seiner äquatorialen Lage die höchsten Temperaturen (22 — 34" C im Schatten) haben, die auch in der letzten geologischen Vorzeit nicht höher gewesen sein dürften. Auch durch Ver- änderung der Insel Sumatra ist sie nicht erklär- bar , vielmehr dürfte die Klimaänderung in kos- mischen Ursachen zu suchen sein. Vor allem ist die Möglichkeit einer Breitenverschiebung nicht von der Hand zu weisen, infolge deren die Late- rite sich in einer Zone geringerer Niederschläge innerhalb des Tropengürtels bilden konnten. Hinsichtlich der Zeit der Lateritbildung läßt sich nur so viel sagen, daß sie zur Zeit der Ablage- rung mancher mehr oder weniger verhärteter Kies-, Sand- und Tonablagerungen noch stattgefunden hat und nur die niederste jüngste Terasse, die im Überschwemmungsgebiet der heutigen Flüsse liegt, trägt ausschließlich nicht laterisiertes Material. Daraus kann man schließen, daß die Lateritbildung noch in geologisch jüngster Zeit stattgefunden hat. Ob sie allerdings mit der Diluvialzeit abge- schlossen hat oder noch in eine Phase der Allu- vialzeit hinein fortgedauert hat, läßt sich nicht angeben. 2. Rezente Braunerde- und Humus- bildung auf Java und der Malayischen Halbinsel, nebst Bemerkungen über klimatische Verwitterung lautet der 2. Auf- satz (Centralblatt Nr. 17 S. 513 — 518 und Nr. 18 s. 545—551)- Ebenso wie auf Sumatra, so ist auch auf Java und Malakka im Gebiete vom iio. bis 113. Grad östlicher Länge von Greenwich und vom 5. Grad nördlicher bis zum 8. Grad südlicher Breite an keiner von R. Lang besuchten Stelle rezente Lateritbildung zu beobachten, vielmehr sind auch hier laterisierte Verwitterungsschichten durch mächtige Braunerde- und Humusbildungen über- lagert. Dieses ganz gewaltige tropische Braun- erde- und Humusgebiet, das sich wohl noch weiter erstreckt, muß in der jüngsten geologischen Vergangenheit einer Klimaänderung von trocke- nerem zu feuchterem Klima unterworfen gewesen sein. Die Herausbildung der verschiedenen Boden- typen ist nicht so sehr durch verschiedenartig verwitterndes Gestein bedingt, als vielmehr von der Stärke und Dauer der Befeuchtung ab- hängig. Hier im Gebiete der feuchten Tropen beträgt die Niederschlagshöhe 2000 — 7000 mm. Im Zusammenhang mit der hohen Temperatur gedeiht eine üppige Vegetation, die zu reichlicher Anhäufung von abgestorbenen Pflanzenresten führt. An Stellen nun, wo im Tiefland die Regenmassen rasch abzufließen vermögen oder die Bodenfeuchtig- keit ungehindert zu verdunsten vermag, kann der atmosphärische Sauerstoff seine oxydierende Wir- kung ausüben. Da auch die Bakterien auf die Pflanzenreste energisch zersetzend einzuwirken ver- mögen , so werden dem Boden nur in geringem Maße dauernd Humusbestandteile zugeführt wer- den. Unter diesen Verhältnissen entstehen im heißeren Tiefland rotbraune bis braune Böden, also Braunerden. Anders verhält es sich in Gebieten mit lang- anhaltender intensiver Durchfeuchtung. Hier ist die Verwesung der Pflanzenreste gehemmt, da der Sauerstoff der Luft nur in vermindertem Maße zuzutreten vermag. Auch die Bakterien finden gänzlich ungünstige Lebensbedingungen. All diese Umstände führen zu an Humus mehr oder weniger angereicherten Böden. Im Gebirge ist die Humus- anreicherung am größten, weil die Durchfeuchtung eine noch höhere ist und auch die Temperaturen etwas niedriger sind. Infolgedessen ist die Zer- störung des Humus stark beeinträchtigt, ja geradezu verhindert, so daß Rohhumus entsteht. Das Vor- handensein von Eisenrostabsätzen ist als Zeichen der Anwesenheit von „saurem" (adsorptiv unge- sättigtem) Humus anzusehen. Eine viel augen- fälligere Erscheinung ist das Auftreten echter Schwarzwässer, wie sie auch in den heimischen Hochmoorgebieten vorkommen. In diesem Falle vermag der auffallende Regen keine oder nicht 334 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 21 genügend Mineralstoffc zu lösen, da die Böden bzw. Gesteine zu arm daran sind. Infolgedessen kann das Wasser, wenn es die Humusmassen durchfließt, dieselben nicht adsorptiv sättigen, viel- mehr löst sicli ,,IIumussäure", die das Wasser braun färbt. Die Rohhumusbildung ist an die Anwesenheit „weichen" an Mineralstoffen armen Wassers gebunden. Das Vorhandensein von Roh- humus veranlaßt weitere chemische Umsetzungen. Als Folge der Entziehung des Eisens aus den Gesteinen und der L^mwandlung der in ihnen vorhandenen Tonerdesilikate durch die adsorptiv ungesättigten Humussubstanzen entsteht Hleich- sand bzw. Bleicherde bzw. Kaolin. Aus alledem geht hervor, daß für die Anhäu- fung von Humus niedere Temperaturen nicht not- wendig sind. Selbst bei den höchsten äquatorialen Temperaturen kann Humus in größter Fülle auf- gespeichert werden, wenn nur hohe Regenmengen vorhanden sind. Die hohen Niederschlagsmengen steigern einerseits den Pflanzenwuchs ganz außer- ordentlich, während andererseits die immerwährende Zufuhr von Feuchtigkeit die abgestorbenen Pflanzen- teile konserviert. Das Ausmaß dieser Vorgänge erreicht in den Tropen im Gegensatz zu kälteren Zonen insofern eine außerordentliche Größe, als sich die Humusanreicherungen viel rascher und mächtiger als unter gemäßigten oder kalten Kli- maten vollziehen. P'ür die tropischen Braunerde- und Rohhumus- böden und ihre Entstehung gibt R. Lang fol- gende systematische Einteilung : Bei Vorhandensein hoher Niederschlagsmengen für die Bildung aller dieser Böden ergeben sich folgende Unterschiede : 1. Brauiierdebildung findet statt, wenn die Wässer, die ein tropisches Gebiet durchfeuchten, genügend IVIineralsalze gelöst mit sich führen , so daß sie eine adsorptive Sättigung der in den Böden befindlichen Humusstoffe bewirken können. 2. R o h h u m u s b i 1 d u n g vollzieht sich beim Nichtvorhandensein genügender Mengen an ge- lösten Mineralsalzen in den Wässern tropischer Urwaldgebiete. Infolgedessen ist eine adsorptive Sättigung der Humussubstanzen nicht möglich. Es sind folgende 3 I'älle zu unterscheiden: a) Tropischer Gestein srohhumus; die vom Wasser berührten Gesteine bzw. Böden sind praktisch unlöslich. b) Tropischer S u m p f r o h h u ni u s ; das meteori-sche Wasser hat im Urwaldsumpfgebiet keine Möglichkeit, Mineralstoffe aus Gesteinen auf- zunehmen, da es praktisch nicht durch die mäch- tige Humusdecke bis zum unterlagernden Gestein dringen kann. c) Tropischer bzw. subtropischer Bergroh h um us; die Humusmassen im Gebirge werden ständig durchnäßt, so daß zusammen mit der niedrigeren Temperatur, anscheinend ohne Rücksicht auf die Beschaffenheit des Gesteins- substrates , eine relativ langsame Zerstörung der Humusbestandteile eintritt. Für die Entstehung bestimmter Bodenarten sind demnach Temperatur und F"euchtigkcit neben bestimmten Eigenschaften der Gesteine die haupt- sächlichsten F"aktoren. Von großer Bedeutung dürfte die Verteilung der meteorologischen Vor- gänge über das Jahr sein. Trockenheit und Wärme sind der Humusbildung feindlich, Feuchtig- keit und Kälte dagegen förderlich. Je nach dem Überwiegen des einen oder anderen P"aktors können verschiedenartige Bodenarten mit mehreren Abstufungen entstehen. 3. Rezente Bohnerzbildung aufLate- rit. Entstehung fossiler Bohnerze (Cen- tralblatt Nr. 21 S. 641—653). Auf Sumatra und Malakka finden sich Bohn- erze (rostbraune, mehr oder weniger rundliche Eisenkonkretionen) in weiter Verbreitung in den den Laterit überlagernden Braunerden. Das Bohn- erz muß also unter ähnlichen Bedingungen ent- standen sein und auch ein Produkt des regen- reichen Klimas sein, unter dem sich Sumatra und Malakka heute befindet. Über die Entstehung der Bohnerzablagerungen in Indien läßt sich folgendes sagen. Bei der lateritischen Verwitterung wird neben den Alka- lien und Erdalkalien auch die Kieselsäure allmäh- lich weggeführt, während Aluminium und Eisen sich anreichern und zwar ersteres als weißes Hydroxyd (Hydrargillit) , letzteres als Eisenoxyd („Roteisen"), Bänder, Adern und F'lecken im Hydrargillit bildend. Die Roteisenkonkretionen sind mehr oder weniger verhärtet und haben nichts mit Bohnerzen zu tun. Sobald nun die Produkte lateritischer Verwitterung unter den i Einfluß eines feuchteren Klimas kommen, vollzieht sich die Braunerdebildung. Die Braunerde besteht u. a. aus Eisen, Kieselsäure und Aluminium- hydroxyd bzw. eisenhaltigem Aluminiumsilikat. P"ür die Entstehung des Bohnerzes ist es nun er- forderlich, daß nicht alles Eisen zu eisenhaltigem Alumiiiiumsilikat verbraucht ist. Das freigeblie- bene Eisen geht unter Wasseraufnahme in Braun- eisen über und sammelt sich in konzentrisch- schaligen rundlichen Konkretionen, den Bohnerzen. Durch Auswaschung der erdigtonigen Bestandteile wird das Bohnerz angereichert. Die Bohnerze treten nicht überall im Gebiete der Braunerdeverwitterung gesteinsbildcnd auf. In Deutschland kennt man keine rezente Bohnerz- bildung an der Oberfläche und nur in den Höhlen scheint sie noch heute vor sich zu gehen. Auch in Indien tritt sie in weiten Gebieten nicht als wesentlicher Bestandteil auf und wo sie als rezente Bildung dort vorkommt, ist sie auf diejenigen Gegenden beschränkt, die relativ niedere jährliche Regenmengen und daher sehr geringe Mächtig- keiten der Braunerde aufweisen. In Gebieten mit tiefgründiger Braunerdeverwitterung oder in Humusanhäufungen fehlt Bohnerz. Fern von Produkten lateritischer Verwitterung vermag sich die Bohnerzbildung auch noch unter gemäßigtem Klima zu vollziehen. In Klüften und N. F. XIV. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 335 Höhlen des Jura sind Bohnerzkörner in lehmigen Ablagerungen jungen Alters gar nicht selten. Da- gegen lassen sich an der Erdoberfläche z. B. in Süddeutschland nirgends Bohnerze jungen Alters nachweisen. Für die Entstehung des Bohnerzes in den gemäßigten Klimaten ist die Abwesenheit von Rohhumus (adsorptiv ungesättigtem Humus), der ja das Eisen lösen und wegführen kimnte, Voraussetzung. Die Bildung der Bohnerze wird unter gemäßigtem Klima langsamer als in den Tropen erfolgen, da die Umsetzungen hier viel langsamer vor sich gehen. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das Bohnerz ein Produkt relativ feuchten Klimas ist. In größerer Verbreitung und als gesteinsbildende Formation tritt es nur da auf, wo lateritische Ver- witterung vorangegangen war, aus deren Eisen- überschuß es sich gebildet hat. In allen anderen Fällen trägt es lokalen Charakter. Bohnerz fehlt im eigentlichen Laterit, weiterhin an Stellen wo Rohhumus vorhanden ist, sowie da wo kein freies, sondern nur gebundenes Eisen vorhanden ist. Wo Bohnerz in regionaler Verbreitung gesteins- bildend auftritt, kann man auf vorausgegangene Laterilbildung und auf einen Klimawechsel von trockenem heißem zu feuchtem Klima Rückschlüsse machen. Dies läßt sich auf die fossilen Bohnerze anwenden. Bisher wurden die Bohnerze z. T. im Zusammenhang mit der Lateritbildung erörtert, indessen nehmen fast alle Forscher mehr oder weniger eine Entstehung in Wassertümpeln, See- becken und Sümpfen nach Art der heutigen Rasenerze an. Daß dem nicht so ist, sondern daß die Bohnerze unter der Einwirkung reiner Braun- erdeverwitterung entstehen , zeigen die Unter- suchungen von R. Lang, welcher durch das Studium tropischer Verwitterungserscheinungen manchen Gebieten der Geologie einen ganz anderen Weg gewiesen haben dürfte. V. Hohenstein. Physiologie. Sekundäre Geschlechtsmerkmale beim Huhn. Wie früher (N. F. Bd.XIlT. S. 4i27mit- geteilt wurde, hatte A. Pezard durch Entfernung des Ovariums bei jungen Hühnern bewirkt, daß die Sporen, ein sekundäres Geschlechtsmerkmal des Hahnes, auftraten und dieselbe Größe erreichten, wie bei gleichalterigen Hähnen. Er hatte daraus geschlossen, daß der Eierstock ein Hormon er- zeuge, welches das Wachstum der Sporen ver- hindere. Die Versuche wurden fortgesetzt ; ihre Ergeb- nisse werden in den Sitzungsberichten der Aka- demie der Wissenschaften in Paris mitgeteilt (Transformations experimentales des caracteres sexuels secondaires chez les Gallinaces. C. R. Ac. sc. Paris Nr. 7, 15 fevrier 191 5). Danach hielt das Wachstum des Sporns, wie durch ge- naue Messungen in bestimmten Zeitabschnitten festgestellt wurde, bei dem kastrierten Huhn gleichen Schritt mit jenem beim Hahn. Von fünf Hennen wurde bei drei der Eierstock gänzlich, bei einem vierten teilweise entfernt, während ein fünftes Koiitrolltier unversehrt blieb. Von No- vember 1913 bis Februar 1914 bildete sich bei zwei Tieren ein Sporn von 3 bzw. 5 mm Länge und halte im Mai, August und November 1914 7, 13 und 23 mm bzw. 9, 14 und 23 mm Länge erreicht. Aus dem Vorkommen von sporentragenden Hühnern, die man hie und da in geringer Zahl in Züchtereien und Ausstellungen trifft, könnte man schließen, im vorliegenden Falle dürfe aus ihrem Auftreten nicht der Schluß gezogen werden, daß die Entwicklung der Sporen sonst durch ein Eier- stockshormon zurückgehalten werde. Aber ge- rade in den letztgenannten Fällen handele es sich um schlechte Eicrlegerinnen, und es werde das Auftreten der .Sporen von Geflügelzüchtern im entsprechenden Sinne gedeutet. Nach Entfernung des Eierstocks ,,verhahntes Huhn" ; Henne, die nach Ovariotomie das Gefieder des Hahns bekam. (Nach Pezard.) Mit dem Eintritt der Geschlechtsreife unter- scheidet sich der Hahn vom Huhn im seinem Ge- fieder in auffallender Weise. Den Nacken ziert eine Art Federkragen, den hinteren Teil des Rückens schmücken lanzettförmige, glänzende F'edern, und sichelförmig gebogene Federn bilden den Schwanz. Während das normale Huhn von allen die.sen Eigentümlichkeiten nichts hat, ent- wickeln sie sich beim kastrierten Huhn im An- schluß an die Ovariotomie. Ein Tier, welches am I. Juli 191 3 operiert worden war, hatte sich bis zum 19. Januar 1914 umgefiedert, und zwar ent- wickelte sich zuerst der Halskragen, darauf die lanzettförmigen Federn des Unterrückens, und zu- letzt die sichelförmigen Federn des Schwanzes. Das zweite am 9. Dezember 191 3 kastrierte Tier be- hielt bis Februar 19 14 das Aussehen eines Huhns, dann sproßten zunächst die lanzettförmigen Federn im Nacken und Rücken, und zuletzt die sichel- förmigen Schwanzfedern; im April 19 14 glich der Vogel im Gefieder völlig einem Hahn (s. Fig.j. Bei einem dritten im Januar 1914 ovariotomierten Huhn begann die Entwicklung des Gefieders 336 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 21 piötzHch im März, und bereits im April glich es dem eines Hahns. Das Gefieder des vierten und fünften Huhnes blieb unverändert; die anderen Hühner hatten noch im November 1914 das Aus- sehen des Hahns. Aus den \'ersuchen ergibt sich, daß die sekun- dären Geschlechtsmerkmale des Hahns zweierlei Art sind; die einen sindbedingtdurch die innereSekretion des Hodens, nämlich das Wachstum und die Tur- gescenz des Kamms, sowie das Krähen; unabhän- gig davon sind dagegen das Gefieder und die Sporen. Genau genommen sind letztere also keine Charaktere des männlichen Geschlechts, weil sie in potentia auch dem weiblichen Tier zukommen ; ihre Entwicklung wird nur durch ein Hormon des Ovariums unterdrückt. Eigentlich sind also die Hühnervögel anfangs bezüglich des Gefieders und der Sporen ge- schlechtlich nicht differenziert und erhalten erst durch das Hinzukommen oder das Wegfallen der einen oder anderen Eigenschaft die definitive Ge- schlechtsform. Auf Grund der Ergebnisse der Versuche mit Hühnern können wir weiterhin ge- wisse Erscheinungen der Umprägung mancher Weibchen anderer Tiere zu der Form des männ- lichen Geschlechts verstehen, ohne daß wir dazu die Hormone anderer Drüsen (Nebenniere, Schild- drüse) zur Erklärung heranziehen müßten; sie beruhen einfach auf einer Insuffizienz des Eier- stocks. Jeder Zweifel darüber aber entfällt dann, wenn die Autopsie eine solche ergibt. Kathariner. Bücherbesprechungen. Leiser, Heinrich, Die Welt der Kolloide. 121 Seiten mit 7 Tafeln und 15 Abb. im Text. Leipzig, Phil. Reclam jun. — Preis in Leinen 80 Pf. Als 2 1 . Band der von Siegmund Günther lierausgegebenen „Bücher der Naturwissen- schaften" ist eine allgemeinverständliche Darstel- lung der Kolloidchemie erschienen, die in Anbe- tracht der Bedeutung, welche dieser jungen Wissen- schaft für die Verliefung unserer Kenntnis vom Wesen der Materie sowie für das Verständnis zahlreicher technischer und biologischer Probleme zukommt, sicherlich eine Lücke in der Literatur ausfüllt. Wer sich der Schwierigkeiten bewußt ist, die sich der „populären" Behandlung physi- kalisch-chemischer Gebiete entgegenstellen, muß zugeben, daß der Verfasser seine Aufgabe im all- gemeinen mit Geschick gelöst hat. Allen den- jenigen, die sich aus Mangel an Zeit nicht dem Studium umfangreicher Werke über Kolloidchemie widmen können, wird das Leiser'sche Büchlein ein willkommener Führer sein. Bugge. Kleinpeter, H. , Vorträge zur Einführung in die Psychologie. IV u. 435 S. Mit 87 Abbildungen. Leipzig 1914, J- A. Barth. — Preis geb. 7,50 Mk. In Gestalt von 45 Vorträgen behandelt der Autor das Gesamtgebiet der Psychologie. Nach- dem er in der Einleitung das Problem Leib und Seele historisch-kritisch dargelegt hat, wobei er sich zu der von anderen modernen Psychologen ebenfalls vertretenen Theorie einer Psychologie ohne Seele bekennt, gibt er in den nachfolgenden 28 Vorträgen eine gründliche und doch kurz ge- faßte Darstellung der unmittelbaren Daten und in weiteren 17 Vorträgen eine solche der mittelbaren Tatsache des Bewußtseins. In den physiologischen Einzelfragen schließt sich der Verfasser meist den Anschauungen von Ebbinghaus, James, Wundt und Ziehen an. In bestimmten prin- zipiellen P^ragen, so z. B. in bezug auf die Theorie des Willens, geht er aber seine eigenen Wege. Was dem Buche seinen besonderen Charakter verleiht, ist die Tatsache, daß iiim in allen seinen Teilen die streng positivistischen Anschauungen E. Mach 's über das Physische und Psychische zugrunde gelegt sind. Damit ist jegliches Ab- irren in metaphysische Gebiete — - ein Fehler, den die meisten Einführungen in die Psychologie auf- weisen, • — nicht nur ein für allemal vermieden, sondern zugleich eine Grundlage für die selten so klare, flüssige und leichtverständliche Darstellung der psychologischen Tatsachen und Probleme ge- geben, durch die das Werk sich von ähnlichen Einführungen vorteilhaft unterscheidet. Es ist weiterhin selbstverständlich, daß der Autor entsprechend dem pädagogischen Charakter seines Buches als Einführungswerk, als Schrift zur ersten Orientierung, die prinzipiellen Seiten der Psychologie durch eine eingehendere Behandlung besonders herausgestellt hat, trotzdem ist kein Teil der psychologischen Forschung unbeachtet geblieben. Eine am Schlüsse jedes Vortrags gebrachte Zusammenstellung der Hauptliteratur des behan- delten Stoffgebiets regt zu weiteren und tieferen Studien an und ein dem Werk angehängtes Nameii- und Sachregister erleichtert wesentlich seine Be- nutzung. Das in jeder Beziehung treffliche Werk verdient weiteste Verbreitung. M. H. Baege. Inhalt: M.iyer: Moorlioden. Fehlinger: Ungleiche Oeschleclitsdifferenzierung der Menschenrassen (mit 5 Abbildungen). — Kleinere Mitteilungen: Kathariner: Das Wasserk.ilb (Gordius aijuaticus Duj.). Mayer: Unterirdische Höhlen von liefer Temjieratur. — Einzelbericbte : Lang: Geologisch-mineralogische Beobachtungen in Indien. Pe/. ard: Sekundäre Geschlechtsmerkmale beim Huhn (mit i Abbildung). — Bucherbesprechungen: Leiser: Die Welt der Kolloide. Kleinpeter: Vorträge zur Einführung in die Psychologie. Manuskripte und Zuschriftea werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstrafie IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Bucbdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 30. Mai 1915. Nummer 32. Über das Schießen gegen Flugzeuge und Luftschiflfe. Von Dr. Aloys Müller. [Nachdruck verboten.] Mit 3 Abbi Der gegenwärtige Krieg hat die außerordent- lich große Bedeutung der Flugzeuge und Luft- schiffe enthüllt. Bei der Abwehr dieser Kriegs- mittel tritt das ballistische Problem des Schießens unter großen Erhebungs- winkeln auf: Bei erhöhten Zielen ist die Schußweite gegenüber der horizontalen geändert (die Schußweite gemessen auf der Linie Mündung = Ziel). Diese Veränderung kannte die deutsche Schießvorschrift für die Infanterie von 1905 noch nicht (wo ich sie zuletzt in Händen hatte), trotzdem dieselbe Erscheinung sich auch bei ansteigendem oder fallendem Ge- lände ergibt; und weil Major Menzel's Dienst- unterricht des deutschen Infanteristen Jahrgang 1914 — 191 5 sie gleichfalls noch nicht kennt, werden die neueren Ausgaben bzw. Ergänzungen der Schießvorschrift sie wahrscheinlich auch nicht berücksichtigen. Die Schießvorschrift für die Fußartillerie übergeht sie ebenfalls. Sie wurde erst 1901 allgemein für den luftleeren Raum unter- sucht. Seitdem ist sie zwar in den Lehrbüchern der Ballistik und den technischen und militär- technischen Zeitschriften oft behandelt worden. Aber in den größten Lehr- und Handbüchern der Physik, speziell der Mechanik, soweit ich sie kenne, sucht man ihre Besprechung vergebens. Und in den weitesten Kreisen ist ihre Tatsache nicht bekannt, noch viel weniger ihre Theorie. Nun gibt es außer den Militärbehörden noch eine Gruppe von Menschen, die ein besonderes Interesse an dieser Erscheinung haben. Das sind die Jäger, die oft genug, besonders im Hochgebirge, den Büchsen- schuß auf stark erhöhte Ziele machen müssen (Schrotschuß kommt hier nicht in Betracht). In der Jagdpraxis ist jene Veränderung auch schon sehr lange bekannt, wie man aus der zwar alten, in ihrem ersten Teil aber leider falschen Jäger- regel ersehen kann: Bergauf, halt drauf; bergunter, halt drunter! Von Zeit zu Zeit bildet das Pro- blem ein beliebtes Thema der Jagdzeitschriften, das aber überall, wo ich es zu Gesicht bekam, entweder falsch oder mit unzulänglichen Mitteln besprochen wurde. Aus all diesen Gründen empfiehlt es sich wohl, das von dem Weltkriege besonders deutlich vor die Augen gerückte Problem einmal vor einem weiteren Leserkreise zu behandeln. Allerdings zwingt dieser Entschluß im allgemeinen zum Ver- zicht auf den Gebrauch der höheren Mathematik. Deshalb wird im folgenden hauptsächlich nur die Kenntnis der analytischen Geometrie vorausge- setzt. Zwar können wir infolgedessen das Pro- Idungcn. blem nicht vollständig lösen. Aber da eine strenge Lösung überhaupt unmöglich ist und das Näherungsverfahren nur für praktische Ballisliker Interesse hat, wird es uns genügen, das Vor- handensein, den Charakter und die Lösungs- resultate des Problems darzulegen. I. Bezeichnungen. Wir setzen zuerst die Bezeichnungen und die Voraussetzungen der ersten Untersuchung fest. Die Schußbahn ist eine Kurve, die die Visier- linie in 2 Punkten schneidet, beim erstenmal vor der Mündung. O (Fig. i) sei dieser erste Schnitt- punkt. Wir nehmen O als Anfangspunkt eines Koordinatensystems , dessen x - Achse horizontal liegen soll. Die von der Schußkurve und der Visierlinie bestimmte Ebene heiße die Schuß- ebene; sie möge stets in die xy-Ebene fallen. Es bedeuten nun OT die Tangente in O an der Schußkurve, « den Abgangswinkel, d. h. den Winkel zwischen Visierlinie und Tangente in O, w die Schußweite, z. B. OS oder OS,, e den Erhebungswinkel, d. h. den Winkel zwischen Visierlinie und x-Achse, Vq die Anfangsgeschwindigkeit des Geschosses, t die Zeit, g die Beschleunigung durch die Schwerkraft. Wir setzen vorläufig voraus, daß der Raum luftleer ist, sehen von allen Ursachen ab (wie Pendelung des Geschosses, Einfluß des Dralls, Rotation der Erde), die die Schußweite ändern und bewirken können, daß die Visierlinie nicht in die Schußebene fällt, und nehmen g als Kon- stante. II. Erledigung des Problems für den luftleeren Raum. Erster Schritt. Damit auch solche, die nur die ersten Anfangs- gründe der analytischen Geometrie kennen, die Rich- tigkeit der Lösung einsehen können, zerlegen wir den Gang unserer Untersuchung in 2 Schritte. Der erste Schritt führt so weit, daß die praktische Behandlung jedes einzelnen Pralles im luftleeren Raum möglich ist. Die allgemeine und voll- ständige Lösung wird dann der zweite Schritt bringen. Die Bahn des als Massenpunktes betrachteten Geschosses ist bestimmt: i. durch die von den Pulvergasen erzeugte Geschwindigkeit, 2. durch die Schwerkraft. Es seien (Fig. i) x und y die Koordinaten eines beliebigen Punktes P der Kurve, den das Geschoß in der Zeit t erreicht. Die 338 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 22 Verlängerung von y trifft die Tangente OT im Punkte Q. O Q ist also der Weg, den das Ge- schoß unter dem Einfluß der Pulvergase allein in der Zeit t zurücklegen würde; also ist OQ = v,|t. Wir zerlegen diesen Weg parallel zu den Achsen in die Teile (Komponenten) Vyt cos « parallel zur x- Achse, V|,t sin ß parallel zur y- Achse. Die Schwerkraft, die bewirkt, daß das Geschoß in der Zeit t nicht in O, sondern in P ist, wirkt stets parallel zur y- Achse. Der Weg, den das Geschoß in der Zeit t unter dem Einfluß der Schwerkraft allein zurücklegen würde, ist, wie die Physik lehrt, -t". Ziehen wir also diesen Wert, weil die Schwerkraft in der Richtung der nega- tiven y- Achse wirkt, von der zweiten der eben gefundenen Komponenten ab, dann geben die so veränderten Komponenten den Ort P in unserem Koordinatensystem an, an dem sich das Geschoß unter dem erwähnten doppelten Einfluß zur Zeit t befindet. Es ist also X = V(|t cos u y= v„tsin« — ff-'. Weil der Punkt P beliebig gewählt ist, gelten y = xtga — — x-g (I) Sie 2 Vq " cos - « Das ist die Gleichung der Schußkurve, stellt eine Parabel mit vertikaler Achse dar. Da diese Gleichung für den Fall e = o" ge- bildet ist, läßt sie sich noch verallgemeinern. Es ist dann offensichtlich (vgl. die obere Kurve in Fig. i) u-^-i anstatt « zu setzen. Die Gleichung der Bahnkurve lautet also jetzt y = xtg(a + e) , "^y, , ,• (2) •^ R V I .' 2 Vg-cos-(a4-£) Unser Problem wäre gelöst, wenn wir, mathe- matisch gesprochen, w als Funktion von e dar- stellen könnten. Das gelingt aber ohne weiteres, wenn wir Gl. (2) in Polarkoordinaten schreiben. Denkt man sich von Sj auf die x- Achse die Senkrechte gefällt, so ergibt sich sofort X ^ w cos £ y = w sin e. Setzt man diese Werte in (2) ein, so erhält man (2) in Polarkoordinaten: , , , w"g cos- « w sm € = w cos eteia-f-e) 5 5^ — , — r- ^^ ' ^ 2 Vg- cos- («-]-£) Daraus läßt sich w folgendermaßen entwickeln : / 1 N wg cos"«- sm ( = cos £ tg (a + f ) ^r^~m — 1 — 7 ''^ ' ^ 2 Vo-cos^(a-^-£) 2 v„^ sin t cos- («-}-£) = 2 Vy- cos f sin («-}-{) cos («-]-£) — wgcos-£ 2 Vj - [cos E sin (a -f- 1) cos (« -|- e) — sin e cos- (a -\- e)] g cos''^ e 2 Vn ^ sin or cos (ß + s) W =: 5 ^ g cos'- e (3) diese Gleichungen für jeden Punkt der Kurve. Das Gleichungssystem stellt, wie man sagt, die Kurve in Parameterform dar; der Parameter ist t. Schreibt man t aus der ersten Gleichung heraus V|| cos ß und setzt diesen Werl in die zweite (ileichung ein, so erhält man Damit hätten wir die gesuchte Funktion. Gl. (3) gilt auch, wenn die Kurve unterhalb der positiven x- Achse liegt, praktisch gesprochen also für den Schuß nach unten ; nur muß man in diesem Falle, wie man sich durch eine Zeichnung leicht überzeugen kann, cos (4 — ß) für cos («-[-£) setzen. Gl. (3) gibt die Möglichkeit an die Hand, zu jedem beliebigen a und v^,, d. h. praktisch, zu jedem Gewehr oder Geschütz, und zu jedem be- liebigen e, d. h. praktisch, zu jedem Schuß auf ein erhöhtes (oder gesenktes) Ziel die zugehörige Schußweite im luftleeren Raum zu berechnen. In der folgenden Tabelle (i) sind für a = o" 30' und Vß = 630 m die zu einigen e gehörigen Werte von w (in IMetern) zusammengestellt. Die Tabelle lehrt, daß w mit wachsendem i anfangs ein wenig abnimmt, um aber schon bei kleinen Werten von f wieder zu steigen, daß w in der Gegend von « = 89" einen außerordent- lich großen Wert erreicht und dann schnell wieder abnimmt, bis es bei (ß4-^) = 9o'' den Wert O hat. Praktisch ausgedrückt hat man also mit einem Gewehr von den angegebenen ballisti- schen Elementen bis zu einem Erhebungswinkel von etwa o"i5' Kurzschuß, bei größerem Winkel Weitschuß, bis kurz vor 90" wieder Kurzschuß eintritt. Fast so wie hier werden die Verhält- N. F. XIV. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 339 ^ oOq' oOio' o°iS' o»3o' lio' joOq' So'o' 7o<'o' 8o»o' Sg-o' 89''2o' 89»25' *-»'Lri- w 7c6,39| 706,37, 706,35 706,37 706,40 811,56 1087,50 2015,90 3866,60 20239,00 15179,00 9912,40 2527,10 0 Tabelle i. nisse in der jagdlichen Praxis immer liegen; denn ein größerer Abgangswinkel als 30' kommt bei unseren modernen Waffen auf jagdliche Ent- fernungen nicht vor. Zum Beweise und zum Vergleiche gibt die nachstehende Tabelle (2) die Abgangswinkel der deutschen Infanteriegewehre Mod. 88 und Mod. 98 S bis 500 m (natürlich für den lufterfüllten Raum). Schußweite Abgangsv i'inkel w M88 M98S 100 m o»4'40" 0°2'20" 200 o»io' o»5' 300 o-'ie' 0"S'20" 400 o''23'40" 0''12' 500 o"'32'40" o<'i6' Tabelle 2. Da der Kurzschuß bei kleinen Erhebungs- winkeln praktisch ohne irgendeine Bedeutung ist, so ergibt sich auf Grund der bisherigen Betrach- tungen für die Jagdpraxis und überhaupt für den Gebrauch von Büchsen die Regel, daß man bei stark erhöhten (oder gesenkten) Zielen (etwa £ ^ 40") das Ziel aufsitzen lassen muß. Wird der Abgangswinkel, wie bei Geschützen, bedeutend größer, so können ganz andere Ver- hältnisse eintreten. Darüber berichtet die nächste Nummer. Wer sich über die gewaltige Größe, die die w- Werte nach Tabelle (1) erreichen können, wundert, der mag einmal bedenken, daß wir mit der schon großen Schußweite von mehr als 700 m begonnen haben, und fürs zweite sich er- innern, dai3 wir ja im luftleeren Raum rechnen. Vielleicht könnte sich jemand mit anscheinend mehr Recht darüber wundern, daß in der Nähe von 90" wieder Kurzschuß eintritt und w bei (a-J-f) = 90" sogar den Wert o hat, und meinen, daß damit doch die obige Regel für den fast senkrechten Schuß falsch sei. Daß diese Schluß- folgerung in die Irre geht, werden wir in anderem Zusammenhang in der zweitnächsten Nummer sehen. Hier sei nur bemerkt, daß dieser Kurz- schuß in der Nähe von 90" beim Schuß nach unten nicht eintritt, daß hierbei w mit e wächst, aber nie gleich O wird. Das folgt auch unmittel- bar aus Gl. (3). III. Erledigung des Problems für den luftleeren Raum. Zweiter Schritt. Die allgemeine Lösung des Problems hat V. Obermayer im Jahre 1901 gegeben.') Wir schließen uns seiner Darstellung, wie es auch Cranz tut,-) an. Wir sehen zunächst, daß für f = o" aus Gl. (3) wird 2Vn-sinacos« f ,\ w = W g Da wir aus Tabelle (i) wissen, daß die Kurve der w- Werte (für € im I. Quadranten) anfangs fällt, dann über den Anfangswert steigt und schließlich wieder darunter fällt, so wird w im allgemeinen zweimal den Wert w für t = o" an- nehmen. Wir können uns deshalb die Frage stellen: Für welche Werte von c nimmt w bei konstantem o den Wert w für « = o" an ? Offen- bar müssen dann die Funktionen der Gl. (3) und Gl. (4) einander gleich sein. Die Bedingungs- gleichung lautet also: 2 Vo^ sin a cos (a-f"*) 2Vo^sinacosa g cos- £ g Daraus ergibt sich nach leichten Umformungen die Gleichung 4. Grades für cos t : cos'*« — 2cos^« + cos^£(i +tg-ß) = tg-a (5) Die 4 Wurzeln dieser Gleichung geben die ge- suchten e - Werte. Eine dieser Wurzeln kennen wir; für £ = 0" wird nämlich cosf=l. Wir können demnach Gl. (5) durch (cos£ — l) divi- dieren und erhalten dann die Gleichung 3. Grades: cos^ « — cos" £ -|- cos £ tg- a -j- tg- u = o. Die Wurzeln sind sämtlich reell. SchHeßen wir den Fall £ = 0^' als selbstverständlich aus, so lassen sich für eine Reihe von a-Werten die Wurzeln und die zugehörigen e- Werte in der folgenden Tabelle (nach v. Obermayer) zusammenstellen. a cos £| cos £2 cos «3 *1 Si ^3 3° 0,9946 0,3549 —0,0495 s'sr 86051' 87O10' 6° 0,9774 0,1180 —0,0954 I2''l2' 83013' 84O3I' 90 0,9454 0,1925 —0,1380 1901' 78054' 82O4' 12» 0,8928 0,2850 -0,1778 26047' 73026' 79«46' 15» 0,7968 0,4185 0,2153 370IO' 650I6' 77°35' 16» 0,7381 0,4895 — 0,2276 42<>26' 60042' 76"$ I' i6<'43' 0,6180 0,6180 —0,2361 51050' 51 V 76O21' Tabelle 3. Die Werte für cos£.j und £3 gelten, wie wir nachher sehen werden, für den 3. Quadranten, der uns hier nicht interessiert. ') V. Oberrnayer, Wiener Sitzungsberichte. Math.- naturw. Kl. HO. Bd. 1901. S. 365. -) Cranz, Lehrb. d. Ballistik. 1910. 1, 21. 340 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 22 Die Tabelle (3) gibt nun vollen Aufschluß über die Verhältnisse. Sie läßt sich nach dem Vorhergehenden folgendermaßen lesen: Ein Ge- wehr mit dem Abgangswinkel von 3" gibt bis zu einem Erhebungswinkel von 5 "57' Kurzschuß, von da bis zu einem Erhebungswinkel von 86"5i' Weit- schuß, von da an wieder Kurzschuß; bei u = 6" ist Kurzschuß von 6 = 0" bis £=12*12', Weit- schuß von £^ 12*12' bis £ = 83"i3', Kurzschuß von £ = 83"! 3' bis £^84" vorhanden usw. Man sieht, daß das Weitschußgebiet mit steigendem a kleiner wird; von a^i6''43' an tritt für kein £ mehr Weitschuß ein, sondern für alle £ Kurzschuß. Die bisher nur algebraisch betrachteten Ver- hältnisse lassen eine einfache geometrische Deutung zu, die wir nun darlegen wollen. Die Koordinaten x^ und y»- des Endpunktes der Schußweite sind offensichtlich (vgl. Fig. i) gleich w-cos£ und w-sin£, also nach Gl. (3) 2 VQ-sinacos(a-|-£) X^ " (o) gCOS£ 2 v,,^ sin «sine cos («-!-£) , , >'^^ = — gcos-£ ' (7) Nun läßt sich beim Schuß, konstantes Vq vor- ausgesetzt, innerhalb eines gewissen Räumt s der Ebene jeder Punkt der Horizontalen im allgemeinen mit Hilfe von 2 Abgangswinkeln treffen, die Komplementwinkel sind. Zu jeder Schußkurve mit dem Abgangswinkel « gehört also (innerhalb eines bestimmten Raumes) eine zweite Kurve mit dem Abgangswinkel (90 — a), die mit der ersteren Anfangs- und Endpunkt auf der xAchse gemein- sam hat. Ihre Gleichung findet man, indein man in Gl. (i) (90 — a) für « setzt: y = xcota :,^T, — (b) 2vo''sm''ß ^ In Gl. (8) setzen wir nun einmal für x den Wert von x^ aus Gl. (6) ein und erhalten 2 Vo^cos(a-|"*)co3a 2 VQ^cos*(a-j-£) gCOS£ gCOS-£ Nach wenigen einfachen Um- formungen wird ^ 2 v^ '^sin a sin £ cos («-["*) gcos'^f Diese Gleichung ist iden- tisch mit Gl. (7). Die in (6) und (7) ausgedrückten Koordi- naten genügen also der Gl. (8). Und da sie die Koordinaten aller Endpunkte der Schuß- weiten w sind , die mit dem Abgangswinkel a und der An- fangsgeschwindigkeit Vg erhal- ten werden, so haben wir das Resultat, daß Gl. (8) den geo- metrischen Ort dieser sämt- lichen Endpunkte darstellt. Sind also « und v^ gegeben, so zeichnet man sich zunächst die davon bestimmte Parabel für £^0". Konstruiert man dann die zugehörige Parabel mit dem Abgangswinkel (90 — «), so ist sie der geometrische Ort der Endpunkte sämtlicher unter den angegebenen Be- dingungen erreichbarer Schuß- weiten. In Fig. 2 stellt O IVI S eine Schußkurve für a=i2" und £ = 0" dar. O ist wieder der Anfangspunkt unseres Ko- ordinatensystems und O S ein Stück der x-Achse. Die zu- gehörige Parabel mit dem Ab- gangswinkel (90" — 12") = 78" ist OSoMiSjS. Auf ihr liegen also die Endpunkte aller Schuß weiten w, die man mit ci= 12* und einer als unbekannt, aber konstant angenom- menen Anfangsgeschwindigkeit v^, erreichen kann. Beschreibt man mit OS um O einen Kreis, so schneidet dieser die letztgenannte Parabel in Sj und S.i. Die Winkel der Verbindungslinien OSj und OSo mit OS stellen die Winkel e dar, unter N. F. XIV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 341 denen die Schußweite gleich der Horizontal-Schuß- weite ist; die zugehörigen Parabeln sind einge- zeichnet. Nach Tabelle (^) ist also 3SiOS = 26''47' und 3S,OS = 73"26'. Aus der gegenseitigen Lage des Kreises und der Parabel OMiSjS läßt sich ohne weiteres abnehmen, wie sich infolge der Abhängigkeit von e die Größe der Schußweite w im Verhältnis zur horizontalen Schußweite ändert. Würde man den Kreis durch- führen, so würde er den linken Parabelast noch einmal im 3. Quadranten schneiden; dieser Schnitt- punkt würde dann der 3. Wurzel unserer Tabelle entsprechen. IV. Ergänzende Bemerkungen zur vor- stehenden Lösung. Zur Ergänzung und zum besseren Verständnis des Vorstehenden mögen noch zwei Bemerkungen folgen. I. Zunächst ist die gegebene Lösung nicht ganz streng. Wir haben zu Anfang den ersten Schnittpunkt der Bahnkurve mit der Visierlinie zum Koordinatenanfangspunkt gemacht, ihn also als auf der Visierlinie festliegend angesehen ; ferner haben wir den Winkel, den die Tangente in die- sem Punkte mit der Visierlinie bildet, als Abgangs- winkel a und für dieselbe Waffe als konstant an- gesprochen. Beides ist nicht genau richtig. Die Verhältnisse sind etwas komplizierter. Es sei (Fig. 3) AC die verlängerte Seelenachse, BC die verlängerte Visierlinie. ^ BCA = ß ist dann der Visierwinkel. Wir legen in A den Anfangspunkt eines Koordinatensystems, dessen X-Achse parallel der Visier- linie läuft , so lange die Visierlinie horizontal liegt. Der Abgangswinkel, d. h. der Winkel, den die Tan- gente in A an die Geschoß- bahn mit der Parallelen durch A zur Visierlinie, bei horizontaler Visierlinie also mit der x-Achse bildet, ist im allgemeinen etwas größer oder kleiner als der Visier- winkel. In unserer Figur ist der Abgangswinkel ;' kleiner als ß. O ist der erste Schnittpunkt von Bahn und Visierlinie, den wir als Aufpunkt bezeichnen. Errichten wir in A auf AC die Senkrechte bis zur Visierlinie, so ist AD = k die Kornhöhe. BE = a ist die Entfernung des Punktes, wo die Tangente in A die Visierlinie schneidet, von der y-Achse. Wendet man nun Gl. (3) auf die Verbindungs- linie AO an, so sieht man, daß der Aufpunkt mit wachsendem e sich zuerst auf das Ziel zu, dann auf die Mündung zu und nachher wieder aufs Ziel zu bewegt. Diese Bev^^egung des Aufpunktes wird allerdings gering sein. IVlan kann sich auf folgende Weise eine Vorstellung davon machen. Sind Xj und y, die Koordinaten des Auf- punktes (e = o"), so ist y, = k cos ^. Daraus folgt kcos/S a = tgy Löst man Gl. (i) nach x auf und setzt y = yj , so erhält man v„ cos y f . , I — ^-T-n i 5] X] = -^ Vq smj' ±yvo''sm-j' — 2gkcos/3 . Dann gibt (xj — a) ungefähr den Spielraum des Aufpunktes auf der Visierlinie für Büchsen an. Differenziert man Gl. (i) nach x (wobei in unserem neuen Koordinatensystem y an Stelle von a gesetzt werden muß) und setzt dann x = Xj, so erhält man eine Gleichung für a (die sich aber auch etwas umständlicher elementar finden läßt) : x. g tga = tg7 r,-^^- Diese Gleichung lehrt, daß et eine Funktion von Xj , also auch mit e veränderlich ist. Will man den genauen Winkel « für ein beliebiges e erhalten, dann hat man aus der Kombination der Gleichung der Visierlinie y cos £ — X sin £ = k cos /3 mit der Kurvengleichung (2), in der gleichfalls y an Stelle von a zu setzen ist, die Koordinaten des Schnittpunktes zu bestimmen, findet mit ihrer Hilfe die Tangente im Schnittpunkt und als « den Winkel dieser Tangente mit der Visierlinie. Die Variation von « ist sehr gering. Im folgenden berücksichtigen wir den Inhalt Abb. 3. dieser ersten Bemerkung und das neu eingeführte Koordinatensystem nicht mehr. 2. Wie schon in Abschnitt II angedeutet, konnte man gegen die dortigen Ausführungen die folgende Überlegung geltend machen. Weitschuß bedingt einen Überschuß, Kurzschuß einen Unterschuß am Ziel. Ist unmittelbar vor («-^f)^9o'' Kurz- schuß vorhanden, so haben wir am Ziel Unter- schuß. Bei senkrechter Seelenachse ist nun aber doch offenbar ein Überschuß vorhanden, der in einer Höhe von 100 m bei a^ 30' schon 0,87 m beträgt. Das scheint doch ein Widerspruch zu sein. Aber dieser Widerspruch schwindet sofort. 342 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 22 wenn man einmal, z. B. an Hand der Fig. 2, sich anschaulich vorzustellen sucht, wie sich mit wachsenden £ die Lage der Schußweiten zu den zugehörigen Parabeln verändert. Am besten achtet man auf den Scheitelpunkt der Parabeln. Er liegt bald, wie bei £ = o", in dem Winkel- raum zwischen Visierlinie und y - Achse, bald, wie bei « = 26''47', in dem Winkelraum zwischen Visierlinie und x-Achse. Der Endpunkt der Schuß- weite ist also bald von dem absteigenden, bald von dem aufsteigenden Ast der Parabel bestimmt. Wie die Figur schon zeigt, muß von einem gewissen Werte von f an der Endpunkt stets auf dem absteigenden Ast liegen. Die Parabeläste rücken von da an immer näher zusammen. Dadurch bewegt sich der Endpunkt von w, der ja auf der mit (90 — ö) konstruierten Parabel liegt, mehr und mehr auf den Anfangspunkt des Systems zu. Bei (« -|- «) = 90" fallen die Parabeläste zusammen und der Endpunkt in den Nullpunkt. Die Winkel £, für die der Endpunkt von w mit dem Scheitel- punkt der zugehörigen Parabel zusammenfällt, sind übrigens leicht zu bestimmen. Ist eine Schar von Wurfparabeln von demselben Anfangspunkte aus und mit derselben Anfangsgeschwindigkeit V(, erzeugt, so ist der geometrische Ort ihrer Scheitel bekanntlich eine Ellipse mit der Gleichung >^"g + 4y'g — 2yv„-' = o. Der geometrische Ort der Endpunkte von w war die Parabel der Gl. (8). Die Kombination dieser beiden Gleichungen gibt die Koordinaten der gewünschten Punkte und die zugehörigen f. Wenn nun auch jener Widersprucli nicht vor- handen ist, so liegt in dem Einwand doch ein berechtigtes Moment. Nämlich die Begriffe „Kurz- schuß" und „Weitschuß"' verlieren von dem Augenblicke an, wo der Endpunkt von w nur noch auf dem absteigenden Ast der zugehörigen Parabel liegt, ihren Sinn, wenn wir den Schuß aus Ge- wehren in Betracht ziehen. Beim Schuß aus Geschützen liegt die Sache anders. Aber man wird aus praktischen Gründen niemals beim Gewehr- schuß das Ziel durch einen Bogenschuß zu er- reichen suchen. Man ist demnach vollständig im Recht, wenn man auch in den Fällen großer Erhebungswinkel, wo die Mechanik einen Kurz- schuß konstatiert, bei Büchsen von einem Über- schuß redet, indem man eben dann die Lage des aufsteigenden Parabelastes /.um Ziele ins Auge faßt; und der zu Anfang dieser zweiten Bemerkung mitgeteilte numerische Wert zeigt ja, wie groß dieser Überschuß bei (« -j- f ) = 90" in loo m Entfernung schon wird. Deshalb wird man gut daran tun, den Überschuß auch theoretisch ein- zuführen. Neimen wir den zweiten Schnittpunkt der Ge- schoßbahn mit der Visierlinie den Abpunkt und bedenken, daß der Zielpunkt bei Kurzschuß und bei Weitschuß nicht mit dem Abpunkt zusammen- fällt, aber doch immer auf der Visierlinie liegen muß, so können wir als Größe des Überschusses zweierlei bezeichnen: a) die Strecke p vom Zielpunkt bis zur Kurve, gemessen auf der durch den Zielpunkt gelegten Parallelen zur y - Achse, b) die im Zielpunkte auf der Visierlinie errichtete Senkrechte bis zur Kurve (p, ). Es ist leicht, diese beiden so definierten Strecken zu berechnen. Da aber ihre Berech- nung für den luftleeren Raum keinen praktischen Wert hat, wollen wir sie erst im nächsten Abschnitt bringen. V. Das Problem im luft er füllten Raum. Die wirkliche Schußbahn im lufterfüllten Raum ist keine Parabel. Sie ist abhängig 1) von immer wirkenden Faktoren: Rotation, Geschwindigkeit, Gewicht, Querschnitt, Spitze, Boden des Geschosses, Gewicht der Luft, Schwingungen des Laufes; 2) von nicht immer wirkenden Faktoren wie der Rotation der Erde, dem Winde. Diese Faktoren ändern die Bahn gegenüber der im luftleeren Raum erhaltenen hauptsächlich in folgenden Punkten: die Schußweite ist kürzer, die Endge- schwindigkeit kleiner, der Auftreffwinkel größer. In Ausnahmefällen können ganz andere Änderungen eintreten. Wir überlegen uns zunächst, daß die Berück- sichtigung des Luftwiderstandes nach dem Ge- sagten schwerlich imstande ist , die bisherigen Resultate im allgemeinen umzustoßen. Wohl wird der Luftwiderstand die absoluten Werte ändern, aber die wesentlichen Verhältnisse unverändert lassen; die Kurve der w-Werte wird im lufterfüllten Raum ähnlich wie im luftleeren verlaufen. Die bisherigen theoretischen Überlegungen sind also durchaus nicht ohne praktische Bedeutung. Wir fragen uns zweitens, ob wir die früheren Überlegungen auch unter Berücksichtigung des Luftwiderstandes durchführen können. Hier tritt uns nun die Schwierigkeit entgegen, an der die äußere Ballistik überhaupt leidet: sie kann ihre Bahnberechnungen nicht streng durchführen. Wenn man sich die oben aufgezählten P^aktoren besieht, die die Gestalt der Flugbahn mitbestimmen, so kommt einem das nicht mehr verwunderlich vor. Wir wollen versuchen, den Charakter des hier vorliegenden Problems, so gut es in wenigen Worten geht, verständlich zu machen. Sehen wir von den nicht immer wirkenden F"aktoren und von zufälligen Variationen der anderen ab und nehmen wir an, daß die Achse des (Lang)Ge- schosses durchschnittlich in der Bahntangente liegt, so können wir die Flugbahn als bestimmt ansehen i. von der Geschwindigkeit (v) des Ge- schosses und der Horizontalneigung (p) der Bahn- tangente im Punkte (x, y), 2. von dem Luftwider- stand, 3. von der Schwerkraft. Das Geschoß er- hält von der Schwerkraft die Beschleunigung g in der Richtung der y-Achse, vom Luftwiderstand eine negative Beschleunigung, die wir cf(v) nennen wollen , in der Richtung der Tangente zum An- fangspunkte hin. Zerlegen wir die Schwere- N. F. XIV. Nr. 2- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 343 beschleunigung nach der Richtung der Tangente und ihrer Normalen, so erhalten wir gsin,^ — cf(v) (9) dt ; cos i9-, (10) wenn q der Krümmungsradius ist. In unserem Falle der positiven Krümmung ist I __d» ^ Q dt v' Dieser Wert, in (10) eingesetzt ergibt d^ a V , = g cos xT. dt ^ (II) und für eine Reihe von s eine genügende Anzahl von Koordinaten der Bahn (unter Umständen müssen gewisse Größen erst erschossen werden), so ist es nicht schwer, aus diesen Tabellen die Lösung unseres Problems für das betreffende Ge- wehr und Geschoß und die i zu finden. Die folgende Tabelle 4 nach Cranz (I, 233) mag ein Bild von den Verhältnissen der Wirklichkeit geben; die p- Werte (vgl. Abschnitt IV) sind von mir be- rechnet. Die Tabelle gilt für dasselbe Geschoß und die gleichen äußeren physikalischen Verhält- nisse, für verschiedene Abgangswinkel (a) und ver- schiedene Erhebungswinkel (e). Kai. 3,7 cm, Ge- Dividieren wir (9) durch (11), so erhalten wir wicht 0,68 kg, V(, = 500 dv gsin^-|-cf(v) "COS 5' d^. (12) Diese Differentialgleichung erster Ordnung ist die Hauptgleichung des allgemeinen ballistischen Pro- blems. In ihr steckt zunächst die negative Beschleu- nigung cf(v) des Luftwiderstandes. f(v) ist eine unbekannte F"unktion der Geschwindigkeit. Der Koeffizient c ist in unbekannter Weise von dem Quer- schnitt und dem Gewicht des Geschosses, von dem Gewicht der Luft und von einem Formkoeffizienten abhängig, der selber wieder, wie schon sein Name besagt , eine (unbekannte) F'unktion der Gestalt, besonders der Spitze, des Geschosses ist. Es sind eine Menge theoretischer und empirischer Luft- widerstandsgesetze aufgestellt worden. Einige, wie cf(v) := cv, sind gänzlich unbrauchbar. ^ Andere geben innerhalb gewisser Bereiche gute Überein- stimmungen mit der Erfahrung. Das richtige Gesetz kennen wir noch nicht, und deshalb wird die Rechnung mit einem der bisherigen Gesetze nur Annäherungen geben. Aus demselben Grunde ist auch Gl. (12) im allgemeinen nicht streng integrierbar. Man muß Näherungsmethoden anwen- den, indem man entweder die Hauptgleichung genau löst und bei späteren Integrationen Nähe- rungsverfahren einschlägt oder indem man die Hauptgleichung durch eine angenäherte Gleichung ersetzt, die integrierbar ist. Das Resultat wird also stets mit Fehlern behaftet sein, die teils von der Unvollkommenheit des benutzten Luftwider- standsgesetzes, teils von dem rechnerischen Nähe- rungsverfahren herrühren. Es wird sich also da- rum handeln, i. unter den Gesetzen und 2. unter den Verfahren die praktisch besten auszuwählen. Nach den Prüfungen von Cranz scheint es, als ob die Auswahl des Widerstandsgesetzes nicht von so großer Bedeutung sei wie die des Rech- nungssystems. Über die Methoden der Berechnung findet man alles Wünschenswerte in dem Lehr- buch von Cranz; es hat nur für den P"achmann Interesse. Das Vorstehende läßt erkennen, daß auch eine strenge Lösung unseres speziellen ballistischen Problems für den lufterfüllten Raum unmöglich ist. Kennen wir für ein bestimmtes Gewehr (oder Geschütz), für eine bestimmte Art von Geschoß £ a w P w bei £ = 0» 78O 2° 2847 m 166 m 1 1 1 1 m 76 4 3535 455 1791 74 6 3713 704 2325 74 I 1525 29 667 72 3 2827 184 1480 70 5 34»6 375 2069 68 7 3656 506 2554 68 2 2094 65 II17 66 4 2909,5 187 1791 64 6 3352 301 2326 62 8 3590 375 2770 64 I 1140 15 668 62 3 2300 87 1480 60 5 2918 161 2069 58 7 33 'o 23 t 2554 56 9 3565 262 2966 54 II 3724 245 3319 Tabelle 4. Diese Tabelle ist so zu lesen : Will ein Geschütz, das bei horizontaler Visierlinie und einem Abgangs- winkel von 2" eine Schußweite von 11 11 m be- sitzt, mit dem gleichen Abgangswinkel auf ein Luftschiff schießen, das in einer Entfernung von 1 1 1 1 m unter einem Erhebungswinkel von 78" erscheint, so würde das Geschoß 166 m über und (2847 • — 1 1 1 1) = 1736 m hinter dem Ziel herfliegen, das „hinter" gemessen auf der Visierlinie. Die Werte von w, p und pi lassen sich aus Schußtafeln, die zu verschiedenen a und £ die Koordinaten (x, y) einer Reihe von Bahnpunkten enthalten, auf folgende Weise berechnen : I. w. y W = Vx^ -1- y- = = -T ' ' ■' COS e sin e 2. p. Es bedeuten w„ den Wert von w für £ = o", x, und yi die Koordinaten des Zielpunktes, der die Ent- 344 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 22 fernung w^ vom Anfangspunkte unter dem Winkel £ hat; dann ist Xj ^= Wq cos £. üazu wird ein y^ aus der Tabelle interpoliert. Dann wird p = y^ — Wu sin «. 3- Pi- Wir drehen das Koordinatensystem um den Winkel «. Dann ergeben sich die Koordinaten der Bahn in dem neuen System aus den Trans- formationsformeln x' = X cos £ — y sin £ y' = y cos £ — X sin £. Man berechnet einige (x', y') aus der Gegend, wo der gesuchte Kurvenpunkt ungefähr liegen muß. Dann ist das zu x' = Wg gehörige y' = Pi- VI. Wünsche und Vorschläge. Wenn sich auch unser spezielles ballistisches Problem im allgemeinen mit jeder für die Praxis genügenden Genauigkeit lösen läßt, so ist die Berechnung doch so wenig einfach, daß nur ein ganz geringer Prozentsatz von Menschen, die ihr Resultat nötig haben, sie wirklich durchführen kann. Man muß deshalb in der Praxis für einen hinreichenden Ersatz suchen. i) Als ein solcher Ersatz wird in der Ballistik häufig das sog. Schwenken der Flugbahn benutzt. Es beruht im Prinzip darauf, daß die komplizierte, mathematisch vielleicht überhaupt nicht allgemein ausdrückbare Bahn, die der End- punkt von w beschreibt, durch eine einfache Kurve ersetzt wird, so daß w durch eine leichte Rechnung oder durch graphische Konstruktion schnell gefunden werden kann. So läßt das ge- wöhnliche Verfahren des Schwenkens den End- punkt von w sich auf einem Kreise mit der Gleichung x- -|- y" ^ w„-. bewegen, das Ver- fahren von Burgsdorff und Gouin auf einem Kreise mit der Gleichung x- -|- y ' -|- 2y w^ tg « =^W|j -. Diese und andere Verfahren sind teilweise noch ungenauer als Cranz (I, 232) findet, indem z. B. das Verfahren von Burgsdorff nur ein mit wachsendem t abnehmendes, kein wachsendes w kennt. Es ist indes nicht von vornherein unmög- lich, eine derartige Kurve zu finden, die wenigstens innerhalb gewisser Bereiche praktisch ausreicht. 2) Der beste Ersatz wäre die Herausgabe von Schußtafeln, die entweder nur die Koordi- naten von Bahnpunkten oder direkt die w-, p- und pi -Werte enthielten. Wir müssen hier nach den in Frage kommenden Kategorien von Be- nutzern unterscheiden. a) Die Schußtafeln für die Jagdpraxis brauchten bloß die p-W'erte zu enthalten. Ihre Herstellung ist außerordentlich erschwert durch die Unmenge von Gewehr- und vor allem von Geschoßarten , die im Handel sind. Vielleicht aber läßt sich doch nach folgenden Gesichts- punkten eine Auswahl treffen. Es müßten die p-Werte für folgende Elemente berechnet und tabelliert werden: Entfernung (Wq): 100, 200 m. Kaliber: 8; 9,3 mm. Form und Gewicht des Geschosses: Unter den Mantelgeschossen werden für jedes Kaliber etwa 2 der gebräuchlichsten ausgewählt. Anfangsgeschwindigkeit (V(| ) : Auch hier werden etwa 3 der am meisten vorkommenden Werte benutzt. Abgangswinkel {et): Gleichfalls eine Auswahl der am häufigsten vorkommenden a für die 2 ge- nannten Entfernungen. Erhebungswinkel (t): Gerechnet wird für t von 10" zu 10", anfangend mit 40". Luftgewicht: Es werden 2 oder 3 Höhenlagen über N. N. unterschieden und für jede ein mittleres Luftgewicht im Mündungshorizont angenommen. Die Wahl des Luftwiderstandsgesetzes wird bei den kleinen Entfernungen nicht von großer Bedeutung sein. Auf diese Weise bekäme man eine stattliche Anzahl von Tabellen. ^) Ob es sich lohnte, sie im Buchhandel herauszugeben, müßte erwogen werden. Jedenfalls könnten sich die Versuchs- anstalten für Handfeuerwaffen, auch die Waffen- fabriken und großen Waffenwerkstätten diese Tabellen anlegen. Jede Büchse, für die vom Be- sitzer die Kenntnis der p- Werte gewünscht würde, müßte in bezug auf ihre ballistischen Elemente geprüft werden; dann würden die p- Werte der Tabelle entnommen, die sich mit den ihr zu- grunde liegenden ballistischen Elementen denen der Büchse am besten anschmiegt. Fabriken und Werkstätten müßten die Tabelle der p-Werte jeder neu gelieferten Büchse beigeben. Auf Höhenunterschiede von ein paar Zentimetern kommt es ja in der Jagdpraxis im allgemeinen nicht an. Vielleicht ergibt sich beim Berechnen der Tabellen aber auch, daß noch größere Ver- einfachungen vorgenommen werden können; die Variationen der p-Werte sind ja, absolut ge- nommen, bedeutend kleiner als die der w-Werte. Auch kommt das heutige Streben nach Verein- heitlichung der Munition den Tabellen zugute. Wer für besondere Verhältnisse die p-Werte haben will, muß sie sich besonders bestimmen lassen. b) Bei militärischen Zwecken liegen die Verhältnisse wesentlich günstiger, weil hier in der Hauptsache nur 2 Gewehrarten in Frage kommen, die Infanterie-Gewehre M 98 S und die Maschinen- gewehre. Wir trennen hier nach Infanterie- gewehren, Maschinengewehren und Geschützen. «) Infanteriegevvehre. Hier unterscheiden wir 2 Feuerbereiche. I. Erster Bereich bis 300 m. Nur innerhalb dieses Bereiches kann ein erfolgversprechendes ') Die Anzahl der Schufitafeln würde bedeutend ver- kleinert, wenn sie nur für verschiedene t, nicht auch für ver- schiedene « aufgestellt würden und es jedem überlassen bliebe, sich für sein « die Werte selbst zu bestimmen. .\ber das kann eben nicht jeder. N. F. XIV. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 345 Beschießen von Flugzeugen und LuftschifTen statt- finden. Die Tabellen, die hier ja nur nach den e verschieden wären, brauchten bloß die p- Werte zu enthalten, weil der Fehler beim Schießen unter großen t nicht durch Änderung des Visiers korri- giert werden kann. Der idealste Schuß wäre innerhalb dieses Be- reiches der Fernrohrschuß. Er setzt allerdings die Bildungeigener„Luftwehrabteilungen"voraus;einige Leute hätten dabei nur die Messung der Entfernung und des Erhebungswinkels des Zieles vorzunehmen. Ich glaube nicht, daß es technisch unmöglich wäre, an der Stellscheibe auch die s zu berücksichtigen und schon korrigierte Stellungsangaben aufzu- tragen; wenn z. B. ein Flugzeug in einer Ent- fernung von 200 m unter e = 70" erschiene und die Scheibe auf diese Angabe eingestellt wäre, müßte der Fehler, der durch £ entsteht, am Ab- kommen schon korrigiert sein, so daß man, wenn man von der Änderung des Haltepunktes infolge der Bewegung des Zieles absieht, ins Ziel hinein- gehen könnte. Ob sich die Änderung des Halte- punktes infolge der Bewegung des Zieles nicht auch schon für gewisse Normalgeschwindigkeiten in den Angaben der Scheibe korrigieren ließe, etwa mit Hilfe einer Verschiebbarkeit des Ab- kommens nach allen Richtungen des Gesichts- feldes, wäre eine weitere technische Frage. 2. Zweiter Bereich von 300 m an aufwärts. Die Tabellen brauchten für diesen Bereich von 400 m an nur die w-Werte zu enthalten, weil hier am bequemsten doch wohl durch Änderung der Visierstellung korrigiert wird. ß) Maschinengewehre. Bereiche und Tabellen wie bei Infanteriegewehren. Beim Schuß auf hlugzeuge und Luftschiffe müßte aber die Eigen- art dieser Gewehre auch auf besondere Weise ausgenutzt werden, wodurch der erste Be- reich bedeutend ausgedehnt werden könnte. Der bisherige Typ bestreicht auf einer Ebene, die auf der Visierlinie senkrecht steht, eine Strecke. Es müßte ein neuer ,, Luftwehrtyp" konstruiert werden (auch zum Mitnehmen auf Flugzeugen und Luftschiffen), der eine Kreis- fläche bestreicht. Die Kugeln dieses Typs würden etwa in jedem Augenblicke der Flugzeit in einer auf einem Rotationskegel liegenden Spirale angeordnet sein. Die Projektion auf eine zur Visierlinie senkrechte Ebene könnte etwa eine archimedische Spirale sein. Die Windungen dieser Spirale würden um so näher beisammen liegen, je mehr Kreiselbewegungen der Lauf innerhalb derselben Zeit machte. Die Achse des Kegels könnte in den Fernrohrangaben schon auf £ korri- giert sein. Die Grundfläche des Kegels müßte nach der Entfernung willkürlich variiert werden können. Die Höhe des Kegels richtet sich nach der Geschwindigkeit des Kreiseins und der Feuer- geschwindigkeit und müßte möglichst klein ge- halten sein. Man hätte hier ein entferntes Analogon zu einem Schrotschuß. Wäre es möglich, beim Typ des doppelläufigen Maschinen- gewehres die beiden Läufe unter einem innerhalb kleiner Grenzen beliebigen gegenseitigen Winkel kreiseln zu lassen, so könnte man die beiden Schußkegel willkürlich ineinander oder nebenein- ander durch den Raum ans Ziel senden. y) Geschütze. Die Artillerie hat den außer- ordentlich großen Vorteil, daß sie sich einschießen kann, daß also Tabellen der besprochenen Art für sie im. allgemeinen nicht notwendig sind. Da aber immerhin beim Schuß auf Flugzeuge und Luftschiffe eine Zeitersparnis großen Nutzen bringen kann, wären für diesen Fall Tabellen brauchbar. Wahrscheinlich würden beim praktischen Aus- gestalten derartiger Wünsche und Vorschläge noch manche Änderungen nötig sein. — Ich weiß nicht, wieweit diese oder ähnliche Andeutungen zur Ausbildung von Abwehrmitteln gegen Flugzeuge und Luftschiffe von den Militär- behörden schon verwirklicht worden sind oder überlegt werden. Jedenfalls wird der Krieg wie in vielen Dingen so auch hier ein Neu- und Llm- lernen nötig machen. Dazu beizutragen, soweit es in seinen Kräften steht, hat jeder Deutsche die Pflicht. EntstehuiH Moorboden, und die Oescliiohte seiner Nutzung. [Nachdruck verboten.] Von Ad. Mayer. In der Kolonisation der Moore nach holländi- schem Muster entsteht der fruchtbare Ackerboden aus vier verschiedenen Bestandteilen. Der abge- baute versäuerte Untergrund, der Mutterboden, gibt die Grundlage; der Sand aus den Gräben gibt das mineralische Gerippe und dient zur Beseitigung der Frostgefahr, die auf deni Moore mit seiner geringen Wärmekapazität be- sonders groß ist, der lose Moostorf den Humus der eigentlichen Krume, und als ein viertes werden die Pflanzennährstoffe in der Form von kompostierten Fäkalien zugeführt, die zu- n Vgi. Ten Rodt gleich auch die Masse binden. 1901. (Schluß.) Die strenge Konservierung dieses Moostorfes, der, wie wir gesehen, in dem Gemisch der Träger des eigentlichen Humus ist, hat dabei die größte Bedeutung, und seitdem dieser Moostorf, der früher mehr liegen blieb, weil man ihn für die Torffabrikation doch nicht brauchen konnte, als Rohmaterial für die Torfstreufabrikation einen be- trächtlichen Wert erlangt hat, wurden in einigen holländischen Provinzen strenge Verordnungen ^) erlassen, daß beim Abgraben ein gewisses und M .1 r i s s e n , I.andb. Tijdsclir. 346 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 22 zwar nicht klein bemessenes Maß von diesem Stoffe zurückbleiben müsse, weil man sonst einer Raubwirtschaft der alierschlimmsten Art ent- gegensah. Holland ist sonst bekanntlich ein Staat mit radikal liberalislischen Institutionen, in welchem die preußische Bodenzusammenlegung (Separation), ja eine bloße Gewannregulierung, als ein un- erlaubter Eingriff in die persönliche Freiheit des Besitzers empfunden werden würde. Deshalb ist ungemein beweiskräftig für die Bedeutung dieses Bestandieils für die dauernde Fruchtbarkeit des ge- schaffenen Bodenprodukts, daß so etwas in diesem Lande durchgesetzt werden konnte. Übrigens war auch das Verbringen der Fäkalien nach den Moorkolonien für die Stadtbewohner Groningens im iS. Jahrhundert streng imperativ. Wo die Interessen der Gemeinschaft so deutlich sprechen, ging man natürlich in Zeiten eines weniger ausgeprägten Individualismus leicht zu Zwangsmaßregeln über. Besonders interessant ist auch, daß dies alles schon geschah, ehe noch die moderne Pflanzen- ernährungslehre den rationellen Ackerbau be- herrschte. Wir sehen also auch aus diesem Bei- spiele, wie schon vorher ein höchst rationeller Gebrauch der städtischen Abfallstoffe, der so oft als eine Errungenschaft der modernen Ernährungs- lehre hingestellt wird , möglich war. Nur die nähere Kenntnis der in den Abfallstoffen ent- haltenen nährenden Elemente war dieser modernen Wissenschaft, die sich an den Namen Lieb ig knüpft, vorbehalten. Und welchen ungeheuren Einfluß hat nun diese geniale Kulturmethode auf das Aussehen von Land und Leuten gehabt! — Ich spreche hier nicht von dem Einflüsse eines lukrativen Ab- satzes der städtischen Abfälle auf die Finanzen von Groningen, Leeuwaarden und anderen Städten, nicht davon, daß hier zu einer Rente ward, was anderswo eine schwer zu bewältigende Last be- deutet; denn diese Vorteile verschwinden doch in den groß anwachsenden Budgets der kom- munalen Verwaltungen, werden auch nicht gerade billig erkauft durcli das Bestehenbleiben von recht primitiven Aufsammlungsmethoden. Aber man vergleiche das Aussehen der Landstriche, wo die Kultur beendet ist, mit den ursprünglichen, noch moorbrennenden Gegenden, die ja auch in Holland, namentlich in der Provinz Drenthe (aber auch in der von Groningen) noch vorhanden sind. — Es ist ein Abstand wie von Tag und Nacht. Die I'ehnkolonien sind mehrmals in deut- scher Sprache geschildert, unter anderem vor etwa 40 Jahren durch den Hallenser Agrikultur- chemiker Märcker, der ein genauer Sachkenner war. Dem langen Hauptkanale entlang liegen, auf stundenweite Abmessungen ausgereckt, säuber- liche Dörfer und Städte. Hoogezand, Zappemeer, Pekela, Veendam, Stadskanaal, Wildervank u. a., die zum Teil, wie man sieht, selbst den Namen Kanal tragen und aus säuberlichen Wohnungen, etwas stereotyp w'ie aus einer Nürnberger Spiel- schachtel aufgebaut, regelmäßig abgeteilt durch Ouerkanäle mit Zugbrücken , bestehen. Das zu- gehörige Ackerland liegt seitlich. Neben Kanal und den kleineren , noch befahrbaren Gräben ziehen sich die beklinkerte ^) Landstraße und die Seitenstraßen. Hier ist wie in Venedig nichts von der Natur. Alles und selbst der Boden ist durch den Menschen gemacht. Nur sind es eben Dörfer und Land- städte. Die ästhetische Kunst, die in Venedig den Ton angibt, fehlt freilich völlig, aber nicht die Kunst in der niederen Bedeutung des Wortes. Alles ist nach dem Verstände geregelt, gewiß ein höchst eigenartiges Bild, zu dem man nur in ganz vom Verstände eroberten Ländern wie Amerika Analogien findet. Nichts ist von der Natur ge- geben, auch nichts dem Instinkte überlassen. Der Wert des Bodens ist natürlich in einem fast unglaublichen Verhältnisse gesteigert. Märcker, der 1874 die Gegend bereiste und genau studierte, fand schon damals einen Bodenwert von lOOO M. pro Hektar (wovon etwa 20 einen Hof ausmachen), während die gleiche Fläche zur selben Zeit im unkultivierten Zustand in Deutschland nur 60 M. wert war. Er berichtet ferner von den schönen Schulgebäuden, von der mannigfaltigen Industrie. Neben Stärkefabrikation aus dem Hauptprodukte, den Kartoffeln, auch Spiritusfabriken, Strohpappe- fabrikation (da man das gewachsene Stroh nicht zur Düngererzeugung braucht) und Schiffswerften. Man sagte mir später am Rheine, daß eine große Anzahl der auf diesem Strome fahrenden Boote in den holländischen Fehnkolonien gebaut sei. Dem entspricht natürlich auch die \'olksdicht- heit. Märcker gibt an: 10 000 Menschen auf die Quadratmeile, während die Moore in Brand- kultur äußerst dünn bevölkert waren und in Deutschland damals sogar die Seelenzahl im Rück- gang begriffen war. Und dem entspricht natürlich der Geist der Bevölkerung. — Der nüchterne Verstand herrscht vor. — Das trotzige Selbstgefühl erwächst auch da, wie auf dem dem Meere abgerungenen Klei- boden, während es auf der armen Geest, auf dem noch nicht urbaren Moore fehlt, weil da der Mensch in einer wenig übersichtlichen und daher der Phantasie Spielraum gewährenden Abhängig- keit von der Natur mehr vegetiert als aktiv lebt. — Die poetische Empfindung Gebildeter wird wie wir schon gesehen, durch das unkultivierte Moor oft mächtig angeregt, wie sich auch eine moderne Malerschule, die von Worpswede mit Namen wie Hans am Ende, O verbeck. Vogeler, in einer solchen Gegend angesiedelt hat, und von den dort erhaltenen Eindrücken zehrt. Die Nüchternheit des kolonisierten Landes erinnert dagegen mehr an die der Kleibewohner. Aber diesen gegenüber mit den von Jörn Uhl ') Klinker = bis zur klingenden Härte gebackcne Ziegel, die in dem steinarmen Lande auf der hohen Kante zur Pflaste- rung dienen. N. F. XIV. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 347 her einem großen Publikum bekannten Zügen be- steht doch auch ein greifbarer Unterschied. Dort mehr altangesessene, eigensinnige Geschlechter. Hier in den Fehnkolonien, wo man sich aus aller Welt ansiedelte, und wo, wer irgend tauglich war, ein Bestehen fand, mehr demokratischer Geist, mehr Findigkeit, kurzum ein Klein-Amerika. Da die eben geschilderte Methode der Urbar- machung auch nach dieser Darstellung geradezu als eine technische ideale erscheint, muß es wundernehmen, daß dieselbe von selten anderer Länder nicht geradezu kopiert worden ist. Und doch schlug man in Deutschland, als diese Kultur- frage in den 70 er Jahren des vorigen Jahrhunderts mit besonderer Dringlichkeit hervortrat, im wesent- lichen einen anderen Weg ein , den wir hier als den dritten zu schildern haben. Nur auf ver- hältnismäßig kleinem Terrain, z. B. in der Um- gegend der oldenburgischen Stadt Papenburg, war man in der holländischen Weise vorgegangen. In Ostfriesland aber befand sich damals beinahe noch alles im Urzustand. In dieser Zeit entstand im neugegründeten, unternehmungslustigen Reiche die große Bewegung zur Vertilgung von Moor, Sumpf und Heide, und der Verein, der sich zu diesem Zwecke bildete, zählte bald auch viele Mitglieder in Laienkreisen, die nur so viel von der Sache begriffen, daß nun endlich der leidige Moorrauch aus der Welt geschafft werden würde. Eine Ver- suchsstation eigens zu diesein Zwecke wurde ge- gründet mit einem erprobten Agrikulturchemiker, Moritz F"leischer, an der Spitze, und als dieser, jetzt schon lange ein hoher Beamter im Landwirtschaftsministerium, zunächst als Professor nach Berlin berufen wurde, erhielt er einen an der Anstalt selbst geschulten Nachfolger, Tacke, so daß die Anstalt vom Beginn bis heute immer in vortrefflichen Händen war. Und dennoch war der Weg, der hier begangen wurde, ein wesentlich anderer als der eben ge- schilderte und natürlich in Bremen, dem Sitze der Station, aufs genaueste bekannte. Hierfür ist der Grund in zwei Umständen zu suchen. Einmal war die Groninger Methode insofern veraltet, als man inzwischen den großen Fortschritt gemacht hatte, der mit dem einen Worte „Agrikulturchemie als eigene Wissenschaft" bezeichnet werden kann. Durch diese war man erstens von den städtischen Abfallstoffen, die einen wesentlichen Bestandteil der Groninger Methode ausmachen, unabhängig geworden. Man konnte die Pflanzennährstoffe auf andere und vielfach billigere Weise beschaffen, weil man durch die Entwicklung dieser Wissen- schaft erst erfahren hatte was eigentlich Pflanzen- nährstoffe waren. .'\ber außerdem hatte und hat die Groninger Methode noch einen Übelstand, der nur in einer anderen Richtung liegt, als in der von uns ins Auge gefaßten, und deshalb bisher von uns über- sehen werden mußte, nämlich, um es so auszu- drücken, in der Richtung der Zeit. Man kann durch die Kanäle, die tiefer und liefer in die kompakten Hochmoore gezogen werden, immer nur einen kleinen Teil des ganzen erschließen, und zwar nicht allein wegen technischer Schwierigkeilen oder wegen der Höhe des Kapitals, das zu einem umfassenderen Unternehmen notwendig wäre. — Der letztere Punkt ist allerdings nicht ganz un- wichtig, und offenbar hängt die frühere Lösung dieser Frage gerade in Holland mit der Kapital- kraft des wenig durch Kriege ausgesogenen und an überseeischen Einnahmequellen reichen Landes zusammen. Aber alles dies wäre ja zu überwinden, wenn man nur in großen Kreisen von dem Vor- teil derartiger Unternehmungen überzeugt gewesen wäre. Aber hier liegt eben der wunde Punkt. Diese Unternehmungen sind nur vorteilhaft, dann aber freilich sehr, wenn man ruhig die Zeit ab- wartet bis ein weiterer F"ortschritt einem wie eine reife Frucht in den Schoß fällt. Landwirtschaft- liche Urbarmachung ist in der holländischen Me- thode zusammengekoppelt mit einer anderen ge- werblichen Unternehmung, der Torffabrikation. Darin liegt ihr Vorteil, weil man so mehrere Fliegen mit einer Klappe schlägt. Darin liegt aber auch zugleich ihr Nachteil; denn landwirt- schaftliches Gelände kann es nie zu viel geben, die Brennwirtschaft möchte man überall abschaffen. Aber an Torf hat die Menschheit, die sich dieses nicht weit transporlierbaren Brennmaterials be- dient, nur einen sehr beschränkten Bedarf Und ebenso ist das Befruchtungsmittel des abgegrabe- nen Moores, sind die städtischen Fäkalien als Ab- fallstoffe nicht beliebig zu steigern. Von hüben wie von drüben stößt hier die Ausdehnung des Betriebes auf Grenzen, die durch die wirtschaft- lichen Gesetze von Nachfrage und Angebot fest gezogene sind und nur mit großen Verlusten ver- gewaltigt werden können. Sobald man die Sache jagt, droht hier die Überproduktion und der Mangel an Grundstoffen zugleich, und daher ist die Me- thode zwar gerade dem holländischen Phlegma genehm aber nicht überallhin und nicht in jedem Maßstabe übertragbar. Das ist auch der Grund, warum die alte Brennwirtschaft, selbst in Holland, wo doch die so viel radikalere Urbarmachung .seit so langer Zeit geübt wird, nicht aufgehört hat und noch bis auf den heutigen Tag fortbesteht. Das Ter- rain, auf dem sie geübt wird, schrumpft allerdings von Jahr zu Jahr zusammen. Aber stockt einmal der Torfabsatz, so wird der Fortschritt der Moor- kolonisation wieder gehemmt. Manche Terrains sind auch selbst für den biüigen Kanaltransport zu weit ab von Dünger produzierenden Städten gelegen. Kurz es bleibt ein Rest des alten Zu- standes, den man nun endgültig mit der der neuen Zeit eigentümlichen Gejagtheit und Unternehmungs- lust aus der Welt schaffen wollte. Die neue Frage war also die: Wie kann man das nicht abgegrabene Hochmoor, das namentlich in den deutschen Niederungen, wohin die hollän- dische Methode noch gar nicht durchgedrungen 348 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 22 war, in großer Ausdehnung vorhanden ist, mit den Hilfsmitteln der neuen Wissenschaft bebauen ohne Brandkultur und mit besseren finanziellen Resultaten ? Und die Antwort auf diese Frage ist der Versuchsstation Bremen unter Mitwirkung von anderen ähnlichen Anstalten, ') die nach und nach in anderen Ländern begründet wurden , in der Tat auch gelungen, indem man auf Versuchs- feldern die neuen Kunst- und Handelsdünger ver- wendete, anschließend an dortzulande schon be- stehende praktische Methoden variierte und modi- fizierte, bis endlich das Richtige gefunden war. Die Besonderheiten dieser Lösung sind natür- lich von großem landwirtschaftlichem Interesse, aber schon allgemein bekannt, daß die neuen Handelsdünger, die bergmännisch gewonnenen Kalisalze und die phosphorreichen gemahlenen Schlacken aus der Stahlfabrikation, die Asche der geschälten Moorflächen um so leichter ersetzen können , da jene an Pflanzennährstofifen hoch- prozentige Substanzen sind, die besser als mensch- liche und tierische Abfallstoffe einen weiten Trans- port vertragen. Dann wird noch viel Seeschlick, der in den Häfen der Seestädte gebaggert wird, verwendet und so für den nötigen Kalk und die bessere Konsistenz der erzeugten Krume gesorgt. Natürlich hat man außerdem auch durch Nach- ahmung der holländischen Kanalisation dafür ge- sorgt, daß der Transport erleichtert wird. Doch gilt dies nur variatis variandis; denn die Wasser- gräben und die Moorschiffahrtskanäle, die diesem Zwecke dienen, erschließen nicht das hochge- wachsene Moor vollständig, und die Entwässerung darf auch nur eine mäßige sein, da sonst eben trockener Torf und kein feuchter, anbaufähiger Moorboden zurückbleiben würde. Man bedient sich dabei einfacher Stauvorrichtungen aus Leder, die man mit dem Kahne passieren kann, da sich dieselben mit den Fährmannshaken nach unten biegen lassen. Daß solche biegsame Stauvorrich- tungen bei geringer Vorflut genügen, kann nicht wunder nehmen, wenn man bedenkt, wie selbst etwas Vegetation in den Abzugsgräben den Ab- fluß hemmen kann und aus solchen, die ent- wässernd wirken sollen, alljährlich sorgfältig ent- fernt werden muß. Auf diese Weise hat man den vorangestellten Zweck bis zu einem gewissen Grade in vielen Fällen erreicht, und jedenfalls rascher, als nach dem holländischen Vorbilde möglich gewesen wäre, wenn auch noch längere Zeit vergehen mag, bis der Moorbrand ganz der Geschichte an- gehören wird. Ganz neuerdings hat man auch mit ausgezeichnetem Erfolge die Drainierung einge- führt. Auf diese Weise wurden Dauerweiden er- zielt, die es mit guten Marschländereien gar wohl aufnehmen können. -) Daß das geschilderte Verfahren wirklich eine zeitgemäße Lösung ist, beweist, daß auch die Holländer ihrerseits bei dieser Methode wieder in die Schule gegangen sind. Sie haben Versuchs- stationen eingerichtet nach deutschem Musler, die freilich auch vielen anderen Zwecken dienen; sie haben in der Provinz Groningen und in anderen an Moorländereien reichen Provinzen die vor- handenen Kanäle benutzt zur energischeren An- fuhr von Seeschlick ') und Handelsdüngestoffen zur Meliorierung ihrer Hochmoorböden, da wo diese noch nicht ihres Torfes beraubt und in der ursprünglichen Verfassung liegen. Sie haben end- lich ihre alte Methode, die auf der Befruchtung des abgegrabenen Landes mit Fäkalien beruhte, vielfach modifiziert, und neben diesen städtischen Abfallstoffen auch jenen in unbegrenzter Menge zur Verfügung stehenden Befruchtungsmitteln Ein- gang gewährt in ihre alte, bewährte Kultur. So hat Einer von dem Andern gelernt und es sind hüben und drüben Mischformen entstanden, die nicht im einzelnen beschrieben zu werden brauchen, da sie aus den beiden dargestellten Grundprinzipien heraus leicht verständlich sind. Die Bewirtschaftung der Hochmoore nach der neuen, in Deutschland unter dem Einfluß der Pflanzenernährungslehre gefundenen Weise hat dann außerdem noch den Vorteil, daß sie für die weitere Benutzung der Moorsubstanz als Brenn- stoff nichts voreilig entscheidet. Diese brennbare Masse bleibt vorderhand unberührt liegen und unterliegt nur an der Oberfläche in ihrem wert- losestem Teile einer durch die Bebauung etwas gesteigerten Verwesung. Es wird bei ihr nicht eine beträchtliche Menge (wie bei der alten primi- tiven Brennkultur) auf brutale Weise zerstört, wo- bei nicht allein wärmespendender Brennstoff un- nütz und auf für eine weite Umgebung höchst hinderliche Weise, sondern auch der durch die Moorvegetation gesammelte Stickstoff gutenteils verloren geht. Sobald die Umstände dafür günstig liegen, kann immer noch zu dem Prozesse des Abgrabens und der völligen Urbarmachung zu gewöhnlichem Ackerbaugelände übergegangen werden. Weil die soeben geschilderte dritte Methode eine gewissermaßen abwartende war, steht sie auch einer noch neueren, erst im Entstehen begriffenen, aus ganz anderen Gesichtspunkten geborenen nicht im Wege, zu deren Beschreibung wir nun übergehen. Diese neueste Methode der Erschließung der Hochmoore für die Kultur steht im Zeichen unserer ganz modernen Zeit, in dem der Ener- getik. Beruhte die holländische Methode auf der Anwendung des billigen Wassertransportes und also auch auf der Kanalisation, im übrigen aber auf veralteter naturwissenschaftlicher Einsicht, machte die Bremer Methode von dem Fortschritt ') München, Lembach, Jönköping u. a. m. Von der schwedischen Kulturweise gab Grandeau in seinen Annal. de la sc. agricol. 1909 S. 85 eine Beschreibung. ') Deutsche landw. Tierzucht, Kebruar 1908, S. 65. ') Ktwas Schlick und auch Muscheln neben Fäkalien waren übrigens auch schon unabhängig von der deutschen Methode bei der holländischen Kultur gebraucht worden. N. F. XIV. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 349 dieser letzteren in bezug auf die Stoffe der l'flanzenernährung Gebrauch, so ist unsere Zeit und so die neueste Methode, die in ihr entstand, von der Idee des Wesens der Energie getragen. Der Ausgangspunkt dazu liegt in dem in der Mitte des vorigen Jahrhunderts von Julius Robert Mayer gefundenen und dann von Helmholtz tiefer begründeten und vielfach an- gewandten Prinzipe der Erhaltung der Kraft. Wir wissen seitdem von dem begrenzten Vorrat von Energie auf unserer Erde, von dem Zuschuß, den wir alljährlich von der Sonne erhalten, von der Verwandelbarkeit der einen Kraftform in die andere, und gegen Ende des verflossenen Jahr- hunderts hat sich die Technik dieser Ideen be- mächtigt und sucht alle Krafiformen mittels der sinnreichsten Maschinen in die jeweils tauglichste Form zu bringen. Vor allem aber traten bei diesen Versuchen die elektrischen Kräfte als die handlichste F"orm der Energie in den Vordergrund. Man kannte freilich die Elektrizität seit lange, aber sie wurde als Rarität behandelt und nur im physikalischen Unterricht wie ein seltsames Tier auf dem Jahr- markt vorgezeigt. Man kannte das Frosch- schenkelexperiment Galvani's; man erzeugte Elektrizität auf mühsame Weise durch Reibung und sammelte davon eine kleine, aber durch ihre Wirkung schon imponierende Menge in Konduk- toren oder in der Leydener Flasche. — Die Elek- trizität war teuer. Nur für den Telegraphen wurde sie schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts praktisch verwendet, weil man zum Signalisieren nur ein klein wenig dieser merkwürdigen Form von Energie notwendig hatte, die man durch die chemische Zersetzung von teuerem Zink und Mineralsäuren in sog. Batterien herstellen mußte. P.ine elektrische Lampe war damals ein Meer- wunder, weil man hierzu eine Batterie von vielen galvanischen Elementen nötig hatte, die alle Zink und Säure fraßen, und wurde nur im physikali- schen Kabinett oder bei außerordentlichen Fest- lichkeiten vorgeführt. Aber es war bewiesen: Die elektrische Kraft war nur eine Form von Energie und letztere aus jeder Form in die andere wandelbare nach einem mathematisch genau bekannten Äquivalent. Also mußte es auch billige Elektrizität geben. Sie mußte zu schaffen sein aus der Energie des fallenden Wassers, aus der Energie der Affinität der Brennmaterialien zum Sauerstoff, auch der schlechtesten, auch des Torfes, selbst der noch feuchten Moorsubstanz. — Das mußte möglich sein. Nur die Mittel mußten gefunden werden. Und man fand sie, weil man wußte, daß sie zu finden waren. Zwei Entdeckungen spielen dabei die größte Rolle, und als Förderer der Angelegen- heit ist namentlich Werner Siemens, der Be- gründer der weltbekannten P'irma Siemens und Halske und seine Brüder, die ihm an Genialität nur wenig nachstanden, zu nennen; neben ihnen freilich viele andere, so daß wir auf die Nennung aller dieser Namen verzichten müssen. Die eine bahnbrechende Entdeckung ist die der bequemen Umwandlung von mechanischer Bewegung in elektrische Energie überhaupt, wo- von das Prinzip schon lange gefunden war, dessen technische Nutzbarmachung indessen noch den Aufwand von unendlich viel Scharfsinn erheischte, die Erfindung der sog. Dynamomaschinen, die andere war die Möglichkeit der Leitung der Elektrizität auf große Abstände. Als man nämlich zuerst die Energiemenge eines Wasserfalls wie die des Niagara in Erwägung zog, da leuchtete zwar die Menge von Elektrizität, die zur Illumination von New-York ausreichen würde, natürlich ein, aber man berechnete, daß zur Leitung der erzeugten elektrischen Ströme auf solche Abstände weit mehr Kupfer notwendig wäre als selbst in den ganzen an diesem Elemente reichen Vereinigten Staaten an diesem Metalle vorhanden war. Diese eine Schwierigkeit wurde gelöst durch die Entdeckung, daß man die Leitung in der Form von Strömen von hohem Potential (hoher Spannung, zu vergleichen mit Gasen unter hohem Druck) vornehmen könne und zugleich lernte man die Ströme von hohem Potential in neuen Apparaten gebrauchen, deren Konstruktion auf dem Wechsel von negativen und positiven Strömen beruhte. Die elektrische Spannung beliebig umzuwandeln, besaß man schon längere Zeit ein Mittel durch die Bekannt- schaft mit der elektrischen Induktion, und der Ruhmkorff'sche Apparat mit den Drahtwicke- lungen diente diesem Zwecke. Damit war also diese Frage gelöst und man kann nun ohne Belästigung durch Geräusch von fallendem Wasser oder stampfenden Motoren ruhig bei der elektrischen Lampe sitzen und arbeiten, für die die nötige Energie weit entfernt von dem Benützungsort erzeugt wird. ') Man kann in der elektrischen Straßenbahn fahren, ohne den Qualm halbverbrannter Kohlen, wodurch unsere mit Dampf getriebenen Verkehrsmittel noch die Luft verpesten , mit in den Kauf nehmen zu müssen. Die elektrische Kraft ist freilich noch teurer als die Dampfkraft, denn bei den Verwand- lungen der Energie, die niemals ganz vollkommen gelingen, geht immer etwas verloren ; desgleichen bei der Leitung in die Ferne, wozu wiederum Verwandlungen nötig sind. Aber sie fällt doch ins Gebiet des wirtschaftlich Erreichbaren und mit allen diesen neuen Möglichkeiten haben wir eine Evolution unseres Wirtschaftslebens erfahren, ähnlich der, die hundert Jahre zuvor von dei Erfindung der Dampfmaschine und der Erschlie- ßung der Steinkohlenschätze ihren Ausgang nimmt; und abermals hat sich infolge davon der Zinsfuß, der sonst mit dem Reicherwerden der Menschheit die allgemeine Neigung hat, zu sinken, wieder merkbar erhöht, ein Beweis, wie bedeutend diese ') Bis 300 km in Kalifornien. 350 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 22 Anwendungen auf unser wirtschaftHches Leben wirken. Und natürlich fahndet man nach Formen der Energie auf unserer Erde, die sich leicht in Elektrizität umsetzen lassen. Zuerst das fallende Wasser. Der Niagarafall liefert schon 120000 Pferdekräfte allein an den Ufern der Union. Die Cyanidgesellschaft in Berlin, die billiger Elektrizität bedarf zur chemischen Bindung von Stickstoff bei hohen, nur auf diesem Wege er- reichbaren Temperaturen, hat bei Sebenico in Dal- matien und bei Piano d'Orta in Norditalien für ihre Zwecke solche Energiequellen erworben, die der Natur der Sache nach die wohlfeilsten sind. Denn in Deutschland selber fehlt es an hohen Gebirgen und also an großen Potentialen in der Form von fallendem Wasser, und unsere künstlichen Tal- sperren reichen entfernt nicht aus für den immer wachsenden Bedarf einer sich ins Riesenhafte ent- wickelnden Industrie. Unter diesen drängenden Umständen ist nun das Auge auf die Hochmoore gefallen, woran Deutschland reich ist, und die noch eine große Quelle von chemischer Energie darbieten, die mit den heutigen Mitteln der Technik sich leicht in andere Formen umwandeln und weithin fortleiten läßt. Nach dem Caro-Mond' sehen Verfahren kann Torf, der noch die Hälfte seines Gewichts Wasser enthält, direkt an Ort und Stelle in Gene- ratoren vergast werden, wobei noch über ^|^ des im Torfe enthaltenen Stickstoffes als Ammoniak gewonnen werden kann, und die Generatorengase zur Heizung der elektrischen Maschinen gebraucht werden können. ^) Ein zusammenhängendes Moor in Oslfriesland hat allein die Größe von 36 Quadrat- meilen, und das Burdanger Moor, das nach Hol- land hinüberreicht, ist noch beträchtlich größer. In ganz Preußen sind noch 10,2 '% Öd- und Wüst- land vorhanden. Davon sind etwa 6,4 */g oder 395,1 Quadratmeilen = 2 241 400 Hektar Moor- boden. -) Die Letzten sollen die Ersten werden. Das ') Chemiker-Zeitung 190S S. 581. ") Auch Schweden und Norwegen sind reich an Mooren, das letzterere beinahe 4 "/„ seiner Oberfläche. Vgl. das nor- wegische Moorgesetz vom 25. Juli 1913. Öde, mit Heidegestrüpp bedeckte, durch Sümpfe unzugängliche Hochmoor: eine Kraftzentrale für die Beleuchtung unserer Metropolen, für die Liefe- rung von Energie für die subtilsten Zwecke, für die rasche Fortbewegung, für den Antrieb von Arbeitsmaschinen — das ist das Ideal , das jetzt der Industrie vorschwebt, und das bald seiner Erfüllung entgegengehen w-ird. Bewährte Indu- strielle, Caro und Frank von weit ausschauen- dem Blicke haben sich da vorgespannt, so daß ein Mißlingen aus Mangel an menschlicher Energie zu den UnWahrscheinlichkeiten gehört. Und dieser Plan ist kein Raubsystem. Das abgebaute Hochmoor wird zurückbleiben als eine Mäche von weit höherem landwirtschaftlichen Nutzungswert, als es jetzt besitzt, und der Moor- rauch wird niemand mehr die Augen beizen, denn er wird seinen Weg nehmen, durch vernünftig erdachte Verbrennungsapparate, die so wenig wie möglich unbenutzte Energien entschlüpfen lassen. — An menschlicher Energie zur Verwirklichung dieser Pläne wird es nicht fehlen, und es steht zu hoffen, daß die entgegenstehenden Schwierig- keilen , die in der Sache selbst liegen und die allerdings nicht gering sind, sich als überwindbar zeigen werden. Hauptschwierigkeit ist, immer die Beseitigung des überflüssigen Wassers und gerade in dieser Beziehung hat man ganz neuerdings eine sehr wichtige Entdeckung gemacht, daß man direkt durch elektrische Einwirkung (sog. elektri- sche Osmose) den größten Teil des kapillar fest- gehaltenen Wassers abfließen machen kann. Ver- suche mit gutem Erfolge sind über dies Verfahren auch in der Umgegend von Augsburg gemacht worden und im Schweger Moor bei Osnabrück ist gleichfalls die Methode mit Erfolg durchge- führt worden. Man gewinnt jetzt pro Kubikmeter Moor 50 — 60 Kilowattstunden an Elektrizität und als Nebenprodukte 75 "'(, des in der Moorsubstanz anwesenden Stickstoffs als Ammoniaksalz, das allein schon die Kosten deckt. Auch die Torf- asche hat ja noch ihren Düngewert. Man kann die Elektrizität für 4 Pfennige die Kilowattstunde abgeben.*) ') Vgl. die Monatsschrift des Keplerbundes, Unsere Well, 1914, Dezember. Bücherbesprechimgen. Michaelis, Leonor, Die Wasserstoffionen- Konzentration. Monographien aus dem Ge- samtgebiete der Physiologie der Pflanzen und der Tiere, i. Band. XIV u. 210 Seiten mit 41 Abbildungen im Text. Berlin 1914, Verlag von Julius Springer. — Preis geheftet 8 M, gebunden 8,80 M. Über die Ziele, die in der Monographiensamm- lung verfolgt werden, deren erster Band das vor- liegende Buch bildet, sprechen sich die Heraus- geber I''. Czapek, M. Gildemeister, E. God- lewski jun., C. Neuberg und J. Parnas in der Einführung folgendermaßen aus: „Unser Be- streben geht dahin, in der deutschen Literatur unter internationaler Beteiligung eine ähnliche Monographienreihe zu schaffen, wie die von F. G. Hopkins und R. A. P 1 i m m e r herausgegebenen ,,Monographs on Biochemistry"; ihr Gebiet soll aber die gesamte Physiologie in der Ausdehnung von den Grenzen der Chemie und Physik einer- N. F. XIV. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 351 seits bis zur experimentellen Morphologie und Vererbungsforschung andererseits umfassen. Die Art der Darstellung soll in unseren Monographien streng wissenschaftlich sein; eingehende Spezial- kenntnisse werden indessen nicht vorausgesetzt. Die Monographien sollen die Einführung in einzelne Gebiete der Physiologie jedem Biologen vermitteln und dem wissenschaftlich tätigen Physiologen Ge- legenheit bieten, die Leitlinien der Forschung auch in jenen Gebieten kennen zu lernen, welche er selten betritt und doch zu seiner Lebensarbeit braucht. Tagesliteratur soll unsere Monographien- sammlung nicht werden ; es wird ihre Zwecke mehr fördern, wenn wenige, den gesetzten Zielen voll entsprechende Bände erscheinen, als wenn man dem Grundsatze von dem, der vieles bringt, hier huldigen wollte." Der bis jetzt vorliegende erste Band der Samm- lung bietet einen vielversprechenden Anfang. In meisterhafter Weise entwickelt Professor Dr. Leonor Michaelis, der Leiter des chemischen Laboratoriums des L'rbankrankenhauses zu Berlin, der gerade der zielbewußten Anwendung der physikalischen Che- mie auf die Biologie seine zahlreichen wissenschaft- lichen Erfolge zu verdanken hat, zu einem be- deutenden Teile auf Grund von eigenen Unter- suchungen den Begriff der Wasserstoffionen-Kon- zentration. Er zeigt, von welchen Faktoren die Konzentration des Wasserstoffions abhängt, in- dem er besonders darauf hinweist, daß es von Wasserstoffion freie Lösungen nicht gibt und daß Wasserstoffionen-Konzentrationen, die dem nach den üblichen Verfahren der chemischen Analyse arbeitenden Chemiker unerheblich erscheinen, für den Biologen oft von großer Bedeutung sind. Er behandelt dann „die Wasserstoffzahl der ver- schiedenen Flüssigkeiten im lebenden Organismus", ein Kapitel, dessen Lektüre gerade für die Biologen von größtem Interesse ist, da einerseits oft selbst scheinbar geringe Schwankungen der Wasserstoff- ionen-Konzentration auf das Verhalten organischer Flüssigkeiten und die in ihnen sich abspielenden Reaktionen von maßgebendem Einfluß sind und andererseits sich auch in der neuesten biologischen Literatur Arbeiten finden, die trotz sorgfältiger Durchführung im einzelnen doch ihren Zweck ver- fehlt haben, weil die Autoren mit den grundlegen- den Tatsachen der Lehre von der Wasserstoff- ionen-Konzentration nicht genügend vertraut waren. Im letzten Teil des Buches, dessen Durchsicht dank der großen praktischen Erfahrung, über die Mi- chaelis verfügt, auch dem Chemiker manchen Nutzen bringen wird, werden erstens die Methoden zur Messung der Wasserstoffionen-Konzentration, und zwar insbesondere die Gasketten- und die Indikatorenmethode, und zweitens die Methoden zur Herstellung von Lösungen bestimmter Wasser- stoffionen-Konzentration besprochen, wobei wie in dem ganzen Buche Theorie und Praxis in gleichem Maße berücksichtigt werden. Das auch in pädagogischer Hinsicht ausge- zeichnete Werk von Michaelis muß als eine sehr wertvolle Bereicherung der wissenschaftlichen Lite- ratur bezeichnet werden; Biologe und Chemiker werden an ihm in gleicher Weise ihre F'reude haben, der Biologe, weil er in ungewöhnlich reichem Maße Nutzen und P'örderung von dem Buche er- fährt, der Chemiker, weil er mit Recht stolz sein darf auf die großen Dienste, die seine theoretische Erkenntnis der Praxis der Nachbarwissenschaft schon geleistet hat und aller Voraussicht nach noch weiter leisten wird. Berlin Lichterfelde W 3. Werner Mecklenburg. Entomologisches Jahrbuch. 24. Jahrgang. Ka- lender für alle Insektensammler auf das Jahr 191 5. Herausgegeben von Dr. Oskar Krancher, Leipzig, Frankenstein und Wagner. — Preis 1,60 M. Gegenüber den früheren Jahrgängen ist der Kalender trotz der durch den Krieg geschaffenen ungünstigen Verhältnisse bedeutend erweitert. Er enthält außerdem Kalendarium Sammelanweisungen für Mikrolepidopteren und kürzere und längere Aufsätze über verschiedene Insektenordnungen, teils biologischen, teils systematischen Inhaltes. Ein kürzerer Abschnitt behandelt einige neuere Er- scheinungen der entomologischen Literatur. Den Schluß bildet eine Übersichtstabelle für die Er- scheinungszeiten von Raupe und Falter bei mehre- ren Mikrolepidopterenfamilien. Dr. Stellwaag. Wetter-Monatsübersiclit. Während des vergangenen April herrsclite in ganz Deutsch- land sehr veränderliches, überwiegend kühles, ziemlich trübes Weiler. Nachtfröste waren in allen Gegenden sehr häufig, im Weichselgebiet und weiter östlich brachten es viele Orte noch gegen Ende des Monats auf 3 bis 4 Grad Kälte. Auch die Millagstemperaturen blieben nicht selten 5Kifflcrc Tcm^erafuren cmic^srOrl« im tA^rü I9I5 I I I I I I I I I I I I I I I I I Berliner Welterbu PI unter lo, in den ersten Tagen sowie zwischen dem 10. und 14. sogar vielfach unter 5" C. Am Anfang und namentlich im letzten Monatsdrittel kam aber auch mehrmals schönes, warmes Krühlingswetter vor, das jedoch immer nur kurze Zeit 35^ Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 22 anliit'lt. Besonders waren in Ost- und Mitteldeutschland die Temperaturschwankungen seit dem 20. April sehr groß. An diesem Tage stieg das Thermometer z. B. in Berlin, Frank- furt a. O. und Landsberg a. W. bis auf 22, am 2i. April in Königsberg i. Fr bis auf 23° C, während am 23. Berlin und Kriedrichshafen nicht mehr als 6, Dresden, Magdeburg und Swincmünde nicht mehr als 5° C hatten. Die mittleren Temperaluren des Monats stimmten nord- östlich der Elbe mit ihren normalen Werten nahezu überein, wogegen sie in Mitteldeutschland über einen, in Süddeutsch- land über zwei Grad zu niedrig waren. Auch die Dauer des Sonnenscheins nahm in der Richtung von Nordosten nach Südwesten ziemlich regelmäßig ab und war im allgemeinen Durchschnitt von der normalen nur wenig verschieden. Bei- spielsweise hatte Berlin im ganzen 164 Stunden mit Sonnen- schein, während hier im Mittel der früheren Aprilmonale 167 Sonnenscheinstunden verzeichnet worden sind. Niederschläge kamen während des ganzen April sehr häufig, jedoch in recht verschiedenen Mengen vur. Bis zum II. war das Wetter in der westlichen Hälfte Deutschlands meist trübe und regnerisch, während es östlich der Elbe einen l^iodfcr^c^Ta^^el^cn in t^^ril 1915. /VlltHererWertrüp Peufschland. tthhÜJiiaitt+iai °i I I I I I ' ' ZS.'bis 30. April [ [ i LLll Ü J_Li 1_ Br-IinerWttttrkui sehr veränderlichen Charakter hatte. Vom 5. zum 6. fielen z. B. in Kiel 21, in Worms 30 mm Regen, in den nächsten Tagen entluden sich namentlich auf dem Gebiete zwischen Elbe und Weichsel zahlreiche Gewitter, die von starken Regenfällen, verschiedentlich auch von Hagel- oder Graupel- schauern und zuletzt von Schneefällen begleitet waren. Seit dem 12. April ließen die Niederschläge im größten Teile des Landes nach, nur in Schlesien und dem Königreich Sachsen blieben sie ziemlich ergiebig. .\m Abend des 20. setzten in Bayern, Sachsen und Thüringen neue Gewitter mit Regenfällen ein, die sich allmählich nordostwärts bis etwa zur Oder hin ausbreiteten. In den nächsten Tagen , bis zum 25., gingen im Süden und östlich der Elbe langanlialtende, starke Regengüsse hernieder, die an vielen Orten mit Schnee- fällen abwechselten. Darauf trat größtenteils trockenes, heiteres Wetter ein, das bis zum Schlüsse des Monats nur durch ver- einzelte leichte Regenfälle unterbrochen wurde. Die Nieder- schlagsumme des April ergab sich für den Durchschnitt aller berichtenden Stationen zu 40,6 mm und zwar um 4 mm kleiner als die Niederschläge, die die gleichen Stationen im Mittel der früheren Aprilmonale seit 1S91 geliefert haben. Die allgemeine Anordnung des Luftdruckes in Europa blieb sich während längerer Zeitabschnitte ziemlich gleich. Im allgemeinen wurde der Norden von mehr oder weniger tiefen Barometerdepressionen durchzogen, die meistens auf dem Nord- meer auftraten und durch Mitlei- oder Südskandinavien nach Nordrußland wanderten. Dabei befanden sich barometrische Maxima meistens in Südwesteuropa, nicht selten auch zwischen Ungarn und Südrußland, so daß die Winde in Deutschland zwischen südwestlicher, westlicher und südöstlicher Richtung oftmals wechseln mußten. Erst gegen Ende des Monats drang das südwestliche Maximum nach Großbritannien vor und breitete sein Gebiet von dort aus über ganz Deutschland aus, wo sich daher überall ruhiges, trockenes Welter einstellte. Dr. E. Lcfl. Anregungen und Antworten, Herrn Alfred Brunner, Zürich. — Inwieweit für jedes einzelne Entwicklungsstadium spezifische optimale Nährstoff- zusammensetzungen notwendig sind, ist im einzelnen nicht untersucht und wird auch wohl schwer festzustellen sein. So- lange sich der Keimling auf Kosten des Samens entwickelt, sind die Ernährungsverhälmisse natürlich andere als später, wenn die Keimpflanze imstande ist, sich selbst ihre Nährstoffe zu bereiten. Vom Keimpflanzenstadium bis zur Kruchtbildung kann man eine Pflanze in einer Nährlösung von ein und der- selben Zusammensetzung aufziehen. Wenn in den einzelnen Entwicklungsabschnitten die Pflanze vielleicht darauf ange- wiesen ist, die Zusammensetzung der Nährstoffe in der Weise abzuändern, daß einmal mehr Kohlenhydrate, das andere Mal etwa mehr Eiweißsloffe notwendig sind, so regell sie das selbst, sobald alle notwendigen Salze im Boden vorhanden sind, — Daß man durch künstliche Eingriffe, also durch Abänderung der ,, normalen" Bedingungen die Entwicklung beeinflussen kann, lehren zahlreiche Untersuchungen, u. a. hat Klebs ge- zeigt, daß man Blutenpflanzen zum dauernd vegetativen Wachs- tum zwingen kann. Ob die Blütenbildung abhängig von be- sonderen blütenbildenden Stoffen, oder von der ((uantitativen Zusammensetzung der vorhandenen Nährstoffe ist, ist mit Sicherheit immer noch nicht aufgeklärt. — Aus der landwirt- schaftlichen Praxis wissen wir, daß beispielsweise allzureiche Stickstoffdüngung die Reife der Kulturpflanzen verlangsamt, dagegen das Kraut üppig wuchern macht, während reichliche Phosphordüngung das Gegenteil bewirkt. — Das Kehlen auch nur eines der notwendigen Nährsalze im Boden hat eine Degeneration und schließliches Absterben der Pflanze zur Folge. Zu diesen notwendigen Salzen gehört auch das Cal- cium, dessen Mangel sich schon durch die kümmerliche F^nt- wicklung der Keimpflanzen geltend macht. Abgesehen von dieser unmittelbaren Wirkung des Calciums auf die Pflanze, pflegt eine Kalkdüngung noch eine mittelbare Wirkung aus- zuüben. Die Kalidüngemittel werden durch den Kalkzusatz leichter aufgeschlossen und außerdem dient der Kalk zur Lockerung des Bodens. Literatur: Klebs, Willkürliche Entwicklungsänderungen bei Pflanzen. Jena 1903. — Goebel, Einleitung in die ex- perimentelle Morphologie der Pflanzen. Leipzig 190S. — Jost, Vorlesungen über Pflanzenphysiologie. 3, .Auflage, Jena. — Gräfe, Ernährungsphysiologisches Praktikum der höheren Pflanzen. Berlin 19 14. — Wagner, Anwendung künstlicher Düngemittel im Obst- und Gemüsebau. 4. Auflage. — Sorauer, Handbuch der Pflanzenkrankheiten. I. Band. 3. Auflage. Berlin 1909. Wächter. Berichtigung. Das in Nr, 12 der Nalurw. Wochenschr. (1915) besprochene Buch von Sinram, ,,Die Welt der höheren Erkenntnis und Überzeugung", ist bei Conrad Behre in Hamburg verlegt (nicht, wie dort irrtümlich ange- geben ist, bei Grefe u. Tiedemann). Red. Inhalt; .Müller: Über das Schießen gegen Flugzeuge und LuflschiMe (mit 3 .Abbildungen!. Mayer: Moorboden (Schluß). — Bücherbesprechungen: Michaelis: Die Wasscrsloffioncn-Kon.'entiation. L^nlomologisches Jahrbuch, — Wetter- Monatsübersicht (mit 2 .Abbildungen), — Anregungen und Antworten. — Berichtigung. Manuskripte und ZuscbriftCD werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 14. Band; ganzen Reihe 30. Rand. Sonntag, den 6. Juni 1915. Nummer 23. Die ausgestorbenen Maskarenenvögel. [Nachdruck verboten.] In unserer für Naturschutz so begeisterten Zeit ist es am Platze, hin und wieder zu erinnern, wie viel Tiere schon durch den Menschen aus- gerottet wurden. Nicht bloß großen und uns ge- fährlichen Geschöpfen, den Raubtieren und manchen, in ihren Bewegungen plumpen Säugern, Mit 15, davon einigen neu aufgefundenen Abbildungen. Von Prof. Dr. S. Killermann-Regensburg. sicher, daß auf den Maskarenen mehrere ver- schiedene Vogelarten vorkamen, die zum Teil ver- wandt waren, zum Teil ganz verschiedenen Gruppen angehörten und die ich im folgenden vorführen möchte. Wer weiß, ob infolge der kriegerischen Wirren nicht auch noch die letzten Dokumente, sondern auch Vögeln und nicht etwa nur solchen, die von diesen ausgestorbenen Lebewesen exi- die ob ihrer Schönheit des Menschen Aufmerk- stieren, zugrunde gehen I samkeit auf sich ziehen, ist dieses traurige Los zu teil geworden. Neben dem bekannten, vor etwa 50 Jahren ausgestorbenen Riesenalk genießt die Dronte wohl am meisten eine gewisse Be- rühmtheit, die mit einigen anderen ihres Ge- schlechtes bis in die letzten Jahrhunderte herein auf den Maskarenen (den Inseln Mauritius, Bourbon und Rodriguez) im indischen Ozean ihr Leben fristete. Kurze Zeit, nachdem diese Inseln von den schiffahrenden Europäern angelaufen waren, sind die genannten Vögel verschwunden, im wirk- lichen Sinn ausgerottet worden. So spärlich sind die Reste, die sich in Museen erhalten haben, und die Nachrichten über sie, daß sich nur mit Mühe ihre Artzugehörigkeit feststellen läßt. Über die ausgestorbenen Maskarenenvögel be- steht eine ziemlich reiche Literatur; besonders I. Die Dronte oder der Dodo von Mauritius (Didus ineptus L.). A. Reiseberichte. Viele Reiseberichte des 17. Jahrhunderts er- wähnen einen truthahnartigen, flügellosen Vogel, der auf Mauritius vorkam und leicht von den Seefahrern gejagt werden konnte. Obwohl die Insel schon 1505 durch den Portugiesen Pero Mascarenhas entdeckt worden war, ist doch das ganze 16. Jahrhundert hindurch von dem selt- samen Vogel keine Rede. Erst die Holländer, die unter Admiral Jacob van Neck am 17. Sept. 1598 auf der Reise nach den Molukken an die Insel Mauritius verschlagen wurden, brachten die Kunde von der Dronte nach Europa. Sie englische Forscher behandelten dieses Thema, mannten sie anfangs Walghvogel, später Dod- H. E. Strickland u. A. G. Melville,') ^ R. Owen'-) u. E. Newton,^) ferner der Hol- länder H. Schlegel*) und einige deutsche Ge- lehrte Gg. v. Frauenfeld,*) C. G. Carus?,") F. C. Noll,') P. Schulz**) usw. Es ist nun 1) Das Hauptwerk hat den Titel: The Dodo and its Kindred; or the history affinities and osteology of the Dodo, Solitaire and other extioct Birds. London 1848. Verschiedene kleinere Arbeiten siehe bei v. Frauenfeld S. 13. ■') On the osteology of the Dodo. Transactions of the Zoological Society of London. Vol. VI (1869). ') Transactions of the Zoolog. Society wie ^) u. Philo- soph. Tr. of Royal Society of London. Vol. 15S (1870). *) Over eenige uitgestorvene reusachtige Vogels van de Verslagen en Mededeelingen der k. aersen. Der Reisebericht des J. Neck lautet: „Die vorgenannte Insel Mauritius ist nie bewohnet, ist auch nie bewohnt gewesen, so viel wir haben merken können, sintemalen wir manche Reise aufs Land getan, aber doch kein Volk haben finden oder spüren können; auch konnten wir aus der Zahmheit der Vögel abnehmen, daß es ein unbewohntes Land sein müßte, dieweil man dieselben mit Händen in großer Menge fangen und ergreifen konnte. Gemeldte Insel ist sehr fruchtbar und hat überflüssig viel Gevögel, als nämlich Turteltauben in großer Menge, also daß unser drei Personen auf einen Nachmittag ge- Mascarenhas Eilanden. .. ^^.. . — ^ — - Akademie van Wetenschappen. Zwende Deel. Amsterdam fangen haben : 1 50 Turteltauben, und SO man mehr 1S58. '■') Neu aufgefundene Abbildung des Dronte und eines zweiten kurzflügeligen Vogels, wahrscheinlich des poule rouge au bec de becasse der Maskarenen usw. Wien 1868. ") Leopoldina, Organ der k. Leop. Caroling. deutschen Akademie der Naturforscher, Heft VI (Nr. 5—8) März 1S68 (Dresden), p. 53 — 68: Pr. R. Owen's Osteologie der Dronte (Didus ineptus L.). Der Artikel scheint vom Herausgeber C. G. Carus zu sein. p. 69, eine Nachschrift von Dr. Behn. ') Die Veränderungen der Vogelwelt im Laufe der Zeit. Senckenbergische naturf. Ges. in Frankfurt a. M. Bericht vom Jahre 1889, S. 77—143. ") Wiss. Beilage zum Programm (Nr. 109) der 2. städt. höheren Bürgerschule zu Berlin. Ostern 1892. hätte mögen tragen, hätten wir noch mehr mit den Händen greifen und mit Stöcken zu tot schlagen können. Es hat auch viel graue Papageien und andere desgleichen; sind daselbst auch noch viel andere Vögel, die so groß seien als bei uns die Schwanen mit großen Köpffen und haben auf dem Kopf ein Fell gleich als wenn sie den Kappen darauf hätten, sie haben keine Flügel; denn an dem Ort, da die Flügel stehen sollten, haben sie drei oder vier Schwanzfederlein und, da der Schwanz stehen sollte, haben sie vier oder fünf 354 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 23 kleine gekrümmte Flaumfedern, sein von Farbe gräulich. Wir nennen sie Walghvögel, erst- lich aus der Ursache, daß je länger sie gesotten werden, je zäher sie zu essen waren ; jedoch war der Magen samt der Brust ganz gut. Darnach auch darumb, daß wir die Menge und Überfluß der Turteltauben konnten bekommen , welche freilich besseren und lieblicheren Geschmackes sind". ') Der Bericht ist auch mit einigen Holz- schnitten, wenigstens in der Ausgabe von Levin Hulsius (s. Anm.) ausgestattet und ist wegen seiner Originalität sehr ansprechend. Im Jahre 1602 spricht Jac. v. Heemskerk von Wallichv'ogels, 1602 W ilh. v. West- Zan en von Dodaarsen oder Dronten, ebenso 1606 Corn. Mate lief und 1607 Steph. van der Hagen (nach Strickland a. a. O.). P. W. Verhu ffen, der in der Zeit zwischen 1607 und 1612 auf Mauritius weilte, bringt eine neue Beobachtung, aus der wir ersehen, daß die Vögel schon etwas kecker dem Menschen entgegentraten, als ein Jahrzehnt vorher zu Neck 's Zeiten. Der Heraus- geber des Tagebuches Verhu ffen 's sagt: „Die Totersten oder Walckvögel haben sie mit den Händen gegriffen, mußten sich aber wohl fursehen, daß sie sie nicht mit den Schnäbeln, welche sehr groß, dick und krumm seyn, etwan bei einem Arm oder Bein ergriffen, denn sie ge- waltig hart zu beissen pflegen." ") Im Jahre 16 19 landete W. Vsbrand Bon- tekoe an der Ostseite der Insel Mauritius, nach- dem er eine gefahrvolle Fahrt überstanden, und setzte vierzig seiner Leute, die an Skorbut er- krankt waren, zur Erholung ans Land. Er suchte dann für sein Schiff einen besseren Ankerplatz, wo sich auch eine Fülle von Gänsen, blauen Holz- tauben, grauen Papageien und anderen Vögeln bot, außerdem von Schildkröten. „Wir nahmen," berichtet er, „von all diesen Tieren, soviel wir wollten; denn sie flüchteten nicht. Es gab auch eine andere Art von Vögeln, die kleine Flügel hatten, aber nicht fliegen konnten und so fett waren, daß sie den Schwanz auf der Erde nach- zogen; kaum daß sie gehen konnten. Was uns aber viel Vergnügen bereitete, war dies: wenn wir einen Papagei oder anderen Vogel gefangen hatten und ihn zum Schreien reizten, dann ver- sammelten sich alle anderen, die das hörten, in der Runde, um den Genossen zu befreien, und ließen sich fangen. Wir kehrten auf das Schiff zurück mit einer Menge dieser Vögel, und ein jeder war sehr erfreut über dieses Erlebnis." ") ') Nach Levin H ulsius, Ander Schiffahrt in die Orien- talische Indien, so die holländische Schieff 1598 — 1600 ver- richtet; Edit. III, Frankfurt a. M. 1615; I. Bd., p. 12 u. 13. ■•') Eylfüer Schiffahrt ander Teil od. Kurtzer Verfolg u. Continuierung der Kcyse, so von den Hell- u. Sceländern in die Ost Indien mit neun grossen u. vier kleinen Schiffen von 1607 biß in das 1612. Jahr unter der .Xdmiralschaffl Peter Wilhelm Ve rhu ff cn verrichtet worden etc. zusammengebracht von Joh. Verkens. Frankfurt 1613, p. 50 u. 51. ') „Nous y trouvämes aussi quanlitc d'oyes, de ramiers, de perro 573) abgebildet. Das Werk entstand in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts und die Dronte- darstellungen können nur Überarbeitungen früherer Bilder oder aus dem 'Gedächtnis gemalt sein (Abb. 6 a u. b). Am auffälligsten ist das zweite hier vorgeführte Bild, welches an Herbert's Zeichnung (s. o.) oder an den Plolzschnitt bei Neck (s. V. Frauenfeld, Taf. III, Fig. 10) anklingt und uns so recht die Hilflosigkeit des nun längst ausgestorbenen Vogels zur Anschauung bringt. Abb. 6. Zwei Bilder von drontenartigen Vögeln: a) weißrötlich ; b) rot mit weißen Flügeln und Schwanzfedern. Aus dem Codex Rari IX der Bibl. Nazionalc in Florenz. (Nach Phot. des Verf.) Die in den verschiedenen naturgeschichtlichen Werken des iS. und 19. Jahrhunderts gegebenen Drontebilder sind meist Wiederholungen der uns jetzt bekannten älteren Darstellungen; so der Stahlstich in Be chstei n's Vogelkunde. Blain- ville'-) gibt den Kopf und Schnabel der Dronte grünlich, die Augen blau mit schwarzem Stern, die obere Schnabelspitze schwarzbraun mit gelb- roten Flecken, die untere bläulichschwarz. P^s dürfte hierbei ein wenig Phantasie mitgespielt haben. Das im Berliner Museum für Naturkunde auf- gehängte Ölbild der Dronte'') wurde 1848 von Weitsch gemalt (s. Noll a.a.O., S. 118). Als Vorlage soll das im Haag befindliche Savery- sche Gemälde gedient haben, mit dem aber das Berliner Bild meines Erachtens wenig Ähn- lichkeit hat. Der Schnabel ist ganz unrichtig wiedergegeben und die Schwanzfedern fehlen voll- ständig. Diese Dronte hat sehr viel Ähnlichkeit mit irgendeinem Pinguin (freilich ohne Schwimmhäute). ') Oflicium B. M. Virginis, 4 tomi. Kari IX. Biblio- theca nazionale, Firenzc. ^] Memoire sur le Dodo elc. Xouvelles Annales du Mu- seum d'Hi-stoire naturelle Tom. IV. Paris 1835. PI. 1. ^1 Pine Reprodukiion bei Schulz a. a. O. S. 26 Fig. 5. (Schluß folgt.) N. F. XIV. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 361 Kleinere Mitteilungen. Das Fluoreszenz erregende Lignum nephriticum. Die Fähigkeit der Roßkastanienrinde, Wasser fluoreszierend zu machen , so daß es bei auf- fallendem Lichte schön blau erscheint, ist wohl allgemein bekannt. Der Stoff, der die Fluores- zenz hervorruft, ist ein Glykosid, das Äsculin. Ahnlich wirkende Verbindungen treten in vielen anderen Pflanzen auf. Prof. H. Harms führt 17 F'amilien auf, in denen, zum Teil bei mehreren Gattungen und Arten, fluoreszierende Stoffe auf- treten. Harms weist darauf hin, daß solche Pflanzen oft zugleich therapeutische Wirkungen haben; beachtenswert ist besonders das wieder- holte X^orkommen von Scopolin (Methylaesculin) bei den an Gift- und Arzneipflanzen so reichen Solanaceen. Die Heilwirkung des Chinins bei Malaria ist mit der Fluoreszenz seiner Lösungen in Verbindung gebracht worden, weil man be- obachtet haben will, daß unter dem Einfluß fluoreszierender Stoffe gewisse Gifte und patho- gene Toxine ihre Eigenschaften verlieren. Fluo- reszierende Eigenschaften besitzt auch ein unter dem Namen Lignum nephriticum bekanntes Holz, das in früherer Zeit gegen Nieren- und Blasen- krankheiten angewendet wurde. Es wird zuerst 1569 von dem gelehrten Arzte Nicolas Mo- nardes in Sevilla erwähnt, der angibt, daß das Holz schon längere Zeit in Neu-Spanien (IVlexiko) gegen Blasenkrankhciten benutzt worden sei, und daß es sich leicht an einer ganz besonderen Eigen- schaft erkennen lasse: ein wässeriger Aufguß davon nehme nämlich eine sich allmählich ver- tiefende azurblaue Farbe an, obwohl das Holz selbst weißlich sei. Weiter haben Francisco Hernandez, Arzt am Hofe Philipps IL, und der Dominikaner Francisco Ximenes (1615) über das Holz berichtet, und die Kenntnis seiner wunderbaren Eigenschaften verbreitete sich über Europa. Die Blaufärbung des Wassers durch das Holz ist zuerst von Caspar Bauhin und Athanasius Kircher ausführlicher beschrieben worden; die erste genaue wissenschaftliche Be- schreibung der optischen Erscheinung gab Robert Boyle. Auch Newton experimentierte mit dem Holze und versuchte eine Erklärung des Phänomens, und ebenso erwähnt es sein großer Gegner Goethe in seiner „Farbenlehre". Un- erforscht blieb aber sehr lange Zeit die Natur der Stammpflanze. Nur Cesalpini wagte die Vermutung, daß es in die Gattung Fraxinus ge- höre, weil auch die Eschenrinde eine Blaufärbung des Wassers verursacht. Demgemäß stellte es Bau hin in seinem Pinax (1623) unter Fraxinus. Der Ausdruck Lignum nephriticum soll von Parkinson (1640) herrühren. Im Jahre 1(151 äußerte der Comnientator des Hernandez, Johannes Terrentius, zum ersten Male die Ansicht, daß das Holz zu den Leguminosen gehöre. Dagegen nahm der Londoner Arzt L. Plukenet an, daß die Pflanze in die Nähe der ostindischen Capparidee Moringa pterygo- sperma Gaertn. gehöre, die man damals Moringa Lentisci folio nannte. Trotz der Unwahrschein- lichkeit dieser Annahme ist sie in viele spätere Werke übergegangen, und auch Goethe spricht von dem nephritischen Holze der Guilandina Linnaei, d. h. eben der Moringa pterygosperma. Stapf hat indessen gezeigt, daß diese Pflanze nicht in Betracht kommt, sondern daß das Holz aller Wahrscheinlichkeit nach von der mexikani- schen Leguminose Eysenhardtia amorphoides H. B. K. herstammt, und diese Angabe wird jetzt von Harms bestätigt. Die von Mo eller auf- gestellte Vermutung, daß die Stammpflanze ein Pterocarpus sei, trifft nicht zu. Indessen liefern Arten der Leguminosengattung Pterocarpus das von den Philippinen stammende Lignum nephri- ticum philippinense (Lignum Pterocarpi pallidi), das wie das echte Lignum nephriticum die Blau- färbung gibt. Moeller hat die Erscheinung bei dem Holze verschiedener Pterocarpus-Arten be- obachtet; auch Beobachtungen von Brick liegen vor, und ebenso hat Harms die Fluoreszenz bei einem Pterocarpus wahrgenommen. Es gibt noch eine dritte Art „nephritischen Holzes", das schwarze Lignum nephriticum brasiliense, als dessen Stammpflanze eine Bignoniacee namhaft gemacht worden ist, das aber nach Moeller vielleicht von einem brasilianischen Pterocarpus stammt. (Verhandlungen des Botanischen Vereins der Provinz Brandenburg, Jahrg. 56, 1914, S. 18.^ bis 197) F. Moewes. Der Matte- oder Paranatee, ein die Gesundheit förderndes Genußmittel. Als die spanischen Missionare zu Beginn des 6. Jahrhunderts nach dem neuentdeckten Südamerika kamen, um sich in den noch heute als „Missionsgebiet" bekannten Zonen der Indianer- Katechese zu widmen, taten schon ihre ersten Berichte einer Pflanze Erwähnung, deren Blätter die Eingeborenen auf ihren Nomaden- zügen zu kauen pflegten, um sich, besonders wenn Hunger sie plagte, bei Kräften zu erhalten, .'\utoren des iS. Jahrhunderts berichten von periodischen Ausflügen, auf denen die Kinder der Wildnis — wie wir Kulturmenschen Bäder und Heilquellen — gewisse Waldungen aufsuchten, um durch den Genuß eines Tees, den sie aus den Blättern und Schößlingen eines dort vorkommenden Baumes herstellten, ihre Krankheiten zu bekämpfen und verlorene Kräfte wiederzugewinnen. In neuerer Zeit endlich haben Hunderte von Reisenden, die Südamerika besuchten, nachdrücklich darauf hin- gewiesen, daß die oft geradezu fabelhafte Wider- standsfähigkeit gegen Anstrengungen und Ent- behrungen, die trotz ungeeigneter Lebensweise (reiner F^leischdiät) besonders bei den Gauchos in ursächlichem Zusammenhang mit der Tatsache 362 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 23 stünde, daß diese Leute statt des Alkohols be- deutende Quanten eines Tees genießen, welcher — in einem Beutelchen am Gürtel getragen — geradeso zu ihrer Ausrüstung gehört, wie Rollen- tabak und Maisblätter für die unentbehrliche Zigarette. Heute wissen wir, daß es sich bei all diesen Berichten um den nämlichen Baum, die Ikx f^aragiiariiiisis St. H iL, und um den Auszug oder Aufguß aus seinen Blättern handelt, die ge- trocknet unter dem Namen Herva- oder Yerba- matte bekannt sind und in Deutschland nach den Ursprungsländern als Brasil- oder Paranamatte bezeichnet werden. Was nun zunächst die Schreibweise „Matte" betrifft, so teilte man mir auf meine Anfrage bei dem Bevollmächtigten des brasilianischen Ackerbau- ministers mit, daß die richtige Schreibweise „Matte" sei, die französische „mate". Auch der bekannte Deutsch-Brasilianer Heinrich Schüler schreibt in seinem interessanten Werke ,, Brasilien, ein Land der Zukunft" (Stuttgart, Deutsche Verlags- anstalt, 1912. S. 294) „Matte" und nicht „Mate" oder „Mate". Ferner fand ich auch in dem portu- giesisch geschriebenen Berichte des A. J. de MacedoSoares (Rio de Janeiro 1875) „O Matte do Parana" die von mir vertretene Schreibweise. Der Matte ist das Nationalgetränk der Gauchos, welche Rio Grande do Sul, Teile Argentiniens, Paraguay sowie den Süden Boliviens bewohnen, .^ber darüber hinaus ist der Matte das unentbehr- liche Lieblingsgetränk aller Südbrasilianer, Argen- tinier und Chilenen geworden. Es gibt wohl kaum ein anderes Getränk, welches seine Beliebt- heit so mit Recht verdient wie der Matte. Er bildet ein die Gesundheit förderndes Genußmittel, schon an und fürsich eine seltene Ausnahme. Ohne die Her\a-Matte wäre das Leben auf den Kampos Südamerikas, bei der dort vorherrschenden Fleischnahrung, kaum möglich, sie befördert die Verdauung, be- ruhigt die Magcnnerven, unterdrückt das Hunger- gefühl ohne jedoch die Eßlust zu beeinträchtigen und wirkt ungemein durststillend. Heiß genossen erwärmt der Matte in wohltuender Weise, kalt erfrischt er wie kaum ein anderes Getränk. Der Europäer muß sich zunächst an den etwas herben Geschmack dieses Tees gewöhnen, aber wer ihn einmal schätzen gelernt liat, mag ihn nicht mehr missen und verzichtet gern auf den weichlichen schwarzen Tee. „Es ist zu bedauern", sagt H.Schüler, ,,daß dieses vorzügliche Getränk in Europa noch so wenig bekannt ist. Für alle, die an nervösen Magenbeschwerden leiden, für stillende Frauen, für Soldaten, welche große Strapazen bei mangel- hafter oder schwer verdaulicher Ernährung zu er- tragen haben, ist er von unschätzbarem Werte. Es dürfte ititeressieren, die Zubereitung.sart kennen zu lernen, welche die Südamerikaner seit Menschengedanken bevorzugen: Kommt man in Paranä, Sao Paulo, Matto Grosse, Santa Catharina, Rio Grande do Sul, Paraguay oder Argentinien in ein Haus, und wäre es die ärmlichste Hütte eines nomadisierenden Gaucho oder eines halb- wilden Indianers, das erste ist stets, daß dem ,, Caballero" eine Tasse „Yerba" angeboten wird. Auf die nie verlöschende Glut werden schnell einige Zweige gelegt und ein Gefäß mit Wasser über dns Feuer gehängt. So viel pulverisierte Matteblätter, als man zwischen zwei Fingern halten kann, werden in eine Tasse oder eine kleine Kalabasse — Cuja genannt — getan, dann heißes Wasser darauf gegossen, und das Getränk ist fertig und kann sofort genossen werden. Man saugt dasselbe vermittels eines Röhrchens — die sog. Bombilla — , welches am einen Ende ge- schlossen, bauchig erweitert und mit Löchern versehen ist, um das Eindringen der Blattstückchen zu verhindern, ein. Bei uns wird der Matte genau wie chinesischer Tee zubereitet und getrunken. Den fertigen Tee versetzt man, je nach Geschmacksneigung, mit Zucker, Milch, Sahne oder Zitrone; auch Vanille ist, wenigstens für die Übergangszeit, von manchen sehr geschätzt. W'er will, kann auch Rum oder Arrak zusetzen. Natürlich kann man den Tee auch ohne Zusatz genießen. Die Ergiebigkeit ist eine große; ein zweiter und dritter Aufguß, der gemacht werden kann, beeinträchtigt den Ge- schmack des Tees nicht. Kürzlich brachte O. Rammstedt (Pharmaz. Zentralhalle 5(). 29 [191 5' und Zeitschr. f. ärztliche Fortbildung II, Nr. 20 11914!,) zwei Mitteilungen über Matte, denen folgendes entnommen sei: Seine Bedeutung verdankt der Matte dem Umstände, daß er einen dem Koft'ein ähnlichen oder gleichen Körper, Mattein genannt, enthält, der wahrschein- lich infolge seiner Bindung mit anderen Körpern oder auch seines besonderen Gerbstoft'es wegen eine andere Wirkung hat als das Kofifein des ge- wöhnlichen Tees. Vielleicht sind auch mehrere Purinderivate gleichzeitig nebeneinander im Matte vorhanden. Tatsache ist, daß Matte eine bemerkenswerte Anregung hervorruft, ohne aufzuregen, er hat dem schwarzen Tee gegenüber den Vorteil, nicht nar- kotisch zu wirke n. Von siebzehn verschiedenen Matteproben des Großhandels (Kaufmuster der „deutschen Matte- industrie zu Köstriz in Thüringen"), gute Durch- scimittsmuster, sind folgendes die Niedrigst-, Höchst- und Durchschnittszahlen: Wassergehalt = 7,18 — 13,04";,,, Durchschnitt 9.40 "/'(,; Matteingehalt in der Trockensubstanz = 0,71 — 1,56"/,,, Durchschnitt = I,i9"/ii; Protein- gehalt (NX6,23)= 13,18 — 19,50 "/o, Durchschnitt = 15,79%. Das in heißem Brunnenwasser Lös- liche, genannt „wässeriges Extrakt" (berechnet auf Trockensubstanz) beträgt 34,20—48,63 "/„, Durch- schnitt = 38,81 "'„. Zwei von mir nach denselben Methoden anaylisierte Sorten chinesischen Tees enthielten 10,30 und ii.Sö"/,, Wasser und 3.42 bzw. 3"',, Koffein und 40,27 bzw. 87,66 "/„ wässe- riges Extrakt (^berechnet auf Trockensubstanz). N. F. XIV. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 363 Zwei verschiedene Sorten gebrannter Kaft'ee ent- hielten 3,09 bzw. 4,50 ",(, Wasser und 1,69 bzw. i,69''/ii Koftein und 32,13 bzw. 3i,io"/f, wässe- riges Extrakt (berechnet auf Trockensubstanz). Während also im Wasser- und Extraktgehalt zwi- schen Matte und chinesischem Tee kein augen- fälliger Unterschied besteht, ist im Gehalt an Maltein bzw. Kofiein eine bedeutende Differenz vorhanden, die zugunsten des Mattetees spricht. Der Mattein- bzw. Koffeingehalt des Mattes und des gerösteten Kaffees unterscheidet sich weniger voneinander, er ist im Kaffee etwas höher, dagegen ist der Extraktgehalt des gerösteten Kaffees wesent- lich geringer. Gesetzt den Fall, der Kofieingehalt des Kaffees und der Matteingehalt des IVIattes wäre derselbe, so würde eine Tasse Kaffee, her- gestellt aus ',2 Lot = 7,5 g natürlich bedeutend mehr Koffein enthalten als eine Tasse Matte, her- gestellt aus 0,39 g Matte auf eine Tasse = i ge- häufter Teelöft'el voll (1,57 g) auf i Liter Wasser. Unter diesen Verhältnissen würde eine Tasse guter Kaffee die 19 fache Menge Koffein enthalten wie eine Tasse guter Matte an Maltein enthält; ferner würde eine Tasse Kaft'ee 3 Pf kosten, während eine Tasse Matte auf 0,3 Pf zu stehen kommt. Wie ich schon sagte, ist der Gerbstoff des Mattes identisch mit dem des Kafiees und ist also nicht derselbe wie der des chinesischen oder des Ceylon- tees. Während der Teegerbstofif sich sehr leicht oxydiert, tut dies der Mattegerbstoff langsam, dies hat, außer des chemischen Unterschiedes, auf den Geschmack des Getränkes einen sehr sinnfälligen P'.influß. Während z. B. länger in der Tasse ge- standener und erkalteter chinesischer und Ceylon- tee äußerst herb und zusammenziehend schmeckt, ganz besonders auffällig bei Ceylontee, ist der Geschmack des länger gestandenen Mattes, vor- ausgesetzt natürlich, daß er von der Teesubstanz abgegossen ist, unverändert, so daß er auch im erkalteten Zustande ein angenehmes und anregen- des Getränk ist. Zum Schluß seiner Abhandlung in der Phar- mazeutischen Zentralhalle berichtet Verfasser über verschiedene Präparate der Köstritzer Matte- Industrie. Dr. R. Einzelberichte. Biologie. Die Larven der Raupenfliegen (TachinaeJ leben bekanntlich als Schmarotzer in den Raupen verschiedener Schmetterlingsarten. William R. Thompson machte eine Beobach- tung an Tachinenlarven in den Raupen einer Eulenart (Hamemalis virginiana). (Sur une Tachi- naire parasite ä Stade intracuticulaire. C. R. Ac. sc. Paris Nr. 2, 11 Janvier 1915). Bei Cornell im Staate Ithaca in Nordamerika fand er in der völlig durchsichtigen Haut der Räupchen die jungen Tachinenlarven zwischen zwei Lagen derKutikula; man sah die erst nach ihrem Eindringen abge- lagerte Schicht deutlich von der alten abgegrenzt. fLine schwärzlich pigmentierte Linie zur ehemaligen Oberfläche an der weit entfernten Stelle, wo die Larve eingedrungen war, ließ den späteren Zu- wachs erkennen. Eine Verbindung nach außen und eine solche nach innen in den Raupenkörper fehlte. Die Tachinenlarven lagen konstant mit dem Rücken nach außen gekehrt. Da sie lebend aus der Kutikula herausgezogen werden konnten, ist der Befund nach Th. normal; er meint, daß die Tachinenlarven den Winter in der Haut ihres Wirtstieres zubringen. Kathariner. Zoologie. Larven der Piophila nigriceps Meig., einer Verwandten der Käsefliege, fand Frörst er in einer menschlichen Leiche (Zoologischer Anzeiger J9I4). Im Laufe von 2—3 Jahren, während der diese in einer Baumkrone hing, war sie völlig mumifiziert, wimmelte aber von Larven der ge- nannten Fliegenart, die sich durch ein lebhaftes Sprungvermögen auszeichneten. Bisher wurden sie nur in Käse oder tierischen Fetten gefunden. Dr. F. Stellwaag. Physiologie. Sowohl für die Transplantation als für die I3astardierung zweier Tierarten ist eine ge- wisse Übereinstimmung ihres arlspezifisch ver- schiedenen Plasmas in biochemischer Hinsicht Voraussetzung. Je größer , dieselbe ist, um so leichter ist die Verschmelzung der Teile zweier artverschiedenen Individuen, und um so leichter gelingt die Kreuzung, die ja nichts anderes ist, als die Implantation der männlichen Keimzelle in das Ei. So selbstverständlich das Bestehen einer Parallele zwischen Bastardierung und Transplan- tation erscheint, so ist es bisher doch nicht ge- nügend durch Erfahrungstatsachen belegt worden. Durch zahlreiche Tran^plantationsversuche ist nun der Beweis dafür geliefert worden, daß in der Tat zwischen beiden eine Parallele besteht. (Walther Schultz, Bastardierung und Trans- plantation. II. Parallele von Verpflanzung und Kreuzung. Erfolgreiche Hautverpflanzung auf andere Gattung bei Pinken, auf andere Familie bei Tauben und Parallele von Bastardierung und Transplantation und Rückschlüsse auf die Ver- erbung, besonders bei mendelnden und Geschlechts- charakteren. (Hase, Kaninchenrassen, Ratte, P'asan, Moschusente, Mendeln und neugezüchtete Ge- schlechtscharaktere bei Girlitz ] Kanarie X Kanarie. Archiv für Entwicklungsmechanik der Organismen XXXVI. Bd. 191 3 und XXXXI. Bd. 1915). Die Technik der Transplantation bestand bei Vögeln darin, daß kleine Hautstücke von i — 2 qmm Größe aseptisch entnommen und in kleine Haut- taschen gelagert wurden, welche die Haut von einem kleinen Schnitt auf der Crista sterni aus unterminieren. Die Hauptwunde wurde darauf vernäht. Ein andermal wurde das Verpflanzungs- 364 Naturwisserischaftliclie Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 23 stück zwischen muskulöse Bauchwand und I'ctt am Bauch eingeheilt. Die verwendeten Sing- vögel waren sämtlich ausgewachsene Tiere, während von den Tauben auch jüngere gebraucht wurden. Beim Kanarienvogel entstanden Epithel- zysten, bei Tauben gleichfalls solche oder nur Epithelnester in Lymphzellhaufen. Bei Verpflan- zungen zwischen nicht kreuzbaren Arten derselljen Ordnung (Kohlmeise aud Kanarie, Rauclisclnvalbe auf Haussperling, Bülbül auf Kanarie, .Star auf Haussperling) erhielten sich die verpflanzten Zellen zwar einige Zeit (bis 27 Tage) lebend, wuchsen aber niemals seitwärts bzw. auf das Wirtsgewebe weiter. Bei Verpflanzungen zwischen Arten ver- schiedener Ordnung (Taube auf Kanarie und Ka- narie auf Taube) trat die Nekrose noch früher (nach 15 bzw. 17 Tagen) ein. Verpflanzungen auf eine fremde, aber kreuzbare Art und Gattung in der Finkenfamilie hatten folgendes Resultat. Zwischen den Gattungen Chloris und Serinus, sowie Passer und Serinus sind im subkutan ver pflanzten Hautepithel ausgewachsener Tiere bii zum 25. Tage Mitosen beobachtet worden. Bei Verpflanzungen zwischen Taube und Lachtaube oder Turteltaube, welche beide im britischen Katalog zu verschiedenen Familien der gleichen Ordnung gezählt werden, wurden im subkutan verpflanzten Hautepithel bei ganz ausgewachsenen Tieren und bei Verpflanzungen zwischen einem ganz und einem fast ausgewachsenen Tier noch am 30. Tage Mitosen gefunden. Es besteht also bei den Vögeln eine weit- gehende Ähnlichkeit zwischen Transplantation und Kreuzung. Auch die in der zweiten Arbeit besprochenen Versuche zeigen, ,,daß normales Gewebe nach Verpflanzung auf kreuzbare Spezies in weitgehender Weise wächst wie die Plasmen nach der Kreuzung, daß überhaupt die Verpflanzung sich weitgehend wie die blastogene Insertion verhält". Subkutane Hautverpflanzung auf kreuzbare Spezies zeigt gute Epithelcrhaltung zwischen Ka- ninchen und Hase, 32 Tage (Mitosen). Bei nicht kreuzbaren Spezies, Pasan und Huhn auf Taube und Katze auf Kaninchen trat Nekrose vom 14. Tage ab ein. Gute Resultate hatte der Austausch von Gewebe zwischen verschiedenen Variationen einer Art, so zwischen einem weißen Angora- und einem französischen grauen Widderkaninchcn und einer weißen und einer bunten Ratte, je 30 Tage P>haltung mit Mitose. Praktisclie Anwendung können derartige Ver- suche mit Bastardierung und Transplantation finden bei der Nachforschung nach der wilden Stamm- form eines domestizierten Tieres, ohne daß indeß ihr Wert in dieser Beziehung allzu hoch anzu- schlagen wäre. Bei derartigen Versuchen können mancherlei Nebenumstände störend dazwischen treten. Als solche werden angeführt : verschie- dene Reifezeit , Durchlässigkeit der Mikropylc, Schleimhüllen, Bau des Körpers, insbesondere der Geschlechtsorgane, Instinkte usw. Wie für die Bastardierung, so gibt es auch für die Transplan- tation viele hindernde Nebenbedingungen: mecha- nische, thermische, infektiöse Schädigung, Nahrungs- zufuhr, Alter, phyletische Höhe, Regenerationskraft usw. Dazu können noch schwer in die Wag- schale fallen : die Stoffwechselstärke, die Anaphy- laxie, die Dauer der PIntwicklung bis zur Frucht- barkeit usw. Kathariner. Über die paradoxe Verkürzung der Lebens- dauer befruchteter Eier in abnormen Salz- lösungen durch Verringerung der Giftigkeit der Lösung (Archiv für Entwicklungsmechanik der Organismen, XXXX. Bd. 2. Heft 1914) berichtet Jaques Loeb. Schon 1906 fand er, daß unbe- fruchtete Eier des Seeigels (Strongylocentrotus purpuratus) in abnormen Salzlösungen erheblich länger am Leben blieben, als befruchtete Eier des- selben Weibchens, die schon nach wenigen Stun- den zugrunde gingen. L. findet die Erklärung da- für in der größeren Empfindlichkeit der tätigen, sich furchenden Eizelle für abnorme Lösungen. Er beobachtete auch, daß die Giftigkeit einer ab- normen Lösung verringert oder aufgehoben wer- den kann, wenn man durch Sauerstoffentziehung oder Cyankalivergiftung die weitere Entwicklung hemmt. Es erscheint zunächst paradox, daß die Giftwirkung einer relativ harmlosen Salzlösung durch ein energisches Gift verringert wird. Sauer- stoffmangel und Cyankali wirken aber nicht in gleichem Maße schädigend auf die Eizelle, wie auf unser Atemzentrum. Der obigen Deutung entspricht auch die Tatsache, daß die Seeigeleier in einem L^irschälchen mit flacher Wasserschicht viel rascher absterben, als in einem Reagenzrohr. Dort war eben die Gasdififusion größer, infolge- dessen die Atmung leichter und die Entwick- lung weiter vorgeschritten. L. fand, daß Seeigel- eier aus einer Lösung, in welcher sie höchstens das 2-Zellstadium erreichten, in normales Wasser zurückgebracht länger am Leben blieben , als solche aus einer weniger giftigen Lösung, in wel- cher sie das 4-, 8- oder i4Zellstadium erreichen konnten. Wird z. B. einer Mischung von NaCI + CaCl., , in der die Eier meist nicht über das 2- Zellstadium hinausgehen, eine kleine Menge NaOH zugesetzt, so wird die Mischung dadurch zwar verbessert, indem viele Eizellen das 4-Zellstadium überschreiten, sogar das 16-Zellstadium erreichen, die Eier sterben aber auch dann viel rascher ab. In einem anderen Versuch wurden einer Lösung von NaCl und CaCl.,, welche befruchtete Eier enthielt, 20 — 40 Tropfen Seewasser zugefügt , die Lösung also weniger giftig gemacht, so daß sich die Eier in ihr bis zum 8- oder i6-Zellstadium entwickeln konnten. Daraus in normales Seewasser zurückge- bracht, gingen sie aber viel früher zugrunde, als solche, welche aus einer Lösung kamen, der kein N. F. XIV. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 36s Seewasser zugeführt worden war. Während von diesen sich etwa 25''/„ zu Larven entwickelten, starben die alle ab, deren Lösung durch 30 — 40 Tropfen Seewasser verdünnt worden war und nur 3"/^ der Eier aus einer Lösung mit 20 Tropfen machten die ersten l*"urchungen durch. Der grö- ßeren Empfindlichkeit der weiter entwickelten Eier gegenüber tritt die geringere Giftigkeit der Lösung zurück. Wenn einige Forscher glauben, der lebens erhaltende Einfluß des Zusatzes eines Anästheticums zu einer abnormen Salzlösung beruhe darauf daß die Durchgängigkeit für die giftigen Salze ver- ringert werde, so wäre es irrig, anzunehmen, daß NaCl und Sauerstoffmangel die Giftwirkung der abnormen Salzlösung auf das befruchtete Ei da- durch herabsetzen, und daß der Zusatz von etwas Seewasser zu der Lösung von Na -j- Ca die Giftigkeit dadurch steigere, daß er die Durch- gängigkeit des Eies erhöht. „Diese Autoren über- sehen, daß die Empfindlichkeit des Eies mit zu- nehmender Tätigkeit und fortschreitender Zell- teilung zunimmt und daß diese Zunahme ausreicht, die hier erwähnten Erscheinungen zu erklären". Kathariner. Chemie. Die chemische Aufzehrung von Stickstoff in einer Wolframlampe. ^) Führt man kleine Mengen von Wasserstoff in eine Wolframlampe mit glühendem Faden ein, so verschwinden sie langsam. Ebenso wird Stick- stoff von geringem Diuck in einer Stromdurch- flossenen Wolframlampe allmählich aufgezehrt. Die Geschwindigkeit ist sehr gering und bei F'äden von 2400" K bedarf es mehrerer Hundert Stunden, damit i ccm aufgezehrt wird. Mit höherer Temperatur wächst jedoch die Geschwin- digkeit stark und es erscheint statt des gewöhn- lichen schwarzen Wolframniederschlages ein brauner Niederschlag. Diese braune Farbe geht allmählich in ein schmutziges Grau über, sobald man die offene Lampe an feuchter Luft liegen läßt, und Ammoniakgeruch ist wahrzunehmen. Das Wolf- ram hat sich unter Bildung eines braungefärbten Nitrids mit dem Stickstoff verbunden. Um die chemische Aufzehrung von Stickstoff zu beobachten, nimmt man ein kurzes Stück Wolframdraht und erhitzt es auf 2700" K oder mehr in Stickstoff unter einem Druck unter o, i mm. Die erforderliche Spannung für die Erhitzung des Fadens muß weniger als 40 Volt betragen. Wird der P"aden auf konstanter Temperatur gehalten, so zeigen Messungen des Druckes in regelmäßigen Zwischenräumen mit einem Manometer, daß der Stickstoff mit konstanter Geschwindigkeit ver- schwindet. Die chemische Aufzehrung desselben erfolgt, wie schon gesagt wurde, sehr langsam, sobald der Faden nur seine gewöhnliche Glüh- temperatur besitzt. Bei hohen Temperaturen aber werden die Geschwindigkeiten so groß, daß ') Zeitscür. f. anorgan. Chemie 1914, Bd. 85, S. 261 sie innerhalb weniger Stunden oder Minuten meß- bar werden. Die Lebensdauer des Fadens ist dann aber ziemlich kurz wegen seiner Verdampfung. Die Versuche ergaben, daß der Temperaturkoeffi- zient der Geschwindigkeit der Aufzehrung von Stickstoff identisch ist mit dem der Geschwindig- keit der Verdampfung von Wolfram. Ferner ist das Verhältnis der Menge des verschwindenden Stickstoffs zur Menge des verdampfenden Wolf- rams gleich dem Verhältnis von Stickstoff zu Wolfram in der Verbindung WN.j (i g Wolfram verbindet sich mit 13 1 ccm Stickstoff bei 20" unter Bildung von WN.,). Die Verdampfungsgeschwindigkeit von Wolf- ram wird bei Drucken oberhalb i mm durch die Gegenwart von Stickstoff reduziert und beträgt bei Atmosphärendruck nur einige Prozente von derjenigen im Vakuum. Auch bei atmosphärischem Druck setzt sich das verdampfende Wolfram als braunes Nitrid auf der Lampenglocke ab. Erhitzt man eine mit dem Nitrid bedeckte Glocke bis zum Erweichungspunkt des Glases, so findet keine Entwicklung von Stickstoff statt, und es tritt keine Farbenänderung ein. Stickstoff ist gegen festes Wolfram chemisch inert, vereinigt sich aber mit Wolframdampf so schnell, wie er am festen Metall entsteht. Die gebildete braune Verbindung WN., ist in dünnen Schichten eine klare braune Substanz und unterscheidet sich von fein verteiltem Wolfram, sie wird leicht von Wasser zersetzt unter Entstehung von NHg und wahrscheinlich von WO3. Bei 400" ist sie im Vakuum stabil, zersetzt sich aber bei 2400" K. Der Mechanismus der Reaktion ist folgender: Jeder Zusammenstoß zwischen einem freien Wolf- ramatom und einer freien Stickstoffmolekel führt zu einer chemischen Vereinigung. Die Wolf- ramatome reagieren weder mit dem auf der Glocke adsorbierten Stickstoff noch mit anderen Stickstoff- molekeln, sondern scheiden sich als metallisches Wolfram ab. Eine Dissoziation oder Ionisation des Stickstoffs ist für diese Reaktion nicht er- forderlich, sondern nur ein Zusammenstoß, eine direkte Vereinigung eines Wolframatoms mit einer Stickstoffmolekel (ihre Molekel enthält demnach 2 Atome Stickstoff). Der Wolframdampf vereinigt sich mit dem Stickstoff, bevor er Staubpartikel bildet, daher besteht auch bei Atmosphärendruck des Stickstoffs die Abscheidung auf der Lampen- glocke aus Nitrid und nicht aus metallischem Wolfram. Das NUrid ist in Stickstoff und Wolf- ram gespalten, sobald es zum heißen Faden zurückdiffundiert. Dr. Bl. Eine neue Aluminiumlegierung, ') die von einer englischen Firma unter dem Namen „ürmiston"metall auf den Markt gebracht wird, enthält etwa 97,5 % Aluminium und nimmt eine haltbare, weder an der Luft, noch in Berührung mit sauren Speisen, vergängliche Politur an. Die ') Metall. Chem. Eng. 12, 649 (1914.) 366 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. elektrische Leitfähigkeit ist größer als die von Kupfer oder einer anderen bekannten Legierung ; die I""cstigkeit wurde zu 2400 — 3000 kg/qcm gefun- den. Über die anderen mit dem Aluminium legierten Metalle besagt die Mitteilung nichts. Otto Bürger. Physik. lonenwolken in feuchter expandierter Luft. Durch plötzlich ausgedehnte mit Wasser- dampf gesättigte Luft leitete C. R. T. Wilson (Ann. d. Physik 1915, S. 39) a- und /^-Strahlen von Radium- oder Röntgenstrahlen in einem elektrischen Feld und photographierte die von den Ionen gebildeten Wasserwolken bei momen- taner Beleuchtung. Von Einfluß auf Form und Lage der abgebildeten Wolkenstreifen sind die Ionen und elektrischen Kräfte, ferner die Ober- flächenspannung und das Gewicht der konden- sierten in Luft schwebenden Wasserteilchen, die Diffusion von Luft und elektrischen Teilchen durch das flüssige Wasser, und die Belichtung und Luftwirbel, welche die bewegten Teilchen er- regen. Aus den Photographien selbst kann man Schlüsse auf die Bahnen der Ionen ziehen. Die F'orm, Größe und Struktur der abge- bildeten Wolkenstreifen gleicht denen der nega- tiven und positiven Staubfiguren auf Harzkuchen. Bei den Wolkenstreifen sind die Schaumkammern vielleicht nur eine Ubergangsform zu einem Gleichgewichtszustand, welcher bei den Staub- figuren schon erreicht ist. Als ein Gemisch von flüssigem Wasser und Luft sind die weißen Stellen der Photographien anzusehen, als Schaumkammern die Formen der weißen Stellen. In ihren unsichtbaren Wänden hängen oft weißliche Blasen und Schaumflocken, welche Schlüsse ziehen lassen auf Form und Lage der unsichtbaren Schaumwände. Im Innern sind die Schaumkammern oft mit viel kleineren luft- haltigen Schaumkammern, mit weißen Schaum- massen gefüllt oder zeigen Reihen runder Schaum- flocken auf geraden, gewundenen oder schrauben- förmigen Strecken. a) Nebelbildung tritt ein durch negative und |)0sitive Ionen bei verschieden starker Expansion der feuchten Luft. Die Kondensationskerne be- stehen aus elektrisch geladenen Teilchen oder Ionen, denn es erfolgt keine Nebelbildung, sobald mit Wasserdampf gesättigte staubfreie Luft im elektrischen Felde einige Sekunden vor der Ex- pansion mit Röntgenstrahlen durchstrahlt wird und dadurch die Kondensationskerne nach der Expansion fehlen. Dichter Nebel aber tritt auf ohne elektrisches Feld. Jeder der kondensierten Wassertropfen enthält eine kleinere Menge kondensierten Wassers, und ihre Zahl wächst bei Bestrahlung mit Röntgen- strahlen und steigender Expansion oder Zunahme von End- und Anfangsvolumen der feuchten Luft. Zuerst an den negativen Ionen und etwas später erst bei den positiven Ionen setzt die Konden- sation des Wasserdampfes ein. Nach Wilson ist die Ionisation ein Resultat der Expansion. Dicke Nebel bilden sich bei einer gewissen Expansion auch ohne Röntgenstrahlen in staubfreier mit Wasserdampf gesättigter Luft (T. T. Thomsen). Die viel wirksameren Kon- densationskerne, die negativen Ionen, bewegen sich viel schneller in Luft und in demselben elektri- schen Felde als die positiven Ionen (Zelessy). Im elektrischen Felde mit einem Potentialgefällc von I Volt per cm wandern die von Röntgen- strahlen erzeugten Ionen zwischen i — 2 cm in der Sekunde (\\'ilson). b) Wasserwolken entstehen in feuchter Luft nach Expansion und gleich darauf folgender Bestrahlung mit Röntgenstrahlen. CT. R.Wilson ionisierte mit Wasserdampf gesättigte Luft in einem kon- stanten elektrischen Feld ' 5^ Sek. nach plötz- licher Verminderung des Luftdruckes mit einem 2 — 5 mm dicken Bündel Röntgenstrahlen von 30 — 70 cm Reichweite aus einer Crookesröhre, durch welche zwei Leidener Flaschen entladen wurden. Durch ein Quarzfenster traten die Röntgenstrahlen in das mit feuchter Luft erfüllte elektrische Feld der Wolkenkammer. In diesem wanderten die positiv elektrischen Teilchen zwischen zwei horizontalen borsäurehaltigen Gela- tineplatten nach unten, die negativen nach oben (in den Photographien). Kurz darauf wurden die von den -j-' "^"^ elektrischen Ionen konden- sierten Wassertropfen und -wölken durch einen Flaschenfunken beleuchtet und photographiert. Diese Photographien zeigen geschlängelte Linien mit starken Krümmungen, kontinuierlichen oder plötzlichen Änderungen der Richtung und spiralig gewundene Enden einzelner oder zu- sammenhängender weißer runder Tropfen, Blasen und Schaumflocken von gleicher oder periodisch wechselnder Größe. Diese kondensierten Wasserwolken haben gleiche Formen wie die Metallsalzvegetationen, welche aus Kristallsplittern der Sulfate oder Chloride von Kobalt, Nickel, Eisen, Mangan in verdünnten Lösungen von Ferrocyankalium oder Natriumsilikat aufsteigen und von ölartigen Schaumwänden gebildet werden. Die weißen Wasserwolken entstanden in der expandierten feuchten Luft aus schaumhaltigen Röhren. An ihrer Oberfläche liegen dünne Schichten kondensierten Wassers, in welchem sich elektrische Emanationen der Röntgenstrahlen zu einer ölartigen Müssigkeit lösten. Die Röhren- wand bildete infolge der Oberflächenspannung Anschwellungen und Einschnürungen und zerfiel in einzelne oder zusammenhängende Blasen. P"'lüssiges Wasser wird von den im elektrischen Felde voneinander getrennten -|-- und elektri- schen Gasionen und Emanationen auf ihrer Ober- fläche kondensiert, unter Verlust ihrer Geschwin- digkeit infolge dieser Belastung. Wie nun die Kathodenstrahlen in die Glaswand einer Vakuum- röhre eindringen, so tun es in dieses flüssige Wasser die nachfolgenden Gasionen und elektri- N. F. XIV. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 367 sehen Emanationen und mitgerissene Luft, welche ihre Geschwindigkeit noch nicht verloren haben. Zu einer Schaummasse mit zusammenhängenden kleinen Schaumblasen fließen nun die mit kleinen Gasblasen gefüllten Wassertröpfchen und -bläschen zusammen. Auf deren Oberfläche breitet sich eine Lösung elektrischer Emanationen in flüssigem Wasser aus unter Verminderung der Oberflächen- spannung, begünstigt ihre Flockung zu einer lang- gestreckten Schaummasse und überzieht ihre Oberfläche mit einer ölartigen zylindrischen liaut. Diese wieder mit weißem lufthaltigem Schaum gefüllt verkürzt sich an Stellen größerer Ober- flächenspannung wie bei den Metallsalzvegetationen, wird konkav, krümmt sich, bildet Wellenlinien, Schraubenwindungen und Spiralen, zerfällt später unter dem Einfluß der Oberflächenspannung in einzelne oder zusammenhängende Blasen. Die Abscheidung der ölartigen emanationenhaltigen Flüssigkeit im Innern des kondensierten Wassers führt zur Bildung aneinander hängender Schaum- flocken mit größeren Schaumkammern. Die Wolkenstreifen wurden viel breiter, wenn die Röntgenstrahlen vor der Expansion durch die feuchte Luft geleitet wurden. Die Wasserwolken in expandierter feuchter Luft mit Radiumstrahlen haben etwas andere Formen und teilweise mehr Schaumwände oder ölartige Emanationslösungen größerer Viskosität als die Wolken der Röntgenstrahlen. Die ß- Strahlen des Radiums bilden weniger weiße Schaummassen als «Strahlen. Nach den ölartigen Emanationslösungen in diesen Schaummassen zu urteilen sind sehr viele Ionen, Elektronen oder andere Emanationen in den einzelnen weißen Pünktchen, kleinen und großen Kreisflächen oder Schaumflocken in dem aus Schaum von Wasser und Luft bestehenden Wolkenstreifen der Photographien von Wilson. Aus der Ähnlichkeit der durch Röntgenstrahlen kondensierten Wasserwolken mit -)-■ und Staubfiguren auf Harzkuchen kann man ableiten, daß „diese Staubfiguren teilweise aus Schaum- flocken einer Lösung der elektrischen Emanationen des Radiators in flüssigem, aus der Luft konden- sierten Wasser bestehen, welche von der Harz- oberfläche angezogen und festgehalten werden." Die elektrische Ladung e der Ionen ist : e= 3,4Xio~^° elektrostatische Einheiten mit Radiumstrahlen, e = 6,5 X 10""'" elektrostatische Einheiten mit Röntgenstrahlen. Was die Frage anbetrifft, ob die Nebeltröpf- chen hohl oder luftfrei seien, so ist anzunehmen, daß die schwachen Feldstärken der Wolken- kammern die aus dem kondensierten Wasser ent- standenen Schaumflocken nicht luftfrei machen können. In betreff der Störungen der vertikalen Bahnen der Nebeltröpfchen ist zu sagen, daß kleinere Schaumflocken, Blasen und Tropfen nicht in verti- kalen Bahnen mit konstanter Geschwindigkeit wegen Flüssigkeitswirbel und Belichtung fallen. Die Photographien der Wasserwolken mit Röntgenstrahlen zeigen sehr ähnliche und doch etwas verschiedene Formen von Wolkenpaaren, wie wenn dieselbe Wolke in zwei verschiedenen Lagen von zwei aufeinanderfolgenden Quecksilber- funken beleuchtet worden wäre. Die o-Strahlen des Radiums ergeben kleine, runde Schaumflocken und gerade schmale Wolken- streifen neben diffusen mit Anschwellungen, Ein- schnürungen und runden Köpfen. Die Wolken- streifen der «- und /?- Strahlen zeigen röhren- förmige Auswüchse mit rundem Kopf wie die Sphärokristalle der Röntgenstrahlen. Die elektrischen Emanationen der Radium- und Röntgenstrahlen sind von verschiedener Qualität. Dr. BI. Photographische Aufnahmen des Nordlicht- spektrums mit einem Spektrographen von großer Dispersion. Nach L. Vegard (Beibl. z. d. Ann. d. Phys., Bd. 38, S. 518) wurden die Wellenlängen der Nordlichllinien mit einem lichtstarken Spektro- graphen auf einer Expedition nach Bossekoop in Finnmarken gemessen. Mit einem Gradsichtspektroskop von Heele mit Mikrometerschraube hatte die grüne Nord- lichtlinie die Wellenlänge 5576,9 und 5573,7, die Wellenlänge 5271,5 und 4708,3 zwei blaue Linien lichtstärkerer Nordlichter. In der Nähe von 5271,5 wurden noch mehrere schwächere Linien beobachtet. Photographische Aufnahmen wurden mit dem sehr lichtstarken Spektrographen von Z e n n e c k ausgeführt. Der Wert der grünen Linie 5572,5 war das Mittel aus visuellen und photographischen Be- obachtungen und ist fast identisch mit einer der Argonlinien. Besonders die Linien 4708, 4278 und 3915 stimmen mit den Stickstoffbandenköpfen überein. Kanalstrahlen- und Glimmlichtspektrum des Stickstoffs und der Luft stimmen aber überein mit dem photographierten Nordlichtspektrum (doch lassen diese Aufnahmen nicht entscheiden, ob es durch a- oder /i- Strahlen erzeugt wird); diese Spektra sind identisch. Dr. Bl. Eine Erklärung der Photosphäre. W. H. J u 1 i u s (BeTbl. z. d. Ann. d. Phys., Bd^48, S. 518—520) erklärt die Erscheinung, daß die Sonne in radialer Richtung stärker ausstrahlt als in anderen Rich- tungen in durchscheinenden gasförmigen Schichten, die unter der Oberfläche der Photosphäre liegen. Den Abfall der Flächenhelligkeit der Sonnen- oberfläche sucht er nicht in der Absorption einer über der Photosphäre anzunehmenden Atmosphäre. Nach seiner Ansicht kann vielmehr der scharfe Sonnenrand und der für Licht verschiedener Wellenlängen verschieden starke Helligkeitsabfall durch molekulare Diffusion und anormale Bre- 368 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 23 chungen infolge unregelmäßiger optischer Dichte hervorgerufen sein, die auch bei Bildung der Granulation und der Sonnenflecken mit wirksam sein können. Es sind eben dioptrische Erschei- nungen, wie er an Experimenten für die Sonnen- flecken darlegt. Ein Sonnenfleck ist ein Gaswirbel, in dessen Achse die optische Dichte ein Minimum hat. Die Dichte wächst nach außen mit abnehmendem Gradienten ; es entsteht infolge Lichtbrechung in Richtung der Achse ein Kernschatten, der von einer Penumbra umgeben ist. Hieraus ließen sich die unsymmetrische Verteilung der Sonnenflecken und die Eigentümlichkeiten ihres Spektrums er- klären. Dr. Bl. Pflanzenkrankheiten. Über die Lebensweise und Bekämpfung des Eichenmehltaus berichtet F. W. Neger in der Naturw. Ztschr. f. Forst- und Landwirtschaft XIII, 1—30 (1915). Aus der eingehenden Darstellung seien einige bemerkens- werte Punkte hervorgehoben. Der Eichenmehltau, der bekanntlich auf den Blättern der Eiche einen weißlichen Überzug bildet, wird nach Neger durch eine Varietät der vielgestaltigen Alicrosphaera .ibii hervorgerufen. Dieselbe Varietät kommt, obschon seltener, auf der Buche, vielleicht auch auf der Brombeere vor, ist aber im übrigen eine ausschließlich an die Eiche angepaßte Spezialform oder „Gewohnheits- rasse". Die Frage, woher der Pilz stammt (er tritt erst seit 1907 epidemisch in Europa auf), ist noch nicht entschieden. ') Wie alle Mehltaupilze ist er ein echter Parasit. Es ist unmöglich, ihn auf künstlichen Nährböden zu kultivieren; er gedeiht nur auf dem natürlichen Substrat der lebenden Pflanze. Man glaubte des- halb bisher, daß zu Infektionsversuchen bewurzelte Versuchspflanzen nötig seien. Wie Neger fest- stellte, genügen aber auch abgeschnittene Blätter. Werden solche in Petrischalen gelegt und mit den Sporen (Konidien) des Pilzes infiziert, so ent- wickelt sich nach wenigen Tagen ein Mycel und beginnt seinerseits Konidien abzuschnüren. Das Wachstum hört erst auf, wenn das Blatt zu ver- gilben anfängt. Die Johannistriebe werden besonders leicht vom Mehltau befallen, während ältere, ausge- wachsene Blätter weniger gefährdet sind. Auf den letzteren findet der Pilz keine so günstigen Bedingungen vor, weil sie wasserärmer sind; ferner erschwert die dickere Kutikula das Ein- dringen des Pilzes. ') Vgl. Naturw. Wochenschr. N. F. -XIII, S. 1S5, 1914. Die Infektion erfolgt in der Weise, daß an dem Mycel eine lappige Erweiterung (Appressorium) entsteht, die sich der Blattfläche anschmiegt und durch Kutikula und Membran einen feinen Schlauch in die darunter gelegene Epidermis- zelle treibt. Hier schwillt er zu einem blasen- förmigen Gebilde, dem Haustorium, an, das die Zelle mehr oder minder vollkommen ausfüllt. Es ist das Organ, mit dem der Pilz dem Blatte die zu seiner Ernährung nötigen organischen Stoffe entzieht. Viel seltener als die Blätter werden die grünen Achsenteile einjähriger Triebe befallen. In diesen kommt die zelltötende Wirkung des Pilzes da- durch deutlich zum Ausdruck, daß die vom Mycel bedeckten Teile sich in weiter Ausdehnung bräunen. Die Infektion gelingt nicht bei allen Eichen- arten gleich gut. Es gibt stärker und schwächer empfängliche und ganz unempfängliche Arten. Unter Umständen entwickelt sich zwar ein Mycel, aber die Ausbildung von Appressorien und Hau- storien unterbleibt, so daß der Pilz bald eingeht. Es scheint, als ob die Blätter der immunen Arten gewisse Stoftc enthalten, die auf den Pilz giftig wirken. Übrigens kann der Grad der Empfäng- lichkeit in verschiedenen Klimaten sehr ver- schieden sein. Die Bildung und Keimung der Konidien wird durch Licht befördert. Damit stimmt überein, daß der Mehltau sich bei sonniger Witterung üppiger entwickelt als bei trüber, und daß frei stehende Bäume stärker befallen werden als be- schattete. Für die Überwinterung kommen in unseren Breiten weder die Konidien — wegen ihrer auf wenige Wochen beschränkten Lebensdauer — noch Perithecien — wegen ihrer großen Selten- heit — in Betracht. Vielmehr überwintert der Pilz, wie zuerst Neger feststellte, mit Hilfe des Mycels in den Knospen. Der Eichenmehltau besitzt in den Larven einer Diptere, Alycodiplosis , sehr merkwürdige natür- liche Feinde. Diese Tiere ernähren sich von den Konidien, die sie mit erstaunlicher Geschwindig- keit abweiden, obwohl sie keine beißenden Mund- werkzeuge besitzen. Sie benutzen statt dessen zwei bewegliche Mundhaken zum Zerquetschen der Konidien und saugen den hervorquellenden Inhalt auf. Ob sie eine wesentliche P^inschränkung des Pilzes bewirken können, ist bei der großen Überproduktion an Konidien allerdings sehr zweifelhaft. Zur Bekämpfung im großen sind jedenfalls chemische Mittel, wie Schwefelkalk- brühe u. a., erforderlich. F. Esmarch. Inhalte Killcrmann: Die ausgestorbenen Maskarcnenvogcl (mit 15 Abbildungen). — Kleinere Mitteilungen: Börner: Die Sicherung der Luftsclülte gegen Feuers- und F.Kplosionsgefahr. Rammstedt: Der Matte- oder Paranatec, ein die Gesundlieit förderndes Genußmittel. Neuburger: Über Konservenfabrikation. — Einzelberichte: Schultz: Paral- lele zwischen Bastardierung und Transplantation. Loeb: Über die paradoxe \'erkürzung der Lebensdauer befruchteter Kier in abnormen Salzlösungen durch Verringerung der Giftigkeit der Lösung. — Die chemische Aufzehrung von Stick- stoff in einer Wolframlampe. — ■ Eine neue Aluminiumlegierung. Wilson; lonenwolken in feuchter expandierter Luft. Vegard: Photographische Aufnahmen des Nordlichtspektrums mit einem Spektrographen von großer Dispersion. Julius: Eine Erklärung der Photosphäre. Neger: Über die Lebensweise und Bekämpfung des F.ichenmehltaus. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, MarienstraSe IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Bucbdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. -Age 14. Band; keihe 30. Band. Sonntag, den 13. Juni 1915. Nummer 34. Die ausgestorbenen Maskarenenvögel. Mit 15, davon einigen neu aufgefundenen Abbildungen. TNachdruck verboten.] Von Prof. Dr. S. Killermann-Regensburg. (Schluß.) .Stopfexemplar, das einst im Tradescant- Museum sich befand und im Katalog desselben 1656 auf- geführt wird. D) Abguß von der Hirnschale, die im Kopen- hagener Museum aufbewahrt und von Olearius 1666 erwähnt wird. E) Abguß vom Knochen des Oberkiefers, der D) Knochen- und andere Reste von der Dronte. Wirkliche Reste von den nach Europa ge- brachten Dronten sind nur in Bruchstücken er- halten, wozu dann noch die durch Ausgrabungen vor etwa 50 Jahren zutage geförderten Knochen kommen. Es existierte einmal sogar ein Stopfexemplar; sich im böhmischen Museum zu Prag befindet das 1638 in London gezeigte Tier wurde nämlich später ausgestopft und bildete eine Sehenswürdig- keit des berühmten Tradescant-Museums in Lon- don. Ein im Jahre 1G56 erschienener Katalog') desselben hat den folgenden Eintrag: Dodar from the Island Mauritius, it is not able to f^ie, being so big" d. h. „Dronte von der Insel Mauritius, ist unfähig zu fliegen, weil so fett". Die Notiz be- zieht sich auf einen ausgestopften Vogel istuffed dodo). Willughby sah ihn noch im Jahre 1676. Später muß er nach Oxford in das Ashmo- und dessen Geschichte unbekannt ist. Illustriert ist der ganze Schaukasten mit einem Bilde der Dronte von R. .Savery. Das britische Museum besitzt demnach als Originalstück abgesehen von dem aus neuen Eunden zusammengesetzten Skelett ähnlich wie die Ash molische Sammlung zu Oxford nur einen Fuß der Dronte. R.Hubert alias Forges, der zuerst in seinem Besitze war, sammelte verschie- dene Raritäten und reiste 30 Jahre lang in fremden Ländern umher, wie ein 1665 herausgegebener leum Museumgekommen sein. Allmählich wurde Katalog seiner Sammlungen hervorhebt.') Woher das Stopfexemplar (infolge Vernachlässigung) so der Drontefuß stammt, wird leider nicht angegeben, schadhaft, daß der Vizekanzler der Universität Vielleicht handelt es sich um das von Peter Oxford und die anderen Kuratoren am 8. Januar Pavius beschriebene Objekt (s. o.). 1755 beschlossen, es zu vernichten. Glücklicher- In Kopenhagen liegt dann ein Dronteschädel, weise wurde der Befehl nicht sranz ausgeführt, an dem nach Newton nur das linke Pterygoid Der Kopf und ein Fuß blieben erhalten und bil- den gegenwärtig einen Schatz jener Universität. Im britischen Museum zu London sah ich 1909) in dem der Dronte bestimmten Schau- feiilt. P> wurde bereits 1666, wie erwähnt, von Adam Olearius aufgezeichnet als ,,der Kopf von einem fremden Vogel, welchen C 1 u s i u s Gallum peregrinum, Nirenbergius Cygnum cucullatum, hier kästen unter Glas aufbewahrt folgende Sachen, die Holländer aber Walghvogel, vom Ekel, den sie wegen des harten Fleisches machen sollen, nennen. Die Holländer sollen zuerst solchen \^ogel auf der Insel Mauritius angetroffen haben, soll auch keine Flügel , sondern an dessen Statt zwo Pinnen haben, gleich wie die Enten und Pingvinen. Clus. exot." -j Der Gegenstand, von dem wir reden, kam nach Lehmann aus dem Nachlaß eines Dr. Paludan 1651 durch Ankauf von Seiten des Herzogs PViedrich von Schleswig-Hol- stein in die sog. Gottorfische, später in die könig- liche Kuiistkammer und von da in die natur- historische Sammlung. Es ist bemerkenswert, daß wobei ich zugleich die Originalbeschreibung gebrauche : A) Ein fast vollständiges Skelett, gefunden 1865 durch Mr. G. Clark im schwarzen (black) Allu- vialboden zu „la Mare aux Songes" bei Mahebourg auf Mauritius, beschrieben und abgebildet von Rieh. Owen in den Transact. of Zool. Society (Vol. VI, p. 49—82, PI. XV— XXIV). B) Ein ausgetrockneter rechter F'uß, der wahr- scheinlich von Roben Hubert 1665 erwähnt wurde und sich, wie es scheint, im Museum of Royal Society des Gresham College befand. Er wurde beschrieben in Grew's Catalogue 1681 mit ein Schleswig Holstefner (Volquard Iversen) um anderen Gegenständen und kam in das Britische Museum 1781. C) Abgüsse von dem Kopf und den Fußknochen von Originalien des Oxforder Universitätsmuseums, der einzigen Überreste von dem vollständigen ') Museum Tradescantianum or a coUection of Rarities preserved at South-Lambeth neer London by John Trades- cant. London by Joh. Grismond MDCLVI, p. 4. Vgl. auch National Biographie, London 1899, Vol. 57, Tradescant (1608 bis 1662), .1 p. 146. jene Zeit (1662, s. o.) in seinem Reisebericht auch der Dronte gedenkt und daß Olearius der I leraus- geber dieser Reisebeschreibungen ist. ') A Catalogue of many natural rarities with great indu- stry, cost and thirty years travel in foraign Countries collec- ted by R. Hubert alias Forges, Gent, and sworn scrvant to his Majesty. And daily to be Seen at the place formerly called the Music House near the West end of St. Paul's Church. London 1665. lauio. p. n. ^) Beschreibung der Gottorfischen Kunstkammer. Mit Kupfern. Kopenhagen 1666. Nach Lehmann a. a. O. 370 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 24 Ferner besitzt das Prager Museum ein kleines Schädelfragnient, ein Stück des Oberkiefers, wie wir oben gehört haben. Im Wiener K. K. Hof- museum ist seit 1905 ein ziemlich vollständiges Dronteskelett (Abb. 7)') zur Aufstellung gekom- men, ein Geschenk von Hofrat Dr. F. Stein- dachner. Es fehlen an diesem Skelett der Hirn- teil des Schädels und einzelne Phalangenglieder. Das Exemplar wird wohl wie das im britischen Museum aus später gefundenen Knochen zusam- mengesetzt sein. Es ist 70 cm hoch, am Becken etwa 45 cm;" der Schädel ist 21 cm lang. den Vögeln und der letztere speziell zu den Gallinae; er bemerkt von „Didus ineptus": habitat in India, volare nescius. ') Cuvier'-) bespricht die Dronte im Anhang zu den Kasuaren und be- zweifelt bereits ihre Plxistenz; Gray^) erklärte sie dann geradezu als Kunstprodukt. B 1 a i n v i 1 1 e ^) und Schlegel,'') die die Dronte als ausgestor- benen Vogel betrachteten, suchten ihre systema- tische Stellung zu ergründen und stellten sie, der eine zu den Geiern, der andere gleich Bontius (s. o.) zu den Straußen. J. Reinhardt") in Kopenhagen sprach als erster (1843) die Ansicht Abb. S. Schädel der Dronte nach Owen (Transact. Zoolog .Society Vol. VI PI. 15». Größe ca. 'U. Abb. 7. Dronteskelett. Größe ca. '/lo- (Wien, K. K. Naturhistorisches Hofmuseum.) Im Pariser Museum (Jardin des Plantes), das sich auch gleich den Londoner und Wiener Museen durch alte kostbare Bestände auszeichnet, fand ich (1914) in einem eigenen Glaskasten aufbewahrt: ein fast vollständiges Skelett der Dronte mit der Legende: ,, Dronte, espece eteinte de l'IIe Maurice. Rest faite par M. J. Terrier d'apres les documents osteologiques et iconographiques." Daneben liegen noch drei weitere separate Knochenstücke, über die nichts bemerkt wird. Hier kann man auch ein Modell der Dronte — wohl das einzige, das geschaffen wurde — in P'arben sehen. Das Ge- fieder ist in der Hauptsache schiefergrau , die Schwingen sind rosarot, die Beine gelb; die Brust braun, der Kopf bläulich, die Schnabclspitzen gelb. Die Farbe der Schwingen halte ich für unrichtig. Über die Stellung der Dronte im System herrschte lange Zeit Unsicherheit. Die älteren Naturforscher hielten sie, wie wir oben gesehen, für eine Art Schwan, Huhn oder auch Strauß. Buffon und Linnc rechneten sie zu den leben- '1 Die rhotügraphie wurde mir durch Herrn Hofrat Di- rektor Dr. Lenz gütigst zur Verfügung gestellt. aus, daß die Dronte zu den Tauben zu rechnen sei. Mit diesen Untersuchungen war das Interesse an dem ausgestorbenen Vogel lebhaft erwacht. R. CJ w e n veranlaßte dann in den 60 er Jahren (1865) einen Lehrer zu Mahebourg auf Mauritius namens Gg. Clark, Ausgrabungen daselbst zu machen und nach Knochenresten zu suchen. Im Alluvialboden des Sumpfes ,,Mare aux Songes" drei Meilen von jener Stadt glückte es, eine er- hebliche Anzahl von Vogelknochen zu bergen, nach Owen gegen 100 Stück, etwa 14 Schädel- teile, 30 Wirbel, 22 Rippen und andere Teile. Das meiste davon kam um 100 i^ in das britische Museum und einiges nach Paris, wo wir ein zu- sammengesetztes Skelett gefunden haben. R. O w e n ' ) hat in einer eingehenden Arbeit über das Skelettsystem die Stellung der Dronte (Didus ineptus L.) in der F"amilie der I'auben und ') p. 267 1835- (Londi Systema naturac, ed. Xlü. Vindobona 176S, Tom. I, Altere Auflagen bringen nichts von dem Vogel. Le regne animal, Tome I, p. 463. Paris 1817. Penny Cyclopaedia IX, p. 55. Nouv. Annales du Museum d'Histoirc naturelle. Paris Vol. IV, p. I, pl, I — 4. Siehe bei Noll a. a. O., S. liS u. 142. Frorieps Notizen, Nr. 364. Transactions of the zoological Society of London \'oI. VI n 1866) p. 49—82. Mit PI. XV— XXIV. N. F. XIV. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 371 zwar der Zahntauben (Didunculiden) begründet, von denen noch eine Art (Didunculus strigirostris Jard.) auf den Samoainseln vorkommt. Am Sl/,. 3. D e r E i n s i e d 1 e r (s o 1 i t a i r e) von Rodriguez (Pezophaps Solitaria Str. u. Melv.l Die beste Abbildung der Dronte von Bourbon bietet nach Newton ') ein Gemälde, das ehemals in Händen eines gewissen Mr. C. Dare in Clatter- ford auf der Insel Wight sich befand und jetzt im Museum zu Carisbrook Castle hängen soll. Wir sehen auf dem Dare'schen Bilde (.Abb. 9) drei Vögel in feinster Weise abgebildet, eine Bernikel- gans (Bernicla ruficollis), einen Taucher (Mergus castor) und dazwischen einen weißen fremd- ländischen \'ogel, in dem wir sogleich eine Dronte erkennen. Das Gefieder ist rein weiß, nicht mit ') Transactions of the Zoological Society of London. Tome VI (1869) XIII. On a I'icture supposed to represent the Didine Bird of the Island of Bourbon (Kiunion). Pag. 373 bis 376; PI. 62. Die dritte Maskareneninsel, das östlich von Mauritius gelegene Rodriguez. beherbergte gleich den anderen Inseln eine absonderliche Vogelart, die von den ersten Be- suchern wohl nicht von den genannten zwei Dronten unterschieden wurde. So läßt Herbert (s. o.) die Dronte auch auf „Dygarroys" d. i. Rodriguez vor- kommen. Durch den P'ranzosen Fr. Leguat haben wir aber genauere Kenntnis von diesem Vogel, die uns zu einer Abtrennung desselben von den Dronteartcn zwingt. Der genannte See- fahrer landete am i. Mai 1691 auf Rodriguez und verweilte da zwei Jahre; 1698 kehrte er nach Holland zurück, nachdem er zuvor in Mauritius sich aufgehalten, und gab 1707 seine Reise- erfahrungen mit 1 lilfe des ehemaligen Bcnedik- N. F. XIV. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 373 tiners Gabillon heraus. Das Buch wurde 1709 auch in deutscher Sprache gedruckt. ' ) „Unter allen Vögeln auf dieser Insel" (Rodri- guez), sagt Leguat (p. 112 — 126), „ist die merk- würdigste Art diejenige, der wir den Namen Ein- siedler geben, darum weil man ihrer selten etliche beisammen sieht, ob es ihrer gleich viele gibt. Die Männlein haben insgemein graue und braune P'edern, VüQe und Schnäbel wie die Indianisch Hahnen, jedoch den Schnabel etwas mehr ge- krümmt. Der Schwanz fehlt ihnen fast gar, da- gegen aber der Steiß mit Federn bewachsen und ganzrandig ist wie das Hinterste des Pferdes. Ihre Beine sind höher als der indische Hahn, sie haben einen geraden Hals und etwas länger als gedachter Vögel, wenn er ihn gleich hoch aus- streckt. Ihre Augen sind schwarz und lebhaft, der Kopf aber ohne Kamm oder Busch. Sie können nicht fliegen, weil die Flügel zu klein sind, den schweren Leib zu tragen. Sie bedienen sich derselbigen nur, damit um sich zu schlagen und sich herum zu drehen, wenn sie einander locken wollen ; denn sie drehen sich innerhalb 4 oder 5 Minuten 20 — 30 mal mit der griißten Ge- schwindigkeit immer auf eine Seite herum und da machen sie mit der Bewegung ihrer P^lügel ein Gerassel, wie es ohngefähr die Wannenweiir macht, welches man über 200 Schritte weit hört. Das Flügelbein wird unten am Ende dick und bekommt unter den Federn einen runden Knopf, wie eine Musquetkugel, womit wie auch mit dem Schnabel sie sich zu wehren pflegen. In den Wäldern hat man Mühe, sie zu bekommen, im freien Felde aber, wo man geschwinder als sie laufen kann, geht es nicht gar schwer zu. Von Martio bis in den September sind sie vortrefflich fett und köstlichen Geschmackes insonderheit die Jungen. Unter den Männlein gibt es etliche, die bis 45 Pfund wiegen. Die Weiblein sind unver- gleichlich schön: es gibt weiße und braune, weiß aber nenne ich, was die Farbe weißer Haare hat. Ober dem Schnabel, welcher dunkelbraun ist, haben sie gleichsam eine Binde, wie die Witwen einen Schleier zu tragen pflegen. Über den ganzen Leib liegen die Federn sehr ordentlich und sind sie sehr sorgfältig sich mit dem Schnabel zu zieren. Die Pedern an den Oberschenkeln sind ganz schneckenweise gekräuselt, welches denn, weil sie da sehr dichte sind, sehr artig aus- sieht. Vorne auf dem Kopfe stehen die P"edern so allerdings weißer sind als anderswo auf beiden Seiten empor, welches dann ein paar schöne Brüste eines PVauenzimmers überaus natürlich vorstellt. Sie haben einen so stolzen und zu- gleich so wohl anstehenden Gang, daß man sich darüber verwundern und sie liebgewinnen muß, ') Herrn Francisci Leguat, eines Franzosen und seiner Gelehrten Reisen und wunderliche Begebenheiten nach zweyen unbewohnten Ost-Indischen Insuln, nebst einer Erzehluiig der merkwürdigsten Dinge, die Sie auf der Insul Mauritie etc. angemercket haben. Franckfurth u. Leipzig. M. Kohrlachs. 1709. welches gute Ansehen ihnen oft das Leben er- halten hat. Obgleich diese Vögel, wenn man nicht nach ihnen läuft, nahe genug zu uns kamen, so konnten wir sie doch niemals zahm machen; sobald man sie fängt und anhält, lassen sie Tränen fallen, schreien aber nicht, wollen aber nicht die ge- ringste Speise zu sich nehmen, bis sie endlich gar darüber sterben. Bei allen (sie seien männ- lichen oder weiblichen Geschlechts) findet man im Kröpfe einen braiuien Stein, so groß als ein Hühnerei; er ist etwas rauh auf der einen Seite, platt auf der anderen, rund, sehr schwer und hart . . . Diese Steine gebrauchten wir, um Messer darauf zu wetzen. Die Vögel legen zwischen Palmblätter nur ein Ei, welches größer als ein Gansei ist. Der Plahn und die Henne bebrüten es eines um das andere und kriechen die Jungen erst nach 7 Wochen aus. Während der Brutzeit leiden sie keine anderen Vögel ihrer Gattung in der Nähe . . . Oft haben wir angemerkt, daß, wenn das Junge unter Tags aus dem Neste gelassen worden, ein Hauffen von 30 oder mehr auch einen Jungen herzubrachten, daß sich dann der neu ausge- flogene nebst seinem Vater und Mutter zu ihnen begab und endlich mit dem zugeführten an einen abgesonderten Ort ging . . ." Jetzt müssen wir abbrechen; die Erzählung wird hier zum See- fahrerlatein. Wenn ich mich nicht täusche, ist von den Buschhühnern .Australiens (Catheturus, Talegallus) schon ähnliches in der Literatur be- hauptet worden (bei Brehm finde ich jedoch keine Andeutung). Das Vorkommen eines eigenen Vogels auf Rodriguez bezeugt außer Leguat ferner der PVanzose D 'H egu ert y , der um 1734 Gouverneur der Insel Bourbon war: „Man sieht dort," (auf Rodriguez) meint er, „verschiedenartige Vögel, die man oft im Laufe fängt und unter anderen auch Solitaires, welche fast keine P'edern an den Plügeln haben ; dieser Vogel , größer als ein Schwan, gewährt ein trauriges Aussehen ; gezähmt sieht man ihn immer auf derselben Linie, soweit er Raum hat, hin und her laufen, ohne zu ent- fliehen. Wenn man das Tier öffnet, findet man gewöhnlich Bezoarsteine , auf die man großen Wert legt und die in der Medizin verwendet werden." ') Die Stelle befindet sich nach A. und E. Newton in den Memoires de la Societe R. des Sciences et Beiles Lettres de Nancy Vol. I, P- 79 (1754)- ') Die dritte und letzte Nachricht über den Ein- ') ,,On y trouve aussi des oiseaux de differentes espcces, que Ton prend souvent ä la course, et entrc autres des Soli- taires, i|ui n'ont presqu' point de plunies aux alles; cet oiseau, plus gros cju'un Cygne , a la physionomie triste ; apprivoise nn le voit toujours ä la mi'nie ligne, tant qu'il a d'espace, et retrograder de mc'me Sans s'en ecarter. Lorsqu'on en fait l'ouverture, on y trouve ordinairement des Bezoards, dont on fait cas, et qui sont utiles dans la medecine." ') Ich konnte diese Abhandlung in der Münchener K. Hof- und Staatsbibliothek nicht erlangen. 374 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 24 Siedler stammt ebenfalls aus französischer Quelle von Abbe Pingre,') der 1761 einige Monate auf Rodriguez weilte, um den Venusdurchgang zu beobachten; er sagt: Les Solitaires etaient communes ä Rodrigue du temps de Fr an 50 is Leguaf, Mr. de Puvigne (commandant de l'ile) m'a assure que la race n'etait pas encore detruite, mais ils se sont retires dans les endroits de l'isle le plus inaccessibles." Seitdem hat man von dem Vogel nichts mehr gehört. Was die Überreste des Einsiedlers betriftt, so liegen im Museum des Jardin des Plantes zu Paris 5 Knochenstücke, die 17S9 in einer Höhle auf Rodriguez ausgegraben worden sein sollen (ich habe sie bei meinem Besuche 1914 nicht ge- sehen). In den Jahren 1865 und 1866 wurden .•\bb. 10. Ganzes Skelett des Einsiedlers (Solitaire) von Rodriguez. Daneben Armskclett mit dem „musketkugel- ähnlichen'* Mctacarpale. (Nach Newton.) durch systematische Ausgrabungen in den Höhlen der besagten Insel unter Leitung des Gouverneurs Mr. G. J e n n e r gegen 2000 Skeletteile des Ein- siedlers zutage gefördert, also mehr als wir von einem anderen ürontevogel besitzen. Sie kamen meist nach England. Aus ihnen konnte durch A. und E. Newton mit Leichtigkeit fast das ganze Skelett des Vogels von Rodriguez rekon- struiert werden und es bestätigte sich die früher von S t r i ckla n d und Melville ausgesprochene Hypothese, daß er eine eigene Gattung darstelle (Pezophaps solitaria .Str. u. Melv.). Der Einsiedler (Solitaire) war etwa i ni (2 V.j Fuß) hoch und besaß höhere Beine, einen längeren Hals und einen schwächeren Schnabel als die echte Dronte von Mauritius (Abb. 10). Der Gestalt nach nähert er sich den Straußen; in der Schnabelbildung dagegen zeigt er Ver- wandtschaft mit den Papageitauben (Treron), während die echte Dronte zu den Zahntauben (Didunculus) gehört. Daß es sich wirklich um den Leg uat 'sehen Vogel handelt und dieser richtig beobachtet hat, das beweisen die 32 von Jenner eingesandten Metacarpalia, Mittelhand- knochen, die bei einer Länge von 5 cm und einer Dicke von 1 2 mm alle am Ende seitwärts eine kuglige Anschwellung aufweisen; es sind die „Musquetkugeln ähnlichen Flügelbeine", wie sich Leguat ausdrückt. Diese Knochen haben nach Newton nicht ihresgleichen in der Ornithologie Abb. II. Einsiedler von Rodriguez nach Leguat. und ihre Form hängt offenbar mit der F"Iug- unfähigkeit des Solitaires zusammen. Die mikro- skopische Untersuchung durch Mr. J. Gedge ergab, daß es sich um ein sog. Kallusgebilde handelt. Newton beschreibt den Solitaire von Rodrigtiez ') folgendermaßen: Pezophaps Strickland 1848. ^/'(///(■.f CoKnn- barum Didimim. Ckar. treuer. Rostrum mediocre. ') Ebenfalls nach Newton. St. Genevieve- Paris. Manuskri[)t ') Wenn Reich enow in seinem neuen ,, Handbuch der systematischen Ornithologie" den Einsiedler (Pez. solitaria Strickl.) auf Bourbon leben läßt, so ist dies ein Irrtum. N. F. XIV. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 375 curvatum processu nasali et ramis maxillaribus antice divergentibus. Frons plana, porcä osseo- cancellatä circumdata. Ossa coracoidea robusta. Alae braves, involatiles. Manus singulis bullis osseo-callosis armatae. Collum et pedes loncriores. Von Abbildungen des Einsiedlers (Solitaire) von Rodriguez kannte man bisher nur die ziem- lich rohe Zeichnung, welche Leguat seinem Be- richte') beigibt (Abb. 11). Der X'ogel erinnert in seiner Gestalt mehr an einen Schwan als an einen Strauß, da die Beine verhältnismäßig kurz, der Hals dagegen lang geraten sind. Auch Koiif- und Schnabelform stimmen nicht recht zu den Knochenbefunden. feste, etwas gedrungene Körpergestalt charakteri- siert das Tier als einen Laufvogel ; sie paßt auch zu dem Skelettaufbau des Einsiedlers, den Newton rekonstruierte. Die Kopf- und Schnabel- form deckt sich gut mit der von diesem Forscher vollzogenen Zusammenstellung der entsprechenden Knochen; Die Stirn ist aufgedunsen, der Ober- kiefer hier wie dort hakig gebogen und über den Unterkiefer vorgreifend (Abb. 13). Dieser er- scheint auf unserem Bild auch gekrümmt und zwar im entgegengesetzten Sinn vom Oberkiefer konkav-konvex, während der Unterkieferknochen nach New ton 's Darstellung eine gestrecktere Form zu besitzen scheint; man sieht jedoch auf Abb. 12. Der Einsiedler (Solitaire) von Rodriguez (Pezophaps solitaria Strickl. u. Melv.) neben Kranich , Kasuar u. Paradiesvogel. Auf einem kolorierten Blatte in der Albertina in Wien. Gr. ca. Yi- (l'hot. von Killermann.) In der berühmten Uandzeichnungensammlung .\lbertina -) in Wien sah ich (Herbst 1912) ein schönes (in Aquarell) gemaltes Bild, das eine tropische Landschaft mit Palmen und Vögeln be- handelt. Wir erkennen den Kasuar, Kranich, Paradiesvogel, Kakadu, Jukan und — den Ein- siedler von Rodriguez (Abb. 12). Die Bildgruße dieses Vogels beträgt 30 cm in der Höhe und ca. 25 cm in der Breite; das Tier selbst scheint ^) Siehe oben Herrn P'r. Leguat etc. Holzschnitt zwischen p. 112 u. 113. ^) Uiversa IV part. 11. (Jrnithologia VValtheriana Pars 1. Bl^'t. 15554. Abb. 13. Schädel des Einsiedlers (Solitaire) von Rodriguez. Fig. 150 Schädelknochen von der Seite; 157 Oberkiefer; 159 u. 160 Unterkiefer; alles von der Seite. 161 u. 162 Unter- kiefer von unten. (Nach A. u. E. Newton, a. a. O. PI. XXII.) etwa halb so groß als der Kasuar zu sein. Die Newton's Zeichnung (Abb. 13, zwischen 159 und 160) eine Bruchstelle in dem besagten Kiefer und ich vermute, daß die beiden Knochenteile verbunden ebenfalls gekrümmt waren, so wie das Wiener Bild die Verhältnisse zeigt. Wir bekommen durch dieses Gemälde auch Aufschluß über die Färbung des tlinsiedlers. Sie ist im großen und ganzen weißlichgrau; die Federn erscheinen in der Hauptsache weiß und nur an ihren Enden grau. Die neun Schwung- federn und der Schwanz, von dem nur sechs, etwas straußenähnliche Federn sichtbar sind, so- wie die Deckfedern an den Schenkeln weisen eine dunkelgraue P'ärbung auf Die Beine und P'üße sind mit gelben Hornplatten bedeckt; auch der Schnabel ist in der Hauptsache gelb gefärbt mit Ausnahme der oberen Augengegend, die einen zinnoberroten Anstrich aufweist. Das Auge selbst, sowie auch die Schnabelspitzen und die starken Krallen an den Zehen sind schwarz, während die Iris der anderen Dronten gelb oder rot war (s. o.). Von der Halskrause, die Leguat besonders merkwürdig fand, gibt unser Bild aller- 3/6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 24 dings keine Andeutung; die weißgraue Färbung des Gefieders würde jedoch zu seiner Beschrei- bung wohl stimmen. Sehr auffallend erscheint in unserem Bild die rote Umgebung des Auges und ebenso auffallend ist der Umstand, daß wir diese Eigentümlichkeit in den Reiseberichten nicht geschildert finden. Leguat spricht jedoch davon an einer anderen Stelle, wo er uns Gelinottes, hühnerartige Vögel, von den Maskarenen vorführt; ,,Sie sind hellgrau mit einem roten Saum um's Auge; der Schnabel ist gerade und zugespitzt ungefähr zwei Daumen lang." Gewöhnlich wird diese Stelle nach dem Vorgang von Strickland auf das „rote Huhn" (s. u. I bezogen; ob es sich nicht auch hier um den Solitaire handelt ? Das Bild, von dem wir sprechen, hat keine nähere Erklärung; die dargestellten Tiere tragen keine Namen. Das Blatt gehört zur sog. O r n i - thologia Walther's, die im Auftrag des österreichischen Kaiserhauses um 1657 geschaffen wurde. Johann Walt her war in Straßburg gebürtig und lebte als Miniaturmaler im 17. Jahr- hundert in Wien. Über seine Persönlichkeit habe ich nichts Näheres einstweilen erfahren können. Daß unser Bild noch dem 17. Jahrhundert ange- hört, bezeugt außer dem genannten Datum auch die schlechte Auffassung des Paradiesvogels (Paradisea apoda), der ohne Füße über dem Ein- siedler schwebt. Die Jahreszahl 1657 harmoniert freilich nicht mit dem Datum Leguat 's, der erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts den Einsiedler kennen lernte und beschrieb. Wie wir aber oben gehört haben, spricht bereits Ih. Herbert (1626) von einer Dronte auf „Dygarroys" und es wäre nicht aus- geschlossen, daß eine solche von Rodriguez mit anderen Maskarenenvögeln schon in der Mitte des 17. Jahrhunderts nach Europa gebracht und von unserem Maler abkonterfeit wurde. 4. Das rote Huhn (Aphanapteryx spec). Auf den Maskarenen existierten ferner kleinere' huhnähnliche Vögel , welche von den Reisc- beschreibern im allgemeinen als rote Hühner (poules rouges) bezeichnet wurden. P^s sind auch Knochen von einem kiwi- oder schnepfenstrauß- artigen Vogel zusammen mit solchen der Dronte von diesen Inseln nach luiropa gebracht, aber es ist nichts Weiteres (nach Noll) über sie bekannt geworden. Wir sind hauptsächlich auf die Reise- berichte und ein durch v. P^auenfeld ans Licht gezogenes Bild (Abb. 14) angewiesen. Dieser Autor gab den in Rede stehenden Vogel den Namen Aphanapteryx imperialis. Als erster bringt Piet er van denBroeckc (1617)') eine Zeichnung, welche mit dem roten Huhn identisch sein dürfte. Das Bild (wieder- gegeben V. Frauen feld, Taf. 3, Fig. 3) zeigt ein kleines schwaches Tier mit gekrümmtem, kurzen Schnabel. Dagegen hat das „Huhn" (a hen), das Th. Herbert (Abb. i) neben der Dronte darstellt, einen langen, spitzen und ganz geraden Schnabel. Während sich diese Autoren nicht weiter über die seltsamen Vögel äußern, läßt der französische Reisende Fr. C au che (1638) etwas mehr verlauten. PIr fand sie sowohl auf Mauritius als Madagaskar, beschreibt sie als rote Hühner mit Schnepfenschnabel und sagt, daß sie sich durch Hinhalten eines roten Tuches leicht fangen lassen. Das Fleisch ist sehr fett und schmackhaft. -) ') ,,Elles sonl d'un gris clair, avec un ourlet rouge autour de l'ocil; le bec droit et pointu , long de deux pouces envi- ron." Vgl. V. Frauenfeld S. 6 und Strickland in Pro- credings of tlie Zoological Society of London. Part. .\II (1844) p. 79, Anm. Alil>. 14. Das rote Huhn (Aphanaptery.x) nach v. Frauenfcld. Ähnliches erzählt endlich aucii der oben ge- nannte deutsche Missionär Jo h. Chr. Hoffmann, der freilich diese roten 1 lühner und die Dronten miteinander zu verwechseln scheint ; vielleicht weil die letzteren, da schon ausgerottet, von ihm nicht mehr gesehen wurden. In dem oben zitierten Berichte heißt es weiter: „Endlich (gibt ') Tweede deel van het l'.cgin ende Voortgangh der Vcreen. Nedcrl. Geoctr. Oostind. Compagnie 1617. *) 11 y a cn l'islc Maurice et Madagascar . . . des poules rouges au bec de bocasse : pour Ic prendre il ne faut que leur presenter une piece de drap rouge, ellcs suivent et se laissent prendre a la main : elles sont de la grosseur de nos poules, e.\cellentes a manger. (Nach Strickland, the Dodo and its kindred etc. Solitaire and other extinct birds. Lon- don 1848.) N. F. XIV. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 377 es) eine sonderliche Art rother Vögel, die man Toddärsche nennet, und in der Größe eines ge- meinen Huhn seynd, welche, weil sie nit fliegen, nichts desto weniger aber geschwind lauffen können, aufif eine belächliche und zwar folgende Weise gefangen werden : Man nimmt in die rechte Hand ein Stöcklein, die Linckte aber bewickelt man mit einem roten Läplein, die man solcher Gestalt denen Vögeln, so sich gemeinlich Haufen- weiß beysammen finden, gleichsamb lockend vor- hält, wornach sich diese thörichte Vögel fast ohne Scheu herbey machen (nicht weiß Ich, ob sie diese Farbe so sehr hassen oder lieben) wenn sie dann nahe genug seyn, schlaget man zu und bekömt sie also, sobald man auch nur einen hat und selbigen in die Handt nimbt, so lauffen auch die anderen herzu, den (befangenen gleichsam zu erretten, und werden mit gleicher Miintze be- zahlet" (p. 52). Eine Illustration zu diesem Berichte von „roten Toddärschen" scheint das oben von mir aus Florenz gebrachte Bild (Abb. 6b) zu sein. Ge- wöhnlich aber und wohl mit Recht wird H e r - bert's „hen" auf diesen roten Vogel mit Schnepfenschnabel bezogen (s. o.). Das beste Bild ist wohl das durch v. Frauenfeld ent- deckte Gemälde in der Bildermappe der K. Privat- bibliothek in Wien, das von ihm auf Taf. 2 seines Werkes veröffentlicht wurde (Abb. 14). Das Tier war nach seiner Ansicht etwa so groß wie ein Huhn, hatte einen verlängerten, schwach ge- krümmten Schnabel, die Nasenlöcher an der Wurzel, Beine hühnerartig, anscheinend geschildert, Flügel ganz verkümmert und keine Schwanz- federn. Die F"edern waren zerschlissen wie beim Kiwi, im Nacken etwas verlängert, das Gefieder gleichmäßig braunrot, Schnabel und Beine dunkel, die Iris gelblich (?). Es ist nicht ausgeschlossen, daß Mauritius und die anderen Maskarenen zwei oder mehr Arten „roter Hühner" beherbergten, eine mit längerem, gekrümmten, die andere mit kürzerem, aber ge- raden Schnabel. Leider sind keine Knochenfunde in dieser Beziehung gemacht worden, um diese Frage aufzuhellen. 5. Die Riesen-Ralle (G allin ula gigantea Schlegel). Leguat, von dem wir die Nachricht über den Einsiedler haben, sah 1693 auf Rodriguez auch einen 6 Fuß hohen Vogel, den sog. Riesen (le geant), und gibt von ihm eine rohe Skizze (Abb. 15). Nach seiner Beschreibung sind „diese Vögel außerordentlich hoch gestellt, mit langen Beinen und langem Hals. Der Körper ist nicht größer als der einer Gans. Sie sind ganz weiß, bis auf einen etwas roten Fleck unter den Flügeln. Sie haben einen Schnabel wie die Gans, aber ein wenig spitzer; die Zehen der Füße sind von- einander getrennt und sehr lang. .Sie kommen vor in sumpfigen Orten; die Hunde überfallen sie oft, wenn sie nicht Zeit haben, sich von der Erde zu erheben. Wir sahen eines Tages auf Rodriguez einen solchen Vogel und fingen ihn mit der Hand ; denn er war fett ; es war das einzige Exemplar, das wir hier bemerkten, was mich auf den Glauben bringt, daß es vielleicht durch einen Orkan hierher verschlagen worden sei, dessen Ge- walt es nicht widerstehen konnte. Das Wildbret war sehr gut". ^) H. Schlegel hat den Vogel, von dem wir nur diese einzige Nachricht besitzen, als Riesen- Ralle angesprochen. Solche kommen jetzt nur mehr in Brasilien, Mittelamerika vor (Aramus spec). Schluß. Die Maskarenen besaßen außer die- sen fünf Vögeln, die durch Beschreibun- gen , Abbildungen und Knochenfunde beglaubigt sind, noch einige Arten, falls wir den kurzen Notizen der Reisen- den glauben dürfen. So soll auf Bourbon ein ,, blaues Huhn", vielleicht eine Por- phyrie - Art , neben der beschriebenen Dronte vorgekom- men sein, ferner auf Rodriguez eine schiefergraue Taube und ein blaugrüner Papagei, von denen Leguat Andeutun- gen macht. Die Tiere sind ver- schwunden, obwohl sie fliegen konnten; erhalten haben sich nur ein kleiner Fink (P'oudia flavicans) und ein Sänger (Drymoecarodericana), auf Mauritius ferner zwei Tauben, Columba nitidissima und die Rosentaube C. mayeri Prev. Knip., ") die zwar in den alten Berichten nicht speziell erwähnt werden, aber wohl immer dort lebten. Die Dronten scheinen, wenn sie auch jetzt in zwei Gattungen geschieden werden, von einem gemeinsamen Stamme sich abzuzweigen. Nirgends sind Spuren von diesen Vögeln auf der Erde ge- funden worden, wie Noll erklärt, und auch v. ZitteP) macht darüber keine Bemerkung. Wir wissen nicht einmal, woher und wie sie auf die Maskarenen gekommen sind, die nicht wie ') Leguat Franc, Voyages et Aventures etc. London 1708, Tom. II. p. 72. 2) Vgl. A. Reichenow, Die Vögel, (Stuttgart 1913), 1. Bd., S, 346. ^) ürundzüge der Paläontologie. München 1895, S. 337. Abb. 15. Riesen-Ralle (Gallinula gigantea Schlegel) von Rodriguez. Skizze ron Leguat. 3/8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 24 Madagaskar und Neuseeland kontinentale, d. h. alte, von einem Landkomplex übrig gebliebene, sondern ozeanisch-vulkanische und jüngere Inseln sind. Die Voreltern der Dronten mußten nach Owen wohl einst als fliegende Tiere durch Stürme verschlagen worden sein, vielleicht von Asien (Indien), mit dessen Tierwelt die der Mas- karenen am nächsten verwandt ist. Da die Vögel in diesem Paradiese , das von Raubtieren voll- kommen frei, dafür aber sehr reich an Nahrung war, ein phlegmatisches Leben führen konnten, degenerierten sie immer mehr und büßten das Flugvermögen ein, gleich unserem gut genährten Hausgeflügel. Ks ist nun auffallend, daß auf den drei Maskareneiiinseln dieser Prozeß in fast gleicher Weise verlief; wir dürfen die drei Arten wohl auf eine Urart zurückführen, an der das Lamark'sche Prinzip von der funktionellen An- passung im negativen Sinne sich auswirkte. Was das Aussterben der Dronten betrifft, so scheinen sie schon in ihrer mangelhaften Organi- sation den Keim des Todes in sich getragen zu haben. Die Dronten gleichen nach Owen jungen Tauben,') die ja auch lange Zeit schwache Mügel besitzen und ganz hilflose Nesthocker sind; erstere hätten ihren unreifen Charakter das ganze Leben hindurch beibehalten und, als ein neuer P'eind in Gestalt des Menschen auftrat, war es um ihre Existenz geschehen, da sie sich nicht durch die Mucht retten konnten. P^reilich erhebt sich die Frage, warum gerade die Dronten flugunfähig geworden sind , während andere Tauben , wie soeben erwähnt, auf Mauritius ihre Existenz be- haupteten. Strickland und Melville fanden in der Organisation der Maskarenenvögel keine LnvoUkommenheit, wie sie sich überhaupt dahin aussprechen, daß jedes Geschöpf die zur Er- haltung seiner Art notwendige Organisation von Anfang an besitzt. Es möchte uns aber doch scheinen, als ob in den Dronten eine eigentüm- liche Degeneration zutage träte, die vielleicht auf Rechnung der Isolierung und der durch sie be- dingten Inzucht zu setzen ist. ') Mir ist die Ahnliclikeil mit jungen Albatrossen in der Pariser Sammlung aufgefallen. Als nächste Ursache des Verschwindens der Drontevögel ist wohl der Einfluß des Menschen zu buchen. Die Seefahrer haben, wie wir aus den Reiseberichten entnehmen konnten, die harm- losen Tiere vernichtet, ohne auf ihre Nachkommen- schaft und Vermehrung Bedacht zu haben. Wir können es ihnen, da sie gar oft auf der langen Indienfahrt an Skorbut litten, nicht verübeln oder es begreiflich finden, wenn sie die herrenlosen paradiesischen Inseln als eine Erholungsstation benutzten und sich dort mit frischem Heische versorgten. Nachdem dieselben in feste Hände übergegangen, hätte man von Amtswegen gegen den Raubbau eingreifen sollen ; aber die Zeit und der Sinn für Erhaltung der Naturdenkmäler war noch nicht gekommen.') Nach Newton ist es wahrscheinlich, daß noch ein anderer Umstand das Aussterben der Dronten beschleunigte, das Aussetzen von Schweinen auf den neuentdeckten Inseln, die bald verwilderten und den Boden- brütern — als welche wohl auch unsere Vögel zu gelten haben — gefährlich werden konnten. Wir haben einen Bericht aus den Jahren 1708 bis 17 10 von einem gewissen la Roque, wonach auf Mauritius Herden verwilderter Schweine um- herliefen. Vielleicht war dies der Hauptgrund, warum die Dronten zugrunde gingen; denn andere flugfähige Tauben , denen wegen des guten Fleisches noch mehr nachgestellt wurde, die aber in der Höhe brüteten, haben sich erhalten. Der Untergang der Maskarenenvögel zeigt uns so recht, wie der ewige Kampf zwischen der Kultur und der Natur verläuft und wie vielfach die letztere den kürzeren zieht. Einen Lichtblick gewährt in dieser Tragödie das warme Interesse der Kunst, die in den Dronten seltene, für die Nachwelt interessante Tiere erkannte. Mögen die Bestrebungen, den Krieg zwischen den beiden Gewalten zu mildern und der oft schwächeren Natur zur Hilfe zu kommen, immer weitere Kreise erfassen und mit Erfolg gekrönt sein ! ') Was soll man aber sagen, wenn heute noch auf Inseln der Südsee gegen die Vcgelwelt (Albatrosse) unsinnig gewirl- schaftet wird ; vgl. einen Bericht in der Zeitschrift ,, Kosmos" im vergangenen Jahre. Einzelberichte. Botanik. Drüscnhaare an Wurzeln. Von Haargebilden an Wurzeln waren bisher nur die einzelligen Wurzelhaare bekannt, die bei den Phanerogamen unmittelbar aus den Absorptions- zellen auswachsen. Es ist daher von großem Interesse, daß G. Haberlandt kürzlich die Bil- dung von Drüsenhaaren an Wurzeln beobachtet hat. Ein Laubblatt von Bryophylltmi calycinum hatte eine Zeitlang in einem VV'asserglase ge- standen, und beim Austreiben der Adventiv- knospen in den Blattkerben waren Wurzeln ge- bildet worden, die fast alle mehr oder weniger reichlich mit mehrzelligen Drüsenhaaren versehen waren. Ein solches Haar entsteht dadurch, daß die junge Absorptionszelle zwei vorbereitende Ouerteilungen erfährt, wodurch die Initialzelle des Drüsenhaars herausgeschnitten wird. Diese kann direkt zum Drüsenhaar auswachsen, das dann aus einer 3 — 4 gliedrigen Zellreihe besteht, deren Endzelle etwas verbreitert ist und die SekretzcUe darstellt. Häufiger enthält das Drüsenhaar zwei Zellrcihen, oft auch nur zwei N. F. XIV. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 379 nebeneinanderliegende Zellen. Noch andere Formen treten auf. Fast immer ist das Haarende keulig verbreitert. Die Zellen sind plasmareich und haben große Zellkerne. Der Endzelle sitzt eine stark lichtbrechende Sekretkappe auf, die aber bei manchen Haaren fehlt ; es wird also nicht von allen Sekret abgeschieden. In sehr feuchter Luft bilden sich die Drüsenhaare nicht; dann entstehen vielmehr nur gewöhnliche Wurzcl- haare. Daß sich aber überhaupt Drüsenhaare entwickeln können, beweist aufs neue, „daß auch im Idioplasma schon stark spezialisierter „soma- tischer" Zellen die Anlagen für Organe vorhanden sind, die normalweise an ganz anderen Teilen des Pflanzenkörpers auftreten. Nicht nur die jugendlichen Absorptionszelien der Wurzeln, auch diejenigen Blattzellen, welche zu den Initialzellen der Wurzelanlagen werden, müssen natürlich die „Drüsenhaaranlage" besitzen, obgleich an den Laubblättern niemals Drüsenhaare entstehen. Sie treten ausschließlich an der Blumenkrone auf". Der \"erfasser legt ferner Gewicht auf den Um- stand, daß die Drüsenhaar-Initiale, wie oben er- wähnt, erst zwei „vorbereitende Zellteilungen" erfährt, bevor das Drüsenhaar auswächst. Solche vorbereitenden Zellteilungen kommen auch sonst sehr häufig vor, wenn es sich um die Anlage von Zellen oder Zellkomplexen handelt, die histo- logisch von ihrer Umgebung sehr abweiclien; Haberia n dt erinnert an die vorbereitenden Zellteilungen, die zur Bildung der Nebenzellen des Spaltöffnungsapparates führen. Er vermutet, daß durch diese Zellteilungen aus dem Idioplasma der Kerne vorerst gewisse Anlagen entfernt werden sollen die der Entfaltung jener Anlagen, auf die es ankommt , hinderlich sind. Noch andere theoretische Betrachtungen werden von ihm angedeutet. Hier sei nur noch der vielleicht nicht bedeutungslosen Tatsache Erwähnung ge- tan, daß die Drüsenhaare der Wurzeln von Bryo- phyllum mit den an Stengeln und Blättern einer anderen Crassulacee, der Kalanchoü glandulosa, auftretenden Drüsenhaaren größere Ähnlichkeit be- sitzen als mit denen der Blumenkrone von Bryo- phyllum. (Sitzungsberichte der Ki'migl. Preuß. Akademie der Wissenschaften, 191 5, XII, S. 222 bis 22(1). F. Moewes. Bakteriologie. Bacterium tumefaciens patho- gen für Pflanzen und Tiere. Aus Geschwulst- bildungen von Chrysanthemum frutescens hatte Erw. P". Smith einen Spaltpilz, Bacterium tume- faciens, reingezüchtet, der sowohl auf der damit geimpften Ausgangspflanze wie auf andern syste- matisch oft sehr fernstehenden Pflanzen Ge- schwülste erzeugte. Neuerdings glaubte er auch, eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zwischen den Wuchsverhältnissen solcher Tumore und denen tierischer Krebsgeschwülste beobachtet zu haben. Infektionsversuche aber, die mit dem Bakterium an Tieren (Fischen und Fröschen) angestellt wurden, hatten keinen Erfolg; da die Maximal- temperatur des Wachstums für B. tumefaciens bis etwa 36,5" gefunden wurden, waren keine Ver- suche an Warmblütern ausgeführt worden. In- zwischen hat U. Friedemann zusammen mit Bendix und Hassel in einem F"all von eitriger Gelenkentzündung und in drei Fällen von Genick- starre Bakterien aufgefunden, die sich morpho- logisch, kulturell und besonders auch durch die spezifische Serumreaktion nicht von bestimmten, in Berlin kultivierten Stämmen des Bacterium tumefaciens unterscheiden lassen. Einer dieser Stämme (aus der Kais, biologischen Reichsanstalt) hat sich als stark tierpathogen, wenn auch nicht im warmblütigen Tier erkennbar geschwulst- bildend erwiesen, wodurch er sich, soweit be- kannt, von allen übrigen als Pflanzenparasiten auftretenden Bakterien unterscheidet. Anderer- seits gelang es W.Magnus und Friedemann nicht, mit den aus dem Menschen isolierten Stämmen auf Zuckerrüben Geschwülste zu er- zeugen. Die Annahme, daß Bact. tum. beim Durchgang durch den menschlichen Körper seine Pflanzen Pathogenität einbüßt, fand eine gewisse Begründung durch den Nachweis, daß der Stamm „Reichsanstalt" nach wiederholtem Durchgang durch den Kaninchenkörper seine geschwulst- bildende Kraft (an Zuckerrüben) erheblich ver- mindert hatte. Magnus und Friedemann richteten daher ihr Ziel auf die Isolierung tier- pathogener Stämme, die vielleicht noch nicht die Blutbahn passiert hatten. Friede mann gelang es, in drei verschiedenen P'ällen von Darm- erkrankungen bei Menschen drei Stämme zu iso- lieren, für die diese Voraussetzung möglicher- weise zutraf. Magnus führte mit diesen und zwei anderen tierpathogenen Stämmen Infektions- versuche an Pelargoniumpflanzen, an denen sich, wie er gefunden hatte, mit Bact. tum. besonders leicht Geschwülste hervorrufen lassen, mit dem Ergebnis aus, daß insonderheit einer der Stämme, der aus dem Darm einer an ulzeröser (ge- schwüriger) Vereiterung des Dickdarmes leidenden Frau stammte, an diesen Pflanzen t\pische und ergiebige Geschwulstbildung erzeugte. Dies scheint der erste Fall zu sein, daß ein im tieri- schen Körper auftretendes Bakterium zugleich Erkrankungen an Pflanzen hervorrufen kann. Ge- ringe Wucherungen an Zuckerrüben und Kartoffeln wurden noch mit zwei anderen aus dem mensch- lichen Körper isolierten Stämmen erhalten, die kulturell und serologisch von Bact. tum. nicht zu unterscheiden sind. Bei den übrigen Stämmen kann sich die geschwulstbildende Kraft unter den gegebenen Bedingungen jedenfalls nicht geltend machen, ist aber (nach Friedemann und Magnus) sehr wahrscheinlich latent vorhanden. Die Untersucher sind der Ansicht, daß Bact. tum. nicht auf lebende Pflanzen und Tiere beschränkt sei, sondern auch im Ackerboden und anderwärts vorkomme und eine weite Verbreitung habe. ,,Über die zunächst liegende Frage, welche sowohl theoretisch wie praktisch von größter Bedeutung 38o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 24 ist, ob nicht auch dieses merkwürdige Bakterium mit den Krebsgeschwülsten des Menschen und der Tiere in Verbindung zu setzen ist, vermögen wir vorläufig noch keine Antwort zu geben. Es ist bekannt , daß auf Grund der statistischen Daten, daß der Krebs bei der mit landwirtschaft- lichen Verrichtungen beschäftigten Bevölkerung besonders häufig und an einzelnen Orten ende- misch ist, öfter Versuche unternommen worden sind, diese oder jene Pflanzenkrankheit, die mit dem IVIenschenkrebs äußerliche Ähnlichkeit hatte, mit ihm in Verbindung zu setzen. Diesen vagen Hypothesen gegenüber hätte es allerdings eine viel größere Berechtigung, diesem proteusartigem Bakterium, das im Menschen so verschiedenartige Krankheitsbilder hervorruft, auch zuzutrauen, daß es ganz wie an der Pflanze an vielleicht wunden oder sonstwie dauernd gereizten Stellen Neu- bildungen krebsartiger Natur auch an tierischen Geweben hervorzurufen vermag." Versuche in dieser Richtung werden von Friedemann und Magnus ausgeführt. (Berichte der Deutschen Botanischen Gesellschaft, Bd. 33, 1915, Heft 2, S. 96—107.) F. Moewes. Chemie. Über die Beziehungen zwischen der chemischen Konstitution und der Kristallform bei den einfacheren Kohlenstoffverbindungen berichtet Walt her Wahl, ein Autor, dessen Untersuchungen über die optischen Eigenschaften von kristallisiertem Wasserstoff, Sauerstoff, Stick- stoff, Argon usw. den Lesern dieser Zeitschrift aus einem Referat (Naturw. Wochenschrift, N. F., Bd. 13, S. 137) bereits bekannt sind, in der Zeitschrift f. physik. Chemie, Bd. 88, S. 129 — 171 (1914). Die folgenden Angaben und Betrach- tungen sind der Wahl'schen Arbeit entnommen. Zunächst sei eine, die experimentellen Ergeb- nisse Wahl 's zusammenfassende Tabelle hier wiedergegeben. (.Siehe die Spalte rechts.) In der nebenstehenden Tabelle umfaßt die Be- zeichnung hexagonal auch die trigonale Kristall- form ; mit c wird ein enantiotropes, mit m ein monotropes Umwandlungsverhältnis bezeichnet. Als „Kristallform" ist im Falle von Monotropie immer die Kristallform mit dem höheren Schmelzpunkte, im Falle von Enantiotropie immer die mit dem höchsten Existenzgebiet, also die, die sich bei unmittelbarer Kristallisation aus dem geschmolzenen Zustande bildet, d. h. die im .Schmelzpunkte selbst mit der Schmelze im Gleich- gewicht steht, angegeben. Bei der planmäßigen Untersuchung der Be- ziehungen zwischen Kristallforni und chemischer Konstitution wird man sich in erster Linie wohl die krage vorlegen, ob die Kristallform eine ad- ditive oder eine konstitutive Eigenschaft der Ver- bindungen ist, ob also die Kristallform nur von der Zahl und der Art der in der Verbindung vor- handenen Atome abhängt oder ob auch die Art und Weise, wie die Atome in der Verbindung verkettet sind, von erheblichem Einfluß ist. Die Beantwortung der PVage ergibt sich, wenn man die einfachsten Verbindungen, nämlich die mit nur einem Kohlenstoffatom, betrachtet: Da der Kohlenstoff selbst im Diamanten re- gulär ist und auch der Wasserstoff regulär kristal- Kristallform bei der Substanz Kristallisation aus dem tlüssigen Zustande Polymorphie CHj kubisch / orthorhombisch \ dimorph e CH3CI \ oder monoklin / CH.Clo orthorhombisch dimorph e CHCI, hexagonal CClj kubisch dimorph e CH3Br monoklin trimorph e CH.,Br„ orthorhombisch dimorph e CHBr^ hexagonal dimorph e CBr^ kubisch dimorph e CH3J monoklin CH,J, orthorhomliisch tetramorph e CHJ3 hexagonal (dimorph f) CJ4 kubisch — CHjfNO,) monoklin — C(NO.,)4 kubisch dimorph e CClalNOj) ( tetragonal, hexagonal ^ \ oder orthorhombisch ) dimorph e CO kubisch — CO2 kubisch — CSä monoklin oder triklin — COS ( tetragonal, hexagonal \ \ oder orthorhombisch ; CÜCla tetragonal od. hexagonal dimorph m CH,.CH3 hexagonal — CHj : CH2 monoklin — CH CH kubisch dimorph e CHs-CHa-CIIa / orthorhombisch oder \ \ monoklin ( dimorph e CU{CR,\ hexagonal — CH3 . CH2 • CIU ■ CH3 hexagonal dimorph e CIl3.(CH.j)s-CH3 / orthorhombisch oder \ ( monoklin . / - CHj.fCHoV-CHs monoklin oder triklin — CH3.(CIIi.),,.CH3 monoklin oder triklin — CH3.(CH2VCH3 monoklin oder triklin — qCHa), kubisch dimorph e CHj-OH monoklin oder triklin dimorph e CjH.-OH /orthorhombisch,mono- \ \ klin oder triklin / CfCHa^-OH hexagonal dimorph e CHs-O-CH, orthorhombisch — CHa-O-CäHr, monoklin oder triklin — C,H,.O.C,U, orthorhombisch dimorph m CII3.CO.CH3 monoklin oder triklin — C(O.CII.,.CH3), / tetragonal \ \ (pseudokubisch) ( - C(Cll2.0H)^ tetragonal — eil;. 1 CH.. 1 ; hexagonal dimorph e CH., 1 CH0-CH2-CH., r 1 " kubisch CH2-CH2— CHj ( CH.,— CH.,— CHj 1 1 " '1 monoklin — CH„-CH.i— CIl-CH., ) '"«li« orthorhombisch — (:„ii,.cH3 orthorhombisch — i.4Con4(cn3)2 monoklin — 1-3-5 CoH3.(CH3)3 orthorhombisch dimorph m C„(C!l3)„ orthorhombisch — C„CI„ orthorhombisch — <:(<'cll5)i orthorhombisch — N. F. XIV. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. lisiert, so erscheint es sehr verständlich, daß auch das Methan dem regulären Kristallsystem ange- hört. Anders aber liegt der Fall, wenn man die vier Wasserstoffatome durch vier Chlor-, Brom- oder Jodatome ersetzt. Da Chlor, Brom und Jod rhombisch kristallisieren, so könnte man erwarten, daß Tctrachlor-, Tetrabrom- oder Tetrajodmetlian in einem Kristallsystem von geringerem Symmetrie- grade als das Methan, also rhombisch oder auch tetra- gonal kristallisiere. Tatsächlich aber kristallisieren nicht nur die Tetrahalogenmethane, sondern auch das Tetranitromethan und das Telramethylmethan ebenso wie das Methan selbst regulär, also kann die Kristallform keine additive, sie muß vielmehr eine konstitutive Eigenschaft der Stoffe sein. Während die Tetrasubstitutionsprodukte der Methane sämtlich regulär sind, weisen die Mono- substitutionsprodukte eine erheblich geringere Symmetrie auf: Brom-, Jod- und Nitromethan sind monoklin, Chlormethan ist rhombisch oder mono- klin und der Methylalkohol CHg. (OH) ist mono- klin oder triklin. Im Gegensatz dazu weisen die rhombisch kristallisierenden Bisubstitutionspro- dukte CH.Xl.,, CIT,,Br._, und CHJ., und die hexa- gonal kristallisierenden Trisubstitutionsprodukte CHCI3, CH^Br.j und CHJg wieder eine höhere Symmetrie auf. „Wir beobachten somit, daß, wenn ein Wasserstoffatom in dem regulär kristalli- sierenden Methan durch irgendein anderes ein- wertiges Atom oder eine solche Gruppe sub- stituiert wird , die entstehende Verbindung in einem Kristallsystem von verhältnismäßig niedriger Symmetrie kristallisiert. Durch eine solche Substitution wird das symmetrisch ge- baute Methanmolekül, das aus einem Kohlenstoff- atom mit vier darum gruppierten Wasserstoff- atomen besteht, in ein hochgradig unsymme- trisches Molekül verwandelt, in welchem das Kohlenstoffatom in drei räumlichen Richtungen von drei Wasserstoffatomen und in der vierten von einem viel größeren Atom oder einer viel größeren Gruppe umgeben ist. Wenn dann noch ein weiteres Wasserstoffatom durch ein gleiches Atom oder eine gleiche Gruppe wie bei der ersten Substitution ersetzt wird, vermindert sich der durch die Einführung des ersten Substituenten im Molekül hervorgerufene Kontrast, da das Molekül jetzt aus einem Kohlenstoffatom, das von zwei untereinander identischen Atompaaren um- geben ist, besteht. Infolgedessen zeigt die Kristall- form dieser Disubstitutionsprodukte, die rhombisch sind, einen höheren Symmetriegrad als diejenige der meist monoklinen Monosubstitutionsprodukte. Durch Einführung eines dritten Substituenten wird die Symmetrie der Moleküle noch weiter erhiiht, denn es besteht jetzt aus dem zentralen Kohlenstoffatom, das von drei großen, mitein- ander identischen Atomen oder Atomgruppen und dem verbleibenden Wasserstoffatom umgeben wird. Die dominierende Rolle der drei Sub- stituenten offenbart sich an der hexagonalcn Kristallform dieser Stoffe. Wenn dann das letzte Wasserstoffatom auf ähnliche Weise substituiert wird, erhalten wir das Tetrasubstitutionsprodukt mit einem symmetrisch gebauten Molekül äiinlich dem Methan selbst. Alle diese Tetrasubstitutions- produkte kristallisieren, ähnlich dem Methan, im regulären System. Das Kristallsystem der Sub- stitutionsprodukte des Methans hängt somit voll- ständig von der Symmetrie des chemischen Mole- küls selbst ab, und alle Symmetrieänderungen des Moleküls, die infolge der Substitution eines einwertigen Atoms oder einer einwertigen Gruppe durch eine andere im Molekül Platz greifen, werden durch eine entsprechende Änderung der Kristall- symmetrie wiedergegeben. Daher kann die Schlußfolgerung gezogen werden : Die Kristallsymmetrie der einfachen Kohlenstoffverbindungen ist eine kon- stitutive Eigenschaft, die durch die Symmetriebedingungen ihres chemi- schen Moleküls bestimmt wird." Es könnte im ersten Augenblick vielleicht auffallend erscheinen, daß einem Trisubstitutions- produkt des Methans eine höhere Symmetrie zu- geschrieben wird, als einem Monosubstitutions- produkt, indessen zwingen die Tatsachen selbst zu einer derartigen Auffassung. Wären alle ein- wertigen Substituenten kristallographisch gleich- wertig, so müßten alle einfachen Substitutions- produkte des Methans regulär kristallisieren; da sie dies nun nicht tun, so können sie nicht als gleichwertig angesehen werden, eine Tatsache, die sich stereochemisch wohl am einfachsten mit Wahl durch die Annahme deuten läßt, daß die verschiedenen Substituenten im Molekül die Valenzrichtungen der Kohlenstoffatome beein- flussen. So erklärt sich der Unterschied in dem Symmetriegrade eines Mono- und eines Trisub- stitutionsproduktes des Methans dadurch, daß bei einem Monosubstitutionsprodukt die gegenüber der Masse eines Wasserstoffatoms große Masse der Substituenten auf das Molekül verzerrend wirkt, also die Symmetrie stark stört, während bei einem Trisubstitutionsprodukt die kleine Wasserstoffmasse auf die großen Massen der drei anderen Substituenten kaum eine starke Wirkung ausüben kann. ,,Die spezifischen Eigenschaften der mit dem Kohlenstoffatom verbundenen Atome beeinflussen so indirekt die Kristallform des Stoffes". Diese Vorstellung läßt sich sogar, wie Wahl zeigt, noch genauer ausarbeiten, wenn man die Symmetrieelementc, wie sie die Kristallo- graphie lehrt, direkt auf das — räumlich gedachte — chemische Molekül überträgt, eine Vorstellung, die dem Chemiker ja seit den bahnbrechenden Untersuchungen von Le Bei und van't Hoff über das asymmetrische Kohlenstoffatom und den schon von Pasteur festgestellten Beziehungen zwischen der optischen Aktivität der Kohlenstoff- verbindungen und ihrem Vorkommen in enantio- morphen Kristallformen nicht mehr fern liegt. So müssen z. B. die Bisubstitutionsprodukte des 382 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 24 IVIethans rhombische Symmetrie zeigen, d. h. eine zweifache Symmetrieaclise und zwei durch die Achse gehende, aber voneinander verschiedene Symmetrie- ebenen besitzen, und in der Tat kristalHsieren die untersuchten Bisubstitutioiisprodukte rhombisch. Auffallend ist es aber, daß das Benzol, dem man seiner Strukturformel nach wohl eine hexagonale Kristallform zuschreiben würde, in Wirklichkeit nur orthorhombisch ist; vermutlich wirken hier die Doppelbindungen oder besondere Anordnungen der Valenzkräfte im Molekül störend. Wegen weiterer Einzelheiten , insbesondere auch der Anschauungen Wahl 's über Isomorphie und Morphotropie, sei auf die Originalarbeit ver- wiesen. Mg. Anthropologie. Die Tasmanier haben als reine Rasse zu existieren aufgehört, aberTasmanier- Mischlinge leben noch auf der Insel Tasmanien selbst, wie auf benachbarten kleineren Inseln. ') Über die Körperbeschaft'enheit und die Kultur der Tasmanier sind nur verhältnismäßig spärliche Angaben vorhanden, was es erklärt, daß die An- sichten der Anthropologen über die systematische Zugehörigkeit dieser Rasse voneinander bedeutend abweichen. Die Körpergröße bewegte sich nach H. Ling Roth'-') beim männlichen Geschlecht zwischen 155 und 173 cm, beim weiblichen Ge- schlecht zwischen 130 und 163 cm; im Durch- schnitt betrug sie bei männlichen Personen 166 und bei weiblichen i 50 cm was ungefähr mit den bei Australiern gefundenen Werten übereinstimmt. Von der Schädelform der Tasmanier sagt z. B. Prof. Sollas, daß sie so charakteristisch ist, um dem ge- übten Auge die l'nterscheidung von den Schädel- formen anderer Rassen leicht zu machen. Als Eigen- arten des Tasmanierschädels bezeichnet S o 1 1 as seine von oben gesehen ovale oder fünfeckige Form, mit der größten Breite weit hinter der Mittel- linie; die kielförmige Längserhebung des Schädel- daches und die sie begleitenden seitlichen Depres- sionen; die starken Parietalwülste und Überaugen- wülste; die geringe Kajiazität; die Kürze des Ge- sichtsschädels; die Kleinheit des Unterkiefers, die im Verein mit sehr großen Zähnen zu Abnormi- täten der Dentition führte. '■^) Dagegen fand Herbert Basedow^) auf Grund genauer Messungen an 36 Tasmanier- und 126 Australier- schädeln eine weitgehende Übereinstimmung der beiden Formen und wahrscheinlich hat eher er recht als Sollas und andere Vertreter der An- sicht, daß Tasmanier und Australier voneinander in somatischer Beziehung weit verschieden waren. Die kielähnliche Bildung des Schädeldaches ist bei den Tasmaniern nicht die Regel, sondern die Ausnahme gewesen; der ovale Umriß des Schädels stimmt fast ganz mit dem des australischen über- ') Vgl. Naturw. Woclicnschrilt, 191 4, Nr. 46. -) The Aborigines of Tasmania. Halifax 1S99. '■') Sollas, Ancient Hunlers, S. 82—83. *) Uasedow, Der Tasmanierschädel, ein Insularlypin Zeilschr. f. Ethnologie, Bd. 42, S. 175 ff. ein, nur daß dieser, von oben gesehen, etwas schmäler als der tasmanische ist ; die Höhe des Schädels war bei den Tasmaniern eine Kleinigkeit größer als bei den Australiern. Die Überaugen- Umriß des männlichen Schädels von Durchschnitt der Australier. Durchschnitt der Tasmanier. (Nach Basedow.) Ilorizontalumriß des männlichen Schädels: Durchschnitt der Australier. Durchschnitt der Tasmanier. (Nach Basedow.) Abb. 3. Tasmanierschädel im l'rolil. (Nach II. Ling Koth.l gewülste sind bei den Australiern noch stärker als bei den Tasmaniern. Die Schädelkapazität ist im Durchschnitt bei den Tasmaniern größer als bei den Australiern, die Variationsbreite dieser N. F. XIV. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 383 P2igenschaft aber ist bei den ersteren geringer als bei den letzteren (vielleicht wegen der bedeutend o-eringeren Zahl der gemessenen Tasmanierschädel. Basedow's Zahlen sind wie folgt: Durchschnitt: Australier, Mann 1285 ccm, Weib 1145 ccm. ') Tasmanier, „ 1315 „ „ 1155 » Variationsbreiten : Australier, Mann 1040— 1630 ccm „ Weib loio — 1280 „ Tasmanier, Mann 1140—1465 ,, Weib 1060—1225 Die meisten Individuen beider Rassen sind mikro- kephal. Diemesokephalen undnamentlichdie mega- kephalen Minderheiten scheinen bei denTasmaniern schwächer zu sein als bei den Australiern. Prognathie ist bei den Tasmaniern in geringem Maße häufiger als bei den Australiern. Die Nasenform ist bei beiden Rassen vorherr- schend sehr breit; mesorhine Personen sind unter den Australiern häufiger, bei denen auch leptorhine Personen vorkommen, während von den Tasma- nierschädeln, die Basedow untersuchte, kein einziger leptorhin war. Ein bedeutender Unterschied besteht aber im Haarwuchs: Die Tasmanier waren spirallockig, die Australier aber haben wolliges oder gewöhn- liches lockiges Haar, das nicht in Spiralform wächst. Spirallockige Personen wurden zwar unter den Nordaustraliern angetroffen, doch ist es noch nicht siciier, ob dies auf Bastardierung mit Papuanern zurückzuführen, oder ob es der .Aus- druck großer Variationsbreite ist. Mit den Australiern gemein hatten die Tas- manier überdies die starke Terminalhaarentwicklung. Basedow kommt auf Grund seiner ver- gleichenden L'ntersuchung von Tasmanier- und Australierschädeln zu dem Schluß, daß die Fas- manier ursprünglich echte Australier waren. Er sagt: „Dieses geht unwiderleglich aus den anthro- pologischen Untersuchungen hervor; aber auch ethnologisch, geologisch und geographisch findet diese Annahme nur Bestätigung", da es unwahr- scheinlich ist, daß Angehörige einer anderen spiral- haarigen Rasse, wie Melanesier und IS'eger, auf weiten Umwegen nach Tasmanien gelangten. Die Abtrennung Tasmaniens vom Festland ist erst in geologisch jüngster Zeit erfolgt und „die Biologie Südostaustraliens ist mit der Tasmaniens fast übereinstimmend". Die Eigenarten, welche den Tasmanier vom Australier unterscheiden, sind nach Basedow's Ansicht erst nach Ab- trennung der Insel vom P"estlande entstanden und er bezeichnet deshalb die Tasmanier als einen insularen Typus der Australier. Prof. V. L u s c h a n -J wendet gegen Basedow ') Duck wort h gibt in seinen „Studies in Antropology" (S. 128) die Kapazität des männlichen Australierschädels mit 1297 und die des weiblichen mit 149 ccm an. ') Die Stellung der Tasmanier im anthropologischen System. Zeitschr. f. Kthnologie, 43. Bd., S. 287 tf. u. 44. Bd., S. 123 — 124. ein, daß dieser nicht sagt, wie die Spiralhaarig- keit und die breitere Kopfform der Tasmanier durch die Isolierung auf ihrer Insel entstanden sein konnte. Er selbst ist der Ansicht, daß die Tasmanier echte Melanesier waren; dabei beruft er sich auf die im Vergleich mit den Australiern etwas breitere Schädelform und die Haarform. Die Variabilität der Schädelbreite ist aber sehr groß, so daß man auf dieses Merkmal, so viel es auch bis in die jüngste Zeit galt, nicht allzuviel Gewicht legen darf. Eine große Variabilität der eiimial fixierten Haarform ist jedoch noch nicht nachgewiesen worden imd die Spiralhaare der Tasmanier bedürfen erst der Pirklärung. H. P'ehlinger Physiologie. Schon ältere Autoren (W. v. Na- thusius 1S07 und Kutter 1 877/7 S) hatten be- richtet, daß die Hennen einer Rasse mit normal weißschaligen Eiern bei der Paarung mit einem Hahn der Kochinchinarasse, die braune Eier pro- duziert, gelbe Eier legten. A. v. Tschermak berichtete, daß bei der Kreuzung von Kanarien- hennen mit Vögeln, deren Eischale gefärbt ist (Gierlitz, Stieglitz, Zeisig, Hänfling, Gimpel), der Einfluß der väterlichen Art in der Färbung und Zeichnung der Eier zum Ausdruck kam. Während das Kanarienweibchen nach der Be- gattung durch ein art- und rassegleiches Männchen Eier mit unscharfer hellbrauner Fleckung legt, zeigen die Eier desselben Individuums nach der Paarung mit dem Männchen einer der genannten Arten bestimmte schwarzbraune Abzeichen, Punkte, Doppelpunkte, Punktreihen, Kurzstriche, Kommata, Geiseln oder Fäden, wodurch sie in hohem Maße der typischen Zeichnung der Eier der betreffenden Wildvogelart ähneln. Er sieht darin den Beweis für das Vorkommen sog. Xenien auch im Tier- reich. In der Botanik ist diese Erscheinung schon länger bekannt, und versieht man darunter die Abänderung mütterlicher Organe oder der Hüllen der P'rucht bei Bastardierung in patrokliner, d. h. durch den väterlichen Typus bestimmter Rich- tung. Die älteren Angaben sind neuerdings von P. lioldefleiß (191 1) in umgekehrtem Sinn • — Aufhellung der braunen Reinzuchtfarbe von Plymouth Rock durch Bastardierung mit einem Hahn einer typisch weißeiigen Rasse — erhärtet und erweitert worden. Demgegenüber waren die Resultate von A. Walt her (1914) bei der Paarung anderer Rassen miteinander negativ. Als Erklärungsversuche der Zeichnungsxenien bei Vogeleiern stellt v. Tschermak die Alter- native auf: spezifische Mitbestimmung der Pig- mentierung der Eischale seitens des bastardierten Eidotters (intraovale Xenienreaktion) oder korre- spondierende Umstimmung des mütterlichen Bil- dungsapparates für die Eischale durch irgend- welche Bestandteile des fremdartigen Samens (extraovale Xenienreaktion). Die erstere Er- klärungsmöglichkeit sei zwar einfacher, die letztere 384 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 24 aber keineswegs ausgeschlossen. Welche von beiden Möglichkeiten zutrifft, darüber können nach V. T. einerseits Versuche von Imprägnation mit unfruchtbar, aber sonst nicht unwirksam ge- machtem Samen entscheiden, andererseits Experi- mente über eventuelle Nachwirkung einer Farben- abänderung nach Aufgeben der Bastardzucht und Wiederherstellung der Reinzucht. Es käme dabei die sog. Telegonie in Frage. Man versteht dar- unter die Nachwirkung einer früheren Begattung auf die mit einem anderen Vater gezeugten Jungen eines späteren Wurfes. Am bekanntesten ist der von Ch. Darwin erzählte Fall, wo eine kastanien- braune arabische Stute, die früher, mit einem Ouaggahengst gepaart, ein Bastardfüllen geworfen hatte, später aber, von einem arabischen Rapp- hengst gedeckt, zwei Füllen warf, welche an den Beinen und am Hals quergestreift waren. Es wurde dies als eine Nachwirkung jener ersten Paarung aufgefaßt. Diese Deutung wurde in- dessen von den meisten Forschern aufgegeben, weil bei jungen Equiden dunklere Ouerstreifung eine gewöhnliche Erscheinung ist. Im Falle der Eischalenfärbung und -Zeichnung müßte durch den Samen bei der ersten Paarung eine Umstimmung im mütterlichen Eischalen- bilduiigsapparat nach h'ärbung und Zeichnung in patroklinem Sinn bewirkt worden sein. „Die Verfärbung von Hühnereiern durch Bastardierung und über Nachdauer dieser Farb- änderung" (Biol. Zcntralbl., XXXV. Bd., Nr. i, 20. Januar 1915) machte nun A. v. Tscher mak (Prag) zum Gegenstand eingehender Untersuch- ungen. Die Wahl des Materials, das Haushuhn und seine Rassen, wurde durch praktische Gründe bestimmt. Die benutzten Rassen waren weiß- eiig: Italiener weiß, Italiener rebhuhnfarben, Minorkaweiß (alte Spezialform); brauneiig: Langshan, Plymouth Rock, Kochinchina. Natür- lich war V. T. auf die Benutzung reinrassiger Hühner bedacht, die vor allem keine Variierung in der .Schalenfärbung zeigten, was noch während einer etwa 2 Monate dauernden Versuchszeit be- sondersgeprüft wurde. Nach einer Isolationszeit von 7 Wochen wurde mit der Bastardzucht begonnen und dieselbe durch 10 Monate fortgesetzt; darauf folgte wieder die Rcinzucht. Verwendet wurde der Übersichtlichkeit halber nur je i Hahn und i Henne. So gut wie in allen Fällen ließ sich eine Ver- färbung der Bastardeier in patrokliner Richtung erkennen. Besonders stark trat dies hervor bei den Kreuzungen: Italiener rebhuhnfarben $ ';■ Plymouth Rock cJ, sowie Kochinchina $ "■' Mi- norka weiß („alte" Spezialform) q. Die Farben- änderung der Bastardeicr erfolgte ebensowohl in der Richtung einer Verstärkung der Pigmentierung von Weiß auf Braun, als in der umgekehrten Richtung, in einer Abschwächung der Pigmen- tierung von Braun auf Weiß. Eine besondere Schwierigkeit bildete das Vorkommen einer all- mählichen, sozusagen spontan fortschreitenden Farbenänderung der Eier mit dem Alter derselben Henne (ev. auch des Hahns), bei gleichbleibenden äußeren Verhältnissen. Nach v. T. ist es zweifellos bei Auswahl geeigneter Rassen und Individuen und bei geeigneter Rassenkombination möglich, in der Formengruppe „Haushuhn" geradeso wie in der Finkenfamilie Eischalenxenien zu produzieren. Die Bastardierung erhöht ferner in deutlichem Ausmaß die Variabilität der Eifarbe. Es werden offenbar durch die Bastardierung die Pigment- sekretionsstätten durch fremdartiges Sperma in ihrer Reaktionsfähigkeit und Tätigkeit verändert. Es entsteht ein Wettstreit zwischen Rassen- charakter und Fremdcharakter, welcher unter anderem darin zum Ausdruck kommt, daß ersterer gelegentlich stärker ausgeprägt ist, als zuvor bei Reinzucht. Bei wiederholtem Wechsel von Bastardzucht und Reinzucht zeigte sich ein immer Geringer- werden der Plastizität der Eischalenfärbungsorgane, die gewissermaßen in einer Mittellage zu er- starren schienen. In manchen Fällen ließ sich eine gewisse Nachdauer der durch Bastardierung bewirkten Veränderung der Schalenfarbe während der nachfolgenden Reinzucht erkennen. Mit- unter war diese „Telegonie" unverkennbar. Vom züchterischen Standpunkt sind deshalb die be- nützten Hennen als „verdorben" zu bezeichnen, v. T. erblickt im Ergebnis seiner Versuche den ersten stichhaltigen Beweis — von der nur ge- legentlichen Angabe Kutter's (1878) abgesehen — für das Vorkommen von Eischalentelcgonic. „Nur sei nachdrücklich betont," sagt v. Tscher- mak, „daß mit der Feststellung einer Färbungs- telegonie der Hühnereischale in gewissen Fällen meinerseits keineswegs die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit einer „echten" Embryotelegonie behauptet wird." Zugleich sprechen die neuen Versuche v. T.'s mit größter Wahrscheinlichkeit für eine extra- ovale Xenienreaktion. Man kann daran denken, daß irgendwelche noch nicht näher bestimmte Bestandteile des männlichen Spermas eine bleibende Imprägnation jenes mütterlichen Ge- webes herbeiführen, welches die Eischalenfärbung bedingt. Über den Ort, die Art und die Ver- mittlungsrolle dieser Einflußnahme ist freilich heute noch keine spezielle Aussage möglich. Daß indes körperfremdes Spermaeiweiß im mütter- lichen Serum nach der Begattung enthalten ist, wurde durch Waldstcin und Ekler (191 3) durch den Nachweis der .Abderhalden' sehen Abwehrfermente gezeigt; es kann also auch eine entsprechende Xenienwirkung ausüben. Kathariner. Inhalt; Killcrmann: IJie ausgestorbenen Muskarcncnvügcl (mit 15 Abbildungen). (Schluß.) — Einzelberichte: llaber- hin.ll: Urüsenliaarc an Wurzeln. Magnus und Kriedcmann; Bactcrium tumefacicns patli.i^jen für I'llanzen und Tiere. Wahl: Über die Beziehungen zwischen der chemischen Konstitulion und der Kristalll'orm bei den einfacheren Kohleustofl'verbindungen. Roth: Die Tasmanier (mit 3 .Abbildungen). T s c h c r m a k : Zeichnungsxcnien bei Vogeleu-rn. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. II. Miehe in Leipzig, Marienstrafie IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. l.ippert & Co. (j. m. b. II., Naumburg a. d. P. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 14. Band; der ganzen Reihe 30. Band. Sonntag, den 20. Juni 1915. Nummer 25. Das älteste Lehrbuch allgemeiner Botanik. Ein Blatt zur Geschichte des iiiiturwisseiischivftlichen Unterrichtes. Von Prof. Dr. Fr. Tobler, Universität Munster. [Nachdruck verboten.] Wenn wir die ältesten (gedruckten) Bücher über Botanik, die sog. Kräuterbücher des 16. Jahr- hunderts, in ihrer Schreibart und der der Ab- fassung zugrunde liegenden Absicht der Autoren mit den Büchern späterer Zeiten vergleichen, so muß iHis grundsätzlich daran am meisten auffallen, daß sie zugleich umfassende Darstellungen des Gesamtwissens und Bücher fürs Volk sein wollen. Laie und Gelehrter benutzen ein Buch über Pflanzen: es gibt keine unterschiedene gelehrte oder wissenschafiliche, Liebhaber belehrende oder gar für jedermann zum Nachschlagen bestimmte Literatur. Die Trennung dieser Literaturzweige in ein- zelnen Wissensgebieten überhaupt und in der Botanik im besonderen bedarf noch gründlicherer Untersuchung. Sie hat sich selbstvefständlich im Einklang mit der Zunahme des Stoffes vollzogen, ja hing insofern völlig davon ab, als erst eine gewisse Summe von Einzelkenntnissen der Anlaß zu verallgemeinernden Schlüssen werden konnte. Eine Menge von Pflanzen mußten in Beobachtung und Beschreibung erst Allgemeingut geworden sein, ehe man auf den Gedanken kam, Grund- züge einer Morphologie oder gar Biologie zu erfassen. Wie sich dieser Schritt vollzog, will ich durch den Bericht über ein Werk belegen, das das erste Lehrbuch der allgemeinen Botanik für Hochschulen vorstellt und trotz seines Alters in vielem so frisch und lebendig anmutet, daß es schon deshalb die Aufmerksamkeit verdient. Es ist das die von Adrian us Spigelius (Spiegel) verfaßte Ein führu ng in die Botanik, die vom Jahre 1606 datiert. ') Der Verfasser ') Das Werk ist in vier Ausgaben vorhanden. Die erste hat den Titel; Adriani Spigelii Bruxellensis Philo- soph i ac Med. Pat. Isagoges in Rem Herbariam libriduo. Ad illustrissimam quae Patavii est Germanicam nationem. Palavii, apud Paulum Meiettum. Ex Typographia Laurentii Pasquati. 1606. Diese Ausgabe ist in kl. 4", 94 Seiten mit dem Index und trägt vielfach Inhaltshinweise zur bequemen Handhabung am Rande. Es wurde dann davon ein Neudruck veranstaltet von Elzevir (Lugduni Batavorum. Ex officina Elzevirana Anno 1633). Diese zweite Ausgabe ist in 16" und enthält zunächst den gleichlautenden Text der ersten (aber ohne die Randüber- schriften I) auf 222 Seiten. Es folgt dann aber ein PHanzen- verzeichnis ; Catalogus plantarum horti academici Lugduno Batavi, quibus is inslructus erat anno MDCXXXlll. Praefecto ejusdem Horti D. Adolfo Vorstio, Medicinae et Botani- ces professore. Accessit Index plantarum indigenarum , quae prope Lugdunum in Batavis nascuntur (S. 223 — 272). Den Schluß bildet der alte Index. Die Ausgabe ist mit einem Titel geschmückt, der eine allegorische Figur, dahinter einen (geb. 1578 zu Brüssel) war medizinischer Professor in Padua, wo er 1626 starb. Er ist bekannt auch durch eine Serie anatomischer Tafeln, die ihn als vorzüglichen Lehrer dieses Faches zeigt. Wie wunderlich modern mutet vieles an dem Buche an ! Schon der Grund zur Abfassung, wie ihn die Vorrede schildert: Ich habe mich oft gewundert, meint Spiegel, daß unter der großen Zahl von solchen, die sich mit der res herbaria befassen, nur wenige wirkliche Fortschritte machen. Es ist offenbar ein großes Verlangen nach botanischen Kenntnissen vorhanden unter den Studierenden aller Wissenschaften, nicht bloß den Medizinern, die sie nötig brauchen, sondern auch den Juristen und Angehörigen anderer Fakultäten. Man sieht ja auch alljährlich im I-'rühjahr die Leute in den Padovancr botanischen Garten kommen (ebenso sah ich das auch in Pisa und Bologna) und was tun sie? Manche geben das Studium der Pflanzen schon auf, wenn sie die vielen Arten sehen, sie wissen nicht, wo anfangen. Andre steilen den Namen einer Pflanze, die ihnen gerade auffällt, fest, reißen auch wohl einen Trieb ab; sehen ihn an und - werfen ihn weg. Sie trauen sich zu, sie könnten von einmaligem Ansehen, gleich das Bild der Pflanze im Gedächtnis behalten, und dabei gibt es nichts, worin das Gedächtnis einen so leicht verläßt und wo es auf wiederholte Anschau- Gärtner und darunter ein Pflanzenbuch, Mörser, Buchsen, Flaschen, Retorte, Spatel usw. zeigt. — Eine dritte Ausgabe veranlaßte Heinrich Meibom (1638 — 1700, Professor der Medizin, später auch der Geschichte und Dichtkunst zu Helm- stedt, bekannt als Anatom, Entdecker der Meibom 'sehen Drüsen , des Foramen Meibomii der Zunge, auch als Physio- loge und Chemiker tätig). Diese Ausgabe bezeichnet sich auf dem Titel als ,,editio prioribus correctior. Cum indice Herum et Capitum. Helmstedii, typis et sumtibus Jo- hannis Hcilmulleri. Anno MDCLXVll." Wie H. Meibom in einer kurzen Vorrede auseinandersetzt, besteht die Veran- lassung zum Neudruck in dem .Seltenwerden der beiden frühe- ren Ausgaben, die Verbesserung in der Wiederaufnahme der Randüberschriften und der Vermehrung dieser sowie des Index. Auch das Format des Originals ist wiederhergestellt, durch etwas breiteren Druck (der übrigens nicht so gut ist wie der der 61 Jahre älteren Paduaner Ausgabel) hat der Umfang ein wenig zugenommen (140 Seiten mit Index). Außer diesen Einzelausgaben ist die Isagoge auch aufge- nommen in die gesammelten Werke Spiegel's. In der Ausgabe: Adriani Spigelii Bruxellensis Opera, quae extant, omnia ex recensione Joh. Antonidae Van der Linden. Am- sterdami apud Joh. Blaev MDCXLV (fol. 2 Bände) ist auf S. HO — 149 des 2. Bandes die Isagoge mit zum Abdruck gebracht. Es sind die Kandüberschriften vorhanden, doch fehlt ein besonderer Index , dieser ist mit dem Gesamtindex des Bandes (der sonst Arbeiten zur Anatomie und Medizin enthält) vereinigt. 386 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 25 ung so ankommt. Dann sieht man andere wieder nur die Blätter, die Zweigspitzen, Knospen oder Blüten oder einen anderen Teil abreißen, sie be- ginnen in Büchern nachzuschlagen und wissen nicht, daß sie alle Teile von jeder einzelnen Pflanze dazu brauchen. Und endlich genügt es auch noch nicht, sich Gestalt und Namen der Pflanzen einzuprägen, man muß auch ilire Kräfte kennen. *) Zur Überwindung aller dieser Schwierigkeiten und zum Besten aller, die auf einfache Weise, schneller und leichter als bisher möglich, die Pflanzenkunde lernen wollen, schrieb ich zwei Bücher Institutiones, die ich einem guten Freunde zur Durchsicht anvertraute. Der hat sie mit auf Reisen genommen. ^) Und inzwischen haben mich nun viele Anfragen, Bitten und das Bedürfnis des Unterrichts veranlaßt, einen kurzen Abriß des Lehrbuches zu verfassen, in dem alles wegbleibt, was für den Anfänger nur Baliast vorstellt. (Das gilt z. B. von alten und neuen Streitfragen samt Literaturangaben, die manche Autoren wunder- licherweise mit in die Bücher zur Einführung aufnehmen. ^) Gewidmet aber soll das Buch sein den Deutschen an der Universität Padua, denen die Anregung zu verdanken ist. Und mit einer schwungvollen Lobrede auf diese deutschen Studierenden aller Fächer, ■*) in denen er sie (von denen viele vornehme ja gerade kein Brotstudium in Padua trieben) zu weiterem Studium der Pflanzen, zu Gartenbau und Obstbau als edler genußreicher Beschäftigung anspornt, schließt Spiegel sein Vorwort. Er hat sich genau klar gemacht, was er als allerwichtigstes in den Abriß mit aufnehmen wollte. Als solches sah er die Kenntnis der Form (Buch i) und der Kräfte der Pflanzen (Buch 2) an. Hier spukt noch der alte Stil der Kräuterbücher, in denen erstens die Pflanze beschrieben, zweitens ihre Kraft und Wirkung behandelt wurde. Spiegel nennt das Buch 2 allerdings nicht mehr wie es die früheren Werke tun „de viribus", sondern „de facultatibus", vom Vermögen der Pflanzen. Es scheint fast, als ob das nicht ohne Absicht sei, denn er schließt manches ein, was über die medizinische Nutz- anwendung, wie sie früher in diesem Abschnitt hätte vermutet werden dürfen, hinausgeht, wie ') Hierbei denkt Spiegel natürlich in erster Linie an das Kapitel der Kräuterbücher, „von Kraft und Wirkung" mit Rezepten usw., es ergibt sich aber, daß bei ihm zugleich hier- unter auch schon manche Tatsache aus der Physiologie inbe- griüfen ist. '■') Ein solches Werk ist niemals von S. herausgegeben worden. Mich mutet übrigens der „ins Ausland verreiste" Freund schon ein wenig kunstlich erfunden an. ^) S. spriclit von Männern „in re Herbaria exercitatissimi*' und Büchern, „quibus introducerent juvencs ad hanc scientiam", solche Bücher haben aber bis dahin eigentlich nicht existiert, es waren das eben keine wirklich als Einführungen beabsich- tigten Werke. *) ,,non modo . . qui inter vos Medicinae studiosissimi sunt, sed ctium caeteros, qui generis nobilitate, virlutum omnium splendorc , linguarum , Jurisprudentia, arliumquc omnium ac disciplinaruni notitia . . . vcre illustres sunt . . ." wir noch sehen werden. Spiegel wußte aber m ehr von besonderen physiologischen Tatsachen. Leider verschiebt er sie auf die gründlichere Be- handlung des Gebietes, sie würden also und zwar sicher gesondert (das ist wichtig) in seinem größeren Lehrbuch enthalten gewesen sein. Unter diesen Dingen nennt er: die Kenntnis von Ort, Zeit und Art der Entstehung der Pflanzen, Lebens- dauer, Blüten- und Keimdauer und alles andere, was zur Fortpflanzung gehört. Zum Beginn der eigentlichen Morphologie er- läutert Spiegel trefflich, wie die „forma" der Pflanze (hier am besten wohl mit „Habitus" zu übersetzen) aus der Gestalt der Teile zu erkennen sei. Diese Teile aufzuzählen und zu beschreiben ist die nächste Aufgabe. Sie werden in Gruppen geteilt: solche, die nicht mehr in weitere, ein- fachere zu teilen sind, wie Fleisch, Nerv, Membran, Saft. (Wir würden vielleicht sagen einfaclie Organe.) Für diese werden exakte Definitionen gegeben, die wir um so mehr anerkennen müssen, wenn wir bedenken, daß der Verfasser das Mikro- skop noch nicht kannte. So sind viele Begriffe wahrhaft des Verfassers Entdeckung. Beispiele seien: „ve na (Ader) heißt ein Ding, das gestreckt und hohl ist und Saft enthält, der zur Ernährung der Pflanzen dient." „Nervus (Strang) ist ein langes, zusammenhängendes Gebilde, fester als das übrige, das sich leicht von Fleisch trennen und in der Länge spalten läßt", es soll auch meist außen liegen und der Festigkeit dienen, entspricht also dem Baststrang, als Fall besonderer Deutlichkeit wird der Wegerich richtig verzeich- net, an dem wir noch heute die leichte Isolier- barkeit der Bündel zeigen; die Venen dagegen mögen den großen Gefäßen entsprechen. Es wird betont, daß sie meist nicht mit bloßem Auge zu sehen sind. Auch vom Safte (humor) wird ausführlich gehandelt : das Opium vom Mohn, der besondere (nämlich besonders reichliche) Wassersaft vom Weinstock, der gelbe Saft vom Schöllkraut u. a. Merkwürdigkeiten sind Spiegel bekannt. Als die nicht einheitlichen Teile (zusammen- gesetzte Organe) werden Wurzel, Stengel, Zweig, Blätter, Blüte, Same aufgezählt. Es ist bemerkens- wert, daß die Definitionen dafür keineswegs mor- phologische sind. Bei der Wurzel z. B. wird die Vielgestaltigkeit, aber Ähnlichkeit der Funktion betont, was in gewissem Sinne natürlich zutrifft. Bei Blatt und Blüte wird auf die Schwierigkeit, diese zu trennen und getrennt zu definieren, hin- gewiesen; hier wurden andere (ältere) Autoren doch herangezogen, die sich für oder gegen eine Funktion des Laubes als Kälte- oder Transpira- tionsschutz ausgesprochen haben. Gute Einzel- angaben (Erscheinen von Blüten vor den Blättern bei Amygdalus u. dgl.) erläutern das Pur und Wider. Die Blattnatur der Blütenblätter, Reduk- tion des Blattstieles bei vielen solchen, ist Spiegel nichts Neues, man sieht, wie exakt er beobachtete und braucht nur an die Neuheil und umständliche N. F. XIV. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 387 Darlegung der Metamorphosenlehre bei Goethe zu erinnern, um die Stellung des älteren Autors zu würdigen. Die Blätter sind endlich übrigens hier als Blüten, Früchte, Stengel schützende Or- gane definiert; die Blüten mit Frucht in richtige Verbindung zu bringen, war dem Autor aber nicht vergönnt: er betont die Vorkommnisse einer fehlenden Frucht in Blüten, d. h. er erkannte nicht den unterständigen Fruchtknoten. Es ist aber ehrlich und für die Zeit beachtenswert, daß er diese Lücke des Verständnisses fühlt und nicht verhehlt. Für die einzelnen Organe und ihre gelegent- lichen Abweichungen kennt Spiegel eine ganze Reihe von Beispielen aller Art, die fast stets auf Richtiges zielen, wenngleich sie auch nicht immer richtig durchschaut sind. Jedenfalls ist ein kritisch- sichtender Sinn vorhanden. Dieser läßt auch den Autor zunächst mit ausdrücklicher Angabe die Unterscheidung der Organe ,,nach Theophrast" aufführen. Er selbst stellt als eine Art Schema für Betrachtung sowohl der Wurzeln als auch der Stengel, Blätter, Blüten usw. diese auf: Aussehen, Farbe, Konsistenz fqualitas tactilis), Gliederung, Zahl, Größe, Stellung, also Punkte, die in der Tat den Gegenstand fast erschöpfen, wenn wir vor dem inneren Bau als einem damals technisch noch nicht zu erschließendem Tor stehen bleiben wollen. Alle Punkte aber sind durch Beispiele belegt, die manche nette Beobachtung enthalten; darunter auch Biologisches, wie z. B. die Ver- breitung der Klettenfrüchte durch Anheften an Menschen oder Tieren. Aus der Einzelmorphologie wird die für eine Zeit, die sich noch nicht im Besitz einer guten Nomenklatur der Pflanzen befand, wertvollere Definition der Begriffe Baum (arbor), Strauch (frutex), Halbstrauch {»pQvyavov) und Kraut (herba) abgeleitet. — Dieser Teil (14 Kapitel) könnte als die allgemeine Morphologie bezeichnet werden, er umfaßt 35 Seiten der ersten 4"- Aus- gabe. Der weitere speziellere Teil, der den wichtig- sten Pflanzengattungen gewidmet ist, ist kein die Typen im Sinne der früheren Literatur be- schreibender: er ist zunächst wirklich nur Gat- tungsbeschreibung und außerdem stets ver- gleichend. Ahnliclikeiten, Verwandtschaften und Verwechslungsmöglichkeiten geben auch diesen Kapiteln moderneres Gepräge. Übrigens wird noch mancher spezielle morphologische Be- griff erst hierbei erörtert, so bei den Bäumen Be- grifle wie Nuß, Beere u. a. Dagegen wird auf eine systematische Aufzählung der Pflanzen im Sinne der Kräuterbücher weniger Wert gelegt, wohl aber von der Organisationshöhe als etwas Ungleichem gesprochen; es gibt mehr und weniger vollkommene Pflanzen, d. h. solche, die im deut- lichen Besitz aller Arten von Organen sind und solchen, denen einzelne z. B. Blätter oder Blüten fehlen. Hierbei sind natürlich Mißverständnisse genug untergelaufen, denn es fehlte die schein- bare Inkonsequenzen der Natur entschleiernde Kenntnis der Entwicklungsgeschichte. Eins aber springt schon heraus: die blühenden Pflanzen sind die Höhe der Entwicklung. Die Blüte ist auch das Stadium, in denen man sie kennen lernen soll. ,,Wenn man sich mit den morphologischen Grundbegriffen vertraut gemacht hat, dann soll man mit einem einigermaßen Bewanderten Berge, Täler, Weiden, Gärten und wo sonst reichliche Pflanzen wachsen, durchstreifen. Aber man soll nicht hastig, was einem in den Weg kommt, ab- reißen, sondern was blüht und fruchtet, das ist zuerst anzusehen" . . . Wer wollte heute bessere Anweisung geben ? Erste Unterweisung aber und erstes Eindringen gehen nicht auf das Kennen beliebiger Pflanzen- arten aus, sondern auf die tiefere Kenntnis dessen, was Spiegel nicht ungeschickt als die Durch - Schnittsspezies (species media) in den Haupt- gattungen bezeichnet. Er meint damit den Typus, die Summe der Hauptmerkmale in der Gattung und verfährt also geradeso wie wir, die wir Gat- tungs- ja Familienlypenkenntnis für wichtiger bei der allgemeinen botanischen Bildung ansehen, als die Kenntnis vieler Arten einer beschränkten Zahl von beliebigen Gattungen. Hierbei hilft auch nach Spiegel's Ansicht die häufige Betrachtung der F"ormen am besten zur Einprägung, zur Flervorrufung dessen, was man heute fast als ein Gefühl für bestimmte P'ormenkreise zu kennen und schätzen sich ge- wöhnt hat. Daneben aber wird auch die Her- stellung von Bildern der Pflanzen nicht unter- schätzt. Auf diesem Gebiete ist, wie übrigens schon bekannt,^) Spiegel auch unter die Er- finder zu zählen : von ihm stammt nämlich die erste .Anweisung zur Anfertigung von Natur- selbstdrucken.-) Diese lautet : „Man be- streiche eine glattpolierte Holzplatte leicht mit Druckerschwärze und zwar vermittels kleiner Handstempel, die die Drucker „mazza" nennen. Auf diese Platte breite man die Pflanze aus, in grünem oder getrocknetem Zustande, vollständig, wenn sie klein ist, einen Ast, falls sie zu groß ist, um auf das für die Abbildung bestimmte Papier zu gehen, lege bald das Papier darauf und reibe nun kräftig darüber, bis die Pflanze mit Druckerschwärze durchtränkt ist. Sie wird so- dann abgenommen von der Platte, auf das Papier, auf das die Abbildung gedruckt werden soll, ge- bracht und nach weiterer Auflage eines Papiers mit der Hand und einem Tuche so lange ge- rieben, wie es für den Abdruck auf dem Papier nötig scheint." (Ausgabe von 1606, S. 79.) ') Vgl. Winckler, E., Geschichte der Botanik. (Frank- furt a. M. 1854) S. 156. Auf Spiegel's Methode griff dann F. E. Brückmann (Sendschreiben an Herrn J. H. Kniphof, Wolfenbüttel 1733) zurück. Vgl. 1. c. ■') Es ist demnach nicht lichtig, wenn man heute meist angibt, daß das erste derartige Verfahren von dem Nürnberger Kupferstecher Seligmann (1748) erprobt sei; dieser arbeitete als erster mit Me t all platten, wie später Auer (1S54). 388 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 25 Deigleichen folgen auch Anweisungen für die Anlage von Herbarien (horti hic- males, wie sie heißen), die gleichfalls in ihrer Art die ältesten sind. ') Man lege die Pflanzen, schreibt Spiegel vor, zwischen zwei Blätter guten weißen Papieres (in schlechterem trocknen sie schwerer und faulen), diese Bogen zu einem Stoß oder Buch zusammen, beschwere sie mit einem Gewicht, aber nicht gleich an- fangs zu stark, sondern allmählich. Die Pflanzen müssen öfter umgelegt und zurecht- geschoben werden ; sind sie trocken, werden sie aufgeklebt. Welche Objekte schwieriger waren (dickblätterige z. B.), war Spiegel offenbar aus eigener Praxis gut bekannt. So schließt das wertvolle erste Buch des Werkes. Wenn im zweiten nun von den Wir- kungen, kurz der Nutzanwendung der Pflanzen in erster Linie gehandelt wird, so steht Spiegel dabei freilich noch vielfach in den alten An- schauungen der Pharmakologen und Botaniker, aber in wichtigen Punkten ist er auch hier selb- ständig. So verwirft er die mysteriöse An- schaung, daß man den Pflanzen und Organen an ihrer äußeren Form die Möglichkeit ihrer Ver- wendung ansehen könnte, er führt aus und regt an Versuche über Wirkung und ihre Veränderung nach Kochen usw., über die Möglichkeit der Ge- wöhnung an Gifte, die individuelle Verschieden- heit in der Empfindlichkeit u. dgl. m. Ebenso sind als originell die Abschnitte anzusehen, in denen als „Geschmacke" (sapores) die ver- schiedenen Inhaltsstoffe gruppiert (mit Beispielen) verzeichnet werden , so Gerbstoffe , Bitterstoffe, Zucker, oder wo die Gerüche zugleich als Heil- mittel behandelt sind. Nun endlich betrachtet der Lehrer den Schüler als fortgeschritten genug um ihn auf weitere Literatur zu verweisen und — so modern wie nur möglich — macht eine hübsche kleine Ge- schichte der Botanik und der Literatur den In- halt eines längeren Kapitels. Es ist dort vieles gut dargestellt, die Beurteilung des Plinius als oft unklar gewordenen Wiederholers des Theophrast und Dioscorides ist gewiß vor Spiegel noch nicht selbstverständlich und anerkannt gewesen. Auch auf die neueste Literatur, ihre Lektüre, Herbteilung von Exzerpten und fleißiges Studium wird dringend verwiesen : Man mag noch so eifrig lernen, immer bieten Müsse, Sümpfe, Meer, Berge, Täler, Boden, Wände, Steine, Wiesen, Wälder usw. neues Material, neue Beobachtung; vita brevis, ars longa, sagt Hippocrates, das gilt vor allem von Medizin und Botanik als ihrem Teil. Ex- cerpte aber, deren Erwähnung geschah und deren Zusammenstellung Spiegel (wohl mit bewußtem Doppelsinne) als F 1 o r i 1 e g i u m bezeichnet, gelten ihm als wichtiges Handwerkszeug, er beschreibt die ') Sind doch die Herbarien damals übcrliaupt etwas Neues, höchstens 50 Jahre Zurückgehendes, z. H. das des Aldrovandi I1553) u. a. Herstellung, Zusammenfügung aus Notizen und eigenen Beobachtungen, Anmerkung zweifelhafter Punkte, Literaturangaben usw. Dort liegt denn auch die erste Quelle eigenen Forschens, die Punkte, die aufgezählt werden, sind hier zugleich Themata, die außer dem Rahmen des Buches liegen und damals auch noch besonderer Klärung bedurften, ein Beweis, daß unser Autor viele Fragen, die wir heute vergeblich an seine Einführung stellen, wohl kannte, aber sie an dieser Stelle bewußt unerwähnt ließ. Spiegel zeigt sich in seinem Werk als eben- so erfolgreicher, wie zugleich bescheidener Forscher. Die richtige Erkenntnis von Baststrängen und Gefäßen als Einzeltatsache ist so wenig zu unter- schätzen wie allgemeiner die Scheidung der ein- fachsten von den zusammengesetzten Organen. Seine Vorschriften für Xaturselbstdruck und Her- barbereitung sind als technische Errungenschaften gleichfalls etwas völlig Originelles. Vor allem abersteht Spiegel mit seinem Werk päda- gogisch als ein Neuerer vor uns. So wenig wir vom Gang des Unterrichtes in derart zu den Nebenfächern gerechneten Disziplinen wie der Botanik damals wissen, so deutlich spricht Spiegel selbst aus, wo und was er anders behandelt als andere vor ihm. Auch in seinen medizinischen Schriften, die einige wichtige anatomische Ent- deckungen bringen, ist Spiegel vor allem Lehrer und pädagogisch vortrefflicher Stilist '), am meisten glänzt dieses Talent indesssen in der Einführung in die Botanik. In dieser ist metho- disch die Betonung von eigner Anschauung das Wichtigste, diese. Versuche und stetes Studium der Pflanzen selbst lassen uns in ihm den ersten Verfechter eines Ideenkreises sehen , den man gewöhnlich an die Person und Werke Bacos von V c r u 1 a m '-) knüpft. Die Schriften des großen Reformators der Lern- und Lehrweise gehen, soweit sie hierfür in Frage kämen, in der Tat in ihren Anfängen um i — 2 Jahre der Spiegel' sehen Isagoge voraus, es ist also durchaus mög- lich, daß der vielseitige und belesene Mann sie kannte. Das würde übrigens seinen Ruhm nicht schmälern, im Gegenteil : die neuen Ideen des Engländers, die für die Pädagogik damals sonst fast erfolglos blieben, denen auch später C o m e - nius und Ratke höchstens theoretisch fordernd beitraten, er ergriff sie, ob eigne oder fremde, er übertrug sie in die Praxis und machte sie geschickt sofort einem Spezialfach dienstbar. Diese Ausführung bleibt in jedem Pralle sein eigenstes Werk. I'assen wir die Punkte, auf die er den ersten Unterricht der Botanik (an Hochschulen) gelenkt haben will, und ihre Reihen- folge zusammen, so sind das: Aneigung allgemeiner morphologischer Grundbegrifi'e, Kennenlernen der ') D-p-s in dem Artikel der „Biographie universelle" (Michaud) Nouv. Ed., Band XL, S. 54 (Paris, o. J.). ■-) Vgl. an vielen Orten, z. B. K r d m a n n , G. A. , Ge- schichte der Entwicklung und Methodik der biologischen N.-itur- wissenschal'ten. (Cassel und Berlin 1887) S. 20 ff. N. F. XIV. Nr. 25 Naturwissenscliaftliche Wochenschrift. 389 Grundlypcn (charakteristischsten Arten der wich- tigsten Gattungen), Exkursionen, Gartenbesuch, Herbaranlage, darnach Übergang zu biologischen und physiologischen (zugleich pharmakologischen) Beobachtungen und Versuchen, Herstellung eines Excerpten- und Notizenbuches und Eindringen in Spezialliteratur. So mag Spiegel selbst, dürfen wir annehmen, nach eigenster Art den Unterricht einer Schüler gelenkt haben. Ein pädagogisches Werk in der Botanik von erstem Rang, das älteste auf einer Grundlage, wie sie fast unverrückt und erweitert heute steht. Auf Adrian Spiegel hat die Geschichte des modernen naturwissen- schaftlichen Unterrichtes als auf den Begründer mindestens neben ]5aco, vielleicht mehr als auf ihn, zurückzugehen. Beobiichtiiiigeii über die Vogelpsyclie. [Nachdruck verboten.] Von K. Bretscher, Zürich. Mein Haus steht in Gärten mit Obstbäumchen, stellte sich gewöhnlich nur ein, wenn kein anderer Beeren- und Ziersträuchern. In unmittelbarer Nähe Vogel in der Nähe war. Diesem Bedürfnis nach ist ein alter I'Viedhof mit Strauch- und Buschwerk, Ungestörtheit oder Sicherheit ist es wohl zuzu- Roßkastanien, Nadelgehölz und Pappeln. Es han- schreiben, daß sie am Abend noch fleißig P^itter delt sich also um eine Örtlichkeit, die für Meisen, holte, wenn alle anderen sich bereits zur Ruhe Finken, Amseln sehr günstig und von ihnen recht begeben hatten. Bei jeder Beunruhigung richtet belebt ist. Jeden Sommer stellt sich ein Schwarz- sie ihre Kopffedern hoch auf und erscheint dadurch kopfpärchcn ein ; durch mehrere Jahre leisteten unverhältnismäßig groß. Es braucht nicht gesagt ihm Gartenspötter Gesellschaft. Da ich das ganze zu werden, daß auch bei ihr das Sichern eine sehr Jahr hindurch auf der Veranda Vogelfutter bereit große Rolle spielt. Wie die Spechtmeise hat sie stellte, bot sich Gelegenheit zu allerlei Beobach- die Gewohnheit, den Schnabel mit Futter vollzu- tungen über die gefiederten Gäste. Sie fallen stopfen, bevor sie den Futterplatz verläßt. Nicht hauptsächlich in die Jahre, resp. Sommer 1909, selten kehrten sie auf diesen zurück, um die East 1910 und 191 1. zu ergänzen, wenn der Schnabel nur halb gefüllt Von Meisen waren die Kohlmeisen die regel- war. Wenn dabei die Brocken nicht von selber die mäßigen Kunden, von denen ein Pärchen den passende Lage annehmen, so wird mit dem F"üßchen Platz beherrschte und seinesgleichen so wenig nachgeholfen oder sie bearbeitet ihn mit dem duldete wie Sumpf- und Blaumeisen, die sich Schnabel, bis die Sache „mundgerecht" ist. Diese immerhin ziemlich häufig einfanden. Im April Vorräte kommen dann, wie die Beobachtung ergab, 191 1 kam oft das Kohlmeisen-^ zum Futter, nahm in Astspalten, Rindenritzen u. ä. Verstecke. Dabei aber nichts, sondern ließ es sich auf sein Pie]ien sind sie so auf das Anlegen von Vorräten erpicht, vom (J in den Schnabel geben ; offenbar ein Werbe- daß sie mehrmals nacheinander immer wieder neue spiel, wie sie zu dieser Zeit oft zu beobachten Trachten holen und unterbringen, ohne sich zum sind. Bis Mitte September 1912 waren außer dem Fressen Zeit zu nehmen. Ein Hanfsame, der in alten Pärchen fünf Junge fortwährend da; letztere der Fliege einer Birne gefunden wurde, ist offen- verschwanden dann plötzlich, während 191 1 der bar auf diese Weise dahingelangt. Somit können Nachwuchs bis zum folgenden Frühling seinem die Sumpfineisen auch zur Verbreitung von Standort treu geblieben war. Dann allerdings Pflanzen einen Beitrag leisten. Es schien mir, mußten sie den Platz räumen. Mit Hilfe der als ob nicht alle Sumpfmeisen in gleicher Weise Briefwage, auf die Nußkerne gelegt waren, wurde die Gewohnheit hätten, Vorräte anzulegen, die das Gewicht einer Spiegelmeise auf 19 — 20 g wohl mit dem Bedürfnis nach Sicherheit in Be- bestimmt. Nur diese haben die Kunst los, das ziehung steht. Wenn die Zeit der Liebe verflossen Netzchen mit Nußkernen am sog. Meisenstab auf ist, so sind alle diese Vögelchen den ganzen Tag diesen hinaufzuziehen, festzuhalten und so bequem hindurch ausschließlich mit Nahrungssorgen be- zu dem beliebten F'utter zu gelangen. Grünfinken schäftigt. Im Sommer beginnen diese schon bald zogen es auch etwa hoch, begriffen aber das Zu- nach 5 Uhr und gehen mit nur kurzen Unter- greifen mit den F'üßen nicht; demnach fiel es brechungen bis zur Dämmerung fort; also bis 7, wieder hinab. Säckchen von 20 oder 23 g ja 8 Uhr oder noch später. Das bedingt offenbar Gewicht zu heben, ging bei den Meisen an die einen großen Unterschied in der täglich auf- Grenze ihrer Kräfte. Auf dem glatten Tisch be- genommenen P'uttermenge im Sommer und im wegen sich diese sehr unbehilflich, ähnlich den Winter, um so mehr als den Tierchen während Spatzen hüpfend, während die Mnken wie gewöhn- der warmen Jahreszeit der Tisch ja überhaupt lieh trippeln. Auch die Sumpf- oder Nonnen- besser gedeckt ist als sonst. Meydenbauer hat meise, Parus communis, war durch Jahre mein also recht, wenn er feststellt, die Singvögel be- regelmäßiger Gast und mein Liebling durch die dürfen langer Tage, um die beständig Nahrung ungemeine Lebhaftigkeit ihrer Bewegungen. Sie verlangenden Jungen aufzubringen. Nur dürfte ist wohl die flinkeste unter der Meisengesellschaft, das auch für die alten Vögel selber gelten, und Ihr Gewicht beträgt lebend nur 10 — 11 g. Sie somit nicht nur der Nahrungsmangel während 390 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. ^S des Winters, sondern die Kürze der täglichen Er- nährungszeit als Ursache der Zugserscheinungen in Anschlag zu bringen sein. Innerhalb einer kürzeren Zeitdauer benutzten immer die gleichen IMeisen meine Futtergelegenheit; so konnte ich die täglich bezogene Menge auf den Tag auf I2 — 14 g für einen Vogel feststellen. Da sie nun daneben auch Insektennahrung aufsuchten, so stieg der tägliche Bedarf sicher auf das eigene Körper- gewicht an. Meine Beobachtungen bestätigen also vollkommen die von R ö r i g gefundenen Ergebnisse. In der Tat beobachtete ich oft, daß die Meisen sich mit der gebotenen Nährquelle nicht begnügten, sondern daneben eifrig nach Insekten, Spinnen, Ohrwürmern suchten. Kohl- und Blaumeisen sah ich an unbeschädigten Früchten wie an solchen picken, die bereits von Amseln und Spatzen an- gegriffen waren. Vielleicht wollten sie so den Durst löschen, — Wasser stand ihnen zur Ver- fügung — vielleicht handelte es sich dabei auch um eine spielerische Betätigung. An das Zuwerfen von Futterbrocken gewöhnten sie sich bald, ja scheuten nicht mehr vor dieser Bewegung, während sie sonst bei jeder leichten Beunruhigung in der Nähe sich sogleich flucht- bereit oder aus dem Staube machen. Finken flogen dann oft den zugeworfenen Bissen nach, erhaschten sie auch wohl noch während des Fallens, während die Meisen sie mit den Augen verfolgten und erst holten, wenn sie schon auf den Boden gefallen waren. So konnte ihre Sehschärfe ge- prüft und festgestellt werden, daß sie kleine Stücke von Nußkernen 3 — 4, ja 6 — 7 m weit sehen, ihre Augen somit einem normalen menschlichen min- destens gleichkommen. — In allen psychologischen Lehrbüchern wird ausgeführt, von welcher Bedeu- tung unser zweiäugiges Sehen für die Wahrnehmung der Tiefe, des Körperlichen, sei. Trotzdem nun gerade diese kleinen Vögel einen Gegenstand wohl nur mit einem Auge sehen, ihr gesamtes Gesichts- feld sich über fast die ganze Umgebung erstreckt, stehen sie uns in der Erfassung der dritten Dimen- sion gewiß nicht nach. Man muß nur einmal gesehen haben, mit welcher Schnelligkeit ein Sper- ling vor dem Sperber durch das dichteste Astwerk flieht und dieser dem Opfer nachfolgt, so erhält man einen guten Begriff von der Leistungsfähigkeit des Vogelauges gerade in dieser Beziehung wie auch von seinem Akkommodationsvermögen. Daß, wie übrigens selbstverständlich, auch bei den Vögeln angeborene körperliche Gebrechen vor- kommen, möchte ich an einigen Beispielen nach- weisen. Ein Finken-(J war offenbar stumm ; denn nie stieß es einen Laut aus, ebensowenig sang es das Lied, auch zur Paarungszeit nicht. Wenn ich ein Ge- räusch verursachte, dessen Ursache es nicht sehen konnte, so ergriff es die Flucht; demnach war es nicht taub. ■ — Eine Kohlmeise hatte einen .Schnabeldefekt, indem dessen beide Spitzen kreuz- weise aneinander vorbeigingen. .So war das gute Tierchen ganz auf unsere Mildtätigkeit angewiesen und das regelmäßigste am Futter, bis es im März 191 1 plötzlich verschwand. — Ein Finke schien fast oder ganz blind zu sein. Nußkerne, die ihm 2 dm nahe und näher zugeworfen wurden, packte er nicht. Er guckte danach aus, hatte also wohl etwas davon gehört; aber er fand sie nicht. Sie wurden denn auch immer von anderen weg- geschnappt. Im Benehmen zeigten Angehörige der gleichen Art, ja derselben Brut erhebliche individuelle Ver- schiedenheiten. Eine junge Spiegelmeise meisterte ihre Geschwister, trieb sie vom Futter weg; sie zankte sich mit ihrem Vater am Futtersack herum und ließ sich nicht wegtreiben, während ein zweites ängstlich herumflatterte. Der bereits erwähnte Kreuzschnabel pfiff gewöhnlich, wenn er mit einem Bissen abflog. Er holte sein Futter stets auf dem Tisch, während ein anderes derselben Brut sie fast immer und lieber auf der Hand in Empfang nahm. Ein handzahmes hatte die Gewohnheit, immer einige Brocken fortzuwerfen, bevor es mit einem zusagenden sich entfernte. Oft schleuderte es so alles weg und pickte dann in die Finger; da schnabulierte es auch etwa kleine Nußkernstücke; mit großen flog es weg. Von anderen Beispielen wird noch die Rede sein. Die Mauser setzt bei Jungen derselben Brut ungleichzeitig ein und verläuft nicht gleichmäßig. Im Sommer 1910 prangten vier Junge im neuen glänzenden Kleid, während eines noch das un- scheinbare Jugendgefieder trug. Recht drollig sah es aus, wenn beim Füttern die alte Meise sich auf die junge setzte, was mehr- fach vorkam. Oft nahm auch letztere der alten einen Kern weg, den diese zu zerkleinern im Be- griffe war, um ihn zu verfüttern. Das ließ sich die Mutter ruhig gefallen, während es zu anderen Zeiten sicher Streitigkeiten abgesetzt hätte. Ich möchte daraus schließen, daß das Füttern der Jungen durch die Alten allerdings ein Instinkt, da- gegen die Art seiner Ausführung doch nicht genau erblich festgelegt ist, sondern nach den Verhält- nissen geändert wird. Dabei spielen offenbar persönliche Erfahrungen eine nicht unwichtige Rolle. Einige Hantierungen dieser Vögel möchte ich als Spieltätigkeit auffassen. An der Wand hatte ich Steinchen in einem flachen Gefäß, um damit Katzen zu verscheuchen. Mehrfach begaben sich Meisen dahin, hoben sie auf und ließen sie zu Boden fallen. Oft sah ich sie Blätter abbrechen, und die ganze Art, wie das ausgeführt wurde, deutete darauf hin, daß es sich nicht darum handelte, Futter zu suchen. In den Monaten Mai und Juni kam es oft vor, daß (J und 5 der Spiegel-, Sumpf- und Blaumeisen sich gegenseitig fütterten. Dabei hielt sich das Verlangende in geduckter Stellung, zitterte mit den halb ausgestreckten Flügeln und piepte leise; sie benahmen sich also ganz wie Junge, die um Nahrung betteln. Hier handelt es sich wohl um Bewerbungskünste (Groß, Spiele der Tiere). Auch Junge fütterten sich etwa gegenseitig. Die jungen Meisen haben manches zu lernen, was N. F. XIV. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 39' man ihnen als angeborene Ausstattung zuzuschreiben geneigt ist. So die Kunst, die großen Bissen zwischen den Zehen zu bearbeiten, was die alten so meisterlich verstehen. Anfänglich werden nur kleine Stücke aufgenommen und im Schnabel nach iMnkenart zerkleinert. Auch fressen sie selbst Auf- genommenes meist am Boden, nicht auf Ästen wie die Alten. Mit Hanfsamen wissen sie anfänglich nichts anzufangen. Eine junge Sumpfmeise flatterte am 25. Juni 1910 um das Säckchen mit den Nüssen herum, offenbar danach gelüstend ; aber es wußte sich noch nicht an ihm zu halten. Ebensowenig verstehen junge Spiegelmeisen das Säckchen mit den Füßen festzuhalten, auch wenn sie es auf die Stange emporgezogen haben. Wie Morgan (Instinkt und Gewohnheit) für eine Reihe anderer Vögel nachweist, müssen auch die kleinen Meisen das Futter erst kennen lernen; deswegen picken sie anfänglich nach allen möglichen kleinen Dingen am Boden, wobei sie allerdings die weißen bevor- zugen. Vor fliegenden und kriechenden Wespen ergreifen die jungen Meisen die Flucht, die alten nicht. — Das alte Kohlmeisen-(5 hatte offenbar zufällig gemerkt, daß die Nußkerne aus dem Sack auch von oben her erhältlich seien. So zog es ihn auf die Stange, steckte den Kopf in den Sack und bemächtigte sich so der ganzen Kerne, statt sie zwischen den Maschen herauszuklauben; die anderen brachten das nie fertig. — Als ich den Meisen in einem Glaszylinder Nußkerne auf den Tisch stellte, pickten sie zuerst unten an das Glas, suchten auch mit den Füßen zuzugreifen. Bald fanden sie heraus, daß sie von oben her zu gewinnen waren. — Nachdem sie soweit gebracht waren, das Futter von der Hand zu nehmen, wurden sie immer zutraulicher, zerhackten auch die Bissen und hüpften mir auf dem Kopf oder auf den Büchern herum, in denen ich las. Einzelne Tierchen blieben immer zurückhaltend und kamen nie auf die Hand. Sogar eine Sumpfmeise wurde handzahin; genau gesagt, sie kam nur auf die Hand, wenn diese auf dem Tische lag und das Futter darauf sie lockte. Die Finken brachte ich nicht soweit, trotzdem in unseren städtischen Anlagen sich be- ständig Herren und Damen erfolgreich damit ver- gnügen, sie die Nußkerne von der Hand holen zu lassen. Meine Meisen machten keinen Unter- schied, ob die das Futter darbietende Person groß oder klein, täglich da oder fremd war. Nur ein- mal schien es mir, als ob eine Spiegelmeise hierin einen Unterschied mache. Eine Frau auf Besuch streckte ihre Hand mit Nußkernen hin; die Meise flog darüber hinweg auf die Hand meiner Frau, auf der aber vielleicht das verlockendere Futter lag. Die Beobachtungen haben mir auch eine An- zahl von Handlungen vorgeführt, die als verstandes- mäßig bezeichnet werden können, wenn solche dazu gerechnet werden, die zur Erreichung eines bestimmten Zieles geeignet sind, ohne reflexiven Charakter zu haben. Ich glaube in meiner Auf- fassung mich mit Wundt (Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele) in Übereinstimmung zu befinden, wie er die Tierpsyche auffaßt; jedenfalls könnte ich nichts anführen, was nicht durchaus in den Rahmen seiner Betrachtungen paßt. Eine Spätzin hatte im Garten ein großes Blatt Papier ent- deckt, das ihr offenbar als Nistmaterial geeignet schien. Es war aber zu schwer, als daß sie es hätte geradewegs zum Dache hinaufschleppen können, wo die Behausung eingerichtet werden sollte. So flog sie in den benachbarten Bäumen von Ast zu Ast immer höher, endlich auf die oberste Spitze eines Lebensbaumes und von da aus, die größte Strecke, abwärts zum Dach. Das erforderte die Aufbietung aller ihrer Kräfte. — Ein Amselvater fütterte seinen Jungen im Garten mit Regen- würmern. Sie waren aber z. T. so groß, das sie dem Sprößling zu beiden Seiten des Schnabels herabhingen, wobei dieser sich nicht zu helfen wußte. Dann eilte der Papa hinzu und stopfte den Fraß dem Jungen in den Schnabel, was aller- dings auch nicht ganz leicht ging. — Eine junge Spiegelmeise und ein Buchfink stritten sich auf dem Tisch in der Veranda, meinem Beobachlungs- posten, um einen Nußkern. Der P'ink hatte den Schnabel bereits voll Futter; nun stand er mit dem P"uß auf den casus bellandi, so daß die Meise nicht dazu kommen konnte. — Am 24. Juli 1910 bettelte ein junger Sperling neben den jungen Meisen den Meisenvater um Futter an. Dieser gab ihm darauf ein größeres Stück eines Nuß- kernes in den Schnabel, als er seinen eigenen Jungen je gab, unterschied also offenbar die beiden. — Oft kam es vor, daß die Kohlmeisen vor dem Fenster eines Zimmers, in dem man sich gerade befand, den Lockruf ertönen ließen. Wenn man sich dann auf die Veranda begab, um F"utter zurecht zu machen, so flogen sie sogleich nach oder waren gewöhnlich schon dort, wenn man hinkam. Auch bei Pinken hatte man den Ein- druck, daß sie um Futter bettelten, indem sie in die Zimmer guckten oder piepten. Die Assozia- tion: Piepen, Mensch, Nahrung — war den Tier- chen gewiß in irgendeiner Form geläufig. Vielfach fiel mir auf, wie die Meisen die größeren Nußkerne den kleineren vorzogen. In der halbgeschlossenen, auf die Brust gelegten Faust hielt ich z. B. ganze Nußkerne, auf der vorge- streckten Hand Stücke von solchen. Eine Spiegel- meise untersuchte alles genau und machte sich dann mit einem Kern aus der Faust davon. Um die Tatsache der Größenschätzung genau festzustellen, legte ich 8 Kernbrocken in der Reihe 6, 7, 4, i, 8, 5, 3, 2 auf den Tisch, wobei i den größten, 8 den kleinsten bezeichnet usw. Nun faßte eine Spiegelmeise zuerst i und ließ ihn fallen; dann nahm sie 4, worauf 2, 3, 5, i, 6, 7, 8 folgten; d. h. sie wurden ziemlich genau in der Größenfolge genommen. Dies eine Beobachtung aus vielen, die recht regelmäßig dasselbe Ergebnis zeitigten, sofern die Kerne in ihrer Farbe übereinstimmten. Da können nämlich schon geringe Unterschiede einen Ausschlag geben. Randstücke sind nicht so beliebt, wie solche aus dem Innern des Kernes. 392 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 25 Nie konnte ich beobachten, daß die Zunge zum Betasten der aufzunehmenden Brocken Ver- wendung fand. Die Knden der Geschmacksnerven liegen demnach wohl hauptsächlich an der Schnabel- spitze. Die Vögel sind scharfe Beobachter ihrer Um- welt. Irgendein neuer, wenn auch kleiner Gegen- stand auf der ihnen bekannten Veranda machte sie so scheu und mißtrauisch, wie wenn die gewohnten einen anderen Platz erhielten. Da gab es denn immer viel zu begucken, bis sie sich beruhigten und die Neuerung geistig angeeignet hatten. Darin äußerte sich ihre Neugier, auch insofern, als die Meisen gern durch die geöfifneten h'enster in die Zimmer kamen, wo dann alles eifrig in Augenschein genommen wurde. Es machte mir überhaupt immer den Eindruck, als ob die X^ögel hauptsächlich die Kleinigkeiten ihrer Um- gebung sich einprägten, während wir diese mehr in ihren großen Zügen auffassen, ohne uns um die Einzelheiten zu bekümmern. Dieser wesentliche Unterschied in der Erfassung der Außenwelt darf nicht außer acht gelassen werden, wenn wir die geistigen Eigenschaften der Vögel — und wohl aller Tiere und Naturmenschen — er- gründen wollen. Das erwähnte X'^erhalten scheint mir sehr im Interesse der Arterhaltung zu liegen, um dies nur anzudeuten. Es schien mir sehr oft, als ob die Vögel eines kleineren Gebietes sich einzeln, „persönlich", kennen. Eine junge Kohl- meise wurde beständig vom Vater von den Nuß- kernen weggejagt, dagegen von einem der Ge- schwister gefüttert. Also dürfte es auch da sich um Wahlverwandtschaften, Zu- und Abneigungen handeln. Die Paarungen der Vögel, die Spatzen- zänkereien beweisen übrigens auch, daß sie sich gegenseitig unterscheiden. Dem Schwindel scheinen die Meisen nicht unter- worfen: wenn eine rasch an das Netz mit den Nüssen fliegt, so dreht es sich mit ihr lustig herum, ohne daß sie im geringsten davon sich beunruhigt zeigt ; sie hämmert inzwischen ganz ruhig an den Kernen. — Die Warnrufe der Amseln oder Finken versetzten auch die Meisen in Aufregung. Noch einige Beobachtungen über das Gedächtnis meiner Vögel. Nach einer Abwesenheit von einer Woche, während welcher die Fütterung unter- blieben war, zeigten sich die Meisen in einem Sommer merkbar zurückhaltender als vorher, im anderen nicht. Im ersten Fall waren sie vielleicht durch irgend etwas, vielleicht eine Katze, erschreckt v^forden. — Den Winter über hatte keine F'ütterung aus der Hand stattgefunden. Nun wurden Kohl- meisen im April 191 1 in einem Nachbarhaus Stammgäste, pickten- aus der Hand und waren zu- traulich. OiTenbar waren das meine früheren Pfleg- linge, während meine Gäste sehr scheu und miß- trauisch waren. Jene hatten mithin die P>innerung an die fiühere Nährweise durch 4 — 5 Monate be- halten; diese sie aber nie gekannt und gelernt, aber den Platz der anderen eingenommen. Einen unzweifelhaften und unzweideutigen Fall von Nachahmung, die bei den Säugetieren eine so große Rolle spielt, vermöchte ich aus der Vogelwelt nicht anzuführen. Wo gleiches Ver- halten vorlag, konnte es die Folge der Gleichheit der äußeren Einwirkungen sein. Man kann den hier vorgetragenen Ausführungen gewiß den Vorwurf machen, daß sie recht klein- licher Art seien. Doch scheinen sie mir nicht un- wichtige Einblicke in die Vogelpsyche zu gewähren. Beweisen sie doch, daß die Vögel in ihrem Ver- halten nicht durchaus auf Ererbtes angewiesen sind; vielmehr sind sie fähig zu lernen, Erfahrungen zu sammeln und sie gegebenenfalls zu verwerten. Und es dürfte auch ein wenig ins Gewicht fallen, daß die hier beobachteten Tiere durchaus frei- lebend waren, also keine Beeinflussung stattfand, die ein falsches Bild geben könnte. Auch glaube ich, in den Beobachtungen mich von vorgefaßten Meinungen und Vermenschlichungen nach Möglich- keit frei gehalten zu haben. — Aus den letzten Jahren sind keine mehr erwähnt, da sich die Tierchen nicht mehr so regelmäßig einstellten wie früher, auch wenn es an Futter nicht mangelte. Kleinere Mitteilungen. Unsere natürlichen Verbündeten bei der Land- gewinnung an den Nordseeküsten. An den deut- schen Küsten der Nordsee spielen sich von jeher gewaltige Veränderungen ab; während an einzel- nen Stellen weite Flächen von den Fluten zer- stört werden, baut die Natur an anderen Orten wieder auf und schafft neue Wohnplätze. Der Mensch an der Küste führt einen fortwährenden Kampf mit den Naturgewalten, um sein Landeigen- tum zu schützen, andererseits aber unterstützt er auch wieder die Natur, um rasches Anwachsen des Bodens zu ermöglichen und so seinen Besitz zu vergrößern. Den meisten Erfolg in diesem Be- streben hat der Mensch, wenn er es in rechter Weise versteht, die verschiedenen natürlichen Bundes- genossen sich dienstbar zu machen utid sie in ihrer Arbeit unterstützt. Von diesen Verbündeten gibt es eine große Anzahl, alles unscheinbare Pflanzen, die einander vorarbeiten, sich unterstützen und deren Wirkung wirklich großartig ist, sei es auf Schlickboden oder Sandboden Natürlich kann eine Landbildung nicht überall vor sich gehen, sondern nur an gewissen Punkten, wo die Ablagerung der vom Meerwasser mitge- führten Stoffe nach bestimmten Naturgesetzen vor sich geht. Solche Stellen sind nicht gerade häufig, aber hier unterstützt der Mensch die Natur, indem durch Aufführung mächtiger Dämme und Bah- N. F. XIV. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 393 Illingen solche Plätze geschaffen werden. Hier kann man recht gut die Wirkungen der Pflanzen er- kennen, aber besser und interessanter jedenfalls geschieht dies an den Orten, wo sich alles natür- lich und ohne Mitwirkung von Menschenhänden voll- zieht. An diesen Orten erhöht sich der Meeres- boden durch die Anschlickung nach und nach und wird zum Watt, das bei jeder Ebbe vom Meer- wasser frei wird und trocken liegt. Bis zu dem Zeitpunkt wird der Boden stellenweise mit den Arten des Seegrases, Zostera bewachsen, sowie er aber zur Ebbezeit trocken wird, verschwinden diese Pflanzen und der Boden würde ganz öde und kahl liegen, wenn nicht jetzt eine andere Art käme, welche die von den Wurzelstöcken des Seegrases festgehaltenen Bodenmassen weiter scliützen würde. Der erste Pionier der Landgewinnung, der seine Tätigkeit vom Lande allmählich weiter ins Meer vorschiebt, ist der Glasschmelz oder Queller, Salicornia herbacea L. Diese wunderbare, kaktus- ähnliche Pflanze scheint nur aus dicken, fleischigen Stengeln zu bestehen; in wunderbarer Anpassung sitzen die unscheinbaren Blüten in einem Schlitz der Stengel und die Staubgefäße treten bei ge- eigneten Verhältnissen hervor. Der Queller ist eine amphibische Pflanze, die mit Vorliebe einen Standort wählt, der bald unter dem Meerwasser, bald trocken liegt, wie das zur Zeit von Flut und Ebbe der Fall ist ; darum siedelt er sich da an, wo die Anschlickung die rechte Höhe hat und die Seegrasarten verschwunden sind. Da die Pflanzen sehr dicht stehen, schaffen sie ruhiges Wasser, befördern also die Schlickablagerung, halten alle im Wasser treibenden Pflanzen zurück, daß kleine Wälle entstehen und Schlick gefischt wird, und im Herbst erhöhen sie außerdem mit ihren abge- storbenen Teilen das Watt, halten aber außerdem mit ihren feinen Würzelchen den Schlick fest, daß der neugebildete Boden gegen Sturmfluten, Eis- gang und dgl. geschützt ist. Durch diese Land- gewinnungsarbeiten erhöht sich das Watt zusehends ; an Stellen schiebt der Queller seine \>getations- grenze jährlich um 10 bis 20 Meter, ja sogar noch mehr, vor. An der oberen Grenze wird die An- schlickung bald so hoch, daß die gewöhnlichen Fluten nicht mehr darüber hinweg gehen. Dann sagt der Boden dem Queller nicht mehr zu, er hat seinen Dienst getan und verschwindet, um anderen Pflanzen Platz zu machen. Sowie der Queller den Platz an der oberen Seite räumt, nimmt sofort eine andere Pflanze den Raum ein, nämlich das Meerstrands-Straußgras, Agrostis alba var. maritima G. F. W. Meyer, im Volksmund als Mariengras bezeichnet. Es bildet niedrige, feste und dichte Polster, die sich durch Ausläufer rasch vergrößern und deren Würzelchen wie Halme den Boden sichern. Es schadet nichts, wenn Sturmfluten über die Zone des Mariengrases sich ergießen, der Boden ist jetzt gesichert und kann höchstens durch Eisfluten wieder aufgerissen oder gelockert werden. Im Laufe der Zeit wachsen die Polster des Mariengrases an, erheben sich über den Boden, sammeln rasch neues Bodenmaterial, so daß der Grund förmlich zu wachsen scheint. Da siedeln sich denn bald eine ganze Anzahl von Pflanzen an, die der Botaniker zu der Flora der Salz- wiesen rechnet, zunächst das Landrohr, das starke Wurzelstöcke hat und den Boden nach allen Seiten festhält, und dann eine große Anzahl anderer Pflanzen, wie die Strandaster mit vielen klammerförmigen Wurzeln, das Gipskraut, das außerdem noch eine tief in den Boden gehende Pfahlwurzel und eine die Unterlage schützende Blattrosette hat, ferner die Strandnelke, der Meerstrands-Wermut u. v. a., die alle für die Bodengewinnung von Bedeutung sind. Diese Pflanzen bilden alle einen sehr dichten Bodenteppich, und der Blütenreichtum dieser Vor- strandswiesen erinnert an die Pracht der Alpen- matten. Was so die Natur im Laufe einiger Jahre in stillem, friedlichem Schäften aufbauen kann, das wird oft in einigen Stunden des Aufruhrs total vernichtet, wie bei Sturmfluten, namentlich bei Eisgang. Leider geschieht dies fast immer, so daß die Natur allein nur langsam vorwärts kommt. Aber im Verein mit sinnigen Einrichtungen von Menschenhand wächst der Boden schnell aus dem Meere hervor. Auf Sandboden vollzieht sich die Landgewinnung etwas anders, als auf Schlick. Nach dem Queller und einzelnen Polstern des Mariengrases bildet sich hier bald ein erhöhter Sandwall. Hier hält zunächst die Sand Segge den Boden fest, der 5 bis 10 m lange unterirdische Ausläufer treibt. Dann siedeln sich Meldenarten an, meistens sehr robuste Formen, die den Sandpflug hemmen und allmählich kleine Sanddünen schatten, die dann durch die Strand- gräser, namentlich durch Elymus arenarius L., das Meerstrands-Haargras, sowie verschiedene Quecken- arten befestigt werden. Hier siedeln sich dann bald die verschiedenen interessanten Pflanzen der Strand- flora an, wie Cakile maritima, Honckenya peploides, Lathyrus maritima, Eryngium maritima, Sedum acre usw. Ist der Sandboden genügend erhöht, so wird er in Besitz genommen vom Strandroggen, x^mmophila arenaria Link., der seine Herrschaft selbst auf den Dünen behauptet. Es kommt nur selten vor, daß Menschenhand die Natur bei der Gewinnung von Sandboden unterstützt; meistens greift der Mensch hier nur ein, um bei den Wanderdünen den Sand zu be- festigen, indem überall Strandroggen gepflanzt wird. Die Haupttätigkeit verlegt der Mensch dahin, wo es gilt, den wertvollen Schlickboden zu ge- winnen. Hier besteht die erste Arbeit darin, die Strömung im Wasser zu hemmen, daß die Schlick- massen sich ablagern können. So werden Pfahle eingeschlagen und mit Reisig bekleidet, oder man zieht lange Gräben in den Schlick, quer zur Flut- richtung; durch die aufgeworfenen Massen wird das Watt erhöht und in den Gräben sammelt sich bald neuer Schlamm. Mancher Spatenstich, mancher Schweißtropfen klebt an dem gewonnenen Boden, aber derselbe ist auch der Arbeit wert. Alle 394 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 25 Arbeiten müssen so ausgeführt werden, daß die stille Tätigkeit der Natur sie unterstützt, dann geht die Landgewinnung schnell vorwärts. Wenn ein genügendes Stück Land dem Meere abgerungen ist, so schützt man es durch Sommer- deiche vor Überschwemmungen. Für Kulturpflanzen ist dies Vorland wegen seines salzigen Bodens nicht geeignet. Durch gute Abwässerung wird der Boden nach und nach ausgefrischt; man sieht dies daran, daß die Salzpflanzen verschwinden und die Fcld- pflanzen sich einstellen. Erst wenn der weiße Klee erscheint, ist der Boden zum Anbau reif. Dann wird ein fester Deich aufgeworfen und der so ent- standene Krog ist Goldes wert und macht seine Besitzer zu reichen Leuten. So hat hier der Mensch mit Hilfe seiner natürlichen Bundesgenossen der Natur einen Landstrich abgerungen durch viel Arbeit und Kampf, aber mit reichem Lohn. H. Philippsen, Flensburg. Über plötzliches Ergrauen nach Schreck. Trotz mannigfacher in der Literatur enthaltenen Angaben stößt man immer wieder auf Äußerungen des Zweifels, daß nach heftigen psychischen Erschütte- rungen ein totales oder partielles Ergrauen beim menschlichen Individuum vorkomme. Ich möchte daher im folgenden auf einen kürzlich von mir beobachteten Fall hinweisen. Im Krankenhaus der israelitischen Gemeinde in Frankfurt a. M., wo ich anthropometrische Er- hebungen an verwundeten Soldaten vornahm, untersuchte ich auch einen Wehrmann, in dessen sonst normal gefärbtem Kopfhaar sich ein voll- ständig weißes Haarbüschel befand. J. M., aus dem Odenwald stammend, von Beruf Metzger, 29 Jahre alt und Vater von 5 Kindern, ist ein mittelgroßer robuster Mann von geringer Schulbildung und ziemlich derber Art. Obgleich gutmütig, hat er ein hitziges Temperament, und seine Stubengenossen beklagen sich , daß er alle necke und reize , selbst aber nicht die geringste Neckerei ertragen könne. Aus dem Feld kam er unverwundet ins Kranken- haus zur Behandlung eines Nervenschocks. Auf Befragen erzählte er, daß bei einem Aufenthalt in St. Ouentin in seiner Nähe ein Schrapnell ge- platzt sei und vor seinen Augen 4 Kinder getötet habe. Bei diesem Anblick sei er bewußtlos ge- worden , was sich noch dreimal wiederholte. Andern Tags im Lazarett frug ihn der Arzt, wie lange er schon die weißen Haare im Kopfhaar habe. Diese Frage habe ihn sehr erstaunt. Er wusch sich dann die Haare, im Glauben , sich beim Fallen beschmutzt zu haben und bemerkte bei dieser Gelegenheit zum ersten Male das weiße Haarbüschel. Die Einpflanzungsstelle der weißen Haare hat die Form einer langgestreckten in der Median- sagittallinie gelegenen etwas nach links ausweichen- den Ellipse, deren Längsachse 40 mm und deren Querachse 13 mm beträgt. In dem vorderen 7., dieser Fläche entspringen nur weiße Haare, im letzten Drittel sind sie etwas mit normal gefärbten durchsetzt. Sonst ist in dem tiefdunkelbraunen fast schwarzen Kopfhaar des M. kein weißes Haar zu sehen. Irgendeine Anlage zu frühem Ergrauen besteht in M.'s Familie nicht; denn sein Vater ergraute erst mit 59, seine Mutter mit 60 Jahren. Auf die Frage, was ihn am meisten erschreckt habe, der heftige Knall des platzenden Schrapp- neils, die getöteten Kinder oder die Möglichkeit, selbst getroffen zu werden, antwortete M. : ,, Natür- lich der Anblick der toten Kinder, denn ich habe selbst 5." Es scheint nicht ausgeschlossen, auch in anbetracht einiger anderen mir bekannten I-^älle, daß Menschen mit einer leicht erregbaren Psyche eher zum plötzlichen Ergrauen neigen, als phleg- matische Naturen. Dr. Stefanie Oppenheim. Der Nährwert des Holzes. Die Bäume speichern in ihrem Holze große Mengen stick- stofffreier Reservestoffe auf, die im Sommer in den Laubblättern erzeugt werden , aus dieser durch das Leitparenchym der Rinde in das lebende Holz (den Splint) einwandern und im l'Vühjahr wieder in die austreibenden Laub- und Blütenknospen zurückgelangen, um beim Aufbau der neuen Organe Verwendung zu finden. Die aufgespeicherten Stoffe sind entweder fettes Ol, wie bei der Linde, der Birke oder der Kiefer (Fettbäume), oder Stärke, wie bei den meisten andern Laubbäumen {Stärkebäume); einige Nadel- hölzer (Fichte, Lärche, Wacholder) nehmen eine Mittelstellung ein. In den Fettbäumen erfolgt mit dem Beginn des Frühjahrs, etwa Ende Februar, eine Umwandlung des Ols in Stärke, und im April zeigen sie ein Stärkemaximum; in Form des löslichen Traubenzuckers wandert ein Teil der Reservestoffvorräte in den wasser- leitendcn Gefäßen und Tracheiden zu den aus treibenden Knospen. Bei den Stärkebäumen wird die Stärke gleichfalls Ende April und Anfang Mai gelöst und teilweise fortgeleitet. Bei Fett- und Stärkebäumen kommt es so in der zweiten Hälfte des Mai zu einem Stärkeminimum. Eine vollständige Auswanderung der Stärke erfolgt je- doch nicht; die Hauptmasse bleibt im Holz jahre- lang gespeichert, um nur in Zeiten der Not, nach Spätfrösten, Insektenfraß, oder auch (Buche) zur Fruchtbildung verwendet zu werden. Im Juni beginnt die Wiederfüllung der Speichergewebe des Holzes mit den von den Laubblältern er- zeugten Assimilaten. Sie dauert bis zum herbst- lichen Laubfall. G. H a b c r 1 a n d t , dem wir bei der Darstellung dieser Verhältnisse gefolgt sind, liat nun in der Sitzung der Berliner .'\kademie vom II. März die Verteilung der Reservesloftc im Holze näher dargelegt und die ['""rage erörtert, wie das Splintholz mit seinen winterlichen Stärke- oder Ölvorrälen zur menschlichen Nahrung taug- lich gemacht werden kann. Die eigentlichen Speichergewebe des Holzes sind die Markstrahlen N. F. XIV. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 395 und das Holzparenchym. Wenn man im Winter den Querschnitt durch das SpHntholz eines Stärke- baums mit einer Jodlösung' benetzt, so heben sich bei Lupenbetrachtung die dunkelschwarzblau gefärbten stärkereichen Markstrahlen und Holz- parenchymbinden von den anderen Geweben ab. Zur quantitativen Bestimmung des Stärkegehaltes zeichnete Haberlandt die Konturen der ver- schiedenen Gewebesysteme in einem mit Jod- lösung behandelten Holzquerschnitt auf Papier ab, schnitt aus der Zeichnung die einzelnen Partien heraus und wog sie sorgfältig. Nach den mit verschiedenen Hölzern vorgenommenen Versuchen läi3t sich annehmen, daß etwa ein Fünftel bis mehr als ein Viertel des Gesamtvolums des Holzes aus stärkehaltigem Speichergewebe besteht. Analj'tische Bestimmungen anderer P^orscher haben ein ungefähr gleiches Ergebnis gehabt. Bei der Linde sind in Rinde und Holz der Zweige zu- sammen 9 — lo^/ß fettes Ol (bezogen auf Trocken- substanz) gefunden worden. Im Birkenholz von offenbar im Frühjahr gefällten Bäumen hat man neben Ol eine große Menge (14 "/o) „stickstoff- freier Extraktivstoffe", die wohl zum Teil aus Stärke, zum anderen aus Substanzen, die im Laufe der Analyse aus den Zellwänden heraus- gelöst waren, bestanden. Die Menge der Eiweiß- stoffe im Holz dürfte nur i — 2,5 "/(, der Trocken- substanz betragen. Die Ausnutzung der Nähr- stoffe des Holzes im Darmkanal des Menschen wird durch die Widerstandsfähigkeit der ver- holzten Zellwände sehr erschwert. (Selbst aus verhältnismäßig reiner Zellulose bestehende, nicht ganz zarte und dünne Membranen sind fast un- verdaulich.) Nur wenn alle Zellwände zerrissen werden und das Holz zu feinstem Mehl pulveri- siert wird, können die Reservestoffe vom Menschen verdaut werden. Auch bei den Haustieren, von denen die Wiederkäuer am energischsten Zellulose verdauen, ist eine möglichst weitgehende Zer- trümmerung der Zellvvände nötig, damit die auf- gespeicherten Reservestoffe aufgeschlossen werden können. Haberlandt untersuchte Häckselstück- chen aus den Exkrementen eines Pferdes und einer Kuh unter dem Mikroskope und stellte fest, daß die aus verhältnismäßig reiner Zellulose be- stehenden Zellwände der Parenchymstreifcn zwischen den Bastrippen sowie der Leptomteile vollständig aufgelöst, die verholzten Zellwände aber unversehrt geblieben oder nur schwach kor- rodiert waren. Für die Ernährung des Menschen und der Haustiere scheiden diejenigen Bäume aus, deren Holz einen zu unangenehmen Geschmack besitzt oder gesundheitsschädlich wirken könnte. So ist Eichen- und Weidenholz wohl zu gerb- stoffreich, und das Holz der Fichten, Tannen und Kiefern kommt wegen seines Harzgehaltes nicht in Betracht. Andererseits müssen die mechani- schen Eigenschaften des Holzes eine weitgehende Pulverisierung gestatten. Ahorn-, Pappel-, Ulmen-, Linden- und Birkenholz dürfte für die Ernährung des Menschen und seiner Haustiere am tauglich- sten sein. Spätherbst und Winter sind die ge- eignetsten Jahreszeiten für die Verwendung des Holzes. Schon vor einem Jahrhundert, in den Hungerjahren 18 16/17, hat J. H. F. von Authen- rieth, Kanzler der Universität Tübingen, eine „Gründliche Anleitung zur Brotberci- tung aus Holz" veröffentlicht, die 1834 aus Anlaß der damals in Rußland herrschenden Hungersnot in zweiter Auflage erschienen ist. Nach seiner Vorschrift wird in der Hitze ge- trocknetes Birkenholz fein zcrmahlen, bis es ganz pulverig geworden und nicht etwa bloß in feine Fäserchen zerteilt ist. Zu diesem Zwecke wird das rohe Mehl mit Wasser und einem schleim- gebenden Zusatz zu flachen Kuchen geknetet, gelinde gebacken, von neuem gemahlen und schließ- lich gebeutelt. Mit Sauerteig erhält man daraus gutes und verdauliches Brot, das durch Zusatz von Getreidemehl zum Holzmehl noch sehr ver- bessert wird. Es ist, wie Haberlandt hervor- hebt, bemerkenswert, daß Authenrieth bereits für die weitgehende Vermahlung des Holzes ein- tritt , obgleich er dafür keine wissenschaftliche Begründung geben kann, und daß er Birkenholz verwendet , dessen Membranen verhältnismäßig wenig verholzt sind. Birke, Ahornarten, Zitter- pappel gehören zu den „Splintbäumen", die auf dem ganzen Stammquerschnitt die Beschaffenheit des Splintholzes zeigen. Bei den meisten Bäumen besteht der Splint bloß aus einer größeren oder geringeren Zahl peripherer Jahresringe. Das dunkler gefärbte, völlig abgestorbene Kernholz ist für Ernährungszwecke völlig unbrauchbar. (Sitzungsberichte der Kgl. preußischen Akademie der Wissenschaften 191 5, XIV, S. 243 — 257). F. Moewes. Bticherbesprechiingen, Canestrini, S., Über das Siiinesleben des Neugeborenen. (Nach physiologischen Ex- perimenten) Monogr. a. d. Gesamtgeb. d. Neu- rologie und Psychiatrie herausgegeben von Alz- heimer u. Lewandowsky, Bd. 5. Berlin 1913, Julius Springer, — Preis 6 Mk. Die früheren Untersucher des Sinneslebens des Neugeborenen haben ihre Beobachtungen — viel- leicht mit einziger Ausnahme von Kußmaul — nur an einem Individuum anzustellen Gelegen- heit gehabt. Dadurch entstand aber die Gefahr, daß subjektive Abweichungen dieser Beobachtungs- objekte von den allgemeinen Entwicklungsgesetzen geistigen Werdens als Charakteristika dieser all- gemeinen Entwicklung betrachtet wurden. Schon von diesem Gesichtspunkte aus ist deshalb den 396 Naturwissenscliaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 25 Untersuchungen des Autors ein besonderer wissen- schaftlicher Wert zuzusprechen; denn seine Fest- stellungen sind das Krgebnis von Experimenten, die er mehrere Jahre hindurch an rund 70 Neu- geborenen angestellt hat. Aber auch die von Canestrini bei seinen Untersuchungen angewandte rein physiologische Methode (Studium der Respirations- und Hirnpuls- kurve), die er zur Prüfung des Sinneslebens des Neugeborenen anwendet, erweist sich als wissen- schaftlich sicherer als das Verfahren der älteren Kindespsychologen, die auf Grund eines Studiums der kindlichen Mimik, seines Verhaltens nach Appli- zierung bestimmter Reize glaubten objektive Kennt- nis vom Sinnesleben des Neugeborenen sich ver- schaffen zu können. Ks hat sich nämlich heraus- gestellt, daß die dieser älteren Forschungsweise stillschweigend zugrunde gelegte Annahme, daß ein Sinnesreiz nur dann gewirkt habe, wenn eine äußere Reaktion durch ihn ausgelöst wurde, nicht zu recht besteht. Es ist gerade das Hauptverdienst C.'s, experi- mentell durch fein erdachte und gut angewandte Untersuchungsmethoden gezeigt zu haben, daß Veränderungen im Hirnpuls und in der Respira- tion durch bestimmte Sinnesreize hervorgerufen werden, auf die eine Reaktion durch äußerlich sichtbare Bewegungen nicht einzutreten braucht. Was der Autor nun mit Hilfe seiner neuen Methode festgestellt hat, stimmt zu einem Teil bis ins kleinste mit den Ergebnissen älterer For- scher überein, widerspricht aber in gewissen Tei- len wesentlich deren Aussagen. So besonders in dem, was er über die Funktion des Gehörorgans sagt, die vielfach bestritten, und des Geruchs- organs, das meist als gut ausgebildet angenommen wurde. Kontrollversuche werden da zeigen müssen, inwieweit wir auf Grund von C.'s Untersuchungen unsere Anschauungen über die Funktionsfähigkeit der Sinnesorgane bei Neugeborenen zu revidieren verpflichtet sind. Referent gestattet sich, darauf hinzuweisen, daß die Angaben C.'s über die Funk- tionsfähigkeit des Geruchsorgans mit den Ergeb- nissen der vergl. Hirnforschung übereinstimmen. Das Schriftchen stellt auf jeden Fall eine wert- volle Bereicherung unserer — leider so spärlichen — pädologischen Literatur dar. M. H. Baege. The Svedberg, Die Materie. Ein Forschungs- problem in Vergangenheit undGegen- wart. Deutsche Übersetzung von Dr. H. Finkei- st ein. 162 Seiten mit i 5 Abbildungen. Leip- zig 1914, Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H. — Geb. 7,50 M. Die vorliegende Übersetzung will dem deutschen Leser die Kenntnis der schätzenswerten Schrift vermitteln, in welcher der bekannte schwedische Forscher in der Hauptsache vom chemischen Standpunkt die historische Entwicklung und den gegenwärtigen Stand der \^orstellungen von der Materie und der Natur ihrer Bausteine zeigt. Die klare, dem gebildeten Laien ohne weiteres verständliche Darstellung beginnt mit einem kurzen IJberblick über die elementaren Vor- stellungen von der Materie bei den alten Kultur- völkern und zeigt dann mit reichlicher Ausführlich- keit die Irrwege, welche das ganze Mittelalter in der fast ausschließlich den praktischen Zwecken der Metallverwandlung zugekehrten Alchemie gegangen ist. Das dritte Kapitel behandelt die folgenreiche Wandlung der Tendenz in der durch Paracelsus begründeten sog. medizinischen Chemie, in welcher zum erstenmal der Hinweis auf die Erfahrung als Mittel zur Einsicht und damit die Erkenntnis von der Notwendigkeit der induktiven Arbeitsweise auftritt, durch deren ener- gische Betonung späterhin Boyle zum Begründer der voraussetzungslosen Forschung, der Chemie als Wissenschaft, geworden ist. Die von hier aus einsetzende rasche Ent- wicklung der Kenntnis von der Materie stellt Verf. im vierten und fünften Kaiiitel mit beson- derer Ausschaulichkeit dar. Er zeigt zunächst den Übergang zur quantitativen Forschung, die in dem von Lavoisier gefundenen Gesetz von der Konstanz der Masse, dem durch Richter entdeckten Gesetz von der chemischen Äquivalenz, dem Gesetz Dalton's von den multiplen Propor- tionen ihre ersten großen Erfolge errungen hat und in den von Berzelius begonnenen Atom- gewichtsbestimmungen die Grundlage für die ganze weitere quantitative Arbeit geliefert hat. Daran schließt sich die Charakteristik des neuesten Entwicklungsganges der Kenntnis der chemischen Gesetze, der vornehmlich durch den Ausbau der organischen Chemie und die Begründung der physikalischen Chemie bezeichnet wird. Zum Schluß geht Verf. kurz und zum Teil nur andeutungsweise auf die Entdeckung der Kathodenstrahlen und der radioaktiven Er- scheinungen und die durch sie veranlaßte Er- weiterung bzw. Wandlung der chemischen Vor- stellungen ein. Die wichtigen Einblicke in die Konstitution der Materie und die Vorstellungen vom inneren Bau der Atome, die die physikalische Untersuchung dieser Erscheinungsgebiete (und die spektroskopische Forschung) erbracht haben, bleiben leider unbehandelt. Es würde diese Behandlung allerdings nicht ohne wesentliche Steigerung des Umfangs der Schrift möglich gewesen sein. A. Becker. Witte, H., Raum und Zeit im Lichte der neueren Physik. Heft 17 der „Sammlung Viewcg". 84 Seiten mit 17 Textabbildungen. Braunschweig 1914, F. Vieweg u. Sohn. — Geh. 2,80 M. Der Verf. des vorliegenden Bändchens hat sich die schwierige Aufgabe gestellt, weiteren Kreisen ohne Zuhilfenahme der Mathematik eine allgemeinverständliche Entwicklung des raumzeit- lichen Relativitätsgedankens bis zum Relativitäts- prinzip selbst zu geben. Es ist ihm dies in un- übertrefflicher Weise gelungen. N. F. XIV. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 397 Ausgehend von der kritischen Betrachtung der alten, uns geläufigen Auffassung von Raum und Zeit als absol ut er Grundelemente der Wirklich- keit und der Hervorhebung der sie durchsetzen- den relativistischen Einschränkungen, gelangt Verf. zum Galileischen Relativitätsprinzip der älteren iVIechanik. Die Frage nach der Übertrag- barkeit dieses Prinzips auf die elektromagnetischen Vorgänge führt ihn zur Besprechung des Welt- äthers als des vermeintlichen Trägers dieser Vor- gänge und der theoretischen und experimentellen Untersuchungen über die Eigenschaften dieses Äthers, deren Ergebnisse die Grundlage für das moderne Relativitätsprinzip gegeben haben. Die Klarheit der Darstellung und die durch Zuhilfenahme eines vom Verf. ersonnenen mecha- nischen Modells erreichte große Anschaulichkeit lassen die Schwierigkeiten des Gegenstandes völlig vermissen, und es wird nicht nur der dem Gegen- stand fernerstehende Leser, sondern auch derjenige, der die glänzende mathematische Form des Ge- dankeninhalts des Relativitätsprinzipes kennt, beim Studium des Bändchens hohen Genuß empfinden. Wer dem raumzeitlichen Relativitätsgedanken, dieser großen neuen Errungenschaft der Natur- wissenschaft, Interesse entgegenbringt, wird jeden- falls kaum eine bessere Orientierungsmöglichkeit finden können. A. Becker. Zoth, O., Über die Natur der Mischfarben aufGrund der Undulationshypothese. Heft 14 der „Sammlung Vieweg", Tages- fragen aus den Gebieten der Naturwissenschaften und der Technik. 38 Seiten mit 3 Textfiguren und 10 Kurventafeln. Braunschweig 1914, F. Vieweg u. Sohn, — Geh. 2,80 M. Die vorliegende Schrift ist als Originalabhand- lung aufzufassen. Sie gibt nicht etwa eine Zu- sammenfassung der bisherigen Vorstellungen über die Entstehung der Mischfarben sondern enthält eine Durchführung spezieller Ansichten des Verf. Ihr wesentlicher Inhalt ist die Auffassung, daß der Eindruck einer Mischfarbe nicht lediglich die Folge der gleichzeitigen Einwirkung mehrerer homogener Strahlungen auf die Netzhaut sei, sondern nur eine Wirkung der aus ihrer Kombination hervorge- gangenen neuen zusammengesetzten Schwingungs- form. Es würde sonach jeder Mischfarbe ein be- stimmtes objektives Wellenbild zugehören, dessen Gestalt durch die Wellenlängen, Amplituden und etwaigen Phasendifferenzen der zusammenwirken- den Einzelwellen zu erhalten wäre. Verf. führt diese Vorstellung nur an dem einfachen Beispiel des Zusammenwirkens homogener, in der gleichen Ebene vollkommen linear polarisierter Strahlen mit großer Ausführlichkeit durch, indem er auf den beigefügten Tafeln durch einfache algebraische Addition der Amplituden homogener Schwingungen mit variierter Wellenlänge, Intensität und Phasen- differenz eine große Zahl resultierender Wellen- formen konstruiert, die er als objektive Wellen- bilder der verschiedenen Mischfarben betrachtet, die durch Kombination der zugrunde gelegten Einzelfarben zu beobachten wären. Rcf möchte hierzu folgendes bemerken: Die Möglichkeit einer Kombination zusammenwirkender Einzelschwingungen zu einer resultierenden Os- zillation liegt zweifellos vor. Das vom Verf. aus- schließlich durchgeführte und allein leicht gang- bare Verfahren aber setzt linear polarisiertes Licht mit identischer und konstanter Schwingungs- ebene für alle zusammenwirkenden Strahlen und außerdem, was Verf. nicht beachtet, Kohärenz dieser Strahlen voraus. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt — was nach unserer Kenntnis wohl meist der Fall sein wird — so ist die resul- tierende Oszillation kaum angebbar und der Ersatz der getrennten Einzelwirkungen homogener Schwingungen durch die Wirkung ihrer Resul- tanten für das Verständnis kaum von Vorteil. Es möge auch noch an den speziellen Fall der Her- stellung von Mischfarben mit Hilfe rotierender P'arbenscheiben erinnert werden, der zeigt, daß der Eindruck der Mischfarbe nicht notwendig mit dem Auftreten einer resultierenden Äther- vibration verbunden ist; denn hierbei wird die eine Strahlung bereits vollständig vom Auge auf- genommen, bevor die andere wirksam wird, so daß ein Zusammenwirken derselben vor der Netzhaut ausgeschlossen ist. A. Becker. Locy, W. A., Die Biologie und ihre Schöpfer. Autorisierte Übersetzung der 2. amerikanischen Auflage von E. Nitardy. 415 S. 8'1 Jena 191 5, Fischer. — Preis geb. 8,50 M. Das Buch wendet sich an einen weiteren Leser- kreis und ist hervorgegangen aus dem Wunsch des Verfassers, zahlreichen aus dem Kreise der Studenten, Lehrer und Ärzte an den Verfasser ergangenen Anfragen zu entsprechen. Der Ver- fasser ist sich bewußt, nur eine flüchtige Skizze zu bieten, er hofft aber auch dem Laien ein ge- nügend klares, nicht verwirrendes Bild zu ent- rollen, in dem „die notwendigen Kürzungen wenig- stens teilweise durch die Klarheit" ausgeglichen sind. Der Übersetzer betont eingangs den etwas einseitigen Charakter des Buches, das, in erster Linie für Amerikaner bestimmt, den Anteil der Amerikaner und Engländer etwas stark betont und den Deutschen nicht immer gerecht wird; er glaubt aber, daß diese „Geschichte der Biologie in amerikanischer Beleuchtung" gerade deshalb auch dem deutschen Leser interessant sein werde, da die amerikanische Forschung besonders auf dem Gebiet der experimentellen Biologie einen hohen Stand erreicht hat. Diese, vom Übersetzer betonte Einseitigkeit ist in der Tat vorhanden. Auch in einer noch so kurz gefaßten Geschichte der Biologie duften Namen wie Blume nbach. Pflüger, Richard Hertwig, Liebig, Emil Fischer, Abder- halden, Driesch, Loeb — um nur einige herauszugreifen — nicht fehlen ; S c h a u d i n n ' s 398 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 25 Verdienste um die Protozoenforschutig würden ebenfalls unerwähnt geblieben sein, wenn der Übersetzer diesem Mangel nicht abgeholfen hätte. Auch nach einer anderen Richtung iiin weist das Buch eine Lücke auf: gerade der Zweig, den die amerikanischen Forscher neuerdings in besonders energischer und erfolgreicher Weise in Angriff ge- nommen haben, die Biologie im engeren Sinne, das, was in Amerika neuerdings als ,,behavior" der Tiere bezeichnet wird, ist — mit Ausnahme eines kurzen Hinweises — fast ganz unberück- sichtigt geblieben. Sodann beschränkt sich Locy fast ganz auf die zoologische Seite der Biologie. Abgesehen von den ältesten Mikroskopikern, die ja eine Trennung von Botanik und Zoologie nicht kannten, sind nur Bakteriologen, wie Cohn und de Bary, die um die allgemeine Zell- und Protoplasmaforschung verdienten Botaniker Seh lei- den, H. V. Mohl, Nägeli, und weiterhin Mendel und de Vries erwähnt. Namen wie Stras- burger, Jul. Sachs, W. Pfeffer, Johann- sen, Correns, Haberlandt — um auch hier wieder nur einige zu erwähnen — findet man in dem Buche nicht. Aber auch die zoologische Seite der Biologie ist durchaus nicht mit gleichmäßiger Klarheit be- handelt. Am besten gelungen sind die ersten Kapitel, die die Bedeutung der älteren Biologen bis zum 17. Jahrhundert würdigen. Im Gegensatz zu der etwas geringschätzigen Beurteilung, die Männer, wie Malpighi, Swammerdam, Leeuwenhoek, Reaumur u. a. kürzlich in Rädls Geschichte der biologischen Theorie er- fahren haben, hat Locy den grundlegenden Arbeiten dieser verdienten Forscher volle Gerechtigkeit wider- fahren lassen. Der Versuch aber, nun die weiteren Fortschritte in der Behandlung der Probleme an den Leistungen der einzelnen bedeutenden Forscher näher zu entwickeln , ist vielfach kaum gemacht worden. In dem Kapitel „Cuvier und die ver- gleichende Anatomie" erfährt der Leser von H. Milne Edwards, Lacaze Duthiers kaum mehr als den Namen; worin ihr Hauptverdienst bestand , ist kaum angedeutet. Besser ist das physiologische Kapitel, doch fehlen in diesem, wie gesagt, einige der bedeutendsten Namen ganz. Auch hätte ein Werk, wie Bergmann und Leuckart's anatomisch-physiologische Übersicht des Tierreichs wohl genannt werden können. Von den erwähnten großen F'orschern gibt der Ver- fasser manche interessanten Notizen über ihr Leben und ihre Persönlichkeit, aber oft auf Kosten einer Würdigung ihrer wissenschaftlichen Leistun- gen. Ob ein mit der Sache nicht vertrauter Leser auch nur über den charakteristischen Unterschied zwischen Lamarekismus und Darwinismus zu voller Klarheit gelangen wird, ist mir zweifelhaft, und auch Weismann's Theorien sind sehr wenig klar herausgearbeitet. Gerade dem .An- fanger und dem Laien dürfte das Buch kaum bietcti, was er in ihm suchen muß. Auch die Übersetzung ist nicht durchweg glatt. Es finden sich hier und da Härten im Ausdruck, obgleich der Übersetzer hervorhebt, daß er den Text zum Teil ,,frei" wiedergegeben habe. Auch hätte meines Erachtens die deutsche Bearbeitung das Literaturverzeichnis etwas dem Bedürfnis des deutschen Lesers anpassen sollen. Warum sind z. B. von den Schriften von Haeckel, Sachs, Schieiden, Weismann, Zittel nur die englischen Übersetzungen angeführt? Eine hübsche und interessante Beigabe des Buches bilden die zahlreichen Bildnisse der be- deutenden Biologen , zum Teil auch — bei den älteren Autoren — Wiedergaben von Illustrationen ihrer Werke. Nach dem Vorwort des Übersetzers zu schließen, ist in dieser Beziehung die deutsche Ausgabe besser ausgestattet als das amerikanische Original. Von den mir aus persönlicher Erinne- rung bekannten Männern ist Max Schnitze wenig gut getroffen. — Die Ausstattung des Buches ist im übrigen in jeder Beziehung muster- gültig. R. V. Hanstein. V. Buttel-Reepen, Prof. Dr. H. , Leben und Wesen der Bienen. 300 Seiten , 60 Text- abbildungen und eine Tabelle. Braunschweig 191 5, Vieweg und Sohn. — Preis geh. 7 M., in Leinw. 8 M. Das Buch unterscheidet sich von dem Zanders über Bau und Leben der Biene durch seinen Standpunkt. Zander behandelt die Biene als etwas Gegebenes, v. Buttel-Reepen aber als etwas phylogenetisch ("rewordenes. Der erste legt das Hauptgewicht auf die anatomisclien und physiologi- schen Anpassungen des Bienenkörpers, v. Buttel- Reepen aber spricht besonders als Tierpsychologe. So ergänzen sich die beiden bedeutendsten Werke der neueren Literatur über die Biene in vor- treftlicher Weise und geben ein in jeder Be- ziehung vollständiges Bild vom Bau, Leben und Wesen der Biene, wie es bisher wohl von keinem anderen Tiere vorhanden ist. Wir sind, hebt der Verf. hervor, bezüglich der Biologie der Honig- biene zu einem gewissen Abschluß gelangt, wenn- gleich noch manche Einzelfragen weiterer Er- ledigung harren. Aber es sind wohl noch Er- gänzungen und Bestätigungen, aber keine grund- legenden Veränderungen zu erwarten. Wie schon der Titel des Buches vermuten läßt, zerfällt es in zwei große Teile. Die umfang- reichere erste Hälfte schildert das Leben der Bie- nen und beginnt mit der systematischen Stellung der Honigbiene. Die fossilen und rezenten Ver- wandten, die Urheimat, die geographische Ver- breitung werden behandelt. Nach der Schilderung der verschiedenen Bienenwesen im Staate und der morphologischen Verhältnisse des Bienenkörpers erörtert der Verfasser die von vielen widersprechend beantwortete Frage der jungfräulichen Zeugung, zu deren Klärung er schon in früheren VeröMent- lichungen beigetragen hat. Den umfangreichsten .Abschnitt bildet die slammesgeschichtliche Ent- stehung und die (ieschichtsphilosophie des Bienen- N. F. XIV. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 399 Staates. Hier fußt v. Buttel-Reepen vollkommen auf eigenen P^orschungeii. Denn schon im Jahre 1903 führte er, gestützt auf ein umfangreiches an einheimischen und fremden Hymenopteren ge- wonnenes Beobachtungsmaterial das Staatenwesen der Bienen über die Hummeln auf die solitären Bienen und Grabwespen zurück und stellte den Aufstieg vom solitären zum sozialen Leben in einem biologischen Stammbaum dar. Er konnte seine früheren Ausführungen mit den durch den begrenzten Umfang eines Buches gebotenen Kür- zungen im wesentlichen unverändert in sein neuestes Werk um so eher aufnehmen, als er damals schon die bestbegründete phylogenetische Erklärung des Staatenwesens der Hymenopteren gegeben hatte. Das Kapitel über Wabenbau und Wohnungen der Biene leitet über zur Schilderung der Lebens- tätigkeit und Leistungen der Volksgenossen im Laufe des Jahres. Im Folgenden werden in ge- sonderten Abschnitten zwei biologische Fragen herausgegriffen, die bis in die neueste Zeit hinein viel umstritten sind : das Rätsel des Pollensammelns und die Vorgänge bei der Wachsabscheidung. „Fängt man eine Biene, bevor sie eine reichlich Pollen gewährende Blüte verläßt, so sieht man, daß sie an allen Beinpaaren und oft am ganzen Körper mit Blütenstaub bepudert ist. F^ängt man eine andere gleich nach dem Abfliegen, wobei sie bei der verlassenen Blüte bei eifrigster Bein- bewegung und Reibung der Metatarsen frei schwe- bend oft noch einen Moment zu verweilen pflegt, um in dieser Stellung offenbar am ungehindertsten das Abbürsten des l'ollens bewirken zu können, so findet man den Körper mehr oder weniger gesäubert und den Blütenstaub plötzlich an der Außenseite der Hinterbeine in dem Körbchen." An der Hand eigener Untersuchungen an Meliponen, Trigonen und Hummeln konnte der Verfasser die von Sladen dafür gegebene Erklärung prüfen und bestätigen. Danach wird der Pollen durch das Fersengelenk in das Körbchen geschaftt. Die Fersenbürste kämmt den Pollen aus dem Haarkleid des Körpers oder übernimmt ihn von den Mittel- beinen, wenn Vorderbeine und Mandibeln beim Pollensammeln beteiligt waren. Durch Streckung des Beines gelangt das Pollenklümpchen aus der Bürste über den oberen Teil der Ferse, den Pollen- schieber (bisher Fersenschenkel genannt) an die Außenseite des Körbchens und wird durch Ver- mittlung des Pollenkammes von unten her in das Körbchen hineingedrückt. Was also von der Arbeiterin hinzugesammelt wird, wird nicht, wie man bisher annahm, seitlich, sondern unten an- gefügt und schiebt das bereits Vorhandene auf der glatten Körbchenfläche allmählich nach oben. Das als Wachszange gedeutete Fersengelenk ist also lediglich ein Pollensammelapparat. Der Irrtum, daß das Fersengelenk des Hinter- beines die zwischen den Bauchsegmenten aus- geschwitzten Wachslamellen aufnehmen würde, stammt vom Ausland und hat die früher geltenden richtigen Anschauungen verwirrt. Schon 1860 hat Dönhoff beobachtet ,daß die Wachszange bei der Abnahme der Plättchen gar nichts zu tun hat, aber erst in neuester Zeit wurde von Casteel genauer festgestellt, daß beim I lerausnehmen nur die Bürste der Metatarsen und zwar nur gewisse Borsten am Ende der Bürste in Frage kommen. Durch die Feststellung über die Natur und die Bedeutung des Pollensammelapparates ist dieser Vorgang endgültig klargestellt. Im zweiten Hauptteil behandelt der Verf. das Wesen der Bienen und verwertet seine reichen aus langjährigen Beobachtungen gewonnenen tier- psychologischen Erfahrungen. Von alters her wird das Staatenwesen der Insekten und besonders das der Bienen als ein Gefüge wunderbarster, geheimnisvollen Kräften gehorchender Organisation betrachtet und in seiner Ordnung als Vorbild für das menschliche Staaten- wesen hingestellt. Besonders die Imker, welche die P>forschung des Bienenlebens gewissermaßen als ihr Vorrecht betrachten, aber auch mehr oder weniger poetisch angehauchte Naturfreunde sind in einer wahren Spekulationswut befangen. Die neuere Tierpsychologie macht all den phantasie- vollen Ideen ein Ende und es ist zu begrüßen, daß in diesem Buche zum erstenmal in zusammen- fassender Darstellung ein umfassendes Bild der psychischen Fähigkeiten der Biene entworfen wird. Der Verf. schildert zunächst Bau und Funktion der Sinnesorgane. Die verschiedenen physikalischen und chemischen Einflüsse der Außenwelt auf den Organismus, die Reize, werden vom Tier mit ver- schiedenen Reaktionen beantwortet. Das Tier ist aber nicht völlig den äußeren Kräften unterworfen, sondern es empfindet die Reize, denn es folgt eine Reaktionsbetonung nach der Lust- oder Unlustseite hin, d. h. die Sinne stehen in gewissen Korrelationen mit Empfindungen, also mit Äußerungen der psychischen F'ähigkeiten. Daher werden die Sinne und die Sinnesempfindungen der Biene eingehend nach dem gegenwärtigen Stande unserer Kennt- nisse behandelt und durch die Beobachtungen des Verf. ergänzt. Der Ablaufder Reaktionen auf gewisse Reize ist für die verschiedenen Bienenwesen im Prinzip jedesmal der gleiche und läßt sich mit Be- stimmtheit voraussagen. F"olglich müssen die Reak- tionen ererbt sein und in festen ererbten Bahnen verlaufen. Daraus erklärt sich neben der Mannig- faltigkeit der Handlungen eine große Gleichmäßig- keit im Leben der Bienen. „Die Reaktionen sind entweder einfache Reflexvorgänge, oder sie stellen sich, falls sie nicht mehr eine einfache Bewegung sondern kombinierte Bewegungen oder Handlungen auslösen, als kombinierte Reflexe dar. Diese eben- falls auf ererbten Bahnen verlaufenden kombinierten oder Kettenreflexe sind die Instinkte." In einem umfangreichen Kapitel werden zahlreiche Instinkte erörtert. Dabei werden einige morphologische Verhältnisse als sichtbare Grundlagen der Instinkte vom deszendenztheoretischen Gesichtspunkt aus, der diesen Erscheinungen erhöhte Bedeutung ver- leiht, herangezogen. 400 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 25 Neben den angebornen Instinkten oder Trieben, die weder ein Erlernen, noch eine Erfahrung notwendig haben, beobachten wir aber bei der Biene noch gewisse Handlungen, die nicht allen Individuen gleicher physiologischer Beschaffenheit eigentümlicli sind. Wenn eine Biene beim ersten Ausflug den Kopf dem Stocke zuwendend auf und niederfliegt, so prägt sie sich damit den Stock und seine nächste Umgebung ein, sie lernt, indem sie gewisse neue Eindrücke aufnimmt. Dieses Erlernen verläuft im Gegensatz zu den Instinkten nur zum Teil auf ererbten Bahnen, insofern als die Nervenzellen dafür wohl vorhanden sein dürften, aber im Laufe des Lebens bestimmte Differen- zierungen erhalten; denn jede Reizleitung hinter- läßt in den Nervenzellen ihre Spur. Derartige im individuellen Leben erworbene Handlungen werden als Gewohnheiten bezeichnet. Es fragt sich nun, ob diese Gewohnheiten vererbbar sind oder nicht. In Übereinstimmung mit namhaften Tierpsycho- logen verwirft der Verf. den lamarckistischen Stand- punkt. Wir besitzen keinen durchschlagenden Beweis, daß (im individuellen Leben erworbene) Gewohn- heiten vererbbar seien. Wie sollen ferner, wenn, wie manchmal behauptet wird, Instinkte aus Gewohn- heiten entstehen, Handlungen zu Gewohnheiten werden, die nur einmal im Leben vor sich gehen, wie z. B. der Hochzeiisflug der Bienenkönigin oder der stets nur nach Ableben der Königin in oft weit auseinander liegenden Generationen entstandene Bau von Nachschaffungszellen ! Hier muß, das einzige Individuum im Staat, das etwas vererben kann, gestorben sein, um den wunderbar zweck- mäßigen Instinkt der Erbauung dieser Nach- schaffungszellen zur Auslösung und zur Ausübung zu bringen. Die Instinkte können also auch, wie gesagt, nicht aus Gewohnheiten oder gar Intelli- genzakten (Spencer) hervorgegangen sein, sondern stellen lediglich komplizierte Reflexe dar. Zum Schluß streift der Verf. noch die Bewußtseins- frage. Auf Grund langjähriger intensiver Be- obachtung des Lebens der sozialen Insekten be- zweifelt er sehr stark die Anschauung, daß das Vorhandensein von Erinnerungsbildern schon den Schluß auf ein Vorstellungsvermögen zulasse, und damit als Bewußtsein betrachtet werden müsse. Erst im Bewußtsein wird durch eine Reihe von Empfindungen das Bild eines Gegenstandes oder eines Vorganges vorgestellt. Das Buch, das durch zahlreiche gute Text- abbildungen illustriert ist, ein sehr ausführliches Literaturverzeichnis und eine geologische Tabelle enthält, ist gleich wertvoll besonders für den Zoologen und Psychologen, wie für den objektiv denkenden, fortgeschrittenen Imker und den Natur- freund, l^s wird weitester Verbreitung sicher sein. Dr. F. Stellwaag. Literatur. Michaclsen, Beiträge zur Kenntnis der Land- und Süßwasserfauna Deutscli-Südwestafrikas. Lieferung 2. H^im- bürg '14, L. Friedrichscn & Co. 8 Mk. Michaelsen, VV., Beiträge zur Kenntnis der Meeres- fauna Weslafrikas. Lieferung 2. Hamburg '14, L. Friedrichsen & Co. 20 Mk, H e g i , Prof. Dr. G., Illustrierte Flora von Mitteleuropa. VI. Band, 7. Lieferung, sowie 36. Lieferung. München, J. F. Lehmann. Je 1,50 Mk. Müller, Dr. Friedrich von, Spekulation und Mystik in der Heilkunde. 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Braun, Prof. Dr. Max und Seifert, Prof. Dr. Otto, Die tierischen Parasiten des Menschen, die von ihnen hervor- gerufenen Erkrankungen und ihre Heilung. 1. Teil: Natur- geschichte der tierischen Parasiten des Menschen von Dr. Max Braun. Mit 407 Textabbildungen 5. vermehrte und verbesserte Auflage. Würzburg '15, C. Kabitzsch. — Geb. 14,50 Mk. Ehrenbaum, E., Über Küstenfische von Westafrika, besonders von Kamerun. Mit 38 Abbildungen im Text. Hamburg '15, L. Friedrichsen & Co. — 3 M. Heß, Prof. Dr. Rieh., Der Forstschutz. Ein Lehr- und Handbuch. 4. .\ufl. vollständig neu Bearbeitet von Prof. K. Beck. ]. Band: Schutz gegen Tiere. Mit 1 Bildnis, 250 Ab- bildungen und I bunten Tafel. Leipzig und Berlin '14, B. G. Teubner. — Geb. 16 M. Duden, Rechtschreibung der deutschen Sprache und der Fremdwörter, nach den für Deutschland, Österreich und die Schweiz gültigen amtlichen Regeln bearbeitet von Dr. J. E. Wülfing und Dr. A C. Schmidt unter Mitwirkung des K. Oberkorrektors Otto Reinecke. 9., ncubearbeitele und ver- mehrte Auflage. Leipzig und Wien, Bibliogr. Institut. — Geb. 2,50 M. Häb erlin, Paul, Über das Gewissen. Nach einem öffentlichen Diskussionsvortrag vom 21. November 1914 in Bern. Basel '15, Kober C. F. Spittler's Nachfolger. — Geh. 1,20 M. Aus Natur und Geisteswelt. Bd. 424: P. Köhn, Die elektrische Kraftübertragung. Mit 137 Textabbildungen. Bd. 462: Dr. Frida Ichak, Das Perpetuum mobile. Mit 38 Abbildungen. Bd. 476; Dr. A. liellwig, Moderne Kriminalistik. Mit iS Textabbildungen. Leipzig und Berlin '14, B. G. Teubner. — Jeder Band geb. 1,25 M. Inhalt: Tobler: Das älteste Lehrbuch allgemeiner Botanik. Bretschcr: Beobachtungen über die Vogelpsyche. — Kleinere Mitteilungen: Philippsen: Unsere natürlichen Verbündeten bei der Landgewinnung an den Nordseeküsten. Oppenheim: Über plötzliches Ergrauen nach Schreck. Haberlandt: Der Nährwert des Holzes. — Bücher- besprechungen: Canestrini: Über das Sinnesleben des Neugeborenen. Svedberg: Die Materie. Ein Forschungs- problem in Vergangenheit und Gegenwart. Witte: Raum und Zeit im Lichte der neueren Physik. Zoth: Über die Natur der Mischfarben auf Grund der Undulationshypolhese. Locy; Die Biologie und ihre Schöpfer. v. Büttel- Reepen: Leben und Wesen der Bienen. — Literatur: Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstrafie 11a, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 27. Juni 1915. Nummer 36. Theorie der sog. Zwillingssonnenuhr aus Pergamon. Von Dr. Dr. C. Schoy, Essen a. d. R. [Nachdruck verbot Im Jahre 1907 wurde bei den Ausgrabungen zu Pergamon auch eine Sonnenuhr gefunden. Da dieses Exemplar in mehrfacher Hinsiclit von allen bisher bekannten antiken Sonnenuhren ab- weicht, so hat ihm der Münchener Philologe A. Rehm in der Ztschr. Mitt. d. Kaiserl. deutsch. Archäolog. Instituts, Athen (1911, S. 251 ff.) eine ausführliche Beschreibung gewidmet und auch eine Theorie dieses eigenartigen Zeitmel.5werkes gegeben. Dabei versuchte Rehm, möglichst das Verfahren des Griechen nachzuahmen , in welchem dieser die Uhr einstens erstellt haben Ob er dabei das Richtige getroffen hat. möchte ich dahingestellt sein lassen. Ohne näher auf die Rehm 'sehe Theorie einzugehen, möchte ich hier nur folgendes bemerken. Die von Rehm gegebene Abbildung (S. 252) macht den Eindruck, als handle es sich um eine Halbkugel, die uns die konvexe Seite zukehrt. Wenn man einen Globus in der Vorderansicht darstellt (ortho- graphische resp. externe Horizontalprojektion), so sind die Parallelkreise Ellipsen, die sich auf der uns zugewandten Seite herabsenken, auf der uns abgewandten emporsteigen. So müssen auch die Schattenlinicn der pergamenischen „Zwillings- sonnenuhr", wie sie Rehm treffend nennt, von vorn gesehen, ansteigen, wenn es auch in der zeichnerischen Ansicht und überhaupt keine Ellipsen sind. Mit anderen Worten: In der Ab- bildung bei Rehm ist oben mit unten zu ver- tauschen, sonst hat man die größte Mühe, das Ganze nicht für eine konvexe Halbkugel zu halten. Immerhin sind wir Rehm zu Dank verpflichtet, daß er uns mit diesem Kuriosuni bekannt machte, dessen Theorie und strenge Berechnung die mathematischen Kenntnisse des Erfinders wohl teilweise überstiegen haben dürfte. Dies ist nicht der einzige Fall, wo uns die Alten astronomische Probleme aufgaben , deren exakte Lösung den modernen mathematischen Hilfsmitteln vorbehalten blieb. Unsere Altvorderen begnügten sich in solchen Fällen mit einer ein- fachen Näherung. Ich erinnere nur an die sog. temporären Stundenlinien, die auf der Kugel die jeweiligen Tagesbogen der Sonne in 12 gleiche Teile teilen. Man bestimmte ehemals nur die zwei Teilpunkte, die auf dem Abbild des Parallels des Krebses und Steinbocks lagen und verband sie in der Ebene durch eine gerade Linie, auf der Kugel höchstwahrscheinlich durch einen Kreisbogen. Ein näheres Studium dieser Kurven ergab, daß sie in Wahrheit sphärische Sinuslinien sind. (Vgl. H. M i c h n i k : Beiträge zur Theorie Mit 3 Abbildungen. der Sonnenuhren, Leipzig 1914). Noch kompli- zierter fällt die Asr-Linie der arabischen Gno- monik aus. Sie ist auf einer ebenen Horizontal- sonnenuhr der geometrische Ort der Schatten- enden des Gnomons für den Zeitpunkt jedes Nachmittags, für den die augenblickliche .Schatten- länge den zugehörigen Mittagsschatten um die Höhe des Gnomons übertrifft. Die Kurve ist selbst für die Breite O vom 8. Grade. (Vgl. C. Schoy: Arabische Gnomonik, Hamburg 191 3). Auch die Araber verbanden nur einige Punkte der Asr-Kurve, die für sie den Beginn der wich- tigsten Gebetszeit bestimmte, ') durch einen Kreis- bogen, was natürlich nicht genau war. Um zur Zwillingssonnenuhr von Pergamon zurückzukehren, so sagt schon der Name, daß es sich hier um eine Doppelsonnenuhr oder zwei Sonnenuhren, die zu einem Exemplar vereinigt sind, handeln wird. Die Skaphen gewöhnlicher Art bestanden aus einer Halbkugel oder später nur jener Kugelzone, die als Auffangfläche für die .Schatten, die ein in den Mittelpunkt des Kugelhohlraums endigender Gnomon warf, in Be- tracht kam. Die Schattenenden des Gnomons lieferten in ihrer kontinuierlichen Polge das täg- liche Abbild der Sonnenbahn am Himmel, und diese Zeichnung, die die Gnomonspitze Tag für Tag in die Halbkugelform entwarf, war dem Original konform, freilich nur, wenn die Gnomon- spitze mit dem Kugelmittelpunkt zusammenfiel. Teilte man die Parallelkreisbilder der Sonnenbahn in der Skaphe in 12 gleiche Teile, so lieferte die Verbindung der letzleren die Stundenlinien. Das Liniennetz in der Skaphe bestand daher aus den Abbildern der Sonnenbahn zur Zeit der Sonnen- wenden und des Äquinoktiums und den zuge- hörigen temporären Stundenmarken. Anders in vorliegendem Fall: Wir finden in der vollständigen Halbkugel eine zweimalige Darstellung des besagten Liniennetzes, das von zwei verschiedenen Gnomones erzeugt ward. Sie müssen nach Lage der Schattenkurven auf dem horizontalen Durch- messer der Halbkugel gelegen haben, der der Mittagslinie entsprach. Von der Peripherie der Skaphe ragten sie wagerecht gegen den Mittel- punkt hinein. Ihre Enden standen so weit von der Kugelmitte ab, daß der Schlagschatten der einen (inomonspitze zum Mittag des Sommer- solstitiums mit jenem der anderen im Mittag des Wintersolstitiums zusammenfiel. Anscheinend nahm der Grieche alsdann eine Koinzidenz der •) Al-Asr = Der Nachmittag. 402 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 26 Sonnenbahnbilder auch für die ganzen Tage der zwei Sonnenwenden an; denn diese fragliche Schattenlinie ist auf dem „Zifferblatt" der Uhr wohl doppelt vorhanden, aber in vollständig parallelem Verlauf, so daß dadurch, wie W. Dörpfeld glaubt, nur die Trennung der beiden Kurven- systeme, die die Halbkugel erfüllen, bezweckt wird. Gegen den Nordrand sind alsdann die Abbildungen des Parallels des Widders und Steinbocks durch den Nord-Gnomon, südlich der Doppellinie die .Abbilder, die der Süd-Gnomon von Widder und Krebs erzeugt, gelagert. Für die Einzcichnung der Stundenlinien waren also einmal die drei Parallelkreisbilder des Nord-Gnomons zeitlich in 12 gleiche Teile zu teilen und entsprechende Teilpunkte zu verbinden und alsdann die Pro- jektionen derselben drei Himmelskreise durch den Süd-Gnomon ebenso zu behandeln. So endigten auf der Doppellinie (dem Abbild vom Parallel des Krebses des einen und dem .Abbild des Steinbocks des anderen Systems) auch zwei Stundenliniensysteme. Da der Tag im Sommersolsti- tium viel länger ist als um die Wintersonnenwende, so projiziert sich natürlich der zwölfte Teil der Sonnenbahn an diesen beiden Tagen in ungleicher Länge auf die gemeinschaftliche Linie der zwei Systeme unserer Son- nenuhr. (Man sehe die Ab- bildung bei Rehm, die auch von A. Höfler in seiner „Didaktik der Him- melskunde und astronom. Geogr.", Leipzig 191 3, S. 145 reproduziert ist.) Ich habe die Einzeichnung der Stun- denlinien auf meiner Abb. 2 unterlassen, weil die genaue Berechnung der einzelnen Stundenmarken ungeheuer zeitraubend ist. Vor allem interessiert uns die Beantwortung der Frage: Läßt es sich durch irgendein Arrangement erreichen , daß die Schattenbilder, die die zwei Gnomonspitzen von den zwei Solstitialsonnenbahnen auf der Kugelfläche er- zeugen, vollständig zur, Deckung gebracht werden können ? Ohne jeden mathematischen P'ormelaufvvand läßt sich die gestellte P>age so- fort verneinen. Wir wissen, daß die Gesamtheit aller Sonnenstrahlen, die täglich die Stabspitze durchsetzen, einen geraden Kreiskegel umhüllen. In unserem P'all hantlelt es sich also um die räumliche .Schnittlinie der Mantelflächen zweier solchen kongruenten, aber nicht konzen- trischen Kegel (nicht Schnittfläche, wie bei Reh m S. 260 steht). Diese ist im allgemeinen eine Raumkurve 4. Ordnung. Andererseils durch- dringt aber auch jeder Kegel die Kugelfläche. Diese Durchdringungskurven sind wiederum doppelt gekrümmte Linien 4. Ordnung. Es sollten mithin drei Raumkurven 4. Ordnung, die nicht einmal auf gleiche Art erzeugt sind, vollständig koinzidieren. Dies ist unmöglich. FJa jedoch die .Schattenenden auf der Kugelfläche liegen , so scheidet die Durchdringungsfigur der zwei Kegel ganz aus, aber auch die Schnittkurven der zwei Kegel mit der Kugel können nicht zusammen- fallen. Ich habe die Abweichung der zwei Schattenkurven auch zeichnerisch (Abb. 2) zur Anschauung gebracht. Sie ist tatsächlich gering genug, um in dem Halbschatten des Süd-Gnomons nahezu zu verschwinden. Dazu kommt noch die Tatsache, daß die Refraktion zur Zeit des Winter- solstitiums größere Beträge erreichen wird als im Mittag des Sommeranfangs. Auch dieser Umstand wird die Lage der Schattenlinie des Süd-Gnomons noch etwas beeinflussen. Rehm fragt nach dem Grunde, von dem der Konstrukteur dieser Sonnenuhr sich leiten ließ. Nach meiner Meinung nur von dem Streben nach Genauigkeit. Er erkannte, daß stets ein Gnomon- schaiten verhältnismäßig kurz bleibt, wenn der andere lang wird ; so wird e i n Zeiger immer ein scharfes Schattenbild liefern. Übrigens er- innert das Arrangement lebhaft an unsere mo- dernen Horizontal-, .Äquatorial- und Vertikaluhren, wo ebenfalls die X'erbindung mehrerer Zifl'er- blälter durch einen Gnomon daim auf dem einen eine deutliche Schattenablcsung gestattet, wenn der Schlagschatten auf dem anderen sehr lang oder der Bildebene gar parallel ist. (Vgl. A. Höf- ler's sehr illustrative Figur 30, a. a. O. S. 144)- Die Zwillingsuhr hat am Rande eine Art Henkel, N. F. XIV. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 403 mit dem sie, wie Rehm glaubt, in eine Mauer eingelassen wurde, um daraus wie ein Brunneii- becken hervorzuragen. Dies mag zutreffen, vor- ausgesetzt, daß die Horizontalfläche der Uhr in einer Ebene mit dem oberen Rande der Mauer lag, wenn sonst nicht das Innere der Uhr durch die Mauer beschattet werden mußte. Da die Gnomone verloren ge- gangen sind, so ist es nicht aus- gemacht, welche Länge ilinen zukam und ob sie unter sich gleich lang waren. Mir scheint das letztere der Fall gewesen zu sein; da eine ungleiche Länge keine weiteren Vorteile geboten hätte. Unter dieser Voraussetzung habe ich die nachstehende Theorie ent- wickelt. Der Durchmesser des pergamenischen Exemplars ist nach Dörpfeld 0,328 m ( attisch-ägineischer Längenfuß). Ich habe meinen Berechnungen einen Kugelradiusvon r= locm zugrunde gelegt. Eine exakte Theorie dieses Anonymus (vielleicht ävTißö- Qttov wQÖ/.oytoi' , weil ein Sy- stem nach Norden gekehrt ist ; vgl. Vitruv, de architectura, lik IX, cap. VIII, I und Rehm a. a. O., S. 26S) muß Formeln zur genauen Berechnung aller Punkte der Schatten- und Stun- denlinien liefern und auch Auskunft über die wahre Natur dieser Kurven geben. Zur Durchführung dieser Aufgabe sei auf Abb. i verwiesen. In derselben sei die untere Hälfte der Kugel identisch mit unserer Skaphe, während sich darüber die Himmels- kugel wölbt, HH, sei die Nordsüdlinie, in der die Gnomones liegen. Ihre (noch zu bestimmende Länge sei ^HS = HjSi^q. Der Durchmesser ///Tj stelle die zum Horizont unter dem Winkel (p (geographische Breite) geneigte Weltachse vor. Der Tageskreis der Sonne mit einer gegebenen Deklination ö sei durch BB^ gekennzeichnet. An- genommen, die Sonne habe den gegebenen Stundenwinkel s und stehe in -, so liegt ihr Höhenwinkel h in dem Veriikalkreis ZJTDN; er ist = -^ i" M D. Dieser Vertikal bildet zur Meridian- ebene den Azimutwinkel u. Wenn wir zuerst nach dem Schlagschatten fragen, den die Spitze S des Süd-Gnomons bei diesem Sonnenstand auf die Innenfläche der Halbkugel wirft, so ist zu be- achten, daß auch in S der Sonne der Höhen- winkel h zukommt; denn S hat das Zenit Z', und der herabfallende Sonnenstrahl i"S bildet mit SZ' denselben Winkel (go" — h) wie der Strahl IM mit MZ. Trifi't der Sonnenstrahl JL"' S in P auf die Kugelfläche auf, so gilt es, die Koordinaten von P aufzusuchen. Dazu sei der Mittelpunkt M der Kugel Koordinatenanfang, die X-Achse falle in die Nordsüd-, die Y-Achse in die Ostwestlinie, während die Z-Achse durch Zenit und Nadir gehe. Wenn wir uns 1' in der uns zugewandten Hälfte der Himmelskugel denken , so trifft der Sonnenstrahl "S in der rückwärts liegenden Abb. 3. Hälfte der Skaphe auf Wie aber der Schatten, den Strahl i'M erzeugt, rückwärts in der Ver- längerung von DM im Azimut « liegt, so muß auch in S die horizontale Schattenrichtung S P' = ^ im Azimut a zur Nordsüdrichtung liegen. 404 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 26 Diese Schattenrichtung schneidet sich mit der Vertikallinie durch P im Punkte P'. Das Lot von P' auf die X-Achse P'Q ist = — y und somit M O = X. Aus Abb. i liest man jetzt unmittel- bar ab : QS:=r — q — x = SP'- cos « = p ■ cos a, woraus man zieht x = r — q — Q-cosa . . . Ebenso erkennt man, daß P'0 = — y = p-sin« . . PP'^z = p-tangh . . . ist. Die Gleichung der Kugel lautet in unserem h'all x- + y' + z' = ''" Ersetzt man hierin die laufenden Kugelkoordinaten durch die Ausdrücke in I), II) und III), so folgt 11) III) winkel s als unabhängige Variable der Rechnung zugrunde gelegt nnd daraus die Höhe h nach dem Kosinussatz sinh = sin f/ -sin (^ -(- cos f/ ■ cos (5.coss ermittelt. Mit der Kenntnis von h ergibt dann der Sinussatz sin a cos S . . —. — = r ^i ii) sm s cos h das Azimut « wohl am einfachsten und zugleich in logarithmischer Form. Da jedoch der Winkel- messer kaum genauer als auf '/j Grad abzulesen gestattet und h auch noch durch die Refraktion beeinflußt ist, so trug ich kein Bedenken, die Sonnenhöhe auf die konstruktive Art zu ermitteln, die ich in meinen Beiträgen zur konstruktiven oder (r — q — p -cos «)'- + (> --sin'-« -|-p--tang-h ^r- p- — 2 (r — q)-cosa-cos-h-p + (1" — 2 rq)-cos-h =0 IV) wie eine kleine Umrechnung zeigt. IV) ist die Polargleichung der Projektion der räumlichen Schattenkurve auf die Horizontebene. Will man hieraus die Gleichung für dieselbe Ebene in Car- tesischen Koordinaten gewinnen, so hat man nur aus I) und II) e'=(r — q — x)-+y" zu bilden und diesen Wert für q in IV) einzu- setzen. Nach Rationalmachung und gehöriger Reduktion folgt alsdann die komplizierte Gleichung 4. Grades ''*+y* + 2x-y- — 4(r — q)x''' — 4(r— q)xy-+x'-[6(r■ -f y- [2 (r — q)- + 2 (q - — 2 r q) cos^ h — i] + x [8 (r — -|-(r — q)Ml — 4Cos-«-cos*h] + (q- — 2rq)--cos*h = Lösung sphärisch-astronomischer .'\ufgaben, Leipzig igio, S. 17, gelehrt habe. Darauf berechnete (und auch konstruierte) ich nach VII) das zuge- hörige a. Die Resultate gebe ich in den folgen- den Tabellen in abgerundeten Zahlen wieder: (Siehe Seite 405, Tabelle 1.) Mit diesen zusammengehörigen Wertepaaren von of und h ergibt sich Q verhältnismäßig am ein- fachsten durch Auflösung von IV). Man be- kommt (Gleichung VllI) — q)-+ 2(q- — 2rq)cos-h — 4(r— q)-cos-«cos^h] q)^ cos- a ■ cos ^ h — 4 (r — q) ( i -\-\q- — 2 r qi cos'- h )1 = 0 V) p = (r — q)cos«-cos-h-|-cosh-]'2rq — q'-j-Cr — q) -cos'-«- cos- h .... VIII) auf deren weitere Behandlung wir aber verzichten, als Ausdruck für die Länge des .Strahls, der vom IV) ist wohl die einfachste P'orm, auf die sich Süd-Gnomon ausgeht, und p = (q — r)cos«-cos'-h + cosh-'|'2rq- — q"-(-(q — r)'-cos- ß-cos-h .... IX) die (ileicluing der Horizontalprojektion unserer für den Nord-Gnomon. Auf dieser Seite des Schattenkurve bringen läßt. Indessen enthält sie Horizontes ist nämlich x = q — r — Q-cosa zu neben dem Azimut u noch die nicht von ihm unabhängige Sonnenhöhe h. Die zwei Horizont- koordinaten der Himmelskugel ß und h stehen nach dem Kosinussatz in folgender Beziehung: cos (5 ^ sin f/) • sin h — cosy •cosh-cos« . . \T) Eliminiert man h aus VIl und geht damit in IV) ein, so erhält man setzen. Die rechnerische Auswertung von Villi und IX ) , wobei nur das -\- ■ Zeichen vor den Wurzeln Sinn hat, lieferte die folgenden kleinen Tabellen : (Siehe Seite 405, Tabelle II.) Dieselben geben in graphischer Darstellung den gewünschten Aufschluß über die Koinzidenz der 2 I _L ' cos ß • sin f/) • cos y i sind-ycos-a-cos-fjP + sin^f/) — sin^cJ] ' [ ( sin"' (p — sin''' ö ) ; (I (r — q ) • cos ß-f-q" — 2rq:^o Durch Auflösen nach q katui man hieraus zu jeder zwei Schattenkurven (.Abb. 2I Für die Zeichnung Azimutrichtung den Radius q der Kurve be- der anderen Schattenwege habe ich mich mit rechnen, vorausgesetzt, daß die geograjihische der Ermittlung weniger Punkte begnügt, da die Breite ([ des Ortes und die Sonnendeklination ö Berechnung von q aus VIII) und IX) ziemlich gegeben sind. Aber dies Verfahren würde äußerst mühsam ist. umständlicii. Ich habe deshalb den Stunden- Noch ein Wort zur Verzeichnung der tcmpo- N. F. XIV. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 405 Tabelle I. = + 24»; ^ = +38° 5 = -24»; '/ = + 38" qO 76 0 0" 0» 42» 0" IS" 70 0 43030' 15» 24» 15» 30 0 59030' 66» 30» 190 29«3o 45» 49« 80" 45" ,30 41 «30 60» 37° 90° 60» 5" 52°30 75" 27» 98» 69«3S' 0» 59° 90" 14O30' 109°20' 105" 3O30. 1140 II0°22' 0» 121» Tabelle II. Nord-Gnomon ^' (cm) « 1,70 0 2,39 43°3o' 3,74 66» 5,00 80» 6,54 90» 8,01 98» 11,56 121 ° Süd-Gnomon ? (cm) 13,00 0" 13,24 ■5° 13,38 29°3o' 12,81 4i»30' 12,33 52»3o' 11,70 59» raren Stundenlinien : Da für den längsten Tag (d' = -j-24") der Stundenwinkel des halben Tag- bogens ^= iio"22', für den kürzesten Tag (d^ — 24") aber^ög^ßS' ist, so hätte man für s nacheinander i mal, 2 mal . . 5 mal den 6. Teil von iio''22' bzw. von 69" 38' zu nehmen und damit h und « und zuletzt q nach VIII) und IX) zu berechnen. So erhält man Schnittpunkte der Schattenkurven und Stundenlinien. Die Verbin- dung all dieser i'unkte liefert alsdann die Stunden- linien selbst. Bis jetzt haben wir uns stets mit der Mori- zontalprojektion \) der Schattenwege der Gnomon- spitzen befaßt. Wir wollen jetzt auch die Gleichung der räumlichen Schattenkurven in Kugelkoordinaten aufstellen. Es hat alsdann Punkt P der Kugelinnenfläche den sphärischen oder besser Bogenabstand /; vom Nadir N, während er andererseits in der Vertikalebene R P M F' liegen muß. Sie sei zur Meridianebene unter dem Azimut oj geneigt. Offenbar sind die Größen »^ und w von der Lage des Sonnenortes - auf der Himmelskugel abhängig. Aus dem bei R recht- winkligen Dreieck MPR (Abb. i) liest man ab z = cos »; ') Die Projektionen auf die X— Z und Y — Z Ebene sind ebenfalls Kurven 4. Grades , wie man sofort erkennt, wenn man y- durch r'^ — (x'-|-z'') und .\2 durch r- — (y'^^z-) er- setzt und damit in V) eingeht. und aus dem bei O rechtwinkligen Triangel iVIPQ y = tangw Setzt man in diese Ausdrücke die Werte für x, y und z aus I), IIj und IIIj ein, so erhält man e tang h = cos ^;, Q • sm « tang cj (»■cosa + q — r Die Elimination von q aus diesen letzten Aus- drücken führt zu sin c< ■ cotg h • cos i] ■ tang ( X) cos a ■ cotg h • cos r]-\ i einer Formel, die also für zusammengehörige Wertepaare von a und h die Beziehung der Kugelkoordinaten eines Punktes P der räum- lichen Schattenkurve, welche natürlich eine sphärische Kurve ist, angibt. Nach X) lassen sich beliebig viele Kurvenpunkte bestimmen. Wie zu erwarten, spielt das Verhältnis eine Rolle für die sphärische Schattenlinie. Ist q = r, d. h. die Gnomonspitze Kugelmittelpunkt, so vereinfacht sich X) sofort zu tang «= tang w, d. h. a^io, was a priori zu erwarten war. Endlich ist noch die Länge des Gnomones zu ermitteln, falls sie der Forderung genügen sollen, die Mittagsschatten des Sommer- und Winter- solstitiums in einem Punkt zu vereinigen. R e h m entledigt sich dieser Aufgabe ganz hübsch kon- struktiv (S. 261 — 262), ist aber dann zu der An- nahme gezwungen, daß der Durchmesser der Skaphe nicht gegeben sein darf. Erst nachher überträgt Rehm sein Verfahren auf eine Uhr- fläche von ganz bestimmten Abmessungen. Will man jedoch von vornherein von einer gegebenen Uhrfläche ausgehen, so muß man die Gnomon- länge berechnen. In Abb. 3 sind die Strecken M S = M S' = u die gesuchten Abstände der Gno- monspitzen vom Kugelmittelpunkt. P sei der ge- meinsame Schattenpunkt. Der Sonnenstrahl durch S ist zum Horizont unter 90" — (f -{-£), der durch S' unter 90" — (cp — «) geneigt, wo £, die Ekliptik- schiefe, von den Griechen bei P.rstellung von .Sonnenuhren zu Vis des Kreisumfanges = 24" angenommen wurde. (Zu Hipparch's Zeiten dürfte die Schiefe der Ekliptik etwa 23^*45' be- tragen haben.) Die ebenfalls unbekannten Ab- stände des Punktes P von S und S' nennen wir v und w. Wenn wir jetzt noch P mit M ver- binden, so sind die dadurch entstandenen Drei- ecke MPS und MPS' inhaltsgleich, was zu der Gleichung u • v ■ sin [90" — (f/1 + £)] = u • w • sin [90" — (71 — e)] d. i. v • cos {fp-\-e)^'w- cos {(p — e) . ,\I) führt. Andererseits ist auch 4o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 26 r- = u--|-v-' — 2u-v-cos[90" — {(f'-\-ey^u--\-v- — 2 u • v • sin ((/> -j- *) XII) r- = u--|"W- — 2 u-\v-cos[go"-\-( rp — f)] = u^-)- w--|-2u-w-sin(f/ — «) XIII) Subtrahiert man jetzt XIII) von XII), so erhält man O = V - — w - — 2 u • V ■ sin (f/ -j- f ) — 2 u • w ■ sin ( '/> — t), und wenn man v aus XI) entnimmt, hier einsetzt und gleich mit w hebt vv-cos-(y — t) cos-(f/'-f-«) u • cos (cp — t) • sin (fjP -j- «) cos (cp -\- e) au-sin^r/ -j-f) Eliminiert man aus der letzten Zeile \v und geht damit in XIII) ein, so wird man unter Beachtung, daß cos'(f/) — i) — cos- (<"/!-]-«) = sin 2 (/^ -sin 2 f, und cos(rp-\- £)-sin{(p — f)-|-cos(f/" — f)-sin(f/^-|-f) = sm2(p ist, leicht zu der nachstehenden Schlußgleichung in u geführt „ cos-ffjp — e) , „ ., cos(ß) — «)-sm ((/) + «) : 4 u - — . \: + u - —au- ' T^ ^-f—^ — -, sm''2£ sm2« deren Auflösung y4 cos [cp — e) [cos {fp — «) — sin 2 e • sin (y -|- e)] -\- sin- 2 £ XV) ergibt. Für £^24"; rp^T^S" folgt hieraus u = 0,565 -r; für r= 10 cm, q = 4,35 cm, wonach also die Gnomones der Zwillingssonnenuhr aus Perga- mon 7,134 cm lang gewesen wären. Wie ist wohl der Konstrukteur dieser Uhr bei der Verzeichnung des Liniennetzes praktisch ver- fahren? Bei Beantwortung dieser Frage kann man an zwei Möglichkeiten denken. Entweder hielt der Grieche die Kurven seiner Uhr für einfacherer Art, als sie es in Wirklichkeit sind und befolgte also in etwa ein Verfahren, wie es Reh m uns schildert oder aber — und dies sciieint mir das Wahrscheinlichere - er zeichnete die von den Gnomones zur Zeit der Solstitien und des Äqui- noctiums erzeugten Schattenlinien einfach in die Halbkugel ein, indem er eine Anzahl Punkte, vielleicht die Punkte der ganzen temporären Stunden für jene Tage des Schattenweges mar- kierte. So gewinnt man auch heute noch des öfteren die Schattenkurven. (Siehe z. B. das in- teressante Verfahren bei Höfler a. a. O. S. 141, ausgeführt von einer Anzahl Schüler, das' von Böttcher, vgl. dessen Aufsatz: „Beobachtung des Sonnenlaufs durch Schüler" in der Ztschr. f d. mathemat. u. naturw. Untern, 1885, S. 165, sowie das von H. Martus in seiner „Astronomi- schen h^rdkunde", 191 2, S. 42 der großen Aus- gabe). Daß man sich im Altertum neben Gno- mon und Sonnenuhr noch lange der Wasser- uhren zur Zeitbestimmung bediente, ist eine be- kannte Tatsache; vielleicht benutzte der Grieche für die Einzeichnung der Stundenlinien eine andere schon , .richtig gehende" Sonnenuhr. Schon frühe beobachteten die Griechen den Eintritt der Jahreszeiten (Sonne im Widder, Krebs usw.) eifrig mit Astrolabium und Heliotrop. (Vgl. zu solchen Fragen das immer noch sehr lesenswerte Hand- buch der mathemat. und technischen Chronologie von L. Ideler, Berlin 1825, i. Band, S. 227 ff., ferner die klaren Ausführungen von K. Manitius in dem Aufsatz: ,, Sonnenbeobachtungen der Alten mit Hilfe von Schattenwerfern". Weltall, 1906, S. 2196"). Daß sich der Erfinder unserer Sonnen- uhr der wahren Natur der Schattenkurven nicht bewußt war, ist im Hinblick auf die Behandlung der temporären Stundenlinien in der griechischen Gnomonik fast sicher. Aber auch in der Schule verdiente die Zwil- lingssonnenuhr von Pergamon wohl ein Plätzchen. Ist es doch dringend nötig, daß wir auch im mathematischen und physikalischen Unterricht öfters auf die F"rage eingehen : Wie haben es in diesem Fall die Alten gemacht? An unser Beispiel lassen sich treft'liche trigonometrische Übungen knüpfen. Es macht nach meinen mehr- fachen 1-irfahrungen den Schülern der oberen Klassen immer Freude, eine Sonnenuhr berechnen zu können. Und daß die exakte Beobachtung der ,,DoiipeIlinie" in den Solstitien, ja eine voll- ständige Nachbildung eines solch eigenartigen Chronometers, eine praktische Lektion ersten Ranges für Schülerübungen wäre, brauche ich kaum besonders zu betonen. Wer aber gar in der Lage ist, in seiner Schule (Realgymnasium und Oberrealschule) von den Lehren der dar- stellenden Geometrie Gebrauch machen zu können, dem eröffnet sich die Möglichkeit einer der schönsten Anwendungen auf die Durchdringung zweier Flächen oder einer Kugelfiäche mit einer Geraden (Sonnenstrahl). N. F. XIV. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 407 Kleinere Mitteilungen. Die überaus starke Abnutzung der Zähne bei wilden Völkern ist schon vielen Forschern aufge- fallen. Die Ursachen dieser Erscheinung sind gewiß nicht überall ganz die gleichen. In der Regel wurde der Genuß besonders harter Nahrung seitens der Wilden als Erklärungsgrund angegeben. H. Basedow schreibt jedoch (Zeitschr. f. Ethnol., 42. Jahrg., S. 195), daß bei den Australiern vor allen Dingen die ganz bedeutende Menge von Sand beim Kauen die Zähne abnutzt, der mit der Nahrung in den Mund gelangt. Der Sand gelangt auf zweifachem Wege in den Mund: Erstens mit den vielen Wurzeln und Knollen, Gewürm, Larven und Muscheltieren, die unmittel- bar der Erde entnommen werden, und zweitens durch die Art der Zubereitung der Speisen. Die allgemein übliche Art des Kochens besteht darin, daß die tierischen wie pflanzlichen Speisen in heißen Sand und Asche gelegt und auch damit überdeckt werden. Deshalb ist es selbstverständ- lich, daß beträchtliche !\Iengen Sand in den Mund gelangen , was keinerlei Zeichen von Unbehagen verursacht. Fraglich ist, inwiefern die Aufnahme von Sand eine physiologische Beihilfe dar- bietet zur Förderung der Verdauung der mangel- haft mazerierten Speisen, ähnlich wie die sog. ,,Gizzardsteine" bei dem australischen Riesenvogel Emu und der eßbare Ton der Fidschi-Insulaner und anderer Völker wirken. Überdies werden beim Verzehren von größerem Wild, wie Känguru und Emu, alle kleinen Knochen mit zermalmt und hinuntergeschluckt. Auch die großen Röhren- knochen werden mit den Zähnen zersplittert, um das Mark herauszubekommen. Weiters kommt für die überaus starke Abnutzung der Kaufläche der Zähne in Betracht, daß diese bei jeder gerät- schaftlichen Arbeit als wichtiges Unter- stützungswerkzeug herangezogen werden. Selbst bei der Jagd finden sie sehr verschiedenartige Anwendung. H. Fehlinger. Ist die Waldschnepfe (Scolopax rusticola L.) im Niedergang begriffen r In den letzten Jahren haben sich die Klagen über die Abnahme der Waldschnepfe in ver- schiedenen Gebieten gemehrt und hat man mehr und minder dringlich nicht nur die Einstellung der großen Treibjagden auf Schnepfen, sondern auch die altübliche Jagd auf dem Anstände während des Schnepfenstriches verlangt. Wenn man aber die zahlreichen über das Er- scheinen der Schnepfen da und dort, über die Schnepfenabschüsse usw. in den Jagdzeitschriften und Tagesblättern veröffentlichten Berichte aus den letzten Jahren verfolgt, wird man kaum von einem Wenigerwerden der Waldschnepfen im allgemeinen sprechen können und die tatsächliche Abnahme der Schnepfen in manchen Gebieten auf lokale Verhältnisse zurückführen müssen. Einige aus der Fülle der Schnepfenberichte heraus- gegriffene Mitteilungen über die Schnepfen- bestände in Österreich-Ungarn mögen dies dartun. Nach Dr. Nie. O b e r m a y e r , der seit länger als 15 Jahren das in nächster Umgebung von Budapest gelegene Waldgebiet in den Ausläufern des Vertesgebirges zur Zeit des Schnepfenstriches aufsucht, berichtet, ') daß in diesem Gebiete, ob- wohl ihm weit und breit Quellen, Bäche, ja selbst feuchte Stellen fehlen, der Untergrund felsig, steinig, mit einer kaum wenige Zentimeter hohen Humusdecke versehen ist und auch Hutweiden nicht vorhanden sind, die Waldschnepfe überall zu finden ist, so daß seine Frühjahrsschnepfen- strecken II — 27 Stück betrugen. Am 19. Dezember 191 2 wurden in Nustar (Syrmien) bei einer kleinen Fasanjagd 22 Schnepfen geschossen und zeigten sich die Schnepfen so zahlreich, daß bei besserem Schießen leicht 30 bis 40 Stück hätten geschossen werden können. Nachträglich wurden noch 26 Stück erlegt und der Förster des benachbarten Reviers hatte beim Buschieren mit seinem Hund in wenigen Stunden etwa 15 Schnepfen gehoben und 9 Stück ge- schossen. ''') Oberförster N. Lang von der Graf Majlatschen Herrschaft Dolnyi-Miholac (Slavonien) berichtet aus dem Jahre 191 1, daß dort täglich auf den kleinen Novemberjagden bis zu 1 5 Schnepfen ge- schossen wurden , am 6. November bei Treib- jagden 40 Stück erlegt wurden und im Reviere den ganzen Dezember Schnepfen anzutreffen waren. ^) In den letzten zwei Wochen des Januars 191 2 wurden in der Umgebung von Pola (Istrienj beim Buschieren 200 Schnepfen erlegt. Um Görz haben die Schnepfen im Winter 191 1 12 in ganz ungewöhnlicher Zahl überwintert. Bis Beginn des Februar erlegte ein Schütze 62 Stück. ') Mit den ersten warmen Südwestwinden trafen im Jahre 1913 in Siebenbürgen am 12. März die ersten Schnepfen ein und dann in rascher Folge so zahlreich wie noch nie seit 20 Jahren. '') Und Oberstleutnant v. Spieß berichtet speziell von der Umgebung der Stadt I lermannstadt, daß in diesem Jahre der Schnepfenstrich ein ganz bril- lanter war, es vom 16. März an schon allgemein Schnepfen gab, daß sie vom 20. März an sehr zahlreich waren, der Hauptstrich in die Zeit vom 24. März bis 2. April fiel, im Reviere Kirchbach bei Hermannstadt an einem Abende von einem Jäger 20 Stück, sonst meist 6 — 12, gesehen wurden. '') ') Deutsche Jäger-Zeitung. 191 1. -) Waidmannsheil. 1912. ^) Mitteilungen des niederijsterreichischen Jagdschutz- vereines. 1912. ■*) Waidmannsheil. 19I2. ■■'') Wild und Hund. 1913. ") Mitteilungen des niederösterreichischen Jagdschutz- vereines. 1913. 4oS Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 26 Der herbstliche Schnepfenzug in Kroatien ge- staltete sich im Jahre 191 3 in vielen Gegenden überaus ergiebig. Bei dem andauernd schönen, warmen Herbstwetter wurden sowohl auf den Treibjagden als beim Buschieren massenhaft Waldschnepfen erlegt. ') Ganz besonders zeigen die guten Ergebnisse der Treibjagden, wie sie in Ungarn und Kroatien üblich sind, daß die Schnepfenmengen in den letzten Jahren nicht geringere geworden sind. Die auf dem gräflich Th. Pejacsevich Fidei- kommißgute Nasice (Kroatien) vom 15. — II^•, 20.— 24. und 27. — 31. März 191 1 abgehaltenen Schnepfenjagden ergaben 558 Stück Schnepfen gegen 484 im Vorjahre.-) Im Jahre 1912 betrug die Ausbeute in diesem Reviere 580 Schnepfen. Auf der Graf Majlatschen Herrschaft Dolnyl- Miholac (Slavonien) wurden in demselben Jahre in 10 Tagen 640 Schnepfen erlegt.^) In der Gegend von Oedenburg und überhaupt in Westungarn gab es im Herbst 191 3, selbst dort, wo sie sonst nicht angetroffen werden , außerordentliche Schnepfenmengen. Überall wurden Treiben auf Schnepfen veranstaltet und wo man bei solcher Gelegenheit, wenn's gut ging, täglich 5 — 6 Stück erlegte, wurden diesmal die Hühnergalgen voll nach Hause geschleppt.^) Auf den vom 15. bis 18. November desselben Jahres in den M. Freiherr V. Berg gehörigen Revieren zu Röjlek (Oeden- burger Komitat) abgehaltenen Waldjagden wurden auch 42 Waldschnepfen geschossen. ") Wenn wir, von solchen speziellen Jagdergeb- nissen in einzelnen Revieren abgesehen, die Ge- samtabschußlisten aus letzten Jahren überblicken, so sprechen auch deren Zahlen durchaus von keiner Abnahme der Schnepfen. In Osterreich wurden nach Dr. Wahrmund Riegler") an Schnepfen erlegt 1905: 22808, 1906: 23385, 1907: 58871, 1908:42173, 1909: 35255, 1910: 40373. Dr. Riegler meint hierzu, daß diese Zahlen eine deutliche Sprache sprechen und aus ihnen erhellt, daß der Schnepfenbestand nichts weniger als im Rückgang begriffen sich befindet. In Ungarn wurden an Schnepfen erlegt 190S: 32518, 1909:34574, 1911:45739, 1912:4417s.") Wenn also von Zeit zu Zeit aus verschiedenen Gebieten die Kunde kommt, daß hier und dort die Waldschnepfe ersichtlich seltener geworden, so sind hierfür lediglich lokale Ursachen verant- wortlich zu machen. In einem Artikel : ,,Zur Ab- nahme der Waldschnepfen" *) gibt Prof. M. Marek eine Abschußliste der gräflich Pejacevisch'schen ') Deutsche Jiiger-Zeitung. 1914. 2) Wild und Hund. 1911, ") Wild und Hund. 1913. *) Wild und Hund. 1913. ') Milteilunjien des niederösterrcichischcn Jagdschutz- Vereines. 1913. ") Mitteilungen des niederösterreichischen Jagdschutz- vereines. 1913. ^) Wild und Hund. 1913. ») Wild und Hund. 1911. Herrschaft Retfalu in Slavonien bekannt. Sie reicht mit Ausnahme der Jahre 1852 — 1S55 von 1833 — 191 1. In diesen 74 Jahren wurden ins- gesamt 4310 Waldschnepfen erlegt, im Mittel also jährlich 58 Stück. Seit 1867 ist eine stetige Ab- nahme der Schnepfenausbeute nicht zu verkennen. Prof. Marek bemerkt hierzu: „Auch ich bin der Ansicht, daß die Waldschnepfen in neuerer Zeit abgenommen haben, aber nur in den Niederungen, nicht aber im Gebirge. Ich äußerte öfters die Ansicht, daß die Waldschnepfe aus den Niede- rungen allmählich ins Gebirge hinaufgedrängt wird." Der bekannte Ornithologe Viktor Ritter von Tschusi zu Schmidhoffen be- merkt dazu, ^) daß die Schnepfen im Gebirge wohl geeignetere Ortlichkeiten finden und diese immer besiedelt werden, so lange sie das bieten, was die früher bevorzugten verloren haben. Und so erscheint auch die Klage von Dr. Alexander Rossitsch bezüglich der Ab- nahme der Schnepfen längs der Mur und Drau in der Steiermark bei Betrachtung der örtlichen Verhältnisse nicht als ein Beweis für eine Ab- nahme der Waldschnepfe überhaupt. Dr. Ros- sitsch sagt,-) daß der Schnepfenzug längs der Mur und Drau vor 20 Jahren ein glänzender war, er in dieser Zeit über lOOO Stück erlegt habe, als bestes Jahr 1853 sich erwiesen habe, in welchem er nebenher mit dem Hund 17 Stück in 2 Tagen erlegen konnte, während heute in einem ganzen Herbst kaum 5 — 10 Stück anzu- treffen seien. Die Schnepfen finden eben in den um 20 Jahre älter gewordenen Wald- und Au- beständen nicht mehr geeignete Einfallstellen. Wo die Schnepfen reiches Unterholz vorfinden, fühlen sie sich so recht zu Hause. Wird da und dort mit dem zu üppig gewordenen Unterholz aufgeräumt, so bleiben die Schnepfen fort. „Alle, oft kaum merkbare Veränderungen," sagt V. Tschusi,") „die zu Ungunsten einer Art aus- fallen, äußern sich durch das Ausbleiben oder Seltcnerwerden derselben, während günstige Ände- rungen wieder ein häufigeres Auftreten bewirken. Wer aufmerksamen Auges derartige Vorgänge ver- folgt, dem werden sich auch die veranlassenden Ur- sachen nicht verbergen. Ich kenne Örtlichkeiten, die mir vor 40 Jahren als bevorzugte Plätze für den Schnepfenstrich bezeichnet, aber dann ganz gemieden wurden und jetzt sind sie wieder, was sie damals waren, weil die damaligen Bestand- verhältnisse wiedergekehrt sind. Neben den ört- lich ungünstigen Bedingungen spielen, besonders bei der Schnei)fe, noch so viele andere Verhält- nisse eine wichtige Rolle, unter denen die Witte- rungseinflüsse nicht die letzten sind." Dr. Friedrich Knauer. ') Ornithologische Kollektaneen aus Österreich-Ungarn. X.X. in: Zoologischer Beobachter. 1912. -) Mitteilungen des niederösterreichischen Jagdschutz- vereines. 1913. ') Ornithologische Kollektaneen aus Österreich-Ungarn. -XXII. Zoologischer Beobachter. 1913 und 1914. N. F. XIV. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 409 Einzelberichte. Chemie. Aus der Chemie des Rosenrots. Richard Willstädter, der Erforscher des Blattgrüns, untersucht seit einiger Zeit gemeinsam mit einigen anderen Chemikern die Blütenfarb- stofife. Im neuesten Hefte vonjustus Liebig's Annalcii der Chemie (408, Heft i), berichten er und seine Mitarbeiter über die erfolgreiche Unter- suchung des roten Farbstoffes der Rosen- blüte und einiger anderer, nahe verwandter Farbstoffe, die in Blüten und Beerenfrüchten häufig auftreten. Man ist in das Gebiet dieser Anthocyane bereits so weit eingedrungen, daß eine natürliche Gruppe verwandter Blütenfarb- stofte aufgeklärt ist, von denen man die Zusammen- setzung und zum Teile auch die Konstitution kennt. Die Untersuchung des Rosenrots, die die vorliegende Reihe von Arbeiten einleitet, hat ergeben, daß der isolierte Farbstoff der Rose mit dem Cyanin der Kornblume, das Willstädter mit Everest gemeinsam schon früher untersucht hatte, identisch ist; doch war die Formel, die damals aufgestellt worden war, falsch; sie ist jetzt durch eine andere, zweifellos richtige, ersetzt worden. Durch die Isolierung aus der farbstoff- reichen Rose ist das Cyanin und seine zuckerfreie Komponente Cyanidin für den Chemiker leicht zugänglich geworden; i kg der im Handel er- hältlichen Rosenblätter liefert auf einfachem Wege 7 g reine Kristalle. Die Reindarstellung von Blütenfarbstoffen erfordert von Fall zu Fall eine besondere Methode; das Anthocyan der Rose war beispielsweise nicht als Bleisalz zu isolieren, wohl aber als gut kristallisierendes Oxoniumsalz. Es wurden getrocknete Rosenblätter (Rosa gallica) mit einem sauren Mittel extrahiert, nämlich mit einer 2",, igen methylalkoholischen Salzsäurelösung; das Farbsalz wurde dann, freilich in sehr unreinem Zustande, durch Äther ausgefällt und die syrupöse erste Fällung in Gegenwart von Salzsäure mit Holzgeist und Eisessig behandelt, wodurch die unlöslichen Nebenprodukte allmählich in Lösung gehen, während sich zugleich das Farbsalz in schöne Kristalle verwandelt. Die Farbe der Rose ist zwar grundverschieden von der der Korn- blume, dennoch sind die beiden Blütenfarben zugrunde liegenden Stoffe identisch. Die Ver- schiedenheit und die Variationen der Blütenfarben erklären sich — nicht bloß bei diesen beiden Blumen — durch die Bildung verschiedener Anthcic>-ane in einer Blüte, aus Schwankungen des Gehaltes an Farbstoff, aus gleichzeitigem Auftreten gelber Pigmente, vor allem aber "aus der Reaktion mit dem Zellsaft, die, je nachdem saurer, neutraler oder alkalischer Zellsaft vorhanden ist, zu einer verschiedenen Blütenfarbe führt. Weiße und gelbe Rosen enthalten fast gar kein Anthocyan; rosafarbene wenig, und dunkelrote sind reich an einer Säureverbindung des Cyanins, während ein Alkalisalz der gleichen Verbindung die Farbe der Kornblume bedingt. Bei der Her- stellung des Cyanins aus der Rose entstand übrigens die Vermutung, daß neben diesem Stoße ein noch unbekanntes Anthocyan auftritt, das sich \-ielleicht später isolieren läßt. Die Begleitstoffe des Farbstoffes wirken offenbar als Lusungsmittel; in reinem Zustande ist er nämlich ein schwer lösliches Farbstoffsalz. Das Endergebnis der chemischen Reindarstellung war Cyaninchlorid in prächtigen, metallglänzenden Kristallen, deren Rhombenform unter dem Mikroskop zu erkennen war. Der Wassergehalt der Kristalle kann recht verschieden sein, ja die Zähigkeit, mit der sie Wasser festhalten, hatte W illstädt er und Eve- rest bei der Untersuchung des Kornblumenblaus zur Aufstellung einer falschen Formel veranlaßt; das Cyanidinchlorid hat nicht die Formel Cj^, H^^ O- Cl wie in der Arbeit über das Kornblumen- blau angegeben war, sondern Cjj Hjj Og Cl, und entsprechend ist das Diglukosid, das Cyaninchlorid nicht C.,s H.;3 Oj- Cl, sondern C.>- H,, O^ Cl. Die Untersuchung der Eigenschaften des Cyaninchlorids ergab ein spezifisches Drehungsvermögen, dessen Wert mit dem gut übereinstimmte, der für den Kornblumenfarbstoff erhalten war; er beträgt für das Cyaninchlorid aus Rosen oder Kornblumen — 258 Grad (+ 10 Grad). In kaltem Wasser ist Cyaninchlorid fast unlöslich; bei 90 Grad ist es leicht löslich; dann wird es durch das gleiche Volumen dreiprozentiger, alkoholischer Salzsäure in goldglänzenden Täfelchen abgeschieden; in siebenprozentiger Schwefelsäure löst es sich ziem- lich leicht, und beim Stehen kristallisiert das Sulfat in prächtigen, dünnen, dunkelroten Nadeln aus. Die violette Farbbase fällt kristallinisch aus, wenn die konzentrierte heiße Lösung des Chlorids in Alkohol mit der doppelten Wassermenge ver- setzt wird. Entsprechende h'arbstoffe haben Willstädter und seine Mitarbeiter aus einer Reihe von Blumen und Beerenfrüchten isolieren können ; das Anthocyan der Preißelbeere (Vacci- nium vitis idaea), das dem Cyanin nahe steht, ist als Idaein bezeichnet worden. Als Formel des Idaeinchlorids ergab sich Co, H., , 0,j Cl. In der orangeroten Frucht tritt Idaein an Säuren gebunden auf. Entsprechend ist aus der Scharlachpelargonie ein als Pelargonidin bezeichneter Farbstoff, aus dem Rittersporn (Delphinium) ein als Delphinidin bezeichneter Farbstoff isoliert worden. Das Idaein, das in Form des Salzsäuresalzes analysiert wurde, ist, wie die Untersuchung ergab, gleich den anderen Anthocyanen, eine Zuckerverbindung und enthält dasselbe Cyanidin, wie der P'arbstoff der Rose. Beim Cyanin treten zwei Moleküle Glukose hinzu, beim Idaein ein Molekül Galaktose. Es hat eine ganze Reihe von solchen Blütenfarbstoffen aufgestellt werden können, deren wesentlicher L'nterschied in der Anzahl der vorhandenen Hydroxylgruppen besteht; es handelt sich dabei 410 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 26 um eine natürliche Gruppe von Verbindungen mit Zucker gepaarter P'arbstoffe, die eine stark basische Sauerstoft'gruppe aufweisen, in saurer I.ösung rot, in neutraler und alkalischer Lösung violett bis blau sind. Die wichtigsten Stofte dieser Reihe sind das Pelargonidin Cj-, H,jOjCl, das Cyanidin Cj:, H, jO,|Cl und das Delphinidin Cj-, Hj|0-Cl. Für Cyanidin und Pelargonidin haben Willstädter und seine Mitarbeiter neuer- dings auch die Strukturformel eindeutig bestimmt. Was die färbenden Eigenschaften aller dieser Farb- stoffe angeht, so haben Anthocyane den Charakter von Beizenfarbstoffen; sie färben die Faser gut, schön, doch mit stumpfer Farbe. Versuche mit zinngebeizten Wollstoften und tannierten Baumwoll- geweben haben gezeigt, daß die Farbstoffe licht- echt, aber weder wasser- noch seifenecht sind. — H. P. Ein Verfahren zur Erzwingung spontaner Kristallisation. ^) Um isotrope Massen zur Kri- stallition zu bringen, änderte man bisher ihre Temperatur und suchte sie in ein Temperatur- gebiet zu bringen, in dem ihr spontanes Kristallisa- tionsvermögen von merklichem Wert ist. Dieses Temperaturgebiet ist aber meist nicht bekannt. Berücksichtigt man dagegen die Abhängigkeit des spontanen Kristallisationsvermögens von der Tem- peratur, so läßt sich ein hieraus folgender ein- facher Kunstgriff anwenden. Die Bildung einer neuen Phase erfolgt nur in einzelnen wenigen Punkten der vorhandenen Masse, und ihre Zahl ist proportional dieser Masse und der Zeit und sehr abhängig von der Temperatur und den Beimengungen; weniger aber vom Druck. Vom Schmelzpunkt des chemisch homogenen Körpers an, bzw. von der Temperatur der Sättigung einer Komponente des homogenen Gemenges mehrerer -Stoffe nimmt die Zahl der Kristallisationszentren mit sinkender Temperatur erst langsam und dann schnell zu und fällt nach Erreichung eines Maxi- mums. Entsteht nun ein Temperaturgefälle in einer Flüssigkeitssäule des zu untersuchenden Stoffes und liegt innerhalb desselben die Tempe- ratur der maximalen Zahl von Kristallisationszentren, so macht sich die Kristallisation nach einiger Zeit durch Trübung der klaren Masse an dieser Stelle bemerkbar, schreitet schließlich nach beiden Seiten der h'lüssigkeitssäule fort, und man kann kleine Kristalle beobachten. Ist die Flüssigkeitssäule in einem (ilasrohr, so braucht man dieses nur an der Stelle der entstandenen Trübung zu zerschneiden. In die unterkühlte Masse, deren Kristallisation man erzwingen will, bringt man dann die gewonnenen Kristalle bei einer Temperatur, welche etwas höher ist als die an der Stelle der Trübung während der Wirkung des Temperaturgefälles. Bei dieser Temperatur und durch kräftiges Rühren läßt sich die ganze Masse zur Kristallisation bringen. — Diese Methode fand Anwendung zuerst bei einem Gemisch von 66"',, B.^Oj und 34",^ Na.,BjO- und dann bei geschmolzenem K.3CO3 und SiO.,. Man erhielt jedesmal nach einigen Stunden kleine Sphärolithe, welche sich nach zwei Tagen ver- größerten. Dr. Bl. ,, Fraktionierte Adsorption" und „fraktionierte Desadsorption" von Radium - Bariumsalzen an kolloidalem Mangansuperoxydhydrat. ^) Die er- hebliche Adsorbierbarkcit radioaktiver Stoffe an kolloidale Substanzen benutzt man, um kleine Mengen radioaktiver Substanzen, wie Radium, Uran X, Polonium u. a. in großen Überschüssen ihnen ähnlicher inaktiver Sub- stanzen anzureichern. Mit kolloidaler Kieselsäure erzielte man eine fortlaufende fraktionierte An- reicherung, indem man diese als F"luorid nach jedem Adsorptionsvorgange verflüchtigte und die ver- bleibenden angereicherten radioaktiven Rückstände von neuem adsorbierte. Die KieselsäureAdsorp- tionsverbindung des Radiums ist aber sehr emp- findlich gegen geringe Säurekonzentrationen der Lösungen, aus denen das Radium zu adsorbieren ist, zumal Radium-Bariumsalzlösungen praktisch ohne freie Säure kaum zu erhalten sind. Ferner ist es noch nicht gelungen, ein bestimmtes Kiesel- säuregel von bestimmter Zusammensetzung und Adsorptionsfähigkeit herzustellen, die oftmalige Verflüchtigung der Kieselsäure ist umständlich und bezüglich der Materialien auch teuer. Dem- gegenüber ist das kolloidale Mangansuperoxyd- hydratgel ein sehr geeignetes Adsorbens für Radiumsalze, welches sich in einfacher Weise nach der Desadsorption wieder gewinnen läßt, indem man das nach der Desadsorption bzw. nach Abscheidung des adsorbierten Radiums ver- bleibende Manganchlorür in Mangansuperoxyd- hydrat überführt, dessen selektiv adsorbierende Wirkung auf Radiumsalze überall in der Natur zu beobachten ist. Man nimmt an, daß das Radium- salz der manganigen bzw. pyromanganigen Säure erheblich schwerer löslich ist, als das entsprechende Bariumsalz. Zu beachten ist, daß das Mangan- superoxydhydrat nicht aus einer Lösung gefällt werden darf, welche tlrdalkalisalze oder Schwer- metallsalze enthält, während sein Alkalimetall- gehalt die Radium-Bariumadsorption nicht be- einträchtigt. Man stellt Radium-BariumMangan- superoxydverbindungen her durch Schütteln einer bestimmten Menge Radium- Bariumchloiid in wässeriger Lösung mit einer gewissen Menge frisch gefällten Braunsteins bei gewöhnlicher Temperatur. Temperatur und Schütteldauer be- einflussen wohl die selektive Adsorption. Statt das Mangansuperoxydhydrat erst zu fällen und dann mit der anzureichernden Radium-Barium- chloridlösung zu schütteln, kann man auch den Braunsteinniederschlae bei Gegenwart der zu ad- ') Zeitschr. f. anorgan. Chemie 1914, Bd. S7, S. 248. ') Zeitschr. f. anorgan. c;hemie 1914, Bd. 84, S. 77. N. F. XIV. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 41: sorbierenden Radium • Bariumchloridlösung er- zeugen. Die „Anreicherung" ist abhängig u. a. von der verwendeten Menge des Mangansuper- oxydhydrats, ist gewissermaßen reziprok den „Aus- beuten" an Radium, d.h. dem adsorbierten Prozent- satz der Gesamtradiummenge. Man verwendet kleinere oder größere Mengen von Braunstein zur Adsorption, wenn es gilt, aus einem bestimmten Radium -Bariumpräparat rasch ein bestimmtes höherprozentiges Radium - Bariumpräparat herzu- stellen (ein Teil des Radiums darf in Form eines niedrigerprozentigen Radium-Bariumpräparates ge- wonnen werden) oder in einem gegebenen Radium-Bariumpräparat das gesamte Radium zu gewinnen und in Form eines einheitlichen Prä- parates das Radium anzureichern. Das Radium und teilweise aucii das Barium wird also aus Radium-Bariumsalzlösungen (beide an Mangan- superoxydhydrat gebunden) durch frischgefällten Braunstein entfernt, welcher in genügender Menge das Radium vollständig niederreißt. Um nun das adsorbierte Radiumsalz wieder von Braunstein zu trennen und dadurch wieder lösliches, reines Radium-Bariumsalz höherer Radiumkonzentration zu gewinnen und dieses durch öftere Adsorption und Desadsorption an Radiumgehalt anzureichern, löst man die Mangansuperoxyd-Radium-Barium- verbindung in heißer Salzsäure und fällt das Radium durch Salzsäuregas als reines Radium- Bariumchlorid, wobei gleichzeitig eine Anreiche- rung des Radiums erfolgt. Von einer Radium- Bariumchloridfraktion zur anderen sind also zwei „Anreicherungsschritte", der erste bei Herstellung der Adsorptionsverbindung, der zweite bei der fraktionierten Ausfällung des Radiums mit Salz- säure. Die „Desadsorption" verläuft bei voll- ständiger L(isung der Verbindung der Erdalkalien mit IVlangansuperoxyd in Salzsäure für Radium und Barium gleich. Diesen zwei „Anreicherungs- stufen" kann man eine dritte einfügen. Eine „auswählende Desadsorption" erzielt man, von der Säure wird relativ viel mehr Barium als Radium gelöst, durch Behandeln der Adsorptions- verbindungen mit verdünnter Salzsäure. Eine Spaltung der Adsorptionsverbindungen kann auch durch Elektrolyse erfolgen, aber die elektrolytische Zersetzung der Erdalkalimanganite geht bei Radium- und Bariummanganit nicht gleichmäßig vor sich, sondern verschieden in betreff der rela- tiven gespaltenen Mengen. Dr. Bl. Anthropologie. Die Malayen der Philippinen- Inseln. Die Philippinen-Inseln gehören geo- graphisch zu Indonesien oder dem „malayischen Archipel". Auch in anthropologischer Beziehung herrscht im wesentlichen Übereinstimmung zwischen den Philippinen und den weiter süd- lich gelegenen Gebieten Indonesiens. Von den Negrito ^) abgesehen, gehört die einheimische Be- völkerung der Philippinen zum malayischen Zweig der mongolischen Rasse. Der Kultur nach teilen sich die malaiischen Philippiner in zwei auffallend verschiedene Gruppen: Die zivilisierten christlichen Stämme und die wilden Stämme. Die Personenzahl der zivilisierten Stämme, die besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasch zunahm, be- trägt nun über 7 Millionen; die wilden Stämme zählen zusammen etwa '' ^ Millionen Personen. Die beiden Gruppen gehören augenscheinlich zwei zeitlich ziemlich weit getrennten Einwanderer- strömen an. Die heute vorwiegend im Inneren der größeren Philippinen Inseln sitzenden wilden Stämme werden als Nachkommen der ersten Ein- wanderer betrachtet, die von den großen Sunda- inseln kamen, noch bevor dort die hinduistische Kultur aus Vorderindien I*"uß gefaßt hatte; denn bei ihnen sind keinerlei Spuren dieser Kultur zu merken. Deutlich treten solche Spuren dagegen in den Sprachen und den Einrichtungen der zivilisierten Stämme auf, die also einem späteren Wanderungsstrome entstammen. Später kam der Mohammedanismus nach den Philippinen, doch hat er nur auf der südlichsten der großen Inseln, auf Mindano, festen Halt gewonnen. Überall sonst ist der mohammedanische Einfluß im Kulturbesitz der Philippiner äußerst gering, oder ein der- artiger Einfluß ist überhaupt nicht zu merken. Unter spanischer Herrschaft wurde das Christen- tum eingeführt und die zivilisierten Philippiner standen unter strenger Leitung der geistlichen wie weltlichen Behörden. Dem nivellierenden Einfluß, der in der Spanierzeit auf die Bevölke- rung ausgeübt wurde, ist es zuzuschreiben, daß alle acht zivilisierten Stämme eine im allgemeinen gleichartige Kultur besitzen. Das wichtigste trennende Moment ist die Sprachverschiedenheit. Mancher Kenner der Philippinen, wie z. B. Dr. David Barrows,') nehmen an, daß zwi- schen den Angehörigen der zivilisiert und der unzivilisierten Stämme auch Rassenunterschiede bestehen, besonders daß die ersteren einen feineren und die letzteren einen gröberen Typus dar- stellen. Dies kann jedoch als Ausdruck verschie- dener Lebenshaltung und Geisteskultur aufgefaßt werden, die zweifellos das Aussehen der Menschen und den Eindruck, den sie auf den Beobachter machen, stark beeinflussen. In Betracht kommt ferner, das die zivilisierten Stämme seit Jahrhunderten mit Europäern und Chinesen in Verkehr standen, mit denen sie Kreuzungen eingingen. Das gilt besonders von den Pampanga im I^orden der Bucht von Manila, den Tagalen und den Bicol im südlichen Luzon, sowie den Visayern auf den zwischen Luzön und Mindanao gelegenen zentralen Inseln. Durch die Kreuzungen sind zwar noch lange nicht alle In- dividuen beeinflußt, aber ihre Wirkung ist doch ') Vgl.: Die Negrito der l'hilippinen-Inseln. Naturwiss. Wochenschr. 1915, S. 237. ') Census of the Philippinc Islands ; Abschnitt Bevölke- rung (Bd. I, S. 411 — 585). 412 Naturvvissenschaltliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 26 an vielen Individuen zu erkennen, namentlich in den Städten. In Sprache und Lebensweise unter- scheiden sich die Bastarde nicht von den rein- blutigen Malayen, da die Bastardierung meist schon eine ansehnliche Zahl von Generationen zurückliegt. Aber gewisse Körpermerkmale verraten die Bastarde; bei Europäer- mischlingen gehören dazu vor allem der Bartwuchs, die hellere Hautfarbe, die hohe Nase, die geringe Ge- sichtsbreite usw. Die Ver- mischung schreitet noch fort, und sie wird durch den Frauenmangel der auf den riiilippinen ansässigen Weißen, Chinesen und Ja- paner begünstigt. Die Masse der zivilisier- ten Bevölkerung zeigt den malayischen Typus, und es scheint, daß er im allge- meinen bei weiblichen Per- sonen deutlicher ausgeprägt ist als bei männlichen. Der Wuchs ist klein oder mittelgroß. Erwachsene Männer von mehr als 160 cm Körperlänge sind selten. Der Körper ist gewöhnlich schlank, doch kommen aus- nahmsweise untersetzte und fettleibige Individuen vor; bei letzteren weisen oft An- zeichen auf chinesische Blut- beimischung hin. Die Haut- farbe ist gewöhnlich hell- braun, doch variiert sie inner- halb relativ weiter Grenzen. In der Regel ist ein gelb- licher Unterion merkbar, eines der auffälligsten Kenn- zeichen mongolischer Rasse. Das bei reinblütigen Indi- viduen fast immer straffe Kopfhaar ist meist tief- schwarz, selten dunkelbraun- schwarz. Bartwuchs und Körperhaar sind außer- ordentlich schwach ent- wickelt und scheinen bei nianciicn I'crsonen vollstän- dig zu fehlen. Die Lidsi)alte ist gewöhnlich weit offen ; schmale Lidspalten und Mongolenfalten sind nur aus- nahmsweise zu beobachten. Das Gesicht ist breit, die Backenknochen treten scharf hervor, die Nasen- wurzel liegt lief und die Nase ist verhältnismäßig breit. Das Kinn ist meist kurz und häufig zurück- tretend. Starkes Vortreten der Mundpartie ist selten und kann keineswegs als Rassenmerkmal gelten. Im ganzen ist das Gesicht weit weniger flach als bei den Chinesen und den nordasiatischen Mongolen. .\bl). 1. Christliche l'hilippincr vum Stamme der Cv^ay.ni ^Mürdost-Liizun). Was die geistige Veranlagung betrifft, so haben die christlichen Philippiner — nächst den Japanern — zweifellos den Beweis geliefert, daß N. F. XIV. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 413 sie die Fähigkeit zu bedeutendem Isulturellen Auf- stieg besitzen. Ks ist zu hoften, daß diese l'"ähig- keit von den amerikanischen Herren der Insel- gruppe in richtiger Weise ausgenutzt wird. In bezug auf Schaffensfreudigkeit und Arbeitsamkeit, Ausdauer und Zielbewußtheit, stehen die Philip- piner augenscheinlich hinter den Europäern zurück, doch übertreffen sie darin die meisten andern Farbigen. Auch Ehrlichkeit und .Anhäng- lichkeit wird ihnen gewöhnlich nachgerühmt. Zu den ungünstigen Charaktereigenschaften gehören leichte Erregbarkeit, Händelsucht und Leiden- schaftlichkeit, Hang zu Vergnügen, besonders Musik und Tanz. Das religiöse Empfinden ist im ganzen sehr schwach ; der Philippiner ist ein ebensowenig strenger Christ als ein strenger Mohammedaner. Die nichtchristlichen Philip- pinerstämme nehmen den grüßten .tv-^^. zurückgeführt werden, daß es bei ihnen Regel ist, nur ganz dürftig bekleidet zu gehen, während sich die .Angehörigen der christlichen Stämme nach europäischer Art kleiden, sich also viel mehr als jene den Einwirkungen der Sonne und der Luft entziehen, welche die Haut dunkler braun machen. Von den nichtchristlichen Philippinern sind bisher die Igoroten von Bontoc (Nord- Luzön) durch den .Amerikaner A. E. Jenks am ausführlichsten beschrieben worden. ^) Bei er- wachsenen Männern und Frauen fand Jenks folgende Körpergrößen : Männer Frauen 145 cm 134 cm 175 „ 164 „ 160 „ 146 „ Die Spannweite der Arme be- trug bei den Männern im Durch- schnitt 166 cm und bei den Frauen 150 cm, also in beiden Phallen mehr als die Körperlänge. Die Mmimum Maximum Durchschnitt Junger Mann vom Stamme der Kaiinga. Abb. 3. Junge Frau vi: Suuiime der Tingian. Abb. 4. Igorote von Bontoc. Teil des Binnenlandes von Nordluzön ein , ferner das Innere der wegen ilires feuchtheißen Klimas berüchtigten Insel Mindoro, fast ganz Paragua und die große Insel Mindanao mit Ausnahme einiger Strecken an der Nordküste, die von Visayern be- wohnt sind. Namentlich die Gebirpstämme in Nordluzön machen den Eindruck, daß sie einen kräftigeren Körperbau besitzen als ihre christlichen Nachbarn ; wenn diese .Annahme zutrifi't, so ist wohl das Klima und die abweichende Lebensweise für den Unterschied im Körperbau beider Bevölkerungen verantwortlich. Die anscheinend dunklere Haut- farbe der nicht christlichen Stämme kann darauf extremen Kopfindices waren bei den Männern 67,5 und 91,5, bei den Frauen 64,9 und 87,6. Die Kopf breite, ausgedrückt in Prozenten der Länge, ist also sehr verschieden. Der Durch- schnittsindex war bei Männern wie bei Frauen 79,1. Schnialköpfigkeit (die durch Indices unter 75 angezeigt wird) ist bei beiden Geschlechtern am seltensten ; unter den Männern waren Breit- köpfige am häufigsten , unter den Frauen waren Breitköpfige und Mittelköpfige gleich zahlreich. Sehr bedeutend ist die Variation der Nasen- breite, was folgende Indexzahlen anzeigen : ') Jenks, The Bontoc Igor Publications, Bd. i. lt. Philippine Ethnol. Survey 414 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 26 Nasen-Indices Minimum Durchschn. Maximum Männer 58,2 79,2 104,6 ■• Frauen 58,5 78,7 97,6 Am häufigsten sind sowohl bei Männern wie bei Frauen mittelbreite Nasen. Vor dem Eintritt in das Greisenalter ist der Körper der Igorotenmänner muskulös und eben- mäßig gebaut. Der Hals ist niemals lang; er ist wohlgeformt und stützt den Kopf in aufrechter Haltung. Die Schultern sind breit, die Arme mäßig stark, die Hände stark und kurz. Die Beine sind gewöhnlich gerade; die Schenkel und Waden sind kräftig und wohlgebildet, und die Fußgelenke sind meist schlank. Abb. 5. Iguiutin von p.untoc. Das schwarze, straffe, grobe und relativ reich- liche Kopfhaar wird auch im hohen Alter nicht ganz weiß, sondern nur eisengrau. Im Alter wird das Haar dünner, doch besteht keine Neigung zu Kahlköpfigkeit. Einige Personen mit welligem oder krausem Haar sind in jedem Bontocdorfe anzutreffen; Jenks konnte aber in keinem ein- zigen Fall feststellen, daß die abweichende Haar- form die Folge von Bastardierung war. Die spär- lichen Barthaare werden gewöhnlich ausgezupft. Die Iris der Augen ist braun und oft mit einem helleren oder dunkleren Ring umgeben. Die Deckfalte des oberen Augenlids hängt häufig — aber nicht immer — über den Lidrand herab, wie es bei Chinesen und Japanern stets der Fall ist, so daß die Wimpern aus dem Auge selbst heraus zu kommen scheinen. Die Zähne sind groß, stark und gewöhnlich weiß. Im Alter ver- färben sie sicli jedoch und es tritt auch Zahn- ausfall ein. Die volle Entwicklung des männlichen Körpers wird zwischen dem 20. und 25. Jahr er- reicht, doch schon mit 35 Jahren zeigen sich die ersten Zeichen des Alterns. Mit 45 Jahren tritt auffälliger Verfall ein. Das Gesicht ist faltig ge- worden, die Muskel haben ihre Form verloren, die Haltung ist weniger aufrecht und der Gang ist langsamer. Noch 10 Jahre später ist die Greisenhaftigkeit vollendet. Bei den Mädchen tritt die Geschlechtsreife zwischen dem 14. und 16. Jahr und die körper- liche Reife mit 17 oder 18 Jahren ein. Zeichen des Alterns werden gewöhnlich schon um das 30. Lebensjahr sichtbar und mit 45 Jahren sind die Frauen ausgesprochen Greisinnen. H. Fehlinger. Physik. Über Doppelbrechung in kathoden- zerstäubten Metallschichten. Steht die Ebene einer Glasplatte in einem Entladungsrohr senk- recht zu einer blattförmigen Kathode und wird dann ein elektrischer Strom durch das Rohr ein- geführt, so bildet sich auf der Glasplatte eine dünne keilförmige Metallschicht , welche sym- metrisch ist in bezug auf die Kathode und doppel- brechend. C. Bergholm (Ann. d. Phys. 1914, S. I) untersuchte die Doppelbrechung solcher Metallschichten und gelangte zu folgenden ex- perimentellen Resultaten. Die Doppelbrechung verschwindet nicht mit der Zeit, und ihre Lage ist abhängig von P'orm und Stellung der Kathode in bezug zur Glasscheibe. Die Metallschicht ist kreisförmig und ihre Achsen liegen tangentiell und radiell, sobald die Kathode ein Draht ist und senkrecht zu dem Glas steht. Die Achsen der Doppelbrechung liegen parallel und rechtwinklig zur Längenrichtung des Glases, wenn die Kathode in Form eines Bleches senkrecht zur l'läche der Glasscheibe und symmetriscli über derselben hängt. Die Achsen erhalten eine schräge Lage abhängig von der Einfallsrichtung der Partikeln, wenn die Mitte des Kathodenbleches außerhalb der Glasscheibe liegt. Die Schicht wird nicht doppelbrechend, sobald die Ebene der Glasscheibe parallel ist der Fläche des Kathodenbleches. Aus den gefundenen Werten ergibt sich, daß die Doppelbrechung für lange Wellenlängen nur in Kupfer- und Goldschichten am größten ist, und die Phasendifferenz bei der Doppelbrechung in hohem Grade von dem Brechungsexponenten ab- hängt. Die Phasendifferenz ist für Kupfer und Gold, welche normale Dispersion haben, für Rot am größten und für Blau am kleinsten. Dagegen ist die Phasendifferenz für Blau am größten und für Rot am kleinsten bei in trockener Luft kathodenzerstäubtem Silber und in Wasserstoff dargestelltem Platin und Wismut, welche anor- male Dispersion haben. Aus der Tatsache, daß nach Beetz der Brechungsexponent für reines Silber ein Minimum in Grün hat, und die Phasen- differenz nach den Versuchen für Grün am größten ist, kann man schließen, daß zwischen Phasen- differenz und Brechungsindex ein sehr einfacher Zusammenhangs besteht. N. F. XIV. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 415 Kergholm meint dann: „Das Verhältnis zwischen den Phasendifferenzen für zwei l'^arbcn an ein und derselben Stelle in der Schicht ist gleich dem invertierten Verhältnis zwischen den Brechungsexponenten dieser beiden Farben." Durch Angabe der Phasendifferenz kann man den Verlauf der Dispersionskurve in einer willkür- lichen Einheit angeben. Ferner ist die Doppel- brechung sehr klein, wo die Dicke am grüßten ist; es ist also die Doppelbrechung nicht für das Metall als solches kennzeichnend, sondern es ist anzunehmen, daß die verschiedenen Teile der Schicht auf eine gewisse für verschiedene Dis- tanzen von der Kathode nicht gleiche Weise an- geordnet sind. Das Zeichen der Doppelbrechung ändert sich für ein und denselben Metallspiegel, gilt sie positiv weiter weg von der Kathode, so ist sie negativ und sehr klein in der Nähe der Kathode, nimmt dann numerisch zu, um Null zu werden in einem gewissen Abstand. Die kristallinischen Eigenschaften der Schichten erklärt Verfasser durch die Annahme, daß sie aus geordneten Ellipsoiden aufgebaut sind, da aus ihnen gebildete Medien auch doppelbrechend sind. Die Ellipsoide wieder entstanden dadurch, daß die verschiedenen Teile deformiert wurden, als sie die Glasplatte trafen, und daraus ergibt sich die Doppelbrechung als eine Funktion von dem Ab- stände von der Kathode, denn es müssen um so ausgeprägtere Ellipsoide entstehen , je schräger die Teile einfallen. Ferner ist die Doppel- brechung abhängig von der Geschwindigkeit der Partikel, mit welcher sie die Platte treffen, daher wird die Doppelbrechung kleiner mit Zunahme des Druckes. Die Achsen der Doppelbrechung sind abhängig von der Einfallsrichtung der Partikel. Vielleicht entsteht die kristallinische Struktur weiterhin von der Kathode außerdem noch da- durch, daß die von der Kathode geworfenen Teilchen in einer Richtung länger sind als in einer anderen, und jedes dann durch das elektro- statische Feld influenziert sich in der Richtung der Kraftlinien stellt. Treffen nun die Teile das Glas in der Nähe der Kathode und senkrecht zur Fläche des Kathodenbleches, so werden sie sehr wenig de- formiert, daher ist die Doppelbrechung in der Nähe der Kathode verhältnismäßig klein und ihr Zeichen ist ein anderes als weiter weg. Verfasser erklärt schließlich aus der Grund- annahme Stark's für die Kathodenzerstäubung die Entstehung des nackten Fleckes unter der Kathode (es bilden sich nämlich auf dem Glas unter der Kathode nicht gleich dicke Metall- schichten), welcher die Form der Projektion der Kathode auf das Glas hat. Nach der Theorie von Stark stürzen gegen die Kathode positiv geladene Atome mit großer kinetischer Energie, welche sie beim Passieren der großen Spannungs- differenzen in der Nähe der Kathode erhielten. Trifft ein Atomstrahl einen Teil der Oberfläche eines Körpers, so gibt er an diesen seine Be- wegungsenergie ab und erteilt ihm unter Um- ständen eine Geschwindigkeitskomponente in seiner eigenen ursprünglichen Richtung. Treffen aber Teile gegen die Kathode, so können sie von oder unmittelbar innerhalb der P'läche reflektiert werden. In der Nähe der Kathode erhalten aber die Kanalstrahlen ihre größte Energie, und da ihre Kraft hier am größten ist, so bewegen sie sich unmittelbar an der Kathode in Richtung dieser Kraft. Eine Abkürzung des freien Weges, auf welchem die Kaiialstrahlen ihre Bewegungsenergie erhalten, verringert ihr zerteilendes Vermögen, es hört alle Zerstäubung auf, sobald ihre Bewegungs- energie einen gewissen Wert nicht erreicht. Steht daher eine Glasplatte einige mm entfernt von einer ebenen Kathode und sind ihre beiden Flächen parallel, so entsteht auf dem Glas keine Metallschicht. So ist es auch zum Teil mit der Grube unter der Kante des Kathodenbleches; das Glas hindert die Kanalstrahlen, die nötige fc^nergie zu erhalten, bis sie die Kante treffen. Wohl ver- ursachen Kanalstrahlen, die durch ein Loch in der Kathode gehen, Zerstäubung, obgleich sie in- folge Attraktion von der Kathode gebremst und reflektiert werden , aber sie erhalten dieselbe Ladung wie die Kathode und haben damit ein größeres Zerstäubungsvermögen. Dr. Bl. Physik. Die Dichte des Aluminiums wurde von E. F. Brislee untersucht.') Der Mittelwert einer großen Anzahl von Dichtebestimmungen für gegossenes Metall (unausgeglüht und geglüht) wurde zu 2,7061 ermittelt. Hartgewalztes Alumi- nium wies im ungeglühten Zustande eine Dichte von 2,7089, geglüht von 2,7098 auf. Bei gezoge- nem Aluminium ergaben sich je nach der Bear- beitung starke Schwankungen in der Dichte, die unter geeigneten Bedingungen geringer als beim gegossenen Metall ist. Zur Untersuchung der Struktur wurde die polierte Oberfläche mit Fluß- säure stark angeätzt und hierauf zur Erzielung eines glänzend silberweißen Aussehens einige Se- kunden in 60 proz. Salpetersäure getaucht. Mit der Vulumzunahme bei der Bearbeitung ging die kristallinische, polyedrische Struktur des gegosse- nen Metalls in die amorphe Form über. Die Ver- schiedenheit des Gefüges erklärt auch das ver- schiedene Verhalten von hartem und weichem Aluminium gegen Ätzmittel. Die Rückverwand- lung des amorphen in den krisrallinischen Zu- stand beim Glühen macht das Bestehen eines poly- morphen Zustandes wahrscheinlich, ähnlich wie beim monoklinen und rhombischen Schwefel. Otto Bürger. ') Elektrotechnische Zeitschrift 21, 167 (1914). 4i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 26 Wetter-Monatsübersicht. Während des vergangenen Mai wechselte die Witterung in Deutschland mehrmals ihren Charakter, jedoch herrschte heiteres , trockenes Wetter mit kühlen Nächten und warmen Tagen im ganzen vor. Besonders bald nach Anfang und gegen Mitte des Monats war es für die Jahreszeil sehr kühl. In Nordost- und Mitteldeutschland kamen weitverbreitete Nachtfröste vor, die sich noch bis zum 18. häufig wieder- SKiMcrs Tfimwiiviiunn einiger ©rfe im Sßail915. I.M>i B. (1. IS. J(. 2S. 31. nf -^ — Hiel I— \r~^^ .,*%■; ^^^^^^. X I , S"-"!^' — . 7^^ WeuFahpwassepj ^^""' .•■'I''-. ir-^r BtrlinerWeHertu. holten ; in den Nächten zum 10. und 11. Mai brachten es Lauenburg i. P. und Bromberg auf 4 Grad Kälte. In den Mittagsstunden aber wurden schon am I., 2. und 5. im größe- ren Teile des Binnenlandes 20 und während der zweiten Hälfte des Monats oftmals 25 Grad C überschritten; am 14. stieg das Thermometer in Königsberg i. Pr., am iS. in Beulhen bis auf 27, am 26, an vielen Orten, beispielsweise in Dahme, Neustrelitz, Gardelegen und Trier bis auf 28 Grad C. Die Monatsmittcl der Temperatur überschritten an der Küste um ungefähr einen halben, im Binnenlande um I bis I ' '.> Grad ihre normalen Werte. In noch höherem Maße wurde die gewöhnliche Dauer der Sonnenstrahlung und zwar namentlicli in den nordöstlichen Landesteilen übcrtrotfen. So hat im diesjährigen Mai in Berlin die Sonne an 311 Stunden geschienen, während hier in den früheren Mairaonaten durch- schnittlich 224 Sonnenscheinstunden verzeichnet worden sind. Die stärksten Veränderungen wiesen innerhalb des Monats überall die Niedcrschlagsverhältnisse auf; Reihen ganz trocke- ner und sehr regnerischer Tage wechselten in allen Landes- teilen mehrmals miteinander ab. Zu Beginn des Monats fan- den in ganz Deutschland mehr oder weniger ergiebige Regen- fälle statt, die von zahlreichen Gewittern begleitet waren und sich besonders im Nordosten und Süden häutig wiederholten. Am 3. gingen in den Provinzen Ost- und Westpreußen ver- schiedentlich Hagelschauer hernieder, zu Kerent fiel auch etwas Sclmee. Nach vier größtenteils trockenen, sonnigen Tagen traten zwischen dem 12. und 13. an der Nordseeküste und in Suddeutschland Regenfälle ein, die sich bald auf die ganze westliche Hälfte Deutschlands ausdehnten. Erst allmählich pflanzten sie sich in Begleitung von Gewittern weiter ostwärts fort, worauf besonders östlich der Elbe bei sehr heftigen, an der Küste stellenweise stürmischen nordwestlichen Winden ein häufiger Wechsel zwischen heiterem Himmel und kurzen Regen-, Hagel- oder Graupelschauern erfolgte; vom 18. bis ig. früh fielen z. B. in Ansbach 40, in Görlitz 36, in Ostrowo 28 mm Regen und Hagel. " Am 21. Mai stellte sich wiederum in ganz Deutschland trockenes, besonders um die Zeit des Pfingstfestes außerordent- lich schönes Wetter ein, das bis zum 27. fast überall ununter- brochen anhielt. Dabei wurde die Wirkung der durch keine J^ic^cr^o^ra^.^^ö^on im Sßai 1915, • ■ /Vliftlerer Wert für X^eufschland. ""1.1113.12.11.111 Wolken geschwächten Sonnenstrahlung durch frische östliche Winde etwas vermindert, die jedoch die Luft und den Erd- boden mehr und mehr austrockneten. Erst in den letzten Tagen des Monats fanden in Süddeutschland sowie nordöst- lich der Oder abermals ziemlich zahlreiche Gewitter und stellenweise ergiebige Regenfälle statt, wogegen im nordwest- lichen Binnenlande die Trockenheit beinahe bis zum Schlüsse fortdauerte. Die Niederschlagssumme des Monats belief sich für den Durchschnitt aller berichtenden Stationen auf nicht mehr als 38,2 mm, während die gleichen Stationen im Mittel der früheren 24 Maimonate 57,4 mm Regen geliefert haben. Auch die allgemeine Anordnung des Luftdruckes in Kuropa änderte sich mehrmals recht bedeutend. Nachdem in den ersten drei Tagen des Monats der Norden von einem mäßig tiefen barometrischen Minimum durchzogen worden war, drang von den britischen Inseln ein Hochdruckgebiet nach der Nordsee und Ostsee vor, wurde aber durcli eine neue atlantische Depression rasch in das Innere Rußlands ge- trieben. Ein anderes Maximum folgte schon am S. Mai von Schottland ostwärts nach, wurde jedoch gegen Mitte des Mo- nats abermals durch eine Depression aus dem westeuropäischen Festlande verdrängt. .'\m 20. Mai gelangte ein höheres Baro- metermaximum nach der skandin.avischen Halbinsel hin und rückte allmählich weiter nach .Süden vor, so daß in ganz Mitteldeutschland trockene östliche Winde eintraten und wäh- rend längerer Zeit fortbestanden. Dr. E. Lefl. ihaltt Schoy: Theorie der sog. Zwillingssonnenuhr aus Pergamon (mit 3 .Abbildungen). — Kleinere Mitteilungen: Basedow: Die überaus starke Abnutzung der Zähne bei wilden Völkern. Knauer: Ist die Waldschnepfe (Scolopax rusticola L.) im Niedergang begriffen? — Einzelberichte: Willstädter: Aus der Chemie des Rosenrots. — Ein Verfahren zur Erzwingung spontaner Kristallisation. — ,, Fraktionierte .Adsorption" und ,, fraktionierte Desadsorption" von Radium-Bariumsalzen an kolloidalem Mangansupero.xydhydrat. Harrows, Jenks: Die Malayen der Philippinen- Inseln (mit 5 .Abbildungen). Bergholm: Über Doppelbrechung in kathodenzerstäubten Metallschichten. Brislee: Die Dichte des .Muminiums. - Wetter-Monatsübersicht (mit 2 .Abbildungen). Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstrafle IIa, erbeten, Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 4. Juli 1915. Nummer äT. [Nachdruck verbotei! Der Ursprung des Geschlechts. (Untersuchungen von Woodruff und Erdmann, New-Haven, U. S. N. A. Von Dr. Alexander Lipschütz, Privatdozent der Physiologie an der Universität Bern. Mit 7 Abbildungen. I. Beinahe überall im Reiche der Organismen tritt uns eine Zweiteilung innerhalb der Art ent- gegen : die Teilung in „männliche" und „weib- liche" Individuen. Sowohl bei den Pflanzen als bei den Tieren hat die Fortpflanzung in der großen Mehrzahl der Fälle zur Voraussetzung das Vorhandensein zweier „Geschlechter", zweier Ab- arten von Individuen. Das neugeborene Indi- viduum ist ein Produkt der „Zeugung", der „Be- fruchtung" des „weiblichen" Individuums durch das „männliche". Die Beziehungen beider Geschlechter zu- einander sind bei den Tieren und Pflanzen von größler Mannigfaltigkeit und in jeder einzelnen Art stellen diese Beziehungen einen ganz kom- plexen Vorgang dar. Man denke zunächst an die tausenderlei körperlichen Geschlechtsmerkmale bei den einzelnen Arten, die in der verschiedenen Größe und Körperform, in der Ausstattung mit einem für das Geschlecht charakteristischen Haar- kleid oder Federkleid ihren Ausdruck haben; an die Ausstattung mit bestimmten Organen, die nur einem der beiden Geschlechter zukommen; an die unterschiedliche Ausgestaltung des Stoff- wechsels bei beiden Geschlechtern, die uns z. B. in der Verschiedenheit der Ausscheidungen oder des Duftes der Individuen der beiden Geschlechter entgegentritt; man denke an die mannigfaltigen Einrichtungen, die im Pflanzenreich, wo die Indi- viduen beider Geschlechter festsitzend sind, die Beziehungen zwischen den beiden Geschlechtern erhalten; und man halte sich schließlich jene große Gruppe der psychischen Geschlechtsmerk- male vor, die namentlich beim Menschen ihre reichste Ausgestaltung gefunden haben. Suchen wir uns in dieser Mannigfaltigkeit der Geschlechtsmerkmale zu orientieren , so werden wir bald finden , daß die mannigfaltigen Ge- schlechtsmerkmale — wenn auch keineswegs alle — eins gemeinsam haben : daß sie der Vereini- gung oder jedenfalls der räumlichen Annäherung zweier Individuen verschiedenen. Geschlechts dienen, einer räumlichen Annäherung, die das Zusammentreffen bestimmt gearteter und für das Geschlecht charakteristischer Sekrete von Indi- viduen verschiedenen Geschlechts erleichtert. Mit dem letzten Satz haben wir ausgesprochen, daß zu den Geschlechtsmerkmalen auch die Pro- duktion bestimmt gearteter Sekrete gehört, die gewissermaßen den Mittelpunkt des ganzen Pro- blems des Geschlechts abgebeti, und denen gegen- über ein großer Teil der Geschlechtsmerkmale sich gewissermaßen in einem Dienstverhältnis be- findet. Die Produktion bestimmt gearteter und für das Geschlecht charakteristischer Sekrete ist ein für die große Gruppe der vielzelligen Pflanzen und Tiere allgemeines Geschlechtsmerkmal. Untersuchen wir die für das Geschlecht charak- teristischen Sekrete genauer, so überzeugen wir uns, daß sie aus bestimmt gearteten Zellen be- stehen. Das eine Geschlecht liefert Zellen, die durch ihre besondere Größe ausgezeichnet und unbeweglich sind — die sog. Eizellen ; das andere Geschlecht liefert Zellen, die in der Regel sehr klein sind und sich sehr lebhaft bewegen können — die sog. Samenzellen. Diejenigen Individuen, die die großen unbeweglichen Geschlechtszellen liefern, nennen wir ganz allgemein weiblich, während die Individuen, die die kleinen frei be- weglichen Zellen abgeben, allgemein als männlich benannt werden. Die Vereinigung der Eizelle mit der Samenzelle nennen wir Zeugung oder Befruchtung. Die aus einer Vereinigung der Ei- zelle hervorgegangene neue Zelle bildet den Keim des neuen Individuums der betreffenden Art. Die Organe, welche die aus Eizellen oder Samen- zellen bestehenden Sekrete liefern , nennen wir Keimdrüsen. Die weibliche Keimdrüse bezeichnet man als Eierstock, die männliche Keimdrüse als Hoden. Die Produktion von Eizellen oder Samenzellen ist aber nicht die einzige Aufgabe der Keim- drüsen. Bei den höheren Wirbeltieren kommt den Keimdrüsen auch noch die Aufgabe zu, die Entwicklung der Geschlechtsmerkmale beim jugendlichen Individuum in weiblicher resp. männ- licher Richtung zu beeinflussen. Transplantation einer weiblichen Keimdrüse in einen jugendlichen männlichen Kastraten „feminiert" den letzteren, während die Transplantation einer männlichen Keimdrüse in einen jugendlichen weiblichen Kastraten diesen „maskuliert" (St ein ach). Das feminierte Männchen (Ratte, Meerschweinchen) erwirbt die körperlichen Merkmale (Gewicht, Körperform, Knochenbau, Qualitäten des Felles, Fettablagerung) und die ,, Instinkte" (psychi- sche Eigenschaften) des normalen Weibchens; das maskulierte Weibchen (Ratte) erwirbt die körperlichen und psychischen Merkmale des nor- malen Männchens. Andere Beobachtungen, auf 4i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 27 die hier nicht eingegangen werden kann, weisen uns darauf hin, daß die Keimdrüsen die Ge- schleclitsmerkmale modeln mit Hilfe eines Sekrets, das sie an den Säftekreislauf des Körpers ab- geben. Sie wirken in dieser Beziehung als Or- gane mit innerer Sekretion, wie man sich aus- drückt. Die Keimdrüse ist bei den höheren Wirbeltieren ein doppeltes Organ: ein Organ für die Produktion der Geschlechtszellen und ein solches für die innere Sekretion zur Beeinflussung des Organismus in der Richtung nach bestimmten Geschlechtsmerkmalen. Von diesen dient, wie schon erwähnt, ein Teil unmittelbar der räum- lichen Annäherung des Geschlechts und damit der Vereinigung der Eizelle und der Samenzelle. All die mannigfaltigen Geschlechtsmerkmale körperlicher oder psychischer Art, ob sie für die räumliche Annäherung der Geschlechtszellen etwas leisten oder nicht, ob sie direkt vom inner- sekretorischen Anteil der Keimdrüse gemodelt werden oder nicht — alle können sie bildlich betrachtet werden gewissermaßen als Ausstrah- lungen der Geschlechtszellen. Diese letzteren sind die allgemeinen, die „primären" Ge- schlechtsmerkmale. Eine Diskussion des Problems des Ursprungs des Geschlechts hat zur Aufgabe, die Entstehung nicht der speziellen oder „sekundären" Geschlechtsmerkmale zu ver- folgen , sondern die Entstehung oder die phylo- genetische Abstammung der Geschlechtszellen, der Eizelle und der Samenzelle, der Entstehung der allgemeinen Geschlechtsmerkmale. Im folgenden soll dieses gewaltige Problem natürlich nicht in seiner ganzen Ausdehnung an- gegriffen werden. Es sollen vielmehr nur einige neue Gesichtspunkte innerhalb des großen Pro- blems diskutiert werden, Gesichtspunkte, die sich neu ergeben haben in den Untersuchungen, über die im Laufe der letzten Jahre der amerikanische Zoologe Lorande Loss Woodruff berichtet hat und die ihre Krönung gefunden haben in einer Arbeit, die W o o d r u f f vor kurzem ge- meinsam mit Rhoda Erdmann veröffent- licht hat.') II. Eizelle und Samenzelle haben sich uns als allgemeine Geschlechtsmerkmale ergeben. Das, was die Beziehungen der beiden Geschlechter zu- einander ganz allgemein kennzeichnet, ist die Ver- schmelzung zweier äußerlich ungleicher Zellen. So lange wir uns nur daran halten, daß bei der Befruchtung zwei äußerlich ungleiche Zellen zur Verschmelzung gelangen, steht das Problem ') Lorande Loss Wodruff and Rh. Erdmann, Complete periodic nuclear reorganization without cell fusion in a pedigrccd race of Paramaecium. Proceed. of the Society for expcrim. Uiology and Medicine. Vol. XI, 1914. Lorande Loss Woodruff and Rhoda Erdmann, A normal periodic reorganization process without cell fusion in Paramaecium. Journal of Kxperim. Zoology, Vol. 17, Nov. I9'4. ^S'- auch den deutschen Bericht der Autoren im Bio- logischen (x'ntralblatt, Bd. 34, 1914. des Geschlechts, auch in der so allgemeinen P'assung, die wir ihm gegeben haben, ganz un- vermittelt da. Sobald wir aber tiefer blicken, er- weist sich diese unsere Einstellung gegenüber dem Problem des Geschlechts als ganz unge- rechtfertigt. Alle „Form" von lebendiger Substanz ist uns nur ein anderes Wort für den Stoffwechsel der Zelle. Wir erkennen den Stoffwechsel der Zellen als verschieden, wenn wir die ver- schiedenen Formen der Zellen sehen. Aber eine Verschiedenheit des Stoffwechsels kann ja auch dann gegeben sein, wenn wir nicht in der Lage sind, mit Hilfe des Mikroskops eine F"orm- verschiedenheit der Zellen festzustellen. Um ein ganz grobes Beispiel heranzuziehen: etwa so, wie wir mit Hilfe des Auges nicht immer imstande sind, zwei weiße Niederschläge in Reagenzgläsern zu differenzieren. Wir decken die Verschieden- heit dieser Niederschläge erst auf mit Unter- stützung geeigneter chemischer Hilfsmittel, mit Hilfe bestimmter chemischer Reaktionen. Wenn wir nun einstweilen ein „Chemoskop", wenn man so sagen darf, auch nicht besitzen, das uns ge- stattete , das Spiel der einzelnen Komponenten des Stoffwechsels in der lebendigen Zelle vor unser Auge zu zaubern, so dürfen wir doch schon heute sagen, daß hinter äußerlich gleicher, d. h. in groben Zügen gleicher F"orm, sich Verschieden- heiten des Stoffwechsels verstecken können. Es wäre also ganz unmotiviert, die Verschmelzung äußerlich ungleicher Zellen, wie wir sie bei den vielzelligen Tieren und Pflanzen beobachten, von der bei Einzelligen vorkommenden Verschmelzung äußerlich gleicher Zellen streng abzugrenzen. Wir beobachten z. B. bei Paramäcien die Kon- jugation zweier Tiere, die wir äußerlich von- einander gar nicht unterscheiden können; es kann aber wohl sein, daß hinter dieser äußeren Gleich- heit doch eine Verschiedenheit, eine Abweichung im Stoffwechsel bei den beiden Zellen vorhanden ist. Bei dieser Annahme wird die Grenzlinie zwischen der Befruchtung oder der Vereinigung äußerlich ungleicher Zellen, und der Konjugation oder der Vereinigung äußerlich gleicher Zellen, verwischt. So gewinnen wir die Möglichkeit, im Problem des Geschlechts noch weiter zu verallgemeinern und einfach die Verschmelzung zweier ungleicher Zellen, wenn sie äußerlich einander auch gleich L scheinen mögen, als das Wesen der geschlecht- J liehen Beziehung aufzufassen. | Daß dieser Standpunkt vollauf berechtigt ist, zeigt uns die Umschau in einer Gruppe der viel- zelligen Organismen , die in dieser PVage sehr großes Interesse darbietet: in der Gruppe der Baumalgen. Die Fortpflanzungszellen sind in dieser Gruppe sog. Schwärmsporen, kleine Zellen, die mit Rudcrgeißeln ausgestattet sind und sich frei im Wasser bewegen können. Die Schwärm- sporen setzen sich nach einiger Zeit auf einer Unterlage fest und jede einzelne Sclnvärmspore N. F. XIV. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 419 kann einem neuen Alg^enstock den Ursprung geben. Bei manchen Algen kann der Immobili- sierung der Schwärmsporen eine Verschmelzung mit ihresgleichen vorausgehen. Eine Verschmel- zung zweier äußerlich scheinbar gleicher Zellen findet hier statt, etwa wie bei der Konju- gation im Reiche der Einzelligen. Eine Baum- alge hat von hier schon einen Schritt in der Richtung zur Befruchtung gemacht: bei Ecto- carpus siliculosus setzen sich einige Schwärm- sporen frühzeitig auf einer Unterlage fest und werden von den anderen Schwärmsporen , die den festsitzenden alle äußerlich gleich sind, um- schwärmt. Die festsitzende Schwärmspore ist wie die unbewegliche Eizelle, die von den frei- beweglichen Samenzellen umschwärmt wird. Schließlich verschmilzt eine der freibeweglichen Schwärmsporen mit der festsitzenden und das Produkt dieser Vereinigung ist die Keimzelle eines neuen Algenstockes. Eine andere Form in der Gruppe der Baumalgen weist schon zweierlei äußerlich verschiedene Arten von Schwärmsporen auf, große und kleine Schwärmsporen. Die großen schwärmen kürzere Zeit als die kleinen, setzen sich fest und werden von den kleinen um- schwärmt. Bei einer dritten Form finden wir die größeren Schwärmsporen von vornherein unbeweg- lich — sie sind die „Eizellen", und die freibeweg- lichen Schwärmsporen sind die „Samenzellen". So bietet sich uns in dieser einen Gruppe des Pflanzenreiches ein Bild dar der Beziehungen zwischen der Befruchtung als der Vereinigung äußerlich ungleicher Zellen zu der Konjugation als der Vereinigung äußerlich gleicher Zellen, wie wir es oben erst auf Grund theoretischer Be- trachtungen gewinnen konnten: in der be- trachteten Gruppe der Baumalgen haben wir einen ganz allmählichen Übergang von der äußeren Gleichheit zur äußeren Ungleichheit der beiden zur Verschmelzung gelangenden Zellen, eine all- mähliche Differenzierung der konjugierenden Zellen zu „weiblich" und ,, männlich". Einen Einwand könnte man dagegen erheben, daß die Befruchtung in eine enge Beziehung ge- setzt werden soll zur Konjugation, daß die Be- fruchtung als eine spezielle Form der Konju- gation aufgefaßt wird. Bei der Befruchtung — oder auch bei der Verschmelzung der äußerlich noch gleichen Schwärmsporen bei den oben be- handelten Baumalgen — geht aus der Vereinigung der beiden Zellen eine Zelle hervor; dagegen sind die Beziehungen der beiden Konjuganten nur vorübergehender Art — die Zellen gehen nach Austausch von Kernmaterial wieder ausein- ander. Auf den ersten Blick mag es scheinen, daß mit diesem Einwand alle Versuche, Befruch- tung und Konjugation zueinander in Beziehung zu setzen, als unmotiviert erwiesen sind. Das ist aber nicht der Fall. Es ist mehrfach von den Untersuchern darauf hingewiesen worden, daß die Verschmelzung der Eizelle und der Samenzelle nicht unbedingt eine vollständige zu sein braucht: in vielen Fällen lassen sich Eikern und Samen- kern im Protoplasma voneinander gut differen- zieren, nicht nur in der eben befruchteten Eizelle, sondern über mehrere F"urchungen hinaus. Auch kommt in Betracht, daß die äußerlich ungleichen Zellen , deren Verschmelzung wir Befruchtung nennen, einen Reifeprozeß durchgemacht haben, in dessen Verlauf jedenfalls ihr Kernmaterial auf die Hälfte des für diese Zellart Normalen redu- ziert worden ist. Es sind also im Falle der Be- fruchtung spezielle Einrichtungen mit ins Spiel getreten, die es uns wohl geläufig machen können, daß hier eine Abweichung im Sinne eines dauernden Beisammenbleibens der beiden zur Verschmelzung gelangenden Zellen zustande ge- kommen ist. III. Wenn wir dem Ursprung des Geschlechts nachgehen wollen, so müssen wir uns an jene F'älle von geschlechtlicher Beziehung halten , wo diese in ihrer allgemeinsten Form in die Erschei- nung tritt. Das ist, wie unsere Betrachtungen ergeben haben , die Konjugation im Reiche der Einzelligen : die Vereinigung zweier äußerlich gleicher Zellen, bei denen wir aber eine Unter- schiedlichkeit im Stoffwechsel nicht ausschließen können. An die Erscheinungen der Konjugation knüpfen die neuen Untersuchungen von Woodruff und E r d m a n n an. Im Gegensatz zu W e i s m a n n haben M a u p a s , Calkins, Richard Hertwig u. a. den Stand- punkt vertreten, daß die Teilungsfähigkeit der Einzelligen nicht unbegrenzt sei. Die Autoren hatten gefunden, daß die Teilungsgeschwindigkeil bei Einzelligen nach einer bestimmten Anzahl von Generationen abnimmt, daß die Tiere dabei an Umfang abnehmen, Veränderungen in ihrem Kernapparat zeigen und schließlich zugrunde gehen. Die Zahl der Generationen , die einen „Lebenszyklus" darstellen, war in den einzelnen von den Autoren beobachteten Fällen recht ver- schieden: es waren 100, 200, 300 und mehr Generationen. Ganz anders gestaltete sich aber die Situation, wenn eine Konjugation dazwischen kam. Die Teilungsrate stieg dann wieder an und die Exkonjuganten konnten wieder eine lange Reihe von Teilungen geben. Die Konjugation wurde damit zur Voraussetzung gestempelt für die unbegrenzte Fortdauer einer Rasse im Reiche der Einzelligen, zur Voraussetzung der Kontinuität des Protoplasmas. Die Konjugation war hier ge- wissermaßen als notwendiges Attribut der leben- digen Substanz aufgezeigt: eine Behinderung der Konjugation müßte bei Protisten notwendigerweise zu einem Untergang des betreffenden Geschlechts führen. Mit dieser Auffassung müssen wir nach den Untersuchungen von Woodruff vollständig brechen. Woodruff hat im Laufe von über 7 Jahren eine Kultur von Paramäcien 4500 Gene- 420 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 27 rationell lang fortgesetzt unter völligem Ausschluß von Konjugation. Die Teilungsrate und das morphologische Aussehen der Tiere sind heute noch genau so wie zu Beginn des Züchtungs- versuches. Es ist damit der Nachweis er- bracht, daß die Konjugation zur Er- haltung der Kontinuität des Lebens im Reiche der Einzelligen nicht unbe- dingt nötig ist. ^) Das Verfahren von Woodruff bestand im folgenden. Ein aus dem Laboratoriumsaquarium herausgefischtes Paramaecium aurelia wurde in einem Tropfen Heuinfus oder Fleischbouillon in einem ausgehöhlten Objektträger isoliert. Die Nährlösung wurde von Tag zu Tag erneuert und die Tochterzellen, mit denen die Kultur fort- gesetzt werden sollte, jede für sich isoliert. Auf diese Weise war jede Möglichkeit einer Konju- gation ausgeschlossen. Jede neue Teilung wurde notiert, so daß Woodruff stets darüber orien- tiert war, zu welch einer Generation die Tochter- zellen in der Folge der Teilungen gehörten. In einer Reihe von sehr eingehenden Unter- suchungen hat Woodruff auch gezeigt , woran es gelegen haben mochte, daß die Versuche der früheren Untersucher anders ausgefallen sind als die seinigen. Woodruff hat nämlich gefunden, daß man das Ergebnis der Versuche ganz ver- ändern kann, wenn man die tägliche Erneuerung der Nährlösung unterläßt, wenn man die Ver- suchstiere mehrere Tage lang in ein und der- selben Nährlösung liegen läßt. Richtet man den Versuch in dieser Weise ein, so beginnt die Teilungsgeschwindigkeit der Paramäcien nach einiger Zeit zu sinken, und nach einer bestimmten Anzahl von Generationen sterben die Tiere, wenn die Möglichkeit einer Konjugation durch die Ver- suchsbedingungen ausgeschlossen bleibt. Dieser Versuch würde ungefähr demjenigen von M a u p a s , Calkins u. a. entsprechen. Woodruff hat auch nachweisen können, daß man die Teilungs- geschwindigkeit der Versuchstiere vermindern kann, wenn man die Menge der Nährlösung, in der die Versuchstiere sich aufhalten, geringer nimmt. Alle diese Versuche weisen auf die Mög- lichkeit hin, daß die lähmende Wirkung, die der Stoffwechsel der Paramäcien hier erfahren hat, auf Stotfwechselprodukte zurückzuführen sei, die sich in der Nährlösung anhäufen. Wir wissen aus vielfachen anderen Erfahrungen, daß die Stoff- wechsclprodukte lähmend auf den Stoffwechsel wirken: so die Stoffwcchselprodukte, die bei der Tätigkeit der Muskeln entstehen und die Arbeit dieser lähmen, ebenso die Stoffwcchselprodukte, die bei der Tätigkeit der Ganglienzellen ent- stehen. Alle Ermüdung faßt die Physiologie ') Hinweise auf die zahlreichen Arbeiten von Woodruff ündet man in dem Literaturverzeichnis der oben zitierten Ar- beil. Zusammenfassend hat Woodruff über seine Versuche bis 1912 berichtet in seiner Arbeit : A summary of the results of certain physiological studies on a pedigreed racc of para- maecium. Biochemical Bulletin, Vol. I, 1912. heute auf als die Folge einer lähmenden Wirkung \on StofTwechselprodukten. Woodruff hat später durch eine eigene Ver- suchsreihe mit aller Sicherheit zeigen können, daß das Absinken der Teilungsgeschwindigkeit und der schließliche Tod der Tiere bei ungenügender Sorgfalt im Wechsel der Nährlösung auf eine Wirkung von Stoffwechselprodukten zurück- zuführen sind. Er brachte Paramaecium aurelia in eine Nährlösung, in der Paramaecium caudatum gehalten worden war. Dabei sank die Teilungs- geschwindigkeit der Versuchstiere ab und die Tiere gingen zugrunde genau so wie in einer Nährlösung, in der vorher Paramaecium aurelia ge- halten worden war. Wurde aber Paramaecium aurelia in eine Nährlösung gebracht, in der vorher Pleurotrichd gehalten worden war, so verhielten sich die Versuchstiere genau so wie in einer frischen Nährlösung. Ebenso verhielt sich Pleuro- tricha in einer Nährlösung, in der Paramaecium aurelia gehalten worden war. ') Es sagen uns diese Versuche , daß die schädigende Wirkung einer Nährlösung, in der die Versuchstiere längere Zeit verweilen müssen, einzig und allein auf einer Wirkung von Stoffen beruhen kann, die die Tiere selber in ihrem Stoffwechsel produzieren. Wird für eine genügende Abfuhr der Stoffwechselpro- dukte gesorgt, erneuert man z. B. alle Tage die Nährlösung, so bleibt die Teilungsfähigkeit der Versuchstiere unendlich lange erhalten , wie der oben erwähnte Züchtungsversuch von Woodruff gezeigt hat: wie gesagt, Woodruff hat bisher 4500 Generationen ohne Konjugation erzielt. Calkins hatte gegen die Versuche von Woodruff folgenden Einwand erhoben. Cal- kins wies darauf hin, daß es wahrscheinlich ver- schieden geartete Stämme unter den Paramäcien gibt. Die einen seien auf Konjugation angewiesen, wie in seinen eigenen Versuchen, wo die Tiere nach 742 Generationen zugrunde gingen. Andere Paramäcienstämme wieder seien keine Konjugations- rassen und einen solchen Stamm habe wohl Woodruff für seine Versuche zufällig in die Hand bekommen. Es wiesen darum die V'ersuche von Woodruff gar nicht darauf hin, daß die Konjugation unter günstigen äußeren Umständen, wie Mangel von Stoffwechselprodukten in der Kulturflüssigkeit, ganz allgemein entbehrlich würde. Woodruff ist nun diesem Einwand von Cal- kins mit einer weiteren Reihe von Versuchen entgegengekommen. -) Eine Nährlösung wurde mit Paramäcien geimpft, die der 4012. Generation des Stammes von Woodru ff angehörten. Nach fünf Tagen hatte sich in der Nährlösung eine Reinkultur von Paramäcien entwickelt. Unter diesen Versuchsbedingungen kam es auch in einer ') Woodruff, The effect of excretion products of In- fusoria on the same and on different species, wilh special re- fcrence to the protozoau sequence in infusions. Jl. Exp. Zool. 14. ') Woodruff, So-called conjugating and non-conjugating races of paramaecium. Jl. of experim. Zool. Vol. 16, 1914. N. F. XIV. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 421 solchen Massenkultur nicht zu Konjugation. Nun wurden aber je einige Tropfen der Kulturflüssig- keit mit zahlreichen Paramäcien in ausgehöhlten Objektträgern in Beobachtung genommen, und schon am nächsten Tage fanden sich auf jedem Objektträger Tiere in Konjugation. Von den äußeren Kulturbedingungen hängt es also ab, ob die Paramäcien konjugieren oder nicht. Damit war bewiesen, daß das Ergebnis des großen Zucht- versuches von Woodruff nicht darauf beruhen konnte, daß er zufällig eine nichtkonjugierende Rasse erwischt hatte: waren die äußeren Be- dingungen günstig, so konjugierten die Tiere, in deren Stamm mehr als 4012 Generationen lang keine Konjugationen vorgekommen waren. i) IV. Betrachtet man die graphische Darstellung, die uns die Teilungsgeschwindigkeit von Paramäcium in den einzelnen Perioden des Versuches von Woodruff vor Augen führt (Abb. i), so sehen wir, daß die Teilungsgeschwindigkeit keinesfalls dauernd unverändert bleibt. Die Schwankungen Versuchsbedingungen bei dauernd unveränderter Temperatur im Wärmeschrank gezüchtet und da- bei feststellen können , daß die Schwankungen der Teilungsgeschwindigkeit dabei trotzdem vor- handen waren: die Schwankungen traten hier nicht minder deutlich in die Erscheinung als bei wech- selnden äußeren Versuchsbedingungen (Abb. 2). Es kommen also, wie diese Versuche zeigen, auch in einem Stamme, der über 4500 Genera- tionen lange fortgezüchtet werden konnte, peri- odisch auftretende Schwankungen der Teilungs- geschwindigkeit vor. Woodruff hat diese peri- odischen Schwankungen als Rhythmen bezeichnet. Wir müssen aber streng festhalten, daß der „Rhyth- mus" von Woodruff nicht mit dem „Lebenszyklus" von Calkins zu verwechseln ist. Der Rhythmus ist ein Zustand , der von der Zelle von innen heraus ohne Konjugation überwunden wird, wie in den Versuchen von Woodruff; der Lebenszyklus dagegen findet seinen Abschluß mit dem Tode des Tieres, wenn nicht eine Kon- jugation dazwischengetreten war. Hier knüpfen nun weitere Untersuchungen von Wood- Abb. I. Graphische Darstellung der Teilungsgesch win d igkeit der sieben Jahre fortgesetzten Kultur von Paramaecium aurelia (vom I. Mai 1907 bis i. Mai 1914, wo die 4394. Generation erreicht worden war). Die einzelnen Jahre sind durch die gestrichelten vertikalen Linien voneinander abgegrenzt. Die Zahlen oben zeigen die Zahl der Gener.ationen zum betreffenden Zeitpunkt an. Die Ordinaten repräsentieren die Teilungsgeschwindigkeit in 24 Stunden im Durchschnitt für die einzelnen Monate des Jahres. Die Zahlen stellen das Mittel aus vier Parallelversuchen dar. Die Schwan- kungen der Teilungsgeschwindigkeit sind hauptsächlich auf äußere Einflüsse (Kulturmedium, Temperatur) zurückzuführen und dürfen nicht mit den ,, Rhythmen" (siehe weiter unten) verwechselt werden. (Nach Woodruff.) liegen etwa zwischen 0,6 und 2,6 Teilungen in 24 Stunden, sind also ganz außerordentlich groß. Zunächst wird man daran denken müssen , daß äußere Bedingungen die Teilungsgeschwindigkeit zu beeinflussen vermögen — vor allem die Tem- peratur. Daß die Teilungsgeschwindigkeit bei Einzelligen von der Temperatur abhängig ist, wissen wir aus früheren Versuchen von Borow- sky, und außerdem haben Woodruff und Bai t seil in eigenen \'ersuchen den Einfluß der Temperatur auf die Teilungsgeschwindigkeit nach- weisen können. Zum Teil sind also die in der graphischen Darstellung zum Ausdruck gelangen- den Schwankungen der Teilungsgeschwindigkeit durch die Schwankungen der Außentemperatur bedingt. Schaltet man nun aber die Temperaturschwan- kungen aus, so bekommt man keinesfalls eine über lange Zeiten unveränderte Teilungsgeschwin- digkeit. Woodruff und Bai t seil haben Zweig- linien vom Hauptstamm unter ganz konstanten ^ATjj-^^j^ ') Die ausführliche Mitteilung über diese Versuche steht noch aus. Abb. 2. Graphische Darstellung der Teilungs- geschwindigkeit bei konstanter Temperatur. Die Ordinaten repräsentieren die Teilungsgeschwindigkeit in 24 Stunden im Durchschnitt von fünf Tagen. Bei x wurde jeweils Reorganisation des Kernapparates festgestellt (siehe weiter unten). (Aus Woodruffund Erdmann.) ruff und Erdmann an, über die sie eben be- richtet haben. Woodruff und Erdmann haben das Ver- halten des Kernapparates bei den Paramäcien des W 00 druf f'schen Stammes im Verlaufe der sich folgeiiden Generationen untersucht und sie haben dabei eine Reihe liöchst wichtiger Befunde erheben können. Sie verfuhren in der Weise, daß sie eine der Tochterzellen, sei es im Hauptstamm oder in 422 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 27 abgezweigten Nebenlinien, für die mikroskopische Untersuchung konservierten. Sie haben dabei feststellen können, daß mit den rhythmischen Schwankungen der Teilungsgeschwindigkeit ganz charakteristische Kernveränderungen einhergehen. Stellt man die rhythmische Schwankung der Teilungsgeschwindigkeit in Form einer Kurve schematisch dar (Abb. 3), so kann man zweck- mäßigerweise eine Phase des Abstieges (descending Phase) und eine Phase des Anstieges (ascending Abb. 3. Schematische Darstellung des Rhythmus (Nach Woodruff und Erdmann.) Phase) unterscheiden. Zwischen diesen beiden Phasen liegt der niedrigste Wert für die Teilungs- geschwindigkeit und hier finden die wichtigsten Veränderungen des Kernapparates statt — die Klimax des Rhythmus. Im großen ganzen läßt sich sagen, daß die Veränderungen des Kern- apparates in eine Reorganisation desselben aus- laufen und daß sie in vielfacher Beziehung den Erscheinungen am Kernapparat, wie man sie bei der Konjugation beobachtet, gleichen. Zunächst sieht man eine Zerklüftung des IVIakronukleus der Protistcnzelle eintreten: aus dem Makronukleus treten Chromatinkörper aus und erfüllen schließ- lich regellos den ganzen Protoplasmaleib (Abb. 4). Wenn die Zerklüfttuig des Makronukleus ziemlich zu Abb. 4. Kernveränderungen im Rhythmus. Vom alten Makronukleus ist nur noch die Membran zu sehen. Im Protoplasma zahlreiche Chromatinkörper, die aus dem Makronukleus ausgetreten sind. Man sieht acht Mikronuklei im Protoplasma. (Nach Woodruff und Er d mann.) Ende gegangen ist, beginnen wichtige Verände- rungen am Mikronukleus. Die Mikronuklei teilen sich mehrmals , bis schließlich aus den normalen zwei Mikronuklei acht entstanden sind. Damit ist die absteigende Phase beendet. Die nun fol- gende Klimax ist gekennzeichnet durch die Bil- dung der neuen Makronukleusanlagen. Die Mikro- nuklei' haben eine Degeneration erfahren und von den acht sind nur zwei oder nur sogar ein Mikro- nukleus zurückgeblieben. Der übrigbleibende Mikronukleus teilt sich zweimal und aus zwei der jetzt vorhandenen vier Mikronuklei entstehen nun- mehr zwei Makronukleusanlagen. Jetzt beginnt die dritte und längste Phase, die Phase des An- stieges. Sie erstreckt sich vom Momente der Bil- dung der Makronukleusanlagen bis zur Wieder- herstellung des typischen Bildes des Kernapparates von Paramäcium. Durch eine auf die Klimax ge- folgte Teilung sind die zwei Makronukleusanlagen auf zwei Zellen verteilt worden. Die Tochter- zellen erhalten auch je zwei Mikronuklei, da diese vorher in der Mutterzelle wiederum eine Teilung erfahren hatten. Sehr interessant gestaltet sich das Bild, wie es Woodruff und Erd man n mit Bezug auf das Verschwinden der Chromatinkörper, der Reste des alten Makronukleus, festgestellt haben. Ein Beispiel soll uns diese Verliältnisse klarlegen. Die Reorganisation des Kernapparates hatte in einem Falle in der 4182. Generation be- gonnen und es waren vorhanden in der 4183. Generation 19 Chromatinkörper 4185. „ Tier a 6 „ 4185. „ Tier b 5 „ 41 S7. „ 3 4192. „ I Es ist also die Zahl der Chromatinkörper in der Phase des Anstieges im Laufe von 9 Generationen von 19 auf I, resp. auf O gesunken. Das Mittel zur Entfernung der übrigbleibenden Reste des Makronukleus ist hier einfach die Teilung der Zelle. Wie außerordentlich stark die Teilungsgeschwin- digkeit in den einzelnen Phasen des Rhythmus wechselt, zeigen uns die folgenden .Angaben von Woodruff und Erdmann: in der 41 82-/4 183. Generation, die der Klimax des Rhythmus ent- sprach, dauerte die Teilung 36 Stunden, in der Phase des Anstieges dagegen, die den Generationen 4189 bis 4192 entsprach, kamen in 24 Stunden 3 Teilungen vor. In einem anderen P^all beobach- teten Woodruff und Erdmann sogar 4 Tei- lungen in 24 Stunden. Die Reorganisation des Kernapparates nimmt insgesamt etwa 10 Generationen in Anspruch. Abb. 5 zeigt uns die dabei stattfindende allmäh- liche Reduktion der Zahl der Chromatinkörper in den Zellen in einer Schwesterlinie der oben be- sprochenen. Manchmal kommt es auch zu einer Auflösung der Chromatinkörper im Protoplasma (Abb. 6). Die Reorganisation des Kernapparates findet alle 40 bis 50 Generationen statt. •Von großem Interesse ist es, daß sich aus den N. F. XIV. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 423 Zahlen für die Teilungsgeschwindigkeit von Stylo- nychia, über die Popoff früher berichtet hatte, dieselben Verhältnisse herauslesen lassen , wie sie Woodruff und Er d mann für Paramaecium Konjugation sich abspielenden Kernveränderungen sehr ähnlich. Die Fäden der Konjugation lassen sich somit schon bis in die einzelne Zelle ver- folgen, die Konjugation erscheint uns als aus dem Abb. 5. Kernveränderungen im Rhythmus. Bezeichnungen: Punkt im Kreise = Mikronukleus, Ovale mit Punkten = Chromatinkörper, Kreuzchen im Kreise = Makronukleusanlage. Weitere Erklärung im Text. (Nach Woodruff und Erdmann.) festgestellt haben. Die beifolgende Kurve (Abb. 7) zeigt uns das Verhalten der Teilungsgeschwindig- keit in dem Kulturversuch von Popoff. In den Perioden 4, 10, 13, 16, wo die Teilungsgeschwin- digkeit herabgesetzt ist, beobachtete Popoff ebenfalls Kernveränderungen in den Zellen. Fassen wir das Ergebnis der Untersuchungen von Woodruff und Erdmann zusammen, so läßt sich sagen, daß dieProtistenzelle peri- odische Schwankungen ihrer Teilungs- geschwindigkeit erfährt und daß diese rhythmischen Schwankungen morpho- logisch gekennzeichnet sind durch Kernveränderungen, die mit denjen igen, wie sie bei der Konj u gat ion beobachtet werden, Ähnlichkeit aufweisen. Ebenso wie bei der Konjugation findet bei der von Woodruff und Er d mann beschriebenen Re- organisation des Kernapparates eine Zerklüftung des Makronukleus und eine Eliminierung der Bruch- stücke desselben aus der Zelle statt, wenn auch in anderer Weise als bei der Konjugation. Ebenso wie bei der Konjugation findet auch hier ein Er- satz des Makronukleus durch den Mikronukleus statt. Was die Reorganisation von der Konju- gation unterscheidet, das ist das Fehlen einer Kernverschmelzung, was ja selbstverständlich ist, da es sich hier um einen Vorgang handelt, wo jede Zelle für sich ist, während bei der Konju- gation zwei Zellen in ein gemeinsames Spiel eintreten. V. Die Befunde von Woodruff und Er d mann gestatten uns, die Konjugation von einem ganz neuen Gesichtspunkt zu betrachten. Die neuen Befunde zeigen uns, daß die Konjugation ihr Analogon schon hat in Vorgängen, die sich in der einzelnen Zelle abspielen: die rhythmische Reorganisation des Kernapparates ist den bei der Abb. 6. Kernveränderungen im Rhythmus. Man sieht den neuen Makronukleus, zwei Milironuklei und vier Chromatinkörper. Die übrigen Chromatinkörper bilden Nebelstreifen im Protoplasma, sie belinden sich augenschein- lich in Auflösung. (Nach Woodruffund Er d mann.) 424 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 27 20 05 Leben der einzelnen Zelle herausgewachsen. Die Konjugation stellt nur einen weiter e,n und komplizierteren Ausbau einer Ein- richtung dar, über die schon die ein- zelne Zelle verfügt. Wenn nun die rhyth- mische Reorganisation des Kernapparates und die Konjugation im Leben der Protistenzelle ein und die- 15 selbe .Aufgabe erfüllen und wenn andererseits die ^^ Konjugation sich als ein Mittel erwiesen hat, mit dessen Hilfe die Protisten- zelle die Schäden über- windet, die sie durch äußere Lebensbedingun- gen, durch eine Über- ladung der Kulturflüssig- keit mit Stoffwechsel- produkten erfahen hat, so wird es wahrschein- lich, daß auch die rhythmische Reorganisation des Kernapparates in Zusammenhang steht mit einer rhythmischen Schwankung im Stoffwechsel der Protistenzelle, die ebenso wie bei der Konjugation auf eine Wirkung von Stoftwechselprodukten, von Stoffen, die die Protistenzelle selber produziert, zurückzuführen wäre. Daß dieser Schluß völlig berechtigt ist, hat Woodruff durch Versuche nachweisen können. So konnte er den Eintritt der Reorganisation, die, wie erwähnt, alle 40 bis 50 Generationen aufzutreten pflegt, um einige Tage beschleunigen, indem er die Erneuerung der Kulturflüssigkeit nicht mehr täglich vornahm. So ergibt sich, daß die rhythmische Reorgani- sation des Kernapparates in der einzelnen Zelle und die Konjugation, die morphologisch ein- ander so ähnlich sind, sich auch funktionell nur quantitativ \oneinander unterscheiden. Beide sind Mittel, um die durch eine Wirkung von Stoff- wechselprodukten hervorgerufene Herabsetzung der ,, vitalen" Intensität zu überwinden. Unter günstigen äußeren Umständen, d. h. wenn es nicht zu einer An- häufung von Stoffwechselprodukten in dem Außen- medium kommt, ist die Zelle imstande, den Wirkungen der Stoffwechselprodukte durch eine Reorganisation ihres Kernapparates von innen heraus, durch eine E n d o m i x i s , wie Woodruff und Erdmann sich ausgedrückt haben, zu be- gegnen. Unter ungünstigen äußeren Umständen, d. h. wenn eine Anhäufung von Stoftwechselpro- dukten im Außenmedium und damit eine Über- ladung der Zelle mit StDftwechsel])rodukten statt- findet, kaiui nur eine Konjugation der Zelle zu einer Reorganisation ihres Kernapparates verhelfen. Wie sie sich im einzelnen auch unterscheiden mögen, Endomixis und Konjugation ,,s[Melen im Haushalt der Protistenzelle im wesentlichen doch ein und dieselbe Rolle". Im Zusammenhang mit den obigen Betrach- tungen erscheint es kaum gewagt, die Verminde- rung der Zahl der Chromatinkörper oder der Bruchstücke des alten Makronukleus, wie sie durch die sich folgenden Teilungen in der Protistenzelle eintritt, als eir.e Verminderung oder gewisser- maßen Eliminierung von Stoffwechselprodukten 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 H 15 16 17 18 IS Abb. 7. Teilungsgeschwindigkeit von Stylonychia. Nach den Zahlen von Pop off. Durchschnittswerte für Perioden von fünf Tagen. (Nach Gregory, Aus Woodruff und Erdmann.) ZU deuten. Man kann dann mit V. Hensen') den Kern oder den Makronukleus als ein Adsorp- tionszentrum für Stoffwechselprodukte auffassen, und die Endomixis oder die Konjugation in ganz einheitlicher Weise als einen Vorgang deuten, der dahin führt, daß die Zelle von Sto ffwechsel prod uk t en befreit wird. VL Unsere früheren Betrachtungen hatten uns da- hin geführt, die Konjugation bei den Einzelligen in Parallele zu setzen zu der Befruchtung. Von den neuen Gesichtspunkten aus, die sich im An- schluß an die Befunde von Woodruff und Er d mann mit Bezug auf die Konjugation ergeben haben, muß nunmehr auch die Befruchtung ge- wertet werden. Alles deutet darauf hin, daß die Befruchtung ein Mittel ist, durch das im vielzelligen Organis- mus dieselben Schäden überwunden werden, welche die Protistenzelle durch die Konjugation über- windet. Die Zellen des vielzelligen Organismus haben eine begrenzte Teilungsfähigkeit. Manche von ihnen , namentlich die hochdifferenzierten Zellen des zentralen Nervensystems, teilen sich nach der Geburt nicht mehr. Die Begrenzung der Tei- lungsfähigkeit ist hier Voraussetzung für ihre Funktion, für ihre Differenzierung. Auch die Teilungsfähigkeit der Muskelzellen, namentlich der Ilerzmuskelzcllen, und der Drüsenzellen ist be- grenzt. Damit ist es ausgeschldssen, daß sie sich etwa durch Endomixis oder Konjugation ihrer Stoffwechselprodukte in der vollkommenen Weise entledigen, wie das bei der Protistenzelle möglich ') V. Hensen, Tod, Zeugung und Vererbung unter be- sonderer Berücksichtigung der Meeresbewohner. Kiel und Leipzig, 19 13. (Auch in ,, Wissenschaftliche Mecresuntersuchungcn", Neue Folge, 16. Bd. Abtig. Kiel.) N. F. XIV. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 425 ist. Denn sowohl Endomixis als Konjugation haben zur Voraussetzung, daß in der Phase des Anstiegs eine Reihe von Zellteilungen folgt. „Ver- jüngung" durch Endomixis oder Konjugation ist also im Rahmen des vielzelligen Organismus ausge- schlossen. ') In den Zellen des vielzelligen Organis- mus findet man ganz im Sinne all dieser Beziehungen eine allmähliche Anhäufung von Pigmentstoften, die von den Forschern als Stoffwechselprodukte gedeutet werden. Man sieht diese PigmentstofTe sich ganz allmählich, namentlich in den Ganglien- zellen, anhäufen. Und ebenso wie die Protisten- zelle unter dem Einfluß ihrer Stoffvvechselprodukte schließlich zugrunde geht , wenn nicht eine „ver- jüngende" Konjugation dazwischenkommt, so gehen auch die Zellen des vielzelligen Organismus nach einer kürzeren oder längeren „Lebensdauer" an „Altersschwäche" zugrunde.^) Das gilt aber nur für die Körperzellen, nicht für die Geschlechtszellen, die an einer Befruchtung beteiligt gewesen sind. Diejenigen Eizellen oder Samenzellen , die eine Vereinigung miteinander eingegangen sind , werden zu einer fortgesetzten Reihe von Teilungen angeregt, sie begründen einen neuen Zellverband und sie können den Tod der ') Vgl. hierzu Richard Hertwig, Über Partheno- genesis der Infusorien und die Depressionszustände der Proto- zoen. Biolog. Centralblatt, Bd. XXXIV, 1914. ■^) Vgl. hierzu Alex. Lipschütz, Allgemeine Physio- logie des Todes. Braunschweig 1915 (erscheint demnächst). Körperzellen überleben, mit denen sie früher in einem Zellverbande zusammen waren. Die Keim- zellen des neuen Zellverbandes können wiederum die Körperzellen überleben usf. Die Keimzellen, die kopulieren konnten, erhalten somit die Konti- nuität des vielzelligen Organismus. Genau so wie in einer Kultur von Paramäcien diejenigen Exem- plare, die eine Konjugation eingegangen waren, den Stamm fortsetzen, seine Kontinuität erhalten. Die Befruchtung läßt sich physio- logisch genau so auffassen wie die Konjugation: es werden die Wirkungen einer Überladung mit Stoffwechsel- produkten ausgeschaltet, die konjugieren- den oder kopulierenden Zellen werden „verjüngt", zu einer langen Reihe aufeinanderfolgender Teilun- gen angeregt. In dem ersten Fall resultiert eine lange Reihe von Generationen freilebender Pro- tistenzellen , im zweiten Falle eine lange Reihe von Generationen von Zellen, die in einem Zell- verbande beisammenleben. Gewiß, es können die Beziehungen zwischen Endomixis, Konjugation und Befruchtung in vielen Einzelheiten wohl anders geartet sein, als wie sie hier diskutiert worden sind. Aber soviel ist sicher, daß aller Ursprung des Geschlechts zurückführt auf Vorgänge, die schon in der einzelnen Zelle vorkommen, auf die Endomixis, wie sie von Woodruff und Erdmann erkannt worden ist. Einzelberichte. Physiologie. Zur Biochemie des Muskels. Einen überaus wertvollen Beitrag zur Physiologie des Muskels haben J. Parnas und Richard Wag- ner '), vom physiologisch-chemischen Institut zu Straßburg, geliefert. Sie sind einer Frage nach- gegangen, die auch schon früher sehr viel disku- tiert wurde: der Frage über die Beziehungen zwischen den Kohlehydraten im Muskel und der Milchsäure, die im JVluskel gebildet wird, wenn er bei relativem Sauerstoffmangel angestrengt arbeitet. Man kennt ganz allgemein die Tatsache, daß bei der Muskelarbeit Kohlehydrate verbraucht werden. Und da war sofort der Gedanke einge- geben, daß die Milchsäure, die bei relativem Sauerstoffmangel — wie er z. B. vorhanden ist, wenn der Versuch an einem aus dem Körper herausgeschnittenen Muskel ausgeführt wird — sich im Muskel anhäuft und die wir bei der Gärung aus Zucker (z. B. in der sauren Milch) entstehen sehen, auch im Muskel ein Abbaupro- dukt der Kohlehydrate, speziell des Zuckers, dar- ') J. Parnas und Richard Wagner, Über den Kohlenhydratumsatz isolierter Amphibienmuskeln und über die Beziehungen zwischen Kohlenhydratschwund und Milch- säurebildung im Muskel. Biochemische Zeitschrift, Band 61, 1914. stellt. Unter normalen Bedingungen im Körper, wo mit der vermehrten Muskelarbeit auch der Blutzufluß zum Muskel gesteigert ist, würde die aus dem Zucker entstehende Milchsäure dagegen schnell bis zu Kohlensäure und Wasser oxydiert, so daß es hier nicht zu einer Anhäufung von Milchsäure im Muskel kommen könne. In jüngster Zeit hat man auch auf die chemischen Beziehungen hingewiesen, die zwischen manchen Aminosäuren und Milchsäuren vorhanden sind. Da wir heute wissen, daß die Aminosäuren als die chemischen Bausteine der Eiweißstoffe auch im Zellstoffwechsel eine große Rolle spielen, wäre die Möglichkeit nicht abzuweisen, daß die Milch- säure, die im Muskel bei relativem Sauerstoff- mangel entsteht, sich z. T. von den Aminosäuren herleitet. In diesen ganzen Komplex von PVagen haben nun die Untersuchungen von Parnas und Wag- ner eingegriffen. Die Untersuchungen sind mit außerordentlicher Exaktheit in der Methode aus- geführt und mit großer Kritik für den weiteren Ausbau unserer Vorstellungen über die Biochemie der Muskelarbeit verwertet worden. Die Unter- suchungen von Parnas und Wagner knüpfen an eine Arbeit von Fletcher und Hopkins aus dem Jahre 1906 an, in der diese Autoren 426 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 37 den Verlauf der Milchsäurebildung im heraus- geschnittenen Muskel unter verschiedenen Be- dingungen quantitativ verfolgt haben. Parnas und Wagner haben nun unter Hinhaltung genau derselben Versuchsbedingungen den Kohlehydrat- schwund im Muskel verfolgt, so daß sie die Möglichkeit hatten, Kohlehydratschwund und Milchsäurebildung quantitativ gegenüberzustellen. Aus der Zahl der ausgeführten Versuchsreihen von Parnas und Wagner seien nur die folgenden hier besprochen. Die aus dem Froschkörper herausgeschnittenen Schenkelmuskeln der einen Körperhälfte wurden vor der chemischen Unter- suchung in einer Stickstoffatmosphäre mit Induk- tionsströmen gereitzt, während die Schenkelmus- keln der anderen Körperhälfte sofort zur che- mischen Untersuchung verarbeitet wurden. In beiden Körperhälfien wurde der Gehalt an Kohle- hydraten ermittelt. Wie zu erwarten, war der Kohlehydratgehalt in den Muskeln der gereizten Seite geringer als in den Muskeln der nicht ge- reitzten Körperhälfte, der Kohlenhydratgehalt hatte also in den gereizten Muskeln abgenommen. Im Mittel der Versuche von Parnas und Wag- ner hat sich ergeben, daß bei der Reizung der Muskeln bis zur Ermüdung ziemlich genau so viel Kohlehydrat geschwunden war, als sich in dem unter gleichen Bedin- gungen ausgeführten Versuch von Flet- cher und Hopkins Milchsäure gebildet hatte. Derjenige Teil der kleinen hier reprodu- zierten Kurve, der der ersten Stunde (o — i) ent- Kohlehydratschwund (K) und Milchsäurezuwachs (M) während der Reizung in einer Sticltstoffatmosphäre (A — N») und das Verhalten von Kohlehydraten und Milchsäure während der Erholung in Sauerstoff (B — O.,). spricht, bringt den vollkommenen Parallelismus zwischen Kohlehydratschwund und Milchsäure- bildung bei der Muskelarbeit zum Ausdruck. P'letcher und Hopkins fanden bei dauernder Reizung in einer Stickstoffatmosphäre eine Milch- säurebildung entsprechend 0,18 "/(, des Gewichtes der verarbeiteten Muskeln, Parnas und Wagner bei denselben Versuchsbedingungen einen Kohle- hydratschwund von im Mittel 0,17 "/„ des Gewichtes der verarbeiteten Muskeln. Der zweite Teil der Kurve (die folgenden Stunden) versetzt uns eigentlich so recht in die Verhältnisse, wie wir sie uns im normalen Muskel, im intakten Körper, denken müssen. Dieser Teil der Kurve entspricht Versuchen, in denen die ermüdeten Muskeln sich bei reichlicher Sauerstoffzufuhr erholen konnten. Bei reichlicher Sauerstoffzufuhr nimmt- die Menge der Milch- säure im Muskel, der in einer Stickstoftatmosphäre durch Reizung ermüdet worden war, ab: die ge- bildete Milchsäure wird oxydiert. Parnas und Wagner haben nun das Verhalten der Kohle- hydrate im Muskel, der nach der Ermüdung in einer Stickstoffatmosphäre nachträglich sich in einer Sauerstoffatmosphäre erholen konnte, verfolgt und sie haben, wie zu erwarten war, gefunden, daß die Kohlenhydratmenge jetzt unverändert bleibt. So kommt das hier wiedergegebene Kurvenbild zustande: ein Kohlehydratschwund im arbeitenden Muskel und, wenn Sauerstoffmangel herrscht, eine ihm quantitativ entsprechende Milch- säurebildung (erster Teil der Kurve); soweit aber Sauerstoff vorhanden, schwindet die Milchsäure, während der Kohlehydratgehalt im Muskel, der keine Arbeit leistet, unverändert bleibt. Die Versuche von Parnas und Wagner haben nach alledem den si cheren Nach - weis erbracht, daß die Milchsäure — jedenfalls zum größten Teil — sich von den Kohlehydraten im Muskel herleitet. Parnas und Wagner sind auf Grund einiger anderer Versuchsreihen, die, hier nicht besprochen werden können, jedoch zur Überzeugung gelangt, daß Milchsäure nicht unmittelbar aus den Kohlehydraten gebildet wird , sondern auf dem Wege einer chemischen Zwischenstufe, eines Stoffes, der schon kein Kohleh_\drat ist. Auf diese Dinge , die noch ihrer weiteren experimentellen Bearbeitung harren , kann hier nicht eingegangen werden. Lipschütz. Zoologie. Über das biogenetische Grund- gesetz im Leben der Insektenstaaten bringt G. V. Natzmer im biologischen Zentralblatt 1915 (Bd. 35) einige Mitteilungen. Er überträgt dieses Gesetz auf die Insektenstaaten. Da die Phylogenien, die bisher an Hand der auf verschiedenen Ent- wicklungsstufen stehenden Staatengebilde aufge- stellt wurden, in ihren Einzelheiten mehr oder weniger Hypothese bleiben, erbringt er durch die Anwendung der deduktiven Methode den wissen- schaftlichen Beweis, soweit dies innerhalb einer kurzen Abhandlung möglich ist. Das soziale Leben der Insekten nimmt nach der Ansicht aller Forscher seinen Ausgang vom solitären Leben primitiver Formen. Bei der Gründung der Kolonie gleicht die Lebensweise der Hummelweibchen und der sozialen Wcspen- weibclien in allem völlig derjenigen der solitären Arten. Auch die Anlage des Nestes bei den Hummeln stimmt mit den Verhältnissen bei Soli- tären überein. Ganz ähnlich entwickelt sich das .Staatenleben der Ameisen, indem die Weibchen anfangs als solitäre Insekten leben, ebenso wie das Nest denkbar einfach angelegt wird. Über- haupt kann man in der Entwicklung eines ein- N. F. XIV. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 427 zelnen Ameisen- sowie auch Termitenstaates in dieser Hinsicht noch deuthch die verschiedenen Stufen der Phylogenie erkennen. Stimmen diese Tatsachen schon mit den An- schauungen des biogenetischen Grundgesetzes überein, so läßt sich auch bei den Insektenstaaten der Satz aufstellen, daß die Wiederholung ver- gangener Entwicklungsphasen einerseits desto ge- nauer ist, je mehr sich dieselben dem gegen- wärtigen Zustand nähern, während es anderer- seits desto abgekürzter ist, je weiter sie im phylo- genetischen Stammbaum zurückliegen. Als Beweis dafür zieht der Verfasser die Be- obachtung heran, daß das Ameisenweibchen den einmal aufgesuchten Schlupfwinkel nie wieder ver- läßt, sondern von den in seinem Körper aufge- speicherten Fettmassen zehrt, sowie den größten Teil seiner eigenen Brut für sich selbst, und für die Brut verwendet. Ähnliche Instinktände- rungen hat er bei Ameisenweibchen beobachtet, von denen mit Ausnahme von Leptothorax viele sich nicht im geringsten mehr um ihre Brut be- kümmern, wenn erst ganz wenige Arbeiterinnen erschienen sind. Gänzlich verändert ist naturgemäß die Kolonie- gründung bei dulotischen und parasitischen Ameisen. Dies gilt auch für den Bienenstaat, der durch Spaltung eines Volkes in je zwei Teile mit je einer Königin an der Spitze entsteht. Dieses Schwärmen, das H. v. B u 1 1 e 1 - R e e p e n nach seinen Beobachtungen an exotischen Bienen als Wandertrieb deutet, scheint die Gewohnheit zur Folge gehabt zu haben, daß bei zu großer Bevölkerungszahl, wenn Nahrung und Raum knapp wurden, ein Teil des Volkes mit einem Weibchen abzog. Darnach wird also der Bienenstaat über- haupt nicht mehr neu gegründet, sondern beginnt auf einer hohen Entwicklungsstufe. Wenn wir daher die Insektenstaaten als Organismen höherer Ordnung betrachten, so liegt bei der verschiedenen Art der Koloniegründung der Vergleich mit der geschlechtlichen und ungeschlechtlichen Ver- mehrung bei Schwämmen und Polypen nahe. Im Gegensatz zum Bienenstaat gibt die Onto- genie des Termitenstaates wertvolle Aufschlüsse. Hier beginnen außer den Weibchen (in Gemein- schaft mit ihnen) auch die Männchen mit der Koloniegründung, und dem Männchen fällt anfangs ein Hauptteil an der Brutpflege zu. Auch die Arbeiter und Soldaten setzen sich aus Angehörigen beiderlei Geschlechts zusammen. Da nun die Entwicklung jedes Staates die ganze Phylogenie noch einmal kurz durchläuft, so erfährt diese bis- her allein durch theoretische Erwägungen ge- stützte Annahme durch die Einzelheiten aus der Koloniegründung bei den Termiten eine schlagende Bestätigung. Dr. F. Stellwaag. Zum Farbensinn der Bienen liefert Kran ich - feld im Biologischen Zentralblatt, Bd. 35, einen sehr beachtenswerten Beitrag. Gegenüber dem chemischen und physikalischen Experiment haftet dem biologischen der Fehler an, daß es die betreffende Teilerscheinung nie vollkommen iso- lieren kann. Die Beobachtung unter natürlichen Bedingungen dagegen hat den Vorteil , daß das Verhältnis der Einzelfaktoren zueinander geklärt wird, so daß die Bedeutung eines einzigen Faktors für das zusammengesetzte Erscheinungsgebiet deut- licher hervortritt und daraus Rückschlüsse auf die Beschaffenheit des Isolationsgebietes gezogen wer- den können. Zur Klärung des Farbensinnes der Bienen verzichtet daher der Verfasser im Gegen- satz zu den neueren Forschern auf das Experiment und bevorzugt die Beobachtung im Freien. In bestimmten Gegenden der Schweiz wird die Kohldistel, Cirsium oleraceum, besonders gern von Bienen beflogen. Der Verfasser stellte seine Beobachtungen in den Mittagsstunden an und suchte Klarheit über folgende zwei Fragen zu erhalten: 1. Macht sich bei der Wahl der zuerst be- flogenen Blüten eine Vorliebe für bestimmte Farben geltend ? 2. Dient bei der sog. Konstanz, d. h. der während eines Ausfluges beobachteten Beständigkeit hin- sichtlich der einmal gewählten Blüte die Farbe derselben als Erkennungszeichen ? Die 18 angestellten Beobachtungen ergaben bezüglich des ersten Punktes ein eindeutig nega- tives Resultat. Wenn sich auch bei den Bienen bei der experimentellen Untersuchung eine Vor- liebe für eine bestimmte Farbe (Blau, Violett) überhaupt herausstellen sollte (H.Müller), so trat sie doch jedenfalls bei der Wahl der Blüten nicht hervor. Die Konstanz ist auch nach den Beobach- tungen Kranichfeld 's relativ hoch und stärker als bei den Hummeln ausgebildet. Aber auch bei diesen erreicht sie immerhin einen ziemlich hohen Grad. Welches Erkennungszeichen beim Aufsuchen der gleichen Blüten die Bienen und Hummeln leitet, würde man schwer feststellen können, wenn die Konstanz eine absolute wäre. Dies ist sie aber nicht, auch nicht bei den Bienen. Mehrere Beobachtungen ergaben die Tatsache, daß Hummeln sowohl wie Bienen von Blüten einer bestimmten Farbe andere Blüten der gleichen Farbe befliegen. Sie flogen von roten bzw. gelben Blüten einer Art auf rote bzw. gelbe Blüten einer anderen Art. Dies dürfte ein Beweis dafür sein, daß sich Bienen und Hummeln durch die Farbe täuschen lassen. Besonders interessant ist die Beobachtung, daß eine Hummel verschiedene Male an Gymnandenia conopsea heranflog. Da diese Pflanze einen so intensiven Geruch hat, daß man auch einen einzelnen Stengel nicht im Zimmer behalten kann, muß man annehmen, daß die Hummeln sich entweder vom Geruch nicht leiten lassen, oder daß ihr Geruchsinn nur auf Nektar eingerichtet ist, und andere Gerüche nicht perzipiert. Die Beobachtungen stimmen mit denen von K. V. Frisch überein, wenn man annimmt, daß 428 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 27 die Konstanz der Bienen mehrere Tage anhält, und die h'arbe auch dort als Erkennungszeichen dient. Dr. F. Stellwaag. Geographie. In einem Vortrage auf dem XIX. Deutschen Geographentage in StratSburg 1914, der jetzt in den „Verhandlungen des Geographentages" im Druck erschienen ist, be- richtet FranzTh orb ecke über seine Geographi- schen Arbeiten in Tikar und Wüte auf einer Forschungsreise in Mittelkamerun (191 1 — 1913). Es ist die Forschungsreise der Deutschen Kolonial- gesellschaft , über deren anthropogeographische Ergebnisse im Anschluß an LeoWaibel's Dar- stellung bereits berichtet worden ist. ^) Das Ost-Mbamland, genannt nach dem dem Sanaga von N her unterhalb der Nachtigal- schnellen zufließenden Nebenfluß, wird von flach welligen Ebenen eingenommen, die von Savannen mit Einzelbäumen und Flußwäldern bestanden werden. Im S schließt sich die Wute-Ebene an den Sanaga an ; die N d o m m e • H o c h f 1 ä c h e im N, durch den Steilrand der Ndomme begrenzt, bildet das zweite Stockwerk der Landschaft. Ostlich des Mbam finden sich nirgends mehr Decken des vulkanischen Gesteines. Gneise, Granite und Syenite bilden die Oberfläche, auf der keine Sedimente älterer oder jüngerer Zeit lagern. Ob dem vereinzelten Vorkommen von Diabas und Quarzporphyr auf einer Linie, die dem Laufe des Mbam ungefähr parallel vom Njua zum Njambi-Gebirge verläuft, tektonische Bedeutung zukommt, bleibt noch dahingestellt. Die gewaltigen Lateritdecken verdanken lediglich der Verwitterung des kristallinen Materials ihre Entstehung. Der in Nord-Tikar in der Niederung des Kim und Mbam aufsteigende Njua ist ein gewaltiger Gebirgsklotz, ein typischer Inselberg, der im N von einem Kranz kleiner Inselberge umgeben wird. Seine Oberfläche ist flachwellig, mit Gras in Büscheln oder Bulten bedeckt. Die wenigen Gewässer sind versumpft. An den mächtigen Felswänden ist deutlich eine schalige Verwitte- rung zu beobachten, eine Folge der schroffen täglichen Temperaturschwankungen. Schalen von Meterdicke sind mit glatten und scharfen Rändern abgesprungen. .Ahnliche Oberflächenformen zeigt das Njanti- Gebirge im SW, dessen Hänge dicht bewaldet sind, dessen aufgesetzte Gipfel aber kahl sind. In den Granit hat der Regen tiefe Rillen genagt, so daß die Wand in zahllose Säulen aufgelöst erscheint. Die ungefähr drei- eckige Hochfläche, die im Jandjom mit 1500 m gipfelt, hat einer ganzen Reihe versprengter Volks- stämme als Rückzugsgebiet gedient ; es sind hier von der Expedition echte Pygmäen, mitten im Grashochlande von Kamerun, gefunden worden. Die Jandjom - Zwerge erreichen 140,5 — 151 cm Größe; sie haben früher in Hiihlcn gewohnt und Naturw. Wochensclir. 1kl. 13, 1914, S. 554. sich von den Früchten und Wurzeln des Waldes sowie der Ölpalme genährt; Bogen und Pfeil bilden ihre Waffen, der Speer ist ihnen unbe- kannt. Heute sind sie Ackerbauer geworden. In 2 — 8 km Entfernung vom Ndommerande liegen einzeln oder in Gruppen eine Reihe von Einzelbergen, am zahlreichsten im Osten. Aber auch im Gebiet des Ndjim, des einzigen größeren Flusses, der diesen Steilrand durchbricht, fehlen sie nicht gänzlich. Der F u i an der Straße von Joko nach Jaunde wurde eingehender untersucht. Er wird ebenso wie die anderen Inselberge an seinem Fuße von einem schwer überschreitbaren Sumpfe umgeben; das nackte Gestein — Granit — ist nur auf dem Gipfel von spärlichem Gras und einzelnem niederen Gebüsch bedeckt; schmale Wasserfurchen sind in die Wände eingegraben. Das Gestein war schuppenartig abgesprungen in Schalen, die 10 — 50 cm dick waren. Dieses Ab- springen geschah von unten nach oben; die ent- stehenden scharfen Vorsprünge werden vom Regenwasser allmählich gerundet. In die Gipfel- kuppen sind flache pfannenartige Verliefungen eingesenkt, die sich durch das Ausplatzen dünner Schalen in der Trockenzeit bilden und die in der folgenden Regenzeit ausgewaschen werden. Der Ndomme-Rand bildet eine riesige Fels- mauer gegen die Wute-Ebene; er erreicht 1300 m Höhe im Mundso, während die Wute-Ebene im Durchschnitt 600 m Höhe aufweist. Sie senkt sich gegen den Gebirgsfuß deutlich und hat hier in sumpfigen hellen Grasflächen ihre tiefste Lage. Die Wände zeigen an allen Gebirgstypen die- selben Formen ; sie sind das Ergebnis der Wirkung der großen Temperaturunterschiede, der hohen Strahlungstemperatur der Trockenzeit, sowie der ungeheuren Wassermassen der fast 9 Monate dauernden Regenzeit. Das zersetzte Material wird rasch hinweggeführt und bildet einen feinen gelblichweißen Sand in der Wute-Ebene. Die Hochfläche des Gebirges erscheint wie ein Abbild der Wute-Ebene, in der sich die dunklen Fluß- wälder wie Schlangenlinien im Gelände ab- zeichnen. Mit steilen Wänden sind die Quell- köpfe der einzelnen Wasserfäden in den Ver- witterungsboden eingesenkt; sie schneiden sich rasch rückwärts ein und bringen so ein fort- währendes gegenseitiges Anzapfen zustande. Der große Wasserreichtum wird bedingt durch die starken Regengüsse in der feuchten Jahreszeit. In der Trockenzeit, die sich ja durch die großen täglichen Temperaturschwankungen auszeichnet, herrschen fast wüstenähnliche Zustände. Es bestehen infolge des Klimas ausgedehnte Wal- dungen, die nicht nur lediglich als Fluß- wälder angeschen werden können; sie bedecken im Gebiet des Mbam und des Kim das ganze westliche Tikar. Auch die Savanne bietet größeren Bäumen die Möglichkeit des Wachstums. Das Volk der Tikar des nordwestlichen Ost- Mbamlandes mit mesocephalem Schädelbau ge- hört nach Th orbecke 's .Ausführungen den N. F. XIV. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 429 Semi-Bantu an, während die Wüte mit ihrem brachycephalen Schädel an die Bewohner des Logone-Schari- Gebietes erinnern. Während in den westlichen Grashochländern das quadratische Haus mit Pyramiden- oder Kuppeldach vor- herrscht, finden wir östlich des Mbam die Rund- hülte mit Kegeldach, wie sie die Bakossi im Manenguba-Hochlande haben. ') Die Tikar bauen Straßendörfer, die mit Wall und Graben umgeben sind, die Wüte hingegen Haufendörfer mit regel- loser Anlage. Angebaut wird von den Tikar vor allem die Ölpalme, sowie Körnerfrüchte und Knollen- gewächse, auch Tabak. Die wichtigste wirt- schaftliche Entdeckung der Expedition war aber, daß überall im Tikarlande Baumwolle gebaut wird. In handwerklicher Beziehung besteht eine strenge Arbeitsteilung zwischen der Frau, welche die Tongefäße herstellt, und dem Manne, der das Schmiedehandwerk ausübt. Die Waffen der Tikar sind Bogen und Pfeil, Speer, breites kurzes Schwert und Dolchmesser. Fullah- und Haussatracht herrscht in der Kleidung; Rindenstofte sieht man nur in den entlegensten Gebirgsdörfern. Die Häuptlinge tragen einen eigenartigen alten Schmuck, eine Baumwollmütze und eine Kinnbinde aus Glasperlen. Wirtschaftlich bietet das Land reiche Zukunfts- möglichkeiten, vor allem in bezug auf Baumwoll- bau, die aber erst voll ausgenutzt werden können, wenn der Anschluß an die Nordbahn erreicht ist. Dr. G. Hornig. Rasenabschälung. Die Wirkung der Vege- tationsdecke auf die Abtragungsvorgänge der P>doberfläche wird von Karl Sapper in einer kurzen Studie (Geogr. Zeitschr. XXI, 1915, Heft 2) näher beleuchtet. Im allgemeinen gewährt die Vegetation einen Schutz gegen Abtragung. Die Wurzelsysteme benachbarter Gewächse wirken auch da noch als Schutzkleid, wo sie der Unter- lage völlig beraubt sind, also frei in den Luftraum hinausragen. Rasen- und Waldvegetation verhalten sich da in mancher Hinsicht verschieden. Die Verfilzung ist beim Rasen enger, der Widerstand gegen Zer- reißung nach dem Verlust der Unterlage aber geringer als in der Baumwurzelschicht. Rasen- boden ist dagegen biegsamer und nachgiebiger als die fast starre Waldwurzelschicht. Das innerhalb des Wurzelfilzes gelegene Erd- reich erscheint gegen die Abtragung fast voll- kommen geschützt. Weniger geschützt ist das Erdreich oberhalb der Wurzelfaserschicht, was man ja häufig beobachten kann. Wind und Regen wehen oder spülen die ablösbare Bodenkrume und Gesteinsfragmente fort. Natürlich tritt dasselbe auch bei Eingriffen in die geschlossene Vegetations- ') Thorbecke, Das Manenguba-Hochland. Mitt. a. d. Deutschen Schutzgebieten, 24. Bd., 5. Heft, Berlin 191 1, S. 24. decke ein. Eine Verletzung der Vegetationsdecke wird häufig durch weidendes Vieh hervorgerufen. An steilen Berghängen, die von horizontalen parallelen Weidepfaden überzogen werden, kann man nicht selten beobachten, wie durch Rasen- abschälung mitten am Hange kahle Flächen ent- stehen. Randlich kann die Vegetationsdecke vor allem durch Wind untergraben werden. Der Rasen wird tiefer und tiefer unterhöhlt, bis einzelne Schollen abbrechen. In großartigem Maßstabe hat Sapper diese Erscheinung im südwestlichen Island beobachten können, wo an manchen Berg- hängen nur einzelne Rasenzungen und -inseln auf dem vegetationslosen steinübersäten Tonboden übrig geblieben waren. Diese direkte Abschälung fehlt auch nicht in feuchten Gebieten ; aber hier ist eine andere Ur- sache, das fließende Wasser, schuld an der Abschälung und Unterminierung. Zufolge einer Beobachtung am Loisachufer oberhalb Garmisch war auf einer etwa i km langen Strecke das Ufer übersät mit Rasenstücken bis zu ^'j qm Größe. Man muß hier und in ähnlichen Fällen annehmen, daß ein Abrücken oder Kriechen des Bodens unter dem Rasen stattfindet und daß namentlich zur Zeit der Schneeschmelze eine intensive Lockerung vor sich geht. Die Rasenabschälung ist als eine Folge dieser Kriechbewegungen anzusehen, sie kann bei Verminderung der Steilheit der Böschun- gen wieder zum Stehen kommen. Dr. G. Hornig. Geologie. Zur Geologie von Nordamerika. II. ^) Geologie von Long Island. Unter diesem Titel '-^j veröffentlicht Füller die außerordentlich reichen Beobachtungsergebnisse seiner geologischen Unter- suchungen auf Long Island, der bekannten lang- gestreckten Insel an der Ostküste der Vereinigten Staaten. Die Arbeit behandelt die gesamte Geo- logie dieser Insel, ist aber in erster Linie glazial- geologischen Untersuchungen gewidmet. Wie an anderer Stelle bereits ausgeführt ist, ^) bietet sie einen ziemlich vollständigen Überblick über die morphologische Entwicklung von Long Island während der gesamten Diluvialperiode, erweckt also, so klein das behandelte Gebiet auch ist, vom morphologischen Standpunkt aus großes Interesse. Darüber hinaus verdient die Arbeit aber überhaupt allgemeinere Beachtung, weil bei dem gegen- wärtigen Stand der Eiszeitforschung, wo gerade über die wichtigsten Grundfragen immer noch große Unsicherheit besteht, *) jede auf exakte Einzeluntersuchung aufgebaute Arbeit sehr will- kommen sein muß. — Die geologischen Profile von Long Island zeigen ') Vgl. Naturw. Wochenschr. 1913, S. 385/86. '-) Geology of Long Island. Prof. Paper 83 U. S. Geol. Survey. 3) Zeitschrift Ges. f. Erdk. Berlin 1915, S. 184. *) Gagel, C. , Probleme der Diluvialgeologie. Branca- Festschrift 1914. 430 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 27 einen mehrfachen Wechsel fluvioglazialer und glazialer Ablagerungen, und zwar glaubt Füller mit Bestimmtheit, die Existenz von vier ver- schiedenen selbständigen \'ereisungen, und drei Interglazialzeiten annehmen zu können. Allerdings gibt Füller selber zu, daß der Nach- weis der beiden ältesten Vereisungen noch nicht absolut sicher gelungen ist. Die Bildungen, die er als Ablagerungen einer ersten Vereisung anspricht, sind Kiese, die in der Hauptsache aus Quarzen bestehen, aber vielfach größere Erratica, vor allem Granite, von mehr als zwei Fuß Durchmesser führen. Zwar sind gekritzte Geschiebe bisher noch nicht gefunden worden ; da aber die präpleistocenen Formationen im Gebiet der Atlantischen Küsten- ebene der Vereinigten Staaten keine kristalli- nen Fragmente enthalten, und anderseits keine andere Entstehungsweise dieser Kiese einleuchten will, so spricht zum mindesten eine hohe Wahr- scheinlichkeit für den fluvioglazialen Charakter dieser Ablagerung. Übrigens sind die Kiese bereits stark verwittert; die Granite können oftmals schon mit der Hand zerdrückt werden. Jedenfalls darf man daraus zweifellos auf ein ziemlich hohes Alter dieser Schichten schließen. Auch die Bildungen, dieFuller als Ablagerungen der zweiten Vereisung deutet, sind nach den bis- herigen Ergebnissen lediglich fluvioglazialer Natur. Ihre richtige Beurteilung wird aber dadurch sehr erschwert, daß nachträgliche Niveauschwankungen diese Schichten zumeist ziemlich erheblich unter den Meeresspiegel gesenkt haben, so daß sie nur an der Hand von Bohrungen untersucht werden können. — Während demnach die beiden ältesten Ver- eisungen Long Island selbst anscheinend nicht er- reicht haben, hat in der Folgezeit das Eis, nach Füll er 's Gliederung die dritte Vereisung, die Insel zweifellos überschritten ; ihre IVloräne deckt jedenfalls alle älteren Ablagerungen mantelartig zu, ist übrigens heute bereits stark zementiert und stellenweise tief verwittert; ihre Oberflächenformen sind vollkommen eingeebnet. Diese Vereisung muß nun auf Long Island sowohl wie in ganz Neu - England als Hauptvereisung gelten ; sie ist danach wohl mit dem sogenannten Illinoian des Mississippi- und Ohiogebietes zu paralleli- sieren. Die letzte Vereisung hat Long Island ebenfalls erreicht, blieb aber in ihrer Ausdehnung hinter ihrer Vorgängerin erheblich zurück. Für die heu- tige Oberflächengestaltung der Insel ist sie jedoch fast ausschließlich maßgebend geworden; ihre End- moränen durcJiziehen als doj^pelter Höhenzug rück- gratartig die ganze Insel und bestimmen deren gesamte Erscheinung. Im Gegensatz zu den stark verwitterten älteren Schichten sind die Ablage- rungen dieser Vereisung allenthalben frisch und utiverändert. — Angesichts der immer aufs neue wiederholten Diskussion über die Frage; Monoglazialismus oder Polyglazialismus ? ist es nun vor allem bedeutungs- voll, die Beweise Fuller's für seine Annahme dreier selbständiger Interglazialzeiten kennen zu lernen. Den Beweis für die Existenz der ältesten, ersten Interglazialzeit erblickt Füller darin, daß die fluvioglazialen Kiese der ältesten Vereisung offensichtlich überall vor Ablagerung der hangen- den Schichten (der Zweitältesten \'ereisung) stark erodiert worden sind; es finden sich stellenweise Einschnitte von mehr als hundert Meter Tiefe. Das läßt zweifellos auf eine ziemlich starke Erosions- tätigkeit von Flüssen schließen ; offenbar muß eine Periode starker fluviatiler Aufschüttung von einer solchen lebhaften Einschneidens abgelöst worden sein. Füller kommt danach — wie man sieht lediglich aus morphologischen Gesichtspunkten — zu der Annahme einer Interglazialperiode von längerer Dauer. Hierin kann man ihn jedoch nicht ohne weiteres beipflichten; bei objektiver Betrachtung wird man jedenfalls zugeben müssen, daß der Nachweis einer Erosionsdiskordanz allein nicht genügt, die Existenz einer echten Inter- glazialzeit gegen alle Zweifel sicherzustellen, beson- ders wo der Nachweis der ältesten Vereisungen selbst noch unsicher ist. Besser verhält es sich dagegen mit den Be- weisen für das mittlere Interglazial. Über den fluvioglazialen Sedimenten der älteren Vereisungen finden sich mächtige Tonablagerungen, nach dem Fossilgehalt offenbar litorale Sedimente des Con- necticut-River; daneben marschähnliche Ablage- rungen ebenfalls mit marinen Fossilien, die uns jedenfalls verraten, daß das Klima damals nicht kälter war als heute an der Küste von Maine. Berücksichtigt man dies und erwägt, daß zur Bil- dung so mächtiger Tonmassen, wie sie damals der Connecticut geliefert hat, offenbar bedeutende Zeiträume erforderlich waren, so wird man der Ansicht Fuller's beipflichten, daß hier Anzeichen einer echten Interglazialzeit vorliegen. Andererseits muß man sich aber doch wohl klar sein, daß auch dabei von einem absolut einwandfreien Be- weis keine Rede sein kann. Es wäre immer- hin denkbar, daß die Eismassen nur etwas weiter ins Innere des Kontinents zurückgewichen waren, so daß die Tonmassen sehr weit transportierte feinste fluvioglaziale Sedimente darstellen, also zu ihrer Aufschüttung gar kein besonders langer Zeit- raum erforderlich war. Die Existenz der letzten Interglazialzeit wird von Füller wieder vorwiegend aus morphologischen Gesichtspunkten geschlossen, insofern die Glazial- ablagerungen der vorletzten Eiszeit offenbar in einer iangen Periode subaeriler Erosion stark abgetragen worden sind. Aus dieser Zeit finden sich auch Ablagerungen ; allerdings sind sie nur sehr spärlich. Es handelt sich um Litoralbildungen, die wiederum auf ähnliche Klimabedingungen hin- weisen, wie sie heute herrschen. — Überblickt man danach die Arbeit im ganzen, so wird man freilich nicht in allen den von Füller vorgebrachten Argumenten absolut einwandfreie N. F. XIV. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 431 Beweise erblicken können; andererseits wäre es aber doch verkehrt, in seinen Ausführungen nichts als unbewiesene Behauptungen zu sehen. Es liegt eben in der Natur der Sache und ist bei der Schwierigkeit der Materie gar nicht zu verwundern, daß die Beweise in einem solchen Falle so außer- ordentlich schwierig zu führen sind. Ein Versuch, sich die paläogeographischen Verhältnisse dieser langen Zeiträume einigermaßen vorzustellen, wird das ohne weiteres verständlich machen. Die Er- kenntnis, daß noch nicht alles restlos geklärt ist, muß eben der Ansporn sein, die Fragen stetig weiter zu verfolgen. Im übrigen ist natürlich die Analogie der Füller 'sehen Resultate zu den Forschungsergeb- nissen, die aus den übrigen Teilen der Vereinigten Staaten und vor allem aus den Alpen vorliegen, ungemein auffällig und beachtenswert. Hier wie dort ergeben sich vier selbständige Eiszeiten, die durch drei größere Interglazialzeiten getrennt werden. Eine weitere Analogie ergibt sich da- durch, daß die vorletzte Vereisung die letzte an Bedeutung offenbar weit übertroffen hat, denn in allen den genannten Gebieten reichen die Rißend- moränen — wenn dieser alpine Ausdruck ver- allgemeinert werden darf — über das Bereich der Würmendmoränen heraus. Schließlich liegt eine weitere Übereinstimmung zwischen den genannten Gebieten (die sich übrigens auch auf Norddeutsch- land , das sonst verhältnismäßig weniger bekannt ist, ausdehnen läßt) darin, daß die älteren Moränen- landschaften offenbar überall durch subaerile Ab- tragung stark eingeebnet, und die Ablagerungen selbst durch stärkere Verwitterung in ihrem Ha- bitus erheblich verändert worden sind. Dr. E. Wunderlich. Bticherbesprechimgen. Monatshefte für den naturwissenschaftlichen Unterricht aller Schulgattungen , heraus- gegeben von B. Schmidt. i. — 2. Kriegsheft. Leipzig und Berlin 1914, 191 5, Teubner. Der Krieg bringt neue Gesichtspunkte auch für den Unterricht, indem dieser teils zur Auf- klärung über wirtschaftliche Maßnahmen, teils zur Förderung der körperlichen Ausbildung der Jugend, teils aber zum Verständnis der wichtigen Rolle beitragen kann, die gerade Naturwissen- schaften und ihre Anwendungen auf Technik, Landwirtschaft und Gesundheitspflege zukommt. Diese Erwägung hat die Schriftleitung der ge- nannten Zeitschrift veranlaßt, einige Nummern zur Erörterung der einschlägigen Fragen als „Kriegs- hefte" auszugestalten, deren bisher drei vorliegen. Außer einem allgemein gehaltenen Aufsatz „Die Schule und der Krieg" von A. Fischer bringen diese beiden Nummern teils Einzelfragen (Flug der Geschosse, mineralischeDüngemittel, Explosivstoffe) teils eine Reihe von Beiträgen , die sich auf die Beziehungen einzelner Wissenschaften (Hygiene, Chemie, Biologie, Meteorologie, Pharmazie, Geo- logie, Bakteriologie und Geographie) zur Kriegs- technik und zu den durch den Krieg aufgeworfenen volkswirtschaftlichen E>agen beziehen. Eine Reihe weiterer Hefte ähnlichen Inhalts ist in Aussicht genommen. R. v. Hanstein. Valentiner, S., Die Grundlagen der Quantentheorie in elementarer Dar- stellung. Heft 15 der „Sammlung Vieweg". d" Seiten mit 8 Abbildungen. Braunschweig 19 14, F. Vieweg und Sohn. — Geh. 2,60 M. Valentiner, S. , Anwendungen der Oanten- hypothese in der kinetischen Th eor ie der festen Körper und der Gase. Heft 16 der „Sammlung Vieweg". 72 Seiten mit 4 Abbildungen. Braunschweig 1914, Y. Vieweg und Sohn. — Geh. 2,60 M. Die „Sammlung Vieweg" bietet dem natur- wissenschaftlich vorgebildeten Leser mit den vor- liegenden beiden Bändchen eine vorzügliche Darstellung des Gedankeninhaltes und der bis- herigen reichen Forschungsergebnisse der in den» letzten Jahren zu größter Bedeutung gelangten Quantentheorie. Die schwierige Aufgabe, die sich Verf mit der elementaren Wiedergabe der tief in das gesamte physikalische Wissens- gebiet eingreifenden Probleme gestellt hat, kann als vortrefflich gelöst bezeichnet werden, wenn auch für das Verständnis intensive geistige Mit- arbeit des Lesers unumgänglich bleibt. Diese letztere Voraussetzung möchte Ref. als einen be- sonderen Vorteil bezeichnen; denn sie ermöglicht es dem Verf., seine Betrachtungen nicht auf die einfachsten Grundlagen der quantentheoretischen Vorstellungen zu beschränken, sondern diese Vor- stellungen bis in ihre bisher erkannten weitesten Konsequenzen rnit voller Gründlichkeit zu verfolgen. Der gebotene Überblick über den gegenwärtigen Entwicklungsstand der Theorie wird dadurch auch für den Kenner zu einem erschöpfenden. Das erste Bändchen zeigt in der Hauptsache die Entstehung des Quantenbegriffs aus der Her- leitung des Pia nck'schen Strahlungsgesetzes, be- spricht daran anschließend die allmähliche Modi- fikation der neuesten Vorstellungen über den Mechanismus der Strahlungsphänomene und geht dann kurz noch aufdie wichtige Sommerfeld'sche Hypothese vom Wirkungsquantum bei nicht perio- dischen Vorgängen ein. Das zweite Bändchen kann als eine Fort- setzung des ersten betrachtet werden, setzt aber für das Verständnis das Studium desselben nicht voraus. Es beginnt deshalb mit einem kurzen Überblick über die Verknüpfung der Quanten- hypothese mit dem Slrahlungsproblem und wendet sich dann denjenigen besonderen Gebieten zu, welche, unabhängig vom Strahlungsproblem, in 432 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 27 den letzten Jahren eine erfolgreiche quantentheore- tische Behandlung erfahren haben. Es handelt sich hier vornehmlich um die Theorie der spezifischen Wärme fester Körper, die daran anschließenden Versuche der Aufstellung einer allgemeinen Zu- standsgleichung fester Körper und die Einführung der Energiequantenhypothese in die kinetische Theorie der Gase, die zurzeit noch unerschöpfter Gegenstand eifriger Forschung ist. A. Recker. Stern, W., Psychologie der frühen Kind- heit bis zum 6. Jahre. VII und 372 S. Leipzig 1914, Ouelle & Meyer. — Preis geh. 7 Mk. Die Kindespsychologie, einer der jüngsten Triebe am Baum der Wissenschaften, hat sich heute schon zu einer Höhe entwickelt, daß sie in der Lage ist, mannigfaltige Bedürfnisse der theo- retischen und angewandten Wissenschaften zu be- friedigen. Sie gibt uns nicht nur wertvolle Ein- blicke in die Entwicklung der seelischen Funk- tionen beim Menschen, sie bietet uns auch höchst beachtenswertes Material für eine positivistische Begründung und Behandlung mancher Probleme der allgemeinen Psychologie, der Erkenntnistheorie usw. dar, die bisher von einer mehr oder weniger metaphysisch gerichteten und spekulativ verfahren- den Philosophie zu lösen versucht worden sind. Auch in praktischer Beziehung fehlt es noch viel- fach an der notwendigen Ausnützung ihrer Er- gebnisse. Zwar sind alle Einsichtigen darüber einig, daß sie für den Kinderarzt, den Juristen, vor allem aber für den Pädagogen als wissen- schaftliches Fundament für ihre Beschäftigung mit dem Kinde von größtem Werte sei, und hier und da sind auch allerlei mehr oder weniger gelungene Versuche zu ihrer Anwendung durch die ange- führten Berufe gemacht worden, und doch scheint es uns, als ob das noch nicht in dem Maße ge- schehen ist, als es auch jetzt schon versucht wer- den könnte. Noch viele Arbeit ist da zu tun. Als ein wertvolles Fundament für alle diese Ver- suche muß da nun die vorliegende Schrift des um den Ausbau der Kindespsychologie so ver- dienstvollen Autors angesehen werden. Wir fin- den hier die geistige Entwicklung beim Kinde bis zum sechsten Lebensjahre nach ihren wesent- lichen Haupterscheinungsformen entsprechend dem gegenwärtigen Stande der Forschung klar, ver- ständlich und übersichtlich dargestellt. Beinahe bedauern möchte man, daß es nur geschehen ist unter Herausarbeitung der Beziehungen der Kindes- psychologie zur allgemeinen Psychologie, so wichtig auch diese .Aufgabe war. Es wäre zweifel- los nicht nur für die pädagogisch interessierten Leser dieses vorzüglichen Buches interessant ge- wesen, wenn der kenntnisreiche Autor auch überall die pädagogischen Konsequenzen ge- zogen oder , wie es hier und da ja geschehen, wenigstens kurz angedeutet hätte. Das soll aber keine Bemängelung sein, sondern lediglich ein freundlicher Rat an den Herrn Verfasser für die hoffentlich recht bald notwendig werdende 2, Auf- lage des ausgezeichneten Werkes , dessen Be- nutzung durch Anhängen eines Sachregisters und eines Verzeichnisses der erwähnten und benutzten Literatur wesentlich erleichtert und erweitert worden ist. M. H. Baege. Hupka, E., Die Interferenz der Röntgen- strahlen. Heft 18 der „Sammlung Vieweg". 68 Seiten mit 33 Abbildurgen im Text und I Doppeltafel in Lichtdruck. Braunschweig 1914, F. Vieweg & Sohn. — Geh. 2,60 M. Die jüngste große physikalische Entdeckung, die Beugung der Röntgenstrahlen durch das Mole- kulargefüge der Materie, wird hier, soweit dem Ref bekannt, zum erstenmal in anerkennenswerter Weise in Form eines zusammenfassenden Referats der bisherigen Arbeiten über den Gegenstand übersichtlich behandelt. Verf. zeigt mit großer Vollständigkeit die tiefen Einblicke, welche die Be- arbeitung des neuen Erscheinungsgebiets für die Kenntnis sowohl der Natur der Röntgenstrahlung als insbesondere des molekularen Baus der Materie bereits erbracht hat. Im Interesse der leichteren Verständlichkeit der nicht immer einfach zu über- sehenden Verhältnisse wäre vielleicht nur eine etwas größere Ausführlichkeit namentlich in der Besprechung der Grundlagen und der wichtigsten Gedankengänge der theoretischen Betrachtungen wünschenswert, wenn auch der erfreuliche Hinweis auf die experimentellen Bedingungen und die Wiedergabe der interessanten Photogramme be- reits weitgehend zu klären vermag. A. Becker. Literatur. Kriegsgeographische Zeilbilder, herausgegeben von Dr. H. Spethmann und Dr. E. Scheu. Heft l: A. Oppel, Die wirtschaftlichen Grundlagen der kriegführenden Mächte. Heft 2 : Prof. Dr. Fr. Frech, Kohlennot und Kohlenvorräte im Welt- kriege. Heft 3 : Dr. H. Spethmann, Der Kanal mit seinen Küsten und Flottenstützpunkten. Heft 4: Dr. H. Praesent, Antwerpen, Geographische Lage und wirtschaftliche Bedeutung. Leipzig '15, Veit & Co. -- Jedes Heft So Pf. Inhalt: l.ipschütz: Der Ursprung des Geschlechts (mit 7 Abbildungen). — Einzelberichte: Parnas und Wagner: Zur biochemie des Muskels (mit I .Abbildung). Nalzmer: Über das biogenetische Grundgesetz im Leben der Insekten- staaten. Kranichfeld: Karbensinn der Bienen. Thorbecke: Geographische Arbeiten in Tikar und Wüte auf einer Forschungsreise in Mittelkamcrun (igil — 1913). Sapper; Rasenabschälung. Kuller: Geologie von Long Island. — Bücherbesprechungen: Monatshefte für den naturwissenschaftlichen Unterricht aller Schulgattungen. Valentiner: Die Grundlagen der Quantentheorie in elementarer Darstellung. Valentin er: Anwendungen der Quantenhypothese in der kinetischen Theorie der festen Körper und der Gase. Stern: Psychologie der frühen Kindheit bis zum (). Jahre. Hupka: Die Interferenz der Kontgenstrahlen. — Literatur: Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. II. Mi ehe in Leipzig, MarienstraSe IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Bucbdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. F.,lge 14. Band; !eii Reihe 30. Band. Sonntag, den ii. Juli 1915. Nummer 38. Chemisch-physiologische Winke über den Gebrauch der Nahrungsmittel während der Kriegszeit. Hausmittel zur Kouservieruug von Mahlzeitüberresteii. [Nachdruck verboten.] Von Th. Die Volksernährung- während der Kriegszeit ist in Anbetracht der Abschließungstendenzen unserer F'einde mit Recht ein Gegenstand ernster aber nicht aussiclitsloser Sorge. Deutschland ist reich an Nahrungsmitteln und wird sich bei einiger Sorgfalt andauernd selbst verköstigen können. Freilich muß hausgehalten werden. Der Konsum muß auf das Notwendige be- schränkt werden, dann bleibt der Hunger von uns ferne. Wie viele haben bis jetzt weit mehr Nahrung genommen als nötig, wie mancher hat sich ein- seitig (mit Fleisch z. B.) ernährt, ohne auf die von der Wissenschaft gefundenen Normen nur die geringste Rücksicht zu nehmen ! Schädigungen durch überreiche Ernährung oder durch unvernünftige Wahl der Nahrungsmittel ge- hören zu den alltäglichsten Dingen. Vielleicht ist es gut, daß uns der Krieg zur Mäßigkeit und Vernunft zwingt. Es genügt ja, wenn der Mensch seinen Körper- bestand erhält. Das Heranzüchten von Hänge- bäuchen, Vollmondgesichtern, roten Nasen ist über- flüssig, ja für den Besitzer dieser Überernährungs- zeichen höchst lästig, kostspielig und unrühmlich. Es soll aber auch keine Unterernährung Platz greifen durch zu geringe Zufuhr, keine Erkrankung durch unzweckmäßige Auswahl der Nahrung. Wie die riciitige Ernährung des Körpers er- reicht wird, darüber geben uns die leider viel zu wenig bekannten und gewürdigten Forschungen eines Pettenkofer, Voit und ihrer Schüler willkommenen Aufschluß. Die Chemie lehrt uns die genaue Zusammensetzung der Nahrungsmittel kennen, die Physiologie ihre quantitative Anwen- dung und Verdaulichkeit, die tägliche Erfahrung ihre Bekömmlichkeit für den einzelnen. Daraus läßt sich die richtige Verköstigung herauskalkulieren. Versuche es jeder an der Hand folgender Mit- teilungen, die nach den besten wissenschaftlichen Quellen und nach eigener experimenteller Arbeit gemacht sind, seinen Verköstigungsplan aufzustellen. Es sollen keine Rezepte und Speisezettel für diese Kriegszeiten gegeben werden. Denn nur allzuviel Unbrauchbares ist in dieser Hinsicht schon publiziert worden; es läßt sich ja doch keine jedem passende Speisevorschrift machen i^ dem Sinne, daß am einen Tage Leberklöse mit Kraut, am anderen Polenta, am dritten Sauermilch mit Kartoffeln, am vierten Speck mit Erbsenbrei Bokorny. usw. gegessen werden soll. Mancher verträgt keine fette Speise, ein anderer hat Widerwillen gegen Maiskost oder gegen Leberklöse. Das sind Dinge, die bei der Ernährung berücksichtigt werden müssen. Ferner dürfen gewisse Geschmacksstoffe in der Kost nicht fehlen; welche, das hängt von Geschmack und Gewohnheit des einzelnen ab. Kurz, es ist verfehlt, Vorschriften im Detail zu machen. Nur allgemeine Richtlinien hinsichtlich der Quantität und Auswahl der Nahrung können unter angemessener Berücksichtigung der hygienischen und Nahrungsmittelchemie gezogen werden. Das ist der Hauptzweck dieser Zeilen. Im Anschluß daran sollen auch einige Bemer- kungen über Hintanhaltung des Verderbens von Nahrungsmitteln gemacht werden. Ein Ungenießbarvverden von übriggebliebenem Fleisch, Gemüse, von Suppenresten darf es nicht geben und braucht es weder im Haushalte noch im Restaurationsbetriebe zu geben. Es soll kein Dekagramm Nahrung verloren gehen durch die Tätigkeit jener unangenehmen Bewohner der orga- nischen Substrate, der Bakterien und Schimmel- pilze. Die Mittel dagegen sind einfach und in jedem Falle leicht zu gebrauchen ; Eisschrank und gute Keller sind dazu nicht unbedingt erforderlich. Einer besonderen Hervorhebung hinsichtlich der Vorschriften für Ernährung in Kriegszeiten bedarf noch die leider zu wenig beachtete Aus- nahmestellung, welche Leute einnehmen, die schwere Darmkrankheiten, wie Blinddarmentzün- dung, durchgemacht haben. Sie können nicht unter das allgemeine chemisch - physiologische Schema gebracht werden. Was nützt es auch für sie fiisches Kriegsbrot vorzuschreiben, wenn da- mit die Gefahr einer neuen Erkrankung herauf- beschworen wird? Einmal erkrankt müssen sie dann doch mit ausgesuchten feineren Mehl- und Fleischspeisen ernährt werden ; die beabsichtigte Ersparnis tritt nicht ein. Dazu kommen die großen Krankenkosten, welche es dem Betroffenen unmöglich machen, Gelder für Kriegsbeiträge auf die Seite zu bringen. Allzu scharf macht schartig 1 L Gehalt der Nahrungsmittel an Nähr- stoffen; nicht der ganze Nährstoff wird wirklich verdaut und damit nutzbar gemacht. 434 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 28 In IOC g Substanz en (verdaulich) thalten Nutzwert- Nahrungsmittel ') (roh) EiweiiS Fett Kohlehydrat Kalorien Bemerkungen g g g Mageres Rindfleisch 20 3 — 108 Sehr fettes Rindfleisch 16 26 — 312 Mittelfettes Kalbfleisch 18 4 — 1 10 „ Hammelfleisch 16 10 — 159 Fettes Schweinefleisch >4 35 — 389 Mittelfettes Huhn 14 4 — 114 Geräucherter Speck 3 75 — 726 Fetter Schinken 24 35 — 427 Cervelatwurst 17 38 — 429 • Blut 7 0,20 — Kuhmilch 3.4 35 5,0 66 Soll mindestens 10 % Trocken- substanz und 1,0285 — 1,0340 spez. Gew. haben (bei 15°). Rahm 3,76 22,66 4,23 ca. 235 Karpfen 20 4 — 114 * Hecht lS,42 0,53 — 79,5 Fetter Aal 12 27 — 304 Salzhering IS 16 — 224 * Schellfisch (frisch) i(',93 0,26 — 71,8 * Kabeljau 16,23 0,33 — 69,6 * Forelle oder Saibling i9,i8 2,10 — 98,17 * Stockfisch (getrockneter Schell- 81,54 0,74 _ fisch) ungesalzen * Laberdan (gesalzener Kabeljau) 27,07 0,36 — Salm 20 13 — 203 * Bückling (geräuchert) 21,12 8,51 — * Sprotten „ ähnlich ähnlich — * Hasenfleisch 23,24 ',13 — * Rehfleisch 19,77 1,12 Hühnerei (100 g = 2 Eier) 12 12 162 Buttermilch 4,0 ' 1,5 4,0 46 Butter 0,7 81 o,5 750 Wassergehalt gesetzlich höchstens 18 »/„. Fetter Käse 24 30 1,0 381 " 10' Magerer Käse 32 II 3 248 * Gries (Graupen) 10 I 69 • Reis 6 2 74 Feines Weizenmehl 9 I 75 362 Weißbrot 6 1 45 223 Roggenbrot 5 0,5 49 231 Pumpernickel 4,5 1 44 213 Zwieback aus Weizenmehl 7 I 73 345 Bohnen l Erbsen > Samen Linsen J 20 1 47 290 18 I 51 298 20 1,5 50 308 Kartoffeln I 21 92 Möhren (Gclbrüben) I — 9 40 Kohlrüben 1,5 — 8 38 Schnittbohnen 2 — 7 36 Spinat 2 — 4 25 * Eierschwamm (Rchling) 2,64 °,43 3,81 * Steinpilz 5,39 0,40 S,I2 * Hier ist das Unverdautabgehende noch nicht abgezogen. Bei tierischen Nahrungsmitteln sind 4 — 5 */„ Eiweiß und 4 — 5 "/o Fett als Vcrdauungsverlust; bei gekochten Körnerfrüchten und Wurzelgemüsen 15 — 20% Eiweiß, 5 — 10% Fett und I — 4% Kohlehydrat, bei kleiehaltigen Brotarten (Pumpernickel, Kommißbrot) 30— 50 "/„ Eiweiß und 6 — II % Kohlehydrat in Abzug zu bringen. ') Aus König, Nahrungs- und Genußmittel, entnommene Angaben. Uie Kalorien sind vom Verf. berechnet worden. N. F. XIV. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 435 In 100 g Substanz enthalten (Terdaulich) Nutzwert- Nahrungsmittel ') (roh) p;iweiß Fett Kohlehydrat Kalorien ') Bemerkungen g g g * Knackwurst 23, So 11,40 — * Leberwurst 13 25 — * Blutwurst 10 10 — * Rotkraut (92 »/o Wasser) 1,80 0,2Q 2-3 * Blumenkohl (91 »/„ Wasser) 2,48 0,34 2—3 * S]iargel (94 % Wasser) 1,79 0,25 2—3 * Kohlrabi (85 % Wasser) 2,87 0,21 bis 7 * Meerrettich (77 % Wasser) 2,73 0,35 bis 15 * Bier (Sommer-) 90 "/o Wasser) 4.6 i8,S6 Außerdem enthält es ca. 3,7 % Al- kohol mit 24 Kalor. pro 100 g Bier. * Schokolade (trocken) 6,18 (Stickstoff- Substanz) 21,02 58,00 ca. 450 * Frische Apfel 0,36 — 7,22 ca. 25 * Frische Birnen 0,36 — 8,26 ., 29 * Fische Zwetschgen 0,78 — 6,15 ,. 24 * Frische Reineclauden 0,41 — 3,i6 ,. 14 * Frische Kirschen 0,67 — 10,24 .. 40 * Frische Weintrauben 0,79 — 14.36 .. 52 * Getrocknete Zwetschgen 2,25 — 44.41 „ 180 * Getrocknete Äpfel 1,28 — 42,83 „ 172 * Getrocknete Trauben (Rosinen) 2,42 — 54.56 .. 231 * Himbeersaft — — 50—60 .. 215 * Sauerkraut 1,48 0,70 2,88 (neben 1,26 Milchsäure) „ 22 * Kopfsalat (unangemacht) 1,41 0,31 2 * Feldsalat 2,09 0,41 2 * Zwiebel 1,68 0,10 8,04 * Frankfurter Würstchen 11,69 39.61 Leber 17 2.39 * Mettwurst 27,31 39.88 * Niere 22 Z.77 * Cornedbeef (Büchsenfleisch) 29,04 11.54 * Honig 1,08 7,31 (Zucker) * Orangen i,oS — 5,65 (Zucker) * Kakaopulver (entölt) 20,33 38,34 15,60 369 Gutes Nahrungsmittel, zugleich Ge- nußmittel durch seinen Theo- bromingehalt. * Wein (Mosel) 0,20 Zucker und 0,66 Glyzerin Außerdem ist im Wein enthalten: Säure 0,77, diese ist kein Nähr- stoff; dann 7,36 »/o Alkohol, der 12,27 Kohlehydrat entspricht, d. h. ebensoviel Kalorien liefert. * Weinmost (Pfälzer) 19,3 ') Ungefähr durch einfache Kopfrechnung zu erhalten, indem man die Eiweißmenge mit 4, die Feltmenge mit 9, die Kohlehydratraenge mit 4 multipliziert und die Summe zieht. Eiweißstoffe, Fette, Kohlehydrate, Salze und Wasser sind es, die wir als Nähr- stoft'e bezeichnen. Hierzu kommen aber noch Stoffe, die, ohne Nährstoffe zu sein, doch für eine dauernde Nahrungsaufnahme von Wichtigkeit sind, die sog. Genußmittel. Die Eiweißstoffe, Fette und Kohlehydrate der Nahrung dienen dazu, den Energieverbrauch zu ermöglichen; ihre Einfuhr bedeutet Energie- zufuhr, ohne sie würde dem Körper die zu den Lebensleistungen nötige Energie ausgehen. Wenn ich esse, führe ich Energieträger zu. Denn beim Zerfall der genannten Stoffe, der bei Kohlehydrat und Fett als eine Art Ver- 436 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 28 brennung- bezeichnet werden kann und faktisch ein Eingreifen von Sauerstoff erfordert, sowie auf KohlensäurebilduBg liinausläuft, wird Energie frei. Dieser Zerfall tritt immer bei Bedarf ein. Da bei der Verbrennung Wärme entsteht (wie auch beim Eiweißzerfall) , so spricht man von Wärmeeinheiten oder Kalorien, welche dem Körper durch die Nahrung zugeführt werden. Und zwar kann man nach Rubner annehmen, daß I g Eiweiß 4,1 Kalorien (Wärmeeinheiten) 1 g Fett 9,3 I g Kohlehydrate 4,1 ,, „ dem Körper zuführen. Verbrauchtes Körpereiweiß kann nur wieder- um durch Eiweißstoffe ersetzt werden. Nur wenn diese mit der Nahrung zugeführt werden, ist das Körpereiweiß vor dem Zerfall geschützt. Es kann aber durch Einfuhr von Fett und Kohlehydrat der Eiweißzerfall herabgesetzt werden. Wird dann doch auch eiweißhaltige Nahrung genommen, so kann ein Eiweißansatz im Körper stattfinden. Das Fett wird nur wenig in den Stoffumsatz hineingerissen, wenn der Körper ruht oder wenig Muskelarbeit tut. Dann findet Fettansatz statt. Bei Muskelarbeit verschwindet das Fett rasch wieder. Am leichtesten gelangen die Kohlehydrate zur Verbrennung, sie sammeln sich nur in geringer Menge (als Glykogen) an. Durch ihre Verbrennung schützen sie Eiweiß und F"ett vor Zerfall (Fett- werden der starken Biertrinker). Ehe wir nun auf den Gehalt der Nahrung an Eiweiß, Fett und Kohlehydrat eingehen, sei noch darauf hingewiesen, daß die Nahrung fast nie voll ausgenutzt wird. Für die ungenutzt den Darm passierenden Stoffe wird man die aus dem Nährstoffbedarf be- rechnete Nahrungsmenge entsprechend erhöhen müssen. Besser ist es, gleich von vornherein nur die „verdaulichen" Eiweiß- usw. Quanthäten zu rechnen. In der Tabelle auf Seite 434 und 435 sind bei den nicht mit Stern bezeichneten Nahrungsmitteln die Prozente „verdaulichen" Nährstoffes angegeben, bei denen mit Stern die Prozente des ganzen Nährstoffes in der Nahrung. Man kann für die animalischen Nah- rungsmittel, wie Fleisch, Milch, Eier, den durchschnittlichen Verlust zu 4 — 5 "/^ Eiweiß und ebensoviel Fett veranschlagen; für die durch feines Mahlen, Backen dder Kochen zube- reiteten Körnerfrüchte und Wurzelgemüse zu 15—20 "/„ Eiweiß, 5 — 10 "/„ Fett und I — 4 70 Kohlehydrate. P'ür die kleiehaltigen Brote, Pumpernickel, Kommißbrot, steigt derEiweiß- verlust auf 30—50 "/(,, der an Kohlehydraten auf 6 — II "/g, die geringen F"ettmengen kommen kaum in Betracht. Auf die Wasserzufuhr zum Körper sei hier nicht eingegangen. Das Wasser beträgt ca. 60 "/» des Körper- gewichtes; es muß in dem Maße, wie es ausge- schieden wird, wieder ersetzt werden (teils durch Getränke, teils durch das Wasser der Nahrung). Die Salze werden sogar bei gemischter Kost nicht immer alle reichlich genug zugeführt. Da- von soll später die Rede sein. Im allgemeinen sei der folgenden Tabelle über den Eiweiß-, Fett- und Kohlehydratgehalt der Nahrung noch vorausgeschickt, daß es animalische und viele vegetabilische Nahrungsmittel gibt, die fast kein Fett enthalten ; in manchen ist sehr wenig Eiweiß enthalten, in den meisten tierischen kein Kohlehydrat. Daraus ergibt sich von selbst die Notwen- digkeit gemischter Kost. Auch die Kuhmilch genügt den .Anforderungen nicht ganz (siehe III). IL Nährst off bedarf Im menschlichen Körper wie im lebenden Organismus überhaupt werden beständig organische Substanzen in einfachere Verbindungen unter Erzeugung von Wärme und mechanischer Arbeit umgesetzt. Selbst im Zustande völliger Körperruhe hört dieser Stofifumsatz nicht auf (siehe unten unter „Ruheumsatz"). Er ist gesteigert bei Muskel- und sonstiger Arbeit. Eine gewisse Zeitlang kann dieser Umsatz durch die organischen Bestandteile des Körpers bestritten werden. Auf die Dauer aber muß ein ihm gleichwertiger Ersatz durch die Nahrung geliefert werden. .Solange der Mensch wächst, kommt hinzu noch die für den Aufbau nötige Menge von organischen und Mineralstoffen, was bei anorganischem Wachstum 15 — 20 "/,, mehr Nährstofifbedarf als für den Erwachsenen bedingen kann. Der Erwachsene wie der Wachsende braucht zweierlei Nährstoffe : a) Eiweißstoffe; sie werden im Körper in Ammoniak, Harnstoff, Harnsäure verwandelt und dann ausgeschieden, b) stickstofffreie Nährstoffe, d. i. Fette und Kohlehydrate; sie werden zu Kohlen- säure und Wasser verbrannt. Wieviel von diesen Stoffen aufgenommen wer- den muß, damit der Körper auf seinem Bestände bleibe, wurde von den Physiologen durch direkte Messungen bestimmt. Es ist diese Menge natür- lich u. a. von dem Körpergewicht abhängig, weil damit auch der Verbrauch steigt. Aber auch andere Dinge sind von Einfluß, z. B. ob der Mensch ruht oder arbeitet, ob er insbesondere Muskelarbeit tut, ferner ob Winter oder Sommer ist usw. Jedenfalls verbraucht der Mensch Nährstoffe (Eiweiß, F"ett, Kohlehydrat) so lang er lebt; im Alter weniger als in der Jugend. Danach muß die Nahrungsaufnahme bemessen werden. Nach Rubner ist nicht direkt das Gewicht des Körpers, sondern die Körperoberfläche der N. F. XIV. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 437 wichtigste Faktor beim Nährstoffbedarf. Freihch stehen beide in Abhängigkeit voneinander. Bei einem Körpergewicht von 65 kg ist fast genau eine Oberfläche von 2 qm vorlianden. Es ist auffallend, wieviel der Umsatz der Nähr- stoffe schon bei absoluter Körperruhe be- trägt. Derselbe, der „Ruheumsatz", beträgt beim ausgewachsenen Menschen 24,6 Kai. pro Körperkilo und 24 Stunden (dabei gibt i g Eiweiß 4,1 Kai., i g Fett 9,3 Kai., i g Kohle- hydrat 4,1 Kai., siehe unter I.), d. i. 1600 Kai. per 65 kg und Tag. Beim straffen Stehen steigt der Umsatz um einige zwanzig Prozente, bei langsamem Gehen um etwa 35 %, beim raschen Gehen und Laufen je nach der Geschwindigkeit auf das 2 — 5 fache, bei raschem Bergsteigen sogar noch mehr. Die Muskelarbeit ist das wesentlichste Moment zur Erhöhung des Umsatzes. „Die Summe der Bewegungen , welche etwa ein Arzt, ein Studierender bzw. mit wissenschaft- licher Laboratoriumsarbeit beschäftigter Mensch im Laufe des Tages ausführt, steigert seinen 24 stün- digen Ruheumsatz um 35 — 100 "/o- je nach der Intensität der Arbeit und der Lebhaftigkeit des Temperaments, welche einen großen Einfluß auf die bei gleichen Anforderungen aufgewendete Muskelarbeit hat" (N. Zuntz). Von erheblichem Einfluß ist auch die Tem- peratur des Körpers. Dieselbe ist nun allerdings beim gesunden Körper konstant die gleiche. Der Mensch reagiert aber im gesunden Zustande auf äußere Temperaturschwankungen, nämlich gegen Kälte durch Erhöhung des Stoffwechsels, gegen Wärme durch Herabsetzung. Das Alter beeinflußt den Stoffwechsel in dem Sinne, daß Kinder von 2 — 7 Jahren einen fast 1 '/•> fach so großen Ruheumsatz -haben als Aus- gewachsene, Greise einen um 7.-) geringeren. Nach diesen Gesichtspunkten muß die wirk- liche Zufuhr von Nahrung bemessen werden. Doch darf die wirkliche Zufuhr stets etwas größer sein als die aus den chemischen Prozentzahlen errech- neten, wenn diese nicht schon von vornherein „verdauliches" Eiweiß, Fett, Kohlehydrat angeben. Denn ziemlich viel Eiweiß, Fett und Kohle- hydrat geht unverdaut ab. III. Kost maß. Man hat dem Körper eine den Verbrauch völlig deckende Menge von jenen drei oft genannten Nährstoffen im verdaulichen Zu- stande zuzuführen, damit keine Unterernährung eintritt. Nun ist freilich, wie schon erwähnt, der Ver- brauch nach der geleisteten Arbeit verschieden. Angaben über das Kostmaß, d. i. die täglich zuzuführende Nährstoffmenge, sind darum nicht leicht im allgemeinen zu machen. Die für die Erhaltung des Stoffbedarfes uner- läßliche Eiweißmenge scheint individuell verschie- den zu sein. Bei einzelnen Menschen reichen 35 g pro Tag aus (nach Siven); im Durchschnitt dürfte bei 65 — 70 kg Körpergewicht etwa die doppelte Menge erforderlich sein. Also 70 g Eiweiß pro 65 kg Körpergewicht und Tag nach dieser Aufstellung. Da aber viele Menschen in Deutschland wesent- lich mehr als 65 kg wiegen, da ferner körperliche Anstrengungen den Bedarf erhöhen und mancher Darm nicht gut verdaut, so darf man wohl be- trächtlich mehr Eiweiß in die Berechnung ein- setzen, mindestens 100 g, und bei schwer arbei- tenden Menschen 150 — 180 g Eiweiß pro Tag. Der Rest des Energiebedarfes wird durch Kohlehydrate und Fett gedeckt; bei schwerer Arbeit, sowie bei wenig leistungsfähigem Ver- dauungsapparat muß die Fettmenge sowie die Kohlehydratmenge relativ größer sein. Im Durch- schnitt sind bei geringerer und mittlerer Arbeit 50— 6og Fett pro Tag und 70 kg Körpergewicht ausreichend. Aus demselben Grunde wie bei Eiweiß muß aber diese Zahl für viele Leute noch erhöht werden. Man hat unter Berücksichtigung der verschie- densten Fälle folgende Mittelwerte aufgestellt (pro Tag und Mann) Mittleres Kostmaß: Eiweiß Fett Kohle- hydrat Zusammen Nährstoff g 118 g 88,4 g 392,3 s 598,7 g NiihrstoSf 483,8 Kai. 832,2 Kai. 1608,4 Kai. 2904,4 g Kai. Im Manöver, im Krieg, bei anstrengenden Märschen, ist die nötige Kalorienmenge bedeutend größer, sie steigt auf 4000 pro Tag und Mann. Wenn möglich , wird bei Märschen ein nicht unerheblicher Teil des Bedarfes mit Bier gedeckt, welches im Liter ca. 60 g Kohlehydrate und außerdem über 30 g Alkohol (äquivalent mit 50 g Kohlehydrat) also den Wert von 1 10 g Kohle- hydrat = 450 Kai. liefert. Freilich wird durch Biergenuß das Volum der Nahrung meist zu sehr erhöht. Die Nahrung soll 1500 — 2000 g (höchstens 3000 g) betragen. Es darf übrigens nicht verschwiegen werden, daß die oben angegebenen Zahlen für das mitt- lere Kostmaß: 118 g Eiweiß 88,4 g Fett 392,3 g Kohlehydrat neuerdings als zu hoch angesehen werden, nament- lich bei Eiweiß. Man spricht in ärztlichen Kreisen von der Notwendigkeit einer Revision dieser Zahlen. IV. Kein Nahrungsmittel enthält die Nährstoffe im richtigen Verhältnis. Nicht einmal die Kuhmilch, von der sich doch manche wochenlang ausschließlich nähren, ent- spricht den hygienischen Anforderungen ganz. Denn sie enthält 3,4 "/„ Eiweiß, 3,5 "j„ Fett und 5,00 "/u Kohlehydrat; also verhältnismäßig zu viel 438 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 28 Eiweiß und Fett und zu wenig Kolilehydrat. Freilich in der menschlichen Muttermilch beträgt der Eiweißgehalt nur 1,5 '%:, dieselbe genügt für die Zeit des stärksten Wachstums. Weit mehr fehlt es bei Fleisch und bei Ge- müse. Sie können also keinenfalls zur alleinigen Nahrung jedes für sich, genügen. Vielmehr müssen sie kombiniert werden. Instinktiv hat der Mensch von selbst, rein erfahrungsgemäß, die Notwendig- keit der gemischten Kost erkannt. Es ist ohne weiteres klar, daß die angegebenen Nahrungsmittel (siehe unter I.) in der verschieden- sten Weise zu einer physiologisch brauchbaren Kost zusammengemischt werden können. Welche gewählt werden, hängt von der Ge- schmacksrichtung, der landesüblichen Gewohnheh, der Bekömmlichkeit, dem Marktpreis usw. ab. Man kann auf verschiedene Weise zum Ziele kommen, nämlich zur Erreichung des Kost- maßes. Da der Kostenpunkt hierbei eine große oft ausschlaggebende Rolle spielt, so mögen einige Angaben aus Atwater's Tabellen (Chemistry und Economy of Food, Washington 1895) über die Nährstoffmengen , welche man für gleiches Geld bekommt, hier Platz finden. Man kauft für eine Mark in ^. .„ ,, . Kohle- Nutzwert- Eiweiß tett ^yj^^,^ kalorien feinstem Lendenbraten 80 90 — 1120 billigstem Nackenstück 300 270 — 3055 gesalzenem Schweinespeck 10 760 — 7300 Eiern (5 Pfg. pro Stück) 120 100 — 149° Vollmilch 200 240 260 4045 Käse 270 320 20 4210 Weizenbrot 200 40 1300 6445 Weizenmehl 420 40 2S00 13695 Am besten wäre also Weizenmehl, dann kommt Schweinespeck, dann Weizenbrot, dann Kuhmilch und Käse. Da Weizen rar geworden ist und Speck nicht allen bekommt, müssen wir uns, wenn wir sparen wollen, zunächst an die Milch halten, wie an das daraus hergesteUte Gerinnungs- und Gärungsprodukt, den Käse. Sie sollten also nicht verteuert werden! V. Berechnung einesBeispieles von ein- facher Tageskost pro erwachsene Person. Die angegebenen Nährstoffmengen sind verdau- liches Eiweiß usw. — Die Suppe ist hierbei zu 300 — 400 ccm gerechnet, nach dem Einkochen mit einem Gehalt von 25 g Kohlehydrat und 15 g Fett (z. B. bei Graupensuppe oder Griessuppe). Das Gemüse kommt zu 200 ccm in Anschlag ; Frühstück: 250 ccm Milch und I Kriegsbrot (ca. 35 g)= 15 g Eiweiß und 10 g FeU und 55 g Kohlehydrat Mittagessen: I Teller Suppe (eingekocht) = 25 g Kohlehydrat und 15 g Fett 250 g mageres Ochsenfleisch = 50 Eiweiß und 7 g Fett f Teller Spinat mit Ei = lo g Eiweiß und 6 g Fett und 8 g Kohlehydrat 150 g Mehlauflauf = 6 g Eiweiß und 10 g Fett und 100 g Kohlehydrat Abendessen: 145 g Roggenbrot = 7 g Eiweiß und 0,7 g Fett und 71; g Kohlehydrat " 250 g Kartoffel = 2,5 g Eiweiß und 52,5 g Kohlehydrat 50 g Butter = 40 g Fett 100 g Schweizerkäse (fett) = 24 g Eiweiß und 30 g Fett und 5 g Kohlehydrat ','2 1 Bier = 25 g Kohlehydrat und 15 g Alkohol (gleich- wertig mit 50 g Kohlehydrat) Summe der Tageskost: 114,5 g Eiweiß "nd "'^•T g ^e" ""'^ 360.15 g Kohle- hydrat (Kalorien). ') Der Eiweißgehalt derselben bleibt nur einige Gramm unter dem mittleren Kostmaß, der Kohle- hydratgehalt ist etwas darunter; das Fehlende wird aber reichlich gedeckt durch den 30 g be- tragenden Überschuß an Fett. Die in dieser Tageskost steckendeEnergiemenge beträgt 305oKal. Der Preis dieser Tageskost stellt sich auf ca. 2 Mark pro erwachsene Person. Für viele Familien wird diese Ausgabe zu hoch sein. Ermäßigungen werden sich aber leicht erzielen lassen durch Auswahl billigerer Nahrungsmittel. Z. B. würde sich wesentlich billiger stellen die in der Rheinpfalz beliebte Kost: Sauermilch mit Kartoffeln, die in Oberbayern übliche Brennsuppe oder aufgeschmälzte Brotsuppe, dazu Sauerkraut mit Speckklößen usw. Wieweit man damit dem „Kostmaß" gerecht wird, mag aus der obigen Zu- sammenstellung und den üblichen Kochrezepten entnommen werden. Sollte jemand an Vegetarierkost gewöhnt sein oder sich gewöhnen können, so wäre z. B. folgende Kost wesentlich billiger: (Siehe Tabelle auf Seite 439-) Der Eiweißgehalt dieser Tageskost ist zu gering. Es müßte also an einem zweiten Tag eiweiß- reichere Kost gegeben werden. Wieweit noch billiger gelebt werden kann, möge aus den Tabellen entnommen werden. Hin- gewiesen sei auf die Milch, von der 2^.. — 3 1 pro Tag genügen, wenn dazu eine Brotkarte abge- gessen wird. VI. Die Nährstoffe aus dem Tierreiche sind denen aus dem Pflanzenreich gleich- wertig und umgekehrt. p:iweiß aus Fleisch hat denselben Nährwert wie solches aus Erbsen. Nur das stärkere Eingeschlossensein (in wider- standsfähige Zellhüllen) und die damit verbundene Schwerverdaulichkeit spricht etwas zu Ungunsten des Pflanzeneiweißes. I g Eiweiß I g FeU I g Kohlehydrat 4,1 Nutzwertkalorien 9.3 4.1 N. F. XIV. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 439 Mittag: 1 Teller Einbrennsuppe mit Fett Eiweiß Kohlehydrat (aus 40 g Mehl und 15 g Butter (Fett) 12,4 g 3.70 g 30.10 g I Teller Kartoffelsuppe Fett Eiweiß Kohlehydrat (aus 300 g Kartoffel und 10 g Mehl und 10 g Butter) 8,20 g 0,97 g 70,55 g I Portion Sauerkraut mit Kartoflelnudeln Fett Eiweiß Kohlehydrat (aus 100 g Sauerkraut und 300 g Kar- toffel und 50 g Butter und 86 g Mehl) 37.00 g 10,00 g 112,00 g I Kriegsbrot (Semmel) 0.35 g 2,10 g 15.75 g 100 g Käse (Mager-) 11,00 g 32,00 g 3,00 g 50 g Butter 40.50 g 0.35 g 0.25 g 2 Kriegsbrote (Semmeln) 0,70 g 4.20 g 31.5° g Preis der ganzen Tageskost : ca. I Mk, Ebenso sind die Fette beider Reiche theoretisch gleichwertig. Praktisch kann freilich ein beträchtlicher Unter- schied bestehen, nämlich insofern als dieselben von verschiedener Verdaulichkeit und verschiede- nem Geschmack sind. Je leichter verdaulich und je besser schmeckend, desto lieber werden sie genommen, desto größer ist der Nährerfolg innerhalb gewisser Grenzen. Ich verweise in dieser Hinsicht auf die Erfah- rungen, welche jeder bei sich selbst macht, sowie auf die unter VII. folgenden Darlegungen. Im großen und ganzen kann man sagen, daß tierische Nahrung geringeren unverdauten Rest liefert als vegetabilische. Es sind darum , wie schon erwähnt, bei tieri- scher Nahrung von der chemischen Zusammen- setzungszahl nur 4 — 5 "/„ bei Eiweiß und 4 — 5 "/o bei Fett in Abzug zu bringen. Hingegen erfordert die vegetabilische Nahrung, daß bei der Nährwertberechnung 15 — 20 "/g des Eiweißes, 5 — lo^/n des F"ettes und i — 4 "/(, der Kohlehydrate in Abzug gebracht werden, weil sie unverdaut abgehen. Es liegt das nicht durchaus an der Natur der Eiweiß- und F"ettstoffe usw. in Pflanzen, sondern sehr wahrscheinlich daran, daß sie in Zellen mit mehr oder weniger starker Zellulosehülle eingeschlossen sind, welche die Extraktion hindert. Da die Zellulose eine für den Menschen unver- dauliche Kohlehydratart ist, so liegt der Kohle- hydratverlust bei Pflanzenkost zum Teil auch da- ran, daß eben unverdauliches Kohlehydrat da ist. Aus dem Vergleich der Zahlen für tierische und pflanzliche Nahrungsmittel in obiger Tabelle, soweit die Zahlen verdauliches Eiweiß usw. angeben, läßt sich erkennen, daß 100 g geräucherter Speck so nahrhaft sind wie 200 g feines Weizen- mehl; letzteres ist aber billiger. 100 g Erbsen sind so nahrhaft als 300 g mageres Rindfleisch, erstere sind weit billiger, kosten bei normalen Erbsen- und Fleischpreisen den zehnten Teil vom Fleisch. Man wird also die vegetabilische Nahrung schon wegen der Billigkeit nicht verachten dürfen. Der Geschmack freilich ist nicht so gut und kräftig wie der von fleisch. Gesarat- , Gesamt- fett ' ei weiß i'o.73 g 53.32 g Kalorienzahl: 2740. VII. Gesanit- kohlehydrat 363.15 g Die Geschmacksstoffe sind für die Verköstigung von größter Bedeutung. Je besser der Geschmack einer Speise dem Esser zusagt , desto lieber wird die Nahrung ge- nommen, desto besser arbeiten die Verdauungs- nerven, desto besser ist ceteris paribus die Ver- dauung. Es sind darüber nicht viel Worte zu verlieren. Denn das Gesagte entspricht nicht bloß dem wissenschaftlichen Standpunkt, sondern ergibt sich auch aus der täglichen Selbstbeobachtung. Wir müssen also dem Geschmack der Speisen auch Bedeutung beimessen, nicht bloß der che- mischen Zusammensetzimg derselben. Geschmackstofie werden teils künstlich zuge- setzt als ,, Gewürze"; teils sind sie von vornherein in den Nahrungsmitteln enthalten, wie die Fleisch- extraktstofife im Fleisch, der Zucker, die Pflanzen- säuren und ätherischen Öle im Obst; nicht selten werden sie erst durch das Kochen und Braten gebildet, wie der Bouillongeruch, der Bratengeruch, der Backgeruch usw. Immer sind sie wertvoll und von dem Konsu- menten meist hoch geschätzt; nicht mit Unrecht. Es soll damit keineswegs der kulinarischen Lebensweise das Wort geredet werden, am wenig- sten jetzt, wo kein Pfennig übrig ist für Luxus. Aber ganz verzichten auf Wohlgeschmack der Speisen wird wohl kaum ein Mensch , wenn er nicht strikte hierzu gezwungen ist. Man wird ja schließlich auch nicht sogleich verhungern, wenn man Eiweiß , Fett und Kohlehydrat in Form ge- schmackloser chemischer Präparate nimmt. Auf die Dauer bekommen wird das aber nicht. Was von den Geschmacksstoffen unserer Speisen gesagt wurde, gilt mehr oder weniger auch von den Genußmitteln in unserer Nahrung, wie Kaffee, Tee, Bier, Wein, Zigarren usw. V. Pettenkofer sagt: „Der Mensch hängt so sehr von Genußmitteln ab und zwar nicht bloß für Zwecke der Ernährung und Verdauung, son- dern auch noch für zahlreiche Nerventätigkeiten in ganz anderen Richtungen, daß er dafür, um sich dieselben zu verschaffen, gerne etwas Geld opfert oder bezahlt. Wie viele verzichten nicht 'auf ein 440 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 28 Stück Brot, um sich eine Tasse Kaffee oder Tee, eine Prise Tabak, eine Zigarre, ein Glas Bier oder Wein zu sichern , wenn ihnen die Wahl gelassen wird, obwohl ein Stück Brot zum Fett- und Eiweiß- ersatz am Körper beiträgt und die genannten Genußmittel nicht." „Die Genußmittel sind wahre Menschenfreunde, sie helfen unserem Organismus über manche Schwierigkeiten hinweg. Ich möchte sie mit der Anwendung der richtigen Schmiere bei Bewegungs- maschinen vergleichen, welche zwar nicht die Dampfkraft ersetzen und entbehrlich machen kann, aber dieser zu einer viel leichteren und regel- mäßigeren Wirksamkeit verhilft und außerdem der Abnutzung der Maschine ganz wesentlich vor- beugt. Um letzteres tun zu können, ist bei der Wahl der Schmiermittel eine Bedingung unerläß- lich: sie dürfen die Maschinenteile nicht angreifen, sie müssen, wie man sagt, unschädlich sein." (Schluß folgt.) Die Verwertung der städtischen und industriellen Abfallprodukte. [Nachdruck verboten.] Von Professor Dr. In der jetzigen Kriegszeit erwachsen unseren Städteverwaltungen ganz besonders schwierige Aufgaben; ganz besonders bei der Beschaffung von Lebensmitteln usw. Es ist daher unbe- dingte Pflicht, alle Abfallprodukte, sei es im Haus, sei es in der Industrie, nutzbar zu machen. Von den Behörden ist schon darauf hinge- wiesen worden, daß die Küchen ab fälle, die in den meisten Städten zum Teil mit dem Ab- wasser fortgeleitet vi'erden , als I*" u 1 1 e r m i 1 1 e 1 verwendet werden sollen. Nur in einigen Städten werden sie nutzbar ge- macht, in den meisten wandern sie in den Aschen- eimer, zu ca. 98%; hierbei handelt es sich um ganz bedeutende Mengen , die Küchenreste einer Stadt von 100 000 Einwohnern liefern täglich ca. 50 Zentner Kraftfutter, eine Stadt von 3 Millionen Einwohnern ca. 1500 Zentner täglich! Von den deutschen Großstädten werden allein täglich 14000 Zentner als Viehfutter verwertbare Küchen- abfälle weggeworfen. Selbst wenn man die ganz kleinen Städte mit vorwiegend landwirtschaftlicher Bevölkerung nicht in Betracht zieht, welche die Küchenabfälle zur Schweinefütterung direkt verwerten , so bedeutet das doch, auf ganz Deutschland angewandt, eine gewaltige Vermehrung der Futtermittel und eine P^ntlastung des Getreidever- brauchs. Die Küchenabfälle, die als Futtermittel ver- wendbar sind , müssen von den Hausfrauen ge- sondert aufgehoben und bereitgestellt werden. Die Abholung erfolgt durch die Vermittlung der Kommunen , der Futtereinkaufsgenossenschaften und sonstiger landwirtschaftlichen Verbände, welche die Abfuhr, die Verarbeitung und Vertrieb der neuen Futtermittel übernehmen. In Charlottenburg, Potsdam, Essen ist dieses Verfahren bereits mit gutem Erfolg eingeführt worden. In Essen erfolgt die Abfuhr wöchentlich dreimal; die Gefäße mit flüssigen und breiigen Abfällen werden in die auf jeden Wagen befind- lichen beiden h'ässer entleert, während die festen Abfälle, wie Kartoffelschalen, Gemüseabfälle auf dem Wagen gelagert werden. Die Menge der Küchenabfälle beträgt täglich 200 Zentner. P. Rohland-Stuttgart. In Charlottenburg wurden die Küchenabfälle direkt verfüttert , aber die Gewichtszunahme der Schweine blieb unbefriedigend, jetzt werden erstere zu einem dauerhaften und versandfähigen Kraftfuttermittel verarbeitet. Die Fütterungsver- suche damit haben gute Resultate gehabt. Sein Nährstoffgehalt kommt dem der Weizen- k 1 e i e und der Zuckerrübenschnitzel gleich, während es durch eine spezifisch günstige Wirkung auf den Fettgehalt der Milch die genannten Futtermittel noch übertrifft. Aber auch die Nahrungs- und Genußmittel- fabriken haben Abfallprodukte, die noch in viel größerem Umfange als bisher technisch nützlich verwertet werden können; so die Heferück- stände der Bierbrauereien, Preßhefe- fabriken und Brennereien, die wertvolle Stoffe enthalten. Es gibt leider noch sehr viel Brauereien, die diese Rückstände unverwertet lassen, und sie mit dem Abwasser fortleiten. Werden aber diese Heferückstände in das Ab- wasser und von da in die Vorfluter geleitet, so gehen sie einmal einem nützlichen Zweck voll- ständig verloren, und zweitens bilden sie dann den schlimmsten Teil des Abwassers, da sie sehr schnell infolge Fäulnisprozesses zersetzt werden. Denn wenn diese Heferückstände nicht bei niederer Temperatur aufbewahrt werden können, so gehen sie sehr bald in Fäulnis über, die mit einem üblen, widerlichen, weithin ver- nelimbaren Geruch verbunden ist. Die Eiweiß- zersetzungsprodukte werden bei höherer Tem- peratur schnell noch weiter abgebaut. So hatte die Berliner Gesellschaft für Hefeverwertung in diesem P'rühjahr Schwierig- keiten, die jetzt gehoben sind, dadurch, daß sie Heferückstände längere Zeit vor der Verarbeitung aufbewahren mußte. Die widerlichen Gerüche, die bei dem Zersetzungsprozeß der Heferück- stände noch dazu in einer dicht bewohnten Gegend entstanden, hätten die Behörden beinahe veranlaßt, diese Fabrik zu schließen. Die technische \'crwertung der Heferück- stände muß sogleich, am besten in der Brauerei selbst, vorgenommen werden. P. Dön- hoff empfiehlt für kleine Brauereien ein Ver- N. F. XIV. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 441 fahren, das die Heferückstände sogleich verarbeitet. Die abgepreßte Hefe wird mit Abdampf gekocht, wobei sich ein Präparat von folgender Zusammen- setzung ergibt: Wasser 71,9 "/q, Protein 14, "Ig, Fett 0,120/0, Stickstoffreie Extraktstoffe 11,7 "/o, Asche 2,2 %. Diese gekochte Hefe erwies sich als ausreichend haltbar und hat sich bei der Sc h weinemast ausgezeichnet bewährt. Gerade jetzt, wo es an Schweinefutter mangelt, muß auf dieses Futtermittel hingewiesen werden, zumal nur geringe Mengen dieses eiweißreichen Futtermittels den Rationen beigemengt zu werden brauchen. Besser ist es aber noch , die Heferückstände mit einem Hefetrocknungsapparat, wie ihn die Maschinenfabrik M. Oschatz in Dresden liefert, zu trocknen. Die Hefe wird sehr schnell in etwa 9 — 12 Sekunden getrocknet. Welche nutzbaren und wertvollen Stoffe in der Trockenhefe enthalten sind, geht aus ihrer Analyse hervor: Wasser 7,8 '>l^, Mineralstoffe 9.36*'/o, (davon Phosphorsäure 3,6o'7o = 38,42 % der Mineralstoffe). Eiweiß 50,80%, (davon Lecithin 1,24"/,)) Fett i,52»/„, Kohlehydrate und stick- stoffhaltige Extrakt- stoffe 30, 5 2"/,,. Die Gärungserreger sind vollständig abgetötet. Zweifellos stellt die Trockenhefe ein sehr wertvolles Futter infolge ihres Gehalts an phosphorsauren Salzen, an Eiweiß, Lecithin, Kohlehydraten , Fett usw. dar. So kann sie als Haferersatz bei der Pferdefütterung verwendet werden, da Hafer bis zur Hälfte durch Trocken- hefe ersetzt werden kann. Aber sie kann auch als Nahrungsmittel für Menschen dienen; nach ihrer chemischen Zu- sammensetzung steht sie dem Fleisch am nächsten, auch bei wesentlicher Einschränkung der P'leischkost kann mit Verwendung von ge- trockneter Bierhefe dem Volke und auch den im Felde stehenden Soldaten eine gesunde Nahrung geboten werden. Auch im Geschmack steht sie dem Fleisch nahe. Das Nährwertverhältnis von Nährhefe zu frischem Fleisch stellt sich wie folgt: mittelfettes Rindfleisch enthält 1,37 Kalorien im Gramm, Nährhefe 4,52 Kalorien. Demnach entspricht I Kilo Nährhefe 3,3 Kilo Fleisch. Im Preise stellt sich diese Nährhefe zu mittelgutem Rindfleisch ungefähr i : 2,9, zu Rind- fleisch bester Qualität 1:4,3. Was die Anwen- dung der Hefe anbetrifft, so eignet sie sich in erster Linie zur Herstellung von solchen Speisen, die gewohnheitsmäßig unter Verwendung von Fleisch oder Pleischbrühe zubereitet werden. Und Geheimrat Rümker hat auf der vor kurzem stattgefundenen Tagung der Landwirtschafts- kammer darauf hingewiesen, daß bei Nahrung von Kohlehydraten als Proteinersatz Trockenhefe dienen könne. Wenn die deutschen Brauereien ihre gesamte Überschußhefe, ferner P'aßgeläger und Trüb, Hopfentreber auf Trockenfutter verarbeiten, so können sie 32000 Toimen dieses wertvollen Futters im Werte von 6500000 M. auf den Markt bringen. Auf sehr einfache Weise kann also ein Ab- fallprodukt, das sonst den Brauereien Schwierig- keiten macht, in nutzbares Futter umgewandelt werden; es ist bedauerlich, daß noch viele Brauereien in Deutschland und ( )sterreich dieses Abfallprodukt ungenützt abfließen lassen. Auch die Verwertung der Wein- und Obstrester und der Weinhefe durch Trocknung, wie sie schon in Italien geschieht, würde für Deutschland Vorteile haben. Weiter kann auch die Melasse, das Restpro- dukt der Zucker fabrikation, in größerem Umfange als bisher verfüttert werden; sie enthält im Durchschnitt : 20 "/o Wasser, 10% stickstoffhaltige Stoffe, 50 "/o Zucker, 10 "/o sonstige stickstoffhaltige Stoffe, 10 "/o Salze. Der Nährwert der Melasse hängt von den in ihr enthaltenen organischen Bestandteilen ab. i kg Stärkemehl, das an Mastochsen zu einem schwachen Produktionsfutter gegeben wird, kann 0,25 kg Körperfett liefern, während i kg Zucker unter den gleichen Verhältnissen 0,19 kg Körperfett liefert. Wo also der Zucker so billig wie in der Melasse zu haben ist , kann es nur von Vorteil sein , wenn Wiederkäuer mit Melasse gefüttert werden. Auch in verschiedenen Industriezweigen können für wichtige Nahrungsmittel Ersatzstoffe, die weniger wichtig sind, benutzt werden, so für Kartoffelmehl in der Papier-, Textil-, Seifen-, Wachsblumenfabrikation Tal k, Kaolin als Füll- stoff und Harze als Bindemittel, in der kerami- schen Industrie als Bindemittel bei der Her- stellung von Glasuren Talk und ein anorganisches Kolloid. Talk, Kaolin sind genau so wie Kartoffelmehl kolloide Stoffe , die nach meinen Versuchen Ad- sorptionsfähigkeit gegenüber kompliziert zusammen- gesetzten Farbstoffen besitzen und daher als F"üll- stoffe verwendet werden können. Selbst im Bäckereigewerbe, in dem pflanzliche Stoffe verwendet werden, die ihrer Be- stimmung als Nahrungsmittel entzogen werden, können mineralische Stoffe, wie Talk, die ganz- 44^ Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 28 lieh unschädlich sind, den gleichen Zweck ebenso gut wie Kartoffelmehl erfüllen. Acetylen, das aus Calciumkarbid her- gestellt wird, steht neben dem Gas und dem elektrischen Licht zur Verfügung als Lichtquelle. Die Versuche , aus dem Abwasser der Zellulose- fabriken, das außer Alkohol kolloide Stoffe ent- hält, ein Gerbstoffmittel, die wir jetzt, da ausländische Gerbhölzer nicht mehr hereinkommen, zur Lederfabrikation viel brauchen, und ein Futter- mittel herzustellen, sind noch nicht zum Ab- schluß gekommen. Eine weitere chemisch-technische Aufgabe liegt auf ganz anderem Gebiet: es ist das die Rein- haltung unserer Bäche und Flüsse von städti- schen, landwirtschaftlichen und Fabrik- abwässern, schon wegen etwaiger Seuchen- gefahr, die durch die zahlreiche Einlieferung von Gefangenen noch erhöht wird. Besondere Aufmerksamkeit verdienen Flüsse, in denen, nicht vollständig, nur mechanisch durch Emscher- oder Kremerbrunnen geklärte städtische Abwässer oder auch ungereinigte land- wirtschaftliche Abwässer mit organischen Fabrik- abwässern , Abwässern von Rohzuckerfabriken, Preßhefefabriken, Bierbrauereien usw. im Vorfluter zusammentreffen. Dann bilden die kolloiden Sub- stanzen der Fabrikabwässer das Nahrungssubstrat für die zahlreichen Mikroorganismen, Bakterien usw., die aus den städtischen und landwirtschaft- lichen Abwässern stammen; es entsteht ein bio- logischer Prozeß, der mit einem üblen Ge- rüche verbunden ist; die Vermehrung der Bak- terien ist auch hier eine sehr schnelle und große, so daß, wenn seuchenerregende Bakterien auf- treten , die Verbreitungs- und Ansteckungsgefahr sehr groß ist. Auch Pilzwucherungen von Sphärotilus und Leptomitus treten auf. Darum sollten gerade jetzt unsere Flüsse und Bäche so sauber und rein wie möglich gehalten werden ; häufig sind kleine Bäche infolge Anlage- rung von festen Bestandteilen aus städtischen und Fabrikabwässern so verschlammt, daß sie bei einem Auftreten von .Seuchen eine ernste Gefahr bilden. Als Auftraggeber für solche gemeinnützige Zwecke sollten in erster Linie die Gemeinden in Betracht kommen, und solche Arbeiten als Notstandsarbeiten ausgeführt werden. Da die Seefischerei zurzeit daniederliegt, so würde eine tunlichst große Reinhaltung unserer Bäche und Flüsse, die jetzt oft nur wenig und geringwertige P'ische enthalten, auch unserer Binnenfischerei zugute kommen, und damit wieder ein sehr schätzenswertes Nahrungsmittel in größerer Menge gewonnen werden können. Aber auch aus den Abwässern, und zwar den städtischen, kann ein nutzbares Produkt her- gestellt werden. Sind nämlich für städtische Ab- wässer mechanische Kläranlagen vor- handen, so kann der Klärschlamm dieser Ab- wässer zur Fettgewinnung verwendet werden. Das extrahierte Rohfett ist dunkelbraun, durch Destillation wird es in ein Produkt übergeführt, das beim Pressen ungefähr 50% festes Stearin von hellbräunlicher Farbe, und 50% flüssiges Olein enthält; außerdem enthält es 20"/,, Pech. Das Stearin kann als Zusatzmittel zur Seife, das Olein als Spinnöl, für Schmiermittel, das Pech zur Herstellung von Dachpappen, Anstrichlacken usw. verwendet werden. Auch noch andere städtische Abfallpro- dukte können technische Verwertung finden. In den letzten Jahren sind auch sowohl die Abfallprodukte der Eisenindustrie, die Hoch- ofenschlacken, als auch die städtischen Abfallprodukte, die daraus resultieren- den Müllverbrennungsschlacken diesen Zwecken nutzbar gemacht worden. Die Steinkohle liefert eine harte und feste Schlacke, während die Braunkohle eine lockere hat. Die Müllverbrennungsschlacken haben der Analyse nach folgende Zusammensetzung: Sommerschlacke. Calciumoxyd: CaO Q.SS^/o» Kieselsäure : Si0.j 46,08 "/g, Eisenoxydul: FeO 16,09%, Tonerde: Al^Og i8,84"/o, Magnesia: MgO 2,67 »/o, Schwefelsäure : SO3 2,09 "/q. Unbestimmter Rest 3,95 "/„. Winterschlacke. Kalk: CaO 9,92 "/q, Kieselsäure: SiO., 45,74%, Eisenoxydul: FeO 15,75%, Magnesia: MgO 2,51 %, Schwefelsäure: SO., 1,54%, Unbestimmter Rest 2,15%. Bei der Verbrennung des Mülls spielt die Ver- breiinungstemperatur eine bemerkenswerte Rolle, und zwar insofern, als bei hoher Temperatur das im Müll erhaltene Eisenoxyd und die Eisen- oxydverbindungen durch das Kohlenoxyd zu Oxydul reduziert werden nach der Gleichung: FcgOg + CO = 2 FO -f CO2, während bei niedrigerer Temperatur diese Reaktion nur in geringem Umfange stattfindet. Ähnliche Vorgänge spielen sich auch beim H ochofen proze[ß ab; das Kohlenoxyd selbst bildet sich auch im Müllverbrennungsofen zum großen Teil durch Reduktion des Kohlenoxyds durch Kohle nach der Gleichung: 2CO.j + C = 2CO. Diese Reaktion wird katal}-tisch beeinflußt durch die Anwesenheit von Eisen, Kobalt, Nickel, Man- gan; und zwar in einem diese Reaktion be- förderndem Sinne. In technischer Hinsicht ist also die Auf- gabe gestellt, die Müllverbrennungsanlage so zu gestalten, daß auch bei niedrigerer Temperatur N. F. XIV. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 443 eine vollständige Verbrennung stattfindet; anderer- seits darf möglichst wenig Eisenoxydul gebildet werden, und es muß eine der Hochofenschlacke ähnliche harte Schlacke entstehen. Die ßetonkörper werden auf folgende Weise hergestellt: 3 Teile Müllverbrennungs- schlacke oder Flugasche werden mit i Teil Kalk gemischt. So hergestellte Zerreißprobekörper be- saßen nach 4 Wochen etwa 4 — 5 kg/cm' Zug- föhlgkeit. Preßlinge aus Müllverbrennungsschlacke, mit 6 "l„ Ätzkalk zu Steinen verarbeitet und dann im Dampfkessel erhärtet, weisen Druckfestig- keiten von etwa 400 kg/cm^ auf. Ferner wird, wie in reinem Portlandzement, in einer Mischung von 75% Müllverbrennungsschlacke und Portlandzement das Eisen nicht oxydiert, und auch die Entrostung des angerosteten Eisens findet auf die gleiche Art und Weise statt.') Wo aber nun in Städten viel Braunkohle und Briketts verbrannt werden, bildet sich im Gegensatz zu der festen Schlacke, welche die Steinkohle liefert, eine sehr lockere Müllverbren- nungsschlacke, die außerdem durch hohen Schwefelgehalt, mitunter bis zu S^lo) ver- unreinigt ist. ') Vgl. P. Rohland, Der Eisenbeton; physikalisch- chemische und kolloidchemische Untersuchungen. O. Spamer, Leipzig 1912. Diese Schwefelverbindungen entstehen in den Braunkohlen auf folgende Weise: der Gips, der in diesen Kohlen enthalten ist, wird durch die Kohle zu Schwefelcalcium reduziert und andere Sulfate zu den entsprechenden Sulfiden. Diese Schwefelverbindungen oxydieren sich an feuchter Luft und unter Wasser zu wasserlös- lichen Sulfaten, die im Beton oder im Eisen- beton dessen Zerstörung herbeiführen. Es muß also, falls solche Schlacke zur An- wendung kommt, erst dafür gesorgt werden, daß diese Schwefelverbindungen auf irgendeine Weise entfernt werden, was sich — das sei hier nur an- gedeutet — auf zwei Wegen erreichen läßt. Auch Koks- und Kesselschlacken sind zu diesen Zwecken ohne weiteres nicht ver- wendbar. Nur durch ganz sorgfältige .Aufbereitung ist es möglich , diese schädlichen Einmengungen , die später zu Ausblüh ungen und Treiberschei- nungen Anlaß geben, aus ihnen zu entfernen. In der jetzigen Kriegszeit sind es noch manche andere chemisch-technische Probleme, die zum Wohle des Volkes gelöst werden können. Wenn wir aber weiter so fortfahren, die Ab- fallprodukte technisch zu verwerten , so werden wir auch in wirtschaftlicher Hinsicht den Krieg siegreich durchführen können. Einzelberichte. Klimatologie. Im Jahre 1887 begannen die Vorarbeiten für eine Untersuchung der Verteilung der Niederschläge in Norddeutschland durch das Königl. Preußische Meteorologische Institut. Ein dichtes Netz von Regenstationen wurde einge- richtet, das schon im Jahre 1893 nicht weniger als 1939 Stationen umfaßte, deren Zahl jetzt auf 2950 gestiegen ist. Da eine 20jährige Beobach- tungszeit zuverlässige Resultate gewährleistete, so hat der Direktor des Instituts, Geheimrat Prof Dr. G. Hell mann die bisher vorliegenden Ergebnisse in 116 Karten der jährlichen und monatlichen Verteilung der Niederschlagsmenge publiziert und über einige allgemeine Ergebnisse in der Berliner Akademie der Wissenschaften ') berichtet. Zur Konstruktion der Jahresregenkarten wurden 2647 Stationen benutzt, von denen jedoch nur 37 % vollständige 20 jährige Beobachtungsreihen aufweisen, so daß bei den meisten die Jahresmenge durch Reduktion auf benachbarte Stationen rech- nerisch ermittelt werden mußte. Für die Reduk- tion der Monatswerte gelangte ein neues Ver- fahren zur Anwendung, das eine größere Genauig- keit gewährleistete als das bisher übliche. Größe und Eintrittszeit des monatlichen Maximums inner- halb der Jahreskurve lassen verschiedene charak- teristische Typen erkennen, die Hell mann als Haupttypus, Übergangstypus und Nebentypus ') Sitzung 5. November 1914. unterscheidet. Auf einer Karte hat er veranschau- licht, wie sich die verschiedenen Typen zonen- artig aneinanderreihen. Der Eintritt des Maximums schreitet in der Zeit von Juni bis Oktober im all- gemeinen von Süden nach Norden fort, wobei der September ganz übersprungen wird. In Ostpreußen ist der März am trockensten, im mittleren Teil Nordeutschlands westwärts bis zu einer Linie, die von Rügen über die Mündung der Havel nach der oberen Werra verläuft, der Februar, und im übrigen Norddeutschland west- lich von dieser Linie der April. Auf einer zweiten Karte ist die räumliche Ver- teilung der mittleren Jahresschwankung des Regen- falls durch Linien gleicher Amplitude von 2 zu 2 "'^ veranschaulicht. Aus ihr läßt sich erkennen, daß die Jahresschwankung des Regenfalls im all- gemeinen von Osten nach Westen abnimmt, von rund i2''/(, in Posen und Schlesien bis zu 3,5 am Niederrhein und an der holländischen Grenze. Mit zunehmender Höhe über dem Meeresspiegel aber nimmt die Schwankung rasch ab, was sich schon bei kleinen Erhebungen deutlich bemerkbar macht. In den höheren Gebirgen Westdeutsch- lands sinkt die Jahresamplitude bis auf 2 bis 3 7o herab, so daß hier die Verteilung der Nieder- schläge auf die Monate bereits eine ziemlich gleich- mäßige ist. Dagegen ist die Schwankung auf der Leeseite der Gebirge besonders groß. Die mittlere jährliche Niedersclilagshöhe betrug 444 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 28 im 20jährigen Durchschnitt in den preußischen Provinzen : Ostpreußen . 608 mm VVestpreußen 536 mm Brandenburg 554 mm Pommern 610 mm Posen 509 rnm Schlesien 666 mm Sachsen (nebst Thüringen, Anhalt und Kreis Schmalkalden) .... 598 mm Schleswig-Holstein (einschl. Lübeck und Hamburg [rechtes Eibufer]) . .714 mm Hannover (einschl. Oldenburg, Braun- schweig, Bremen und Hamburg [Amt Ritzebüttel]) 695 mm Westfalen (einschl. Waldeck, Schaum- burg-Lippe, Lippe und Grafschaft Schaumburg) 807 mm Hessen-Nassau (einschl. des Kreises Wetzlar, ausschl. des Kreises Schmal- kalden und Grafschaft Schaumburg) 699 mm Rheinprovinz(einschl. Fürstentum Birken- feld, ausschl. des Kreises Wetzlar) "j^"] mm Ganz Norddeutschland (einschl. Ober- hessen, aber ausschl. des Königreichs Sachsen) 638 mm. Westfalen ist somit die niederschlagreichste Provinz, aber der regenreichste Ort liegt nicht in ihr, sondern im Harz. Der 1140 m hohe Brocken- gipfel erhält von allen Regenstationen den meisten Niederschlag, nämlich 1700 mm, aber wahrschein- lich fallen im obersten Teile des Sieber-Baches fast ebenso große Mengen. Die regenärmste Provinz ist Posen und hier liegt auch der trockenste Ort Norddeutschlands, Kruschwitz am Nordende des Goplosees im Kreise Hohensalza mit 416 mm Niederschlagshöhe. In manchen Gebieten West- preußens ist jedoch die Trockenheit nicht wesent- lich geringer. O. Baschin. Anthropologie. Die Körpergröße des Men- schen ist von verschiedenen P^aktoren abhängig, und man wird die definitiv erreichte Größe des Einzelnen als Resultante mannigfach wirkender innerer und äußerer Kräfte bezeichnen dürfen. Selten ist diese gegenseitige Wirkung einzelner Faktoren in so einleuchtender Weise dargetan worden, wie in einer kürzlich erschienenen Arbeit von L. Bolk „Über die Körperlänge der Nieder- länder und deren Zunahme in den letzten De- zennien" (Ztschr. f Morph, u. Anthrop., Bd. 18, S. 1 5 — 48 ; zugleich Festschrift für G. A. Schwalbe). Die Untersuchungen des Verf erstrecken sich auf die Ausgehobenen der Jiihre 1898— 1907 und um- fassen 422629 Mann im Alter von 19 Jahren, die allen Schichten der Bevölkerung angehören. Als Durchsclinittsmaß ergibt sich eine Körper- größe von 169 cm, aber diese Zahl hat für eine so gemischte Bevölkerung, wie sie sich in den Niederlanden, sowohl in den Städten als auf dem Lande findet, nur wenig Wert. In der Tat be- rechnet der Verf für die Provinz P"riesland eine mittlere Größe von 171,4 cm, für Drenihe da- gegen eine solche von nur 167,3 cm. Noch deut- licher werden die Unterschiede, wenn man die Prozentzahlen der Großen (über 170 cm) und der Untermittelgroßen (unter 155 cm) in den einzelnen Provinzen miteinander vergleicht. Es springt dann die interessante Tatsache in die Augen, daß in den Provinzen mit fruchtbarem alluvialen Boden (Noord- und Zuid-Holland, Friesland, Groningen und Utrecht) die Körpergröße durchschnittlich be- trächtlicher ist als in den Provinzen mit diluvialem Boden (Drenthe, Overysel, Gelderland, Noord- Brabant und Limburg). So sind z. B. in Noord- Holland 49,8 "/q, in Noord-Brabant dagegen nur 29.8 "/o der jungen Männer größer als 170 cm. Eine Beziehung zwischen Bodenbeschaffenheit und Körpergröße ist in den Niederlanden also unleugbar. Nur die Verhältnisse in Zeeland scheinen dem zu widersprechen. Hier hat aber eine starke Vermischung des friesischen Stammes mit dem kleinen, alpinen Typus, der im südlichen Holland und in Belgien noch mehr vorherrscht, stattgefunden, wodurch das Körpergrößenmittel naturgemäß herabgedrückt wird. Im weiteren zeigt der Verf, daß in ländlichen Industriebezirken, in denen die allgemeinen Lebens- bedingungen günstigere geworden sind, die Körper- größe eine Steigerung erfahren hat, während sie bei den Landarbeitern die gleiche geblieben ist. Ein nicht weniger wichtiges Resultat aber, das sich mit Beobachtungen in anderen Ländern (Schweden, Norwegen, Dänemark, Baden) deckt, ist der Nachweis einer beträchtlichen Zunahme der Körpergröße in den Niederlanden in den letzten 50 Jahren. Während das Jahr 1850 noch eine mittlere Körpergröße der Ausgehobenen von 158,5 cm ergab, stieg das Größenmittel im Jahre 1900 auf 169,4 cm, was einem Zuwachs von 10.9 cm entspricht. In dem Zeitraum von 1898 bis 1907 allein konnte eine Zunahme von 1,1 1 cm konstatiert werden. Da auch bei der jüdischen Bevölkerung Hollands eine gleiche, w'enn auch absolut etwas geringere Steigerung der Körper- größe zu beobachten ist, handelt es sich also hier um eine allgemeine Erscheinung, die nicht an eine Rasse gebunden ist, sondern an der das ganze Volk teilhat. Dabei hat Verf nachgewiesen, daß die Erhöhung des Mittelwertes bei gleichbleiben- der maximaler Größe durch eine Hebung der Minimalgröße hervorgerufen wird. Eine Unter- suchung der einzelnen Provinzen zeigt aber auch hier wieder die Unterschiede, die durch die Rassen- zusammensetzung gegeben sind. Günstige Existenz- bedingungen tragen also dazu bei, daß Individuum und Rasse das durch die Vererbung gegebene Optimum der Körpergröße erreichen. Den Rasse- faktor zu eliminieren vermögen sie aber nicht; er ist den Umweltfaktoren gegenüber der mäch- tigere und setzt jeder Entwicklung ihre Grenze. R. Martin. N. F. XIV. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 445 Lappen und Samojeden. Im Osten wie im Norden Europas greifen Teile der mongo lisclien Rasse nach Europa herüber. Die typi- schen IVIongolen Nordeuropas sind die Lappen und Samojeden. Die ersteren nehmen den Nor- den Skandinaviens und Finnlands ein, in ver- sprengten Resten weit nach Süden reichend. Nach W. Crahmer, dem wir hier folgen,') ist es wahrscheinlich, daß einstmals das Verbreitungs- gebiet der Lappen viel weiter nach Süden reichte; es umfaßte die Küstenstriche vom Vesterbotten bis Gestrikland und im Innern Schwedens beson- ders Dalekarlien. Die Samojeden bewohnen den äußersten Norden Rußlands und den Nordwesten Sibiriens. Das Wandergebiet dieser Nomaden erstreckt sich vom Unterlaufe der Flüsse iVIesen und Petschora über den Ural hinaus bis zur Taimyrhalbinsel im Osten; es bildet einen breiten der Küste des Elismeeres folgenden Streifen. Das Klima der Wohngebiete der Lappen und Samojeden ist ausgesprochen arktisch. In Europa wird es wohl durch den Golfstrom günstig beein- flußt, aber schon im Innern und an der Ostküste Skandinaviens ist es dem sibirischen ähnlich, und Kältegrade von weit unter — 40" sind gar keine Seltenheit. -Schutz gegen die große Kälte bietet die zweckmäßige Kleidung des Polarbewohners: er zieht zwei Pelze übereinander und kehrt dabei die eine Haarseite dem Körper zu, die andere nach außen. Die zwischen beiden befindliche Luftschicht wirkt als guter Isolator und hält jede Kälte fern. Die Lappen und Samojeden sind zurückgedrängte Völker. Das Wohngebiet der ersteren ist durch Skandinavier, Finnen und Russen immer mehr eingeengt worden, was zu einem Rückgang der Volkszahl führte. Heute sind die Wanderungen der Lappen durch die beteiligten Staaten gesetz- lich geregelt. Die Samojeden werden seit langem von den ihnen benachbarten Syrjänen, Wogulen und Ostjaken bedrängt, weiter im Osten von den Tungusen. Vom Süden her dringen über- dies sibirische Türkstämme vor. Die westlichen Gruppen der Samojeden haben dagegen anschei- nend finnische Stämme vertrieben, die früher zwi- schen Archangels und dem Ural saßen; darauf weisen zahlreiche finnische Ortsnamen und prä- historische Pfunde aus dieser Gegend hin. Die ursprüngliche Heimat der Samojeden ist wohl in Hochasien zu suchen, am Altai und im sajanischen Gebirge. In der alten Heimat haben sich noch verschiedene Reste der Samojeden erhalten. Die Samojeden sind klein, und zwar im Durch- schnitt nur 142 cm hoch.-) Auffallend ist die meist typische mongolische Flachheit des Gesichts. Die Haare sind gewöhnlich schlicht und schwarz; ein interessantes Problem ist das Vorkommen 1) Zeitschr. f. Ethnologie, 44. Jahrg., S. 106 ff. ^) InMartin's Lehrbuch der Anthropologie ist der Durch- schnitt für männliche Personen mit 155 cm und für weibliche mit 143 cm angegeben. blonden Haares bei den Samojedenstämmen, selbst in Gegenden, wo der Verdacht fremden Einflusses ausgeschlossen ist. Der Bartwuchs an Oberlippe und Kinn ist sehr spärlich. Die Haut- farbe ist gelblich, doch kommt sie wegen der Schmutzigkeit der Leute selten zum Vorschein. Neben dem richtigen mongolischen Typus tritt in gewissen Gegenden, wie auf der Halbinsel Kanin, ein feinerer, sog. „finnischer Typus" auf, der durch weniger große Flachheit des Gesichts ausgezeichnet ist. Die Schädelform ist bei allen Samojeden außerordentlich breit; die Indices be- trugen bei den von Crahmer gemessenen Per- sonen 81 bis 88. Geradezu auffallend sind die kleinen Füße der Samojeden und ebenso der Ost- jaken. Crahmer erwähnt, daß bei diesen Völ- kern, wie bei Türken und Chinesen, die Frauen den Fuß nicht zeigen dürfen ; das ist wohl das bekannteste Beispiel von Verlagerung des Scham- gefühls. Die Lappen sind zweifellos in weitgehendem Maße mit Skandinaviern, Finnen und Russen ge- mischt und mongolische Merkmale treten bei ihnen nicht so scharf hervor wie bei den Samo- jeden. Die Körpergröße variiert ziemlich be- deutend; bei typischen Lappen beträgt sie nach Crahmer 150 — 160 cm. Blondes Haar kommt sehr häufig vor. Daneben treten schräggestellte Mongolenaugen, hochgradige Jochbogenbreite und andere Kennzeichen mongolischer Rasse auf. Die Nase ist ziemlich klein, platt und meist aufgestülpt. Bei Leuten aus der Gegend des Enare-Sees fand Crahmer auffallende Beziehungen zwischen Körpergröße, Haarfarbe und Schädelbreite; es treffen nämlich ganz gesetzmäßig mit der gering- sten Körpergröße auch schwarzes Haar und größte Schädelbreite zusammen , während die großen Individuen durch helleres Haar und geringere Schädelbreite ausgezeichnet sind. Die Körper- merkmale scheinen sich in dem Fall also in be- stimmter Korrelation zu vererben, wogegen Eugen Fischer bei menschlichen Rassenmischlingen feststellte, daß sich die einzelnen Rassenmerkmale unabhängig voneinander — ohne solche Korre- lation — vererben. *) H. F'ehlinger. Zoologie. Im Haushalt der Natur spielen die Insekten eine nicht zu unterschätzende Rolle als Blütenbestäuber. Angelockt durch Nektar und Pollen bürsten sie die Staubbeutel ab und ver- mitteln die Befruchtung durch Übertragung des Blütenstaubes auf die Narbe. Dieser gesetzmäßige Zusammenhang von „Leistung und Gegenleistung" wird von manchen Insekten unterbrochen, die „ungesetzlich" also als Dysteleologen die Blüten besuchen. Sie brechen von außen in die Blüten- röhre ein und entnehmen ihr den Nektar, ohne ihr einen Gegendienst zu erweisen. Als Dysteleologen kommen neben der Honigbiene in der Haupt- sache Hummelarten in Betracht. ') Eugen Fischer, Die Kehobother Hastarde. Jena 1913. 446 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 28 Mit diesen Erscheinungen beschäftigt sich neuerdings H. v. Buttel-Reepen (Biolog. Zen- tralblatt 1914). Er prüft die Anschauungen und Beobachtungen der früheren Autoren, um mit Hilfe eigener Beobachtungen zu einem besseren Urteil zu gelangen. Als primäre Dysteleologen bezeichnet er die selbsttätig vorgehenden Insekten, als sekundäre solche, die aus der Einbrecher- tätigkeit der anderen Nutzen ziehen. Wagner hatte nur eine Hummelart, Bom- bus terrestris L. , als Einbrecher festgestellt, die sich sowohl an Blüten wie an Knospen von Melampyrum nemorosum zu schaffen machte. Er zog daraus den Schluß, daß diese Spezies gegen- über den anderen selbständig den Gedanken ge- faßt hätte, auf diese außergewöhnliche Art zum Nektar zu gelangen und legt seiner Beobachtung weittragende Bedeutung bei. Ahnliche Über- legungsakte schreibt vor ihm Darwin den Hummeln zu. Er hatte gefunden, daß die Hummeln bei einer Stachys und Pentastomum nahezu zweimal so viele Blüten besuchen konnten, wenn sie Einbruch verübten, als wenn sie die Blüten in gewohnter Weise ausnützten. Der Zweck der Handlung scheint also nach ihm der zu sein, Zeit zu ersparen. Danach würden die Hummeln den Wert von Zeit und Arbeit er- fassen können. Schon vor Wagner hat Hermann Müller festgestellt, daß nicht nur Bombus terrestris L., son- dern eine ganze Reihe von Hummelarten und Apis mellifica L. die Korollen verschiedener Pflanzen anbohren. Dadurch erweist sich die Schlußfolgerung Wagner 's als unrichtig. Es gibt aber auch Hummeln, die niemals Einbruch verüben. Der Grund für das verschiedene Ver- halten liegt nicht in psychischen Prozessen, son- dern lediglich in der Rüssellänge. Diejenige Hummelart, die den kürzesten Rüssel hat, wird am häufigsten als Dysteleologe angetroffen und das ist eben Bombus terrestris, während z. B. Bombus hortorum mit sehr langem Rüssel den Nektar stets auf normalem Weg gewinnt. H. Müller erklärte sich die Dysteleologie damit, daß die Insekten durch Probieren gelernt hätten, wie sie die für sie auf anderem Wege schwer zu er- reichende Nahrung erlangen konnten. August Schulz nennt 165 Pflanzenarten, welche er mit beschädigten Blüten angetroffen hat und teilt in einer genauen Tabelle mit, welchen Anteil die einzelnen Ilummelarten nach ihrer Rüsscllänge an den Blüteneinbrüchen haben und wie groß die Zahl der von jeder Spezies un- gesetzlich besuchten Blüten ist. Da bei den Hummeln zwischen Weibchen, Arbeiterinnen und Männchen Unterschiede in der Rüssellänge vorhanden sind, so werden die ver- schiedenen Kasten gezwungen, solche Blüten zu befliegcn, die einerseits in deni der Art munden- den Nektar am meisten übereinstimmen, anderer- seits in der Tiefe der Blumenröhre der Länge ihres Rüssels entsprechen. Diese Erscheinung hat v. Dalla Torres zuerst festgestellt und als Heterotrophie bezeichnet. Nach H. v. Buttel- Reepen gilt aber die strikte Scheidung der be- vorzugten Blüten nicht in allen Gegenden. Wagner hatte angenommen, daß die Hummeln hauptsächlich durch den Geruch entscheiden, ob eine Blüte von Nektar frei sei oder nicht. Aber schon die Tatsache, daß der spezifische Geruch einer einzigen Blüte verschwindet, sobald wie bei Rotklee oder Heidekraut zahlreiche dicht beisammen stehen, macht es fraglich, ob auch ein feines Ge- ruchsvermögen das Vorhandensein oder Fehlen des Nektars feststellen kann. Weiterhin aber werden die Blüten von den Hummeln nach Honig abgesucht, wobei oft auch solche beflogen werden, die kurz vorher ihres süßen Inhaltes beraubt worden sind. Zum Beweis dafür bringt H. von Buttel-Reepen verschiedene in der Schweiz gemachte Beobachtungen. Danach kommt nur das Sehvermögen in Frage, das nach dem über- einstimmenden Urteil bei den Hummeln und Bienen scharf ausgeprägt ist. Schon Müller hat erwähnt, daß diese bei Primula elatior genau unterscheiden konnten, ob sie eine lang- oder kurzgrifflige P'orm vor sich haben und bei Cerinthus minor, ob die Staubgefäßpyramide an ihrer Spitze auseinandergedrückt und somit be- flogen ist oder nicht. Aus dem bisher Gesagten gelit also hervor, daß bestimmte Hummelarten, nämlich solche mit einem kurzen Rüssel, gezwungen sind, sich den Nektar an Blüten mit langen Röhren ungesetzlich zu verschaffen. Sie werden weniger durch das Geruchsvermögen, als vielmehr durch ihre Seh- organe unterrichtet, ob eine Blüte Nektar ent- hält oder schon entleert ist. Auch die Honigbiene wird von den Autoren, besonders von H. Müller, zu den primären Dysteleologen gerechnet, doch sind die Angaben nicht einwandfrei. Müller berichtet, daß eine Biene so lange an großblumige Blüten der Gundel- reben geflogen sei, bis sie ein von Bombus ter- restris gebohrtes Loch fand, welches sie dann benutzte. H. von Buttel-Reepen wendet mit Recht dagegen ein, daß die Biene als primärer Dysteleologe nicht länger sich ergebnislos abge- müht hätte und nur mit Hilfe anderer ans Ziel gekommen wäre. Ähnlich spricht sich Darwin aus. Auch bei Knuth, der außerordentlich viele Beobachtungen verwertet hat, findet sich keine klare Bestätigung für die primäre Einbruchs- tätigkeit der Biene, wohl aber teilt er Pralle mit, in denen sie sekundär die von Hummeln ge- bohrten Löcher ausgenützt hat. Auffällig ist da- gegen eine Beobachtung von Reh in den Vier- landen. Dort kommen im Mai und Juni die Blüten der Pferdebohne massenhaft angebohrt vor, trotzdem Hummeln nicht gerade häufig ange- troffen werden. Da aber zur Zeit der Obstbaum- blüte viele Imker ihre Stöcke in die Vierlande bringen, so herrscht an Bienen Überfluß. Daraus dürfte sich ergeben, daß die Biene als primärer N. F. XIV. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 447 Dysteleologe anzusprechen ist. Trotz dieses scheinbaren Beweises hält H. von Büttel- Reepen an seiner gegenteiligen Anschauung fest. Er hebt einerseits die blitzartige Schnellig- keit hervor, mit der die Arbeiter von Bombus terrestris die Blüten durchstoßen, und andererseits die Tatsache, daß die Biene der einmal befolgten Gewohnheit treu bleibt. Findet sie angebissene Blüten, so benützt sie weiterhin nur diese Ein- bruchslöcher beim Einsammeln, außerdem befliegt sie in der Hauptsache unversehrte Blüten. Ferner ist zu berücksichtigen, daß man oft nicht unter- scheiden kann, ob eine Röhre nicht schon vorher von einer Hummel verletzt ist, weil oft die Biß- lappen in die ursprüngliche Lage zurückschlagen. Dr. F. Stellwaag. Anregungen und Antworten. Herrn Dr. B. J. C. te H. in R. — Ist es bekannt, wa- rum Lycopodium clavatum Drudenfui3, Drudenkraut, Hexen- kraut, St. Johannisgürtel, Tcufelsklauen , Zigeunerkraut und die Sporen: Hexenmehl, Drudenmehl genannt wird. Die Eng- länder haben auch den Namen Zigeunerkraut. Ist es weil die Zigeuner die Sporen für Lichterscheinungen verwen- deten oder die Heilkraft des Dekoktes gegen mehrere Krank- heiten verwendeten. Haben die Namen Drudenfuß, Hexen- kraut, Teufelskraut Beziehung auf das Blitzvermögen der Sporen, weil dies für etwas Mystisches gehalten wurde oder weil die Priester es dazu gebrauchten? Die Bärlapp (Lycopodium-)Arten stehen seit alters in abergläubischem Ansehen, dies beweisen schon die noch heute im Volke gebräuchlichen Namen Druden kraut (Egerland), Druden-, Truten fuß (Voigtland, Böhmerwald). Drudlmehl [die Sporen] (bei Plan in Böhmen). Mittel- hochdeutsch ,,trute" bezeichnet eine Zauberin, in ober- und mitteldeutschen Mundarten ist das Wort ,, Drude" (meist in der Bedeutung ,,Alp") noch vielfach gebräuchlich. Auch als Hexenkruud (Zeven), Hexenkraut (bayerisch - öster- reichisch) wird Lycopodium clavatum bezeichnet, die Sporen in Steiermark als Hexenstupp (althochdeutsch ,,stuppi" = Staub). Hier. Bock nennt die Pflanze in seinem ,,New Kreütter Buch von underscheydt, würckung und namen der kreütter so in teutschen Landen wachsen" Straßb. 1539 ,,Teuffelskloen" (Teufelsklauen). Nach den Krallen von Tieren (wohl auch mit Rücksicht auf die gabelartigen Fruchtstände) ist Lycopodium (griech. lykos = Wolf, pus = Fuß) häufig benannt (vgl. Mar zell, D. Tiere in deutschen Pflanzennamen 1913, 6^). Für Lycopodium alpinum führt Braune in seiner , (Sammlung von Trivialbenennungen, welche einige Alpen- pflanzen im Salzbürgischen Gebürgslande führen" (Botan. Taschenbuch auf d. Jahr iSol , 214) den Volksnamen ,,Teu f el shos enban d" an. Im Holländischen heifit der Bärlapp Heksendans, Heksenkrans (Heukels, Woor- denboek der Nederlandsche Volksnamen van Planten, 1907 147), im Russischen koldunnik [=: Zauberkraut] (Annen- koff, Botanitscheskij slowar 1878, 203). Die polnische Be- zeichnung Morzibab, Morzybob (hierher auch die ost- preußischen Benennungen Mirschemei, Mürsemau, Murzemo?) soll in ihrem ersten Bestandteile das Wort ,,Mahr" = Drude, Hexe enthalten. Auch als ,, Todesweib" (Baba = .altes Weib, mor = Tod, Pest) wird der Name ge- deutet. Jedenfalls weisen all die genannten Volksnamen da- rauf hin, daß man die Bärlapp-.\rten für geheimnisvolle Pflan- zen hielt; ihr Standort an düsteren Waldstellen, ihr schlangen- ähnliches Hinkriechen am Boden , das Fehlen der Blüten, all dies mag ähnlich wie bei den sagenumwobenen Farnkräutern mitbestimmend gewesen sein, die Pflanze als ,, Hexenkraut" anzusprechen. Pro hie erzählt in seinen ,, Harzbildern" 1855 (S. 85), daß man die aus dem Bärlapp geflochtenen Kränze über die Stubentür aufhing. Ein solcher Kranz diente nach dem Volksglauben um die Hexen zu erkennen. Der ausge- trocknete Kranz, der sich doch sonst bei dem geringsten Luft- zug bewegte, blieb still, wenn eine Hexe das Zimmer betrat. Daher auch die Bezeichnung ,,Unruh" ifür den Bärlapp; über andere als ,, Unruh" verwendete Pflanzen und Gegen- stände vgl. Andree-Eysn, Volkskundl. aus d. Österreich. Alpengebiet 1910, 90. In der mährischen Walachei tragen die Schafhirten am Hute gern Zweige des Bärlapps, um gegen ,, Verzauberung" geschützt zu sein (Zeitschr. f. österr. Volks- kunde XIII, 24). Eine große Rolle spielt ferner der Bärlapp im Zauberglauben der Slowaken. Ein Stück Bärlapp bei sich getragen, läßt die Prozesse gewinnen und hilft zum schnellen Verkaufe des Viehes. Den Branntweinkessel reibt man mit der Pflanze aus und hängt sie über die Tür um Gäste anzulocken. Wenn man unter die Leute Bärlapp wirft, so entsteht Streit. Heiratslustige Mädchen stecken auch das Kraut zu sich um Tänzer zu bekommen. Übrigens benützen sie es auch um die Konzeption zu verhindern, daher auch die Bezeichnung „Netata" (= Nichtvater) für die Pflanze (llov orka- Kron- feld, Vgl. Volksmedizin 1908, I 50 f.). In Kujawien (Reg.- Bez. Bromberg) glaubt man , daß der Bärlapp den Blitz an- ziehe. Man duldet ihn daher nicht in den Häusern, um so mehr da er auch dem Brutgeschäft der Hühner, Enten und Gänse gefährlich ist; denn die jungen Tiere sollen dann nicht aus den Eiern kommen können (Hessische Blätter f. Volks- kunde III, 1904, 124). Schließlich gilt auch in Dänemark der Bärlapp als Mittel gegen Behextwerden (Deutsche botan. Monatsschrift XI, 1893, 75). — Der Name Johannisgürtel, wie er sich ab und zu in den botanischen Schriften des 17. und 18. Jahrhunderts findet, ist wohl nicht mehr gebräuchlich. Meist wurde die genannte Bezeichnung für eine andere Pflanze, den Beifuß (Artemisia vulgaris) gebraucht , mit der man sich in der J oh annisnacht um gürt e tc , wohl auch damit durch das Johannisfeuer sprang und dann glaubte, das ganze Jahr von Krankheit verschont zu bleiben (vgl. H ö fler, Volksmed. Botanik der Germanen 1908, 76 f.). Es mag sein, daß der Bärlapp ab und zu au die Stelle der Artemisia trat. — Die Bezeichnung Zigeunerkraut für den Bärlapp ist jedenfalls eine irrtümliche und beruht auf Verwechslung mit dem Wolfs- fuß (Lycopus europaeus), der bei Nemnich, Polyglotten- lexikon der Naturgeschichte 1793 ff., II, 479, den Namen Zigeunerkraut führt: „Landstreicher, welche sich für Zigeuner ausgeben, sollen sich mit dieser Pflanze die Haut bestreichen, um ein braunes Aussehen zu bekommen." Georgi, J. G., Geographisch-physikalische und naturhistorische Beschreibung des russischen Reiches, Königsberg 1800, III, 655, meint, daß die fast schwärzliche Farbe des Krautsaftes zu den schwärz- lichen Schminken der Zigeuner diene. Auch die englische Bezeichnung gipsy-herb, gipsy-wort (Zigeunerkraut) gilt nur für Lycopus, nicht für Lycopodium (Britten-Holland, Dictio- nary of English Plant-Names 1878, 206). Dr. Marzell. Herrn Lehrer A. Pietsch. Über die Abscheidung von Giften von selten pflanzlicher Parasiten ist wenig bekannt. Das einzige mir erinnerliche und einigermaßen genauer unter- suchte Beispiel bieten einige von Bakterien hervorgerufene Krankheiten. So beschreibt z. B. Pott er (Proceedings of the Royal Society, Vol. 67 u. 70) eine Weißfäule (white rot) der Rübe (turnip), die durch ein von ihm als Pseudomonas de- structans benanntes Bakterium hervorgerufen wird , und bei der der Parasit durch Giftstoffe wirken soll. Er soll eine Cytase (d. h. also ein celluloselösendcs Enzym) ausscheiden, das die Zellwände zur Auflösung bringt und so dem Bakte- rium den Angriff' auf die lebende Zelle ermöglicht. Außer- dem aber produziert es eben zu dem letzten Zweck ein Gift, mittels dessen es das Protoplasma tötet. Mit den beiden Mitteln bewirkt es dann einen schnell sich ausbreitenden breiigen Zerfall der Gewebe. Wird der Parasit in Rüben- brühe kultiviert, so wirkt die bakterienfreie Nährlösung, auf eine Rübenscheibe gebracht, ähnlich wie die lebenden Para- siten. Da die Cytase durch Kochen unwirksam wird , kann 448 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 28 es sich hier wohl um ein Enzym handeln. Dagegen ist es fraglich, ob das Gift an die Seite der eigentlichen Bakterien- loxinc gestellt werden darf, da es das Kochen übersteht. Man darf auch nicht vergessen, daß für manche giftigen Wirkungen gewöhnliche Stoffwechselprodukte (Säuren, z. B. Oxalsäure, Kettsäuren usw.) wie sie die eingedrungenen Pilze und Bak- terien aus den zerfallenden Geweben bilden können, für die Erklärung der giftigen Wirkung ausreichen würden und man nicht seine Zuflucht zu ähnlichen Toxinen zu nehmen braucht, wie sie bei tierischen Bakteriosen bekannt sind. Auf die Streitfrage, ob die mannigfaltigen pathologischen Erscheinungen, die man unter dem Namen Gallen zusammenfaßt, durch be- sondere durch die Erreger gebildete Giftstoffe hervorgerufen werden, gehe ich hier nicht ein. Ich verweise da auf K üste r, Die Gallen der Pflanzen. Leipzig 1911, S. 279 ff. Miehe. Herrn stud. Georg Wölfert, Gr. Flottbek. Unter Far- thenokarpie versteht man die Befähigung mancher Pflanzen, auch unter Ausschluß der Befruchtung äußerlich normal ge- staltete, aber mit tauben oder gar keinen Samen versehenen Früchte auszubilden. Parthenokarpie ist also nicht mit Par- thenogenesis zu verwechseln. — Abgesehen von dem wissen- schaftlichen Interesse, das der Erscheinung der Parthenokarpie entgegenzubringen ist, liegt es oft im Interesse der gärtneri- schen Praxis, Früchte ohne Kerne zu erzielen; aus diesem Grunde haben sich in den letzten Jahren wohl besonders Ewert und Höstermann mit der Frage beschäftigt. — Literatur; Hans Winkler, Über Parthenogenesis und Apo- gamie im Pflanzenreiche, Progressus rei botanicae. 2. Band, Jena 1908. — Höstermann, Jahresbericht der Kgl. Gärtner- Lehranstalt zu Dahlem, 1913, Berlin, P. Parey. — Alle übrige Literatur bei Winkler. Wächter. Herrn Loeper in Greifswald. Im allgemeinen ist die Blütenfarbe ein Artmerkmal und ist durch äußere Faktoren nur in geringem Maße veränderlich. Wo bei einjährigen Pflanzen plötzliche Farbenänderung der Blüten auftritt, als sie die erste Aussaat zeigte, kann die Ursache darin liegen, daß die Pflanzen Bastarde waren. In Ihrem Falle würde diese Möglichkeit kaum in Frage kommen. Da, wie Sie sagen in diesem Früh- jahr plötzlich fast alle Veilchen an dem bezeichneten Platze weiß blühten, ist auch kaum daran zu denken, daß etwa eine Mutation stattgefunden hätte. Solche plötzlich auftretenden Merkmale pflegen sich nur an einzelnen Pflanzen zu zeigen und auch hier gewöhnlich nur in Nachkommenschaften, nicht an älteren Pflanzen. Die Möglichkeit ist also nicht von der Hand zu weisen, daß die veränderte Beschaffenheit des Bodens einen Einfluß auf die Blütenfarbe ausgeübt hat, wenngleich die Botanik meines Wissens keine Analoga dazu kennt. Höch- stens könnte man an die bekannte Umfärbung der Hortensien erinnern, die durch Behandlung des Bodens mit Eisen und Alaun erreicht werden kann, Sie würden die Frage selber leicht entscheiden können, wenn Sie etliche der sicher augen- blicklich weißblühenden Stöcke in anderen Boden pflanzen wür- den und sehen würden, wie sie im nächsten oder übernächsten Jahre blühen. Andererseits könnten Sie auch versuchen, nor- mal blaublühende Pflanzen in verschiedenen Bodenmischungen zu ziehen. Welche Bestandteile der eingestürzten Ziegelstein- mauer vielleicht die Ursache sein könnten , läßt sich a priori nicht sagen. Zur kritischen Beurteilung des Phänomens wären wichtig die folgenden Fragen: Sind früher wirklich an der Stelle keine weißblühenden Veilchen gefunden? Haben sie wirklich ,,fast ausnahmslos" nach dem erwähnten Termin weiß geblüht J Ist die Farbe wirklich weiß oder nur heller blau? Miehe. Bemerkung. Wie der Schriftleitung von zwei Seilen mitgeteilt wurde, ist das in Heft 18 des gegeuwärtigen Jahrgangs der Naturw. Wochenschr. besprochene Buch von Ekekrantz, ,, Geschichte der Chemie" zum großen Teil nichts weiter als ein Plagiat nach der bekannten ,, Geschichte der Chemie" von E. v. M e y e r. Auf eine Anfrage teilt der Verlag der Schriftleitung mit, daß das Buch aus dem Handel zurückgezogen sei. M. Literatur. Schikora, Friedrich, Taschenbuch der wichtigsten deut- schen Wasserpflanzen. Wasserpflanzenbuch des Fischerei- Vereins für die Provinz Brandenburg. Zum Gebrauch auf Exkursionen für Schüler, Naturfreunde, Fischer und Teich- wirte. Mit 48 Lichtdrucken und 4 Textbildern, sowie einem Verzeichnis der volkstümlichen Namen. Bautzen i. S. '14, E. Hübner. — 3,90 M. Sem per, Max, Die geologischen Studien Goethe's. Beiträge zur Biographie Goethe's und zur Geschichte und Methodenlehre der Geologie. Mit einem Titelbilde und 9 Text- abbildungen. Leipzig '14, Veit & Co. — Geb. 11 M. Meyer, Prof. Dr. Arthur, Erstes mikroskopisches Prak- tikum. Eine Einführung in den Gebrauch des Mikroskopes und in die Anatomie der höheren Pflanzen. 3. vorvollstän- digte Auf läge. Mit 1 10 Textabbildungen. Jena '15, G.Fischer. — Geb. 7,50 M. Leonhard, Prof. Dr. Richard, Paphlagonia. Mit einer Topographischen und einer geologischen Karte in I 1400000, 37 Tafeln und 119 Bildern im Texte. Berlin '15, Dietrich Reimer (Ernst Vohsen). Robert, Prof. Dr. R., Über die Benutzung von Blut als Zusatz zu Nahrungsmitteln. Ein Mahnwort zur Kriegszeit. 2. wesentlich vermehrte Auflage. Rostock '15, H. Warkentien. Aus Natur und Geisteswelt: A. Heilhorn, Allgemeine Völkerkunde I u. II. Mit 54 resp. 51 Abbildungen im Text. — H. Speitkamp, Physik in Küche und Haus. Mit 51 Abb. im Text. — R. Vater, Die Maschinenelemente, 2. Aufl. Mit 175 Abb. im Text. — H. Kämmerer, Die .Abwehrkräfle des Körpers, eine Einführung in die Immunitälslehre. Mit 32 Abb. im Text. — R. Brauns hausen, Einführung in die experimentelle Psychologie. Mit 17 Abb. im Text. Leipzig und Berlin '15, B. G. Teubner. Jedes Bändchen geb. 1,25 M. Auerbach, Prof. Dr. Felix, Das Zeißwerk und die Carl-Zeißstiftung in Jena. 4. umgearbeitete und vermehrte .'^ufl. Mit 149 Abb. im Text und einem Bidnis von Abbe. Jena '14, G. Fischer. Geb. 3 M. Wilhelmi, Prof. Dr. Julius, Kompendium der biologi- schen Beurteilung des Wassers. Mit 148 Abb. im Text. Jena '15, G. Fischer. Geb. 3,20 M. Plimmer, R. H. A. , Die chemische Konstitution der Eiweißkörper. Nach der 2. Aufl. des englischen Originals deutsch herausgegeben von J. Matula. Mit 5 Abb. Dresden und Leipzig '14, Th. Steinkopff. Geb. 9 M. Verworn, Prof. Dr. Max, Die biologischen Grundlagen der Kulturpolitik. Ein Beitrag zum Weltkriege. Jena '15, G. Fischer. 1,20 M. Schlechter, Dr. R., Die Orchidieen, usw. Lief. 5 — 10 (Schluß). Berlin '15, P. Parey. Jede Lief. 2,50 M. Sieger, Prof. Dr. K. , Die geographischen Grundlagen der österreichisch-ungarischen Monarchie und ihrer Außen- politik. Leipzig und Berlin '15, B. G. Teubner. I M. Rabenhorst's Kryptogamenflora usw. 6. Band : Die Leber- moose usw. Bearbeitet von Dr. Karl Müller. 21. u. 22. Lief. Leipzig '15, E. Kummer. Je 2,40 M. Samter, V., Physikalische Chemie und Patentrecht. .'\us dem Nachlaß herausgegeben und eingeleitet von Prof. Dr. H. Großmann. Stuttgart '15, F. Enke. 1,50 M. Inhaltg Itg Bokorny: Chemisch-physiologische Winke über den Gebrauch der Nahrungsmittel während der Kriegszeit. Rohland; Die Verwertung der städtischen und industriellen Abfallprodukte. — Einzelberichte: Hcllmann: Ver- teilung der Niederschläge in Norddeutschland. Bolk; Die Körpergröße des Menschen. Cr ahmer; Lappen und Samojeden. v. Büttel- Reepen; Dysteleologen. — Anregungen und Antworten. Bemerkung. — Literatur; Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstrafle IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 14. Band; der ganzen Reihe 30, Band. Sonntag, den i8. Juli 1915. Nummer 29. Hering — Semon — Hacker [Nachdruck verboten.] Von Dr. phil. Zu seinem achzigsten und bekanntlicl letzten Geburtstag ist VV e i s m a n n von Valentin Hacker eine Schrift') gewidmet worden, die geeignet ist, dem freilich sehr verlockenden Ge- brauch des psychologischen Gedächtnisbegriffes in einem biologischen Gedankenkreise ein Ende zu bereiten, soweit diese Grenzüberschreitung nicht schon aufgegeben oder auf ihren wahren Wert, den einer Analogie, einer Metapher zurückgeführt worden ist. Aber nicht nur diese kritische Ab- sicht leitet den Verfasser, sondern er erweitert die allgemeine Betrachtung der Vereibungser- scheinungen durch einen, in dieser klaren und bestimmten Fassung neuen Gesichtspunkt, und diese positive Bereicherung ist schon an und für sich ein Verdienst, denn wem erschiene nicht alle Theorie der Lebensvorgänge fadenscheinig und fragmentarisch gegenüber der Fülle und Komplikation des Tatsachenmaterials? Es wird nämlich die Frage aufgeworfen, ob denn überhaupt alles, worin innerhalb einer festgewordenen Art der Nachkomme vom Vorfahren abweicht, aufzufassen sei als historisch gewordenes, als (um kurz zu sein) lamarckistisch oder darwinistisch entstandene Variation, oder ob nicht neben der Variabilität der Art jedem Individuum eine mehrfache Ge- staltungsfähigkeit in bezug auf Form und Funktion als fester Besitz innewohne, die je nach den ein- wirkenden Außenbedingungen aus diesem heraus- gelockt werden könne. Für diese Eigenschaft schlägt Hacker die Bezeichnung ,,Pluripotenz" vor. Die Sciirift ist also teils Kritik teils Neubau. I. Es sei mir gestattet, einige einleitende und historische Bemerkungen vorauszuschicken. Als Ewald Hering's vielzitierte Wiener Akademie- Rede „Über das Gedächtnis als eine allgemeine Funktion der organisierten Materie" -) 1 870 erschien, hat sie auf die interessierten Kreise als Bekennt- nis zu einer bestimmten Theorie vom Leben ge- wirkt und ein lebhaftes Echo gefunden. Ein Vor- bild gelehrter Beredsamkeit und vollendeter sprachlicher Gestaltung einer glänzenden Idee wird diese Äußerung des berühmten Forschers immer und für alle bleiben, aber der leitende Ge- danke, der sich in ihrem Titel ausspricht, würde kaum von so verschiedenartig prädisponierten t med. Georg Sommer-Bergedorf. leider Biologen in Anspruch •) „Über Gedächtnis, Vererbung und Pluripotenz". Jena 1914. ') Den Lesern dieser Zeitschrift aus Carl Detto's vor- trefflichem Aufsatz „Über den Begriff des Gedächtnisses in seiner Bedeutung für die Biologie", Naturw. Wochenschrift N. F. IV. Bd., 1905, p. 651, wohlbekannt. enommen worden sein, wenn man sich vergegenwärtigt hätte, wie zurück- haltend der Physiolog Hering über rein oder vorzugsweise psychologische Probleme zu derselben Zeit gedacht und gesprochen hat. Man darf nur die fünf Abhandlungen über den Lichtsinn durch- sehen, die er bald darauf in den Sitzungsberichten derselben Akademie veröffentlichte, um sich zu überzeugen, daß er auch den Gedächtnisbegriff nicht anders, als im Sinne etwa des Mach'schen Positivismus verstanden wissen wollte. Er faßt das Gedächtnis als physiologische Funktion, die er freilich auf die gesamte Welt des Lebens, mit dem Hirngedächtnis als Spezialfall, verallgemeinert, die er in der organischen Reproduktion, der Onto- genese, der Regeneration, der Gewohnheit, dem Übungserfolg, dem Instinkt wirksam sieht; und es ist klar, daß hierbei auch das Problem der Ver- erbung individuell erworbener Eigenschaften zum Wort kommt. Wie alle, die einen zündenden Gedanken aussprechen, ist auch Hering nicht ohne Vorläufer. Mit dem psychologischen Ge- dächtnisbegriff ist schon früh die Vorstellung von Gewohnheit, Übung, vom Instinkt in Verbindung gebracht worden. In seinem an feinen Bemer- kungen und Beobachtungen so reichen Panegyri- kus auf das Gedächtnis sagt der Kirchenvater Augustin „... aber in meinem Gedächtnis sind noch die alten Bilder meiner Verirrung, denn dort hat Gewohnheit sie eingebürgert" ') und Malebranche bemerkt '-) „II est visible, . . . qu'il y a beaucoup de rapports entre la memoire et les habi- tudes", und fügt — fast im Gewände der Semon- schen Engrammlehre — eine Seite später hinzu : La memoire consiste dans les traces, que les . . . esprits (= Lebensgeister oder vielleicht ^= „Antriebe") ont imprimees dans le cerveau". Auch Vererbung und Entwicklung wird gelegentlich in den Bereich dieses Begriffes hereingezogen. So schreibt Fechner 1848 in seiner Nanna:'') „Man möchte sagen, die Bildung des jungen Pflänzchens im Samen stellt den ersten und einzigen wirklichen Gedanken in ihrem Haupte dar, in dem sich die Erinnerung an ihr ganzes bisheriges Leben dunkel zusammenfaßt und zugleich die Sorge um die Zukunft eines anderen, ihr gleichen Wesens aus- drückt." Niemand wird glauben, daß Hering beabsichtigte, seinem Lehrer Fechner auf der Bahri der „induktiven Metaphysik" zu folgen, aber in der Form des Ausdrucks werden wir auch ') Bekenntnisse 10. Buch, Kap. XXX. *) Recherches de la Verite, Paris 1762 t. I livre 2 Cap. V 238, 239. ^) Ausgabe von C. LaUwitz, 1899, p. 256. 450 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 29 durch einen anderen Physiologen an dieses Fechner 'sehe Zitat gemahnt, dem der „psycho- physische Stufenbau der Welt" wohl ebenso fremd war, wie Hering: Claude Bernard sagt in seinen „legons sur les phenomenes de la vie", über deren Korrektur ihn 1878 der Tod überraschte, p. 66: „. . . certains philosophes et physiologistes ont cru pouvoir dire, que la vie n'est qu'un Souvenir; moi meme j'ai ecrit, que le germe semble garder la memoire de l'organisme dont il procede." — In einem ganz anderen, ent- schieden panpsychistischen Sinne gelangen zu dieser Vorstellung aber Neoviialisten, wie Pauly, K. C. Schneider, Wagner, Bunge. Sie verlangen ein, alle Lebenserscheinungen durch- waltendes psychisches Prinzip, in dessen Funk- tionen ,,mnemonische" (so lautet hier der Ter- minus) Elemente natürlich leicht Platz finden, wie auch andere psychische Qualitäten. Pauly ent- wickelt z. B. im IX. Kapitel des zitierten Buches eine vollständige Zellpsychologie und es ist nicht bloß die mit dem Erinnern gleichgesetzte Repro- duktion , was die Zellen bei der Ontogenese leisten, sondern eine „Summe teleologischer Akte psychophysischer Natur". ') Noch radikaler drückt sich K. C. Schneider aus: „Etwas unbewußtes gibt es nicht und kann es gar nicht geben." '-) Es kommt natürlich darauf an, wie man den Be- griff „Psyche" oder ,,Psychoid" in einem solchen naturwissenschaftlichen Zusammenhang verwertet, ob man nur ein notwendiges x, einen Grenz- begriff, wie die Entelechie Driesch's als un- entbehrliches Requisit des rein biologischen Denkens einführt, um eine sonst unausfüllbare Lücke in der Kette des Naturgeschehens zu füllen, oder ob man den ganzen Umfang des Bewußt- seinsproblems in die Diskussion zieht, was z. B. Driesch mit aller Energie ablehnt.^) Gegen solche Umprägungen des Gedächtnisbegriffs, gegen einen biologisch - psychologischen Synkretismus, möchte ich sagen, verwaiiren sich denn auch Fachpsychologen, wie Offner'') und Meu- mann'') ausdrücklich. Letzterer erkennt zwar die Subsummierung der den Erinnerungen ent- sprechenden Dispositionen des Zentralnerven- systems unter die Übungserscheinungen u. a. an, betont aber, daß damit über den psychischen, den parallel gehenden Bewußtseinsvorgang gar nichts ausgesagt ist; gewiß, die Psyche arbeitet anders mit, als ohne Einübung, aber ihr etwas, wie ein „Engramm" nun imputieren zu wollen, wäre nicht mehr als ein Wortspiel; hierbei ist freilich zu erinnern, daß, wie E. v. Hartmann mit Recht bemerkt, ") der Standpunkt des psycho- ') Darwinismus und Lamarckisnius. München 1905, p. 167 f. ■■') „Vitalismus" 1903, Einl p. V. *) „Die „Seele" als elementarer Naturfaktor" §48 u. a. a. O. *) „Das Gedächtnis", 2. Aufl. Berlin 191 1, p. 5. '') „Ökonomie und Technik des Gedächtnisses", 191 2, p. 12. ") „Das Problem des Lebens". Sachsa 1906, p. 423; vgl. Driesch 1. c. physischen Parallelismus, den Meumann ver- tritt, und der Vitalismus sich prinzipiell aus- schließen. I>"erner darf nicht vergessen werden, daß das Gedächtnis, von dem so viel die Rede ist, eine Abstraktion bleibt: Die Unterscheidung zwischen dem Generalgedächtnis Malebranches und den Einzelgedächtnissen, die tatsächlich unserem Erinnerungsschatz zugrunde liegen, hat man längst fallen lassen. Es gibt so viele Arten von Gedächtnissen, als es Arten von Eindrücken gibt und diese sind bekanntlich verschieden leistungsfähig bei den verschieden begabten Indi- viduen, können auch als partielle Amnesien ge- sondert aus der Erinnerungsfunktion herausfallen. So mit den Einzelgebieten der Wahrnehmung verknüpft gewähren diese Einzelgedächtnisse keine rechte Handhabe für eine Generalisierung, die sich über die gesamte organisierte Materie er- strecken soll, zumal da das Wesen dessen, was den Gedächtnisfunktionen gemeinsam ist, nichts weniger als geklärt ist und zwar weder von der psychologischen noch von der physiologischen Seite her. „Rein psychologisch betrachtet," sagt Heinrich M a i e r , ^) „ist das Gedächtnis schlecht- hin ein Rätsel." Mit „Reproduktionsdispositionen" ist nichts objektiv vorslellbares ausgesprochen, es sind nur ,, Formeln für konstante Möglichkeiten, die sich unter günstigen Bedingungen in Wirk- lichkeit umsetzen können". Was man sich dabei etwa doch vorstellt, ist ein ausschließlich physio- logischer Vorgang, nach Semon die „Engramm- bildung", als deren Substrat in diesem Falle ja nervöse Elemente angenommen werden müssen, über dessen Zustandekommen man aber nur hypothetische Behauptungen aufstellen kann. Man wird sich dem Geständnis von Mach'') an- schließen: „Was nun physikalisch dem Gedächtnis und der Assoziation entspricht, wissen wir nicht" und bei den Hypothesen über die Entstehung der nun einmal anzunehmenden Zustandsänderungen bei der Engrammbildung wird man die Warnung von V. K r i e s ^) zu beherzigen haben, das L,eitungs- prinzip („ausgefahrene Bahnen") nicht einseitig unter Vernachlässigung der intrazellulären Lei- stungen in Anspruch zu nehmen. Ich streife da- mit eine Abhandlung des Freiburger Physiologen, die sehr wichtige Gesichtspunkte für unser Thema beibringt. Am einfachsten liegt die Sache für die Ver- treter eines materialistischen Monismus. Während für den Vitalisten ein psychophysischer Parallelis- mus deswegen nicht besteht, weil für ihn die Linien des psychischen und physischen Ge- schehens sich in einem kausalen Ve/hältnis fort- während schneiden, existiert für den Materialisten die psychische Linie überhaupt nicht in irgend- einer Form von Eigengesetzlichkeit. Die ganze ') Psychologie des emotionalen Denkens. Tübingen 1908, p. 79 f. *) Analyse der Empfindungen. 3. Aufl., 1902, p. 79- ') Über die materiellen Grundlagen der Bewufitseins- crscheinungen. Tübingen und Leipzig 190I. N. F. XIV. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 4SI psychologische Terminologie kann also unbedenk- lich unter der Voraussetzung ihrer rein chemisch- physikalischen Bedingtheit in die biologische Be- trachtung übernommen werden. In diesem Sinne hat C. HaeckeP) 1876 Hering's Gedanken willkommen geheißen. Er erblickt in demselben das „Morgenrot einer neuen Naturphilosophie" und führt das Gedächtnis als Attribut des Plasson- Moleküls der Plastidule, „als bewegendes Prinzip für die organische Reproduktion und Selbstregu- lation" seiner Hypothese von der Perigenesis der Plastidule ein. Nun, in einem Zusammenhang, in welchem „chemische Affinität" mit „Wahlver- wandtschaft" im Goethe'schen Sinne des Wortes gleichgesetzt wird, kann die psychologisclie Be- lastung eines naturwissenschaftlichen Begriffs, wie organische Reproduktion u. dgl. keine Schwierig- keit bereiten, ja auch die emotionalen Elemente, die bei der Erinnerung eine so große Rolle spielen, können Teile des naturhistorischen Ge- schehens werden. Ich glaube nicht, daß Goethe angesichts dieses Gedankengangs seine witzige Paraphrase zu Dante, Inferno XI ^), Vers 97 fif., aufrecht erhalten hätte, die mit den Worten schließt: „So ist uns allen offenbar, „Naturphilosophie sei Gottes Enkelin". — — Aus diesen kurzen Bemerkungen sieht man wenigstens, daß der Hering'sche Gedanke seine Geschichte hat. Naturhistoriker und Philosophen der verschiedensten Richtungen haben ihn auf- genommen, verwertet, gedeutet. Ich würde den Rahmen dieses Aufsatzes weit überschreiten, wollte ich in der Darstellung dieser Geschichte einige Vollständigkeit erstreben. Ich verweise auf die schon zitierte Arbeit von C. Detto und das ebenfalls an kritischen Literaturangaben reiche Buch von EugenioRignano,^) in dem u. a. auch die amerikanischen Autoren zu Wort kommen, die auf unser Thema Bezug nehmen. In erster Linie kommen natürlich die Schriften Richard Semons in Betracht, der den Herin g'schen Gedanken systematisch verarbeitet und mit einer eigenen, überaus handlichen Ter- minologie ausgestattet hat. Ihre Würdigung er- gibt sich an der Hand der Hack er 'sehen Kritik von selbst. II. Was Hacker an der Literatur über den Hering'schen Gedanken, an welchem, wie wir sahen, kaum ein Autor der einschlägigen Gebiete vorübergegangen ist, beanstandet, ist der Mangel eines konsequenten Versuchs, vor allem die Zu- lässigkeit eines Vergleichs zwischen dem Ge- dächtnis und den genannten biologischen Vor- ij „Die Perigenesis der Plastidula oder die Wellenzeugung der Lebensteilchen". 1876. ^) „Deutsche Literatur" zu Fr. H. Jacobi's auserlese- nem Briefwechsel. 1827. ') „L'ber die Vererbung erworbener Eigenschaften", teil- weise Neubearbeitung und Krweiterung der französischen Aus- gabe. Leipzig, Engelmann, 1907. gangen im einzelnen durchzuprüfen. Semon hat das Verdienst, die Diskussion auf das Gebiet der Reizphysiologie geleitet zu haben und Haecker verlangt mit Recht, daß der physio- logische Vorgang, zerlegt in seine Einzelphasen, dem ebenso analysierten psychologischen Prozeß gegenübergestellt werde. Nur auf diesem Wege kann eine Analogisierung beider gerechtfertigt werden. Was diese Analogie dann für einen Ge- winn bringt, ob sie, wie Oskar Hertwig sich ausdrückt, ') „auf Eigenschaften der organisierten Substanz hinweist, von denen uns die anatomisch- physiologische Untersuchung nichts lehren kann, von denen uns aber das Studium unserer eigenen Bewußtseinsvorgänge oder die Psychologie Kunde gibt" — das kann erst entschieden werden, wenn der Vergleich sich als zulässig erweist. Die Frage nach dieser Zulässigkeit wird in- dessen verschieden beantwortet werden, je nach der entwicklungsgeschichtlichen oder der psycho- logischen Richtung, der der Untersucher angehört. Hacker nimmt zunächst einmal eine lamarckisti- sche Gedankenreihe zur Unterlage. Die Vererbung einer im Individualleben erworbenen Eigenschaft gestaltet sich nach der Vorstellung der Neo- lamarckisten folgendermaßen: Ein „Originalreiz" (Umweltänderung, besondere Lebenslage, funktio- neller Reiz durch vorzugsweisen Gebrauch eines Organs) bedingt die Abänderung einer somatischen, einer Außeneigenschaft des Individuums oder mehrerer derselben Art zu gleicher Zeit, allgemein ausgedrückt: das elterliche Soma antwortet auf den Originalreiz mit einer „Originalreaktion". Mit dieser neuerworbenen Eigenschaft ausgestattet wirkt nun das elterliche Soma auf dem Wege der Nervenbahnen oder des Säfteaustausches auf das ja organisch mit ihm verbundene Keimplasma der Generationszellen und induziert dort eine Ab- änderung, die wir mit dem bequemen Semon- schen Terminus ,, Engramm" benennen wollen. Es wird nun weiter die Annahme gemacht, von deren bekannter Schwierigkeit wir zunächst ab- sehen wollen, daß dieses Engramm im Organismus des Deszendenten eine gleichsinnige Außeneigen- schaft hervorrufe, ohne daß hier jener Originalzeiz wirksam ist. Die Wiederholung dieses Vorgangs bei Kind und Kindeskind wäre dann ein Erinne- rungsakt der organisierten Materie, wir haben eine Art Inkarnation des Gedächtnisses. Bei diesem Ablauf sind also Originalreaktion und Engramm- bildung zeitlich deutlich getrennt, die Engramm- bildung ist eine zeitlich später eintretende Phase des Gesamtgeschehens. Wie entsteht nun die Einübung, die Gewöhnung eines Reflexes, wie kommt — zunächst für die physiologische Be- trachtung— ein Gedächtnisinhalt zustande? Beim Reflex ist anzunehmen , daß die erste Original- reaktion auch schon den ersten Schritt zur Ein- ') „Allgemeine Biologie", 3. Autl. , 1909, p. 660 f. O. Hertwig hat als erster die Hering'sche Idee in einem syste- matischen Lehrbuch behandelt. 1. Aull., II., p. 252, 1S98. 452 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 29 Übung bedeutet, die zweite Reaktion findet schon eine Spur von Erleichterung für die Wiederholung vor, was sie und alle künftigen bewirken, ist nur eine Verstärkung der schon gleichzeitig mit der ersten angebahnten Engrammbildung. Ebenso beim Gedächtnis : der durch die Sinnesorgane empfangene Originalreiz wird zum Zentralorgan geleitet, dort wird eine Zustandsänderung hervor- gerufen, eben das, das spätere Erinnern ermög- lichende Engramm, und nun erst, von dieser Piiase zeitlich, wenn auch nur durch einen sehr kleinen t-Betrag geschieden , erfolgt die Originalreaktion, nämlich Empfindung und Wahrnehmung. Also in beiden Fällen folgt nicht, wie bei der Lamarck- schen Vererbung die Engrammbildung der Original- reaktion nach, sondern beim Reflex und der Ge- wöhnung erfolgt sie mindestens gleichzeitig, beim Gedächtnis einen kleinen Zeitabschnitt später. Diese Inkongruenz beider Vorgänge besteht auch, wenn man nicht den eben eingenommenen phy- siologisch-mechanistischen Standpunkt festhält, sondern sich zur sog. vulgären oder Wechsel- wirkungstheorie bekennt. — Auch für diejenigen, welche noch Empfindungs- und Erinnerungsfelder anatomisch und physiologisch trennen, liegt die Deutung am nächsten, daß beide nicht nachein- ander, sondern gleichzeitig ansprechen, womit auch für sie jene Inkongruenz beider Vorgänge gegeben wäre. Unter den Voraussetzungen des psycho- logischen Parallelisnuis läßt sich die vorliegende Gegenüberstellung überhaupt nicht durchführen, weil für ihn die fragliche Originalreaktion nicht die Ursache, sondern nur die parallel gehende Begleiterscheinung der primären Substratänderung bedeutet, während die elterliche Abänderung bei der Lamarck'schcn Vererbung ja eben in einem kausalen Verhältnis zur Engrammbildung im Keim- plasma steht. Mit dem Vererbungsvorgang, der durch soma- tische Induktion des Keimplasmas bedingt gedacht wird, läßt sich also die Entstehung der Gedächtnis- engramme nicht in Analogie bringen , wohl aber für die Fälle, in denen man die Parallelinduktion, die gleichzeitige Beeinflussung des Somas und der Keimsubstanz oder die direkte evtl. alleinige Be- einflussung der letzteren anzunehmen Grund hat. So bei den Tower'schen Versuchen, wo man dem, dem Originalreiz ausgesetzten Exemplar nichts ansieht, während der offenbar doch erwor- bene Engrammbesitz der Keimsubstanz bei der Deszendenz manifest wird. Der Vorgang ist hier: ein Originalreiz, zur Keimsubstanz geleitet, führt dort zur Kngrammbildung und diese zeitlich später zur originären Reaktion, nämlich der Abänderung des Kindes; er stimmt also im Verlaufsschema mit der Gedächtiüsbildung überein. IWan kann also von einer Analogie beider Vorgänge hier wohl sprechen , auch die einwirkenden Reize — Umweltänderungen — kann man mit den Sinnes- reizen, die eine Engrammbildung in der Hirnrinde veranlassen, zwanglos vergleichen. Man kann schließlich jede durch einen äußeren Einfluß be- dingte Keimesvariation unter diesen Gesichtspunkt stellen und in ihr ein Engramm erkennen, das in der nächsten Generation „ekphoriert" wird. En- gramme wären also, so faßt Hacker die S e m o n - sehen Ansichten zusammen, „mehr oder weniger andauernde, durch Reize hervorgerufene Verände- rungen der organischen Substanz": Die „mnemi- sche Erregung", welche sie wieder auf die Bild- fläche des Geschehens ruft, ist aber nicht gleich- zusetzen mit irgendeinem Glied der Kausalkette, die von vornherein in der betreffenden Entwick- lung wirksam war; gesetzt z. B. : in einer Gene- rationenreihe würden die Individuen einfach die Ontogenese der Vorfahren wiederholen, so wäre das nichts als eine Reihe von gleichförmigen Einzelperioden, in denen dieselben Ursachen und Wirkungen wiederkehrten, wie etwa die Jahres- zeiten. Die „mnemische Erregung" wird aber (wie das „Wiedererkennen", die „Unterschieds- empfindung" beim Gedächtnis) nur durch einge- tretene Abweichungen , durch Unterschiede in solchen periodischen Abläufen ausgelöst; werden die letzteren absichtlich gestört (Isolierung von Furchungszellen oder irgendwelche andere Inter- vention bei der Entwicklung), so bewirkt auf dieser neuen Grundlage, eben herausgefordert durch die ,,neue energetische Situation" die mne- mische Erregung eine Neuorientierung der Ent- wicklungsmöglichkeiten — daß diese aber zu dem ursprünglichen Ziel dieser Entwicklung trotzdem hinführt, bewirkt sie vermöge des vorhandenen Engrammsehatzes. Da es aber abgesehen von den ohne weiteres ins Auge fallenden, experimen- tellen Störungen jener Perioden, tatsächlich nicht vorkommt, daß zwei derselben absolut identisch verlaufen, so wird jede auch noch so geringe Abweichung von einem (nur theoretisch vor- handenen) Schema, Anlaß zu einer „mnemischen Erregung" sein können. Jedermann wird diese Definition einleuchtend und fördernd, die Parallele mit dem Gedächtnis instruktiv finden, aber keine Spur von Nötigung entdecken können, mehr als eine Parallele zwischen beiden Vorgängen anzu- nehmen. — Allein die Erscheinungen, für welche der En- grammcharakter mit Notwendigkeit in Anspruch genommen werden muß, sind trotzdem nicht so allgemein, wie sich hiernach denken ließe, und bei manchen entwicklungsgeschichtlichen Tatsachen erweist sich der anfänglich verlokende Vergleich mit dem Gedächtnis als illusorisch. So bei den rudimentären Organen: diese lassen sich unge- zwungen als Ergebnisse einer solchen Entwicklung betrachten, die zwar in neue Bahnen eingelenkt ist, aber aus dem ontogenetischen Mechanismus die Produktion solcher, jetzt überflüssigen Bildungen nicht auszuschalten vermochte. Ebenso nahe liegt es, in den Durchgangsphasen der Ontogenese (biogenetisches „Grundgesetz" Häckel's) nicht „phyletische Reminiszenzen", sondern notwendige Etappen zu erblicken, ohne deren Erledigung das Gesamtziel des Entwicklungsmechanismus nun N. F. XIV. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 453 einmal nicht erreicht werden kann. Wird dieses Ziel nicht vollständig erreicht, wird eine Organ- bildung irgendwie an der typischen Ausgestaltung verhindert (Halsfistel, Mypospadie) so ist der Orga- nismus eben in diesem Teil auf einer an sich notwendigen Etappe zurückgehalten worden und man erhält den Eindruck eines (Spontan-)Ata- vismus, der aber keine „Erinnerung" sondern ledig- lich eine Hemmung ist. (Diese kann allerdings erblich werden, wenn die Hemmung in einem atypischen Zustand des Keimplasmas begründet ist.) Endlich scheiden die Formen des sog. Ata- vismus aus, die auf Kreuzung beruhen, der Hybrid- atavismus. Hier handelt es sich nicht um das Wiederaufleuchten einer früheren Form, also metaphorisch ausgedrückt, einer Arterinnerung, sondern um die Neukombination vorhandener Erbeinheiten, die in dieser Gruppierung vielleicht überhaupt noch nicht dagewesen ist. Aber eine Form des Spontanatavismus scheint es doch zu geben, die den Vergleich mit dem Auftauchen eines Gedächtnisinhaltes im Bewußtsein nahe genug legt: es sind die degressi\'en Mutationen von de Vries. Denn innerhalb der durch strenge Selbstbefruchtung erhaltenen Kultur einer Pflanze sollte doch Kreuzung, die eben charakterisierte Neukombination von Erbeinheiten, ausgeschlossen sein, und, wenn dann doch Zwischenrassen mit neuen Merkmalen auftreten, so sind das oftenbar Dispositionen, welche wie diejenigen unseres Ge- dächtnisses, gelegentlich aktiviert werden. Indessen ist die Frage, wie die Mutationen von de Vries zu deuten sind, keineswegs entschieden; in diesen und jenen Fällen könnten sie doch als Neukombi- nationen im Sinne der Hybridatavismen erkannt werden oder aber erhalten sie die richtige Be- leuchtung durch eine Hypothese, welcher der zweite Teil der Hä ck er' sehen Schrift gewidmet ist, die aber mit der Gedächtnisvorstellung keine begrifflichen, geschweige denn essentiellen Be- rührungspunkte mehr gemein hat. Somit verbleiben als Domäne des Vergleichs die Regeneration und die Vererbung erworbener Eigenschaften. Aber, was haben wir mit dieser Analogie eigentlich gewonnen ? Das materielle Substrat der verglichenen Vorgänge, die Keim- zelle und die Rindenzelle, sind gar verschiedene Dinge; gegenüber der Art und dem Umfang ihrer Leistungen erscheinen die Hypothesen, die sie zu erklären versuchen, unbeholfen und grob- gewoben , in Form und Funktion stehen sich beide für den unbefangenen Beobachter außer- ordentlich fern. Daß zwar die Hirnsubstanz Engramme nur für das Individualleben, die Keim- substanz dagegen für späte Generationen, oft über lange Latenzzeiten hinweg, festzuhalten be- fähigt ist, mag mit Hering als nur gradueller Unterschied leicht genommen werden ; schwerer wiegt, daß dem Keimplasma in der Modifikations- fähigkeit .'einer Architektonik offenbar enge und feste Artgrenzen gezogen sind, während die Auf- nahmefähigkeit der Hirnrinde für die heterogen- sten Eindrücke fast unbegrenzt ist, daß jene u. U. Jahrtausende unerschüttert ihre einmal gewonnene Konfiguration zu behaupten vermag, diese durch den Anhauch unzähliger, oft unmerklicher Reize zu Zustandsänderungen, zur Bildung von mehr oder weniger leicht flüchtigen Dispositionen fort- während veranlaßt werden kann. Und schließlich : von welcher Seite kommt das Licht, das man doch erwartet, wenn man einen Vergleich zieht? Was in der Ganglienzelle sich ändert, wenn sie an der Fixierung eines Erinnerungbildes beteiligt wird, ist genau so unbekannt, wie die Form der Beeinflussung der hypothetischen Keimzellen- architektonik, wenn ein Umwelteinfluß an ihr wirksam wird. Also bringt ein Vergleich beider den Forschenden nicht vorwärts, und wenn man nun noch weiter gehen will zu der Annahme, daß die Funktionen dieser so verschiedenen or- ganischen Substrate in ihrem Wesen gleich seien, so müßte diese, zumal bei ihrer Tragweite, andere Stützen haben, als eine halbwegs durchführbare Analogie. Ich erinnere dabei an die berühmte Antwort, mit der Sc hi Her Goethe überraschte, als dieser ihm — im Gründungssommer ihrer Freundschaft 1794 — seine Gedanken über die Metamorphose der Pflanzen anvertraute: „Das ist keine Erfahrung, das ist eine Idee." IIL Will der Biologe ein Forschungsobjekt aus seinem Gebiete mit einem solchen aus dem des Psychologen vergleichen, so ist natürlich in erster Linie zu fordern, daß über jenes Forschungsgebiet prinzipielle Klarheit herrscht, daß über die Fassung seiner Probleme kein Zweifel mehr besteht. Diese Bedingung wäre für die Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaften etwa er- reicht, wenn die De tto 'sehe Alternative ,, parallele oder somatische Induktion" erschöpfend wäre. Man könnte dann, wie wir gesehen haben, jenen Gedächtnisvergleich nicht ohne Erfolg anstellen. Aber so einfach liegt die Sache offenbar nicht und im 2. Teil seiner Schrift zeigt nun Hacker, wie ergänzungsbedürftig unsere Vorstellungen gerade bei diesem Problem sind, wie man das Problem gründlicher anfassen müsse und könne. Dabei schwindet uns unter der Hand das Interesse für die vielbesprochene Parallelisierung und in gleichem Maße steigert sich das an der Vertiefung der Fragen, die erledigt sein müssen, ehe man eine Analogie oder gar eine Verwandtschaft zwischen diesen Funktionen der organisierten Materie und Tätigkeiten der Psyche, die nur von der Selbstbeobachtung her bekannt sind, zu statuieren versucht. Selbst wenn man mit der genannten Alter- native auskäme, verblieben Schwierigkeiten genug. I. Bei der somatischen Induktion: Man mag für die Projektion der erworbenen Elterneigenschaft auf das Keimplasma von den vorgeschlagenen Wegen (Säftestrom oder Nervenleitung) wählen, welchen man will, der Weg, der dann vom Keim 454 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 29 zur Kindeseigenschaft führt , ist durch ganz neue Momente bedingt, die f^inleitung eines lokalen Abänderungsreizes zum elterlichen Keimplasma und der ontogenetische Aufbau des Kindes- organismus sind ganz disparate Vorgänge. Warum soll aus dem vom Eltern- A bestimmten Keimes-a auch wieder ein Kindes- A werden.' Das ist eine Frage, vor der man immer wieder stehen bleibt, seit W e i s m a n n sie aufgeworfen hat. 2. Bei der Parallelinduktion: Hier ist die elterliche Soma- abänderung gar kein unbedingt notwendiges Glied in dei Ursachenreihe, die zur Kindeseigen- schaft führt, denn, wenn nur die Zustandsände- rung des Keimes sichergestellt ist, so bleibt die des elterlichen Soma für die Vererbung neben- sächlich ; in manchen Fällen von sog. Parallel- induktion ist es schlechterdings nicht vorzustellen, wie das für die Vererbung Hauptsächliche, näm- lich die direkte Umweltbeeinflussung der Keim- substanz zustande kommen sollte. ^) Allgemein gesprochen: an irgendeine Schablone, sie mag sich in Einzelfällen noch so sehr empfohlen haben , hält sich die Natur nicht. Die gelegent- liche Kongruenz kindlicher Krankheitssymptome, Funktionsvarianten, Formaberrationen mit solchen der Eltern beweist nichts. Gewiß : Brown- S e q u a r d ' s epileptisch gemachte Meerschwein- chen sind in toto konstitutionell geschwächt worden, und gelegentlich zeigte dann die eben- falls geschwächte Brut unter anderem ein kon- gruentes Symptom; es können aus experimen- tellen Störungen des allgemeinen Gleichgewichts charakteristische Aberrationen entstehen (Klebs' Sempervivum, Blari ng ham's Maisspitzen). Aber bei derartigen Allgemeinstörungen werden eben „die labilsten Elemente des Artbildes, nämlich die hochspezialisierten, am feinsten abgestimmten Art- charaktere morphologischer und physiologischer Art" getroffen werden. Wir tun also besser, von formulierten Regeln auf allgemeinere Aussagen zurückzugehen : es werden „Entdifferenzierungen", „EntSpezialisierungen" eintreten, wofür die Erfolge der Domestikation als Beispiel dienen mögen. Hiermit ist nun bloß gesagt, daß die kindliche Abänderung nicht identisch mit der elterlichen zu sein brauche, nicht aber, daß eine allgemeine oder spezialisierte elterliche Abänderung x-be- liebige Folgen in der Kindesgeneration haben könne. Vielmehr werden, wie soeben angedeutet, die einen Elemente des Artbildes abändernden Einflüssen mehr zugänglich sein, als die anderen. Damit würden also allgemeine Konstitutions- änderungen beim Elter eine Richtung auf eine bestimmte Klasse von Erbqualilätcn erhalten, die in einer Änderung bestimmter Provinzen (nach der Weismann 'seilen Keimplasmathcorie) oder allgemeiner : bestimmter Potenzengruppen der Keimsubstanz iiiren Ausdruck fände. Somit wäre ') Vgl. Semon's Kritik der Versuche- Kammerer's am Feuersalamander auf gelber, resp. feuchter Erde : „Pro- blem der Vererbung erworbener Eigenschaften". 1912, p. 117. Eltern- und Kindesabänderung zwar durch die gleiche Ursache, aber in verschiedener Weise be- dingt und es läge in der Konfiguration und un- gleichen Beeinflußbarkeit der einzelnen Bestand- teile der Keimsubstanz begründet, daß unter Um- ständen, also fakultativ, der Erfolg dieser Induk- tion beim Kinde mit der Abänderung des elterlichen Somas übereinstimmt. Daß die Ver- erbung bei Beeinflussungen des elterlichen Gesamt- körpers überhaupt an gewisse Bahnen gebunden sei , ist schon deshalb anzunehmen , weil der Potenzenschatz des Keimplasmas, wie immer er darin enthalten gedacht sein möge, artmäßig be- schränkt und funktionell verbunden ist. Wie aber sind dann die eigentlichen Nov-a zu erklären ? Ein Novum liegt z. B. vor, „wenn unter der Wirkung extremer Temperaturen der mittlere und äußere Rundfleck am Vorderflügel verschie- dener Vanessaarten zu einem großen rechteckigen Fleck verschmelzen", also ein bis jetzt bei Vanessa nie beobachteter Zeichnungstypus auftritt. Dieses Neue, antwortet Hacker, ist eben nichts wirk- lich Neues, sondern Ureigentum der Art, das latent vorhanden war, solange die Art überhaupt konsolidiert bestand. Der neue Umweltfaktor hat diese Qualität aktiv gemacht. Es gibt für eine Art nicht bloß eine einzige Entwicklungsbahn, nicht bloß eine einzige Zuständlichkeit des Keim- plasmas, die sich entwickeln muß und von der allein die eventuellen Variationen ausgehen müssen, sondern es sind in ihm „virtuelle Zustände" vor- handen, die auf bestimmte Einwirkungen oder Kombinationen von Einwirkungen hin manifest werden. Und jenes „Neue" gehört in Wirklich- keit zu dem Potenzenschatz des Individuums, der einerseits alle Möglichkeiten, andererseits die Grenzen dessen darstellt, was in der Ontogenese hervortreten kann. In diesen Möglichkeiten ist nun eine Mannigfaltigkeit nicht zu verkennen, ein Gedanke, der, wie Hacker hinzufügt, de Vries und Klebs nicht fremd war, und den Peter -Greifs- wald in einer gedankenreichen Arbeit wiederholt durchblicken läßt.') — Dies ist die „Pluri- p o t e n z" H ä c k e r ' s. Die Pluripotenz ist eine Eigenschaft des Art- individuums und nicht der Art als Gesamtheit; Variabilität der Art und Pluripotenz des Individu- ums decken sich nur dann, wenn die Art eine fest geschlossene, streng konservative ist ; hat sich die Art aber z. B. in „geographische P'ormen- ketten" aufgelöst, so werden dem Individuum der einen diese, der anderen jene „virtuellen Zustände" zur Verfügung stehen; m. a. W. in der Art oder Rasse werden dann mehr Entwicklungsmöglich- keiten „semilatent" sein, als in dem Individuum der verschiedenen P'ormeii „latent" vorhanden sind. Die Qualitäten des Artplasmas bilden aber in jedem Falle Grenze und Grundlage aller dieser ') Karl Peter, Experimentelle Untersuchungen über individuelle Variation in der tierischen Entwicklung. Arch. f. Entwickluegsmechanik 1909, Bd. 27, p. 1^3; 191 1, Bd. 31, p. 685. N. F. XIV. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 4SS Modalitäten. Eine morphologisch - physiologische Vorstellung von dem „Übergleiten vom typischen zum abgeänderten Gleichgewichtszustand" kann man sich rein theoretisch mit Hilfe der Deter- minantenlehre Weismann's bilden, oder an- schaulicher, wie es Hacker tut und durch die Fortschritte der Eiweißchemie besonders nahe- gelegt wird, in Anlehnung an einen bekannten chemischen Vorgang. Durch Substitution oder Verlagerung eines einzigen Radikals wird ja u. U. der chemisch-physiologische Charakter, die phy- siologische V\'irksamkeit eines großen und kom- pliziert gebauten Moleküls völlig geändert. An dem, unter Beifügung von Illustrationen ausge- führten Beispiel aus seinem speziellen Forschungs- gebiet, dem der Radiolarien, ') zeigt Hacker, wie „eine auch nur geringe Abänderung des Protoplasmas für unser Auge fast unmittelbar" (in einer Trans version der Skelettstruktur) „in Er- scheinung tritt". An demselben Paradigma wird gezeigt, wie latente Potenzen auch erst im Laufe der Ontogenese in Gestalt einer ,,Abbiegung des Entwicklungsverlaufs" geweckt werden können. — Dahin gehört bei den Vielzelligen das ganze Ge- biet der Transversionen, d. h. des „partiellen, aberrativen Überspringens einer Spezies auf die normalen Formverhältnisse und Merkmalskomplexe eines benachbarten , aber in der Gegenwart scharf abgegrenzten Verwandtschaftskreises". Die Pluripotenz disponiert die Individuen an und für sich nur zu Aberrationen ohne Anpassungs- vvert, aber es ist denkbar, daß sie adaptiven Eigenschaftskomplexen der Arten zum Ausgangs- punkt gedient hat, wie sie im latenten Herm- aphroditismus und seinen Auswirkungen, im Dimor- phismus, im Polymorphismus, in der Plastizität hervortreten. Ein belehrendes Beispiel gibt hier Hacker mit der Anwendung der Gebhardt- schen Hypothese von der Entstehung der Zeich- nung der Schmetterlingsflügel nach Art des Liese- gang 'sehen Chromsilbergelatineversuchs auf die Polymorphie des Papilio Memnon. Von den 9 oder 10 VVeibchenformen dieses Schmetterlings wären einige als Produkte einer Artplasmaschwan- kung ohne Lebenswichtigkeit , andere aber als adaptiv wertvolle Mimikryzeichnung anzusprechen, in beiden Gruppen aber die Aktivierung einer immanenten Pluripotenz zu erkennen. Um bei dem chemischen Vergleich (vielleicht ist es mehr als eine Analogie?) zu bleiben, wäre zu sagen: Diese 9 oder 10 Formen würden ebensoviel bekannten Isomerien einer organischen Verbindung zu ver- gleichen sein, vielleicht gibt es deren noch mehr, jedenfalls aber nur eine fest begrenzte mögliche Anzahl. Besonders bedeutsam ist das Licht, welches von der Pluripotenz Hypothese auf die Vererbung erworbener Eigenschaften fällt. „Nimmt man nämlich", sagt Hacker, „die weitere Annahme ') 1. c. p. 64 ff. Ich muß hier auf den Text des kleinen, aber außerordentlich inhallrcichen Buches verweisen. ZU Hilfe, daß von einer Stelle des Körpers aus eine „Umstimmung" anderer Teile erfolgen kann, ähnlich wie z. B. von einem Kristallisalionskern aus eine fortschreitende Zustandsänderung der Umgebung stattfindet oder wie dies in gewissem Sinne bei Regenerationsvorgängen angenommen werden muß, so kann .... innerhalb gewisser Grenzen auch der Gang einer eigentlichen soma- tischen Induktion dem Verständnis erheblich näher gebracht werden, als es bisher möglich war". Auch die retrogressiven und degressiven Mutationen , die Xenien, Bizarrerien, das Problem der unreinen Gameten u. m. a. können zur Pluripotenz in förderliche Beziehung gebracht werden. Die Aufgabe, welche aus Hacker 's Hypothese der biologischen Forschung erwächst, ist eine weitgreifende: Es müßte bei möglichst vielen Individuen der verschiedenen Variationen einer Art der jedem zukommende Potenzenschatz durch Beobachtung und Experiment, besonders auch auf dem Wege der Mendelforschung festgestellt wer- den; — das Ziel ein sehr verlockendes: es könnte dadurch ein vollständiges, festbegrenztes Aribild gewonnen und dadurch der Unterbau der Syste- matik sowohl, wie der der Biologie und Ent- wicklungsgeschichte sehr wesentlich gefestigt, die Probleme dieser Disziplinen, nicht bloß die in diesen Zeilen gestreiften, könnten gleichsam mit erfrischter Kraft, mit klarerem Blick in Angriff ge- nommen werden. Wie man sieht, hat die skizzierte Hypothese uns von dem Ausgangsthema weit hinweggeführt. Der befreiende Eindruck , mit einem geistreichen Schlüsselwort eine ganze Phalanx von Rätseln überwunden zu haben, wie ihn Hering's Rede so gefällig hervorruft, ist verblaßt. Die Annahme einer Wesensgleichheit des Vererbungs- und an- derer biologischer Vorgänge mit dem psycho- logischen des Gedächtnisphänomens erscheint als eine rein spekulative, denn soweit unsere objek- tiven Kenntnisse nach beiden Richtungen reichen, bleiben naturhistorisches und psychisches Ge- schehen disparat, und das zeigt sich in einem Teilgebiet, das in diesen Überlegungen beiseite gelassen wurde, wo sich aber beide am nächsten berühren , gerade am deutlichsten : bei der Ver- erbung psychischer Dispositionen. — Auch der Versuch, beide Vorgänge zu vergleichen, ist, wie sich herausgestellt hat, nur teilweise durchzuführen und jedenfalls ohne irgendeinen reellen Gewinn für die biologische Erkenntnis. Dem didaktischen Wert der Mneme- Lehre und der .Schärfe der Sem on 'sehen Methode wird man alle Gerechtig- keit widerfahren lassen und diese Anerkennung am besten betätigen, indem man das Fremdwort ,, Mneme" seines psychologischen Gehaltes vollends ganz entledigt. — Um so deutlicher sind die Forderungen des Augenblicks hervorgetreten: Hacker 's vorsichtige Kritik bewahrt alles Wert- volle der He ring 'sehen und Semon 'sehen Gedankenreihen und bringt mit einer fruchtbaren 456 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 29 Arbeitshypothese seine Leser in die richtige Distanz zu den zahlreichen Problemen, welche sich im Gesichtsfelde der Hering'schen Idee drängen und die sich in eine Fülle von Teilproblemen aufgelöst haben seit der Zeit, wo Hering's formvollendete Worte dem Nachdenken aller natur- wissenschaftlich und philosophisch Interessierten eine tiefgehende und mächtige Anregung gaben. Chemisch-physiologische Winke über den Gebrauch der Nahrungsmittel während der Kriegszeit. Hausmittel zur Kouservieiung von Mahlzeitüberresten. [Nachdruck verboten.] VoD Th. Bokomy. (Schluß.) VIII. Bezüglich der Salze (Mineralstoffe) ist noch zu bemerken, daß sie nicht in den Speisen ge- nügend enthalten sind. Nur Calci umsalze mangeln in mancher Kost ziemlich stark, wie z. B. in der Fleischkost, auch in Kartoffeln. Hingegen sind sie reichlich vorhanden in der Milch und in grünen Gemüsen. Da nun der Calciummangel starke Störungen der Gesundheit hervorrufen kann, so ist eine ent- sprechende Auswahl bzw. Mischung der Speisen dringend anzuraten. Eventuell kann auch durch Bezug von reinem kristallisiertem Chlorcalcium aus chemischen Fa- briken geholfen werden. Es wird mit Trinkwasser, Bier, Suppe, Gemüse usw. zusammen genommen. Einige Beispiele von dem Mineralgehalt der tierischen und pflanzlichen Nahrungsmittel sind folgende : In einem Kilo sind im Mittel enthalten: 0,4^ g Kalk Weizenmehl Fleisch Kartoffel 0.30 g 0,26 g 0,08 g 0,86 g 2,60 g 1.30 g 2,51 g 0,82 g 2,37 g Eigelb Kulimilch KohlrabianschwcUung Kohlrabiblatt Möhre Spinat Der Kalkbedarf des Menschen ist zu i g pro Tag ermittelt worden. Also müßten wir mehr als 3 Kilo Fleisch essen, um genügend Kalk zu erhalten 1 O. Loew (Vortrag in München 191 3) hat be- rechnet, daß die Friedensverpflegung des deutschen Soldaten nur 0,5 g Kalk pro Tag in der Nahrung darbietet: Magnesia Kalk 150 g l'UiscIl ( 750 g Urot ( ■ 0.45 g 0,261 g 125 g Reis . . . 0,148 g o.ob3 g I 1 Wasser . . . o.oöo g 0,100 g Vj 1 Bier .... 0,090 g 0.041 g 0,74''^ R 0,465 g Wir werden grüne Gemüse und Milch als kalkreiche Nahrungsmittel ins Auge zu fassen haben. IX. Hausmittel zur Konservierung von Speisen. Im Sommer ist es eine stehende Klage, daß Fleisch, Suppe, Gemüse, die nicht gleich weggegessen werden, verderben ; oder daß man kein Fleisch usw. vorkaufen könne, was doch ge- wiß oft wünschenswert wäre. Sie dürfen nicht verderben, diese Vorräte verschiedener Art. Alle Sorgen fallen hinweg, wenn man folgen- des weiß. PTisches gesundes Fleisch kann Bakterien nur an der Oberfläche, wo es mit Luft und Hüllen in Berührung ist, haben ; die Fäulnis muß also immer an der Oberfläche beginnen. Gesottenes und gebratenes Heisch natürlich ebenso. Folglich kann man die Fäulnis und Verschim- melung hintanhalten, ja völlig verhindern, wenn man die P'leischstücke alle 22 — 24 Stunden in kochend heißes Wasser oder siedend heißen Dampf auf 2 — 3 Minuten hineinhält (in einem Seiher liegend). Gemüse und Suppen kann man vor dem Ver- derben sicher bewahren, wenn man sie alle 12 bis 24 Stunden kurz aufkocht. Würste (wenn sie in Därme gefaßt sind und nicht Roh wurste bleiben sollen) kann man auch bei großem Wassergehalt genießbar erhalten, wenn man sie alle i — 2 Tage kurze Zeit durch und durch siedheiß werden läßt, was z. B. bei bayeri- schen Leber- und Blutwürsten, ferner bei ge- räucherten Würsten von gewöhnlicher Art einige Male ohne Verlust an Wohlgeschmack ausgeführt werden kann. Durch das wiederholte Erhitzen bis zum völligen Heißwerden können alle lebens- fähigen Bakterien abgetötet werden, da die weni- gen nach dem ersten Erhitzen etwa noch lebend gebliebenen dann im ausgekeimten Zustande von der Hitze betrofien werden und leicht zugrunde gehen. Bloßes Eintauchen in siedendes Wasser würde bei Wurstwaren nicht helfen, weil hier während der Bereitung Bakterien auch ins Innere gelangen. Sorgfaltige Reinhaltung aller Geschirre zum .Aufbewahren wird natürlich für die Konservierung iTÜnstisf sein. N. F. XIV. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 457 Auf das Konservieren durch Einsalzen, Räuchern, Trocknen von I'leisch sei hier nicht eingegangen, da es allgemein bekannt ist. Bezüglich der Konservierung von Früchten und F"ruchtsäften durch Zuckerzusatz sei nur be- merkt, daß hier gewöhnlich durch unangebrachte Zuckerersparnis gefehlt wird. Etwas zu wenig Zucker — und die ganze Speise verdirbt unfehl- bar binnen einiger Zeit. Der zu süße Geschmack kann später durch Verdünnen mit Wasser wieder gemildert werden. Sollte aber der Fehler eines zu geringen Zuckerzusatzes schon gemacht sein, so kann man, sobald sich Schimmel zeigt, wiederum dadurch abhelfen, daß man das „Eingemachte" langsam und vorsichtig nochmal bis zum Sieden erhitzt. Erträgt das Einmachgefäß diese Prozedur nicht, so muß natürlich umgeleert werden; das Gefäß ist dann gut auszureinigen, zuletzt mit gutem Branntwein. Vorrichtungen, um durch Luftabschluß zu kon- servieren, sind für den einfachen Haushalt meist etwas zu kostspielig. Es ist diese Art zu kon- servieren die in Konservenfabriken übliche Me- thode. Nährwert einiger fertigen Speisen. Aus dem Gehalt der rohen Nahrungsmittel an verdaulichem Eiweiß, Fett und Kohlehydrat, sowie aus dem Kochrezept, dem die für eine Person treffende Menge der zur Speise verwendeten von Fleisch, Fett, Gemüsepflanzen usw. zu entnehmen ist, läßt sich der Nährwert berechnen, welcher in einem Teller Suppe, Gemüse, einer Portion Fleisch usw. steckt. Selbstverständlich sind die errechneten Werte nur annähernd richtig, da ja die Zusammensetzung der Nahrungsmittel etwas schwankt und die Koch- rezepte nicht genau übereinstimmen, ferner die Bestandteile der Speisen meist nicht abgewogen, sondern nur schätzungsweise (nach dem Augen- maße und gewissen in der Küche üblichen Regeln) zugemischt werden. Z. B. schwankt der Fettgehalt der Milch zwischen 2,5 bis über 4 "j^. Dabei ist von den immer noch vorkommenden Milchfälschungen durch Entwässern und Abrahmen ganz abgesehen, wodurch der Fettgehalt der Mich vermindert wird. Wenn ich also für ein Quart Milch den Gehalt 8,75 g verdauliches Fett einsetze, so ist das eine Mittelzahl, die überschritten, aber auch nicht er- reicht werden kann. Nicht jede Kuh liefert Milch von 3,5 »/(, Fett- gehalt, wenigstens nicht zu jeder Zeit und bei jedem P'utter. Es kann der Fettgehalt bis auf 2,5 *•/,, herunter- sinken. Von Einfluß ist die Rasse der Kühe, sowie auch die Individualität. Ferner die Melkzeit, das Futter usw. Dazu kommt die Milchpantscherei, die im Stall beginnt und im Milchladen endet, falls nicht gar die Köchin im Rücken der Herrschaft auch noch „pantscht". Wenn wir unseren Morgenkaffee einnehmen, haben wir meist Anlaß genug, an derartige Mög- lichkeiten zu denken und erlaubte wie unerlaubte Fettarmut der Milch zu bedauern. Wie schmeckt ein Glas Milch auf der Alm! O wären wir nur wiederum da, wo die Milch in erster Qualität fließt. Noch weiter gehen die Schwankungen im Nährgehalt des P'leisches. Mageres Rindfleisch enthält 20 "/„ Eiweiß und 3 "/o Fett, sehr fettes 16 ^% Eiweiß und 26 "•/„ Fett. Während 100 g mageres Fleisch nur 108 Kalorien bedeuten, besitzen 100 g des letzteren 3 1 2 Nutzwertkalorien. Es ist natürlich nicht möglich, eine tägliche Fettbestimmung des zu genießenden Fleisches vor- zunehmen. Die Schätzung muß hier an Stelle der Gewißheit treten. Im allgemeinen ist zu sagen, daß jener, der fettes Fleisch kauft und zu verdauen vermag, zum gleichen Preise viel mehr Kalorien einnimmt als der Liebhaber mageren Pleisches. Geräucherter Speck hat pro 100 g einen Nähr- wert von 726 Kalorien, eine Zahl, die nur noch von der Butter mit 750 Kalorien über- tro ffen wird. Wer es verträgt, soll also fett essen. Der vielgerühmte Nährwert der Eier sinkt da- gegen auf eine bescheidene Zahl herab. Er be- trägt nur 162 Kalorien pro lOO g, das sind ca. 2 Stück Eier. Roggenbrot und Weißbrot stellen sich im Nährwert ziemlich gleich, sie liefern pro 100 g 231 bzw, 213 Nutzwertkalorien. Zwieback (aus Weizenmehl) liefert pro loO g 345 Nutzwertkalorien. Diese im Verhältnis zum Brot bedeutend höhere Zahl hat ihren Grund in der Trockenheit, d. h. dem geringen Wassergehalt des Zwieback. Pumpernickel verhält sich wiederum wie ge- wöhnliches Brot, es liefert 213 Nutwertkalorien. Selbstverständlich ist auch der Nährwert der Brotarten nicht immer der gleiche. Er hängt von dem Gehalt der verwendeten Mehle an Kohle- hydrat und Eiweiß ab, der nicht immer gleich ist , aber doch nicht in sehr weiten Grenzen schwankt. ^) Unter den Gemüsen sind die Hülsenfrüchte weitaus am nahrhaftesten. So liefern 100 g Erbsen 298 Nutzwertkalorien, Bohnen 290, Linsen 308, im Mittel. Schwankungen sind natürlich ebenfalls da, je nach Jahrgang, Sorte und Herkunft. Ein guter Jahrgang erzeugt nährstoffreichere Samen als ein schlechter, manche Sorten sind eiweiß- und stärke- reicher als andere. Ein guter Boden zeitigt nähr- ') So schwankt der Kohlehydratgehalt des feinsten Weizen- aehles zwischen 70 und 77 "L, 458 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 29 Enthalten verdaulichen Nährstoff: Nutzwert- Speisen (fertig) Kalorien Bemerkungen Eiweiß Fett Kohlehydrat g S g I Ilausbrot (ca. 70 g) 3.50 o^iS 34,30 1 58,24 I Semmel (ca. 35 g) 2,1 0,35 15-75 76,37 I Ei roh (ca. 50 g) 6,0 6,0 — 80,4 I Ei gekocht (ca. 50 g) 6,0 6,0 — 80,4 I Zwieback (ca. 10 g) 0,7 ',0 7,3 — I Butterbrot (Hausbrot), aus 70 g schwarzem Brot und 10 g Butter bestehend 3,57 8,45 34,35 234,06 I Butterbrot (Semmel), aus 35 g Semmel und 5 g Butter bestehend 2,14 4,40 15,78 114,5 I Quart (250 ccm) Milch (roh oder gekocht) 8,5 8,75 •2,5 165,7 I Quart (250 ccm) Kaffee, ') .lus Kaffee und Tee sind Anregungs- 200 ccm schwarzem Kaffee und mittel, durch Zusatz von Milch oder 50 ccm Rahm bestehend 1,88 2 4,23 43,6 Rahm werden sie auch Nährmittel I belegtes Brot (Hausbrot), aus 70 g Brot und 15 g Mettwurst 7,59 6,33 34,3 232,12 I belegtes Brot (Hausbrot), aus 70 g Brot und 25 g fettem Schinken 9,5 9,1 34,3 204,21 I belegtes Brot (Hausbrot), aus 70 g Brot und 20 g Zervelatwurst 6,9 7,95 34,3 242,86 I Quart Tee, ') aus schwarzem Tee bestehend, mit 25 g Zucker — — 24 98,4 I Quart Kaffee,') aus 150 ccm schwarzem Kaffee und 100 ccm Milch und 25 g Zucker bestehend 3.4 3,5 29 165,39 I Quart Kakao , aus i Quart Milch und 15 g Kakaopulver io,5 12,0 14,2 212,87 Eingekochte Suppen: I Teller (400 ccm) Griessuppc (Graupensuppe) oder Reissuppe oder Rollgerstensuppe, hergestellt aus 30 — 35 g Gries oder Reis oder Rollgerste oder iS — 20 g Butter 2,5 ■5 25 252,25 I Teller verkochte Brotsuppe hergestellt aus 100 g Brot und 20 g Butter und 15 g Ei 6,94 18,5 49, # 401,8 1 Teller aufgeschmälzte Brot- suppe, hergestellt aus 100 g Brot und 20 g Butter (und 50 g Zwiebeln) 6,14 16,7 59,1 1 Teller Pannadelsuppe, herge- stellt aus 50 g Semmel und 20 g Butter und 15 g Ei 4,86 18,2 22,6 283,9 1 Teller Kartoffelsuppe, herge- stellt aus 300 g Kartoffel und log Butter und lo g Mehl 0,97 8,20 70,55 I Teller Linsensuppe, hergestellt aus 50 g Linsen und 20 g Butter 10,14 23,7 25,1 I Teller Erbsensuppe, hergestellt aus 50 g Erbsen und 20 Butter 9,14 16,7 25,6 I Teller Bohnensuppe, hergestellt aus 50 g Bohnen und 20 g Butter 10,14 ■ 16,7 23,6 I Teller Griesknödelsuppe, her- gestellt aus IG g Butter und 30 g Ei und 25 g Gries 11.57 17,35 17,75 I Teller Leberknödelsuppe, lur- gestellt aus 40 g Leber und 2ü g Butter und 50 g Ei und 30 g Semmel 14,74 23,46 ■3,6 1 Teller Einlaufsuppe, herge- stellt aus 20 g Mehl und 40 g Ei b,b 5,0 15,0 Gemüse: I Teller Spinat, hergestellt aus Die grünen Gemüse sind auch 200 g Spinat und 20 g Butter und durch ihren Calciumgehall wichtig 5 g Mehl 4,59 16,7 11,85 220,2 ') Der NährstofTgchalt von schwarzem Kaffee oder schwarzem Tee ist sehr gering, da der größte Teil des Nähr- stoffes in den Blättern des Tee und in den Kaffeebohnen beim Abkochen zurückbleibt. N. F. XIV. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 459 Enthalten verdaulichen Nährstoff: Nutzwert- Speisen (fertig) Kalorien Bemerkungen Eiweiß Fett Kohlehydrat g S g I Portion Blumenkohl (Karviol), licrgcstellt aus 200 g Blumenkohl und 20 g Butter 4.14 23,0 4,10 I Teller Wirsing, hergestellt aus 200 g Wirsing und 20 g Butter 3.74 20,2 5,10 I Portion Spargel , hergestellt aus 200 g Spargel und 20 g Butter 3.72 21,2 5.10 I Teller gelbe Rüben (Möhren), hergestellt aus 200 g Rüben und 20 g Butler 2,14 16,2 18,10 I Teller Erbsenbrei, hergestellt Die Erbsen gegenwärtig fast aus 100 g Erbsen und log Butter 18,07 9.1 51.05 dreimal so teuer, aber trotzdem I Teller Erbsenbrei (wie vor- rentabel hin) mit 100 g fettem Geräucher- tem (Schinken . . .) 42,07 44,10 5 ' .05 1 Teller Sauerkraut, hergestellt aus 200 g Kraut und 10 g Butter und 5 g Mehl 3,48 9,55 9,56 I Teller Sauerkraut (wie vor- hin) mit einem Schweinskotelette von 100 g in 10 g Butter ge- schmort 19,55 17,65 9.55 I Teller Kartoffelbrei , herge- stellt aus 200 g Kartoffel und 10 g Butter und 25 g Milch 2,92 8,98 43.30 I Teller geröstete Kartoffel (Kartoffelscheiben), hergestellt aus 200 g KartotTel und 20 g Butter 4. '4 16,2 42,10 I Portion Kartoffelnudeln, her- gestellt aus 200 g Kartoffel und I Ei und 25 g Milch und 20 g Butter 8,99 23,075 43.35 I Portion Kartoffelsalat (100 g Kartoffel und 15 g Öl) 2,5 II.5 63,00 I Portion Kopfsalat (250 g Salat und 15 g Öl 1.4 11,81 2 Fleisch und Fisch: I Portion gesottenes Ochsen- fleisch aus '/-i Pfund rohem mage- rem Ochsenfleisch hergestellt 50 7,5 274.75 I Portion Kalbsbraten aus '/a Pfund mittelfettem Kalbfleisch her- gestellt mit 100 g Butter 45,7 91 0,5 I Portion Schweinebraten aus V2 Pfund fettem Schweinefleisch hergestellt und 20 g Butter 35.14 121,2 0,1 I Portion Hammelbraten aus '/o Pfund mittelfettem Hammel- fleisch hergestellt und 20 g Butter 40,14 41,2 0,1 I Portion Karpfen (blau) aus 'I2 Pfund Karpfenfleisch bestehend mit 20 g Butter und 100 g Kar- toffel 51.14 25,2 21,0 I Portion Schellfisch aus '/a Pfund Schelllischfleisch bestehend mit 20 g Butter und 100 g Kartoffel 1 Portion Stocklisch (Laberdan) Gesalzener Kabeljau , nicht ge- aus Va Pfund Stockfischfleisch be- trocknet stehend 67,67 0,90 I Portion Rehbraten aus '/s Pfund Rehfleisch bestehend und 20 g Butter 45.14 20,2 ca. 360 I Sahhering (100 g Fleisch) iS 16 304 Eierspeisen: 1 Portion Rühreier (3 Eier und Die Eier sind zu je 50 g ge- 10 g Butter) 18,07 26,1 0,05 312 rechnet I Portion Pfannenkuchen , aus 50 g Mehl und '/^ Ei und 10 g Butter hergestellt 7.57 11,6 37.55 292,88 460 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 29 stofifreichere Früchte als ein schlechter. Das Klima spielt ebenfalls mit, ferner die Düngung. Kartoffel liefern nur 92 Nutzwertkalorien pro 100 g. Gelbe Rüben (Möhren) nur 40. Schnittbolinen nur 36. Spinat nur 25. Der vielgerühmte Wert der Gemüse, speziell der grünen Gemüse wie Spinat, beruht also nicht in einem hohen Nährwert derselben , sondern in anderen Vorzügen. Die grünen Gemüse enthalten reichlich Nährsalze, deren Bedeutung in neuer Zeit mehr als früher gewürdigt wird. Der Wert der fertigen Spinatgemüse wird frei- lich erhöht durch den Zusatz von Butter, die beim Kochen verwendet wurde. Obst ist gesund, aber nicht sehr nahrhaft. Denn lOO g frische Äpfel liefern nur ca. 25 Nutzwertkalorien. Bier hat etwas geringeren Nährwert. 100 g davon enthalten ca. 45 g Kohlehydrat und 3,5 g Alkohol, das macht 18,86 Nutzwertkalorien. Das Bier ist also doch als Kalorienlioferant nicht ganz zu verachten. Man beachte freilich auch die schädliche Wirkung des Alkohols und trinke nicht zu viel. Was die Verschiedenheit der Kochrezepte an- langt, so möge das Nötige hierüber aus den Koch- bücliern ersehen werden. Nicht bloß die Art und Menge der Gewürze ist wechselnd (ihr Nährwert kommt kaum in Betracht), sondern auch der Fett- zusatz, von dem der Kalorienwert ganz beträcht- lich abhängt. Je fetter gekocht, desto nahrhafter sind die Speisen, vorausgesetzt, daß sie vom Darm bewältigt werden. Nun gar die Mengenangaben, die man in Kochbüchern vorfindet. Eine Hand voll Salz, einen Löffel Mehl, Butter ein halbes Ei dick usw., das sind die Ouantitätsangaben, die man vor- findet 1 Daraus die Gramme zu entnehmen, die zum Kochen verwendet werden, ist keine kleine Aufgabe. Man wird also begreifen, daß die Nährwerte der Speisen, die hier angegeben sind, nur an- nähernd richtig sein können. Immerhin wird ein praktisch nicht unbrauch- bares Bild von dem Nährwert unserer Speisen ent- stehen, wenn man die Mitlelzahlen durch vorsich- tige Prüfung aller einschlägigen Angaben heraus- sucht. Das hat Verf getan. Da es dem Körper des Menschen nicht gerade darauf ankommt , ob er durch Fett- oder Kohle- hydratzufuhr die nötigen Kalorien geliefert be- kommt, sind die Kalorienzahlen in erster Linie aufzusuchen, wenn man sich seine tägliche Nahrung nach wissenschaftlichen Grundsätzen zusammen- stellt. Der Eiweißgchalt darf allerdings nicht unter der im ,,Kosimaß" angegebenen (irenze bleiben. Darauf ist immer nocli besonders Rück- sicht zu nehmen. Bei den meisten bessersituicrten Menschen trifft es, wenigstens in guten Zeiten zu, was oft be- hauptet wird, nämlich daß sie zuviel essen. Es wird also zumeist darauf gesehen werden müssen, ob wir das wissenschaftlich festgestellte Kostmaß bei unseren Mahlzeiten nicht überschreiten. Das wäre in jetziger Kriegsnot eine Sünde! In normalen Zeiten bedeutet das übermäßige Essen eine schädliche Belastung des Körpers und un- nötige Vergeudung von Nahrungsmitteln und da- mit einen Vermögensverlust. Legen wir lieber das für den Überfluß auszugebende Geld zurück für schlechtere Zeiten oder schenken wir es für wohltätige Zwecke, wenn unsere Lage das erlaubt. Sollen wir Bier trinken? Das Bier ist nicht ein bloßes Genußmittel. Es enthält auch Nährstoff; ja sogar der Alkohol des- selben wirkt in gewissem Sinne ernährend, da durch die Verbrennung des Alkohols im Körper Fett gespart wird. Die erfrischende Wirkung der Kohlensäure ist auch nicht zu verachten. Also ja. Aber mit Maß, besonders in den Kriegszeiten , wo das Getreide zur Ernährung direkt benötigt wird. Es soll damit keineswegs einer bedeutenden Einschränkung des Biergenusses, ja sogar einer vorübergehenden Unterlassung desselben, soweit nicht ärztliche Bedenken dagegen entstehen, vor- gegriffen sein. Im Notfälle bringt man für das Vaterland jedes Opfer. Den Wein genuß verbietet keine patriotische Rücksicht; soweit die Nahrungsfrage in Betracht kommt. Denn das Rohmaterial des Weines, die Weintrauben, haben als Nahrungsmittel eine ge- ringe Bedeutung. Es könnte hier höchstens die Geldfrage eine Rolle spielen. Sollen wir das Geld für den Wein ausgeben? Er ist nicht unbedingt nötig, wiewohl der Weinländer den Wein schwer entbehren wird. Die Gewöhnung darf ja in allen Ernährungs- und Genußfragen durchaus nicht außer acht gelassen werden. Wenn wir hier wie in anderen Luxusfragen bedenken, daß viele Existenzen an dem Gebrauch eines Luxusartikels hängen , so ist das Aufhören des Weingenusses nicht zu befürworten. Geradeso wie wir den Theater- und Konzertbesuch nicht aufgeben mit Rücksicht auf die davon lebenden Schauspieler, Sänger, Musiker usw., so verdient auch der Weinbauer berücksichtigt zu werden, der unter oft recht ungünstigen Verhältnissen arbeitet und geringen Gewinnst erzielt. Er soll es uns danken, indem er sein Produkt unverfälscht auf den Markt bringt. Die Frage der Alkoholschädlichkeit , die in letzter Zeit vielfach — recht extrem behandelt wurde, möge hier nicht erörtert werden. Nur das eine möge gesagt werden, daß — alle wissen- schaftlichen Resultate der Neuzeit in Ehren — doch jaiirtauscndclange lufahrung und auch wie- derum manche Erfahrung im gegenwärtigen Welt- kriege für einen mäßigen Alkoholgenuß spricht. Ein Übermaß ist ja in allen Dingen ungesund. N. F. XTV. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 461 LedigUch Luxussache, wie etwa der Tabak- genuß und der Genuß von schwarzem Tee oder Kaffee, ist übrigens der Genuß von Wein niciit. Denn sein Alkohol liefert Nutzwertkalorien ; er gelangt im Körper zur Verbrennung und ergibt damit Energie. Eine verwandte Frage ist die des Fleisch- suppengenusses ? Sollen wir Fleischsuppe essen ? Sie ist reines Genußmittel, wenn sie nicht „ein- gekocht", d. h. mit Nährstoffen wie Mehl, Brot, Reis, Gerste usw. zubereitet wurde. Trotzdem können wir ihr einen Wert für die Ernährung nicht absprechen, da ihre Extraktstoffe den Verdauungsnerv zu besserer Arbeit anregen. Ein großer deutscher Chemiker, Justus V. Liebig, hat sogar die verschwenderische Ge- winnung von Fleischexlrakt aus billigem süd- amerikanischem Rindfleisch anempfohlen. Man braucht 33 kg Rindfleisch um i kg Fleischextrakt herzustellen. Kleinere Mitteilungen. Unsere Flechten als Nähr- und Futtermaterial. Vor ganz kurzer Zeit sind im Verlag von J. C. B. Mohr (Tübingen) zwei Broschüren von Professor Dr. C. Jacob j erschienen. 1. Die Flechten Deutschlands und Österreichs als Nähr- und Futtermaterial. 2. Die Lager von Renntierfiechte und ihre Ver- wertung als Futter. Ich möchte zuerst den Inhalt dieser beiden Broschüren kurz referierend wiedergegeben. Der Verfasser weist darauf hin, wie es zu einer Zeit, wo die Deutschen durch den Hunger besiegt werden sollen, die Pflicht eines jeden ist, nach Kräften mit dahin zu wirken, daß auch dieser Plan zuschanden werde. Er lenkt zu diesem Zweck die Aufmerksamkeit auf 2 h'lechten, welche in Deutschland weit verbreitet sind, und welche als Nähr- und Futtermaterial in weitgehendstem Maße Verwendung finden können. In der ersten Broschüre wird der Hauplnachdruck auf das isländische Moos (Cetraria islandica. Liehen islan- dicus) gelegt, in der zweiten auf die Renntier- flechte, Cladonia rangiferina. Cetraria islandica (isländisches Moos). In weiteren Kreisen ist das isländische Moos als Heilmittel wohlbekannt; nur wenige aber wissen, daß es sich auch zu Brot verbacken läßt und daß es seit alters in nordischen Ländern als Nahrungsmittel dient. Ja es dient sogar, von seinem Bitterstoff befreit, zu Herstellung wohl- schmeckender Speisen. Das isländische Moos kommt nun keinesfalls etwa nur in Island und anderen arktischen Gegenden vor, sondern es findet sich auch in Nord- und Mitteleuropa vielfach und zwar besonders in lichten Nadelwäldern, auf Heiden usw., wo oft große Strecken damit bedeckt sind. Aber auch in unseren Mittelgebirgen (Schwarzwald, Vogesen, Thüringer Wald, Fichtel-, Erz- und Riesengebirge) ist es in höheren Lagen in großen Mengen zu finden. Der Nährwert des isländischen Mooses ist nun ein ziemlich erheblicher. Nach Schübler werden in Island 2 Tonnen := 139 1. isländisches Moos einer Tonne Mehl gleichgeschätzt. Poestion gibt an, daß in Zeiten der Not viele Leute sich ausschließlich von isländischem Moose ernährt haben. In Tschirchs Pharmakognosie findet man die Mitteilung, daß die Flechte als Brot ver- backen zu 50 "/y verdaut und in den Körper vom Darm aus aufgenommen wird. Berzelius hat eingehende chemische Ana- lysen des isländischen Mooses ausgeführt. Er fand: 44 "/o Moosstärkemehl, 36 "/o stärkehaltiges Skelett, 3 "/o Bitterstoff. Man sieht also, reichliches Vorhandensein von Kohlehydraten bedingt den hohen Nährwert der Flechte. Unbrauchbar, ja den Genuß des isländischen Mooses verhindernd ist der Bitterstoff. Dieser muß daher vor der Verwendung der Flechte ent- zogen werden. Dies geschieht heute zumeist durch Übergießen mit Potaschelösung. Die Ent- bitterung ist aber eine sehr einfache Prozedur, welche leicht ausführbar ist. Unter diesen Verhältnissen wäre es in dieser Zeit ungeheuer zweckmäßig, wenn das isländische Moos mit zu Nährzwecken herangezogen würde. Die Flechten könnten von Kriegsgefangenen, Schulkindern, ländlicher Bevölkerung usw. ge- sammelt werden und dann in geeigneter Weise verarbeitet werden. Jacobj bringt dann eine Reihe von Rezepten, welche für die Nutzung und Verarbeitung in Frage zu ziehen wären. Diese Rezepte werden am besten in dem Original nachgelesen, wie eine ganze Reihe weiterer Einzelheiten, auf die im Referat nicht eingegangen werden kann. Cladonia rangiferina (Renntierflechte). Kommt das isländische Moos als Nährmittel für den Menschen und nebenbei als Futtermittel in Frage, so würde die Renntierflechte nur als Futtermittel zu benützen sein. Auch hier ist ja der hohe Nährwert schon erwiesen. Den Renn- tieren dient die Flechte fast ausschließlich als Nährquelle, aber auch Rindvieh und Schweine werden häufig im Norden damit gefüttert. Diese Flechte ist nun bei uns in Deutschland 462 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XrV. Nr. 29 außerordentlich weit verbreitet. iVIan findet die Renntierflechte im Gebirge und in der Tiefebene, zwischen Heidekraut und Moos, auf moosigen Ländereien usw. oft über viele Quadratkilometer herrschend. Jacobj hat nun in verschiedenen kieferbestan- denen Heidemooren systematische Sammelversuche persönlich angestellt, um zu sehen, wie sich die Ausbeute hinsichtlich der Größe der bestandenen Fläche und hinsichtlich der Zeit der Gewinnung stellt. In einem kleinen 600 m langen, 300 m breiten Moor im württembergischen Aligäu konnte er beispielsweise auf einer Fläche von ca. 50 qm innerhalb 1 5 Minuten I kg feuchtfrisches, reines Renntiermoos sammeln. Beim Trocknen erfolgt ein Gewichtsverlust von -13. Der Gehalt auch dieser Flechte an Kohle- hydraten ist sehr hoch. Thierfelder fand 60 — 78% Zucker, welcher durch Hefe stark ver- gärt wurde. Die Renntierflechte verhält sich hierin ähnlich wie die Kartoffel. Die gemahlene Flechte wird von Schweinen gern gefressen, wie sich Jacobj selbst überzeugte, besonders wenn man sie mit Molken oder Butter- milch anrichtete. Dies ist aber in heutiger Zeit, wo durch das Notschlachten der Schweine der Preis für Schweinefleisch teils um 100 % gesteigert ist, von ganz außerordentlicher Bedeutung. Dies in großer Kürze der Inhalt der Jacobj- schen Broschüren. Es ist einleuchtend, daß nach dem Gesagten die Verwertung der beiden Flech- tensorten zu Nähr- und Futterzwecken zur Zeit der jetzigen Teuerung durchaus geboten ist. Der Verfasser selbst weiß durch seine Exkursionen in vielen Teilen Deutschlands, in welchen Massen vor allem die Renntierflechte vorkommt. Es stellen sich aber der Nutzung vor allem zwei Hindernisse in den Weg: 1. das Vorurteil der landwirtschaftlichen Be- völkerung, 2. der nach den persönlichen Erfahrungen des Verfassers auch bei den Behörden weitver- breitete Glaube, daß die in Frage kommenden Flechten nicht häufig genug seien, um wirk- lich praktisch ausgewertet zu werden. Beide Hindernisse aber können am besten durch unsere Freunde der Natur und Kenner der Pflanzenwelt behoben werden. Es kann sich, wie ich gleich zeigen werde, jeder, der die eine oder andere dieser F'lechten kennt, an dem vaterlän- dischen Werke beteiligen. Das weitaus wichtigste Hindernis ist das zweite. Dasselbe ließe sich aber nach Ansicht des Ver- fassers unter Mitwirkung recht zahlreicher Leser dieser Zeitschrift ungefähr folgendermaßen be- heben. Jeder, welcher über ein größeres Vorkommen einer der Flechten in seinem Wohnbezirk oder sonst irgendwo genaue Kenntnis hat, gibt dem Verfasser dieser Zeilen nach dem pharmakognosti- sehen Institut der Universität Tübingen mit nähe- ren Angaben darüber, möglichst mit einem kleinen Flcchtenstück, Kenntnis. Auf diese Weise würde sicher eine gute Übersicht über die allgemeine Verbreitung gewonnen. Haben wir das aber er- reicht, so wird ein durchaus zuverlässiges Urteil über die praktische Verwertbarkeit erst möglich und bei positivem Ausfall werden die in I'rage kommenden Behörden einer staatlichen Organi- sation der Ausbeute nicht mehr ablehnend gegen- überstehen. Wie viele Lehrer, Forstleute, Apotheker und andere Freunde der Natur könnten dadurch dem \'aterlande, ganz besonders aber den heute unter den hohen Fleischpreisen besonders leidenden ärmeren Volksklassen, auch ihrerseits einen erheb- lichen Dienst leisten. Ist aber das zweite Hindernis beseitigt, nehmen die Behörden wirklich die Organisation von Samm- lung und Verwertung der Flechten in die Hand, so wird der Naturfreund wieder an der Beseitigung der Vorurteile gegen Flechtenernährung und Fütte- rung mitarbeiten können. E. Lehmann, Prof an d. Univ. Tübineren. Bücherbesprechungen. Jaiser, Adolf, I'arben p hotograph i e Inder Me d i / i n. Praktischer I\atgeber für farbenphoto- graphische Aufnahmen am lebenden und leb- losen Objekt zum Gebrauch für Arzte, Natur- forscher und Photographen. Mit 6 farbigen Tafeln nach Originalaufnahmen des Verfassers, 69 Textabbildungen sowie einem Geleitwort von Prof Dr. Steinthal. 122 S. Stuttgart (Enkc) 1915. Die P'arbcnphotographic ist fraglos von großer Bedeutung für die JVledizin und die Naturwissen- schaften, und zwar sowohl für die reine Forschung zum schnellen, bequemen und objektiven P'esthalten vorübergehender oder seltener Erscheinungen, als auch für den Unterricht. Daß sie noch nicht All- gemeingut der in Bctraclit kommenden wissen- schaftlichen Institute geworden ist, liegt sicher nur zum kleineren Teil an der Kostspieligkeit der Apparatur, besonders der notwendigen Beleuch- tungsquellen, liegt vielmehr in erster Linie an dem Mangel an technischem Können; die Resultate wer- den oft schlecht infolge der „Außerachtlassung der elementarsten I'orderungen an Technik und Kunst," wie Vcrf sagt. Sein Buch entspricht dabei einem Be- dürfiüs, und es sei gleich gesagt, daß er seine Auf- gabe trefflich gelöst und wirklich einen brauchbaren Ratgeber geschaffen hat. Man erkennt auf jeder Seite, daß Verf überall aus eigenen Erfahrungen N. F. XIV. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 463 schöpft. — Es ist unmöglich, hier Einzelheiten des Inhaltes wiederzugeben. Vom Aufnahmeapparat über die Lichtquellen und über die Technik der Auf- nahme verschiedenartiger Objekte bis zur E^rtig- stellung der Platte und ihrer Verwertung durch die Projektion findet man alle Einzelheiten klar und verständlich dargestellt, wobei die sehr guten Text- abbildungen das Verständnis noch unterstützen und dem mit dem Gegenstand überhaupt noch nicht Ver- trauten besonders willkommen sein werden. Die far- bigen Tafeln aber zeugen für das technische und künstlerische Können des Verf Nur die Tafel VI (Tuberkulöse Drüse) könnte vielleicht durch ein instruktiveres Präparat ersetzt werden. Immerhin zeigt auch sie, daß des Verf Regeln für die Nah- auhiahme feuchter anatomischer Objekte, die viel- leicht noch schwieriger als die mikrophotographische Aufnahme ist, zur Erzielung plastischer Bilder von Wert sein müssen. Ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß mit der Verbreitung dieses Buches ein weiterer Schritt auf dem Wege getan wird, der Farbenphotographie den ihr in den biologischen Wissenschaften gebührenden Platz zu verschaffen. Hübschmann. dem ursächlichen Zusammenhang der einzelnen meteorologischen und hydrologischen Erschei- nungen noch ziemlich in der Luft zu schweben. W. Halbfaß. Levin, Dr. E., ZurKlimatologie und Hydro- logie des Peenegebietes (Abflußvor- gang der Peene). Mit 10 Abb. in Text und 9 Tafeln. Jahrb. f. d. Gewässerkunde Norddeutschlands. Besondere Mitteilungen Bd. 2 Nr. 8, Berün 1914, E. S. Mittler u. Sohn. ■ — ■ Preis geh. 4 M. Der Abflußvorgang der Peene, eines Küsten- flusses der Ostsee, dessen Flußgebiet rund 5 lOO (jkm groß ist, bietet dadurch besonderes Interesse, daß für ihn nicht bloß die Verdunstungskraft und der Niederschlag des Einzugsgebietes in Betracht kommen, sondern auch die Windverhältnisse, insofern anlandiger Wind das ausströmende Wasser erheblich anstaut. Die mittlere Nieder- schlagshöhe ist in den Gebieten größerer Wasser- flächen (Malchiner, Kummerower See usw.) ge- ringer als anderswo, ein sehr beachtenswertes Er- gebnis ! Neben der Speisung des Flusses durch Nieder- schläge ist der Einfluß des Grundwassers sehr bedeutend, welches neben den großen Seen auf die Wasserstandslinien des Flusses ausgleichend wirkt. Das Abflußverhältnis des Peenegebietes ist im Mittel 21 ^jg, entsprechend ungefähr den unter ähnlichen natürlichen Verhältnissen stehenden Flußgebieten der Havel, Dahme und Spree. Die Winde haben also mehr auf die wechselnden Wasserstände im Flußlauf, als auf den Wasser- stand im ganzen einen nennenswerten Einfluß. Die Arbeit liefert einen wichtigen Beitrag für die hydrographischen Verhältnisse eines mit besonderen Eigenschaften behafteten Küstenflusses; solange freilich die geologischen Verhältnisse des Unter- grundes, insbesondere noch des darin befindlichen unterirdischen Wassers nicht genau untersucht worden sind, scheinen mir Schlußfolgerungen aus Aiiregimgen und Antworten. In Nr. 1 7 der Naturw. Wochenschr. veröffentlichte Herr l'rof. Kathariner ein Samnielreferat über die Frage der GeschlecliUbestimmung bei der Honigbiene, in dem er in der Hauptsache eine kürzlich im Biologischen Centralblatt erschie- nene Arbeit U. Dickel's') bespricht. Da Herr Prof. Kathariner nicht persönlich zu den Anschauungen Dickel's Stellung genommen hat, erscheint es mir geboten, dem Referat noch einige Bemerkungen hinzuzufügen und kurz darauf hin- zuweisen, welcher Weit den Dicket 'sehen Angaben zukommt. In der Märznummer des Biologischen Centralblattes habe ich bereits eine eingehende Kritik der Dickel' sehen Anschau- ungen über die Geschlechlsbestimmung bei der Honigbiene veröffentlicht,*) eine Kritik, die leider Herrn Prof. Katha- riner bei der Abfassung seines Sammelreferates noch nicht vorliegen konnte. Wer besonderes Interesse für das Problem der Gcschlechtsbesiimmung bei den Hymenopteren hat, den verweise ich auf obige Kritik und die dort angegebene weitere Literatur, hier möge ein kurzes zusammenfassendes Urteil über die Di ekel' sehen Ideen genügen. Was zunächst die Möglichkeit der Entstehung von Drohnen aus befruchteten Eiern anbetrifft, so ist diese durch- aus nicht von der Hand zu weisen. Es gibt in der Tat einige Beobachtungen, die durch die Annahme einer gelegent- lichen Entstehung von Männchen aus befruchteten Bienen- eiern eine Erklärung finden können — iinden können, denn es bieten sich auch noch andere Erklärungen für diese Be- obachtungen, und man kann nicht einmal sagen, daß die obige Erklärung besondere Wahrscheinlichkeit hat. Dickel aber begnügt sich nicht mit der Behauptung, daß gelegentlich auch einmal ein befruchtetes Ei eine Drohne liefert, sondern er vertritt die Ansicht, daß ,,zu ge- wissen Jahreszeiten und unter gewissen physiologischen Stock- zuständen auch die Drohnen ihre Entstehung aus befruchteten Eiern nehmen", eine Ansicht, deren Richtigkeit er durch seine Ausführungen bewiesen zu haben glaubt. Prüft man indessen seine ,, Beweise", so muß man feststellen, daß ihr wissenschaft- licher 'Wert gleich Null ist. Ich müßte meine .Ausführungen im Biologisclien Centralblatt wiederholen, wollte ich hier die Richtigkeit der Dickel'schen ,, Beweise" der Reihe nach demonstrieren, ich verweise deshalb nochmals auf diese Aus- führungen. Dickel's Behauptungen stehen zum Teil in so direktem Widerspruch zu einwandfrei festgestellten Tatsachen, daß manche seiner Ideen überhaupt nicht diskutabel sind, so seine Behauptung, daß die Arbeiterinnen noch aus Arbeiterinnen- larven Drohnen zu erziehen vermögen (s. die folgende Notiz Stellwaag's). Dickel's Erklärung für die Entstehung der Zwitterbienen hat auch Boveri in seiner jüngst erschie- nenen Arbeit über dieses Thema ^) — sie soll demnächst hier besprochen werden — einer Kritik unterzogen. Ich wieder- hole mein Schlußurteil über die Arbeit O. Dickel's: Seine Ausführungen sind nicht geeignet, die Richtigkeit der Dzier- zon 'sehen Lehre auch nur irgendwie in Zweifel zu ziehen. Seine Behauptungen sind nicht mehr als zum Teil sehr kühne Spekulationen, denen jegliche exakte Grundlage fehlt. Nachtsheim (z. Z. Karlsruhe). ') Dickel, O. , Zur Geschlechtsbestimmungsfrage bei den Hymenopteren, insbesondere bei der Honigbiene. — Biol. Centralbl., 34. Bd., 1914. ') Nachtsheim, H. , Entstehen auch aus befruchteten Bieneneiern Drohnen? Eine Kritik der Anschauungen O. Dickel's über die Geschlechtsbestimmung bei den Hy- menopteren, insbesondere bei der Honigbiene. — Biol. Cen- tralbl., 35. Bd , 1915. ') Boveri, Th., Über die Entstehung der Eugsterschen Zwitterbienen. — Arch. f. Entwicklungsmech. d. Organ., 41. Bd., 1915. 464 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 29 Zur Krage der Geschlechlsbestimmung bei der Honigbiene. Das Sammelrcferdt über dieses Thema in Nr. 17 der „Natur- wissenschaftlichen Wochenschrift" läßt eine wichtige Unter- suchung unerwähnt, die geeignet ist, die ganze Dickel- sche Lehre umzustoßen. Herr Dickel stützt sich auf die Annahme, daß die jungen Bienenlarvcn zwittrig seien und sucht die Möglichkeit der Umzüchtung von Königinnen , Ar- beiterinnen und Drohnen im Larvenzustand durch Experimente und Beiihachtungen aus der Imkerpraxis zu beweisen. Fig. 2. Drohne. Kombinierte Längsschnitte durch etwa 6 stündige Bienenlarven. VI — VIII, Segmente; Ed, linddarm; G, Ganglienkette; H, Hoden; Hs, Hoden- Strang; I, Imaginalscheibe der männlichen Gonapophysen ; I,, Imaginalscheiben der Scheide; I.^ , der Stechborsten; I3 , der Stachelrinne und Stachelscheiden; Md, Mitteldarm; Os, Üvarialslrang; Ov, Ovarium. nahe der Rückenhaut des S. Segmentes (VIII), Von ihrer hinteren lateralen Kante zieht einerseits ein solider Strang (Os), den Darm umgreifend schräg nach hinten und unten in die poslsegmcntale Partie des 10. Segmentes. Hier liegen die kolbig verdickten Enden der ,,Ovarialstiänge" (Os) rechts und links von der Bauchganglienkette (G) an zwei Imaginal- scheiben (J|), welche die erste Anlage der Scheide und Ovi- dukte darstellen. Auch die Primitivanlagen des Stachels sind in dieser frühen Zeit an der Bauchseite des 11. und I2. Seg- mentes schon sichtbar. Nahe dem post- segmentalen Rande des 11. Segmentes liegen die Imaginalscheiben der Stech- borsten (J.2), in der Präsegmentalzone des 12. die unpaare Imaginalscheibe für Stachelrinne und Stachelscheiden (Jj). Völlig anders ist das Bild bei einer gleichalterigen Drohnenlarve (Fig. 2). Zwar finden wir die am Beginn der Larven- zeit noch völlig undifferenzierten Hoden- platten an der gleichen Stelle (II) wie die Ovarien, aber sie sind schon merklich größer und etwas anders geformt als diese. Auch von ihrem hinteren Ende gehen zwei solide laterale ,, Hodenstränge" (Hs) ab, aber sie ziehen viel weiter nach hinten als die Ovarialstränge, nämlich in diepostscgmentale Partie des 12. Segmentes, wo sie sich an eine kleine unpaare Ima- ginalscheibe (J I anlegen, aus der die rudi- mentär bleibenden Gonapophysen und der Duktus ejakulatorius der Drohne hervor- gehen." Wer mit morphologischem Verständnis die beiden Figuren vergleicht, der muß es als vollkommen ausgeschlossen be- zeichnen, daß eine weibliche Larve in eine männliche durch äußere Einflüsse verwandelt werden könnte. Es handelt sich ja nicht nur um die Gonade allein, sondern auch um ihren Ausführgang, um die Imaginalscheiben der Gonapophysen und um die korrelativen Beziehungen des gesamten Komplexes zu den benach- barten Bezirken. Tritt schon in ganz jungen Larven die sexuelle Differenzierung deutlich hervor, so werden die Unter- schiede von Stunde zu Stunde mit fort- schreitender Entwicklung markanter, denn die Ausbildung der einzelnen Organe voll- zieht sich in der begonnenen Richtung rasch und gleichmäßig nach ganz be- stimmten Gesetzen. Dr. Stellwaag. Diese Theorie steht einerseits in lebhaftem Widerspruch zur Befruchtungslehre, andererseits zu den tatsächlichen ana- tomischen Verhältnissen. Im zoologischen Anzeiger 1914 teilt Zander die Ergebnisse seiner Untersuchungen über das Geschlecht der Bienenlarven mit. Die Arbeiten selbst, denen die gewonnenen Resultate zugrunde liegen, sind längst abge- schlossen, doch wurde ihre Veröffentlichung durch den Krieg verzögert. Im wesentlichen handelt es sich für die vorliegende Frage um folgendes, das ich der Wichtigkeit halber wörtlich anführen will. ,,Bei 3 — 6 Stunden alten Arbeilerlarven liegen genau so wie bei der Königin die Ovarien (Fig. 1, Ov) als solide, am medialen Rand gekrauste Platten zwischen Herz und Darm (Md), Druckfehlerberichtigung. In dem Aufsatz von A. LipschUtz „Der Ursprung des Geschlechts" (Nr. 27 des gegenwärtigen Jahrganges) muß S. 41S und 419 überall statt „Bauraalgen" gelesen werden ,, Braunalgen". Literatur. Schuck, A. , Der Kompaß. II. Sagen von der Erfin- dung des Kompasses. Magnet, Calamita, Bussole, Kompaß. Die Vorgänger des Kompasses. Ha. Tafel 47 — 79 und Ver- zeichnis derselben. Hamburg '15, Selbstverlag des Verfassers. Inhaltl Sommer: Hering — Semon — Hacker. Bokorny; Chemisch-physiologische Winke über den Gebrauch der Nahrungsmittel während der Kriegszeit (Schluß). — Kleinere Mitteilungen : Lehmann: Unsere F'lechtcn als Nähr- und Futtermittel. — Bücherbesprechungen: J aiser: Farbenphotographie in der Medizin. Levin: Zur Klimatologie und Hydrologie des Peenegebictes (AbfluUvorgang der Peene). — Anregungen und Antworten (mit 2 .Abbildungen). — Druckfehlerberichligung. — Literatur: Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Mi ehe in Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Fulge 14. Band; zen Reihe 30. Band. Sonntag, den 25. Juli 1915. Nummer 30. Aus dem Leben der Hummeln. [Nachdruck verboten.] Von Privatdozent Während die Untersuchungen der letzten Jahre die biologische Eigenart der Honigbiene so geklärt haben, daß wohl nur wenige untergeordnete Fragen der Lösung harren, müssen unsere Kenntnisse von den Hummeln noch als ziemlich lückenhaft be- zeichnet werden. Es hängt dies eng mit der Lebensweise dieser Hautflügler zusammen. Die Bienenkönigin überwintert mit einer Anzahl Arbeite- rinnen und zehrt mit ihnen von den im Laufe des Jahres aufgespeicherten Honigvorräten. Dagegen sterben im Hummelstaate beim Eintreten un- günstiger Ernährungsbedingungen die Nestinsassen bis auf einige befruchtete Weibchen ab, die un- abhängig voneinander in Schlupfwinkeln ihren Winterschlaf halten, um mit Beginn des nächsten Jahres mehr oder weniger früh zur Volksgründung zu schreiten. In vielen Punkten unterscheiden sich die Ver- hältnisse im Hummelstaat von dem anderer Hy- menopterenstaaten, auch von dem der Honigbiene, obwohl Bienen und Hummeln als Apidae zur gleichen Familie gehören. Ich will nur wenige Züge heraus- greifen, die mir für das Verständnis der folgenden Erörterungen wichtig erscheinen. Tiefgreifende Gegensätze bestehen zunächst in der Anlage des Nestes. Die Biene baut ihre Waben vertikal, so daß die Zellreihen, deren Elemente regelmäßig sechseckig hergestellt werden, sich mit ihrem Boden berühren. Die Wabe hängt mit ihrer oberen Kante im Stock. Die Hummeln dagegen bauen überhaupt keine eigentlichen Waben, sondern unregelmäßige Eiernäpfe, die auf dem Nestboden liegen , so daß ihre Deckel nicht wie bei der Biene nach der Wand der Beute, sondern nach der Decke schauen. Die Zellen variieren in Gestalt und Größe bei beiden Gattungen, aber jede Zellart hat ihre eigene Bestimmung. Schon der Name Arbeiter, Drohnen- und Weiselzellen besagt, daß ihre Dimensionen bei der Biene im engsten Zusammenhang mit der Aufzucht der physiologisch voneinander abweichenden Bienenwesen steht. Dabei werden aber auch die Arbeiterzellen und ausnahmsweise auch bei überreicher Tracht die Drohnenzellen als Auf- bewahrungsbehälter sowohl für Pollen als auch für Honig benutzt. Die verschiedenen Zellen des Hummelnestes aber dienen ganz anderen Zwecken. Hier unterscheiden wir Brutvviegen, Honigtöpfe und Pollenzylinder. Die Brutwiegen haben für die verschiedenen Volksgenossen annähernd gleiche Größe. Da, wie unten ausgeführt werden wird, in einer Eierzelle mehrere Larven heranwachsen, die sich zur Zeit der Verpuppung mit einem Ge- spinst umgeben, so entstehen Tönnchen, die Dr. F. Stellwaag. fälschlicherweise hier und da als Hummelzellen be- zeichnet und wohl auch jetzt noch von Laien da- für gehalten werden, wälircnd sie in oder auf der früheren Wachszelle entstanden sind. Tönnchen- komplexe oder Wabenstücke kommen zu bestimm- ter Zeit unregelmäßig an und übereinander ge- lagert in wechselnder Zahl im Hummelneste vor. Die Honigtöpfe sind bauchige Krüge, viel größer als die Kokons, aber in der Gestalt ihnen ähnlich. Sie werden mit Honig gefüllt und je nach Bedarf, oft in der Nacht wieder entleert und abgetragen. Pollen- zylinder sind bisher nicht bei allen Hummelarten festgestellt. Der ausgezeichnete Hummelkenner H o f f e r (8) hat sie bisher nur bei Bombus pomorum beobachtet. „Ihre Gestalt ist zylindrisch oder vier- kantig zylindrisch, alle aber sind in der Mitte etwas ausgebaucht, wodurch sie sich der Tonnengestalt nähern." Während also bei den Hummeln die Zellen zur Aufnahme der Larven zum Unterschied von den Bienen nicht besonders differenziert sind, beobachten wir gerade die umgekehrten Verhält- nisse bei den Nahrungsbehältern. Charakteristisch für die Hummeln ist die Art, wie die Eierzelle (d. h. der Napf, in den die Eier abgelegt werden) hergestellt und bestiftet und wie außerdem für die heranwachsende Brut gesorgt wird. Die erste Nestanlage ist schon mehrmals beobachtet worden, besonders von Hoffer (8) und Wagner (11). Nach dem ersteren geht das Bauen der Waben auf folgende Weise vor sich : Das Weibchen legt auf einer weichen Unterlage von Moos, Gräsern usw. die erste Zelle aus Wachs in Form eines Napfes an, füllt dieselbe mit Pollen, legt die Eier hinein und schließt sie wieder mit Wachs. Klarer sind die Mitteilungen von Wagner. Er bestreitet, daß die Eierzclle stets mit Nährmaterial versehen wird. Zwar stimmen seine Beobachtungen mit denen von Hoffer bezüglich Bombus terrestris L. überein ; er fand aber außerdem, daß hier der Nahrungsvorrat auch über den Eiern abgelagert werden kann. Im Gegensatz zu Bombus terrestris L. wird den Larven von Bombus lapidarius, muscorum und sylvarum kein Futter mitgegeben und die Eierzellen werden ohne weitere Vorkehrungen so- fort nach der Bestiftung gedeckelt. So entwickeln sich in der Regel mehrere Larven in einer einzigen Eierzelle. In dieser kann man hier und da Larven ganz verschiedenen Alters antreffen und es hat den Anschein, als ob nachträglich noch Eier zu den früheren abgelegt worden seien. Der Grund für diesen merkwürdigen Befund liegt darin, daß die Königin seitlich von den alten Eierzellen neue an- kittet und zum Teil dazu Wachs der benachbar- ten Zelle benutzt. So kommt eine Vereinigung 466 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 30 \on zwei Hierzellen zustande und es werden Lar- ven von ungleicher Entwicklungsstufe zusammen- gebracht. Da die Eierzellen gedeckelt sind, so müssen die Insassen nachträglich gefüttert werden. Das wird von der Königin und den Arbeitern besorgt. Sie durchstoßen den Wachsdeckel, stecken ihren Rüssel in die Zelle und erbrechen die flüssigen Nahrungs- stoffe. In Gestalt von Pollen wird den Larven auch feste Nahrung gegeben, die seitlich durch die aufgebrochene Zellwand hindurch geschoben wird- Bei der Honigbiene besorgen die Fütterung ebenfalls die Arbeiter. Sie haben aber nicht nötig, die Zelle zu beschädigen und nachher wieder in Ordnung zu bringen, denn die Brut bleibt stets zugänglich und kann infolgedessen mühelos er- nährt werden. Den jungen Larven wird soviel Futterbrei zugeführt, daß sie darin am Zellboden förmlich schwimmen. Von der Arbeiterinnen- und Drohnenlarve wird der Brei schnell aufgezehrt, nur die Königinlarve wird so reichlich damit ver- sehen, daß zur Zeit der Verpuppung oft noch Reste als gelbe glasige Masse am Zellgrund vor- handen sind. Erst wenn die Bienenlarven keine Nahrung mehr bedürfen, im Begriff sind sich ein- zuspinnen, wird die Zelle gedeckelt und sich selbst überlassen. Die einzelnen Kasten des Bienenvolkes zeigen so charakteristische Merkmale, daß man ohne weiteres feststellen kann, ob man eine Königin, Drohne oder Arbeiterin vor sich hat. Die folgende von Zander entworfene Tabelle zeigt, daß über die Zugehörigkeit eines Nestinsassen zu irgendeiner der drei Formen kein Zweifel bestehen kann. Die geschlechtlichen Unterschiede der 3 Bienenwesen. Körperteil Königin Arbeiterin Drohne Kopf; Fühler i2-gliedrig 13-gliedrig Fazettenaugen klein, auf dem Scheitel nicht zusammenstoßend groß, auf dem Scheitel zu- sammenstoßend Punktaugen auf dem Scheitel auf der Stirn Hinterleib lang kegel- förmig, über: ragt Flügel weit eiförmig zu- gespitzt, über- ragt Flügel wenig stumpf abge- rundet, wird von Flügeln überragt Größe 15 — 20 mm IZ - 14 mm 15—17 mm Gewicht 0,23 g 0,06-0,18 g im Mittel 0,1 g ICOOO Bienen = 1 kg 0,196 g In der Tabelle sind besonders solche Merkmale aufgeführt, die man ohne weiteres wahrnehmen kann. Noch viel wichtiger aber sind die Unter- schiede in den Geschlechtsorganen, auch bei Königin und Arbeiterin. Letztere besitzt Geschlechts- organe, die gegenüber denen der Königin nicht nur nicht verkümmert sind, sondern in allen Teilen eine andere Organisation aufweisen. Im Hummel- staat dagegen sind Königin und echte Arbeiter durch mancherlei Übergänge in ihrem Bau und ihren Funktionen miteinander verbunden. Kurze Zeit nach der Volksgründung findet sich im Hummelnest die Königin mit meh- reren kleinen Arbeitern , ihren ersten Nach- kommen. Werden die Ernährungsbedingungen günstiger, so bringt die Königin größere Arbeite- rinnen, Hilfsweibchen hervor, die mehr und mehr der Königin ähnlich sehen. Zur Zeit der höchsten Entwicklung erzeugt die Königin aus unbefruchteten Eiern Männchen und außerdem noch echte Weib- chen, die nach der Befruchtung die Aufgabe haben, für die Arterhaltung zu sorgen. Hat nun auch neuerdings H. von Alten (2) festgestellt, daß die sekundären Merkmale der weiblichen Hummel- wesen stärkere Unterschiede aufweisen, als man bisher angenommen hat, so lassen sich doch keine bestimmten Richtlinien angeben, wonach ein kleines Weibchen von einem größeren, und ein Hilfs- weibchen voir einer jungen Königin deutlich unterschieden werden kann. Schon diese wenigen allgemeinen Vergleichungs- punkte heben mit einer gewissen Deutlichkeit die Charakteristika des Hummelstaates gegenüber dem seiner nächsten Verwandten hervor und zeigen, daß nicht ohne weiteres Übergänge vor- handen sind, wenn es natürlich auch in anderer Beziehung an starken Annäherungspunkten nicht fehlt. Innerhalb ihres wohl umschriebenen Kreises aber ist das Leben und Treiben der Hummeln je nach der Art (nach den Untersuchungen von Friese und Wagner (7) sind nur fünfzehn deutsche Hummelarten anzunehmen) recht ver- schieden, wenn wir die Bauweise der Tiere, die Flugzeit von Weibchen und Männchen, die be- sonders gern beflogenen Blüten, die Nistorte und anderes mehr in Betracht ziehen. Es ist das Ver- dienst namentlich von Ho ff er, der in einer langen Reihe von Jahren die Hummeln eingehend studierte, eine Reihe wertvolle Beobachtungen ge- sammelt und auf die ungelösten Fragen der Hummel- biologie hingewiesen zu haben. Obwohl Hoffer zahlreiche Nester der ver- schiedenen Arten gefunden und in ihrer Entwick- lung und Lebensweise verfolgt hat, ist es ihm doch nie gelungen, ein Nest der Wiesenhummel (B. pra- torum L.) zu erhalten. Es ist das diejenige Spezies, die bei uns am allerfrühesten im Jahr erscheint, und längere Zeit allein angetroffen wird. Über ihren Nestbau liegen bisher nur spärliche Mittei- lungen vor. Erst im letzten Jahre konnte Arm- bruster (3) ein Nest ausheben und eingehender beschreiben. Die unter dem Titel „Probleme des Huminelstaates" im biologischen Zentralblatt 1914 erschienenen Ausführungen geben seine interessan- ten Beobachtungen wieder. Es sei mir gestattet, auf das Wichtigste der Abhandlung hinzuweisen N. F. XIV. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 467 und im Einklang mit den neueren Untersuchungen allgemeine Bemerkungen daran zu knüpfen. Das \est wurde in einem alten Mausloch am 14. Mai 19 14 gefunden und war mit einer fast 4 cm dicken vegetabilen Neslhülle umgeben. Kine Wachsdecke fehlte und auch zum Zusammen- fügen des Hülhnateriales war Wachs nicht ver- wendet worden. Die Nestinsassen, deren Zahl Armbruster auf 30 veranschlagte, bestanden zum weitaus größten Teil aus Weibchen, doch fanden sich schon 3 Männchen vor. Die Königin, die somit schon im zeitigsten Frühjahr ihr Volk begründet hatte, war von der Arbeit stark ab- geflogen und hatte wahrscheinlich schon den größ- ten Teil ihrer Jahresarbeit vollendet, während die Hummelweibchen anderer Arten erst um diese Zeit sich zur Nestgründung anschicken. Dem- entsprechend hatte auch die Wabe schon eine beträchtliche Größe erreicht. Deutlich ließ sich feststellen, daß das älteste Wabenstück aus 8 auf- fallend kleinen Kokons bestand, welche die Köni- gin, als sie noch nicht auf die Mithilfe der Arbeiter angewiesen war, hergestellt hatte. Die Insassen dieser Zellgruppe müssen äußerst zierliche fliegen- artige Hummeln, natürlich Arbeiterinnen gewesen sein. Die Zahl der Kokons im Nest betrug etwa 132, so daß sich der Staat wahrscheinlich dem Höhepunkt seiner Entwicklung näherte. Nicht mehr als 40 Zellen enthielten weibliche Indi- viduen, ungefähr doppelt so viel beherbergten Männchen. Vom 15. Mai an schlüpften nur Männ- chen aus. Darau.s folgt, daß auch die Männchen ebenso wie die Weibchen viel früher im Jahre erzeugt werden als bei anderen Arten. Friese und Wagner (7) haben eine Tabelle der Er- scheinungszeiten unserer deutschen Hummeln veröffentlicht, aus der die Differenz von Bombus pratorum L. gegenüber den anderen Arten klar hervorgeht. Tabellen der Erscheinungszeiten für die 15 Arten der deutschen Hummel- fauna. A) F"ür die Weibchen (Königinnen). B) Für die Männchen. Ende März April Mitte April Ende April Anfang Mai Mitte Mai Ende Mai Bombus Bombus Bombus Bombus Bombus Bombus Bombus Bombus Bombus Bombus Bombus Bombus Bombus Bombus Bombus pratorum L. derhamellus Kirb}'. terrestris L. hypnorum L. lapidarius I^. agrorum F"abr. hortorum L. subterraneus L. pomorum Panzer, muscorum Fabr. silvarum L. mastrucatus Gerst. soroensis Fabr. confusus Schenk, variabilis Schm. Ende Mai bis Juli Bombus Juli und August Bombus Mitte Juli bis Anfang August Bombus Endejuli bisSeptemberBombus Finde Juli bis ( )ktober Bombus Ende juli bis November Bombus Anfang Juli bis Sep- tember Bombus August bis Mitte Sep- tember Bombus August und September Bombus Bombus Bombus Bombus August bis Oktober Bombus Bombus August bis November Bombus pratorum L. hypnorum L. derhamellus Kirb)-. pomorum Panzer, lapidarius L. terrestris L. confusus Schenk. hortorum L. subterraneus L. variabilis Schm. silvarum L. soroensis Fabr. muscorum Fabr. mastrucatus Gerst. agrorum Fabr. Danach beträgt der Vorsprung, den die Pratorum -Weibchen im Laufe des Frühlings vor anderen Arten haben, unter günstigen Bedingungen fast einen Monat; die Difterenz bis zum Erscheinen der Männchen beträgt etwa drei Monate. Die Männchen aber fliegen zu einer Zeit, wo überhaupt kein anderes Hummelmännchen vorhanden ist. Das frühe Auftreten der Männchen ist auf innere Ursachen zurückzuführen, nämlich darauf, daß die Königin zu einer bestimmten Zeit will- kürlich nur noch solche Eier ablegte, aus denen sich Männchen entwickeln. Wilkürlich ist hier so zu verstehen, daß bestimmt gerichtete Instinkte die Königin veranlassen, in der Produktion der Eier, die Weibchen liefern, einzuhalten, um nur noch andersgeschlechtliche Eier abzulegen. Sicherlich liegt das nicht daran, daß der Vorrat an Sperma- tozoen erschöpft ist, denn gegen Ende des Sommers muß die Königin ja wieder Eier ablegen, aus denen die überwinternden Weibchen hervorgehen. Diese Verhältnisse sind etwas anders gelagert als bei der Honigbiene. Zur Zeit günstiger Er- nährungsbedingungen legt die Bienenkönigin wohl auch zahlreiche männliche Eier, aber neben der Produktion an Drohnen wird die an Arbeitern nicht vernachlässigt. Hier wechselt also der Instinkt, Eier verschiedenerlei Geschlechtes abzulegen, nicht im Zeitraum von Monaten, sondern von Fall zu Fall, sobald der Weisel sich von einer Arbeiterzellen- gruppe auf eine Drohnenzellengruppe begibt. Es ist kein Wunder, daß man hier die willkürliche BeStiftung der Zellen mit ihrer F'orm in Zusammen- hang brachte und glaubte, daß die größere Drohnen- zelle bei der körperlichen Berührung durch den Weisel den Reflex auslöst, die Spermatozoen in der Samenpumpe zurückzuhalten, so daß in den Zellen Drohnenlarven heranwachsen müssen. Der Vergleich mit den Verhältnissen bei Bom- bus pratorum L. ergibt, daß hier keineswegs die Instinktänderung durch die Zellform bedingt sein kann. FIrstens legt die Hummelkönigin mehrere Eier, ja oft Eibündel auf einmal in eine Zelle ab 468 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 30 und zweitens ist zur Zeit der Eiablage nicht einmal die gemeinschaftliche Eierzelle für die vielen Eier fertig, geschweige denn die späteren Einzelbrut- wiegen, die erst am Ende der Larvenzeit gesponnen werden. Man darf also aus dem Vergleich zwischen den Verhältnissen in beiden Staaten den Schluß ziehen, daß die landläufige Imkeridee, durch Druck- verhältnisse würde das Geschlecht der Eier be- stimmt, den Tatsachen nicht entsprechen kann. Dazu kommt noch die Beobachtung, die H. von Büttel -Reepen (4) machte, daß die Bienen- königin ihre Eier auch in unvollendete, einhalb bis eindrittel fertige Zellen ablegen kann sowie die Überlegung, daß die VVeiselzelle noch viel weiter ist als die Drohnenzelle und doch mit be- fruchteten Eiern bestiftet wird. Da somit die Berührungstheorie viel zu ober- flächlich ist, um der wissenschaftlichen Kritik standzuhalten, müssen wir folgern, daß die Bienen- königin ebenso wie die Hummelkönigin durch gewisse Instinkte geleitet wird und an biologische Perioden gebunden ist. Während bei Apis mellifica die Zellgröße auf das Geschlecht wie bei Bombus keine Einwirkung haben kann, beobachten wir, daß die Arbeiter bei Weisellosigkeit imstande sind, aus Arbeiterlarven eine Königin heranzuziehen, vorausgesetzt, daß die Larve nicht älter als ein bis eineinhalb Tage ist. Die LTmwandlung erfolgt durch äußere Einwir- kungen, indem nämlich die jugendliche Larve den für die Königinnenlarve nötigen Futtersaft be- kommt. Der I-"uttersaft für die drei Bienenwesen ist nach den Untersuchungen von Planta(9) ver- schieden: richtig, daß hier Untersuchungen Licht werfen würden auf die noch nicht geklärte Frage der Zwischenkaste der Hilfsweibchen oder der großen Arbeiter und all der vielen Übergänge. Daß durch den Futtersaft auch eine Hummel- arbeiterin, d. h. ein Weibchen mit rudimentären Ge- schlechtsfunktionen zu einer Königin herangezogen werden kann, hat nichts Auffälliges an sich. Absurd ist dagegen die Anschauung, die man mit wissen- schaftlichen Aufwand zu beweisen versuchte, daß es möglich sei, durch Fütterung eine Arbeiterlarve nach Belieben in ein Männchen oder Weibchen zu verwandeln. Wer hierüber bezüglich der Biene im Zweifel sein könnte, weil hier nicht genau kontrol- liert werden kann, welches chemisch differenzierte Futter bei den verschiedenen Mahlzeiten dargereicht wird, den müssen die Verhältnisse bei den Hum- meln stutzig machen, wo ja in einer einzigen ge- deckelten Zelle sich die \'erschiedenen Kasten nebeneinander enwickeln. Hier muß ein differen- ziertes Futter sehr schnell und früh gereicht werden, denn schon bei Larven von drei bis sechs Stunden Alter ist nach den L^ntersuchungen Zanders die geschlechtliche Differenzierung schon so weit fort- geschritten, daß sie unmöglich mehr in andere Bahnen gebracht werden kann. Damit erledigt sich die Idee der Umwandlung von selbst. Die im Nest der Wiesenhummel gefundenen Weibchen verdanken nach den Feststellungen Armbruster's ihre Existenz nicht allein der Königin, sondern auch den jungen Weibchen. Er fand nämlich, daß bei ihnen der Hinterleib ähnlich wie bei der Königin, wenn auch nicht so auffallend, zerdehnt erschien. Diese Indi\iduen Angaben in Prozenten Königinlarve im Durchschnitt Drohnenlarven Arbeiterlarven unter 1 über 4 Tagen 4 Tagen im Durch- schnitt unter 4 Tagen über 1 im Durch- 4 Tagen j schnitt Eiweifikörper Fett Zucker 45. '4 13.55 20,39 55,91 11,90 9.57 31,67 4,74 38,49 43,79 8,32 24,03 53.38 8,38 18,09 27,87 3.69 44.93 40,62 6.03 31,51 Auch bei den Hummeln erhält die Nach- kommenschaft ein bestimmtes Futter gereicht. Wie oben schon erwähnt, ist dieses entweder fest als Pollen oder flüssig als Honig und P'utter- saft. Nach Wagner (11) wird der Pollen nur von Arbeiterlarven verzehrt, und zwar nur in eiirer bestimmten Lebensperiode. Die männlichen und weiblichen Larven bekommen nichts anderes als Futterbrei. Danach muß man sich fragen, wie es denn möglich sein wird, daß die Arbeiter durch die Zellwand hindurch unterscheiden, welches Futter sie abgeben müssen und wer es erhält. Noch rätselhafter werden die Verhältnisse, wenn die Angabe Hoff er 's sich bestätigen sollte, daß in ein und derselben Zelle und auf ein und dem- selben l'"uttergemisch Königin, Männchen und Ar- beiter iieianvvaclisen. A r m b r u s t e r bemerkt sehr waren sicher nicht befruchtet, denn vereinzelte Männchen waren erst im Begriffe zu erscheinen. Hier werden also die Männchen ebenso auf parthe- nogenetischem Wege erzeugt, wie eine drohnen- brütige oder unbefruchtete Königin Drohnen hervor- bringt. Die Beobachtung Armbruster's, daß die Männchen seines Nestes schon Mitte Mai erschienen, ist noch aus anderen Gründen sehr wichtig und wertvoll. Nach der allgemeinen Regel werden Weibchen, die zur Erhaltung der Art ausersehen sind, erst gegen Ende des Sommers hervorgebracht. Danach wäre aber die Proterandrie im Pratorum- staat abnorm groß und es drängt sich also der Schluß auf, daß die zukünftigen Königinnen um vieles früher erscheinen müssen als bei anderen Arten. Tatsächlich fand Armbruster schon N. F. XIV. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 469 am II. Juni eiiic junge Königin, deren Haarkleid und Flügel tadellos intakt waren und deren Sammel- apparat keine Spur von Benützung zeigte. Ja nach der Aliersberechnung der Larven mußten die jungen Weibchen möglicherweise schon vor dem I. Juni zur Stelle gewesen sein. Da nun aber Alfken (i) im September noch ganz frische Arbeiter fand, so ist bis zur Zeit, wo die jungen Königinnen ihr Winterquartier auf- suchen (sie tun das früher als die anderen Arten) noch genügend Zeit, um zur Brutpflege zu schreiten. Das wäre im Hinblick auf die anderen Hummelarten und die Hymenopterenstaatcn über- haupt außerordentlich interessant. ,,Wir hätten dann neben typischen einjährigen Staaten, nämlich denen der allermeisten Hummelvölker auch in unseren Breiten einen Übergang zu perennierenden und neben monogamen auch polygame Staaten oder wir hätten dann eventuell Staatengebilde, mit weniger als einjähriger Periode und wir gewännen Grundlagen für die Bewertung des Schwärmens." Die zweimalige Nestgründung im Laufe eines Jahres wäre um so weniger merkwürdig, als die Hummeln in verschiedenen Gegenden sich den herrschenden Verhältnissen angepaßt haben. So berichtet Friese (7a), daß manche Arten im hohen Norden solitär leben, in Südamerika aber die Hummelstaaten regelmäßig nach Art der Honigbienen ausdauern und Schwärme aussenden. Andererseits erfolgt z. B. in Korsika die Auf- lösung des Staates hier und da zu anderer Zeit wie bei uns, nämlich anstatt im Herbst im Hoch Sommer, weil zu dieser Zeit die Ernährungs- verhältnisse schlechter werden. Auch in der Art des Nestbaues macht sich eine gewisse Variabilität geltend. Bei den einzel- nen Arten kann man gewöhnlich den Ort angeben, der von ihnen für die Nestanlage bevorzugt wird. Die Mooshummel (Bombus muscorum Fabr.) richtet sich gern im Moos und zwischen Grasbüscheln ihr Nest ein, während sich die Baumhummel (hypnorum L.) hohe Bäume ausersieht; lapidarius L. nistet in Stein- haufen, pomorum Banz, an Feldrainen usw. Die Stammmütter aber halten sich durchaus nicht an eine bestimmte Regel, so daß die mannigfachen Übergänge vorkommen können. Das gleiche gilt für die Schutzhülle, die aus dem Stoff hergestellt wird, der sich gerade bietet. Wie oben erwähnt, besaß das Nest A r m - bruster's wohl eine vegetabile Nesthülle, aber keine Wachsdecke. Einerlei nun, welcher Stoff für die Hülle verwendet wird, niemals bauen die Hummeln offen. Sie gleichen darin den Meli- poniden Südamerikas, unterscheiden sich aber von der Honigbiene. Die Honigbiene sucht schützende Stellen auf, umgibt aber ihre Waben nicht mit einer selbsterbauten zusammenhängenden Schutzhülle. Zwar kommt manchmal" eine scheinbare Hülle vor, wenn die Biene in natür- lichen Höhlen oder in einer künstlichen Beute die Wände verkittet, doch dient das dabei verwandte Kittwachs oder Propolis lediglich dazu, vorhandene Zuglöcher zu verstopfen. Es wird daher im Spätsommer besonders reichlich verwendet. Niemals ist die Nesthülle kontinuierlich gebaut um die Waben, wie etwa bei Wespen und Hornissen. Das Material, mit dem die Biene die Wetterseite zukittet, produziert sie zum Teil selbst, zum Teil sammelt sie es ein. Höchstwahrscheinlich stammt es von Harz abscheidenden Bäumen und wird mit Körperwachs und Pollen zu einer kleb- rigen Masse verknetet, die im Stock rasch zäh wird und erhärtet. Seine chemische Zusammen- setzung schwankt in weiten Grenzen. Als wesent- liche Bestandteile gibt Dieterich (5,6) in Pe- troläther lösliche Stoffe an (Propolisrohwachs). Außerdem kommen noch unlösliche Teile, das Propolisharz und Pollen vor. Danach ist sowohl die chemische Zusammensetzung wie die Ge- winnung des Kittharzes anders als die des Wachses, das zum Bau der Waben Verwendung findet. Dieses wird vollkommen vom Körper ausge- schieden, und zwar zwischen den Bauchsegmenten, wo die Wachsplättchen durch steife Borsten der Hinterbeine abgenommen werden. Andere Beschaffenheit zeigt das Wachs der Hummeln. Es stellt eine Mischung von Körperwachs, also von körpereigenen Produkten, und von rein vegetabilen = körperfremden Ge- mengtcilen dar. S u n d w i c k (10), der das Wachs der Hummeln analysierte, fand 79% Poliengehalt. Er ist der Meinung, daß das Rohwachs nicht durch verschiedene harzige und andere klebrige Stoffe vermengt wird, wie dies Hoffer annimmt, sondern hauptsächlich durch Fette. Auch Arm- bruster experimentierte mit dem Hummelwachs und fand unter anderem zu seiner größten Über- raschung, daß es sich gar nicht wie ein bei höherer Temperatur flüssiger Körper verhielt. „Das Volumen der Wachsteile änderte sich selbst beim Sieden nicht, höchstens wurden die einzelnen Stückchen zerrissen." Neben der chemischen Beschaffenheit des Wachses zeigen auch die Baumaterialien sowohl wie die Architektur des Hummelnestes bemerkens- werte Eigenschaften. Neben dem Wachs werden auch verschiedenartige Stoffe verarbeitet, welche die Hummeln ohne besondere Auswahl in näherer oder fernerer Umgebung des Nestes vorfinden und zusammentragen. Man kann bei einem Hummel- neste zwei Teile scharf unterscheiden: i. das äußere Nest mit dem Flugloch und 2. das innere Nest. Ersteres ist natürlich besonders wichtig bei oberirdisch bauenden Hummeln , wird aber bei unterirdischer Nestanlage ersetzt durch die Wan- dungen des Erdhügels, der sich darüber wölbt und den gleichen Zweck des Schutzes erfüllt. Die äußere Wandung des oberirdischen Nestes hat die Gestalt eines Sackes, dessen auf der Erde auf- liegende Wandung dünner ist als die darüber liegende. Er besteht aus Grashalmen, zerbissenen Blättchen und anderen Gegenständen. Dieses Material wird nicht nach Belieben zu einem Haufen zusammengeworfen, sondern so dicht verfilzt und 470 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 30 versponnen, daß man einzelne Teile nicht heraus- ziehen kann, ohne die Nachbarschaft der Hülle zu zerstören. Das innere Nest besteht bei ober- und unterirdisch bauenden Hummeln aus den gleichen Bestandteilen, nämlich aus einer vegetabilischen Nesthülle und einer hier und da fehlenden Decke aus Wachs, die über den Waben liegt und sie mit Ausnahme ihrer Unterseite allseitig umgibt. Die vegetabile Wand wird aus besonders feinen Fasern verwoben, deren Haltbarkeit noch dadurch erhöht wird, daß sie manchmal mit kleinen Wachs- teilchen verklebt werden. Das innere Nest bildet für die Hummelarbeiter einen Gegenstand bestän- diger Sorge. Man sieht sie häufig damit beschäf- tigt, Teile herauszunehmen und auszubessern, so- wie die Wandungen zu verstreichen und zu glätten. Von allen Eigenschaften des Hummelkörpers, die durchweg eine ganz außergewöhnliche Varia- bilität aufweisen, ist die Färbung das allervariabelste. Nach ihr läßt sich keine Spezies bestimmen, es muß zu ihrer Charakterisierung notwendigerweise eine Reihe anderer Merkmale herangezogen wer- den. Die Variation in der Färbung ist sogar so stark, daß man nach gewissen Gesetzen Reihen aufstellte, um Richtlinien in das scheinbar Unent- wirrbare zu bringen. Während die ausgebildeten Hummelindividuen je nach der Art ein verschieden buntes Kleid tragen, das in seinem Charakter und in seinen Komponenten außerordentlich \-ariiert , gleichen sie sich sämtlich in der Färbung ihres Haarkleides, wenn sie eben ihr Kokon verlassen haben. Sie zeigen dann ein weißes Kolorit und zwar nicht ein reines Schneeweiß, sondern ein mattes Weiß mit einem mehr oder weniger deutlichem Stich ins Graue. Diese Grundfarbe verändert sich aber sehr rasch (F r i e s e und W a g n e r (7)) und zwar läßt sich ein ganz bestimmtes Verfärbungsgesetz auf- stellen. Bei einem Teil der Arten geht die Grund- farbe zunächst durch Rotgelb in Rot über, um sich durch immer dunklere Nuancen allmählich in Schwarz zu verwandeln, so daß Rot als ein Durchgangsstadium angeschen werden muß. Wo Gelb vorkommt, entwickelt es sich unabhängig von Rot und Schwarz aus der Grundfarbe völlig selbständig. Dabei tritt das Gelb in verschiedenen Abstufungen auf, so daß man leicht von Hell- bis Sattgelb eine Skala aufstellen kann. Die Ent- stehung einer rein weißen Färbung bedarf noch der wissenschaftlichen Klärung. Es scheint als ob das .Weiß am Hinterleib ziemlich unverändert die Färbung vom Ende der Puppenzeit her dar- stellen würde, während das Vorkommen in Ge- stalt von Binden möglicherweise durch Umbildung einer leichten Gelbfärbung erklärt werden kann. Friese und Wagner nehmen für diese Variation äußere Ursachen in Anspruch. Zwar ist das Haarkleid seiner ganzen Natur nach ein biologischer oder .'\npassungscharaktcr, doch be- zeichnet es Armbruster als fraglich, ob die Veränderlichkeit nicht auf innere Ursachen, auf Vererbungscinflüsse zurückgeführt werden muß. In seinem Nest bestanden die Männchen aus zwei, die Weibchen und Arbeiterinnen ebenfalls aus zwei Varietäten mit mancherlei Übergängen. Die Anschauung Armbruste r's scheint mir bei der Biene Bestätigung zu finden. Kommt eine Königin einer bestimmten Rasse mit einer Drohne einer anderen Rasse zur Paarung, so ver- erben sich die Merkmale der beiden nicht auf die männlichen Nachkommen, denn diese entstehen ja aus unbefruchteten Eiern und müssen also nach der Mutter geraten. Erst die Enkel vereinigen die Merkmale beider Eltern , weil die Tochter- königin als aus einem befruchteten Ei hervorge- gangen von beiden beeinflußt war. Dieser Atavis- mus ist bei der Biene Regel und wir beobachten daher in manchen Völkern allerlei Färbungs- varietäten. Wird z.B. (Zander 12a) eine dunkle deutsche Königin mit einer bunten zyprischen Drohne begattet, so erzeugt sie dunkle deutsche Drohnen aber deutsch-zyprische Arbeiterinnen und Königinnen. Begattet sich ein solcher Bastard mit einer Italienerdrohne, so werden als Nach- kommen erzielt: i. Deutsch-zyprische Drohnen, 2. Deutsch-zyprisch-italienische Arbeiterinnen und Königinnen. Diese Färbungsvarietäten, so häufig sie auch sein mögen , kommen nicht so deutlich zur Geltung wie bei Hummeln, weil nur ein vor- züglicher Beobachter in der Lage ist, die Bastarde an der Färbung zu erkennen , da das Haarkleid nicht besonders grell und auffallend getönt ist. An trocknen Sammlungsexemplaren vollends kann die Farbe kaum richtig festgestellt werden, weil das Gelb der verschiedenen Rassen fast völlig verschwindet. Die hier berührten PVagen können noch lange nicht als geklärt angesehen werden. Um sie zu- friedenstellend zu lösen, müssen zahlreiche Be- obachtungen unter normalen und veränderten Be- dingungen angestellt werden. Ihr Verständnis und ihre Tragweite aber geht erst aus den Be- obachtungen bei verwandten Formen hervor, wo- bei nicht nur die Honigbiene, sondern auch ihre ausländischen Verwandten, sowie die solitär leben- den Apiden heranzuziehen sind. Literaturverzeichnis. 1) Alfken, Die Bienenfauna in Bremen. Abb. d. naturw. Vereins Bremen. V. 22. 1913. 2) Alten, llans von, Zur Phylogenie des Hymenoptercn- gehirns. Jen. Zeitschr. f. Naturwissenschaft. Bd. 46. 1910. 3) Arm bruster, Ludwig, Probleme des Hummelstaates. Biolog. Centralblatt 1914. 4) H. V. Buttel-Reepen, Leben und Wesen der Bienen. Braunschweig 19 15. 4 a) Ders., Zur Psychologie der Hummeln I. Biol. Central- blatt 1907, Bd. 27. 5) Dieterich, K., Die .Analyse des Bienenwachses in seinen verschiedenen Entwicklungsstadien und über das Bienen- harz. Chemikerzeitung 1907. 6) Ders., Weitere Beiträge zur Kenntnis des Bienenharzes (Propolis). Pharmazeutische Centralhalle 51, Nr. 38, 1910. 7) Friese und Wagner, Zoologische Studien an Hum- meln. Zool. Jahrb. Abt. System V. 29. 7a) Friese, Fauna Arctica II. 8) II offer, Die Hummeln Stciermarks. 2 Teile. 18S2 bis 1883. Graz. N. F. XIV. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 9) Planta-Keichenau, A. von, Über den Futtersaft der Bienen. 1S8S. Bienenzeitung Nr. 18. Nördlingen. io)Sundwick, Über das Wachs der Hummeln. Hoppe- Seyler's Zeitschrift f. physiol. Chemie 1S98/99. 471 U) Wagner, W., Psychobiologische Untersuchungen an Hummeln. Zoologica Heft 46, 1907. 12) Zander, E., Das Leben der Biene. Stuttgart 1913. 12a) Zander und Löschel, Das Geschlecht der Bienenlarve. Zoolog. Anzeiger Bd. 44, 1914. Einzelberichte. Chemie. Über das Verhalten der Radio- elemente bei Fällungsreaktionen hat K. Fajans in letzter Zeit im Verein mit zwei Schülern, P. Beer und F. Richter, interessante Unter- suchungen angestellt, deren Bedeutung weit über den Rahmen der reinen Radiochemie hinausgeht und über die daher an dieser Stelle einige nähere Mitteilungen gemacht werden mögen. Die Beobachtung, daß die Radioelemente bei vielen Fällungsreaktionen, an denen sie selbst nicht unmittelbar beteiligt sind, von dem Nieder- schlage „mitgerissen" werden, darf hier als eine schon in den Anfängen der Lehre von der Radio- aktivität viel beachtete Erscheinung als allgemein bekannt vorausgesetzt werden. Besonders haben zahlreicheVersuche die Unmöglichkeit der Trennung eines Radioelementes von dem chemisch mit ihin ja vollständig identischen Hauptelement derselben Plejade, also z. B. der Trennung des Radiums D vom Blei erwiesen, eine Erscheinung, deren Be- deutung in einem vor kurzem in dieser Zeitschrift erstatteten Bericht „über den Zusammenhang zwischen den Atomgewichten und den chemischen Eigenschaften der Elemente" näher dargelegt worden ist (vgl. Naturw. Wochenschrift, Bd. 14, S. 107 bis III, 191 5). Wesentlich weniger über- sichtlich erschien zunächst das Verhalten der Radioelemente bei Fällungsreaktionen, die sich bei Abwesenheit des Haupttlementes der Plejade, zu der sie gehören, abspielen. Planmäßige Untersuchungen führten Fajans und Beer zunächst am Radium E, einem Ele- mente der Wismutplejade, aus. „Es zeigte sich, daß das Radium E nicht nur mit Wismut und seinem nächsten chemischen Analogon Antimon, ausgefällt wird, sondern auch mit verschiedenen' anderen Metallen, die vom Standpunkte des perio- dischen Systems keine Analogie mit Wismut aufweisen, aber nur dann, wenn diese unter Be- dingungen gefällt werden, bei welchen Wismut, wenn in wägbaren Quantitäten vorhanden, aus- fallen würde. So wurde das Radium E mit fol- genden Niederschlägen beinahe quantitativ aus der Losung gefällt: Baryumkarbonat, Bleisulfid, Kupfer- sulfid, Cerhydroxyd, Baryumsulfat in sehr schwach saurer Lösung, durch Zinnchlorür in schwach saurer Lösung. Dagegen wird Radium E nicht gefallt, wenn in stark saurer Lösung Baryumsulfat Bleisulfat oder metallisches Arsen (dufch Zinn- chlorür) gefällt werden. Das ist in der Tat ein Verhalten, welches Wismut zeigen würde, wenn es in wägbaren Quantitäten in Lösung zugegen wäre, denn unter den Bedingungen, unter welchen Radium E ausgefallen ist, würde es ja als Karbo- nat, Sulfid, Hj'droxyd, basisches Sulfat, metalli- sclies Wismut ausfallen. In stark saurer Lösung ist indessen das Wismut weder als Sulfat noch mit Zinnchlorür als Metall fällbar." Diese Ergebnisse qualitativer Untersuchungen werden in jeder Hinsicht durch quantitative Ver- suche bestätigt, die Fajans und Richter in neuester Zeit mit dem mit dem Blei chemisch identischen Thorium B ausgeführt haben (Ben d. D. Chem. Gesellsch. Jahrg. 48, S. 700—716, 1915). Die Ergebnisse der Versuche sind in der folgen- den abgekürzten Tabelle zusammengestellt: Niederschlag Mitgerissene Menge des Thorium B in Prozenten der Ge- samtmenge Th. B Formel und Löslichkeit des entsprechenden Blcisalzcs Bi.S^ MnCOa BaSOi AgJ AgCl Nitronnitrat ') , 99.4 7o 97.05 7o 97,1 7o 31,8 °/„ 32,5 7o 1,1 0/0 PbS ; 0,001 PbCOa : 0,01 PbSOi : 0,5 PbJä : 1,5 PbCla : 30 Pb(N03),, : 1500 Aus der Tabelle geht mit voller Deutlichkeit hervor, daß zwischen der Fällbarkeit des Thoriums B und der Löslichkeit der Salze, die das Blei und damit auch das Thorium B selbst mit dem fällenden Anion bildet, ein unverkennbarer Paralle- lismus besteht. Bei unvollständiger Fällung des Kations, das im Augenblick der Fällung das Thorium B mit- reißt, wird auch nur ein Teil des Radioelementes mitgerissen, denn als Baryumsulfat einmal quan- titativ, dann zu 62,6»/,, und schließlich nur zu -4,5 "/(, gefällt wurde, fand sich in dem Nieder- schlage im ersten Falle 97, im zweiten 61 und im dritten Falle nur 19,5% des insgesamt vorhande- nen Thoriums B wieder. ') Nitren ist eine von M. Busch aufgefundene organische Base mit der Strukturformel C,,H, I/Mi H.C^ C \n/ Ca die mit Salpetersäure ein schwer lösliches, bisweilen zur gravi- metrischen Bestimmung der Salpetersäure benutztes Nitrat CioHiöN^.HNOj liefert. 472 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. yJV. Nr. Die bisherigen Erfahrungen besagen nichts über einen etwaigen Einfluß der Natur des in der Lösung gefällten Niederschlages auf die Menge des mitgerissenen Radioelementes. Die Regel von f-'ajans verlangt nur, daß das Thorium B von Karbonaten mitgerissen wird, weil das Bleikarbonat schwer löslich ist, sagt aber nichts darüber, ob die verschiedenen Karbonate bei ihrer Fällung die gleiche oder verschiedene Mengen des Tho- riums B mitreißen. Hier greift nun eine von J. Wojtaszewski ausgeführte, bisher nur als Dissertation der Universität Freiburg in der Schweiz veröffentlichte Untersuchung ein, nach der — um bei dem einmal gewählten Beispiele zu bleiben — die verschiedenen Karbonate um so mehr von dem Thorium B mitreißen, je geringer ihre eigene Löslichkeit ist. Hiermit stimmt die Beobachtung von Fajans und Richter über- ein, daß bei der Fällung des ja sehr leicht lös- lichen Ammoniumkarbonats aus einer Lösung nur ein sehr kleiner Teil des vorhandenen Tho- riums B — in drei, in etwas verschiedener Weise ausgeführten Versuchen 3,2, 7,8 und 9',, — mitgerissen wird. .\ls Ursache für das Mitreißen des Radio- elementes wird man wohl Adsorptionserscheinun- gen annehmen müssen, denn wenn auch in allen Fällen, in denen ein erhebliches Mitreißen kon- statiert worden ist, das Radioelement mit dem in dem Niederschlag vorhandenen Anion ein schwer- lösliches Salz bildet, so ist doch die Menge des Radioelementes in der Lösung so außerordentlich gering, daß das Löslichkeitsprodukt bei weitem nicht erreicht wird. So war z. B. bei den Ver- suchen von Fajans und Beer die wirklich vor- handene Konzentration des Radium -B-Jodids um mehrere Zehnerpotenzen kleiner als der Löslich- keit entspricht. In der Tat haben nun Horo- witz und Paneth (Mitt. aus dem Wiener In- stitut für Radiumforschung, 53. Mitteilung) darauf hingewiesen, das diejenigen Radioelemente gut adsorbiert werden, die mit dem Anion des adsor- bierenden Stoffes einen schwer löslichen Nieder- schlag bilden, eine Regel, die der Fajans 'sehen Regel durchaus entspricht. In Übereinstimmung damit konnten denn auch Fajans und Richter zeigen, daß, wenn eine Lösung von Thorium B mit fertigem Kalziumkarbonat geichüttelt wird, eine deutliche .-Adsorption stattfindet. Daß es sich schließlich bei dem Mitreißen nicht, wie man vielleicht auch vermuten könnte, um Bildung von festen Lösungen handelt, geht einmal aus der Tatsache hervor, daß ja chemisch sehr verschie- dene Niederschläge, die doch wohl kaum sämt- lich zur Bildung von festen Lösungen mit den Salzen des Radioelementes befähigt sein dürften, die Erscheinung zeigen, wird aber auch direkt dadurch bewiesen, daß man jedenfalls den größten Teil des von Chlorsiiber mitgerissenen Thoriums B durch einfaches .Auswaschen des Niederschlages von ihm trennen kann, eine Tatsache, die mit der Annahme einer festen Lösung, bei der doch der aufgenommene Fremdbestandteil im Innern der Kristalle, aber nicht an ihrer Oberfläche zu suchen ist, wohl kaum vereinbar ist. Die bisher erhaltenen Ergebnisse lassen sich kurz in den Satz zusamrhenfassen, daß die Radio- elemente aus ihren Lösungen bei der Fällung von Niederschlägen dann mitgerissen werden, wenn sie mit dem in den Niederschlag vorhandenen .Anion ein schwer lösliches Salz zu bilden %'er- mögen, und daß die Ursache des Mitreißens wahrscheinlich in einer Adsorption zu suchen ist. .Auf die von Fajans und Richter entwickel- ten theoretischen Vorstellungen über das eigent- liche Wesen der .Adsorptionsvorgänge, die an die neueren Anschauungen über die Struktur der Kristalle anschließen, wie sie besonders von W. H. und W. L. Bragg auf Grund der bei der Reflek- tion von Röntgenstrahlen an Kristallen auftreten- den Erscheinungen ausgebildet worden sind, sei hier nur kurz hingewiesen. Vielleicht bietet sich später eine Gelegenheit, auf diese Fragen zurück- zukommen. Mg. Physik. Über Röntgenstrahlen. Zum Messen der Röntgenstrahlintensität und als Normaleinheit dient nach G. Rupp recht (D. R. P. 272239) eine Fläche, welche mit einem Gemisch aus einer fluorescierenden und einer die Fluorescenz erregen- den (radioaktives Material) Masse überzogen ist. Ein Verfahren zur Herstellung von Radiumemana- tionspräparaten bringt E. E b 1 e r in D. R. P. 270705, eine Vorrichtung zur Beladung von Füssigkeiten und Gasen mit radioaktiver Ema- nation Ch. D. Haeuler v. d. Burgstall im D. R. P. 270862. Weiche Röntgenstrahlen werden nach H. Dember (Thysikal. Zeitschr. 14, S. 1157 — 61) durch lichtelektrisch von einer Kaliumkathode ausgelöste Elektronen erzeugt. — Platin und Zink geben nach J.Laub (Physikal. Zeitschr. 14, S. 1209 — 10) eine sehr harte homogene Fluorescenz- strahlung, wohl die härteste bisher gefundene homogene Strahlung. Eie neues Verfahren, um die Photographie der Linienspektren von Röntgenstrahlen zu er- halten, gibt de Broglie an (C. r. d. l'.Acad. des Sciences 157, S. S24 — 26), ein Verfahren zur Vornahme von Dauerbestrahlungen mit Röntgen- röhren großer Härte ist das D. R. P. 268260 von Siemens & Halske, und das D. R. P. 27 1 306 von R. Fürstenau ein Verfahren zur Erzeugung von Röntgenstrahlen beliebigen Härtegrades un- abhängig vom Vakuum. Dr. Bl. Über die Ionisierung. Für die Ionisierung eines Atoms durch Kathoden- und Kanalstrahlen und Selbstionisierung von Kanalstrahlen ist nach J. Stark (Ph\-sik. Zeitschr. 14, S. 665 — 691 neben stufenweiser .Abtrennung von mehreren Elektronen auch diejenige mehrerer Elektronen bei einem Zusammenstoß anzunehmen. Die spontane Ionisation der Gase kann nach N. F. XIV. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 473 M. Wolfke (Le Radium 10, S. 265—67) nicht durch hinsichtlich der Energie exzeptionelle Stöße der Moleküle erklärt werden, denn sonst müßte die Erscheinung stark abhängig von der Tempe- ratur sein, was nicht zutrifft. Verf. nimmt nun auf Grund exzeptioneller Stöße an, daß nur die tangentiellen Zusammenstöße wirksam sind, bei welchen die Zentralkomponente der Geschwindig- keit unter einem gewissen Wert bleibt. Erfolgt nun ein Zusammenstoß zwischen zwei verschiedenartigen Gasmolekülen oder Atomen mit hinreichender kinetischer Energie, so sollen nach J. Frank (Physik. Zeitschr. 14, S. 623-24) von dem elektropositiveren Molekül ein oder mehrere Elektronen auf das elektronegativere übergehen. Dr. Bl. Über die Kanalstrahlen. Beobachtungen über die Emission ruhender Serienlinien durch Kanalstrahlen teilt J. Stark mit (Annalen der Physik 42, S. 163 — So) und knüpft daran seine Anschauung über die Intensität ruhender Serien- linien, einwertiger und höherwertiger Linien. Auch berichtet derselbe über Reflexion an Kanal- strahlen (Ann. d. Physik 42, S. 231—37). Zum Nachweis höherer Atomionenstrahlen ist die spek- trale .■\nalyse der Kanalstrahlen nach J. Stark (Physik. Zeitschr. 14, S. 961-65) der elektro- magnetischen Methode überlegen. Die elektrische und magnetische .Ablenkung einerseits, Beobach- tungen des Doppeleffektes und des beschleunigen- den Kathodenfalles andererseits führen zu Schlüssen über die Natur (Wertigkeit) der im Kathodenstrahl fliegenden Teilchen. .Auf die Bildung von Brennpunkten der einwärts (es gibt auch auswärts gerichtete Kanalstrahlen) gehenden Kanalstrahlen und eine in den Brenn- punkten besonders starke sekundäre Ionisierung führt E. Goldstein (Ber. d. Deutsch. Physik. Ges. 1914, S. 545 — 66) die auswärts gehenden Kanal- strahlenbündel zurück, welche um frei im Gas- raum gelagerte Kathoden geeigneter Form auf- treten. Es gelang ihm die anfangs lichtschwachen Erscheinungen fast ebenso hell zu machen wie die als Hauptphänomene auftretenden Kanal- strahlen. Dr. Bl. Über die Abhängigkeit der Zersetzungs- und Oberflächenspannung von der Belichtung. Den Einfluß des Lichtes auf die Zersetzungsspannung maß A. Leighton (Journ. of Physical Chem. 17, S. 665 — 702). Es erfolgt keine Beeinflussung der Zersetzungsspannung des Kupfersulfats, wenn die Anode (Platinelektroden) bestrahlt wird. Bei Be- strahlung der Kathode wächst sie aber, und die Kupferabscheidung erfordert eine höhere Spannung, sobald beide Elektroden belichtet werden. Das bestrahlte System wird durch das absorbierte Licht instabiler. Über den Einfluß des Lichtes auf die Oberflächenspannung lichtempfindlicher Lösungen äußern sich N. Maresim und N. Hesehus (Journ. d. russ. phys.chem.Ges.45, Physik. T. S. 28 bis 30 und 31 — 36, 1913). Bei kurzandauernder Belichtung ändert sich die Spannung nicht, bei Belichtung von 2 — 3 Minuten war eine merkliche Änderung der Oberflächenspannung zu beobachten. Sie war negativ für Resocin, positiv für Eosin, Methylviolett, Na.^SOg, KNOg und K.jMn.O-. Bei Wasser und Fuchsinlösung war sie gleich Null. Völlig passiv verhielten sich jedenfalls die Lösun- gen zum Licht einer Quecksilberdampflampe aus Quarz. Dieses Verhalten erklärt N. Hesehus damit, daß die Strahlen nur auf den diamagneti- schen stabilen aus Elektronen zusammengesetzten Kern der Atome wirken und nicht auf die äußeren Elektronen, von denen die Oberflächenspannung abhängig ist. Dr. Bl. Anthropologie. Neue Forschungen über die Be- völkerungen Nordwest-Sibiriens. Unsere Kenntnisse des physischen Habitus der Samojeden, Ostiaken und Wogulen beruhten bis dahin fast ausschließlich auf den Untersuchungen von Sommier, Zograf, Tschugunow und M a 1 i e w. Sie werden neu befestigt und erweitert durch die somatometrischen Erhebungen, die S. Rudenko angestellt und deren Resultate jetzt v-eröffentlicht wurden (Resul- tats de Mensurations anthropologiques sur les Peuplades du Nord-Ouest de la Siberie in Bull. Soc. Anthrop. Paris 1914, Ser. 6, T. 5, S. 123 und in Mem. Acad. Imp. Sciences S. Petersbourg (phys.- maih. Cl , Vol. 23, 1914). Verf. untersuchte 54 Samojeden eines Stammes, der längs der Meeresküste vom Ural bis zum Tas-Busen noma- disiert, ferner 75 Wogulen aus dem Flußgebiet der Soswa und Sygwa und schließlich 127 Osti- aken, die sich auf drei Gruppen verteilen, deren nördliche im Gebiet des Ob-Busens stark mit Samojeden gemischt ist. Berücksichtigt wurden nur ausgewachsene Individuen männlichen Ge- schlechtes. Was zunächst die Komplexion (Haar- und Augenfarbe) betrifft, so gehören sowohl Sa- mojeden, wie Wogulen und Ostiaken zu dem sog. dunklen Typus, der bei den ersteren in 86",,, bei den letzteren allerdings nur in 66,9 "'„ vertreten ist. Blonde Haare finden sich nur in 1,3 — 1,9",,, blaue Augen nur in 0,8 — 1.9 "/n- Farbentafeln zu genaueren Aufnahmen wurden nicht verwendet. Die Messung der Körpergröße hat die bis- herigen Beobachtungen bestätigt. Verf. findet für Samojeden ein Mittel von 156,8 cm, für Ostiaken von 156,5 cm und für Wogulen von 156,7 cm, so daß alle drei Gruppen zu den kleinwüchsigen \'ölkern zu rechnen sind. Nicht in gleicher Weise über- einstimmend sind die Längenverhältnisse des Stammes und Rumpfes: beide sind bei Samojeden absolut und relativ zur Körpergröße beträchtlicher als bei den Wogulen, während die Ostiaken eine Mittelstellung einnehmen. Die ersteren sind (nach Manouvrier's Terminologie) subbrachyskel, die letzteren mesatiskel, doch ist der Unterschied, selbst im Hinblick auf die verschiedene Schwan- kungsbreite des Verhältnisses von Stamm- und Bein- länge in den zwei Gruppen, nicht so groß, wie 474 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 30 ihn \'eif. darstelU. BedauerHcherweise fehlen weitere Rumpfmessungen, und auch die Messung der Extremitäten wurde sehr eingeschränkt. Alle drei Gruppen gehören zu den menschlichen Typen mit mittlerer Armlänge, wenn die letztere auch bei den Samojeden relativ kleiner als bei Ostiaken und Wogulen ist. Die Hand ist dem ganzen Körperbau entsprechend breit und kurz. Die Bein- länge, die nicht gemessen wurde, sondern als Diffe- renz von Körpergröße und Sitzhöhe gegeben wird, ergibt selbstverständlich das umgekehrte Resultat, wie die Stammlänge: sie ist bei Samojeden am kürzesten, bei Wogulen am größten. Ziemlich verschieden sind die drei Gruppen hinsichtlich der allgemeinen Kopfform. Verf. gibt folgende Mittelwerte des Längenbreiten - Index : Samojeden = 83,3, Ostiaken = 80,7 und Wo iTulen = 78,3. Dabei sind unter den Samojeden |ar keine Dolichokephale, aber 45.5 "/o Brachy- kephale, bei den Wogulen dagegen 41,9 "/o Doli- chokephale und nur 2,7% Brachykephale. Die Ostiaken stehen in der Mitte zwischen beiden, doch hat die den Samojeden benachbarte Gruppe einen Index von 82,6. Verf. konnte an seinem Material auch das schon von anderen Autoren aufgestellte Gesetz nachweisen, daß zunehmende Körpergröße mit abnehmendem Längenbreiten- Index des Kopfes Hand in Hand geht. Trotz der großen Jochbogenbreite sind sämtliche drei Gruppen mesoprosop (mittelgesichtig) und zugleich auch mesorrhin (mittellangnasig). Hinsichtlich der Profil- form überwiegt die konkave Nase (bei Wogulen in 81,1 "/o. bei Samojeden in 66,7 "0); nur 5,5 "/o der Untersuchten hatten konvexen Nasenrücken. Das sog. Mongolenauge mit seiner Randfalte am inneren Augenwinkel findet sich bei Samojeden in 61,1 "/o, bei Wogulen in 46,7 "/o. bei Ostiaken in 44,1 "/„. Die Neigung der Augenlidspalte zum Horizont wird mit lo" angegeben. Die Ohr- muschel ist groß, das Darwin'sche Häkchen aber nicht häufig im Vergleich mit dem Europäer (Samojeden'35,2'':o, Wogulen nur 4.0 "o)- In fast allen Merkmalen ergibt sich also eine Differenz zwischen Samojeden und Wogulen, die Verf. auf verschiedene Abstammung zurückführt. Den Wogulen sind die Ostiaken anzureihen, je- doch hat sich der physische Habitus der west- lichen Gruppe durch Kreuzung mit Samojeden diesen letzteren angenähert. Weitere Vergleiche ergeben eine Verwandtschaft der Samojeden mit den Sojoten und den Jenissei Ostiaken , die also mit den eigentlichen Ostiaken nichts zu tun haben. Daß auch die Lappländer zu der gleichen Gruppe gezählt werden, scheint dem Ref. nicht einwand- frei begründet zu sein. Auch die genetischen Beziehungen der Ostiaken und Wogulen zu be- nachbarten Gruppen sind noch nicht genügend geklärt; ihre Angliederung an Permier, Syrjanen, Wotjaken, Ungarn usw. beruht auf linguistischer, nicht auf anthropologischer Basi.s. R. Martin. Botanik. Das Laubblatt als photographische Platte. Zur Anstellung der bekannten Sachs- schen Jodprobe, die darauf beruht, daß sich in einem teilweise belichteten, teilweise mit Streifen von Stanniol oder schwarzem Papier oder mit einer Blechschablone bedeckten Blatte an den ver- dunkelten Stellen keine Stärke bildet, kann, wie Molisch gefunden hat, gewöhnliches weißes Papier mit deutlicher schwarzer Druckschrift ver- wendet werden. Die Schriftzeichen treten nach Ausführung der Jodprobe scharf hervor. Sogar gewöhnlicher Zeitungsdruck kommt unter günsti- gen Bedingungen leserlich im Blatte zum Vor- schein. Diese Wahrnehmung brachte Molisch auf den Gedanken, daß es vielleicht auch möglich wäre, in einem Laubblatt Photographien oder Kopien von solchen zu erzeugen. Die daraufhin von ihm angestellten Versuche hatten einen über- raschenden Erfolg. Es gelang, durch Auflegen eines photographischen Negativs (Bildnis) auf ein Laubblatt der Kapuzinerkresse (Tropaeolum majus) unter Anwendung geeigneter Maßregeln zur Nieder- haltung des schädlichen Einflusses der Transpira- tion und zur Vermeidung der Pressung oder Ver- letzung des Blattes, in diesem ein bei der Jod- probe scharf hervortretendes positives Bild der photographierten Person zu erhalten. , .Daraus geht schlagend hervor, mit welch außerordent- licher Feinheit der Lichtstrahl arbeitet, mit welcher Akkuratesse er entsprechend seiner Intensität Stärke erzeugt, so zwar, daß die Schatten und Lichter einer Photographie in ihren plötzlichen und allmählichen Übergängen durch die Farben- töne der Jodslärkereaktion wiedergegeben werden." Bei dem geschilderten Versuche handelt es sich eigentlich nur um ein Kopierverfahren. Man würde aber jedenfalls auch eine Negativaufnahme jedes beliebigen Gegenstandes machen können, wenn man das Blatt in der Kammer an Stelle der ])hotographischen Platte dem Lichte aussetzte. Moli seh fand, daß zum Gelingen seiner Ver- suche vollkräftige Pflanzen (keine Topfpflanzen) verwendet werden müssen, die in der Nacht ihre Blätter vollständig entStärken; stärkefreie Blätter sind hier ein ebenso wesentliches Erfordernis wie eine unbelichtete Platte beim gewöhnlichen Photo- graphieren. Die erhaltenen Bilder kann man durch Einlegen in Jodwasser oder durch Einschließen des Blattes zwischen zwei Glasplatten dauernd erhalten. (Sitzungsberichte der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien. Math.naturw. Kl. Bd. 123, Abt. I, S. 923—930. Wien 1914.) ¥. Moewes. Individuelle Abweichungen in physiologischen Reaktionen. Ar päd Paäl hatte vor wenigen Jahren gefunden, daß der Variationsspielraum der geotropischen Reaktionszeit unter vermindertem Luftdruck größer ist als unter normalem. Beim Studium der individuellen Abweichungen in der geotropischen Reaktionszeit hat er nun weiter (an 1 N. F. XIV. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 475 Keimwurzeln der Bohne) auch eine Abhängigkeit dieser Abweichungen von der Temperatur er- mittelt: sie sind am kleinsten, wenn die Tempe- ratur optimal ist. Ferner sind sie abhängig von der VVachstumsgeschwindigkeit: wenn das Wachs- tum am schnellsten vor sich geht, sind sie am kleinsten. Hieraus ergibt sich das Gesetz: Das Optimum der Reaktion ist zugleich Minimum der individuellen Abweichungen. Wahrscheinlich hat dieser Satz auch über den untersuchten Fall hin- aus Gültigkeit. Paäl teilt dafür einige Literatur- belege mit, u. a. folgende Äußerung von Julius Sachs: „Der Einfluß der günstigen Temperaturen macht sich nicht nur durch die große Geschwin- digkeit geltend, womit die Wurzeln austreten und sich verlängern, sondern noch mehr durch die Gleichförmigkeit der Keimung bei verschiedenen Samen gleicher Art." Sobald eine Bedingung nicht optimal ist, stehen die Individuen unter nachteiligen Einflüssen, die um so stärker auf sie wirken, je schwächer die hidividuen sind, während unter günstigen Bedingungen alle ihre volle Kraft entfalten. (Mathematische und naturwissenschaft- liche Berichte aus Ungarn. Bd. 30, 1912, Leipzig 1914.) F. Moewes. Astronomie. Der Sternhaufen der Plejaden hat schon oft dazu gedient, Material für Studien über den Bau des Sternsystems zu geben. Ins- besondere schien er sehr geeignet zur Beantwor- tung der Frage, ob der Sternhaufen nicht nur optisch, sondern auch physikalisch ein einheit- liches Ganze bildet. Mitten in ihm steht Mädler's berühmte Zentralsonne Alkyone, oder eta Tauri, und zwar so günstig in der Mitte, daß man alle Messungen an diesen hellen Stern angeschlossen hat. Nun hat vor mehreren Jahren Lagrula in einer eingehenden Untersuchung (Obs. de Lyon, Heft IIT, 1901) unter Verwendung des ganzen Beobachtungsmateriales von Bessel 1840 an be- stimmt, wie sich die Bewegungen der einzelnen Sterne gegen Alkyone verhalten, und hat so sehr genaue Sternörter der Plejadensterne zum Zweck der Beobachtung von Sternbedeckungen durch den Mond abgeleitet. Dies wertvolle Material hat nun (Astr. Nachr. 4790, 1915) Trümpier dazu benutzt, noch mehr gemeinsame Eigenscliaften des Sternhaufens abzuleiten. Es sind 53 Bessel- sche Sterne, von denen aber erst festgestellt werden muß, ob sie auch alle wirklich dazu ge- hören, und nicht nur von uns aus gesehen, weit vor oder weit hinter dem Sternhaufen im Räume ge- legen sind. Eine graphische Darstellung zeigt, daß bei den meisten Sternen die Eigenbewegung fast dieselbe ist, wie bei Alkyone, nur wenige haben ganz andere Werte, sind infolgedessen als verdächtig anzusehen. Andererseits wird die Ein- heitlichkeit des Sternhaufens in hohem Grade da- durch wahrscheinlich gemacht, daß die Sterne fast alle demselben Spektraltypus angehören, was ja kosmologisch auch zu erwarten ist. Dies prägt sich auch darin aus, daß die Sterne fast die gleiche Färbung besitzen. Es hat sich gezeigt, daß man als das genaueste Maß für die Farbe den Unter- schied zwischen der optischen und der photo- graphischen Größe bezeichnen kann, einen Zahl- wert, der mit großer Genauigkeit zu bestimmen ist. Dieser Wert oder Farbenindex folgt nun ebenfalls bei den Plejaden einem leicht ersicht- lichen Gesetz, so daß man aus diesen beiden An- zeichen, Eigenbewegung und Farbenindex zu- sammen mit großer Sicherheil noch 10 Sterne als nicht physisch zu den Plejaden gehörig aus- sondern kann. Die bleibenden ^3 aber zeigen mehrere auffallende Eigentümlichkeiten. Zunächst wird ersichtlich, daß in vielen Phallen Paare oder Gruppen eng beisammen stehender Sterne genau oder fast genau die gleiche Eigenbewegung zeigen. Ferner sind die absoluten Beträge der Eigen- bewegungen gegen Alkyone bei den helleren Sternen erheblich kleiner als bei den schwächeren. Die hellsten 1 1 Sterne bewegen sich gegenein- ander offenbar gar nicht, während die Gruppe der schwächeren Sterne von den Größe 6,5 bis 8,0 und der schwachen Sterne von 8,0 — 10,5 sehr merkbare Bewegungen zeigen, die den gegen- seitigen Ort der Sterne zu verschieben imstande sind. Nun untersucht Trum pler noch den Fall, daß die ganze Gruppe sich auf uns zu, oder von uns weg bewegt, und vielleicht gleichzeitig auch eine Umdrehung um ihren gemeinsamen Schwer- punkt bewirkt. Das dazu vorhandene Material ist freilich nicht sehr groß und wird auf die Dauer immer besser werden, aber es findet sich doch eine Rotationsbewegung angedeutet, die so groß ist, daß sie den ganzen Haufen der schwä- cheren Sterne etwa in zwei Millionen Jahren ein- mal herumbewegt. Ein Radiationspunkt wie bei Sternschnuppen und Meteoren, von dem aus die Eigenbewegungen auszustrahlen scheinen, ließ sich nicht nachweisen. Riem. Die näheren Umstände bei der Entdeckung des 9. Jupitermondes gibt Nicholsen in den Lick. Obs. Bull. Nr. 265 an. Bei einer Beobach- tungsreihe zur Beobachtung der kleinen Monde des Jupiter sollte am 21. und 22. Juli 1914 nach dem 8. Mond gesucht w^erden. Die in dieser Nacht aufgenommenen Platten zeigten auch diesen Mond ganz nahe am vorausberechneten Orte. Eine nähere Untersuchung und Vergleichung beider Platten zeigte nun aber noch ein ganz außer- ordentlich schwaches Sternchen, das deutlich eine Bewegung aufwies. Deshalb wurden an den beiden folgenden Abenden noch 2 Platten belichtet. Das bewaffnete Auge ist diesen schwachen Sternchen gegenüber ganz machtlos, nur die Trockenplatte gibt in mehrstündlicher Belichtung Spuren der Sternchen. Wenn nun auch diese vier Platten übereinstimmend waren in der Bewegungsrichtung und Größe, so war doch noch keine Entscheidung zu treffen, ob es sich um einen neuen Mond des Jupiter handele oder um einen neuen kleinen Planeten, oder mit anderen Worten, es war noch 476 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 30 nicht zu unterscheiden, ob die so geringe Be- wegung auf Sonne oder Jupiter als Zentrum deutete. Dazu konnte nur die Rechnung verhelfen, aber erst, nachdem ein größerer Bogen der Bahn bekannt geworden war. Neue Aufnahmen bis zum 21. September lagen vor, aus denen nach einer graphischen Methode die ersten nahezu richtigen Elemente abgeleitet werden konnten. Ein Ver- gleich dieser mit den Elementen des Satelliten 8 zeigt ganz auffallende Ähnlichkeiten, vor allem in dem Umstand, daß beide Monde sich in entgegen- gesetztem Sinne bewegen, wie die anderen Monde, also rückläufig sind. Aber auch die anderen Ele- mente, besonders die Neigung zeigen Überein- stimmungen, die auf einen inneren Zusammenhang hinweisen. Die Umlaufszeit des 8. Mondes ist 2,155 Jahre, die des neuentdeckten 3,125 Jahre, und seine Helligkeit etwa von der 19. Größe. Seine Entdeckung ist also auch technisch be- trachtet eine sehr bedeutende Leistung der Photo- graphie. Riem. Geographie. ' Im siebenbürgischen Tertiär- becken schaffen Rutschungen und Schlammvulkane, die regelmäßig und regional auftreten, einen Kom- plex eigenartiger Landschaftsformen, die Hein- rich Wach n er (Geogr. Zeitschr. XXI, 191 5, Heft i) beschreibt. Das Rutschungsphänomen bringt hier ganz eigenartige Oberflächenformen zustande, die durcii Gesteinsverschiedeiiheiten, Lagerungsverhältnisse und Unterschiede der Bö- schung noch in drei Kategorien eingeteilt werden können. Durch die Neigung der Schichten verursacht, zeigen die Täler häufig unsymmetrische Ge- hänge. Die steil geböschten Talseiten der Schicht- köpfe sind oft der Schauplatz von Rutschungen, die infolge heftiger und anhaltender Regengüsse zustande kommen. Die lehmige Verwitterungs- krume sammelt sich an flachen Stellen wallartig an und gibt zur Entstehung von Tümpeln und GehängemoorenVeranlassung. Solche Rutschungen können unmerklich langsam vor sich gehen, aber auch durch außergewöhnliche Niederschlagsmengen im Sommer veranlaßt werden. Ein anderer Fall von Rutschungen knüpft sich an das Vorkommen weicher glimmerrcicher hygroskopischerTonschiefer im südlichen Teil des Tertiärbeckens. Dieses Gestein quillt durch Wasseraufnahme zu breiigen lavaartigen Massen an, die sich am Grunde der Täler oder in Gehängemulden ansammeln. So werden die steilen Hänge immer mehr entblößt. Es entstehen in- folgedessen sehr eigentümliche Landschaftsformen, indem breite Talkessel durch steile scharfe Grate getrennt werden, die selbst in einzelne sargdeckel- ähnliche I*"ormen aufgelöst werden können. Liegen wasserdurchlässige Gesteine (Sandsteine oder Konglomerate) auf wasser- undurchlässiger toniger Unterlage an sanft- geböschten (iehängen, so können die hangenden Gesteinsmassen auf der tonigen Unterlage wie auf einer Gleitbahn abwärts rutschen. Durch das Vorkommen von Diaklasen, präexistierenden Spal- ten, wird das Abrutschen ungemein erleichtert. Die Rutschungsliügel, die einen weit verbreiteten Landschaftstypus darstellen, gelangen im Tale zum Stillstand und werden hier von der seitlichen Erosion des P'lusses oder Baches zerstört. Sie zwingen zugleich den Fluß zu einer Verlegung des Laufes. Diese Bewegungen geschehen un- merklich; aber schon im Laufe weniger Jahre sind sie an Veränderungen der Aussicht festzu- stellen. Auch diluviale zum Stillstand gelangte Rutschungshügel erscheinen noch als flache Kuppen auf den sanft ansteigenden Lehnen. Die Schichten der abrutschenden Hügel sowie des Untergrundes werden häufig gestaucht und verbogen ; nicht selten sind auch Zerstörungen von Straßenkörpern oder Eisenbahndämmen die Folge der Rutschungen. An der Basis von Rut- schungsgebieten in Bacheinschnitten treten zumeist Schlammsprudel auf, die sich dort bilden, wo das Wasser dem Boden in Form von Quellen entströmt. Es baut dort die mitgeführten fein- geriebenen Bestandteile zu Schlammkegeln von I — 15 m Durchmesser und bis zu 3 m Höhe auf; gewöhnlich beträgt aber ihre Erhebung nur 10 bis 50 cm. Diese Bildungen sind natürlich wohl zu unterscheiden von denjenigen Schlammvulkanen, die durch Erdgasausströmungen hervorgerufen werden und die ebenfalls im siebenbürgischen Terliärgebiet vorkommen. Dr. G. Hornig. In einem Vortrage der Gesellschaft für Erdkunde ^) zu Berlin berichtete Fritz Machatschek über seine beiden Reisen in Russisch-Turkestan, die er in den Jahren 191 1 und 1914 ausgeführt hat. Seine Beobachtungen haben gerade jetzt besonderes Interesse, würdigt er doch eingehend die kulturellen Verhältnisse und die Tätigkeit der russischen Verwaltung. Das turanische Tiefland ist ein Gebiet an- dauernder Senkung und .Akkumulation, eineSammel- mulde, in der die marinen Schichten vom Meso- zoikum bis zum Tertiär abgelagert wurden. Aber in der sarmatischen Zeit und in der folgenden Pluvialzeit wurde das Land von großen Flüssen aufgeschüttet, so daß Sande fluviatiler Entstehung die oberflächliche Bodendecke bilden. Der vorherrschende Wüstentyp ist die Sand- wüste Kara-Kum, in der man aber echte Barchane mit den bekannten unsymmetrischen Böschungen nur selten trifft. Eine lockere Vege- tationsdecke liegt über den Sauden, die meist lang- gestreckte in der Richtung der vorherrschenden nördlichen Winde verlaufende niedrige Kämme bilden, Barchane, die in einer postdiluvialen noch trockenen Periode umgebildet wurden. Häufig werden die Sand wälle von Takyren, Streifen von Lehmwüste, getrennt. Der Boden dieser Streifen, Zlschr. Ges. Erdkde. , 1915, Nr. 3. N. F. XIV. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 477 die Hohlformen bilden, besitzt feinkörnige Struktur und ist asphaltartig, trägt auch nicht selten Salz- ausblühungen. Während die Kara-Kum zwischen der Usboi-Furche und dem Amu-Darja verbreitet ist, erfüllt die Fels wüste Kysil-Kum den Raum zwischen Amu-Darja und Syr-Darja, kurze niedrige Ketten bildend, auf deren windgeschützter Südseite grasreichc Steppen den Kirgisen Weide- plätze liefern. Die Bewohner der Kara-Kum sind ausschließ- lich Turkmenen, auf der Kysil-Kum häufiger Kir- gisen. Während die Bevölkerung auf dem flachen Lande in geschlossenen Dörfern wohnt, lebt sie in der Nähe der bekannten Oase von Chiwa in befestigten Einzelgehöften. Im S und O vk^ird das turanische Tiefland von jungen Faltengebirgen begrenzt, in denen noch die sarmatischen Schichten zu bedeutenden Höhen aufgefaltet worden sind, während die zahlreichen Ketten des Alai und Tianschan dem Typus der Rumpfschollengebirge angehören und nur randliche Faltung aufweisen. Seit dem Karbon ist das Gebirge nicht vom Meere bedeckt gewesen und den Kräften der Verwitterung ausgesetzt worden. Gebirgsbildende Bewegungen in der Tertiärperiode haben die „Syrien"^) geschaffen, weite Rumpfebenen, die tektonisch bedingt sind, ebenso wie die Längstäler oder Becken des inneren Tianschan. Die Gebirge von Russisch-Turkestan besitzen ein exzessives Trockenklima. Die hohe Lage der Schneegrenze (rund 1000 m höher als in den Alpen) ist dessen Folge; in den westlichen Kelten des Gebirges ist die Vergletscherung überhaupt gering. VVährend es hier nur zu Kargleischern kommt, findet man aber auf den höchsten Gipfeln Gletscher, die die der Alpen weit übertreffen und außerordentlich viel Moränenmaterial mit sich führen. Geschlossene Waldbestände, meist nur ') G. Merzbacher, Die Physiographie des Tian- schan. — Geogr. Ztschr. XIX, 1913, S. I. S. a. das Referat Naturwiss. Wochenschrift, 1913, S. 739. aus Picea Schrenckiana bestehend, tragen nur die nördlichsten Ketten. In den tieferen Lagen findet sich eine aus Laubhölzern bestehende Pflanzen- gemeinschaft, während die niederen Ketten in Schutt erstickte Wüstengebirge darstellen, deren Rand von einem breiten Gürtel mächtiger Schotter, „ A d y r e ", begleitet wird. Die Gebirgsbewohner gehören den Völkern der Usbeken mongolischen Stammes und den indogermanischen Tadsch iken an, aber nur so- weit die randliche Lößzone in den größeren Tälern aufwärts reicht; im Inneren selbst wohnen Berg-Kirgisen. Die zwischen die Sand- und Lehmwüste Inner- Turkestans und den Gebirgsrahmen sich ein- schaltende Zone fruchtbarer Lößsteppen ist der Sitz der Kultur des Landes, das eine glanzvolle Geschichte hinter sich hat, jetzt aber meist ver- wahrlost ist. Seit der Besitznahme durch die Russen sind hier moderne Russenstädte entstanden, in denen die arische Bevölkerung die Grundschicht bildet, über die sich verschiedene mongolische Schichten gelagert haben, die einge- borene seßhafte Bevölkerung, die man als Sarten zusammenfaßt. Die alten Kulturstädte sind viel- fach zu Ruinen geworden, während neue Städte, z. B. Samarkand unter der russischen Herrschaft aufgeblüht sind. Auch im Becken von Ferghana sind im Zeichen der Baumwollkultur neue Städte entstanden, die aber alle von Taschkent überragt werden, dem Mittelpunkt der Verwaltung des Landes. Der russischen Verwaltung verdankt das Land eine Reihe moderner Verkehrswege, während im übrigen für die Bewässerung des Landes fast gar nichts getan worden ist. Erst in den aller- letzten Jahren sind die hydrologischen Grundlagen der Wasserwirtschaft erforscht und Pläne für moderne Bewässerungsanlagen geschahen worden. Der Staudamm von Murghab oberhalb Merw, im Jahre 1910 vollendet, ist bis jetzt die einzige moderne Bewässerungsanlage. Die vielen anderen umfassenden Pläne sind leider durch den Krieg auf Jahre hinaus zurückgestellt. Dr. G. Hornig. Bücherbesprechungen. südliche Tienschan, schaffen werden, da die bisherigen Karten zu un- Gröber, Paul, Der Geographische Abhandlungen, herausgegeben von Prof. Dr. Albrecht Penck in Berlin. Bd. X, Heft I. Leipzig und Berlin 1914, Teubner. — Preis geb. 10 M. Die Arbeit, die die Ergebnisse der in den Jahren 1908/09 ausgeführten Forschungsreise Gröber 's enthält, behandelt die geologisch-morphologischen Verhältnisse des südlichen Tienschan und bietet eine wesentliche Bereicherung unserer Kenntnis dieses Gebirges. P'ür die geologischen Aufnahmen , die die Grundlage der ganzen Arbeit bilden , mußte zu- nächst eine neue topographische Unterlage ge- genau waren. Durch die Neuaufnahmen Grob er' s ist das topographische Bild des Gebirges in vielen Punkten berichtigt , wie ein Vergleich der russi- schen 40- Werstkarte (Bl. 20) mit der beigegebenen Übersichtskarte in i : i Mill. (Taf. i) zeigt. In demselben Maßstab sind auch die geologischen Aufnahmen veröffentlicht worden (Taf 2), die zum ersten Male einen genaueren Überblick über die geologischen Verhältnisse des südlichen Tienschan gestatten. Auf diese Aufnahmen gestützt versucht nun Gröber die Entwicklungsgeschichte seines eigent- lichen Arbeitsgebietes klar zu legen. Indem er 478 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 30 aber andererseits das jeweilige Reobachtungs- matcrial aus der näheren und weiteren Um- gebung zum Vergleich heranzieht, ei halten wir eine Übersicht über die Morphogenie des ge- samten Gebirges und kommen dadurch in die Lage, die Bedeutung jedes einzelnen Faktums im Rahmen des Ganzen richtig einzuschätzen. Gerade in dieser Behandlung des Stoffes liegt, abgesehen von den wichtigen morphologischen Ergebnissen das wesentliche geographische Moment, das die Arbeit auszeichnet. Wir beschränken uns darauf, die Resultate Gröber's in den großen Zügen kurz zu skiz- zieren. Der Sockel des Gebirges besteht aus kristal- linen Schiefern, Phylliten und Graniten; das Paläozoikum ist durch Devon und Karbon ver- treten ; von den jüngeren Schichten findet sich Jura und Tertiär. Das Grundgebirge ist stark gefaltet; das Karbon lagert diskordant darüber, wird aber seinerseits wiederum von der nächst- folgenden mesozoischen Angaraserie (Jura) dis- kordant überlagert. Daraus folgert Gröber eine I^eriode starker Gebirgsbildung zur Karbonzeit, deren Spuren sich übrigens auch in der weiteren Umgebung, so im L'nlergrund der Gobi, im Kuenlun und im Pamir nachweisen lassen. Offen- bar hat die Faltung damals das ganze Gebiet zu einer einzigen starren Masse zusammengepreßt ; im einzelnen aber hat es sich allerdings vermutlich um zwei verschiedene Faltungsperioden ge- handelt, eine prä- resp. unterkarbone, die den ganzen Tienschan betroffen hat, und eine ober- karbone, die sich nur im zentralen Teil des Ge- birges nachweisen läßt. — Eine weitere und zwar mesozoische Faltungsperiode ergibt sich so- dann aus der Beobachtung, daß auch die Angara- schichten, die vermutlich jurassisches Alter be- sitzen , gefaltet sind. Jedoch besitzt auch diese Faltung für die P'orm des heutigen Tienschan geringe Bedeutung, da alle jene Falten am Aus- gang des Mesozoikums vollkommen eingeebnet sein müssen : das Tertiär, die sogenannten Gobi- sedimente transgredieren über die gefalteten An- garaschichten , und die Auflagerungsfläche zeigt den deutlichen Charakter einer Rumpffiäche. Am Ende des Mesozoikums, etwa zur Kreide- zeit, bestand also an Stelle des heutigen Tien- schan kein nennenswertes Gebirge, son- dern nur eine flache, wenig über das Meer auf- ragende Landschaft, und der heutige Tienschan ist erst nach dieser Zeit entstanden. Nach Gröber's Auffassung ist das heutige Gebirge das Ergebnis, starker tertiärer P'altungen, die von größeren Bruchbildungcn begleitet waren. Damit decken sich auch Beobachtungen aus der weiteren Umgebung, z. B. aus dem Ferganagebirge, dem Pamir und der Gobi. Die Gobisedimente sind nämlich nachträglich in ganz verschiedene Höhen- lagen gebracht worden; auch dies ist aber wahr- scheinlich nicht die Polge einer einzigen sondern zweier, zeitlich etwas verschiedener Faltungs- perioden, so daß die heutigen Gebirgsbögen durch Interferenz dieser beiden Faltensysteme entstanden gedacht werden müssen. Diese Bewegungen haben sogar bis über das Tertiär hinaus gedauert und sind erst im Quartär ausgeklungen. Der Rohbau des Gebirges war also im Tertiär so ziemlich abgeschlossen. Die heutigen Land- schaftsformen aber sind doch in wesentlichen Zügen viel jüngerer Entstehung. Der Tienschan wurde zur Diluvialzeit von der allgemeinen Ver- glelscherung betroffen und tiefer gelegene Teile des Gebirges dabei offenbar durch gewaltige Auf- schüttungen verhüllt. Mächtige Fluß- und Löß- aufschüttungen erfüllen die weiten Beckenland- schaften zwischen den einzelnen Gebirgsbögen, und wenn sie auch nachträglich zum Teil wieder aus- geräumt worden sind, so spielen sie doch im heutigen Landschafisbild eine maßgebende Rolle und bieten, wie Gröber hervorhebt, für die Frage nach der jüngsten Entwicklung des Gebirges noch gar manche offene Frage. Dr. E. Wunderlich-Berlin. Kriegsgeographische Zeitbilder. Land und Leute der Kriegsschauplätze. Heraus- gegeben von den Privatdozenten Dr. Hans S p e t h m a n n und Dr. Erwin Scheu. Verlag Veit & Co. in Leipzig. — Preis für jedes Heft 80 Pf Heft I: A. Oppel, Die wirtschaft- lichenGrundlagen derkriegführenden Mächte. Heft 2: Fritz Frech, Kohlen not und Kohl en vorrät e im Weltkriege. Heft 3: H. Spethmann, DerKanal mit seinen Küsten und Flottenstützpunkten. Heft 4: Hans Praesent, Antwerpen, Geographische Lage und wirtschaft- liche Bedeutung. Diese neue vortreffliche und empfehlenswerte Sammlung, die in geschmackvollen mit instruk- tiven Abbildungen versehenen Heften von je etwa 3 Bogen Umfang zu billigem Preise erscheint, will ein Bild der Kriegsschauplätze und der wirtschaftlichen Verhältnisse der am Kriege beteiligten Länder entwerfen. Die Namen der Herausgeber und Verfasser bürgen für eine gute Durchführung des Unternehmens, das in der Tat einem Bedürfnis weiterer Kreise entgegen- kommt. Das I. Heft stellt uns in den neuesten Zahlen die hauptsächlichsten Elemente des Handels und der Industrie der einzelnen Länder gegenüber. Bodenbau, Viehzucht, Bergbau, Industrie und Ver- kehrswesen werden vorzugsweise berücksichtigt. Heft 2. bildet eine notwendige Ergänzung zu 1, indem es uns die Vorräte an Kohlen und Erdöl der kriegführenden Länder in anschau- licher Weise vorführt. Anf die durch den Krieg hervorgerufenen Veränderungen und Folgen wird dabei Rücksicht genommen. In I left 3 schildert der Verfasser das morpho- N. F. XIV. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 479 logische Bild und die klimatischen Verhältnisse des Kanals, ferner die handelsgeographische und wirtschaftliche Bedeutung desselben und der umgebenden Landgebiete. Auf die Häfen und Badeorte wird noch besonders eingegangen. Die zahlreichen charakteristischen Abbildungen ver- dienen ein besonderes Lob. Heft 4 schildert die Bedeutung und Geschichte Antwerpens, seine wirtschaftlichen Verhält- nisse und großartigen Hafenanlagen, sowie die umfassenden Pläne für die Erweiterung des Hafens ; besonders aber, was am wichtigsten für uns erscheint, seine handelsgeographische Bedeutung. Dr. G. Hornig. Beiträge zur Kenntnis der Land- und Süß- wasserfauna Deutsch -Südwestafrikas, her- ausgegeben von W. M i c h a e 1 s e n (Hamburg). Lief 2. 124 S. gr. 8". 2 Taf. Hamburg 1914, L. Friedrichsen & Co. — Preis 8 M. Beiträge zur Kenntnis der Meeresfauna West- afrikas, herausgegeben von VV. Michaelsen (Hamburg). Lief 2. 234 S. gr. 8". 13 Taf. Hamburg 19 14, L. Friedrichsen & Co. — Preis 20 M. Unter Bezugnahme auf die Anzeige der ersten Lieferung beider „Beiträge" in Nr. 12 der Naturw. Wochenschr. (1915, S. 191) sei auf die Fortsetzun- gen hingewiesen, die gleich gediegen ausgestattet sind. Die 2. Lieferung des oben zuerst angeführten Werkes enthält in 4 Artikeln vier Familien von Hymenopteren (Braconidae, Archihymenidae, Serphidae und Ichneumonidae), in 6 Artikeln acht Familien von Coleop teren (Chrysomelidae und Coccinellidae, Histeridae, Malacodermata und Brachidae, Lydidae, Buprestidae und Cetonidae) und in einem die Spo ngil 1 id e n. Die Ausbeute an Braconiden, die wegen der Pflanzenarmut des Geländes nicht bedeutend sein kann, umfaßt 26 Arten, von denen 6 neu sind, doch gehören diese bereits bekannten Gattungen an. Dagegen stellen die Archihymeniden eine neue, altertümliche Cha- raktere aufweisende F"amilie dar, die auf der neuen Gattung Arclii/iyiitcii G. Enderl. (mit pn'scus n. sp.) beruht, zu der ferner die bereits 1909 von Andre aus Argentinien beschriebenen KonowicUa liirticornis gehört. Serphiden (= Proctotrypiden) waren aus Deutsch-Südwestafrika nicht bekannt; die Sammlung hat 6 neue Arten ergeben, von denen eine [albipcniiis Kieff.) Vertreter einer neuen Gattung {Usakosia Kieff.) ist. Auch unter den im ganzen 24 Ichneumoniden-Arten sind 5 Vertreter neuer Gattungen und die meisten Arten neu. Die Zahl der aus dem Gebiet bekannten Chrysomeliden erhöht sich auf 46, die der Cocci- nelliden auf 12; die meisten Arten sind über Mittel- und Südafrika verbreitet, nur wenige indi- gen und einige durch gelblichweiße Färbung aus- gezeichnet (J. Weise). Die Histeriden (10 Arten) lieferten nach Bickhardt eine ncut Pac/iylopus- Art, die Malacodermata und Bruchidae nach M. Pic je 2 neue Arten, die Lyctiden eine neue Sub- spezies von Lycius coniifrons Lesne, die 33 Bu- prestiden eine neue Jidodis-hrX. und die Cetoniden nur bekannte Arten (17). Die Spongilliden hat Annandale bearbeitet und unter den 4 in der Sammlung vertretenen Arten 3 neue gefunden; er läßt sich des näheren über die Verbreitung der afrikanischen 28 Spongilliden-Arten aus. In dem zweiten Werk behandelt Strebel die marine Gastropodengattung Piisioiiclla Gray in ausführlicher Weise, jedoch nur nach den Schalen, die 2 neue Arten und einige neue Varietäten be- reits bekannter Arten unterscheiden lassen. Der Hauptteil der Lieferung betrifft Echinodermen, von denen Köhler die Asteriden, Ophiuriden und Echiniden, Clark die Crinoiden bearbeitet hat. Während unter den letzteren sich keine neue Art befindet, konnte K öhler unter den 16 Asteriden- arten 4 und unter den 27 Ophiurenarten 11 neue bereits bekannter Gattungen aufstellen; dazu kom- men noch 15 Echiniden, so daß der bis jetzt be- kannte Bestand an Küstenformen — nur um solche handelt es sich — 58 Arten beträgt. Für die ganze Westküste Afrikas einschließlich der vorgelagerten Inseln und Inselpruppen ist die Zahl der Arten größer. Köhler teilt dieses bei Tanger beginnende und südlich bis zum Kap reichende Gebiet in drei Provinzen : die Nord- oder mauri- tanische Provinz, von Tanger bis zur Gambia- mündung, die äquatoriale oder Guineaprovinz, von der Gambiamündung bis etwa zur Südgrenze von Angola reichend, Madeira, die kanarischen und Kapverdischen Inseln sowie auch die Azoren um- schließend und die hauptsächlichsten Charakter- formen der afrikanischen Westküste enthaltend, und die Süd- oder Kapprovinz, vom Kap Frio bis Kap Agulhas reichend. Den für die einzelnen Provinzen charakteristischen Arten (8 in der Nord-, 32 in der Äquatorial- und 25 in der Südprovinz) mischen sich Arten benachbarter Provinzen bzw. anderer Gebiete (Mittelmeer, Indischer Ozean, atlantische Küste Amerikas) und einige Kosmo- politen unter. M. Braun. Gräfe, Viktor, Ernährungsphysiologisches Praktikum der höheren Pflanzen. Mit 186 Textabbildungen. Berlin 1914. — Preis 17 M. Der Titel des Buches ist ein wenig irreführend; denn wenn man im Vorwort liest, daß das Werk zwar in erster Linie die Bedürfnisse des wissen- schaftlich Arbeitenden decken soll, daß es aber „vielleicht auch dem Landwirt nach mancher Rich- tung ein nicht unwillkommener Leitfaden" sein wird, dann erwartet man, ein „Praktikum" zum systematischen Durcharbeiten zu finden, das ge- eignet ist, auch Anfängern und wissenschaftlichen Dilettanten ein P'ührer zu sein. Für diese scheint dem Referenten das Buch zu ausführlich und läßt außerdem eine gewisse Methodik in der Behand- lung des Stoffes vermissen, die Voraussetzung für ein derartiges Praktikum ist. So sind z. B. die Kapitel über den Nachweis von Gerbstoffen, Gluko- 480 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 30 siden, Alkoholen usw. rein chemischer Natur, die ebenso gut in einem Praktikum der Pharmakologie stehen könnten. Die Bedeutung dieser Stoffe für das I.eben der Pflanze wird dem weniger Vorge- bildeten unklar bleiben und er würde geneigt sein, die Kapitel zu überschlagen. — Das Buch hätte besser unter dem Titel „ernährungsphysiologische Arbeitsmethodik", wie es auch im Vorwort genannt wird, das Licht der Welt erblicken sollen. Als solches hat es ohne Zweifel große Vorzüge auf- zuweisen, und es kann wohl mit Sicherheit be- hauptet werden, daß das Grafesche Werk in kei- nem pflanzenphysiologischen Laboratorium in Zu- kunft fehlen wird- Jeder Forscher, der sich über die Arbeitsmethoden auf einem von ihm bisher nicht gepflegten Gebiet unterrichten will, wird das Buch mit Vorteil benutzen. Ebenso wird ein an- gehender P^orscher, der unter Anleitung in einem gut ausgestatteten Laboratorium arbeitet, mit Nutzen das Praktikum verwenden können. — Nach Ansicht des Ref. würde es sich empfehlen, in einer zweiten Auflage ganz auf ein größeres Publikum zu verzichten. Es könnte dann manches gekürzt und als bekannt vorausgesetzt werden, wodurch Raum gewonnen würde für ein umfang- reiches Register und ausführlichere Litteratur- angaben. Sehr erfreulich ist das reichliche Ab- bildungsmaterial, besonders die Strichzeichnungen sind übersichtlich und klar, hingegen könnten ohne Schaden einige nach Photographien angefertigte Autotypien fortfallen. Daß außer der eigentlichen Ernährungsphysiologie noch andere Abschnitte, wie das Wachstum behandelt werden, entspricht zwar nicht ganz dem Titel, ist aber für den praktischen Gebrauch des Buches nicht ohne Vor- teil. Wächter. Eug. Warming's Lehrbuch der ökologi- schen Pflanzengeographie. 3. umge- arbeitete Auflage von Prof Dr. Kug. Warming und Prof Dr. P. Gräbner. i. Lieferung. Berlin '14, Gebr. Bornträger. — Preis 4 IVL Die erste Auflage des vorliegenden Buches war insofern eine bahnbrechende Leistung, als Warming zum ersten Male von der vorher im wesentlichen inventarisierenden Pflanzengeographie zu einer ätio- logisch arbeitenden überging, die es sich zum Ziel setzt, Lebensweise, Organisation der Pflanzen und ihr Zusammenschluß zu Vereinen als Ausdruck jeweilig gegebener Standortsbedingungen nachzu- weisen. Bekanntlich ist dannSchimper in der gleichen Richtung fortgeschritten, aber in viel be- wußterem und engerem Anschluß an die Ergeb- nisse der experimentellen Pflanzenphysiologie, wes- halb er seine Pflanzengeographie mit Recht als eine „physiologische" bezeichnen konnte. Leider hat sich noch kein Nachfolger gefunden, der sein Werk, das im Jahre 1898 erschien, hätte fortsetzen können. Warming's Werk, das zuerst in deutscher Übersetzung im Jahre 1895 erschien, wird nunmehr von dem Autor mit Hilfe eines deutschen bereits durch ein kleineres Lehrbuch der Pflanzengeographie bekannten Mitarbeiters in dritter Auflage neu heraus- gegeben. Schade ist es mit Rücksicht auf War- mings Ziele, daß nicht ein stärkerer Tropfen „physio- logischen Blutes" in die Redaktion hineingekommen ist. Wie es scheint, ist die Kreuzung Pflanzen- geograph X Experimentalphysiologe rar unter den gegenwärtigen Botanikern. Die erste Lieferung, die vorliegt, läßt zunächst insofern eine große Verbesserung erkennen, als sie reich illustriert ist. Auch tritt das Bestreben her- vor, die neuere Literatur hineinzuarbeiten. Inwie- weit der Versuch gelingen wird, wird sich erst beurteilen lassen, wenn das ganze Werk vorliegt. Jedenfalls rechtfertigt die tätige Mitarbeit des dä- nischen Autors an seinem geistreichen Werk die Hoffnung, daß es auch in der neuen Auflage ein gutes Buch werden wird. Miehe. Literatur. Scliulz, Geh. Medizinalrat Dr. Bernhard, Das Bewußt- seinsproblem vom psychologischen, positivistischen, erkenntnis- theoretischen, logischen und biologischen Standpunkt. Wies- baden '15, J. F. Bergmann. 3,60 M. Friedrichsen, Prof. Dr. Max, Die Grenzmarken des europäischen Rußlands, ihre geographische Eigenart und ihre Bedeutung für den Weltkrieg. Hamburg '15, L. Friedrichsen. Brehm's Tierbilder. 3. Teil : Die Säugetiere. 60 farbige Tafeln mit Text von Dr. V. Franz. Leipzig '15, Bibliogr. Institut. In Leinwandmappe 10 M. Diels, H. , Antike Technik. 6 Vorträge. Leipzig und Berlin '15, B. G. Teubner. Geb. 4,40 M. Weber, Prof. Dr. R. und Gans, Prof. Dr. R., Reper- torium der Physik, i. Band. Mechanik und Wärme. I.Teil: Mechanik, Elastizität, Hydrodynamik und .Akustik. Bearbeitet von R. Gans und F. A. Schulze. Mit 126 .Abbild, im Text. Leipzig und Berlin '15, B. G. Teubner. Geb. 8 M. Poske, Prof. Dr. Fr., Didaktik des physikalischen Unter- richts. Mit 33 Fig. im Text. Leipzig und Berlin '15, B. G. Teubner. Geb. 12 M. W. C. Röntgcn's Grundlegende Abhandlungen über die X- Strahlen. Zum 70. Geburtstage des Verfassers heraus- gegeben von der physik.-mediz. Gesellsch. in Würzburg. Mit I Porträt. Würzburg '15, K. Kabitzsch. 70 Pf. Hcttner, Prof. Dr. Alfred, Englands Weltherrschaft und der Krieg. Leipzig und Berlin '15, B. G. Teubner. Geh. 3 M. Inhaltt StcUwaag: Aus dem Leben der Hummeln. — Einzelberichte: Fajans, Beer und Richter: Über das Ver- halten der Radioelemente bei Fällungsrcaktionen. Dember, Kroglicu. a.: tjber Röntgenstrahlen. Star k , \V o If k e, Frank: L'ber die Ionisierung. Goldstein: Über die Kanalstrahlen. Maresim u. Heschus: Über die Abhängig- keit der Zersetzungs- und Obeillächcnspannung von der Belichtung. Rudenko: Neue Forschungen über die Bevölke- rungen Nordwest-Sibiriens. Molisch: Das Laubblatt als photographischc Platte. Paal: Individuelle Abweichungen in phy.siologischen Reaktionen. Trümpier: Sternhaufen der Plejadcn. Nicholsen: Entdeckung des 9. lupitcr- mondes. Wachncr: Rutschuugen und Schlammvulkane. Machatschek: Reisen in Russisch-Turkestan. — Bücher- besprechungen: Gröber: Der südliche Tienschan. Kriegsgeographische Zeitbilder. Beiträge zur Kenntnis der Land- und Süßwasserfauna Deutsch-Südwcslafrikas. Beiträge zur Kenntnis der Meeresfauna Westafrikas. Gräfe: Ernährungs- physiologisclies Praktikum der höheren Pflanzen. Warming's Lehrbuch der ökologischen Pflanzengeographie. — Literatur : Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstrafle IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pälz'schen Buchdr. Lippert & Co. G.m.b.H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Reihe 30. Band. Sonntag, den i. August 1915. Nummer 31. Über Doniestikationsmerkmale beim Menschen. [Nachdruck verboten.] Wiederholt ist in der aiithropologisclien Litera- tur die Vermutung aufgetauclit, daß der ergo- logische ') Zustand des Menschengeschlechtes ge- wisse Analogien mit den Lebensbedingungen unserer Haustiere aufweise, und daß daher viel- leicht auch einzelne körperliche Merkmale des Menschen aus diesen Bedingungen heraus erklärt werden könnten. Denn daß durch Domestikation die mannigfachsten Tierformen sowohl in ein- zelnen Merkmalen als in ganzen Merkmalkomplexen in hohem Maße abgeändert werden können, ist eine altbekannte Tatsache. Aber alle solche ge- legentlichen Hinweise und Behauptungen brachten uns nicht weiter. Einen Einblick in die Wichtig- keit des Problems für die Anthropologie haben wir erst bekommen, seitdem Eugen Fischer die ganze Frage konsequent durcharbeitete und neue Untersuchungen zu ihrer Lösung anregte und ausführte.-) Zunächst allerdings wird man sich über das Wesen der Domestikation selbst klar sein müssen. Wenn der Mensch willkürlich und- meist in einer bestimmten Absicht die äußeren Existenzbe- dingungen eines Tieres ändert, so macht er es damit noch nicht in jedem Fall zum eigentlichen „Haustier". Das gilt von dem Tierbestand unserer zoologischen Gärten; es gilt in gewissem Sinne sogar von Tieren, die ganz in den Haushalt des Menschen aufgenommen wurden. So fand ich in vielen Häusern der Malayen als regelmäßigen Haus- genossen einen Affen (meist Semnopithecus maurus F.), der zum Herunterholen der Nüsse von den Kokospalmen benützt wird und der trotzdem nicht als Haustier aufgefaßt werden kann. Auf der anderen Seite nimmt in Hinterindien der Hund, der bei uns ein ausgesprochenes Haustier ist, als Paria vielmehr noch eine Zwischenstufe zwischen Haustier und Wildform ein. Es ist daher nicht leicht, eine Definition zu finden, die gar keine Ausnahmen zuläßt, und man wird am besten dem allgemeinen Sprachgebrauch sich anschließend, in Anlehnung an Ed. Hahn, mit P^ischer sagen: „Domestiziert nennt man solche Tiere (und Von Prof. Dr. Rud. Martin. ■) Das Wort Ergologie, vom griech. e(>yoi; bedeutet die Lehre von der Gesamtheit der Lebensformen und Lebens- belätigungen organischer Wesen. -) Fischer, E., 1914. Die Rassenmerkmale des Men- schen als Domesticationserscheinungen. Zeitschr. Morph. Anthrop.. Bd. 18, S. 479. Ferner; Zur Frage nach der bio- logischen Bedeutung der Pigmentverhältnisse des Menschen. Verh. Anat. Ges., 28. Vers, zu Insbruck, S. 161 und Hau- schild, M. W., 1909. Untersuchungen über die Pigmentation im Auge verschiedener Menschenrassen und die Pigmentation im Säugetierauge überhaupt. Zeitschr. Morph. Anthrop., Bd. 12, S- 473- Pflanzen), deren Ernährungs- und Fortpflanzungs- verhältnisse der Mensch eine Reihe von Genera- tionen lang willkürlich beeinflußt." Der Zweck, den der Mensch mit seiner Zucht verfolgt, ist in dieser Definition mit Recht ganz beiseite gelassen, denn er ist selbst bei der gleichen Tierform oft verschieden, so daß diese, je nachdem nach ver- schiedenen Richtungen hin umgestaltet werden kann. Ein weiterer, ungemein wichtiger Punkt ist die Tatsache, daß durch Züchtung einerseits die Va- riabilität der betreffenden Tierart, der Wildform gegenüber, eine Steigerung erfahrt, und daß andererseits bei Abänderung eines Teiles oder einer Eigenschaft des Organismus korrelativ auch andere Teile Veränderungen erfahren, ja daß die Gesamtform des Tieres modifiziert wird. Bei allen unseren Haustieren sind es nun haupt- sächlich die Integumentalorgane und das Skelet- system, in welchen die durch die Domestikation hervorgerufene gesteigerte Variabilität am deut- lichsten zum Ausdruck kommt. Was das letztere anlangt, so sind neben den Variationen in der Gesamtgröße des Körpers besonders auch die Umgestaltungen in der Schädelform, wie sie beim Schwein, Kaninchen, Schaf und bei verschiedenen Hunderassen ^j nachgewiesen wurden, von Inter- esse. Allerdings treten solche Formänderungen nicht nur bei domestizierten, sondern auch bei in Gefangenschaft gehaltenen Tieren auf, weil ja auch bei diesen die Ernährungsverhältnisse durch den Eingriff des Menschen verändert sind. So hat Wolfgramm-) gezeigt, daß der Schädel des in Gefangenschaft geborenen Wolfes gegenüber der Wildform kurz, breit und hoch ist, was mit der Veränderung des Gebisses (Reduktion des oberen Reißzahnes) zusammenhängt. Gleichzeitig tritt aber auch eine Vergrößerung der Gehirnkapsel ein, die fast Kugelform annimmt. Daß sich eine ähnliche Umgestaltung der Schädelform auch bei einzelnen Menschenrassen findet, kann hier nur erwähnt werden. Nun fragt es sich aber, ob wir berechtigt sind, den Menschen im gewissen Sinne als eine domesti- zierte P'orm anzusprechen. Studieren wir die ') Vgl. darüber besonders Klatt, B., 1913: Über den Einfluß der Gesamtgröfle auf das Schädelbild, nebst Bemer- kungen über die Vorgeschichte der Haustiere. Arch. Ent- wicklungsmech., Bd. 36, S. 387 und Hilzheimer, M., 1913, Beiträge zur Kenntnis der Formbildung bei unseren Haus- tieren, insbesondere in bezug auf den Schädel. Arch. Rassen- biol., Ed. 10, S. 273, 327 u, 647. ^) Wolfgramm, A., 1894, eun- des, zum furchtbaren Tyrannen wird." Ein Mann, der für seine musikalische Inspira- tion sich in der Tat des Alkohols als eines will- kommenen Anregers bediente, war auch Gluck. Jahre lang ließ er sich, wenn er komponieren wollte, nicht nur, wie wir bereits hörten, den Flügel in den Garten bringen, weil dort der warme Sonnen- schein den Erfindungsborn besser sprudeln ließ, sondern außerdem mußte auch Champagner hin- ausgebracht werden, den er während der Arbeit in nicht ganz geringen Mengen trank und als ein treffliches Inspirationsmittel sehr schätzte. — Ferner sei daran erinnert, daß Rouget del'Isle in der Nacht vom 24. zum 25. April 1792 Tejrt und Musik zur Marseillaise im Anschluß an ein in Straßburg veranstaltet es Trinkgelage konzipierte. Von zahlreichen, schaffenden Persönlichkeiten wird betont, daß sie besonders leicht des Nachts produzieren, wenn der Lärm des Tages mit seinen hunderterlei Ablenkungen schweigt. Auch in dem anfangs mitgeteilten Selbstbekenntnis Mozart's wird ja die zur Nachtzeit gesteigerte produktive Fähigkeit ausdrücklich hervorgehoben. Mozart betont dabei, daß er seine Einfälle leicht im Kopfe behalte und nicht nötig habe, sie zu notieren; andere Tondichter, die befürchten müssen, daß ihre brauchbaren nächtlichen Inspirationen ihnen leicht wieder verloren gehen, wenn sie nicht so- fort notiert werden , müssen zu anderen schlaf- störcnden Mitteln greifen, um das Gefundene fest- zuhalten und nützlich zu verwerten. — Eines der drolligsten Vorkommnisse dieser Art widerfuhr Meyerbeer in der Weihnachts-Nacht 1S63 in einem Brüsseler Hotel. Mit der Abschlußkompo- sition der ,, Afrikanerin" beschäftigt, suchte er nach einer passenden Melodie zu dem großen Duett zwischen Selica und Vasco da Gama im 4. Akt, war jedoch mit dem von Scribe gedichteten Text nicht recht zufrieden. Nachts grübelte er schlaf- los darüber nach : ,,Eine Melodie für das genannte Duett summte ihm plötzlich durch den Kopf. Als habe er im Bett eine Katze entdeckt, vor welcher Tier- art er stets schleunigst Reißaus zu nehmen pflegte, sprang er vom Lager auf, kleidete sich rasch an und schellte dem Zimmerkellner. Die kurze Zeit, die er auf ihn wartete, schien ihm eine Ewigkeit zu sein. Der Kellner war nicht verdutzt, als der Gast, der, wie er gewähnt, nach einer Portion Tee oder einer Flasche Champagner Verlangen haben würde, von ihm schnelles Herbeischaffen eines Librcttisten, eines Textdichters, verlangte. Nachdem noch der Portier zu Rate gezogen war, sauste ein anderer Angestellter des Hotels davon, um den Mann, dessen Wohnung man endlich glücklich im Adreßbuch entdeckt hatte, aufzusuchen, in die Droschke und dann ins Hotel zu befördern. „Sie sind Dichter ?", fragte Meyerbeer ihn hastig beim Eintreten. Der junge Mann rieb sich schläfrig die Augen und antwortete: ,,Ab und zu dichte ich allerdings". Dann fuhr er, müh sam ein Gähnen unterdrückend, fort: „Aber nachts, namentlich wenn ich gedrängt werde, fällt es mir schwer, mich für etwas zu be- geistern". Weiter ließ der Meister ihn nicht reden: „Ach was, zum Dichten braucht man niemals besondere Begeisterung!", schnitt er ihm das Wort ab, „hier ist Papier! Da sind Tinte und Feder! Scribe würde sagen: Alles, was der Mensch zum Schreiben braucht ! Richtig, Scribe sollen Sie verbessern!" Ein Weilchen summte Meyerbeer eine Melodie. ,, Hören Sie, mein Herr, dies Duett ist mir durch den Sinn gehuscht. Bitte, setzen Sie sich hin und schrei- ben Sie mir dazu den Text!" Der Dichter, immer noch schläfrig, meinte kleinlaut : ,, Morgen gelänge mir das wohl — doch erst morgen mit freiem, klaren Kopf'. Während Meyerbeer mit beiden Händen erregt in der Luft herumfuhr, rief er: „Nichts da von morgen ! Morgen, morgen bin ich nach Berlin unterwegs! Ich brauche das Duett heute noch! Ja, ja, heute noch — gleich auf der Stelle !" Der Dichter taucht die Feder ins Tintenfaß. Nachdem er noch : „Nun, versuchen will ich es wenigstens" gestammelt hatte, machte er sich ans Werk. Was er ge- schrieben hatte, fand Meyerbeer's Zufriedenheit. Der Meister zog einen looo Franc-Schein aus seiner Brieftasche und händigte ihn dem Dichter mit den Worten ein: „Mein Herr, keine Mühe bleibt ohne Lohn. Gestatten Sie mir darum, Ihnen diesen Fetzen Papier als Ihren Autoren- anteil anzubieten und zugleich damit meinen herzlichen Dank für Ihr Erscheinen und Dichten heute Nacht zu verbinden." Zweifellos hat kein anderer Ritt auf dem Pegasus dem Librcttisten 4S8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 31 jemals wieder zu solcher hohen Einnahme ver- holfen." Es ist hier nicht näher angegeben, unter wel- chen Umständen Mayerbeer seinen musikali- schen Einfall hatte, der das Brüsseler Hotel in solche Aufregung brachte, ob während eines längeren Wachliegens im Bett oder im Halbschlummer oder gar im Schlaf selbst. Es ist nämlich eigenartig genug, daß die erlösende künstlerische Inspiration sich gar nicht übermäßig selten mitten im Schlaf oder doch in einem schlafähnlichen Zustand ein- stellt. Von Dichtern, Malern, Bildhauern, Musikern, kurz, von allen Gattungen schaffender Kunstbe- tätigung, nicht minder aber auch von wissenschaft- lichen Forschern sind zahllose Beispiele bekannt, die beweisen, daß fruchtbare schöpferische Ideen sich entweder im Schlaf selbst als Traum oder aber im Augenblick des Erwachens einstellen. Offen- bar kann das ruhende oder durch lange Ruhe ge- kräftigte Gehirn unter gewissen Umständen besser und erfolgreicher arbeiten als bei Tage, und ge- rade für solche (künstlerischen oder wissenschaft- lichen) Probleme, über deren Lösung lange ver- geblich nachgegrübelt worden ist, scheint sich die geistige P>zeugungskraft bei manchen Indivi- duen im Halbschlummer oder im Traum, zumal morgens beim Erwachen, am erfolgreichsten zu betätigen. Typisch in dieser Hinsicht ist eine Selbstschilderung Vincent d'Indy's (Paul Cha- baneux; „Le Subconscient', S. 57 — 57, Paris 1897). ..Manchmal nachdem ich ganze Tage entweder nach der Vollendung eines musikalischen Ge- dankens oder nach dem architektonischen Aufbau eines Musikv^'erkes gesucht hatte, schlief ich ein, während ich aufs lebhafteste an das zu lösende Problem dachte, und morgens, beim Erwachen, hatte ich dann die deutliche, oft freilich nur flüchtige Vision der so lange gesuchten Lösung, und ich mußte dann meine ganze Kraft zu- sammennehmen, um schließlich diese Vision in Wirklichkeit umzusetzen. Auf diese V\'eise sind mir oftmals meine Einfälle gekommen, und zwar nicht die schlechtesten, die ich geschrieben habe." Daß auch im Traum die Phantasie oft mächtig und wunderbar arbeitet, ist allbekannt. Was da- bei an künstlerischen Werten erzeugt wird, er- weist sich in der kritisch-nüchternen Betrachtung des Tagesurteils zumeist als unbedeutend oder wertlos — aber doch keineswegs immer. Und wie vor allem dichterische Einfälle gar nicht selten aus Traumerlebnisscn geboten werden (z. B. Heyses Novellen: „Kleopatra" und „Die Stickerin von Trcviso" oder Roscggers Volksdrama „Am Tage des Gerichts"), so kommen sehr viel seltener auch musikalisch wertvolle Inspirationen dem. träumenden (xehirn. Mozart gab z. B. an, daß er manche kompositorischen F^infälle im Schlaf gehabt habe. Das berühmteste Beispiel dieser Art betrifft aber die in der Musikgeschichte bedeutsame „Teufelssonate" (le trillc du diable) von Tartini, über deren Entstehung der Komponist selber berichtet: „Einmal im April blies ein scharfer Wind durch das halb geschlossene Fenster, meine Augenlider senkten sich, ich glaubte einen Schatten vor mir wahrzunehmen , der sich vor mir aufrichtete: Beelzebub in Person, in der Hand hält er eine Zaubergeige, und er beginnt darauf eine Sonate, ein wundervolles, melan- cholisch schmelzendes Adagio, dann folgt ein Lamentoso und ein schrilles, rasendes Finale." So war die berühmte ,, Teufelssonate" im Traum erfunden, und sogar die verzwickten Violingriffe, die zum Spielen der Sonate erforderlich sind, hatte der Satan dem Komponisten im Schlaf ge- zeigt ! Daß man in solchen Vorkommnissen ehedem übernatürliche Vorgänge erblickte, kann kaum wundernehmen. Tartini war ja wohl schon auf- geklärt genug, daß er den Traum als solchen er- kannte und nicht an den wirklichen Besuch Beelze- bubs glaubte. Ältere Jahrhunderte hätten aber keinen Augenblick daran gezweifelt, daß Satanas in Person die Sonate komponiert und dann Tartini geoffenbart habe, der im Mittelalter sicher beim Bekanntwerden des Erlebnisses einem peinlichen Prozeß wegen des Bundes mit dem Teufel unter- zogen worden wäre. — Häufiger freilich werden fromme Musiker geglaubt haben, ein himmlisches, gütiges Wesen sei es, das ihnen ihre musikalischen Erfindungen eingebe, an denen sie selbst kein Verdienst hätten, und wenn man die oben (S. 484) wiedergegebenen gelegentlichen Äußerungen eines Brahms, Robert P ranz und Rieh. Wagner über das Unbewußte und Triebhafte ihrer künstle- rischen Tätigkeit liest, kann man sich nicht wundern, wenn gläubigere Zeitalter im Schaffensdrang des Komponisten und Dichters das Gnadengeschenk Apollos oder einer Muse, eines Geistes, eines Engels und Gottes selbst erblickten. Die psycho- logische Selbstverständlichkeit dieser Auffassung frommer Gemüter einer naiveren Zeit spiegelt sich am reinsten in dem Bekenntnis Palestrlnas wieder, daß ihm alle seine musikalischen Schöp- fungen von einem Engel eingegeben, „inspiriert" seien. Aber selbst noch ein Haydn war in dem kindlich frommen Glauben, daß seine unsterb- lichen Werke das Gnadengeschenk einer höheren, gütigen Macht seien, derartig befangen, daß er in Zeiten, wo die musikalische Erfindungskraft ihn vorübergehend im Stich ließ, innig zu Gott betete, er möge sie ihm aufs neue verleihen, weil er des Glaubens war, das Versagen seiner Gabe sei eine Strafe (lottes für irgendwelche Vergehen. Diese kurze Übersicht, die noch einer mannig- fachen Erweiterung flihig wäre, gibt ein Bild von der unglaublichen Vielseitigkeit der äußeren Um- stände, unter denen das musikalische Schaffen vor sich geht, und gewährt einen reizvollen Einblick in die Werkstatt des (-leistcs, in der die herrlich- sten und erhabensten Schöpfungen musikalischer Kunst geboren werden. N. F. XIV. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 489 Einzelberichte. Physik. Über das Tyndall- und Christiansen- phänomen. Zuckerlösungen geben wegen der Größe der gelösten Molekeln das Tyndallphä- nomen, aber auch Salzlösungen, sobald man, wie M. Le Blanc angibt (Zeitschr. f. Elektrochem. 19, S. 794—96), eine direkte Beobachtung des gebeugten Lichtes durch ein photographisches Verfahren ersetzt. Aus seinen Untersuchungen über das Tyndallphänomen in Flüssigkeiten fand W. Kangro (Zeitschr. f. physik. Chemie 87, S. 257 — 92), daß Beugungsphänomene verschieden gefärbter Flüssigkeiten direkt miteinander nicht zu vergleichen sind und in kristalloiden Lösungen sich unterscheiden von denjenigen in kolloiden. Bei der Herstellung bestimmter organischer Verbindungen beobachtete F. Bodroux (CR. 156, S. 772 — 74) zuweilen Erscheinungen von gefärbter Diffusion im Innern des Gemisches zweier F'lüssigkeiten, wenn sie wenig ineinander gelöst und beständig bewegt waren. Klar und durchsichtig wird die Mischung bei bestimmter Temperatur und einem gewissen Verhältnis der Raumteile. Sie wird braun, allmählich orange, rot, violett, blau und trübe bei geringer Temperatur- erhöhung; diese Farben erscheinen in umgekehrter Reihenfolge bei Abkühlung des Gemisches. Beide Flüssigkeiten haben den gleichen Brechungsindex für eine bestimmte Farbe; diese wird nicht abgelenkt, während die anderen vielfach diffus zerstreut werden. Dr. Bl. Einige photographische Verfahren. Die Pa- limpsestphotographie umfaßte bisher die Reproduktions- und die Ultraviolettphotographie. Ihr Grundgesetz ist die Identität der vom Planum reflektierten und auf der lichtempfindlichen Schicht wirksamen Strahlen. P. R. Kögel (Kgl. Pr. Akad. d. Wiss. zu Berlin, s. Chemik. Ztg. Bd. 38, S. 1255, i9i4)fandnundieFluorescenzphotographie. Es fluoresciert das Pergament bei ultravioletter Be- leuchtung und der radierte Schriftkörper bleibt fast dunkel. Daguerreotypien stellt man her durch Einlegen von Silberplatten in Joddampf, indem sich diese mit einer lichtempfindlichen Jodsilber- schicht überziehen. Man belichtet sie dann in einer photographischen Kamera oder durch Kon- taktdruck und entwickelt in Quecksilberdampf Dieser setzt auf diesen jodierten und belichteten Silberplatten Quecksilber ab, wodurch das bis dahin latente Bild sichtbar wird. A. Kalähne u. W. Federlin (Ber. d. Dtsch. Phys. Geh. 1914, S. 931) jo- dierten nun versilberte und blank polierte Kupfer- platten, belichteten unter einem photographischen Glasnegativ 10 Min. lang in diffusem Tageslicht und setzten sie dann Cadmiumdämpfen aus. Nach 3 Std. zeigten sich auf der belichteten Platte die ersten Spuren eines Bildes und nach 7 Stunden das ganze Bild. Die Farbe des Niederschlages ist bräunlich, blaugrau ist diejenige des mit Queck- silber erzeugten Niederschlages. Dr. Bl. Einige Erscheinungen beim Durchgang von Absorption, Rotationspolarisation in Flüssig- Röntgenstrahlen durch Körper. Bei Versuchen über die Beugung der Röntgenstrahlen durch dünne Metallfolien beobachtete M. de Broglie, daß jeder Arm der sternförmigen Beugungs- erscheinungen für sich ein Spektrum ist mit den charakteristischen Linien und Banden der Anti- kathode. Nach H. B. K e e n e (Physik. Zeitschr. 14, S. 903—4) geben X-Strahlen nach ihrem Durch- gang durch dünne Metallbleche Bilder mit mehr oder weniger regelmäßig angeordneten Streifen und Flecken ähnlich den an Kristallen beobachteten (Wirkung von Mikrokristallen). Verschieden davon waren diese Fleckenanordnungen an frischgewalzten Metallblechen, welche jenen glichen, sobald man die Bleche hoch erhitzte und dann abkühlte (Philos. Mag. 6, S. 712 — 17). Über die durch die Brechung der Röntgenstrahlen sichtbar werdenden kristallinen Strukturen berichtet G. Fried el (C. r. d. l'Acad. des Sciences 158, S. 130 — 31), derselbe entwickelt Gesetze für die durch Kristalle gebrochenen Röntgen- strahlen (Bull. Soz. frang. Mineral. 36, S. 211 — 52). Der durch homogene X-Strahlen beim Auftreffen auf Metallelektroden erzeugte radioelektrische Effekt ist nach CG. Bedreag (C. r. d. l'Acad. des Sciences 159, S. 169 — 71) in gewisser Beziehung analog dem photoelektrischen Effekt. Die fundamentale Identität von Röntgen- strahlung und Licht ist nach den Resultaten von keiten. Den Einfluß der Moleküle einer optisch- aktiven Substanz auf einen Lichtstrahl, welcher die Lösung derselben passiert, suchten E. T a 1 b o t , Paris, und A. W. Porter zu ermitteln. Sie bestimmten die Drehung einer Rohrzuckerlösung bei 18" unter Anwendung von Bogenlicht und in termittierendem Quecksilberfunkenlicht. Die sehr kleinen Unterschiede der beobachteten Drehungs- winkel lassen aber nicht genau erkennen, ob Licht auf gelöste Rohrzuckermoleküle einen direkten Einfluß ausübt (Philos. Magazine 27, S. 91 — 95). Im ultravioletten Gebiete photographierten und führten polarimetrische Messungen im sichtbaren Spektralgebiet an 20 Derivaten von Verbindungen aus L. T s c h u g a j e w und A. O g o r o d n i k o w (Zeitschr. f. physik. Chemie 85, S. 481 — 510). Sämtliche Verbindungen zeigten selektive Ab- sorption. Die Dispersion von wässerigen Salzlösungen führte LübbenfAnn. d. Physik. 44, S. 977 — loio) im sichtbaren und ultravioletten Gebiet quanti- tativ auf eine einzige ultraviolette Eigenschwingung des Anions zurück. — V. Henri (C R. 158, S. 1892—95, 1914) berechnet an Alkoholen und Kohlenwasserstoffen im Ultraviolett für Kohlen- stoff, Wasserstoff und Sauerstoff Refraktionsäqui- valente. Dr. Bl. 490 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 31 Ch. G. Barkla (Physik. Zeitschr. 15, S. 160 — 62) nicht mehr zu bezweifeln. Durchsetzt ein schmales Bündel harter Röntgen- strahlen eine Kohleschicht (ähnlich ist es bei Schirmen aus Zn, Cu und AI), so wird auf einer photographischen Platte in gerader Richtung ein dunkler von einem Hofe umgebener Fleck er- zeugt und seitwärts ein ähnlicher. Sie entstehen wohl durch Ablenkungen und Beugungen, welche die ausgelösten Eigenstrahlen der Zwischenmedien durch die Atome erfahren. J. Laub (Physik. Zeitschr. 15, S. 140—41). M. deBroglie (C. r. d. l'Acad. des sciences 158, S. 177 — 80 und 180—81) gibt an Photo- graphien eine genaue Beschreibung der X-Strahlen- spektren von Platin und Wolfram. Mit V. A. Lindemann konstruiert er ein Fluorescenz- spektroskop für geradsichtige fluoroskopische Beobachtungen von Röntgenstrahlenspektren. Es ist die Energie der durch Kristalle gestreuten X-Strahlen hinreichend zur Erzeugung eines leuchtenden Fleckes auf einem F'luorescenzschirm. Fällt ein X Strahlenbüiidel nach Durcligang durch Metallbleche auf eine photographische Platte, so entstehen Beugungsbilder. Diese führt H u p ka zurück auf Mikrokristallc, welche durch Fluores- cenzstrahlung der Antikathode zu Resonanz- schwingungen erregt werden. Nach seinen Ver- suchen kommt de Broglie (C. r. d. l'Acad. des sciences 158, S. 333 — 34) zur Annahme, daß das Platin der Antikathode infolge einer Art Doppeleffekt breite Linien emittiert und vom Platinschirm nur ein kleiner „Resonanzteil" ab- sorbiert wird. Mittels der aus Röntgenröhren emittierten Sekundärstrahlen erhielt M. de Broglie (C. r. d. l'Acad. des sciences 158, S. 1493 — 95 und 1785 — 88) das Spektrum der emittierten Strahlen durch photographische Registrierung, und konnte durch Einschalten von Schirmen Schlüsse auf das Ab- sorptionsvermögen ziehen. Die Absorption ent- spricht einer L^mwandlung derjenigen einfallenden Strahlen, welche die charakteristischen fluores- cierende Strahlung zu erzeugen vermögen. Dieses Photographieren der Spektren sekundärer X- Strahlen, die von einer Substanz getroffen emittiert werden, welche selbst von Primärstrahlen getroffen wird, ist ein wichtiges analytisches Mittel. Die so erhaltenen Linien sind fast unabhängig von der Art der chemischen Bindung des Elementes und bei relativ kurzer Exponierung zu gewinnen. Dr. Bl. Botanik. Reizleitung im phototropen Keim- ling. Wie im vorigen Jahre mitgeteilt wurde (s. Naturwiss. Wochenschrift Bd. 13, S. 249) erhielt Boysen -Jensen an Koleoptilen (Keimscheiden) des Piafers, denen er die Spitze abgeschnitten und wiederaufgesetzt hatte, nach einseitiger Beleuch- tung der Spitze eine positiv phototropische Krüm- mung des Basalteils. Der Lichtreiz hatte sich also über die Wunde hinweg nach unten fortge- pflanzt. Arpäd Paäl hat im Botanischen Institut der Universität Leipzig diesen \^ersuch wiederholt und die Angaben bestätigt gefunden. Bei Andro- pogon und Coix erhielt er Krümmungen in der unbelichteten Wachstumszone des Hypokotyls, das durch einen Schnitt von dem dann wieder aufgesetzten und einseitig beleuchteten Koleoptil- teil des Keimlings getrennt worden war. Paäl konnte nun weiter zeigen, daß der phototropische Reiz auch dann weitergeleitet wird, wenn die beiden Schnittflächen durch eine Gelatineschicht voneinander getrennt sind, so daß Plasma mit Plasma bestimmt nicht miteinander in Berührung kommt. (Hierzu wurden 0,05 — 0,1 mm dicke Scheibchen von spanischem Rohr mit einer 10 proz. neutralen Gelatinelösung injiziert und zwischen die Schnittflächen gelegt.) Bei einseitiger Beleuch- tung der Spitze bzw. der Koleoptile trat in dem unbelichteten Basalteil eine positive phototropische Krümmung ein. Das Wesen dieser ,, Reizleitung innerhalb der Gelatineschicht" kann, wie Paäl bemerkt, wohl in nichts anderem als in einer Diffusion von wasserlöslichen Stoffen bestehen, die die Reizübertragung von Schnittfläche zu Schnitt- fläche bewirkt, und der Verf hält es hiernach für wahrscheinlich, daß das Wesen der phototropischen Reizleitung auch durch die lebenden Zellen wenig- stens zum Teil in einer Diffusion bestehe. Einige andere Andeutungen des Verf lassen hoffen, daß die weitere Verfolgung des Gegenstandes neue Aufschlüsse über diese und verwandte Fragen er- geben wird. (Berichte der Deutschen Botanischen Gesellschaft Bd. 32, 1914, S. 503—506.) F. Moewes. Biologie. Von den Lungenschnecken des Süß- wassers (Limnaeidae) verdienen jene ein beson- deres Interesse, welche in großen Tiefen von Seen leben und nicht zum Wasserspiegel aufsteigen können, um dort atmosphärische Luft in ihre Lungenhöhle aufzunehmen, sondern die genötigt sind, ihr Bedürfnis an Sauerstoff dadurch zu decken, daß sie denselben der im Wasser gelösten Luft entnehmen. Da dies auf dem Wege der Diftusion geschieht, und die Verhältnisse dafür um so gün- stiger liegen, je größer die Oberfläche des resor- bierenden Körpers — hier der Blutzellen — im Verliältnis zu seinem Kubikinhalt ist, haben die Atmungsorgane der ständigen Wasserbewohner (Fische, Muscheln, Kopffüßler usw.) die Form der Kieme. Es war um so naheliegender, auch bei jenen Wasserschnecken die Rückkehr zur Kiemen- atmung zu erwarten, da ja weitaus die meisten Schnecken Kiemen als Atmungsorgane besitzen. Daß man solche nicht bei ihnen fand, nahm man vielfach als weiteren Beweis dafür, daß in der phyletischen Entwicklung bei einer Veränderung der Lebensverhältnisse niemals auf frühere, jetzt wieder besser angepaßte, Organisationsverhältnisse zurückgegriffen wird. So werden die Knochenplättchen im Schild der Lederschildkröte (Dermochelys coriacea L.) N. F. XIV. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 491 nicht auf ein Kleinerwerden des ursprünglichen Rückenpanzers der Thecophora zurückgeführt, sondern als neu erworbene Hautverknöcherungen aufgefaßt. Dem Satz: „Natura non facit saltum" reiht sich ein: „Nunquam retrorsum" als ebenfalls allgemein gültig an. Eine bevorzugte Stellung als Atmungsorgan sollte aber die Lungenhöhle deshalb doch ein- nehmen, indem sie Atemwasser regelmäßig durch das Spiraculum ein- und austreten ließe. Wie indes schon Pauly nachwies, spielt die Lungenhöhle der Teichschnecken bei der Atmung gar keine besondere Rolle. Ihr Volumen unter- liegt keiner nennenswerten Veränderung ent- sprechend einem Ein- und Ausatmen. Eine Limnaca stagnalis L. aus dem Flachwasser, welche durch eine Glasscheibe am Aufsteigen zur Luft verhindert war, hielt im Aquarium 9 Monate lang aus. Die gesamte Haut der Körperoberfläche genügte dem Atembedürfnis vollauf V. Siebold sprach sein Erstaunen darüber aus, daß er im Ferchensee, einem nicht sehr um- fangreichen Gewässer, ausgezeichnet durch sein meergrünes, sehr klares Wasser, zahlreiche Lim- naeen auf dem Grund herumkriechen sah, von denen kein einziges Individuum an die Oberfläche stieg, um dort Luft aufzunehmen. Denn in den Gewässern der Ebenen von Berlin, Königsberg und Danzig hatte er oft genug das Auf- und Ab- steigen der Tiere beobachtet. ,,Aber fortgesetzte Untersuchungen", heißt es in B r eh m 's Tierleben, „bestätigten dem Münchener Zoologen, daß im tiefen Bodensee, im seichten Ferchensee, an flachen Stellen des Königsees und in dem schnellfließcn- den Wasser eines Aquädukts bei Reit im Winkel, die der Gattung Limnaea und Planorbis ange- hörenden Lungenschnecken, wie es scheint, gänz- lich verlernt hatten, ihre Lunge als solche zu ge- brauchen, und aufgegeben, dieselbe mit frischer Luft zu füllen". Mit diesen biologischen Beobachtungstatsachen steht völlig in Übereinstimmung der anatomische Befund von VV. Roszkowski an zwei Tiefe n- limnaeen des Genfersees (Contribution ä l'etude des Limnees du lac Leman. avec 4 Plan- ches, Geneve 1914). Im Genfersee, der eine Tiefe bis zu 305 m hat, geht die grüne Flora nicht tiefer als 25 — 30 m, mit Ausnahme eines einzelnen Vorkommens vor Yvoire (bis 60 m); in größeren Tiefen kommen nur noch Faden- und Zellalgen vor. Das Licht dringt nach F. A. Forel bis in eine Tiefe von im Sommer nur 50 m. Die zwei Tiefenformen sind Linmaea profunda Clcss und Lüniiaca abyssi- cola Brot. Was die Eigentümlichkeit anbetrifft, daß die Tiefenlimnaeen zum Atemholen nicht aufzusteigen brauchen, so ist auch bei ihnen das Bedürfnis nach Atemsauerstoff bei der niedrigen Temperatur des Tiefenwassers, in dem sie leben, viel geringer als bei den Uferlimnaeen. Letztere kommen auch nur im Sommer an die Oberfläche, während sie den ganzen Winter über im Wasser bleiben und ihnen die Hautatmung genügt. Aus dem Vorhandensein von Wasser in dem Lungensack kann man durch- aus nicht den Schluß ziehen, dieser diene als Atmungsorgan, da dies ja auch bei den Jungen der Uferformen der Fall ist. Wurden die Tiefen- limnaeen im Aquarium in Wasser von höherer Temperatur gebracht, ihr Atembedürfnis also ge- steigert und ihnen zugleich die Gelegenheit ge- boten, es durch Aufnahme von Luft zu befrie- digen, so zögerten sie nicht, zum Wasserspiegel aufzusteigen und das Spiraculum zu öfl'nen. Auch die anderen Unterschiede von den L'fer- formen erklären sich aus den Eigentümlichkeiten des Mediums. Das Auge kann offenbar als Seh- organ nicht in Betracht kommen, da nach F. A. Forel das Sonnenlicht selbst im Winter nur un- gefähr bis 100 m eindringt, während im Sommer die Grenze schon bei 50 m liegt. Um so merk- würdiger scheint es, daß das Auge nicht rück- gebildet ist, vielleicht anderen Sinneswahrnehmun- gen dient, als der Lichiperseption. Nach den Untersuchungen von Prof. Yung (Genf) an der Weinbergschnecke handelt es sich ja beim Auge der Pulmonaten überhaupt um kein Sehorgan. Die Vermehrung der Tiefenlimnaeen scheint nicht an eine bestimmte Jahreszeit gebunden zu sein; neben eierstrotzenden Individuen findet man auch vollständig leere. Die Zahl der Eier eines Laichs ist sehr gering, nur 2 — 18 Stück; vielleicht hängt dies mit der geringen Größe des Mutter- tiers zusammen. Die Eier werden bald in einer Gallerthülle eingeschlossen als Laich an die Unter- lage angeklebt, bald liegen sie einzeln auf dem Grund des Gewässers. Da R. dieses verschiedene Verhalten auch bei einer Uferschnecke, Linuiaea tniiicatiila Aliill. in einem Wasserbecken in der LImgebung von Lausanne beobachtete, scheint es sich um eine Zufälligkeit zu handeln, und die verschiedene Art davon abzuhängen, wo sich das Tier im Augenblick der Eiablage gerade befindet. Die Entwicklung scheint dieselbe Zeit (9 Monate bis zur Geschlechtsreife) zu beanspruchen, wie bei den Uferlimnaeen. Schon bei jenen Stücken von Limnaea stag- nalis L., welche im stillen Wasser leben, das durch die Vegetation, durch Uferbauten usw. gegen den Wellenschlag geschützt ist, wird die Schalenspindel länger; an Küstenpunkten dagegen, wo starker Wellenschlag herrscht, ist Limnaea var. palustris Stud., zu Hause, eine Form von gedrungenem Bau und mit kurzer Spindel. Auch ist bei ihr die Schalenmündung erweitert, so daß sich die Schnecke mit einem größeren Teil der Fußsohle anheften und dem Wellenschlag standhalten kann. Linniaca auriciilaria L. ist durch L. ova/a Drap. in der Tiefe vertreten. Das auffallendste i\Ierk- mal bezieht sich auf die Verlängerung der Schale. Am ausgesprochensten ist die Verlängerung der Schalenspindel, besonders bei ff^cVA Y/iiigi Piagc/, weniger bei abcrr. Forcli Clcss. Zugleich ist die Schale sehr dünn und fast durchsichtig. 492 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 31 Die Ursache für die Verlängerung der Schalen bei den Tiefenlimnaeen dürfte in der Fortbewegung auf dem modderigen Grund zu suchen sein, welcher der Fußsohle keine feste Unterlage zur Anheftung bietet. Dementsprechend wird der Fuß und mit ihm der IMantel und die Schale größer. Um zu prüfen, inwieweit sich die Eigenschaften der Tiefenformen vererben, welche offenbar in An- passung an das Medium entstanden sind, züchtete R. wiederholt L. orata var. profunda und L. fahisfris var. abyssicola im Aquarium. Gewisse Schwierig- keiten machte es dabei, das Wasser auf der ent- sprechenden niederen Temperatur zu halten. Bei 18'^' — 20" C gingen alle Tiere bald zugrunde. Bei jung aufgezogenen Tiefenlimnaeen änderten sich die mor- phologischen Charaktere nicht bemerkenswert, wie schon Forel fand. Anders, wenn sie, noch in der Eischale eingeschlossen, gefischt und dann mehrere Generationen hindurch im Aquarium aufgezogen wurden. Im August 191 1 wurde in 100 m Tiefe vor Ouchy die i'ar. profunda abcrr. Yungi gesammelt. Mit einigen Zweigen von Elodea wurden die am folgenden Tag abgelegten Eier in ein Aquarium gebracht. Nach einem Monat krochen die Jungen aus, und schon nach einigen Wochen zeigten sich deutliche Unterschiede von der elterlichen Art. Eine zweite Generation schlug in P'orm, Dicke und Färbung der Schale auf die Litoralform von ovata zurück. Also hatte eine einzige Generation genügt, um die Rückkehr zur Stammform herbei- zuführen. Zwischen den Uferformen und den Tiefen- formen der Limnaeen besteht im allgemeinen eine scharfe Grenze. Zwischenformen fehlen. Es stimmt dies gut überein mit der Auffassung, nach welcher die letzteren Anpassungsformen sind in- bezug auf die Ernährung (geringe Körpergröße) und die Fortbewegung auf dem modderigen Grund (Verlängerung der Schalenspindel) ; denn die untere Grenze der grünen Flora und der Beginn des Moddergrunds ist gleichfalls scharf. Eine ausführliche Besprechung widmet R. der l'Vage von der Herkunft der Tiefenlimnaeen und entscheidet sich dafür, daß sie von Uferformen abstammen. Die Umwandlung geschieht fort- während. Die meisten Schnecken der Litoral- zone gehen zwar zugrunde, wenn sie unter die ungünstigen Lebensverhältnisse in der Tiefe ge- raten und sie vermögen sich nur während einiger Generationen zu halten. Die Tiefenlimnaeen des Genfersees sind also „Kümmerformen" im Sinne I''. A. Forel's. Dieser sagt, wenn der Genfer- sce schon vor der Eiszeit existiert und in seiner Tiefe eine Fauna gehabt hätte, so wäre diese beim lunrücken der GletscJier zugrunde gegangen, so daß wir also eine Entstehung erst nach der Eiszeit annehmen müßten. Es fragt sich nur, ob die lünwandcrung mit der Eiszeit ihren Abschluß fand oder noch andauert. Indem R. F. A. Forel folgt, nimmt er ein ständiges Vor- dringen der Uferformen in die Tiefe an. Zur Rassenbildung konnte es indes bei dem jedes- maligen Aussterben der Eindringlinge nach wenigen Generationen nicht kommen. Damit würde auch die geographische Verbreitung gut übereinstimmen, denn die Tiefenfauna wird nur dort angetroffen, wo eine Lebewelt der Uferzone reich entwickelt ist. Auffallen könnte es vielleicht, daß von den 4 Arten Uferlimnaeen nur 2 Tiefenformen liefern, L. ovata Drap, und L. palus/ris ]\Iüll. Die Gründe dafür kann man in der Biologie der beiden Arten finden. Die Uferform von L. ovata lebt dort, wo Bäche in den See münden, kann also leicht mit in die Tiefe gerissen werden. L. palustris aber hat eine schwach entwickelte Haftsohle, kann also ebenfalls leicht durch das Wasser entführt werden. Dazu kommt ihre große Anpassungsfähigkeit an verschiedene Temperaturen. Nach Simroth ist sie sowohl in Afrika verbreitet, als auch in den Ländern rings um den Nordpol. Ihre Eurythermie läßt sie also besonders geeignet erscheinen, sich dem kühleren Wasser der Tiefe anzupassen. Für L. ovata gilt das gleiche. Sie wurde gefunden in warmen Quellen Italiens, sowie in den kalten Quellen und den Sturzbächen der Alpen. Dem- gegenüber sind L.sfagnalis L. und L.auricularia L., von denen keine Tiefenformen entstehen, gegen niedere Temperaturen sehr empfindlich. Unter der Voraussetzung der Einwanderung von Ufer- limnaeen in die Tiefe wird auch das Seltener- werden nach dem Grunde hin verständlich, sowie der Umstand, daß L. abyssicola zwischen 1870 und 1S75 häufiger war als in der Gegenwart, weil damals noch mehr Altwässer und Verbindungen zwischen dem See und den Sümpfen in seiner Umgebung bestanden. Nach dem Baseler Zoologen F. Zschokke dagegen sind die Tiefenformen Relikte aus der Eiszeit, welche sich beim Steigen der Temperatur in die kühlere Tiefe der Seebecken zurückgezogen hätten. „Späteren und ausgedehnteren Nachforschungen bleibt es vorbehalten zu entscheiden, welcher der beiden Theorien über den Ursprung der Tiefen- mollusken und die Bedeutung der „Kümmer- formen" der Vorzug zu geben sei. Fast möchte mir scheinen , daß beide nebeneinander bestehen bleiben können und jede für die Deutung ge- wisser Spezialfälle zu verwenden ist. Es wäre wohl denkbar, daß gewisse Tiefenpisidien (z. B. P. furrli) Eiszeittiere sind, andere dagegen ihre Entstehung sekundär litoralen, besser entwickelten Vorfahren verdanken. Es wird auch zu entschei- den sein, welche Hypothese besser auf die Lim- naeen der Tiefsee angewendet werden kann. Auch sie erscheinen profund in „Kümmerformen", welche im habitus mit hochalpinen Vertretern der Gruppe manche Analogie zeigen." Bis jetzt konnte das Vorkommen von Tiefen- limnaeen noch in folgenden Alpenseen festgestellt werden: See von Annecy, Neuenburg, Lugano, Como, Walichstadt, Zuger- und Bodensee. Merk- N. F. XIV. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 493 würdigerweise fehlen sie dagegen im Züricher- see_ Kathariner. Nach den Untersuchungen von G. Bierbaum an 26, 12 Familien angehörenden Tiefseefischarten weist das membranöse Labyrinth zwar eine große Zahl von Formverschiedenheiten auf, wie solche auch bei oberflächlich lebenden Arten bekannt geworden sind, aber keine, die mit Sicherheit auf das Leben in der Tiefe zurückgeführt werden könnte. Bei einigen Arten ist der Sacculus „von nahezu abenteuerlichen Dimensionen", bei anderen so klein, daß der Utriculus mit seinen Bogen- gängen ganz bedeuiend überwiegt, während bei Stxloplitliabnus eine Grenze zwischen beiden Ab- teilungen fehlt; sie stehen hier in weiter Verbin- dung untereinander und die Bogengänge sind kurz, aber verhältnismäßig weit. Auch diese selbst zeigen mannigfache Verschiedenheiten in Länge, Krümmung, Weite der Lichtung und selbst in der Richtung. Der Ductus endolymphaticus wurde bei manchen Arten vermißt, doch ist der Verf geneigt, hierfür mangelhafte Erhaltung der Objekte verantwortlich zu machen. Der interessanteste Fund ist wohl das Fehlen der Lagena bei einigen Stomiatiden und Sternoptychiden, eine Tatsache, die für Cyclothone, einen Tiefseefisch, aber auch für Oiimaera nwvstrüsa bereits bekannt war. Bei den Tiefseefischen, denen die Lagena fehlt, findet sich im Sacculus nur eine zusammenhängende Macula und nur ein Otolith, den man dem Oto- lithen des Sacculus anderer Fische, also der Sagitta gleichsetzen muß; von einer Doppelfunktion dieser Stelle kann nicht die Rede sein. Für die Syste- matik der Fische hat sich die vollkommene Be- deutungslosigkeit des Labyrinthes ergeben, da innerhalb der Familien ganze Organteile fehlen oder vorhanden sein können (Zeitschr. f. wiss. Zool. CXI. 1914). Brn. Anthropologie. Die Toda in den Nilgiribergen der indischen Präsidentschaft Madras ') haben so- wohl wegen gewisser sozialer Einrichtungen wie wegen der zwischen ihnen und den ihnen benach- barten Dravidastämmen und Kasten bestehenden körperlichen Unterschiede die Aufmerksamkeit der Reisenden und Forscher auf sich gezogen. Der kräftige und ebenmäßige Körperbau der Toda, besonders aber ihre hohen geraden oder etwas gebogenen Nasen, ihre relativ helle Hautfarbe und ihre togaartigen Gewänder sind von einigen Reisenden als Anzeichen dafür genommen worden, daß es sich hier um Nachkommen römischer Kolonisten handelt. Von anderer Seite wieder wurden die Toda als Reste der verloren gegange- nen Hebräerstämme betrachtet. Beide Annahmen sind sicher unrichtig. Die Toda sind vielmehr ein Zweig der Dravidarasse , die verschiedene lokale Varietäten aufweist. Th urston fand, daß die Körpergröße der Todamänner zwischen 158 und 187 cm schwankt und im Durchschnitt 170 cm beträgt. Bei den Frauen sind die Extreme 145 und 170 cm, der Durchschnitt ist bei ihnen 155. Der Kopfindex (Breite in Prozenten der Länge) bewegt sich bei den Männern zwischen 68,7 und 81,3; am häufig- Abb. I. Toda- Mann (nach Edgar Th urston). ') Literatur: Aus Fedor Jagor's Nachlaß; Berlin 1914. — W. H. Rivers, The Todas; London 1906. — Edgar Thurston, Gastes and Tribes of Southern India, Band 7, Madras 1909. Abb. 2. Toda-Frau (nach Edgar Thurston). sten sind Indices von 74 und 73. Der Nasenindex schwankt zwischen 70 und 79,9 (Durchschnitt 74,9). Die Hautfarbe ist hell kaffeebraun und bei den weiblichen Personen heller als bei den Män- nern. Bei Kindern und Frauen hat die Hautfarbe oft einen kupferroten Unterton. Von der ziemlich hellen Haut sticht das tiefschwarze lockige Haar stark ab. Sowohl Männer wie Frauen haben sehr reichliches Kopfhaar. Die Männer sind auch 494 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 31 durcli ungemein üppigen Bartwuchs ausgezeichnet, wie er sonst im Nilgirigebiet nicht zu beobachten ist. Dicht behaart sind gewöhnlich ferner Brust und Bauch und die Ränder der Schulterblätter; an den übrigen Teilen des Rückens ist die Be- haarung mäßiger. An den Streckseiten der Arme und an den Beinen fällt ebenfalls reichlicher Ter- minalhaarwuchs auf. Die Augenbrauen sind über der Nase zusammengewachsen und die äußeren Ränder der Ohrmuscheln sind dicht mit straften Haaren besetzt. Diese übermäßige Terminalhaar- entwicklung bei den Todamännern erinnert an die gleiche Erscheinung bei den Aino der nördlichen japanischen Inseln. Auch sonst scheint zwischen ihnen viel Körperähnlichkeit zu bestehen. Bemerkenswert sind die stark hervortretenden Überaugenwülste. Die weiblichen Personen sind oft grobknochig. Im allgemeinen sehen sie zwar in der Jugend gut aus, doch verfallen und altern sie sehr rasch, was auch von anderen primitiven farbigen Rassen schon berichtet wurde. Bei den Toda werden die Frauen durch Arbeiten nicht gerade überan- strengt, da die IVIänner fast alle mit der Viehzucht zusammenhängenden Arbeiten verrichten und Bodenbau auch nicht im bescheidensten Umfange betrieben wird. Alle pflanzlichen Nahrungsmittel, die nicht wild wachsen, werden von den Nachbarn eingehandelt. Für die körperliche Entwicklung der Todafrauen ungemein nachteilig ist die allge- mein verbreitete Kinderehe wie nicht minder der bei diesen IVIenschen noch bestehende Brauch der Polyandrie. Dr. Rivers sagt, wenn ein IVIädchen mit einem Knaben verheiratet wird, so gilt sie zu- gleich als Gattin aller Brüder des Knaben. Nur in wenigen Fällen sind die gemeinsamen Ehe- gatten nicht Brüder. Bei der fraternalen Polyandrie wird in der Regel der älteste der Brüder als Vater aller Kinder betrachtet , in anderen Phallen scheint einer der Ehegatten freiwillig die recht- liche Vaterschaft zu übernehmen. Zurückgeführt wird die Polyandrie auf den Brauch der Tötung neugeborener IVIädchen, der noch immer nicht ganz beseitigt ist. Meist wurde nur das erstge- borene Mädchen einer P'amilie am Leben gelassen, alle anderen wurden erstickt. Knaben wurden dagegen nie absichtlich getötet. Die Leute selbst geben ihre frühere Armut als Ursache der Mäd- chentötung an. Allerdings gibt es unter viel ärm- licheren Verhältnissen lebende Völker, die sich durch ihre Armut niemals zum Kindermord ver- leiten ließen. Gegenwärtig sind die Toda sogar verhältnismäßig wohlhabend. Die Kinderzahl ist gering und eine Volksvermehrung findet wahr- scheinlich nicht statt. H. Fehlintjer. Anregungen und Antworten, Herrn Prof. A. Rettich, SluUgart. Über die Lebensdauer unserer Geschütze eignen sich vielleicht die folgenden Notizen zu einer allgemeinen Orientierung, die einem vor kurzem in der ,, Internationalen Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik"') Jahrg. 9, Heft 10 erschienenen Aufsatz von Karl Bahn (Die Steilfeuergeschütze der Belagerungsartillerie) ent- nommen sind. Die .Abnutzung der Rohre geht nicht in erster Linie auf die Reibung des Geschosses an den inneren Wänden des Rohres zurück, sondern vielmehr auf die Ausbrennung des Stahles im Laderaum und am Übergangskegel. Die Verbren- nungswärme des Nitroglyzerinpulvers ist höher als die Schmelz- temperatur des Stahles (2S00" gegen 1400"). .Außerdem dringt die Stichflamme der Ladung zwischen Seelenwand und Geschoß- boden mit sehr großer Gewalt ein und wirkt rein mechanisch zerstörend. Wenn einmal durch beide Momente in der spiegel- glatten inneren Oberfläche der Rohre partielle Schäden ent- standen sind, so werden diese der Ausgangspunkt für weitere Zerstörungen, so daß schließlich tiefe, mit der Seelenachse parallel laufende Killen in den Stahl gefressen werden. Solche Zerstörungen, die naturgemäß bald das Rohr unbrauchbar machen , treten eher bei den langen , mit starken Ladungen gespeisten Kanonen auf als bei den kurzrohrigen Mörsern und Haubitzen, die eine kleinere Ladung benöligen. Allgemein nimmt die Abnutzung mit dem Kaliber zu. „Einzelne h'eld- kanonenrohre waren noch nach 6000 Schuß brauchbar, für die schweren Kanonenrohre werden durchschnittlich 100 Schuß angenommen. Die neuen englischen Schiffsgeschütze von 34 und 38 cm sollen sogar nur 80, die Krupp'schen dagegen 250 aushalten. Die Haubitzen haben eine wesentlich längere Lebensdauer und werden den Krieg schon überdauern." (G. C.) Miehe. Eine einfache Anordnung zur Ultramikroskopie. Seit 11. Sieden topf sein geniales Spaltmikroskop einführte und damit das Bereich der Ültramikronen erschloß, sind eine Reihe ') Verlag von B. G. Teubner. neuer Einrichtungen für ultramikroskopische Untersuchungen erfunden, die vielleicht jetzt schon die Höhe des überhaupt Erreichbaren darstellen. So vor allen Dingen die nach Siedentopf's eigenen .Angaben von Zeiß hergestellten Paraboloid- und Kardioidkondensatoren. Leider sind aber alle ultramikroskopischen Apparate doch erheblich teurer, wenigstens für den Privatmann, und blieb deshalb die Ultramikroskopie nur einem verhältnismäßig kleinen Kreis zugänglich. Diese sehr bedauerliche Beschränkung veranlaßte mich , eine einfache ultramikroskopische An- ordnung zu treffen, die durch ihre Billigkeit allen Kreisen zu- gänglich sein soll. Sie ist zwar optisch nicht vollkommen, eignet sich aber für Lehr- und Demonstrationszwecke und viele praktische Ultrastudien. Bekanntlich beruht die Ultra- mikroskopie auf vollkommener Ausnutzung der Dunkelfeld- beleuchtung; es ist daher nicht jede Dunkelfeldbeleuchtung zur Ultramikroskopie geeignet (z. B. sind die Abbiendung im Immersionskondensor durch Sternblende , die Abbiendung im Mikroobjektiv und die Beleuchtung durch die Mehrzahl der Spiegelkondensoren ungeeignet). Man erreicht die Dunkel- feldbeleuchtung durch Beleuchtung mit Strahlen höherer Apertur als die welche die .Abbildung zustande bringen (Ab- biendung in Kondensoren), durch Beleuchtung mit Stralilen geringerer Apertur und Abbildung mit höherer Apertur (Ab- biendung im Objektiv) durch einseitig schiefe Beleuchtung, also ebenfalls Beleuchtung mit größerer Apertur (Prismen- methode von Mouton, Seddig, Scheffer usw.) und die schon eingangs erwähnte Spaltmethode von Siedentopf und Zsigmondy. Die nachstehend beschriebene Einrichtung ist ein Mittelding zwischen den zulctztgenannten Methoden, ihr liegt die einseitig schiefe Beleuchtung sowie eine Art Spalt- bcleuchtung zugrunde; die Beleuchtungsstrahlen (Sonne oder Bogenlampe) treffen von der Seile (.Abb. l) durch eine Sammellinse konzentriert auf die zwischen Objektträger und Deckglas liegende Präparatenschicht. Der Objektträger ist von R.auchglas und der Rand des Deckglases schwarz lackiert, so daß den Lichtstrahlen nur der geringe Abstand zwischen Deckglas und Objektträger (also ein Spalt !) zur Beleuchtung des Objektes bleibt. Ein Teil der Lichtstrahlen triftt auch noch streifend die obere Seite des Deckglases und erzeugt N. F. XIV. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 49S durch Totalreflektion in der Präparatenschicht ebenfalls Dunkel- feldbeleuchtung (in der Abbildung gestrichelt angedeutet). Durch Benutzung eines besonderen Deckglases mit einem er- höhten Rand läßt sich dieser Bcleuchtungsanteil aber aus- schalten ; zu diesem Zweck ist ein, in der Höhe dem Objektiv- abstande entsprechender Ring von Rauchglas auf das Deckglas mit schwarz gefärbten Kanadabalsam oder schwarzem Deck- glaslack gekittet. Als Beleuchtungslinse dient eine einfache Sammellinse aus Brillenglas mit einer Brennweite von ca. 50 mm. Die Bcleuchtungsanordnung muß so geschehen, daß die optische Achse von Lichtquelle und Kondensor senkrecht zur optischen Achse des Mikroskopes steht. Die Bcleuchtungs- achse muß zwischen Deckglas und Objektträger liegen. Der Brennpunkt der Brillenglaslinse muß möglichst in der Achse des Mikroskopes und in der Präparatenschicht liegen. Diese Bedingungen sind bei einer so einfachen Apparatur leicht zu erfüllen. Benutzt man die Sonne als Lichtciuelle, so muß das Mikroskop ein ncigbares Stativ besitzen und die Sammel- linse in der Höhe und um ihre Querachse verstellbar sein. Fig. I. Objektträger aus Rauchglas, Deckgläschen mit lackiertem Rand, sowie Randerhöhung aus Rauchglas werden auf meine Veranlassung bei der Firma E. Leitz-Wetzlar angefertigt. Bei der Aufstellung der Einrichtung ist selbsverständlich die Be- leuchtung mit durchfallendem Licht auszuschalten ; jedoch ist ein rascher Wechsel beider Beleuchtungsartcn möglich, was oft von Vorteil sein kann. Die neue ultramikroskopische Anordnung gestattet in weitgehendster Weise Untersuchungen von Flüssigkeiten auf Ultramikronen, Studien der Brown'schen Molekularbewegung; auch Lichtreaktionen der Ultramikronen sind zu beobachten. Als Dunkelfeldbeleuchlung für mikroskopische Verwendung ist sie jedoch, wegen des entstehenden Azimutfehlers, ebenso- wenig geeignet wie alle anderen Anordnungen mit seitlicher Beleuchtung; höchstens noch zur schnellen Orientierung bei Plankton usw. Es ist aus diesem Grunde eine quantitative Untersuchung auch bei Ultramikronen ausgeschlossen; dieser Fehler wird aber ihren Verwendungszweck, die Ultramikro- skopie allen Besitzern eines Mikroskopes zugänglich zu machen, nicht hindern; exakten Untersuchungen bleiben die alten In- strumente stets vorbehalten, es ist aber leicht möglich, daß angeregt durch meine Vorrichtung, das Interesse für die Ultra- mikroskopie weitgehendst geweckt wird und gerade die teueren vollkommenen Apparate größeie Verbreitung finden; dann wäre der Zweck meiner bescheidenen Arbeit erreicht. Eine kurze Anweisung zur Reinigung des Objektträgers und Deckglases möchte ich an dieser Stelle noch geben, da nur völlig staub- und kratzerfreies Glas eine brauchbare Ultra- beleuchtung gibt. Der Objektträger wird nach dem von Siedentopf gegebenen nassen Verfahren gereinigt (Verhandl. d. deutsch. Phys. Ges. Xll, Nr. I. S. 10/12). Zunächst wird der Objektträger mit Wasser und Alkohol und Abreiben mit Reispapier sauber geputzt; die dann noch vorhandenen Staub- teilchen werden mit einem Pinsel entfernt. Nun legt man den Objektträger an einer Platindrahtschlinge befestigt einige I\Ii- nuten in ein stark erhitztes Gemisch von konzentrierter Schwefel- und Chromsäure. Dann wird unter einer Wasserleitung gründ- lich abgespült, mit staubfreiem destilliertem Wasser nachge- spült, und mit staubfreiem Alkohol das Wasser verdrängt. Wasser und Alkohol dürfen im Tyndallkegel keine leuchten- den Punkte mehr zeigen, nur einen schwachen weißlichen bzw. bläulichen Schein; eventuell müssen die Flüssigkeiten noch- mals destilliert werden; will man dies umgehen, so schöpft man mit einer reinen Pipette vorsichtig aus einer Höhe die etwa '/s der Flüssigkeitsschicht entspricht, von dieser ab, nament- lich wenn die Flaschen längere Zeit (tagelang) ruhig gestanden haben, hat sich der Staubanteil in die unteren Schichten abgesetzt; auch Filtration durch ein gehärtetes Filter (Schleicher & Schüll) gibt brauchbare Lösungen. Nach der Reinigung wird der Objekt- träger sofort vor Staub geschützt unter einer Glasglocke auf- bewahrt. Das Deckglas bzw. die Deckglaskammer dürfen nicht in dieser Weise gereinigt werden, da dann die Kitt- und Lackflächen zerstört werden. Die Reinigung darf nur mit destilliertem Wasser durch Abputzen mit Reispapier und Ab- stauben mit einem Pinsel geschehen. Die letzten Staubteilchen entfernt man durch Auftropfen von Kollodium, das man sich auf den Oberflächen ausbreiten und trocknen läßt; vor dem Gebrauch wird dann die Kollodiumschicht mit einem Messer oder Präpariernadel abgezogen ; die nicht durch die vorherige Reinigung entfernten Unreinigkeiten sind dann an der Kollo- diumhaut angeklebt. 'Auf diese Weise läßt sich auch der Objektträger reinigen; gebraucht man denselben nicht unmittelbar nach der nassen Reinigung, so überzieht man ihn ebenfalls zum Schutz mit Kollodium. Es ist wohl selbstverständlich, daß die zur Beobachtung kommenden Flüssigkeiten ebenfalls von Staub völlig frei sein müssen. Staubreine Chemikalien sind im Handel nicht er- hältlich ; am geeignetsten erwiesen sich noch die Reagentien von S. L. Riedel A.-G. Berlin-Britz, wenn dieselben nochmals durch gehärtete Filter filtriert wurden. Die Aulbewahrung geschieht in Flaschen aus Apparatenglas; da nun leicht Staub und andere Verunreinigungen durch Benutzung von Stöpsel- fiaschen in die Lösungen geraten können, und zwar durch Abreiben von Glassplittern an den Schlifflächen , so habe ich eine besondere Flasche für ultramikroskopische Reagentien erdacht, welche die genannten Schädigungen ausschließt. Aus der Abbildung ist dies ohne weiteres zu ersehen; der Ver- schluß ist eine Glasglocke mit eingeschmolzener Pipette. Die gegebene Form gestattet eine leichte Reinigung; die Flasche selbst ist aus Jenaer Glas und ebenfalls von E. Leitz zu beziehen. Gustav Blunck-Mirow. Wetter-Monatsübersicht. Außerordentlicher Reichtum an Sonnenschein und eine ganz ungewöhnliche Trockenheit waren die hauptsächlichsten Merkmale des vergangenen Juni. Sehr auffallend waren aber auch die scliarfen Temperaturgegensätze , die während seines Verlaufes in den meisten Gegenden Deutschlands zur Ausbil- dung gelangten. Zu Beginn des Monats kamen besonders im mittleren Norddeutschland zahlreiche Nachtfröste vor, durch die z. B. in der Provinz Brandenburg Kartoffeln, Bühnen und Gurken stark geschädigt wurden. Auch in den Tages- stunden war es verhältnismäßig kühl. Seit dem 7. aber trat im Westen und Süden bei schwachen südöstlichen Winden und nahezu wolkenlosem Himmel ungewöhnliche Hitze ein, die sich allmählich weiter nordostwärts fortpflanzte. Am g. oder 10. stieg das Thermometer in Hannover, Magdeburg, Berlin, Frankfurt a. O. und vielen anderen Orten bis auf 35 Grad C. Die mittlere Tagestemperatur des 10. Juni, die sich im Norden der Stadt Berlin zu 29,1" C ergab, stimmte 496 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 31 mit der des 2 1. Juli 1865, des allerwärmsten Tages aus der bis zum Jahre 1S4S zurückreichenden Reihe gleichartiger Hcr- liner Temperaturmessungen fast überein. Tcmuicrafur^Sßaxima einiacr ©rfc imöuni 1915. "Tleufafip k:-4^^i"- ^Berlin. T /^^ S ^''''''^|^V^.V^ /• -^V .-"""N — iTN""""^' BerlinerWerierbupeau. Noch vor Mitte des Monats erhoben sich frische Nord- westwinde und führten in ganz Deutschland eine merkliche Abkühlung herbei und dann wechselten längere Zeit hindurch mäßig warme Tage und außerordentlich kühle Nächte regel- mäßig miteinander ab. Noch am 15. und 18. traten in ver- schiedenen Geg;enden Nordwest- und Mitteldeutschlands leichte Nachtfröste auf, zwischen dem 23. und 25. wurden wiederum an vielen Orten 30° C erreicht und ein wenig über- schritten. Im Monatsmittel wurden die normalen Temperaturen an der östlichen Ostseeküste nur um wenige Zehntel, in den meisten übrigen Landesteilen aber um I '/a bis 2 Grad über- troffen. Noch bedeutender war der Überschuß an Sonnen- schein ; beispielsweise hat in Berlin die Sonne im letzten Juni an nicht weniger als 329 Stunden geschienen, während hier im Mittel der früheren Junimonale nur 243 Sonnenschein- stunden verzeichnet worden sind. Das schon seit dem 21. Mai besonders im nordwestlichen Binnenlande fast ununterbrochen herrschende trockene Wetter setzte sich beinahe in ganz Deutschland bis zum 8. Juni fort. Am Abend des 8. brachen an der linken Rheinseite Gewitter aus, die sich in den nächsten Tagen öfter wiederholten und allmählich nach Norden und Osten weiterverbreiteten. Sie waren im allgemeinen von geringen, an mehreren Stellen je- doch von bedeutenden Regenmengen begleitet; so fielen vom g. bis 10. früh in Aachen 28 , vom 10. bis 11. in Worms 44, vom II. bis 12. in Meiningen 32, in Tegernsee 46 mm Regen. Zwischen dem 16. und 25. Juni war das Wetter abermals, namentlich in Nordost- und Mitteldeutschland, weit überwiegend trocken. An der Nordseeküste, in Süddeutschland sowie im ganzen Rheingebicte kamen in dieser Zeit wiederholte Gewitter- regen vor, die an Stärke allmählich zunahmen, sich aber nur sehr langsam weiter ostwärts fortpflanzten. Erst am 26. Juni erreichte die herrschende Dürre auf dem Gebiete zwischen der mittleren Elbe und Weichsel , gegen Ende des Monats Hicdfcrcfc^fa^^^ö^n im Suni 1915. " cp /WitriererWerrfiir Deufschlatid. ^onsfssummeimJuni i.lf.13. 12.11. 10. Beplincr WetTerbureiu. auch im östlichen Ostseegebiete ihr Ende. Die Niederschlags- summe des Juni belief sich für den Durchschnitt aller berich- tenden Stationen auf 35,2 mm, wogegen die gleichen Stationen im Mittel der Junimonate seit dem Jahre 189 1 67,0 mm Nie- derschläge geliefert haben ; in keinem der 24 früheren Juni- monate ist so wenig Regen wie diesmal gefallen. Die allgemeine Anordnung des Luftdruckes in Europa war verhältnismäßig einfach. In der ersten Zeit wanderten mehrere barometrische Maxima von Westen durch Mitteleuropa ins Innere Rußlands hin. In Deutschland herrschten dabei meist schwache veränderliche, jedoch immer sehr trockene Winde. Am 10. Juni rückte ein neues Maximum in Begleitung kühlerer Nordwestwinde nach den britischen Inseln vor, von wo es sein Gebiet allmählich weiter ostwärts ausbreitete. Erst nach dem 20. vermochten verschiedene Depressionen, die teils von Westen, teils von Süden her, in das westeuropäische Fest- land eindrangen, daselbst auf die Wittcrungsverhältnisse all- mählich durchgreifenderen Einfluß zu gewinnen. Dr. E. Lefl. Literatur. Abraham, Dr. M. , Theorie der Elektrizität. 2. Band; Elektromagnetische Theorie der Strahlung. 3. Aufl. Mit 1 1 Abb. im Text. Leipzig und Berlin '14, B. G. Teubner. Geb. II M. Die Kultur der Gegenwart. Band : l'hysik. Unter Re- daktion von E Warburg von zahlreichen Autoren bearbeitet. Mit 106 .Abb. im Text. Leipzig u. Berlin '15, B. G. Teubner. Geb. 24 M. Inhalt! .Martin: Über Domeslikationsmerkmale beim Menschen. Hennig; Vom Wesen der musikalischen Inspiration. — Einzelberichte; LeBlanc: Über das Tyndall- und Christiansenphänomen. Talbot, Porter; Absorption, Rotations- polarisition in Flüssigkeiten. Kögel: Einige photographische Verfahren. Broglie; Einige Erscheinungen beim Durch- gang von Röntgenstrahlen durch Körper. A. Paäl; Reizleitung im phototropen Keimling. Pauly, Siebold, Forel; Lungenschnecken des Süßwassers in großen Tiefen. Bierbaum: Tiefseefischarten. Thurston; Die Toda (mit 2 Abbildungen). — Anregungen und Antworten (mit 2 Abbildungen). — Wetter-Monatsübersicht (mit 2 Abbil- dungen). — Literatur: Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. M i e h e in Leipzig, Marienstraße II a, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. eil Keihc 30. Band. Sonntag, den 8. August 1915. Nummer 33. Über die heutige Lage des psychophysischen Parallelismus und der Wechselwirkungstheorie. [Vpchdruck verboteij/ I. Die Aufgabe der folgenden Ausführungen ist, in großen Zügen die heutige Lage des Parallelis- mus und der Wecliselwirkungstheorie vor natur- wissenschaftlich gebildeten oder interessierten Lesern zu zeichnen, vor letzteren deshalb, weil es sich dabei hauptsächlich um naturwissenschaftliche Probleme handelt oder wenigstens um solche auf Grenzgebieten, die von der Naturwissenschaft be- deutungsvoll mitbestimmt sind. Wir verstehen unter Parallelismus und Wechsel- wirkung zwei Prinzipien, die aufgestellt werden, um die Tatsachen und Zusammenhänge des psy- chischen Lebens zu deuten; kurz gesagt: sie sind für uns psychologische Deutungsprinzipien. Das Prinzip des Parallelismus besagt: In den physischen und psychischen Reihen bestehen Verbindungen zweifacher Art — einmal kau- sale Verbindungen, die nur die Glieder derselben Reihe untereinander verknüpfen, fürs zweite zeit- liche Verbindungen, die die Reihen untereinander verknüpfen und zwar so, daß der physischen Reihe a b c d ... die psychische Reihe a ß y d . . . parallel läuft. Das Prinzip der Wechselwir- kung sagt : In den physischen und psychischen Reihen bestehen nur Verbindungen einerlei Art, nämlich nur kausale Verbindungen, die sowohl die Glieder derselben Reihe untereinander wie auch die Reihen miteinander verknüpfen. Wenn man sich diese Charakterisierungen der Prinzipien vor Augen führt, so ist leicht einzusehen, daß sie in engem Zusammenhang mit gewissen allgemeinen Formen von Weltanschauungen stehen, wenigstens für ein nicht sehr kompliziertes Denken. Soll nämlich das eigentümliche Parallelgehen der physischen und der psychischen Reihen nicht eine prästabilierte Harmonie sein, die heute doch wohl schwerlich jemand verteidigen wird und durch die übrigens auch ein unwissenschaftliches Prinzip in die psychologische Wissenschaft eingeführt würde , so ist es nur durch ein Ineinssetzen des Psychischen und Physischen zu verstehen, also durch einen Monismus, mag er nun Materialismus, Voluntarismus, Psychomonismus oder wie immer heißen. Andererseits schließt die Wechselwirkung' gewöhnlich einen Dualismus in sich, d. h. eine Zerlegung der Realitäten in zwei aufeinander nicht reduzierbare Arten; eine Folge davon ist ja eben die Annahme der kausalen Verknüpfung dieser Arten. Nun ist allerdings dieser Zusammenhang der beiden Prinzipien mit den Weltanschauungen kein loys Müller. unbedingt notwendiger Zusammenhang. Es könnte schließlich auch ein Wechselwirkungstheoretiker auf dem metaphysischen Standpunkt zu einem Monismus kommen, und umgekehrt ein Dualist zu einer Art Parallelismus. Aber zweifellos ver- langen derartige Zusammenhänge ein sehr kom- pliziertes Denken. Denn es ist klar, daß Parallelis- mus urid Wechselwirkungslheorie logische und psychologische Motive in sich bergen, die den ersten zum Monismus, die zweite zum Dualismus führen. Und die historische Ausbildung ist denn auch tatsächlich so, daß Parallelismus und Wechsel- wirkungstheorie heute Konsequenzen der Welt- anschauungen des Monismus resp. des Dualismus sind. Unserer Frage nach der heutigen Lage des Parallelismus und der Wechselwirkungstheorie würde sich also zunächst die Allgemeinere sub- stituieren lassen : Ist in der allgemeinen Lage dieser Weltanschauungen heute eine Änderung gegen früher eingetreten? Eine große Änderung nun jedenfalls nicht. Es scheint allerdings, daß der Dualismus heute nicht mehr so einfach als unwissenschaftlich bei- seite geschoben wird, daß er allmählich an Boden gewinnt. Einzelne Momente, die wir nachher be- sprechen, deuten darauf hin. Es ist also nicht so, als ob die aus irgendeiner Quelle entspringende Vorliebe für den Dualismus die Hinneigung zur Wechselwirkungstheorie nach sich ziehe, sondern so, daß einzelne Momente, die für diese Theorie gegen den Parallelismus sprechen, dem Dualismus gewissermaßen den Boden bereiten. Wir sind demnach darauf angewiesen , diese einzelnen Momente, die die Lage geändert haben, zu betrachten. II. Wie finden wir diese Momente vollständig und ordnen sie systematisch ? Wir finden sie offenbar, wenn wir die haupt- sächlichsten allgemeinsten Tatsachengruppen ins Auge fassen, für die unsere beiden Prinzipien als Deutungsprinzipien Geltung haben. Diese Grup- pen sind I. die innige Verbindung des Physischen und Psychischen untereinander, 2. die Unvergleich- lichkeit des Psychischen mit dem Physischen. Wir betrachten nun diese beiden Gruppen, indem wir das Schema unserer ersten P'rage auf sie anwenden. Wenn von diesen beiden Betrach- tungen die erste unverhältnismäßig kürzer und deshalb vielleicht auch unvollkommener gegenüber der zweiten erscheint, so rührt das daher, daß sie 498 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 32 an dieser Stelle in viel strengerem Sinne als die zweite nur eine kleine Auswahl aus dem Einzel- material und den Überlegungen der betreffenden Gebiete geben kann. Unsere nächste Frage lautet also : Hat sich innerhalb der wissenschaftlichen Auffassung und Analyse der Tatsachen, die die erste Gruppe um- faßt, in der neueren Zeit eine Wandlung voll- zogen, die dem einen der beiden Deutungs- prinzipien günstig, dem anderen ungünstig ist? Diese Wandlung hat sich vollzogen, und zwar zugunsten der Wechselwirkungstheorie. Zweifel- los ist unsere Kenntnis der Abhängigkeit des Psychischen vom Physischen, genauer gesagt vom Physiologischen, in erstaunlicher Weise gewachsen. Diese Abhängigkeit war ein Motiv zur Bildung des Parallelismus. Während nun die Erweiterung unserer Kenntnisse nach dieser Richtung hin ge- wiß bei manchem Psychologen den Glauben an das Parallelismusprinzip stärker befestigte, hat da- neben die Erkenntnis der reziproken Abhängigkeit so zugenommen, daß ein Teil der Vertreter einer Wissenschaft heute den Beweis für ein Durch- brochensein der physischen Reihen von den psy- chischen, also für das Prinzip der Wechselwirkung, in Händen zu haben glaubt. Diese Wissenschaft ist die Biologie. Wenn in der Biologie die reine physiko-chemi- sche Erklärung der Erscheinungen einmal ver- lassen und ein supramaterielles Etwas, um es ganz allgemein zu bezeichnen, angenommen wird, tritt hier selbstverständlich das Problem der Psy- chologie auf: Parallelismus oder Wechselwirkung. Nur mit dem einen Unterschied, daß der Weg, der zu der Annahme dieses Etwas geführt hat, ohne weiteres auch schon für eines der Prinzipien entscheidet. Und dieses letztere ist bei einem Teil der heutigen Biologen der Fall, die nicht oder nicht nur die Unmöglichkeit eines physiko- chemischen Verständnisses des Lebens nachweisen, sondern einen lückenlosen physischen Kausal- zusammenhang als nicht existierend dartun wollen. Die in Betracht kommenden Biologen gehen nun hauptsächlich nach zwei Richtungen ausein- ander. Die erste dieser Richtungen bezeichnen wir einfach mit dem Namen D r i e s c h , die zweite ist der Psychovitalismus. Wir betrachten kurz die beiden Richtungen gesondert. A. Zu der ersten gehören außer Driesch natürlich noch manche andere Forscher. Weil aber erst Driesch den Vitalismus so ausgebildet hat, daß er naturwissenschaftlich diskutierbar wurde, schenken wir ilim hier allein unsere Auf- merksamkeit. Driesch denkt bei den hier in Betracht kom- menden Punkten, wie er selber sagt, im großen und ganzen aristotelisch. Dabei hat er allerdings meines Erachtens nicht genügend betont, daß er auf die metaphysischen Grundlagen des Aristoteles — die Materie-Form-Thcorie — und damit auch auf die Geschlossenheit und Einheitlichkeit seiner Weltanschauung verzichtet. Nach ihm gibt es in der Natur neben den physikalischen noch drei Prinzipien, dieses Wort natürlich als Realprinzip, nicht als Denkprinzip verstanden. Das unterste, niederste dieser Prinzipien ist die Entelechie, wie er es mit aristotelischem Namen, aber nicht in aristotelischem Sinne nennt. Die Entelechie fehlt keiner Pflanze und keinem Tiere; sie formt den Organismus und lenkt ihn. Die physiologischen Prozesse sind von ihr geleitet. Sie ist ein ele- mentares Agens, ein Naturagens, aber keine Energie, überhaupt absolut verschieden von allem Mate- riellen. ■ Überall, wo Empfindung ist, ist ein höheres Prinzip in Wirksamkeit, das er Psychoid nennt. Sie ist, wie er einmal kurz sagt, die Seele der Instinkte, wobei allerdings das Wort Instinkt so weit genommen werden muß, daß es die Möglich- keit der Erfahrung in sich schließt. Es scheint, daß Driesch sich das Verhältnis der Entelechie zum Psychoid nicht so denkt wie Aristoteles, der überall, wo eine höhere P^orm auftrat, die niedere in ihr aufgehen ließ. Das Psychoid ist gleichfalls ein Naturagens, ein Naturfaktor, der in die Kette mechanischen Geschehens eingreifen kann. Um den Ausdruck Naturfaktor bei Driesch zu verstehen, muß man seine Methode beachten. Er will eine naturwissenschaftliche Analyse geben und darum von Anfang an einen Stand- punkt suchen, der von der Metaphysik frei ist. Als ein solcher metaphysikfreier Standpunkt er- scheint ihm der Solipsismus. Das Psychische ist ihm etwas Metaphysisches (ausgenommen das Psychische des eigenen Ichs). Nicht als ob er es leugnen wollte ; später, wo er einen metaphysischen Standpunkt einnimmt, erkennt er es an. Soweit er nun bei dieser naturwissenschaftlichen .'\nalyse, die von Bewußtseinserscheinungen vollständig ab- sieht, auf Realprinzipien stößt, die nicht physi- kalisch sind, nennt er sie Naturfaktoren. Das Verhältnis des Psychoids zur Psyche denkt er sich eigentümlich : Sie sind ihm zwei Seiten eines metaphysischen Geschehens, deren eine — das Psychoid — zur Natur gehört. Von den Beweisversuchen D r i e s c h ' s wollen wir diejenigen für die Entelechie hier übergehen, weil wir bei den Psychovitalisten darauf zu sprechen kommen. Ich gebe darum nur kurz den Grund- gedanken seines Beweisversuches für das Psychoid, der übrigens der logischen Form nach mit denen für die Entelechie identisch ist. Driesch analy- siert die menschliche Handlung, wobei zu beachten ist, daß ihm der Mensch nur als Naturkörper, als Organismus ohne Bewußtsein gegeben ist. Er fragt sich : Gibt es nach dieser naturwissenschaft- lichen Analyse der Handlung Kriterien, die be- weisen, daß kein lückenloser physischer Zusammen- hang dabei besteht ? Er findet zwei solcher Kri- terien. Das erste ist das Kriterium der historischen Reaktionsbasis. Dieser schöne Ausdruck soll ein- fach besagen, daß jede I landlung in ihrer Beson- derheit mitbestimmt ist durch die Gesamtheit aller Reize, die früher an dem handlungsausführenden N. F. XIV. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 499 Individuum Bewegungen ausgelöst haben. In der Art und Weise, wie die Handlung auf dieser historischen Reaktionsbasis abläuft, liegt nach Driesch der totale Unterschied des materiellen von dem organischen Geschehen. Als Beispiel diene ein Phonograph. Auch der Phonograph hat eine historische Reaktionsbasis, nämlich infolge der Reize, die seine Platte trafen. Aber die Kombination der von den Reizen herrühren- den Elemente ist unabänderlich fixiert, ist absolut dieselbe wie die Kombination der Reize. Anders beim handelnden Individuum. Hier findet eine freie Kombination der von den Reizen geschaffe- nen Elemente statt. Die Kombination der Ele- mente bei der Reaktion ist von der Kombination der Reize durchaus unabhängig. Das zweite Kriterium ist das der Individuali- tät der Zuordnung. Das soll heißen: Es kann bei der Handlung nicht jedem Element des Reizes ein Element der Reaktion zugeordnet werden, sondern Reiz und Reaktion wirken als Einheiten, als Individualitäten. So kann eine kleine Änderung des Reizes eine völlige Änderung der Reaktion hervorrufen. Als Beispiel diene : Wenn A und B sich auf der Straße begegnen und A dem B sagt: „Mein Vater ist schwer erkrankt", so wird die Reaktion des B eine total andere sein, als wenn A dem B, aus dessen Hause er vielleicht gerade gekommen ist, mitteilt: „Dein Vater ist schwer erkrankt". Der Reiz hat sich nur in einem Buchstaben geändert. E. Becher hat eine eingehende Kritik dieser Analyse der Handlung gegeben, die nach meiner Meinung Driesch trifft. Becher zeigt, daß sich Maschinen konstruieren lassen, bei deren ma- schinellen Handlungen die beiden Kriterien voll- ständig erfüllt sind. Driesch hat leider, trotz- dem er anfangs von physikalischem Geschehen spricht, später, bei Aufstellung der Kriterien, ein maschinelles Geschehen, d. h. Handlungen von konstruierten Maschinen betrachtet. Allerdings kann man Becher auf seine Kritik erwidern : Deine Maschinen erfüllen die beiden Kriterien nur deshalb, weil sie von einem konstruiert sind, der mehr als eine Maschine ist. Dagegen ist B e c h e r ' s Beweis machtlos, ohne daß damit Driesch's Gedankengang sicher gestellt wäre. Driesch hätte also zeigen müssen, daß die beiden Kriterien bei unbeeinflußtem physika- lischen Geschehen nicht vorliegen. B. Wir wenden uns zum Psychovitalismus. Er knüpft an Lamarck an. Lamarck lehrte bekanntlich eine direkte, aktive Anpassung des Individuums an Reize, die natüilich für ihn erb- lich sein mußte. Als Ursachen dieser Anpassung nannte er schon psychische Faktoren, z. B. einen inneren Vervollkommnungstrieb. Diese Idee wurde bei den Psychovitalisten teils von Überflüssigem gereinigt, teils weiter ausgebaut. Sie nehmen also, gleich dem Vitalismus, einen eigenen inneren Lebensfaktor an, dem sie aber psychischen Cha- rakter beilegen. Ihre Beweise sind zweifacher Art, von denen die erste allerdings neuestens mehr und mehr fallen gelassen wird. Den ersten Beweis stützen sie auf die Teleo- logie. Die nicht zu leugnenden zweckmäßigen Erscheinungen im Pflanzenleben sollen dartun, daß die Pflanzen Vorstellen, Erkennen, Fühlen und Wollen besitzen. Das Argument scheint aber in dieser Porm an den Dysteleologien und an dem anthropomorphistischen Ursprung des Zweckbe- griffs zu scheitern. Jedenfalls beweist es zuviel, indem sich manche teleologichen Erscheinungen auch durch Selektion erklären lassen. Die zweite Art des Beweises besteht in der Analyse des erfahrungsgemäßen, besonders des experimentellen Materials. Dieses Material holt man aus den Reizhandlungen der Pflanzen, den Regulationen, Regenerationen und den Überein- stimmungen pflanzlicher Sinnesphysiologie und der Psychologie. Bei der Analyse der Reizhandlungen wird das teleologische Kriterium vertieft. Nicht daß ein Vorgang überhaupt zweckmäßig abläuft, beweist ein nichtmechanisches Geschehen, sondern daß seine Zweckmäßigkeit durch Wahlfähigkeit unter mehreren strukturell eilaubten Möglichkeiten zu- stande kam. Eine Alge sucht; suchen, probieren kann keine Maschine. Die Beispiele für die Indi- vidualisierung der Wahl sind in der Tat über- raschend. Nur ein einziges aus vielen: Die Wald- rebe benutzt als Ranken, mit denen sie sich fest- hält und klettert, sowohl die Stielchen ihrer Pliederblätter als auch die Hauptblattstiele. Der Experimentator band nun die Ptfanze so fest, daß die Blattstiele die Unterlage berührten, aber als Befestigungswerkzeuge überflüssig waren. Die Pflanze reagierte nicht; die Blattstiele wurden nicht zur Befestigung benutzt. Ließ er aber die Pflanze frei, so daß sie im Winde baumelte, so faßten die Blattstiele zu und nahmen ihre Funk- tion als Befestigungswerkzeuge auf Auf das sonstige Material weise ich nur kurz hin. Unter Regulation kann man mit Driesch jedes Geschehen verstehen, das im Organismus nach einer Störung seiner Organisation oder seines Funktionszustandes auftritt und zur ganzen oder teilweisen Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes führt. Störungen der Organisation ent- stehen durch Wegnahme von Teilen; man spricht dann wohl auch von Restitution oder Regeneration. Störungen des Funktionszustandes kommen ent- weder durch Wegnahme von Teilen oder durch Änderung der äußeren Bedingungen zustande. Man spricht in diesem Falle entweder schlechthin von Regulationen oder von Anpassungen. Ein einfaches Beispiel einer Regulation, genauer einer Regeneration, ist die Neubildung der Blutgefäße und Gewebe bei einer Verwundung. Die Analyse der Regulation läuft so ziemlich auf dasselbe hinaus wie Driesch's Analyse der Handlung, soweit es auf das erste Kriterium ankommt. Die Psychovitalisten suchen zu zeigen, daß die Pflanze die Elemente ihrer historischen Reaktionsbasis 500 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 32 frei koinbinieren, daß sie ihre Systembedingungen ändern kann. Ein Teil der Regulationen dient ganz besonders in letzter Zeit als psychovita- listische Grundlage, nämlich die Anpassungen. Man nimmt damit das alte Lamarck'sche Problem wieder auf und knüpft den Psychovitalis- mos enge an die Entwicklungslehre, mit der er durchaus nicht notwendig zusammenhängt. Die Selektionstheorie vermag alle Anpassungen nicht ungezwungen zu deuten. Hier tritt die Lehre von der aktiven Anpassung helfend ein. Aber auch sie gerät in Schwierigkeiten, sobald man nach der Ursache der aktiven Anpassung fragt. Nun gibt es eine Gruppe direkter Anpassungen, nämlich die menschlichen und tierischen Hand- lungen, die ofifensichilich unter dem Einfluß psy- chischer Faktoren zustande kommen. Es liegt nahe, nach Analogie dieser Handlungen sämtliche direkten Anpassungen aufzufassen. Bei dieser Ge- legenheit mag denn auch erwähnt sein, daß schon die Entwicklungslehre allein, also ohne die Frage nach den P'aktoren der Entwicklung, zum Psycho- vitalismus führen könnte. Der Urorganismus, der einst die Wurzel der beiden Stämme des Tier- und Pflanzenreiches bildete, muß schon psychisches Leben besessen haben, das sich dann in dem einen der beiden Stämme zur Höhe der Menschen- seele entwickelte. Interessant sind nun weiterhin die Überein- stimmungen, die zwischen den Gesetzen der pflanzlichen und der menschlichen Sinnesphysio- logie herrschen. So kann man Pflanzen anästhe- sieren, kann sie betrunken machen. So behalten „betrunkene Algen" ihre freie Beweglichkeit, können aber ihre richtige Einstellung zum Lichte nicht mehr finden, genau so wie ein berauschter Mensch, wenn es nicht gar zu schlimm ist, auch seine freie Beweglichkeit behält, aber seine rich- tige Einstellung zur Niveaufläche der Schwerkraft nicht finden kann. Ferner ist die Geltung des Weber 'sehen Gesetzes für die Pflanzen erwiesen. Desgleichen das Vorkommen von Ermüdungs- erscheinungen. Dazu kommt der bekannte Nach- weis von pflanzlichen Sinnesorganen. Auf die Analyse dieses gesamten Materials, das hier natürlich nur angedeutet werden konnte, stützen also die Psj'chovitalisten ihren Schluß, daß es keinen lückenlosen kausalen Zusammenhang des Physischen im Pflanzcnleben gibt, sondern daß die physischen Reihen von einem psychischen Faktor durchbrochen werden. Bei der Beurteilung der gezeichneten Strö- mungen in der Biologie ist zweierlei auseinander- zuhalten: I. der Versuch, eine Durchbrechung nachzuweisen, 2. der Versuch, dem durchbrechen- den Faktor psychischen Charakter zu geben. Die Beweise für die Durchbrechung sind nicht zwingend. Es gibt keine dahin gehörige Über- legung, gegen die sich nicht Bedenken vorbringen ließen. Andererseits, wenn man alles überschaut, muß man sich sagen, daß die Annahme einer Durchbrechung schließlich doch die nächstliegende und die einfachste der möglichen Deutungen ist. Eine der größten Schwierigkeiten, die Unkenntnis über den Charakter des durchbrechenden Faktors, wird ihr dann durch den Psychovitalismus ge- nommen. So ist der Psychovitalismus eine Aus- gestaltung und Vertiefung des Vitalismus. Seine Anhänger sind allerdings manchmal etwas über die Achsel angesehen worden; man meinte, sie vermenschlichten die Pflanze, so daß wir etwa zur Fechn er 'sehen Ansicht kämen, die die alten Wald- und Wiesengötter wieder erwecken wollte. Aber damit tut man ihnen unrecht; und daß man das allmählich einsieht, beweist am besten die stetig wachsende Zahl seiner Anhänger. Die Hypothese des Psychovitalismus fügt sich eben zu gut in unser Weltbild ein und bringt auch eigentlich gar nichts Neues hinein, indem wir um die Annahme von Psychischem beim Menschen (und höher entwickelten Tiere) heute wohl schwerlich mehr herumkommen. Gewiß ist die nähere Bestimmung des Charakters des psy- chischen P'aktors den Psychovitalisten wenigstens anfangs nicht ganz gelungen. Sie sagten, er sei unbewußt, und sprachen dann doch von Vor- stellungen, Willen, Intellekt; unter einem unbe- wußten Intellekt kann ich mir nun aber nichts denken. Lassen wir diese Charakterisierung als Unbewußtes, so stimmen sie bis auf wenige Aus- nahmen darin überein, daß sie alle Elemente der psychischen Funktionen in entsprechender Ver- einfachung auf den niedrigsten Organismenstufen annehmen. Nun haben wir aber doch als einzige Analogie, nach der wir uns die Gesamtentwicklung denken müssen, nur die Ontogenie des menschlichen Seelenlebens. Das Kind (auf der ersten Entwick- lungsstufe) besitzt aber nicht die differenzierten Funktionen des Erwachsenen in primitiver P'orm. Das Psychische in den Pflanzen müßte undiffe- renziert, allerdings nicht absolut undifferenziert gefaßt werden. Natürlich muß die Pflanzenpsyche die Keime zur Differenzierung in sich tragen. Die Auslösung und Ausbildung dieser Differen- zierungen hängt dann von der Entwicklung des Organismus und damit auch von allen h'aktoren ab, unter deren Einfluß die Entwicklung steht; und man darf nicht vergessen, daß zu diesen Faktoren das Psychische selber wieder gehört. III. Wir gehen zur Betrachtung der zweiten Gruppe von Erscheinungen über, für die der Parallelismus und die Wechselwirkung als Deutungsprinzipien gelten, nämlich der völligen Unvergleichlichkeit des Psychischen mit dem Physischen. Diese Unvergleichlichkeit scheint im ersten Augenblick für die Wechselwirkungstheorie zu sprechen, sie hat aber in der Tat dagegen ge- sprochen. Sie war eines der Motive, die den Parallelismus schufen. Und das kam so. Die Psychologie wollte, und darin hatte sie recht, auf alles Spekulative, Apriorische, Dogmatische, Meta- physische verzichten, um eine Wissenschaft des N. F. XIV. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 501 Seelenlebens zu werden; sie wollte in derselben Weise, wie die Naturwissenschaft das Physische erforscht, das Psychische anfassen. Dabei erschien ihr der in der Wechselwirkungstheorie steckende Dualismus unwissenschaftlich, weil er eine meta- physische Deutung hineintrug. Andererseits wollte sie aber auch kein Materialismus werden, weil ihr dagegen jene Unvergleichlichkeit zu sprechen schien. Um diese Unverglcichlichkeit also aufrecht zu halten und doch nicht dualistisch oder materialistisch zu werden, fand sie den Aus- weg des Parallelismus. Heute natürlich würden wir diesen historischen Zusammenhang dahin be- urteilen, daß der Parallelismus so gut eine Deutung ist, wie die Wechselwirkungstheorie und daß beide Prinzipien regulativ und metaphysisch ge- nommen werden können. Unsere Darlegung war natürlich nur eine nachträgliche Rekonstruktion der allgemeinsten Motive, die meist durchaus nicht formuliert wurden, sondern nur einen viel- fach unbemerkten Untergrund des Denkens bildeten. Wenn man sich nach den ausge- sprochenen speziellen Motiven fragt, auf Grund derer man die Wechselwirkungstheorie ablehnte, so findet man hauptsächlich zwei: 1. das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität, 2. das Energie- prinzip. Diese beiden Prinzipien sollten also den Charakter der Unvergleichlichkeit, den die Wechsel- wirkungstheorie setzt, unmöglich machen. Wie nun die Lage hinsichtlich dieser beiden Prinzipien ist, soll das folgende zeigen. Dabei müssen wir beachten, daß wir schon durch das Vorhergehende für die Wechselwirkung ein wenig vor'eingenommen sind. Dem wollen wir, allerdings nur formell, Rechnung tragen, in- dem wir die Prinzipien von dem Gesichtspunkte aus untersuchen, daß wir uns fragen: Inwieweit ist die heutige Diskussionslage der Prinzipien der Wechselwirkungstheorie günstig ? A. Wir fassen an erster Stelle das Ge- schlossenheitsprinzip ins Auge. Das Prinzip sagt aus, daß die physische Natur in sich geschlossen sei. In diesem Prinzip werden aber immer zwei Gedanken zusammengefaßt, die wegen ihres logischen Charakters durchaus voneinander zu trennen sind: i. die Behauptung, daß physische Wirkungen nur von physischen Ursachen her- rühren, 2. die Behauptung, daß die Summe der Energie der Welt konstant ist. Da dieser zweite Gedanke in die Betrachtung des Energieprinzips gehört, wollen wir uns auf den ersten beschränken. Nur über den Zusammenhang der beiden ein Wort. Offensichtlich folgt der zweite Gedanke aus dem ersten (das Äquivalenzprinzip natürlich vorausgesetzt); d. h. wenn alles physische Ge- schehen n u r von physischen Ursachen bestimmt ist, dann ist die Energiesumme der (endlich ge- dachten) Welt konstant. Aber der zweite Ge- danke folgt nicht ausschließlich aus dem ersten, d. h. der erste ist keine notwendige Grund- lage des zweiten, oder noch anders ausgedrückt: der zweite braucht den ersten nicht zu ent- halten. Es liegt durchaus nicht von vorn- herein im Begriff der Konstanz der Energie, daß physisches Geschehen nur von physischem Geschehen bestimmt ist. Wir kommen gleich noch darauf zu sprechen. Es bleibt also lediglich eine Erfahrungsfrage, ob physische Wirkungen von physischen Ursachen herrühren oder nicht. Oder ganz exakt ausgedrückt: Beide Behauptungen, sowohl die, daß die physische Kausalkette ge- schlossen ist, wie die andere, daß in sie auch nichtphysische Ursaclien hineinspielen — diese beiden Behauptungen sind Deutungen der Er- fahrung. Von vornherein ist also weder eine von ihnen ausgeschlossen, noch eine von ihnen notwendig gegeben. Diejenige, die bei der Deu- tung in Widersprüche kommt, wird ausgeschlossen, diejenige, die die gesamte Erfahrung am besten deutet, angenommen. Wir sehen daraus, daß die oft von Parallelisten aufgestellte Behauptung, das Psychische könne auf Physisches wegen seiner Heterogenität nicht wirken, zu unrecht besteht. Die Behauptung ist vom .extremsten und ein- seitigsten physikalischen Standpunkte herge- kommen. Der Physiker beweist sie nicht und kann sie gar nicht beweisen, schon allein deshalb nicht, weil er, wenn etwas Nichtphysisches ein- griffe und dabei die physikalischen Gesetze intakt ließe, diese Einwirkung niemals konstatieren könnte. Man hat das auch heute allmählich ein- gesehen, und man wird darum jene Behauptung bei Parallelisten selten deutlich ausgesprochen finden; höchstens steckt sie unbemerkt in irgend- einer anderen Ansicht. Nun ist an' dem ersten Gedanken aber doch zweierlei richtig. Erstens dies, daß der Physiker als Physiker immer so forscht und so forschen muß, als ob die physische Kausalkette geschlossen wäre. Tut er das nicht, dann ist er eben kein Physiker mehr. Der erste Gedanke kann also als regulatives Prinzip der physikalischen Forschung anerkannt werden. Zweitens steckt in jenem ersten Gedanken das folgende richtige Postulat: Jeder Effekt, der an einem physischen Gliede infolge der Wirkung eines nichtphysischen Gliedes hervorgebracht wird, muß einen solchen Charakter haben, daß das nichtphysische Glied hinsichtlich jenes Effektes durch ein äquivalentes physisches Glied ersetzt werden kann. Mehrere Gründe stützen diesen Satz. Nehmen wir erstens einmal an, das in dem Satz Postulierte träfe nicht zu , d. h. es vermöge ein nichtphysisches Glied an einem physischen Glied eine \Mrkung hervorzubringen, die durch kein physisches Glied hervorgebracht werden könnte (denken wir z.B. an eine allgemeine Aus- dehnung der Körper bei Temperaturerniedrigung, oder eine Verminderung der potentiellen Energie bei Vergrößerung der fintfernung zweier sich an- ziehenden Körper), dann wäre denkbar, daß nicht- ph)'sische Glieder den gesamten physikalischen Charakter eines physischen Gliedes aufzuheben imstande wäre. Damit würde aber überall, wo 502 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 32 ein Kausalverhältnis von physischen und nicht- physischen Gliedern besteht, das physische Glied aufhören, etwas Definierbares innerhalb des phy- sischen Systems zu sein. Man kann diese Aus- führungen kurz in den Satz fassen : Ein physikali- scher Körper würde aufhören, ein physikalischer Körper zu sein, wenn er auf eine Wirkung einmal anders reagierte, als er seiner Natur als physikali- scher Körper nach einzig reagieren kann. Wir kommen später noch einmal darauf zurück. Ein zweiter Grund, der das Postulat empfiehlt, ist der Umstand, daß nur dieses Postulat es ermöglicht, eine physikalisch nicht anfechtbare Definition des Begriffes „psychische Kraft" zu geben. Der Aus- druck: ,,Eine psychische Kraft wirkt auf ein phy- sisches Element" bedeutet nämlich jetzt: Es be- steht zwischen den Elementen der physischen Reihe und den Elementen der psychischen Reihe ein derartiges funktionales Verhältnis, daß ein Element der psychischen Reihe hinsichtlich der Wirkung, die es an dem mit ihm funktional ver- knüpften Elemente der physischen Reihe hervor- bringt, durch ein äquivalentes physisches Glied ersetzt werden kann. B. Wir kommen zur Diskussion des Energie- prinzips und der Schwierigkeiten , die es der Wechselwirkungstheorie gemacht hat. Zunächst über den Charakter des Energie- prinzips einige Worte. In der Physik kann man u. a. folgende zwei Arten von Gesetzen unter- scheiden. Zunächst solche, die die logische Ver- knüpfung zweier oder mehrerer Größen so voll- ständig beschreiben, daß sich mit ihrer Hilfe zu- künftige Tatsachen voraussehen lassen. Das sind die definitiven Gesetze. Dann gibt es auch vor- läufige Gesetze, die nichts anderes als nur die empirisch gefundenen Werte zweier oder mehrerer Größen verknüpfen , darum empirische Gesetze genannt. Jedes Gesetz hat seinen bestimmten Geltungsbereich, d. h. es gilt überall, wo die in ihm verknüpften Größen auftreten. Wir fragen : Zu welcher Art von Gesetzen ge- hört der Satz von der Erhaltung der Energie? Die Geschichte des Satzes wird wohl in den Grundzügen bekannt sein. Mayer stellte, nach- dem übrigens manche unbeachtet gebliebene Physiker (z. B. Mohr a. a.) fast zu demselben Resultat gelangt waren, eine gesetzmäßige Be- ziehung zwischen Arbeit und Wärme auf, die durch die umfangreichen Experimente von Joule exakt bewiesen wurde. Schon Mayer hatte intuitiv den Gedanken gefaßt, daß zwischen allen physikalischen Energien Äquivalenz bestehe. Erst Ilelmholtz führte diesen Gedanken vollständig und mathematisch durch. Man hat demnach, von verschiedenen Motiven bewogen, eine Äquivalenz, die man zwischen zwei Energiearten gefunden hatte, auf sämtliche Energieverhältnisse ausgedehnt. Bis heute ist diese Äquivalenz zwischen allen l'"ormen experimentell nicht bewiesen. Man er- kennt also, daß der Satz von der Erhaltung der Energie den Charakter eines über seinen Geltungsbereich ausgedehnten defini- tiven Gesetzes hat. Darum nennt man ihn auch nicht Gesetz, sondern Prinzip; denn unter Prinzip versteht man einen Satz, der erst durch seine praktische Erprobung seine volle Richtigkeit beweisen soll. Das Erhaltungsprinzip ist also erstens insofern experimentell erwiesen , als die Äquivalenz zwischen einzelnen Energieformen em- pirisch feststeht. Ein zweiter Grund für seine Richtigkeit liegt darin, daß sich bei allen theore- tischen Rechnungen, die unter Voraussetzung des Prinzips angestellt worden sind, niemals ein Wider- spruch mit der Erfahrung gezeigt hat. Und end- lich drittens hat es sich als Motiv allerstärkster und fruchtbarster Art zum Ausbau der Physik und der verwandten Gebiete erwiesen. Darf man bei dieser Sachlage das Energie- prinzip lediglich als Erfahrungssatz hinstellen, der möglicherweise nicht genau richtig ist oder sogar einmal umgestoßen werden kann? Nun ist gewiß, wie eben dargetan, das Energieprinzip teilweise ein P>fahrungssatz; und gewiß kann das, was durch die Erfahrung gewonnen wurde, auch durch die Erfahrung verloren gehen. Aber einmal ist dieser erfahrungsgemäße Teil des Prinzips so exakt bewiesen, wie nur ein physikalisches Gesetz be- wiesen werden kann. Fürs zweite geht man mit jener Behauptung des Rechtes verlustig, den Er- haltungssatz als allgemeines Prinzip zu gebrauchen. Damit bezweifelt man die Richtigkeit aller Resul- tate, die die Physik mit Hilfe des Erhaltungssatzes erworben hat. Ja weil das Prinzip als Prinzip, als Voraussetzung theoretischer Rechnungen, bei den Resultaten dieser Rechnungen Seine nachträg- liche Probe an der Erfahrung glänzend bestanden hat, bestreitet man im Grunde mit jener Behaup- tung auch die Rechtmäßigkeit und logische Zu- verlässigkeit dieser naturwissenschaftlichen Me- thode. Wenn man aber trotz dieser Überlegungen sich noch mit der erfahrungsgemäß gewiß möglichen Ausrede helfen will, die .Abweichun- gen vom Erhaltungsprinzip seien so gering, daß sie praktisch unbeobachtbar blieben, so wird man doch an der Tatsache nicht vorbeikommen , daß die heutige Physik den Erhaltungssatz als absolut geltendes Prinzip ansieht, daß also eine Ausein- andersetzung mit der Physik nur auf diesem Boden denkar ist. Möglich bleibt doch wohl auch die absolute Geltung des Prinzips. Wir haben das Erhaltungsprinzig bis jetzt in der Form kennen gelernt, daß bei allen Umsetzun- gen der Natur sich immer nur eine Energie in eine andere verwandelt, ohne daß Energie verloren geht oder hinzukommt. Wir formulieren es jetzt anders. Wir denken uns ein physikalisches System, das so von anderen Körpern und Körpersystemen abgeschlossen ist, daß es von ihnen keine Energie empfangen und auch keine an sie abgeben kann. Solche Systeme nennt man geschlossene Systeme. Und für diese gilt offensichtlich der Satz: In einem geschlossenen System ist die Summe der Energie konstant. N. F. XIV. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 503 Wenn sich nun nachweisen heße, daß die ge- samte physische Natur ein geschlossenes System ist, dann würde daraus folgen, daß die Summe der Energie der Welt konstant ist. Diese Be- hauptung, die physische Natur sei ein geschlossenes System, ist das eigentliche Geschlossenheitsprinzip; wir sprachen ja vorhin schon davon. Nun läßt sich jener Nachweis niemals exakt führen, weil wir immer nur ein kleines Stück der Welt über- blicken und von der ganzen Welt, vom Weltall nichts wissen. Unter den drei Voraussetzungen aber: i. daß das Weltall — die physische Welt — endlich ist, 2. daß die Summe der Energie endlich ist, 3. daß, wenn überhaupt ein Einfluß auf das physische System des Weltalls erfolgt, er nur an Stellen erfolgt, wo das physische -System mit dem Leben- digen verknüpft ist, — ich sage, unter diesen drei Voraussetzungen lassen sich zwei Gründe bei- bringen, die den Geschlossenheitscharakter des physischen Weltalls nahelegen, ein indirekter und ein direkter. Zunächst der indirekte Grund. Wir haben eben gehört, daß das Erhaltungsprinzip bei den theoretischen Rechnungen der Physik als richtig vorausgesetzt wird und daß sich dabei nie ein Widerspruch mit der Erfahrung ergeben hat. Nun muß man bedenken , daß das System , innerhalb dessen der Physiker experimentell arbeitet , kein rein physisches System ist, sondern ein Misch- system aus physischen und psychischen Elementen. Vor allem greifen dadurch, daß der Physiker selber seine Experimente vorbereitet und leitet, auch nichtphysische Ursachen ein. Da sich nun trotzdem kein Gegensatz zur Erfahrung heraus- stellt, so ist darin nicht nur ein indirekter Grund für das Erhaltungsprinzip, sondern auch ein solcher für das Geschlossenheitsprinzip zu erblicken; denn auch dieses liegt meist unbemerkt dem physikali- schen .'\rbeiten zugrunde. Der direkte Grund für das Geschlossenheits- prinzip liegt in den hauptsächlich von Rubner und Atwater gemachten Versuchen, die zu be- weisen scheinen , daß bei den physiologischen Prozessen von Tieren und Menschen das Erhal- tungsprinzip Geltung hat. Schon vor mehr als 15 Jahren hat Rubner den Versuch für die Tiere gemacht. Versuchsobjekt waren Hunde. Ins einzelne der Methoden einzugehen würde zu weit führen. Darum sei nur das Schema der Versuche gegeben. Sie beruhen auf dem Grundgedanken, daß die Energieabgabe des Tieres gleich seiner Energieeinnahme sein muß, wenn das Energie- prinzip für die physiologischen Vorgänge gilt. Die Energieeinnahme besteht nun der Hauptsache nach in der chemischen Energie der Nahrung, wozu auch der Sauerstoff der Atmungsluft ge- rechnet wird, in der durch Leitung empfangenen Wärme und eventuell der Strahlungsenergie. Die Energieabgabe konstituiert sich hauptsächlich aus der produzierten Wärme, der mechanischen Energie der Körperbewegungen und der chemischen Energie der Ausscheidungsprodukte. Durch die Versuchsanordnung können von diesen Faktoren soviele ausgeschaltet werden, daß als Energie- einnahme nur die chemischen Prozesse beim Stoff- wechsel , als Energieabgabe nur die produzierte Wärme in Betracht kommen. Rubner hat auf drei verschiedenen Wegen diese beiden Faktoren des Energieumtausches gemessen und verglichen. Sein Hauptresultat ist : Bei der Vergleichung der Wärmemenge, die im Tierkörper durch die Ver- brennung der aufgenommenen Nahrung geliefert wurde, und der Wärmemenge, die das Tier dabei produzierte, ergab sich nach der exaktesten Me- thode im Durchschnitt eine Differenz von 0,47 "/„. Man konnte gegen diese Versuche immerhin einwenden, daß man aus ihrem Resultat nicht ohne weiteres auf ein gleiches Verhältnis beim Menschen schließen könne. Da trat Atwater 1904 mit dem Ergebnis seiner Versuche am Men- schen hervor. Natürlich beruhen seine Versuche auf demselben Prinzip wie die Tierversuche Rub- ner's. Aber sie zeichnen sich zunächst in der Methode durch dreierlei von den Rubner 'sehen Untersuchungen aus: i. Atwater beobachtete unter Mithilfe mehrerer Forscher während eines Zeitraumes von 12 Jahren, während die Rubner- schen Versuche nur45Tage umfassen; 2. Atwater beobachtete unter Berücksichtigung aller in Be- tracht kommenden Umstände und unter der Wirklich- keit mehr angepaßten Bedingungen; 3. Atwater hat auf die allersorgfaltigste, manchmal geradezu übertrieben erscheinende Weise die Genauigkeit der Methoden und die Fehlerquellen diskutiert und gewertet. Zu diesen Vorteilen der Methode kommt dann aber der Umstand, daß er an Men- schen beobachtete, und zwar an Menschen in den verschiedensten Zuständen ihres Organismus, in der Ruhe sowohl wie in der Arbeit. Dieser letztere Fall ist besonders wichtig, weil er seine Versuchspersonen neben körperlicher auch geistige Arbeit — Lesen, Lösen von mathematischen Auf- gaben — verrichten ließ und dadurch dem Ein- wurf begegnete, daß doch eine anstrengende gei- stige Tätigkeit des Menschen die Konstanz der Energie verletzen könne, wenn sie sich auch bei den einfachen physiologischen Prozessen als be- stehend erwiese. Die Einzelheiten der Versuche kann ich hier um so weniger berücksichtigen, als die Versuche die Rubner' sehen an Kompliziert- heit übertrefien. Das Resultat war eine so voll- kommene Bestätigung des Erhaltungsprinzips bei den physiologischen Prozessen, wie sie überhaupt möglich ist. Nehmen wir dieses Resultat als vollständig ge- sichert an, so läßt es sich in folgender Weise formu- lieren: Wenn es möglich wäre, den mensch- lichen Organismus gegen Zufuhr und Abfuhr von Energie zu schützen und demnach zu gleicher Zeit die psychi- schen Reihen funktionierend zu erhal- ten, dann wäre der Organismus ein ge- schlossenes System im strengsten phy- 504 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 32 sik alisc h en Sinne. Wenn man also unsere vorhin genannten drei Voraussetzungen macht, so würde aus diesem Resultat die Richtigkeit des Prinzips der geschlossenen Naturkausalitat folgen. Wir fragen uns nun noch kurz, ob das Energie- prinzip das physikalische Geschehen eindeutig be- stimmt. Den Begriff der eindeutigen Bestimmung kann man sich auf einfache Weise mathematisch klar machen, indem man sich überlegt, wie die Kreise, die durch den Schnitt durch eine Kugel- oberfläche entstehen, von i, 2 oder 3 Punkten bestimmt sind, durch die die Schnitte gehen sollen. Ich gebe sofort die Formulierung: Ein Zustand oder eine Zustandsänderung ist von einem Gesetze eindeutig bestimmt, wenn dieses Gesetz zur Ableitung des Zustandes oder der Zustandsände- rung notwendig und hinreichend ist. Nun sehen wir auch sofort, daß das Energieprinzip das phy- sikalische Geschehen nicht eindeutig bestimmt; denn neben ihm bestimmen noch andere Prinzipien das Geschehen, z. B. das Entropieprinzip, das Prinzip der kleinsten Wirkung. Wir können das- selbe Resultat aber auch unmittelbar an einem einfachen physikalischen Geschehen klar machen. Wir denken uns zwei anziehende Körper A und B, die um den Systemschwerpunkt M revolvieren. OA OB I M II M : OB OA Die Umstellung aus Zustand I in Zustand II ist an sich auf zwei Wegen möglich, auf denen beide Male die Energie konstant bleibt. Die Frage nach der eindeutigen Bestimmtheit des physischen Ge- schehens durch das Energieprinzip ist deshalb so wichtig, weil im Falle dieser Bestimmtheit eine Wechselwirkung unmöglich wäre. Bestimmen aber dann die übrigen Prinzipien und Gesetze das phy- siche Geschehen nicht eindeutig? Durchaus nicht. Denn alle diese Sätze sind Wenn-Sätze, d. h. sie gelten dann ungestört, wenn die Bedingungen so liegen, daß sie ungestört gelten können. Nur der Energiesatz ist so allgemein, daß er nicht gestört werden kann. Daß er in der Formulierung des Geschlossenheitsprinzips kein Wenn-Satz, sondern ein Daß-Satz ist, haben wir ja vorhin gehört. Wir ziehen daraus zur Abwehr falscher Ansichten noch den Schluß, daß psychische Kräfte inner- lialb aller übrigen Gesetze physische Kräfte als störende vertreten können (prinzipiell), nur muß das stets innerhalb des Energiesatzes geschehen. Nach diesen etwas langen, aber unbedingt nö- tigen vorbereitenden Betrachtungen über das Ener- gieprinzip ist es uns nun möglich, schnell die Versuche zu beurteilen, die die Wechsehvirkungs- theoric über die Schwierigkeit des Energieprinzips hinwegführen sollen. Diese Schwierigkeit selber ist ja leicht ersichtlich. Aus der Annahme eines kausalen Zusaminanhanges scheint eine Vermeh- rung oder Verminderung des Energiegehaltes der physischen Natur zu folgen, also ein Widerspruch zum Energieprinzip. Der Parallelismus mit seiner Bestreitung jedes kausalen Zusammenhanges zwi- schen Physischem und Psychischem kann sich ohne weiteres mit dem Prinzip abfinden : er er- kennt es restlos an und kümmert sich weiter nicht mehr darum. Bevor wir nun die Lösungen, die die Wechselwirkungstheorie gefunden hat, be- sprechen , müssen wir eine Spezialisierung des Problemes vornehmen. Wir scheiden nämlich die Einwirkungen des Physischen auf das Psychische aus, weil dabei keine Änderung der Energiesumme des physischen S_\'stemes eintreten kann. Wir haben schon früher den Gedanken benutzt, wenn auch nicht in dieser Form ausgesprochen, daß das Resultat einer Wirkung nicht nur von dem die Wirkung ausübenden, sondern auch von dem die Wirkung empfangenden Gliede abhängig ist. Da nun die Naturgesetze — und auch das Energie- prinzip — nur für physische Kausalverhältnisse gelten, haben sie ihre Geltung für den h'all ver- loren, daß das die Wirkung erfahrende Glied des Kausalverhältnisses kein physisches Glied ist. Die physischen Reihen brauchen also beim Wirken auf psychische Reihen keine Energie auf- zuwenden. Da aber beim Wirken psychischer auf physische Reihen, wie wir früher hörten, die psychischen Reihen hinsichtlich ihrer Wirkung durch äquivalente physische Glieder ersetzt werden können, so scheint die Annahme einer Änderung der Energiesumme in diesem Falle unumgänglich. Und doch kann sie nicht richtig sein. Die Lösung dieser Schwierigkeit auf selten der Wechselwirkungstheorie ist in verschiedenen Formen aufgetreten. Wir können sie in drei Typen zusammenfassen. Den ersten Typus wollen wir den phy- sikalischen nennen, weil er die Lösung auf der physikalischen Seite sucht. Vertreten ist er z. B. durch H. Schwarz und Ludwig Busse. Nach ihm ist nur das Äquivalenzprinzip richtig, d. h. die Aussage, daß bei allen Umwandlungen von Energie nichts verloren gehe und hinzu- komme. Das Konstanzprinzip beruht nach ihm auf dem Geschlossenheitsprinzip, worunter die Behauptung verstanden wird, daß physisches Ge- schehen nur von physischem Geschehen herrühre. Dieses letztere wird mit Recht als Vorurteil be- zeichnet. Was an diesen Grundlagen des Typus falsch ist, haben wir im Vorhergehenden gesehen. Wir gehen darum sofort zum zweiten Typus über, dem psychologischen, so ge- nannt, weil er die Lösung auf der psychologischen Seite sucht. Seine Vertreter sind z. B. Ost- wald, v. Grot, Stumpf. Er faßt die Seele als Energie, die unter das Energieprinzip fällt, und kommt auf diese einfache Weise über die Schwierigkeit weg. Dagegen spricht zunächst, daß der Begriff der Energie auf physikalischem Gebiete genau definierbar ist; seine Anwendung auf psychische Vorgänge führt aber nur zu ver- N. F. XIV. Nr. 3: Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 505 schwommeneii Analogien. Weiterhin gibt es im psychischen Leben Erscheinungen, die vom Energiepiinzip aus nicht zu verstehen sind. Nehmen wir z. B. die Harmonie beim Zusammen- klang bestimmter Töne. Wenn wir den kom- plexen Vorgang zerlegen, so kommen wir auf die einzelnen Tonempfindungen. Die Harmonie ist kein Element, das wir neben den einzelnen Tönen bei der Zerlegung zurückbehalten, sie entsteht erst beim Zusammenklang der Töne. Diese Einzelbetrachtungen zur Abweisung der beiden ersten Typen sind nicht nötig, wenn wir die Rubner - At water'schen Versuche als streng beweisend annehmen. Da die Typen näm- lich eine tatsächliche Vermehrung oder Vermin- derung der Energiesumme des physischen Welt- alls einschließen, sind sie durch diese Auffassung jener Versuche schon unmöglich gemacht. Nun kann man gewiß auch hier sagen, die Versuche ließen die Möglichkeit einer so kleinen Inkon- stanz ofi'en, daß sie praktisch nicht beobachtbar sei. Aber einmal fragt es sich, ob bei der Breite der Flächen, auf denen sich psychische und phy- sische Reihen innerhalb unseres Erfahrungsraumes berühren, die Abweichung von der Konstanz wirklich so klein bleiben könnte. Und dann muß mit der strengen Auffassung jenes Versuchs- resultates doch auch als mit einer möglichen gerechnet werden. Die Versuche weisen ent- schieden nach dieser Richtung, und es ist in der Physik wenigstens nicht Praxis, Versuche, die so wie die Rubner- At water'schen gesichert sind, ohne zwingenden Grund als nicht streng be- weisend anzusehen. Indes ist die Wertung der beiden ersten Typen von der Einschätzung der Rubner-Atwater- schen Versuche nicht notwendig abhängig. Sie begegnen, wie wir gesehen, auf der physikalischen und der psychologischen Seite so gewichtigen Bedenken, daß viele, vielleicht die meisten der in Betracht kommenden Forscher den funktio- nalen Typus vorziehen, der auf der Be- sonderheit der funktionalen Verknüpfung der psy- chischen mit den physischen Reihen aufbaut. Zur Charakteristik des funktionalen Typus sei zunächst im allgemeinen bemerkt, daß er auf eine Schwierigkeit stößt, die wir wohl noch nicht heben können, die ihn allerdings nicht unmöglich macht. Sein Grundgedanke ist ja, daß das Psy- chische im Physischen eine Änderung der Kon- stellation oder besser gesagt eine Änderung des unbeeinflußten Verlaufs hervorbringt, ohne das Energieprinzip zu verletzen. Nach dem Wege, auf dem diese Änderung hervorgebracht werden könnte, scheiden sich die einzelnen Formen dieses Typus; aber eine Änderung muß zustande kommen, weil ja sonst keine kausale Verknüpfung vorhanden wäre. Nun muß die Änderung aber derart sein, daß durch sie der Zweck erreicht wird, den die Psyche erreichen will. Denn wegen der gesetzmäßigen Verknüpfung des Psychischen und Physischen hat eine andere Änderung auch andere Folgen. Populär ausgedrückt, muß also die Seele, bevor sie wirkt, wissen, welche Ände- rung im physischen System nötig ist, damit bei- spielsweise ein Körperorgan eine Bewegung aus- führt. Man muß dabei beachten, daß für den- selben Zweck die Einwirkung doch nicht immer dieselbe sein kann, weil sich die Konstellation des physischen .Systems immerfort ändert. Man kann nun diese Schwierigkeit vielleicht durch eine Auffassung mildern, zu der die Psychologie auch unabhängig hiervon gelangt ist. Es muß nämlich die Psyche in ihrem Wirken von der Konstellation der mit ihr unmittelbar verknüpften nervösen Partien und dadurch weiterhin auch von der Ver- bindung dieser Partien mit dem ganzen Organismus mitbestimmt sein. Man darf aber nicht ver- gessen, daß sich diese Mitbestimmung gar nicht näher charakterisieren läßt. Der funktionale Typus zerfällt in verschiedene ideale F"ormen. Wir nennen sie ideal, weil sie im Denken der Forscher meist unter sich oder mit anderen Nebengedanken verbunden vor- kommen. Wir wollen drei Formen unterscheiden und kurz besprechen. I. Die erste Form stützt sich auf die Anders- artigkeit der wirkenden Ursache. Diesen Ge- danken vertritt z. B. Rehmke. Wenn eine phy- sische Ursache, so überlegt sich diese Form, auf ein physisches System wirkt, so wird sie eine Energievermehrung oder Energieverminderung be- wirken. Ist die Ursache aber andersartig, so wird auch die Wirkung andersartig sein: eine psy- chische Ursache wird wohl eine andere Energie- verteilung, d. h. eine andere Konstellation des physischen Systems bewirken, aber keine Ände- rung der Energiesumme. Wir kennen nun schon die kritischen Gedanken, die wir an dieser Form anzubringen haben, von früher; wenn wir uns nur der Ausführungen über das Wirken erinnern, so sehen wir, daß diese erste Form keine Lösung gibt. Gewissermaßen eine Abart dieser Form ist der Gedanke, den D r i e s c h im 2. Bande seiner ,, Philosophie des Organischen" als neue Lösung vorträgt. Er meint, die Entelechie könne wirk- liches Geschehen suspendieren und in einen Zu- stand bloßer Möglichkeit überführen; sobald die Entelechie die Suspension aufhebe, verlaufe das Geschehen so weiter, wie es ohne die Suspension verlaufen wäre. Driesch bringt folgendes Bei- spiel. Ein Massenelement m bewege sich mit der Geschwindigkeit v, bis es in den Bereich einer abstoßenden Kraft kommt. Man denke sich, der Prozeß werde in dem Augenblick von der Entelechie suspendiert, wo die Geschwindigkeit des Teilchens Vj beträgt, und zwar derart, daß der Betrag der kinetischen Plnergie v/^ nicht nur in einem äquivalenten Betrag von potentieller Energie übeigeführt wird, sondern daß auch dieser Betrag räumlich an den Ort von m gebunden So6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 3: bleibt und dort in seiner Sonderheit und unter Wahrung seiner potentiellen Richtung festgehalten wird, bis die Suspension aufhört und er wieder in die aktuelle kinetische Energie ~ v, ^ übero-e- führt wird. So denkt Driesch sich die Sache. Mir scheint aber, daß Driesch den physikali- schen Begriff der potentiellen Energie dabei in einer Weise umgewandelt hat, daß er keinen Sinn mehr besitzt. Betrachten wir das Bei- spiel. Potentielle Energie der Lage, die hier in Betracht kommt , hat bekanntlich nie ein Körper allein, sondern, wie es schon im Begriffe liegt, immer ein System von Körpern, also min- destens 2 Körper. Potentielle Lagenenergie eines einzelnen Körpers ist geradeso ohne Sinn wie der Begriff „hölzernes Eisen". Nun bildet aber Driesch in der Tat einen solchen Begriff. Wenn nämlich die Bewegung des Teilchens an einer bestimmten Stelle sistiert wird, so hängt die po- tentielle Energie der Lage lediglich von seiner Entfernung vom Mittelpunkt der abstoßenden Kraft und von der Kraft selber ab. Sie ist durch die Konstellation des physischen Systems ein- deutig bestimmt. Driesch aber will die ver- schwundene kinetische Energie noch in potentielle verwandeln. Er formuliert sogar einmal das Bei- spiel so, daß er ein gleichförmig bewegtes Teil- chen, das also isoliert ist und keine potentielle Energie besitzt, sistieren läßt, so daß sich seine kinetische Energie in potentielle verwandelt. Hier hätten wir also deutlich potentielle Energie der Lage, ohne daß das Teilchen überhaupt Glied eines Systems ist. W i e diese Verwandlung und die spätere überhaupt zustande kommen, wären wieder Fragen für sich. Driesch fühlt auch, daß diese Verhältnisse nicht recht verständlich sind. Ich weiß wohl, sagt er einmal, daß ich da eine durchaus unerhörte Werdensart einführe. Aber — und nun kommt das, womit er diese Einführung ganz entschuldigen zu können glaubt und was uns auch berechtigt, ihn der ersten Form des funktionalen Typus zuzuteilen — weil er den Vitalismus streng bewiesen zu haben überzeugt ist, meint er, er müsse diese Werdensart einführen. Selbst für den, der diesen Grund an sich zugibt, folgt indes daraus nur, daß überhaupt eine Ände- rung der Energieverteilung durch die Entelechie möglich ist, aber doch nicht, daß nur gerade di.ese Form der Änderung möglich ist. Mit anderen Worten: Driesch 's Versuch muß den anderen Versuchen durchaus koordiniert und nur daran gemessen werden, ob er mit physikalischen Begriffen in Widerspruch irilt oder nicht. Das tut er aber, wie wir vorhin sahen, und deshalb müssen wir ihn ablehnen. 2. Die zweite Form des funktionalen Typus betrachtet die Wirkung des psychischen Gliedes als einen Auslösungsvorgang. Sic wird beispiels- weise von Wentscher vertreten. Ein an einen dünnen h'aden hängender .Stein bildet zusanmien mit der Erde ein physisches System. Eine kaum erkennbare, schwache Bewegung eines Messers, das wir uns vorher mit der Schneide direkt am Faden liegend denken, ändert sofort die Energie- verteilung des Systems; die potentielle Energie wird verkleinert, sie setzt sich zuerst in aktuelle Energie, dann in Wärme um; eine bemerkbare Energievermehrung hat nicht stattgefunden. Die Psyche wird also nach dieser Vorstellung nur eine ganz minimale Arbeit aufzuwenden haben, um eine große Änderung der Energieverteilung herbeizuführen. Aber — und daran scheitert diese Form — irgendeine Arbeit muß sie immer leisten; kein Auslösungsvorgang ist ohne Auf- wendung einer noch so schwachen Kraft möglich. Es findet also demnach eine Energievermehrung bei der Auslösung statt. Und die zweite Form unseres Typus ist auch nicht anwendbar. 3. Die dritte Form des funktionalen Typus ist am häufigsten vertreten. Sie behauptet, es sei möglich, die Richtung eines Systemkörpers zu ändern, ohne die Energiesumme des Systems zu ändern. Es hat keinen Zweck, auf alle Versuche, die Möglichkeit dieser Richtungsänderung zu be- weisen, einzugehen. Es sei nur kurz gesagt, daß hier tatsächlich ein gangbarer Weg liegt. Eine spezielle Ausbildung dieser Form wäre etwa mit den folgenden drei Voraussetzungen gegeben : I. Als physisches System, auf das die psychischen Einwirkungen erfolgen, betrachten wir ein rein mechanisches System von Teilchen, die kinetische Energie besitzen und zwischen denen Newton'sche Zentralkräfte herrschen. 2. Die psychische Kraft soll stets senkrecht zur Bewegungsrichtuug der Teilchen wirken. 3. Die psychische Kraft kann nicht durch eine äquivalente physische Zentral- kraft, sondern nur durch eine nicht-konservative Kraft repräsentiert werden. Nun leisten bekannt- lich Kräfte, die senkrecht zur Bewegungsrichtung eines Teilchens wirken, keine Arbeit. Wo aber keine Arbeit geleistet wird, findet auch keine Energievermehrung statt. Wir haben also hier eine Form, die die Möglichkeit einer Änderung der Energieverteilung ohne Änderung der Energie- summe aufzeigt. Will man sich ein spezielles Bild machen, so kann man z. B. die Seele hin- sichtlich ihrer Wirkung auf die physischen Ele- mente äquivalent setzen einer gekrümmten Fläche, längs der eine Kugel ohne Reibung rollt. Allerdings wird dieser Form wieder eine eigen- artige Schwierigkeit durch das Energieprinzip selber bereitet. Um in dem physischen System eine bestimmte Energieverteilung hervorzubringen, muß die Psyche wenigstens ein Teilchen 1. mit einer bestimmt cn Energie und 2. an einer be- stimmten Raumstelle wirken lassen. Will nun die Psyche ein Teilchen an einer bestimmten Raumstelle wirken lassen, so steht die Energie des Teilchens nicht in ihrem Belieben, sondern ist offenbar vom Energieprinzip vorgeschrieben. Will sie umgekehrt ein Teilchen mit einer be- stimmten Energie wirken lassen, so sind die Orte, wo das Teilchen mit dieser Energie wirken kann, N. F. XIV. Nr. 3: Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 507 wieder vom Energieprinzip vorgeschrieben. Die Psyche ist also bei ihrer Wirkung auf das physi- sche System nicht vollständig frei. Die Verhält- nisse in dem System sind immer nur teilweise von ihr bestimmbar. Es wird also entweder das nicht eintreten, warum die Psyche wirkt, oder es werden daneben noch andere unkontrollierbare Effekte auftreten. Ausgeschlossen ist aber nicht, daß sich einmal eine psj-chologische Deutung solcher Nebeneffekte, die durchaus nicht immer zu entstehen brauchen, geben läßt. Auf einige andere weniger wichtige Schwierig- keiten gehe ich nicht ein. Das Resultat unserer Betrachtungen über das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität und das Energieprinzip ist dies, daß die physikalischen Tatsachen und Theorien keinen Grund zur Ab- lehnung der Wechselwirkungstheorie bieten. Wie sehr nun aber auch diese Theorie von der haupt- sächlich physikalischen Frage nach der eindeutigen Bestimmtheit des physischen Geschehens abhängig ist, so darf ihr Wert oder Unwert doch nicht aus- schließlich, nicht einmal vorwiegend von diesem physikalischen Gesichtspunkte aus beurteilt wer- den. Für ihre Bewertung kommen in erster Linie ihre psychologische Leistungsfähigkeit und an zweiter Stelle ihr Platz innerhalb weilerer Ge- dankenzusammenhänge in Betracht. Man kann den physikalischen Gesichtspunkten nur dann eine höhere Bedeutung beilegen, werm man sie, in der angedeuteten Weise verallgemeinert, in diese um- fassenderen (ledankenzusammenhänge einbezieht. Zum Schlüsse sei noch darauf hingewiesen, daß es noch einige andere Motive gibt , die der Wechselwirkungstheorie langsam mehr Boden be- reiten, z. B. die immer größere Bedeutung, die dem ,, Unbewußten" in der Psychologie zugelegt wird. Da es sich dabei aber um Dinge handelt, die nicht hinreichend geklärt sind und die auch die Naturwissenschaft kaum berühren , so möge dieser Hinweis genügen. Literatur (soweit sie für den Text benutzt wurde; weitere Literatur- angaben findet man in den zitierten Schriften). Atwater, Neue Versuche über Stoff- und Kraftwechsel im menschlichen Körper. Ergebnisse der Physiologie. 1904. I. Becher, E. , Kritik der Widerlegung des Parallelismus auf Grund einer ,, naturwissenschaftlichen Analyse der Hand- lung durch Hans Driesch". Zeitschr. f. Psychologie 45. Bd. — — , Das Gesetz von der Erhaltung der Energie und die Annahme einer Wechselwirkung zwischen Leib und Seele. Zeitschr. f. Psych. 46. Bd. — — , Energieerhaltung und psychologische Wechsel- wirkung. Zeitschr. f. Psych. 48. Bd. — — , Gehirn und Seele. Heidelberg 191 1. — — . Naturphilosophie. Leipzig und Berlin 1914. Becher, S., Über Handlungsreaktionen und ihre Bedeu- tung für das Verständnis der organischen Zweckmäßigkeil. Scientia 1910. Driescli, Pliilosophie des Organischen. 2 Bde. Leipzig 1909. France, Das Leben der Pflanze. II. Bd. Stuttgart 1907. — — , Pflanzenpsychologie. Stuttgart 1909. Hell p ach, Unbewußtes oder Wechselwirkung. Zeitschr. f. Psych. 48. Bd. Ivohnstamm, Ph., Parallelismus und Wechselwirkung vom Standpunkte der mathematischen Physik. Zeitschrift für Psych. 51. Bd. Müller, Aloys, Über psychophysische Wechselwirkung und das Energieprinzip. Zeitsclir. f. Psych. 47. Bd. — — , Über die Möglichkeit einer durch psychische Kräfte bewirkten .Änderung der Energieverteilung in einem geschlos- senen System. Zeitschr. f. Philos. und philos. Kritik. 134. Bd. — — Die Wechselwirku-g von Leib und Seele und das Prinzip von der Erhaltung der Energie. Wissensch. Beil. z. Germania. 1909. Rou.x, Die Selbstregulation. Halle 1914. Rubner, Die Quellen der tierischen Warme. Zeitschr. f. Biologie. 1894. — — , Kraft und Stoff im Haushalt der Natur. Berlin 1908. Wagner, Ad., Geschichte des Lamarekismus. Stuttgart 1909. — — , Vorlesungen über vergleichende Tier- und Pflanzen- kunde. Leipzig 1912. Einzelberichte. Zoologie. Das Vorkommen von Plakoidorganen und Sinnesknospen im Vorderdarm der Selachier ist seit einigen Jahrzehnten bekannt; eine Nach- untersuchung, welche C. Fahrenholz an zahl- reichen Arten vornahm, lieferte manche Ergänzung und Erweiterung unseres Wissens. Danach lassen sich die verschiedenen Formen der Verteilung der Plakoidorgane im Mundkiemendarm in fünf Gruppen ordnen: bei einer Anzahl Arten ver- schiedener Gattungen ist mehr oder weniger die ganze Wand dieses Vorderdarmabschnittes mit Zähnchen besetzt, nicht nur da, wo eine feste, durch Knorpel gegebene Stütze in der Wand vor- handen ist, sondern auch in der Schleimhaut selbst; bei den übrigen Arten ist eine fortschreitende Verminderung der Bezahnung festzustellen, die zuerst da einsetzt, wo eine Skelettunterlage fehlt und schließlich zum Wegfall aller Zähne, bis auf die die Kieferknorpel besetzenden, führt. Allem Anschein hängt die Rückbildung der Zähnchen mit ihrer geringen physiologischen Bedeutung zu- sammen. — Die Untersuchungen verfolgten jedoch weniger den Zweck , die vorliegenden Angaben über die Verteilung der Plakoidorgane über den Vorderdarm zu erweitern, als ein Hilfsmittel zur Erörterung einer ganz anderen Frage zu gewinnen: in das Gebiet des Vorderdarmes fällt nämlich eine morphologisch sehr wichtige Grenze, die zwischen dem ektodermalen und entodermalen Anteile dieses Darmabschnittes. Die Grenze ist auf be- stimmtem Entwicklungsstadium scharf gegeben, so lange die die Mundbucht nacli hinten ab- schließende Rachenhaut besteht; diese verschwin- det aber frühzeitig und damit setzt sich der zuerst nach vorn blind abgeschlossene, entodermale Darm in offene Verbindung mit dem ursprünglich nach 5o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 32 hinten abgeschlossenen ektodermalen Munddarm. Wie soll man dann die Grenze bestimmen? Der Unterschied im Aufbau des Epithels — viel- schichtig beim Ekto- , einschichtig beim Ento- derm — läßt im Stich, denn tatsächlich findet man in dem dem Munddarm sich anscliließenden Kiemendarm, im Oesophagus und mitunter (selbst bei Säugetieren) im Magen ein vielschichtiges Epithel. Stammt dieses vom Ekto- oder vom Entoderm ? Mit anderen Worten : hat sicli das einschichtige entodermale Epithel in vielschichtiges verwandelt oder ist von solchem ektodermalen Ursprungs verdrängt worden ? Der Verf. sieht in der P'ähigkeit der vielschichtigen, epithelialen Bekleidung des Mundkiemendarms der Selachier unter Beteiligung des Bindegewebes, Hautzähnchen zu bilden, die sich bis zum Oesophagus finden lassen, den Beweis dafür, daß das Epithel auch des Kiemendarmes ektodermalen Ursprungs ist, also vom Munddarm aus nach hinten sich ver- schoben und das Entodermepithel verdrängt hat. Dasselbe lehrt auch die Verteilung der Sinnes- kiiospen , die sich nicht nur im Mund-, sondern auch im Kiemendarm, bei manchen Arten im Oesophagus bis zur Cardia nachweisen lassen und gewiß ektodermaler Abkunft sind. Entsprechende Befunde liegen auch über andere Fische, über Reptilien und Säuger vor, so daß man auch bei den höheren Wirbeltieren dem Ektoderm im Vorderdarm eine größere Ausdehnung zuschreiben muß. Ob freilich über den Oesophagus hinaus, durch den Magen hindurch bis zum Pylorus, wie dies bei Chiniacra sicher zu sein scheint, müssen weitere Untersuchungen lehren. Bekannt ist die bedeutende Länge des ektodermalen Darmanteiles bei Insekten und die völlige Ersetzung des ento- dermalen Darmes durch das Ektoderm bei Ortho- pteren (Jen. Zeitschr. f. Nalurw. LIII). Brn. Was sind die Meerochsen des Marienburgrer Treßlerbuches?- Das Marienburger Treßlerbuch, das die Jahre 1399 — 1409 umfaßt und Rechnungs- bücher des deutschen Ordens darstellt, erwähnt als Bestandteile des Tiergartens zu Stuhm an mehreren Stellen auch Meerochsen und Meer- kühe; offenbar handelt es sich um ein- und die- selben Tiere, die neben anderen Seltenheiten und Sehenswürdigkeiten eine Reihe von Jahren im Stuhmer Tiergarten von besonderen Wärtern ge- pflegt worden sind. Unmittelbar nach Veröffent- lichung des Treßlerbuches (durch Joachim 1896) sprachen sich Treichel, Dahms und Ne bring dafür aus, daß unter Meerochs nur der Elch gemeint sein könne, der sonst in den Rechnungsbüchern nicht erwähnt wird. Mit dieser Deutung kann sich Szalay (Zool. Annalen VI, 1914) aus verschiedenen Gründen nicht einver- standen erklären. Bei Prüfung der mit Meer zu- sammengesetzten Tiernamen ergibt sich, daß so bezeichnet werden i. wirkliche Meeresbewohncr, 2. Küstenbewohner, 3. Arten von überseeischer Herkunft, 4. solche, denen diese wenigstens zu- geschrieben wurde und 5. Arten, bei deren Be- nennung irgend ein Irrtum unterlaufen ist. Zu Gruppe 3 gehört auch Meerochs im Sinne des Treßlerbuches. In alten Chroniken wird darunter ein Lasten tragendes Landtier des Orients ver- standen; als solche sind Elefant, Kameel, Büffel, Zebu, Rind, Esel, Pferd und Maulesel bekannt, von denen die drei letztgenannten von vornherein als hier nicht in Betracht kommend auszuschließen sind. Das gilt aber auch, wie derVerf des näheren darlegt, für Rind, Elefant, Kameel und selbst für den I3üfifel ; so bleibt der Zebu übrig, auf den alles, was über Meerochsen berichtet wird, vor- trefflich paßt. In Europa ist der Zebu seit Alexander dem Großen bekannt, der ihn in zahl- reichen Exemplaren von dem indischen Könige Taxiles erhielt. Frühzeitig und weit im Orient verbreitet wurde der Buckelochs nachweislich noch im Mittelalter nach Italien eingeführt und bei den Beziehungen des deutschen Ordens zu Rom liegt es nahe, anzunehmen, daß einer der Ordensprokuratoren in Rom dieses durch seinen Buckel auffallende und damals in Deutschland nicht bekannte Rind nach dem Stuhmer Tiergarten schaffen ließ. Brn. Die Pferdelausfliege. Die Abbildung Fig. i stellt die Pferdelausfliege, Ilippohvsca cquiiia Latr., dar und ist nach Exemplaren gezeichnet, welche ein Fahrer der Armee aus dem nördlichen Teile Polens nach Hohenheim geschickt hat. Er fügte hinzu, daß die Pferde, welche auf feuchten und teilweise sumpfigen Wiesen grasen, an heißen Tagen oft plötzlich unruhig werden , ausschlagen und heftig mit dem Schwanz schlagen. Man findet dann an den Tieren diese Fliegen, welche sich an haarlosen Stellen, meistens in der Nähe des Afters, angesetzt haben und Blut saugen. Die Fliegenart, welche auch bei uns vorkommt, ist durch die breite und flache Körperform gekenn- zeichnet. Die Farbe ist braun , auf dem Kopf und auf Rücken des Thorax mit gelblichen Zeich- nungen; insbesondere fällt hier ein dreiteiliger heller Mittelstrich auf [V\g. 1). Die Beine sind Fig. I. Hippobosca eijuhia. Vergrößerung zweim;il. Der nL-lienstehendc Strich gibt die wirkliche Größe an. Zeichnung von Frl. Muri an Mülberger. gelb mit braunen Ringen. Das Tier gehört zu den „Puppiparen", deren Larven sich im mütter- lichen Körper bis zur vollen Größe entwickeln, so daß sie sich sehr bald nach der Geburt ver- puppen können. Die Puppen überwintern am Boden. .'\bgesehen von der Belästigung schaden die Fliegen den Pferden nicht. H. E. Ziegler. N. F. XIV. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 509 Astronomie. Den Planeten Mars hat Lau in der Marsnähe des Winters 1913/14 eingehend studiert, um gewissen Widersprüchen in den Er- klärungen der Marskanäle auf den Grund zu kommen. So zeigte sein Instrument von 95 mm Öffnung noch 18 Kanäle, obwohl nach den Unter- suchungen von Newcomb eigentlich kein einziger hätte sichtbar sein dürfen. Die Polarflecken zeigten eine mit der Jahreszeit fortschreitende Änderung in Größe und Farbe, wenn auch nicht in der gleichen Weise. Das kommt aber daher, daß die südliche Marshalbkugel 146 Tage Winter hat gegen 200 auf der nördlichen, und daher sind die nördlichen Schneeflecken natürlich auch aus- gedeiinter und dauerhafter. Eine neue Bezeich- nung wird in die Marstopographie eingeführt, die sogenannten Moräste, dunkle Gebiete von bräun- licher Farbe, die um die Zeit der Schneeschmelzen entstehen, und in der Nähe der Pole vorkommen. Wenn die Schneemassen am Pol schmelzen, werden die arktischen Einsenkungen von den kalten Wassermassen unter starker Nebelbildung gefüllt, der okergelbe Boden der Einsenkungen wird rot- braun getärbt, und wenn die Moräste später ver- bleichen und austrocknen, treten grünliche F'arben- töne auf, an die der Beobachter sogar die Ver- mutung einer Anwesenheit von Vegetation knüpft. Überhaupt hat der Beobachter fast überall eine Menge von kleineren Veränderungen auf der Marsoberfläche feststellen können, von denen frei- lich schwer zu sagen ist, wie weit sie reell sind, und wie weit sie in den Bedingungen des Instru- mentes sowie der Durchsichtigkeit und Ruhe der Atmosphären von Mars und Erde ihre Entstehung finden. Für die Sichtbarkeit der sogenannten Kanäle läßt sich eine deutliche Beziehung zwischen ihrer Anzahl und dem scheinbaren Durchmesser des Planeten feststellen, also mit anderen Worten, die Sichtbarkeit der Kanäle hängt von der Ent- fernung der beiden Planeten ab, so daß also die oft erwähnte Entwicklung dieser rätselhaften Ge- bilde ein rein optischer Vorgang sein dürfte. Während die tropischen Kanäle bleiben, beschrän- ken sich die mit der Jahreszeit parallel laufenden Veränderungen der Streifen in der Nähe der Pole auf eine Zunahme ihrer Sichtbarkeit im Herbst und auf eine entsprechende Abnahme im Früh- jahr. Die Moräste sollen weite Einsenkungen in der Marsoberfläche sein, die Kanäle sind dann breite Spalten oder Täler, die durch Überschwemmungen oder Niederschläge sich dunkler färben. Die Seen sind Einsturzstellen der Kruste und die Kanäle sind Bruchlinien. Es macht nichts aus, ob die Polarflecke aus Wasser, Kohlensäure oder anderen Verbindungen bestehen, und auch die Über- schwemmungen und Niederschläge können von irgendwelchen schweren Gasen herstammen, welche sich in den P^insenkungen sammeln und die nied- rigeren Gebiete dunkel färben. Also rätselhaft bleibt der Mars noch lange. Riem. Beobachtungen der Venus hat W. Rabe in Breslau angestellt (Ästr. Nachr. 4780) um die Um- drehungszeit und die Axenlage zu bestimmen. Aus einer großen über die ganze Venusperiode verteilten Beobachtungsreihe ergab sich der Venus- durchmesser zu I7",30, mit einer Andeutung dafür, daß beim Vorübergang des Planeten zwischen Erde und Sonne eine Abplattung angedeutet zu sein scheint, die sich aus den Messungen etwa zu 1/105 ergeben würde, wahrscheinlich aber geringer ist. PZs ist ja bekannt, daß solche Messungen sehr von der Größe des benutzten Instrumentes ab- hängig sind. Aber dem Beobachter sind auch häufig physikalische Beobachtungen gelungen, die ihn zu der Annahme der kurzen, etwa 24 stün- digen Umdrehung veranlassen. Schnelle Verän- derungen an der Lichtgrenze, sowie die Be- wegungen einiger Streifen mit hellen Knoten- punkten ließen sich deutlich wahrnehmen, so daß als Länge des Venustages 23 Std. 57 Min. 2,68 Sek. angegeben wird. Vor allem scheint das nördliche Hörn häufig Unregelmäßigkeiten darzubieten. Ferner ist es von allgemeinem Interesse, daß es dem Beobachter in der Zeit 159 Tage vor und 19 Tage nach dem größten Glanz den Planeten bei Tage zu sehen, häufig gelungen ist, oft so leicht, daß er den Körper als eine auffallende Erscheinung bezeichnet. Riem. Geographie. Die Davis'sche Lehre vom geographischen Zyklus ist in ihrer ursprünglichen Darstellung nicht unwidersprochen geblieben; be- sonders hat, um nur einen Punkt herauszugreifen, die allzu schematisierte, auf einer P"ülle von still- schweigenden Voraussetzungen beruhende Theorie der Talentwicklung in der P'olgezeit manche Ver- änderungen erfahren durch präzisere Definitionen und strengere Ableitungen. Es wird nötig sein, den Zyklus für eine jede Gesteinsart gesondert aufzubauen und dabei neben dem „Vorgang" und der „Struktur" die Größe der Agentien im wei- testen Sinne zu berücksichtigen. In seiner kriti- schen Arbeit „Tal- und Flußwindungen und die Lehre vom geographischen Zyklus" gibt Otto Lehmann eine eingehende Erörterung der damit zusammenhängenden Probleme (Zeitschr. Ges. Erdkde., 191 5, Nr. 2 u. 3). Die Unsicherheit der Definitionen der Worte „Flußwindungen" und ,, Flußmäander" gibt ihm zunächst Veranlassung, das Wort „Windungen" nur für solche Plußkrümmungen anzuwenden, die der Mitarbeit des Flusses ihre Stetigkeit und Regel- mäßigkeit verdanken, während er als „Mäander" nur die freien, dem Wasserhaushalt des Flusses entsprechenden Krümmungen bezeichnet. Gewundene Täler ahmen in ihrem oberen Talrande die regelmäßigen Bögen der Sohle oder des Flußbettes abgeschwächt nach. Sie wurden früher auf „eingesenkte Flußwindungen" zurück- geführt, sollen aber auch zustande kommen ohne Einsenkung ursprünglicher Windungen nur durch 510 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 32 Vergrößerung kleiner Krümmungen. Sie sind also entweder zweizyklisch oder einzyklisch, Wie soll man aber in der Natur ein/.yklische Windungen von zweizyklischen unterscheiden ? Ein solcher Unterschied kann in den Formen nicht gefunden werden, zumal es reife Gebirge gibt, in denen keine gewundenen Täler gefunden werden. Die Annahme einzyklischer Talwindungen geht nicht auf sichere Beobachtungen zurück, sondern ist eine Folgerung der bisherigen theoretischen Ableitung des normalen Zyklus. Nach den Davis'schen Blockdiagrammen ') kommt es zu einer Loslösung der Flüsse vom Gehänge an den Prallstellen erst nach Beseitigung der vorragenden Sporne. Wo also eine Nicht- übereinstimmung zwischen Fluß- und Talwindungen vorkommt, muß an eine Störung des Zyklus ge- dacht werden. Der Fluß, der sich nun frei be- wegen kann, besitzt ,,lose Mäander", falls die An- zahl seiner Windungen die des Tales um ein Mehrfaches übertrifft. In anderen Fällen sind die Flußwindungen in ihrer Zahl gegenüber den Tal- windungen nicht wesentlich vermehrt; es muß in solchen F"ällen an Aufschüttungen gedacht werden, wie entsprechende Beobachtungen lehren. Hat ein Tal nach Ausgleichung des Gefälles schöne noch vergrößerungsfähige Windungen aus irgendeinem Grunde erlangt, ist also in einem gewundenen Tale das Gefälle ausgeglichen und die Tiefenerosion erlahmt, so kann infolge seit- licher Belastung durch Schuttmassen mit einer da- mit Hand in Hand gehenden Abnahme der Trans- ])ortkraft eine streckenweise Geradlegung des h'lusses eintreten. Bleibt der Fluß dabei stark genug, so kann er eine breite gestreckte Talsohle mit echten Mäandern ausarbeiten. Wird er aber zu schwach, so kann er sich nicht mehr weit von der Talmitte entfernen; es wird ein Muldental das Endergebnis sein. Somit kann aus einem gewundenen Sohlental ein wenig gewundenes Muldental oder auch ein breites gestrecktes Sohlen- tal entstehen. Gehen wir nun zur Ableitung des Erosions- zyklus bis zur Ausgleichung des Gefälles über, so wird sich also ein Fluß an den Prallstellen schräg abwärts einschneiden in einer Richtung, die dem gleichzeitigen Betrage der seitlichen und der Tiefenerosion entspricht. An den Prallstellen können in festem Gestein Überhänge entstehen und sich längere Zeit halten (Klammen der Alpen- flüsse). Plötzliche Einstürze werden zu Flußver- legungen führen, so daß wir die häufige Erschei- nung bauchiger Vorsprünge eines Schluchtgehänges, denen eine Höhlung des anderen Gehänges ent- spricht, vor uns haben -). Die Verlegung der seillichen Erosion von einem Flußufer aufs andere ') Da vis - B raun , Grundzüge der I'hysiogeograpliie (Leipzig 1911) S. 197. — Davis-Rühl, Die erklärende He- schrcibung der Landformen (Leipzig 1912), S. 54. unterbindet in diesem Stadium die Entstehung regelmäßiger Talwindungen. In einem weniger festen Gestein, in dem keine Überhänge auftreten, werden natürlich die Gehängeböschungen auch durch Rutschungen verändert. Über dem Steil- hang, der durch laterale Unterschneidung entsteht, folgt das abgeböschte Rutschungsgehänge. Die Gefahr aber wächst, daß der Fluß durch Rut- schungen von den Prallstellen abgedrängt wird und zu zeitweiliger Akkumulation in dem ofTentn V-förmigen Tale gezwungen wird. Während früher der Steilhang der Prallstellen bis zur Uroberfläche reichte und das Tal die Krümmungen des Flusses nachahmte, ist dies jetzt nicht mehr der Fall, und es sind nur noch gelegentliche Windungen möglich. Wie geschieht nun die Weiterentwicklung der I-^ormen eines nicht gewundenen Tales nach Aus- gleichung des Gefälles? Bei nicht sehr festem Gestein werden die Gehänge nur in der Form steiler Fußunterschneidungen umgestaltet. Es entstehen Unterschneidungsböschungen mit seg- mcntförmigem Umriß (z. B. häufig in den Tälern des Wiener Waldes). Das Tal wird gestreckter, obwohl seine Sohle noch recht schmal ist. Durch Anhäufungen kann ein ziemlich gestrecktes Mulden- tal entstehen. Auch bei festem Gestein kann normalerweise die Ausbildung von Talwindungen nach Ausgleich des Gefälles unterbleiben. Die laterale Erosion strebt die Vergrößerung vorhan- dener Kiümmungen zu Windungen an; aber durch Unterschneidung ausgelöste Bergstürze werden die Fähigkeit zu lateraler Erosion vermindern, so daß der Fluß neben jugendlichen Gehängeformen eine breite Talsohle aufweisen kann. Zur Entwicklung gewundener Täler gehören also andere Voraussetzungen , als sie bisher gemacht wurden, nämlich langsam sich senkende Erosionsbasis oder aufsteigende Gebirge während der Talbildung, mit anderen Worten eine Störung des normalen geo- graphischen Zyklus. Dies zeigt auch der Gegensatz zwischen dem Rhein und seinen Nebenflüssen Mosel und Lahn. Das Rheintal hat statt der schönen Windungen seiner Nebentäler einen fast geraden Lauf, der auf raschere Tiefen- erosion infolge der Gebirgshebung am Südrande des Schiefergebirges und der Senkung der Bonner Bucht zurückgeführt werden muß. Bei langsamer Senkung der Erosionsbasis ist es vielleicht auch möglich, daß ursprüngliche jugendliche Laufknik- kungen und -krümmungen sich in Windungen verwandeln, während der Fluß sein Tal einschnei- det. Solange die Gesetze der Mäanderbildung aber noch im Dunkeln liegen, wird eine genaue Begründung für diesen Fall noch ausstehen. Dr. G. Hornig. ^) Ref. weist hierbei auf das Annatal bei Eisenach hin, in dem sich diese Erscheinung schön beobachten läfit. N. F. XIV. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. SU Bücherbesprechungen. Hayek, Dr. Aug. Edler von, Privatdoz. a. d. Univ. Wien, Die Pflanzendecke Österreich- Ungarns. I.Band, I.Lieferung. Leipzig und Wien 1914, Franz Deuticke. Der Autor, ein durch mehrere Spezialabhand- lungen bekannter Pflanzengeograph und genauer Kenner großer Teile der Österreich-ungarischen Plora beginnt hier auf breiter Grundlage eine Darstellung der Pflanzendecke der Habsburgischen Monarchie, die wegen der Mannigfaltigkeit der verschiedenen Länder und Klimate einen schwie- rigen, aber auch besonders dankbaren Stott für den Pflanzengeographen und Floristen abgibt. In der ersten vorliegenden Lieferung des mit teilweiser Unterstützung der K. Akademie der Wissensch. zu Wien herausgegebenen Werkes (das auf 2 Bände zu je 5 Lieferungen berechnet ist) wird zunächst ein elementarer Abriß der allgemeinen Lebensbedingungen und ihrer Wir- kungen auf die Organisation der Pflanzen gegeben, der die Faktoren Licht, Wärme, Boden usw. in der allgemein gangbaren Form schildert. Hier hätte man vielleicht eine noch enger an die Pflanzenphysiologie angeschlossene Erörterung ge- wünscht, ein Wunsch, der allerdings für die meisten derartigen von Systematikern geschriebenen Dis- kussionen gilt. So z. B. wird die wichtige Stick- stofirage fast ganz vermißt. Dann folgt eine Be- handlung der Klimate mit Rücksicht auf die fraglichen Gebiete sowie der wichtigsten P^orma- tionen (Wälder, Grasfluren, Heide, Moore usw.) In dem speziellen Teile beginnen dann die pflanzen- geographischen Einzelschiiderungen mit einer Dar- stellung der Sudetenländer. Zahlreiche Abbil- dungen einzelner Charakterpflanzen sowie z. T. ausdrucksvolle Vegetationsbilder schmücken das Werk, das ein wertvoller Bestandteil der pflanzen- geographischen Literatur zu werden verspricht. Miehe. Forch, Reg.-Rat Dr. C, Das Leuchtgas, seine Herstellung und Verwendung. Mit 43 Abbild, kl. 8"0 VIII u. 164 S. In Leinen geb. i M. (Sammlung Kösel, Bändchen "jt.) Verlag Kösel, Kempten und München. In gemeinverständlicher Fassung gibt der Verf eine übersichtliche und anschauliche Schilderung der Darstellung und Verwendung des Leuchtgases, welche durch viele Illustrationen unterstützt wird. Wir lernen die Herstellung der verschiedenen Gas- arten kennen (des Steinkohlengases, Generator- gases, Wassergases, ( )1- und Luftgases und des Acetylens), welche zur Beleuchtung, Beheizung und Erzeugung motorischer Kraft dienen. Über Auf- bewahrung und Leitung, Heizwert- und Licht- messungen des Gases werden wir unterrichtet. Das Gasglühlicht in seinen verschiedenen Formen, als stehendes und Hänge-Glühlicht, in Preßgas- lampen u. a. wird dann vorgeführt und auf die Vorteile der Gasheizung hingewiesen. Die große Bedeutung der P"ernzündung für die Straßen- beleuchtung und der Ferngasversorgung wird uns dargelegt und die Vorteile der Gasmaschine u. a. m. erläutert. Aus allem ergibt sich die wirtschaft- liche Bedeutung der Gasindustrie und die gute Wirtschaftlichkeit der Gaswerke selbst. Der reiche Inhalt und seine sachgemäße Aus- führung sprechen für dieses Bändchen und für die Vorzüge der „Sammlung Kösel" im allgemeinen. Dr. Bl. Koppe, M., Die Bahnen der beweglichen Gestirne im Jahre 19 i 5. 10 S. mit Tafel. Berlin 191 5, Julius Springer. — Preis brosch. 40 Pf. Das kleine Heft gibt in der bekannten Form auch dieses Jahr den Überblick über die Sichtbar- keitsverhältnisse der Sonne, der Planeten und des Mondes. Eine genaue graphische Darstellung gibt nicht nur an, wann einer dieser Körper zu sehen ist, sondern auch, wie lange er über dem Horizont bleibt. Sehr lehrreich für Unterrichtszwecke ist die Darstellung des Mondlaufes, der astronomischen und zyklischen Mondphasen, aus deren Betrach- tung sich das Eintreten der Finsternisse ergibt. In eigenartiger Weise wird festgestellt, welchen Wochentag ein behebiges Datum hat, sowie das Datum des Osterfestes für ein gegebenes Jahr, und zwar aus der Bestimmung des jeweiligen Frühlingsvollmondes. Riem. Ehrenbaum, E. , L'ber Küsten fische von Westafrika, besonders von Kamerun. 85 S. gr. 8'J. Mit 38 Abbildungen im Text. Hamburg 1915, L. P'riedrichsen & Co. Frankreich hat in den letzten Jahren unter staatlicher Beihilfe Versuche zur Ausbeutung der Fischbestände an der westafrikanischen Küste an- stellen lassen, die beachtenswerte Ergebnisse ge- liefert haben. Deutscherseits ist dann von der „Württembergischen Kamerun - Gesellschaft" ein Motorkutter von der Unterelbe nach der Mündung des Kamerunflusses entsandt worden, um sowohl im Kamerunästuarium wie im Meere den Bestand an Nutzfischen und ihre Verwertungsmöglichkeit feststellen zu lassen. Der Führer des Kutters, von Fitzen, der auch mit dem Grundschlepp- netz fischen ließ, hat die gefangenen Arten nach den Angaben des Verf. konserviert und nach Ham- burg gesandt. Über diese auch faunistisch wert- volle Sammlung berichtete Ehrenbaum jüngst im „Fischerboten" (191 3, 19 14), aus dem das vor- liegende, mit guten Abbildungen versehene Buch ein Sonderabdruck ist. Von den im ganzen 57 Arten haben 47 eine mehr oder weniger große fischereiliche Bedeutung; sie werden besciirieben, in ihrer Lebensweise, Verbreitung und Verwen- dung an Ort und Stelle geschildert und größten- teils auch abgebildet. Es bleibt abzuwarten , ob und gegebenenfalls in welcher Form der Fisch- 512 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 32 reichtum des Kameriinästuariums für den Markt in Deutschland ausgenutzt werden kann. Die Sammlung ergab auch je eine neue Art der Sciaenidengattung Corvina, der Serranidengattung Epiiicphdiis , der Rhinobatidengattung RJiyncho- baf?is und der Anguillulidengattung I/tierejic/iclys, für deren erste Beschreibung eine Fischereizeitung gewiß nicht der richtige Ort ist. M. Braun. F. Beyschlag, P. Krusch und J. H. L. Vogt, Die Lagerstätten der nutzbaren Mine- ralien und Gesteine nach Form, In- halt und Entstehung. 2. neu bearbeitete Aufl. I. Band. Erzlagerstätten i. Lex. 8". Stuttgart 1914, Ferd. Enke. — Preis geh. 18,60 Mk., geb. 20 Mk. Schon nach 5 Jahren ist eine 2. Auflage des I. Bandes der bekannten Lagerstättenlehre von Beyschlag-Krusch-Vogt nötig geworden und liegt nunmehr in einem stattlichen Bande von 578 S. mit 281 Abbildungen vor. Die Art der Behandlung des Stoffes ist von der ersten Auf- lage her geläufig und ebenso ist es bekannt, daß trotz des Vorhandenseins der viel gebrauchten R. Beck'schen Darstellung und der gehaltreichen und kritischen S tel zn er- Bergeat 'sehen Erz- lagenstättenlehre auch dieses Buch zahlreiche Freunde hat und dazu erwerben wird. Der Abschnitt über Mineralbildung ist zum großen Teil gänzlich umgearbeitet. Neu ist ein Kapitel über die gelartigen Körper und die Gel- erze der Schwermetalle, deren Kenntnis für das Verständnis der Oxydationszone der Lagerstätten von großer Bedeutung ist, worauf zuerst Cornu hingewiesen hat. Das Kapitel über Art und Ur- sache der Spaltenbildung, in der i. Auflage die Einleitung zum 2. Bande, hat jetzt seinen richtigeren Platz vor der Behandlung der Gänge gefunden. Im ganzen darf man sagen, daß der erste Band dieser 2. Auflage, der zur Hälfte der allgemeinen Erzlagerstättenlehre gewidmet ist, ein wertvolles Hilfsmittel darstellt, um sich über die einschlägigen Verhältnisse zu orientieren. K. Andree. Ewald, C. A, Stoffwechsel und Diät von Gesunden und Kranken. 125. Bd. der Sammlung „Wissenschaft und Bildung". Leipzig (Quelle u. Meyer) 19 14. Man muß dem bekannten Berliner Kliniker dankbar sein, daß er, aus dem reichen Schatz seiner Erfahrungen und seines Wissens schöpfend, das Gebiet von Stoffwechsel und Diät gemein- verständlich darstellte und es in der Sammlung „Wissenschaft und Bildung" weiteren Kreisen zu- gänglich machte. Diese Fragen des täglichen Lebens, des „täglichen Brotes", müssen ja eigent- lich jedermann interessieren; leider aber wissen die „Gebildeten" meist nur sehr wenig davon. Vielleicht wird die Kriegszeit dazu beitragen, das Interesse an Stoffwechsel und Diät zu steigern, da ja jetzt die rationelle Ausnutzung unserer Nahrungsmittel eine der wichtigsten Tagesfragen ist. Jedermann kann dazu aus dem Büchlein viel lernen, denn es ist sehr inhaltsreich, und die Dar- stellung ist klar und verständlich und mutet trotz- dem bei ihrer strengen Sachlichkeit selbst den mit der Materie Vertrauten wie eine wissenschaftliche Abhandlung an. Verf. belehrt uns über das Wesen des Stoffwechsels und über die Art, wie wir die verschiedenen Nahrungsmittel ausnutzen; er unter- richtet uns darüber, was wir von den verschiedenen Arten des Vegetarismus zu halten haben. Dann bespricht er die Vorgänge bei der Verdauung; er zeigt uns, in welcher Weise die verschiedenen uns als Nahrungsmittel dienenden Stoffe, Fleisch, Fett, Gemüse, Brot, Molkereiprodukte usw., zu nahr- haften und auch Genuß bringenden Speisen her- gestellt werden. Wir lernen dabei, daß der Zu- satz von Genußmitteln zu den Speisen für ihren Nährwert von hoher Bedeutung ist, daß aber Genußmittel schädlich werden, wenn ihr Gebrauch übertrieben wird. .An der Hand der Alkoholfrage zeigt uns dies Verf. besonders eindringlich. — Wir werden sodann belehrt, wie bei falscher „Diät" ebenfalls krankhafte Zustände entstehen können und welche Vergiftungen und Infektionskrankheiten uns von verunreinigten Nahrungsmitteln drohen können. — Daß bei der Krankenernährung alle Grundsätze einer rationellen Diät besonders streng eingehalten werden müssen, wird jedem einleuchten. Daß man aber dabei nicht alles über einen Hut scheren kann, zeigt uns Verf. in einem besonderen Kapitel. Zum Schluß hören wir kurz einiges von dem Wesen einer sogenannten ,,Stoirwechsel- krankheii", nämlich der Zuckerkraiikheit, und wir lernen, daß bei derartigen Zuständen eine besondere Diät die gegebene Behandlungsmethode sein muß. Ähnliche Grundsätze müssen dann auch bei den Nierenkrankheiten und bei den Erkrankungen der Verdauungsorgane gelten. — Ich glaube, daß das Büchlein sehr dazu geeignet ist, ,,daß die Kenntnis unseres Organismus und seines Betriebes sowie des Wesens der Krankheiten, unter denen der Körper zu leiden hat, in möglichst weite Kreise getragen wird". Die Leser werden in der Tat daraus „Ein- sicht in die Anschauungen gewinnen, von denen sich die Arzte leiten lassen", und werden „ver- stehen lernen, aus welchem Grunde diese oder jene Diät in den betreffenden Fällen verordnet wird". Hübschmann. Inhalt: Müller: über die heutige Lage des psychophysischen I'arallclismus und der Wechselwirkurigstheorie. — Einzel- berichte: Fa h rcn hol z: IMakoidorgane und Sinnesknospen im Vorderdarm der Selachier. Szalay: Was sind die Meerochsen des Maricnburgcr Treßlerbuchcs? Zicgler: Die Pfcrdelausfliegc (mit I Abbildung). Lau; l'lanet Mars. Rabe: licobuchtungen der Venus. Lehmann: Tal- und Klußwinduiigen und die Lehre vom geographischen Zyklus. — Bücherbesprechungen: Hayek: Die Pflanzendecke Österreich- Ungarns. Koppe: Die Bahnen der beweglichen Gestirne im Jahre 1915. Forch: Das Leuchtgas, seine Herstellung und Verwendung. Ehrenbaum: Über Küsten- Tische von VVcstafrika, besonders von Kamerun. Beyschlag, Krusch, Vogt: Die Lagerstätten der nutzbaren Mineralien und Gesteine nach Form, Inhalt und Entstehung. Ewald: Stoffwechsel und Diät von Gesunden und Kranken. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. II. Miehe in Leipzig, Marienslraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippcrt & Co. G.m.b.H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 15. August 1915. Nummer 33. Die deutschen Storchmarkierungen. Von A. Wesemüller. rNachdnlck verl» Mit 3 Karten und 3 Tabellen. I. Zugstraßen. Daß die Wanderflüge unserer Störche in sehr weite P'erne gehen, hat man von jeher gewußt, auch, daß ihr Ziel meistens Afrika oder doch „im Süden" war. Aber über nähere Einzelheiten herrsch- ten immer nur mehr oder minder begründete Vermutungen. Man kannte weder die Linien- führung des Reisewegs und seine Etappen, noch konnte man sagen, wie die Scharen sich auf den jenseitigen Kontinent verteilen, ob das untere Niltal und ähnliche Ansammlungsstätten auch wirklich unsere deutschen Störche aufnehmen oder ob nicht ganz andere, bisher gar nicht in Betracht gezogene Gebiete in Frage kämen. Auch über eine etwaige traditionelle Zugehörigkiet der ein- zelnen Individuen oder Trupps zu ganz bestimmten Winterquartieren oder über das Gegenteil, eine jedesmal beliebige, vom Zufall abhängige Wahl war ebensowenig etwas Sicheres bekannt, wie andererseits für die zu uns Zurückkehrenden das Wiederbeziehen der alten Heimstätte gern zwar angenommen, aber doch von niemand unbestritten bewiesen wurde. Und doch versprach gerade die Klärung derartiger Fragen recht fesselnde Ergeb- nisse und war imstande, dem poetischen Schim- mer, womit Dichter und Volk den majestätischen Flieger umkleidet haben, auch eine gegenständliche Grundlage zu geben. Leider fehlte es zur Ermittlung eben immer an den unfehlbaren Handhaben. Erst den ornitho- logischen Beobachtungsstationen sollte es daher gelingen, wie im Flugleben so mancher Vögel nun auch in dem der wandernden Störche wenigstens einen großen Teil des Tatsachenbestandes in den Bereich des Wissens zu bringen. Jedoch auch hier so wie dort erst auf dem Wege des Ring- experiments, das von Prof. Thienemann, dem Leiter der Vogelwarte Rossitten, eingeführt, be- kanntlich darin besteht, daß freilebende Vögel um den Fuß einen (übrigens völlig unschädlichen und unbeschwerlichen) Aluminiumring bekommen, der als Aufschrift Datum und Ort des Auflasses ent- hält. Dadurch, daß immer von überallher, wo derartig gekennzeichnete Vögel zufällig gefangen oder sonstwie erbeutet wurden, die Ringe oder auch der F"uß oder der ganze Vogel mit dem Ring an die Adresse zurückgesandt werden (natür- lich mit Angaben über Zeit und Stelle des Fundes, womöglich auch über naturkundlich wichtige Be- gleitumstände), dadurch werden für die Forschung sehr wichtige Anhaltspunkte gewonnen, die so leicht nicht trügen können. So hat denn diese Methode in den letzten Jahren auch über die Wanderfahrten des weißen Storches eine Reihe recht wertvoller Ergebnisse erbracht, was ja des- halb besonders erfreulich ist, als es sich um ein Tier handelt, dessen Flugbild am Himmelsbogen ein so besonders charakteristisches ist und wohl noch auf jeden, der es sah, als ein Sinnbild hoch über das Leben hingleitender Gedanken oder des zwischen einem unbekannten Woher und Wohin schwebenden Lebens selbst den nachhaltigsten Eindruck gemacht hat. Man war seinerzeit in der Ornithologenwelt nicht wenig erstaunt, als der Baurat Wüst n ei in Schwerin gesehen haben wollte, daß Freund Adebar seinen Frühjahrszug ins Mecklenburgische nicht nach der landläufigen Meinung von Süden, sondern fast von Osten her vollführte. Das stellte doch alle bisherigen Angaben auf den Kopf. Es war daher eine der lockendsten Aufgaben des Ringexperiments, hierüber Klarheit zu schaffen, und so ist denn seit einigen Jahren hauptsäch- lich in Nord- und Mitteldeutschland die Storch- beringung recht lebhaft im Gange. Jener Beobachter hatte sich tatsächlich nicht geirrt. Immer wieder kamen jährlich Abteilungen der langstelzigen Lenzboten aus der südöstlichen Richtung zurück. Heute weiß man, daß es eben- falls „Afrikaner" sind, daß überhaupt ein großer Teil dieser nord- und mitteldeutschen Flieger, wenn nicht alle, nach jenem Erdteil von uns aus nicht den geraden Weg zum Ziel einschlagen. Zwei völlig verschiedene Hauptbahnen innerhalb Europas sind bisher festgestellt, eine südöstliche und eine südwestliche, deren jede aus einem System von Einzelstraßen für die verschiedenen Revier- gruppen zu bestehen scheint. Es macht den Eindruck, als ob der größte Teil des deutschen Storchgeschlechts in zwei große Stämme zerfällt, indem die Mitglieder eines jeden an eine der beiden Hauptbahnen von den Urahnen her ge- wöhnt sind. Gerade in den letzten Jahren sind reichlich genug Ringmeldungen eingegangen, die zu diesen neuen Ansichten führten. Selbst aus Afrika kam eine so schöne Reihe von Beweisstücken zusammen, daß Prof. Thienemann im letzten Jahresbande der Vogelwarte Rossitten erklären kann, daß von der Nilmündung bis zur Südspitze Afrikas Zug- straße und Winterquartiere nun klar vor Augen liegen. Die Tiere haben von Station zu Station sozusagen selbst ihre Pfade aufgezeichnet. Die Belege, die aus Deutschland, (Österreich- SM Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XrV. Nr. 33 Ungarn, Frankreich, Spanien, ferner aus Syrien, Palästina und aus Afrika aus der Längslinie von Ägypten bis zur Kapkolonie stammen, erweisen so recht die Brauchbarkeit und Großartigkeit der Beobachtungsmethode. Sind doch selbst Einge- borene an der Ablieferung der Ringe mit beteiligt. Hierdurch und sonst durch manche interessante Begleitumstände und vor allem Begleitschreiben erhält das ganze Verfahren zu seiner wissent- schaftlichen Gründlichkeit auch noch einen be- sondern, die Phantasie erfreuenden Reiz. Zum Nachweis der angedeuteten Bahnen und einiger darin verlaufenden Einzelstraßen mögen die nachfolgenden Tabellen dienen, die zusammen- gestellt sind nach den gesamten Veröffentlichungen über die Storchmarkierung in den Rossittener ') Jahresberichten bis 191 3 (einschließlich): Alle diese \^ögel mit südöstlicher Tendenz stammen also aus einem Gebietsviereck, dessen Ecken begrenzt sind von Friesland und Ost- preußen im Norden, sowie Hannoverland und der Provinz Sachsen im Süden. Ihr ') Die Vogelwarte Rossitten auf der Kurischen Nehrung ist für die deutschen Storchm.irkierungen die Zentralstelle, die alle Krgebnisse sammelt und darüber in ihren Jahrbüchern Bericht erstattet. Sie und ihre Schwesterstation Helgoland geben an alle, die es wünschen und das nötige Geschick und ornithologische Verständnis haben, Ringe zur Mithilfe an der Vogelmarkierung kostenlos ab. Um die passende Ringsorte zu erhalten, sind beim Bezug die in Aussicht genommenen Vogelarten ungefähr anzugeben. Die Empfänger von Ringen möchten sich aber verpflichtet fühlen, jede einzelne Markie- rungsvornahme gewissenhaft nach Ort und Zeit zu notieren und der Warte gelegentlich Mitteilung zu machen, damit diese Bescheid weiß, wenn eines Tages ihr der Ring eines solchen Vogels zugesandt wird. Tabelle I. Südöstlich abgewanderte Störche: Beringungs- Zeit — Ort Fund- Zeit — Ort Entfernung zwischen Abflugs- und Ankunftsort Zeitdauer des Ringtragens l) 26. Juni 1909 in Bühne bei üster- I. September 1909 bei Sehma im Erz- wieck am Harz. gebirge (33 km südlich von Chemnitz). 235 km 2 Monate, 5 Tage 2) 2. August 1911 in Glindenburg, Kreis 4. September 1911 in der Nähe von Wolmirstedt, Prov. Sachsen. Altwasser bei Marienbad in Böhmen. 3) Im Juli 191 1 in Wierup bei Mens- lage, Kreis Bersenbrück (Hannover). 4) 24. August 1907 in Geschendorf bei Lüljeck. 5. September 191 1 in Altenbuch bei Trautenau in Nord b ö h ra e n. 26. August 1907 in Michelwitz südlich Breslau, also in Schlesien. I Monat, 2 Tage 600 km ca. 2 Monate Anm.; Dieser Storch flog von jen- seits der Weser nach Südost. 590 km 3 Tage 5) 4. Juli 1909 auf einer Scheune in Poggendorf bei Marlow in Mecklenburg- Schwerin. 25. August 1909 bei Tenczinau im Re- vier Hellewald, Kreis Rosenberg, Ober- schlesien (Reg. -Bez. Oppeln). (Er- beutet in einer Gesellschaft von etwa go Zugstörchen). 540 km I Monat, 21 Tage 6) 10. Juli 191 1 in Gorredyk, Nieder- lande, Prov. Friesland. 17. September 191 1 im Gradierwerk der Feldmühle Kosel - Oderhafen , Ober- schlesien. (Das Tier war in das Gradierwerk gefallen und halb verhungert daraus hervorgezogen. Wurde am Leben erhalten). 865 km 2 Monate, 7 Tage Anm.: Trotz seiner Heimat im äufler- sten Nordwesten flog dieser Storch doch den gewöhnlichen Weg Südost. 7) Im Sommer 1909 in Langfelde bei 15. August 1909 im Dorf Gostynier, Groß-Zünder, Kreis Danziger Niederung. I Kreis Grubeschow, Gouv. Lublin, rus- sisch Polen. 520 km 8) 2. Juli 191 1 in Schützberg, Prov. Sachsen. 4. September 191 1 bei Wisowitz, Mäh- ren (angeschossen und eingefangen). 460 km I '/a Monat 2 Monate, 2 Tage 9) 28. Juli 1910 in Authausen, Kreis Bittcrfeld , Prov. Sachsen (auf demselben Gehöft, in demselben Nest beringt wie Nr. 11). 28. August 1910 abends 7 Uhr geschossen im Walde der Gemeinde Perete, nahe der Landesstrafanstalt lUawa in Ungarn, Trencsiner Komitat. ca. 475 km 10) 19. August IC der Neumark. in Lippehne in 28, August 1908 bei Kassa Bela bei Kaschau, Ungarn. 640 km 10 Tage 11) Zur selben Zeit im gleichen Nest | 4. Februar 1911 auf Njoro-Farm im wie Nr. 9. Bezirk Njoro, Brit. Ostafrika, (nörd- lich vom Kilima-Ndjaro). 6400 km 7 Mon.-itc, 6 Tage N. F. XIV. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 515 Fundgebiet aber umfaßt Südsachsen (Erz- gebirge), dann breit nebeneinander Böhmen, Oberschlesien und russisch Polen und südlicher von dieser Gruppe Mähren und Ungarn. Die genauere Zuglinie wird sich stellenweise immer dem nächsten Stromlaufe anschließen, also bei Nr. 3 der Weser oder Elbe, bei Nr. i dem FlußgebietThüringens, bei 2, 8, 9 und 11 der Elbe, bei 4, 5 und 10 der Oder, bei 7 der Weichsel. Der Friesländer Storch (Nr. 6) könnte dem Bourtanger Moor, der Hase, Weser, Thüringer Gewässern und darauf der Elbe bis zum Erzgebirge gefolgt sein, um dann das Riesen gebirge zu umfliegen und in dem Gebiete ostwärts von ihm und den Sudeten nach Oberschlesien zu gelangen. Alle auf den angegebenen Strecken weg- gefangenen oder vom Tode ereilten Flieger würden vermutlich wie die zwei in Ungarn angetroft'enen (Nr. 9 und lo) durch dieses Land und zwar mehr oder weniger an der Donau entlang ihre Zug- linie fortgesetzt haben. Wie diese weiter nach Afrika verläuft, werden nachher verschiedene Beispiele zeigen. Der bereits angeführte ost- afrikanische Storch (Nr. 11) macht es, da er mit der in Ungarn erbeuteten Nr. 9 in ein und dem- selben Nest markiert wurde, wahrscheinlich, daß auch dessen Reise von Ungarn nach Afrika ge- gangen sein würde. Für die südwestliche Richtung konnten, weil im Westen Deutschlands die Störche spär- licher sind, die Beringung daher in nur geringerem Maße möglich ist, bisher nicht mehr als zwei Ringzeugen verzeichnet werden. Aber sie be- weisen schon viel. Sie bilden die folgende Tabelle: daß vielleicht gar keine scharfe Trennung der beiden Storchgebiete besteht? — Es wird eine Zeit gege- ben liaben, da zwischen den von Osten und Westen her sich ausbreitenden Störchen noch ein großes von ihnen noch nicht besiedeltes Gebiet als Lücke klaffte. Die Annäherung nahm zu, doch wohl so, daß die theoretisch zwar denkbare Berührungs- linie in Wirklichkeit von beiden Seiten gleich überschritten wurde und heute Teile der beiden Storchstämmc in einem vielleicht recht breiten nordsüdlichen Landstreifen gemischt durcheinander wohnen. In solchem Falle wäre weniger eine Grenzlinie als vielmehr ein Grenzgürtel festzu- stellen). Recht wünschenswert wäre eine häufigere Markierung in Süddeutschland, um zu erfahren, wie weit das Wohngebiet der westwärts Fliegenden in das der vielleicht südlich über die Alpen Ziehenden hineinreicht. Auch diese Ermittlung wird wohl nur noch eine Frage der Zeit sein, so daß wir hoffen können, bald im Besitz von „storch- geographischen" Karten zu sein, die an Vollständig- keit nichts zu wünschen übrig lassen und in ihrer Gesamtdarstellung der Zonenverteilung und der in die Ferne weisenden Weglinien dieses Wander- fliegers nicht nur aus seiner Lebensgestaltung einen interessanten Entwicklungsgang durch gewaltige Zeiträume hindurch veranschaulichen, sondern auch wertvolle Ergänzungen bilden werden zu Teilen der Erdgeschichte und zur Entwicklungsgeschichte des Lebens überhaupt. Über Spanien hinaus sind über den weitern Verlauf der südwestlichen Wanderpfade des Storches vor der Hand ebenfalls nur Mut- maßungen möglich. Es erscheint jedoch durch- Tabelle II. Südwestlich abgewanderte Störche: Beringungs- Zeit — Ort Fund- Zeit — Ort Entfernung zwischen Abflugs- und Ankunftsort Zeitdauer des Ringtragens 1) 15. Juni 1910 in Werkel , Hessen- Ende Sommer 1910 bei San IJuirico de Nassau, Reg.-Bez. Cassel (21 km Südwest- , Besora, Prov. Barcelona, Bezirk Vieh inj lieh von Cassel). i Spanien. 2) 26. Juni 191 1 in Köndringen bei Verwundet aufgefunden in der Nacht] Freiburg i. Br. (Baden). [vom 9. zum 10. August 1911 bei Arros- Nay, Basses-Pyrenees in Südfrankreich. 850 km 2'/2 Monate I Monat, 14 Tage Der erste wurde mit noch drei Geschwistern im Neste beringt, die vermutlich ihren Ring noch in der Welt umhertragen. Sein Geburtsort liegt westlich der Weser, und Prof. Thienemann schloß anfangs hieraus, daß dieser Strom vielleicht die Grenzscheide zwischen beiden Wanderrich- tungen bildete. Später dagegen sah er, daß westliche Störche — es sind die Nummern 3 und 6 der ersten Tabelle — die Weser nach Südost überflogen. Danach wäre die Grenzscheide noch nicht sicher gefunden, und es müssen erst noch weitere Beringungsergebnisse abgewartet werden. (Warum sollte übrigens nicht anzunehmen sein. aus nicht ausgeschlossen, daß diese Linien an der Atlantischen Küste hin teils weiter nach Westafrika führen, teils von der Meerenge von Gibraltar, vielleicht auch von andern Küsten- gegenden Südspaniens aus das Mittelmeer kreuzend, sich im nördlichen .Afrika verlieren. Wenigstens soll es in diesen Gebieten von weißen Störchen mitunter geradezu wimmeln. Von einem Augen- zeugen erhielt Prof. Thienemann die Nachricht, daß „auf hoher See in der Meerenge von Gibraltar genau an der engsten Stelle ein gewaltiger Schwärm Störche von der spanischen Küste kommend nach den Marokkanischen Bergen" hinübergeflogen sei. Si6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 33 N. F. XIV. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 517 Kin anderer berichtet ihm unter dem 17. F"ebruar 191 2 aus Tanger: „Sah heute 250 bis 300 Störche über Tanger südlich ziehen." Obergeneralarzt z. D. Dr. S tac h o w - Berlin, der an der großen Deut- schen Gesandtschaft teilnahm, die 1890 nach Ma- rokko ging, schreibt im Januar 1912 unter anderem : „Auf dem ganzen Wege (von Tanger nach Fes) waren wir aufs Höchste überrascht durch die Unmenge von Störchen, die sich an ungezählten Fröschen gütlich taten. Deren Gequak war jeden- falls von nie gehörter Intensität. Auf den kleinsten und niedrigsten Hütten der Eingeborenen befanden Karte £> . ZugUnlen ihAj.-ikc Sii Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 33 sich I — 2 Storchnester, die sich dort vollkommenen Schutzes erfreuten. Das war auf dem ganzen ungefähr 250 km langen Wege so, wo nur irgend Flüsse und Niederungen vorhanden waren. — Die Frage ist nun: wo ist die Heimat dieser un- gezählten Storchscharen? wo kommen sie her? wo gehen sie hin? - Ist das vielleicht eine in Europa und Afrika westlich verlaufende Zug- straße entsprechend der östlichen ?" — Und Ober- leutnant Schwandn er- München weiß nach Rossitten zu melden: ,, Während meines jahre- langen Aufenthaltes in DeutschSüdwestafrika habe ich neben dem schwarzen und weißbrüstigen sehr häufig auch unsern europäischen Storch ange- troffen; er erschien frühestens Anfang Dezember; letzte Beobachtung im Februar. Ich traf ihn bis hinab nach Ukamas, im äußersten Südwesten, nah der englischen Gordoniagrenze. Er kam nie allein, stets vergesellschaftet mit den aus unbekanntem Norden herabziehenden Abertausenden von Schmarotzer - Milanen oder Heuschreckenvögeln (Milvus aegypticus). Mit diesen zog Freund Adebar in den höchsten Höhen einträchtig seine Kreise, durch das in der afrikanischen Sonne blendend blitzende Weiß herrlich aus dem braunen Gewimmel der kleineren Gefährten hervorleuch- tend." Über den Verbleib der in Deutschland süd- östlich wandernden Störche sind wir bis 100 km vor der Südküste A frikas durch das Beringungs- system unterrichtet. Allerdings klafft von Ungarn bis Syrien in der Strecke eine Lücke. Da aber der Weg zu beiden Seiten bis an den Rand zu verfolgen ist, so darf man getrost dieses Zwischen- stück als überbrückt ansehen. Zwei Mitteilungen der ornithologischen Zentrale in Budapest bestärken uns darin: Ein mit dem Ring Nr. 481 1 dieser Station am 25. Juni 191 2 aufgelassener Storch wurde am 3. März des nächsten Jahres am K a s i 1 i e f 1 u ß bei Ek wenden! in Bri t isc h • Ny assal an d er- beutet. Ein zweiter in Apatin am 26. Juni 1912 mit Nr. 4948 gezeichneter „Ungar" stellte sich am 30. Juli 1913 in Kuvuklia bei Brussa in K 1 e 1 n a s i e n , also etwas südlich vom Marmara- meer ein. Läßt jener schließen, daß er in Afrika die Bahn unserer deutschen Störche gezogen ist, so gibt der zweite offenbar einen Markstein ab für jene noch offene Linie Ungarn-Syrien. Von Ungarn aus ergäbe der Reiseweg folgen- des Bild: Zunächst geht die Fahrt an der Donau entlang zum Schwarzen Meer und über den Bosporus. In Konstantinopel soll der weiße Storch zur Zugzeit eine ganz gewöhnliche Erschei- nung sein. Die Buglinic der k 1 e i n as i at i sc h cn Küste leitet weiter nachSy ric n und Palästina, vorher aber schwenken schon manche Schwärme ab in gerader Richtung auf das Nildelta zu. So haben es Seefahrer beobachtet, die der Vogel- warte davon Nachricht gaben, (ileich bei der Eingangspforte Ägyptens, in der Nähe Alexan- driens, liegt eine Fundstelle. Syrien und Palästina weisen zusammen vier Fundorte von Ringstörchen auf, bei Karietein, Damaskus, an der Küste von Acco und nordöstlich von Jerusalem bei Mtan. Am Nil vereinigen sich die zuletzt getrennten Bahnen wieder und führen, soweit einzelne Gruppen, wie es regelrecht ge- schieht, nicht schon im untern Stromgebiet ver- bleiben, talaufwärts, einmal zum blauen Nil, wo ein beringtes Exemplar bei Rosair es erbeutet wurde, dann aber zugleich südlich nach dem Äqua- tor zu. Unterwegs ließ sich noch eine westliche Abzweigung feststellen, aus einem Erbeutungsfalle bei Java an der P"i tt r il agu ne (Tsadsee-Gebiet). Jenseits des Äquators befindet sich die nächste Fundstelle auf der Ukerew einsei im Victoria Njansa. Noch südlicher folgen dann solche bei Morogoro (westlich von Dar-es-Salam), bei Fortjameson (westlich vom Njassasee), bis sie sich fern im Süden häufen und damit Trans- vaal, Natal bis zum Basutolande als die Hauptwinterquariiere der in F"rage stehenden Störche kenntlich machen. Was man früher nur ganz allgemein ahnen konnte, die Verbindung einzelner deutscher Land- striche durch die fliegenden Boten mit bestimmtem Gegenden des ,, schwarzen Erdteils", hat heute in unserm Wissen eine Reihe fester Anhaltspunkte bekommen. Ostp reußen sah sich mit solchen befiederten Abgeordneten u. a. vertreten in Ägyp- ten, dem Sudan, in Transvaal und der Kapkolonie, einmal in der Kalahari wüste, wo Buschmänner die Mission des Vogels voll- ständig verkannten, zunächst, indem sie ihn für ihren lüsternen Gaumen schössen, und dann, indem sie, als der blinkende Ring sichtbar wurde, ent- setzt auseinanderstoben. Pommern fand sich in überraschender Beziehung zur Kapkolonie und zu Nordost-Rhodesia, Mecklenburg ebenso zu Zentralafrika, wobei es der merk- würdige Zufall wollte (wie Thienemann be- merkt), daß das betreffende Tier eigens von einem „Landsmann" wiedergefunden wurde. Es war nämlich von Eingeborenen erlegt und gelangte an die Expeditionstruppe des Herzogs Adolf zu Mecklenburg. Als „Anglophile" entlarvte sich ein Bitterfelder Storch, indem er Brit isch-Ost- afrika zum Aufenthalt gewählt hatte. Muß der Storch vom Fittrisee als der westlichste Findling dieser ganzen afrikanischen Zuglinic gelten, so ist der südlichste ein vom K a p 1 a n d von Fast- London aus gemelde- ter. Das Tier war im Juli 19 10 in Jogeln bei Göritten, Kreis Stallupünen in Ostpreußen mit einem Rossittener Ring gezeichnet und ein Jahr später am Wege zwischen Alice und Fort Beau- fort verendet aufgefunden. (Beide Orte liegen etwas landeinwärts von der Südostküste, westlich von Fast London, der Meldestelle.) — Daß gerade aus Afrika so verhältnismäßig viel Meldungen eingingen, wird mit dem Massensterben von Störchen zusammenhängen, das die mancher- orts landesübliche Vergiftung der Heuschrecken N. F. XIV. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 519 im Gefolge hat, deren Schwärme die Störche von überallher herbeilocken. In besonders von dieser Landplage heimgesuchten Gegenden will man auf einer Fläche von 1 qkm wohl 5 bis 6000 Stück der rotschnäbligen Verfolger gesichtet haben. Da nun beispielsweise in einem Jahre einmal 141 5, ein andermal sogar 1610 Storchringe von der Vogelwarte Rossitten zur Ausgabe kamen (die allerdings wohl durchaus nicht alle im gleichen Jahre auch wirklich verwendet wurden), so ist es doch unter den eben geschilderten Verhältnissen ganz begreiflich, wenn wiederholt ein markierter Storch auch Negern in die Hände fällt, die das Fundstück der nächsten Station oder Missions- anstalt übermitteln. Übrigens zeigt sich gerade in derartigen Fällen der ganze Forschungsbetrieb von seltsamen Inter- mezzos belebt. Kommen aus Europa mitunter Erheiterungsanlässe in Form z. B. von schnurrigen Adressen bei Ringeinsendungen (wie: „Herrn Vogelwarte Rossitten" oder „An den Bürgermeister von Rossittcn"), so begleitet afrikanische Einliefe- rungen nicht selten natürlich ein Stück Aberglaube. Wie soll sich ein Zulu das Vorhandensein einer solchen Aluminiummarke am Storchfuß auch wohl anders als von Zaubermächten herstammend er- klären ! Nur ein Gott kann so etwas an einem wild lebenden Vogel vollbringen, falls dieser nicht gar die Gottheit selber ist. Über einen Ringstorch, der sterbend neben ihrem Kraal aus der Luft herunterfiel, waren Kaffern so erschrocken, als ob er, ein überirdisches Wesen, vom Himmel ge- kommen wäre. Von einem ähnlichen Eindruck auf Buschmänner der Kalahari ist bereits ge- sprochen. Ein allerdings weniger von dem Reli- gions- als dem Geschäftssinn einer bekehrten Negerseele zeugendes Kulturdokument lieferte der Begleitbrief eines Zulus an den Herausgeber der Zeitung „der Gesandte", die in Natal in der Zulu- sprache erscheint. In dem Briefe heißt es : „Der Ring des Vogels. — Sei gegrüßt Großer Gnä- diger I — — Der „Gesandte" im März kam mit den Vogelgeschichten, welclie weiße Ringe haben. Ja, mein Vater, wir lasen jene Geschichten; es erschien Maten Muyandu, er sagte, hier ist ein Ring, nimm ihn und bringe ihn nach eurem Magistrats -Office; sie werden dir Geld geben, bringe es zu mir. Er hat Eingravierungen; hier sind sie: Vogelwarte Rossitten 1542 Germania, so lauten jene Eingravierungen des Ringes. Er (der Vogel) wurde gefunden, er ist mit dem Ringe gestorben. Ich frage und sage, wieviel wird ein Mensch erhalten für seine große Mühe wegen des Vogels? Er verläßt seine Arbeit durch das Gehen nach der Magistratur, dort wartet er und bittet. — Jenes Eisen (der Ring) wurde gefunden im Januar. — Ich bedarf einen Kalender, das Geld, 50 Pf., werde ich Dir schell postfrei senden. Antworte ellig. Ich bin der Deinige, welcher hineingeht (soll bedeuten: hält) in die herrliche Zeitung, die genannt wird Isitunywa. — Philippus Kumalo." — Es wäre jedenfalls ein eigenes Kapitel, wollte man an der Hand solcher Nebenerscheinungen des Ringexperiments eingehender in die Volks- seele der verschiedenen Landesgebiete hinein- leuchten. Eine mannigfach wechselnde, nicht nur auf ein bloßes Für und Wider sich beschränkende Auffassung der Forschungsangelegenheit würde sehr feine Kulturschattierungen uns widerspiegeln. um das Hauptergebnis noch einmal kurz zu- sammenzufassen, so bildeten die Wanderflüge des Storches in ihrem ganzen Umfang einen Linienstrang, der von Deutschland südöstlich und südwest- lich, mehrfach Strömen folgend, auseinander- läuft, um den von Spanien über die Alpen bis zum Balkan sich erstreckenden Gebirgsbogen an den äußersten Enden zu umgehen und danach in die seen-, sumpf- und fiußdurchzogenen Tief- landsgebiete Afrikas auszustrahlen. Ein Bahn- system, in dem die auch bei anderen Zugvögeln bekannte Bedeutung von Höhenzügen, Strand- linien und größeren Wasserläufen für die Weg- wahl als ein durch die Jahrtausende hindurch wirkender Faktor in großartigster Weise zum Ausdruck kommt. (Schluß folgt.) [Nachdruck verboten.] Am I.Mai 1907 isolierte Woodruff aus einer größeren Kultur von Paramaecium aurelia ein einzelnes Tier, brachte es in ungefähr 5 Tropfen eines Heuaufgusses auf einen hohlgeschliffenen Objektträger und in eine feuchte Kammer und züchtete nun von diesem Tiere aus eine reinlinige Paramäcienrasse. So oft eine oder zwei Teilungen erfolgt waren, wurden die Tochter- bzw. Enkel- tiere wieder isoliert und eines von diesen weiter- gezüchtet. Mit einer in der Tat bewundernswerten Ausdauer setzt Woodruff die Zucht dieser Rassen jetzt bereits 8 Jahre lang fort. Im Juni Parthenogenese bei Infusorien.') Von Dr. Hans Nachtsheim, Freiburg i. Br., z. Z. Karlsruhe. Mit 2 Abbildungen. 1914 hatte die Rasse schon die 4500. tjeneration überschritten. Obwohl durch die Isolierung der neuentstaiidenen Individuen eine Konjugation inner- halb der Rasse unmöglich gemacht wurde, hat sich ihre P'ortpflanzungsrate doch nicht verändert, sie ist heute noch ebenso lebensfähig wie vor 8 Jahren. Das Auftreten ,,sehr tiefer Depressionen", wie sie von früheren Beobachtern für Paramäcien- kulturen häufig beschrieben worden sind, wurde ') Vgl. hiermit den in Nr. 27 erschienenen Aufsatz von A. Lip schütz, Der Ursprung des Geschlechts. 520 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 3; durch eine sehr sorgfältige Pflege der Kultur, ins- Woodruff schon sehr bald fest, daß die Fort- besondere durch tägliche Erneuerung der Nähr- pflanzungsrate auch ein periodisches Schwanken flüssigkeit, verhindert. Aus seinen Beobachtungen hat Woodruff den Schluß gezogen: „Das Altern und das Befruchtungsbedürfnis sind nicht Grundeigenschaften der lebendigen Substan z". Schem;itische Übersicht über de KeorganisLilionsprozcß (,,l'artlu'iu)gcnesc Paramaecium aurclia. I — 5 absteigende Phase, 6 — 9 Klimax, 10 — 14 aufsteigende Phase Nach Woodruff und Erdmann aus Doflein, F., Lehrbuch der Protozoenkunde Jena 1915. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der l'ara- mäcicnrasse ist natürlich zunächst einmal abhängig von äußeren I''aktoren, von der Ernährung, der Temperatur, den Belcuchtungsverhältnissen usw. Aber im Verlauf seiner Experimente stellte zeigt, das ganz imabhängig ist von diesen äußeren Faktoren, das offenbar ausschließlich durch innere Faktoren bedingt wird. Diese „Rhythmen" in der Tei- lungsrate lassen sicii, wie eigens zur Klärung dieser Frage durchgeführte Experimente ergaben, nicht ausmerzen. Erst die zy- tologische Untersuchung der Kernverhältnisse im Verlaufe eines solchen Rhythmus deckte die Ur- sache der Erscheinung auf, Untersuchungen, die Woodruff gemeinsam mit Rhoda Erdmann ausführte.^) Woodruff und Erdmann zeigen in ihrer Arbeit, daß in der vonWoodruff seit 1 907 gezüchteten Rasse von Paramaecium aurelia in regelmäßigen Zwischen- räumen eine vollständige Erneuerung des Kern- apparates erfolgt. Der ganze Prozeß hat große Ähnlichkeit mit der Er- neuerung des Kernappa- rates bei der Konjugation, unterscheidet sich aber von diesem Vorgang dadurch, daß er in einem einzel- nen Tier vor sich geht, der für die Konjugation charakteristische Aus- tausch von Kernsubstan- zen zwischen zwei Indivi- duen findet also nicht statt. Der Endeffekt des Pro- zesses ist ungefähr der gleiche wie bei der Parthenogenese, und wir können, wie mir scheint, auf Grund der Unter- suchungen von Woo- druff und Erdmann mit vollem Recht von einem parthenogenetisch sich fortpflanzenden Para- mäcium sprechen. Die Feststellungen Wood- ruffs und Erd man n's, über die wir im folgenden berichten wollen, sind auch insofern von der größten Bedeutung, als sie uns zu einer neuen Auffassung der Potenzen einer Protozoenzclle führen und insbesondere neues Licht auf das viel erörterte Problem der Unsterblichkeit der Einzelligen werfen. An der Hand eines Schemas (Fig. i) wollen bei N. F. XIV. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 521 wir den Reorganisationsprozeß genauer verfolgen. Nr. I des Schemas stellt ein normales Paramaecium aurelia dar. Neben dem Makronukleus liegen die beiden Mikronuklei. Ein solches Individuum pflanzt sich eine Zeitlang in der bekannten Weise fort. Der Körper des Tieres schnürt sich in der Mitte ein, der Makronukleus streckt sich in die Länge und schnürt sich schließlich ebenfalls durch, wäh- rend die beiden Mikronuklei durch mitotische Teilung vier Tochterkerne bilden. Im Laufe der Generationen macht aber der Makronukleus ganz charakteristische Veränderungen durch, er „altert". Die anfangs kurze Achse des Makronukleus streckt sich mehr und mehr, er nimmt schließlich eine bohnenförmige Gestalt an, zugleich werden seine Granula gröber und seine Färbbarkeit nimmt zu. In der Membran des Makronukleus treten Risse auf, rundliche Chromatinbrocken werden aus dem Kern ausgestoßen. Damit beginnt der Reorganisationsprozeß, den Woodruff und Erdmann in drei Perioden einteilen. Die erste Periode ist die „absteigende Phase", die zur Degeneration des alten Makro- nukleus und zur ,, Reifung" der Mikronuklei führt. Die zweite Periode, von Woodruff und Erd- mann „Klimax" genannt, wird durch die Degene- ration der Mehrzahl der neugebildeten Mikronuklei charakterisiert. In der dritten Periode, der „auf- steigenden Phase", erfolgt die Neubildung des Kernapparates aus den übriggebliebenen Mikro- nukleis. Die absteigende Phase wird, wie gesagt, ein- geleitet durch eine Ausstoßung von Chromatin- brocken aus dem Makronukleus (Nr. 2). Im Laufe von zwei oder drei Generationen gibt der Makronukleus auf diese Weise sein gesamtes Chromatin ab (3, 4), so daß schließlich die leere Hülle übrig bleibt, während die Zelle mit 20, 30 und mehr Chromatinbrocken erfüllt ist. Die Mikronuklei verlassen zu Anfang dieses Ab- schnittes des Reorganisationsprozesses ihren Platz neben dem Makronukleus, sie rücken von ihm ab ins Protoplasma, schwellen an und machen zwei Teilungen durch (2 — 4), so daß acht Mikronuklei entstehen. Wenn die erste Teilung der Mikronuklei beginnt, hat sich der Makronukleus bereits seines Chromatins fast vollkommen ent- ledigt. Eine Zählung der Chromosomen in den Spindeln ist infolge der Kleinheit der einzelnen Elemente und ihrer großen Zahl leider nicht mög- lich. Die acht neugebildeten Mikronuklei liegen in der Regel zu vieren in zwei Gruppen getrennt und besitzen nicht alle gleiche Größe. Drei Mikronuklei sind in jeder Vierergruppe etwas kleiner als der vierte (4). Die zusammengeschrumpfte Makronukleushülle wird sehr bald resorbiert. Auch die kleinen Mikronuklei werden aufgelöst (5). Die Beobach- tungen von Woodruff und Erdmann sind allerdings hier nicht ganz eindeutig, vielleicht wird auch einer der beiden großen Mikronuklei resor- biert, so daß nur einer zurückbleibt. Möglich oder sogar wahrscheinlich ist, daß der Prozeß nicht in allen Fällen ganz gleich verläuft. Wir wollen hier nur den, wie es scheint, am häufigsten vorkommenden Modus betrachten. Auf dem Höhepunkt des Prozesses, der „Klimax", teilt sich das Paramäcium einmal (6). Jedes Tochtertier erhält einen Mikronukleus und eine größere oder geringere Zahl chromatischer Brocken, die unregel- mäßig in der Zelle verteilt sind und sich mehr und mehr auflockern (7). Der Mikronukleus macht eine Teilung durch (7, 8), der alsbald eine zweite Teilung folgt (9). Von den vier jetzt vorhandenen Mikronukleis sind zwei zur Bildung neuer Makro- nuklei bestimmt. In der den Reorganisationsj^rozeß beschließen- den aufsteigenden Phase gelangt das Paramäcium wieder in den Besitz eines normalen Kernapparates. Zunächst teilt sich jeder der beiden Mikronuklei; in Nr. 10 der Fig. i hat sich der eine bereits verdoppelt. Auf diese Kernteilung folgt eine Teilung der Zelle, durch die zwei Tochterindividuen mit je zwei Mikronukleis, einer Makronukleusanlage und einer Anzahl Chromatinkörper entstehen (11). Die Makronukleusanlage wächst zu dem Makro- nukleus heran. Bei der nächsten Zellteilung teilt sich der neue Makronukleus zum erstenmal mit. Die Chromatinkörper werden in den nächsten Generationen resorbiert (12 — 14); bald geht die Auflösung schon innerhalb der nächsten zwei Generationen vor sich, bald sind sie resistenter, so daß mitunter erst nach neun Generationen die letzten Reste verschwinden. Der ganze Prozeß läuft dann innerhalb von zehn Generationen ab. Nach Beendigung des Reorganisationsprozesses folgen die Zellteilungen wieder in rascher Folge aufeinander, bis nach 40 - 50 Generationen, d. h. nach etwa 25 — 30 Tagen, der Rhythmus wieder zu Ende ist. Wieder findet eine Erneuerung des Kernapparates statt, und ein neuer Rhythmus beginnt. So folgt in der von Woodr u ff gezüchteten Rasse Rhythmus auf Rhythmus, Monat für Monat erneuert sich der Kernapparat ohne Konjugation, und wir dürfen wohl annehmen, daß die Rasse auf gleiche Weise sich ad infinitum fortpflanzen kann, ohne daß ihre Lebensfähigkeit auch nur im geringsten beeinträchtigt wird. Man hat die Vermutung ausgesprochen, der ganze von Wo odruff und Erd m an n entdeckte Reorganisationsprozeß sei vielleicht eine Alters- erscheinung, die nur auftritt, wenn man ein Infusor lange Zeit ohne Konjugation züchtet. Dem ist indessen durchaus nicht so. Woodruff hatte auch in früheren Jahren gelegentlich Tiere seiner Rasse fixiert; die Reorganisation erfolgte hier gegen das Ende eines Rhj-thmus ganz in der gleichen Weise. Sodann ließ Wood ru ff Tiere seiner Rasse konjugieren. Mit der Beendigung der Konjugation beginnt ein neuer Rhythmus, der ähnlich verläuft wie ein Rhythmus in der Ursprungsrasse. Auch nach der Konjugation findet vor Beginn eines neuen Rhythmus die Re- organisation des Kernapparates statt. Daß die 522 Naturwissenschaftliche Woch enschrift. N. F. XIV. Nr. 33 Reorganisation kein Charakteristikum der ameri- kanischen Rasse Woodruffs ist, geht aus Be- obachtungen Rh. Erdmann's hervor, die aus Spreekanalwasser in Berlin eine Rasse isolierte, welche ganz die gleichen Erscheinungen zeigte. Es fragt sich nun, ob sich solche Reorgani- sationen des Kernapparates auch bei anderen Infusorien, vielleicht sogar auch in anderen Gruppen von Protozoen finden. Wo odr u ff und Erdmann sind geneigt, dies anzunehmen. Die für zahl- reiche Infusorien beschriebenen „leichten Depres- sionsperioden" sind wahrscheinlich nichts anderes als die Zeiten der Reorganisation. Die „sehr tiefen Depressionen", welche in der Regel zum Aussterben der Kultur führen, haben andere Ur- sachen. In der Mehrzahl der Fälle dürfte die tiefe Depression die Folge einer Verunreinigung der Kultur mit für die Paramäcien schädlichen Bakterien sein. A B Fig. 2. Verhalten der Mikronuklei von Paramaecium aurelia bei der Konjugation (A) und bei der Parthenogenese (B). Nach Woodruff und F. rdmanu. In dem Schema Fig. 2 ist das Verhalten der Mikronuklei bei der Konjugation von Paramae- cium aurelia dem Verhalten der Mikronuklei bei dem Reorganisationsprozeß gegenübergestellt. In beiden Fällen machen die Mikronuklei zunächst zwei Teilungen durch, die wir die Reifungsteilungen nennen. Während aber in den Konjuganten durch diese Teilungen eine Reduktion der Chromosomen- zahl erfolgt, müssen wir annehmen, daß bei dem Reorganisationsprozeß ohne Konjugation beide Teilungen .Aquationsteilungen sind, denn da keine Wicdervcrschmclzung von Kernen, also keine Autoganüe, stattfindet, wäre eine Wicderher- stelhuig der normalen Chromosomenzahl nin- durch „Autoregulation" möglich ; eine solche kommt in- dessen, soweit wir wissen, weder im Tier- noch im Pflanzenreiche vor. Auf die beiden Reifungs- teilungen folgt in jedem Konjuganten eine dritte Teilung der Mikronuklei bezw. eines Mikronukleus in jedem Tier, sieben gehen in jedem Konjuganten zugrunde. Durch die dritte Teilung werden Wanderkern und stationärer Kern gebildet. Bei dem Reorganisationsprozeß ohne Konjugation fällt diese Teilung aus, ein Wanderkern wäre hier ja zwecklos. Durch Verschmelzung des ausgetauschten Wanderkerns mit dem stationären Kern entsteht in den Konjuganten ein Synkaryon, ein Kern mit der normalen Chrotnosomenzahl. Das weitere Verhalten des Synkaryons ist genau so wie das des gereiften Mikronukleus bei der „Parthenogenese". Daß in dem einem Falle von den acht gereiften Mikronukleis sieben zugrunde gehen, im anderen nur sechs, ist kein wesentlicher Unterschied, und überdies scheint ja auch in dem letzten Falle bisweilen nur einer übrig zu bleiben. Woodruff und Erdmann vermeiden es, den von ihnen entdeckten Prozeß als ,, Partheno- genese" zu bezeichnen"); sie nennen ihn „Endo- mixis" '^). Aber abgesehen davon, daß das Wort „Endomixis" wenig glücklich ist, sind auch die Einwendungen, die sie gegen die Bezeichnung des Prozesses als „Parthenogenese" erheben, wenig stichhaltig. Sie fassen die beiden „Reifungs- teilungen" als „Aquationsteilungen" auf, die bei der Konjugation folgende dritte Teilung aber als Reduklionsteilung. Die acht durch eine doppelte Teilung bei der Endomixis gebildeten Mikronuklei sollen Gametozyten sein, Gameten sollen hier überhaupt nicht gebildet werden. Und somit köime man nicht von Parthenogenese sprechen. Was zunächst den Charakter der 3 Mikronukleusteilungen bei der Konjugation anbetrifft, so ist es, wie schon erwähnt, leider nicht möglich, bei Paramäcium durch direkte Beobachtung zu entscheiden, welche Teilungen .\quations-, welche Reduktionsteilungen sind; die Chromosomen sind zu klein, und ihre Zahl ist zu groß. Andere Infusorien sind in dieser Hinsicht geeigneter. So konnte z. B. Prandtl feststellen, daß bei Didinium die erste Reifungs- teilung eine .Xquationsteilung ist, während durch die zweite die Chromosomenzahl auf die Hälfte herabgesetzt wird. Die dritte Teilung ist eine gewöhnliche Aquationsteilung. Wir müssen wohl annehmen, daß die drei bei der Konjugation er- folgenden Mikronukleusteilungen bei allen Infu- sorien in prinzipiell der gleichen Weise verlaufen. Die beiden ersten Teilungen sind die ,, Reifungs- teilungen", durch die die Gameten entstehen, die dritte Teilung aber ist ein Vorgang sui generis, entstanden wahrscheinlich als Anpassung an die doppelte Befruchtung bei der Konjugation der Ciliaten. Noch eine andere Tatsache zwingt uns anzu- nehmen, daß die dritte Teilung eine normale .\quationsteilung ist. Wäre sie eine Reduktions- teilung, so müßten Wanderkern und stationärer Kern verschiedene Wertigkeit besitzen, was ihre N. F. XIV. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 523 Erbeigenschaften anbetrifft. Die beiden von den Exkonjuganten eines Paares abstammenden Rassen müssten sich dann verschieden verhalten. Man hat früher Beweise dafür beibringen zu können geglaubt, daß dem auch so sei. Die neueren aus- gedehnten Untersuchungen von Jennings*) haben jedoch ergeben, daß die Lebenswege zweier Ex- konjuganten und ihrer Nachkommen einander ganz ähnlich sind, wenn sie unter gleichen Bedingungen gehalten werden, sie besitzen mit anderen Worten die gleichen Erbanlagen. Es mag vielleicht zunächst merkwürdig er- scheinen, daß bei der Konjugation in den Reifungs- tellungen eine Reduktion erfolgt, während bei der Parthenogenese beide Reifungsteilungen Aquations- teilungen sein sollen. Weshalb fällt nicht einfach die Reduktionsteilung aus? Gewiß ist eine solche Frage berechtigt; eine Antwort auf sie können wir vorläufig nicht geben. Aber es sei darauf hingewiesen, daß wir bei Metazoen ganz ähnliche Verhältnisse finden. Manche parthenogenetisch sich entwickelnde Eier — so z. B. die der aus- schließlich parthenogenetisch sich fortpflanzenden Rosengallwespe, Rhodites rosae — schnüren zwei Richtungskörper ab, behalten aber die diploide Chromosomenzahl bei. Eine Parthenogenese be- sonderer Art ist die von Paramäcium nur inso- fern, als es keine weibliche Geschlechtszelle ist, die sich parthenogenetisch entwickelt. Der gereifte Mikronukleus ist vielmehr ein indiffe- renter Gamet. Als einen Unterschied von prinzipieller Bedeutung können wir das in- dessen nicht betrachten. Zum Schluß noch einige Worte über das Pro- blem des Todes bei den Einzelligen. Weismann hat bekanntlich die Ansicht vertreten, daß die Protozoen potentiell unsterblich sind , daß der physiologische Tod erst mit der Entstehung der Vielzelligen eingeführt wurde. Ein Paramäcium z. B. teilt sich restlos in zwei Tochtertiere, die Tochtertiere teilen sich wieder usw. Wo ist die Leiche, was stirbt denn, so fragte Weismann. Im Gegensatz zu W e i s m a n n war R. M e r t w i g auf Grund seiner Untersuchungen zu der Ansicht gekommen, daß auch den Protozoen der Tod nicht fremd ist. Wie in den Zuchten Maupas', so traten auch in den Infusorienzuchten R. Hert- w i g ' s im Laufe der Zeit Degenerationen auf, die schließlich zum Aussterben der Zuchten führten, wenn nicht rechtzeitig durch Konjugation die Schädigungen behoben wurden. Woodruff aber konnte dann, wie in der Einleitung schon erwähnt wurde, zeigen, daß die Degenerationen lediglich äußere Ursachen haben, daß bei sehr sorgfältiger Pflege eine Paramäcienrasse tausende von Generationen ohne Konjugation gezüchtet werden kann, ohne daß ihre Lebensfähigkeit im geringsten abnimmt. Er kam zu dem bereits zitierten Resultat: „das Altern und das Befruch- tungsbedürfnis sind nicht Grundeigenschaften der lebendigen Substanz". Das bedeutete offenbar einen Sieg der Weis mann 'sehen Ideen; in der letzten Zeit ist oft genug hierauf hingewiesen worden. Die neuen Entdeckungen von Woo- druff und Erdmann indessen zwingen uns, unsere Ansichten wieder einmal zu revidieren. Die Weismann 'sehe Lehre vom Ursprung des Todes müssen wir, glaube ich, jetzt endgültig verlassen. Wir müssen uns wieder der Ansicht R. Hertwig's nähern, daß auch die Protozoen- zelle einem „Partialtode" unterliegt, wenn auch die Beobachtungen, welche R. Hertwig ur- sprünglich zu seiner Hypothese geführt haben, sich als nicht beweiskräftig erwiesen haben. „Auch die Protozoen", sagt R. Hertwig in einem jüngst erschienenen Aufsatze''), „verhalten sich wie Maschinen, welche bei ihrer Tätigkeit nicht nur das ihnen zugeführte Material zu Arbeits- leistung verbrauchen, sondern zugleich auch eine ihrem Fortbestand gefährdende Abnutzung er- fahren." Das scheint in der Tat ein Charakte- ristikum aller heute lebenden Tiere und Pflanzen, aller Metazoen und Protisten zu sein, daß sie „altern". Das Altern ist zwar, wie Woodruff sagt, keine Grund ei genschaft der lebendigen Substanz, aber nur das Keimplasma der leben- den Wesen besitzt diese Eigenschaft nicht, das Soma ist vergänglich, dem Tode verfallen. Wir müssen annehmen, daß bei den niedersten leben- den Wesen die erste Difterenzierung, die Trennung in Keimplasma und Soma, noch nicht erfolgt ist. Solche Wesen wären potentiell unsterblich. Alle Metazoen und sicher die Mehrzahl der uns be- kannten Protozoen haben den Tod erworben, sie sind, von diesem Standpunkte aus betrachtet, alle ,, höhere" Organismen. Die Lebensdauer ihres Somas ist — bald enger, bald weiter — begrenzt, jedes Soma aber birgt in sich eine nie versiegende Kraftquelle, das Keimplasma. Mag auch bei einem ein- oder mehrzelligen Organismus durch beson- ders günstige Pflege das Altern verzögert werden können, „unsterblich" kann er niemals werden, er lebt nur in seinem Keimplasma weiter, aus dem sich immer wieder ein Soma neu differen- ziert. Bei zahlreichen Proto- und Metazoen ist eine solche Differenzierung aus dem Keimplasma ohne eine Amphimixis möglich, bei anderen ist sie an die Amphimixis gebunden. Die Haupt- bedeutung der Amphimixis aber liegt in anderer Richtung: Sie schafft neue Kombinationen von Erbeigenschaften, sie ist die Ursache mannigfacher Variationen. Man könnte noch einwenden: der von Woo- druff und Erdmann entdeckte Reorganisations- prozeß kehrt zwar regelmäßig wieder, aber damit ist nicht bewiesen, daß er zur Erhaltung der Lebensfähigkeit der Rasse unbedingt notwendig ist. Es gibt vielleicht einen Weg, um zu prüfen, ob das Soma eines Infusors wirklich im Gegen- satz zum Keimplasma sterblich ist. Wenn es ge- länge, bei einem Paramäcium z. B. das Keim- plasma, d. h. den Mikronukleus bzw. die Mikro- nuklei abzutöten, so müßte die von einem solchen Individuum abgeleitete Rasse dem Tode geweiht 524 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 33 sein. Sie könnte vielleicht bei sehr sorgfältiger Pflege längere Zeit am Leben bleiben, schließlich aber müßte sie doch ihre Lebensfähigkeit ein- büßen und, da ihr unsterblicher Teil vernichtet ist, ganz zugrunde gehen. Durch Radiumbestrah- lung will V. Dobkiewicz*^) eine mikronukleus- lose Paramäcienrasse erhalten und bereits über ein Jahr gezüchtet haben. Ehe genauere Angaben als die bisherigen vorliegen, ist eine Kritik der sicher nicht leichten Experimente noch nicht an- gängig, kann aber einwandfrei gezeigt werden, daß der Mikronukleus tatsächlich vollkommen zer- stört worden ist, so dürfen wir Resultate von der größten Bedeutung aus diesen Experimenten er- warten. ') Woodruff, L. L. and Rh. Erdraann, A normal periodic reorganizalion process wilhout cell fusion in Para- maecium. Journ. of experim. Zool., Vol. 17, 1914. Hierzu als vorläufige Mitteilungen ; Woodruff, L. L. and Rh. Erdmann, Complete pe- riodic nuclear reOrganization without cell fusion in a pedigrced race of Paramaecium. Proc. of the Soc. for experim. Biol. and Med., Vol. 11, 1914. Erdmann, Rh. und L. L. Woodruff, Vollständige periodische Erneuerung des Kernapparates ohne Zellverschmel- zung bei reinlinigen Paramäcien. Biol. Centralblatt, 34. Bd., 1914. ^) In ihrer deutschen vorläutigcn Mitteilung sprechen sie allerdings von Parthenogenese. Sic scheinen ihre Ansichten dann aber geändert zu haben; den durch besonderen Druck hervorgehobenen Satz: ,, Diese Parthenogenese hier ist ein Sexualakt" haben sie in den von ihnen versandten Sonder- abdrucken durchgestrichen. ^) Endomixis — weil in der Zelle eine Durchmischung der Kern- und Plasmasubstanzen erfolgt. Die Endomixis soll aber doch wohl einen Gegensatz bilden zur Amphimixis. Bei der Konjugation der Infusorien, die ja mit der Amphimixis endigt, erfolgt jedoch in ganz ähnlicher W^eise eine Durch- miscliung der Kern- und Plasmasubstanzen. Weder für die Amphimixis noch für die Endomixis oder besser Parthenogenese ist indessen dieser Vorgang von wesentlicher Bedeutung. Die Vermischung, auf die es bei der Amphimixis ankommt, und die bei der Parthenogenese fehlt, ist die Vereinigung der Kernsubstanzen, im speziellen der Vererbungsträger zweier Gameten. *) Siehe Nachtsheim, H., Die Bedeutung der Konju- gation bei den Infusorien. Naturw. Wochenschr., N. F. 13. Bd., 1914. '') H e r t w i g , R. , Ober Parthenogenesis der Infusorien und die Depressionszustände der Protozoen. Biol. Centralbl., 34. Bd., 1914. **) Dobkiewicz, L. v., Zur Frage der konjugierenden und nichtkonjugierenden Rassen von Paramaecium. Naturw. Wochenschr., N. F. 13. Bd., 1914, S. 503. Kleinere Mitteilungen. Können Tote noch Laute von sich geben.? Als ich im März dieses Jahres einen mehrere Stunden alten Kadaver eines Erhängten vom Baum abschnitt, niederlegte und den Strick löste, gab die Leiche einen seufzenden Ton, ähnlich dem Inspirationsgeräusch Schwerkranker von sich. Der Ton ereignete sich während des Niederlegens, wie ich annahm , infolge Gasaustauschs zwischen der äußeren und Lungenluft nach Lockerung des Stricks. Auch Prof. Dr. med. Chätelain (Neu- chätel) hält das Phänomen für eine solche „affaire de gaz", ebenso schrieb mir Geheimrat Dr. med. Ger lach, Mitglied d. Reichstags (Münster i. W.), daß er meiner Erklärung wohl zustimmen möchte, da mehrere Stunden nach dem Tode eine durch Druck infolge Verlagerung der Leiche aus dem Magen eingetretene Gasentleerung dafür wohl nicht in Anspruch genominen werden dürfe. Prof. Dr. Jaquerod (Neuchätel), Physiker, mit dem ich die Sache besprach, frug mich, ob nicht eine Thoraxkontraktion oder eine Fermentation als Ursache des Lauts in ' Betracht zu ziehen sei. Kantonalarzt Dr. P. H u m b e rt (Neuchätel) pflichtet meiner Erklärung bei, obwohl er selbst bei Er- hängten, bei denen in seiner Gegenwart der Strick gelöst wurde, nie etwas von dem Ton gehört habe, allerdings habe er weder selbst den Strick gelöst noch auf den Ton besonders geachtet. Mein I'reund Dr. med. M. Kärcher (Kaiserslautern) schrieb mir aus dem Felde: „Den von Dir be- schriebenen Ton post mortem habe ich zwar noch nicht gehört, halte die Sache aber für sehr plausibel. Denn wenn in der Lunge retinierte Luft durch verengte Stimmritze plötzlich ausgepreßt wird, muß ja ein Laut entstehen, der je nach der Mund- stellung verschieden ist. Eine phonetische Gram- matik könnte diesbezüglich vielleicht bessere Aus- kunft geben als ein physiologisches Lehrbuch." Der Nobelpreisträger Geh. Hofrat Prof Dr. W. Wie n (Würzburg), Physiker, schreibt: ,, Ich erkläre mir den von Ihnen beobachteten Laut so, daß durch den Strang die Luftröhre abgesperrt war in einem Moment, in dem in den Lungen Über- druck herrschte. Die Luft strömte bei der Lösung des Stranges aus und rief den Ton hervor. Außer dem Überdruck in der Luft wird für die Erzeugung des Tones eine bestimmte Stellung der Stimm- bänder, des Mundes und der Zunge erforderlich sein, so daß solche Töne keineswegs immer auf- zutreten brauchen." Prof. Dr. O. Bill et er (Neu- chätel), Chemiker, schrieb: „Die beim .Atmungs- prozeß entstehenden Verbrennungsprodukte sind zum großen Teil fest oder flüssig, nur die Kohlen- säure entweicht gasförmig; sie braucht zu ihrer Bildung ein gleiches Volumen Sauerstoff; der zur Kohlensäurebiidung verbrauchte Sauerstoff allein erscheint also wieder in Gestalt eines gleichen Volumen Kohlensäuregas; der sonst verbrauchte Sauerstoff verschwindet als Gas. I""and also, wie das bei einem Erhängten der Fall ist, die Atmung im abgeschlossenen Raum statt, so tritt Volum- resp. Druckverminderung ein. Wird dann die Kom- munikation mit der .Außciiluft wieder hergestellt, so muß Luft eindringen. Daher das Geräusch." Professor Dr. R. Metzner (Basel), Physiologe, schreibt; „Was den Sonus postmortalis suspendiosi N. F. XIV. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 525 anbetrifft, so wäre die Sache wohl folgendermaßen erklärbar. Die Luft der Lunge ist wie Sie richtig bemerken mit CO, überladen, der Sauerstoff in der Hauptsache verzehrt. CO, ist in bedeutendem Grade absorbierbar durch Flüssigkeiten (Wasser) zumal bei niederer Temperatur. Es trat also mit dem Absterben des Individuums und zumal nach dem Tode mit sinkender Körpertemperatur eine beträchtliche Absorption von Lungenluft ein. Da der Strick das Zutreten neuer Luft hinderte, so entstand innerhalb der Lunge, Trachea usw. ein Unterdruck, der wohl nicht ganz durch Einsinken der nachgiebigen Thoraxwände kompensiert wurde, zumal der Zug der Eingeweide des Hängenden nach unten (Schwere) bei schlaffen Bauchdecken dieser Wirkung (des Luftdruckes von außen) ent- gegenwirkte. So kam es zu einem negativen Druck im Thorax und im Innern der Lunge; beiin Lösen des Strickes strömte etwas Luft ein. (\'ielleicht ist der Zug der Eingeweide auch die Hauptsache, da CO., in den Geweben schon reich- lich.) Dafür spricht, daß das von ihnen beobach- tete Geräusch inspiratorischen Charakter zu haben schien." K. K. Hofrat Professor Dr. Chiari (Straßburg), Pathologe, schreibt: „Ich glaube, daß ein solcher Sonus postmortalis nach Lösung des Strangulans öfter vorkommt und wahrscheinlich auf postmortale Gasentwicklung in Magen und Darm und dadurch bedingte Druckwirkung auf das Diaphragma zustande kommt." Marine- generaloberarzt Dr. A. Richter (Kiel) schreibt: „War der Sonus wirklich inspiratorisch ? Sonst läge ja die Möglichkeit vor, daß sich durch Zer- setzungsvorgänge in der Lunge ein Überdruck gebildet hatte, der beim Ausgleich durch die ver- engten (zusammengedrückten , ödematösen usw.) Luftwege einen Ton hervorbrachte. Oder, wenn es ein inspiratorisches Geräusch war, kam es viel- leicht durch den Lagewechsel zustande ?" Während die vorstehenden Zeilen lediglich Erklärungsversuche für das von mir in der medi- zinischen Literatur (Ostern Arzte-Ztg. 5. Mai 1915), m. W. erstmals beschriebene Phänomen des Sonus postmortalis suspendiosi darstellen, erhärten die nachfolgenden Zuschriften die Existenz des Leichen- seufzers überhaupt. Mein Freund Stabsarzt und Sanitätsrat Dr. Hilbert (Sensburg), der als Arzt und Natur- forscher rühmlichst bekannte Gelehrte, schrieb mir am 23. VI. 15: ,,Ich habe öfters Kehlkopf- laute von Leichen gehört, die umgedreht oder sonst erheblich bewegt wurden, sowohl bei ge- richtlichen Sektionen wie auf dem Präpariertisch. Es wird dabei durch Kompression des Thorax die Luft durch den Kehlkopf getrieben. An wel- cher Stelle der Ton zustande kommt weiß ich nicht. Bemerkt sei, daß Leute ohne Kehlkopf auch sprechen können." Unter gleichem Datum schrieb Dr. hon. c. F r i e d r i c h Graf v. Schwerin, Herr auf Wendisch-Wilmersdorf und Alexander- hof, Präs. d. deutschen dendrolog. Gesellschaft : „Der Sonus postmortalis ist auch in Laienkreisen bekannt. Sie finden ihn ganz ausführlich in Zola 's Assomoir beschrieben, wie die alte Mama Coupeau am Morgen nach ihrem Tode vom Bett in den Sarg gehoben wird, und nochmals als sie im Nebenzimmer steht, während der Leichenschmaus nebenan ist. Ich habe den Sonus postmortalis bei Verwandten und Arbeitern selbst wiederholt gehört. Er dürfte übrigens jedem Leichenwäscher bekannt sein. Der Speisebrei gärt, die Schließ- muskeln funktionieren nicht mehr, also folgen bei Lageveränderungen die Ausstoßungen sowohl durch Mund wie After." Stabsarzt Prof. Dr. med. H. Coenen (Breslau), Chirurg, schreibt mir aus dem Felde: ,,Wenn man bei der Sektion zur Ausschneidung der Halsorgane den Klotz vom Hals der Leiche unter die Schulter schiebt, so dal3 sich plötzlich eine Lordose der Brustwirbelsäule mit Inspirationsstellung des Thorax einstellt , so hört man ein schnarchendes, etwas tönendes Ge- räusch." Dr. L. Wacker (München), Patho- loge, schreibt: „Das Geräusch, das Sie bei .Ab- nahme des Erhängten wahrgenommen haben, kann sowohl durch Überdruck der Lungenluft, als auch durch Gasentwicklung im Magendarm- traktus entstanden sein. Ein Überdruck in der Bauchhöhle kann das Zwerchfell in die Höhe schieben und dann Luft aus dem Thorax heraus- pressen. Geräusche, verursacht durch Gase, wer- den bei ruhenden Leichen und bei Änderung der Lage derselben zuweilen beobachtet. Durch Pressen des Brustkorbs lassen sich solche künst- lich erzeugen." Auch zwei ältere sehr erfahrene Brüder des großen Breslauer Krankenhauses der Barmherzigen Brüder bestätigen , daß sie häufig bei Toten, namentlich wenn irgendein Druck auf die Brust ausgeübt wurde, infolge der alsdann aus dem Brustkorb entweichenden Gase, den von mir beschriebenen Sonus postmortalis gehört hätten. Ich verdanke diese Mitteilung einer liebenswürdi- gen Nachfrage des Fürstbischofs von Breslau Dr. theol. et jur. can. A. Bertram. Eine weitere mir ebenfalls wertvolle Mitteilung des Stabsarztes und Saiiitätsrats Dr. Kübitz (Loburg) verdanke ich der gefälligen Vermittlung meines Freundes des Thukydidesforschers Prof Dr. Franz Müller. Kollege Kübitz schreibt : „Ich habe vor etwa einem Jahr einen Fall von Sonus postmortalis suspendiosi erlebt, welcher dem Ihrigen gleicht wie ein Ei dem anderen. Ich wurde zu einem Selbstmörder gerufen, der schon mehrere Stunden hing und sicher tot war. Da die Ehefrau als einzige .Anwesende nicht zu bewegen war, die Leiche zu berühren, so blieb mir nichts weiter übrig als selbst den Strick durchzuschneiden, die Leiche niedergleiten zu lassen und die Schlinge zu lösen. Da entfuhr der Kehle ein seufzerartiger Ton. Ich erklärte mir dies so, daß die in den Luftwegen durch die Abschnürung komprimierte Luft nach Lockerung der Schlinge nach außen strömte und im Vorbeistreichen die Stimmbänder in Schwingungen versetzte." Stabsarzt Dr. H. Schöppler, Vorstand der pathologisch - anato- 526 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 33 mischen Abteilung der mihtärärztlichen Akademie (München), schreibt : „Daß bei Erhängten und auch Ertrunkenen zuweilen post mortem noch durch Auspressen der Luft Laute hörbar werden, ist mir bekannt. Ganz überraschend war mir, als ich einst zu Regensburg die Sektion eines an Thymus- tod gestorbenen Kindes machte, daß während ich die Thymus von der vollkommen zusammen- gedrückten Trachea abnahm, plötzlich laute, dumpfgurgclnde Töne dem toten Kinde ent- strömten ; dies war so eigenartig, daß der damals anwesende Sanitätssergeant und der Totenwärter sichtlich von unheimlichem Grauen erfaßt da- standen und erwartungsvoll mich ansahen , was dies zu bedeuten habe. Auch bei einer Ertrunkenen, die ich im pathologisch-anatomischen Institut in München 1906 zur Sektion bekam, kamen beim Öffnen des Brustkorbs plötzlich dumpfgurgelnde Töne zum Vorschein, die durch Einsinken der Lungen erklärt wurden." Während also die Existenz des Sonus post- mortalis (suspendiosi) sichersteht, scheinen die Meinungen über den Entstehungsmodus geteilt zu sein. Bevor ich mich kritisch zu diesen Theorien äußern werde, möchte ich erst über weitere zu- ständige Mitteilungen, um deren freundliche Ein- sendung ich hierdurch sehr bitte, verfügen. In- dem ich allen denen, die mich bei Erforschung des Sonus postmortalis unterstützt haben, herz- liclien Dank entbiete, beschließe ich diese Arbeit über ein Phänomen, das mir selbst zunächst so paradox erschien, daß ich, der ich im Kampf gegen das Salvarsan lange Zeit unverstanden blieb, befürchtete, auch hier mehr auf Zweifel als auf Zu- stimmung zu stoßen. Während mir im lang- wierigen Kampf gegen das Salvarsan die traurigen Erfahrungen von Salvarsanfreunden bei Feldsoldaten jetzt recht geben, hatte ich nach der ersten Pu- blikation über den Sonus postmortalis die Freude nicht erst nach Kampf, sondern alsbald einer sogar vielseitigen Zustimmung, darunter von um die Wissenschaft hochverdienten Forschern, zu be- gegnen. Dr. med. et phil. Friederich Kanngießer, Neuchätel (Universite) und Braunfels (Kr. Wetzlar). Einzelberichte. Physik. Über Interferenzerscheinungen bei Röntgenstrahlen. W. Friedrich u. a. (Ann. d. Physik 4 1 , S. 97 1 — 88) beobachten ein Verschwinden der Interferenzerscheinung, sobald ein großer Kupfcrvitriolkristall durch ein Aggregat von kleinen ersetzt wurde. Bei Steinsalz hängt die Intensität der durch die Röntgenstrahlen auf der photographischen Platte erzeugten Flecke von der Dicke der durchstrahlten Schicht ab. Beim Diamant tritt Interferenz ein, obgleich Kohlenstoff keine Fluorescenz-Röntgenstrahlung zeigt. Die Härte der die Flecken erzeugenden Fluoreszenz-Röntgen- strahlen ist fast dieselbe bei der Zinkblende wie beim Diamant. Nach W. Friedrich (Physik. Zeitschr. 14, S. 1079—87) sind die bestimmten Wellenlängen der Röntgenstrahlen unsicher, so- lange nicht die Gitlerkonstante des betreffenden Kristalls gefunden werden kann. Die Schwingung des einzelnen Atoms, die zur Fluoreszenzstrahlung führt, gilt als sinusförmig und M. Laue (Ann. der Physik 41, S. 989 — 1002) berechnet aus der Wellenlänge der Röntgenstrahlung und der Ordnung des Gitterspektrums die Orte der Interferenz- punkte. Ihre P'lecke sind nach demselben (Ann. d. Physik. 41, S. 1008 — 11) längliche Striche, infolge der Krümmung der einfallenden Wellen (siehe auch Ann. d. Physik. 41, S. 1075—79). Nach L. S. Ornstein (Physik. Zeitschr. 14, S. 941 — 47) zeigen die Interferenzerscheinungen der Röntgen- strahlen, daß sich die Symmetrie der Kristalle aus der Struktur der Raumgitter ergibt (Physik. Zeitschr. 14, S. 1040 — 41). Beobachtungen über die Streifen der Diffraktionsmaxima in den Inter- ferenzdiagrammen der Röntgenstrahlen führt M. de Broglie an (Physik. Zeitschr. 14, S. 994 — 95; Le Radium 10, S. 245 — 49.) Über Streifungen im Interferenzbild der Röntgenstrahlen berichtet E. Hupka (Physik. Zeitschr. 14, S. 995 — 96) und die Interfercnzfiguren hemiedrischer Kristalle untei'sucht W. L. Bragg (Physik. Zeitschr. 15, S. 77 — 79), und dieSchärfe der mit Röntgenstrahlen erzeugten Interferenzbilder E. Schrödinger (Physik. Zeitschr. 15, S. 79 — 86). Die Wärme- bewegung der Kristallatome hat nach P. Debye einen Einfluß auf die Interferenz der Röntgen- strahlen (Ann. d. Physik. 43, S. 49—95). Für Zinkblende und Diamant gelangt P. P. Ewald (Ann. der Physik. 44, S. 257— 82) zu einer voll- ständigen Bestätigung des Modells von Bragg über die Gitterstruktur dieser Kristalle. Auch Röntgenphotographien von Pyrit, Hauerit und Natriumchlorat bestätigen dasselbe (Ann. d. Physik. 44, S. II 83 — 96). Die Interferenzpunkte selbst weisen nach M. Laue (Ann. d. Physik. 42, S. 397 — 414) auf die Existenz von verschiedenen Wellenlängen von Röntgenstrahlen hin (siehe auch Physik. Zeitschr. 14, S. 1038 — 40). Die Annahme von Laue, daß jedem vom Krislallgitter abgebeugten Röntgenstrahl eine be- stimmte, für seine Richtung charakteristische Wellenlänge zukommt, konnte E. W ag n e r (Physik. Zeitschr.. 14, S. 1232 — 37) an zwei Steinsalz- kristallen bestätigen. Nach Einführung der Raumgitter der Kristall- molckülc ist die Vorstellung von Kristallmolekülen mehr und mehr zurückgedrängt worden, sie wurde ersetzt durch diejenige der Punktsysteme von Atomen. Nach P. Grotte (Zeitschr. f. Kristallogr. N. F. XIV. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 527 54, S. 95 — 73, 1914) ist: „Ein Kristall ein homo- gener Körper, welcher aus den Atomen in der Art aufgebaut ist, daß deren Schwerpunkte (ruhend gedacht) ein aus einer Anzahl ineinander gestellter kongruenter Raumgitter bestehendes regelmäßiges Punktsystem bilden." Nur in den amorphen Körpern existieren Moleküle und die Polymorphie ist nicht mehr durch die verschiedene Molekular- größe der Modifikationen zu erklären. Dr. Bl. Über die letzten Linien in den verschiedenen Lichtquellen. Die Linien, welche bei abnehmender Konzentration des sie emitierenden Elementes zuletzt verschwinden, sind nicht immer identisch mit den sog. Hauptlinien der Elemente also mit den Linien, welche die photographische Platte im Funkenspektrum am stärksten beeinflussen oder sich zuletzt photographisch bei abnehmender Expositionsdauer bemerkbar machen. Über diese Linien stellte A. de Gramont (C. r. d. l'Acad. des Sciences 159 ,S. 5 — 12) in verschiedenen Licht- quellen von abnehmender Temperatur Versuche an. Behalten die Linien eines Elementes in Quellen verschiedener Temperatur nicht die gleiche Empfindlichkeit, so sind die letzten Linien stets unter solchen, welche schon im kondensierten Funken eine große Empfindlichkeit aufweisen. Um so weniger brechbar sind die Linien größter Empfindlichkeit, je niedriger die Temperatur der Quelle ist. Aus der Bohrschen Theorie folgt in bezug auf komplexe Spektren nach A. Towler (Proc. Royal Soc. London. Serie A. 90, S. 426—30), dal3 Bogenserien im allgemeinen hervorgerufen werden von Atomen, welchen ein Elektron durch die erregende Quelle entzogen wurde. Wurden aber zwei Elektronen entfernt, so treten Funken- serien auf Dr. Bl. Zoologie. Zur Lebensgeschichte von Lampyris noctiluca macht R. Vo g e 1 (Ztschr. f. wiss. Zool. CXII 191 5) folgende Mitteilungen: die Hauptpaarungs- zeit fällt in Mitteleuropa zwischen den 15. Juni und 20. Juli; sie beginnt kurz nach dem Aus- schlüpfen aus den Puppenhüllen. Bald nach der Kopulation werden innerhalb 2 — 3 Tagen die gelb- lichen, fast kugligen Eier einzeln an Moos, Wur- zeln usw. abgelegt, deren Entwicklungsdauer von der Temperatur abhängt und zwischen 30 und 55 Tagen betragen kann. Die frisch ausgeschlüpf- ten Larven stimmen im äußeren Bau mit den älteren überein, sind etwa 4 mm lang und sind anfangs nur schwach pigmentiert, erreichen jedoch schon in wenigen Stunden die definitive Pigmen- tierung; auch ihre Leuchtorgane sind entwickelt und leuchten, wie an herauspräparierten Embryonen gesehen wurde, schon einige Tage vor dem Aus- schlüpfen. Die Nahrung der Larven und zwar auch der jungen besteht aus Gehäuse- und Nackt- schnecken, die durch Bisse mit den Mandibeln in den Kopf, den Fuß, den Mantel oder anderen Körperstellen (gern in die Augenträger) gelähmt und getötet werden. Besondere Giftdrüsen fehlen ; die Mandibeln sind mit einem Kanal durchzogen, der in eigenartiger Weise mit dem Darm in Ver- bindung steht und dem bräunlichen Mitteldarm- sekret den Austritt gewährt. Das Sekret wirkt — wohl über das Nervensystem — in 2 bis 4 Stunden lähmend auf die Fußmuskulatur und die Retraktoren, während Herz- und Augenmuskeln, wenn auch unregelmäßiger und langsamer weiter arbeiten, bis auch sie erlahmen. Ist die Lähmung eingetreten, so beginnt eine mechanische Bearbei- tung der Beute durch die Mandibeln, welche weiteres Mitteldarmsekret einführen ; damit setzt auch die extraintestinale Verdauung der Beute ein, die allmählich in einen zähflüssigen Bau ver- wandelt wird. Dieser wird hauptsächlich durch den Mund unter Beteiligung der Mandibeln und Maxillen aufgenommen, was oft über drei Tage dauert. Möglich, daß an der extraintestinalen Verdauung auch das Sekret der Maxillartaster- drüsen teilnimmt. Mitte Oktober verkriechen sich die Larven zwischen Moos und Steinen, bleiben meist bewe- gungslos mit bauchwärts stark eingekrümmtem Hinterleib liegen und halten Winterschlaf, den sie in milden Nächten schon Ende Februar aufgeben können; im März zeigen sie schon Freßlust, die sie bis einige Tage vor der Verpuppung beibe- halten. Die Puppenruhe der Männchen dauert mindestens 11, die der Weibchen etwa 8 Tage. Die Frage, ob die Larven ein- oder zweimal überwintern, ist dahin zu beantworten, daß zwei- malige Überwinterung vorkommt; es sind die zu- letzt im Sommer ausschlüpfenden Larven, die das tun; gegenüber den am frühsten ausgeschlüpften sind sie um 2 Monate in der Entwicklung zurück und daher genötigt, ein zweites Mal zu über- wintern. Brn. In dem Humanisten Petrus Candidus (geb. 1399, gest. 1477) wurde von S. Kill er mann (Regens- burg) ein bisher als zoologischer Schriftsteller unbekannter Autor entdeckt, dessen 1460 in Neapel geschriebenes Tierbuch mit dem Titel: „de omnium animalium naturis atque formis nee non rebus memoria et annotatione dignis" sich in der vatikanischen Bibliothek vorfindet und von Killermann in seinem wesentlichen Inhalt be- handelt wird (Zool. Annalen, VI. 1914). Es zer- fällt in 5 Bücher, die den Vierfüßlern, den Vögeln, den Meerungeheuern und Fischen, den Schlangen und Gewürm und besonderen Merkwürdigkeiten gewidmet sind. Im ganzen werden etwa 460 Arten geschildert, die in den 4 Büchern in alpha- betischer Folge geordnet sind. Lehnt sich das Werk auch sehr an die drei Enzyklopädisten des XIII. Jahrhunderts (Albertus, Thomas und Vincentius) an, so entbehrt es doch nicht einer gewissen Originalität, die sich darin ausdrückt, daß Arten behandelt werden, die bei den Enzyklopä- disten fehlen, daß eigenartige Benennungen auf- 528 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 33 treten und da und dort auch eigene Erfahrungen eingeflochten werden , so beim Ur, Bär, Sieben- schläfer, Ratten, Kaninchen, Barsch, Lamprete, Wanderheuschrecke u. a., während Zobel, Saibling, Tarantel, Seidenraupe u. a. zum ersten Male ge- nauer geschildert werden. Von weiterem Wert sind die zahlreichen , fast jede Art betreffenden Illustrationen, die, wie die beigegebenen Repro- duktionen ergeben, zum Teil ganz ausgezeichnet sind. Sie waren nach einem erhaltenen Briefe des Bestellers des Werkes, Marchese Ludovico Gonzaga von Mantua, von vornherein in Aus- sichtgenommen, sind aber erst im 1 6. Jahrhundert in der Hauptsache von einem unbekannten Maler ausgeführt worden. Als Unterlagen dienten viel- fach die Abbildungen bei Gesner, die jedoch nicht einfach kopiert worden sind, auch künstle- risch höher stehen ; für niedere Tiere fehlten Vor- lagen; die dahin gehörenden Bilder dürfen als Originalleistungen angesprochen werden. Brn. Bücherbesprechungen. großen Ergebnisse luftelektrischer Forschung noch etwas ausführlicher gebracht werden. Im ganzen kann jedenfalls festgestellt werden, daß der neue Band sich dem alten würdig zur Seite stellt. Wenn jetzt statt eines Astronomen ein Geophysiker die Herausgabe leitet, so entspricht das nur der zu erwartenden Entwicklung der besprochenen Wissenschaften, indem für einige Zeit noch die Geophysik ihre rasche Ausbildung fortsetzen wird. A. Nippoldt. Brehm's Tierbilder. 3. Teil: Die Säugetiere. 60 farbige Tafeln mit Text von Dr. V. Franz. Leipzig '15, Bibliogr. Institut. In Leinwand- mappe 10 M. Es war zweifellos eine sehr glückliche Idee, die ausgezeichneten Bilder des neuen großen B r e h m gesondert herauszugeben und den zahlreichen Freun- den dieses hervorragenden Bilderschmuckes, die auf die Anschaffung des ganzen Werkes aus irgendeinem Grunde verzichten, in einer hübschen Leinwand- mappe darzubieten. Es macht in der Tat ein großes Vergnügen, diese Mappe zu durchblättern. Sehr angenehm ist auch die Beigabe der kurzen von Dr. V. Franz zusammengestellten Erläute- rungen. Leider erschweren die losen Blätter das Zusammenlegen der Tafeln, so daß dem Benutzer zu empfehlen wäre, sie etwa beim Buchbinder auf der Rückseite der Tafeln aufziehen zu lassen. Er- wähnen möchte ich auch noch, daß mir diese Sammlungen sehr geeignet als Demonstrations- material für Vorlesungen uud auch für die Schule erscheinen. Miehe. Anregungen und Antworten. G. K. in E. Als Anleitung zur chemisclien Bodenanalyse zum Zweck landwirtschaftliclier Versuche dürften zu empfehlen sein: Mitscherlich, Bodenkunde für Land- und Forstwirte (Paul Parey, Berlin), Ramann, Bodenkunde (J. Springer, Berlin) oder Wahnschaffe und Schucht, Anleitung zur wissenschaftlichen Bodenuntersuchung (Paul Parey, Berlin). Vogel. Inhalt: Wcsemüller: Die deutschen Storchmarkicrungen (mit 3 Karten u. 3 Tabellen). Nachtsheim: Parthenogenese bei Infusorien (mit 2 Abbildungen). — Kleinere Mitteilungen: Kanngießer: Können Tote noch Laute von sich geben? — Einzelberichte: Friedrich: Über Interferenzerscheinungen bei Röntgenstrahlen. Gramont: Über die letzten Linien in den verschiedenen Lichtquellen. Vogel: Lebensgeschichte von Lampyris noctiluca. Killermann: Petrus Candidus als zoologischer Schriftsteller. — Bücherbesprechungen: Klein's Jahrbuch der .Astronomie und Geo- physik. Brehm's Tierbilder. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstrafie na, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pälz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Kleins Jahrbuch der Astronomie und Geo- physik enthaltend die wichtigsten Fortschritte auf den Gebieten der Astrophysik, physikalischen Erdkunde und Meteorologie. Unter Mitwirkung von Fachmännern herausgegeben von Dr. Theodor Arldt. XXIV. Jahrg. 191 3. 6 Ta- feln, 8", 384 Seilen. Leipzig 1914. Eduard Heinrich Mayer. Den meisten Lesern dieser Zeitschrift ist, zum mindesten dieser oder jener Jahrgang des Klein'- schen „Jahrbuchs" schon vor Augen gekommen; viele werden es aus näherer Kenntnis schätzen ge- gelernt haben. Am i. Juli vergangenen Jahres ist sein Schöpfer, Hermann J. Klein uns durch den Tod entrissen worden, nachdem er eben die Herausgabe seines Werkes niedergelegt hat ; nun- mehr erscheint es zum ersten Male unter anderer Leitung. Für ein Buch wie das vorliegende ist ein solcher Wechsel wichtiger, als bei einem Be- richtswerke, das eine rein sachliche, unpersönliche Inhaltsbesprechung liefert. Zwar findet man auch in dem Klein'schen Jahrbuch keine eigentliche Kritik über die besprochenen Arbeiten, dafür aber eine abwägende Auswahl aus der Fülle jährlicher Neuarbeiten. Es werden aus jedem der Einzel- gebiete nur solche gebracht, die eine umfassendere Bedeutung für den Fortschritt unsererer Erkennt- nis besitzen. Diese Wahl richtig zu treffen, er- fordert einen an eigenem Forschen geschulten Blick und zugleich eine gute Kenntnis der Inter- essen des Leserkreises. Herausgeber eines solchen Werkes zu sein, ist eine Vertrauenssache. Von seiner Tüchtigkeit hängt der Nutzen des Jahr- buchs ab. Umgekehrt ist es sehr schwer, für jemanden, der nicht den gleichen Überblick über alle Zweige der Wissenschaft besitzt, die in dem Werk zur Be- sprechung kommen, ein Urteil darüber auszu- sprechen, ob das erstrebte Ziel voll erreicht ist. Die dem Referenten näher gelegenen Wissensge- biete kommen jedoch vorzüglich zur Darstellung, nur der eine Wunsch sei ausgesprochen, daß die Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 22. August 1915. Nummer 34. Die deutschen Storchmarkierungen. Von A. Wesemüller. [Nachdruck verboten. Mit 3 Karten II. Rückkehr ins Ileimatgebiet. Findet bei der Rückkehr der Störche aus iiiren Winterquartieren auch eine Rückkehr der einzelnen in ihre besondere Geburtsheimat, teil- weise sogar ins alte Nest statt ? — Das ist eine Frage von biologisch derselben Wichtigkeit wie die nach den Zugstraßen. Das Beringungsverfahren hat sich ihrer daher ebenfalls bemächtigt. Denn Beobachtungen, wie sie sich vorher nur auf den Augenschein stützten, lassen immer Irrtümer zu, selbst wenn es sich beim vermeintlichen Wieder- erkennen eines Storches auf demselben Dach um so ausgeprägte Merkmale handelt wie etwa ein zufällig verstümmeltes Bein. Jenes exaktere Verfahren erleidet allerdings, soweit es bei den Storchwanderungen der Rolle des einstigen Nestes gilt, in der Zahl der mög- lichen Ergebnisse eine nicht unbeträchtliche Ein- schränkung; Die Beringung kann meistens nur an noch nicht flüggen Jungen vorgenommen werden. Kommen diese dann im nächsten Jahre nicht zu ihrem Nest zurück, so weiß man noch immer nicht, ob sie nicht doch das Verlangen hatten und nur behindert wurden, etwa durch Vorausbesetzung von anderen, was ja noch die Eltern sein könnten. Ein solcher Trieb zum selben Nest könnte offen- bar nur jedesmal dann seinen tatsächlichen Beleg finden, wenn das Recht des Stärkern oder eine etwaige Verwaistheit des Nestes dem zurück- kehrenden Ringträger die betreffende Anhänglich- keitsbetätigung erlaubte. Da nun aber für ge- wöhnlich die jüngeren Störche die schwächeren sein werden , andererseits eine nicht erst zu er- kämpfende Räumung des erstrebten Nestes — es wird sich hierbei, jenen Trieb vorausgesetzt, ge- wöhnlich um die Eltern als immer wieder regel- rechte Inhaber handeln — von diesen erst nach dem Tode, also bei normaler Lebensdauer nicht sciion gleich nach dem Brutjahr geschehen wird, so könnte mit einem Wiedereinzug der Jungen im allgemeinen erst nach einer mehrjährigen Frist gerechnet werden. Wenn dann aber der Platz der Kindheit von den nun auch nicht mehr jugendlichen vergessen sein sollte, so ginge daraus noch nicht hervor, daß vorher nicht doch die Anhänglichkeit bestand. Um das zu ergründen, müßten also die wenigen möglichen Ausnahmen, daß ein Elternnest schon vom eben erst ein- jährigen Heimkömmling leer gefunden oder daß ein solcher gegen die noch vorhandene Besatzung ind 3 Tabellen. (Schluß.) kämpfend ermittelt würde (die Erbeutung in beiden Fällen zudem angenommen) zufällig von Ringfunden an den Betroffenen begleitet sein. Das schlösse eine Reihe von Umständen ein, deren Zusammentreffen wohl alles andere, nur nichts Alltägliches bedeutete. Um dagegen zu erfahren, ob die älteren Störche regelrecht jährlich ihr gleiches Nest beziehen, müßte es wiederum gelingen, zweimal eines solchen äl- teren Tieres an derselben Stelle habhaft zu werden, einmal unbedingt des lebendigen, um die Mar- kierung vorzunehmen, später des lebendigen oder toten zum Zweck der Ringprüfung. Kurz, bei jungen wie älteren Störchen be- deutete eine Feststellung im gedachten Sinne soweit einen ganz seltenen Glücksfall. Verhältnismäßig noch am günstigsten stellt sich immerhin die erste Möglichkeit: Bei ihr rechnet man damit, daß jung im Nest markierte Störche sich auch noch nach mehr als Jahresfrist auf die alte Heimstätte besinnen und daß dann nach ihrer Landung daselbst ihr Ringzeugnis uns zu- gänglich wird. Da, wie wir sehen werden, Rück- kehr in wenigstens den mehr oder minder näheren Umkreis der Erbrütungsstätte noch nach Jahren vorkommt, so erscheint es jedenfalls nicht un- bedingt ausgeschlossen, daß ein Ringfund auch einmal genau auf diese selber entfällt. Doch darf man sich auch wieder nicht verhehlen ; Ein Storch, der nachweislich in demselben Gebiet ein paar Jahre nach der Ringanlegung wieder vorkommt, hat die Gegend möglicher-, wenn nicht wahrscheinlicherweise auch schon inzwischen immer wieder aufgesucht und sie sich so im Ge- dächtnis erhalten, was aber in bezug auf seinen Erbrütungsplatz darin nicht gesagt werden kann. Im Gegenteil, genötigt bisher, eine andere Stelle für seinen unterdes nötig gewordenen eigenen Familienhaushalt auszusuchen, ist er gegen jenen vermutlich ganz gleichgültig geworden und denkt gar nicht mehr daran, ihn zu beziehen, kennt ihn infolgedessen auch wohl gar nicht mehr. In Wirklichkeit hat, nach dem Gesagten er- klärlich, das Ringexperiment noch kein einziges Beispiel erbracht, wonach ein markiertes Tier nach seiner Wanderfahrt im Besitz des alten Nestes unzweifelhaft nachgewiesen wäre. Um so begieriger möchte man für solchen Ausfall in der Forschung dann an Vorkommnissen wie den sechs folgenden Ersatz suchen, die Rossitten ebenfalls wie die andern bekannt gibt. (Zoolog. Jahrb. Suppl. 12, S. 684.) In sechs verschiedenen Ortschaften Ostpreußens 530 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 34 Tabelle III. Rückkehr meidungen über Ringstörche. (Sämtliche bis I 9 I 3 von Rossitten veröffentlichten Fälle). (Ein Auslassungsstrich in der Tabelle bedeutet: die betreffende Angabe fehlt in den Veröffentlichungen.) Lfde. Nr. Ringnummer und Erbeutungs- datum Alter des Storches Beringungsorl und Geburtsheimat Erbeutungsort f Ent- fernung zwischen d und e Bemerkungen a) Brut- störche Unbe- stimmten - Charakters b) Ein- jährige o c) Mehr- jährige Raub- störche Nr. 47 12. Aug. 1909 3 Jahre Nr. 990 7. Aug. 1910 3 Jahre 5 Jahre „ ,. ,,...! Fuchshöfen bei Seligenfeld beij^^jj^ Kreis Königsberg: Osi-' ^^.^.^^^^^^ . Qjt preußen. preuflen. Drugehnen im Drugehnen im Samlande : Ost- Samlande: Ost- preußen, preußen. 15 km Nach Annahme des Schüt- zen könnte er wohl gebrütet haben. Doch fehlt der nähere Nachweis. — Der Storch stammt übrigens aus dem- selben Dorf und derselben Brutperiode wie der am Fittrisee erbeutete (Kap. I). 500 m ! Männchen mit starker Ge- schlechtsentwicklung, hat daher sehr wahrscheinlich gebrütet. Gepaart auf dem Neste - , V angetroffen. Erster und bis ''•' jetzt einziger Ringstorch vom Horst. Anfang August 191 1 3 Jahre Ostpreußen. q . Eingegangen aufgefunden. Sonst keine Angabe. 5 Nr. 184 31. Juli 1908 I Jahr Gudnick bei Liebstadt, Kreis Mehrungen ; Ost- preußen. Feldmark Span- den beiSchlodien, Kr. Pr.-Holland: Ostpreußen. 22 km Aus Trupp von 12 Stück herausgeschossen. Hat an- geblich nicht gebrütet. 6 Nr. 967 20. Juli 1908 I Jahr Gallhöfen im Samlande : Ost- preußen. Elkinehlen, Kr. Darkehmen: Ost- preußen. ca. 95 km Aufwiese geschossen, wo am Waldrande auf hohen Kiefern meist mehrere Störche übernachteten. 7 Nr. 485 28. Juli 1909 I Jahr Stuckenborstel, Bezirk Bremen. Wümraethalbei Ottersberg. Prov. Hannover. 6 km - 8 Nr. 906 22. Juni 1909 Neuendorf bei 2 Jahre Gerdauen : Ost- preußen. Groß-Karpowen, Kr. Darkehmen: Ostpreußen. 28 km Aus Gegend ohne Storch- nester, aus größerer Gesell- schaft. 9 18. Aug. 191 1 3 Jahre Mecklenburg. - 71 km Aus einem Fluge von 50 Stück herausgeschossen, die schon seit Anfang Juli an der Stelle zu sehen waren und abends auf Eichen und Buchen aufbäumten. 10 6. Juni 191 1 3 Jahre Ostpreußen. - 38 km Gehörte, wie der Schütze schreibt, zu den „Raub- störchen", die sich nachts auf Standbäumen des nahen Forstes aufhielten. II 12 Nr. I 16. Juli 1909 3 Jahre Wosegau bei Cranz : Ost- preußen. llerrschaftsgut Kinau bei Neuen- dorf, Kr. Königs- berg : Ostpreußen. 30 km Von einer am Waldrande allein stehenden Eiche her- abgeschossen. Alle umlie- genden Nester sollen ander- weitig von je 2 Alten besetzt gewesen sein. Auch zeigte der Storch keinen Brutfleck. Schon 3 — 4 Wochen vor der Erlegung waren 8 — 13 Stör- che in der Gegend, mit denen dieser Gemeinschaft hielt. Ende Juli 191 1 3 Jahre Ostpreußen. - 23 km Aus einer Schar von 50 Stück erlegt. N. F. XIV. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 531 Lfde. Nr. Ringnummer und Krbeutungs- datum Alter des Storches Beringungsort und Geburtslieimat Erbeutungsort f Ent- fernung zwischen d und e Bemerkungen O c) Mehr- jährige R .^ u b - storche Nr. 2706. ig. Juli igi2 3 Jahr Prätlack bei Wandlacken , in der Nähe Norden- burgs : Ostpreu- ßen. Nordenburger Gebiet: Ost- preußen. Ende Juli 191 1 4 Jahre Juli 191 1 4 Jahre Ein Männchen. Hatte nicht gebrütet. In der Nähe noch 7 — 8 Störche auf der Wiese Er selbst befand sich am Rande eines ca. iS Morgen großen Waldgebietes (Wei- den, Erlen, Birkenbruch) und [suchte eifrigst. Stand im Verdacht, auf Junggeflügel Jagd zu machen. Bäumte abends regelmäßig auf einer alten Eiche auf. 43 km War allein. Hat nach An- sicht des Schützen nicht ge- brütet. Ist in der Annahme, daß er jungem Wilde nachstellte, geschossen worden. Nr. 3 30. Juni 190S Nr. 437 20. Juli 1910 14. Juni 191 1 2 Jahre Wilsche bei Gif- horn ; Lüneburger Heide. Sorquitten : Ostpreußen. 3 Jahre CuUmen - Jennen, Strippow bei Kr. Tilsit: Ost-JHohenfelde, Kr. preußen. Köslin: Pommern 5 Jahre Braunschweig. 700 km Wurde mit noch einem Artgenossen im Felde ange- troffen. Hat sicher nicht gebrütet, da in der ganzen Umgebung des Erbeutungs- ortes kein Nistpaar geduldet wird. 395 km 305 kn Hat scheinbar nicht ge- brütet: Befand sich in Ge- sellschaft von 10 Artge- nossen, die sich zusammen- geschlagen hatten, räubernd auf dem Felde. Mit zerschossenem Beine angetroffen. Die Frage, ob er gebrütet hat oder nicht, blieb offen. waren Storchnestlinge mit dem Krkennungsring versehen worden. Im folgenden Frühjahr, einmal erst im zweitfolgenden und ein anderes Mal in einem Frühj'ahr, dem die Markierungen von zwei Jahrgängen vorausgingen, wurde an den sechs Nestern je ein heimkehrender Storch mit Fuß- ring, ohne daß man aus der Entfernung die Nummer lesen konnte, gesehen, allerdings nur vorübergehend. An drei Stellen wurde er von dem ihm zuvorgekommenen Besitzerpaar weggebissen, in den drei übrigen Fällen blieb die Ursache des Weiterzuges unbekannt. Besonders bestechend für Schlußfolgerungslustige ist nun der zweimal eigens beachtete Umstand, daß der flüchtige Gast den Ring genau an demselben Fuße trug, an dem früher die Markierungen in dem betreffenden Neste stattgefunden hatten. Der den Ring rechts tragende von den beiden wurde allerdings erst nach zweijähriger Pause gesichtet, während von links Gezeichneten, wie man im selben Neste die Markierung im Zwischenjahre gewählt hatte, spä- ter überhaupt keiner sich blicken ließ. Werden jene sechs Ankömmlinge, zum mindesten aber doch die zwei mit den Übereinstimmungsbe- ziehungen nach dem bestimmten Fuß nicht tat- sächlich früher Markierte desselben Nestes sein, jeder also ein Kind des nun bei der Rückkehr wieder aufgesuchten Heimes? — Die Beobachter, welche der Vogelwarte die besprochenen Wahr- nehmungen mitteilen, neigten fast alle für ihren Fall zur Bejahung der Frage. Thienemann jedoch fragt mit Bezug auf die vier als einjährig an- genommenen : „Was hätten diese noch nicht fort- pflanzungsfähigen Jungen an den Brutstellen zu suchen.' Wozu die erbitterten Kämpfe ?" — Nun ist zwar das Wegbeißen von Artgenossen ohne sichtbaren Grund in der Tierwelt keine seltene Erscheinung, und man könnte auch bei diesen Störchen eine Art Mißgunst oder Eifersucht um den vom Vorjahre vertrauten Platz als Beweg- grund annehmen, Eifersucht selbst auf die Alten, die den Jungen vielleicht eher entfremdet werden S32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 34 als das Nest. Aber es fehlt eben für die ganze Rciiic jeder feste Anhaltspunkt, um über müßige Vermutungen hinauszukommen. Übrigens liegen noch vier ähnliclic Bucliungcn, im 9. Rossittener Jahresbericht (Journ. (. Ornith., 1910, S. 627, Nr. 5—8) vor, wonach ebenfalls, ohne das Nummerzeichen erkennen zu lassen, Ringstörche im Frühjahr an vorjährigen oder frühern Markierungsstätten sich blicken ließen. Selbstverständlich mißt der Leiter der Warte auch ihnen nur den aus gedachtem Grunde sehr be- dingten Wert bei. Desto ergiebiger war nun das Ermittlungs- verfahren im Bereich der erweiterten Fragestellung: Kehrt der weiße Storch in das ihm von früher vertraute Siedlungsgebiet zu- rück? — Achtzehn vollgültige, in Tabelle III verzeichnete Rückmeldungen Hegen hier vor. Von diesen Ergebnissen tun uns nur drei nicht den Willen, die obige Frage zu bejahen. Die Gezeichneten, Nr. 16 bis 18, kommen zwar ebenfalls nach Deutschland zurück, aber der eine wird 305 km, der zweite 395, der dritte sogar 700 km von der ursprünglichen Auflaßstelle ent- fernt wieder angetroffen. Sie bilden mit noch einer Anzahl der ganzen Reihe (Nr. 8 — 15) in der Storchbiologie ein eigenes, nachher zu be- handelndes Kapital. Bei den Nummern 1 — 15 bewegt sich das Abstandsmaß vom Erbeutungsort bis zum einst den Jungen zugehörigen Nest zwischen 95 km und 500 m. Das heißt mit anderen Worten : Der weiße Storch kehrt meistens in den alten Heimatgau zurück. Viel- leicht versucht er auch (wenn man einmal in diesem Zusammenhang die vorhin abgetanen zehn unsichern Fälle zur Folgerung heranziehen darf) das Nest, in dem er aufwuchs, bei der Rückkehr wiederzugewinnen und verzichtet darauf nur notgedrungen. Es muß als naturgemäß vorausgesetzt werden, daß, falls überhaupt bei dieser Vogelart ein der- artiger Unterschied stattfindet, vom Bruttrieb be- seelte Störche mehr zum altgewohnten Revier zurückdrängen als solche, denen es vor der Hand auf eine Familiengründung nicht ankommt. Drum müßte unsere Tabelle eigentlich vorwiegend Brut- störche enthalten. Hier ist aber eins bei der Statistik zu bedenken: Ein gesitteter Mensch wird Störche, die horsten, nicht vorsätzlich schießen. Daher befinden sich unter den obigen 18 der Vogelwarte Rossitten eingelieferten Ringstörchen nur 2 bis 3, bei denen es mehr oder minder fest- steht, daß sie Brüter waren. Das genügt jedoch zur nächsten Schlußfolgerung. Es handelt sich um die Nummern I — 3. Vom erstercn glaubt der Schütze, daß er gebrütet habe, begründet es aber nicht. Vom zweiten ist es nach der vorgeschrittenen geschlechtlichen Entwicklung stark wahrscheinlich. Nr. 3 ist — ein Kapitalfund, der erste und bis jetzt einzige Falll — ein Brut- storch unmittelbar vom Brutgeschäft weg am Horst erbeutet. Der erste befand sich mit seiner Erbeutungsstelle 15 km, der zweite gar nur 500 m vom einstigen Jugendnest entfernt und zwar beide nach bereits dreijähriger Zwischenzeit, unser Haupt- schlager, Nr. 3, aber 7,5 km nach sogar 5 Jahren. Hält man dem gegenüber, daß die erwähnten, bis jetzt einzig ermittelten Fernsiedler, Nr. 16 — 18 (mit 305, 395 und 700 km Abschweifung) — bis auf einen in dieser Hinsicht unbestimmbaren — Nichtbrüter waren, daß andererseits bis jetzt kein Beispiel eines aus dem Jugendgebiet völlig ver- zogenen Brüteis bekannt geworden ist, so geht die Annahme wohl nicht zu weit : Seiner engern Heimat wird der weiße Storch am allerwenigsten in der Periode des Bruttriebes entfremdet. Zu anderer Zeit können Abweichungen vorkommen. — Unsere Tabelle läßt erkennen, daß es zur Nist- zeit außer den wirklichen Brütern unter den Störchen noch zweierlei Arten Nichtbrüter gibt, einmal die noch zu jungen und daher noch nicht fortpflanzungs- fähigen Tiere, dann aber auch dem Alter nach hierzu reife. Als Jungstörche der gedachten Art sind zweifel- los die erst einjährigen anzusehen, also unsere Nummern 5 — 7. Einige Ringmeldungen aus Afrika hatten ergeben, daß einjährige, unreife Störche auch während der deutschen Sommermonate in diesem Erdteil verblieben. Da unsere drei dagegen (wie die Tabelle zeigt) nachweislich zurückgekehrte Störche sind, so steht fest, daß weder Rückkehr in die Heimat, noch Bleiben im Süden für das erste Jahr Regel ist, sondern daß beides vorkommt. Da ferner unsere 5 — 7, die sämtlichen bisher nach Ring festgestellten zurückgekehrten Jungstörche, laut Tabelle für die Verzugsentfernung von der Stelle, wo sie dem Ei entschlüpften, die äußerst niedrigen Zahlenbelege von 95, sowie 22 und selbst nur 6 km lieferten, so kann, solange wie bisher keine Gegenbeweise vorliegen, getrost ge- sagt werden: Auch die noch nicht fortpflanzungs- fähigen Ein-Jahresstörche stehen, so- weit sie überhaupt schon ans Zurück- wandern denken, im Banne der engeren Gebu rtsheimat. (Übrigens berichtet Prof. Thienemann einen Fall, wo ein bereits zweijähriger deutscher Riiig- storch im Juli, also während der Brutzeit, in der „Fremde", nämlich bei Damaskus festgestellt wurde. Seine daran anschließende Frage; „Ist der Storch auch mit zwei Jahren noch nicht fortpflanzungs- fähig?" blieb noch eine offene.) Was für eine Sorte von Weißstörchen sind nun die Nummern 8 — i 5 ? — Bringen sie eine besondere Note in das Heimwanderungsthema? Alle sind in den engeren Geburtsgau zurück- gekehrte. Gleichwohl dürfen wir bei ihnen offen- bar etwas Gemeinsames mit den bereits einmal berührten und nunmehr hier näher mit in die Betrachtung zu ziehenden Fernsiedlern (16 — 18) I N. F. XIV. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 533 vermuten, wenn wir nämlicli die Inhaltsähnlichkeit der Bemerkungen bei beiden Gruppen beachten. Sämtliche elf Störche standen als 2 zweijährige, 6 dreijährige, 2 vierjährige und i fünfjähriger im geschlechtsfähigen Alter. Trotzdem gehören sie zu den sogenannten Junggesellenstörchen, die man unter anderem Gesichtspunkte Raubstörche nennt. Die Übertragung der Bezeichnung auf sie zu recht- fertigen, ist zunächst eine eingehendere Aus- gestaltung des Begriffes erforderlich, eine: Charakteristik der „Junggesellen-" oder „Raubstörche". storch" wirklich-haltbar ist, beweist der Umstand, daß Thienemann an l8(!) unter derartigen Verhältnissen in Ostpreußen angetroffenen und erbeuteten (bis auf ein Stück nicht markierten) Störchen , die er eigens für diese Sonder- frage auf Wunsch zur Untersuchung erhielt, tatsächlich die jeweilig vorliegende Paarungs- fähigkeit feststellen konnte. (Vergl. den 12. Jahresbericht S. 65 — 67!) Man ersah also, daß diese Junggesellenstörche wirklich in der ge- schilderten, landläufig angenommenen Weise lebten. Iva r t e V^ . Ru-okkelv xm Henna tcjetict (Zu Tab. Von den „Junggesellenstörchen" gilt unter anderem allgemein: Sie haben ihr Standquartier (ohne Nest) auf hohen Bäumen am Waldrande, besonders zur Nachtruhe und meistens in größe- ren Trupps. Während ihre anderen Artgenossen brüten, treiben sie sich einzeln oder gemeinsam „vagabundierend" auf Wiesen und Feldern um- her, eifrig auf der Nährungsjagd, auch wohl als Schädlinge der Niederjagd. — Daß dieser Teil der landläufigen Meinung über den „Junggesellen- Weiter kam dann der Forscher noch zu folgen- den, stellenweise nach spätem Feststellungen hier noch ergänzten Ergebnissen: I. Die während der Brutzeit so sich umher- treibenden, nicht nistenden Störche sind durch- aus nicht, wie vielfach angenommen wird, durch- weg nur Männchen, die deshalb ein eheloses Leben führten, weil sie kein Weibchen gefunden hätten ; sondern beide Geschlechter sind in ziem- lich gleichem Verhältnis vertreten. Unter den 534 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 34 ersten 12 im Jahre 191 2 untersuchten waren 5 Männchen, 6 Weibclien und (a. a. O. S. 66, 5) I nach dem Reifegrade wohl, nach dem Geschlecht aber nicht bestimmbarer. Also 45 % Männchen, 55 "0 Weibchen. Von den 191 3 hinzugekommenen 6 aber waren 4 männlich, 2 weiblich. Das er- gäbe also im ganzen das nur wenig überwiegende Verhältnis der Männchen zu den Weibchen von 53% zu 47 7o-.. 2. Diese Störche waren nicht gezwungener- maßen ehelos. Sie hätten sich ja, da sie in gemischten Trupps lebten, untereinander paaren können. Die Untersuchung ergab durchweg unentwickelte Geschlechtsorgane bei beiden Ge- schlechtern. 3. Unter den untersuchten Stücken war auch, ebenfalls aus einer ganzen Schar (7 — 8 Stück) stammend, ein Ringstorch, Nr. 13 unserer Tabelle. Man konnte also sein Alter feststellen. Es betrug 3 Jahre. „Demnach", meint unser Gewährsmann, „ist auch der Einwand hinfällig, daß die in Frage kommenden Störche etwa junge einjährige, noch nicht fortpflanzungsfähige oder alte unfruchtbare Tiere waren." Doch scheint, nach den Tabellenbemerkungen zu unserer Nr. 5 und 6 zu schließen, auch der ein- jährige Storch als „Raubstorch" vorzukommen. 4. Auch nicht etwa Mangel an leeren Nestern konnte der Grund des Nichtbrütens sein. Nach einer im Jahre 1905 von der Physikalisch- Öko- nomischen Gesellschaft in Königsberg i. Pr. ver- anstalteten Zählung der Storchnester waren damals 18S0 unbesetzte Storchnester in Ost- preußen vorhanden. Nach der neuesten im Jahre 191 2 vorgenommenen Zählung ist das Verhältnis ungefähr dasselbe geblieben. Horst- unterkunft war also übergenug vorhanden. 5. So bleibt nur die Annahme übrig, daß die Störche nicht in jedem Jahre horsten, son- dern ab und zu Pausen im Brutgeschäft ein- treten lassen. Daraus erklärt sich die verhältnis- mäßig .schwache Vermehrung des Storchbe- standes. Daß für das Brüten oder Nichtbrüten fette oder magere Jahre, was Storchnahrung anbetrifft, maßgebend sind, ist nach Thienemann anzunehmen ; auch Schenk, der Leiter der Ornithologischen Zentrale in Budapest, weise („Aquila", Jahrgang 1912, S. 329 ff.) darauf hin. Nach dem allen sind nun unsere Nummern 8 — 18 ohne Beschränkung auf nur eins der beiden Ge- schlechter ,, Junggesellen-" oder „Rnubstörche". Denn, wo es bei ihnen nicht unmittelbar ersicht- lich ist, daß sie nicht brüten, da liegen doch die anderen besprochenen Kennzeichen vereinigt oder einzeln vor; Leben in Trup]3S, auf I5äumen am Waldrand, „Vagabundieren", Jagd auf Wild. (Zum letzteren Punkte, „Jagd auf Wild", sei jedoch bemerkt, daß Thienemann's Analysen der untersuchten Mageninhalte durchweg nichts anderes als Reste von Mäusen, Fröschen, Käferflügel und dergleichen, aber keine Spur von unseren Jagd- tieren feststellten. Ob unsere Jäger in solchen Fragen immer vorurteilslose Beobachter sind ? !) Auch 18 gehört in die in Rede stehende Gruppe, obwohl die Auskunft über ihn recht dürftig lautet. .'\ber schon das weite Abstreifen von der Heimat (395 km) genügt, um auch an diesem Storch die charakteristische Planlosigkeit und Ungebundenheit, das „Vagabundieren" des Raubstorches, aufzuweisen und ihn als solchen zu offenbaren. Die ganze Gruppe und die Gegenüberstellung der anderen zu ihr lehrt meines Erachtens: In derReihederregelrechtenJahresbruten des weißen Storches kommen Lücken vor (ob überall und nach welchem Gesetz, steht noch nicht fest). Wenn jemals im Leben dieses Tieres (abgesehen von dem pe- riodischen Zugvogeltrieb) Neigungen zum N o mad e n t u m auftreten, so geschieht es in solchen Ausfallzeiten und ebenso im ersten Lebensjahr. Die Gebundenheit an die engere Geburtsheimat scheint im Gefolge des Bruttriebes am unzweifelhaftesten zu sein, braucht aber nicht auf alle Fälle für von diesem abhängig zu gelten. Sie erscheint vielmehr als zwingende Macht des Altgewohnten im Storch- geschlecht überhaupt, in den besonderen, vom Bruttrieb beherrschten Lebensstadien eben deshalb besonders verstärkt, weil das Nistgeschäft eine weitere Summe von Anforderungen an die Da- seinsführung vorstellt, denen nachzukommen die Kreatur FIrleichterungen, wie sie die vertrauten Verhältnisse der früheren Heimat bedeuten, auszu- nutzen naturgemäß triebmäßig bestrebt ist. Bei einjährigen Störchen, die noch ohne Nistsorgen sind, wird darum dieser Wert der heimischen Häuslichkeit zuweilen noch in den Wind geschlagen ; sie ,, bummeln" auch den Sommer über noch in Afrika umher oder zeigen sonst auch wohl Spuren der Raubstorchnatur. (Vergl. Bemer- kungen in der Tab. zu Nr. 5 und 6!) .\ltere Störche in Zeiträumen der Ehelosigkeit in den Sommermonaten, d. h. also in den ausnahms- weisen Pausen ihres Geschlechtslebens, denen also aber doch schon eine oder mehrere Brut- perioden vorangingen, haben durch diese für die heimischen Verhältnisse schon eine größere Wert- schätzung bekommen, jedoch nicht immer so sehr, daß nicht, wie wir sahen, unter 1 1 Phallen des Junggesellentums doch noch 3 fernsiedelnde „Kosmopoliten" vorkommen könnten. Nur der eigentliche Brutvogel unterläßt solche Ansiedlungs- sonderlichkeiten unbedingt zugunsten eines dann an der Scholle haftenden „Pfahlbürgertums". Gewiß, bei den P"ernsiedlern wird man ein- wenden können, sie seien weniger einer den Heimat- trieb durchbrechenden „Abwechslungslaune" ge- folgt, sondern wären vielmehr Verirrte oder vom Sturm oder anderen Gewalten Verschlagene. Mög- lich. Doch bleibt es auffällig, daß gerade nur ehelose und noch kein einziger Brutstorch von solchem Schicksal betroffen sein sollen. Allerdings N. F. XIV. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 535 sind die Ringmeldungen über Brutstörche noch selir spärlich, und es wäre daher nicht unmöglich, daß einst das Ringexperiment auch noch derartige landesferne Brutstörche nachweist. Dann wäre die gegebene Theorie zweifellos in Frage gestellt, die wir bis dahin jedoch wenigstens als eine soweit geschlossene Hypothese zu nehmen , kaum zu zögern brauchten. Weiter ergibt sich, daß sich der Storch- bestand einer Gegend vorwiegend aus den in ihr erbrüteten Jungen zusammen- setzt. Die Verbreitung wäre schematisch dann so zu denken, daß die Nachkommen in fortschrei- tender Generationsfolge sich immer um ein Stück weiter in der Weise vom ursprünglichen Stamm- sitze ansiedelten, daß dabei das neue Lebensrevier jedesmal noch einen Teil des vorhergehenden mit in sich schlösse und dieses letztere frühestens erst der zweitfolgenden Nachkommenschaft entfremdet würde. (Der Einfachheit halber nimmt hier die Theorie ein regelrecht zentrifugales Ausbreitungs- bestreben vom Ursitz aus an und läßt die natürlich auch vorkommenden Rückschläge in früheres, ent- fremdetes Ahnengebiet außer Betracht.) Ob die Fernsiedler in der Ferne auch brüten und so die Verbreitung über Lücken hinweg voll- ziehen oder ob sie zum Brüten doch wieder in teilweises Heimatgebiet zurückkommen, wer weiß es bis jetzt! Über diese und noch so manche andere Frage können nur ganz besonders glück- liche, aber doch sehr gut mögliche Treffer unter den Ringfunden endgültige Auskunft geben. Literatur. i) „Zoolog. Jahrbücher". Supplem. 12, S. 665 ff. : J. Thienemann, ,,Der Zug des weißen Storches." 2) Thienemann, „Jahresberichte der Vogel- warte Rossitten derDeutschenOrnithologischen Gesellschaft" und zwar: 9. im Journal für ( >rnilhoIogie, Jahr 1910, S. 531 ff. 10., Teil I, ebenda, Jahr 1911, S. 62off. 10., Teil H, ebenda, Jahr 1912, S. 133. II., Teil I, ebenda, ebenfalls 1912, S. 429 ff. II., Teil II, als Sonderheft zum Journ. f. (irnith., 1913, S. 64 ff. 3) ,,N aturwissenschaftli che Wochenschrift", Jahr 19 14, S. 22S ff. : Fr. Knauer, „Neue Ergebnisse des Kingversuchs". Was bei einer botanischen Exkursion im heutigen Mexiko herauskommen kann. [Nachdruck verboten.] Von Karl Dem eingeborenen Wandertrieb folgend, ohne den der Pflanzengeograph undenkbar ist, hatte ich mir diesmal den Vulkan von Orizaba als Reiseziel ausersehen; — das Wahrzeichen, den ersten Gruß von Mexiko für den Reisenden, der dem Hafen von \^era Cruz zustrebt. Denn als- dann steht seine schneeweiß leuchtende Spitze, hoch über Wolken und Dünsten der niedrigen Küste und anscheinend körperlos in der blauen Luft schwimmend, wie ein dreieckiger Stern ver- heißungsvoll am Himmel. — Ich gedachte den Aufstieg einmal vom mexikanischen Hochlande aus zu unternehmen ; und dann nochmals von der gegenüberliegenden Seite, von der Tierra Caliente her, um zu untersuchen, ob Artkatalog und Vege- tationsgrenzen Verschiedenheiten aufweisen wür- den. Zur Erreichung des ersteren Zieles bestieg ich am 18. November 1914 den "j^ a. m. von Mexiko nach Vera Cruz abfahrenden Zug, und fuhr sechs Stunden lang durch einförmige Agaven- felder, deren Tausende und Abertausende von Individuen die Stammpflanzen des Pulijue sind, mit dem der Mexikaner, zumal der niederen Kaste, seinen im trockenen Plateau-Khma ver- zeihlichen Durst löscht. Die in schnurgeraden Linien gepflanzten Rosetten gewaltiger blaugrüner, dornig bewehrter Blätter erinnern an Truppen- körper in Reih' und Güed, sind somit im heuti- gen Mexiko die einzigen Anzeichen von Ordnung und Regel, wirken aber auf die Dauer ebenso langweilig und ermüdend, wie die Zuckerrüben- felder der Magdeburger Gegend. Nun, auch sie nahmen ein Ende, als ich in San Andres, 22 1 km von der Hauptstadt, den Zug verließ. Den Ori- zabaBerg verhüllten, ein schlimmes Vorzeichen, schwere Wolkenmassen. In einem Pferdebahn- wagen von beinahe Taschenformat durchfuhr ich die 6 km lange Strecke vom Bahnhof bis Chal- chicomula, einem sonst beschaulich dahindämmern- den Landstädtchen, das aber jetzt als Stützpunkt der Truppen Carranzas, sich den Schlaf aus den Augen gerieben hatte. Im Hotel „Zum zwan- zigsten Jahrhundert" (das seinen Namen aber nur durch sein Schild rechtfertigte), fand ich Llnter- kunft und sah sehnsüchtig dem Eintreften meines Gepäckes, zumal meines dicken Winterüberziehers, entgegen; denn ein eisiger Gebirgswind machte den doch von der Hauptstadt her nicht allzu ver- weichlichten Reisenden in seinen sämtlichen Ge- beinen erschauern. In löblichem Tatendurste begann ich sofort meine Vorbereitungen zur Be- steigung des Berges; die wichtigste war die Be- schaffung von Führern und Reit- und Lasttieren. Da ich sie aber nicht im Orte selbst, sondern in einem etwa eine Meile nach dem Gebirge zu ge- legenen Dorfe finden konnte, so machte ich mich unverzüglich dahin auf; und bereits zwei Stunden nach meiner Ankunft in Chalchicomula hatte ich ein Reitpferd für mich, zwei Esel fürs Gepäck und drei Treiber gemietet; letztere wollten den Ausflug zu Fuß machen, nach Indianerart neben mir hertrottend. Nun galt es, noch rasch einige Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände an- schaffen, und im Schöße der Bequemlichkeit, die 536 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 34 das „zwanzigste Jahrhundert" zu bieten vermochte, dem folgenden Reisetage entgegen zu schlafen. Allerdings trat zunächst Frau Sorge zwischen mich und den Schlaf; es kam die Kunde, daß der Personenzug, in dem ich gekommen, wohl für lange Zeit der letzte gewesen sein würde, da Carranza die ganze Linie Mexiko — Vera Cruz sperren wollte; außerdem sollte es am Orizaba- Berge etliche Räuberbanden geben. Gegen beide Unannehmlichkeiten war im Augenblicke nichts zu machen, und nach dem mexikanischen Sprich- wort, daß der Löwe nicht so schlimm ist, als man ihn schildert, gedachte ich jedenfalls aufzu- brechen. Am nächsten Morgen war ich dann feldmarschmäßig ausgerüstet, und harrte seit 6^ der Dinge, d. h. der Führer und der Tiere, die da kommen sollten. Daß ich trotz aller Reise- praxis doch immer wieder darauf hereinfalle! Sechs Uhr morgens heißt acht Uhr, und man muß von Glück sagen, wenn die Leute überhaupt um diese Zeit antreten. Ich ließ denn also mein Gepäck auf die Esel verschnüren und bestieg dann selbst mein lammfrommes Naturforscher- Pferd. Also losl — „Haben Sie denn einen Paß, um überhaupt die Vorpostenkelte der Carranzisten kreuzen zu können?" fragte mich in kindlicher Unschuld mein Führer. Da riß mir denn der überhaupt schon straff genug gespannte Gedulds- faden. Mit einem ellenlangen deutschen Fluche (ich habe gefunden, daß diese gerade wegen ihrer Unverständlichkeit im lateinischen Amerika sich sehr wirkungsvoll ausnehmen) donnerte ich den Kerl an, warum er mir das nicht am Tage vor- her zu bedenken gegeben habe, und schickte ihn mit meiner Konsulatsmatrikel los, um mir vom Militär-Gewaltigen das nötige Sesam, tue Dich auf! zu verschaffen. Nach einer halben Stunde kam der Maim mit dem Bescheide zurück, ein solches Papier sei überhaupt unnötig, da es keine Vorposten gäbe. Ich quittierte über die verlorene Zeit und war froh als wir endlich gegen 9'' auf dem holperigen Pflaster des Städtchens hinaus- klapperten. Im Nu war aller Arger verflogen — höchstens daß die Wolkendekoration, die vom Tage vorher stehen geblieben war, mir das F'aust- wort ins Gedächtnis rief: Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt. Nach zweistündigem Ritt traten wir in das Waldgebiet ein, welches die niederen und mittleren Lagen des Gebirges um- gürtet. Es war ein hochstämmiger, ziemlich lichter, im Winde rauschender Kiefernwald, hier und da mit Eichen, Tannen und Berg-Erlen ge- mischt; hohe Stauden gelbblütigen Kreuzkrautes, blaublumige Lupinen, steife Disteln mit Acanthus- artigem Blattwerk und großen Köpfen, hoch- halmige Gräser mit schwanken Rispen — dies alles rief mir die Landschaft am Oberharz zurück, wie ich als Student sie durchstreift. Wahrhaftig, man könnte sich nach Deutschland versetzt glauben, wenn nicht gelegentlich von den Kiefern, als amerikanisches Wahrzeichen, ein auf ihrer Rinde angesiedeltes Ananasgewächs herabhinge, und weim ich statt des geliebten Deutsch mich nicht meiner zweiten Muttersprache, des Si)anischen, bedienen müßte. Unterwegs machten mir meine Leute, mit den landesüblichen Umschweifen, die Not- wendigkeit klar, unser Reiseprogramm etwas zu ändern. Wir hatten die kommende Nacht in der Cueva de los muertos (lotengrotte — anheimeln- der Name!) zubringen wollen, um vor dem eisigen Nachtwind geschützt zu sein. Da aber die Herren Banditen, die in jener Gegend kreuzen sollten, dieselbe Abneigung gegen kalte P'üße zu haben schienen wie wir, so mußten wir mit der Mög- lichkeit rechnen, das warme Nest schon besetzt zu finden; außerdem hätten wir die Tiere, den Proviant und vielleicht sogar das Leben eingebüßt. Ich ging deshalb notgedungen auf den Vorschlag ein, bei 3500 m am Rande eines Kiefernwaldes Nachtquartier zu beziehen. Gegen ^^ p. m. stieg ich vom Gaul und suchte die von der Kälte verklammten Füße wieder geschmeidig zu machen, indem ich mich am Herbeischleppen des massen- haft umherliegenden, von gestürzten Stämmen herrührenden Brennholzes beteiligte. Bald prasselte und knatterte ein gewaltiges Feuer und warf wechselnde Lichter auf die rauhborkigen Kiefern- stämme und den moosigen Waldboden. Ich unter- wies meine Leute, chilenische Kenntnisse und Fertigkeiten hervorsuchend, wie man Hammel- fleisch am Spieße brät, und vervollständigte das ländliche Mahl mit einem Stück Schokolade und einem Schluck Agaven - Branntwein , der auch meinen Leuten wie Honigseim einging. Im Sclieine des Feuers wurden beträchtliche Mengen Gras herbeigeschleppt, um den auf dem Ritte durch- einander geschüttelten Knochen ein weiches Lager zu bereiten, dann zog ich alle mitgebrachten Kleider und Strümpfe übereinander, einer viel- häutigen Zwiebel schließlich mehr ähnlich als einem Botaniker, und streckte mich am Feuer nieder. Aber es war die alte Geschichte; auf der einen Seite läuft man Gefahr, sich zu ver- sengen, während über die andere Kälteschauer hinweglaufen; und dreht man sich um, damit keine Seite zu kurz komme, so verscheucht dieser Annäherungsversuch an das Perpetuum mobile jeglichen Schlaf Da war es denn ein Trost, wie am Abend sich die Wolken teilten und die alten, vertrauten Sterne zwischen den Wipfeln der Kiefer herniederblickten, durch ihr langsames Vorrücken am Himmel zugleich den trägen Fluß der nächt- lichen Stunden allmählich in den grauenden Morgen überleitend. Bei diesem Schweigen im Walde .schweifte die Erinnerung rückwärts auf die unzähligen Nachtlager, die man in ähnlicher oder schlimmerer Form durchgemacht hat, etwa gar im strömenden Regen, nachdem der Sturm das Zelt umgerissen hatte. Mit zunehmender Helle wächst die IlofTnung auf etliche Tassen heißen Kaffees, und bald ist die Elastizität von Leib und Seele, und damit auch die Reisefreudigkeit wieder hergestellt. Zudem begann der Himmel zu blauen, und die ersten schrägen Sonnenpfeile das Geäst N. F. XIV. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 537 der Kiefern zu durchschießen. Die malerische Unordnung des Lagers verschwand allmählich in den Gepäckstücken, diese auf den Rücken der Tiere, und dann ging es dem Hochgebirge ent- gegen, von dem bereits Schneefelder und Felsen- massen herniedergrüßten. Der Kiefernwald wurde lockerer, die vereinzelten, sturmzerzausten Bäume niedriger und machten bei etwa 4000 m groben Steingeröllen und Felsen Platz, zwischen und auf denen immer noch die blauen Lupinen, ein präch- tiges Kreuzkraut mit großen violetten Köpfen und hartblättrige Grasbüschel sproßten. Hell- grüne, niedrige Gestrüppe an den Berglehnen rührten von einem Zwergwachholder her; weiß- wollige Disteln mit gewaltigen, breiten Köpfen und gelbe, unserem Hungerblümchen nahestehende Kreuzblütler drangen bis zu der um 4500 m ge- legenen Höhengrenze der Blütenpflanzen vor. Längst hatten wir die Lasttiere hinter uns ge- lassen; die Führer zu Fuß und ich auf meinem alle paar Meter stehen bleibenden und nach Luft schnappenden Gaul stiegen bis weit in die Schnee- region hinein, in welche das Pflanzenreich seine letzten Grüße als Moose und Flechten, und das Tierreich in Form kleiner schwarzer Lidechsen entsendete. Vor uns lag, in etwa 300 m Lnt- fernung die in ihrem schimmernden Schneemantel gehüllte Spitze des Berges, deren Erklimmung außerhalb meines botanischen Reiseprogrammes lag; außerdem fehlte es uns an Beilen, um die nötigen Stufen in den Schnee zu hacken. So machten wir denn bei etwa 4800 m Halt, streckten uns auf den von der Sonne durchwärmten vulka- nischen Sand und ließen den Blick über das weite Land schweifen, über welches, tief unter uns, weiße Wolken dahinsegelten. Das ganze Tal von Puebla lag zu unseren Füßen ; neben dem Ma- linche-Berge, dem bevorzugten Schlupfwinkel aller Banditen dieses gesegneten Landes mußte die vieltürmige Stadt Puebla liegen, war aber im Dunste unerkennbar. Dagegen erhoben sich hinter ihr, in voller Klarheit, ihre beiden Riesenwächter, der Kegel des Popocatepetl und der lange Rücken des Ixtaccihuatl. Was mir aber neben dem herr- lichen Umblick am meisten zusagte, war ein dünnes, in fortschreitender Bewegung begriffenes Rauchwölkchen: ein Eisenbahnzug nach Vera Cruz, der also allem Anschein nach bewies, daß der Verkehr wieder aufgenommen und meine Weiter- reise gesichert war. Ein leichter Imbiß zur Stär- kung und Erquickung, aus Schokolade und Apfel- sinen bestehend, ward noch eingenommen, und dann erfolgte der Abstieg, der uns wie im Fluge die verschiedenen Vegetationsregionen in um- gekehrter Folge durchqueren ließ. Gegen c,^ p. m. machten wir abermals in einem dichten Kiefern- walde Halt, wo uns das hoch auflodernde Lager- feuer nicht zum Verräter werden konnte; und nach abermals fast schlaflos verbrachter Nacht sattelten wir frühzeitig zur Rückkehr nach Chalchicomula. Es war ein herrlicher, von strahlendem Sonnen- lichte durchfluteter Sonntagmorgen ; hinter uns in schneeiger Pracht der Orizaba, um uns und vor uns in meilenweiter Erstreckung der harzduftige Kiefernwald mit seinen bunlblumigen Begleitern, und schließlich, kurz nach Mittag, der Einzug in das freundliche Städtchen. Aber dies hatte seit unserem VVeggang seinen Anblick verändert: es war zum Kriegslager geworden. Auf allen Straßen fluteten Soldaten hin und her, das Hotel war von Offizieren überfüllt und — eine niederschmetternde Nachricht, jeglicher Verkehr von Personenzügen war bis auf weiteres, auf Wochen, vielleicht auf Monate hinaus, aufgehoben worden; nur Militär- züge verkehrten noch und halten mir von der Höhe des Berges aus die Möglichkeit der Weiter- reise vorgetäuscht. Wie sollte ich nun in das 220 km entfernte Mexiko zurückkehren?! Da nahm sich der die in der Stadt lagernden Carran- zisten befehligende Oberst meiner an, ein schmuck aussehender Herr von kaum 30 Jahren. Er mochte wohl den reisenden Naturforscher als politisch harmlos einschätzen und gab mir einen Erlaubnis- schein zur Benutzung aller nach Mexiko fahrenden Militärzüge — auf eine Weiterreise in entgegen- gesetzter Richtung, zur Verfolgung meiner Studien mußte ich ja überhaupt verzichten. So begab ich mich denn bei des nächsten Morgens Lichte mit meinem Gepäck wieder zur Eisenbahnstation San Andres, ließ zahlreiche von Mexiko kommende Militärzüge an mir vorüberfahren, und erreichte endlich, am Spätnachmittag, einen Zug, der in der Richtung nach Mexiko durchfuhr. Aber — dessen Wagen bestanden nur aus gewaltigen, leeren Pe- troleumkesseln, die auf einem vierrädrigen Gestell ruhten, so daß ich auf der Lokomotive selber Standquartier suchen mußte. Dies teilte ich außerdem mit 5 anderen Leidensgenossen, so daß Maschinenpersonal und Passagiere einen Knäuel bildeten, in dem die Fußzehen der gefährdetste Teil waren. Und nun begann eine gräßliche Fahrt auf der stoßenden polternden Maschine, auf der einen Seite halb versengt vom HöUengluten ausspeienden Kessel, auf der anderen halb erfroren vom eisigen Nachtwind. Dazu endlose Aufent- halte auf jeder Station, um die von der Haupt- stadt kommenden Militärzüge vorbeizulassen, auf einer Station, als böses Omen, zwei in einander- gefahrene Züge; und wenn dann ein solch end- loses Ungetüm vorbeigefahren war und man hoffte, weiterzukommen, dann tauchten in der Ferne sicherlich noch zwei bis drei Mal die beiden feu- rigen Augen eines neuen Zuges auf. So erreichten wir denn gegen Mitternacht die nur 82 km von San Andres entfernte Station Apizaco, durch- gerüttelt und abgespannt; aber was schadete das, wenn man nur Aussicht hatte, vorwärts zu kommen. Da hieß es plötzlich: Der Zug bleibt liegen! Wir kletterten also mit Kisten und Kasten von unserem luftigen Standquartier und suchten den Wartesaal auf; hier lagen schon andere Reisende auf den Steinfließen, und ergebungsvoll setzte sich jeder auf sein Gepäck, um dem Morgen entgegenzu- frieren. Da plötzlich eine Freudenbotschaft: In 538 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 34 zehn Minuten fährt ein Extrazug nach Mexiko durch ; man soll versuchen, Platz zu bekommen ! Wahrhaftig, es kam ein Zug, der aus Lokomo- tive und einem Güterwagen (ohne Bänke) bestand, darin etwa ein Dutzend vertrauenerweckend aus- sehender Herren, von denen wir leicht die Er- laubnis zum Mitfahren erhielten. Aber o weh! Auch dieser Zug blieb liegen, und wir mußten Nachtquartier im zugigen Güterwagen nehmen. Am anderen Tage zunächst keine Aussicht, weiter zu kommen. Es hieß, man müsse die persön- liche Erlaubnis des „Generals" Obregon abwarten. Dieser Herr, ein jovial ausschauender junger Mann von 28 Jahren, entstieg dann, barhäuptig und in blauer Wolljacke, einem der endlosen Züge, die nach Mittag eintrafen und erteilte die erbetene Erlaubnis. Wir hofften voller TVeude auf baldige Weiterreise und rechneten schon die Stunde aus, wann wir in Mexiko sein würden. Aber der Zug- führer verstand es, unter allerhand Vorwänden die Abfahrt bis zum Einbruch der Dunkelheit hinzutrödeln, taub gegen unsere Bitten und Vor- würfe. Wir benutzten die Zeit, die auf den Geleisen haltenden zahlreichen Militärzüge zu mustern. Diese gaben mir, der ich unsere schnei- digen deutschen Militärverhältnisse noch im Ge- dächtnis hatte, ein eigenartiges Bild. Um es zu verstehen, muß man wissen, daß der mexi- kanische Soldat zwar Löhnung, aber keine Natural- verpflegung erhält. Wo und wie er sie auftreibt, ist seine Sache, ihre Zubereitung ist Angelegen- heit der Frauen; — und so erklärt es sich, daß die Truppen von ihren Weibern, oder von ihren Familien begleitet sind. Jeder Wagen ist eine Mehrfamilienwohnung, die mich an die Seiltänzer- und Artistenwagen erinnerte, wie ich sie als Kind auf den heimischen Jahrmärkten gesehen hatte. Nun stelle man sich vor, daß die Züge oft tage- lang auf den Bahnhöfen liegen bleiben und daß, wenn sie abgefahren sind, sie bald von anderen ersetzt werden, so daß also Tausende von Men- schen längere Zeit an demselben Orte verweilen. So kommt es, daß zu beiden Seiten des Zuges sich ein Wall von Abfällen und Unrat aufhäuft, über den man hinwegturnen muß, wenn man in einen solchen Zug einsteigen will. Da bin ich denn an der Wahrheit des Satzes: ,,Naturalia non sunt turpia" doch recht ernstlich irre geworden. Übrigens sehen die Soldaten mit ihren über der Brust gekreuzten und um die Hüfte geschlungenen, kugelgespickten Patronengürteln und mit ihren breitkrämpigen, spitzen Hüten ganz martialisch aus. — Also schließlich setzte sich unser kleiner, aus einer unglaublich verschmutzten Lokomotive und einem Güterwagen ohne Sitzgelegenheit be- stehender Kxtrazug in Bewegung, und wir be- rechneten nochmals die Zeit unserer Ankunft. Aber es sollte ganz anders kommen. Wir waren kaum eine halbe Stunde unterwegs, als unsere Maschine anfing, klapprig zu werden, um schließ- lich auf freiem l'"elde stehen zu bleiben. Der l'ührer machte sich an ihr zu schaffen, ließ den Dampf mit gewaltigem Getöse auspuffen und gab zwei lange, schrille Pfiffe, die ich mir in meiner Harmlosigkeit als Hilferufe an die nächste Station deutete. Da wies einer unserer Mitreisenden auf unsere einigermaßen gefährliche Lage hin, insofern gerade die Gegend, wo wir uns befanden, durch ihren Reichtum an Banditen berüchtigt sei. Und wahrhaftig. Mit einem Male wurden im Halb- dunkel Reiter und Fußgänger sichtbar, die ein gewaltiges Feuer auf uns eröffneten und unseren Wagen mit einem prasselnden Kugelregen über- schütteten. Da erschallte ein gellender Schmerzens- schrei; einem Mitreisenden war von einer Kugel der Oberschenkel durchbohrt. Wir warfen uns alle zu Boden und errichteten aus unserem Ge- päck eine Art Verschanzung. Im Hinblick auf unsere versagende Maschine glaubten wir uns alle eine Beute des sicheren Todes; denn solchen entmenschten Banditen, wie sie die 4^/.2 jährige Revolution großgezogen hat, wehrlos in die Hände zu fallen, ist der sichere Untergang. Wir fügten uns schweigend in das Unvermeidliche. Aber, o Wunder, plötzlich arbeitete die Maschine (wie wir später erfuhren , unter den Händen des zweiten Maschinisten) mit aller Kraft, und wir sausten vorwärts, noch lange von den Kugeln der Reiter verfolgt. An der nächsten Station nahm die Ma- schine eiligst Wasser, und zu unserem Glück fan- den wir daselbst eine weitere Lokomotive unter Dampf, die sich uns vorspannte und uns in rasen- dem Laufe nach Apam (46 km von Apizaco) brachte. Da stellte es sich heraus, daß der Maschinist und der Zugführer verschwunden waren — die Biedermänner hatten mit den Räubern sich während unseres langen Aufenthaltes in Apizaco, vermutlich durch dort herumstreichende Spione, verständigt und uns kaltlächelnd ans Messer ge- liefert; die schrillen Pfiffe der Lokomotive waren das verabredete Signal gewesen! Nur durch die Geistesgegenwart des zweiten Maschinisten waren wir einer schweren Gefahr entgangen. Übrigens trafen wir mit unseren Verrätern am nächsten Tage wieder zusammen; sie gerichtlich zur Ver- antwortung zu ziehen, wäre bei der jetzt in Mexiko herrschenden Anarchie durchaus zwecklos gewesen. Also wir waren in .\pam, alarmierten die dortige Besatzung und gingen auf die Suche nach Nachtquartier. Aber der ganze Ort war wie aus- gestorben; teils waren die Bewohner vor den wiederholten Banditenüberfällen geflohen, teils öftneten sie aus Furcht ihre Häuser am Abend nicht mehr. Da blieb uns denn nichts anderes übrig, als zum Bahnhof zurückzukehren und in einem der inneren Räume (aus P'urcht vor einem Überfall) auf dem luißboden uns niederzulegen, die Reisetasche als Kopfkissen und den Mantel als Deckbett. Es gibt ja Virtuosen des Schlafes, die sich sogar auf dem Drahtseil ihm hingeben könnten; ich selbst habe immer den Besitz der vielen, harten Knochen als schlafstörcnd befunden und tröstete mich nur mit der Feststellung der Wahrlieit, daß auch die längste Nacht ihr Ende haben müßte, N. F. XIV. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 539 über die langsam schleichenden Stunden hinweg. Der Morgen kam, es scheuchten seine Tritte — zwar nicht den leichten Schlaf, der mich gelind umfing, aber doch wenigstens die Schrecken der kalten Nacht, und erfüllte uns mit neuem Mute, unser heiß erstrebtes Ziel, Mexiko, doch noch zu erreichen. Der Bahnhofsvorsteher stellte uns, wohl aus .Mitleid mit unserem Ungemach, denselben Zug, in dem wir am Abend vorher gekommen waren, weiter zur Verfügung, soweit als der Zu- stand der Linie es gestatten würde. Also vor- wärts! In sausender Fahrt ging es vorwärts bis Ometusco (68 km von Mexiko), an zerstörten Bahnhöfen, Häusern, Landgütern vorüber, durch eine völlig von Menschen verlassene und in ihrer Einsamkeit auf das Gemüt drückenden Gegend. Aber von Ometusco ab waren die Weichen längs der Schienen zerstört, und wenn wir uns nicht der Gefahr einer Entgleisung aussetzen wollten, mußten wir hier Halt machen. Einige halbwüch- sige Burschen, die sich uns angeschlossen hatten, setzten die Reise zu Fuß fort; wie gerne wäre ich, als tüchtiger Fußgänger, ihnen gefolgt 1 Aber die Rücksicht auf mein Gepäck zwang mich, mit den anderen umzukehren, über Apam zurück bis nach Apizaco, von wo wir gestern zuversichtlich nach Mexiko abgefahren waren. Was nun ? Ich erwog, ob ich nicht Gelegenheit nach Orizaba oder Vera Cruz suchen sollte, um wenigstens meine schwindende Reisekasse aufzufüllen. Vor- läufig aber hieß es im Zug, der uns zurückgebracht hatte, nochmals Obdach zu suchen, und eine weitere Nacht im vollgepfropften Wagen, in einer Art Viertelschlaf hinzudösen. Am nächsten Mor- gen brachte jemand die Kunde, daß im Laufe des Vormittags ein Militärzug nach Puebla abfahren sollte, in dem wir mitkommen könnten. Damit würden wir uns zwar weiter von Mexiko entfernen, hätten aber den Vorteil, eine andere, vielleicht noch nicht zerstörte Eisenbahnlinie benutzen zu können. Es brachen also einige von uns auf, allerdings erst gegen 4^* p. m., in einem überfüllten Militärzug, mit schußbereiten Soldaten auf der Lokomotive, auf den Dächern und an den Türen der Wagen; auf dem unsrigen stand sogar ein Maschinengewehr. Aber es erfolgte unterwegs kein Angriff; immerhin war die Fahrt durch die verlassene Gegend , vorbei an zerschossenen und verbrannten Häusern, ein neues Attentat auf unsere schon reichlich gespannten Nerven. Nach etwa zweistündiger Fahrt kamen wir im schönen Puebla an, dem mexikanischen Rom, der Engelstadt, die den Vorzug genießt, die größte Zahl von Kirchen zu besitzen. Nun, uns war ein, wenn auch nur mäßig bequemes Hotel wichtiger als die ehr- würdigste Kathedrale; denn ein Bett war uns unterdessen zur schönen Erinnerung aus ent- schwundenen Zeiten geworden. Aber nachdem das Schlafbedürfnis gestillt war, trat das andere, der Rückkehr nach Mexiko, wieder um so stärker in seine Rechte. Damit sah es jedoch bös aus. Puebla, im Besitz der Carranzisten, war von der Hauptstadt, die unterdessen Villisten und Zapa- tisten eingenommen hatten , vollständig abge- schnitten; kein Zug, kein Telegraph verkehrte nach dort, und auch unser Versuch, einen Boten abzusenden, schlug fehl. Die andere Bahnlinie, auf welche wir gehofft hatten, war nur z. T. im Betrieb, und gerade wurde von einem schweren Banditenüberfall berichtet, der sich dort zugetragen hatte. Wir saßen also gründlich fest; nicht ein- mal in die schöne Umgebung Pueblas war es rät- lich, Ausflüge zu machen, wenn man nicht als Spion verdächtig werden wollte. Da blieb denn weiter nichts übrig, als zu essen, zu schlafen, Pflaster zu treten und mit anderen Leidensgenossen am Spätnachmittag einen Klub der Beschäftigungs- losen zu bilden. Nun ist die menschliche Natur ja verschieden. Einige Phlegmatiker fügten sich mit Philosophie und Knobelbecher in das Llnver- meidliche; andere, denen das Kräutlein Geduld nicht mit in die Wiege gelegt worden war (ich selbst gehöre zu diesen Glücklich-Unglücklichen) haderten mit dem Schicksal und suchten es zu wenden. Für den einzelnen war es schwer, fast unmöglich. Da, nach zweiwöchentlichem Harren, bot sich eine Gelegenheit. Ein anderer, eben zugereister Deutscher, dem seine Millionen beim Konsulat eine gewisse Durchschlagskraft gaben, setzte es durch, die zum Passieren der carran- zistischen Vorposten nötigen Pässe vom Militär- gouverneur der Stadt zu erhalten. Das war eine Möglichkeit, aus dem nervenzerrüttenden Nichtstun im engelhaften Puebla herauszukommen. Aber nun regneten die Warnungen auf uns herab; wir würden unterwegs ausgeplündert, bis aufs Hemd ausgezogen, der Siefel, ja vielleicht des Lebens beraubt werden. Ich muß gestehen , daß ich als Familienvater ernstlich mit mir zurate ging, ob ich allen Möglichkeiten mich aussetzen dürfte; und selten hat das Barometer meines Gemütes mehr auf und ab geschwankt , als in diesen Tagen. Aber schheßlich: Durch! Ich machte mit , hinterließ mein Gepäck der Obhut des deutschen Konsulats, füllte den Rucksack mit mancherlei Eßbarem, sowie mit allen Schuhen und Stiefeln, die ich auf die Reise mitgenommen hatte, — für den Fall, daß sich ein unberechtigter Liebhaber für das eine oder andere Paar finden sollte. Am Vormittage des 9. Dezember 19 14 fuhren wir nach Apizaco, um von dort zu Fuß auf oder neben der Bahnstrecke vorzudringen, die wir schon einmal erfolglos befahren hatten. Dicht hinter Apizaco wurden wir bereits von den Vor- posten der Carranzistas angehalten; es waren un- freundliche, unsaubere Gesellen, die anscheinend nur widerwillig auf Grund unserer Pässe uns durch- ziehen ließen. Im Geschwindschritt durchzogen wir die langweilige Landschaft der Agave-Pflan- zungen und erreichten nach einigen Stunden die Vorposten der Zapatisten. Sobald diese uns be- merkten, sprengten sie zu Pferde auf uns zu, die Karabiner über den Köpfen schwingend und rufend: Vive Zapata! Pflichtschuldigst änderten 540 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 34 auch wir augenblicklich unsere politische Über- zeugung und stimmten in den neuen Kriegsruf ein, zumal die Leute von freien Stücken bekann- ten: Wir sind Zapatisten, aber keine Banditen! Und wirklich, wir wurden auf das Zuvorkommendste aufgenommen, und sogar zum Essen aufgefordert. Da wir dies aus Mangel an Zeit ablehnen mußten, so stellte uns der Häuptling einen kleinen Eisen- bahnwagen zur Verfügung, der, von flinken Maul- tieren gezogen, uns etliche Kilometer vorwärts brachte, bis Soltepec, iio km von Mexiko. Von da unternahmen wir schon bei sinkender Nacht den Weitermarsch nach dem 6 km vor uns liegenden Tetlapayac, einer einsamen Eisenbahn- station auf freiem Felde, vollständig ausgeraubt und verlassen; vor dem Gebäude waren die Schienen ausgehoben. Im Hause lagen zer- trümmerte Möbel, Fensterscheiben, zerfetzte For- mulare für Gepäckbeförderung usw. durcheinander. Wieder ein Beweis, mit welch' blinder, sinnloser Wut der Bürgerkrieg seit November 1910 in Mexiko geführt wird. Keinem der Kämpfer kommt auch nur von ferne der Gedanke, daß er durch die brutale Zerstörung der Verkehrsmittel auch sich selber schädigt. Zum Verständnis dieser Geschehnisse muß man bedenken, daß die Repu- blik Mexiko überhaupt kein einheitlicher Orga- nismus, sondern ein Konglomerat von Einzelstaaten ist, welche ursprünglich nach Nationalität und Sprache verschieden sind, aber sicherlich in Rauf- lust und Blutgier (immer durch brutale Stier- kämpfe von neuem aufgestachelt) und unbezwing- lichem Unabhängigkeitsgefühl übereinstimmen. So kommt es, daß die Revolution, der Kampf aller gegen alle, der normale Zustand ist ; auch Porfirio Diaz kam ans Ruder als Haupt einer revolutionären Bewegung, wußte sich aber durch Tatkraft, Skrupellosigkeit und ein ganz hervorragendes Organisationstalent zu halten, bis er die Unvor- sichtigkeit beging, mit Japan zu liebäugeln und bis die reichen, in Mexiko entdeckten Petroleum- quellen den Neid der allezeit beutegierigen Vereinig- ten Staaten auf sich zogen. Damit war sein Schick- sal besiegelt. Die Verbannung des alternden Löwen war das Zeichen zum Wiederbeginn der jahrelangen Revolution, vom Ehrgeiz und der Raublust einer Reihe von catilinarischen Existenzen angefacht. Diese Bewegung wird erst aufhören, wenn fremde Mächte ihr Halt gebieten, und es ist höchst be- klagenswert, daß der gegenwärtige europäische Krieg die Nationen verhindert, die gewaltigen, in Mexiko arbeitenden Kapitalien, sowie Leben und Eigentum ihrer Volksgenossen gebührend zu sichern. Übrigens sind viele ernst denkende Mexi- kaner bereit, die Selbständigkeit ihres Landes gegen die Vormundschaft der Vereinigten Staaten einzutauschen, wenn nur dadurch Ruhe und Ord- nung und wirtschaftlicher Aufschwung gewähr- leistet werden. Doch kehren wir in das ausgeraubte Bahnhofs- gebäude zurück, da es uns für die Nacht Unter- kunft gewähren sollte. Zum Glück hatte ich, alter, vielerprobter Reisepraxis folgend, etliche Kerzen in meinem Rucksacke mitgenommen; sie taten uns jetzt, beim Essen und Zurüsten des Nachtlagers, gute Dienste. Jeder richtete sich auf den vorhandenen Bänken des ehemaligen Warte- saales oder eine Stufe tiefer, auf dem Fußboden, so bequem oder so unbequem ein, als es anging. Wir hatten leider schon so viel Übung in der- gleichen Nachtlagern, daß wir auch dieses nicht zu tragisch nahmen, zumal da es das letzte sein sollte. Vor Tau und Tag machten wir uns wieder auf den Weg, verirrten uns zunächst einmal gründ- lich im dichten Morgennebel und wollten schon trotz der bitteren Kälte Halt machen und warten, bis der Nebel der Sonne gewichen sei; da hörten wir plötzlich ein Geräusch, wie das Klirren ferner Ketten. Es wurde stärker und stärker, und schließ- lich bemerkten wir die beiden zugehörigen großen Leiterwagen, welche mit Pulque Fässern beladen, auf einer nahe vor uns befindlichen Landstraße dahinfuhren. Und, o glücklicher Zugang, ihr Ziel war San Lorenzo (102 km von Mexiko), von wo aus wir nachmittags einen Zug nach der Haupt- stadt nehmen konnten. Die Fuhrleute ließen uns willig aufsteigen und langsam und polternd strebten wir San Lorenzo zu. Nach wenigen Stunden Rütteins und Schütteins war es erreicht; heller Sonnenschein war unterdessen dem eisigen Morgen- nebel gewichen, heißer Kaffee und das mexi- kanische Nationalgericht (Truthahn mit scharfer Sauce) erhoben die Lebensgeister auf ungeahnte Höhen. Gegen ;'> abends hatte mit dem Ein- treflen unseres Zuges in der Hauptstadt unsere Odyssee ihr Ende erreicht. Mexiko, Januar 1915. Einzelberichte. Astronomie. Es ist eine der schwierigsten Aufgaben der messenden Astrophysik, die Menge von Energie zu messen, die uns von den Sternen zugestrahlt wird, so daß nur wenig und nicht immer gut zusammen stimmende Messungen bis- her erhalten sind. Nun hat soeben Coblentz den bekannten Cro.ssley- Reflektor der Lickstern- warte dazu benutzt, mit Hilfe sehr empfindlicher Thermoelemente eine neue Messungsreihe anzu- stellen. (Lick Obs. J5ull. 266.) Sein Radiometer ist etwa 150 mal empfindlicher als eins der bisher zu diesem Zweck benutzten Bolometer, so daß es noch Sterne zu messen erlaubt, die bis zur 6,7- Größe gehen, also etwa 500 mal schwächer sind als ein Stern der o. Größe. Es wurde ein Gal- vanometer benutzt von der Empfindlichkeit = N. F. XIV. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 541 1,4. lo'" Ampere, und die Abweichung der Nadel erreichte nach 3 — 4 Sekunden ihr Maximum. Eine außerordentlich leichte Aufhängung der Nadel im Vakuum steigerte die Empfindlichkeit noch er- heblich. Zur Erzielung des Vakuums benutzte man metallisches Kalzium, das in das Gefäß ein- gelegt war und darin erhitzt wurde, wobei es alle Gase außer dem Argon aufschluckt. Als Empfänger wurde keine Thermosäule verwendet, sondern nur ganz wenige sehr dünne Drähte, die ebenfalls im Vakuum sich befanden. Zum Sammeln der Stern- energie diente der genannte Spiegel von 92 cm Öffnung und 534 cm Brennweite, der in einer Höhe von 1230 m über dem Meere in der reinen tropischen Luft vorzügliche Bedingungen bot. Die verschiedenen Empfänger, teils Wismut-Wismut- Zinn-Legierung, teils VVismut-Platin erwiesen sich als etwas verschieden empfindlich, aber in den Ergebnissen gleich. Dazu diente zunächst eine Normalkerze, mit deren Ausschlägen die der Sterne verglichen wurden. Dabei zeigte sich, daß die Verbindung dieses Spiegels, dieser Apparate und der günstigen atmosphärischen Verhältnisse gegen frühere Versuche um das 400 — 500 fache über- legen waren. So ließ sich zeigen, daß die gesamte Energiestrahlung des Arkturus etwa = Vinooooooo der Kerze in i m Entfernung ist. Die Messungen erstreckten sich auf 112 Sterne und einige Pla- neten. Eine merkwürdige Überschlagung der Ge- samtwirkung aller Sterne zusammen auf die Erd- oberfläche, unter Berücksichtigung der Absorption durch die Atmosphäre zeigt, daß diese Wirkung, wenn man sie loo — 200 Jahre lang summieren und aufspeichern könnte, erst soviel ausmachen würde, daß dadurch in so langer Zeit die Ein- strahlung auf je einen Quadratzentimeter erst eine einzige Kalorie betragen würde. Die nächtliche Einstrahlung ist also ein durchaus zu vernach- lässigender Faktor. Rote Sterne senden etwa 2 — 3 mal so viel Energie aus wie blaue von der- selben photometrischen Größe. Läßt man aber die Strahlen erst durch eine Wasserzelle gehen, so zeigt sich, daß für die Strahlen, die optisch am wirksamsten sind, die blauen Sterne zweimal so stark strahlen wie die gelben und dreimal so stark wie die roten Sterne. Riem. Zoologie. Die riftbildenden Steinkorallen (Madreporariae) leben vorwiegend in der Flach- see der tropischen Meere, deren Temperatur selten unter 20^' C sinkt, da die heißen Sonnen- strahlen das klare Wasser durchdringen. Auf den Kreuzfahrten des Fürsten von Monako mit der „Princesse Alice" im Atlantischen Ozean wurden Steinkorallen in einer Tiefe von 4000 — 5000 m gedredscht, wo also ständige Dunkelheit herrscht, und die Temperatur des Wassers wenig über o" C beträgt. Ch.-J. Gravier (Sur quelques traits de la biologie des coraux des grandes profondeurs sous-marines. C. R. Ac. sc. Paris Nr. 12, 22 mars 191 5) teilt darüber folgendes mit. Einige Arten der Gattung Garyophyllia, Bathyactis und Fla- bellum kommen in Tiefen von mehr als 3000 m vor bei einer Wassertemperatur von - i" C. Die Tiefenkorallen sind nicht an bestimmte Zonen gebunden, sondern finden sich in den Tiefen aller Meere, wie ja auch in der Tiefe die physikalischen Bedingungen unter allen Breitegraden ziemlich die gleichen sind. Entsprechend der Beschaffenheit des Grundes in großen Tiefen, welcher hauptsächlich aus Glo- bigerinenschalen, Schlamm usw. besteht, zeigen die Madreporarien, die sonst auf fester Unterlage bauen, bemerkenswerte Besonderheiten. Manche haben die Form eines Füllhorns; dieselbe kam nach G. dadurch zustande, daß sich die Larve auf Sand ansetzte, und die junge Koralle, nach- dem sie größer und schwerer geworden war, um- schlug, und der Kelch dann in einem Winkel zum Fußstiel weiterwuchs. Berücksichtigt man das Abblassen im Alkohol, so erscheinen die Tief- seekorallen dunkel braunrot oder völlig schwarz gefärbt. Bezüglich der Nahrung läßt sich ver- muten, daß die Tiefseekorallen wie die anderen Tiefseetiere von den Kadavern leben, die in stän- digem Regen aus den oberen VVasserschichten niedersinken. Vielleicht können sie mit Hilfe ihrer nesselnden Tentakel auch einige Lebewesen ihrer Umgebung erbeuten. Einmal fand G. in dem Zentralraum von Stephanotrochus nobilis Moseley die Füßchenscheren eines großen Krebses, ein andermal das Bruchstück eines Schlangensterns. Die Dimensionen sind bisweilen sehr erheblich; der Kelch hat bis 80 mm Durchmesser und mehr als 200 Septen. Die meisten Formen sind soli- tär; die stockbildenden der Gattungen Lophohelia, Solenosmilia und Dendrophyllia sind baumförmig verästelt, mit wenigen großen, weit auseinander gerückten Kelchen. Die riffbildenden Formen be- stehen aus kleinen sehr nahe beieinander stehen- den Tieren mit 2 — 3 Zyklen von Septen. Kathariner. Bakteriologie. Von allen Seuchen, welche ein Krieg im Gefolge hat, ist eine der verbreitet- sten der Unterleibstyphus (Typhus abdominalis). Derselbe wird hervorgerufen durch einen im Darm lebenden Bazillus , welcher in der Regel mit dem Trinkwasser hineingelangt. Besonders gefährlich ist seine Verbreitung durch einen sog. Bazillenträger, d. h. eine Person, welche, ohne sich selbst krank zu fühlen, noch zahlreiche in- fektionsfähige Typhusbazillen beherbergt. Dadurch, daß sie dieselben abgibt, „Bazillenausscheider", kann sie zur eminenten Gefahr für ihre Um- gebung werden. Es ist also von größter Wichtig- keit, eine bestehende Typhusepidemie, eventuell Typhusbazillen bei einem Bazillenträger rasch und sicher zu erkennen, besonders da, wo viele Menschen zusammenleben , wie jetzt in den Schützengräben. Eine neue Methode (P. Carnot et B. Weill- Halle, Cultures en „tubes de sable" pour le dia- gnostic rapide de la fievre typhoide et le depi- 542 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 34 stage des porteurs de germes. C. R. Ac. sc. Paris Nr. 4, 25 janvier 191 5), die sich vielfach in Hos- pitälern Frankreichs und im befestigten Lager von Epinal für die rasche Erkennung des Typhus be- währt hat, besteht darin, daß man den Typhus- bazillus sich selbst als den in der Bewegung rascheren von den übrigen Darmbakterien trennen läßt. Die beiden Schenkel eines U-förmig ge- bogenen Rohrs von 33 cm Länge und 5 — 6 cm Durchmesser sind durch eine lO cm dicke Sand- schicht getrennt. In den einen Schenkel des Rohrs, dessen Öffnungen durch einen Wattebausch geschlossen werden, füllt man Bouillon oder eine andere Kulturflüssigkeit, bis sie in den beiden Schenkeln etwa 10 cm hoch steht. Nachdem man das Rohr etwa 24 Stunden hat stehen lassen, um seinen Inhalt auf seine Asepsis zu prüfen, bringt man in den einen Schenkel den zu unter- suchenden Darminhalt und stellt den Apparat bei einer Temperatur von 37" senkrecht auf. Nach etwa 18 Stunden — so lang dauert es ungefähr bei einer Dicke der Sandschicht von 10 cm — entnimmt man mit einer Pipette einige Tropfen der Flüssigkeit, welche im anderen Schenkel über der Sandschicht steht. Mit dem Mikroskop wird man dann eventuell zahlreiche Typhusbazillen wie in einer Reinkultur darin finden, deren Identität durch die Agglutinationsmethode mittelst eines spezifischen Serums festgestellt wird. Als die rascher bewegliche Mikrobe hat der Typhusbazillus vor allen anderen Mikroorganismen des Darminhalts die Sandschicht passiert. Meistens beansprucht die Untersuchung eines Stuhls nach Typhusbazillen auf diese Weise nicht mehr als 24 Stunden. Kathariner. Physiologie. Es ist längst bekannt, daß unter den heißen Strahlen der Tropensonne der Weiße in bezug auf Leistungsfähigkeit hinter der ein- geborenen farbigen Bevölkerung zurücksteht; Feld- arbeit, Lastentragen usw., kurz jede Tätigkeit, welche mit Muskelarbeit verbunden ist, läßt die weiße Bevölkerung, weil dazu unfähig, durch Far- bige ausführen. Da es eine altbekannte physi- kalische Tatsache ist, daß pigmentierte Körper mehr Wärme absorbieren, als helle oder farblose, möchte die Pigmentierung des Menschen in der heißen Zone auf den ersten Blick paradox er- scheinen. Schon wiederholt ist die trotzdem bessere Widerstandskraft des Negers gegen die Tropensonne wissenschaftlich behandelt worden. Dieselbe bildet auch den Gegenstand einer Untersuchung, von Privatdozent Dr. Robert Stigler (Vergleich zwischen der Wärmeregulierung der Weißen und der Neger bei Arbeit in überhitzten Räumen. Pflüger 's Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. Bd. 160, 25. März 191 5). Daraus ergibt sich, daß das Pigment für die Wärme- abgabe durch Leitung und Strahlung kaum eine Bedeutung hat. Seine Hauptaufgabe besteht viel- mehr darin, die kurzwelligen Lichtstrahlen und die chemisch wirksamen unsichtbaren Strahlen zu absorbieren und das tiefer liegende Gewebe vor deren schädlichem Einfluß zu schützen. Es wäre ja möglich, ist aber noch besonders zu untersuchen, daß die Hautgeföße des Negers durch Wärmestrahlen stärker erweitert würden, so daß sie bei Erhitzung mehr Wärme abgeben und so einer Wärmestauung im Körper vorbeugten. Man müßte zu dieser Untersuchung indessen Neger heranziehen, die von Jugend auf unbekleidet gingen, wie es in ihrer Urheimat, dem tropischen Afrika, üblich ist; denn die nordamerikanischen Neger, welche seit Generationen bekleidet gehen, könnten sekundäre Veränderungen aufweisen. Bei Arbeit und bei hoher Außentemperatur steigt die Körperwärme des Negers um geringere Beträge als beim Weißen und kehrt andererseits rascher als bei diesem zur Norm zurück. Ist die Wärmeabgabe gehemmt, — etwa in wasserdampf- gesättigter heißer Luft, im Dampf- oder Wannen- bade — , so ist die Wärmestauung bei beiden gleich. Es ergibt sich daraus, daß die Wärme- regulation beim Neger nicht etwa auf einer Be- schränkung der Oxydationsprozesse bei steigender Außentemperatur beruht. Auch eine größere Ver- dunstungskälte durch reichlichere Schweißabgabe kommt nicht in Frage, da Neger und Weißer ceteris paribus gleich stark schwitzen. Nach S. beruht die Wärmeregulation beim Neger vielmehr auf einer größeren Dichte und Weite der Haut- blutgefäße und eventuell auf einer nachhaltigeren Erweiterung derselben. Die bessere Wärme- regulieruiig des Negers ist wohl angeboren, aber wird sicherlich durch Gewöhnung auch gesteigert; der gesunde Weiße erträgt gleichfalls mit der Zeit die Tropenhitze immer besser. Kathariner. Bücherbesprechungen. Pellini, G., Über das Atomgewicht des Tellurs und seine Beziehungen zu den G r u p p e n h o in o 1 o g e n. Ins Deutsche über- setzt von Prof. Dr. B. Vanzetti. Aus der Ah rens- Ilerz'schen Sammlung chemischer und chemisch-technischer Vorträge, Band XXI, Heft 8/1 1. gr. 8". 152 .Seiten mit 6 Abbildungen im Text. Stuttgart 1914, Verlag von Ferdinand Enke. — Einzelpreis geh. 6 M. Schon in der ersten berühmten Arbeit über das periodische System weist M e n d e 1 e j e f f darauf hin, daß das Tellur eine Ausnahme vom periodischen System bilde, daß aber das System vollständig ge- nau werde, wenn man die Annahme machen dürfe, daß das Atomgewicht des Tellurs in Wirklich- keit niedriger als das des Jodes sei. Es wurden daher im Laufe der Jahre eine große Anzahl von Untersuchungen über das Atomgewicht sowohl N. F. XIV. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 543 des Jodes als auch vor allen Dingen des Tellurs, von dem schon Berzelius gesagt hat, daß er selten mit einer Materie gearbeitet habe, wo es so außerordentlich schwer sei wie beim Tellur, konstante Resultate zu erhalten, meist wohl in der Hoffnung ausgeführt, die Unregelmäßigkeit im perio- dischen System beseitigen zu können. Alle Ver- suche haben indessen übereinstimmend zu dem Er- gebnis geführt, daß das Atomgewicht des Tellurs tatsächlich höher als das des Jodes ist, daß also hier wirklich eine Unstimmigkeit des periodischen Systems vorliegt. Inzwischen liat sich nun, wie den Lesern der Naturwissenschaftlichen Wochen- schrift aus einem vor kurzem erschienenen Bericht über die neueren Anschauungen über den Zu- sammenhang zwischen den Atomgewichten und den chemischen Eigenschaften der Elemente (vgl. diese Zeitschrift, N. E. Bd. H, S. io6; 191 5) bekannt ist, die Sachlage insofern etwas verschoben, als wir wissen, daß das Atomgewicht nicht allein die Eigenschaften der Elemente bestimmt, daß es im Gegenteil sowohl Atome von gleichem Atom- gewicht, die verschiedene, als auch Atome von verschiedenem Atomgewicht gibt, die gleiche Eigenschaften haben. Allerdings ist mit dieser Entdeckung die Tcllurfrage noch keineswegs er- ledigt, im Gegenteil , sie ist heute, nachdem die angedeuteten neueren Anschauungen neue Gesichts- punkte gegeben haben, vielleicht aktueller als je, und darum darf die vorliegende Schrift von Pellini, einem Autor, der selbst an dem Tellurproblem mit Erfolg mitgearbeitet hat, auf allgemeineres In- teresse rechnen. Pellini gibt in seinem Buch eine vollstän- dige und sehr sorgfältig bearbeitete Übersicht über sämtliche bisher ausgeführte Atomgewichtsbestim- mungen des Tellurs, eine Übersicht, in die er dank seinen eigenen Erfahrungen auf diesem Gebiete eine sachgemäße Kritik einzuflechten imstande war. Zunächst bespricht er die einzelnen Bestimmungen und erörtert dann eingehend die Fehlerquellen. Weiter wird die wichtige und viel diskutierte Frage nach einer etwaigen Komplexität des Tellurs be- handelt — die bisherigen Untersuchungen haben keinen Anhalt ergeben, nach dem in dem gewöhn- lichen Tellur ein Begleiter von höherem Atom- gewicht als ständige Verunreinigung vorhanden sei, der das Atomgewicht des „Tellurs" zu hoch er- scheinen lasse — und die gelegentlich ausge- sprochene Meinung als unzutreffend zurückge- wiesen, nach der 'das Tellur überhaupt gar nicht als höheres Homologes des Schwefels und des Selens anzusehen sei, sondern in Wirklichkeit zur Gruppe der Platinelemente gehöre. Einige Be- merkungen allgemeinerer Natur schließen das lesenswerte Büchlein ab. Berlin-Lichterfelde W 3. Werner Mecklenburg. Lifschitz, J. Die Änderungen der Licht- absorption bei der Salzbildung or- ganischer Säuren. Aus der Ahrens- Herz'schen Sammlung chemischer und che- misch-technischer Vorträge, Band XXI, Heft 5/7. Gr. 8". 116 Seiten mit 15 Abbildungen im Text. Stuttgart 19 14, Verlag von Ferdinand Enke. — Einzelpreis geheftet 4,50 M. Im Zusammenhange mit den zahlreichen Unter- suchungen über die Beziehungen zwischen der chemischen Konstitution der Stoffe und ihrer Farbe, die in neuerer Zeit ausgeführt worden sind, hat in den letzten Jahren besonders die Frage nach dem Einflüsse, den der Übergang gewisser or- ganischer Säuren in ihre Salze auf das Absorptions- spektrum des Komplexes ausübt, allgemeineres Interesse erregt. Die Erscheinung selbst ist jedem bekannt, der sich auch nur oberflächlich mit chemischen Fragen beschäftigt hat: Die Wirksam- keit der Indikatoren beruht ja gerade darauf, daß das Indikatorsalz eine andere P'arbe hat als die freie Indikatorsäure oder -base. Über die Ur- sache dieser und analoger P'arbenänderungen, die man früher meist mit Hilfe der Theorie der elektro- lytischen Dissoziation zu erklären suchte, haben besonders die umfassenden Arbeiten vonHantzsch und seinen Schülern Licht verbreitet. Wir wissen heute, daß jeder erheblichen Änderung in der P'arbe eines Komplexes eine erhebliche Änderung seiner Struktur entspricht, daß aber die elektrolytische Dissoziation an sich in diesem Sinne niclit als erhebliche Änderung . der Struktur aufzufassen ist. So leitet sich z. B. das rote Natriumsalz des Phenolphthaleins nicht von dem farblosen Phenolphthalein selbst, sondern von einem chinoid konstituierten Isomeren ab. Allerdings ist die Sachlage häufig sehr viel komplizierter, als man nach diesem einfachen Beispiele vermuten könnte. Schon das rote Phenolphthaleinnatrium geht in starker Lauge wieder in eine farblose Verbindung über, und in anderen Fällen sind die Erscheinungen noch viel vei"wickelter. So sollte man meinen, daß etwa einwertige farblose Kationen mit dem einwertigen Kation einer farblosen Säure nur eine Reihe von farbigen Salzen zu bilden imstande wären: Natrium-, Kalium- und Ammoniumsalz müßten alle die gleiche Farbe haben, da sie sich ja die drei genannten Salze von demselben farbigen Anion ableiten müssen. In Wirklichkeit liegen die Verhältnisse anders. „Oft erhält man aus einer und derselben Säure — anscheinend direkt — ver- schiedenfarbige Salze oder Salzreihen mit farblosen Metallen. Diese Salze unterscheiden sich optisch in weit höherem Maße, als die Verschiedenheiten der Metallatome erwarten lassen, ohne daß sich diesen farbverschiedenen Salzen entsprechende Wasserstoffverbindungen immer fassen ließen." Bezeichnet wird diese Erscheinung nach Han tzsch als ,,Variochromie", und zwar unterscheidet man je nach der Zahl der farbverschiedenen Salzreihen „Di-", „Tri-" oder „Tetrachromie", im allgemeinsten Falle spricht man von „Polychromie" oder gar von „Pantochromie". In dem vorliegenden Büchlein, dessen Lektüre allerdings eine gewisse Bekanntschaft mit den Grundbegriffen der Lehre von den Beziehungen 544 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 34 /.wischen I'^arbc und Konstitution der organisclien \'crbindungen voraussetzt, gibt der Verfasser, der, ein Schüler von Hantzsch, später selbständig auf diesem Gebiete weitergearbeitet hat, eine gute Übersicht über den gegenwärtigen Stand der im Titel der Sclirift genannten Frage. Allen denen, die Interesse an dem zwar schwierigen, aber wich- tigen Problem haben, kann das kleine Werk, das auch die erforderlichen Literaturnachweise enthält, empfohlen werden. Ikrlin-Lichterfelde W 3. Werner Mecklenburg. Oppel, Albert, Gewebekulturen und Ge- webepflege im Explantat. Mit Vorworten von Ehrlich und Abderhalden. — 104 S. Braunschweig 19 14, Verlag Vieweg und Sohn. Verf. möchte der Gewebekultur oder der Ge- webepflege, wie er sagt, das ganze Gebiet der Erfor- schung der Lebenserscheinungen, welche außerhalb des Organismus in dessen Teilstücken beobachtet werden können, zugewiesen wissen. Das ist sein gutes Recht. Aber schon darum wird mancher von seinem Buch enttäuscht sein, sofern er we- nigstens als Mann der Wissenschaft dem Forschungs- gebiet der Gewebekulturen Interesse zollt. Denn es ist doch nicht zu bezweifeln, daß gerade die- jenigen Arbeiten, die mit dem Namen Carrel's und der in seinen Spuren, wandelnden Forscher verknüpft sind, dem P^orschungsgebiet eine be- sondere Prägung gaben und von ihm viel Neues erwarten ließen. Es mag sein, daß die Hoff- nungen da zu weit gingen. Aber man ist, wie gesagt, enttäuscht, wenn man in dem Buch Üppel's nur äußerst wenig davon findet. Man könnte so auch, wenn man sich nur auf den In- halt des Buches stützt, die Hoffnungen kaum teilen, die Ehrlich in seinem Vorwort ausspricht. Um so mehr hören wir von Dingen, die im einzelnen wohl oft sehr interessant sind, von denen wir aber zuweilen wirklich nicht mehr Beziehungen zu Gewebekulturen erkennen können. Verf gibt eine auf Roux'sche Lehren gestützte Einleitung allgemein physiologischer Natur. In einigen Ka- piteln werden für die Explantate gewisse allge- meine Punkte behandelt, als da sind die Technik der Gewebskultur, die PVage der Lebensdauer und der Zellvermehrung in den „Kulturen". Andere Kapitel werden ganz und gar von entwicklungs- mechanischen Vorstellungen beherrscht, so die- jenigen, in denen Verf. die Bedeutung der Zell- bcvvegung für das Wachstum und für die Ent- wicklung bespricht. Er rechnet überhaupt die Untersuchungsmethoden der Entwicklungsmechanik zu den Gewebekulturcn und spricht in einem Ka- ])ilel von der Explantation als entwicklungs- meclianischer Methode. Ich glaube, daß gerade hierin der wunde Punkt des ganzen Buches liegt und daß es darum einseitig wirkt. Es ist z. B. auch eine P^inseiligkeit, wenn die Mosaiktheorie von Roux als die verbreitetste Entwicklungslehre bezeichnet wird. Es wäre natürlich unsinnig, die Verdienste Roux' an der Entwicklungslehre irgendwie antasten zu wollen oder auch nur die verdienstvolle Beteiligung des Verf. daran zu be- zweifeln, aber es wird nichts gewonnen, wenn diese Dinge an einer dazu nicht ganz legitimierten Stelle hervorgehoben werden, und wenn Verf. da- bei und auch sonst für sich selbst noch größere Worte findet als für seinen Lehrer (p. 270). — V\'er nun das Buch kritisch zu lesen imstande ist, wird aus ihm trotz mancher Mängel doch wohl Anregungen schöpfen können. Das Buch ist aber für diejenigen geschrieben, denen die Etymologie des Wortes Histologie erklärt werden muß. Man kann da die Frage aufwerfen, ob denn das Gebiet der „Gewebekulturen" wirklich schon reif war für eine halbpopularisierende Besprechung. Wenn das aber der Fall ist, so mußte die Be- sprechung eine wirklich objektive werden. Die Einseitigkeit (im einzelnen ließe sich noch Manches anführen), fällt so viel schwerer ins Gewicht. Hübschmann (Leipzig). Das Pflanzenreich. Regni vegetabilis conspectus. Im Auftrage der Kgl. Preuß. Akademie der Wissensch. herausgegeben von A. Engler. 62. Heft. (IV. 68.) Myzodendraceae mit 46 Einzel- bildern in 9 Figuren von Carl Skottsberg. I Mk. 63. Heft. (IV. 147. VII.) Euphorbiaceae — Acalypheae — Mercuralinae mit 317 Einzel- bildern in 67 Figuren unter Mitwirkung von Käthe Ho ff mann und F. Fax. 23,80 Mk. Leipzig und Berlin '14, W Engelmann. Von den weiteren seit der letzten Besprechung erschienenen Heften des größten botanischen Werkes der Jetztzeit behandelt das eiste die kleine merkwürdige Familie der Myzodendraceen, parasitische Sträucher von dem Aussehen und der Lebensweise unserer Misteln, die ausschließlicli in den Wäldern der südamerikanischen Anden, und zwar nur auf verschiedenen dort heimischen Buchenarten (Nothofagus) vorkommen. Das zweite Heft, das man schon einen starken Band nennen kann, schließt sich an das 57ste an und setzt die große, außerordentlich fornienreiche Pamilie der Euphorbiaceen fort. Die Mcrcurialinen sind zwar auch bei uns durch Mercurialis vertreten, erreichen aber, wie fnst alle anderen Glieder der großen Wolfsmilclifamilie, ihre Hauptverbreitung im Tropengürtel, in diesem P'alle in seinem alt- weltlichen Teile, wo viele Arten Urwaldbäume sind. Miehe. Inhaltt Wescmüller: Die deutsclicn Storchmarkicrungen (mit 3 Karlen u. 3 Tahellcn). (Sclilufi.) Reiche; Was bei einer botanischen Exkursion im heutigen Mexiko herauskommen kann. — Einzelberichte: Coblentz: Energie von Sternen. Gravier: Steinkorallen in einer Tiefe von 4000 — 5000 m. Carnot und Weil 1- Halle: Eine neue Me- thode für die rasche Erkennung des Typhus. Stiglcr; Widerstandskraft des Negers gegen die Tropensonne. — Bücherbesprechungen: Fellini: Über das Atomgewicht des Tellurs und seine Beziehungen zu den Gruppenhomo- logen. Lifschitz: Die .'Änderungen der Lichtabsorption bei der Salzbildung organischer Säuren. üppel: Gewebe- kulturen und Gewebcpflege im Ex]ilantat. Das Pflanzenreich. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. II. Miche in Leipzig, Marienstrafle IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. I.ippert & Co. G. ra. b. IL, Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 14. Band; der ganzen Reihe 30. Band. Sonntag, den 29. August 1915. Nummer 35. [Nachdruck verholen. 1 Über das Gel der Kieselsäure. Von Werner Mecklenburg. Mit 6 Abbildungen. Als Prototyp der anorganischen Gallerten, von denen hier die (iallerten der Zinnsäure, des Alu- miniumoxydhydrates, des Eisenoxydhydrates usw. genannt seien, bietet das Gel der Kieselsäure ein besonderes Interesse, und daher dürfte ein kurzer Bericht über die heutigen Anschauungen über die Zusammensetzung und die Struktur des Kiesel - säuregels, die einerseits auf den älteren Arbeiten von J. M. V a n B e m m e 1 e n , andererseits auf den in neuerer und neuester Zeit veröffentlichten Ar- beiten von Richard Zsigmondy und seinen Schülern beruhen, den Lesern dieser Zeitschrift nicht unwillkommen sein. Wenn man Wasserglaslösungen ansäuert, so scheidet sich bekanntlich die Kieselsäure häufig in Form gallertiger Massen ab, die ähnlich wie ein Schwamm große Mengen von Wasser ein- schließen. Beim Trocknen geben diese Gallerten, die man auch als „Gele" bezeichnet, unter all- mählicher Erhärtung das in ihnen enthaltene Wasser ab, ein Vorgang, der zuerst von J. M. van Bem- melen eingehend untersucht worden ist. Die wichtigsten Ergebnisse der van Bemmelen- schen Untersuchungen sollen im folgenden ao dem schematischen Diagramm der Abbildung i dar- gelegt werden, in das der Wassergehalt des Gels als Abszisse, der Dampfdruck des in dem Gel enthaltenen Wassers als Ordinate eingetragen ist. Die Pfeile zeigen die Richtung an, in der die Kurven allein durchlaufen werden können. Geht man von einem aus wässeriger Lösung gefällten, also feuchten Gel aus, und entwässert es allmählich, so beobachtet man, daß die Aus- trocknung des Gels längs der Kurve AO statt- findet. Bei Passierung des Punktes O, des sog. „Umschlagspunktes", wird das vorher klare Gel plötzlich trübe, wird dann aber, wenn es auf dem Wege OOi weiter eintrocknet, allmählich wieder klar und durchsichtig. Das Volumen des Gels nimmt bis O entsprechend der Menge des verdunstenden Wassers ab, bleibt aber von O ab in der Regel konstant. Im Punkte O,, ist der Wasserdampfdruck des Gels, obwohl es noch einen kleinen Wassergehalt besitzt, praktisch gleich Null. Bringt man das Gel, nachdem man es bis 0„ aus- getrocknet hat, wieder in Räume von höherem Wasserdampfdruck, so nimmt es zunächst das vor- her abgegebene Wasser längs des Kurvenstückes Ofi O, wieder auf, dieses Kurvenstück kann also sowohl in Richtung der Wasserabgabe wie der Wasseraufnahme durchlaufen werden , es ist voll- kommen reversibel. Erhöht man den Wasserdampf- druck in dem Räume, in dem sich das Gel be- findet, noch weiter über den dem Punkte Oj ent- sprechenden Grad hinaus, so findet zwar noch eine weitere Aufnahme von Wasser statt, aber die Wassermenge , die das Gel bei gegebenem Wasserdampfdrucke aufzunehmen imstande ist, ist jetzt, bei der Wiederwässerung, geringer als die Wassermenge, die das Gel bei der Entwässerung festgehalten hatte: Die Kurve OjO.3 zeigt, daß gleicher Wassergehalt des Gels, d. h. gleiche Abszissenlänge, bei der Wiederwässerung einem höheren Dampfdrucke des Wassers entspricht als bei der Entwässerung. Bei O., erleidet die Kurve einen Knick nach Og hin, d. h. von diesem Punkte ab erfolgt die Aufnahme des Wassers durch das Gel noch schwerer als zuvor. Entwässert man nun, von Og kommend, das Gel abermals, so ge- langt man bei Überschreitung von Oj nicht auf die Wiederwässerungskurve ÖoOj, sondern geht auf ebenfalls vollkommen reversibelem Wege glatt hinunter nach O. Von O ab folgt man bei der weiteren Entwässerung wie vorher dem nicht rever- sibelen Kurvenstück OOj. Erhöht man, während sich das System bei der weiteren Entwässerung noch zwischen O und Oj befindet, den Wasser- dampfdruck, so findet wieder Aufnahme von Wasser statt, aber nicht längs des Kurvenstückes OjO, das ja nicht reversibel ist, sondern längs einer in 0.2 mündenden Zwischenkurve aO. Unterbricht man andererseits auf der Kurve OjO., — etwa bei b ^ die Wiederwässerung, indem man den Dampf- druck, unter dem das Gel steht, plötzlich erniedrigt, so gelangt man wieder auf einer Zwischenkurve auf die Kurve OOj zurück. Das gezeichnete Diagramm hat, wie bereits angedeutet wurde, nur die Bedeutung eines Schemas. Je nach der „Vorgeschichte", d. h. der Art der Darstellung, dem Alter des Kieselsäuregels usw. haben die Kurven im einzelnen einen anderen Ver- 546 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 35 lauf, wenn auch ihr allgemeiner Charakter immer der gleiche bleibt. So wird z. B. der Umschlags- punkt um so weiter nach links verschoben, je ver- dünnter die Lösung war, aus der das Kiesel- säuregel gefällt worden ist, oder je kürzere Zeit das Gel vor der Austrocknung unter Wasser auf- bewahrt worden ist. Auch die Geschwindigkeit der Entwässerung hat einen Einfluß auf die Lage des Umschlagspunktes. Schon aus diesen Tatsachen hatte van Bem- me 1 e n den Schluß gezogen , daß das Kiesel- säuregel ein schwammähnliches, poröses Gebilde sei und daß das Wasser in ihm nicht chemisch gebunden, sondern daß es von ihm nur mechanisch festgehalten werde. Die Richtigkeit dieser Auf- fassung hatte vanBemmelen auch durch einen, übrigens schon von dem Begründer der Kolloid- cliemie, Thomas Graham, angegebenen Ver- such direkt beweisen können : Legt man ein wasser- haltiges Kieselsäuregel in absoluten Alkohol, in wasserfreie Schwefelsäure, in reine Essigsäure usw., so wird das Wasser in dem Gel wenigstens zum großen Teile durch die genannten Flüssigkeiten ersetzt, und man kann, wenn man die I'^lüssigkeiten, die ja durch die Aufnahme von Wasser aus dem Gel mehr oder minder verdünnt werden, mehr- mals durch die wasserfreien Flüssigkeiten ersetzt, das Wasser fast vollkommen aus dem Gel heraus- ziehen. Aus dem „Hydrogel'' entsteht ein „Alko- gel", ein ,,Sulfogel", ein „Azetogel" usw., und zwar ohne daß die charakteristischen Eigenschaften des Hydrogels bei dem Flüssigkeitsaustausch ver- schwänden. Insbesondere ließen sich in gleicher Weise wie mit dem Wasser als Gelflüssigkeit auch mit den anderen Flüssigkeiten ,, Umschlagspunkte" hervorrufen. Die Möglichkeit eines Ersatzes der Gelflüssig- keit durch andere Flüssigkeiten ist von Bach- mann näher untersucht worden. Bachmann stellte fest, daß, wenn man den größten Teil des Wassers in einem Kieselsäuregel durch andere Müssigkeiten ersetzt, die aufgenommenen I""lüssig- kcilsmengen im Verhältnis der spezifischen Ge- wichte der betreffenden Flüssigkeiten stehen. So trocknete er ein Kieselsäuregel, das im Unischlags- punkte in 0,3672 g Kieselsäureanhydrid 0,2280 g Wasser enthielt, vollkommen über Schwefelsäure und brachte es dann in eine Atmosphäre von Benzoldampf. Hierin nahm das Gel 0,2024 g Benzol auf Darauf wurde es von. dem Benzol wieder voll- ständig befreit und nunmehr in Azetylentetrabromid gelegt. Die Menge des aufgenommenen Azclylen- tetrabromids betrug 0,6720 g. Schließlich wurde der Kontrolle halber das Azetylentetrabromid wieder durch Wasser ersetzt, wobei das Gel zum Zeichen, daß es bei dem Kreisprozeß keine dau- ernde Veränderung erlitten hatte, wieder die frühere Wassermenge — 0,2276 g — aufnahm. Es ver- halten sich demnach die von derselben Menge des Kiesclsäuregels aufgenommenen Mengen Wasser: Benzol und Azetylentetrabromid : Wasser wie 0,2280:0,2024= i;i26 und 0,6720: 0,2276 = 2,955, während das Verhältnis der spezifischen Gewichte von Wasser und Benzol gleich 1,137 ""d von Azetylentetrabromid zu Wasser gleich 2,979 ist. Dies interessante Ergebnis läßt sich wohl kaum anders als durch die Annahme erklären, daß das Gel die Flüssigkeiten nur mechanisch in vorhan- dene Hohlräume aufsaugt. Diese allgemeine Vorstellung von der Struktur des Kieselsäuregels, an deren Richtigkeit wohl nicht zu zweifeln ist, auch in Einzelheiten auszu- arbeiten, ist von verschiedenen Seiten versucht worden, und zwar stand hierbei die Frage nach der Größe der Hohlräume im Vordergrunde des Interesses. Van B e m m e 1 e n selbst deutete seine Beobachtungen zuerst durch die von C. v. Nägel i aufgestellte „Mizellartheorie", nach der die Gallerten aus einzelnen „Mizellen" oder, wie wir heute sagen, aus einzelnen Kolloidteilchen bestehen, die durch Wasserhüllen voneinander getrennt sind und beim Eintrocknen, wenn die Wasserhüllen immer dünner werden, sich mehr und mehr nähern; hiernach wäre also die Struktur des Kieselsäuregels als äußerst fein anzunehmen, denn die Mizellen selbst sind ja nach v. Nägeli äußerst klein, also ist auch zu erwarten, daß die Zwischenräume zwischen ihnen im Maximum der Annäherung, wie es im festen Gel vorhanden ist, äußerst eng sind. Später aberschloß sich van Bemmelen der besonders von Bütschli vertretenen Theorie an, nach der die Gallerten zwei nur in beschränktem Maße mischbare Flüssigkeiten darstellen, von denen die eine, zähere ähnlich wie Seifenschaum waben- artigQ, von der weniger zähen Flüssigkeit ausge- füllte Flohlformen bildet. Bütschli selbst suchte die Richtigkeit seiner Theorie auch für solche Gallerten, bei denen wie beim Kieselsäuregel die Schaumkammern ihrer Größe nach an der Grenze des Auflösungsvermögens der Mikroskope, also dort liegen, wo nach Abbe die Deutung des mikroskopischen Bildes äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich ist, durch die direkte mikro- skopische Beobachtung, allerdings unter Innehaltung aller, jede Mißdeutung der Beobachtungen nach Möglichkeit ausschließenden Vorsichtsmaßregeln zu beweisen. Nach Bütschli läßt das Gel der Kieselsäure weder, wenn es vollkommen mit Flüssigkeit durch- getränkt ist, noch auch, wenn es in gut ausge- trocknetem Zustande an Stelle des Wassers Luft aufgenommen hat — die Luft ist hier natürlich auch als eine Flüssigkeit anzusehen, die das Wasser im Gel zu ersetzen vermag — Strukturen bei der mikroskopischen Beobachtung erkennen. Vorüber- gehend erhält man aber deutlich erkennbare Struk- turen, wenn man das trockene Gel befeuchtet und dann wieder eintrocknen läßt, in diesem Falle werden nämlich im Augenblick des Umschlages zweifellose Wabenstrukturen sichtbar, aber diese Strukturen verschwinden sehr rasch wieder. Um sie dauernd sichtbar zu machen, wendet Bütschli einen Kunstgriff an : Er befeuchtet das Gel mit einem homogenen Gemisch von leicht und schwer N. F. XIV. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 547 flüchtigen Hüssigkeiten, z. B. einem Gemisch von zwei Teilen Chloroform und einem Teil Zedernöl, und läßt die leichtflüchtige Flüssigkeit, hier das Chloroform, verdunsten, während die schwerflüch- tige Flüssigkeit zurück bleibt und die Struktur des Geles sichtbar macht. Die nebenstehende Abbildung 2 zeigt die auf diese Weise sichtbar gemachte Struktur des Tabaschir, eines natürlichen Kieselsäuregels. Nach Bütschli wäre also die Struktur der Kieselsäure verhältnismäßig grob, schreibt Bütschli doch den Hohlräumen im Gel einen Durchmesser von i bis 1,5 /« und eine Wand- stärke bis zu 0,3 n zu. Wenn sich nun auch be- sonders dank der peinlichen Sorgfalt, mit der Bütschli gearbeitet hat, wohl die meisten Fachgenossen den von ihm ver- tretenen Anschauungen an- schlössen, so konnten doch manche Forscher einen Zweifel an dem Vorhandensein so grober Strukturen nicht unter- drücken. So betonte W. Pauli, daß durch die von Bütschli zur Sichtbarmachung der Schaumstrukturen angewende- ten Verfahren die Gele zur Gerinnung gebracht würden und daß die Schaum- strukturen nur in diesen degenerierten, nicht aber in den ursprünglichen Gebilden vorhanden seien; nach Pauli sind die Gele überhaupt nicht wie die eigentlichen Schäume zwei phasige, sondern wie etwa die Gläser einphasige Gebilde. An dieser Stelle greifen nun die neuen Untersuchungen von Zsigmondy und seinen Schülern ein. Zsigmondy wies zunächst darauf hin, daß ein von Luft erfülltes Kieselsäuregel, dessen Hohl- räume einen Durchmesser von i /( hätten, infolge von Beugung und Reflexion des Lichtes an den Grenzflächen, selbst wenn die Wände der Waben erheblich dünner als 0,2 /< wären, doch ganz weiß und opak erscheinen und im Ullramikroskop einen blendend hellen Tyndalleffekt zeigen müßte. Tat- sächlich erweist sich ein ausgetrocknetes Kiesel- säuregel bei der ultramikroskopischen Untersuchung als ein äußerst feinteiliges Gebilde. Abbildung 3 menen Photographie dar. Als ein derartiges klares, trockenes Gel mit lichtschwachen Submikronen und Amikronen mit Benzoldampf behandelt wurde, nahm es bis zu 37 "/o seines Trockengewichtes an Benzol auf und erschien dann vollkommen klar und optisch leer. Als das Benzol wieder ver- dunstete, trat im LImschlagspunkte zunächst ein immer stärker werdender Tyndallkegel auf, dann erschienen zahllose Submikronen, die so hell wurden, daß sie die Nachbarteilchen bestrahlten, und bei weiterer Verdunstung verblaßte der Tyndalleffekt allmählich wieder. Eine Photographie des Tyndall- efiekts im Umschlagspunkt — Belichtungsdauer I Minute — ist in Abbildung 4 wiedergegeben. Die Tatsache, daß das Kieselsäuregel, abgesehen vom Umschlagspunkte, im Ultramikroskop fast optisch leer erscheint, beweist mit voller Sicher- heit, daß es eine äußerst feine Struktur haben muß, und auch im Umschlagspunkte selbst muß die Struktur sehr viel feiner sein, als Bütschli angenommen hat, denn das von dem hellglänzen- den Tyndallkegel ausgehende Licht erwies sich bei der optischen Untersuchung als vollständig linear polarisiert; es konnte durch Drehen eines Nikols vollständig ausgelöscht werden. Abb. 3. stellt den Tyndalleffekt in einem im Vakuum über konzentrierter Schwefelsäure getrockneten Kiesel- säuregel nach einer im Spaltultramikroskop mit einer Belichtungsdauer von 10 Minuten aufgenom- Abb. 4. Die Erscheinungen im Umschlagspunkte er- klären sich nun nach Zsigmondy in folgender Weise: Die wirklich im Gel vorhandenen und im trocknen Gel mit Luft, im feuchten Gel mit Wasser oder einer anderen Flüssigkeit ausgefüllten Hohl- räume sind so fein, daß sie sich optisch wenig oder gar nicht bemerkbar machen : das Gel erscheint selbst im Ultramikroskop annähernd optisch leer. Läßt man ein feuchtes Gel eintrocknen, so ent- stehen in seinem Innern unendlich viele Hohlräume, die mit Luft oder einem Gemisch von Luft und dem Dampf der Flüssigkeit erfüllt sind. In dem 548 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 35 Maße, wie die Müssigkeit verdampft, breiten sich die Holilräunic aus und können, wenn sie größer werden oder wenn mehrere zusammenfließen, als Submikronen oder auch als „Waben" der Beob- achtung zugänglicli werden. Nach dieser Auffassung, nach der die Bütschli'sche „Wabenstruktur" keineswegs die wahre Struktur des Kieselsäure- gels darstellt, sind die ,, Waben" eine von einem Luft- und Dampfgemisch durchsetzte Kieselsäure- masse und bestehen die ,, Wabenwände" aus Kiesel- säure, die von der Flüssigkeit durchtränkt ist. Das ganze System ähnelt im Umschlagspunktc sehr einem von feinsten Luftbläschen erfüllten Flüssig- keits - Luftgemisch , nur daß sowohl die „Luft" als auch die „Flüssigkeit" durch eine große An- zahl von gewissermaßen als Gerüst dienenden Kieselsäureteilchen getragen wird, die sich optisch überhaupt nicht bemerkbar machen, weil sie zu fein sind. Die Erscheinung ist schematisch in Abbildung 5 wiedergegeben. Bei weiter fort- schreitender Verdampfung verschwindet die Heterogenität natürlich wieder, und man hat im Ultramikroskop wieder das dem Gel selbst zu- kommende Bild. Eine Vorstellung über die Größe der Llohl- räume läßt sich nun aber, wie Zsigmondy und Anderson gezeigt haben, noch in anderer Weise, nämlich durch Anwendung der Theorie der Kapil- larität auf das Kieselsäuregel gewinnen. Allgemein bekannt dürfte sein, daß der Dampfdruck einer Flüssigkeit nicht nur von der chemischen Zusammen- setzung der Flüssigkeit und der Temperatur, sondern auch von der Krümmung abhängt, die die Oberfläche der Flüssigkeit gegen den Dampfraum aufweist. Ist die Oberfläche der Flüssigkeit konvex gegen den Dampfraum gekrümmt, so ist der Dampf- druck größer, ist sie konkav gekrümmt, so ist er geringer als der Dampfdruck bei einer ebenen Grenzfläche, zwar ist der Unterschied im Dampf- druck um so größer, je stärker die Grenzfläche gekrümmt ist. Daher haben Tropfen, die ja gegen den Dampfraum konvex gekrümmt sind, einen um so größeren Dampfdruck, je kleiner sie sind: Kleine Tropfen werden von großen Tropfen, große Tropfen werden von einer Flüssigkeitsmasse mit ebener Grenzfläche durch „isotherme Destillation" aufgefressen. Nun bildet das Wasser in einem Rülir aus Kieselsäure einen konkaven Meniskus gegen den Dampfraum aus, weil die Wandung des Rohres von dem Wasser benetzt wird und da die Krümmung des Menikus um so stärker ist, je enger das Kieselsäurerohr ist, so muß das in einem Rohr aus Kieselsäure enthaltene Wasser einen um so geringeren Dampfdruck haben , also um so schwerer verdampfen, je enger das Rohr ist. Man kann also aus dem Dampfdruck, den das Wasser im Gel der Kieselsäure besitzt, mit Hilfe der Lehre von der Kapillarität die Weite der engen Rohre, d. h. der Kapillaren, berechnen, die nach van B e m - melen in dem Kieselsäuregel anzunehmen sind. Nennt man r den Radius der Kapillarrohre T die Oberflächenspannung des Wassers (73,26 Dynen bei 15" C) bei Sa die Dichte des Wasserdampfes (1,274- lO" 15« C) sn die Dichte des Wassers (0,99913 bei 15" C) p den Dampfdruck des Wassers an einer ebenen Grenzfläche (12,70 mm Quecksilber = 1,27- 13,596-981,4 — bei 15 "O und pii den Dampfdruck des Wasseil5 an der konkav gekrümmten Grenzfläche Flüssigkeit/ Dampf in den Kapillaren, so ergibt sich der Radius des Kapillarrohres nach der Gleichung 0,8686 T-Sd Sil Pk Bevor wir nun aber diese Gleichung praktisch anwenden , muß noch ein Punkt berücksichtigt werden: Wenn man die allmähliche Austrocknung eines Kieselsäuregeles an Hand der schematischen Zeichnung van Bem m el en's verfolgt, so bemerkt man — darauf ist weiter oben schon hingewiesen worden — , daß das Volumen desGeles anfangs etwa entsprechend der Menge des entweichenden Wassers abnimmt, daß es aber praktisch konstant bleibt von dem Augenblicke an, wo der Umschlagspunkt er- reicht ist. Diese Tatsache läßt sich in folgender Weise deuten; Zunächst hat das Gel etwa im Sinne der B ü t sc h 1 i 'sehen Anschauungen eine grob- maschige Struktur, die darum als optisch annähernd leer erscheint, weil die in der gesammten Masse enthaltene Kieselsäuresubstanz außerordentlich fein verteilt ist. In dem Maße, wie die Masse eintrocknet, nähern sich, wie es sich v. Nägel i vorstellte, die Kieselsäureteilchen einander, und der Umschlags- punkt ist dadurch gekennzeichnet, daß sich die Kieselsäureteilchen so weit genähert haben , daß ihrer weiteren Annäherung mechanische Hinder- nisse entgegenstehen. Von dem Augenblicke des Umschlages an, von dem an bei weiterer Aus- trocknung keine weitere Schrumpfung des Gels mehr erfolgt, kann man daher überhaujit erst von einer bestimmten Weite der Kapillaren sprechen. N. F. XIV. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 549 Im Umschlagspunkte selbst beginnt nun die Aus- trocknung der Kapillaren, und zwar werden zu- nächst die weitesten und mit fortschreitender Aus- trocknung allmählich auch die engeren Kapillaren entleert. Der Dampfdruck des Wassers im Um- schlagspunkte entspricht daher den weitesten Kapillaren, und man wird demzufolge deren Radius erhalten, wenn man in die obenstehende Gleichung für den Dampfdruck an der konkaven Grenzfläche Flüssigkeit/Dampf den Dampfdruck des Wassers im Gel im Umschlagspunkte selbst einsetzt. So beobachtete And erson bei einem Kieselsäuregel im Umschlagspunktc einen Wasserdampfdruck von 8,5 mm Quecksilber und erhielt, als er diesen Wert in die Gleichung einsetzte, für den Radius der Kapillaren den Wert r = 2,746- 10^' cm = 2,746 ///(. Selbstverständlich läßt sich eine ganz gleich- artige Rechnung wie mit Wasser auch mit anderen Gelflüssigkeiten ausführen. So hat Anderson ähnlich wie Bach mann in Proben desselben Gels das Wasser durch Alkohol und Benzol ersetzt. Aus den in der folgenden Tabelle i enthaltenen Werten ergibt sich, daß in der Tat, wie es die Theorie verlangt, die Durchmesser der Kapillaren im Umschlagspunkt einen von der zufälligen Natur der Gclflüssigkeit unabhängigen, ganz bestimmten Wert besitzen, nämlich im Mittel den Wert 5.55 ßß- Tabelle i. Gelflüssigkeit Dampfdruck im Umschlagspunkt Radius der Kapillare Wasser Alkohol Benzol 0,84 mm Hg 2,12 ,, ,, 2,9 i> „ 2,746 ,"/( 2,587 2,990 Die Dicke der Wandungen der Kapillaren be- rechnet Anderson unter gewissen Voraussetzun- gen, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, zu 3 bis 6 /(((. Die im vorstehenden entwickelte Theorie der Kieselsäuregelstruktur vermag nun auch zu er- klären , warum im Umschlagspunkte jene Luft- und Gasbläschen auftreten, die die Trübung des Gels im Umschlagspunkte hervorrufen und die von Bütschli irrtümlich für primär gehaltene ,Wabenstruktur' erzeugen können. Ein konkaver Meniskus übt bekanntlich in einem Kapillarrohr auf die Flüssigkeit einen Zug in der Richtung zum Gasraume hin aus. Als Beweis für diese Tatsache sei an die Erscheinung erinnert, daß in einem etwa in einer Schale senkrecht aufgestellten an beiden Seiten offenen Kapillarrohr die Flüssig- keit eben infolge dieses Zuges immer höher steht als das ebene Niveau der Flüssigkeit. Die Zug- wirkung ist um so größer, je enger die Kapillare ist und erreicht in den äußerst engen Kapillaren, wie sie im Gel der Kieselsäure vorliegen, ganz enorme Beträge. Eine Kapillare von 5 (^ij-i Durch- messer würde, in eine Flüssigkeit mit ebener Oberfläche gestellt , die Flüssigkeit innerhalb der Kapillare um mehrere Kilometer über das Außen- niveau emporheben. Diese gewallige Zugwirkung tritt nun gerade im Umschlagspunkt auf, d. h. im Umschlagspunkt ist gerade die Erscheinung zu erwarten, welche eine zunächst mit Luft ge- sättigte Flüssigkeit in dem Augenblick zeigt, wo sie einem Zug unterworfen wird. Diese Erschei- nung ist, wie besonders aus den Untersuchungen von Julius Meyer über den „negativen Druck", d. h. den Zug in Flüssigkeiten bekannt geworden ist, die Entwicklung von Luft- und Gasblasen. Julius Meyer hat beobachtet, daß sich ein Zug auf Flüssigkeiten nur dann ausüben läßt, wenn die Flüssigkeit mit peinlichster Sorgfall luftleer gemacht ist und an der Grenze zwischen Flüssigkeit und Gefäß keine Stelle vorhanden ist, an der sich etwa Gasblasen ansetzen könnten ; sind diese Bedingungen nicht erfüllt, so zerreißt die Flüssigkeit bei jedem Zugversuch, indem sich eine Gas- oder Luftblase bildet. Im Umschlags- punkte muß also gerade nach der von Zsigmondy mit so großem Erfolge auf die Frage nach der Struktur des Kieselsäuregels angewendeten Kapil- laritätstheorie eine Entwicklung von Luft- und Gasblasen im Gel auftreten, wie sie zur Deutung der Beobachtungen von ihm angenommen wor- den ist. Auch für die eigentümliche Tatsache, daß in dem van Bern melen 'sehen Diagramm (Abbil- dung i), in dem der Wassergehalt des Gels als Funktion des Dampfdruckes dargestellt ist, die Wiederwässerungskurve O^O., nicht mit der Ent- wässerungskurve OOj zusammenfällt , hat Zsig- mondy eine Erklärung gefunden: ,,Es ist eine bekannte und leicht zu reproduzierende Erfahrung, daß das Wasser in unbenetzten Röhren nicht so hoch aufsteigt wie in benetzten und beim Anstieg in ersteren einen Meniskus von größerem Krüm- mungsradius ausbildet als in letzteren. Diesem größeren Krümmungsradius entspricht aber ein höherer Dampfdruck. Nehmen wir an, daß ähn- liches bei der Wiederwässerung der Gele eintritt, so müßte die Füllung der Kapillaren unter höhe- rem Druck erfolgen als die Entwässerung, bei welcher die Wände durch die zurücktretende Flüssigkeit, soweit dieselbe reicht, benetzt sind. Tatsächlich erfolgt die Wiederwässerung bei höhe- rem Druck." Die Ursache für die schlechtere Benetzung nach vorhergehender Austrocknung des Gels könnte in der Adsorption von Luft durch die Wandungen der Kapillaren liegen. Zum Schluß sei noch Einiges über die Stellung der im vorstehenden in ihren wesentlichen Zügen dargelegten Theorie zu den besonders in minera- logischen Kreisen viel besprochenen Anschauungen Tschermak's von der chemischen Zusammen- setzung der aus kristallisierten Verbindungen abge- schiedenen Kieselsäure gesagt. Tschermak hat gefunden, daß die Geschwindigkeit, mit der ein frisches, d. h. vorher noch nicht entwässertes 550 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 35 Kieseisäiiregel das in ihm enthaltene Wasser bei der Austrocknung bei konstanter Temperatur nicht, wie man zunächst vielleicht hätte erwarten können, mit stetig abnehmender Geschwindigkeit abgibt, sondern daß die Kurve, welche die Entwässerungs- geschwindigkeit als Funktion der im Gel noch vorhandenen Wassermenge darstellt, mehr oder minder deutliche Knicke aufweist. Abbildung 6, in der die Ordinate das Gewicht des wasser- haltigen Kieselsäure- gels und die Abszisse die Zeit in Tagen an- gibt , während deren sich das Gel zum Zweck des Austrocknens in einem trockenen Raum von konstanter Tem- peratur befand , zeigt eine derartige Kurve. Ermittelt man den Wassergehalt, den die in der Entwässerung begriffenen Gele gerade in dem Zeitpunkte ha- ben, in dem die Knicke auftreten , so kommt man nach Tscher- mak sehr häufig auf eineinfachesMolekular- verhältnis von Kiesel- säureanhydrid SiO., zu Kieselsäuren von wohl Die auf diese Weise l 4000 i . 3S00 \ \ 3000 \ \ 2500 \ 2000 \ \ 1500 \ \ / 1120 y : ^ * Abb. 6. Wasser H.,0 , also auf definierter Zusammensetzung erhaltenen Kieselsäuren sind nun, wie Tschermak betont, in sehr vielen Milien mit denen identisch, die die Mineralogie schon früher als gewissen Mineralien zugrunde liegend angenommen hat. So leitet sich z. B. der Willemit SiO^Zn.^ zweifellos von der ,Orthokieselsäure' SiO^H^ und Wollastonit SiOgCa sicherlich von der ,Metakieselsäure' SiOgHo ab, und dementsprechend fand Tschermak, daß die Kurve der Entwässerungsgeschwindigkeit einen Knick gerade in dem der Zusammensetzung SiOj'SHjO bzw. SiOg-iH.jO entsprechenden Entwässerungsgrade des Kieselsäuregels hatte. Die untenstehende nach einer von Tschermak her- rührenden Zusammenstellung bearbeitete Tabelle 2 gibt einige weitere Beispiele. Die von Tschermak gemachte Annahme, daß die aus den betreffenden Verbindungen ab- geschiedene Kieselsäure bei der Entwässerung zer- setzt werde und so das Auftreten des Knickes in der Entwässerungskurve zu erklären sei , scheint nun zunächst in vollem Widerspruche zu der Zs i gm ondy 'sehen Theorie von der Struktur des Kieselsäuregels zu stehen. Auch nach Zsig- m ondy 's Theorie sind Diskontinuitäten in der die Entwässerungsgeschwindigkeit als h\mktion des Wassergehaltes des Kieselsäuregels darstellen- den Kurve zu erwarten. Eine derartige Diskonti- nuität muß im Umschlagspunkte liegen, denn im Umschlagspunkte erleidet ja nach der Zsigmondy- schen Theorie der Mechanismus der Entwässerung eine grundsätzliche Änderung, eine Änderung, die sich sicherlich auch in der Entwässerungsgeschwin- digkeit aussprechen wird. So fand Anderson, daß nicht nur die Geschwindigkeit, mit der ein Kieselsäuregel das in ihm enthaltene Wasser ab- gibt, sondern auch die Austrocknungsgeschwindig- keiten des von Alkohol oder Benzol durchfeuch- teten Gels unstetige Funktionen des Feuchtigkeits- gehaltes der Gele waren. In bester Übereinstim- mung mit Zsigmondy's Theorie lagen die Un- Tabelle 2. Name und Zusammensetzung der dem Mineral zugrunde liegenden Kieselsäure. Zusammensetzung Zusammensetzung nach mineralogischer Formulierung Zusammensetzung nach Tschermak's Verfahren bestimmt. Willemit Si0.2-2ZnO OrthoUieselsäure SiO^Ilj SiOj.2H20 = SiUjll| Natrolith 3 SiUä ■ AI2O3 • Na.>0 ■ 2 H.,0 „ SiO.H^ Si02-2H20 = Si04lIi WoUaslonit SiOa-CaO Metal„Il, = 2Si03H2 Si02.H20 = Si03H2 Leucit 4Si02-Al.,03.KjO Leucitsäure SiiOi2Hs = 4Si03n2 Si02.Hä0=Si03H2 .'\nalcini 4SiOa-Al203-Na20-2H20 „ Si,(),2H8 = 4Si03H2 Si02-H20 = Si03H2 l)at..lith 2SiO2.BjO3.2Ca0-HaO Datolithsäurc SijOsHj 2Si02.H20 = Sij0,,n2 l'rehnit 3SiOa.Alj03-2CaO.H,0 Granatsäure SisOjHi 3Si02-2H20 = Si30sHt Albit 6SiOj.AljO3.Na2O Albitsäure SiaOjHj 3Si02-H20 = SijO,H2 Chrysotil 4SiOä.6MgO-4H20 — SuOijH.o 4Si02-sH20 = Si40,3H,(, Harmotum SSiOj-Al203.BaO-4H20 — SijOiiHs 5Si02-4HoO = Si50nH, Heulandit eSiOa-AlaOj.CaO-öHsO - Si„0„H,„ 6Si02.5H,0 = Sie0„H,„ N. F. XIV. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 551 Stetigkeiten der Austrodtnungsgeschwindigl^eits- kurven beim Wasser, beim Alkohol und beim Benzol gerade im Umschlagspunkt, der überdies, wie weiter oben erwähnt worden ist, durch die Gleichheit der aufgenommenen Flüssigkeitsvolumina gekennzeichnet ist. Um diese Tatsachen im Sinne Tscher mak's zu erklären, müßte man erstens voraussetzen, daß das Kieselsäureanhydrid nicht nur mit Wasser, sondern auch mit Alkohol und Benzol chemische Verbindungen einzugehen ver- mag, und zweitens annehmen, daß sich Wasser, Alkohol und Benzol in ihrer Verbindung mit dem Kieselsäureanhydrid anstatt nach molekularem Verhältnis nach dem Verhältnis ihrer Volumina im flüssigen Zustande zu ersetzen vermögen. Will man diese phantastischen Annahmen nicht machen, so muß man sich, wenn man die Tscher mak- sche Theorie noch aufrecht erhalten will, zu der unbefriedigenden Hilfshypothese entschließen, daii eine Unstetigkeit in der Austrocknungsgeschwin- digkeitskurve in manchen Fällen auf den Zerfall einer definierten Verbindung hinweise, in anderen Fällen aber im Sinne der Zsigmondy 'sehen Theorie zu erklären sei. Trotz dieser schweren Bedenken wäre es , so scheint es dem Referenten, verfrüht, die T s c h e r m a k - sehe Theorie ohne weiteres zu verwerfen, ja vielleicht ist sie sogar, allerdings etwas modifiziert, mit der Zsigmondy'schen Theorie viel besser vereinbar, als man nach den obigen Darlegungen vermeinen möchte. Sind doch die Eigenschaften des Kieselsäuregels wie die der anderen Gele — durch quantitative Mes- sungen ist dies von dem Berichterstatter für das Gel der Zinnsäure und das des Eisenoxydhydrats nachgewiesen — in hohem Maße von der „Vor- geschichte des Präparates", d. h. insbesondere von seinen Entstehungsbedingungen abhängig. Zu den Entstehungsbedingungen gehört als wesentlich auch das Ausgangsmaterial, es muß also, sofern die wohlbegründeten Anschauungen Zsigmondy's mit denen von Tschermak vereinbar sein sollen, zwischen der (jröße der Kapillaren , die nach Zsigmondy im Gel vorhanden sind, und der Zusammensetzung des Silikats, aus dem die von Tschermak untersuchten Gele hergestellt sind, ein innerer Zusammenhang bestehen. Das Vor- handensein eines derartigen Zusammenhanges läßt sich nun in der Tat wahrscheinlich machen, wenn man außer den zahlreichen Untersuchungen über den Wassergehalt der Zeolithe, d. h. jener Silikate, deren Wassergehalt mit dem Wasserdampfdruck der Umgebung steigt und fällt, vor allen Dingen die ausgezeichneten Untersuchungen von Rinne über den Abbau von Mineralien unter Erhaltung des Kristallgebäudes berücksichtigt. Als Beispiel für den „kristallographisch-chemischen Abbau" seien hier die Beobachtungen von Rinne am Koenenit, einem Mineral von der Formel AUOa • 3 MgO • 2MgCU • 6 H.jO angeführt. Kocht man den Koenenit mit Wasser, so wird aus dem Kristallkomplex zunächst das Magnesiumchlorid, bei Behandlung mit Salmiaklösung das Magnesium- oxyd und beim Glühen schließlich das Wasser herausgenommen, so daß von dem ganzen kom- plizierten Gebäude nur noch die Tonerde übrig bleibt. Alle diese Eingriffe haben aber nicht etwa den Zusammenbruch des Kristallgebäudes zur Folge, das Kristallgebäude bleibt vielmehr als solches unversehrt erhalten. „End- und Anfangszustand sowie die Zwischenstufen gehören demselben kristallographischen Bautypus an, unterscheiden sich also optisch nur quantitativ, nicht qualitativ. Die Doppelbrechung ist geschwächt und umge- schlagen." Das allein noch vorhandene Aluminium- oxyd bildet also eine Pseudomorphose nach dem Koenenit, durch deren Zersetzung es entstanden ist. Derartige Abbaue sind aber keineswegs etwa auf die nicht-silikatischen Mineralien beschränkt, im Gegenteil sind sie auch für viele Silikate, so z. B. für den Biotit, ein kompliziertes Ortho- silikat aus der Gruppe der Magnesiaglimmer, das ohne Einsturz des Kristallgebäudes bis zum wasserfreien Siliciumdioxyd abgebaut werden kann, nachgewiesen, und zwar ist es, wie Rinne sagt, vielleicht nicht bedeutungslos, daß sich die Knicke in den Tsch ermak'schen Entwässerungs- kurven , „gerade bei den Kieselgelen ziemlich scharf ergeben, die eine noch zusammenhaltende Pseudomorphose nach dem Ausgangsmaterial vor- stellen". Unter diesen Umständen ist die Annahme wohl gestattet, daß auch bei den Tsch ermak'schen Versuchen die als Ausgangsmaterial dienenden Kristallsplitter der Mineralien ganz im Sinne von Rinne einen kristallographisch-chemischen Abbau erleiden, daß bei ihnen das ursprüngliche Kristall- gebäude durch das Herausziehen der basischen Bestandteile zwar gelockert, aber nicht zertrümmert wird, „ähnlich wie man aus einem von reichlichen Säulen getragenen Bauwerk wohl eine Anzahl Stützen entfernen kann, ohne daß Zusammensturz eintritt". Die nach dem Tsch ermak'schen Ver- fahren gewonnenen Kieselsäuren wären also nicht voll ausgefüllte, sondern poröse Gebilde, also ge- rade solche Gebilde, wie sie die Kieselsäuregele darstellen, und es dürfte daher die Vermutung nicht zu gewagt sein, daß die feinen Kapillaren, die nach Zsigmondy in den Gelen vorhanden sind, wenigstens zum Teil identisch mit den Poren sind, zu denen der Rinne' sehe Abbau der Mine- ralien führt. Daß diese Poren sich mit Wasser füllen, wenn die Zersetzung des Silikates, was ja stets der Fall ist, in Anwesenheit von Wasser vor sich geht, ist verständlich, offen aber ist die Frage, wieviel Wasser in die Poren eintritt. Hier sind offenbar zwei Möglichkeiten gegeben : Entweder tritt das Wasser gewissermaßen substituierend in den Kri- stallkomplex ein, d. h. es wird nach den Gesetzen der chemischen Äquivalenz ein Molekül Na.^O oder CaO durch ein Molekül H.,0 und ein Molekül Fe.,03 oder Al.,03 durch drei" Moleküle R^O er- setzt, oder aber das Wasser füllt die Poren ohne Rücksicht auf die chemische Äquivalenz allein 552 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 35 nach Maßgabe des vorhandenen Raumes und des spezifischen Gewichtes der Flüssigkeit aus. Für beide Möglichkeiten lassen sich Beispiele anführen : Wiegner hat in seinen ausgezeichneten Ar- beiten über den Basenaustausch in der Ackererde gezeigt , daß wenn man Kalk-Natron-Permutite, d. h. künstlich hergestellte „amorphe" , in Wirk- lichkeit aber wohl krj-ptokristallinische Silikate mit Ammoniumchlorid behandelt, das Ammonium- ion von dem Permutit nach den bekannten Ge- setzen der Adsorption aufgenommen wird , daß aber gleichzeitig Calcium und Natriinn aus dem Permutit in die Ammoniumchloridlüsung über gehen, und zwar ist die Menge des in den Per- mutit eingetretenen Ammoniumions der Summe der ausgetretenen Natrium- und Calciumionen äquivalent. Es liegt also hier zweifellos Austausch nach dem Gesetze der chemischen Äquivalenz vor. Immerhin ist die kristallinische Natur des Permutits und die Erhaltung des Kristallgebäudes bei dem Austausch, wenn auch wahrscheinlich, so doch nicht nachgewiesen. Charakteristischer und wichtiger ist daher eine Beobachtung, die van B e m m e 1 e n am Eisenoxydhydrat gemacht hat : Das Eisenoxydhydrat bildet mit konzentrierter Natronlauge Kristalle von der Formel Fe., O3 -Na, O. In diesen Kristallen läßt sich das Natriumoxyd durch Wasser ersetzen, und man erhält dann als Pseudomorphose nach den Natriumferritkristallen Kristalle von Eisenoxydhydrat Fe.,03-H.,0, ein zweifelloser Ersatz von Natron durch Wasser nach Maßgabe der chemischen Äquivalenz und unter Erhaltung des Kristallgebäudes. Im Kristall nimmt also ein Molekül HjO den selben Raum ein wie ein Molekül NaaO. " Welches die Bedingungen für die eine oder die andere Form des Eintrittes von Wasser in die Silikatkristalle an Stelle von Basen ist, ist zurzeit noch nicht mit Sicherheit bekannt. Macht man aber die an sich nicht unwahrscheinliche Annahme, daß auch bei den Silikaten durch den Austritt von einem Molekül Na.,0, K,,0, CaO, MgO usw. Raum für ein Molekül H^O , durch den Austritt von einem Molekül Al.^Og oder FeoOg Raum für drei Moleküle H.,0 frei wird, so lassen sich die Zsigmon dy 'sehe und die Tsch er mak'sche Theorie von der Natur des Kieselsäuregels leicht vereinigen. Das aus dem Silikat entstandene Kieselsäuregel enthält das Wasser in zwei Formen : der eine Teil des Wassers befindet sich als Feuchtigkeit zwischen den einzelnen Kristallsplittern, der andere, der Menge der in dem Ausgangsmaterial enthaltenen Basen äquivalente Teil als Kapillarwasser im Innern der einzelnen Kristallsplitter selbst, in den Poren. Beim Trocknen entweicht zunächst die Haupt- menge der F"euchtigkeit, ja es wird sogar, wenn man die Versuche geschickt durchführt , möglich sein, dem Gel annähernd die Gesamtmenge der l<"euchtigkeit zu entziehen, bevor merkliche Mengen des Kapillarwassers selbst austreten. In der Tat scheinen denn auch die Tsch er mak 'seilen Ver- suche große Sorgfalt und die peinliche Innehaltung bestimmter Vorsichtsmaßregeln zu erfordern, wenn man deutliche Knickpunkte in den Austrocknungs- kurven erhalten will. Trocknet man ohne beson- dere Vorsichtsmaßregeln , so beginnt schon das Kapillarwasser aus dem Gel zu entweichen, wenn noch Feuchtigkeit vorhanden ist, und man erhält dann bei der Austrocknung die van Bemmelen- schen Kurven. Bei diesen van Bemmelen- schen Kurven wird die regelmäßige Abgabe der I'euchtigkeit durch den Umschlagspunkt unter- brochen. Würde diese Unterbrechung nicht statt- finden, würde also die Verdampfung der Feuchtig- keit bis zu ihrer vollständigen Entfernung fort- gehen , ohne daß das Kapillarwasser selbst ver- dampfte, so müßte das Kurvenstück AO der Aus- trocknungskurve in Abbildung i die Abszisse in einem Punkte schneiden, der dem Kapillarwasser- gehalt des ursi^rünglichen Kieselsäuregels und damit der Zusammensetzung des ursprünglichen Silikats entspricht. Kann man diesen Punkt bei der van Bemmele n 'sehen Versuchsanordnung praktisch auch nicht erreichen, so kann man seine Lage doch durch Extrapolation des Kurvenstückes AO bis zur Abszissenachse ermitteln. In der Tat kommt man in auffallend vielen Fällen zu einem Wassergehalt von einem Molekül H.,0 auf ein Molekül SiOo, wenn man die van Bemmelen- schen Kurven, welche mit einem aus Natron- wasserglas enthaltenen Kieselsäuregel ermittelt worden sind, in der angegebenen Weise bis zum Schnittpunkt mit der Abszissenachse extrapoliert. Mag der Leser nun auch die hier entwickelte Vorstellung über den Zusammenhang zwischen dem Gehalt eines Kieselsäuregels an Kapillarwasser und der Zusammensetzung des Silikates, aus dem das Gel hergestellt worden ist, im einzelnen an- nehmen oder ablehnen, jedenfalls kann der Gegen- satz zwischen den Ergebnissen der Forschungen von van Bemmelen und Zsigmondy einer- seits und von Tschermak andererseits keines- wegs als so scharf und grundsätzlich angesehen werden, daß die Hoffnung zur Zusammenfassung der beiden Forschungsrichtungen von einem ge- meinschaftlichen Gesichtspunkte aus a limine als unberechtigt zurückgewiesen werden müßte. Literaturnachweise. Richard Zsigmondy, Kolloidchemie. Leipzig 1912. J. M. van Bemmelen, Die Absorption. Gesammelte Abliandlungen, herausgegeben von Wo. Ostwald. Dresden igio. O. Bütschli, Untersuchungen über die Mikrostruktur künstlicher und natürlicher Kieselsäuregallerten. Heidelberg 1900. Richard Zsigmondy, L'ber die Struktur des Gels der Kieselsäure. Theorie der Entwässerung. Zeitschr. f. anorg. Chemie Bd. 71, S. 356 bis 377. 191 1. Wilhelm Bach mann, Untersuchungen über die ultra- niikroskopische Struktur von Gallerten mit Hilfe des Spalt- und Kardioidultr.amikroskops. Zeitschr. f. anorg. Chemie Bd. 73, S. 125 bis 208. 1911. R. Zsigmondy, W. Bachmann und E. F. Steven- son, Über einen Apparat zur Bestimmung der Dampfspannung des Gels der Kieselsäure. Zeitschr. f. anorg. Chemie Bd. 75, S. 189 bis 197. 1912. N. F. XIV. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 553 Wilhelm Bachmann, Über einige Bestimmungen des Hohlraumvolumens im Gel der Kieselsäure. Zeitschr. f. anorg. Chemie Bd. 79, S. 202 bis 2oS. 1912. John S. Anderson, Die Struktur des Gels der Kiesel- säure. Zeitschr. f. physik. Chemie Bd. 88, S. 191 bis 228. 1914. G. Tschermak, Darstellung von Kieselsäuren durch Zersetzung der natürlichen Silikate. Zeitschr. f. physik. Chem. Bd. 53, S. 349 bis 367. 1905. G. Tschermak, Die Bestimmung der Kieselsäuren. Zei'schr. f. anorg. Chemie Bd. 87, S. 300 bis 318. 1914. G. Tschermak, Künstlich dargestellte Kieselsäuren. Doelter's Handbuch der Mineralchemie, Bd. II, i. Hälfte. Dresden und Leipzig 1914. V. Rinne, Kristallographisch-chemischer Ab- und Um- bau insbesondere von Zeolithen. Fortschr. d. Mineral. , Kri- stallogr. u. Petrogr. Bd. 3, S. 159 bis 183; 1913. Von Schwarzbrot zu Weißbrot. [Nachdruck verboten.] Von Prof. Dr. A. Maurizio, Ein Weg tausendfältiger Erfahrungen und Ver- suche führt von Getreide zu Brot, d. h. zur Ge- treidenahrung der Gegenwart. Die älteste, wohl die erste, Getreidenahrung waren rohe oder ge- röstete Körner, die man zuweilen keimen ließ vor dem Rösten. Diese Speise erhielt sich als Opfergabe im altrömischen Kultus, fand sich vor bei altamerikanischen Völkern der Maya und der Azteken, sie lebt noch weiter in gewissen Hoch- zeits- und Geburtssilten der Slaven und anderer Völker. Endlich sollen (nach Berichten der Tages- presse) die Albanier heute noch geröstetes Gersten- und Weizenmalz genießen. Aber davon abgesehen nahm früher der Brei, das Mues die Stelle des Brotes ein. Dies ist die Haupt- nahrung ungezählter Millionen russischer, polnischer und ruthenischer Bauern und vieler Alpenbewohner. Dem Mehlbrei muß man eine geradezu weltge- schichtliche Bedeutung zuerkennen, sagt der Soziologe Müller- Ly er, *) er ist seit der unter oder Zelten hatte jedenfalls Osw. Heer') vor sich in den Pfahlbauerbroten und Ankenweggli. Heute ist der Fladen bekannt von Lappland bis nach Spanien und Nordafrika, im ganzen Osten bis nach Japan und China und darüber hinaus in der Neuen Welt in Gestalt der Maisfladen. Wo der Fladen gebräuchlich, da wird er nebeneinander aus vielen Früchten und Samen dargestellt, nicht aus einer Getreideart wie das Brot. Nach meinen noch nicht veröffentlichten chemischen und bota- nischen Untersuchungen ist dadurch die Fladen- nahrung gekennzeichnet. Es herrschen vor: Hirse und Buchweizen in einem großen Teile Rußlands, verschiedene Hirsearten in Vorderindien. Die Fladen der Huzulen der Ostkarpathen wie die der Serbokroaten des Velevitgebirges werden be- reitet aus Hirse, Gerste, VVeizen, Hafer, Roggen, auch Spelz und Mais, während die Goralen der Westkarpathen hierzu nur Gerste und Hafer be- nutzen. Die ungeschälten Früchte geben eine sten Stufe des Ackerbaues bis weit in die Zeit rauhe, holzige Speise, die 3— 8 "/„ Rohfaser ent der Zivilisation die Grundlage der Volksernährung. Im Mittelalter waren Schwarzbrot, Haferbrei und Gemüse die Nahrung des Bauern , Wasser und Molken sein Getränk. Wie die alten Schweizer ziehen heute noch die Montenegriner, den Haber- sack umgehängt, in den Krieg. Den Brei lieferten Pflanzen, die im Hackbau gebaut den Getreidearten des Ackerbaus voraus- gingen. Hahn-) spricht hier von einer Halb- kultur der Hirsearten, die ausgedehnter war als das heutige Gebiet des Getreidebaues. Sie umfaßte die gesamte Alte Welt, griff über Formosa hinaus, umfaßte ganz Afrika, ihr gehörte auch die Neue hält und, da sie stark verunreinigt ist, meist i — 2 "/o Sand. Fladen und P'ladenbrote der Serbokroaten aus Panicum miliaceum und P. italicum schmecken sandig, die aus anderen Früchten verwunden Zunge und Gaumen des an sie nicht Gewöhnten. Diese grobe Nahrung wird auch in der Neuen Welt nebeneinander aus verschiedenen Früchten und Samen bereitet, während andere Völker hierzu wilde Früchte der Gräser sammeln. Die Mongolen sammeln noch jetzt die F"rüchte der wildwachsen- den Gräser Psamma villosa und Elymus giganteus zu gleichem Zwecke. -) Strandgerste und Strand- roggen der Nord- und Ostseeküste wurden in Zeiten der Hungersnot verwendet; ob die Ver- Welt an, die nur ein Getreide besaß, den Mais, , . , - , , der eigentliches Brot ebensowenig liefert als die Zu^,1^ nicht ausgedehnter gewesen nach dem Hirsearten. Nur Überreste des Hirse- und Buch- Vorbilde der Glyceria fluitans und der Zizania Weizenbaues geben für Mitteleuropa Zeugnis vom ^quatica. früher allgemeinen Gebrauch der Breinahrung. "^'■™ Georges Claraz in Lugano und der Den Übergang von Brei zu Brot bildet der Fladen, der noch heute in vielen Gegenden jede andere Getreidenahrung ersetzt, und wo be- reits verschwunden, als Grundlage der Nahrung dennoch in Überresten feststellbar ist. Die Fladen ') F. Müllcr-Lyer, Phasen der Kultur od. Richtungs- linien d. Fortschritts. Soziolog. Überblicke. München 1908. 55. 83. 208. ") Ed. Hahn, Zeitschr. f. Ethnolog. Vcrhandl. d. Berlin. Anthropolog. Ges. vom 15. 12. 1894. S. 604. gütigen Mitwirkung des Herrn Prof. HansSchinz in Zürich verdanke ich höchst bemerkenswerte Angaben über die Getreidenahrung seit den vor- kolumbischen Zeiten in Chile, Peru und Argen- tinien. Auf Grund seiner reichen Erfahrung und mir nicht zugänglicher spanischer Quellen äußert ') Osw. Heer, Die Pflanzen der Pfahlbauten. Neujahrs- blatt d. Naturf. Gesellsch. auf d. J. 1866. Zürich 1865. 9. ^) J- W. Palibine, Cereales spontanees des Mongoles. Annal. d. Sanienprüf.-Anst. a. Kais. Botan. Garten in Peters- burg. 1914. Bd. 2. Heft I. 554 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 35 sich Herr Claraz wie folgt. Die nachstehenden Pflanzen sind nebeneinander dort üblich zur Fladen- bereitung: Bromus Mango Desv. jetzt nur noch auf der Insel Chloe erhalten, Bromus unioloides W'illd. in 2 Kulturarten brevis und montanus, die Mandioca, die das Cassavebrot gab, Dolichos gly- ccnoides, Knollen eines Tropaeolum, Früchte der Araucaria imbricata und natürlich auch Mais. Es sind also 8 Pflanzen seit uralten Zeiten bis heute in Südamerika gebräuchlich, unter denen Bromus Mango die wichtigste war bei den Eingeborenen Chiles — alles keine Brot- sondern Brei- und I'ladenfrüchte. Dies versetzt uns in die Zeit, da der Mensch die zu Fladen und Brei geeignetsten Früchte suchte. Ihr folgte ein Zeitraum der Benutzung des Getreides im engeren Sinne, der die Misch- frucht oder das Mengekorn angehört. Es kann aus diesem Übergang unschwer auf höhere An- sprüche geschlossen werden. In dem Umschwünge zu Brot wird nämlich erkennbar, wie die erhöhten Anforderungen sich gleichzeitig dem gliadinhaltigen Getreide zuwenden , also dem eigentlichen Brot- getreide. Die Gerste und der Hafer scheiden bald aus, es folgt der Kampf um das Weizen- und Roggenbrot, in dem zweifelsohne der Weizen Sieger bleibt. Hafer, Mais und Reis taugen gar nicht zur Brotbereitung. Entweder enthalten sie keinen alkohollöslichen Eiweißstofif, oder wenn sie ihn besitzen wie der Mais, so unterscheidet er sich stark von dem eigentlichen Gliadin der Gerste, des Weizens und des Hafers. Das Übergewicht erlangt schließlich der Weizen mit seinem aus- waschbaren Kleber. Setzen wir die brotlosen Breivölker den Brotvölkern entgegen, so nicht mindern Rechts die Roggen- den Weizenvölkern. Parme ntier ') spricht zwar vom Brote über- haupt, aber er meint mit seinem Lob des Brotes das Weizenbrot, das er ,, großmütiges Geschenk der Natur — nennt — durch keine andere ersetz- bare Nahrung". Das Brot ist ihm „so sehr un- serer Verfassung angemessen, daß, kaum geboren, wir ihm unsere ausgesprochene Gunst zuwenden und nachher im ganzen Lebenslauf seiner niemals überdrüssig werden". Beharrlich drang seitdem der Weizen in Mitteleuropa vor, von West nach Osten und von Süden nach Norden. Er wird zur wichtigsten Brotfrucht. Der lachende Erbe nimmt es als selbstverständlich hin und so stark ist er mit ihm verbunden, daß er ihn nicht hinwegdenken kann. Gleich Parmentier ist darin, wie N o r r i s und Crookes zeigen, unter Engländern wie Amerikanern eine nicht geringe Überhebung be- merkbar. Die Weizenfrucht wächst zur Größe heran, die den schwankenden Wert der Gegenwart überdauert; die Geschlechter vergehen, der Weizen bleibt. Mächtiger als ihre Habgier und ihr Ehr- geiz lindert die kalifornische Weizenflut die ') Ant. Aug. Parmentier, Avis aux bonnes raenageres des villes et des campagnes .... de faire leur pain. Paris 1772- 95- Hungersnot der Alten Welt. An der Weizenernte offenbart sich dem amerikanischen hervorragenden Erzähler Norris^j die Verkettung der Wirtschaft mit dem Fortschritt, in der „alle Dinge unbedingt und unwiderstehlich zusammenwirken für das Gute". In der Schilderung der Kämpfe der Eisen- bahngesellschaft mit den Weizenbauern kann der gewissenlose Spekulant den Weizenmassen nicht entrinnen. Er der den Bauer zugrunde gerichtet, gräbt sich selber in der Schiffsladung seines eige- nen Spekulationsgegenslandes eine namenlose Gruft. . . . „Aber der \\'eizen blieb. Unberührt, unangreifbar, unbefleckt, bewegte sich diese welt- erhaltende Kraft, diese Ernährerin der Völker . . . jeden Widerstand überwindend in den ihr ange- wiesenen Bahnen. . . Die reiche Ernte rollte wie eine Flutwelle . . . von der Sierra nach dem Hima- laya, um tausende der auf den kahlen Ebenen Indiens verhungernden Vogelscheuchen zu füttern." — Crookes-) spricht in seiner berühmt gewor- denen Rede die Befürchtung aus, der Weizen könnte uns fehlen. Er verweist auf den Luft- stickstoff, der die Gefahr vermindern wird. „Wir sind geborene Weizenesser. .Andere Völker un- streitig an Zahl uns überlegen, doch augenschein- lich von uns verschieden in wirtschaftlichem und geistigem Fortschritte verzehren Mais, Reis, Hirse und anderes Getreide; doch keines der Früchte hat den Nährwert, die verdichtete gesundheit- erhaltende Kraft des Weizens und unzweifelhaft erweist sich in der angesammelten Erfahrung der gebildeten Menschheit der Weizen allein als die passende eigentliche Nahrung zur Entwicklung der Muskeln und Fähigkeiten." Die Vorzüge des Weizenbrotes sind wohlbe- kannt. Lange bevor die Gesundheitspflege dies feststellte, hat die Technik getrachtet immer voll- kommener den Weizen von der Spreu zu sondern, immer weißeres Brot zu erzeugen , darin dem dunklen Drange des Menschen gehorchend. Das eigene Werk ist heute der Technik zur Verlegen- heit, zur wahren Plage geworden. Wir stehen augenscheinlich vor einem neuen Abschnitt der Brotgeschichte, denn die I*"in kl er- sehe '■') nasse Vermahlung der Kleie liefert ein Vollkornbrot, das als Nahrungsmittel dem weißen Brote ebenbürtig ist. Kehrt somit die Technik in gewissem Sinne zu ihren Anfängen zurück, so ist die Frage zeitgemäß: der Kampf, der zugunsten des Weißbrotes ausfiel, wie stellte er sich dar in den Köpfen derer, die ihn erlebten, als die an- gebaute und verbrauchte Menge des Roggens noch nicht so weit wie heule hinter dem Weizen zurückstand ? ') Frank Norris, D. Epos d. Weizens. Teil 1. Der Dctopus. E. Geschichte aus Kalifornien. Deutsche Übers. 2. Aufl. Stuttgart 1907. 707. ») Sir William Crookes, The Wheat Problem. Lon- don 1S99. 3 u. 34, sowie Prcsid. .Address to the British .Assoc. f. Advancemcnt of Sc. 189S. Bristol 1898. ■') Kinklcr, Die Verwertung des ganzen Korns zur Brotbercitung. Bonn 1910 m. I Taf. und auch Hygien. Rund- schau 1910. N. F. XIV. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 555 Das Weizenbrot als Gebäck für besondere An- lässe ist natürlich viel älter als sein jetziger allge- meiner Gebrauch. Es wurde anfangs nicht im Hause bereitet; es war sog. F"eilbrot, es mußte im Kramladen geholt werden und wurde von jeher vom Wirte den Gästen vorgelegt. Daher der Volkswitz: mit dem Weißbrote kann man das Schwarzbrot sparen. Um sich ein Gutes zu tun, holt man noch jetzt auf dem Lande in der Schweiz aus dem Wirtshaus etwa ein Weißbrot. ^) Es gab zwar noch andere käufliche Brotarten, doch waren sie auf die Städte beschränkt, Staub er- wähnt z. B. das Foggenzerbrot des 15. und 16. Jahrhunderts, das von Rechts wegen die Mitte hält zwischen dem Kleingebäck aus Semmelmehl, der Feiler und dem Ruchbrote, dem Bauern- oder Landbrote. Wie heute so hieß es in alten Zeiten : Ruchbrot b'schüßt besser (d. h. hält länger vor) als Weißbrot. Nach dem vortrefflichen Werke d'Aussy's'-) waren die Ansprüche der Franzosen schon im 16. und 17. Jahrhundert sehr hoch, das Beuteln des Mehles ganz allgemein und groß die Zahl der Brotsorten. Rabelais'') spricht vom gros pain balle, d. i. vom Brote aus geringem Korn, das die ganze Schale enthält. Es ist das Brot der Dienstleute im Gegensatz zu feinem Brot „das die Bäcker selber nicht essen sollten". Schon vor 200 Jahren verlangte der Städter in Frankreich Weißbrot. Von der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts heißt es: sie kennen fast nichts anderes als Weizenbrot, die Reichen wür- den Mangel leiden, hätten sie nicht feinstes Mehl (fine fleur). Aber ganze Provinzen leben von nichts anderem als von Roggen-, Gersten- und Buch- weizenbrot ; die Bauern müssen mit Hafer und Hirse vorlieb nehmen, von Erbsen, Bohnen und anderen Hülsenfrüchten sich nähren. Die Vor- züge des Roggenbrotes waren den französischen Forschern keineswegs verborgen. Seinen kräftigen Geschmack rühmt Parmentier,*) nach ihm hätte dies gewürzhafte Brot Veilchengeruch, bliebe längere Zeit frisch ohne Einbuße am Geschmack. Nach den Quellen, die Balland^) erwähnt, war man zur Zeit der französischen Revolution nicht mehr gewöhnt drei Brotsorten zu backen , die zufolge Olivier de Serres' und der Zeitge- nossen ,, allem Anscheine nach die drei Stände unterscheiden sollten; es gibt jetzt nur eine Brot- sorte, die indessen in der Gestalt und Größe und im Preise verschieden ist. Selten ist das Mittel- brot (pain bis-blanc), noch seltener das Schwarz- brot (pain bis); alle Käufer verlangen nachdrück- lich Weißbrot, so daß heute die Hauptnahrung ') Fr. Staub, Das Brot im Lichte Schweizer-deutscher VoUcssprache und Sitte. Leipzig 1868. 118, 124 ff. ^) Le Grand d'Aussy, Histoire de la vie privee des Fran(;ois. Nouv. ed. Paris 1S15, Bd. I, 104. ^) Fr. Rabelais, Gargantua. Livre l. Ch. 25. Ausg. V. L. Moland. Paris o. J. 50. (D. ganze Kapitel handelt von Bäckern.) *) A. A. Parmentier, 1. c. 62 u. A. Bailand (in s. Werke über Parmentier) 1. c. 107. 6) A. Bailand, 1. c. 109 ff. des Herrn und des Dieners, des Arbeiters wie des Armen aus dem gleichen Mehle gebacken wird." Ball and bemerkt dazu, daß 30 Jahre genügten — ungefähr vom Jahre 1774 bis 1804 — um dies zu bewirken. Das damalige Brot ist sehr ähnlich, wenn nicht gleich demjenigen gewesen, das wir heute genießen. Die Forschung gab der Volks- meinung recht, denn den Streit um das beste Brot entschieden die französischen Forscher Duhamel, Malouin') und Parmentier seit Mitte des 18. Jahrhunderts zugunsten des Weizen- brotes. Alle Romanen und Anglosachsen sind Weizenbrötler, ebenso ein Teil der Slaven, ferner die Süddeutschen und die Schweizer. Deutsch und Welsch unterschied sich bis in die neueste Zeit durch sein Brot, es war ein Gegensatz der Völker fast der W'eltanschauung. Der bedeutende Parmentier hält das norddeutsche Schwarzbrot und den Pumpernickel nicht streng auseinander. Nach diesem (apres cependant le bonpernickel) ist ihm das schlechteste Brot das aus Buchweizen be- reitete. Während des siebenjährigen Krieges fünf- mal gefangen genommen und jedesmal gegen andere Gefangene ausgetauscht, lernte er alle Brote kennen und nicht nur von ungefähr das Brot der Gefangenschaft. Er erzählte „die überaus geschickten Husaren nahmen mir nichts fort mit Ausnahme der Kleider und des Geldes". Er be- klagte das mangelhafte Mahl- und Backverfahren des Pumpernickels. „Dieses abscheuliche Brot sei nicht schuld daran, daß die Westfalen stark und leistungsfähig werden, denn sie füllen sich den Magen ohne Aufhören mit anderen kräftigen Speisen, essen von dem Brote kaum ein halbes Pfund im Tag." Die heutige Gesundheitspflege (vgl. besonders K. B. Lehmann) gab ihm durchaus recht. Wie wertvoll jedoch der Pumpernickel dem Yolke ist, beweist das zähe Festhalten an der Überlieferung. Die mit dem Volke lebenden stellen ihm das beste Zeugnis aös. Pfarrer L'Houet -) meint, das sei kein Bäckereierzeugnis, und kein Bäcker darf sich rühmen, es etwa erfunden zu haben. „Alle arbeiten an ihm wie am Volksliede seit Jahrhunderten. All die Abwechslung in den Brotsorten, gar all die Erzeugnisse der Berufs- bäckerei, an denen wir uns erfreuen und verderben: nichts von alledem! Stets nur das eine vortreff- liche Thema I Schwarzbrot und Volkslied haben eine Geschichte hinter sich, die in ihren Entwick- lungsgrundsätzen merkwürdig ähnlich ist." Man mag davon noch so viel der blinden Schwarzbrot- liebe zugute halten, soviel ist sicher, solcher Gegen- satz läßt sich nicht überbrücken. Den adligen Plüchtlingen der französischen Revolution , den Soldaten der großen Armee, den Gefangenen des ') Duhamel du Monceau, Traito de la conservation des grains etc. Nouv. ed. Paris 1754. Malouin, Beschrei- bung der Müller-, Nudelmacher- und Beckerkunst. Deutsche Übersetzung. Leipzig 1769. ^) A. L'Houet, Zur Psychologie des Bauerntums. Tü- bingen 1905. 39. 556 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 35 Krictjes der Jalire 1870/71 bis zu denen dieses Jahres, ihnen allen, die nach Norddeutschland ge- langten, war ,, unser täglich Brot" nicht gut genug. Klend kamen sie daher, Schwarzbrot aßen sie nicht und die Mildtätigkeit mag da manchmal in hellen Zorn umgeschlagen haben. In der Campagne in F" rankreich 1792 nennt Goethe ') Schwarz- und Weißbrot das Schiboleth der Deutschen und Fran- zosen und aus jener Zeit stammt sein „Soldatentrost". Er erzählt auch wie einem jungen Franzosen die Bescheidenheit zum billigen Mittagessen ver- half. „Dies ist der erste von diesem vermaladeiten Volke — rief der Wirt aus — der schwarz Brot gegessen, das mußte ihm zugute kommen." Im Brotsack trug der napoleonische Soldat ein kost- bares Gut, sein Weizenbrot. Aber auf weiten Strecken der vielen von ihm eroberten Länder war es gleichbedeutend mit Reichtum, den man sich nicht leisten kann. Ahnlich bringt noch heute der polnische oder russische Bauer Weiß- brot vom Markt heim für die Wöchnerin oder das kranke Kind. Die Mißachtung des Weizen- brotes galt für ein Zeichen der Üppigkeit und des Übermuts, deren höchste Staffel „die freche Buhle" ersteigt in A d. v. Chamisso's Gedicht von der versunkenen Burg, denn „sie geht einher auf Schuhen von feinem Weizenbrot". Die Denk- würdigkeiten jener Zeit berichten von Rußland, Polen und anderen Ländern , wie häufig die Be- völkerung ihr Brot verachtet sah, es dem Eroberer nicht vorzusetzen wagte. So erzählt Bo u rgogn e von einer Dame, die in Moskau im Jahre 181 2 ihm ein Stück Brot schenkte, „das schwarz wie Kohle war und außerdem voll Stroh. Ich bot meiner- seits höflich ein Stück Weißbrot des Regiments. Die Dame zog sich beschämt zurück und ich lachte herzlich über den Fall''. Es lassen sich viele Be- richte über dergleichen Vorfälle herbeiziehen. -) Wie lehrreich diese Angaben auch sind, so klären sie die Unterschiede der Mehlgüte nicht auf, sie lassen im Ungewissen über die Brotbe- reitung u. a. m. Einen Maßstab erhalten wir beim Vergleiche alter und neuer Soldaten- und Kriegsbrote. Vom Soldatenbrote kann man nicht annehmen, daß es besser ist als das Mittel des jeweils üblichen Landbrotes. Aber als Massen- erzeugnis gibt es Ansprüche wie Gewohnheit des Volkes wieder und es ist wichtig sowohl, was der Staat darin einräumt als was er verweigert. Über den Wandel in der Brotnahrung des Soldaten sind wir sehr gut unterrichtet. In Frankreich schlug man schon anfangs des 18. Jahrhunderts einen geringen Kleieabzug vor. ■ Doch blieb das Kommißbrot bis zum Jahre 1794 ein Brot aus ') V. a. Bemerkungen darüber in Goethe's Werken. Vollst. Ausg. letzter Hand. Stuttgart-Tübingen 1829. 30. Dd. 84 u. 212. *) Momoires du Sergent Bourgogne 1812 — 13. Paris (Ilachcttc) 1909. 13. 14; ferner 38, 55, 163 u. a. a. .Stellen sowie Cahicrs du Capitaine Coignet 1776 — 1850, hcrausg. v. Loredan Larchey. Paris igil. 23, 134 u. 139; wie trotz des Schwarzbrotes der Deutsche dem Franzosen überlegen war, vgl. S. 148. ganzem kaum gereinigten Korn. Hier setzt das edle Bemühen Parmentier's ein. Es berichten über die ältere Zeit bis zum Jahre 1858 Malouin 1. c, B a 1 1 a n d in seinem Werk über Parmentier und Poggiale. ^) Diesem ergab der Vergleich des Soldatenbrotes der Großmächte, daß im Jahre 1858 In-ankreich das beste besaß, nämlich ein Weizenbrot mit 20 v. H. Kleieabzug. Die Ver- besserung reicht auf das Jahr 1798 zurück, die Einzelheiten wie Rückkehr zum groben 15rot im Jahre 1830 u. a. m. behandelt Bailand. Frank- reich ging auch heute allen übrigen Mächten des Festlandes voraus, — bis zur Übertreibung darin den Wünschen der Bevölkerung nach immer weißerem Brot folgend. Unter dem Einflüsse lobenswerter y\bsichten wurde endlich im Jahre 191 2 die Ausbeute für das Soldatenbrot von 80 "/„ auf 70 "/g erniedrigt. „Die Folge ließ nicht lange auf sich warten, die Brotmenge ist überall unge- nügend, der Soldat kann seinen Hunger nicht so gut stillen wie früher." Balland'-) meint dann weiter: „Das übertriebene Beuteln breitet sich mehr und mehr aus und erreicht heute 50 "'„ des Kornes, während vor nicht ganz 50 Jahren man auf dem Land lOO kg Weizen 85 "/(, backfähigen Mehles entzog." Er empfiehlt daher Rückkehr zum Hausbrot, zum Mittelbrot, und dies nicht nur dem Soldaten , sondern dem Weizenbrötler über- haupt. Während des gegenwärtigen Krieges be- kümmerten sich die Behörden auch um die Brot- kost der Zivilbevölkerung. England und Frank- reich ließen alles beim alten, Italien schrieb Brot vor aus Mehl 80 er Ausbeute, die Schweiz solches 85 er Ausbeute. Beide sind noch immer gutes Weißbrot, schmackhaft und wohlbekömmlich. F.s wäre zu begrüßen, wenn die Bevölkerung diesem Brote treu bliebe. Aber die Länder des Weiß- brotes verstehen unter Brot schlechtweg mehr und mehr ein Gebäck, das auf höchstens 65 "jg ja auf 50 und 40 "/g gebeutelt ist. Es ist daher kaum zu erwarten, daß dieser Übertreibung gegen- über der Ruf Balland's die Brotesser zur Ein- kehr zwingt. Nach wie vor werden die übrigen 20 bis 30 % des gut backfahigen Teiles des Kornes an das Vieh verfüttert in Gestalt der sog- Schwarzmehle. Auffallend langsam bessert sich das Roggen- brot des Soldaten. Die Geschichte des deutschen Kommißbrotes neuerer Zeit schildern Plagge und L e b b i n , viele Analysen nebst Beschreibungen liefert Balland, sowie Laffon, eine allgemeine Besprechung Lehmann.'') In den Lehmann- ') Poggiale . . . ., Sur le pain de troupes des puis- sances europeennes. Paris 1858. Für die ältere Zeit A. A. Parmentier i. d. Auszügen bei A. Balland, La chimic alimentaire dans l'oeuvre de Parmentier. Paris 1903. ^) A. Balland, Revue scientifuiue 1914, Jahrg. 52, 1. 233. ^) l'lagge und Leb bin, Unters, ülier d. Soldatenbrot. Berlin 1897. 18; ff. A. Balland, 1. c. und Les Alinicnts Bd. I. Paris 1909. Giuseppe Laffon, Panificazione. Encicl. agrar. ita- liana. Turin iSSo — 82. 422. K. B. Lehmann, Vierteljahrsschr. f. öffentl. Gesundhcits- pHege 1893, 26. S. 3 des S.-A. N. F. XIV. Nr 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 557 sehen Arbeiten wird die unglaubHche Verunreini- ) Halb faß, Der Arendsee in der Altmark. Teil II. Mitt. des Ver. f. Erdkunde zu Halle. 1897. Derselbe, Die Thermik der Binnenseen und das Klima. Peterm. Mitt. 1905, 10. Derselbe, Ergebnisse neuerer simultaner Temperatur- messungen in einigen tiefen Seen Europas. Peterm. Mitt. 19 10, II, 2. Vgl. Temperaturmessungen in tiefen Seen in ihrer beziehung zur Klimatologie. Diese Zeitschr. N. F. Bd. VIII, 25, 1909. Einen etwas anderen Weg schlug Woeikoff^) ein. Er berechnete nach einer rohen Schätzung zuerst die mittlere Tiefe des Ladogasees, dann suchte er sich klar zu machen, wieviel vom Ge- samtvolumen die Schichten von O — 50 m und von 50 — 200 m davon ausmachten und diese Ver- hältniszahlen multiplizierte er zunächst mit der wahrscheinlichen mittleren Temperatur je dieser beiden Zonen, gewann dadurch den Zuwachs von Kalorien per qdm für jede einzelne Schicht und multiplizierte schließlich diese Zahl mit der mitt- leren Tiefe des Sees. Dasselbe Verfahren, nur etwas verfeinert durchgeführt, haben nach ihm E. M. Wedderburn^) und S. A. Birge'"") an- gewandt, dessen neueste Publikation über diesen Gegenstand die unmittelbare Veranlassung zu dieser Studie geworden ist. Das Wesentliche an dieser Methode ist offen- bar die Berücksichtigung der spezifisch morpho- metrischen Gestalt der Seen; insofern stimmt sie völlig mit der von mir angewandten überein. Ebenso hat sie auch den Begriff der Mitteltempe- ratur, den ich in meinen Arbeiten geprägt habe, beibehalten. Ob man diese nun dadurch berech- net, daß man den Prozentsatz der einzelnen Tiefen- zonen am Gesamtvolumen mit ihren mittleren Tem- peraturen multipliziert und die einzelnen Resultate addiert, wie dies Birge getan hat, oder ob man die \'olumina der Tiefenzonen nach der Multipli- kation mit der mittleren Temperatur durch das Gesamtvolumen dividiert, wie ich, kommt sachlich natürlich auf dasselbe hinaus. Auf der anderen Seite hat die Methode Woeikoff-Birge mit derjenigen von Forel das gemeinsam, daß sie die Veränderungen des Wärmeinhaltes nicht auf des Volumen des Sees bezieht, sondern auf seine Oberfläche bezieht, und zwar stets auf die gleiche Fläche eines Ouadratzentimeters. Dadurch besitzt sie gegenüber der von uns angewandten Methode den unleugbaren Vorzug, daß mittels ihrer ein Vergleich aller Seen miteinander möglich ist, deren Wärmebudgets durch eine ausreichende Zahl von Messungen feststeht. Da zugleich die Oberfläche eines Sees die Grenzschicht ist, auf welcher sich aller Austausch von Wärmeeinheiten zwischen Luft und Wasser vollzieht und in der Hauptsache auch nur auf diesem Wege vom See Wärme erhalten oder abgeben kann — die ein- zige Ausnahme von Bedeutung ist die Erhöhung der Temperatur der tiefsten Schichten tiefer Seen *) B. Amberg, Limnologische Untersuchungen des Vier- waldstättersees. I. Optische u. therm. Untersuchungen. Mitt. der Naturf. Ges. Luzern. 1904. ') Der jährliche Wärmeaustausch in den nordeuropäischen Seen. Zeitschr. für Gewässerkunde. Bd. V, Heft 4, 1902. ') The Temperature of Scotland lakes. , Bathym. Survey of the Eresh Water Lochs of Scotland. Vol. I. Edinburgli 1910. '') E. A. Birge und Ch. Juday, A limnological study of the Finger lakes of New York, Bull of the bureen of Eis- terien. Vol. XXXII, 1912. Document N. 79, 27. X. 1914 und E. A. Birge, The heat budgets of American and European lakes. Trans, of the Wisconsin Academy of Sciences , Arts and Letters, Vol. XVIII, part. I. Madison, Wis. 1915. N. F. XIV. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 563 durch die Bodenwärme — , so gebe ich fortan die von mir benutzte Methode zugunsten jener preis, sie als die zweckmäßigere anerkennend. Daß es von keiner ausschlaggebenden Bedeutung ist, die tägliche Zu- oder Abnahme der Wärme- kalorien von Seen miteinander zu vergleichen, da ein und derselbe Wärmeinhalt eines Sees sich in den einzelnen Jahreszeiten, namentlich im Früh- jahr, oft nach Monaten noch sich wiederholen kann, gebe ich ohne weiteres zu, aber dieser Vor- wurf Birge's kann der nach jeder Methode auf- gestellten Wärmebilanz, die mit Tagen rechnet, gemacht werden. Auch läßt sich natürlich der tägliche Wärmegewinn bez. Verlust kleiner Seen nicht ohne weiteres mit demjenigen großer Seen miteinander vergleichen, wenn man bei dem nach unserer Methode ermittelten totalen Wärmeinhalt der Seen stehen bleibt. 7 Milliarden Wärmeein- heiten täglicher Zunahme in Loch Garry und 3400 Milliarden in Vättern sind allerdings dispa- rente Zahlen; dividieren wir sie aber durch die Volumen der beiden betreffenden Seen, so finden wir, ist die tägliche Zunahme der Loch Garry 67, die des Vättern 47 Millionen Einheiten pro cbm betrugen, das sind Zahlen, die sich recht wohl miteinander vergleichen lassen und — wenn auch in beschränktem Umfang — Schlüsse auf ver- schiedenartige Intensität der Erwärmung zulassen. Bevor wir auf die Ergebnisse der von Birge aufgestellten Wärmebudgets einer Reihe von Seen, deren Zahl er durch Messungen in nordamerika- nischen Seen vermehrt hat, näher eingehen, er- scheint es angebracht, auf zwei Schwierigkeiten hinzuweisen, die sich dabei notwendig heraus- stellen, gleichgültig, welche Methode man bei ihrer Berechnung benutzt. Die eine besteht darin, den Zeitpunkt abzupassen, in welchem ein be- stimmter See seinen geringsten und seinen größten Wärmeinhalt besitzt, weil davon natürlich die Summe der empfangenen resp. abgegebenen Wärmeeinheiten wesentlich abhängt. In vielen Fällen rühren erhebliche Unterschiede in den Wärmebildungen eines und desselben Sees, welche sich in verschiedenen Beobachtungsjahren einge- stellt haben, einfach daher, daß jener Moment verpaßt wurde, so daß dadurch die Bilanz in dem einen oder dem anderen Falle zu klein aus- fiel. Es leuchtet ein, daß die höchst erreichbare Zahl abgegebener bzw. gewonnener Kalorien ein Optimum darstellt, das nur unter günstigen Glücks- umständen erreicht werden kann, in der Regel aber nicht erreicht wird. — Es läßt sich diesem Übelstande nur dadurch begegnen, daß man in den kritischen Zeiten, in denen man Maxima resp. Minima des Wärmehaushaltes erfahrungsmäßig erwarten kann , häufige thermometrische Tiefen- lotungen veranstaltet und aus den Ergebnissen das Minimum bzw. Maximum heraussucht, ein Verfahren, welches unter Umständen genau so zeitraubend und kostspielig ist, wie dasjenige, mit welchem man die zweite Schwierigkeit zu über- winden trachten muß. Diese Schwierigkeit beruht auf der zuerst von Th oulet beobachteten, dann aber vonWatson und Wedderburn genauer untersuchten') und einer mathematischen Behandlung unterworfenen Tatsache, daß die Temperatur eines Sees in einer bestimmten Tiefe an derselben Stelle gewissen periodischen Schwankungen unterliegt, deren Amplitude je nach der Tiefe, der Jahreszeit, der morphometrischen Beschaft'enheit, eine sehr ver- schiedene sein kann. Man kann diese Tatsache auch so ausdrücken, daß man sagt, ein und die- selbe Temperatur führt an derselben Stelle eines Sees periodische Schwankungen in vertikaler Rich- tung aus. Ein Beispiel mag die Sache selbst näher ausführen und zugleich zeigen, welchen Einfluß sie auf die Aufstellung von Wärmebudgets eines Sees ausübt. Am 12. August 1910 betrug die Temperatur im Madüsee an einer bestimmten Stelle nach seinem Nordende zu in 15 m Tiefe um 4''2i^ 8,2", um I4''2i^, also 10 Stunden später, genau an der gleichen Stelle 16,6". Die Mitteltemperatur in dieser Gegend des Sees war in diesen 10 Stunden um rund 2" gestiegen ; berechnet man danach die Zahl der Kalorien auf i qcm der Oberfläche, so ergeben sich in dem einen Falle 23 000, im an- deren Falle 28000 Kalorien! Hätte man die Messungen um 4*^2 1^ desselben Tages am Südende des Sees verwertet, so wäre man beinahe zu dem gleichen Resultat gekommen , als die Messungen um i6''2i am Nordende ergeben haben. Und weiter: Die Mitteltemperatur derjenigen Schicht , in der sich die meisten Veränderungen in der Wärmeverteilung vollziehen , die Sprung- schicht lag am 12. August 4''a in der Nordhälfte bei 10,8", in der Südhälfte bei 15,3", dagegen am II. August I2''a, also 16 Stunden früher bei 15,7" gegen 10,6", also gerade umgekehrt. Schon aus diesem einen Beispiel geht klar hervor, daß Zeit und Ort der thermometrischen Lotung bei der Berechnung des Wärmebudgets eine wichtige Rolle spielen, die Birge in seinen Ausführungen im allgemeinen entschieden unterschätzt. In einem bestimmten Fall freilich ist auch er genötigt, die Bedeutung der thermischen Reihe anzuerkennen. Es handelt sich um die Temperaturmessungen im Mjösensee im Sommer 1901, welche eine Zunahme der Mitteltemperatur um 1,65" vom 26. Mai bis zum I. Juli und eine weitere um 1,14" von da bis zum 7. August ergeben würden, woraus eine durchschnittliche tägliche Zunahme von 858 resp. 576 Kalorien folgen würde, während die Zunahme vom 17. April bis 26. Mai täglich nur 215 Kalo- rien, also Vs — V4 jener Zahl betrug. Nun sind die Messungen im Mjösensee südlich von der Insel Helgöen gemacht worden, nahe dem Südende des Sees, weil sich dort die größten Tiefen des Sees befinden. Die Wirkungen der thermischen *) Vollständige Lileraturangaben über diesen Gegenstand findet man in meiner Studie ,,Die thermische Seiche". Ger- land's Beiträge zur Geophysili XII. Bd., i. Heft. Leipzig 1912. 5^4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 36 Seiches, die ja in der Hauptsache auf Aufstauen und Abfluten des Wassers durch Wind beruhen, äußern sich natürlich an den Enden der Seen weit intensiver als in der Mitte und so sind wahrschein- lich die Messungen dort zweimal gerade zu einer Zeit erfolgt, als die warmen Wassermassen aus dem Norden nach Süden drängten. Würden sie eine gewisse Anzahl Stunden später oder früher gemacht sein, so würden sich wahrscheinlich in der kritischen Zone erheblich geringere Tempe- raturen und also auch eine erheblich geringere Zahl von Kalorien pro qcm ergeben haben. Diese Annahme hat deswegen einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit für sich, weil sämtliche Wärme- bildungen anderer Jahreshälften für den Mjösensee unter sich gut übereinstimmen und nur diejenige des Sommers 1901 einen abnorm hohen Betrag erreicht, der sich eben nur durch die Wirkung der thermischen Seiche erklären läßt. In Seen , welche ihre maximale Tiefe in der Mitte besitzen, ist ihr Einfluß naturgemäß weit geringer und eine einmalige thermische Lotung dürfte zur Konstatierung des Wärmeinhaltes des Sees zur Not genügen. Nur muß man sich stets vor Augen halten, daß die Querschnitte gleicher Temperatur nur selten der Oberfläche parallele Ebenen sind, sondern meist mehr oder minder stark gekrümmte komplizierte Flächen. Im Hoch- sommer und Herbst pflegen die in der Mitte befindlichen Wassermengen durchschnittlich kühler zu sein, als die an den Rändern befindlichen, im Frühjahr ist meist das Gegenteil der Fall. So betrug am 13. Juli 1896 die Oberflächentemperatur des Baikal über 900 — 1500 m tiefen Wasser 3,2" bis 3,6", am 17. Juli, also nur 4 Tage später in der Tschivirkuibucht über Tiefen von 4 — 7 m dagegen 19" bis 20,4", also etwa 17" mehr. Ähn- liche Extreme werden z. B. auch vom Michigansee und vom Aralsee berichtet, wo eine schmale Rinne tieferen Wassers sich unweit seines Westufers entlang zieht. Namentlich in Seen, die in einzelne, ungleich tiefe, Becken zerfallen, sind diese Beobachtungen sehr häufig gemacht worden und die Berechnung des Wärmebudgets aus einer Messungsreihe an einen bestimmten Punkt des Sees, z. B. in der Gegend seiner größten Tiefe ist schon aus diesem Grunde für derartige Seen eine mißliche und jedenfalls wenig verläßliche Sache. Die geschil- derten Schwierigkeiten bei der F"eststellung des Wärmebudgets häufen sich in relativ flachen Seen , wo die kritische Zone ein verhältnismäßig größeres Gebiet einnimmt, als in tiefen Seen, sie sind übrigens so gut wie verschwunden in der Zeit, in der das Minimum des Wärmeinhalts auf- tritt, erreichen in manchen Seen ihr Maximum gerade in derjenigen Periode, in welcher das Wärmemaximum sich einzustellen pflegt, während dies allerdings in sehr tiefen Seen erst dann auf- tritt, wenn die Breite der Sprungschicht schon wieder in Abnahme begriffen ist. Aus allem Gesagten ergibt sich zur (icnüge. daß alle Feststellungen von Wärmebildungen in Seen sehr cum grano salis aufzunehmen und nur als recht rohe Schätzungen zu beurteilen sind ; nur in wenigen günstigen Ausnahmefällen, zu denen gerade die von Birge herangezogenen P'inger- seen des Staates New York zu gehören scheinen, können die Aufstellungen auf einen gewissen Grad von Exaktheit Anspruch erheben. Das bemerkenswerteste Resultat der Berech- nungen B i r g e ' s ist die Tatsache, daß das Wärme- budget von 33 europäischen und nordamerikani- schen Seen, deren geographische Breite, Höhenlage, Größe und Tiefe außerordentlich voneinander abweichen, sich im Mittel zwischen 21 000 und 40000 Kalorien pro qcm der Oberfläche bewegt und daß nur einige extreme Werte unter 20000 und über 40000 Kaloiien liegen. An der Spitze stehen von den europäischen Seen solche mit sehr bedeutender mittlerer und größter Tiefe: der Mjösen, Loch Nefs, Genfersee, gefolgt von Ladoga, Vättern, Gmundnersee, Loch Lochy, Zuger- see, Comersee, Lac du Bourget und Bolsenasee. Den Schluß bildet aber nicht etwa der David unter ihnen, der nur 5^3 qkm große Arendsee, vielmehr wird er im Gegenteil unterboten vom Würmsee, Bodensee, Zürichersee u. a. Die vier Fingerseen und Loch Green in Nordamerika be- sitzen, obwohl sie an Tiefe es höchstens mit dem Würmsee aufnehmen können, durchweg einen größeren Wärmeinhalt als ihre europäischen Ge- nossen, was besonders deutlich hervorgeht, wenn man die Wärmebudgets des Cayuga mit dem des Würmsees vergleicht, die beide ziemlich genau dieselbe Maximaltiefe und mittlere Tiefe besitzen. Der Cayuga gab im Winter 1910 — 191 1 38300 ab, im Sommer 191 1 36000 Kalorien aus, ver- konsumierte also im Durchschnitt 37 5000 Ka- lorien ; für den Würmsee sind die Werte im Winter 1893/4 22000, im Sommer 1894 25600 und im Sommer 1911^) 27000, im Durchschnitt also 24900 Kalorien, mithin weniger als -,3 derjenigen vom Cayugasee. Nun muß immerhin in Betracht gezogen werden, daß die Beobachtungszeiten nicht immer miteinander übereinstimmen, aber dieser Einwand fällt für den Sommer 191 1 fort, so daß tatsächlich das Budget des amerikanischen Sees sehr erheblich größer erscheint als das des Würm- sees. Mag das erheblich größere .Areal des Cayuga auch in die Wagschale fallen, die hauptsächlichste Ursache der Erscheinung dürfte in sogenannten äußeren Faktoren liegen, unter denen wir die- jenigen verstehen,'^) welche nicht auf der Be- schaffenheit des Sees selbst beruhen, sondern auf dem Zustand der Atmosphäre in der Umgegend des Sees. Die bekannten nordamerikanischen *) Von mir beredinet nach den MessuDj:;en von II. Am- mann. Physikalische und biologische Beobachtungen an ober- bayerischen Seen. Inauguraldissertalion der Techn. Hochschule München 1912. ') Halb faß, Temperaturmessungen in tiefen Seen in ihrer ISeziehung zur Klimatologie. Diese Zeitschr. N. F. VIII, 25. 20. Juni 1909. N. F. XIV. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 565 Sommer bewirlnährung das Calcium nicht notwendig gebrauchen, liegt die P>age nahe, ob auch die Blaualgen dieses Element entbehren können. Nach Schindler wachsen sie in Calcium-haltigen und in Calcium-freien Lösungen gleich gut, während sie nach Maertens ohne Calcium keine Ent- wicklung zeigen. Wahrscheinlich waren in den Kulturen von Schindler doch Spuren von Cal- cium vorhanden, die den geringen .Ansprüchen der Blaualgen genügten. Doch bedarf die Frage m. E. noch weiterer Prüfung. Eine andere umstrittene Frage ist die, ob die Blaualgen zu einer ganz oder halb-saprophytischen Lebensweise befähigt sind, sich also ausschließlich oder vorwiegend von organischen Substanzen er- nähren können. Es gibt einige ökologische Be- obachtungen, die dafür sprechen. So vor allem ihr Vorkommen in verschmutzten Gewässern, wo sie sich gelegentlich in großen Mengen zu sog. „Wasserblüten" entwickeln. Wie Kolkwitz an einem Beispiel auseinandersetzt, ist für diese Massen- entwicklung die Gegenwart reichlicher organischer Störte eine wesentliche Vorbedingung. In gleicher Richtung liegt die von mir gemachte P'eststellung, daß auf dem Marschboden die Blaualgen weit häufi- ger und mannigfaltiger sind als auf Sandboden. Endlich seien die von Buder und Pascher be- schriebenen Symbiosen von Blaualgen mit Spalt- pilzen und Flagellaten erwähnt. Die Algen sind hier in eine den Uauptorganismus umgebende Gallerthülle eingebettet, und es liegt die Annahme nahe, daß sie von den Zerfallsprodukten der Gallerte wenigstens einen Teil ihres Stoffwechsels bestreiten. Exakte Versuche über die Frage hat Prings- heim angestellt. Er benutzte dazu die von ihm erstmalig in absoluten Reinkulturen gewonnenen Arten, was seinen Ergebnissen erhöhten Wert ver- leiht. Es galt zunächst festzustellen, ob die Blau- algen durch organische Stoffe in ihrem Wachstum mehr gefördert werden als durch anorganische. Zu dem Zweck prüfte Prin gsheim die Wirkung verschiedener Säuren, höherer Alkohole, Kohle- 568 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 36 hydrate und stickstoffhaUiger Verbindungen. Daß die letzteren zum Teil gut ausgenutzt werden, habe ich schon oben erwähnt. Pepton und Aspara- gin übertrefien in ihrer Wirkung das Kaliumnitrat, aber im allgemeinen wird den organischen .Stickstoft- verbindungen kein Vorzug vor den anorganischen eingeräumt. Im übrigen wurde ein Teil der ge- prüften Substanzen bei geeigneter Konzentration anscheinend von den Algen verwertet, jedenfalls breiteten sich die Fäden in den betr. Kulturen mehr oder minder gut aus; aber eine deutliche Förderung im Vergleich mit rein mineralischer Ernährung ergab sich nur bei Glukose und Galak- tose. Danach ist die Wahrscheinlichkeit, daß eine heterotrophe Lebensweise möglich sei, nicht groß. Aber Pringsheini geht noch weiter. Wenn die Blaualgen den Kohlenstoft" der genannten Kohle- hydrate assimilieren köimten, müßten sie in einer, diese und geeignete Stickstoffverbindungen ent- haltenden Nährlösung auch im Dunkeln ge- deihen können, wo ihnen die Assimilation der Kohlensäure verwehrt ist. Es fand sich, daß sie zwar wochenlang am Leben blieben, aber nicht das geringste Wachstum zeigten. Pringsheim hält daher die Blaualgen für wesentlich ,,autotroph", unfähig zu saprophytischer Ernährungsweise. Nach meiner Ansicht ist die Frage noch nicht als endgültig entschieden anzusehen. Die ge- schilderten Versuchsergebnisse wurden nur an drei Arten, von denen zwei derselben Galtung an- gehören, gewonnen. Es wäre möglich, daß sich andere Arten den organischen Nahrungsquellen gegenüber wesentlich anderes verhalten. Wie die Fundorte der Blaualgen äußerst mannigfaltig sind — man denke beispielsweise an sterilen Sandboden einerseits und verschmutzte Gewässer andererseits — so weist vielleicht auch ihre Lebensweise große Verschiedenheiten auf Außer dem Wachstunr im aligemeinen hängen noch einige besondere Lebenserscheinungen mit der Ernährung eng zusammen. Da wäre vor allem die Färbung der Blaualgen zu nennen, die nicht nur bei verschiedenen Arten ungleich, sondern auch bei ein und derselben Art wechselnd ist. Dieser Farbenwechsel ist namentlich an Os- cillancii beobachtet und meistens auf eine Ein- wirkung des Lichtes zurückgeführt worden. Die Untersuchungen Schindlers, von denen an dieser Stelle früher bereits die Rede war '), haben aber ergeben, daß es sich um einen ernährungs- physiologischen Vorgang handelt. Das Gelbwerden der normalerweise blaugrünen Fäden wird durch Mangel an Stickstoff hervorgerufen und dement- sprechend durch Zufuhr neuer Stickstoffverbindungen wieder rückgängig gemacht. Das Wiederergrünen ') Vgl. Naturw. Wochcnschr. N. F. XII, S. 246, 1913. findet merkwürdigerweise auch im Dunkeln statt. Zu denselben Ergebnissen sind inzwischen Boresch und Prin gsh eim gelangt. Ersterer dehnte seine Versuche auf eine größere Anzahl von Arten aus und stellte ergänzend fest, daß die Neubildung der Pigmente nur in Gegenwart von Sauerstoff und am schnellsten bei einer Temperatur von 18—20" erfolgt. Weiter sind die Ernährungsverhältnisse von Bedeutung für die Bildung und Keimung der für die Mehrzahl der Blaualgen charakteristischen Sporen. Die Arbeit von Gl ade beschäftigt sich mit diesem Punkte eingehend. Während das vege- tative Wachstum in der vollständigen Nährlösung ein besseres ist als im Leitungswasser, ist die .Sporenbildung umgekehrt im Leitungswasser reich- licher. Sie wird also anscheinend durch Mangel an bestimmten Stoffen begünstigt. Die Keimung wiederum wird durch die Nährlösung befördert. Dabei sind nicht sämtliche Salze unbedingt erfor- derlich, sondern es genügt, eines der vorher im Minimum vorhandenen Salze hinzuzufügen. Wer- den die .'^Igen z. B. in einer Lösung kultiviert, welche Calciumnitrat in der geringsten zulässigen Menge enthält, und nach Ausbildung der Sporen in eine reine Calciumnitratlösung übertragen , so wird dadurch sofort deren Keimung angeregt. Das letztere gilt allerdings nicht von allen Arten. In dieser wie in anderer Hinsicht tritt innerhalb der Gruppe der Blaualgcn eine bedeut- same Mannigfaltigkeit der Lebensansprüche zutage. Manche Fragen harren noch der Lösung, und vielleicht ist es der Zukunft vorbehalten, bei den Blaualgen eine ähnliche Fülle biologischer Typen aufzudecken, wie sie bei den Bakterien schon entdeckt ist. Literatur. 1) E. Acton, Observations on the Cytologie of Uie Chroococcaccae. Annais of Bot. 28, 433-454, 1914. 2) K. Boresch, Die Färbung von Cyanophycecn und Chlorophyceen in ihrer .Xbhängigkeit vom Stickstoffgehalt des Substrats. Jahrb. f. wiss. Bot. 52, 145 — 185, 1913. 3) F. Esmarch, Untersuchungen üher die Verbreitung der Cyanophycecn auf und in verschiedenen Böden. Hed- wigia 55, 224-273, 1914. 4) R. Glade, Zur Kenntnis der Gattung Cylindrospcr- mum. Beitr. z. Biol. d. Pflanzen 12, 295 — 346, 1914. 5) K. Kolkwitz, Über die Ursachen der Planktonent- wicklung im Lietzcnsee. Ber. d. deutsch. Bot. Ges. 32, 639 bis 666, 1914. 6) H. Maertens, Das Wachstum von Blaualgen in mine- ralischen Nährlösungen. Beitr. z. Biol. d. Pfl. 12, 439 — 496. 7) A. Oes, Über die Assimilation des freien Stickstoffs durch AzoUa. Z. f. Bot. 5, 145 — 163, 1913. 8) h. Pascher, Über Symbiosen von Spaltpilzen und l'lagellaten mit Blaualgen. Ber. d. deutsch. Bot. Ges. 32, 339, 1914- 9) K. G. Pringsheim, Zur Physiologie der Schizophy- eeen. Heitr. z. Hiol. d. Pllanzen 12, 49 — lo", 1913. 10) B.Schindler, Über den Farbenwechsel der Oscilla- rien. Z. f. Bot. 5, 497—575. I9I3- N. F. XrV. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 569 Kleinere Mitteilungen. Dünenbildung und Strandroggen (Ammophila arenaria). In Nr. 25 dieses Jahrgangs der Naturw. Wochenschr. steht auf S. 393 in einer Mitteilung von H. Phi 1 i p psen-Flensburg „über natürliche Verbündete bei der Landgewinnung an den Nord- seeküsten" die Bemerkung: „Ist der Sandboden genügend erhöht, so wird er in Besitz genommen vom Strandroggen, Ammophila arenaria Link., der seine LIerrschaft selbst auf den Dünen be- hauptet." Auch in anderen Veröffentlichungen über Dünen habe ich die gleiche Auffassung an- getroffen, die große Ausgabe der Sey dlit z'schen Geographie bringt sogar eine schöne kolorierte Abbildung auf ähnlicher Grundlage. Jedoch fußt diese Beurteilung des Verhaltens vom Strandroggen zur Düne auf irrtümlicher Basis, und ich möchte einige Worte zur Richtigstellung mitteilen. Das Gras Ammophila wandert nicht erst später auf die Düne, sondern es findet sich vom ersten Momente dort, es ist eben der Anlaß zur Bildung der Düne. Wenn sich Sand hinter einem leblosen Objekte staut, kann der Haufen nicht mehr in die Höhe wachsen, sobald der obere Rand des Gegen- standes erreicht ist; dann weht eben der Wind den Sand frei darüber hinweg. Die Düne wächst nur, wenn der Widerstand wächst, und das kann bloß eine lebende Pflanze tun; von allen Strand- gewächsen erweist sich aber dazu am meisten geeignet der Strandroggen, weil er den vorliegen- den xerophytischen Lebensbedingungen am besten angepaßt ist. Es wird die Erscheinung an der deutschen Nordseeküste keine andere sein als an der belgi- schen, dort hat Massart sie genau untersucht und keinen Zweifel gelassen , daß Ammophila arenaria, welche man in jenem Gebiete „Oyat" nennt, der wahre Begründer jeder wachsenden Düne ist. Daher sind alle Dünen mit diesem Grase bekrönt, wo es einmal fehlt, da war es sicher früher vorhanden, denn ohne „Oyat" keine Düne! Ich habe selbst die Sache hundertmal be- stätigt gefunden. In ihrem Referat über einen populärwissen- schaftlichen Ausflug an die flandrische Küste unter Massart's Leitung (1907) schildert die bekannte belgische Botanikerin Frau S c h o u t e d e n - VV e r y den Vorgang folgendermaßen: „Wir halten an bei einem kleinen Hügel, der sich eben getürmt hat, denn sein Sand ist noch beweglich und frei von jeglicher Bewachsung. Er lehnt sich an einen dicken Strauß von .Ammo- phila, der eben Schuld trägt an der Häufung des Sandes; blicken wir um uns, und wir sehen, wie alle solche kleinen Dünen hinter einem Wider- stände liegen, der weitaus meistens eine Ammo- phila-Pflanze ist. Wenn nämlich der Wind die schweren Sandkörner landeinwärts trägt, so wird seine Geschwindigkeit jedesmal herabgesetzt, wo er ein Hindernis findet, und zwar hinter diesem; dort fallen also die Sandkörner zur Erde. Ist das Hindernis klein, so wird die eben entstandene Düne kaum höher werden können, wächst aber das Hindernis in dem Maße, wie der Sandhügel sich hebt — und der „Oyat" ist prächtig für dieses Hinanstreben eingerichtet — so kann die Düne stets größeren Umfang annehmen, besonders wenn von Zeit zu Zeit der Regen einfällt und die Einzelkörner verkittet. So haben sich lang- sam die großen Dünen gebildet, welche allhier sich so ausgedehnt und so mannigfaltig dem Auge darbieten." „Derselbe Wind aber, der sie baute, kann auch die Düne versetzen und niederlegen. Wenn durch Hitze und Trockenheit die Sandpartikel den vom Wasser geschaffenen Zusammenhang wieder ver- lieren und beweglich werden, dann spielt der ge- ringste Wind mit ihnen und trägt sie fort, um mit ihnen weiter von der Küste ab eine neue Düne zu bauen. Auch kann der an einer Dünen- flanke weggerissene Sand sich an der gegenüber- liegenden absetzen , und wenn solches sich ein wenig wiederholt, wandert die Düne scheinbar um ein geringes in dieser Richtung fort" „Durch das erste Entstehen einer Miniaturdüne wird die Strandroggenpflanze verschüttet; doch hebt sich bald das Rhizom nach oben und bildet neue Blätter am Licht, es kommt neuer Sand hinzu, der Stengel wächst weiter in die Höhe, und aus jeder Verschüttung arbeitet sich die Pflanze heraus, wird höher und hält neuen Sand an; so wächst die Düne mit der Pflanze, bis einst ein kräftiger Sturm wieder zerstört, was der schwächere Wind errichtet hatte. Dann werden die Wurzeln des Strandroggens freigelegt, aber das Gras kommt deswegen nicht um, es hat ein hartes Leben ; aus den noch vor kurzem tief im Sand begrabenen Rhizomen sprossen bald an der Erdoberfläche neue grüne Blätter, und das Spiel beginnt ein weiteres IVIal : es ist die ewige Wieder- kehr der Dinge." .... „Um die Wette steigt der Strandroggen mit den Gipfeln und sinkt dann plötzlich nieder, alle ununterbrochenen und unge- regelten Bewegungen dieses von ihm so bevor- zugten Bodens macht er mit." Massart selbst drückt sich in den Berichten der belgischen botanischen Gesellschaft (191 2) über den Fall folgendermaßen aus: „Bei der An- kunft einer neuen Sandmenge strecken sich die Rhizome nach oben, bis ihr Gipfel wieder ans Licht gelangt." Er nennt dann eine Reihe anderer Pflanzen, die sich ähnlich verhalten, nämlich manche Gramineen , Salix repens und einige Moose. In seiner „Estiuisse de la Geographie botanique de la Belgique (1910)" beschreibt der Autor die Er- scheinung des weiteren mit den nötigen Einzel- heiten. Zusammenfassend können wir also sagen, daß die Düne veranlaßt wird durch das Vorhanden- sein auf dem Wege des Flugsandes von Pflanzen, die sich aus der Verschüttung heraus zum Lichte 570 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 36 arbeiten können, und ohne solche mag zwar eine kleine Düne entstehen, nicht aber zu einer großen heranwachsen. Jede Düne muß daher während ihres Wachstums eine Krönung von solchen Pflan- zen tragen, und unter diesen steht an erster Stelle der Strandroggen Ammophila. Das heiße, trockene Wetter des diesjährigen Sommers hat im Binnenlande Erscheinungen her- vorgebracht, die ganz zugunsten der hier ver- tretenen Anschauungen sprechen. Auf dem Markt- platz vor dem Neutor in Luxemburg hat der Wind Miniaturdünen , richtige Dünenembryone gehäuft, zu deren Aufbau verschiedene Pflanzen, wie Ouecke, Vogelknötericli und die unlängst eingeschleppte Malricaria dixoidea den Ausgangs- punkt lieferten. Die höchste dieser Sandansamm- lungen, welche bei einem Exemplar des Vogel- knöterichs entstanden war, maß 9 cm Höhe, und die Zweige der Pflanze hatten sich bereits wieder ans Licht durchgearbeitet. Ein weiteres Wachs- tum wurde durch den bald nachher einsetzenden Regen vereitelt. E. J. Klein-Luxemburg. Das Treibsei der Nordsee. Am Ufer aller Meere, auch der Nordsee findet man einen mehr oder weniger hohen \\'all aller möglichen Gegen- stände, die das Meer an den Strand gespült hat. Diesen Wall bezeichnet man als Treibsei. Oft sieht man mehrere Reihen von Treibsei, welche die Höhe der letzten Fluten oder der Hochfluten markieren. Der Treibsei besteht zur Hauptsache aus Meerespflanzen, doch birgt er eine Unmenge seltener Gegenstände, welche das Interesse eines jeden Naturwissenschaftlers herausfordern und zum Studium anregen. Unter den Meerespflanzen bilden natürlich die verschiedenen Arten der nahen Küstenzone und des etwas tieferen Meeres den Hauptanteil ; sie sind von Sturm und Wellen losgerissen und werden an den Strand gespült. Aber oftmals sind es auch Arten, die von fernher kommen, von den P'elsen Helgolands, vom Borkum Rifi" oder gar von der englischen Küste, wie der Knotentang, P'ucodium nodosum, die Meerschote, Halidrys siliquosa, der Zuckertang, Laminaria saccharina, die Meerpalme, Laminaria digitata u. v. a. ; ja, sogar aus dem atlandischen ( )zean habe ich gelegentlich kleine Zweige vom Golftang, Sargassum bacciferum an den Küsten der Nordsee im Treibsei gefunden. Noch weit ferner liegt die Heimat einer ganzen Anzahl \'on Früchten, die man gelegentlich im Treibsei finden kann. Die große, kastanienbraune, etwas glatt gedrückte Frucht der Riesenhülse oder Meerbohne, Entada gigalobium DC. treibt von Mittelamerika mit dem Golfstom herüber; während sie in der Nordsee immerhin selten ist, findet man sie auf Xowaja Semlja so häufig, daß dort eine Bucht als Kastanienbai danach benannt ist. Andere tropische Früchte, wie die Kokosnuß aus dem indischen und großen Ozean, die Erdnuß, Arachis hypogaea L. aus Amerika oder Afrika, die Paranuß, BerthoUetia excel-sa Humb. aus Süd- amerika, ebendaher die Steinnuß, Phytelephas macrocarpa u. a. dürften wohl, da sie wichtige Handelsartikel sind, von Schiffen stammen. Vom Verstauen von Ladungen stammen auch die vielen Bambusstäbe. Mit dem Wasser der P'estlands- flüsse treiben namentlich im Winter Hasel- und Walnüsse, Kastanien, Steine von allen möglichen Arten Steinobst ins Meer, vielleicht auch die ge- fundenen Äpfel, Apfelsinen und Zitronen. Zahl- lose Korkringe und Korkplalten dürften Plscher- fahrzeugen verloren gegangen sein. Scheinbar nicht so mannigfaltig, aber an Arten- zahl weit häufiger sind im Treisel Reste tierischen Ursprungs. Der Binnenländer wird natürlich glauben, im Treibsei eine Unmenge von Schalen der Schnecken und Muscheln zu finden; doch weit gefehlt, im Treibsei finden sich nur wenige, die meisten Schalen liegen im Sande zerstreut. Aber staunen wird er, wenn er eine ganze AnzahlLand- und Süßwasserschnecken, Bekannte aus seiner Heimat hier vorfindet, so Helix arbustorum, Trigonostoma hispida, Achatina lubrica, Pupa muscorum, Pla- norbismarginatus und vortes, Paludina achatina und vivipara, Bythinella tentaculata, Cyclus corneus u. a., die alle mit den Festlandsströmen im Winter ins Meer gelangen. Für Geologen mag dies ein Fingerzeig zur Erklärung sein, wie manchmal sich Süßwasser- und Landarten in Meeresablagerungen vorfinden. In ganz ähnlicher Weise findet man im Treibsei große Mengen von Insekten, die der Küstenfauna gar nicht angehören, besonders Käfer und Wanzen mit den harten Chitindecken haben sich trefflich erhalten ; sie sehen oft wie tadellos präpariert aus, daß ein Insektensammler reiche Beute machen kann, nur schade, daß sie ihren Geburtsschein nicht bei sich tragen. Von den Blatt- und Aaskäfern treiben gelegentlich solche Mengen an, daß ihre Leichen einen ganzen Wall bilden und man ihre Zahl nach Millionen schätzen kann. Aus fernen Gegenden findet man namentlich nach Winterstürmen mit elektrischen Entladungen verschiedene \^ogelleichen, meistens hochnordische Arten, wie Alken, Lummen, Papageitaucher usw. Ein Ornithologe muß zur Erweiterung seiner Studien stets den Treibsei absuchen. Wahr- scheinlich aus geringerer Entfernung stammen an- getriebener Reste von Tümmlern und Seehunden. Seehunde und allerlei Möwen und Seeschwalben bilden namentlich im Sommer beliebte Jagdlseutc von Kurgästen; die angeschossenen Tiere müssen leider elendiglich verkommen und finden sich später im Treibsei. Besonders häufig findet man im Treibsei die Rocheneier, \'iereckige, vierzipflige hohle Gebilde, die schwarzen stammen vom Stachelrochen, Raja clavata, die mehr länglichen, seidenglänzenden braunen vom Glattrochen, Raja bata und die kleinen aufgeblasenen vom Sternrochen, Raja ra- diata. Die ganz ähnlich geformten Haifischeicr haben lange, spiralig gewundene Zipfel, sind aber sehr selten, da die meisten Haie der Nordsee N. F. XIV. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 571 lebendig gebärende Frische sind. An vielen Rocbeneiern findet man kleine braune Glöckchcn, ähnlich getrockneten Heideblüten, es sind die Eiertrauben des Kalmars, Loligo media. Von seinem Verwandten, dem Tintenfisch, Sepia offici- nalis findet man zu gewissen Zeiten die kalkige Rückenschulpe. Nach dem unregelmäßigen Auf- treten und nach der Zahl der Schulpen /.u ur- teilen, muß man annehmen, daß der Tintenfisch manchmal in großen Scharen in die Nordsee gelangt. Fast alle Schulpen zeigen die scharfen Zahneindrücke von Raubfischen. Tintenfische selbst treiben nur selten an. Unter den Weichtieren, den Verwandten der Tintenfische, gehören nur wenige Arten dem Treibsel an, um so häufiger aber findet man darin die gelblichen, aufgeblasenen Eierklumpen vom WeJlhorn, Kuccinum andatum, die ein Un- kundiger nirgends einreihen kann (Abb. i ). Diese Eierklumpen sind für einen Zoologen oft wahre Fundgruben von Seltenheiten, findet man doch darin nicht nur die Embryonen der Schnecke, sondern eine ganze Anzahl von Krebsen in alltn Entwicklungsstadien, verschiedene Würmer, Algen und Polypentieren, nach denen man sonst lange suchen könnte. Von Unkundigen vielfach zu den Muscheln gerechnet werden die Entenmuscheln, Lepas hilli und fascicularis. Die letztere Art sitzt gewöhnlich auf Algen oder Treibgegenständen, die anderen oft zu tausenden auf Treibholz. Den Enten- muscheln verwandt sind die andern Rankenfüßer, die Seepocken oder Seewarzen, Baianus, weiße Kalkkegel, die im Treibsel vorkommen auf Holz, Muschelschalen oder Panzerstücken von Taschen- krebser oder Seespinnen. Manchmal schlüpft ein Taschenkrebs so geschickt aus seiner alten Haut, daß man die ganze unbeschädigte Hülle finden kann. Als Seltenheit findet man nach Sturmfluten die Gespenster- oder Spinnenkrabbe, Stenorhj'n- chus rostratus, welche mit den langen Beinen an die Wundertiere der Tiefsee erinnert. Die niederen Pflanzentiere, die verschiedenen Arten des Seemooses haben mit Pflanzen manche Ähnlichkeit und werden sogar von Gelehrten oft verwechselt, sind auch oft mit unbewafthetem Auge schlechterdings davon nicht zu unter- scheiden. Da verschiedene Arten wichtige Handels- artikel bilden und zum Zwecke der Blumen- binderei gefischt werden, bleibt es nicht aus, daß man davon auch im Treibsel finden kann; es sind besonders Sertularia argentea (Abb. 2) und Hydrallmannia falcata. Die kleineren Arten, wie Sertularia pumiia, Obelia geniculata und Campanularia flexuosa überziehen Algen, Holz oder andere Treibgegenstände mit ihren kurzen, grünweißen Stöcken, die im Dunkeln beim Be- rühren ein wunderscliön grün phosphoreszierendes Licht zeigen. Den Pflanzentieren ganz ähnlich gestaltet sind die verschiedenen Bryozoen, so die Mooskoralle, Flustra foliacea und truncata und der Fingerpolyp oder Neptunsfinger, Alcyonium gela- tinosum, der so pflanzenähnlich ist, daß es schwer hält, jemanden zu überzeugen, hier eine Tierkolonie vor sich zu haben. Leichter kenntlich ist die Tiernatur bei den verschiedenen Arten der Rinden- oder Krustenkorallen, Membranipora, die feinzellige Überzüge bilden auf Algen, Muscheln, Krebsen und Treibgegenständen. Wunderbare naturgeschicht- 572 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 36 liehe Präparate erhält oft, wenn eigenartige Treib- gegenstände, wie Schlacken, Korken, Dosen, riaschen, Schiilpen vom Tinteniisch mit den ver- schiedenartigsten Pflanzentieren, Algen, Wurm- röhren, Muscheln usw. besetzt sind. Von nicht minder wichtiger Bedeutung sind die Treibstoffe aus dem Reiche der IVIinera- lien. An der ganzen Nordseeküste von Texel bis Skagen kennt man als häufiger Trcibgegen- stand eine graue, schwammig aufgeblasene Masse, die man früher allgemein als Lava von Island oder von einem submarinen Vulkan beseichnete, bis es endlich einigen schwedischen P'orschern gelang, dieselbe als eine Hochofenschlacke aus den Eisen- werken von Middlesborough in England zu er- kennen, die man dort ins Meer schüttet, wo die Strömung sie erfaßt und an die östliche Küste des Meeres wirft. Hat die Schlacke lange ge- trieben, dann ist sie mit Kolonien von Pflanzen- tieren, Wurmröhren, Muscheln usw. ganz bedeckt. Von den Schlacken der Dampfschiffe ist diese Masse leicht zu unterscheiden. Eigenartig aber bleibt immer noch das gelegentliche Antreiben von rich- tigem Bimstein, und muß ich unentschieden lassen, ob derselbe von Schiffen oder von fernen Vul- kanen direkt herüber treibt. Nicht selten findet man im Treibsei Stücke vom Seetorf oder Tuul, der aus den unterseeischen Wäldern oder versunkenen Mooren stammt, die man an vielen Stellen der Nordsee findet. Vom Rollen auf dem Meeresboden sind die Stücke kugelig oder abgerundet worden. Die runden Eöcher im Seetorf stammen von Bohrmuscheln, und oft findet man in größeren Schollen des Tuuls noch die Schalen von mehreren Arten der Pho- laden. Der Seetorf redet eine ergreifende Sprache aus längst vergangener Zeit ; aus seinen Bestandteilen erkennt man, ob er aus einem versunkenen Wald stammt, oder ob er seine P^ntstehung einer Sumpf- oder Heidevegetation verdankt. Man findet in ihm eingebettet Holzreste und Früchte von Waldbäumen, aber auch manchmal Hirschgeweihe und sogar noch wohlerhaltene Teile von Käfern. Eine genaue Untersuchung des Tuuls steht noch aus, das P^rgebnis derselben würde uns auch Auf- schluß über sein geologisches Alter geben. Wahr- scheinlich gehört der Tuul den verschiedenen Schichten vom Alluvium bis zum Pliozän an. Einen mehr materiellen Wert besitzen die Bern- steinfunde, die man gelegentlich machen kann. Manchmal sind es recht bedeutende Stücke, die gefunden werden. Nicht selten findet man den Bernstein bei Fölir, Amrum, Sylt und Rom, doch häufiger auf P-iderstcdt, wo Sammler sich mit Bernsteinsuchen einen guten Nebenverdienst schaffen. Natürlich gehört der Bernstein nicht ur- sprünglich dem Nordseebeeken an ; er ist vielmehr in den I^iszeiten aus den oligozänen Schichten des Ostseebeckens bis in das Gebiet der Nordsee geführt worden. Natürlich findet man im Trcibsel stets eine Unmenge von kleinen Sachen, die von Schififen stammen, verloren gegangen sind oder über Bord geworfen wurden. Größere, wertvolle Stücke dieser Art nennt man Strandgut. So findet man Balken, Bretter, Planken, Tonnen, Fässer, Plscher- kisten, Lichter, Korken. Flaschen, Roligummi, Kopal u. V. m. fc^ine Sammlung solcher Sachen bildet nicht nur einen Beitrag zu den Gefahren der Schiffe in der Nordsee, sondern auch zu dem Kapitel von den Meeresströmungen. Strandungen von Schiften kommen alljährlich vor, wobei mancher Seemann ein nasses Grab findet. Oft treiben Leichen an den Strand, aber zur Ebbezeit kann man auf den Watten Überreste menschlicher Ge- beine sehen, die am Meeresboden modern. Die meisten Leichen behält das Meer. Alle angeführten Gegenstände sind von einer Größe, daß man mit unbewaffneten Auge deut- lich ihren Bau und ihre Eigenart erkennen kann, weshalb man sie auch als makroskopisches Plankton bezeichnet. An Zahl diesem weit überlegen, trotz- dem aber nicht kenntlich ist das mikroskopische Plankton, welches das ganze Jahr hindurch antreibt und einen wichtigen, freilich nur verschwindend kleinen Bestandteil des gesamten Treibsels bildet. Es besteht aus Miliarden kleiner Lebewesen und deren Larven, seien es Tiere oder Pflanzen und hat für jeden Naturwissenschaftler das größte Inter- esse, nicht nur wegen seines Artenreichtums, sondern wegen seiner Bedeutung im Haushalte der Natur. Ein weites Feld des Studiums. Die antreibenden Organismen bilden am Ufer einen hohen Wall leicht verwesbarer Stoft'e, die geeignet wären, durch ihre Verwesung einen solchen Geruch zu verbreiten, daß der Aufenthalt am Strande unmöglich wäre. Ein interessantes Studium ist es, zu erforschen, wie durch die ver- schiedenen Umstände die allsorgende Natur sich hier selbst hilft. An den Steilküsten und Stein- deichen wird alles von der Gewalt der Wogen und der Brandung in Atome zermalmt, und diese kleinen Teile liefern zum Ausbau der fruchtbaren Marsch einen wichtigen Beitrag. An den P'lacli- küsten haben die Stoft'e zuin Vei faulen keine Zeit, da sie auf dem weißen Sandboden in wenigen Stunden vollständig vertrocknen. Immerhin aber geht ein Teil in P'äulnis über, wodurch ein be- täubender Geruch verbreitet wird. Menschenhand ist hiergegen machtlos, aber zahllose Tiere üben das Amt der Gesundheitspolizei aus, indem sie diese Stoffe zerbeißen und verzehren. In schier unglaublicher Menge bevölkert der Sandhupfer, Talitrus saltator und der Küstenfloh, Orchestia littorea, den Sandstrand, so massenhaft, daß man trotz der Sandfarbe der beiden Krebstierchenarten an .Stellen den ganzen Sandboden in Bewegung zu sehen glaubt. Mit ihrem großen Appetit räumen sie im Treibsei gewaltig auf. Die Arbeit dieser Krebschen wird von zahl- losen Insekten unterstützt. .Animalische StofTe wimmeln von Millionen von P'liegenmaden. Aber auch sonst findet man überall Maden und Tonnen- N. F. XIV. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 573 puppen von Fliegen. Nicht geringer ist die Zahl der Käfer, namentlich Carabiden und Staphyliniden, teilweise seltene Arten, die hier ihre Nahrung suchen, oder wie die Totengräber und Aaskäfer ihre Beute in den Sand zu scharren suchen. Ein so reges Insektenleben lockt wieder andere Tiere, nament- lich Vögel herbei, und nicht nur zahllose Strand- und Wasservögel finden hier einen immer reich gedeckten Tisch, auch Landvögel finden bald den Ort, wo sie ihren Hunger stillen können und durchsuchen den Treibsei nach Nahrung. 11. Philippsen, Flensburg. Einzelberichte. Anthropologie. Pygmäen in Melanesien. Während die Existenz wirklicher Pygmäen in Zentralafrika, auf den Andamanen und den Phi- lippinen durch zuverlässige Untersuchungen schon seit längerer Zeit einwandfrei festgestellt ist, waren die diesbezüglichen Angaben über Melanesien bis vor kurzem lückenhaft und widerspruchsvoll. Erst durch die Arbeiten Otto Schlagin haufen's ist das Pygmäenproblem, das die Anthropologen besonders lebhaft interessiert, auch für die Südsee einer Lösung näher geführt worden. Verf. hat sich zunächst der großen Mühe unterzogen, alle bisher gemachten Angaben über die Körpergröße der verschiedenen auf Neuguinea und dem Bismarck- archipel gemessenen Stämme zu sammeln und kartographisch darzustellen. (Über die Pygmäen- frage in Neuguinea. Festschrift der Dozenten der Universität Zürich 1914, mit einer Karte; ferner: Pygmäen in Melanesien. Archives suisses d'Anthrop. gen. 1914 Tom. I. S. 37.) Obwohl erst ein kleiner Teil der Gesamtbevölkerung Neuguineas und des Bismarckarchipels auf die Körpergröße hin unter- sucht ist, gelang es doch die Mittelwerte von 45 Gruppen zusammenzubringen, die zwischen 144,9cm und 171,4 cm liegen. Aber trotz dieser relativ großen Schwankung gehört die überwiegende Mehr- zahl der Stämme zu den Kleinen und Untermittel- großen, denn nur acht Gruppen überschreiten das für die ganze Menschheit festgestellte Größenmittel von 165 cm. Die geringsten Körpergrößen besitzen die folgen- den Gruppen : 1. die Tapiroleute, die Rawling im März 191 1 im Süden von Holländisch - Neuguinea ent- deckte, = 144,9 cm, 2. die Kamaweka, die Strong am Inawafluß in Britisch - Neuguinea maß, = 148,7 cm, 3. die von de Kock am Eilandenflusse in Holländisch-Neuguinea aufgefundenen Goliathleutc, = 149,2 cm, und 4. die von Pöch untersuchten Kai im Hinter- land von Finschhafen, = 152,5 cm. Daran reihen sich die von Schlaginhaufen im Jahre 1909 untersuchten Gruppen im Torri- celligebirge, das sich zwischen die Nordküste Deutsch-Neuguineas und den Kaiserin- Augustafluß hineinschiebt, und deren Körpergröße 150,9 cm resp. 151,9 cm beträgt. Die Körpergröße der be- nachbarten Küstenstämme, der Jakumul, Arup und Leitere, steigt dagegen auf 158,2 cm, 158,4 cm und 160,0 cm. Die genauen Resultate seiner um- fangreichen metrischen Beobachtungen an den ge- nannten Stämmen hat Schlaginhaufen jetzt in einer ausgezeichneten , hinsichtlich der Ver- wendung der neueren biologischen Methoden vor- bildlichen Arbeit niedergelegt (Anthropometrische Untersuchungen an Eingeborenen in Deutsch-Neu- guinea, mit 2 Tafeln und 90 Figuren im Text. Abh. und Ber. kgl. Zoolog, und Anthrop.-ethnogr. Museums Dresden 1914, Bd. 14 J912], Nr. 5). Gemäß der von Emil Schmidt festgesetzten Grenze des Mittelwertes für reine Pygmäen bei 150 cm, würden drei der oben erwähnten Gruppen die Bezeichnung „Pygmäen" verdienen, während die Bewohner des Torricelligebirges und die Kai davon ausgeschlossen werden müßten. Ich bin aber durchaus der Ansicht des Verf.'s, daß man nicht so schematisch vorgehen darf, und daß für einzelne Gebiete der Erde kleine Verschiebungen der Schmidt' sehen Grenze zulässig sind. So ist es zweifellos richtiger, hier in Neuguinea nur die Tapiroleute als echte Pygmäen anzusprechen, und die übrigen kleinwüchsigen Stämme, die sichtlich zusammengehören, nach ihren Grenzgruppen als Kamaweka-Kaistufe zu bezeichnen. Eine dritte Größenstufe bilden dann die erwähnten Küsten- stämme der Jakumul, Arup und Leitere, an die sich auch die Baining auf Neupommern (Körper- größe = 159,1 cm nach Fr ie derlei), die Butam des südlichen Neumecklenburg (= 157,4 cm nach S c h 1 a n g i n h a u f e n) und die Nasioi in den Bergen des südlichen Bougainville (= iS7,o cm nach Schlaginhaufen) anschließen lassen. Interessanterweise wohnen alle kleinwüchsigen Stämme Neuguineas im gebirgigen Binnenland; erst die Gruppen von 153 cm und mehr finden sich im Küstenland und auf den vorgelagerten Inseln. Gruppen mit einer Körpergröße von 161 cm und darüber wohnen stets an der Küste. Auch wo die einzelnen Stämme benachbart sind, ist der Küstenstamm stets größer als der jeweils sich an- schließende Stamm des Hinterlandes, so daß also mit der Entfernung von der Küste die Körper- größe abnimmt. Natürlich genügt die Körpergröße allein nicht, um die Stellung der kleinwüchsigen Bergstämme innerhalb der Menschengruppen Melanesiens fest- zulegen ; dazu müssen noch weitere metrische und deskriptive Merkmale in möglichst großer Anzahl beigezogen werden. Es liegt aber noch kaum Material in dieser Hinsicht vor. Wir wissen bis jetzt eigentlich nur, daß fast alle Stämme Neu- 574 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 36 guineas im Mittel mesokephal sind (Längenbreiten- index meist = ^]^ bis 79), und daß ähnlich wie die Körpergröße auch die Langköpfigkeit im allge- meinen von der Küste zum Binnenland abnimmt. Der Längenbreitenindex der Jakumul beträgt 73,4, und zwar fallen 82 "o aller Individuen in die Gruppe der Dolichokephalie, während die Leute des Torricelligebirges einen Index von ']'],'] mit einer Variabilität von 71 bis 83 aufweisen. Für die letzteren ist übrigens auch eine größere Breite des Kopfes und eine relative Größe der Nase charakteristisch. Nur die gegenseitige Stellung der vier von Schlaginhaufen studierten Stämme kann man heute schon genauer angeben. Verf. hat für jede dieser vier Gruppen je 24 Merkmale (9 absolute Maße und 15 Maßverhältnisse) herausgegriffen und daraus die durchschnittlichen Typendifferenzen zwischen je 2 Gruppen berechnet. (Über diese Methode vgl. Martin R., 191 4, Lehrbuch der Anthro- pologie. Fischer, Jena, S. 87 u. 88). Das Resultat ist für eine systematische Sonderstellung des Stammes vom Torricelligebirge wenig günstig, denn er steht hinsichtlich der Formmerkmale dem Küstenstamm der Leitere sehr nahe, und die Unterschiede, die ihn von diesem trennen, sind kleiner, als diejenigen, welche zwischen den Küsten- stämmen bestehen. Erst weitere, auf entsprechend viele Merkmale ausgedehnte Untersuchungen an den übrigen kleinwüchsigen Varietäten Neuguineas werden darüber entscheiden können, ob dem von Schlaginhaufen gefundenen Resultat allge- meine Gültigkeit zukommt. Dann erst wird man auch die Frage aufwerfen können, wie sich die Pygmäen und kleinwüchsigen Gruppen Melanesiens zu den Pygmäen und Kleinwüchsigen anderer Erd- teile verhalten. In diesem Zusammenhang scheinen mir die Worte, mit denen der Verf seine Untersuchungen schließt, und denen man angesichts der begangenen Fehler weiteste Verbreitung wünschen möchte, be- sonders beherzigenswert: „Man sollte endlich den Standpunkt überwunden haben, kleinwüchsige Gruppen anders zu behandeln als großwüchsige. Man sollte aufhören, sich an vereinzelte, besonders kleine Individuen anzuklammern und auf Grund ihrer Existenz Pygmäenrassen zu postulieren. Klein- wüchsige Menschengruppen sind genau wie jede andere biologische Gruppe den Gesetzen der Variabilität unterworfen, und es ist daher durch- aus unstatthaft, die Untersuchungen nur an einer Auslese innerhalb eines Stammes auszuführen. Nur wenn wir uns davor hüten, in befangener Weise Besonderheiten in den Typus der pygmäenhaftcn Stämme hineinzulegen und ihre Merkmale in ob- jektiver Art studieren, wird es uns gelingen ihre wirklichen Besonderheiten zu erkennen und ihnen ihre Stellung im System der Menschenrassen an- zuweisen." 1^- Martin. Zoologie. Der alte K 1 u n z i n g e r ! So nannten wir alle ihn, den wir regelmäßig bei den Tagungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft sahen, wo er uns durch seine geistige Frische und körper- liche Leistungsfähigkeit imponierte und durch Humor und Schlagfertigkeit erfreute. Von seinen wissenschaftlichen Leistungen waren wohl allen seine faunistischen und systematischen Arbeiten (Coelenteraten , Kruster und Fische des Roten Meeres) bekannt, nur wenige kannten mehr und kaum einer wußte näheres über KJ^unzinger's Leben, das, wenn man die Zeit und den Ort seiner hauptsächlichen Forschungen berücksichtigte, gar manches Interessante und wohl auch Ungewöhn- liche erwarten ließ. Klunzinger hat uns die Freude bereitet, in den „Erinnerungen aus meinem Leben als Naturforscher und Arzt zu Koseir am Roten Meere" gerade über diese Periode selbst zu berichten (Zool. Annalen VI, 1914). Diese Er- innerungen, die eine Ergänzung zu seinen 1877 erschienenen „Bildern aus Oberägypten, der Wüste und dem Roten Meere" besonders nach der zoo- logischen und medizinischen Seite bilden, sollten an seinem 80. Geburtstage (18. November 1914) erscheinen, den Klunzinger leider nicht erlebt hat — er verschied plötzlich am 21. Juni 19 14 in Stuttgart. Um so dankbarer werden für die rechtzeitige Fertigstellung des Manuskriptes alle diejenigen sein, die persönliches Interesse an Klunzinger und seinen Lebensschicksalen neh- men, Sinn für vergangene Zeiten und die lange überholten Zustände in Ägypten vor etwa einem halben Jahrhundert besitzen, Ägypten, das Klun- zinger trotz mancher Widerwärtigkeiten, die er erfahren hatte, doch so sehr liebte, daß er es brief- licher Mitteilung zufolge wenigstens als Tourist nochmals bereisen wollte. In der Zeit der Sta- tionen am Meere und der wohlausgerüsteten, frei- lich auch kostspieligen wissenschaftlichen Expe- ditionen muß man über die große Einfachheit der Hilfsmittel, die Klunzinger zur Verfügung stan- den, staunen, aber voll anerkennen, daß er, trotz- dem er ferner sein nicht leichtes Amt als Ouaran- tänearzt in Koseir auszuüben hatte, das ihm zwar die Existenz ermöglichte, aber gewissenhaft ver- sehen werden mußte, so reiche, größtenteils be- reits verarbeitete Sammlungen einheimsen konnte. Die Jüngeren unter uns können aus seinen Schil- derungen und Ratschlägen viel lernen „wie man CS machen kann, und noch mehr, wie man es nicht machen soll", was auch ein Gewinn ist. Brn. Einer der prächtigsten Fremdlinge aus der nor- dischen Vogelwelt, der im Winter als Strichvogel ziemlich regelmäßig nach Norddeutschland kommt, ist zweifellos der etwa starengroße gemeine oder europäische Seidenschwanz (BombycillagarrulusLO- Wie schon aus seinen Namen: Kreuz-, Sterbe- oder Pestvogel hervorgeht, ist sein Erscheinen nach dem Volksglauben von schlimmer Vor- bedeutung. Daß dieser Aberglaube schon uralt ist, erhellt aus der Historia Animalium von Konrad Gesner aus dem Jahre i S 5 5 ; es heißt N. F. XIV. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sil dort in dem Abschnitt „De Garrulo Bohemico": „cum apparent pestilens aeris mutatio expectatur" und im Vogelbuch von Rudolf Heusslein, Frankfurt a/Mayn 1600 wird gesagt: „So sie aber an einem ort gefunden / bedeuten sie eine giftige Enderung der Lufft. Es komme auch auff ihre Zukunft gewöhnlich ein Pestilentz". Eine merkwürdige Stütze findet dieser uralte Volksaberglaube an dem Auftreten des Seiden- schwanzes im vorigen Winter im Tessin, wo er an- geblich seit 1 866 nicht beobachtet wurde. Er gilt der dortigen Landbevölkerung als Vorbote des Krieges und Verkündiger großer Seuchen. Auch in Süd- deutschland, wo er im Winter 191 3/14 auftrat, nennt man ihn „Kriegsvogel". In Zürich folgte auf sein Auftreten im Jahre 1S66 die Pest, ebenso soll er in der Schweiz erschienen sein vor dem Konzil von Konstanz und vor dem Waldmannischen Auflauf, dem Bergsturz von Plürs, den bünd- nerischen Unruhen, den böhmischen Verfolgungen, dem dreißigjährigen Krieg usw. Auch in Frankreich gilt er als Verkünder katastrophaler Ereignisse. Der sich an das Erscheinen des Seiden- schwanzes knüpfende Aberglaube hat also eine sehr weite Verbreitung. Man kann diesen als ein Schulbeispiel für die Entstehung derartiger Volks- meinungen betrachten. Daß der prächtige und wenig scheue Vogel die i'Xufmerksamkeit des Volkes auf sich zieht, ist begreiflich. Trift't nun zeitlich mit seinem Erscheinen ein auffallendes Ereignis zusammen, so wird beides im Volks- glauben in einen ursächlichen Zusammenhang gebracht. Wenn nicht, gerät ersteres alsbald wieder in Vergessenheit. So ist in der Tat der Vogel in Tessin schon früher häufiger erschienen. Wie einer Arbeit von Angelo Chidini zu entnehmen ist, die im BoUettino della Societä Ticinese di Scienze naturali erschienen ist, wurde das Erscheinen des Seidenschwanzes im tessi- nischen Seengebiete in folgenden Wintern fest- gestellt : 1806/07, 1817/18, 1827/28, 1829/30, 1835/36, 1844/45, 1847/48, 1849/50, 1859/60, 1866/67, 1867/68, 1870/71, 1872/73, 1903/04, und 1913/14. Die wirkliche Ursache für die Streifzüge des nördlich des Polarkreises brütenden Seiden- schwanzes nach Süden liegt in dem Missraten seines im Winter hauptsächlich aus Beeren- früchten bestehenden Futters in seiner hoch- nordischen Heimat. Kathariner. Hygiene. Im August und September des vorigen Jahres machte sich in den Lazaretten die große Zahl der Stubenfliegen ungemein lästig. Sie stören nicht nur empfindlich die Ruhe der Verwunde- ten und Kranken, sondern können auch als Über- träger von Krankheitskeimen (Tuberkulose, Typhus, Ruhr, Cholera, Starrkrampfbazillen usw.) eine verhängnisvolle Rolle spielen. Auf ihre Vertilgung ist man deshalb in den Lazaretten ernstlich be- dacht. Dr. H. Heck er, Regierungs- und Geh. Med.-Rat, zurzeit Stabsarzt d. L. und Chefarzt des Festungslazaretts i Straßburg i. E., des größten Lazaretts Südwestdeutschlands, teilt das Verfahren mit (Zur Fliegenplage in den Lazaretten. Münche- ner med. Wochenschrift Nr. 21, 25. Mai 1915), welches man zur Vertilgung der Stubenfliege dort anwendet, und welches er wegen des guten t>folges ') für die kommende heiße Jahreszeit all- gemein empfiehlt. Versuche mit Fliegenfallen aus Glas oder Drahtgeflecht, Vergiften durch arsenikhaltiges Fliegenpapier, Abkochungen von Ouassiaholz, Milch mit Formalin und Aufhängen von mit Pliegenleim angestrichenen Papierrollen hatten kein befriedigendes Resultat. Dagegen be- währte sich in jeder Hinsicht das alte Verfahren des Aufsteilens von mit Fliegenleim bestrichenen Stöcken. Es werden etwa 4 — 5 fingerstarke und ^2 rn lange, im Wald geschnittene Ruten oder aus Kistenbrettern angefertigte Stäbchen mit Fliegen- leim bestrichen und in einen mit Erde gefüllten Blumentopf eingesteckt neben dem Krankenbett aufgestellt. Der Flicgenleim besteht aus einem Gemisch von Honig, Rizinusöl und Kolophonium im Verhältnis von 1:3:6. In einer emaillierten Schale bringt man bei mäßiger Erhitzung 72 Teile fein zer- stoßenes Kolophonium in 36 Teilen Rizinusöl zur Lösung und setzt 12 Teile Honig zu. Das Gemisch hält sich, in Töpfe gefüllt, lange verwendungsfähig. Anfangs waren oft schon nach einigen Stunden die Stöcke schwarz von den daran haftenden Pliegen. Nachdem sie mit dem Messer abgeschabt und frisch mit Leim bestrichen worden waren, wurden die Stöcke wieder aufgestellt. Dieses Verfahren wurde so oft wiederholt, bis nach kurzer Zeit keine einzige Stubenfliege mehr in den Krankenzimmern vorhanden war. Statt der Blumentöpfe, von denen die Gärtner Straßburgs etwa 600 — 700 Stück kostenlos zur Verfügung gestellt hatten, kann man natürlich auch leere Konservenbüchsen, Zigarrenkistchen usw. ver- wenden. An den Betten der Kranken mit übel- riechender Eiterung u. dgl., wodurch die Fliegen besonders angezogen werden, stellte man 4 — 5 Töpfe auf Auch empfiehlt sich das Aufstellen besonders an sonnigen Stellen, in der Küche usw. Die Vermehrung der Stubenfliege ist so groß, daß die Nachkommenschaft eines einzigen Weibchens im Sommer viele Millionen betragen kann. Es legt 5 — 6 mal je 100 — 150 Eier; nach 8 — 24 Stunden schlüpfen bei günstiger Temperatur (30 — 35" C) die Larven aus, sind nach 5 Tagen ausgewachsen (12 mm lang) und verwandeln sich nach einer durchschnittlichen Larvenzeit von 12 Tagen in eine ,,Tönnchenpuppe". Nach 3 — 4 Tagen schlüpft die Fliege aus, so daß unter günstigen Verhält- nissen die ganze Entwicklung sich schon in 9 Tagen vollziehen kann. Bereits 14 Tage nach dem Ausschlüpfen sind die Fliegen fortpflanzungs- fähig. Die I'ortpflanzungszeit beginnt im Mai oder anfangs Juni und dauert bis in den Oktober. ') Ich kann denselben aus eigener Erfahrung bestätigen. 576 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 36 Im Spätsommer gehen sehr viele Stubenfliegen an dem Pilz Empusa muscae zugrunde, andere sterben nach Ablauf ihrer normalen Lebensdauer — dieselbe beträgt durchschnittlich 8 Wochen — , einige aber überwintern und pflanzen die Art im nächsten Sommer fort. Daß deren Vernich- tung einen besonderen Wert hat, liegt nach dem Gesagten auf der Hand. Kathariner. Literatur. Synopsis der mitleleuropäischen Flora von Ascherson und Graebner. 88. Lief., Bd. V. Amarantaceae ; Nycta- ginaceae; Thelygonaceae ; Phytolaccaceae. Leipzig '15, W. Engelmann. 2 M. Lampe, Trof. Dr. F., Große Geographen. Bilder aus der Geschichte der Erdkunde. Mit 5 Bildnissen usw. Leipzig und Berlin '15, B. G. Teubner. Geb. 4 M. Lämmermeyer, Prof. Dr. L , Die Höhle. Bilder vom Leben und den Wundern unter Tag. Mit 56 Abb. Deutsche Nalurw. Gesellsch. Geschäftsstelle Th. Thomas, Leipzig. I M. Auerbach, Prof. Dr. F., Die Physik im Kriege. Eine allgemeinverständliche Darstellung der Grundlagen moderner Kriegstechnik. Mit 99 Abb. im Text. Jena '15, G. Fischer. Geb. 3,60 M. B u d d e , Dr. L. , Naturwissenschaftliche Plaudereien. 4. durchgesehene AuH. Berlin '14, G. Reimer. Geb. 4,50 M. Anregungen und Antworten. Herrn Dr. W., Darmstadt. — Das beste Werk , das die unseren Kulturpflanzen schädlichen Insekten behandelt, ist der dritte Band des Handbuches der Pllanzenkrankheiten von .Sorauer: L. Reh, Die tierischen Schädlinge. (Berlin, Paul Parey, 1913, geb. 33 M.) Die zahllosen, in vielen praktischen Zeitschriften der verschiedenen Zweige der angewandten Ento- mologie verstreuten Veröffentlichungen sind hier von einem bekannten Fachmann verwertet und kritisch bearbeitet. Sie finden über alle Fragen der Schädlingskunde nach dem neuesten Stande der Wissenschaft Aufschluß. Dr. Stellwaag. Die Meeresalgen als Volksnahrung und Kriegsgemüse. Zu den wichtigsten Fragen auf dem Gebiete der Volkswirt- schaft in der Gegenwart gehört ohne Zweifel die Beschaffung der nötigen Nährstoffe und Nahrungsmittel, und zur Lösung fördert man eifrig den Gartenbau, macht aufmerksam auf wildwachsende Gemüsepflanzen, zermahlt Holz und Stroh; aber an die Pflanzen des Meeres, an die Mecresalgen, hat man noch nicht gedacht, und doch können diese von großer Bedeutung für die Volksversorgung werden. In anderen Län- dern hat man die Bedeutung der Meeresalgen als Volksnah- rung schon lange erkannt, Die Länder des fernen Ostens, China und Japan, führen alljährlich ganze Schiffsladungen voll Algen im getrockneten Zustande ein aus den nordasiatischen Meeren. Ein ostasiatisches, aus .Mgen hergestelltes Produkt ist sogar nach Europa gedrungen, das ist das Agar agar, das in verschiedenen tropischen Gegenden aus Rotalgcn (Graci- laria lichenoides, Eucheuma spinosum) hergestellt wird. Auf den Südseeinseln ist Algennahrung allgemein, und die Be- wohner von Grönland , Island , den Hebriden und Faröer könnten ohne .Mgen ihr Leben kaum erhalten. Auch in Eng- land, Frankreich, Norwegen, Nordamerika sind Algengerichte bekannt und weit verbreitet. Bei uns hat man bisher leider ein Vorurteil gegen unbekannte Gerichte gehabt, hoffentlich siegt aber darüber endlich die bessere Einsicht und der Ernst der Zeit. Die meisten Algen sind reich an Gallerte, welche aus Kohlehydraten besteht und sich leicht in Mannit oder Zucker verwandelt , sie enthalten aber auch bedeutende Mengen von Sticksloffverbindungen, sind deshalb als Nahrungsmittel wohl geeignet. Giftige Algen gibt es nicht, die Angst des Pilz- sammlers ist bei den Algen also unnötig; doch gibt es eine ganze Anzahl von ."Mgen, die wegen ihres Gehaltes an Brom und Jod einen widerlichen Geschmack haben , und diese scheiden natürlich als Nahrungsmittel aus. Unsere Meere enthalten unglaubliche Mengen von Algen; man trifft sie vom seichten Wasser der Strandzone bis zu einer Tiefe von etwa 30 m. Besonders leicht kann man Algen zur Zeit der Ebbe an der Nordseeküste sammeln, wo der Meeres- boden auf weite Strecken zu begehen ist. Aus dem tiefen Wasser kann man leicht durch Fischer Algen besorgen lassen, da ihnen die Netze gewöhnlich davon gefüllt sind und sie dieselben als unnütz über Bord werfen; wie schönen Verdienst könnten sie daran haben, ebenso Versandgeschäfte und Kon- servenfabriken, und wie viele Nährstoffe könnten unserem Volke hier erhalten werden. Die .\lgen hallen einen längeren Transport leicht aus; verschiedene Arten kann man auch trocknen, wie Kraut ein- salzen oder einkochen und dann versenden, so daß sie nicht nur einen Vorzug für die Küstenbewohner bilden würden, sondern dank unserer guten Verkehrsverhältnisse leicht überall hin auf den Markt gebracht werden könnten. .Außerdem würde unsere Nahrungsmittelindustrie bald geeignete Wege finden, den Algenvorrat in praktischer Weise unserem Volke nutzbar zu machen. Wir würden dann auf den Märkten neben den schönsten Gartengemüsen .\lgen und Algenkonserven finden, letztere hätten aber den gewaltigen Vorteil, daß man sie unbehindert von der Jahreszeit im Sommer und auch im Winter haben könnte. Im Laufe der Zeit habe ich Gelegenheit gehabt , eine grol3e Anzahl von Algen in ihrer Bedeutung als Nahrungs- mittel zu untersuchen und zu prüfen, und ich kann sie nur bestens empfehlen und trete voll dafür ein. Man kann sie roh wie Salate essen oder auch als Speise zubereitet, sie sind immer wohlschmeckend, nahrhaft und bekömmlich. Wer ein- mal ein ordentliches .Algengericht genossen hat, wird gerne wieder davon essen. Eine ganze Anzahl Algen sind außerdem medizinisch wichtig als Heilmittel gegen Erkrankungen der .Atmungsorgane, Skropheln, Schwäche, Nervosität, Verdauungs- störungen, Würmer usw. Sicher würden auch eine ganze .An- zahl als Viehfutter Verwendung finden können, wie man dies in vielen Gegenden mit Erfolg gemacht hat. Darüber müßte man hier auch durch Versuche Erfahrungen sammeln. Von den vielen Arten der Algen lassen sich als Salate verwenden, namentlich mit Essig, Zitrone, Öl und Pfeffer die Grünalgen aus den Gattungen Monostroma, Ulva und Entero- morpha, sowie eine große Zahl feiner Rotalgen aus den Gat- tungen Delesseria, Ceramium, Callithamnium, Laurentia, Poly- siphonia, Porphyra usw. Zu Algengerichten ist besonders Chondrus crispus geeignet, sowie auch die Vertreter der Gat- tungen Laminaria, Alaria, Graciolaria, Himanthalia usw. Einige davon lassen sich wie Kraut einsalzen. Alle lösen sich beim Kochen in eine braune Gallerte auf, die angesäuert mit Butter und leicht gewürzt von großem Wohlgeschmack ist. Die größeren Arten der Grünalgen sind außerdem als Spinat ver- wendbar. Philippsen-Flensburg. Inhalt; IlalhfaÜ: .Aulsiieicherung und .Abgabe von Wärme in Binnenseen. F. smarch: Neuere Arbeiten über Blaualgen. — Kleinere Mitteilungen: Klein; Dünenbildung und Strandroggen (Ammophila arenaria). Philippsen; Das Trcibsel der Nordsee (mit 2 Abbildungen). — Einzelberichte: S ch 1 a g inh au fe n : Pygmäen in Melanesien. Klunzinger's Leben. Chidini; Der europäisclie Seidenschwanz (Bombycilla garrulus L.). Hecker: Vertilgung der Stubenfliege. — Literatur: Liste. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstraße na, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 14. Band; ■ ganzen Reihe 30, Band, Sonntag, den 12. September 1915. Nummer 37. Die Anzahl der diluvialen Vereisungen Nord-Europas. [Nachdiuck verboten.] Vun Dr. Edw. Hennig. Die Schichten der Erdrinde legen sich über- einander wie die Blätter eines Buches. Die Fos- silien spielen darin die Rolle der Buchstaben. Je älter eine Ablagerung, desto mehr wird sie von den später entstandenen verdeckt. Wir be- kämen an der Erdoberfläche überhaupt nur die letzten und jüngsten zu sehen, wäre nicht seit jeher in die Regelmäßigkeit der Lagerung durch gebirgsbildende und abtragende Vorgänge Verwir- rung und Unordnung hineingebracht worden. Doch auch davon sind naturgemäß ältere Schichten öfter und somit stärker betroffen worden als jüngere. Haben sie doch im ganzen immer wieder durch Umlagerung das Material für ihre Nachfolger her- geben müssen. Schließlich ist auch besonders zu betonen, daß die bestehenden Festlandsmassen erst etwa seit dem Tertiär ihre jetzige Gestaltung und Umgrenzung allmählich erfahren haben. Die früheren Zusammenhänge sind daher in ihrem Be- reiche nicht restlos abzulesen. Wichtiges Be- obachtungsmaterial ist dem Blick durch Meeres- bedeckung — auch das Wasser kann als jeweils jüngste Schicht gelten — entzogen. Je kürzer also der Zeitraum seit Entstehung einer Ablagerung ist, um so vollständiger nicht nur, sondern auch um so zusammenhängender ist sie überliefert. Um so einfacher müßte daher, sollte man meinen, ihr Verständnis sein. Bedeckt sie noch obendrein weite Gebiete gerade der Hauptkulturländer der Erde, wie man das von den Erzeugissen der letzten Epoche vor Beginn der geologischen „Gegenwart", dem diluvialen ,, Schwemmlande" sagen kann, so könnte man er- warten, daß die Erforschung mindestens die Haupt- fragen bereits gelöst hätte. Dem ist nicht so. Freilich ist zu bedenken, daß das Ziel aller Forschung nicht ,, Erledigung" wissenschaftlicher Fragen, sondern in womöglich noch höherem Grade die Auffindung oder Aufstellung neuer Probleme ist. Je intensiver ein wissenschaftliches Feld beackert ist, desto mehr und desto gewaltigere Fragen stehen meist ungelöst vor uns. Das ist nicht das Fiasko sondern ein Triumph schaffender Geisteskraft. Nur gilt es dauernd die Probleme zu erneuern, neue Wunder der Natur zu er- schließen, den Kreis der Betrachtungen zu er- weitern bzw. die Fragestellung zu vertiefen. Über- liefertes Wissen erstarrt überraschend schnell zum Dogma. Unter solchem Gesichtswinkel, scheint wollen auch die schwierigen Streitfragen Diluvialgeologie aufgefaßt werden. Sind von einheitlicher Auffassung weit entfernt, so ist das zunächst nicht unbedingt ein Übel. Eher mu', der wir ein Zeichen für ein jugendkräftiges, aus zahlreichen Adern gespeistes Stromnetz wissenschaftlichen Denkens. Es ist ganz gewiß wohl zu unterscheiden zwischen den Fragen, die die Tatsachen und jenen, die ihre Deutung betreffen. Für erstere gibt es theoretisch nur eine Richtschnur und einen Maß- stab: die natürlichen Verhältnisse. Dennoch darf nicht verkannt werden, wie innig die Fest- stellung einer Einzeltatsache mit dem Gesamtstand- punkte des betreffenden Beobachters in Wechsel- wirkung steht : Das Ding an sich ist uns auch hier nur auf dem Wege unserer individuellen Sinne als subjektiv beeinflußte Erschei- nung zugänglich. Das trifft auf jedem Wissensgebiete zu. Außer- ordentlich klar aber treten uns diese Schwierig- keiten in der noch völlig ungelösten, anscheinend elementaren Frage entgegen : Wieviel Vereisungen hat es im Diluvium gegeben ? Es ist erstaunlich zu sehen, wie geologische Lehrbücher, populäre Schriften und die überwiegende Zahl der Fach- arbeiten sich auf ein Schema geeinigt haben, dessen Begründung nach Ansicht einiger hervorragender Gelehrter auf außerordentlich schwachen Füßen steht. 4 Eiszeiten in den Alpen, drei im nördlichen Europa hätten mit entsprechend 3 bzw. 2 ,, Zwischen- eiszeiten" abgewechselt. Zwar stellen sich bei der Parallelisierung dieser zwei Schemate schon beträcht- liche Schwierigkeiten ein, doch ist auch da — sozu- sagen stillschweigend — eine Einigung dahin zustande gekommen, die drei nordischen Vereisungen mit den letzten drei alpinen zusammenfallen zu lassen. Danach wäre das Präglazial, d. h. die Zeit zwischen dem Abschluß des Pliocäns und der ersten Eis- zeit in Norddeutschland als wesentlich länger an- zunehmen, ohne daß diese längere Dauer bisher mit entsprechendem geschiclitlichen Gehalt zu er- füllen wäre. Die Faunen und P'loren Europas einschließlich der Funde menschlicher Knochen, Werkzeuge und Spuren aller Art werden nun in jenes Schema eingeordnet, wobei es wiederum zu sehr erheblichen Meinungsverschiedenheiten kommt. Die Datierungen des ersten Auftretens des Menschen und seiner primitiven Kultur weichen z. T. um die Kleinigkeit einer ganzen Eis- und Zwischenzeit voneinander ab. Nebenher aber geht noch immer die Diskussion darüber, ob denn solche Wiederholungen der Ver- eisung und solche Zwischeneiszeiten überhaupt stattgefunden haben I P^orscher wie Drygalski, Geiniiz, Gürich, Lepsius bestreiten das teils für die Alpen, teils für Norddeutschland nach ihren Beobachtungen ganz entschieden. Behalten sie recht, so sind jene anderen sehr ausgedehnten Er- 57« Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 37 örterungen völlig hinfällig und überflüssig. Der Zustand ist kaum erträglich. Um so dankenswerter aber ist es, daß beide Parteien nunmehr durch den Mund namhafter Vertreter ihre jeweiligen vermeint- lichen Beweise zusammengestellt haben. Die unge- heuerliche Fülle und Zersplitterung der einschlä- gigen Literatur machte vordem dem Einzelnen den Einblick in den wahren Stand der Forschung fast zur Unmöglichkeit. Stammt die Lehrmeinung von der viermaligen Vereisung der Alpen aus dem bahnbrechenden P enck-Brückner 'sehen Werke, ^) so ist für die Aufstellung des norddeutschen Schemas mit drei Eiszeiten die preußische geologische Landesauf- nahme unter besonderen Vorantritt von Wahn- schaffe und Keil hack maßgebend geworden. Drygalski und auchGürich sind als die Ver- treter des IVIonoglazialismus dort, L e p s i u s und Geinitz hier zu nennen. Wir wollen hier die Frage der Alpen zunächst beiseite lassen. Dem zusammenfassenden Werke Wahn- schaffe's „Die Oberflächengestaltung des nord- deutschen Flachlandes"-) stellte Geinitz zwei in Fassung des Themas und demgemäß inhaltlich einander nicht völlig deckende Arbeiten gegenüber: „Das Quartär Nordeuropas" in dem Sammelwerke Lethaea geognostica') und „Die Eiszeit"^). Die Probleme waren somit klar gestellt, und doch hat der seitherige Weg der Wissenschaft die grund- sätzlichen Gegensätze trotz gewaltigen Zu- wachses an vortreftlichen Beobachtungen und Verarbeitungen kaum gemildert. Genannt sei der Vollständigkeit halber das ausgezeichnete kleine Büchlein von VV e r t h : „Das Eiszeitalter". ^} Lepsius hat seine Anschauungen in dem noch nicht völlig abgeschlossenen dreibändigen Kom- pendium ,, Geologie Deutschlands" ") niedergelegt, ist aber seines Standpunktes wegen von Gagel heftig angegriffen worden. Der letztere Autor sah sich denn auch veranlaßt .,Die Beweise für eine mehr- fache Vereisung Norddeutschlands in diluvialer Zeit" 'j neuerdings eindringlich zusammenzustellen. Dennoch hat die Gegenpartei nicht überzeugt werden können; Geinitz hält jener Arbeit seine Gründe gleichfalls ausführlich nochmals gegenüber in „Die Einheitlichkeit der quartären Eiszeit". **) Das Prinzip der Schulenbildung in wissenschaft- lichen Dingen ist psychologisch bedeutsam und gewiß nicht ohne Wert, aber auch nicht ganz ungefährlich. Besonders deutlich trat es z. B. ') „Die Alpen im F.iszeitaller". Tauchnitz-Leipzig 1909. *) Engelhorn-StuUgart (3. Aufl. 1909). ') Schweizerbart-StuUgart 1904. *) Vieweg-Hraunschweig 1906. "") Sammlung Göschen Nr. 431. 191 1 (2. Aufl. in Vor- bereitung). *) Lepsius, Geologie von Deutschland und den an- grenzenden Gebieten. Hand 2, 2. Teil; Das nördliche und östliche Deutschland. Leipzig 1910, S. 454—530. ') Geol. Rundschau. Engelmann-Leipzig. Bd. IV, S. 319 bis 421. 1913. *) Neues Jahrbuch f. Min. usw. Schwcizerbart-Stuttgart 1915, Beilage-Band 40, S. 77 — 118. anfangs in Sachen der Alpentektonik hervor. So ist zu beachten, daß die zahlreichen F'lachlands- Geologen der preußischen geologischen Landesauf- nahme dem Beispiel Wah n seh affe's und Keil- h a c k ' s folgend an der dreimaligen Vereisung festhalten, nicht außer Acht zu lassen aber auch, daß gerade ihnen von Berufs wegen besonders reiche Erfahrungen im Felde, also unmittelbare Beobachtungen und obendrein ein gerade in diesen P'ragen hochnotvvendiges reichhaltiges Material an Bohrergebnissen zur Seite steht. In zahllosen i'\ufnahmeberichten, Kartenerläuterungen und selbst- ständigen Einzelarbeiten sind sie niedergelegt. Gagel vertritt nur gewissermaßen ihre gemein- schaftliche Sache. Er hat aber dankenswerterweise auch selbst, was ihm an Wichtigem noch unge- löst schien, in einem besonderen Aufsatze zusammen- gestellt: ,, Probleme der Diluvialgeologie."') Letzten Endes ist die P>age nach der Anzahl der Vereisungen eine Präge der Beobachtung selbst zu nennen. Schematisch müssen jeder Eisbedeckung eine Moräne oder Grundmoräne, den Zwischen- zeiten mit günstigerem Klima Ablagerungen irgend welcher Art mit Resten von Pflanzen oder Tieren, aus denen die Bewohnbarkeit der betreff'enden Stelle in jener Zeit und die günstigeren Lebens- bedingungen ablesbar sind, entsprechen. Ist solche Wechsellagerung nicht vorhanden, so fehlt der Annahme wiederholter Vereisungen der Boden, ist sie vorhanden, so kann nur das Maß der Schwan- kungen noch strittig sein. Nun ist zwar das ganze Profil des Diluviums viel zu mächtig, um an einer Stelle vollständig erschlossen zu sein. Hier sind ja die älteren Schichten noch kaum durch Ge- birgsstörungen ans Tageslicht emporgebracht wor- den. Aber schließlich beruht alle Stratigraphie auf der Kombination mehrerer Profile, zwischen denen mindestens einzelne Glieder vermitteln. Dazu kommen die in dem meist weichen Material verhältnißmäßig zahlreichen Bohrungen. Es ist daher verwunderlich, daß es noch immer nicht gelingen wollte über die stratigraphischen Ver- hältnisse des Diluviums einheitliche Vorstellungen zu gewinnen. Denn daß das Studium und die Kenntnis der stratigraphischen Lagerung Anfang und Grundlage aller anderen L^nter- suchungen sein muß, daß alle paläontologischen, prähistorischen Ergebnisse sich dem anzupassen haben, statt eigene Grundsätze dagegen zu stellen, darin ist Gagel unbedingt beizustimmen. Als beweisend für dreimalige Vereisung Nord- deutschlands werden mit Vorliebe zwei Bohrungen, die von Rüdersdorf und Hamburg angeführt. Im letzteren Falle folgen drei Grundmoränen (Ge- schiebeinergel) durch andersgeartete, z. T. Fossilien führende Schichten getrennt innerhalb eines Pro- fils übereinander. Geinitz hält dem gegenüber, daß durch glaziale Stauchungen, wie wir sie allent- halben kennen, P'älschungen in dergleichen Stich- ') Branca-Fcsischrift, Borntraeger-Leipzig 1914, S. 124 bis 163. N. F. XIV. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 579 proben gebracht werden können, indem die gleiche Bank in verschiedener Höhenlage mehrfach ange- troffen werden kann. Es ist das das eine beson- ders angesichts der tektonischen Störungen im Hamburger Gebiet gewiß sehr berechtigte Deutung gegenüber einer Tatsache. Kann danach der Einzelbefund nicht ohne weiteres als typisch an- gesehen werden, so ist eine Verallgemeinerung der genannten Auffassung noch viel weniger statt- haft. Jene beiden Bohrungen sind aber, wie aus Gagel 's Zusammenstellung klar genug hervor- geht, längst nicht mehr die einzigen, in denen die beiden untersten , bzw. alle drei Glazialhorizonte übereinander angetroffen worden sind. Es wäre doch seltsam, wenn in allen diesen Bohrungen stets der gleiche ungünstige Zufall die Hand im Spiele hätte! Also lassen wir diese Tatsache ungehindert sprechen, so ist eigentlich die wich- tigste Streitfrage bereits erledigt. Aus den Gagel'schen Beispielen verdienen die Profile von Rixdorf und Phoeben besonders hervorgehoben zu werden: die beiden tieferen Geschiebemergel sind dort, wie in der Umgebung Berlins \) allgemein durch die (über Tage nirgends erschlossene, meist zwischen 7 bis 15, selten 20 m unter dem Meeres- spiegel anstehende) fluviatile oder lakustrische Bank mit der bekannten, in ungeheuren Massen auftretenden Schnecke Paludina diluviana getrennt. Und während die oberste der drei Grundmoränen in der Nähe Berlins vielfach undeutlich ausgeprägt ist und unmittelbar auf dem mittleren Glazial- diluvium (,, unterer Geschiebemergel" und „unterer Sand") aufruht, also stratigraphisch nicht ohne weiteres von ihm abgesondert werden könnte, schiebt sich in Rixdorf wie in Phoeben je eine sehr fossilreiche Schicht zwischen sie. Dort die berühmten Rixdorfer Sande und Kiese mit ihren zahlreichen, trefflich erhaltenen Wirbeltierresten, hier faulschlammgemischte Sande mit Muscheln und Schnecken, sowie Torflagen. Nimmt man noch etwa das Profil von Hiddensoe dazu, wo zwei marine Fossilschichten die Rolle der Zwischen- lagen zwischen drei Geschiebemergeln (bzw. -lehmen) übernehmen und die große Zahl der Fundorte, die weniger vollständige Profile liefern, einander jedoch in gleicher Richtung ergänzen,") so muß das stratigraphische Schema allen lokalen Abänderungen bzw. Kürzungen zum Trotz als feststehend angesehen werden: 3. Glazial II. Interglazial (Rixdorfer Horizont bei Berlin). 2. Glazial ') Weitere wichtige Profile findet man in Keilliaclj's Erläuterungen zum Kartenblatt Teltow. *) Diese natürlich mit ganz besonderer Vorsicht und lieber etwas zu viel als zu wenig Kritik! Gagel gibt offen zu, dai3 in der Scheidung zwischen oberem und unterem Ge- schiebemergel in der preußischen Landesaufnahme bei weitem noch nicht das letzte Wort gesprochen und allzuoft eine Ent- scheidung bisher nicht möglich ist. Die Angaben der geolo- gischen Karten in solchen Fällen sind nur vorläufiger, rein praktischer Notbehelfl I. Interglazial (Paludinen-Bank bei Berlin). I. Glazial. Nun ist nicht jede Geschiebemergelbank ein Beweis für eine selbständige Vereisungsperiode. Ihre Zahl ist verschiedentlich höher als drei, ohne daß irgendwo in Norddeutschland stratigraphische Anhaltspunkte für eine vierte älteste Eiszeit zu finden wären. Schwankungen des Eisrandes finden wir an allen Gletschern und haben sie selbstver- ständlich auch für das Inlandeis — der größeren Masse entsprechend vielleicht in viel größerem Umfange anzunehmen. Die F"rage spitzt sich also darauf zu : Wann ist eine Eiszeit „selbständig", wo sind die Grenzen zu ziehen zwischen einem bloßen vorübergehenden Rückzug und einer eigent- lichen Zwischeneiszeit ? Es ist klar, daß mit dieser Frage der systematisierenden Willkür das Tor ge- öffnet wird. Es ist eine von den Fragen, die nicht entschieden werden, sondern über die man sich einigen muß. An Stelle wesentlicher Unterschiede treten hier quantitative. Geinitz behauptet eine „Einheitlichkeit" der quartären Eiszeit auch nur in dem Sinne, daß eine einmalige Unterbrechung durch Rückzug des Inland- eisrandes „etwa bis an das baltische Endmoränen- gebiet" stattgefunden habe. Die Anerkennung einer Zwischeneiszeit macht er abhängig von einem Rückzug bis auf die heute vom Eise be- deckten Gebiete. Natürlich ist auch das eine rein konventionelle Grenze. Denn offenbar ist der Zu- stand, wie wir ihn zufällig erleben, nicht ein dauernder; geologisch ist jede Polvereisung als anormal zu bezeichnen, und in diesem Sinne ist auch jetzt die Eiszeit noch an der Herrschaft. Die Vertreter der wiederholten Vereisungen behaupten aber — und Geinitz knüpft nur daran an — , daß die klimatischen Verhältnisse; der Zwischeneiszeiten mindestens den heutigen ent- sprochen hätten, vielleicht zum Teil noch günstiger gewesen seien. Damit betreten wir das Gebiet, in dem nicht lediglich ein Ablesen der von der Natur gebotenen TatsachendieEntscheidungbringen kann, sondern wo das Schwergewicht bei der Deutung und Erklärung liegt. Man darf davon ausgehen, daß die Pflanzen gegen Veränderungen von Temperatur- und Feuch- tigkeitsgehalt empfindlicher sind als die Tierwelt. Innerhalb der letzteren sind vielleicht die Wirbel- tiere und Landbewohner die anpassungsfähigeren. Doch gehen in dieser Beziehung die Unterschiede natürlich viel weiter, bekanntlich bis zum Individuum. Es ist daher mit Schwierigkeiten verbunden, die fos- silen Reste derinterglazialablagerungen unmittelbar als klimatische Indikatoren zu verwerten. Es wird zwar zwischen „kalten" und „warmen" Floren und Faunen des Diluviums unterschieden auf Grund der Vergesellschaftungen an getrennten Stellen und unter abweichenden Lebensbedingungen. In- dessen sind die Fälle keineswegs selten, in denen sich beide Bestandteile mischen und damit ihre Verwertbarkeit in Frage gestellt wird. Zwar mag ein klimatischer und damit floristischer und fau- 58o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XrV. Nr. 37 nistisclier Wechsel sich des Öfteren schneller voll- zogen haben als die Sedimentation und so tat- sächlich Verschiedenaltriges uns doch in ein und derselben Schicht entgegentreten als scheinbare Zeitgenossen. Doch dies zugeben heißt: auf die Beweisführung in solchen Fällen verzichten. Überdies wird von den Monoglazialisten das Auftreten wärmeliebender Lebewesen in diluvialen Ablagerungen keineswegs bestritten , nur deren Beweiskraft für eine klimatischere Änderung, die unbedingt ein .■\bschmelzen des Eises mindestens bis auf den heutigen Stand hätte zur Folge haben müssen. Denn es läßt sich die Ansicht vertreten und sie wird folgerichtig von Geinitz neuer- dings betont, nicht eine allgemeine Abkühlung sei der wesentliche Grund für die mächiige Aus- dehnung der Eismassen gewesen, vielmehr eine vermehrte Niederschlagsmenge: nicht Eiszeit, son- dern Schneezeit müsse die Periode heißen. Tatsächlich ist eine Ursache für die .'\bkuhlung bisher noch immer nicht klar erkennbar. Erhöhte Niederschläge wären als Folgen größerer Landhebungeu leichter verständ- lich. Doch ist dagegen zu bemerken, daß die Glazialzeit nicht lokal sondern ganz allgemein von beiden Polen aus äquator- wärts vorschreitend aufgetreten ist, in niederen Breiten die Hochgebirge und selbst unsere Mittelgebirge erfaßte und erst in tropischen Zonen den Charakter einer Pluvialzeit annahm. In welchem Umfange sollten also die Hebungen vorzustellen sein? Und warum hatten zahlreiche frühere geologisch test- stellbare Hebungen nicht gleichfalls Schneezeiten im Gefolge ? Erst als unmittelbare Folge sollten nach jener Vorstellung in allernächster Nälie des Eises Ab- kühlungen stattgefunden haben. Im ganzen sei das Inlandeis in ein der Temperatur nach wenig verändertes Klima Norddeutschlands vorgedrungen, wie die Eiszungen der Alpengletscher bis ins sommerliche Grün der Wälder und Matten hinab- steigen. Das Eisgebiet selbst konnte natürlich im ganzen nicht Wohn- und Nährgebiet auch für nordische Lebewesen bleiben; die arktische Fauna und Flora wurden also nach jener Darstellung mit dem Eisrande südwärts verdrängt und mitten unter die wenig veränderten Bewohner unserer Breiten verpflanzt. So seien Mischungen wie lokale Kolonien mehr wärme- oder käiteliebender Lebewesen unmittelbar nebeneinander und gleich- zeitig verständlich. Denkt man sich noch eisfrei gebliebene Inselgebiete als größere und kleinere Lücken der Eisbedeckung, wie sie in Nordamerika in großer Ausdehnung tatsächlich festgestellt sind (driftless area), so konnten sich dort auch bei nur vorübergehendem Bestände und während größter Eisausdehnung, also gleichzeitig mit südliclier ent- stehenden Moränen Tier- und rflanzenrcstc ab- lagern und so nachträglich Interglazialzeiten vor- täuschen. Damit finden wir dann den Zusammenhang dieser recht spekulativen Deutungsversuche mit unserer Frage nach dem Tatsachenbestande wieder. Wenn oben mehrere an verschiedenen Stellen ge- fundene Profile zu einem gcmein.samen Schema verbunden wurden, so geilt auch das über die bloße Beobachtung offenbar schon hinaus. Denn wir können die ungestörten Zusammenhänge der ein- zelnen Interglazialfundstellen untereinander nicht feststellen, ja wir müssen das Fehlen solchen Zu- sammenhangs in vielen h'ällen zugeben und können bei der Natur kontinentaler Ablagerungen über- haupt eine einheitliche Sedimentdecke über große Gebiete hin nicht einmal erwarten. Ein Schema ist aber in allen Dingen — handle es sich um Systematik in der organischen Welt oder um strati- graphische Ordnung in geologischen Dingen — nur der Maßstab, das Fadenkreuz, das Koordi- natensystem, mit Hilfe dessen wir die Natur zu erfassen suchen. Es darf mit dem Objekte selbst nicht verwechselt werden, das in der Natur stets weniger strenge Formen, größere Mannigfaltigkeit aufweist, ist also nicht dadurch als „unrichtig" (sollte heißen unpraktisch, denn es besitzt eben keine reellen Werte) zu erweisen , daß es sich auf bestimmte Einzelbefunde nicht anwenden, in der Natur selbst nicht auffinden läßt. Die ver- schiedene Deutung des gewiß noch nicht end- gültig bekannten Tatsachenbestandes seitens der Monoglazialisten und Polyglazialisten läuft aber nachgerade darauf hinaus, daß erstere die zahl- reichen Unregelmäßigkeiten, die unbestreitbare Mannigfaltigkeit der Erscheinungen unmittel- bar zu erfassen suchen. Wie mir scheinen will, ein unphilosophisches Beginnen. Die Einheitlichkeit der Vereisung soll, wie aus Geinitz' Darstellung hervorgeht, weder zeitlich noch räumlich ganz streng genommen werden. Ein einmaliger Rückzug bis ins Gebiet des balti- schen Möhenrückens wird zugegeben, größere Lücken in der Inlandeisdecke sind zum Verständ- nis bestimmter Vorkommnisse heranzuziehen, selbst klimatisch (freilich mehr sekundär und in mög- lichst geringein Ausmaße) sei das eine Zwischen- stadium ausgezeichnet zu. denken. Damit ist nach Gag el's Definition eine eigentliche Zwischeneis- zeit bereits zugestanden. Es handelt sich also prinzipiell nur noch um das Vorhandensein einer ersten Interglazial- und allerersten Glazialzeit, hin- sichtlich des zweiten Interglazials mehr um die Auffassung seiner Intensität. Da sei denn nochmals an das nördlich der Baltischen Endmoräne gelegene Profil von Hiddcnsoe erinnert. Die marinen Einschaltungen würden ja zugleich dafür zeugen, daß Hebungen allzubedeutenden Ausmaßes nicht stattgefunden hätten, also auch kaum die grundlegende Ursache der Vereisung abgeben konnten. Selbst dann nicht, wenn es sich hier — Geinitz bestreitet allgemein das Vorhandensein echten marinen Interglazials — nur um vom Eise verschleppte wurzellose Schollen im Glazialdiluvium handeln sollte. Denn das diluviale Alter und der marine Charakter kann den Molluskenschalen nicht gut abgesprechen werden. Nicht minder beweiskräftig aber erscheint der Hiddensoc uimiittelbar benachbarte, ganz anders geartete Befund auf der Insel Rügen, der oft stu- N. F. XIV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 581 diert und besprochen zuletzt durch Keil hack') eine sehr eingehende Darstellung erfahren hat. Das schöne Steilufer der Küstenstrecke Saßnitz-Stubben- kammer zeigt vollendeten Schuppenbau : Die weiße Schreibkreide ibt zusammen mit einem kon- kordant lagernden Teile des Diluviums in eine Fülle von Schollen zerbrochen, die aus südlicher Richtung übereinander (bzw. im Sinne Philippi's aus nördlicher Richtung untereinander) geschoben erscheinen. Dieser Schuppenbau ist oben hori- zontal abgeschnitten und wird von einem anderen, auch petrographisch abweichenden Teile des Dilu- viums diskordant überlagert. Lassen wir hier die Frage, ob rein gebirgsbildende Kräfte oder der Druck des Eises am Werke waren und aus wel- cher Richtung demgemäß die störende Kraft kam, ganz außer acht. So viel scheint aber doch klar, daß innerhalb einer einheitlichen Vereisung unter fortdauernder Eisbedeckung der ganze Vorgang vollkommen unvorstellbar ist. Eine Zwischeneis- zeit ist hier inmitten der Ostsee allein aus dem tektonischen Befund heraus abzulesen. Geinitz aber kämpft nur gegen die Deutung der rein stratigraphischen, hier gewiß nicht besonders klaren Scheidung unteren und oberen Geschiebe- mergels an. Zugleich knüpft sich daran ein weiteres, für die vorliegende Frage und für das Verständnis des gesamten Diluviums sehr wichtiges Problem. Über dieSchnelligkeit klimatischer Wechsel, des Vor- rückens und Rückvvärtsschreitens einer Vereisung kann man sehr verschiedener Ansicht sein. Eine Schollenbildung wie die von Rügen braucht unter allen Umständen geraume Zeit. Ein katastrophales plötzliches Ereignis dieser Art kennen wir nicht, sind wir daher auch nicht berechtigt in früheren Zeiten der Erdentwicklung vorauszusetzen. Es ist klar, daß eine Darstellung des Diluviums als einer dreimaligen Wiederhohing des gesamten Vereisungsvorganges vom skandinavischen Zentrum aus mit ganz anderen Zeiträumen rechnen muß als die Vorstellungen eines Monoglazialisten. Gagel schließt denn beispielsweise auch aus den Wahrnehmungen im Saalegebiet, ,,daß diese interglaziale Tal- und Terrassenbildung min- destens ebensolange Zeit gebraucht hat, als seit dem Verschwinden des Eises aus jener Gegend vergangen i^t, also mindestens ebensolange gedauert hat, als die Postglazialzeit (vielleicht ebenso- lange als die Postglazialzeit und die letzte Eiszeit zusammen)". Unter solchen Umständen bliebe auch Raum für die Verschiebungen auf Rügens Bodens. Man muß sich aber vergegenwärtigen, wie gewaltigen Spielraum bei solchen Vorstellun- gen die Entwicklung der diluvialen Säugerwelt und diejenige des fossilen Menschen gewinnen. So spielen auch solche rein paläontologischen Fragen eine gewisse Nebenrolle in unserer geolo- gischen nach der Zahl der Eiszeiten im Diluvium. Ein Beweis für besonders lange Dauer und danach für mehrmalige Wiederholung der Eiszeit ist ihnen indessen bisher durchaus nicht zu entnehmen, wie im Anschluß an Geinitz' Ausführungen betont werden mag. Auch möchte ich mich nicht allge- mein als Freund der Annahme gewaltiger Zeit- räume in der Geologie bekennen, die oft nur deshalb beliebt wird, weil die Millionen da so billig sind. Ein weiteres wichtiges Problem ist nach dem Vorgange der alpinen Diluvialforschung auch für Norddeutschland in den Kreis der Betrachtungen gezogen worden. Der Länge einer eisfreien Zwischenzeit entsprechend muß die Verwitterung der Grundmoränen und sonstigen Ablagerungen der vorangegangenen Eiszeit sein. Liegt frischer, wenig zersetzter Geschiebemergel über oder auf tiefgreifend verwittertem , so scheint auch daraus hervorzugehen, daß die Zeit seit Ablagerung des jüngeren mit der ihm vorangehenden Interglazial- zeit sich an Länge nicht messen kann, daß nicht eine verhältnismäßig unbedeutende lokale Rück- zugsphase die Ursache gewesen sein kann. Erscheint aber nach alledem die Annahme wiederholter selbständiger Vereisungen immer unabweislicher, so wird einerseits die Deutung der stratigraphischen Profile wohl vereinfacht gegen- über der mit zahlreichen Ausnahmen und Un- regelmäßigkeiten rechnenden Erklärung vom monoglazialistischem Standpunkte aus. Ebenso unverkennbar wächst indes nach der anderen Seite die Schwierigkeit, die Veranlassung ') der dilu- vialen, wie aller früheren Vereisungen der Erde zu erkennen. Die bloße Vereinfachung der Er- klärung darf daher hier, wie überall, von beiden Seiten nicht als treibender Grund angeführt werden. Die Geinitz'sche z. T. auf Arbeiten von Holst und Lamansky fußende Darstellung ist an sich sehr bestrickend insofern, als sie nicht nur den Beginn, sondern auch das Aufhören der normalen ,, Schneezeit" verständlich zu machen sucht: Durch Hebung vermehren sich die Nieder- schläge, aus den Schneemassen erwächst das vor- dringende Inlandeis. Eine zeitweilige Senkung bewirkt ebenso automatisch die zugegebene ein- malige Rückzugsphase und stellt sich ihrerseits als Wirkung des ungeheuren Drucks der Eismassen dar. Die Eiszeit trägt also den Keim ihres Endes in sich selbst. Und auch in einer zweiten Weise und zum zweiten Male graben sich die Gletscher ihr eigenes Grab, nachdem durch die Druck- entlastung das Land wieder zu steigen begann und der Vorgang sich wiederholte. Das Eis wirkt wie eine große Landmasse, das Klima wird kon- tinentaler, d. h. auch trockener; die Niederschläge lassen nach, das Eis geht an Nahrungsmangel zu- grunde. Ein großer Unterschied bei solcher Auf- fassung beruht unter anderem darin, daß das In- ') Die Lagerungsverhältnisse des Diluviums in der Steil- küste von Jasmund auf Rügen. Jahrb. d. kgl. preuß. geol. Landesanstalt 1912, Bd. 33, I, S. 114 — 158. ') Vgl. dazu A. Frey, Zeitschr. 1914, S. 204 ff. Die Ursache der Kiszeitcn. Diese 582 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 37 landeis weniger infolge Erwärmung vom Rande aus rückwärts abschmilzt als vielmehr von der Wurzel her verdorrt, an schwächeren Stellen früh- zeitig die rückwärtige Verbindung verliert und so an anderen als totes Eis gleich dem, das wir noch heut in Sibirien finden, eine Zeitlang als geographischer Faktor weiter wirkt. Aus dieser Möglichkeit her- aus werden dann wieder besondere Erscheinungen des Diluviums heraus erklärt. Nur sollte man erwarten, daß gerade ein solches Spiel sich ad in- finitum mit immer erneuten Eisvorstößen wieder- holen, wie gesagt, auch in vordiluvialen Zeiten häufiger zu finden sein müßte. Genug: der Probleme bleiben noch viele, ja sie nehmen immer größeren Umfang an, gewinnen an Tiefe und Schwierigkeit. Aber nochmals: das ist der naturgemäße, durchaus erfreuliche Gang der Forschung. Nur der Mittelpunkt . von dem alle Untersuchungen und alle durchaus be- rechtigten Spekulationen auszugehen und nach möglichst vielen Richtungen auszustrahlen haben, darf nicht in der Luft schweben. Über den strati- grai^hisclien Befund muß und kann, wo Einigkeit oder Klarheit noch nicht herrscht, durch Beob- achtung oder Bohrung eindeutige Gewißheit ge- schaffen werden. Pubertät. [Nachdruck verboten.] Von H. Als Pubertätsperiode bezeichnet wird die meist verhältnismäßig kurze dem Eintritt der Repro- duktionsfähigkeit vorausgehende Zeit, in welcher die schon vorher stattgefundene Ausbildung der Geschlechtsmerkmale eine auffällige Beschleunigung erfährt. In diese Zeit fällt aber nicht nur die beschleunigte Ausbildung der Geschlechtsmerkmale, sondern sie ist auch durch ein besonders rasches Körperwachstum ausgezeichnet. Bei den einzelnen Spezies fallt die Pubertät in einen früheren oder späteren Abschnitt der ganzen Lebensdauer. Bei manchen Tieren, vor allem bei den Insekten, fällt die vollkommene Ausbildung der Geschlechts- merkmale noch in das larvale Stadium; bei anderen, namentlich bei den Wirbeltieren, macht diese Aus- bildung erst im postembryonalen Stadium bedeu- tende Fortschritte. Für die höheren Tiere gilt die Regel, daß der Eintritt der Reproduktions- fähigkeit erst am Ende der individuellen Entwick- lungszeit, nach vollkommener Ausbildung des Körpers, erfolgt. \) Aber es gibt Ausnahmen von dieser Regel, wozu mindestens auch ein Teil der Menschenrassen gehört. Bisher sind die Erscheinungen der Pubertät als besonderer Komplex von Veränderungen eigentlich nur beim Menschen ziemlich genau beobachtet und beschrieben worden. Doch darf man als sicher annehmen (wie z. B. Tand 1er und Groß sagen), daß ähnliche Vorgänge auch bei jenen Tieren stattfinden, bei welchen die Reifezeit im postembryonalen Stadium eine relativ lange ist. ') Beim männlichen Menschen kommt es in der Pubertätszeit zu einer raschen Vergrößerung der Testikel und des Penis; es sprießen die Barthaare, der Kehlkopf erfährt eine weitgehende Umdimensio- nierung, die mit einer Veränderung der .Stimme einhergeht. Bei der weiblichen Person hat der Uterus zur Zeit der Pubertät die Entwicklung von der infantilen zur geschlechtsrcifen P'orm vollcncret und es tritt die Menstruation ein. Ungefähr eleich- ') Tandlcr und Groß, Die biologischen Grundlagen der sekundären Geschlcchtscharaktere, S. 70—72. Berlin 1913. Fehlinger. zeitig kommt es zur Ausbildung der Brüste. Die Fettverteilung am Körper, die schon vor der Reife- zeit bei Knaben und Mädchen nicht gleichartig war, nimmt nun die für die beiden Geschlechter charakteristische Form an, wobei die Rundung der Schenkel, des Gesäßes und der Hüften beim weib- lichen Geschlecht besonders auffallend wird. Be- merkenswert ist, daß das Gesamtvolumen des Fettes zur Pubertätszeit eine Abnahme aufweist. Die Behaarung an den Genitalien und am Mons veneris stellt sich in der für die Geschlechter bezeichnenden ."Ausdehnung ein, gleichwie die Behaarung der Achselhöhle. Als Zeichen der Allgemeinreife des Körpers schwindet der Thymus und die Epiphysen- fugen beginnen sich zu schließen. Der Eintritt der Reifeerscheinungen ist an das Vorhandensein und die Funktionsfähigkeit der Keimdrüsen gebunden. Bei Unterentwicklung dieser Drüsen oder ihrer Entfernung vor der Pubertät bleiben die Reifezeichen entweder ganz aus oder sie treten nur unvollkommen auf (Tan d- 1er und Groß, a. a. O. S. 71 — 72.) Beim männlichen Geschlecht erfolgt das Auf- treten der Reifezeichen später und es ist weniger markant als beim weiblichen Geschlecht. Soweit es sich um Europäer handelt, sind ungefähr vom zehnten Lebensjahre an die einzelnen Wachstums- perioden des männlichen Geschlechts länger als die des weiblichen ; das geht aus dem folgenden von Martin durchgeführten Vergleich deutlich hervor. ') Wachstunisperioden Dauer a) Männliches Geschlecht: 1. rasches Wachstum bis zum 5. od. ö. Lebensjahr 2. langsames Wachstum ,, ,, lo. ,, 12. ,, 3. beschleunigtes Wachstum ,, ,, 16. ,, 18. ,, 4. verlangsamtes Wachstum „ ,, 25. ,, b) Weibliches Geschlecht: 1. rasches Wachstum bis zum ^. od. 6. Lebensjahr 2. langsames Wachstum ,, ,, 10. ,, 3. beschleunigtes Wachstum ,, „ 14. ,, 15. „ 4. verlangsamtes Wachstum ,, „ l8. „ 20. ,, ') Lehrbuch der Anthropologie, S. 22g, Jena 19 14. N. F. XIV. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 583 Bei anderen Rassen ergeben sich zum Teil er- hebliche Abweichungen von diesen Wachstums- perioden des Europäers. So fand z. B. E. v. Baelz bei den Japanern einen frühen Abschluß des Größen- wachstums und eine unerwartet spät nach Wachs- tumsabschluß eintretende Geschlechtsreife. Die Reifezeichen treten bei den Japanerinnen später auf als bei den Europäerinnen ; Mischlingsmädchen nehmen eine Mittelstellung zwischen beiden ein. ') Bei Melancsiern fand Reche die einzelnen Perioden raschen und langsamen Wachstums (von der ersten Periode abgesehen) kürzer als beim Europäer, und mit Beginn des 17. Lebensjahres schien in der Hauptsache beim weiblichen, mit dem 18. Lebens- jahre auch beim männlichen Geschlecht das Größenwachstum abgeschlossen. Die Reifezeichen erscheinen später als beim Europäer: Die Puber- tät setzt in dem Momente ein, wo das Größen- wachstum aufhört. -) Dasselbe trifft bei anderen farbigen Rassen gleichfalls zu. Von dem normalen Eintritt der Pubertät ist die path ol ogisch e P"rü h reife wohl zu unter- scheiden, welche sich durch das überstürzte zeit- liche Auftreten einzelner Geschlechtsmerkmale, vielfach auch durch exzessive Entwicklung der- selben, auszeichnet. Mit der pathologischen P'rüh- reife in Zusammenhang steht vorzeitiger Verschluß der Epiphysenfugen an den Röhrenknochen, was Kürze der Extremitäten bei Länge des Rumpfes zur Folge hat; ferner tritt die für erwachsene Personen charakteristische F"ettanhäufung und Terminalhaar- entwicklung sehr frühzeitig auf und die Geschlechts- organe verlieren ihren kindlichen Charakter. Der genaue Zeitpunkt des Eintretens der normalen Reife ist bei Mädchen wegen des Auftretens der Menstruation erheblich leichter festzustellen als bei Knaben. Die bisher hierüber ge- pflogenen Untersuchungen ergaben bedeutende individuelle wie rassenmäßige Unterschiede. Es hat sich vor allem gezeigt, daß die Annahme, der frühere oder spätere Eintritt der normalen Reife hänge hauptsächlich vom Klima ab und heißes Klima sei dem frühen Eintritt der Reife günstig, unhaltbar ist. Die ziemlich zahlreichen Angaben über das erstmalige Auftreten der Men- struation bei Europäerinnen sind zum Teil einander widersprechend. Auf Grund eines 10 500 Frauen umfassenden Materials stellte R. Seh ö ff er ^) das mittlere Alter des Menstruationsbeginnes für Deutschland mit etwa 15^/^ Jahren fest. Der ') Baelz, Anthrop. der Menschenrassen Ostasiens. Ztschr. f. Ethn., 33. Jahrg. ^) Reche, Untersuchungen über Wachstum und Ge- schlechtsreife bei melanesischen Kindern. Corresp.-Bl. d. D. G. für Anthrop., 41. Jg., S. 53. ') Über das Alter des Menstruationsbeginnes. Archiv für Gynäkologie, Bd. S4. Menstruationsbeginn fiel in 53,3"/o der I'älle in das 14. — 16. Lebensjahr, in 85,i";„ der Fälle in das 13.— 19. Lebensjahr. Nach St ratz tritt die Menstruation in den Niederlanden am häufigsten erstmalig auf: Bei den höheren Ständen mit 13 Jahren, beim Mittelstand mit 14 Jahren und beim Bauernstand mit 16 Jahren. Andere Autoren, wie z. B. der Amerikaner Bowditch,\) konstatierten ein überdurchschnittlich frühes Auftreten der Menstruation bei den unteren Gesellschafts- schichten. Nach den Untersuchungen von Bow- ditch menstruierten in der Stadt Boston nahezu vier Fünftel der in Amerika geborenen Mädchen weißer Rasse zwischen dem 13. und 17. Jahr zum erstenmal; verhältnismäßig am häufigsten war dies zwischen dem 14. und 15. Jahr der Fall. — Bei nordamerikanischen Indianermädchen tritt angeblich die erste Menstruation am häufigsten mit dem 13. oder 14. Jahr auf, während die typisch weiblichen Körperformen erst im 15. bis 17. Jahr erscheinen. — In Nord-Luzon (Ost- Asien) erreichen nach A. E. Jenks die jungen Leute der m a 1 a y i s c h e n Stämme die Pubertät ziemlich spät; die Ilocanomädchen menstruieren gewöhnlich nicht vor dem 16. oder 17. Jahr. Baelz gibt als durchschnittliches Alter des Ein- tritts der ersten Menstruation bei den Japane- rinnen 14 V3 Jahre an; relativ die meisten Mäd- chen haben im 15. Jahr die erste Menstruation. Portman und Moleswort h berichten, daß bei den Bewohnern der Andamanen Inseln im Golf von Bengalen (die zu den Pygmäen ge- hören) die Geschlechtsreife um das 15. Lebens- jahr eintritt und daß das Körperwachstum schon mit 18 Jahren beendet ist. — Die von Reche untersuchten Melanesiermädchen von Matupi hatten mit Ausnahme der 17jährigen noch nicht men- struiert. Nach Richard Neuhauss stellt sich bei den Melanesiern auf Tami und bei den Jabim die erste Menstruation gewöhnlich mit dem 15. oder 16. Lebensjahr ein. Auch bei den Polynesiern scheint die Geschlechtsreife nicht allzufrüh stattzufinden, doch tritt bei ihnen die Pubertät eine Zeit vor Vollendung des Körper- wachstums ein. Bei anderen Tropenbewohnern, namentlich bei den drawidischen Völkerschaften Südindiens, darf hingegen der fiühzeitige Eintritt der Pubertät als erwiesen gelten; es ist möglich, daß ein Zusammenhang zwischen dieser Tatsache und den dort schon lange üblichen Kinderehen besteht. Über die Neger liegen leider keinerlei zuverlässige Angaben vor. In Nordamerika scheinen Negermädchen entschieden früher reif zu werden als Europäerinnen. ') The Growth of Children. State Board of Health of Massachusetts; Stli Annual Report. 584 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 37 Einzelberichte. Physik. Über Reflexion der X-Strahlen. Nach W. H. B r a g g (Proc. Roy. Soc. 89, S. 246 und 575) kann man durch Beobachtung der Reflexion der X-Strahlen an Kristallen die Kristallstruktur, die Dimensionen des Kristallgitters, die absoluten Wellenlängen homogener X- Strahlen und ihren Reflexionswinkel bestimmen (siehe auch Proc. Roy. Soc. 88 S. 428-38). Von C. G. Darwin (Philos. Mag. 27. p. 315 — 33, 675— go) ist eine Theorie der X- Strahlenreflexion. Es werden die Strahlen einer punktförmigen Antikathode in den parallelen Netzebenen des Kristalls nach einem Aufpunkt reflektiert. Die Stärke der gebeugten VVellen wächst stärker als die Zahl der Elektronen, wenn im Atom mehrere Elektronen existieren, welche in Phase schwingen. Die Schwingungen von Nachbaratomen können aber durch die von einem Atom gebeugten Wellen vermindert und so die Reflexion verkleinert werden. Die beobachtete Stärke der Reflexion beruht auf Unvollkommen- heiten im Kristall und infolge von Verschiebungen in diesem wird ein durch die Oberfläche hindurch- gegangener Teil des Strahls noch im Innern reflektiert. Dr. Bl. Absorption des Lichtes in heterogenen Medien. Die „photographische Dichte" als Funktion der Masse und Zahl der Silberkörner der Platte sucht P. G. Nutting (Philos. Mag. 26, S. 423 — 26) dar- zustellen. Absorptionsschirme aus Gold, Silber, Kupfer und Aluminium untersuchte R. Whiddington (Proc. Cambr. Philos. Soc. 17, S. 280-81) mit Kathodenstrahlen von bestimmter Geschwindigkeit, um die Zahl der beim Durchgang durch Metalle absorbierten Strahlen zu ermitteln. Nach L. Meitner und O. Hahn (Physik. Zeitschr. 14, S. 873 — IJ) besitzt Thorium X eine /-Strahlung und die Absor- bierbarkeit derselben ist größer als die durchschnitt- liche der j'-Strahlen der aktiven Niederschläge. Die Streuung und Absorption der j'-Strahlen des Radiums untersuchte J. A. Gray (Philos. Mag. 26, S. 611 — 23). Die Streuung der «-Teilchen aus Radium (durch Gase, Luft, Wasserstoff, Helium, Methone, Kohlendioxyd und Schwefelwasserstoftl ermittelten E. Rutherford und J. M. Nuttall (Pliilos. Mag. 26, S. 702 — 12) durch photographische Zählung der «-Teilchen. Die Veränderlichkeit der Absorptionsspektren behandelt G. H. Livens (Physik. Zeitschr. 14, S. 841 — 44 u. 1050 — 52). Dr. Bl. Chemie. Ersatz des Platins beim Schwefelsäure- kontaktverfahren.*) Es wurde gefunden, daß Silber- vanadinverbindungen in hervorragender Weise ge- eignet sind, das teure Platin im .SOg-Kontaklprozeß zu ersetzen. Die Wirksamkeit dieser Kombination war nicht von vornherein zu erwarten , da reine Vanadinsäure auch bei besonders vorsichtigem Arbeiten höchstens 84 % des in den Röstgasen ') D.R.P. 280960. enthaltenen SO.^ zu SO3 umzusetzen erlaubt und da Silber, Silberoxyd oder Silbersulfat eine ver- schwindend geringe katalyiische Wirkung auf SO.j und 0., ausüben. Otto Bürger. Zoologie. Das Essigälchen (Anguillula aceti Müller), ein zu den Fadenwürmern gehöriges, i — 2 mm langes Tierchen, ist ein häufiger Bewohner organischer Flüssigkeiten, namentlich des nach der alten Methode durch Gärung hergestellten Essigs. Die Gelegenheit, daß es noch lebend in den Magendarmkanal des Menschen kommt, ist also sehr häufig gegeben. Es hat deshalb eine gewisse praktische Bedeutung zu erfahren, ob es im Menschen weiter leben und Gesundheits- störungen veranlassen kann. In Braun 's „Para- siten des Menschen" wird die Frage verneint. Aus Anlaß einer Forderung von Dr. F. S a c h e r (Düsseldorf) in der Chemiker-Zeitung nach Fern- haltung des Essigälchens von Genußmitteln wegen einer möglichen Gesundheilsschädigung hat H. Wüstenfeld (Versuche über die Un- schädlichkeit der Essigälchen im Menschen- und Tierkörper. Pflüger's Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. Bd. 160, 191 5) eine Reihe von Versuchen angestellt, aus welchen sich dessen völlige Harmlosigkeit in ge- sundheitlicher Beziehung ergibt. Schon im Jahre 1900 hatte W. Henneberg Fütterungsversuche an Mäusen und Fröschen angestellt. Während die Alchen im Verdauungskanal der Mäuse abstarben, wurden sie in jenem des Frosches noch nach drei Wochen lebend angetroffen. In dem menschlichen Magen werden sie offen- bar durch die Salzsäure des Magensaftes, deren Konzentration bis 0,5 % betragen kann, abgetötet. Während sie bei 0,17 *'(, Salzsäure am Leben blieben, starben sie nach einer Erhöhung der Konzentration auf 0,23 "/„ nach 24 Stunden ab. Dazu kommt, daß nach Versuchen von W. Henne- berg bei 38" — 39" C, eine Temperatur, wie sie im menschlichen Magen und Darm herrscht, die, Älchen nur drei Tage lebend bleiben. Ein Hund, welcher täglich 5 Wochen lang mit dem Futter je etwa ','., Million Essigälchen, im ganzen rund 18 Millionen bekam, blieb beim besten Wohlsein. Es konnten bei keiner der zahl- reichen Kotuntersuchungen Älchen wieder gefun- den werden. 4 Stunden nach der letzten Fütterung waren im Magen nur noch einzelne Exemplare zu finden, und nach 24 Stunden konnten in der abge- hebertcn Magenflüssigkeit überhaupt keine leben- den Essigälchen mehr gefunden werden. 1 2 Stunden nach der letzten .\lchenmahlzeit wurde der Hund getötet, und die einzelnen Abschnitte seines Magen- darmkanals (Magen, Dick- und Dünndarm) unter- sucht. Auch diesmal mit völlig negativem Er- gebnis. Wälircnd der fünfwöchentlichen Versuchs- dauer hatte also keine Ansiedlung und Akklima- tisation stattgefunden. N. F. XIV. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 58s Auch Versuche am Menschen — der Verfasser und Professor Dr. P. Lindner nahmen 3 bzw. 2 Wochen lang täglich ca. 200 OOO — 300 000 Al- chen, in verdünntem Essig aufgeschwemmt, ein — hatten ein entsprechendes Ergebnis. „Irgendwelche nachteilige Wirkungen, wie Appetitlosigkeit, Magen- oder Darmverstimmungen usw. wurden sowohl während des Versuchs wie nachher nicht beob- achtet. Wiederholt aufgeführte Kotuntersuchungen ergaben wie beim Tierversuch in beiden Fällen die Abwesenheit lebender Essigälchen." Kathariner. Das Organ des Walkers (Polyphylla fullo L.) zur Tonerzeugung hat Prochnow neuerdings (Zeit- schrift für Wissenschaft!. Insektenbiologie, 191 5, Bd. XI) untersucht und ist dadurch in der Lage, seine in früheren Veröffentlichungen gegebene Dar- stellung zu berichtigen. Prochnow nahm an, daß der Ton durch Reibung der Elytren auf den deutlich ausgeprägten Querrippen der Hinter- flügeladern hervorgebracht werden würde. Aber die Stärke des Tongeräusches wird nicht beein- trächtigt, wenn man die Flügel bis zur Wurzel wegnimmt, oder aus beiden Flügeldecken ein keilförmiges Stück herausschneidet, dessen Grenze vom Schildchen diagonal durch die Flügel führt. Unterhalb der Stigmen sind alle Hinlerleibs- ringe bis auf die beiden letzten auf einem über I mm breiten Streifen von Haaren frei und zeigen die übliche Chitinstruktur als Ausdruck der Ab- scheidung des Chitins von den Matrixzellen. Das- selbe ist der Fall an der Stelle, wo Rücken- und Bauchschuppe des vorletzten Ringes zusammen- stoßen. Diesen Stellen, besonders aber den letzt- genannten gegenüber sind die Elytren mit ziemlich regelmäßig geformten, wenn auch nicht regelmäßig gestellten Zäpfchen und Spitzen versehen, die sich an den Erhöhungen des Abdomens reiben und da- durch die Elytren in tönende Schwingungen ver- setzen. Durch die Reibung der beiden Komponenten des Apparates entsteht ein sehr lauter Ton, der lauteste, den Prochnow von einem Käfer über- haupt hörte, denn er übertrifft die Töne großer Böcke bei weitem an Stärke. Er ist aber auch einer der unreinsten Töne, ungefähr ebenso un- rein wie das kratzende Geräusch der Vanessa-Jo- Falter oder der Geotrupesarten. Dr. Stellwaag. Anthropologie. „Anfange" der vorgeschicht- lichen Kunst. Rastlos schreitet die wissenschaft- liche l-'orschung vorwärts. Immer neue Arbeits- gebiete werden in den einzelnen Forschungszweigen der Wissenschaft erschlossen, und aUbekannte Forschungsergebnisse, an die bisher ein jeder Ge- bildete fest geglaubt und die Fachleute selbst gewissermaßen als Dogma hingenommen hatten, werden umgestürzt und durch neue Ergebnisse wissenschaftlicher Erkenntnis ersetzt. Auf keinem Gebiete hat die Forschung jedoch auch nur annähernd gleich große Umwälzungen in verhältnismäßig kurzer Zeit erlebt wie auf dem Gebiete der Vorgeschichte der Menschen. Wer sich vergegenwärtigen will, wie einschneidend diese Umwälzungen waren, der braucht nur an die Tragweite der Worte „L'Homme fossile n'existe pas" zu denken, die der berühmte Fran- zose Georges Cuvier (7 1832), der Meister der vergleichenden Anatomie und Paläontologie, in seinem Werke „Discours sur les revolutions de la surface du globe" (181 2 in erster Auflage er- schienen) geprägt hat, und sich dann den Stand unserer heutigen Kenntnisse des diluvialen Men- schen zu vergegenwärtigen. Eins der interessantesten Gebiete, die uns durch die Diluvialforschung, vor allen Dingen erst in den letzten Jahren, erschlossen ist, ist das Gebiet der diluvialen Kunst, über das in den letzten Jahren von berufener — und leider noch mehr von unberufener Seite außerordentlich viel geschrieben ist. Die freie Bildnerei, welche in Malereien an Höhlenwänden, in vertieften Fels- skulpturen, in Zeichnungen auf Knochen, in runden Steinschnitzereien geübt ward, überrascht erstaun- lich oft durch Lebenswahrheit bei aller Roheit und bei der fast durchgängigen Beschränkung auf menschliche und namentlich tierische Gestalten. Die ersten Spuren der diluvialen Kunst treten uns, nach dem Stande unseres heutigen Wissens, erst im Jungpaläolithikum entgegen. Wir kennen demgemäß keine Kunstäußerung aus dem Chelleen, Acheuleen oder Mousterien, wenn- gleich z. B. die Regelmäßigkeit und Eleganz der Konturen gerade der jüngeren Faustkeile aus- gesprochenen Sinn für Symmetrie verraten. Wir wollen und wir dürfen nach den Erfahrungen, die unsere Forschung in den letzten Jahren gemacht hat, auf diese negativen Anzeichen keine binden- den Schlüsse aufbauen. Wir wissen, daß das Alt- paläolithikum Knochen oder Hörn überhaupt noch nicht verarbeitete, weshalb wir auch keine künstle- rischen Gebilde aus diesen Stoffen erwarten können. Die Vollendung der ersten Aurignacien- geräte legt es uns aber zwingend nahe, Vorstufen zu der hochentwickelten Aurignac- Kunst anzu- nehmen. Und das hat man bisher auch getan. Seit langem hat man angenommen, daß man schon sehr früh Holzgeräte verziert und aus ver- gänglichem Material sogar primitive Darstellungen gefertigt hat. Welch schlichter Art eine der- artige Kunst unter Umständen sein kann, dafür bieten uns die Naturvölker Beispiele zur Genüge. Eine derartige Kunst der Altpaläolithiker genügte aber einer Reihe von Forschern nicht. In einer Anzahl von Köpfen hat bereits seit langem die Anschauung gespukt, daß die Anfänge der Kunst sich bereits gegenwärtig in viel älteren Kultur- schichten nachweisen lassen müßten, als es die Mehrzahl der Forscher annimmt, und weiter, daß die Kunst sich bereits im Altpaläolithikum des Feuersteins als Ausdrucksmittel bedient haben muß, also des Materials, das bekanntlich in der 586 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 37 ganzen älteren vorgeschichtlichen Zeit infolge seiner besonderen Eigenschaften eine hervorragende Rolle spielen sollte. So ging man denn auf die Suche nach den Erzeugnissen dieser primitiven Kunst, und, wie es ja einem jeden geht, der etwas eifrig sucht, man fand sie zuletzt auch. Das Extremste, was man in dieser Beziehung überhaupt zu leisten imstande war, hat wohl der Franzose T h i e u 1 e n geleistet. Dieser französische Gelehrte hat mehrfach Kieselstücke veröffentlicht, die aus alten teilweise tertiären Schottern stammend eine ganz täuschende Ähnlichkeit mit Tierköpfen haben. Thieulen's Neigung, in diesen Steinen, die Naturgebilde waren, menschliche Artefakte zu erkennen, hat wohl bei keinem F'achmanne Ver- ständnis gefunden. T h i e u 1 e n scheint neuerdings in dem franzö- sischen Forscher Dharvent in Bethune (Dep. Pas-de Calais) einen Nachfolger gefunden zu haben. Dharvent hat in seiner Heimat in jahrzehnte- langer Arbeit mühsam tatsächliche und vermeint- liche Feuersteiiiartefakte gesammelt und eine große Sammlung zusammengebracht, von der er einige Proben dem XIV. Kongreß für Anthro- pologie und Vorgeschichte in Genf 191 2 vor- gelegt hat. Eine Reihe der schönsten dort vor- gelegten Stücke wurde kurz vor dem Ausbruche des Krieges in Ansichtskarten auch durch Deutsch- land weithin verbreitet und in vielen Kreisen sehr lebhaft besprochen; auch jetzt noch im Monat März erreichte mich eine neue derartige Sendung auf dem Wege über das neutrale .Ausland. Aus dieser letzten Ansichtskartensendung sei hier ein Stück reproduziert (Abb. i). P'ür den Sachkenner bedarf es eigentlich bei näherer Betrachtung gar keiner Worte weiter: wie ersichtlich handelt es sich nicht um künstliche Artefakte, sondern um Splitter, die durch Naturwirkungen (Druck, Pressung, Spaltung u. a. m.) entstanden sind. Außer diesen nicht ernst zu nehmenden Nicht- fachleuten haben jedoch auch Fachleute derartige Feuersteinkunstwerke veröffentlicht und für echte Artefakte gehalten, deren Namen im weiten Ge- biete der Wissenschaft einen guten Klang besitzen und deren Arbeiten von vornherein Anspruch darauf haben, ernst genommen zu werden. So hat der Nestor der Afrikaforschung, unser hoch- verdienter Georg Schwein furth, in einer vor einer Reihe von Jahren in der Zeitschrift für Ethnologie 1907, S. 833 erschienenen Arbeit ähnliche Pseudoartefakte aus einer Höhle des Spätpaläolithikums von Sizilien bekannt gegeben. In der grotta del castello bei Termini Imerese sind von dem einheimischen Sammler G. Patiri auf einem Raum von wenigen Quadratmetern in der dortigen Kulturschicht ganze Serien von primi- tiven Tierfiguren, meistens aus Jaspis, zusammen mit einem dürftigen Inventar, das sehr wahrschein- lich dem Magdalenien angehören dürfte, gefunden worden, die Tierköpfe und Tierfiguren darstellen, welche nach S c h w e i n f u rt h nicht durch zufällige Bruch- oder Spalterscheinungen entstanden sind, sondern durch absichtliche sorgfältig ausgeführte Randbearbeitung. Eine weitere Gruppe von Figurensteinchen, von Patiri treffend „bocca aperta" genannt, zeigt an spanartigen dünnen .•\bb. 2. Kiesclstui k \tin 1 '-miini Imerese auf Sizilien, das eine ,, beabsichtigte Tiernachbildung" (Schaf) zeigt. Kiesclstück von Belliune, Dc|i. I'a; vermeintlich bearbeitet. Abb. 3. Kieselstück von Termini Imerese auf Sizilien, das eine ,, beabsichtigte Tiernachbildung" (Pferdekopf) zeigt. Absplissen von annähernd tierkopfähnlicher Gestalt meist an dem der Schlagnarbe entgegengesetzten Ende als Charakteristikum „durch besondere Technik annähernd rechtwinklig in Schartenform ausge- brochene Mäuler" (1), „die bisweilen auch durch dünne Aussplissungen in der Längsrichtung der Späne hergestellt sind". Auch diese bocca-aperta- Stücke weisen sich meist durch sorgfältige Rand- bearbeitung als „beabsichtigte Tiernachbildungen" (!) aus. Zwei dieser Stücke bilden wir hier ab (Abb. 2 u. 3); wir halten die Tiernachbildung nicht für beabsichtigt, sondern lediglich durch Zufall entstanden. N. F. XIV. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 587 In Norddeutschland läßt sich eine „Kunst" erst im Neolithikurn feststellen. Als in den letzten Jahren hier die Übergangsstufen vom Paläolithikum zum Neolithikum (Flenusien, Tardenoisien, Cam- pignyien) näher erforscht wurden, mußten natürlich sofort auch hier Belege für den Anfang der Kunst festgestellt werden. Im Jalire 191 1 hat der prak- tische Arzt Dr. R. Asmus in einer angesehenen fachwissenschaftlichen Zeitschrift einige vorneo- lithische Feuersteinwerkstätten und Wohnplätze von Teterow in Mecklenburg veröffentlicht {Mann US, Zeitschrift der Gesellschaft für deutsche Vorgeschichte. Bd. III, 191 1. S. 171 ff.). In un- zähligen Mengen haben sich dort Feuersteingeräte aus zum großen Teil klaren, schwarzen oder grauen, bisweilen wolkigen Feuerstein von schwankendem spezifischen Gewicht gefunden, wie er in der nächsten Umgebung der Fundstellen in zahllosen Blöcken und Knollen bis zu weit über doppelter Mannskopfgröße massenhaft auf den Feldern und in den Kiesgruben sich findet. Die hier aufge- fundenen Geräte tragen in Technik, Ausführung und Arbeitsweise ein so einheitliches Gepräge, daß ihre unmittelbare Zusammengehörigkeit zeit- lich wie kulturell überhaupt nicht in Zweifel ge- zogen werden kann. Die ganze Eigenart der Aus- führung und Formengebung spricht von einer hohen Altertümlichkeit; sie läßt diese Funde in dem an neolithischen Wohn- und Werkstätten wahrlich nicht armen Mecklenburg als einen ganz ungewöhnlichen, singulären Befund erscheinen. Gewisse, immer wiederkehrende und zahlreich vertretene Formen, die archäologisch gut bestimm- bar sind, wie typische Spalter und Pickel, geben eine genügende Handhabe für die allgemeine Zeit- bestimmung der Funde. Es handelt sich darnach mit Sicherheit um die Hinterlassenschaft der Campignyienzeit. Abb. 4. Kieselstiick von Teterow in Mecklenburg; ,, gewollte bildnerische Darstellung des Kopfes und des Vorderteiles eines Fisches". Unter diesen Fundstücken stellt ihr glücklicher Entdecker eine geradezu erschreckliche Anzahl von Figurensteinen fest; denn nicht weniger als 30 derartige Stücke legt uns Asmus in seiner Abhandlung vor. Das hier wiedergegebene Stück (Abb. 4) zeigt z. B. eine Lamelle mit der Dar- stellung des Kopfes und des Vorderteiles eines Fisches. Diese letzte Veröffentlichung konnte erfolgen, trotzdem erst vor wenigen Jahren von Luschan einige uralte „eolithische" Kunstwerke bekannt- gegeben und entsprechend als „Naturspiele" ge- würdigt hatte, wobei er in seiner feinen ironischen Weise die Prähistoriker, die durch derartige Kunst- werke in Aufregung gesetzt wurden, gehörig geißelte (Zeitschrift für Ethnologie 1907. S. 421). Nach einer Betrachtung der von französischen Forschern entdeckten ,, ersten Anfänge der Skulp- tur" und den von Luschan gewürdigten Natur- spielen wird man auch den von Sc h weinf urth und Asmus bekannt gegebenen Stücken nicht mit allzugroßem Staunen gegenübertreten. Ein vernünftiger Naturforscher dürfte angesichts der Tatsache, daß derartige Formen einer zufälligen Bildung oder Brucherscheinung u. a. m. ihre Er- scheinung verdanken können, einer Erklärung der- artiger Gebilde als ,,ge wollte bildnerische Darstellungen" von vornherein mißtrauisch gegenüberstehen, und dadurch nicht der Versuchung anheimfallen, der ja schon ein Boucher de Perthes und nach ihm noch mancher andere hochgelehrte Forscher zu seinem größten Schaden erlegen ist. Wir dürfen und sollen uns nicht durch die „Naturähnlichkeit" dieser „bildnerischen Darstellungen" täuschen lassen, denn auch die Natur vermag wahre Wunderwerke hervorzu- bringen; ebenso kommt auch das Kri- terium des Findens zahlreicher Stücke und das Kriterium des Findens der- artiger Stücke in Gemeinschaft mit tatsächlichen Artefakten nicht in Be- tracht. Gerade in dieser Zeit, wo auf wissenschaft- lichem Gebiete eine wahre paläolithische Hoch- flut herrscht, an der weite Kreise — nicht nur Prähistoriker , sondern auch sehr viele Natur- forscher — interessiert sind, — wo beinahe kein Monat vergeht, der nicht aus berufener oder un- berufener Feder uns gleich ein ganzes Buch über den paläolithischen Menschen bringt, da ist es angebracht, diese Naturspiele als solche genügend zu kennzeichnen, damit sie nicht von weiteren Kreisen für echte Artefakte gehalten werden und die Sammelwut sich nicht dieses Gegenstandes bemächtigt, wie sie am Beginn des 20. Jahrhun- derts der Eolithen sich angenommen hat. Hugo Mötefindt, Wernigerode. Bücherbesprechungen. Tobler-Wolf, G. und Fr. Tobler, Vege- tationsbilder vom Kilimandscharo. Heft 2 u. 3 der 12. Reihe der „Vegetations- bilder", herausgegeben von G. Karsten und H. Schenk. Jena 1914, G. Fischer. — Preis 8 M. Die beiden Autoren, die vor etlichen Jahren Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 37 eine Studienreise nach Ostafrika ausführten und von dort auch den Kihmandscharo bestiegen, geben hier auf I2 Tafeln Vegetationsbilder, welche die wichtigsten Züge des Pflanzeiikleides dieses mit Rücksicht auf die klimatische Stufenfolge so reizvollen Berges veranschaulichen. Wir folgen, vorbereitet durch eine kurze, allgemein orientierende Einleitung, den Autoren von dem Flachlande der Dschagga, das in einer Höhe von 1200 — 1600 m noch Kulturland ist, Schritt für Schritt aufwärts durch die Urwälder, die Steppen bis hinauf zur schneebedeckten alpinen Wüste. Kurze pflanzen- geographische und -physiognomische Schilderungen kommen den Bildern zu Hilfe, die fast durchweg sehr gute Aufnahmen darstellen. Wie vorzüglich ist z. B. das Blatt mit der berühmten Lobelia Deckeniil Das Heft stellt eine wertvolle Be- reicherung des bekannten großen Tafelwerkes dar, das nunmehr bis zur 12. Reihe vorgeschritten ist und einen guten Teil der Pflanzendecke der Erde im Bilde vorführt. Miehe. Schlechter, Dr. R., Die Orchideen, usw. Lief 5 — 10 (Schluß). Berlin 191 5, P. Parey. — Jede Lief. 2,50 M. Von diesem bereits früher in seiner Anlage gekennzeichneten Werke sind mittlerweile die letzten Lieferungen erschienen, so daß es nunmehr vollständig vorliegt. Zunächst wird die recht reichhaltige systematische Beschreibung der Arten fortgesetzt und zum Abschluß gebracht. Dann folgt ein Kapitel über Einfuhr und Kultur der Orchideen, in welchem auch ein ausführlicher Arbeitskalender enthalten ist. Das Bild des von „einem nie erkannten Tatendrange" beseelten, nur von ,,klimatisch-pathogenen Mikroorganismen gehemmten" Orchideensammlers scheint mir etwas zu idealistisch ausgefallen zu sein. Auch die Freilandorchideen- sowie Zimmerorchideenkultur werden hier behandelt. Nach einem Kapitel über die als Schnittblumen zu verwertenden Arten und einer Liste der wichtigsten Hybriden, folgt ein Abschnitt über die Befruchtung und die An- zucht aus Samen, in welchem auch die neueren wissenschaftlichen Erfahrungen über die Pilzsym- biose berücksiclitigt sind, soweit sie für den nach- denkenden Züchter in Betracht kommen. Und das ist sehr gut, denn es soll immer noch Gärtner geben, die an die Notwendigkeit des Wurzel- pilzes nicht recht glauben wollen. Je ein Kapitel über Schädlinge und die Kulturräume machen den .Sclihiß des Werkes, auf dessen Bedeutung für Züchter und Liebhaber von Orchideen wir bereits bei der ersten Anzeige hinwiesen. Miehe. Duden, Rech ts chreibung der deutschen Sprache und derFremdwörter, nach den für Deutschland, Österreich und die Schweiz gültigen amtlichen Regeln bearbeitet von Dr. J. E. Wülfing und Dr. A. C.Schmidt unter Mitwirkung des K. Oberkorrektors Otto Rei- necke, 9., neubearbeitete und vermehrte Auf- lage. Leipzig und Wien, Bibliogr. Institut. — Geb. 2,50 M. Eine Anzeige dieses sehr nützlichen Buches in der Naturw. Wochenschr. rechtfertigt sich dadurch, daß es jeden angeht, der etwas schreibt und drucken läßt. Es gibt niemanden, der nicht gelegentlich über die richtige Schreibung eines Wortes in Ver- legenheil geraten könnte und nach einem zu- verlässigen Ratgeber verlangt. Als solchen bietet sich nun dieses trotz seines handlichen F"ormates sehr reichhaltige Buch an, das in seiner neuesten Auflage eine Verschmelzung des,, Orthographischen Wörterbuches" mit der „Rechtschreibung der Buchdruckereien usw." darstellt. Der mannigfaltige Inhalt bietet nicht nur die regelrechte Schreib- weise einer sehr großen Zahl deutscher und F'remd- wörter, sondern gibt auch Genitiv, Plural der Haupt- und Fürwörter, die Steigerungsformen der Adjektive und die Abwandlungen der Verben, Zusammensetzungen, Abkürzungen, Silbentrennung, usw. sowie mannigfache grammatische, etymolo- gische und sachliche Belehrungen. Sehr dankenswert sind auch die einleitenden Kapitel über Recht- schreibung, Sprachlehre, Satzzeichen, interessant auch für den Nichtsetzer resp. -korrektor die Einzelvorschriften für den Schriftsatz und wiederum sehr nützlich das Einheitskorrekturmuster. Wir können das Buch sehr empfehlen. Miehe. Kayser, Emanuel, Abriß der allgemeinen und stratigraphischenGeologie. 418 S., 176 Textfig., 54 Versteinerungstafeln, i geolog. Übersichtskarte von Mitteleuropa. Lex. 8". Stuttgart 191 5, P"erd. Enke. — Preis geh. 16 M., geb. 17,40 M. Die beiden Bände des Lehrbuches der Geo- logie, welches die deutsche Wissenschaft dem be- kannten Verfasser, Vertreter der Geologie und Paläontologie an der Universität Marburg, verdankt, hatten mit jeder neuen Auflage an Umfang all- mählich so zugenommen , daß ihnen schließlich melir der Charakter eines Hand- und Nachschlage- buches zukam, wogegen sie, zumal wegen ihres naturgemäß hohen Preises, den Charakter eines Lehrbuches für Studierende einbüßten. Es war daher eine dankenswerte Aufgabe, die sich Verlag und Verfasser stellten , ein kurzes Lehrbuch der gesamten Geologie, aber im großen und ganzen nach dem alten, bewährten Plan herzustellen. Dieses Buch liegt nunmehr fertig vor, und es ist mit Dank zu begrüßen, daß es noch während des großen Weltkrieges erscheinen konnte. Der „Abriß" enthält in seiner ersten Hälfte die Hauptlehren der allgemeinen, in der zweiten die der stratigraphischen Geologie und stellt im wesentlichen einen gedrängten Auszug aus den beiden genannten ausführlicheren Lehrbüchern dar. Im stratigraphischen, zweiten Teile sind allein die geologischen \'erhältnisse Deutschlands etwas ein- gehender behandelt, doch ist der Fossilinhalt der Formationen, mit anderen Worten die Entwick- N. F. XIV. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S89 hing des Lebens auf der Erde, verhältnismäßig ausführlich dargestellt, und zweifellos erhöht es die Brauchbarkeit des „Abrisses" sehr, daß auch die F'ormationstabellen des großen Lehrbuches unverkürzt in denselben übernommen sind. Von 97 Versteinerungstafeln der letzteren sind dagegen nur 54 geblieben, was sicherlich genügend, wenn nicht vielleicht noch zu viel ist, — denn erfahrungs- gemäß verleitet ein Übermaß an solchen bildlichen Beigaben den Anfänger dazu, F"unde, die er macht, hiernach „bestimmen" zu wollen, wodurch dann vielfach eingehendere Beschäftigung mit der spe- zielleren einschlägigen Literatur hintangehalten wird. Vielen Lesern wird die dem Buche beige- gebene, dem bekannten Andree' sehen Handatlas entnommene, der internationalen geologischen Karte von Europa nachgebildete geologische Übersichtskarte von Mitteleuropa willkommen sein, „auch wenn sie nicht mehr überall dem neuesten Kenntnisstande entspricht". Wie es bei dem ersten Versuch einer Kürzung des Inhaltes eines Handbuches auf den Umfang eines ,, Abrisses" leicht verständlich ist, schließt sich die Darstellungsweise eng an die des größeren Werkes an, und es kann daher nicht wunder nehmen, daß man hier und da das Bemühen des Verf erkennt, zwar zu kürzen, aber doch die Reichhaltigkeit des Buches an sich nicht zu sehr herabzusetzen. Natürlich wird man im einzelnen darüber streiten können, wieviel da einem Studie- renden oder Neuling in der Wissenschaft zu geben ist; aber dem Referenten will es scheinen, als ob im stratigraphischen Teil noch mehr Beschränkung am Platze gewesen wäre, besonders bezüglich der Hinweise auf außereuropäische Vorkommnisse. Dagegen dürften, wie der Referent, manche den Wunsch hegen, in einer eventuellen neuen Auf- lage den allgemeinen Teil etwas mehr moderner geologischer Denkweise, die auch auf das Didak- tische Rücksicht nimmt, angepaßt zu sehen; so zwar, daß einmal im großen mehr als bisher auch die dynamischen P^scheinungen der Erde, dem Gang der Erdgeschichte und deren Zyklen kon- kordant abgehandelt werden, d. h. zunächst die endogene Dynamik vor der exogenen Dynamik; zum anderen dürfte eine konsequente Anwendung des Entwicklungsgedankens der Darstellung auch im kleinen zum Vorteil gereichen. Nehmen wir als Beispiel das Kapitel über die Einteilung der Gesteine (p. 36 — 39); hier werden abgehandelt i. die Kristallinen Schiefer, 2. die Kristallinen Massen- oder Eruptivgesteine, 3. die Sediment (Schicht- jGesteine. Wir wir heute alle wissen, sind die unter i. behandehen Gesteine metamorphe Glieder von 2. und 3. und diese Entstehung wird denselben auch im Text, ganz entsprechend dem heutigen Stande der Wissen- schaft, zugeschrieben. Warum, fragt man sich da aber, hat Verf. nicht die einfache Konsequenz hieraus gezogen und die Kristalünen Schiefer an den Schluß des Kapitels gesetzt? Ist die Tat- sache, daß viele Kristalline Schiefer hur als Tief- stes, als sogenanntes „Grundgebirge" entgegen- treten, — wobei wir über ihr relatives Alter viel- fach sehr wenig auszusagen wissen, — Grund genug, noch heute eine Reihenfolge festzuhalten, welche früher, als man in den Kristallinen Schiefern die erste Erstarrungskruste unseres Planeten sah, sicher ihre Berechtigung hatte? Derartige Um- stellungen, welche bei einer zweiten Auflage des „Abrisses" leichter, als bei dieser ersten, zu bewerk- stelligen sein werden, würden nach Meinung des Referenten, zweifellos wesentlich dazu beitragen, den Gang der Erdgeschichte und die Lehren der allgemeinen Geologie dem Verständnis des An- fängers in unserer Wissenschaft näher zu bringen und demselben Kenntnisse zu vermitteln , welche für die allgemeine Bildung eines Kulturvolkes wie des unsrigen unentbehrlich sind. Für die Käufer des Abrisses, die sich doch vorwiegend aus den Schülern unserer Hochschulen zusammensetzen dürften, ist der Preis leider immer noch reichlich hoch bemessen. Hoffentlich wird eine zweite Auflage, die man dem Buche nur wird wünschen dürfen, hierin Wandlung schaffen. Andree. Naturdenkmäler, Vorträge und Aufsätze. Her- ausgegeben von der Staatlichen Stelle für Natur- denkmalpflege in Preußen. Bd. I. Mit II Text- abbildungen und 4 Tafein. Berlin 191 5, Gebrüder Borntraeger. Der rücksichtslosen Ausbeutung der Natur- schätze, die keine andere Richtschnur kennt als den unmittelbaren materiellen Nutzen, ist durch die Organisation des Naturschutzes, der Natur- denkmalpflege oder der Naturpflege (drei Be- griffe, die heute ungefähr dasselbe bezeichnen) in Staatseinrichtungen oder vom Staate unter- stützten Körperschaften oder selbständigen Ver- einen während der letzten 10 — 15 Jahre entgegen- gewirkt worden. Der Krieg freilich, der in den Gebieten, wo er wütet, mit den Hunderttausenden von Menschenleben zahllose Naturschöpfungen vernichtet, hat im deutschen Lande durch die Entziehung von Arbeitskräften und die Minderung des Interesses die auf Schutz und Erhaltung der heimischen Natur gerichtete Tätigkeit stark be- einträchtigt, aber er hat sie glücklicherweise nicht lahmlegen können. Haben sich doch, um nur die im Augenblick dringlichste Frage zu erwähnen, mahnende Stimmen erhoben, die auf die Gefahren einer übereilten und allgemeinen Austrocknung unserer Moore hinwiesen und, wenn sie nicht die durch ein solches Vorgehen möglicherweise her- vorgerufene Schädigung der klimatischen Verhält- nisse unserer Landes in Betracht zogen, jedenfalls doch aus ideellen Gründen die Erhaltung einiger Stellen im Naturzustande forderten. Das preußi- sche Kultusministerium, das die Naturschutzbestre- bungen in voller Erkenntnis ihrer Wichtigkeit nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für ein gesundes Volksleben immer verständnisvoll fördert, hat jenen Bedenken Rechnung getragen S90 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XrV. Nr. 37 und Anweisung erteilt , daß den für den Natur- schutz in den einzelnen Provinzen in Betracht kommenden Stellen Gelegenheit gegeben werde, bemerkenswerte Naturgegenstände ihres Bezirks, die von der jetzt in Angriff genommenen Boden- verbesserung betroffen werden könnten, zu be- nennen und Vorschläge zu ihrem Schutze zu machen. Vom naturwissenschaftlichen Stand- punkte ist ja die Sicherung derartiger „Natur- denkmäler" unter allen Umständen wünschenswert ; aber auch in ästhetischer und ethischer Hinsicht kommt ihr eine hohe Bedeutung zu, und die zahl- reichen Schriftsteller, die für den Naturschutz ein- getreten sind, haben zumeist mit besonderem Nachdruck auf diese Seite der Frage aufmerk- sam gemacht. Trotz der volkstümlichen Auf- klärungsschriften besteht noch immer große Un- kenntnis über Bedeutung und Ziele der Natur- denkmalpflege und deshalb Mangel an wirksamer Förderung dieser wahrhaft nationalen Bestrebungen, namentlich auch in Kreisen, die durch ihre Mit- arbeit der Sache sehr viel nützen könnten. Um hier Teilnahme und Verständnis für den Natur- schutzgedanken zu wecken und die auf diesem Gebiete erzielten Fortschritte und Erfolge vor Augen zu führen, gibt die „Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen" neben ihrer Hauptzeitschrift, den ,, Beiträgen zur Naturdenkmal- pflege", seit drei Jahren kleinere, auf einen weite- ren Leserkreis berechnete Hefte heraus, die unter dem Gesamttitel „Naturdenkmäler, Vorträge und Aufsätze" erscheinen , und von denen die ersten zehn nunmehr zu einem hübsch ausge.statteten Band vereinigt worden sind. Zwei der vorliegen- den Aufsätze sind in erster Linie für Fachleute von Interesse; der eine gibt Richtlinien zur Unter- suchung der Pflanzen- und Tierwelt besonders in Naturschutzgebieten (von H ey mo n s, Kol k wi tz, G.Lindau, P. Magnus und Ulbrich); in dem anderen erörtert L. Diels die Bedeutung der Naturdenkmalpflege für die wissenschaftliche Bo- tanik und weist besonders die Notwendigkeit der Angliederung von Naturschutzgebieten an die botanischen Institute nach. Lindau 's Schrift „Schutz der blütenlosen Pflanzen" wird gleichfalls vorzugsweise dem Botaniker Anregungen geben, der auch in W. Bock 's Untersuchungen über das Naturschutzgebiet bei Sababurg im Reinhards- wald für seine besonderen Neigungen reichlich Stoff finden wird, wiewohl dieses von der preußi- schen Forst Verwaltung geschützte VValdgebiet wegen der malerischen Reize seiner alten Eichen und Buchen, die die Veranlassung zur Sicherung des Geländes gegeben haben , auch der allgemeinen Aufmerksamkeit in hohem Grade würdig ist. Ein Aufsatz von Georg E.F.Schulz behandelt die zur Sicherung des ungestörten Brütens unserer Seevögel vorzugsweise von Vereinen geschaffenen Vogelschutzgebiete an deutschen Meeresküsten. Für die Schonung der arg verfolgten und in man- chen Arten fast ausgerotteten Raubvögel, der Könige im Reich der Lüfte, tritt M. Braeß in die Schranken. Zwei weitere Aufsätze beschäftigen sich mit Gestaltungen des Erdbodens: H. Klose bespricht die erratischen Blöcke, und W. Branca verbreitet sich in einem Doppelheft über die geo- logischen Naturdenkmäler im allgemeinen, wobei eine Reihe geologischer Erscheinungen — Eiszeit, Vulkanismus, Gesteinsbildung und -Zerstörung — eine klare und allgemeinverständliche Erläuterung findet. Endlich ist auch ein Jurist, E. Weise, zur Stelle, der die rechtliche Sicherung von Denk- mälern im allgemeinen und von Naturdenkmälern im besonderen erörtert. Einige der Abhandlungen sind mit Titelbildern geschmückt; so ist der Ar- beit Branca's eine schöne Aufnahme des durch Ankauf geschützten Herrnhausfelsens in Nord- böhmen (säulenförmige Absonderung des Basalts) beigegeben. Das Werk und seine Fortsetzung — Heft 1 1 ist im Erscheinen — sei der Aufmerksam- keit aller derjenigen empfohlen, die die Schönheit der heimatlichen Natur nach Möglichkeit erhalten wissen möchten. F. Moewes. Müller, Franz, Die Arznei- und Genuß- mittel, ihre Segnungen und Gefahren. 128. Band der Sammlung „Wissenschaft und Bildung". Verlag von Quelle und Meyer in Leipzig. 1914. Jeder junge Mediziner, der im Staatsexamen an die Pharmakologie herangeht, bekommt einen Horror vor dieser Wissenschaft. Da er das Wesent- liche noch nicht zu übersehen vermag, muß er erschrecken vor dem Heer der Arzneimittel, ihren Maximaldosen, ihren Anwendungsarten, ihren ein- zelnen Wirkungen im Tierkörper usw. — Eine gemeinverständliche Darstellung dieses Wissens- gebietes schien gewagt zu sein. Ich glaube aber, daß das Wagnis dem Verfasser geglückt ist. Er greift natürlich nur die wichtigsten Arzneimittel heraus, von denen viele wenigstens dem Namen nach wohl jedem Laien bekannt sind. So spricht er von den allgemeinen und den lokal wirkenden Schmerzbetäubungsmitteln, den Schlafmitteln, den Fiebermitteln, den Desinfektionsmitteln. Und was er von diesen Dingen zu sagen hat, ist kein Gelehrtenkram; er weiß vielmehr die mannig- fachen Beziehungen zum Leben des einzelnen und der Gesamtheit aufzudecken. Um nur ein Beispiel anzuführen, so zeigt er, welche segensreichen Wirkungen das Chinin bei der Bekämpfung der Malaria entfaltet. Der Syphilis und ihrer Be- handlung ist ein besonderes Kapitel gewidmet. Der Abschnitt über Geheimmittel dünkt mich besonders wichtig zu sein. Es gibt deren ja gegen jede Krankheit eine große Zahl. Was in ihnen wirksam ist, sind meist bewährte Stoffe, die auch jeder Arzt anwendet. Wir erfahren aber, daß auch gänzlich unwirksame Mixturen angepriesen werden und daß mit allen solchen Mitteln durch die, die sie anpreisen, unerfüllbare Hoffnungen erweckt werden, daß aber endlich auch durch die wahllose Anwendung solcher Mittel schwere Schädigungen der Gesundheit N. F. XIV. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 591 zustande kommen können. Hier und überall weist Verf. immer wieder mit großem Nachdruck darauf hin, daß die meisten Arzneimittel keine indifterenten Stoffe sind, daß daher nur eine rationelle Anwendung von Nutzen sein kann. Es gelte vor allem, die natürlichen Heilkräfte des Organismus zu unterstützen. „Solange die Natur sich selbst hilft, wird ein verständiger Arzt gewiß ohne Arzneimittel auszukommen suchen. Erst wenn sie sich nicht mehr allein helfen kann, unterstützt man sie durch arzneiliche Maßnahmen, die sich auf gewissenhafte Krankenbeobachtung und vielfältige Erfahrungen im Tierversuch auf- bauen." — Welche wichtigen Errungenschaften gerade die Arzneimittellehre dem Tierversuch verdankt, darüber kann man sich leicht in diesem Buch unterrichten. Den Antivivisektionisten wird in gebührender Weise begegnet. Auch was sonst der wissenschaftlichen Arzneikunde entgegen- strebt, wird unter die kritische Lupe genommen, so das „Naturheilverfahren", die Homöopathie, das „Gesundbeten" usw Dabei hält sich Verf aber durchaus von Einseitigkeit frei, versteht es viel- mehr, stets eine angenehme Objektivität zu wahren. Dadurch wirkt die Lektüre überall anregend. Anregend für den Leser sind auch die häufigen Abschweifungen in die Geschichte der Medizin. Ihr ist übrigens in der Einleitung ein besonderer Abschnitt gewidmet, in der uns die Entwicklung des Arztestandes und des Apothekerwesens kurz vorgeführt wird. Sehr dankenswert ist es, daß auch die Haupt- genußmittel, der Alkohol, der Kaffee und der Tabak mit in die Besprechung einbezogen werden. Besonders die Alkoholfrage ist eingehend be- handelt. Wir kommen so zu dem Schluß, daß das Büchlein auf seinen 140 Seiten eine ungewöhn- liche Fülle von wissenswerten Dingen in treff- licher Darstellung enthält. Wir können es darum zu den gemeinverständlichen Abhandlungen rechnen, denen eine weite Verbreitung zu wünschen ist. Hübschmann. Buchner, H., Acht Vorträge aus der Ge- sundheitslehre. Vierte Auflage von M. v. Gruber. B. G. Teubner, Leipzig. 1913. Dieses erste Bändchen der Sammlung wissen- schaftlich-gemeinverständlicher Darstellungen „Aus Natur und Geisteswelt" ist als einziges der Samm- lung schon in vierter Auflage erschienen. Das spricht für das Interesse, das in weiten Kreisen an dem Gegenstand genommen wird, und für die Güte des gebotenen Inhaltes. Zwei Forderungen muß man vor allem an populäre Darstellungen wissenschaftlicher Gebiete stellen, erstens nämlich, daß sie keine Unrichtigkeiten enthalten, und daß das hier nicht der Fall ist, dafür garantieren ohne weiteres die Namen der beiden Verfasser. Die zweite Forderung, daß auch der Laie den Stoff ohne Schwierigkeiten in sich aufnehmen kann, dürfte gerade auf dem Ge- biete der Gesundheitslehre oder Hygiene besonders schwierig zu erfüllen sein, da sie aus unzähligen VVissengebieten nicht nur der Naturwissenschaften und Medizin, sondern auch der Technik und Wirtschaftslehre schöpft. Aber auch diese zweite Forderung ist in dem Buch ohne Zweifel erfüllt, und so erfahren wir in klarer Form das Wissens- werte aus einigen Gebieten der Hygiene. Be- sonders eingehend ist das Verhältnis des Men- schen zu der ihn umgebenden Atmosphäre und die Rolle der Mikroorganismen in der Natur und dem Menschen gegenüber behandelt. Wir erfahren ferner die Grundzüge der Wohnungshygiene und der rationellen Wasserversorgung und endlich die wichtigsten Faktoren der Hautpflege und der mit ihr im Zusammenhang stehenden Kleider- frage. • — Einfache Abbildungen erleichtern hier und da das Verständnis. — Praktische Ratschläge finden wir in großer Zahl, und ich möchte als Arzt der Hoffnung Ausdruck geben, daß das ßüchlein eine noch viel größere Verbreitung finden möge. Von den gerade aus diesem Ge- biete erschienenen äußerst zahlreichen gemein- verständlichen Schriften ist sicher keine von so berufener Hand geschrieben, und auf dem Gebiete der Gesundheitslehre herrscht leider noch in den gebildetsten Kreisen hier und da eine heillose Verwirrung. Hübschmann. Anregungen und Antworten. Frl. H. V. B., StuUg.irt. — Der gegenwärtige St.^nd der Ansichten über das Leuchten unserer einheimischen Glüh- würmchen^ läßt sich an dieser Stelle nur kurz skizzieren , da das Problem des Leuchtens eine -Anzahl von Teilproblemen umfaßt, die verschiedenen Gebieten angehören und da die verschiedenen Autoren nicht immer zu einheitlichen Resultaten gelangt sind. Als „Glühwürmchen" werden in unserer Fauna drei Käfer- arten aus der Familie der Canthariden bezeichnet und zwar Lampyris noctiluca Linne , Phausis splendidula Linne (früher Lampyris spl.) und Phosphaenus hemipterus Goeze. Alle drei sind nächtliche Tiere. Die Leuchtorgane finden sich beim Männchen von Phausis am vorletzten und drittletzten Hinterleibsring. Beim larvenähnlichen Weibchen verteilen sie sich über das dritte, fünfte und sechste Segment, und bei der Larve liegen sie seitlich an den einzelnen Abdominalringen. Die Männchen von Lampyris tragen sie am letzten, die Weib- chen am fünften und sechsten Segment (in Gestalt zweier großer leuchtender Binden), während die Larven in der An- ordnung denen von Phausis ähneln, durch die geringere Zahl aber sich von ihnen unterscheiden. Über die Leuchtorgane von Phosphaenus ist nicht viel bekannt. Sie finden sich wie bei Lampyris als ovale Knollen wie 2 Stecknadelköpfe an den vorletzten Hinterleibssterniten. Trotz der speziellen Ausbildung bei den drei Arten weisen die Leuchtorgane im wesentlichen den gleichen histo- logischen Bau auf. Unter der pigmentfreien glasartigen Chitindecke breitet sich eine ebenfalls durchsichtige Zellschicht aus, die auf einer Platte von lichtundurchlässigen Zellen auf- 592 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 37 liegt. Die Dichte dieser Lage rührt von zahlreichen harn- sauren Ammoniakkristallen her. In beiden Schichten findet man ein fein verzweigtes Tracheennetz, deren Endfasern die Zellen umspinnen und zum Teil in sie hineintreten. Daß der Leuchlvorgang ein Oxydationsprozeß ist, dürfte nach den neueren Untersuchungen entschieden sein. Dagegen ist die Frage noch nicht völlig geklärt, durch welche Stehe der Prozeß zustande kommt. Pierantoni hält sie für Pilzorgane. Weitlaner betrachtet die harnsauren Ammoniakkristalle als Leuchtkörper. Ihr häufiges Vorkommen in den Geweben der Leuchtkäfer (sie finden sich nicht nur an der leuchten- den Stelle) ist eine Folge der Nahrung der Tiere, die aus Zerfallsprodukten organischer Substanzen besteht. Es ist ja bekannt, daß faulendes Holz und verwesendes Laub eine Leuchtreaktion geben. (Doch ist diese wiederum biologischen Ursprungs, da nicht diese Stoffe selber, sondern gewisse auf ihnen angesiedelte Pilze leuchten ! Die Red.) Nach ihm ist das Leuchten also die Begleiterscheinung eines chemischen Vorganges. Das Licht, das entsteht, hat merkwürdige physikalische Eigenschaften. Zunächst ist es ein vollkommen kaltes Licht, und alle Strahlen werden daher als Lichtstralilen abgegeben. Im Vergleich dazu sendet das Sonnenlicht nur 35 "j^ seiner Strahlen als Lichtstrahlen aus. Weiterhin vermag es nach -Singh und Manlik undurchsichtige Körper mäßiger Dicke, wie die ultravioletten oder die Röntgenstrahlen, zu durch- dringen. Trotzdem die Leuchtsubstanz unter bestimmten Ver- suchsbedingungen noch eine Zeit lang auch nach dem Tode des Tieres eine Leuchtreaktion gibt, haben die Käfer doch die Fähigkeit die Intensität des Lichtes physiologisch zu regulieren oder das Licht ganz abzustellen. Jeder, der schon Leuchtkäfer gefangen hat, weiß darüber Bescheid, daß die Käfer verlöschen, wenn sie beunruhigt werden. Die biologische Bedeutung des Leuchtens ist nicht völlig klar, da auch den Larven ein Leuchtvermögen zukommt. Immerhin besteht kein Zweifel darüber, daß das Licht den Tieren in der Begattungszeit als Erkennungszeichen dient. Die Weibchen von Lampyris pflegen sich zur Anlockung der Männchen auf den Rücken zu legen oder hohe Grashalme zu erklimmen, um ihre Anwesenheit den suchenden Männchen zu erkennen zu geben. Auch antwortet das Weibchen auf einen Lichtblitz des lliegenden Männchens, das dann unter bestän- digem Aufleuchten zum Weibchen hinkrieclit. Zum eingehenden Studium der hier mitgeteilten Erschei- nungen empfehle ich Ihnen folgende Literatur: 1903. Bongard, Beiträge zur Kenntnis der Leuchtorgane heimischer Lampyriden. Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie. Bd. LXXV. 1914. Buchner, P., Sind die Leuchtorganc Pilzorgane? Zool. Anzeiger. 1911. Coblentz, W. W. , Die F'arbe des von Feuer- fliegen ausgesandten Lichtes. Physikal. Zeitschrift. 12. 1912. Czepa, Organismenleuchten und Zweckmäßigkeit. Naturw. Wochenschr. Nr. 39, S. 609. 1872. Eimer, Th., Bemerkungen über die Leuchtorgane der Lampyris splendidula. Arch. f. mikr. Anatomie. Bd. VUI. 1S84. Emery, C, Untersuchungen über Luciola italica. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie. Bd. XL. 1915. Geipcl, E., Beiträge zur Anatomie der Leucht- organe tropischer Käfer. Zeitschr. (. wissensch. Zoologie. 1872. Ileinemann, C., Leuchtorgane der bei Vera Cruz vorkommenden Leuchtkäfer. Arch. f. raikr. Anat. Bd. VIII. 1911. Ives und Coblentz, Luminous efficiency of the Firefly. Bull. Bur. of Standarts. 6. 185S. KöUiker, A., Über die Leuchtorganc von Lam- pyris. Verh. Phys. med. Ges. Würzburg. 1864. KöUiker, A. , Über den Bau der Leuchtorgane der Männchen d. Lampyis splendidula. Sitzungsberichte der niederrheinischen Gesellschaft f. Natur- und Heikunde. 1822. Macaire, Über die Phosphorescens der Leucht- käfer. Gilbert's Annalen der Physik. 1897. Muraoka, H., Das Johanniskäferlicht. Journal Coli. Sc. Japan. Vol. IX. 1864. Owsjannikow, Ph., Über das Leuchten der Larven der Lampyris noctiluca. Bull, de l'Acad. d. sciences de St. Petersbourg. Bd. VIII. t868. Owsjannikow, Ph., Zur Kenntnis der Leucht- organe der Lampyris noctiluca. Mem. de I'acad. de St. Pe- tersbourg. 8 Ser. Vol. XI. igtl. Riedel, Max, Aus der Welt der Kleintiere. Serie I. Nr. 2. Leuchtkäfer. Dresden. 1S80. Radziszewski, Über die Phosphorescens der organischen und organisierten Körper. Justus Liebig's Annalen der Chemie. 1911. Singh and Manlik, Nature of Light emitted by Fireflies. Nature London 88. 1865. Schnitze, Max, Zur Kenntnis der Leuchtorgane d. Lampyris splendidula. Arch. f. mikr. Anatomie Bd. I. 1S65. Schultze, Max, Einwirkung der Überosmium- säure auf tierische Gewebe. Ebenda Bd. I. 1S94. Verhoeff, C, Vergleichende Morphologie des Abdomens der männlichen und weiblichen Lampyriden, Can- thar. etc. Arch. f. Naturgesch. Bd. I. 1909. Weitlaner, Etwas vom Leuchtkäferchen. Verh. d. zool. bot. Gesellschaft Wien. Bd. LIX. 1911. Weitlaner, Weiteres vom Leuchtkäferlicht und vom Organismenleuchten überhaupt. Ebenda Bd. LXI. 1S82. Wiel o wiej ski, H. v. , Studien über die Lam- pyriden. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XXXVII. 18S9. Wielo wiej ski, H. v. , Beiträge zur Kenntnis der Leuchtorgane der Insekten. Zool. Anz. Jahrg. t2. Dr. Stellwaag. Anfrage von Herrn H. Franz: Warum dringt ein Ge- schoß auf 400 m Entfernung tiefer in einen Gegenstand ein als unter gleichen Bedingungen auf 150 m? Wenn das Geschoß den Lauf verläßt, ist seine Geschwin- digkeit und damit seine Wucht am größten. Trifft es auf einen festen oder flüssigen Körper (z. B. Sand oder Wasser), so wird es vermöge seiner hohen Geschwindigkeit in kleine Teile zerrissen, die dann natürlich sehr bald durch das Me- dium in ihrer Bewegung aufgehalten werden. Je länger das Geschoß sich durch die ihm Widerstand entgegensetzende Luft bewegt, je weiter es sich also von der Mündung ent- fernt, desto geringer wird seine Geschwindigkeit. Ist diese auf einen bestimmten Betrag herabgedrücki, so tritt beim Aufschlagen ein Zersplittern nicht mehr ein, und die Durch- schlagskraft ist größer als dicht hinter der Mündung. — Bei der Erörterung dieser Frage im Felde habe ich mehrfach die Ansicht aussprechen hören, daß die Geschwindigkeit des Ge- schosses erst in beträchtlicher Entfernung von der Mündung ihren Höchstbetrag erreichte und daß sich damit die Erschei- nung erkläre. Diese Ansicht ist ebenso unrichtig wie die, daß das Geschoß erst in einer bestimmten Entfernung von der Mündung unter die verlängerte Seelenachse zu fallen be- ginne. Die durch die hohe .■\nfangsgeschwindigkeit bedingte, namentlich im Anfang geringe Krümmung der Geschoßbahn, führt zu dieser unrichtigen Ansicht. Dr. Seh., Hamburg. Inhalt; Ilennig; Die Anzahl der diluvialen Vereisungen Nord-Europas. Fehlin ger; Pubertät. — Einzelberichte : Uragg: Über Reflexion der X-Strahlen. Nutting: .Absorption des Lichtes in heterogenen Medien. Bürger; Ersatz des Platins beim Schwefclsäurekontaktverfahren. WUstenfcld; Das Essigälclien (Anguillula aceti Müller). Proch- now: Das Organ des Walkers (Polyphylla fuUo L.) zur Toneizeugung. Dharvent, Seh wein für th, Asmus: „Anfänge" der vorgeschichtlichen Kunst (mit 4 Abbildungen). — Bücherbesprechungen: Tobler-Wolf G. und Fr. Toblcr: Vegetationsbilder vom Kilimandscharo. Schlechter: Die Orchideen. Duden: Rechtschreibung der deutschen Sprache und der Fremdwörter. Kayscr; .Abriß der allgemeinen und str.atigraphischen Geologie. Natur- denkmäler, Vorträge und Aufsätze. Müller: Die Arznei- und Gcnußmittel, ihre Segnungen und Gefahren. Buchner: Acht Vorträge aus der Gcsundheitslehrc. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschritten werden an den Schriltkiter Professor Dr. H. Miche in Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Bucbdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Reihe 30. Kaiid. Sonntag, den 19. September 1915. Nummer 38. Das Herz des Menschen in seiner phylogenetischen und ontogenetischen Entwicklung. Von Prof. Dr. H. E. Ziegler (Stuttgart). Mit 16 Abbildungen im Text. [Nachdruck verboten. 1 Wenn wir in der Technik eine sehr sinnreich konstruierte Maschine von hoher Leistungsfähigkeit vor uns sehen, so wissen wir, daß sie aus einfacheren Maschinen mit unvollkommener Leistung durch eine Reihe von Verbesserungen und Umgestal- tungen entstanden ist. So haben auch die wunder- bar zweckmäßigen Organe des menschlichen Körpers ihre einfacheren Vorstufen in der Stammes- geschichte der Säugetiere und des Menschen. Das Herz des Menschen ist ein solches Organ von hoher Zweckmäßigkeit und großer Leistungs- fähigkeit, und ich will hier seine Entstehung aus den phyletischen Vorstufen darlegen. ') Man darf sich dabei nicht auf die vergleichend-anatomische Betrachtung beschränken, sondern muß auch die Embryologie beiziehen, indem das Herz der Säuge- tiere und des Menschen ein sehr schönes Beispiel für das Gesetz bildet, das von Haeckel das „Bio- genetische Grundgesetz" genannt wurde: „Die Ontogenie ist eine abgekürzte Wiederholung der Phylogenie." Das Säugetierherz wiederholt in seiner embryologischen Entwicklung die wichtigsten Stufen der Stammesgeschichte und zeigt nach- einander die Verhältnisse des Fischherzens, des Amphibienherzens und des Reptilienherzens. Bekanntlich hat das Herz der Fische nur eine ein- zige Kammer und eine einzige Vorkammer (Fig. i aj ; es erhält das venöse Blut aus dem Körper und treibt dasselbe in die Kiemen (Fig. 5). — Mit der Luftatmung und der Entstehung des Lungenkreis- laufs trat eine Teilung des Vorhofs ein; so findet man bei den Amphibien zwei Vorhöfe, von welchen der rechte das venöse Blut aus dem Körper, der linke das arterielle Blut aus der Lunge erhält (Fig. I b). Aber die Kammer ist noch einheitlich, so daß in der Kammer die beiden Blutsorten sich mischen können, wenn auch diese Mischung aus b c d Fig. I. Schemata der Kammern und Vorkammern des Herzens bei den Wirbeltieren. a Fisch, b Amphibium, c Reptil, d Vogel und Säugetier. später zu besprechenden Gründen nur teilweise erfolgt. Bei den Reptilien ist die Teilung der Kam- mer zum Teil eingetreten (Fig. i c), die Scheidewand in der Kammer ist aber noch von einem großen oder kleineren Loch durchbrochen.^) Erst bei den warmblütigen Tieren, also bei den Vögeln und Säugetieren, ist die Kammerscheidewand voll- ständig, so daß das arterielle Blut im Herzen völlig von den venösen getrennt ist (Fig i d). Das arterielle Blut, welches aus der Lunge kommt, geht in den linken Vorhof, von hier in die linke Kammer, welche es in den Körper treibt; das venöse Blut aus dem Körper gelangt in die rechte Vorkammer, geht von hier in die rechte Kammer und von hier in die Lunge (Fig. i6j. Eine rich- tige Beschreibung dieses Kreislaufes wurde zum ersten Male von dem in der italienischen Anatomen- schule ausgebildeten englischen Arzte William Harvey im Jahre 1628 gegeben. Phylogenetisch entstand das Herz aller Wirbel- tiere aus einem peristaltisch sich bewegenden Abschnitt eines ventralen Gefäßes, der das Blut zu den Kiemen führte (Fig. 2). Das Herz war, wie Haeckel'-) sagt, ursprünglich nur eine lo- kale Erweiterung der medianen Prinzipalvene, Fig. 2. Das Herz der Wirbeltiere entstand phyletisch aus einem ventralen Gefäßstück. und es entspricht dem Biogenetischen Grund- gesetz, daß seine erste Anlage im Embryo nur ein einfacher spindelförmiger Schlauch ist. So wird das Fischherz ontogenetisch als ein einfacher Schlauch angelegt (Fig. 3); dieser erfährt dann eine Verlängerung und Biegung, so daß eine S-förmige Form entsteht (Fig. 4). Darauf gliedert sich der Schlauch in mehrere Abschnitte, also in die bekannten Abteilungen des Fischherzens, welche bei den Haifischen folgende sind: Venen- hof (Sinus venosus), Vorkammer (Atrium), Kammer (Ventrikel) und Arterienkegel (Conus arteriosus). ') Eine entsprechende Betrachtung des Gehirns veröffent- lichte ich in der Naturw. Wochenschr. 1913, Nr. 37, S. 577 bis 583, mit 17 Figuren. ') Bei den Krokodilen besteht nur noch ein kleines Loch, das Foramen Panizzae, welches an der Austrittsstelle der Aorten unter den Aortenklappen gelegen ist. 2) E. Haeckel, Anthropogenie, 5. Aufl., 1903, 2. Bd., S. 860. 594 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 38 Bei den höheren Fischen (Knochenfischen) ist die Arterienzwiebel (Bulbus arteriosus) an die Stelle des Arterienkegels getreten (Fig. 5). Die Vor- kammer und die Kammer sind ungeteilt, und das Blut geht vom Herzen in die vier Kiemen- bögen. ^) (Canalis auricularis) bezeichnet.^) In den Vorhof mündet zu dieser Zeit jederseits ein kurzer dicker \^enenstamm ein, in welchem sich die an das Fig- 3- Fig. 4. I'ig- 5- Fig. 3 — 5' Schemata der ontogcnctischen Entstehung des Herzens eines Knochenfisches. Fig. 3 Herzschlauch ; Fig. 4 gebogener Herzschlauch ; Fig. 5 Herz des erwachsenen Tieres, bestehend aus dem Venenhof (s), der Vorkammer (a), der Kammer (y) und der Arterienzwiebel (b); d Ductus Cuvieri. In der gleichen Weise entwickelt sich auch das Herz der Säugetiere und des Menschen. Zuerst entsteht ein einfacher Schlauch (ähnlich wie bei Fig. 3). Er verlängert sich und wird S-förmig gebogen, wie Fig. 6 zeigt.-) Der hinten aufsteigende Teil wird zum Vorhof und setzt sich durch eine schwache Einschnürung von dem folgenden Teil ab, welcher zur Herzkammer wird; der innere Durchgang an der Grenze der Vor- kammer und der Kammer wird als Ohrkanal ') Siehe Fig. 5. Die Schemata I — 5 sind Originaltiguren. Eine genaue Darstellung der Entwicklung des Knochenfisch- herzens hat Sobotta gegeben (Über die F^ntwicklung des Blutes, des Herzens und der großen Gefäßstämme bei den Salmoniden. Anatomische Hefte, 19. Bd., 1902). ") Es gibt für die Entwicklung des Säugetierherzens drei wichtige Darstellungen, von welchen jeweils die folgende in einiger Hinsicht genauer ist als die vorhergehende. Die erste wurde von Alexander Ecker im Jahre 1858 gegeben und bezieht sich auf den Menschen ; sie ist hauptsächlich durch die von A. Ziegler nach den Präparaten Eck er 's herge- stellten Wachsmodelle bekannt geworden. Die zweite be- zieht sich ebenfalls auf den Menschen ; es ist die Darstellung von Wilhelm II is (Beiträge zur .'\natomie des menschlichen Herzens, Leipzig 1S86). II is fertigte unter Benützung einer Plaltenmodelliermethodc Wachsmodellc an, welche dann in Dr. A. Ziegler 's Atelier in Freiburg vervielfältigt wurden. Die dritte Darstellung ist die Entwicklungsgeschichte des Kaninchenherzens von G. Born (Archiv f. mikrosk. Anatomie, 33. Bd., 1889). Born benützte eine vervollkommnete Platten- modelliermethodc , welche sehr genaue Modelle ergab. Auf diesen Modellen, die ebenfalls in dem Ziegicr 'sehen Atelier vervielfältigt wurden, beruhen die Figuren 6 — 10 u. 13. Fig. 6. Herz des Kaninchens auf der Stufe des S förmig ge- krümmten Schlauches. Vgl. Fig. 4. \ach einem Modell von Born. — a Vorhof, au Ohrkanal, v Kammer (Ventrikel), d Ductus Cuvieri, vo Vena omphalomesenterina, vu Vena um- bilicalis. I erster Aortenbogen. Herz herantretenden Venen vereinigen. ") Es kommt nun eine Abgrenzung des Venenhofs (Sinus venosus) vom Vorhof zustande (Plg. 7), in- dem von links her eine Falte in den Hohlraum hineinwächst; daraus folgt, daß die Einmündung des Venenhofs in den Vorhof auf die rechte Seite zu liegen kommt, so daß sie später an der rechten Vorkammer sich befindet. Bald darauf wird die Arterienzwiebel (der Bulbus arteriosus) am vorde- ren aufsteigenden Teil des Schlauches von dem Ven- trikel durch eine schwache Einschnürung abge- setzt (Fig. 8 b). Das Herz steht nun auf der Stufe des Fisch- herzens, indem es einen Venenhof (Sinus venosus), einen ungeteilten Vorhof, eine ungeteilte Kammer und eine Arterienzwiebel (einen Bulbus arteriosus) aufweist (Fig. 7 u. 8). Da diese Teile aus dem einheitlichen Herzschlauch hervorgingen, kontra- hieren sie sich in ähnlicher Weise wie dieser Schlauch, d. h. die Kontraktion begiimt am Venen- hof, dann kontrahiert sich die Vorkammer, dann die Kammer, dann die Arterienzwiebel. — Das Blut, welches aus dem Herzen kommt, nimmt zu dieser Zeit denselben Weg wie beim Fischherzen, d. h. es gelangt in die Kiemenbögen (Fig. 7 u. S) und von hier durch die Aortenwurzeln in die ab- steigende Aorta (Aorta descendens), welche nahe an der Wirbelsäule herabläuft. Der Säugetier- embryo besitzt ja zu dieser Zeit Kiemenspalten und Kiemenbögen wie der Embryo eines Fisches, ') Herzühren (Auriculae) heißen diejenigen Teile der Vor- höfe des ausgebildeten Herzens, welche wie dreieckige Lappen auf die Vorderseite des Herzens vorgreifen und sich an die großen Geiaüstämnie anlegen (Fig. 10). Der Ausdruck wird zuweilen auf die ganzen Vorkammern übertragen. ■■') l'.s sind dies jederseits ein Ductus Cuvieri, eine Nabel- vene (Vena umbilicalis) und eine Nabelgekrösvene (Vena om- phalomesentcrica). Der Ductus Cuvieri entsteht durch die Vereinigung der vorderen und der hinteren Cardinalvene ; er ist schon bei den Fischen vorhanden (Fig. 5 d). — Aus dem Endstück der Vena omphalomcsenterica der rechten Seite ent- steht später die untere Hohlvene (Vena Cava inferior), Fig. 8vc, Fig. I3vcai. N. F. XIV. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 595 obgleich er niemals Kiemen bekommen wird. Auch darin zeigt sich das obengenannte bio- genetische Grundgesetz, indem die phyletische Stufe der Kiemenatmung in vereinfachter Weise wiederholt wird. Fig. 8. Fig. 7 u/S. Das Herz des Kaninchens auf der Stufe des ge- wundenen Schlauches und auf der Stufe des Fischherzens. Nach den Modellen von Born. — Die punktierten Linien auf dem Herzen bedeuten die Grenze des Herzbeutels (Perikardiums). V Kammer, a Vorhof, ao Aorta descendens, b Bulbus arle- riosus , s Sinus venosus , v Kammer (Ventrikel), vcs obere (vordere) Cardinalvene, vci untere (hintere) Cardinalvene, VC Vena Cava inferior (rechts gelegen), ven Venen, vo Vena omphalomesenterica, vu Vena umbilicalis. II Gefäß des 2. Kiemenbogens, 111 Gefäß des 3. Kiemenbogens, Ik Gefäß des letzten Kiemenbogens. Von der Stufe des Fischherzens gelangt das Säugetierherz auf diejenige des Amphibienherzens, indem der Vorhof durch eine von oben herabwach- sende Scheidewand (das Septum primum atriorum) in einen rechten und einen linken Teil geteilt wird (Fig. 9sl). Der Sinus venosus mündet, wie schon oben gesagt wurde, in den rechts gelegenen Teil ein, ebenso wie er beim Froschherzen in die rechte Vorkammer sich öffnet. In die linke Vor- kammer mündet die Lungenvene (Vena pul- monalis), welche das Blut von der Lunge beiführt. Sie ist beim Säugetier auf dieser Stufe nur ein sehr kleines dünnes Gefäß, welches in dem hinteren Herzgekröse ') liegt. Die Lungenvene ist also zu dieser Zeit noch einheitlich (Fig. 13), indem die beiden Lungenvenen sich vereinigen, ehe sie in das Herz eintreten, wie dies bei den Amphibien und Reptilien dauernd der Fall ist (Fig. 14); erst später wird das unpaare Endstück in den linken Vorhof einbezogen, so daß die beiden Lungen- venen direkt in den Vorhof gehen, und noch später findet man jederseits zwei Lungenvenen, die direkt einmünden. ') , sp Fig. 9. Herz des Kaninchens auf der Stufe des Amphibien- herzens. Einblick in den Vorhof der rechten Seite. Nach Born, schematisiert. sl Septum primum (Scheidewand der beiden Vorhöfe), sp Septum spurium, v Einmündung des Sinus venosus, begrenzt von der rechten und der linken Venenklappe, end Endothel- kissen an der Atrioventrikularöffnung, sv Sinus venosus, pi ein Teil des rechten Vorhofes (Pars interseplalis), vc untere Hohl- vene (Vena cava inferior). Eine besondere Aufmerksamkeit muß man der Einmündung des Sinus venosus in den Vorhof widmen; sie nimmt die Gestalt einer länglichen Spalte an, deren seitliche Ränder so in den Vor- hof hinein vorwachsen, daß sie eine Klappe er- zeugen (Fig. 9). An die beiden Ränder (Valvula venosa dextra und Valvula venosa sinistra) setzt sich nach oben ein Spannmuskel an, welcher eine einspringende Wand bildet, die „unechte Vorhof- scheidewand" (Septum spurium). Wenn sich die Vorkammer zusammenzieht, werden die beiden Klappenränder aufeinandergedrückt, so daß der Rückfluß des Blutes in den Venenhof verhindert wird. Wenn das Säugetierherz auf der Stufe des Amphibienherzens steht, ist die Atrioventrikular- ') Das Herz ist von dem Herzbeutel umschlossen, welcher sich am vorderen Teil des Bulbus arteriosus und an der Wand des Sinus venosus an das Herz ansetzt. An demjenigen Teil des Sinus venosus, welcher nicht von dem Herzbeutel umschlossen ist, belindet sich das „hintere Herzgekröse" (Fig. 13). ') Unter den Säugetieren zeigen die Monotremea noch das ursprünglichste Verhalten, indem die Lungenvenen sich vor dem Eintritt in das Herz zu einem Gefäß vereinigen (Wiedersheim, Vergl. Anatomie, 7. Aufl., Fig. 400). Bei den Reptilien vereinigen sich die Lungenvenen in ähnlicher Weise vor ihrem Eintritt in das Herz (Fig. 14). Ebenso ist bei den Amphibien eine einheitliche Lungenvene vorhanden. So schreibt Dr. Roese (Beitr. zur vergl. Anatomie des Her- zens d. Wirbeltiere. Morphol. Jahrbuch 16. Bd. 1890) in bezug auf die Batrachier: ,,Die einheitliche Lungenvene kommt mit ureterenähnlicher Mündung dicht neben dem Septum atriorum zum Vorschein; bei der Vorhofsystole werden dann die Wandungen der Vene aufeinandergepreßt und der Rück- fluß des Blutes wird gehindert; die schiefe Einmündungsart der Lungenvene ersetzt also bei derselben funktionell ge- wissermalJen die Klappen des Sinus venosus." 596 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 38 Öffnung (der Durchgang von den Vorhöfen zu dem Ventrikel) noch einheitlich wie bei den Am- phibien , auch wie bei diesen durch zwei Kissen (Endokardlcissen) begrenzt, von denen das eine dorsal, das andere ventral liegt (F"ig. 9 u. 10). Bei den Säugetieren verschmelzen diese beiden Kissen in der Mitte miteinander, so daß die ur- sprünglich einheitliche Atrioventrikularöffnung in zwei Öftnungen getrennt wird, ') eine rechte und eine linke (Fig. 11). Ferner verschmilzt der untere Rand der Vorhofscheidewand mit den vereinigten Endothelkissen (Fig. 12). Nun mündet also jeder Vorhof völlig getrennt von dem anderen in die Kammer ein. Wir nähern uns so der Stufe des Reptilienherzens (Fig. i c), welche nun durch die Bildung einer Ventrikelscheidewand erreicht wird. Dieses Septum interventriculare wächst halbmond- förmig vom Grunde des Ventrikels herauf (Fig. 10 u. 11). Über den Rand der Scheidewand hinweg besteht noch eine Verbindung der beiden Kam- mern, in ähnlicher Weise wie bei den Reptilien (Fig. 1 1 bei *). l.S.Kl. S.i.s.v. r.S.H. pr.B.W.B. _ pr.B.W.A. S.i. Fig. 10. Frontaler Schnitt durch das Merz eines Kaninchcn- cmbryo von 5,8 mm Kopflange; man blickt in die dorsale Hälfte hinein. Nach B o rn aus H o c h ste tt er 's Abhandlung in O. Hertwig's Handbuch d. vergl. u. e.\pcrim. Entwick- lungslehre der Wirbeltiere, 3. Bd. d.F..K. dorsales Endokardkissen, l.S.H. linkes, r.S.H. rechtes Sinushorn des Sinus venosus , l.S.Kl. linke, r.S.Kl. rechte Klappe an der Einmündung des Sinus venosus in den rechten Vorhof, S.i.s.v. Spatium intersepto-valvulare (ein Teil des rechten Vorhofs), pr.B.W.B. Bulbuswulst II, pr.B.W.A. Bulbus- wulst I, S.atr. Vorhofscheidewand (Septum atriorum), S.i. Kammerscheidewand (.Septum interventriculare). Indem die Teilung der Kammer sich vorbe- reitet, muß auch eine Teilung des Bulbus artcriosus eingeleitet werden, damit die Wege des arteriellen ') In pathologischen Fällen kann die Verschmelzung der beiden Endothelkissen ausbleiben ; so wird von einem Falle berichtet, in welchem ein Mann, der 42 Jahre alt wurde, ein Herz mit einheitlicher Atrioventrikularöffnung besafl (beobachtet von .Arnold, erwähnt von Born). Da sich infolge dieses großen Herzfehlers das arterielle und das venöse Blut in der Kammer mischten , bestand Cyanose (bläuliche Gesichtsfarbe) und Atemnot. und des venösen Blutes getrennt werden. Dies ge- schieht dadurch, daß sich zwei Längswülste bilden, die „B ulbu s Wülste", welche später miteinander verwachsen und so die Lungenarterie von der Aorta trennen. Diese Bulbuswülste erinnern an die Scheidewände, welche schon bei Amphibien im Bulbus arteriosus vorhanden sind und dort einigermaßen eine -Scheidung der beiden Blutarten bewirken. ') Die beiden Bulbuswülste verwachsen miteinander, und dies geschieht zuerst im oberen Teile des Bulbus arteriosus, wodurch derselbe in zwei Gefäße zerlegt wird; das eine führt zu dem vierten Kiemenbogen und entspricht dem späteren Aortenbogen, das andere geht zu dem letzten Kiemenbogen, an welchem die Lungenarterien entstehen. Die V^erw'achsung der Bulbuswülste bedeutet also die Trennung der Aorta von der I^ungenarterie (Arteria pulmonalis). Die Bulbuswülste wachsen aus dem Bulbus arteriosus in die Kammer hinab und führen so Ik al end s ar BI Fig. II. Grundriß der Kammern des embryonalen Säugetier- herzens (Projektion auf eine Transversalebene, von der Dorsal- seite her betrachtet). Originalfigur in Anlehnung an die Modelle von Born. Bl und Bll die beiden Bulbuswülste, ao Aorla, p Lungenarterie (.Arteria pulmonalis) , end die vereinigten Endokardkissen, itl linke Kammer, kr rechte Kammer, al linke Atrioventrikular- öffnung, ar rechte Atrioventrikularöffnung, s Kammerscheide- wand (Septum interventriculare). ') Da das Amphibienherz zwei getrennte Vorhöfe besitzt, findet wahrscheinlicli auch in der Kammer keine völlige Mischung der beiden Blutarten statt; die \'orhofscheidewand hätte ja sonst keinen Nutzen. Die Kammer wird bei den Amphibien durch zahlreiche Muskelbalken in verschiedene Teile zerlegt, und speziell beim Frosch bilden diese Muskel- balken eine Anzahl sagittal stehender unvollkommener Scheide- wände (Gompertz, Über Herz und Blutkreislauf bei Amphi- bien. Archiv f. Anat. u. Physiol. , Physiol. Abt. 1S84). In dem Bulbus arteriosus liegt beim Frosch eine Scheidewand, das Septum horizontale; sie kann bewirken, daß das venöse Blut aus der rechten Hälfte der Kammer hauptsächlich in den dritten Aortenbogen (Ductus pulmocutancus) geht, welcher zur Lunge und zur Haut führt, also der Respiration dient. — Die Verhältnisse , welche bei den Amphibien bestehen, sind vor- bereitet bei den Dipnoern; diese besitzen schon den ersten Anfang einer Vorhofscheidewand und außerdem im Conus arteriosus eine Spiralfaltc (Gegenbaur, Vergl. Anatomie, 2. Bd., 1901, S. 362). N. F. XIV. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 597 eine völlige Trennung der rechten und linken Herzkammer herbei. Der eine Bulbuswulst (B I) verbindet sich mit der obengenannten Kammer- scheidewand, die von unten heraufwächst. Fig. 1 1 stellt einen Grundriß des Herzens dar in einem Stadium, welches dem Reptilienherzen entspricht, also in welchem die beiden Kammern noch nicht völlig getrennt sind. Man sieht das Septum inter- ventriculare und daran anschließend den einen Bulbuswulst (BI), über welchem bei * noch eine Verbindung der beiden Kammern besteht, die später verschlossen wird, indem die Kammer- sclieidewand und die Bulbuswülste mit der Masse der vereinigten Endothelkissen an deren rechts- seitigem Ende verschmelzen. Die Verschlußstelle ist noch am ausgebildeten Herzen erkennbar, in- dem hier die Kammerscheidewand nicht musku- löser, sondern nur bindegewebiger Natur ist (Pars membranacea septi ventriculorum). Beim Men- schen besteht einer der pathologischen Bildungs- fchler des Herzens darin, daß an dieser Stelle, die dicht unterhalb der Semilunarklappen der Aorta liegt, eine Öffnung vorhanden ist, welche als Hemmungsbildung aus den erwähnten Embryonal- vorgängen ihre Erklärung findet. Fig. 12. Frontaler Schnitt durch das Herz eines Kaninchen embryo. Man blickt in die dorsale Hälfte; vgl. Fig. 10 Schema nach Born und Hochstetter (aus O. Hertwig'i Handbuch d. vergl. u. experim. Entwicklungslehre der Wirbel tiere, 3. Bd.). Atr.d. rechter Vorhof (Atrium de.xtrum), Atr.s. linker Vorho (Atrium sinistrum), l.E.K. seitliche Endokardverdickung am Kammereingang, v.E.K. verschmolzene Endokardkissen, Fo Foramen ovale (Öffnung in der Vorhofscheidewand), S.Atr. Vorhofscheidewand (Septum atriorum) , S.Kl. Klappen an der Einmündung des Sinus venosus , S.R. Sinus venosus, S i.s.v. ein Teil des rechten Vorhofs, S.v. Kammerscheidewand (Septum interventriculare), V.s. rechte Kammer, V.s. linke Kammer. Ist die Kammerscheidewand vollständig ge- worden , so ist man schon von der Stufe des Reptilienherzens zu derjenigen des Säugetierherzens gelangt. Wir müssen aber noch einige Verände- rungen besprechen, um zu den Verhältnissen des menschlichen Herzens zu kommen. So erfährt der Sinus venosus eine wichtige Umgestaltung und geht schließlich in der rechten Vorkammer auf. Solange das embryonale Säugetierherz auf der Stufe des Amphibienherzens und des Reptilien- herzens steht, sieht man am Venenhof dieselben Getaße einmünden wie bei den Amphibien und den Reptilien, nämlich oben jederseits eine obere Hohlvene ^) und unten^-echts eine untere Hohlvene (Fig. 13 u. 14). Aber beim Menschen verschwindet die linke obere Hohlvene. ^) Nur das quere Ver- Fig. 13. Embryonales Herz des Kaninchens auf der Stufe des Reptilienherzens von lünten gesehen, nach Born, ad Atrium dextrum (rechter Vorhof), as Atrium sinistrum (linker Vorhof), SV Sinus venosus, vp Vena pulmonalis (Lungenvene), vcas Vena cava superior sinistra (linke obere Hohlvene), vcai Vena cava inferior (untere Hohlvene), vcs Vena cardinalis superior (vordere Cardinalvene) , vci Vena cardinalis inferior (hintere Cardinalvene). — Das von den punktierten Linien umgebene Gebiet ist nicht vom Herzbeutel umgeben (hinteres Ilerzgekröse). Fig. 14. Herz eines Nilkrokodils (Crocodilus niloticus) von hinten gesehen. Nach Hochstetter (Beitr. zur Anatomie u. Entwicklungsgesch. des Blutgefäßsystems der Krokodile, in Völtzkow, Reise in üstafrika, Stuttgart 1906). ad rechter Vorhof, as linker Vorhof, apd rechte Lungenarterie, aps linke Lungenarterie, la linker .Aortenbogen (führt venöses Blut), ra rechter Aortenbogen (führt arterielles Blut), tr Truncus anonymus dexter (rechter Stamm der Kopfarterien und Arm- arterien) , v Ventrikel (Herzkammern) , vcas rechte und linke obere Hohlvene, vcai untere Hohlvene, vp rechte und linke Lungenvene (Vena pulmonalis). ') Die obere Hohlvene (Vena cava superior) entspricht dem Ductus Cuvieri der Fische und entsteht durch den Zu- sammenfluß der vorderen und der hinteren Cardinalvene (Fig. 13). *) In pathologischen Fällen kann die linke obere Holil- vene erhalten bleiben (z. B. in einem von Lindes beschrie- benen Fall. Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des Herzens, Diss. Dorpat 1865). — Bei manchen Säugetieren verschwindet 598 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 38 bindungsstück derselben, in welches kleine Herz- venen einmünden, erhält sich und bildet den letzten Teil der Kranzvene des Herzens. ') Der Sinus venosus nimmt also nur noch zwei große Venen auf, die rechte obere Hohlvene und die ebenfalls rechts liegende untere Hohlvene (Fig. 16). Jetzt erweitert sich die VerbindungsöfFnung zwischen dem Sinus venosus und dem Vorhof so weit, daß der Venenhof als ein Teil des Vorhofs erscheint. Somit münden die beiden genannten Venen direkt in den Vorhof. Von den beiden Klappenrändern, welche der Sinus venosus bei seiner Einmündung in den Vorhof zeigte (Fig. 9), verschwindet die linke völlig, ^) während die rechte sich lange Zeit erhält als ein vorspringender Saum, der von der oberen Hohlvene zur unteren zieht und Valvula Eustachii genannt wird. Später bleibt nur der untere Teil erhalten (Valvula venae cavae inferioris). Fig. 15. Schema der Entstehung des Aortenbogens und der Lungenarterien bei den Säugetieren. Ansicht von rorn. Nach Hochstetter, etwas vereinfacht. ao Aortenbogen; ap Lungenarterie der rechten und der linken Seite; ce äußere Halsschlagader (Carotis externa), ci innere Halsschlagader (Carotis interna); sc Schlüsselbeinschlagader (Arteria subclavia). Die punktierten Teile obliterieren: b Ductus Botalli, r .'\ortcn- bogen der rechten Seite. Sehr wichtig sind die Umgestaltungen der Kiemenbogengefäße. Aus dem 4. Kiemenbogen geht der Aortenbogen hervor (Fig. 15). Bekannt- lich bleibt bei den Säugetieren der linke Bogen erhalten, während der rechtsgelegene obliteriert die linke obere Hohlvene, bei anderen bleibt sie erhalten. Sie obliteriert bei den Edentalen, den Carnivoren und Cetaceen, den Prosimien und den Primaten (nach Roese, Morphol. Jahrbuch Bd. 16, 1S90). Stets vorhanden ist die linke obere Hohlvene bei den Monotremen, den Beuteltieren, den Insekten- fressern, vielen Nagetieren, den Dickhäutern, den Wiederkäuern und den Fledermäusen (Wiedersh eim , Vergl. Anatomie, 7. Aufl., Jena 1909). ') Der letzte Teil der Kranzvene (Vena coronaria cordis) heißt Sinus coronarius ; er mündet später in den rechten Vorhof und ist von einer Klappe bedeckt, welche Valvula Thebesii oder Valvula sinus coronarii genannt wird. ^) Sie vereinigt sich zum Teil mit der neuen Vorkammer- scheidewand, dem nachher zu besprechenden Septum sccundum. (Fig. 15); bei den Vögeln verhält sich dies um- gekehrt, sie haben also einen nach rechts gehen- den Aortenbogen.') — Die letzte Kiemenarterie-) verschwindet auf der rechten Seite, erhält sich aber auf der linken Seite bis zur Geburt. Solange die Lungengefäße noch klein sind, führt sie das Blut der Lungenarterie in den Aortenbogen (Fig. 15); sie wird Ductus Botalli genannt. Aber mit der Geburt beginnt die Lungenatmung, und nun er- weitern sich die Arterien und Venen der Lungen. Jetzt verschließt sich der Ductus Botalli, und das Blut der Lungenarterie (Arteria pulmonalis) geht in die beiden Lungen. Nur ein bindegewebiger Strang (Ligamentum Botalli) bleibt an Stelle des Ductus Botalli^) dauernd erhalten (Fig. 16). Auch in den Vorhöfen tritt bei der Geburt eine wichtige Änderung ein. Erst mit dem Be- ginn der Lungenatmung nach der Geburt erweitern sich die Lungenvenen, so daß der linke Vorhof mit dem aus den Lungen kommenden Blute ge- nügend erfüllt wird. Bis dahin mußte er auch Blut aus dem rechten Vorhof erhalten. Um dies zu ermöglichen ist in der Scheidewand der Vor- kammern bald nach ihrer Bildung wieder eine große Öffnung entstanden (Fig. 1 2 Fo), das ovale Fenster (Foramen ovale). ■*) Zum späteren Ver- schlusse desselben dient eine neue Scheidewand, welche zwischen dem obengenannten Septum ') Bei den Amphibien erhält sich dieser Aortenbogen auf beiden Seiten; die absteigende Aorta (Aorta descendens) ent- steht also durch die Vereinigung der beiden Bögen. Bei den meisten Reptilien ist dieser Aortenbogen ebenfalls auf bei- den Seiten erhalten (Fig. 14); aber nur dei rechtsseitige Bogen steht mit der linken Kammer in Verbindung; der linksseitige ist mit der rechten Kammer verbunden und führt also haupt- sächlich venöses Blut. Die Verhältnisse der Vögel sind daher sehr leicht aus denjenigen der Reptilien abzuleiten, indem der venöse Aortenbogen verschwindet. Dies steht im Einklang mit der paläontologischen Erkenntnis, daß die Vögel in meso- zoischer Zeit aus Reptilien entstanden sind, die den Dino- sauriern nahe standen und auch mit den Krokodilen verwandt waren. Da aber bei den Säugetieren der linke Aortenbogen sich erhält und arterielles Blut führt, so lassen sich die Säuge- tiere in dieser Hinsicht an keine der jetzigen Reptilienordnungen anschließen ; sie müssen von einer alten und längst ausge- storbenen Reptilienordnung abstammen. — Beim Menschen sind einige pathologische Fälle bekannt, in welchen jederseits ein Aortenbogen vorhanden war wie bei den Amphibien. '') Diese letzte Kiemenarterie ist die sechste. Schon bei den Amphibien folgt auf die vierte Kiemenartetie (die zum Aortenbogen wird) eine fünfte, die bei der Metamorphose ver- schwindet, während die sechste die Lungenarterien liefert; so ist auch bei Reptilien und Vögeln sowie beim Menschen ein dünner Bogen hinter dem Aortenbogen nachgewiesen; dieser bald verschwindende Bogen ist also der fünfte, der Pulrao- nalisbogen der sechste. ^) Die neue anatomische Nomenklatur verwirft alle Eigen- namen und nennt also den Gang Ductus arteriosus, den Strang Ligamentum arteriosum. Aber die alten Bezeichnungen bleiben doch vielfach noch im Gebrauch, weil dabei jede Verwechs- lung ausgeschlossen ist. ■*) Auch bei den geschwänzten Amphibien (Urodelen) und bei den Gymnophionen ist die Vorhofscheidewand durch- löchert, bei den schwanzlosen Amphibien (Anuren) aber nicht durchbrochen. Bei den Reptilien und den Vögeln gibt es in embryonaler Zeit ebenfalls eine Durchbrechung der Vorhof- scheidewand, die sich dann einfach durch Endokardwucherung schließt; ebenso verhalten sich die niedersten Säugetiere (Monotremen). N. F. XIV. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 599 spurium und der Vorkammerscheidewand (Septum primum) herabwächst (Septum secundum). Erst nach der Geburt verwächst diese neue Scheide- wand mit der ersten, so daß die Verbindungs- öffnung der Vorhöfe geschlossen wird. In patho- logischen Fällen kann diese Öffnung dauernd be- stehen bleiben, ein Fehler, welcher demnach als Hemmungsbildung aus der Embryologie zu er- klären ist. — Die neue Scheidewand (Septum secundum) ist dicker als die erste, und ihr Rand ist zeitlebens in der Scheidewand der Vorhöfe erkennbar und wird Isthmus Vieussenii oder Limbus fossae ovalis genannt. ') Schließlich sind noch die Klappen des Herzens zu besprechen. Bekanntlich befinden sich an den .A.trioventrikularöffiiungen sog. Segelklappen, links eine zweiteilige, rechts eine dreiteilige. -) Bei der __1 kl Fig. l6. Herz des Menschen, Unterrichtsschema, Original, ad .\triuni dextrura (rechter Vorhof) , ao .Aortenbogen, aod .Aorta descendens (absteigende Aorta), ap Arteria pulmo- nalis (Lungenschlagader), as Atrium sinistrum (linker Vorhof), CS Carotis sinistra (linke Kopfschlagader), kl linke Kammer, kr rechte Kammer, Ib Ligamentum Botalli, ps Arteria pulnio- nalis sinistra (linke Lungenarterie), ta Truncus anonymus (ge- meinsamer .Anfangsteil der rechten Kopfschlagader und der rechten Schlüsselbeinschlagader), s Arteria subclavia sinistra (linke Schlüsselbcinschlagader), vjg Jugularvene (Drosselvene), vs Vena subclavia (Schlüsselbeinvene), vp Venae pulmonales (LungenvenenJ. '■) Die ovale Grube (Fossa ovalis) der measchlichen Ana- tomie entspricht also nicht dem genannten Foramen ovale, sondern einem Teile des Septum primum, wie Wieders- heim mit Recht bemerkt (Vergl. Anatomie, 7. Aufl., S. 620). -) Die Unke Klappe heifit Valvula bicuspidalis, die rechte Valvula tricuspidalis oder auch Mitralklappe. Wenn man sich vom Metzger ein Kalbsherz bringen läfit und die beiden Kam- mern der Länge nach aufschneidet, kann man die Klappen mit den Sehnen und Muskeln sehr schön sehen. — Es mag Kontraktion der Kammern werden diese Segel- klappen vorgeschwellt und legen sich aufeinander um den Rückfluß des Blutes zu den Vorkammern zu verhindern. Damit diese Klappen durch den Druck des Blutes nicht in die Vorkammern hinaus- geschleudert werden können, setzen sich an ihrem Rande dünne Sehnen (Chordae tendineae) an, die von Muskeln der Kammerwandung, den Papillar- muskeln, ausgehen. Die Segelklappen bilden sich durch Unterhöhlung aus den bindegewebigen Endokardverdickungen, welche die Öffnungen um- geben, während die Papillarmuskeln aus einzelnen Zügen des muskulösen Trabekelwerks der Ven- trikel (Fig. 10) hervorgehen. — Am Anfang der Aorta und am Anfang der Lungenarterie (Arteria pulmonalis) sind je drei Taschenklappen (Semi- lunarklappen, Valvulae semilunares) vorhanden; sie verhindern den Rückfluß des Blutes zu den Herzkammern. Die drei Klappen entstehen je- weils aus drei Längswülsten , welche als binde- gewebige Endokardverdickungen aufzufassen sind; je zwei dieser Wülste sind von den obengenannten Bulbuswülsten abzuleiten. Die Längswülste wer- den an der Stelle der Semilunarklappen von oben her ausgehöhlt, so daß die halbmondförmigen Taschen entstehen, während die Wülste im übri- gen verschwinden. Alle die Vervollkommnungen, welche das Herz der Wirbeltiere von der Stufe des Amphibien- herzens bis zu derjenigen der Säugetiere erfahren hat, haben die Leistungsfähigkeit des Herzens er- höht und konnten also unter dem Einfluß der natürlichen Zuchtwahl stehen. Für viele biologi- sche Aufgaben, z. B. für den schnellen Lauf wie für das Klettern oder für die Wachsamkeit und die geistige Regsamkeit besteht die Grundbedin- gung, daß die betreffenden Organe genügend mit arteriellem Blut versorgt sind. Wie der Rennstall- besitzer, der die siegenden Pferde der Wettrennen zur Nachzucht verwendet, damit nicht nur schnelle Keine sondern auch ein kräftiges Herz züchtet, so traf die Natur, wenn sie in irgendeiner Hinsicht hervorragende Leistungen verlangte, damit zugleich eine Auswahl des relativ vollkommeneren Herzens, Wichtigste Literatur: G. Born, Beiträge zur Entwick lungsgeschichte des Säugetierherzens. Archiv für mikroskop Anatomie. Bd. 33, 1889. — Hochstettcr, Die Entwicklung des Blutgefäßsystems (in dem Handbuch der vergl. u. e.xperim Entwicklungslehre der Wirbeltiere, herausgeg. von O. Hert wig, 3. Bd., 2. Teil, 1906). — C. Rose, Beiträge zur vergl, .Anatomie des Herzens der Wirbeltiere. Morphol. Jahrbuch Bd. 15 u. 16, 1889 u. 1890. — R. Wiedersheim, Ver- gleichende Anatomie der Wirbeltiere, 7. Aufl., Jena 1909. noch erwähnt werden , daß die linke Klappe phylogenetisch auch aus einer dreiklappigen entstanden ist, denn bei den Monotremen ist sie dreiteilig wie auch bei den Vögeln. 6oo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 38 Paläogeographie, das eigentliche Ziel »isseuschaftliclier Geologie, erboten] sowie llirc üruiidlageii und Methoden. Von Dr. phil. K. Andree, a. o. Professor für Geologie und P.^läontologie, Direktor des geol. - paläonlol. Instituts und der Bernsteinsammlung der Universität Königsberg. Wenn wissenschaftHche Geographie die Auf- gabe hat, die Beziehungen aller Erscheinungen der Erdoberfläche zueinander, mögen sie nun an- organischer oder organischer Natur sein, herzu- stellen und auszuwerten, d. h. die Resultate der Geologie, Hydrologie (inkl. Ozeanographie), Me- teorologie samt Klimatologie und endlich der Biologie zu einem verständlichen Gesamtbild der Jetztzeit zu verarbeiten, so muß es als das eigent- liche Ziel wissenschaftlicher Geologie gelten, das Gleiche für die unendlich lange geologische Vor- zeit zu versuchen, woraus gleichzeitig resultiert, daß der Geologe des geographischen Denkens und der geographischen Arbeitsweise nicht ent- raten kann. Denken wir uns den Mittelweg der Entwick- lung der F~rde von der ältesten Vorzeit bis zur Jetztzeit durch eine von unten nach oben ver- laufende vertikale Linie dargestellt (Textfigur), so würde es Aufgabe der Geographie sein, die Quersumme alles Geschehens der Jetztzeit zu ziehen, wie es die oberste Horizontale andeutet. ( ) \ 1 \ — / \ 1 \ ^\ s %\ — / •* / ■^ A 1 i \s — ff ?\ '^^ h Beginn der (fdaiiven) OBotoglschi*» Zeiirechnu \ Im Algonhium Vpiiaooeogrooriie unmöglich isi Es umfassi iweMI /einen um Vielfaches längeren Zelifaum, als, um Rau zu Jparan, in derSkiue angegeben werden konnle Diese Quersumme ist gewaltig groß; das aber um so mehr, weil der Jetztzeit ein Lebewesen, die Krone der Schöpfung, seinen Stempel auf- drückt ; der Mensch , dessen Tätigkeit ein be- trächtlicher Teil der wissenschaftlichen Geo- graphie sein Vorhandensein verdankt, die „Kultur- geogra]ihie" (wie ich sie kürzlich in dieser Zeit- schrift genannt habe). Die Grundlage paläogeographischer Forschung, welche die Aufgabe hat, möglichst viele ähnliche Quersummen durch den übrigen Teil unserer die Erdgeschichte repräsentierenden Vertikalen zu ziehen, ist die geologische Zeitrechnung, wie sie uns durch die Stratigraphie oder Formations- kunde an die Hand gegeben wird. Bekanntlich ist es noch nicht gelungen, auf geologischer Grund- lage absolute Zeitbestimmungen einwandfrei durch- zuführen, und daher auch nicht möglich, in ab- solutem Zeitmaße die Abstände zu bestimmen, in welchen die einzelnen Quersummen genommen werden können. Die Zeitpunkte, für welche dieses möglich ist, sind vielmehr durch den jeweiligen Stand der slratigraphischen Forschung ge- geben. Es ist klar, daß dieser je nach dem Alter und dem Erhaltungszustand der betreffenden geologischen Dokumente verschieden sein wird, und man "kann im allgemeinen sagen, daß die Möglichkeit, solche Quersummen zu ziehen, sich mit Annäherung an die Jetztzeit immer mehr häufen muß, wenn auch besondere Verhältnisse (gute Leitfossilien, rascher Fazieswechsel u. a. m.) hier teilweise Abweichungen bedingen können. Auch die Größe der einzelnen Quersummen muß mit der besseren Erhaltungsmöglichkeit gegen die Gegenwart hin zunehmen (ebenfalls mit teil- weisen Ausnahmen); und beides ist in der sche- matischen Skizze durch nach oben im allgemeinen allmählich abnehmenden vertikalen Abstand und im allgemeinen allmählich zunehmende Aus- dehnung der die Quersummen darstellenden Horizontallinien angedeutet, deren hier und da verschiedene Länge auf der rechten und linken Seile des Schemas gleichzeitig die verschieden große und sich bald nach hier, bald nach dort verschiebende Untersuchungsbasis angibt. Je weiter vir in die geologische Vorzeit hinabtauchen, desto seltener vermögen wir Quersummen zu nehmen, und desto kleiner ist das Resultat, bis wir am Anfang der geologischen Zeitrechnung, an der Basis des .Algonkium stehen, wo nicht nur die paläontologische, sondern auch die stratigraphische Methode der Paläogeographie versagt. Wenn J. F. Pompeckj gesagt hat: „Erd- geschichte ist ja vorwiegend Geschichte der Meere (und ihres Lebens)", so zeigt doch seine Tübinger Antrittsvorlesung (Ende 191 3) in deren An- merkungen dieses Wort zu finden ist, daß er selbst viel höhere Ansprüche an die Erdgeschichte, an die Paläogeographie stellt, und daß jener Satz nur cum grano .salis verstanden werden darf. In der Tat, wenn auch die Mehrzahl der fossilen Schichtgesteine, welche uns die Dokumente der Paläogeographie liefern, dem Meere entstiegen, — die Erscheinungen der irdischen Dynamik stehen über die ganze Erdoberfläche hinweg und bis in N. F. XIV. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 601 die Tiefen der Erdrinde hinein in solch' unlös- barem Zusammenhange, jede Erscheinung zieht so unausbleiblich andere Vorgänge nach sich, daß eine Störung des bestehenden Gleichgewichtes hier eine Veränderung dort hervorrufen muß, und so ist die Paläogeographie nicht nur die Geschichte der Meere, sondern auch der Fest- länder, sie ist die Gesamtsumme alles dessen, was wir über die Geschichte unseres Planeten ermitteln können. ') Es wird nun allerseits mit großem Danke begrüßt werden, daß uns kürzlich ein Buch beschert worden ist, welches uns die vielseitigen Grundlagen und Methoden dieser umfassenden Wissenschaft in modernem Gewände darbietet. Die erste und, das wird jeder anerkennen, äußerst gründliche Darstel- lung dieses interessantesten Teiles unserer Wissen- schaft hat Dr. Edgar Dacque, Privatdozenten für Geologie und Paläontologie an der Universität München, zum Verfasser; (Grundlagen und Methoden der Paläogeographie. gr. 8". VII, 499 S. 79 Textabb., i Karte. Jena, 191 5. G. Fischer. Geh. 14 M., geb. 15 M.) und das Thema seines Buches darf immerhin auf ein solches all- gemeines Interesse rechnen, daß es sich verlohnen dürfte, dasselbe eingehender zu besprechen, wobei auch, dem Wunsche des Verf. entsprechend, die Kritik nicht fehlen soll. Gehen wir medias in res, indem wir die ersten beiden Kapitel, die Wesen und Inhalt der Paläo- geographie (ganz kongruent mit obigem), ferner Historisches, sowie die reiche Literatur, die durchweg sehr genau zitiert ist, behandeln, übergehen. — Objekt der Paläogeographie ist die Erde ; zunächst die Erdoberfläche, besser vielleicht die Erdrinde, — aber wegen der schon genannten Wechselbe- ziehungen aller Einzelerscheinungen der irdischen Dynamik auch das Erdinnere; und es ist daher nur konsequent, wenn das 3. Kapitel die Oberfläche und die Struktur der Erde behandelt. Verf geht äußerst originell vor undselnrin die Tiefe, was daraus ersehen werden mag, daß bis auf die ja aus astronomischen Folgerungen zu fordernde einstige Loslösung des Mondes von der Erde zurückgegangen und ihre Be- deutung für die Gestalt und die Geschichte unseres Planeten erörtert wird; es versteht sich von selbst, daß hierbei die Ansicht von Picke ring, nach welcher in den heutigen Umrissen des Pazifischen Ozeans noch die Umrahmung der vom sich los- lösenden Mond zurückgelassenen Depression zu erkennen sein soll, zurückgevi'iesen wird; aber seit- dem man weiß, „daß im Antlitz der Erde mehrere Pläne übereinander geprägt sind", Pläne, welche Ed. Sueß, dessen „Antlitz der Erde" dieses Wort entnommen ist, in großartiger Synthese darstellte, ist es Aufgabe des Paläogeographen, alle diese Pläne und Möglichkeiten zu berücksichtigen. Des- halb auch die eingehende Berücksichtigung der Tetraedertheorie von Owen, Green u. a. in dem vorliegenden Buche. Referent hat an anderer Stelle (Über die Bedingungen der Gebirgsbildung. Berlin 1914) seine Bedenken gegen diese Lehre auseinandergesetzt und ist auch nicht imstande der Modifikation derselben, wie sie Dacque in seinem Buche benutzt, Verständnis abzugewinnen. Wenn da z. B. steht: „Die zweifellos vorhandene tetraedrische Verteilung der Länder und Meere ist eine ganz neuzeitliche Erscheinung", so kann das doch kaum als eine Stütze der ganzen Hypothese angesehen werden, wenn es sich nicht beweisen läßt, daß diese tetraedrische Verteilung der Kontinente auch schon in den ersten Zeiten der Erdgeschichte vorhanden war, wie man nach den Anschauungen der Be- gründer dieser Theorie erwarten sollte. Nun sucht Verf diese Klippe zwar dadurch zu umgehen, daß er annimmt, die Lirsache, durch welche die jetzige Kontinentalverteilung im Sinne der Tetraedertheorie sich vollzog, könne erst in jüngerer geologischer Zeit, d. h. keinesfalls in präkambrischcr oder gar archäischer Zeit, wirksam gewesen sein, — - aber er entfernt sich hierdurch doch wesentlich von der ohnehin nicht haltbaren Theorie der vorgenannten Autoren, und seine Erklärung der tetraedrischen Anordnung der Kontinente durch ein isostatisches Hinschwimmen der salischen 'j Kontinentalschollen nach den Ecken eines Tetraeders infolge der Ro- tation — die Beeinflussung von Dacque's theoretischen Vorstellungen durh die Hypothese Wegener's über die Entstehung der Kontinente wird gleich noch Erwähnung finden — kann nicht befriedigen (S. 99. „Die Rotation der Erde . . . trachtet, . . . Gleichgewicht . . . herzustellen. Das aber kann auf einer Kugel mit beweglicher Schale nur so geschehen, daß die . . . verschiebbaren Massen tunlichst gleichmäßig verteilt werden. Sind diese . . . Massen flüssig, dann muß sich eine universell verbreitete Wasserhaut über der rotierenden Kugel bilden. Sind die Massen fest und starr, d. h. wenig- stens keine Flüssigkeit, dann ist eine absolut gleichmäßige Verteilung des Salmateriales ') über der Erdaußenseite nicht zu verwirklichen. Die jedoch nach dieser Verwirklichung strebende Rotationskraft trennt dann die bisher zusanmien- hängenden Massen an ihren schwachen Linien und ordnet sie tunlichst in je 120" Abstand voneinander an, wohl weil die tetraedrische Form die nächst erreichbare ist, wenn die Kugel an ihrer Ober- fläche keine vollkommene Kugel mehr sein kann. Das würde die ostwestliche Verteilung der Konti- nentalmassen erklären.") Sehr beachtenswert sind die Ausführungen des Verfassers über die Abhängigkeit in der Intensität der Denudation und damit der in einer bestimmten Zeit gebildeten Sedimentmächtigkeiten von der Stärke der Erdrotation. Da letztere nach G. H. ') Vgl. hierzu z. B. auch die Mitteilungen des Referent en in der ,,Naturw. Wochenschr." N. F. 11, 1912, S. 241—251; N. F. 13, 1914, S. 145—148 und N. F. 14, 1915, S. 146. ') Unter ,,Sal", bzw. ,, salischen" Massen versteht moderne Geologie nach dem Vorgange von Ed. Sueß die äußersten Teile des Steinmantels der Erde, deren Gesteine reich sind an Silicium (Si) und Aluminium (AI), aus deren chemischen Zeichen „Sal" zusammengezogen ist. 6o2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 38 Darwin, aus astronomischen Gründen — , wobei wiederum die Mondloslösung eine Rolle spielt — , mit Bestimmtheit früher als stärker angenommen werden muß, wird hierdurch unsere geologische Zeitrechnung nachhaltig beeinflußt, indem in den früheren Zeiten der Erdgeschichte mit stärkerer Rotation in einem bestimmten Zeitraum mäch- tigere Sedimente gebildet worden sein müssen, als in dem gleichen Zeitraum späterer Perioden. Ob die Abtrennung und Benennung zweier weiterer Zeitalter, die Verf. für die Zeit vor dem Archaikum vornimmt, nachahmenswert ist, lasse ich dahingestellt. Immerhin mögen die vorge- schlagenen Namen hier folgen: vor dem Zeitalter des Algonkiums würden nach Dacque's Be- nennung liegen als nächst älteres Zeitalter das Archaikum (mit bereits „normalen" Wasserkreis- laufs- und Sedimentationsbedingungen, aber noch ohne Leben), davor das Präarchaikum (mit bereits vorhandener Erdkruste, aber noch ohne jene „normalen" Zustände) und als erstes unge- heuer langes Zeitalter das Pyrarchaikum („zwischen der Bildung des ersten Krustenhäut- chens und der Konstituierung einer definitiven, stabilen, wenn auch schlackigen Kruste"). Die Veränderungen, welche das Weltbild im Laufe der paläogeographisch erfaßbaren Vorzeit durchgemacht hat, sind die Folge der irdischen Dynamik , doch ist es sehr wahrscheinlich, daß alle seit der diesen Zeiten vorhergehenden ,, Urzeit vor sich gegangenen geologischen Ereignisse solche des äußersten salischen Krustenteiles sind, die gegenüber der Dauer und Stabilität des ganzen Erdkörpers doch nur wie Episoden anmuten". Es ist daher logisch an die Besprechung der Kon- stitution des Erdkörpers, wobei die Wiechert- sche Hypothese und die neueren Erdbebenunter- suchungen zu ihrem Rechte kommen, eine Be- trachtung über die Ursachen, welche jene mannig- faltigen Veränderungen des Weltbildes, wie die He- bungen und Senkungen und die Bildung der Falten- gebirge hervorriefen , angeschlossen. Im Verlauf des letzten Jahrzehntes hat bekanntlich eine Be- wegung eingesetzt, welche einmal mit dem Sueß- schen Dogma des P'ehlens selbständiger Hebungen von Krustenteilen, zum anderen aber auch mit der Grundlage der Sueß 'sehen Vorstellungen über die Runzelung des ,, Antlitzes der Erde", mit der Kontraktionstheorie, zu Gericht saß und bei- des als mit den Ergebnissen moderner Wissen- schaft nicht mehr vereinbar erklärte. Dieser natur- gemäß vorwiegend von jüngeren Autoren aus- gehenden Bewegung, welche durch die früher un- geahnten Komplikationen alpiner Faltungen und Überfaltungcn und durch die Versuche , die ver- schiedensten Schichtprofile nicht nur faunistisch zu gliedern, sondern auch genetisch, paläogeogra- phisch, zu deuten , reiche immerwährende An- regung erhielt, — einer der ersten, die hier erfolg- reich vorgingen, war O. A m p fe r e r (1906), einer der letzten AI fr. Wegen er (siehe hierzu auch die oben zitierte Darstellung des Referenten von 1914) — schließt sich nunmehr auch Dac- q u e an. Sein Resultat ist ebenfalls eine Ab- lehnung der Kontraktionslehre: „Einerlei also, wie die Ursache der Geosynklinalbewegungen und Gebirgsbildung schließlich im einzelnen aussehen mag, soviel darf man heute schon mit Sicherheit behaupten, daß die primitive Kontraktions- und Tangentialdrucklheorie aus positiven und negativen Gründen einer Anschauung weichen muß, bei der die Wärme und ihre dynamischen und thermisch- metamorphosierenden Wirkungen eine entschei- dende Rolle spielen" und „Es ist . . . ein vergeb- liches Bemühen, die Geosynklinalbewegungen . . . ohne weiteres auf isostatische Vorgänge zurück- führen zu wollen. Wir erkennen in ihnen viel- mehr eine Erscheinung ganz anderer Art, deren Ursache, soweit sie die Faltungen betrifft, gewiß nicht isostatischer Art ist, sondern einer uns der- zeit noch unbekannten tiefersitzenden Kraftquelle entspringt. Hier könnten Ampferer's ,, Unter- strömungen", oder magmatische Vorgänge unter der Erdliaut oder dergl. in Zukunft weitere Bedeutung gewinnen." — Mit diesem Resultat wird man, so unbestimmt es auch klingt, eher einverstanden sein müssen, als mit den Annahmen der Kon- traktionslehre; gleichwohl darf man sich nicht verhehlen, daß die Anwendbarkeit der thermischen Theorie für eine Erklärung, bzw. Teilerklärung der Gebirgsbildung bedenklich erscheinen muß, wie Referent bereits a.a.O. auseinandergesetzt hat. In dieser Anschauung fühlt er sich durch die teilweise gegen ihn gerichteten Darlegungen Dacque's eher bestärkt als widerlegt, geht der- selbe doch weder auf die vom Referenten an- geführte, in großen Tiefen eintretende Verringerung des Porenvolumens, noch auf die ebendort statt- habende Herstellung größerer Dichte nach dem ,, Volumgesetz" von Becke, noch auf die geringe Druckfestigkeit der Gesteine ein, welche wenigstens eine Falten gebirgsbildung als einfache thermische Folge geosynklinaier Senkung als ausgeschlossen erscheinen lassen. Ganz etwas anderes ist es, ob nicht infolge interner Verschiebungen des Wärme- gleichgewichtes Volumenänderungen eintreten und wirksam werden können, wie sie durch die vom Referenten a. a. O. erwähnten Tarn mann - sehen Untersuchungen wahrscheinlich gemacht werden. Zuzustimmen vermag Referent auch nicht der Verwendung, dieDacque den Lach- mann'sehen „kristallokinetischen Strömungen" zuteil werden läßt. Kann man sich allenfalls bei Heranziehung der Tamman n 'sehen P'eststellun- gen unter „kristallokinetischen Expansionen" (S. 155) nocii etwas vorstellen, so versagt doch die Vorstellungskraft des Referenten bei den „kristallokinetischen Strömungen oder Umlage- rungen", welcher Ausdruck nur Sinn und Verstand hat, weim man, wie Lach mann das wenig- stens ursprünglich annahm , an spontane I'^orm- veränderungen der kristallinen Massen dachte. Ist aber eine Formveränderung kristallinischer Körper nicht Ursache, sondern Folge und Begleit- N. F. XIV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 603 erscheinung äußerer Einflüsse (Druck- oder Tem- peraturänderung), wie auch Dacque zugeben dürfte, dann ist, wie ich bereits a. a. O. ausführte, „die Bezeichnung kristallokinetische Strömung irre- führend, da die Kristalle sich nicht spontan auf die Wanderung begeben und die Strömung aus sich heraus verursachen, sondern ihnen die strö- mende Bewegung und Umformung von außen aufgedrängt wird." Doch das sind Meinungs- verschiedenheiten, welche den Wert der Darlegun- gen des Verfassers, die in der Ablehnung der Kontraktionslehre gipfeln, kaum beeinträchtigen. Noch ein Punkt möge hier kurze Besprechung finden. Bekanntlich unterscheidet moderne geo- logische Wissenschaft unter den Bewegungen der Lithosphäre zwei Gruppen, die epirogenetischen, welche sich in Hebungen und Senkungen oft von großer Spannweite äußern, und die orogenetischen, welche vermittels tangential zur Wirkung ge- langender Druckkräfte im Extrem zur Aufstauung von Faltengebirgen führen. Dacque versucht nun die tektonischen Bewegungen der Erdrinde in anderer Weise zu teilen, und zwar so, daß auf der einen Seite „alle einfachen vertikalen Auf- und Abbiegungen , Hebungen und Senkungen an Brüchen, Schleppungen", auf der anderen Seite die Faltengebirgsbildung alpiner Art, einschließ- lich des gesamten Bewegungsmechanismus der Geosynklinalgebiete , also auch deren Absen- kungen, zu stehen kämen. Es ist aber nicht einzusehen, daß hierdurch etwas gewonnen werden könnte, so verschieden auch das Verhalten der geosynklinalen und extrageosynklinalen Gebiete in der Tat sich darstellt ; im Gegenteil würde bei einer solchen Trennung der ganze Vorteil zu nichte, den die Aufstellung des Ausdruckes „Epiro- genetische Bewegungen durch Gilbert oder die Unterscheidung „radiale" und „tangentiale Disloka- tionen" uns gebracht hat. Referent sieht daher keinen Grund ein, die Senkungen der Geosyn- klinalgebiete von den übrigen epirogenetischen Senkungen zu trennen und andere Ursachen dafür zu postulieren , wobei er sich z. B. in Überein- stimmung mit Stille befindet.^) Nur nebenbei erwähnt sei die Darstellung, die der Bedeutung der Polverlegungen für die Paläo- geographie gewidmet ist, woran sich eine Dis- kussion der horizontalen Krustenbewegungen an- schließt. Hier trifft sich Dacque mit AI fr. Wegen er und findet in dessen Theorie von der horizontalen Beweglichkeit der salischen Kon- tinentalschollen den Schlüssel zur Lösung der alten Frage nach Permanenz oder Nichtpermanenz der Tiefsee. Folgendes spricht für Permanenz der Tiefsee gegen Permanenz der Tiefsee. 1. Die Notwendigkeit, pa- läogeographische Landverbin- dungen zu konstruieren in Regionen, die heute von Tief- see eingenommen werden. 2. Das Auswandern von mesozoischen Typen in die Tiefsee. 3. Die scheinbaren Aus- gleiche zwischen Tiefsee und Land in der jüngsten geolo- gischen Vergangenheit (\^'est- indien, Polynesien, Malta) und bis zu einem gewissen Grade auch in früheren Geosynklinal- gebieten. 1. Pencks und Willis' Erörterung über die Menge des Wassers, das bei dem nachweisbaren Vorhandensein von Festlandsarealen seit kam- brischer Zeit und unter Vor- aussetzung nicht allzu großer Radiusverkürzung od. Wasser- zunahme stets große Tiefen bedeckt haben muß. 2. Das Fehlen typischer Tiefseeschlicke in den For- mationen vom Kambrium bis zum Tertiär, bzw. das Vor- handensein von nur verhältnis- mäßig seichten und labilen Epikonlinentalmeeren wäh- rend der nachalgonkischen Perioden auf den heutigen Festlandsarealen. Da es aber weder möglich ist, eine außerordent- liche Zunahme der ozeanischen Wassermenge seit dem Mesozoikum noch bei wesentlich gleich- bleibender Wassermenge eine starke Verkürzung des Erdradius und damit des Erdumfanges anzu- nehmen, bleibt nach Ansicht des Verfassers nur der Ausweg aus diesem Dilemma, den Wegen er schon angedeutet, aber noch nicht selber betreten hat. AI fr. Wegener (Die Entstehung der Konti- nente. Petermann'sGeogr.Mitt. 1912.I.S. 185 — 195, 253 — 256, 306 — 309. Taf. 36) hatte angenommen, daß die aus „Sal" bestehenden Kontinentalschollen in dem spezifisch schwereren, leichter schmelzbaren und relativ plastischen „Sima" ^) welches den Boden der Weltmeere und die Unterlage der salischen Kontinentalschollen bildet, gleichsam schwimmen und seitliciie Verschiebungen erfahren, die zu Ge- birgsstauungen führen. Dacque aber schließt jetzt weiter: „Wenn im Urpazifik von jeher, d. h. vom Anfang des Paläozoikums ab, das dichtere Sima freilag — abgesehen vielleicht von kleineren sali- schen Landmassen, die nach und nach abgetragen wurden und zerbröckelten, und wenn dort das permanente Abyssikum lag, dann ist das dichtere Material unter dem Atlantischen und Indischen Ozean durch Verschiebung der weniger dichten salischen Kontinente wie beim Offnen eines Vor- hanges später zutage getreten und das heutige Zusammenfallen eines Dichteunterschiedes mit den Grenzen von Kontinent und Ozean ist einfach erklärt. Die vorweltlichen, auf unseren heutigen Landmassen nachweisbaren Meeresbedeckungen sind vorüber- gehende Ingressionen; Pazifikund Kontinente sind, von den Verschiebungen abgesehen, permanent ;^) der Atlantik und Indik sind jungeTiefen miteinem infolge ') Andererseits muß man dem Verfasser durchaus Recht geben, wenn er die Bewegungen, welche das ,, Niederdeutsche Becken" Stille's im Mesozoikum und Känozoikum durch- machte, von den Bewegungen echter Geosynklinalgebiete ver- schieden erachtet. ') Unter „Sima" (gebildet aus Si(licium) — Ma(gnesium)) versteht moderne Geologie nach dem Vorgange vonEd. Sueß die tieferen Teile des Steinmantels der Erde. ^) Dem widerspricht eigentlich ein 2 Seiten später er- scheinender Satz; „Wir bekennen uns also zu einer Nicht- permanenz der Kontinente". 6o4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 38 der Verschiebung zutage getretenen simatischen Boden. Damit ist das Permanenzproblem seiner Widersprüche beraubt und im wesentlichen geklärt." Soweit Dacque. — Ich habe in meiner mehrfach angeführten Dar- stellung über Gebirgsbildung meine Bedenken gegen die Wegen er 'sehe Hypothese von jenen enormen Horizontalverschicbungen der Kontinente geäußert und fühle mich auch durch Dacque's Darstellung, die anscheinend spielend das Perma- nenzproblem gelöst erscheinen läßt, nicht über- zeugt. Ich meine, es läßt sich noch recht viel gegen dieses Hypothesengebäude anführen; doch mag dieses besonders deshalb einem späteren Zeit- punkt vorbehalten bleiben, da wir aus Wegener's Feder demnächst eine abermalige Darstellung dieser Probleme erwarten dürfen. Mag man über die- selben aber denken, wie man will, man wird es als einen Vorzug des Dacq ue'schen Buches ver- merken dürfen, daß eben alles verwertet ist, was nur irgendwie für die Umgestaltung der Erdrinde in der Vorzeit von Bedeutung gewesen sein kann. Die uns zur Verfügung stehenden Mittel paläo- geographischer Forschung sind die Schichtgesteine, deren Bildungsumstände und deren Haupteigen- schaft, die Schichtung, verstanden haben muß, wer mit Hilfe relativer geologischer Zeitrechnung, d. h. mit Hilfe der Stratigraphie, Paläogeogra[)hie treiben will. Die Bedeutung, welche dem Problem der Schichtung innewohnt, ist eigentlich erst vor wenigen Jahren erkannt worden, und man könnte den Wunsch haben, dasselbe noch eingehender be- handelt zu sehen, wobei nur als fehlend auf die ,,Repetitionsschichtung" Albert Heim's und J. Walt her 's Gesetz von der Korrelation der Fazies hingewiesen werden mag. Sehr lesenswert ist der Abschnitt über „Zyklen und Diastrophismen." Dacque bespricht folgerichtig nach der Bildung der einzelnen Gesteine (einschließlich ihres biolo- gischen Inhaltes) folgende Zyklen : Sedimentations- zyklen, Davis'sche Zyklen der Abtragung, große erdgeschichtliche Zyklen und Diskordanzen. In den ältesten Zeiten der Erdgeschichte, im Archaikum und Algonkium, vermag Paläogeographie nur vermittels der reinen stratigraphischen Methode relativeZeitmessungen auszuführen und anzuwenden. Gleichwohl gelingt es schon hier, eine größere Zahl von Weltz3klen festzustellen. Sichereren Boden aber bekommen wir erst im Kambrium unter die Füße, da die hier bereits in Fülle auf- tretenden P'ossilien es gestatten, neben der strati- graphischen die paläontologische Methode anzu- wenden. Absolutes geologisches Zeitmaß köimen wir zwar auch auf diesem Wege nicht gewinnen. Selbst die neuesten Messungen enger begrenzter geolo- gischer Zeitabschnitte, wie sie R o t h p 1 e t z , de Geer, Pompcckj ausgeführt haben, helfen uns, mögen die Resultate auch der Größenordnung nach richtig sein, für die lange geologische Vor- zeit nicht weiter, und man wird bis auf den Zeit- punkt vertrösten müssen, wo es gelungen ist, die großen Weltzyklen mit astronomischen, nach ab- soluter Zeit leicht berechenbaren Ereignissen in Übereinstimmung zu bringen. Bei alledem aber wird man nicht vergessen dürfen, daß überhaupt „die Frage der Altersjwrallelelisierung auf ein noch ganz unsicheres P'undament gebaut ist, und mit ihm steht und fällt unsere geologische Zeittafel, stehen und fallen unsere paläogeographischen Karten. Es stecken darin eine ganze Menge Einzelfragen , die alle für sich behandelt und geklärt sein wollen, ehe unsere Altersbestim- mungen das werden, was sie sein sollen : es steckt darin die Annahme, daß gleiche Formen jeweils zu gleicher oder bis auf wenige Jahrhunderte gleicher Zeit auf der Erde an vielen Orten gelebt haben; es steckt darin die Frage, was spezifische Identität, was „Art" ist. Und es steckt darin die Frage, ob nicht mehr oder minder heterogene Stammlinien gleichzeitig oder zu verschiedenen Zeiten mit morphologisch gleichartigen Konver- genzformen endigen können. Also die aller- schwierigsten Fragen der Deszendenztheorie sprechen hier herein . . ." Verfasser selbst ist Anhänger einer „Orthogenese". „Waren einmal die Foimen als solche, d. h. die Grundtypen, da, dann stand dem nichts mehr im Wege, daß sich das Leben kraft seiner autonomen und regulativen Formenbildungsfähigkeit gleichsinnig und daher überall durch die Jahrhunderttausende orthogene- tisch abänderte" und „Heterogene Formen bilden also zur selben Zeit gleiche Typen aus, die bei nicht allzu entfernter Stammeszugehörigkeit geradezu konvergent identisch werden können". — Aus dem eben Gesagten mag ersehen werden, welche Schwierigkeiten zu überwinden sind, allein um zu einer einwandfreien relativen Zeitrechnung, der Grundlage jeder rationellen Paläogeographie, zu gelangen; und es ist ausdrücklich als Zukunfts- möglichkeit hingestellt, daß es gelingen könnte, ,,im kleinen auch den Zonen- und Stufenbegrifif mit einer absoluten Zeitvorstellung in Verbindung zu bringen. Es entwickelt sich nämlich in der Zoologie, in der Vererbungslehre seit mehreren Jahren , also seit die Erkenntnis der Gesetze der Vererbung zunimmt, die Vorstellung, daß sowohl die Erblichkeit, wie die phyletische Um- wandlung gewissen Periodizitäten unterworfen ist. . . . Gelingt es der Zoologie, die jene Perio- dizität beherrschenden Gesetze festzustellen und damit zu zeitlich determinierten Kurven der Um- wandlung zu gelangen, dann bekommen die Geo- logen vielleicht ein Mittel in die Hand, die Um- wandlungszeit einer Fauna oder einzelner P'ormen und damit die Dauer einer Oppel' sehen Zone abzuschätzen." Wie aber unter Berücksichtigung aller dieser Schwierigkeiten „der Entwurf paläogeographischer Karten und ihrer Einzelheiten" zu erfolgen hat, stellt Dacque in dem umfangreichen IX. Kapitel dar. Solche Arbeit wird recht erschwert durch das auf verschiedene näher beschriebene Vorgänge zurückgehende Fehlen großer Teile ursprünglich abgelagerter historisch - geologischer Dokumente, N. F. XrV. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 605 wodurch es nötig wird, Methoden zu finden, welche die Scliwierigkeit überbrücken. Diese Methoden sind biogeographischer Art, wiederum ein Zeichen dafür, wie wenig der Geologe geo- graphischer Denk- und Forscherarbeit entraten kann. An einzelnen Beispielen, die hier nicht auf- gezählt werden können, wird die Feststellung ver- schiedenster paläogeographischer Einzelheiten aus- geführt. Unter diesen nimmt eine besondere Stellung das Klima der Vorzeit ein und der ,,Paläoklimato!ogie" ist das letzte inhaltsreiche Kapitel gewidmet. Die Schwierigkeiten sind auch hier groß, und wir stehen offenbar erst in den Anfängen der Erkenntnis. Gleichwohl ergibt eine Diskussion der klimatischen Zustände der einzelnen Eiszeitalter eine solche Übereinstimmung der „Klimakurve" (Fig. "]& auf S. 432) mit z. B. der „Gebirgsbildungskurve", und zeigt, daß auch im Klima der Vorzeit deutliche Zyklen unterschieden werden können, so daß es scheint, als ob die Grund- lagen unserer bisherigen Erkenntnis keine großen Änderungen mehr erfahren werden. Die Beziehun- gen aber, die sich daraus zwischen den einzelnen Faktoren der irdischen Dynamik ergeben, werden weiter der Aufklärung bedürfen; und hier kann die Paläogeographie in Zukunft von der allge- meinen oder dynamischen Geologie wertvolle Aufschlüsse erwarten. — Die „Grundlagen und Methoden der Paläo- geographie", wie sie uns Dacque im ersten Versuch einer Synthese dieser Wissenschaft dar- gestellt, scheinen mir so gut gelungen, daß sie einen mächtigen Anstoß zu weiterer rationeller Arbeit geben werden, die uns dem Endziel wissen- schaftlicher Geologie Schritt für Schritt näher bringt; und sein Buch muß als eines der wert- vollsten bezeichnet werden, was auf unserem Ge- biete in den letzten Jahren erschienen ist. Einzelberichte. Geographie. Ein neuentstandener See in der Umgebung Berlins. Seen gehören in der Regel zu den vergänglichen Reizen der Landschaft, da ihre Zuflüsse im normalen Verlauf der morpho- logischen Entwicklung durch Ablagerung des mit- geführten Schuttes und der sonstigen festen Be- standteile das Becken allmählich ausfüllen. Zu den Seltenheiten dagegen gehört die Entstehung eines Sees, zumal wenn es sich um eine Wasser- ansammlung von beträchtlicher Tiefe handelt, die rings von festen Felswänden umschlossen ist. Ein solcher Fall hat sich östlich von Berlin bei Rüders- dorf ereignet. Hier wird durch den Steinbruch- betrieb der Muschelkalkstein im offenen Tagebau gewonnen, und im westlichen Teile, dem sog. Heinitzbruch , ist die Ausschachtung stellenweise bis zu einer Tiefe gediehen, die mehrere Meter unter das Niveau des Meeresspiegels hinabreicht. Seit dem Ausbruch des Krieges ist nun die Kalk- steinförderung erheblich eingeschränkt worden, und man hat deshalb auch die Maschinen, die das von den Seiten her einsickernde und von unten aufsteigende Grundwasser ständig auspumpten, außer Betrieb gesetzt. Dies hat nun ein allmäh- liches Steigen des Grundwassers zur Folge gehabt, so daß jetzt ein See von etwa i km Länge und 100 — 200 m Breite entstanden ist. Die Tiefe dürfte etwa 40 m betragen, doch nimmt dieselbe noch ständig zu, da der Wasserspiegel des Sees noch nicht das Niveau der benachbarten Seen erreicht hat und der Zufluß somit noch fortdauert. Der Boden des neuen Bergsees reicht bis unter das Meeresniveau hinab, und wir haben es also mit einer sog. Kryptodepression zu tun. Da die Wasserfläche ringsum von weißen senkrechten Kalkwänden eingefaßt ist, die oben mit grünen Laubwald bestanden sind, so bietet sich hier ein überaus anziehendes Landschaftsbild, um das die Um- gebung Berlins bereichert worden ist. O. B. Botanik. Über die Giftigkeit radenhaltiger Kleie berichtet H. Kühl in der Wochenschrift „Die Mühle" (1915, Nr. 29, S. 518). Kleie, die an Geflügel verfüttert war und den Tod mehrerer Hühner herbeigeführt hatte, enthielt, wie durch die mikroskopische Untersuchung festgestellt wurde, größere Mengen Radenbestandteile (Agrostemma Githago). Der Kern der Radensamen besteht aus ungiftigem, nahrhaftem Sameneiweiß und wird von dem Keime, der das giftige Githagin enthält, umsclilossen. Die Giftwirkung des Githagin äußert sich in Schlingbeschwerden, Erbrechen, Kolik, Mattigkeit, Betäubung, Krämpfen und Läh- mung. Beim Rösten des giftigen Teiles des Radensamens verschwindet das Githagin, bzw. wird zersetzt, daher sind im Brote selten giftige Teile der Rade gefunden worden, außerdem wird meistenteils beim Mahlen die Schale mit dem an- haftenden Keime entfernt und geht in die Kleie. Selbstversuche von Lehmann und Mori zeigen, daß ein Tagesmaß Brot, das 3 — 5 g Radenpulver enthält, zu Vergiftungserscheinungen führt. Die russische Regierung gestattete früher, daß das zu Soldatenbrot verbackene Mehl 0,5 "/^ Kornrade enthielt, infolgedessen konnte der russische Soldat, der täglich 1200 g Brot erhielt, im Höchstfalle 6 g Kornrade zu sich nehmen, er verkaufte aber zum großen Teile sein Brot oder tauschte es gegen Schnaps ein, was ihn oft vor einer Ver- giftung bewahrt haben mag. Will man die Raden- samen für die Ernährung nutzbar machen, so schrote man sie nach Kühl derart, daß Schale und Keime vom Mehlkern losgelöst werden; das läßt sich durch geeignete Stellung und Riffelung der Schrotwalzen erreichen. Der Mehlkern liefert nach Kühl ein sehr wohlschmeckendes und nahr- haftes Mehl. Sollten Spuren des Keimes in das Mehl gelangen , so ist es nach Kühl nicht sehr bedeutungsvoll, sobald es zum Backen verwendet 6o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 38 wird, weil beim scharfen Backen das Gift zerstört wird. Im wesentlichen gehen Schalen und an- haftende Keime in die Kleie. Wird solche Kleie für sich oder im Gemenge mit Getreidemehl ver- füttert, so bedingt sie schwere Vergiftungen aller Haustiere, mit Ausnahme des Schweines. Soll jedoch radenhaltige Kleie als Viehfutter Verwen- dung und Verwertung finden, so empfiehlt K ü hl , sie vorher durch Rösten, d. h. anhaltendes scharfes Erhitzen, zu entgiften. Ohne diese notwendige Vorbereitung darf radenhaltige Kleie unter keinen Umständen verfüttert werden, dagegen kann ab- gesiebter, geschroteter Radensamen nach dem Rösten als Futtermittel verwendet werden. Zu normalen Zeiten spielt meines Erachtens nach die Radenfrage nur in den Gegenden eine Rolle, in denen vorzüglich Schrotbrot gegessen wird. Zu Kriegszeiten aber, wo das Korn mög- lichst weit ausgemahlen wird und infolgedessen ein dunkleres Mehl resultiert, kann es wohl un- reellen und gewissenlosen Menschen einfallen, die Raden im Getreide zu lassen und mit zu ver- schroten. Hierzu ein Beispiel aus der letzten Zeit, über das K. Alpers (Pharm. Ztg. 191 5, Nr. 59, S. 479) berichtet: Ein Besitzer von Weizenmehl Nr. 5 (ein dunkles sog. Hintermehl) hatte keine Vorratsanzeige erstattet, wie es die Bundesrats- verordnung über die Beschlagnahme von Brot- getreide und Mehl vom 25. Januar 1915 und über das Verfüttern von Roggen, Weizen, Hafer, Mehl und Brot vom 21. Januar 1915 verlangt; er ver- kaufte jedoch das Mehl nachträglich als Brotmehl. Vor Gericht machte er geltend, dem Weizenmehl sei bei der Herstellung Unkrautsamen zugesetzt; das Mehl sei deshalb nicht anzeigepflichtig. Es unterliegt keinem Zweifel, daß Weizenmehl Nr. 5, dem Unkrautsamen zugesetzt ist, verfälschtes Weizenmehl darstellt. Die Strafkammer des Landgerichts in Hechingen stellte sich auf den Standpunkt, daß Weizenmehl Nr. 5 für die mensch- liche Ernährung geeignet sei und demnach der Anzeigepflicht und Beschlagnahme unterliege, und daß der Angeklagte, wenn wirklich das Mehl mit Unkrautsamen versetzt sei, sich außerdem eine Anklage wegen Nahrungsmittelfälschung zuziehe. Der in dieser Verhandlung zugezogene Mühlen- sachverständige hatte unter I'.id das Gutachten abgegeben, Weizenmehl Nr. 5 werde nur als Futtermehl gehandelt; die Mühlen übernähmen für Backfähigkeit keine Garantie, da es üblich sei, dem Weizenmehl Nr. 5 die Unkrautsamen des Getreides wieder zuzusetzen! Gegen dieses Gut- achten, sagt Alpers mit Recht, kann der Naii- rungsmittelchemiker nicht tatkräftig genug Stellung nehmen; es muß als grobe Fälschung des Mehles bezeichnet werden, wenn ihm die Unkrautsamen, die die Reinigungsmaschine entfernt hat, nach- träglich wieder zugesetzt werden. (ü.C.) O. Rammstedt. Zoologie. Wespenähnliche Schmetterlinge. Nach dem gegenwärtigen Stande unserer Kennt- nisse sind zwei Formen von Mimikry zu unter- scheiden: 1. Die von Bates aufgestellte eigentliche Mimi- kry. Ungeschützte Tierarten eines bestimmten Wohngebietes gleichen in Form, Farbe und Zeich- nung mehr oder weniger frappierend anderen Arten der gleichen oder einer anderen Tierordnung, des gleichen Wohngebietes, die durch bestimmte Eigenschaften z. B. Gift, Waffen, ekelhafien Ge- schmack vor ihren Feinden geschützt sind. 2. Die auf Müller zurückgehende Form. An und für sich geschützte Tiere tragen das gleiche warnende Kleid, doch ist das Modell häufiger. Zu den Mimetikern der zweiten Form gehört eine Reihe von wespenähnlichen Schmetterlingen Südamerikas aus der Familie der Syntomiden. Sie werden allgemein als ungenießbar angesehen, da sie weder von Hühnern, noch anderen Vögeln noch von Schaben angenommen werden. Auch Parasiten wurden bei Zuchtversuchen aus ihnen nicht erhalten. Lediglich Kröten verzehren sie, doch hat die Wespenähnlichkeit ihnen gegenüber keinen Zweck, da sie auch Wespen annehmen. Durch diese Eigenschaft dürften also die Synto- miden vor ihren Feinden genügend geschützt sein, und es erscheint überflüssig, daß sie außerdem noch durch die Nachahmung bewehrter Wespen sich vor Verfolgung sicherstellen. Die Müller'sche Erklärung für solche Fälle lautet folgendermaßen: Die als Hauptfeinde in Betracht kommenden Vögel lernen in ihrer Jugend die widrigen Schmetterlinge ihres Wohngebietes nach ihrem Aussehen kennen. Tragen nun meh- rere Insektenarten eine übereinstimmende Uniform, so werden statt einer Art mehrere Arten in ihrer Individuenzahl beeinträchtigt; da aber die Zahl der Opfer wohl annähernd gleich bleibt, ob es sich um eine oder mehr Arten handelt, so hat jede Art ihren Vorteil, da sie nur einen gewissen Prozentsatz der Opfer zu tragen hat. Es würden also in unserem Fall nur wenige Wespen und wenige wespenähnliche Schmetterlinge gefressen werden, statt einer doppelt so großen Anzahl von einer Art, bis die Vögel auf den Genuß der be- treffenden Insekten verzichten. Eine andere Erklärung versucht Schrott ky (Zeitschr. für wissensch. Insektenbiologie 191 5, Bd. XI). Er verwirft die Ansicht, daß es sich hier um Mimikry handelt und gelangt auf Grund seiner Beobachtungen zu folgenden Schlüssen: 1. Die Wespenähnlichkeit mancher Schmetter- linge ist auf unauffällige, meist dunkle Färbung zurückzuführen ; da es Wespen in allen Farben- abstufungen zwischen Gelb, Rot und Schwarz gibt, so läßt sich für fast jede auch ein ähnlich ge- färbter Schmetterling finden. Ganz genau gleich ist die I'ärbung nie. 2. Die Wespenähnlichkeit der Syntomiden beruht auf ihrer Flügclform ; diese ist erworben durch das Leben im dichten Urwalde. L^ie den freien Kamp bewohnenden und meist lebhaft N. F. XIV. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 607 gefärbten Arten werden von den Waldbewohnern abgeleitet werden müssen. 3. Die Schuppenlosigkeit der Flügel mancher Syntomiden kann in Verbindung sonst passender Färbung zur Wespenähnlichkeit beitragen. 4. Die Wespenähnlichkeit mancher Syntomiden wird verstärkt durch eine Einschnürung an der Basis des Abdomens. Aber dieser muß als Grund- bedingung eine gleichzeitige passende Färbung des Körpers und der Flügel zur Seite stehen, da die Wespentaille allein noch keine Ähnlichkeit ergibt. 5. Es ist durch nichts erwiesen, daß die Wespenähnlichkeit dem Schmetterlinge von Nutzen sei; die Syntomiden sind ohnehin gut geschützte Tiere. Für den zweiten Schluß gibt Schrott ky fol- gende Erklärung: „Tausende von Lianen ranken im Urwalde von Baum zu Baum, ein undurch- dringliches Gewirr bildend (für Menschen und größere Tiere); aber Millionen von kleinen Durch- lässen ermöglichen der Insektenwelt das Durch- schlüpfen. Breite große Flügel können hier nur den phlegmatischen Brassoliden und Morphiden nicht hinderlich sein; ersteren, weil sie überhaupt nur wenig fliegen, letzteren, weil sie meist in majestätischem Fluge über die Kronen der höchsten Bäume hinwegschweben, während die lebhafteren Hymenopteren und Syntomiden im niedrigen Fluge schweren Schaden nehmen würden. Trotzdem muß den verhältnismäßig schweren Körper ein kräftiger Hügel tragen, nicht zu breit, um das Durch- schlüpfen zu gestatten, ziemlich lang, damit die Länge die fehlende Breite aufwiegt. So mag die dem Wespenflügel so ähnliche Flügelform ent- standen sein, aus der Notwendigkeit heraus, im Lianenwirrwarr des Urwaldes rasch und sicher den Weg zu den Futterpflanzen der Raupen und zur eignen Nahrung zu begehen." Dr. Stellwaag. Hygiene. Während der heißen Jahreszeit ver- ursachen die Schlachtfelder, wo Tausende von Leichen verwesen, die ernstesten Bedenken in hygienischer Beziehung. Erst mit der Beendigung der Verwesung der tierischen und menschlichen Kadaver werden die betreffenden Gegenden wieder hygienisch einwandsfrei. Unter diesem Gesichtspunkt verdient ein Be- richt von F. Bordas und S. Bruere vor der Pariser Akademie der Wissenschaften in den Sitzungen vom 28. Juni und 12. Juli d. J. über die Beschleunigung der Verwesung eines Tier- körpers unter verschiedenen Bedingungen hervor- ragendes Interesse. (Contribution ä l'etude des phenomenes de la putrefaction. C. R. Ac. sc. Paris Nr. 26 et 2). In einer früheren Arbeit (F. Bordas, Etüde sur la putrefaction, Paris 1892) hatte ersterer auf das Verwerfliche des Gebrauchs von desinfizierenden Mixturen bei einem normalen Begräbnis hingewiesen. Dadurch würde nicht allein die Zersetzung der organischen Materie durch Fermentation verzögert, sondern auch die tierischen Lebewesen abgehalten, sich an der Zer- störung des Leichnams zu beteiligen. Die Verfasser untersuchten, ob es nicht mög- lich sei, die Zersetzung zu beschleunigen. Sie benutzten dazu die Flüssigkeit, welche sich bei der Fäulnis der Zellulose bildet. Bei jedem Ka- daver, sei er nun der frischen Luft ausgesetzt oder in die Erde eingescharrt, beginne die Ver- wesung von innen heraus, unter Mitwirkung von im Verdauungskanal enthaltenen Mikroorganismen. Um diese innere Ursache auszuschalten, benutzten die Verff". erst im letzten Augenblick den Em- bryonalhüllen entnommene Schweineföten im Gewichte von 300 bis 350 g. In einer ersten Versuchsserie wurde neben einem unter Wasser in einem Deckelglas aufbewahrten Testobjekt (Nr. i) Nr. 2 in die oben genannte F'äulnisflüssigkeit (Fj eingetaucht, die zur Hälfte mit Wasser ver- dünnt war. Nr. 3 tauchte in unverdünntes F, Nr. 4 erhielt eine intraperitoneale Einspritzung von 2 ccm F. Alle Gläser wurden mit Kork verschlossen. Die vier ersten wurden in der Temperatur des Laboratoriums bei 17" — 18" ge- lassen. Vom 15. Tage ab wurden alle bei 13"— 14" unterirdisch aufgestellt, das 5. Stück in einem ge- schlossenen Raum bei 30"— 32". Es war nach 108 Stunden vollständig verflüssigt und die Knochen des Skeletts lagen in einer rötlichbraunen Flüssig- keit am Grund. Nr. 3 und 4 brauchte dazu 360 Stunden. Das Testobjekt war noch nach 66 Tagen (1580 Stunden) erhalten. In einer zweiten Ver- suchsreihe wurden die Kadaver am Deckel des Glases so aufgehängt, daß sie nur zur Hälfte in eine Flüssigkeit tauchten. Dieselbe bestand bei Nr. I zur Hälfte aus Wasser, zur Hälfte war es abgesetzte Flüssigkeit von Nr. 5 aus der ersten Versuchsserie. Bei Nr. 2 war die Hälfte Wasser, die andere Hälfte: Harnstofi" Wasser Fäulnisflüssigkeit 43 g 2000 „ 10 „ Die mit einem Kork verschlossenen Gläser wurden bei 24"— 25" aufgestellt. Nach 144 Stun- den war der Kadaver Nr. 2 vollständig zersetzt, während die Verwesung bei Nr. i die doppelte Zeit brauchte. Während der ganzen Dauer war die Tempe- ratur im Innern der Gläser gesteigert. Aus den Versuchen ergibt sich, daß durch Hinzufügen des Fäulnisfermentes der Zellulose die Verwesung be- deutend beschleunigt werden kann. Sie verläuft namentlich rasch in der Wärme, selbst bei nur geringer Steigerung der Außentemperatur (25 "). Bei der in Nordfrankreich in den heißen Monaten herrschenden Durchschnittstemperatur von 13" C dürfte sich die völlige Zersetzung einer Leiche in ungefähr 15 Tagen ermöglichen lassen. Die für die Verwesung nötige Zeit wurde folgendermaßen bestimmt. Ausgehend von der Erfahrung, daß die Kadaver kleiner Tiere in Mist- haufen, in welche sie verscharrt wurden, unter dem 6oS Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 38 Kinflusse von l^'euchtigkeit und Wärme sich rasch zersetzen, vergrub man den Kadaver eines großen (etwa 60 kg schweren) Hundes in einem Haufen Pferdemist. Schon nach 8 Tagen war die Zer- setzung so weit fortgeschritten, daß das Knochen- gerüst gänzlich entblößt war. Durch Laboratoriums- experimente versuchten die Verff. die bei der raschen Verwesung wirksamen einzelnen P'aktoren: Milieu, Temperatur, Feuchtigkeit, Art der Mikroben usw. zu ermitteln. Es wurde ein künstlicher Kom- posthaufen aus gehacktem Stroh und Torf aufge- baut: darin lagen die I'öten ; um die außen an- hängenden Mikroben auszuschalten, wurden nur solche verwendet, die unmittelbar nach ihrem Tod aus den Embryonalhüllen genommen worden waren. Das Ganze wurde reichlich feucht gehalten, indem es mit Urin und Wasser übergössen wurde. Der Beginn der Fäulnis zeigte sich schon nach 24 Stunden in einer Wärmeentwicklung, die durch ein von außen eingeschobenes Thermometer gemessen wurde. Die Temperatur betrug 16" und war 2,5 " höher als die Außentemperatur des Laboratoriums von 13,5 ". Allmählich steigend erreichte sie am 10. Tag 22" und lag damit 6" höher als die Temperatur der Umgebung (16"). Von da ab fiel sie am 11. Tag auf 20" und blieb auf dieser Höhe 3 Tage lang, um allmählich zur Norm zu- rückzukehren. Vom 10. Tage ab machte sich ein erst schwacher aber deutlicher Fäulnisgeruch be- merkbar. Als am 19. Tag der Versuch abgebrochen wurde, waren von den fünf je 130 g schweren Föten nur noch einige Knochen übrig. Eine Zeit von 456 Stunden hatte also genügt, um 650 g Kadaver zu verflüssigen. Die Zersetzung muß schon mit 336 — 360 Stunden abgeschlossen gewesen sein, damals, als zwischen dem 14. und 15. Tag die Temperatur schroff fiel. Es entspräche dies genau der Zeit, welche früher bezüglich des Verwesens in einem flüssigen Medium ermittelt wurde. Kathariner. Anregungen und Antworten. „Eifriger Leser" . . . Der Name der übersandten Käfer ist Niptus hololeucus Falderm. (messinggelber Diebkäfer). Die Tiere haben die viereckigen Papierstücke in der Hülse unbe- rührt gelassen, dagegen die Wollstücke stark benagt und den Holzspahn aufgezehrt. Niptus hololeucus gehört zur Familie der Ptiniden. Die Angehörigen dieser Gruppe sind dadurch ausgezeichnet, daß die Fühler auf der Stirne zwischen den Augen eingefügt und einander meist sehr stark genähert sind. Sie sind außerdem fadenförmig oder leicht gesägt, besitzen aber niemals ein keulenförmiges, abgestutztes Endglied. Der Halsschild ist schmäler als die Flügeldecken und gewöhnlich an der Basis eingeschnürt. Flügeldecken oval oder parallel, oft in beiden Geschlechtern verschieden geformt, den Hinterleib bedeckend. Die Hinterhüflen sind weit auseinandergerückt und haben keine Schenkeldecken. Hüftglieder der Schenkel mehr oder weniger verlängert, Fuß deutlich fünfglicdrig. Niptus hololeucus besitzt stark gerundete oder elliptische und in Reihen einfach punktierte Flügeldecken, denen eine Schulterbcule fehlt. Der Käfer hat eine braune Farbe, ist mit dichtem goldgelben anliegenden Toment bedeckt und außerdem mit langen abstehenden, auf den Flügeldecken reihen- weise gestellten Haaren besetzt, die sich abschaben lassen, so daß darunter das dunkelbraune Chitin zum Vorschein kommt. Ein Unterschied in den Geschlechtern ist kaum zu erkennen, die Länge beträgt 4—4,5 mm. Falderraann, der den Käfer zuerst beschrieben hat, beobachtete ihn in Kleinasien, wo er sich in den Wurzeln von Rheum raponticum fand. Vermutlich wurde er mit diesen Pflanzenteilen über England nach Deutschland eingeschleppt, wo er etwa in der Mitte des vorigen Jahrhunderts festgestellt wurde und sich seit dieser Zeit rasch vermehrte. Er lebt ge- wöhnlich gesellschaftlich und wird daher meist in großer Zahl beisammen gefunden. Als Aufenthaltsort bevorzugt er Plätze, an denen er möglichst wenig gestört wird. Dahqr fanden Sie ihn hinter Spiegeln, Schränken, an der Wand, ferner in Speise- und Kleiderschränken, in Betten, Polstermöbeln, und namentlich in unbeaufsichtigten zoologischen und botanischen Sammlungsgcgenständen. Ich habe ihn während meiner Studentenzeit in einer Bäckerei in unglaublichen Massen be- obachtet. Besonders stark werden Tuchlager heimgesucht, aber auch Bücher, Zigarren- und Tabakvorräte, ja sogar das Holz der Hausbalken wird nicht verschont. Daraus geht hervor, daß er sich bei uns zu einem Allesfresser entwickelt hat. Da dem Tier die Flügel fehlen, so muß es von Ort zu Ort verschleppt werden, was natürlich bei seiner Kleinheit leicht geschehen kann. Durch das massenhafte Auftreten sind die Tiere nicht nur unerwünschte Hausgenossen, sondern sie richten auch nam- haften Schaden an. Über ihre natürlichen Feinde dürfte wenig bekannt sein. Ob die beigegebene Spinne Tiere aufgezehrt hat, konnte ich trotz längerer Beobachtung nicht entscheiden. Wegen der verborgenen Lebensweise ist den Schädlingen schwer beizukommen. Das Mittel, sie einzeln zu fangen und zu vernichten, dürfte kaum zum Ziele führen. Wirksamer ist schon, sie zu ködern, indem man Tuchreste, unbrauchbares Pelzwerk, Holzspäne u. dgl. an gescliützten Stellen auslegt und befeuchtet. Während der Nacht ziehen sich die Tiere dorthin zurück und können dann mit dem Köder verbrannt werden. Empfehlenswert ist, mit Desinfektionsmitteln zu ar- beiten. Zu diesem Zweck werden die befallenen Kleider, Wäschestücke u. dgl. in eine große Kiste oder in einen fest verschließbaren Raum gebracht. Dann schüttet man in einen alten, hohen Topf ein größeres Quantum Autanpulver (von Bayer & Co. in Elberfeld hergestellt), rührt es mit Wasser zu einem Brei an und verscliließt rasch den Desinfcktionsraura. Das Autan schäumt auf und entwickelt stechende Fornialin- dämpfe, die nach genügend langer Einwirkung (ca. 24'') Eier, Larven und ausgewachsene Tiere vollkommen vernichten. Leider läßt sich die Desinfektion in großen Räumen nicht wirksam gestalten. Hier bleibt als bestes Mittel, das sich auch gegen viele andere Schädlinge bewährt, die Zimmer häufig zu lüften. Wände und Möbel wiederholt zu reinigen, sowie die befalle- nen Stoffe von Zeit zu Zeit auszuklopfen. Ein absolut sicher wirkendes und dabei schnell zum Ziele führendes Mittel ist meines Wissens noch nicht bekannt, nachdem auch über die Entwicklung des Tieres und seine natürlichen Feinde nähere Angaben fehlen. Dr. Stellwaag. Inhaiti Ziegler: Das Herz des Menschen in seiner phylogenetischen und ontogenetischen Entwicklung (mit 16 .Abbildungen). Andrcc: Paläogeographie, das eigentliche Ziel wissenschaftlicher Geologie, sowie ihre Grundlagen und Methoden (mit I Abbildung). — Einzelberichte: Base hin: Ein neuentstandener See in der Umgebung Berlins. Kühl; Über die Giftigkeit radcnhalliger Kleie. Schrottky: Wes]H'nähnlichc Schmetterlinge. Bordas und Bruere: Die Beschleu- nigung der Verwesung eines Tierkörpers. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. II. Miehe in Leipzig, Marienstrafle IIa, erbeten. Verlag von (justav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. ü. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 14. Band; ganzen Reihe 30. Ba Sonntag, den 26. September 1915. Nummer 39. Ein paar neue Gesichtspunkte zur Pendulationstheorie. [Nachdruck verboten.] Je mehr man sich mit der Pendulationstheorie beschäftigt, um so reizvoller wird sie, nicht zum geringsten wegen der immer neuen Schwierig- keiten, die zunächst sich jeder genaueren Rech- nung entgegenstellen, bei näherem Eindringen aber sich auflösen, um Aussicht und Deutung zu erweitern. Bequemer ist die Einordnung von allerlei neuen Arbeiten, die, ohne Rücksiclit auf die Theorie entstanden, ohne weiteres ihre volle Übereinstimmung mit ihr bekunden, sich ursäch- lich aus ihr ableiten und ihr somit unbeabsichtigt zur Stütze werden. Von solchen Dingen soll hier die Rede sein. I. Pendulation und Schollenverschiebung. Man wird in der Theorie immer von der Un- gleichheit der drei Südkontinente ausgehen können. Südamerika und Australien entsprechen einander in Symmetrielage, angeknüpft an die beiden Schwingpole Ecuador und Sumatra; Afrika aber nimmt eine besondere Stellung ein, denn der Sudan ist der älteste Kontinent, der Ausgangs- punkt für die Erstarrung der Erdkruste, mit der als der Grundlage des Lebens die in erster Linie biologische Theorie allein zu rechnen hat. Gleich- gültig mag dabei sein, wie man die Überlastung des ersten Erstarrungspunktes als Ursache des ersten Pendelausschlags erklären will , weil die Hypothesen der Astronomie verschiedene Möglich- keiten liefern. Entweder ist es ein erster Trabant, der sich wieder mit unserem Planeten verbunden hat und zwar in Afrika, oder umgekehrt hat sich der Mond erst spät von unserer Erde gelöst und noch einen Eindruck, eine Delle hinterlassen im nördlichen pazifischen Ozean, am Gegenpole zum Sudan. Beide Annahmen würden zu der ent- sprechenden ungleichen Belastung führen und die Pendelschwingungen auslösen , aus denen die be- sondere Stellung Afrikas unter dem Schwingungs- kreis sich herleitete , so daß auf jeden Fall Sud- amerika und Australien ein konjugiertes Paar bildeten. Freilich zeigt schon der flüchtigste Blick starke Verschiedenheiten: Australien liegt ganz und gar südlich vom Äquator, während Südamerika sich beträchtlich darüber hinaus erstreckt; Australien holt zudem viel zu weit nach Osten aus, mag man seine heutige Ostküste oder gar den alten Fest- landsrand Neuguinea, Fidschi-Inseln, Neukaledonien, Neuseeland gelten lassen. Den Unterschied in den Südspitzen kann man am ersten vernachlässigen bei der allgemein verbreiteten Annahme, daß sich Von Dr. Heinrich Simroth. Mit 2 Abbild ungen im Te.\t. auch der südöstliche Kontinent viel weiter nach dem Pole zu ausgezogen habe. Diese verschie- denen Unregelmäßigkeiten und Abweichungen wollen wir zunächst noch beiseite lassen und nur die allgemeine Konfiguration ins Auge fassen, nämlich : je ein Kettengebirge vom Schwingpol gegen den Südpol hinunter als Außenrand gegen den Pazifik gewendet, daran anschließend ein Flach- land, das sich Afrika zukehrt, selbstverständlich nur in den allgemeinsten Umrissen genommen, dann aber einigermaßen symmetrisch spiegelbildlich. Nun ist der Gedanke keineswegs neu, daß diese Flachländer ursprünglich mit Afrika unmittel- bar zusammengehangen haben, wenn man auch zu keiner bestimmten Vorstellung kommen konnte. Aber zumal das östliche Hörn von Südamerika, Kap S. Roque, paßt mit der ganzen anschließen- den Küstenlinie so genau in den Golf von Guinea und an die afrikanische Westküste, daß man den Südatlantik erst als schmale Spalte in die afrika- nisch-südamerikanische Landmasse eindringen und allmählich durch gewaltige Schollenverschiebung zum jetzigen LImfang sich verbreitern ließ. We- niger genau wollte der hidik passen, doch hat man auch da mit dem Zusammenschluß von Indien, Australien, Madagaskar und Ostafrika ge- rechnet, ganz zu geschweigen der Ideen, die auch das Südpolarland, die Antarktika, heranzogen, wie z. B. P e n c k versucht hat , Südafrika mit ihm in alten Zusammenhang zu bringen, der durch ent- sprechende Schollenverschiebung zerrissen wäre. Mir scheinen diese zerstückelten und unge- ordneten Konzeptionen unschwer auf einen gemein- samen einheitlichen Vorgang zu deuten, sobald man sie vom Gesichtspunkte der Pendulations- theorie aus betrachtet. Auf der Nordhemisphäre sehen wir in Europa jeden Pendelausschlag markiert durch einen Ge- birgsbogen, der jedesmal in polarer Schwingungs- phase beim Durchgange durch den 45. " n. Br. sich zusammenstauchte und mit seinen Flügeln nach den Schwingpolen weiter lief, zuletzt während der Tertiärzeit die Alpen, vorher im Paläozoicum das variskische Gebirge, entsprechend vorher das kaledonische und vielleicht weiter rückwärts noch andere Rogen weiter nördlich , den anfangs stär- keren Pendelausschlägen entsprechend. Die wasserreiche Südhemisphäre verrät von solchen Spuren anscheinend nichts, wenn wir nicht mit einem einzigen, ganz großen Bogen rechnen wollen und müssen, in folgender Weise: Als wir in einer äquatorialen Schwingphase uns gegen den Äquator zu bewegten und Afrika 6io Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 39 gegen den Südpol, nnter gleichzeitigem Heraus- treten über den Meeresspiegel, mußte im Süden unter 45" s. Hr. stärkste Aufstauchung eines Ge- birgsbogens einsetzen, der bis zum Ost- und VVest- pol sich hinüberspannte. Derselbe Pendelausschlag führte ihn vermutlich weiter darüber hinaus, so ein breites Kettengebirge schaffend. Beim näch- sten Umschlag in die entgegengesetzte Richtung leistete dieser Gebirgsbogen zunächst Widerstand, indem er infolge seiner relativ größeren Masse länger in der alten Phase beharrte als die übrige, auf dem zähen Magma gleitende Erdkruste. Das Kk Fig. I. Sk Schwingungskreis. Kk Kulminationskreis. Schraffiert: Die jungen Kettengebirge der Erde, nach Neumayr. ;SS Die abgesunkene atlantische Brücke. UJU4 Der variskische Bogen. J^** Der kaledonische Bogen. Wlo Mutmaßlicher Verlauf eines noch älteren Bogens. ■•••• Gebirgsbogen auf der südlichen Halbkugel. Punktierte Schraubenlinie: Sekundärbewegung des Nordpols entlang dem Schwingungskreis. «MM Entsprechende Bewegung der Schwingpole auf dem Kulminationskr — — ■ Anisogone oder Agone. Die Karte dient zur Erläuterung von Abschnitt I und 11. bewirkte einen Riß auf der inneren Seite des Bogens, d. h. das erste Auftreten des Atlantiks, des Indios und der antarktischen See zwischen beiden südlich von Afrika, auf unserer atlantisch- indischen Hemisphäre. Der (jebirgsbogen ist nichts anderes, als das antarktische Hochgebirge, durch den östlichen Gebirgsrand von .Australien mit dem Ostpol, durch den westlichen von Süd- amerika mit dem Westpol verbunden, so wie es die Geographen unter Berücksichtigung der Meeres- tiefen mehr als einmal zu rekonstruieren versucht haben, allerdings ohne weitere Begründung von einem aligemeinen Standpiuikt aus und in erster Linie mit der Absicht, eine Reihe von biogeo- graphischen Tatsachen zu erklären , worin wir ihnen indes nur zum Teil folgen können (s. u.). Zunächst noch ein Wort zum mechanischen Verständnis! Ich glaube, eine besondere Begrün- dung für den ersten Riß, für das Auftreten der ersten atlantischen und indischen Spalte und da- mit die erste Schollenverschiebung ist kaum not- wendig. Die Vorstellung erscheint vielinehr naturgemäß und beinahe selbst- verständlich, allerdings mit eini- gen Einwänden und Fragen zweiten Grades. Einmal ver- langt die Unterbrechung des Bogens zwischen dem Südpolar- lande und Australien einer-, Amerika andererseits Aufklä- rung. Dieses Absinken unter den Meeresspiegel, in gleicher südlicher Breite, dürfte ge- schehen sein bei entgegen- gesetzter Bewegung Afrikas nach Norden , also bei äqua- torialer Schwankung des atlan- tischindischen Südquadranten und zwar beim Durchgange durch den 45. " s. Br. Damit erhielten wir zugleich für den Ausschlag des Südpoles auf dieser Seite eine Grenzbestim- mung; er kam noch nicht bis zu diesem 45.", weil sonst vermutlich auch die ganze Landmasse unter den Schwin- gungskreis untergetaucht wäre. Doch macht nach dieser Rich- tung die Spekulation vorläufig wohl besser noch Halt. Weiter- hin fragt sichs, ob und warum es auf der Südhälfte mit dem einen Gebirgsbogen seine Be- wandtnis hatte, gegenüber den mehrfachen, obengenannten im nördlichen, europäischen Qua- is, drahten. Vielleicht deutet der doppelte östliche Schenkel auf eine Wiederholung des Vor- ganges auch auf dieser Seite, der über Ostaustralien -Tas- der über die Neuhebriden und Sicher ist aber unter dem Schwin- gungskreis selbst die regelrechte Wiederholung der Anlage nicht zum Ausdruck gekom- men, in erster Linie wegen der beschränkten Kontinentalmassen auf der Südhemisphäre. Viel- mehr dürften die wiederholten Pendelausschläge zu einem anderen Ergebnis geführt haben, nämlich jede polare Schwankung zu einer Vergrößerung des Risses, zur Verstärkung der Schollenverschie- manien und Neuseeland. N. F. XIV. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 6ii bung, zur Verbreiterung des Südatlantiks und Indiks. Diese Auffassung scheint mir wichtig. Mau könnte wohl die Möglichkeit offen halten und daran den- ken, daß bei entgegengesetzter äquatorialer Phase des afrikanischen Quadranten auch wieder eine gewisse Zusammenschiebung der Landmassen und Verschmelzung der Meere stattgefunden haben müsse. Sicherlich aber würde dem Charakter der ersten Rißbilduiig die Vorstellung am besten ent- sprechen, daß in jeder folgenden polaren Phase der Riß sich verbreitern mußte. Diese Vorgänge erhalten besonderen Nachdruck durch die mannigfachen Landbrücken, mit denen die Geographie zu rechnen pflegt, zwischen Süd- amerika und Afrika, zwischen Indien, Madagaskar und Afrika, Indien und Australien. Noch fehlt uns der bestimmte Schlüssel für die Beurteilung, welche die verschiedenen Inseln im Südallantik und Indik als Reste alter Landbrücken haben, und auch die Biogeographie gibt nur unsichere Ant- worten, denn sie zeigt bloß besondere Ausbildung insularer Formen von Kleintieren, deren geologi- sche Zurückdatierung vorläufig fast durchweg höchst ungenau bleibt. Meines Erachtens ist von solchen Landbrücken nur die zwischen Indien und Madagaskar, die Lemurenbrücke, die auch bei weitem am besten durch insularen Zusammen- schluß bezeugt wird, notwendig. Die Rätsel der antarktischen Flora lösen sich nicht durch Kon- struktionen von Landbrücken auf der Südliemi- sphäre, über den Südpol oder quer durch die Süd- see, man braucht nur die Buchen anzusehen, die, im Südosten und Südwesten übereinstimmend, bei aller Vereinsamung doch mit aller Bestimmtheit ihren Zusammenhang in unserem Europa haben. Sie mögen als typisches Beispiel genommen werden. IL Die Verschiedenheit des Bildes von Ost- und Westpol. Haben wir eben versucht, den großen und viel- leicht einzigen Gcbirgsbogen auf der Südhemi- sphäre mit der Pendulationstheorie in Einklang zu bringen und aus ihr abzuleiten, so hängen die Unregelmäßigkeiten der Gebirgsmassen im Ost- und Westpolgebiet vermutlich nicht mit den großen Pendelausschlägen zusammen, deren jeder eine geo- logische Periode bedeutet, sondern mit den sekun- dären Bewegungen der Rotationspole, die seit einigen Jahrzehnten mit bewundernswerter Ge- nauigkeit beobachtet, doch in ihrem Verlauf noch nicht ursächlich erkannt sind. Bei alter Unregel- mäßigkeit der kleinen Verschiebungen scheinen sie doch eine Periode innezuhalten, in der sie sich wiederholen. Ihre große Bedeutung für das Klima und damit für alle P'ragen der Biogeographie zeigt der abnorme Sommer von 1911 mit seiner trockenen Hitze in unserem Quadranten.') Er fiel mit der stärksten bisher beobachteten Polschwankung zu- sammen. Daß das eine Jahr eine stärkere Ab- weichung brachte als alle früheren, beweist schon die UnVollständigkeit unserer Kenntnisse dem Pro- blem gegenüber. Ich habe angenommen, daß diese Polbewegung sich in einem Kreise vollzieht (Pen- dulationstheorie S. 523), jedentalls als einfachste Grundlage, deren Abweichungen festzustellen der Zukunft überlassen bleibt. Aus der Kombination dieser Figur mit dem Pendelausschlag auf dem Schwingungskreis ergibt sich für die Bewegung des Nord- und Südpols eine Schraubenlinie; sie läßt sich verwenden für die Ableitung geringerer Klimawechsel, wie zwischen Glazial- und Inter- glazialzeiten. Doch kommt's mir hierauf zunächst nicht an. Aber eine andere Folgerung glaubte ich ziehen zu sollen für die Lage der Schwingpole. So lange die Drehpole auf dem Schwingungskreis bleiben, behalten die Schwingpole ihre Lage unter dem Äquator streng inne, was ja die Grundlage der Pendulationstheorie ist. Sobald aber die Rota- tionspole vom Schwingungskreis abweichen und einen kleinen Kreis beschreiben, so müssen auch die Schwingpole in dem gleichen Maße ihre Lage verschieben. Ich hatte angenommen, daß die Ver- schiebung in einem gleichen Raum sich vollziehen müßte, d. h. in einem ebenso großen oder so kleinen Kreis, wie ihn die Rotationspole beschreiben. Da bin ich von befreundeter Seite, durch Herrn E h r m a n n , darauf aufmerksam gemacht worden, daß sich die Verschiebung weit mehr einengen läßt, um der Kreisbewegung der Drehpole zu ge- nügen : Die Schwingpole brauchen nur auf dem Kulminationskreis, d. h. auf dem Meridian, auf dem sie liegen, um den Radius des Kreises, den die Drehpole beschreiben, sich gleitend zu verschieben, und man kann daraus alle Stellungen der Dreh- pole sich nach einfacher Überlegung verständlich machen. Gleitet der Westpol nach Norden, so verschiebt sich der Ostpol nach Süden, und um- gekehrt. Das gibt eine wertvolle Vereinfachung des Problems, und sie wird um so erwünschter, als sie mit einem wesentlichen dabei mitwirken- den P'aktor zusammenstimmt, mit dem Erdmagne- tismus nämlich. In unserer Zeitschrift M nämlich habe ich den Versuch gemacht, als die Kraft, welche die Pendel- schwankungen aufrecht erhält, die Elektrizität oder den Magnetismus hinzustellen, indem die Sonne als großer Magnet bestrebt ist, die aus der Rich- tung gebrachte Erde als kleinen Magneten wieder parallel auszurichten in bezug auf die magnetische Achse, was sich in langsam ausklingenden Schwin- gungen vollzieht. Die theoretische Anschauung wird unterstützt durch die Übereinstimmung, daß sich die Elektrizität einer Kugel an der Oberfläche ansammelt und daß die Pendelausschläge sich ebenso nur auf die oberflächliche Erdkruste beziehen. Die Begründung liegt in der Tatsache, daß die Nulli- sogone oder Agone, d.h. der magnetische Meridian, auf dem die Magnetnadel keine Abweichung von M Si m r o t h , Übe 1912, 1913 und 1915. den heißen S 102 0,5 „ „ 130 In ähnlicher Weise wie die organischen Kolloide wirkt auch die kolloidale Kieselsäure : sie erschwert das Wachstum der einmal entstandenen Gold- teilchen und veranlaßt dadurch die Bildung von immer neuen Teilchen. Die Zinnsäure adsorbiert die vorhandenen Goldteilchen, veranlaßt dadurch die Entstehung größerer, aus vielen Einzelteilchen gebildeter Komplexe, die, im Ultramikroskop als je ein großes Teilchen erscheinend, sich rasch absetzen ; Zinnsäure bewirkt also die Entstehung großer Teilchen. Kolloidales Eisenoxyd endlich wirkt, da es im Gegensatz zu den negativ gelade- nen Teilchen des kolloidalen Goldes positiv ge- laden ist, fällend auf die entstehende kolloidale Goldlösung ein. II. Versuche mit Elektrolyten. — Wäh- rend bei den Schutzkolloiden die Einwirkung im wesentlichen darauf beruht, daß die Teilchen, die „Keime", niciit weiter wachsen, nicht aber darauf, daß die Entstehung von Keimen überliaupt ver- iiindert wird , tritt bei Anwesenheit von Ammo- niak, Ferri- und I'"errocyankalium gerade die entgegengesetzte Wirkung ein. Bei Hinzufügung der genannten Stoße wachsen einmal vorhandene Teilchen mehr oder minder ungestört weiter, neue Keime aber entstehen nicht oder doch nur schwierig. Andere Elektrolyte wie Natriumnitrat, Natrium- sulfat oder Rosanilinchlorhydrat wirken auf die entstehende kolloidale Goldlösung sogleich fällend ein, eine Erscheinung, die sich durch eine mehr oder minder violett oder blau werdende Farbe der an sich roten Lösung zu erkennen gibt. Kaliumchlorid, -bromid und -Jodid erschweren, wenn in geringer Menge vorhanden, das Wachs- tum der Teilchen, in größerer Menge wirken sie wie Natriumnitrat oder -sulfat koagulierend. Ähn- lich wirken Calcium-, Strontuim- und Baryum- nitrat und CJuecksilberchlorid. An sich reduzierend wirkende Salze wie Rhodankalium , oxalsaures Kalium, Natriumnitrat usw. erhöhen die Reduk- tionsgeschwindigkeit und bewirken somit die Ent- stehung feinteiligerer kolloidaler Lösungen. Auch Ferrinitrat und Aluminumsulfate begünstigen in geringen Mengen die Entstehung vieler kleiner Teilclien, in größeren Mengen wirken sie, indem durch Hydrolyse der Salze positiv geladene Kolloide entstehen, fällend. Die im vorstehenden skizzierten Versuche zeigen, in wie hohem (jrade und in wie verschie- dener Weise die Entstehung kolloidaler Gold- lösungen durch die Anwesenheit von Fremdstoffen beeinflußt wird, und macht so die Schwierigkeiten und Unregelmäßigkeiten verständlich, die so oft bei Herstellung kolloidaler Goldlösungen auf- treten. Mg. Pflanzenkrankheiten. Unsere Steinobstge- wächse, besonders Kirschbaum und Pfirsich, wer- den nicht selten von der als Gummifluß bekannten Krankheit befallen. Kleinere oder größere Teile der Rinde sind dann mit einer hellgelben bis braunen, durclisichtigen oder trüben Masse be- deckt, die sich klebrig anfühlt und nach ihren chemischen Eigenschaften als „Guinmi" bezeichnet werden muß. Diese Masse wächst durch Zufluß aus dem Innern des Baumes langsam, aber be- ständig an. Den größten Teil des Gummis liefert das Rindengewebe, doch wird er auch im Holz- körper und im Kambium gebildet. Er geht durch Umwandlung aus den Zellmembranen hervor. Der Prozeß beginnt an einzelnen, zuweilen histologisch ausgezeichneten Stellen, greift allmählich weiter um sich und ruft so Gummilücken, -drüsen, -kanäle hervor. Wenn er bis zur äußersten Rinde oder bis zu einer offenen Wunde fortgeschritten ist, fließt der Gummi nach außen ab. Da die Gummosis früher oder später einen Teil des Kambiums abtötet, liegt es auf der Hand, daß der Baum dadurch empfindlich ge- schädigt werden kann. Nach der .'\nschauung von Beijerinck u. a. wird der Gummifluß durch Wundreiz verursacht. Die Zellen , die infolge mechanischer Verletzung oder Parasitisnuis absterben, sollen einen beson- deren Stoff (C)'tolysine) ausscheiden, der die Ver- flüssigung der gesunden Zellen herbeiführt. Für diese Theorie spricht die Beobachtung, daß die N. F. XIV. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 621 Krankheit vielfach im Anschluß an Ast- und Schälwunden, bei Quetschungen und ähnlichen Beschädigungen des Baumes auftritt. Aber schon vor einigen Jahren hat Sorauer festgestellt, daß eine Umwandhing von Zellmem- branen in Gummi auch in vollkommen unver- letzten Zweigen vorkommt. Damit wurde die „Wundreiztheorie" unhaltbar, und es bildete sich eine neue Theorie heraus, nach welcher der Gummifluß auf enzymatischen Störungen beruht. Eine eingehende Darlegung derselben hat kürzlich Sorauer veröffentlicht („Neue Theorie des Gummiflusses", Zeitschr. für Pflanzenkrankheiten XXV, 71 — 84 u. 134 — 154). F"ür den Aufbau der „Enzymtheorie" war die Feststellung von Ruhland bedeutsam, daß in den sich bildenden Gummilücken des Holzes manche Markstralilzellen zwei Kerne aufweisen. Diese Tatsache läßt sich nur so erklären, daß der Kern der Zelle eine Teilung erfahren hat, die normalerweise folgende Querwandbildung aber ausgeblieben ist. Danach scheint die Gummosis den Vorgang der Membranbildung zu stören, also auf einem anormalen Überschuß an membran- lösenden Enzymen (Cytasen) zu beruhen. In der Tat konnte Grüß in dem frisch ausfließenden Kirschgummi Cytase nachweisen. Die neue Theorie geht nun von den Quellungs- erscheinungen aus, die bei den jugendlichen Zellen der vom Gummifluß befallenen Pflanzen auch im Laufe der normalen Entwicklung eintreten können: In den noch nicht differenzierten Geweben der Stengelspitzen finden sich mehr oder weniger zahlreiche Zellen, die sich durch größeren Gerb- säuregehalt auszeichnen. Sie enthalten keine oder nur wenig Stärke und weisen noch keine Mem- branverdickungen auf. Das rührt daher, daß die Gerbsäure die Wirkung der stärkeniederschlagen- den Enzyme, der Koagulasen, herabsetzt, so daß die Cytasen überwiegen. Erst wenn die Gewebe älter werden, stellt sich ein Gleichgewicht zwischen den beiden Enzymgruppen her, das die Bildung von Reservestärke und Membranverdickungen er- möglicht. Der Übergang in den Dauerzustand vollzieht sich nicht immer gleichmäßig. Einzelne Gruppen von Zellen bleiben länger im Jugend- zustande, und bei ihnen kommt es infolge des dauernden Cytaseüberschusses zu Membranquel- lungen. Ähnliche Erscheinungen lassen sich auch im Mark beobachten. Hier findet man in wechseln- der Zahl und Anordnung braungefärbte Zellen, die mehr oder weniger verquollene Wandungen haben. Sind sie genügend häufig, so geben sie dem Mark eine schon mit bloßem Auge erkenn- bare bräunliche Färbung. Diese Quellungsvorgänge kommen, wie ge- sagt, in durchaus gesunden Zweigen bzw. Inter- nodien vor und sind an sich nicht krankhaft, sondern eine besondere Eigentümlichkeit der Steinobstgewächse. Krankhaft werden sie erst, wenn sie an Intensität und Ausdehnung gewinnen. Daß der Gummifluß eine solche Steigerung dar- stellt, ergibt sich aus folgender, von Sorauer festgestellten Beziehung: Die den Gummilücken im Holz oder in der Rinde benachbarten Zellen, die also zunächst der Schmelzung verfallen wer- den, zeigen dieselben Reaktionen wie die oben genannten jugendlichen und die braunen Mark- zellen, insbesondere einen auffallenden Reichtum an Gerbsäure. Man ist demnach zu der Annahme berechtigt, daß auch hier ein Überschuß an Cytase vorliegt, der die Verflüssigung der Membranen einleitet. Sorauer läßt es dahingestellt, ob dieser Überschuß sich vom Jugendzustande her erhalten oder von neuem herausgebildet hat. Was nun die Ursache der enzymatischen Stö- rung betrifft, so ist sie in besonderen Witterungs- und Ernährungsverhältnissen zu suchen. Reich- liche Nährstoffzufuhr und feuchtes Wetter scheinen sie zu begünstigen , indem dadurch die Holzreife, d. h. der Niederschlag von Stärke und die Aus- bildung von Membranverdickungen, verzögert wird. Da die äußeren Bedingungen beständig wechseln, ist es erklärlich, daß einzelne Internodien und Zweige mehr zur Gummosis neigen als andere. Nach der neuen Theorie stehen die Verwun- dungen, welche von der alten Theorie allein für den Gummifluß verantwortlich gemacht wurden, nur indirekt zu ihm in Beziehung: An verwundeten Stellen findet eine umfangreiche Neubildung von Zellen statt, und diese jugendlichen Zellen sind in besonderem Maße zu gesteigerten Membranquel- lungen geneigt. F. Esmarch. Zoologie. Die größte Meerestiefe, in welcher Fische gefunden werden, beträgt nach der neuesten Feststellung mehr als 6000 m. In der Sitzung der Pariser Akademie der Wissen- schaften machte Louis Roule (Sur les poissons abyssaux de la famille des Brotulidus dans l'occan Atiantique nord., C. R. Ac. sc. Paris Nr. 3, 19 juillet 191 5) Mitteilung von neuen Arten aus der Familie Brotulidae. Die Mehrzahl ihrer Vertreter lebt in den großen Tiefen des Ozeans. Jüngst (1913) fand L. Radcliffe eine größere Anzahl Arten bei den Philippinen, andere werden aus dem westlichen nordatlantischen Ozean gemeldet. Etwa 10 Arten wurden ganz neuerdings vom „Travailleur" und „Talisman" in den iberischen und nordafri- kanischen Gewässern gefunden. Noch später wurden vom Fürsten von Monaco vier Stück gefischt; davon werden drei als neu beschrieben, während die Art- zugehörigkeit des dritten Stücks zweifelhaft ist. Die erste Art gehört zu der 1913 von R. aufge- stellten Gattung Grimaldichthys; dieselbe wurde gegründet auf G. profundissimus L. R. aus einer Tiefe von 6035 m. Die neue Art nennt R. wegen ihrer großen Schuppen G. squammosus. Sie wurde 1896 in 4261 m Tiefe westlich der Azoren in einem einzigen gut erhaltenen Stück von 2S6 mm Länge gefangen. Die Art ist charakterisiert durch die großen Schuppen, die bei G. profundissimus 622 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 39 in der Haut Hegen. Die Färbung ist rötlichbraun. Die zweite Art gehört zur Gattung Barathritcs Zg. Das eine Stück wurde in 5285 m Tiefe nördlich der Azoren in der Reuse gefangen; es mißt 238 mni. Von der früher bekannten Art B. iris Zg. unter- scheidet es sich durch eine dünnere, durchscheinende und hinten schuppenlose Haut. Es ist einfarbig blaßgelb, der Rumpf höher und von der Seite zusammengedrückt; der Kopf ist größer und die Bauchflossen sind länger. Die dritte Art stimmt mit Alexeterion Parfaiti L. Vaillant überein. Die Gattung ist gegründet auf ein einziges 42 mm langes Exemplar aus 5005 m Tiefe. Ein zweites Stück, das besser erhalten ist, wurde 1S96 in 1846 m Tiefe nordwestlich der Azoren vom Fürsten von Monaco gefischt. Seine Untersuchung führte zu einer Berichtigung der von Vaillant aufgestellten Diagnose. Die zwei Exemplare besitzen Bauch- fiossen und eine Seitenlinie. Das eine davon hat viele Zähne am Pfiugscharbein, während das andere zahnlos ist. R. meint, das größere (102 mm lang) Stück trage als das ältere Zähne, während diese bei dem kleineren und jüngeren noch fehlten. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes stellt er die Art zur Gattung Barathronus G. et. B. Katharincr. Wiederholt wurden in der letzten Zeit in den Tundren Nordsibiriens Kadaver des Mammut ge- funden, welche sich, im Eis eingefroren, jahr- tausendelang überraschend gut erhalten hatten, so daß vielfach selbst die Weichteile noch ein mikro- skopisches Studium zuließen. Bei einem neuerdings auf der Insel Liakhov ge- fundenen, dem naturhistorischen Museum zu Paris überlassenen Mammut waren die Weichteile und die Eingeweide teilweise wie frisch. In der Sitzung der Pariser Akademie der Wissenschaften vom 28. Juni 191 5 wurde über den Mageninhalt des Mammut berichtet (Fernand Camus, Sur les mousses trouvecs dans le contenu de l'estomac d'un Mammouth, C. R. Ac. sc. Paris Nr. 26). Der Magen enthielt ungefähr i ccm einer grünlichen Masse. Wie sich herausstellte, bestand dieselbe aus zusammengepreßten pflanzlichen Resten, die stark von den Verdauungssäften angegriffen waren, so daß eine nähere Bestimmung fast unmöglich schien. Immerhin konnten 3 Moosarten festgestellt werden; es waren: Polytrichum sexangulare Flörke, Hypnum revolvens Sw. sens lat. und Hypnum stel- latum Schreb. Alle drei Arten kommen noch heutigentags in Sibirien vor; die beiden letztge- nannten bis nördlich des 71. Breitegrads, die erstere auf Kamtschatka. Alle drei sind in der arktischen Zone beider Hemisphären verbreitet. Ihr Vorkommen deutet auf ein sehr kaltes Klima hin. C. glaubt, daß die Moose, die wegen ihres sehr geringen Nährwertes auch von den meisten Tieren verschmäht werden, nicht absichtlich vom Mammut gefressen wurden, sondern beim Abweiden von Gräsern, unter denen sie standen, in seinem Magen gekommen sind, wie die Flechten beim Abschälen der Baumrinde durch die Hirsche. Kathariner. Bücherbesprechiingen. R. He§. Der Forstschutz. Ein Lehr- und Handbuch. 4. Aufl., vollständig neu bearbeitet von R. Beck. Erster Band: Schutz gegen Tiere. Mit einem Bildnis, 250 Abb. und einer bunten Tafel. XIII u. 537 S. Leipzig u. Berlin 19 14, B. G. Teubner. — Preis 16 IVI. Das wohl jedem Forstmann bekannte Lehrbuch des Forstschutzes von Heß war schon längere Zeit vergriffen, so daß die neue Auflage zweifellos einem Bedürfnis entgegenkommt. Der Verf. war wegen seines hohen Alters nicht mehr in der Lage, sie selbst zu besorgen ; an seiner .Stelle übernahm R. Beck die ebenso dankbare wie schwierige Aufgabe der Neubearbeitung. Seit dem Erscheinen der letzten Auflage waren 15 Jahre verstrichen, und es galt nun, den Fortschritten der Wissenschaft Rechnung zu tragen, ohne den' Grundcharaktcr des Buches zu ändern. Das Buch soll ein Lehr- und Handbuch sein, d. h. dem Studierenden wie dem ausgebildeten Lachniann einen erschöpfenden Überblick über das gesamte Gebiet des Forstschutzes geben. Daher ist der Umfang des Stoffes derselbe geblieben; insbe- sondere hat der Herausgeber den von manchen Fachgenossen geäußerten Wünschen nach Ab- trennung der Forstinsektenkunde und der Pflanzen- krankheitslehre nicht stattgegeben. Auch die Stoffeinteilung ist im wesentlichen unverändert, nur erwies sich eine andere Verteilung auf die beiden Bände als zweckmäßig. Der vorliegende erste Band bringt neben der Plinleitung den Schutz gegen Tiere, und zwar gegen Haustiere, jagdbares Haarwild, nicht jagd- bare Nagetiere, Vögel und Insekten. Die letz- teren nehmen mit 400 Seiten den größten Teil des Raumes in Anspruch. Bei jedem der Tiere wird zunächst die .Art und Größe seiner Schäd- lichkeit und sodann die dagegen zu ergreifenden Schutzmaßregeln (vorbeugende und bekämpfende) erörtert. Dazu kommt bei den Insekten eine kurze Beschreibung des Äußeren sowie eine Schilderung ihres Entwicklungsganges und ihrer Lebensweise. Ein Fortschritt der neuen Auflage gegenüber den früheren besteht darin, daß die wirtschaftlich wichtigen Schädlinge, wie Rotwild, Kaninchen, Mäuse, Rüsselkäfer, Borkenkäfer, Nonne, Kiefern- spinner usw. eingehender, die wirtschaftlich un- wichtigen wesentlich kürzer behandelt werden. Dies Verfahren darf wohl bei allen Sachver- ständigen auf vorbehaltlose Zustimmung rechnen. Von allgemeinem Interesse ist das, was der N. F. XIV. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 62X Verf. über die Grundsätze sagt, nach denen die Schädüchkeit eines Tieres zu beurteilen ist. Die Frage, ob ein bestimmtes Tier nützlich oder schädlich ist, läßt sich nicht allgemein beantworten. Vielmehr fällt die Antwort, je nachdem der Stand- punkt des Landwirts, des Jägers oder des Forst- mannes eingenommen wird, verschieden aus. In der Lehre vom Forstschutz kann selbstverständlich nur der forstliche Gesichtspunkt maßgebend sein. Aber auch dann bestehen im Einzelfalle oft noch große Schwierigkeiten, da manche Tiere zugleich forstnützlich und forstschädlich sein können und außerdem der Grad des Schadens oder Nutzens bei ein und derselben Tierart nach Alter, zeitlichen und örtlichen Verhältnissen verschieden ist. So sind beispielsweise die Spechte durch Vertilgung zahlreicher, frei oder im Holze lebender Insekten nützlich, sie schaden andererseits aber durch Ver- zehren von Waldsamen und Behacken gesunder Stämme. Der Verf. bezeichnet solche Tiere als „bedingt schädlich" und stellt ihnen die weniger zahlreichen „unbedingt schädlichen", wie Nonne, Kiefernspinner, Borkenkäfer u. a. gegenüber. Nutzen und Schaden können „direkt" oder ,, indirekt" sein. So werden gewisse Säugetiere und Vögel dadurch indirekt nützlich, daß sie die forstschäd- lichen Mäuse und Insekten vertilgen. Es verdient hervorgehoben zu werden, daß der Verf den Bestrebungen des Natur- und Heimat- schutzes, die auf Erhaltung der heimischen Tier- welt abzielen und daher oft in einen gewissen Gegensatz zum Forstschutz treten, volles Ver- ständnis entgegenbringt. Er sagt, daß sich beides miteinander vereinbaren läßt, wenn der Forstschutz nicht auf eine gänzliche Ausrottung, sondern eine vernünftige Einschränkung der schädlichen Tier- arten hinarbeitet. Die Darstellung ist ansprechend und wird durch zahlreiche gute Abbildungen und eine farbige Tafel der Kleinschmetterlinge in anschau- licher Weise ergänzt. Der zweite Band, der hoffentlich bald folgen wird, soll den Schutz gegen schädliche Eingriffe des Menschen, gegen Gewächse (Unkräuter, Pilze) und den gegen atmosphärische Einwirkungen enthalten. F. Esmarch. Max Semper. Die geologischen Studien Goethes. Beiträge zur Biographie Goethes und zur Geschichte und Methodenlehre der Geologie. VI und 389 S. Mit i Titelbild und 9 Abbildg. im Text. Leipzig, Verlag von Veit & Co., 1914. — Preis geh. 9 M, geb. II M. Ein Auftrag der Direktion des GoetheNational- museums in Weimar, Goethes mineralogische und geologische Sammlungen neuzuordnen, zu inven- tarisieren und im Anschluß daran seine Studien auf diesen Gebieten zu schildern, gab den ersten Anlaß zu dem vorliegenden Buche. Die posi- tiven wissenschaftlichen Ergebnisse gerade der geologischen Bestrebungen Goethe's sind, wie auch der Autor selber hervorhebt, nicht bedeutend und stehen hinter anderen naturwissenschaftlichen Leistungen des großen Genius zurück. So drängt sich unwillkürlich die hVage auf, ob mit einer so umfangreichen, ausführlichen und mühevollen Arbeit (die Anmerkungen, Zitate, Quellenregister usw. nehmen gegen hundert Seiten kleinen Drucks ein) nicht doch des Guten zuviel geschehen sei. Dies müßte zugegeben werden, wenn es sich nicht um Goethe handelte. Nicht etwa in dem Sinne, daß der erlauchte Name Minderwertiges zu Bedeutendem stempelte. Das Buch schöpft seine Rechtfertigung aus zwei, innerlich mit- einander in Verbindung stehenden Quellen. Erstlich empfinden Viele und nicht die Schlech- testen unter uns ein tatsächliches Bedürfnis, sich mit Goethe in jedem Umfange zu beschäftigen, welches Bedürfnis einer ■ zunächst wohl mehr gefühlsmäßig ergriffenen, allmählich aber zur sicheren Einsicht gewordenen Überzeugung ent- springt. Unter den wenigen führenden Geistern der Menschheit nämlich, die außerdem noch be- sonders zentral und vielseitig veranlagt sind, ist Goethe derjenige, der sich, unterstützt durch selten glückliche Lebensumstände, am reichsten und vollständigsten hat allseitig entwickeln und auswirken können, außerdem der, der uns zeitlich am nächsten steht — und dessen Werke und Lebensumstände uns mit einer kaum irgend etwas zu wünschen lassenden Vollständigkeit erhalten sind. Somit haben wir wirklich allen Grund, uns gerade an Goethe zu halten, wenn wir die Hoffnung hegen, in dem eingehenden Studium großer Menschen auch Aufschlüsse allgemeiner Art über „den" Menschen zu erhalten. Was diese Menschen tun und leisten, ja schon wie sie die Dinge angreifen und zu ihnen Stellung nehmen, wurzelt umfassender und erkennbarer in den Tiefen des menschlichen Wesens, als es bei kleineren Geistern der P"all ist. Dieser Umstand muß jede gründliche Beschäftigung mit ihnen fruchtbar und aussichtsreich machen, und demgegenüber ist es von lediglich sekundärer Bedeutung, ob ein Lio- nardo mit gewissen technischen Problemen, oder ein Goethe mit seiner Geologie, zu nachhaltigen Erfolgen gelangt ist oder nicht. Was nun Goethe angeht, so bilden seine geo- logischen Studien und Vorstellungen einen inte- grierenden Teil seiner Biographie sowohl, als auch seiner Weltanschauung, womit nach Obigem die Berechtigung und Nötigung, sich gründlich damit zu beschäftigen, gegeben ist. Es kommt aber, wie gesagt, noch ein zweites hinzu, das eigentlich eine Folge und spezielle Anwendung des eben Gesagten ist. Weil ein Mensch wie Goethe aus dem Ganzen geschnitten ist und überall aus den Tiefen der menschlichen Natur schöpft, führen uns seine Ge- danken auf jeglichem von ihm bearbeiteten Gebiete, von ihrer etwaigen fachwissenschaft- lichen Bedeutung abgesehen, auf tieferliegende 624 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 39 I^robleme allgemeineren Charakters hin. In der Naturwissenschaft auf Probleme wie: Bedeutung und Sinn von Hypothesen und Theorien, ana- lytische und synthetische Behandlungsweise, Wert der Wissenschaft, ihre Stellung im gesamten Geistes- leben. Es sind dies Angelegenheiten, die gerade neuerdings, nach einer vorwiegend in Spezial- interessen aufgehenden Periode, wieder mehr in den Vordergrund gerückt sind; wir nähern uns unverkennbar, wenngleich vorsichtiger und gestützt auf ein unvergleichlich reicheres Erfahrungsmaterial, Denkweisen und Zielen, die denen Goethes ver- gleichbar, teilweise mit ihnen identisch sind. Daher dürfte denn auch hauptsächlich die ersichtlich und erfreulich wachsende Vertiefung in die natur- wissenschaftliche Abteilung seiner Weike kommen. Mit Recht spricht Semper aus, daß „das aus- gebreitete Bemühen, in Goethes Gedankenwelt einzudringen und darin allseitig heimisch zu werden", auf ein in der seitherigen Naturwissen- schaft ungestillt bleibendes, aber unvertilgbares Bedürfnis hindeutet. Die Wege zur Synthese aber stehen jederzeit offen; auf uns allein wird es ankommen, wieweit Goethes Vorbild in Gegen- wart und Zukunft fruchtbringend wird. Sempers Buch entliält zwei Hauptmassen, eine biographisch-historische und eine betrachtend- theoretisierende. Die erste begleitet Goethes geo- logische -Studien durch alle Phasen einer langen, abwechslungsreichen Entwicklung hindurch und gibt eine so große Fülle von interessanten Auf- schlüssen, sowie Richtigstellungen landläufiger und halbwahrer Ansichten über (ioethes Geologie, daß ein näheres Eingehen darauf an diesem Orte unmöglich ist. Die gesamte Darstellung ist ferner durchdrungen von gründlichen Erörterungen der damaligen geologischen Tatsachenkenntnisse und theoretischen Anschauungen. Dabei ist auffallend und zum Nachdenken anregend, daß letztere uns teilweise bei näherer Betrachtung schon jetzt, nach hundert Jahren, so fremdartig und seltsam an- muten, daß es direkt schwer ist, sich überall eine klare Vorstellung davon zu machen und nicht nur Worte zu sehen. Es fehlten eben den damaligen Anschauungen gewisse Faktoren, die wir heute als grundlegend betrachten, etwa der der Zeit, sogut wie völlig, und man kann sich denken, wie gewunden und unbefriedigend viele derselben uns heute anmuten müssen. Unmöglich ist es, bei denkendem Lesen dieser Partien sich des Gedan- kens zu erwehren, wie die Nachfahren in aber hundert Jahren über unsere entsprechenden Vorstellungen urteilen mögen. Der zweite Hauptteil, „Ergebnisse und Betrach- tungen", zu denen auch die Einleitung zu zählen ist, wendet sich an einen breiten Leserkreis. Hier finden sich viele gute und kluge, zum Nach- und Weiterdenken mannigfach anregende Gedanken über Dinge ausgesprochen, von denen ein Teil, naturphilosophisch-erkenntnistheoretischen Inhalts, geradezu ein Lieblingsthema denkender Natur- forscher der Gegenwart geworden ist. Vielleicht entschließen sich Autor und Verlag, diesen Teil des Werkes, das in seiner Vollständigkeit zunächst doch wohl nur auf einen begrenzten Leserkreis rechnen dürfte, allgemeiner zugänglich zu machen. Das Studium des Ganzen aber sei allen denen warm empfohlen, die ein dunkles, nur sehr all- mählich klarer werdendes Empfinden immer wieder zu Goethes naturwissenschaftlichen Arbeiten hin- zog; das Pimpfinden, hier sei etwas vorgebildet, was mehr bedeute als jede aktuelle Bereicherung bloßen Tatsachenwissens, nämlich synthetische (nicht bloß synoptische) Naturanschauung auf em- pirischer Grundlage. Das Buch ist mit Unterstützung der Goethe- gesellschaft und der Rheinischen Gesellschaft für wissenschaftliche Forschung herausgegeben worden. Wasielewski. Anregungen und Antworten. Ausnutzung des Pilzreichtums unserer Wälder. — In Königsberg i. Pr. ist eine städtische Pilz-Bestim- mungsstelle eingerichtet, die von Lehrer E. Graraberg verwaltet wird, dessen zweibändiger Pilzatlas „Pilze der Hei- mat" weite Verbreitung gefunden hat.') Jeder Ausflügler der Stadt Königsberg kann hier von ihm gefundene Pilze kosten- los bestimmen lassen. Auch Auswärtige können Pilze zur Pe- ') und auch von der Redaktion, die ihn seit Jahren be- nutzt, empfohlen werden kann. Stimmung einsenden (.\dresse : Städtische Pilz-Bestimmungsstelle in Königsberg i. Pr.), haben jedoch fUr jede Pilzart eine Ge- bühr von 50 Pf, zu zahlen. Die verschiedenen Pilze sind zu numerieren; zugleich bewahrt man daheim dieselben Pilze mit den entsprechenden Nummern auf, um sie beim Kintreffen des Bescheids zu vergleichen und nach irgendeinem guten Pilzwerk nachzuprüfen. Auf der Beslimmungsbescheinigung ist der deutsche und lateinische Name der betreffenden Pilze , sowie der Vermerk enthalten, ob sie eßbar, ungenießbar oder giftig sind. Inhalt; Simroth; Ein paar neue Gesichtspunkte zur Pendulationstheorie (mit 2 Abbildungen). — Kleinere Mitteilungen: Bugge: Die Gewinnung von Eiweiß mit tlilfe der Hefenzucht. Kamms tetlt: Getreidemehlloses Gebäck. Kranz; Eigentümlichkeiten im Nestbau des Teichhuhns (mit 3 Abbildungen). — Einzelberichte: Einstein und de Haas: Experimenteller Nachweis der Ampere'schcn Molekularströme. Henrich: Kadiumblitzableitcr. Hiegc: Über die Darstellung kolloidaler Goldlösungen nach der Kormolmethode. Sorauer u. a. : Gummitluß. Koule: Die größte Meerestiefe, in welcher Kische gefunden werden. Camus: Mageninhalt des Mammut. — Bücherbesprechungen: Heß: Der Korstschutz. Semper: Die geologischen Studien Goethe's. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. M i e h e in Leipzig, Marienstraße II 1 Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. erbeten. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 14. Band; ganzen Reihe 30. Band. Sonntag, den 3. Oktober 1915. Nummer 40. Neuere populäre geologische Literatur. [Nachdruck verboten.] Von Rudolf Hundt. Wenn sich eine Wissenschaft zu einer Stufe erhoben hat, die in rascher Entwicklung erstiegen wurde und von der aus sie in die Breite sich weiterbauend voll lebenskräftig zeigt, dann arbeiten berufene und unberufene Federn daran, die fest- stehenden Ergebnisse, volkstümlich für eine brei- tere Menge Interessierter darzustellen. Leider muß man die Unterscheidung von berufen und unberufen treffen, weil meiner Meinung nach nicht jeder beliebige seine Feder dem darzustellenden mit Erfolg zu leihen versucht. Eine Wissenschaft, die in unserer Zeit nach vielfacher Seite hin volkstümlich behandelt wird, ist die Geologie, Paläontologie in der Verbindung mit der Geo- logie und die Mineralogie. Nicht nur in der der- zeitigen Natur der Wissenschaft selbst lag das Bestreben zum Popularisieren, sondern die Zeit- umstände wurden zwingend dafür. Das Volk wandert viel. Es lernt seine Augen gebrauchen, die Steine und die Landschaft mit ihren Rätseln, deren Lösung leider unsere Schulbildung in so nachlässiger Weise nachgeht, beschäftigen den Wandernden. So entstand das Bedürfnis nach geologischen Führern , die paläontologisches und und mineralogisches Interesse gleichwertig berück- sichtigen. Manche geologische interessante Gegend wurde monographisch volkstümlich dargestellt. Die gesunde Erkenntnis und Wertschätzung der Naturdenkmäler ließ die geologischen nicht außer- halb ihrer Betrachtung. Und nun kommen neuer- dings Versuche hinzu, einzelne Gebiete aus der allgemeinen Geologie vollkstümlich zu behandeln oder pädagogisch zu verwerten. So ist ein ganzer Berg von Literatur in den letzten Jahren erschienen, von denen ich nachfolgend nur die interessante- sten Erscheinungen besprechen werde: Geologie für Jedermann. Von Dr. A. Berg. Theodor Thomas, Leipzig. Der Verf. wendet sich an die Naturfreunde, deren Interesse vorzugsweise der Geologie gewid- met ist, die aber wegen ihrer Schulbildung nicht die nötige Vorbildung erhalten haben, die ihnen, ohne Anleitung zu gebrauchen, den Weg zum Verständnis geologischer Fragen finden läßt. Der vom Verf. eingeschlagene Weg ist brauchbar. Von Anfang an führt er seinen Schüler hinaus ins Freie , wo auch nur diese Wissenschaft studiert werden kann. Den Anfänger führt er restlos ein, wie er sich draußen im Felde, drinnen in der Studierstube rüsten soll, er macht ihn mit den Karten und ihren Zeichen bekannt, lehrt sie ihn lesen. Hat er ihn nach draußen geführt, dann läßt er ihn dort allgemeine Geologie treiben. Er lernt alles Wichtige kennen, was er braucht, um sich bei einiger Aufmerksamkeit von selbst weiter zu finden. Beim Sammeln steht er ihm als er- fahrener P'achmann zur Seite. Die geologischen Kräfte und ihre Wirkungen werden durch Be- obachtungen kennen gelernt. Nachdem so Kräfte und Gesteine kennen gelernt wurden , führt der Verf. in das Verständnis der geologischen Karte ein, gibt Bezugsquellen an und gibt ein nach Landschaften geordnetes Literaturverzeichnis, das für den, der das Buch zur Hand nimmt, von er- freulicher Vollständigkeit ist. Die i 54 Abbildungen klären vieles im Verein mit dem knapp zuge- schnittenen Text. Das Buch ist jedem zu emp- fehlen, der einen Wegweiser sucht, um zur Geo- logie zu kommen. AusderVorzeitderErde. Von F. F r e c h. B. G. Teubner, Leipzig. Aus Natur und Geisteswelt. Sechs Bändchen aus der genugsam bekannten Teubner'schen Sammlung werden von dem Verf. unter genannten Titel vereinigt. Sie gehören zu- sammen und sind ein prächtiges Lehrbuch der all- gemeinen Geologie, von einem ihrer Meister ge- schrieben. Band I behandelt die „Vulkane", Band II „Gebirgsbau und Erdbeben", Band III „Die Arbeit des fließenden Wassers", Band IV „Die Arbeit des Ozeans", Band V „Kohlenbildung und Klima der Vorzeit", Band VI „Gletscher und Eis- zeit". Es ist ein dankbares Unternehmen , wenn Frech seine reichen Erfahrungen, die er in Vor- trägen und größeren Aufsätzen anderweitig schon publiziert hatte, hier unter einheitlichem Gesichts- punkt in mustergültiger Weise unter Zuhilfenahme eines überaus reichlichen Bildmaterials mitteilt. Die Bilder sind solche, die man selten sieht, die dem bloßen Freund geologischer Wissenschaft sonst nicht zur Verfügung stehen. Das Wertvolle an diesem Werke ist das, daß der Verf. von Gegenwärtigem, von dem, was unter unseren Augen vorgeht, was die Zeitungen bringen, schreibt und es mit längst zum Abschluß gekommenen Vorgängen der Vorzeit in innige Verbindung bringt. Seine eigenen Anschauungen gibt er in Vergleichen mit anderen Meinungen. Jedes der Bändchen, das für den erstaunlich geringen Preis von 1,25 M. zu haben ist, ist für sich abgeschlossen. Aber es kann nur geraten werden, sich das ganze Werk mit den 353 guten Abbildungen anzuschaffen. Wie unsere Erde geworden ist. Von Dr. A. Berg. Th. Thomas, Leipzig. 40 Pf., geb. 65 Pf. 42 Abbildungen. Einfachen Ansprüchen will diese kleine Ein- 626 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 40 führung in die allgemeine und historische Geologie genügen. Ihr Verf. hat es verstanden, das in der Form zu bringen, was man erwartet. Grundfragen der allgemeinen Geo- logie. Von P. Wagner. Quelle & Meyer, Leipzig. 1,25 M. Der Verf wendet sich mit seinen dankens- werten Ausführungen über schwierigere Fragen aus der allgemeinen Geologie an Leser, die eine höhere Schulbildung genossen haben, an Fach- genossen, die wegen ihres speziellen Forschungs- gebietes diesen der neueren Literatur nachge- gangenen Problemschilderungen ferner stehen, doch aber Fühlung mit diesen wichtigen Fragen nicht aufgeben wollen. Am Ende jedes der 1 1 Ab- schnitte wird die Literatur zu eingehenderen Studien angegeben. Die klaren Darstellungen des Verf s der strittigen , schwereren Probleme der allgemeinen Geologie sind ausgezeichnet geeignet, dem vorgeschrittenen F'reund der Geologie und selbst F"achgeologen gute Dienste zu leisten. Die vulkanischen Gewalten. Von H. Haas. Quelle & IVIeyer, Leipzig. 1,25 M. Die Erforschung von Erdbeben und Wilkane gehört zu den Fragen der allgemeinen Geologie, die abschließende, feste Antworten noch nicht zu- lassen. Alle endgültigen Anschauungen sind noch im Werden begriffen. Darum ist es verdienstlich, wenn Fachleute dieses Gebietes Gelegenheit finden, in leichter verständlichen Worten auch dem ge- bildeten Laien die Forschungsergebnisse in dieser Wissenschaft darzubieten. Das Büciilein von Haas, aus Vorlesungen an der Kieler Universität hervor- gegangen, ist einer von den glückliciien Versuchen, weitere Kreise mit dem interessanten „vulkanischen Gewalten" bekannt zu machen. Das reiche Bild- material ergänzt die überaus klaren Ausführungen, die nicht nur einseitig wissenschaftlich schildern, vortrefflich. Die Eiszeit und der vorgeschicht- liche Mensch, Von G. St ein mann. B. G. Teubner, Leipzig. 1,25 M. Man merkt dem aus Lichtbildvorträgen ent- standenen Werkchen an, daß sein Verf die Anden Südamerikas und die Alpen gründlich kennt. Er gibt uns in seiner Darstellung eine Menge Bei- spiele aus den erwähnten Gebieten. Das eine finde ich als einen großen Vorteil seines Buches, weil in anderen volkstümlichen Büchern über die Eiszeit einseitig auf Norddcutschland Rücksicht genommen wurde. Er ist Anhänger getrennter Eiszeitenannahme im Gegensatz zu G e i n i t z und Frech. Wertvoll ist es auch, daß er im Rahmen der Eiszeit das Werden des Mcnscliengcschlcchtes zeigt, wie es sich entwickelte, intelligent wurde durch aufrechten Gang und Benutzung von Stein- werkzeugen. In den letzten Kapiteln kommt er zu seinem viel umstrittenen Standpunkt, daß der Mensch verantwortlich zu machen ist für „voll- ständige Vernichtung gewisser Arten von jagd- baren Tieren". Die reproduzierten Bilder sind anschaulich und reichlich ausgewählt. Unsere Kohlen. Von P. K u k u k. B. G. Teubner, Leipzig. 1,25 Mk. Alle fossilen Brennstoffe, die unter dem Namen „Kohle" zusammengefaßt werden, sind Gegenstand vielseitiger, interessanter Ausführungen geworden. Wir erfahren von der Entstehung der Kohlen, ihren chemisclien und physikalischen Eigenschaften. Die Entstehung gibt eine Handhabe zur Einteilung der Kohlen, der aber vom Verf auch andere Ein- teilungen fremder Autoren gegenübergestellt wer- den. Formationen, welche die Kohlen einschließen, werden in ihrer Verbreitung dargestellt. Die Fauna und vor allem die Flora wird durch eigene Bilder veranschaulicht. Am meisten muß den Wißbegierigen, der nicht Geologe ist, die geogra- phische \'erbreitung der Steinkohlenlagerstätten, Braunkohlen und lorfmoore interessieren. Der Gewinnung und technischen Verwendung der Kohlen sind die letzten Kapitel gewidmet. Das Buch ist in allen Teilen zu empfehlen für jeden, den der Stoff zur Beschäftigung lockt. Die deutschen Salzlagerstätten. Von C. Riemann. B. G. Teubner, Leipzig. 1,25 M. Diese einfache monographische Behandlung der deutschen Salzlagerstätten ist freudig zu be- grüßen. Sie sagt uns alles, was wir wissen wollen über unsere Steinsalze, Kalisalze, hinsichtlich Ent- stehung, Verarbeitung, Verwendung. Sie öffnet unsere Augen und zeigt uns Deutschlands Reich- tum an Salzen. Sie will dem gebildeten Land- mann wie dem Geologen, dem die Beschäftigung mit Salzlagerstätten sonst fernliegt, ein gut zu ge- brauchender Wegweiser sein. Wertvoll sind die lehrreichen Tabellen. Die Tiere der Vorwelt. Von Othenio Abel. B. G. Teubner, Leipzig. 1,25 M. Der Verf wollte „eine Einführung in die Auf- gaben und Ziele der Paläozoologie und einen Überblick über ihren Entwicklungsgang" geben. Das war ein sehr verdienstliches Ziel, das er meisterhaft in solcher Kürze erreicht hat. Wie viel Unsinn, Verstellungen bringen nicht nur die Tageszeitungen, denen ein wissenschaftlicher Be- rater fehlt, wenn sie über irgendwelche paläozoo- logischen Funde berichten. Wie viel wird noch in sonst guten Zeitschriften von sonst verläßlichen Schriftstellern gesündigt, wenn irgendeine Rekon- struktion vorweltlicher Tiere gegeben wird. Abel führt Knauer's Artikelserie in der Wiener „Urania" über die Entstehung des Vogelfluges an. Auch dem vielgeglaubten Wilhelm B ö I s c h e gibt er schuld, dal3 durch seine Schriften Jahr für Jahr , Irrtümer" ins Volk gelangen. Darum war es eine bemerkenswerte Anregung vom Teubner- schen Verlag, daß uns Abel in einfacher Weise sein Büchlein schrieb. Sonst wären seine inter- N. F. XIV. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. &r, essanten Forschungen in dem wissenschaftlichen Werk „Kultur der Gegenwart" nur dem Fachmann und nicht dem interessierten Laien zugänglich gewesen. 12 Tafeln der verbr eitetst en Fossi- lien aus dem Buntsandstein und Muschel- kalk der Umgebung von Jena. Von Dr. K. Walt her. G. Fischer, Jena. 3 M. Die paläontologischen Schätze der Buntsand- steinformation und des Muschelkalkes der Jenaer Umgebung weiden in guten Tafeln auf Kunst- druckpapier abgebildet. Der Text ist knapp be- schränkt, nicht breit, nach des Verfs Meinung für Studierende bestimmt. Doch hat das Büchlein einen großen Wert als Bestimmungsbuch für jeden, der Thüringer Buntsandstein- und Muschelkalk- versteinerungen sammelnd kennen lernen will. Für den sind dann am Ende der Tafeln auch kurze beschreibende Worte über die abgebildeten Versteinerungen gegeben, die von den Studieren- den aus der speziellen Literatur vertieft werden sollen. Aus der Vorgeschichte derPflanzen- welt. Von Dr. W. Gotha n. Quelle & Meyer. 1,80 M. Das Po t on i e'sche Werk über Pflanzenpalä- ontologie ist vergriffen. Es gibt jetzt kein solches Werk, das alles Brauchbare in sich vereinigt. Die Wissenschaft selbst ist noch jung und im Ausbau begriffen. Aber das Bedürfnis ist groß, ein allge- meinverständlich geschriebenes Buch zu haben, in dem der Laie das sucht, was er braucht. Dieses Buch Gothan's ist bestimmt, die Lücke auszu- füllen. Er zeigt uns die Art der Versteinerungen bei Pflanzenresten, führt uns scheinbare pflanzliche Reste vor und gibt uns in anschaulichen Worten mit reichem Bilderschmuck die Vorgeschichte der Algen, Pilze, Moose, F"arne, Schachtelhalme, Lyko- podineen, Cykadophyten, der Gingkobäume, Koni- feren und Angiospermen. Vulkane und Erdbeben. Von Rein- hard Brauns. Quelle & Meyer. 1,80 M. In dem Werke werden uns die einzelnen Vulkanformen mit ihren eigenen Ausbrüchen in lebendiger Form geschildert. Die Bilder sind prachtvdll instruktiv gewählt. Der Verf. vermied alle überzähligen Fachausdrücke, hat den Stoff bei seiner noch nicht zum Abschluß gekommenen Entwicklung geklärt und gibt so ein klares Bild der Vulkane und Erdbeben. Kleine Geologische Umschau in der Umgebung Saalfelds. Von H. Meyer. Eine brauchbare Einführung in das Verständnis der geologisch so interessanten Umgebung von Saalfeld hat uns der Verf gegeben. Er gibt uns Übersichten über die Schichten und zeigt sie uns auf Wanderungen, die durch den Text verläßlich vorgeschrieben werden. Auf Seite 112 muß es nicht Retiolites, sondern Rastrites phleoides heißen. Auf einige Druckfehler wird der Verf. schon auf- merksam geworden sein. Spuren der Eiszeit in und bei Berlin. Von G. Kalb. Quelle & Meyer, Leipzig. 25 Pf. In einfachen Worten werden die geologischen Verhältnisse der Großstadt und ihrer allernächsten Umgebung in volkstümlicher Weise geschildert. Die Darstellungen sind für den Laien, der sich mit keinem Zweige geologischer Wissenschaft be- schäftigt hat, bestimmt. Es ist ein billiges heimat- kundliches Büchlein, das sehr zu empfehlen ist. Geologischer F"ührer durch die Dan- ziger Gegend. Von Dr. P. Sonntag. Kase- mann, Danzig. Das Büchlein macht hinsichtlich der Stoff- anordnung und der Stoffbehandlung eine Aus- nahme ie der geologischen Führerliteratur. Nicht historisch geologische Gesichtspunkte waren maß- gebend, sondern die allgemein-geologischen Kräfte gaben dem Verf. die Hinweise, wie er den Stoff bearbeitete. Es führt in die engere und auch weitere Umgebung Danzigs sehr gut ein. Klare, anschauliche Sprache in Verbindung mit guten Abbildungen , deren Motive der Landschaft , die besprochen wird , entnommen sind , machen das Buch auch für Schüler oberer Klassen höherer Schulen und für die vorbereitende Lehrerhand brauchbar. Es ist aus Liebe zur heimatlichen Landschaft geschrieben. Darum wird es bei Naturfreunden viele Liebhaber finden. Grundriß der Geologie des Groß- herzogtums Baden. Von Dr. Wilhelm Scharf Verlag Moritz Schauenburg, Lahr i. B. 1912. Das Buch enthält alle Formationen, die man bis jetzt unterscheidet, braucht sie, um die um Baden vorhandenen Schichten besser verstehen zu lehren. So bleibt alles in einem Zusammenhange, der gerade für den Anfänger geologischer Studien gute Dienste leisten kann. So wird die geologi- sche Geschichte der engeren Heimat plastischer, verständlicher, wenn der Leser sieht, wie seine Heimat mit seinen Erdschichten teilnimmt und Platz hat in der großen Entwicklung der Erd- rinde. Nur die Abbildungen können meinen Bei- fall nicht finden. Geologische Ausflüge in der Mark Brandenburg. Von K.Hucke. Verlag Quelle et Meyer, Leipzig. Geb. 3,20 Mk. Diese Ausflüge sind aus reiner Liebe zur Heimat geschrieben, die der sofort merkt, der sich von dem Buche leiten ließ. Gut ausgestattet mit Originalabbildungen, die bei solchen Führern immer das Wertvollste sein sollten, kann das Buch nicht genug empfohlen werden. Einleitend erfahren wir manches über Ausrüstung und Sammeln. Auf Exkursionen lernen wir die an der Mark anstehen- 628 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 40 den F"ormationen kennen, das Sikir am Kaschen- berg bei Senftenberg, Zechstein in der Umgebung von Spremberg, Trias im klassischen Rüdcrsdorf, Kreide in Schmöllii und Grimma, Tertiär bei Lüben, Freienwalde, Buckow, Senftenberg, Fürsten- walde, Diluvium bei Glindow, Veiten, Groß- Ziethen, Klinge, Dehnsdorf-Lühnsdorf, Alluvium im Grunewald, in den Neuendorfer Rummeln. Zusammenhängende Abschnitte über die Diluvial- geschiebe Brandenburgs, über die geologische Ent- wicklung Brandenburgs fassen die einzelnen Er- gebnisse der Exkursionen gut zusammen. Botanisch-Geologische Spaziergänge in die Umgebung von Berlin. Von W. Gothan. B. G. Teubner, Berlin-Leipzig. 1910. Der Versuch, die Geologie und Botanik auf festvorgeschriebeneii Wanderungen in ihrer gegen- seitigen Abhängigkeit zu zeigen, ist in dem Büchlein glänzend geglückt. Nimm das Büchlein mit dem guten Bildmaterial mit, wenn du Berlins Um- gebung durchstreifst, du wirst es später ungern missen. Für jede Wanderung ist die genaue Jahreszeit und der Weg vorgeschrieben, der uns durch schöne Landschaften führt. Übersicht derErdgeschichte mit be- sonderer Berücksichtigung von Loben- steins Umgebung und der im dortigen Museum aufgestellten Versteinerungen. G. von Koch. Verl. F'r. Krüger, Lobenstein Der Verfasser hat seiner Vaterstadt Loben- stein ein schönes Museum gestiftet und gibt in diesem kleinen Büchlein Bescheid, wie man die Erdgeschichte der Lobensteiner Umgebung an der Hand der dort gesammelten Belege im Zu- sammenhang mit der allgemeinen Geologie und der historischen Geologie Deutschlands kennen lernt. Naturkundliche Streifzüge in Fried- richrodas Umgebung. E. Langenhan. Verlag: J. Schmidt, Friedrichroda. Hier wird auf den Wanderungen nicht nur Geologie und Botanik sondern damit auch Zoo- logie verbunden. Den Referent interessierte nur die geschickte Verbindung in den drei Fächern, die so gut ausgeführt ist, daß von F"riedrichrodas Umgebung ein geschlossenes Bild der geologischen Entwicklung gegeben wird. Geologische Streifzüge in Heidel- bergs Umgebung. Von J. R u s k a. Verlag Quelle & Meyer, Leipzig. Das Buch braucht nicht empfohlen zu werden. Jeder der es gebraucht, wird es lieben gelernt haben. Vielen Verfassern ähnlicher geologischer Wanderbücher war es Vorbild. Planvoll ausge- wählte Exkursionen führen durch Beobachtungen an der Hand vieler, guter Abbildungen zum \'er- ständnis geologischer Begriffe, zum Verständnis der Karte und zur „Bildungsgeschichte des ganzen oberrheinischen Gebirgssystems", die als Ziel dem Verfasser vorschwebte. Geologische Geschichte der Frän- kischen Alb. Von W. K o e h n e. Verlag Piloty und Loehle, München. Was verschiedene Forscher verschieden fanden, hat der Verfasser zusammengefaßt, um auch dem Nichtfachmann zu zeigen, wie die Oberflächen- gestalt der Fränkischen Alb wurde, wie das Stück Erde zur Zeit des Niederschlages der ein- zelnen Erdschichten aussah. Er führt uns durch die Triaszeit, Jurazeit, Kreidezeit, Tertiärzeit, Diluvialzeit und ergänzt seinen durch klare Dar- stellungsweise ausgezeichneten Text durch viele Bilder und eine geologische Karte des in Rede stehenden Gebietes. Führer durch die Feengrotten von Saalfeld in Thüringen. Herausgegeben von der Grotten-Verwaltung. Selbstverlag der Ver- waltung der P^engrotten. Dieses Büchlein ist nicht nur als P'ührer ge- schrieben, sondern es ist eine kleine Monographie dieses großartigen 1 hüringer Naturdenkmales, das uns Dr. Heß von Wichdorff entdeckte. Er unterrichtet über alle Fragen, die uns beim Be- trachten dieser Wunderwelt kommen, verläßlich, weil ihr bester Kenner und Entdecker Dr. Heß von Wichdorff bei der Verabfassung mit- wirkte. Geologisch es Wan derb uch von K. Volk. Verlag B. G. Teubner, Leipzig. Teil i und 2. Geb. je 4 M. Dieses zweibändige Wanderbuch führt uns durch alle Gebiete Deutschlands. Im ersten Bande wird uns allgemeine Geologie draußen in der Natur klargemacht. Wir lernen, uns mit allem vertraut zu machen, was zu einer geologischen Exkursion, zum Sammeln gehört. Diese an und für sich trockene Materie wird durch die pracht- volle Darstellung des Verf. interessant. Im ersten Band macht er uns nun auf die prächtig ge- schriebenen Wanderungen mit den Schichten und Einschlüssen der paläozoischen Periode bekannt. Wir folgen ihm in die „Waldheimat des Thüringers", ins „Rheinische Schiefergebirge", in den „west- fälischen Urwald", in den „Harz", zum „Salzsegen", zum „Arfels". Im zweiten Band, der erst 1915 erschienen ist, gehts mit der trefflichen Führung des Verf. in die „Sandwüste", „Kreuz und quer durchs Muschelkalkmeer", in den Jura, in die Kreide, durchs Tertiär und auf „Fels und Firn, heute und vor Zeiten". Im zweiten Band hat der Verf zu seinen klaren Ausführungen einen reichen Bilderschmuck ge- bracht, den man für solche Wanderbücher gar nicht genug heranschaffen kann. Mit einem Wort gesagt, das Buch ist allen, die sich in die Geo- logie Deutschlands einführen wollen, auch sehr zu empfehlen. N. F. XIV. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 629 Geologisches Wanderbuch für den Thüringer Wald, von H. Franke. Verlag F. Enke, Stuttgart. Mit diesem Wanderbuch durch den Thüringer Wald wird uns ein zuverlässiger Wegweiser in die Hand gegeben, der nicht nur für den Freund geologischer Wissenschaft, sondern auch für den im Gebiete fremden Fachmann gute Dienste leistet. Wir lernen die ältesten Schichten von Saalfeld- Gräfenthal bis zu den Rotliegenden Schichten, zu den Triasschichten kennen. Einleitend macht uns der Verf. mit der für das Gebiet in Betracht kommenden Schichteneinteilung bekannt, die in den nachfolgenden Wanderungen erwandert wird. Bei einer Neuauflage müßte sich der Verlag ent- schließen, dem Buche mehr Bildschmuck, besonders von Versteinerungen, beizufügen. GeologischesWanderbuchfürdieUm- gebung von Berlin, von Hans Menzel. Verlag Fr. Enke, Stuttgart. Alte und neue Forschungen der Geologie in der Mark werden in 10 Wanderungen zusammen- hängend dem Wanderer, der sie benutzt, in leicht- verständlicher Form gegeben, damit neue Freunde und Jünger der schönen Wissenschaft gewonnen werden. Die Wanderungen sind flott geschrieben, in ihnen ist viel kulturgeschichtliches verwebt, das man gern liest. Wir wandern nach Chorin, nach den Müggelbergen, Grunewald, Phöben, Glindow, dem Fläming, Buckow, Senftenberg, Rüdersdorf und Sperenberg. Einleitend macht uns der Verf. mit den hauptsächlichsten Theorien bekannt, die man früher aufstellte, um die Er- scheinungen und Bodenformen Norddeutschlands zu erklären. Am Schlüsse, nach den Wanderungen, wird uns die geologische Entwicklungsgeschichte der Mark gegeben. Wertvoll sind die literarischen Angaben am Schlüsse jeder Wanderung. Eine ein- fache geologische Übersichtskarte und viele Ab- bildungen machen das Wanderbuch noch wertvoller. Lehrbuch derGeologieDeutschlands. Eine Einführung in die erklärende Landschafts- kunde für Lehrende und Lernende. 2. Aufl. Joh. Walther. Quelle und Meyer, Leipzig. Geb. 9,40 M. Ein nach Text, Ausstattung bewertet vor- zügliches Buch. Der Verf. der Geologischen Heimatkunde von Thüringen und der klassischen Vorschule zur Geologie bringt uns im ersten seiner drei Teile, die das Buch umfaßt, die „ge- staltenden Kräfte", dabei hat er in durchsichtiger Klarheit schwierige Probleme der allgemeinen Geo- logie so dargestellt, daß sie in der Auswahl und Dar- stellung den Bedürfnissen, die der Lehrende und Lernende besitzt, in allen F'ragen gerecht wird. Die geologische Geschichte Deutschlands behandelt der zweite Teil als Vorbereitung zum dritten Teil, der sich mit den einzelnen deutschen Land- schaften befaßt, ihrer geologischen Geschichte nachgeht und ihre Landschaftformen, wie sie jetzt dem Reisenden und Wandernden entgegentreten, zu erklären versucht aus ihrem Bau und Werden. Was mir an dem Buch so gut gefällt, ist der Bildschmuck. Keine Photographien, sondern Zeich- nungen von typischen Landschaften, Rekonstruk- tionen von Fossilien beleben den Text, der sich wie im ersten Teil durch wundervolle Klarheit auszeichnet. Diese Zeichnungen von Landschaften geben die typische Linienführung viel besser wieder wie die unpersönliche Photographie. Durch Pro- file wird der innere Bau gezeigt und kleine bei- gegebene Textkarten geben die Übersicht des jeweilig in Rede stehenden Gebietes. Eine bei- gegebene größere bunte geologische Karte von Deutschland, die Dank ihrer glücklichen Verein- fachung dargestellter Schichten den geologischen Aufbau Deutschlands in großen Zügen gut zur Darstellung bringt, empfindet man als wertvolle Beigabe. Geologische Heimatkunde von Hal- berstadt und Umgebung. Unser heimat- licher Boden und seine Naturdenkmäler. Von A. He mp rieh. Komissionsverlag H. Meyer, Halberstadt. Ein Versuch, eine engere Gegend in einer geologischen Heimatkunde darzustellen, ist hier vom Verfasser mit Erfolg ausgeführt worden. Aus der allgemeinen Geologie ist das Allerwich- tigste ausgewählt worden, um die Geologie der Heimat, der Halberstädter Gegend und des nörd- lichen Harzvorlandes verstehen zu lernen. Perm, Trias, Jura, Kreide, Tertiär, Diluvium und Allu- vium sind die Schichten, die hier vertreten sind. Die Gegend Halberstadts ist in der geo- logischen, paläontologischen Welt letztens be- kannt geworden durch die Dinosaurierfunde aus dem Keuper, deren Entdecker Prof Jaekel an der wissenschaftlichen Darstellung der Gesamt- ausbeute noch arbeitet. Im dritten Abschnitt geht der Verfasser den „Beziehungen der geolo- gischen Verhältnisse zum Klima, zu den Pflanzen, Tieren und Menschen nach. Äußerst bemerkens- wert ist die Darstellung der geologischen Natur- denkmäler des Gebietes, die in wundervollen Ab- bildungen gezeigt werden. Überhaupt ist ein großer Vorzug des Buches, daß der Verfasser große Mühe auf das Bildmaterial verwendet hat. Die Abbildungen sind vorzüglich, für ähnliche geologische Heimatkunden, die noch geschrieben werden sollen, vorbildlich. Die Erde. II. Geologie derDeutschen L a n d s c h a f t e n. Von B. Lindemann. Frankh- sche Verlagsbuchhandlung, geb. 9 Mk. Das Werk bildet den zweiten Band von L i n - demanns „Erde". Einleitend gliedert der Ver- fasser Deutschland in „geologische Provinzen", die nachfolgend in ihrer geologischen Entwicklung dargestellt werden. Wir finden beschrieben: die norddeutsche Tiefebene, die^großen süddeutschen 630 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 40 Ebenen, die oberrheinischen Bergländer, das rheinische Schiefergebirge und seine Umgebung, die herzynischen Gebirge, die sudetischen Gebirge. Die Darstellungsweise ist volkstiimlich, denn das Buch ist für den Naturfreund geschrieben. Klar- heit zeichnet sie aus. Die neuesten Forschungen sind berücksichtigt. Wertvoll wird das Buch da- durch, daß der Verf. zu manchen neueren Fragen selbst Stellung nimmt, seine subjektive Meinung äußert zu modernen Fragen. Dadurch wird dem Lehrer eine Richtschnur für sein Denken in diesem Falle gegeben. Reicher Bildschmuck er- gänzt den Text. Der Bildschmuck erstreckt sich nicht nur auf typische Landschaften, sondern es werden auch Versteinerungen abgebildet und bunte eingeschaltete Tafeln erhöhen den Wert. Die Darstellung jeder „geologischen Provinz"' ist derart, daß man ein abgeschlossenes Bild der geologischen Entwicklung des in Rede stehenden Gebietes hat. Das Werk besteht gleichsam aus der Sammlung geologischer Heimatkunden. So gewinnt es einen hohen Wert für Lehrer und Lernende. Die mühsame Arbeit, die der Lehrer moderner Geographie leisten muß, wenn er die Geologie eines natürlichen Landschaftsgebietes zusammenstellen will , wird ihm durch dieses Buch erspart. Der Naturfreund, der wandernd Deutschlands Gegend durchstreift, erfahrt alles, was er braucht, um den geologischen Bau der einzelnen Gebiete verstehen zu lernen. Ich glaube, daß des Verf s Ziel, ein volkstümliches geologisches Werk für das Volk zu schaffen, voll und ganz erreicht ist. Nebenbei bemerkt möchte ich bei einer Neu- auflage den Verf. aufmerksam machen, daß es auf Seite 347, erste Spalte, Zeile 3 statt ,,Tonna", „Tanna" heißen muß. Geologische Wanderungen im mitt- leren Elstertale. Von Rudolf Hundt. Verlag F"r. Krüger, Lobenstein. 19 14. Brosch. 2,50 M. Wurde von Dr. E.. H e n n i g in Band XIII, N. F. Nr. 32 der Naturwiss. Wochenschrift schon besprochen. GeologischeWanderungenamSchwä- bischen Meere. Flin methodischer Vortrag zur Heimatkunde. Von K. Volk. Verlag Teubner, Leipzig. Geh. i M. Verf. führt uns in seine methodischen Ein- heiten, in die geologische Heimatkunde einer eng- umgrenzten Gegend ein. Was er uns gegeben hat, muß uns erfreuen und besonders die Lehren- den müssen ihm danken, daß er ihnen einen gang- baren Weg zeigt, der sie die Geologie in der Schule lehren lehrt. Hin und her wogt der Kampf in der Welt der Pädagogen, ob Geologie allein oder in Verbindung mit Erdkunde getrieben wer- den soll. Hier wird uns gezeigt, daß Geologie wie Botanik und Zoologie geeignet ist, allein, mindestens in höheren Schulen und Mittelschulen ein Fach zu bilden , in Volksschulen in nicht zu beschränktem Maße mit Erdkunde zu verbinden ist. Die Überschriften der einzelnen Abschnitte zeigen deutlich die Anlage des kleinen Buches: Wovon uns der Hödinger Steinbruch erzählt. Wie es vordem war. Die Zeit der Lorbeerbäume. Die Macht des Wassertropfens. Was der Bach tut. Die Eiszeit. Grund züge der Geologie. Von A. Vonnoh. Quelle & Meyer, Leipzig. Geb. i,6oM. Das Büchlein wird sich als recht brauchbar nicht nur für den Schulunterricht, für den es wohl in erster Linie gedacht war, eignen, sondern jeder Naturfreund, der sich die schöne Wissenschaft der Geologie als Steckenpferd erwählen will, wird in dem Buche eine sehr gute Einführung kennen ge- lernt haben. Es ist alles in guter Knappheit aus der allgemeinen und historischen Geologie be- handelt. Ein besonderer Vorzug ist die gute Ausstattung und die schönen Bilder in einem so billigen Büchlein. Lehrbuch der Geologie und Minera- logie. Große Ausgabe. Von P. Wagner. 4. u. 5. verb. Aufl. B. G. Teubner, Leipzig- Berlin. Geb. 2,80 M. Ein gutes Buch, das schon seine Gemeinde in Lehrer- und Schülerwelt gefunden hat. Die nötige Chemie, Mineralogie und Geologie sind in enge Wechselbeziehungen gebracht worden , die den Stoff assoziierend zu einem einzigen F"ache zu- sammenschmelzen. Ausstattung und Bildschmuck ist sehr gut. Die Erdrinde. Einführung in die Geo- logie. 2. verb. Auflage, von E. Haase. Quelle & Meyer, Leipzig. Geb. 3,20 M. Der Verf. will dem Laien eine Einführung in die Hand geben. Darum hat er in seiner sehr knappen Einleitung nur das allernotwendigste vor- ausgeschickt, um dann sofort unter dem Gesichts- punkte historische Geologie immer in erster Linie allgemeine Geologie zu treiben. So wird bei Kambrium und Silur die Entstehung der Schicht- gesteine, beim Karbon die Auffaltung, Erdbeben und Gebirgsbildung, bei der Permformation der Wilkanismus usw. angeschlossen. Wir sehen bald, daß der Weg des Verf. für den Anfänger, den Laien leicht gangbar wird. Und darin liegt der große Wert des Buches. Reichlicher Buchschmuck und gute Ausstattung ist man bei den geologischen Werken des Verlages Quelle und Meyer schon gewöhnt. In einem geologischen Lesebuche im Anhange gibt der Verf. eine Auslese von Schilde- rungen unserer Meister geologischer Wissenschaft, aus denen der Leser ersieht, wie Vorgänge der Gegenwart beobachtet worden sind, die für das Verständnis von Fragen aus der allgemeinen Geo- logie sehr wichtig sind. N. F. XIV. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 631 Bau und Geschichte der Erde. Von O. A b el. Verlag G. Freytag, Wien. Geb. 4,50 M. Das Buch hat der Verf. für Schulzwecke ge- schrieben und zwar in erster Linie für öster- reichische Schulen. Das schließt jedoch nicht aus, daß dieses gute Buch auch von jeden anderen zur Hand genommen wird, der sich mit Geologie zu beschäftigen verlangt, oder der sich nach dem Studium eines einfacheren Buches weiterbilden will. Das Buch bietet vieles in durchaus ver- läßlicher Darstellung. In einem dritten Abschnitt ist der geologische Aufbau Österreichs dargestellt. Die Ausstattung und die Bilder sind gut. Lobens- wert ist auch die Beigabe einer geologischen Übersichtskarte von Mitteleuropa. Kleiner geologischer Führer durch einige Teile der Fränkischen Alb. Von Ludwig von A m m o n. Piloty & Loehle, München. Wir werden an bestimmte interessante Gebiete des Frankenjura geführt, wo wir die lokalen geo- logischen Verhältnisse kennen lernen. Dabei wer- den lobenswerte bunte Kartenskizzen verwandt, die untrügliche Führer sind. Wir werden an den Wachtknock bei Ebermannstadt, in die Gegend von Streitberg und Muggendorf, von Weischen- feld, auf die Strecke von Nürnberg-Amberg, in das Triasgebiet von Mimbach und an die klassische Fundstätte von Kichstedt und deren Umgebung geführt. Das Buch ist für Faciileute, die in diesem Gebiete reisen wollen und für Fortgeschrittenere in der geologischen Wissenschaft geschrieben und denen wird es gute Dienste tun. Im Anhange ist eine Gliederung der Malm in Franken mit Berücksichtigung der Ausbildung im übrigen Süd- deutschland gegeben. Geographische Wanderungen im Ge- biete der Trias Frankens. 2. Aufl. Von K. Zelzer. F. H. Bucher, Würzburg, i M. Der Verf. gibt uns in dem fleißigen Buche seine Forschungen in der Trias Frankens. Wir müssen denen, die ihn „aufgefordert, eine Zusam- menstellung des Resultates seiner Forschungen zu veröffentlichen", danken, damit das Buch für die Anfänger und ortsfremden Fachleute geschrieben wurde. Kleinere Mitteilungen. über den Säuregrad des Weines hat Theo- dor Paul eine sehr interessante Untersuchung veröffentlicht (Zeitschr. f. Elektroch. "21, 79— 89; 191 5), die in ganz besonders schöner Weise die wertvollen Dienste erkennen läßt , die die klare und verständnisvolle Anwendung physikalisch- chemischer Lehren auf Probleme der praktischen Chemie zu leisten vermag. Ein ausführlicher Bericht über diese Untersuchung dürfte daher das Interesse der Leser der Naturwissenschaftlichen Wochenschrift erregen. Alle Weine enthalten bekanntlich mehr oder minder große Mengen organischer Säuren, deren quantitative Bestimmung darum von großer Wich- tigkeit ist, weil der Geschmack des Weines in erster Linie durch die organischen Säuren beein- flußt wird und das Ergebnis der Säurebestimmung daher für die Beurteilung des Weines von aus- schlaggebender Bedeutung ist. Die Ermittlung der Säuremenge geschieht immer in der Weise, daß der Wein durch Erhitzen von der in ihm enthaltenen Kohlensäure befreit und dann mit 0,25 normaler Lauge titriert wird. Diese Art der Bestimmung der „freien Säure" gibt jedoch in vielen Fällen nur eine sehr unbefriedigende Aus- kunft über den Säuregrad des Weines, d. h. über die Intensität des sauren Geschmackes. So fanden C. von der Heide und W. J. Baragiola, als sie die Jahrgänge 1909 und 1910 eines und des- selben Weines (Geisenheimer Fuchsberg) analy- sierten, daß der durch Titration ermittelte und in üblicherweise auf Weinsäure berechnete Säure- gehalt des Jahrganges 1909 7,65 und der des Jahrganges 19 lO 9,5 g im Liter betrug, daß sich aber bei der Geschmacksprobe der Jahrgang 1909 trotz seines erheblich geringeren Gehaltes an freier Säure als erheblich saurer erwies als der Jahrgang 1910. Zwischen dem sauren Geschmack eines Weines und seinem titrimetrisch ermittelten Säure- grad braucht also keine Proportionalität zu be- stehen. Die Ursache dieser zunächst überraschend er- scheinenden Tatsache ist nun, wie Th. Paul in Gemeinschaft mit Ad. Günther gezeigt hat, physikalisch-chemisch außerordentlich leicht zu deuten, wenn man sachgemäß zwischen der titri- metrisch feststellbaren Säuremenge und der aktu- ellen Wasserstoffionenkonzentration des Weines unterscheidet. Um sich diesen Unterschied klar zu machen, braucht man sich nur einige Grund- tatsachen der Lehre von der elektrolytischen Disso- ziation in die Erinnerung zurückzurufen. Zwischen der Essigsäure und ihren Ionen — um die Sachlage an einem konkreten Beispiel zu erläutern — besteht bekanntlich ein durch die Gleichung CH3.C0.,H CH3CO,3- + H+ dargestelltes Gleichgewicht. Die Lage des Gleich- gewichts, insbesondere seine Abhängigkeit von der Konzentration ist nach dem Massenwirkungs- gesetz (vgl. Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. VI, S- 536; 1907) durch die Gleichung [CHg-CO.H] _ [CH3CO,,-].[H+]-'' gegeben, in der die eckigen Klammern die Mole- 632 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 40 > Säuregehalt (willkürlicher Mafistab) ■ > Säuregrad (rag-Ion H+ im Liter) p p .0 .0 i g S 5; 8 p P P p p p p c = p p p s s s p p P r- e g g g "i 1,20 1,16 LIO s 8 e 's "i S S T 1 1 ^ 1 ..1 1 1 1 1 1 1 1 1 i 1 1 1117 1 1 ' r 1 1 1 1 1 _ 1 1 ^ i ^ ^ k '\ •z * _ \y C 0. 3 a. _ \*^* 3 -, - ^ 00 _ T "'■•*. CL <»_ - \ ....'^ ^ 0 ^ >— l^^'" < n - : 0 J - r- ü^ - --v*^ öv - '*'•••■'-. \ s _ > 8 - B _ "^, S^ » - v 93: W S _ C 0 g _ •-•"■' V -i 3 ö S - '-•• \ 2. h) ?: S - \ 3 7: Eä - < \ E- -I £. J - S" p p- «S S - "''■■■■••-A dl <) 0 3 = 0 ig _ '■"■' II 5? = 0 s 5" S - ,/ ET ~J o. !? \ ••.' V.-..- CD '^ 3 CD E' CD > S ..■■——' - SS s - 1? 2 K' a-og 2> £ 0 Q. ^ ^ -•'\ f g ?^e. 3- -D K - Y" -■.•.■.:.- ä^ Jq n> H CO s* " *\ • ^ =•0 'S- = t? i s - 1 " N S'e 23 X y: CD 6 & _ ,. \ 1 3 £ & I l 5 2, 2 3 0 3 s "s s k : y> 0 0- § ct> 13 2" 3 "s - y s - ""•• 1 s — 'v.l s - \» "§ _ j^i s - •• \ £ - >l 8 - *■• X S - ''■a\^ 3 - > ",-' s _ s - ^^[T^TTts-^ s ■" • »... ••..Ä^.. .';.'."■■*•• ;ä _ o"\, a^ _ \ \ g" I / \ '*.. 9. •» s = \.. 7/^ -" ^^ s TTVr- kularkonzentrationen (Anzahl der Gramm- oder Milligrammmoleküle in der Raumeinheit der Lö- sung) der von ihnen eingeschlossenen Komplexe bedeuten und k' eine — nur noch von der Tem- peratur7abhängige — Konstante ist. Paul defi- niert nun den Säuregrad einer Flüssigkeit durch die — in Milligrammionen pro Liter— ausgedrückte Konzentration der Wasserstofifionen [H*] in der Lösung, d. h. durch die Gleichung wenn i/k' = k gesetzt wird. Die experimentelle Bestimmung der Konzen- N. F. XrV. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 633 [H+] tration der Wasserstoff ionen kann nun aber nicht etwa durch Titration mit einer Lauge erfolgen. Bei der Titration mit einer Lauge wird nämlich das vorhandene Wasserstoffion durch Vereinigung mit dem Hydroxylion zu Wasser H+ + OH-=H20 verbraucht und muß sich daher in dem Maße, wie es verbraucht wird, immer wieder neu bilden, indem nicht-dissoziierte Essigsäuremoleküle in ihre Ionen zerfallen, bis die Konzentration des Wasser- stoffions wieder den durch die Gleichung [CH3.CÖ,-] geforderten Wert erlangt hat, ein Vorgang, der sich so lange wiederholen muß, bis alle Essig- säure verbraucht ist. Die Titration lehrt uns also nicht die wirklich vorhandene Menge von Wasser- stoffionen kennen, sondern sagt uns, wieviel Wasser- stoffionen man durch Titration aus der fraglichen Lösung herausholen kann; sie gibt uns nicht die aktuelle Wasserstoffionenkonzentration , den „Säuregrad", sondern die potentielle Wasser- stoffionenmenge in der Lösung, den ,, titrierbaren Säuregehalt", an. Um die aktuelle Wasserstoff- ionenkonzentration einer Lösung, ihren Säuregrad, zu bestimmen, muß man Verfahren anwenden, durch die die Wasserstoffionen selbst nicht ver- braucht werden, ihre Konzentration also nicht ver- ändert wird. Verfahren dieser Art stehen dem Chemiker in verhältnismäßig großer Zahl zur Verfügung. So kann man die Konzentration der Wasserstoffionen auf elektrischem Wege — durch Bestimmung der elektromotorischen Kraft einer Wasserstoffkette — bestimmen, oder man kann die katalytischen Wirkungen der Wasserstoffionen bestimmen, indem man entweder die der Wasser- stoffionenkonzentration der Lösung proportionale Hydrolyse von Athylazetat oder die ihr ebenfalls proportionale Inversion von Rohrzucker verfolgt. Paul und Günther haben nun von 79 Weißweinen sowohl durch Katalyse den Säuregrad als auch durch Titration den Säuregehalt ermittelt und dabei , wie das in der Abbildung i wieder- gegebene Diagramm mit Sicherheit erkennen läßt, gefunden, daß bei den verschiedenen Weinen zwi- schen Säuregrad und Säuregehalt sehr erhebliche Unterschiede bestehen können; beide Größen sind keineswegs einander proportional , wenn auch im großen und ganzen ein höherer Säuregrad einem höheren Säuregehalt entspricht. Insbesondere hat die Untersuchung des weiter oben erwähnten Weißweines (Geisenheimer Fuchsberg) gezeigt, daß dem nach der Geschmacksprobe deutlich saureren Jahrgange 1909 trotz seines niedrigeren Säure- gehaltes doch der höhere Säuregrad — 0,56 mg- lon im Liter gegen 0,48 mg-Ion im Liter beim Jahrgang 1910 — zukommt. Geschmacksprobe und Säuregrad haben also zu dem gleichen, Ge- schmacksprobe und Säuregehalt zu verschiedenen Ergebnissen geführt. Die Erklärung für diese Verschiedenheit der Ergebnisse läßt sich leicht mit Hilfe der ange- gebenen Gleichung [CHa-CO^H] _ [CH3.C0rl-[H+] geben, wenn man berücksichtigt, daß in den Weinen außer den freien Säuren ja auch noch ihre Salze, so z. B. neben der Weinsäure noch Weinstein, vorhanden sind. Fügt man etwa zu einer Essigsäurelösung Natriumazetat hinzu, so er- höht man, da das Natriumazetat weitgehend und zwar erheblich stärker als die freie Essigsäure dissoziiert ist, die Konzentration des Essigsäure- ions CHg-CO.,", und infolgedessen muß, indem ein Teil der Essigsäureionen mit einem Teil der Wasserstoft'ionen zu nicht dissoziierter Essigsäure zusammentritt, bis das durch die Gleichung [CHa-CO^H] ^ [CH3.C0,-].[H+]- ' erforderte Gleichgewicht wieder hergestellt ist, ein Teil der Wasserstoffionen aus der Lösung ver- schwinden: Setzt man zu der verdünnten wässe- rigen Lösung einer Säure das Alkalisalz dieser selben Säure, so nimmt der Säuregrad der Lösung ab, während der durch die Titration zu ermittelnde Säuregehalt unverändert bleibt. Dies läßt die Tabelle i erkennen , die den Säuregrad von Gemischen von Essigsäure und essigsaurem Na- trium einerseits nach den Versuchen von Paul und Günther, andererseits nach der Berechnung Tabelle i. Säuregrad einer 0,5 proz. wässerigen Essigsäure- lösung bei Anwesenheit wechselnder Mengen von Natriumazetat. % NaCHj-COa Säuregrad in gefunden m j-Ionen pro Liter berechnet 0 1,04 1,07 0,004 0,83 0,87 0,008 0,68 0,70 0,0 1 6 0,50 0,49 0,033 0,28 0,28 0,08 0,13 0,12 0,16 0,08 0,06 0,23 0,06 0,04 0,68 0,02 0,02 mit Hilfe des Massenwirkungsgesetzes angibt; das Zusammenfallen des gefundenen mit dem berech- neten Säuregrad beweist die Richtigkeit der Theorie. Ja es kann sogar, wenn man den Säure- gehalt einer Säurelösung durch Zi;satz eines sauren Salzes erhöht, die Säurezahl gleichzeitig zurück- gehen , weil sich bei sauren Salzen zwar das Metallion durch Dissoziation von dem Molekül zu trennen pflegt, das Wasserstoffion aber fast vollständig undissoziiert beim Säurerest bleibt. So 634 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 40 ist z. B. das saure weinsaure Natrium fast aus- schließlich nach der Gleichung NaH-QH^Oß ^=>: Na+ + H-QH^Oß- dissoziiert, während die Dissoziation des sauren Restes H.QH.Oe- :^ H++C,H,Oe-- nur in sehr geringem Grade stattfindet. Durch diese Tatsache findet die dem Praktiker sehr merkwürdig erscheinende Beobachtung ihre Deu- tung, daß der saure Geschmack eines Weines stärker wird, wenn sich der doch an sich „saure" Weinstein KHCjO^H^ abscheidet. In der Tat fanden Paul und Gü nth e r auch, daß die Säure- zahl eines Weines abnimmt, wenn man seinen titrimetrischen Säuregehalt durch Auflösung von Weinstein erhöht. Tabelle 2. Die unverhältnismäßig geringe Abnahme des Säuregrades einer essigsauren Natriumazetatlösung bei der Verdünnung. Essigsäure 7o Natriumazetat 7o Säuregrad in rag-Ionen pro Liter gefunden berechnet 0,6 0,082 0,16 0,15 0,06 0,0082 0,11 0,13 0,006 0,00082 0,054 0,078 die mit Natriumazetat versetzt ist, und in Ab- bildung 2 ist der Säuregrad eines Geisenheimer r.2 „„ •in ist außerdem der experimentelJ nie litrimetrisf-'he Säuregehall 100 »S 90 85 IM 55 50 4.S 40 Prozentgehalt des Gemische itof fionen - Konzemration ) :ö 30 25 30 15 10 5 Wein • Titrimetrischer Säuregehalt Schließlich sei noch auf eine eigentümliche Erscheinung hingewiesen, die, von dem Massen- wirkungsgesetz verlangt, sich in gleicher Weise bei salzhaltigen Lösungen verdünnter Säuren wie bei Weinen findet: Bei Verdünnung .der Lösung bzw. des Weines mit Wasser nimmt der Säure- grad anfangs nur sehr langsam ab , während der titrierbare Säuregehalt streng proportional der Verdünnung abnimmt. Tabelle 2 zeigt die Er- scheinung am Beispiel einer wässerigen Essigsäure, Weißweines vom Jahre 1902 und sein titrierbarer Säuregehalt bei verschiedener Verdünnung mit Wasser als Funktion der Verdünnung dargestellt. Man kann also nicht darauf rechnen, daß der saure Geschmack eines Weines durch Zusatz von Wasser erheblich nachläßt, ja der Säuregrad kann sogar, wie das Beispiel des ebenfalls in das Diagramm aufgenommenen Rüdesheimer und Sennheimer Weines zeigt, selbst bei starker Verdünnung mit Wasser unverändert bleiben. Mg. Einzelberichte. Physik. Mit dem Ausschalten starker Ströme mit kleinem Kontaktwege beschäftigt sich eine kurze, aber inhaltsreiche Arbeit vonW. Burstyn in den Berichten der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, Jahrgang 17, Seite 173 — 178 (1915). Der Verf. beschränkt sich in seinen Untersuchun- gen auf Stromkreise, die nur mit Widerstand und nicht mit Selbstinduktion belastet sind. Bis zu einer Spannung von 35 Volt lassen sich bei Anwendung von Platinelektroden (bei solchen aus anderem Material liegen die Verhältnisse ähn- lich) Ströme von jeder Stromstärke (selbst 100 A.) mit dem kleinsten Luftwege fast ohne l'unken ausschalten. Die Erklärung ist die, daß sich N. F. XIV. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 635 unterhalb 35 Volt zwischen Platinelektroden kein Lichtbogen bilden kann. Geht man über die Lichtbogenspannung hinaus, so werden die Ströme, welche sich noch mit sehr kleinem Luftwege, also ohne Bildung eines Lichtbogens, öffnen lassen, immer kleiner. Ein elektrischer Lichtbogen kann nur bestehen, wenn der Kathodenfußpunkt glühend ist, da bei mäßigen Spannungen nur aus glühen- den Metallen Elektronen entweichen können. Der Lichtbogen selber heizt die Kathode. Setzt der Strom einen Augenblick aus, so kühlt die Kathode so stark ab, daß der Lichtbogen bei erneutem Einsetzen des Stromes nicht wieder zündet. Wie schnell diese Abkühlung erfolgt, hängt vor allem von dem Wärmeleitvermögen der Elektroden ab. Bei Metallelektroden zählt die erforderliche Ab- kühlungszeit nur nach milliontel Sekunden (bei den größten Scheinwerferbogenlampen bis zu einer Sekunde). Es sind hier dieselben Gesichtspunkte maßgebend, die auch für die Wirksamkeit der in der drahtlosen Telegraphie verwendeten Lösch- funkenstrecken ausschlaggebend sind. Einen Wechselstrom von 220 Volt u. 30 Amp. kann man fast funkenlos unterbrechen, wenn man die beiden Kupferelektroden langsam vonein- ander entfernt. Zieht man sie dagegen schnell auseinander, so wird man nur zufällig das Strom- minimum oder eine unter der Lichtbogenspannung liegende Spannung treffen und fast immer einen langen kräftigen Lichtbogen erhalten. Ein Schalter mit schwach konvexen Silberelektroden (guter Wärmeleiter) gestattet bei langsamer Öff- nung die Unterbrechung eines Wechselstromes von 500 Volt und über 150 A., ohne daß mehr als ein kleines Fünkchen entsteht. Das Unterbrechen eines Gleichstromes gelingt fast funkenlos, wenn man ihm in geeigneter Weise einen Wechselstrom überlagert, wie es z. B. beim Funkeninduktor durch den Fi z e au 'sehen Kondensator geschieht. Seine Wirkungsweise wurde bisher so erklärt, daß er als Nebenschluß den Strom so lange ver- schluckt, bis der Unterbrecher hinreichend ge- öft'net ist. Der Verf. erklärt seine Wirksamkeit auf folgende Weise : Beim Offnen bildet sich zu- nächst ein kurzer Lichtbogen , der nach Art der Foulsenlampe Schwingungen in dem parallelen Kondensatorkreis hervorruft. Diese erreichen bald eine solche Stromstärke, daß der Gleichstrom auf o oder doch unter die Lichtbogenspannung herabgedrückt und der Lichtbogen zum Erlöschen gebracht wird. Versuche zeigen, daß es für die Löschwirkung eines Kondensators eine bestimmte günstige Frequenz gibt. Dieser Tatsache trägt man ja bei größeren Induktoren dadurch Rech- nung, daß zu verschiedenen Primärspulen Konden- satoren von verschiedener Kapazität angebracht sind. Der Verf. schildert dann noch einen seiner auf diesem Prinzip beruhenden Schalter (D.R.P. Nr. 260903, 268889 und 269254), durch den man durch einen Hub von ^/., mm Ströme bis zu 50 Amp. lichtbogenlos ausschalten kann. Der Kondensator lädt sich, wenn der Strom in der Nutzleitung fließt, bis zur Spannung des Gleich- stromnetzes auf. Der Schalter ist nun so einge- richtet, daß, wenn er geöffnet wird, der Konden- sator sich durch den an der Unterbrechungsstelle gebildeten Lichtbogen in Form einer schnellen Schwingung entlädt, deren erste Halbwelle der Richtung des Hauptstroms entgegen gerichtet ist und den Lichtbogen zum Erlöschen bringt. K. Schutt, Hamburg. Zoologie. Das Springen der Schnellkäfer (Ela- teriden) wird durch einen einfachen Apparat er- möglicht, der nach seinem Bau im groben seit langem bekannt ist. Im wesentlichen besteht er aus einem an der Bauchseite des ersten Brustringes befindlichen Dorn, der in eine Grube des zweiten Brustringes einschnappt. Über die Art aber, wie das Springen vor sich geht, sind die Meinungen geteilt. Landois (1874, Tierstimmen) glaubte, daß der Käfer in der Rückenlage sich so nach der Bauchseite krümmt, daß der vorher frei ab- stehende Dorn in die Grube schießt, wobei der Rücken des Thorax so kräftig gegen die Unter- lage stößt, daß der ganze Körper emporgeschnellt wird. R. Hesse (1910, Tierbau und Tierleben) erklärte den Vorgang so, daß durch das Hinein- fahren des Dornes in die Grube der konkav ge- krümmte Rücken konvex vorspringt und gegen die LTnt erläge stößt. Durch den Rückstoß wird der Käfer in die Höhe geschleudert. Da der Stoß aber nicht im Schwerpunkt angreift, sondern vor ihm, so wird das Tier in der Luft um die durch den Schwerpunkt gehende .^chse gedreht und kommt mit der Bauchseite nach unten herab. Eine andere Anschauung hat Thilo (Biolo- gisches Centralblatt 1914) mitgeteilt. Der Sprung- käfer wird ähnlich wie das Klippholz der Kinder dadurch in die Höhe geschleudert, daß auf sein Vorderende ein Schlag ausgeführt wird. (Siehe das Referat der Untersuchung in der Naturw. Wochenschrift 1914, Seite 2S0.) Den Schlag bringt der in die Grube hineingeschnellte Dorn hervor. Diese Erklärungsversuche sind nach der neuen Untersuchung Prochnow's ungenügend. (Das Springen der Schnellkäfer physikalisch betrachtet, Biolog. Centralblatt 191 5.) Procii now hat nicht nur das Sprungorgan in seinen anatomischen Einzelheiten studiert, sondern auch Experimente gemacht und neue physikalische Prinzipien zur Erklärung herangezogen. Der feinere Bau des Sprungapparates geht aus den 3 Abbildungen hervor. Der Dorn (Figur 3 D) erscheint von der Bauchseite aus schwach konvex gekrümmt und ist in der Mitte durch einen Höcker verdickt. Die Untenseite ist nach dem Kopf zu mehr oder weniger deutlich gekielt. Die Grube besitzt eine ovale Öffnung und ist vorn am tiefsten. Der Vorderrand springt etwas vor und zeigt in der Mitte einen Ausschnitt, in den der Kiel der Unterseite des Dornes hinein- paßt, der bei der Bewegung auf einer wenig ge- krümmten Gleitbahn in die Tiefe fährt. 636 Naturwissenschaftliche Woch enschrift. N. F. XIV. Nr. 40 Wie die Figur 3 zeigt, sind Pro- und Meso- thorax ziemlich tief voneinander getrennt und infolgedessen liegt auch der Drehpunkt des Ge- lenkes nahe an der Medianlinie. Zum Gelenk gehören auch die in Plgur 2 sichtbaren mehr oder weniger deutlich entwickelten Fortsätze des Prothorax, die zum Teil in Gelenkfurchen am Vorderrand des Mesothorax passen. Unter ihnen ist besonders wichtig die mit v bezeichnete P'a- zette rechts und links von der Medianebene, der am Mesothorax eine Grube g entspricht, die P r o c h n o w als Bremsgrube bezeichnet. Ist der mediane Dorn in die Grube geschnellt, so greifen auch die Vorsprünge in die Bremsgruben ein. Fig. I. Schattenriß eines zum Absprung bereiten Schnellliäfers (.Mhous rufus Degeer). Der Wulst des Domes ist gegen den Rand der Grube geprelSt ; das Pronotum berührt die Unler- stützungsfläche nicht. Vergr. 4:1. (Nach Prochnow.) Fig. 2. Vorderer Teil eines Schnellkäfers (Athous rufus Degeer), von unten gesehen. D Dorn, G Grube, v Vorsprung am Hinterrande des Prosternum, g Bremsgrube zur Aufnahme des Vorsprungs v, h hinterer seitlicher Vorsprung des llinterrandes des Prosternum, f Gelenkfurche zur Aufnahme des Vorsprunges h. Vergr. 5:1. (Nach Prochnow.) FiS- 3- Vorderer Teil eines Schnellkäfers (Athous rufus Degeer), von der Seite gesehen. Vergr. 7:1. (Nach Prochnow.) Prochnow ließ den Schnellkäfer von Unter- lagen verschiedener Elastizität abspringen. Es ergab sich, daß die Sprungleistungen um so besser sind, je weniger die Unterlage nachgibt und je besser sie federt. Wenn der Käfer abspringt, be- rührt er die Unterlage im allgemeinen nicht mit dem Pronotum (Fig. i), wie sich an einer be- rußten Glasplatte feststellen läßt. .außerdem kann der Käfer sich auch dann in die Höhe schnellen, wenn er so auf eine Glasplatte gelegt wird, daß nur die Elytren aufliegen, während Kopf und erster Brustring frei über die Kante liinausragen. Nach welcher Richtung der Käfer sich über- schlägt, ist wegen der Schnelligkeit der Bewegung unter gewöhnlichen Verhältnissen schwer zu sagen. Erfolgt dagegen der Sprung auf feinem trock- nen Sand, so kann sich der Käfer nur wenig er- heben und die Bewegung ist in den meisten Fällen nichts anderes als eine Drehung um die Hinter- leibsspitze aus der Rückenlage in die Bauchlage. Wenn der Käfer sich zum Emporschnellen an- schickt, bewegt er den Prothorax auf und ab, bis der Wulst des Dornes an den Rand der Grube stößt (Fig. i). Beide werden fest zusammen- gepreßt und nach Einsetzen der vollen Muskel- kraft schnellt mit einem Ruck der Wulst über den Rand iu die Grube, wobei ein knipsendes Geräusch entsteht. Die rapide Bewegung erfährt aber plötzlich eine Hemmung, sobald die Vor- sprünge am Vorderrand des Prosternum an die Bremsgruben schlagen. Dabei wird der Käfer in die Höhe geworfen. Drei Ursachen können diese Sprungbewegung auslösen : 1. Der Selbstrückstoß durch Abbremsen der Prothoraxbewegung, der eine Drehung um die Hinterleibsspitze herbeiführt. 2. Die Stoßwirkung des Abbremsens der Prothoraxbewegung, wodurch der Käfer wie ein Wurfhebel um den Unterstützungspunkt, also über den Kopf gedreht wird. (Auffallen kopf- wärts.) 3. Die elastische Gegenkraft des Chitins und der Unterlage. Wie aus den Versuchen hervorgeht, ist die letzte der Kräfte stets auf fester Unterlage wirk- sam, doch kann sie keine ausschlaggebende Rolle spielen. Die Stoßwirkung, die Thilo zur Er- klärung herangezogen hat, wirkt dem Selbstrück- stoß entgegen. Wäre sie stark, so müßte der Käfer auch auf nachgiebiger Unterlage mehr oder weniger senkrecht in die Höhe springen oder auf der Stelle liegen bleiben, indem sich die beiden entgegengesetzten Drehkräfte das Gleichgewicht halten. Die weiche Unterlage gibt aber dem Drucke nach und die Wurfhebelbewegung kommt nicht zur Geltung; so bleibt dann nur als allein wirksam die Drehung des Selbstrückstoßes übrig. Die Wirkung dieser Kraft läßt sich am besten einem Beispiel erläutern. „Hebt man auf einem Stuhle sitzend die .'\rme gleichmäßig beschleunigt hoch, und hält sie dann möglichst kräftig an, so wird man an der Druckminderung auf das Gesäß merken, daß dieses Bremsen der Bewegung eines Körperteiles den ganzen Körper (durch Selbst- rückstoß) nach oben treibt." Prochnow führt eine Anzahl solcher Beispiele an und setzt sie in Gegensatz zur anderen Art von Eigenbewegung, mit der sich Tiere und Maschinen vorwärtsbringen, zur Bewegung durch Abstoßen vom umgebenden Medium. Der Schnellkäfer schleudert sich ledig- lich durch Selbstrückstoß in die Höhe infolge der Hemmung der Drehbewegung des Prothorax. Daß diese Art von Vorwärtsbewegung die maß- N. F. XIV. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 637 gebende ist, geht aus den Experimenten hervor, nach denen die Drehung des Körpers um das Hinterleibsende erfolgt. Fällt nach dem Empor- schnellen der Körper in der Richtung des Kopfes auf, so dürfte dies dadurch bedingt sein, daß die sich auf der Unterstützungsfläche abrollenden Ely- tren auf den Körper abstoßend einwirken. Dr. Stellwaag. Entstehen auch aus befruchteten Eiern Drohnen? In den beiden letzten Nummern des 24. Bandes des biolog. Zentralblattes hat O. Dickel seine Ansichten über die Geschlrchts- bestimmungsfrage bei den Hymenopteren, insbe- sondere bei der Honigbiene veröffentlicht (siehe Naturw. Wochenschrift Nr. 17, 191 5). Dagegen wendet sich im biologischen Zentralblatt 191 5 Nachts heim, um vom exakten wissenschaft- lichen Standpunkt aus die Dickel' sehe Lehre einer scharfen Kritik zu unterziehen (siehe auch Naturw. Wochenschrift Nr. 29, 1915). „Wieder einmal wird der Versuch gemacht, die Dzier- z o n ' sehe Theorie zu stürzen .... Wenn ich auch nicht glaube, daß ein wirklicher Kenner der Bio- logie der Hymenopteren und speziell der Honig- biene sich infolge der Dickel' sehen Ausführungen veranlaßt sehen wird, seine Ansichten über die D zier zon' sehe Lehre einer Revision zu unter- ziehen, so wird doch manch einer, da Dickel kein schlechter Anwalt seiner Sache ist, sagen : Die Fortpflanzungsverhältnisse bei der Honigbiene — wie bei den Hymenopteren überhaupt — scheinen doch trotz der zahlreichen Untersuchungen und trotz der jahrzehntelangen Diskussionen noch keineswegs geklärt zu sein." In der Hauptsache handelt es sich um die Sekrettheorie O. Dickel's, die besagt, daß Drohnen sich nicht ausschließlich aus unbefruchteten Eiern entwickeln, denn zu gewisser Jahreszeit und unter gewissen physiologischen Stockumständen nehmen auch Drohnen ihre Entstehung aus be- fruchteten Eiern. Jedes befruchtete Ei ist sexuell indifferent. Es können aus ihm sowohl Arbeite- rinnen und Königinnen wie Drohnen herangezogen werden. Nicht die Befruchtung bestimmt das Geschlecht, sondern die Arbeiterinnen, die den „inter mediären Formen" ein bestimmt differenziertes Futter zukommen lassen. Nun wird allerdings auch von den Anhängern der D z i e r z o n ' sehen Lehre nicht bestritten, daß befruchtete Eier Drohnen liefern können. Allein es würde sich dabei stets um ganz vereinzelte' pathologische Ausnahmefälle handeln, indem von den beiden Chromosomen- sortimenten des befruchteten Eies (die ein Weibchen ergeben würden) aus irgendwelchen Gründen ein- mal die vom Spermakern stammenden Cli romosomen ihre normale Funktion nicht auszuüben vermögen. Dann würde der Embryo zwar beide Chromosomen- sortimente, aber nur ein einziges aktives besitzen, und müßte sich zu einem Männchen entwickeln. Es braucht aber nicht einmal das eine Sortiment im ganzen funktionsunfähig zu sein, schon ein Defekt der Träger der Erbfaktoren würde das gleiche Resultat ergeben. Andererseits könnte auch aus einem unbefruchteten Ei ein Weibchen entstehen, wenn die Reduktionsteilung unterbleiben würde, wie bei den Weibchen der Blatt- und Gallwespen, die sich aus unbefruchteten Eiern entwickeln. Bei all diesen theoretisch denkbaren Fällen wird aber die Entwicklungsrichtung durch- aus nicht nachträglich durch äußere Einflüsse be- stimmt. Für seine Theorie bringt Dickel eine Reihe von Beweisen, die sich in verschiedene Gruppen teilen lassen. Es sind schon Fälle beobachtet worden, daß entgegen der Regel aus Arbeiterzellen Drohnen ausgeschlüpft sind, namentlich bei jungen, frisch begatteten Königinnen, die dann erst all- mählich zur normalen Eiablage übergehen. Ent- weder liegt dies an einem vorübergehenden Defekt an der Muskulatur des Samenganges oder an einer ,, Instinktsirrung", wie sie im Bienenstaat jeweils vorkommen. Andererseits kann es vorkommen, daß bei der Eiablage wohl die Samenpumpe in Tätigkeit tritt, daß aber die Spermatozoen die Mykrop)'le des Eies nicht erreichen oder gar nicht bis in den Eileiter gelangen. Das ist besonders bei älteren Königinnen gar nicht selten, wo der Spermavorrat zu Ende geht. Unter gewissen Um- ständen findet sich aber regelmäßig Arbeiterbrut auf Drohnenbau. Im Herbst erlischt der Trieb, Drohnen zu erzeugen. Hängt man nun Drohnen- bau in die Beute, so legt die Königin nach einigem Zögern befruchtete Eier in die Drohnenzellen ab. Umgekehrt wird im Frühjahr der Trieb, Drohnen zu erzeugen immer mächtiger, und man kann die Königin veranlassen die Arbeiterzellen mit unbe- fruchteten Eiern zu beschicken, wenn man sorg- fältig allen Drohnenbau entfernt. Das Vorkommen von Drohnen in Arbeiterzellen erklärt sich also ganz natürlich. Dickel aber sieht darin Beweise für seine Theorie und stützt sich besonders auf das Experiment des Lehrers der Bienenzucht M e y e r in Gadernheim. Es stimmt mit dem eben erwähnten überein. Daß es keinen Beweis für Dickel erbringt, braucht nicht besonders fest- gestellt zu werden. So verhält es sich aber mit allen Beobachtungen von Bienenzüchtern, die Dickel verwertet hat. Sie müssen bei dem herrschenden „Spekulationswahnsinn" der Imker als wissenschaftlich nicht einwandfrei abgelehnt werden, um so mehr als seit dem Jahre 19OO, wo der Vater Dickel's sie verwertet, immer wieder darauf aufmerksam gemacht wurde, daß diese Beweise keine Beweise sind, daß in den Experimenten die oft sehr zahlreichen Fehlerquellen gar nicht oder nicht genügend berücksichtigt wurden. Dick el aber läßt sich nicht überzeugen. Die Erklärung, der Geschlechtsapparat der Königin könne einen vorübergehenden Defekt aufweisen, ist nach ihm weder anatomisch noch biologisch haltbar. Die Eier in Drohnenzellen sind befruchtet gewesen. Wenn nun trotzdem die auf Arbeiterbau abgelegten befruchteten Eier der jung begatteten 638 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 40 Königin Drohnen liefern, so liegt dies zwar nicht an dem Futter, daß von den Arbeiterinnen ge- geben wird, sondern an der „Überreife", und „Fier im Zustande der Ovarialüberreife zeigen bei den Bienen die Tendenz, sich zu Männchen zu ent- wickeln". Nach D i c k e 1 entstehen also Männchen I. aus unbefruchteten Eiern, 2. aus allen befruchteten überreifen Eiern, 3. aus jeder beliebigen Bienen- larve, die mit bestimmtem h'utter ernährt wird. Um die Annahme, daß die Arbeiterinnen aus Arbeiterlarven Drohnen erziehen können, zu be- weisen, führt Dickel eine Reihe anderer Beobach- tungen an, von denen allein die von Bresslau diskutabel ist, der eine Zeit lang für Dickel sen. eingetreten ist. In einem künstlich weisellos ge- machten Volk wurden 10 Tage darnach neben 5 Weiselzellen 6 Drohnenzellen beobachtet, zu denen später noch andere kamen, während die Königin mit dem anderen Teil des Volkes keine Drohnen erzeugte. Bresslau spricht aber selbst seinem Befunde keine entscheidende Bedeutung zu. ,, Trotz wiederholter mehrjähriger Versuche ist es mir nicht gelungen, den Versuch noch einmal mit ähnlichem Ergebnis zu wiederholen. Ich bin daher nicht in der Lage, nach dem nur einmaligen positiven Ausfall dieses Versuches . . . . Dickel's Deutung dieser Experimente ohne weiteres akzep- tieren zu können. Denn bei der Singularität dieses Ergebnisses sind auch noch eine Anzahl anderer Erklärungsmöglichkeiten denkbar und jedenfalls nicht auszuschließen." Eine solche Er- klärungsmöglichkeit führt Nacht sheim an: Die Königin legten befruchtete und unbefruchtete Eier in Arbeiterzellen. Im weisellosen Volk wurden die Drohnen aufgezogen, im anderen aber immer wieder entfernt, da kein Trieb vorhanden war, die Drohnen aufzuziehen. Daß die Drohnenlarven wie die ausgewachsenen Drohnen zu gewissen Zeiten im Bienenstock nicht geduldet werden, ist eine bekannte Tatsache. Dickel bringt ferner einige Beispiele, daß in weisellos gewordenen Völkern bisweilen in nach- träglich zu Drohnenzellen umgebauten Arbeite- rinnenzellen Drohnen entstehen, verschweigt aber, daß in weisellosen Völkern mit reiner Arbeiter- brut die Arbeiterinnen vergebliche Versuche machen, Drohnen zu erziehen. Das Sekret der Arbeite- rinnen bleibt also hier vollkommen wirkungslos. Es gibt auch Königinnen, die unfähig sind, Drohnen- eier zu liefern, so daß in allen Drohnenzellen sich Arbeiterbrut entwickelt. Ein solcher Fall ist in der Literatur bekannt, aber von Dickel un- erwähnt geblieben, weil er mit seiner Sekrettheorie nicht in Einklang zu bringen ist. Es ist aber ganz überflüssig, auf die Umwandlungstheorie Dickel's weiter einzugehen, seit Petr u nke w itsc h nach- gewiesen hat, daß sich das Geschlecht eines Bienen- embryos schon vor dem Ausschlüpfen deutlich als männlich oder weiblich zu erkennen gibt, und seit Zander (siehe Naturw. Wochenschrift Nr. 29, 191 5) festgestellt hat, daß auch im jüngsten Stadium des postembryonalen Zustandes über das Geschlecht der Larve kein Zweifel bestehen kann. Auf diese Ergebnisse geht Dickel auch nicht ein und hält nach wie vor die Behauptung aufrecht, daß die Bienenlarven intermediäre Formen seien. Ähnlich steht es mit den Übertragungsexperi- menten. Sie wurden im Juli angestellt, also „zu einer Zeit, zu der normalerweise Drohnen nicht mehr entstehen." Nachts heim bemerkt sehr richtig, wenn der Drohnentrieb erloschen war, so bestiftet die Königin die Drohnenzellen überhaupt nicht oder nur dann, wenn andere Zellen nicht zur Verfügung stehen, oder wenn man eine Drohnen- wabe in das Brutnest hängt, da leere Waben dort nicht geduldet werden. Die Eier, die Dickel zu seinen Experimenten benutzte, waren also Arbeiterinneneier. Neben den Übertragungsexperimenten führt Dickel einige Kreuzungsexperimente als Beweise an. Nachtsheim hat sie früher schon ad ab- surdum geführt und weist nun Dickel bei der Verwertung der Ansichten seines Gewährsmannes C u e n o t grobe Ungenauigkeit und falsche Inter- pretion nach. Auch die Anschauungen von der „Überreife der Eier" hält der wissenschaftlichen Kritik nicht stand. Es kann bei der Königin von einer Über- reife der Eier deswegen nicht gesprochen werden, weil die Ovarien bei der unbegatteten Königin noch nicht völlig ausgebildet sind, indem von den Eizellen die Nährzellen nur wenig an Größe übertroffen werden. Erst die Begattung bildet den Anreiz zur Weiterentwicklung. Der Fall, den Dickel als Beweis anführt, eine Beobachtung Huber 's aus dem Jahre 18 14 bietet slso keine Stütze für seine Theorie. Damit entbehrt die Idee, daß Zwitterbienen aus überreifen Eiern sich ent- wickeln sollen, der Grundlage und es erübrigt sich, Dickel's Ideen weiter einer Kritik zu unterziehen. Am Schlüsse seiner Kritik kommt Nachts- heim zu folgenden Resultaten : Die Ausführungen 'Otto Dickel's sind nicht geeignet, die Richtig- keit der Dzierzon' sehen Lehre auch nur irgend- wie in Zweifel zu ziehen. Es wird auch von den Anhängern der Dzierzon' sehen Lehre die Möglichkeit einer gelegentlichen Entstehung von Drohnen aus befruchteten Eiern zugegeben, aber es liegt bisher kein wissenschaftlicher Beweis für eine solche Entstehung einer Drohne vor, ge- schweige denn dafür, daß zu gewissen Jahreszeiten Drohnen recht häufig aus befruchteten Eiern sich entwickeln. Dickel's Behauptung, daß die Arbeiterlarvcn intermediäre Formen darstellen, ist nicht einmal mehr diskutabel. Auch die übrigen Behauptungen sind nicht mehr als zum Teil sehr kühne Spekulationen, denen jegliche exakte Grund- lage fehlt. Dr. Stellwaag. Geologie. Die Nomenklatur in der Erdölwissen- schaft wird von H. vonHöfer in der Zeitschrift „Petroleum" ') einer kritischen Besprechung unter- ') 10. Jahrg., Nr. 11, S. 40I [1915]. N. F. XIV. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 639 zogen. Man sollte als Erdöl ausschließlich das rohe Naturprodukt bezeichnen, während der Name Petroleum nur auf das bei 150 bis 300" ge- wonnene Destillat anzuwenden ist. Spricht man z. B. von der Petroleumproduktion eines Landes, so ist man sich heute oft im unklaren darüber, ob die Produktion von Erdöl oder von Erdöldestillat gemeint ist. Statt Petroleum- industrie und Petroleum Wirtschaft sagt man besser Erdölindustrie und Er döl Wirt- schaft, da das Erdöl in beiden Fällen die Grund läge bildet, und das I^etroleum nur eines der daraus gewonnenen Produkte (und nicht einmal immer das wichtigste) ist. Der im Geschäftsleben viel gebrauchte Ausdruck Rohöl (für Erdöl) ist nicht zu billigen, da auch viele andere Öle der Industrie „Rohöle" sein können. ^) Die der Erde in Erdölgebieten entströmenden oder zum Erdöl in nahen chemischen Beziehungen stehenden Gase werden Erdgase genannt (nicht ,, Naturgase", da in der Natur ja noch viele andere Gase vor- kommen). Naphtha (nicht: Naphta) ist die slavische Bezeichnung für Erdöl; in Nordamerika versteht man darunter auch die leichten Erdöl- destillate (z. B. Benzin). In der deutschen Literatur hat die Bezeichnung „Naphtha" keine Berechtigung. Kerosen ist eine amerikanische Bezeichnung für Petroleum , die wir ebenfalls entbehren können. Die neuerdings geprägte Verdeutschung „L e u c h t ■ öl" für Petroleum hält v. Höfer nicht für glück- lich gewählt, da der Ausdruck zu allgemein ist und eigentlich auf die verschiedensten vegetabili- schen und mineralischen Öle bezogen werden kann. Als Ersatz für Fontäne (neuerdings bürgert sich hierfür auch der Ausdruck ,,gusher" immer mehr ein) empfiehlt v. Ilöfer die kurze Bezeichnung ,,Springer". Dr. ß. Botanik. Die gelben Reiskörner. In den Laboratorien des Botanischen Gartens in Buiten- zorg (auf Java) wurde über die Ursache der gelben Körner im Reis eine Untersuchung angestellt, die allgemeinere Beachtung verdient. Der Botaniker van der Wölk hat sich derselben unterzogen und berichtet darüber in der Dezembernummer der Zeitschrift „Cultura", die im Haag erscheint.-) Die gelben Körner im Reis sind ein Gegenstand ständigen Verdrusses für den Handel mit java- nischem Reis. Die Ware wird durch das Darin- vorkommen von solchen Körnern stark entwertet, und dabei ist der Umstand besonders lästig, daß die unliebsamen Bestandteile in der frischen Ernte nicht vorkommen und sich erst langsam in der lagernden P'rucht bilden, und weiter, daß das Auftreten des Übels (auch in sehr geringem Grade) oft Veranlassung gibt, zu willkürlichem Weigern einer Partei, deren wirklicher Wert noch gar nicht merklich vermindert ist, sowie zu allerlei Täu- schungsversuchen. Van der Wölk hat als Ursache der Erschei- nung einen Schimmelpilz dingfest gemacht, der den Namen erhielt: Protascus coloraiis, und von dem Abbildungen gegeben werden. Aber dieser Pilz, der in dem Reiskorne und namentlich in dem Keime desselben wuchert, veranlaßt die Gelbfärbung nicht unter allen Umständen, son- dern allein, wenn der Samen zum langsamen Ab- sterben gebracht wird, sei es durch die Tem- peraturerhöhung, die feuchter Reis durch eine Art von Fermentation häufig erleidet — daher daß diese früher für die eigentliche Ursache der Erscheinung gehalten wurde — sei es auch durch Austrocknung und vielleicht auch durch andere Umstände. Diese Komplikation hat natürlich die Aufklärung der Sachlage erschwert. ; Leider beschließt van der Wölk seinen Artikel mit einer etwas langgedehnten geistreich- spitzfindigen Atmungstheorie, die aus dem bota- nischen Institut in Petersburg stammt und halb übernommen, halb bestritten wird, während ganz entscheidende Versuche über die Bekämpfung der Erscheinung der Reiskrankheit noch nicht vorzuliegen scheinen. Schnelles Abtöten des Pilzes, der nur beim langsamen Absterben (daher die Beziehungen zu jenen auf der Mitwirkung von Chromogenen beruhenden Atmungstheorien) die gelben Körner erzeugt, wird natürlich angeraten. Aber das Ausbreiten und Umschaufeln des Ge- treides an der Sonne scheint nur ein leicht anzu- wendendes aber kein ganz entscheidendes Mittel zu diesem Zwecke zu sein. Im übrigen enthält die Abhandlung noch viele interessante Besonderheiten über Farbenverände- rungen in der Pflanzenwelt und ist schon aus diesem Grunde lesenswert. A. M. ') Auch die aus dem Amerikanischen stammenden Aus- drücke Ulf eider, Ölbezirk sollte man vermeiden und durch Erdölfelder usw. ersetzen. — D. Ref. ^) .\uch im Mykologischen Centralblatt Bd. III ist eine Abhandlung des Autors über den gleichen Gegenstand zu finden. Wetter-Monatsübersiclit. Innerhalb des vergangenen August wechselte das Wetter mehrmals seinen Charakter, jedoch herrschte trübe und außer- ordentlich regnerische Witterung in Deutschland bei weitem vor. Stärkere Hitze gab es fast nur am Anfang und kurz vor Ende des Monats. Am i. August stieg das Tliermometer in Remscheid, am 11. in Mülhausen i. E. bis auf 30, am 2S. in Trier, Mülhausen, Halle und Magdeburg, am 29. in Königs- berg in Pr. bis auf 29" C. Dazwischen aber war es für die Jahreszeit oft sehr kühl. Vom 17. bis 23. August blieben selbst die Mittagstemperaturen in den meisten Gegenden unter 20, mehrmals erreichten sie an einzelnen Orten nicht einmal 15" C. Nachdem dann noch einmal warmes Sommerwetter zurückgekehrt war, erfolgte in den letzten Tagen des August ein allgemeiner jäher tJmschlag in sehr rauhe herbstliche Witterung. Die mittleren Monatstemperaturen blieben östlich der Elbe und im Süden durchschnittlich nur um einen, in Nord- westdeutschland um I '/a Grad hinter ihren normalen Werten 640 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XJV. Nr. 40 zurück. Ebenso fehlte es überall nicht unbedeutend an Sonnenschein. In Berlin z. B. hat die Sonne im ganzen an nicht mehr als 151 Stunden geschienen, während hier in den früheren Augustmonaten durchschnittlich 216 Sonncnsciiein- stunden verzeichnet worden sind. Sßifffcrc '^zmvitraiuvin ciniacr ©rfe im J\uQ.ußl Mo. 1 «„,„,t s. II. 18. • 21. ie: 3'- I I I I I I I I I I I I I I I I ! I I 1 L.L_L-I Berliner Wetterbureau. t^i6izrßs^aa,0^i^zn im 5lu^u^f 1915. .^1 ß4 J^ /lAiftlerep Werf Für Peurschbnd. S^CTL^LhcDS I l.bisZ2.Aug. d 1 201 — ' — I — I — I 23. bis 28. August. -U I 11 I M IM- 0 1 ■29.-31.Augush {(lonafssummeim Aug. 1915. W. 13. 12. 11. 10. I — L Z Desto häufiger und reichlicher waren in allen I.andes- teilen die Niederschläge, die in unserer zweiten Zeichnung ver- anschaulicht sind. Nachdem zu Beginn des Monats im oberen Rheingebiete Gewitter eingetreten waren, die sich mit mehr oder weniger ergiebigen Regenfällen rasch auf den größten Teil von West- , Süd- und Mitteldeutschland ausdehnten, gingen in den folgenden Tagen besonders in weiter Um- gebung der Oder lange anhaltende wolkenbruchartige Regengüsse hernieder ; so fielen z. B. vom 2. bis 3. früh in Meseritz 44, vom 3. bis 4. in Oppeln nicht weniger als 115, vom 3. bis 5. in Beuthen 92, in Breslau 91 mm Regen. Da sich ähnlich große Wassermassen auch über Galizien, Österreichisch Schlesien und Böhmen ergossen, so trat im oberen Odergebtet ein außerordentlich starkes Hochwasser ein, das sich aber beim Fortschreiten rasch abflachte. Bei Ratibor lag der Klutscheitel, der am 5. abends erreicht wurde, nur 19 cm unter dem daselbst bekannten höchsten Wasser- stande, doch schon am Morgen des J, war dort das Wasser um mehr als 1 m wieder gesunken. In den nächsten zwei Wochen wiederholten sich die Regenfälle in ganz Deutschland sehr häufig. Sie waren un- geachtet der allmählich zunehmenden Abkühlung oftmals von Gewittern begleitet. Am 12. August wurden z. B. in Ilmenau 43, am 13. in Cuxhaven 36, am 13. und 14. zusammen in Gardelegen 8l, am 16. in GrUnberg 37, in Kraustadt 44, am 17. in Neufahrwasser 50 mm Niederschlagshöhen gemessen. An verschiedenen Stellen, so am 14. in Putbus, am 16. in der Gegend von Dresden und im Vogllande, am 19. in Halle, am 22. in Bütow, kamen auch mehr oder weniger starke Hagel- schläge vor. Erst am 23. August stellte sich im größten Teile des Landes trockenes Wetter ein, das fast eine Woche lang an- hielt, jedoch endigte der Monat wiederum mit weitverbreiteten, besonders in Südwest- und Mitteldeutschland recht ergiebigen Regengüssen. Seine Nicderschlagssumrae belief sich für den Durchschnitt aller berichtenden Stationen auf 91,3 mm, wäh- rend die gleichen Stationen im Mittel der früheren August- monate seit 1891 nur 75,3 mm Regen geliefert haben. Die allgemeine Anordnung des Luftdruckes in Europa war während des ganzen Monats gewöhnhch recht gleichartig. An der Mehrzahl der Tage wurden Südwesteuropa und Nord- skandinavien von Hochdruckgebieten eingenommen, zwischen denen sich ziemlich zahlreiche, aber nur mäßig tiefe barome- trische Minima langsam von Westen nach Osten vorwärts- bewegten. In ganz Mitteleuropa herrschten demgemäß in der Regel ziemlich kühle, feuchte westliche Winde, die aber nur selten zu bedeutender Stärke anwuchsen. Allein zwischen dem 22. und 27. rückte das südwestliche Maximum weiter nach Norden vor, wurde dann aber durch eine tiefere ozeani- sche Depression südostwärts zurückgeschoben, wobei zunächst schwache südliche, später frischere West- und Nordwestwinde eintraten. Dr. E. Leß. Literatur. Brehm's Tierleben. 4. Aufl. Die Säugetiere. 3. Bd.: Raubtiere, Wale, Rüsseltiere, Sirenen, Klippschliefer, Unpaar- hufer. Mit 146 Abbildungen nach Photographien, 52 .-Xbbil- dungen im Text, 17 farbigen und 4 schwarzen Tafeln. Leipzig u. Wien 'rc. Bibliographisches Institut. 12 Mk. Weinschenk, Prof. Dr. E. , Die gesteinsbildenden Mineralien. 3. umgcarb. Aufl. Mit 309 Textfiguren, 5 Tafeln und 22 Tabellen. Freiburg i. Br. '11;, Herder'sche Verlags- handlung. Geb. 2, So M. Inhalt; Hundt: Neuere populäre geologische Literatur. — Kleinere Mitteilungen : Paul: Über den Säuregrad des Weines (mit 2 Abbildungen). — Einzelberichte: Burstyn: .Ausschalten starker Ströme mit l;leinem Kontaktwege. Proch- now: Das Springen der Schnellkäfer (Elateriden) (mit 3 Abbildungen). Nachtslieim: Entstehen auch aus befruchteten Eiern Drohnen? von Höfer: Die Nomenklatur in der Erdölwissenschaft, van der Wölk: Die gelben Reiskörner. — Wetter-Monatsübersicht (mit 2 Abbildungen). — Literatur: Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstrafie IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. IL, Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den lo. Oktober 1915. Nummer 41. Kultur und Natur am Meeresstrande. II. Teil. Betrachtungen über die biologische Beurteilung verunreinigter Küstengebiete minder salzhaltiger Meere und Leitsätze über die Einleitung von Abwässern in das Meer. Von Prof. Dr. J. Wilhelm!, Mitglied der Königl. Landesanstalt für Wasserhygiene Berlin-Dahlem. [Nachdruck verboten.] Mit I Abbildung. Schon früher habe ich in dieser Zeitschrift ') über die Einleitung der Abwässer in das Meer in chemischer, physikalischer, technischer, hygienischer, wirtschaftlicher und biologischer Hinsicht sowie über die Ergebnisse experimen- teller Untersuchungen über das Verhalten zahl- reicher Vertreter der Strandfauna des Golfs von Neapel gegenüber künstlich verunreinigten Wassers berichtet. Ich konnte damals wohl aus meinen Untersuchungsergebnissen und der einschlägigen Literatur den Entwurf einer biologischen Beur- teilung verunreinigter Meeresabschnitte ausarbeiten, wies aber im Schlußabsatz meines Berichtes (S. 484) darauf hin, daß der (einstweilen wenig berück- sichtigte) Salzgehalt der Meere für die biologische Beurteilung von großer Bedeutung sein dürfte und daß somit die dargelegten Untersuchungs- ergebnisse — soweit sie nicht von genereller Be- deutung waren — nicht ohne weiteres für minder salzhaltige Meere, z. B. die nach Osten ständig an Salzgehalt abnehmende Ostsee, in Anwendung ge- bracht werden dürften. Hieran anschließend habe ich dann (1912 — 1914) auch das minder salzhaltige Meerwasser (Ostsee) und das Brackwasser in den Kreis der Unter- suchungen gezogen. Über deren Ergebnisse -) möchte ich nun im folgenden berichten und sodann das über die Einleitung der Abwässer in das Meer bisher gewonnene Bild durch Darlegung von Leit- sätzen zur Anschauung bringen. Die neuen Untersuchungen erstreckten sich auf den Strelasund bei Stralsund, die Küste bei Saßnitz (Rügen), den brackigen Selliner See (Rügen), den süßwasserführenden Schmachter See bei Binz (Rügen), die Flensburgcr Föhrde und in geringem Umfang auch auf die Kieler Bucht und den Kaiser Wilhelm-Kanal. Die Untersuchungen boten inso- fern ein besonderes Interesse, als sie einerseits auch für die Hygiene von Badeorten von Wichtig- keit waren und da andererseits die Abwasser- beseitigungsverhältnisse der für die Llntersuchung gewählten Küstenorte z. T. recht abweichend von- ') 1913, Neue Folge Xll. Band, Nr. 29—31. ') Wilhelmi, J., Untersuchungen, besonders in biolo- gisch-mikroskopischer Hinsicht, über die Abwässerbeseitigung von Küstenorten. Mitteilungen aus der Königl. Landesanstalt für Wasserhygiene. Berlin-Dahlem, 1915, 20. Heft, S. 113 bis 204, 9 Abb. im Text. einander waren. Auf die lokalen Verhältnisse be- züglich der Abwässerungsbeseitigung soll im fol- genden nur so weit als unumgänglich nötig ist, eingegangen werden. Stralsund läßt seine Abwässer nur mittels Rechen in der Kläranlage „Am nassen Dreieck", grobmechanisch gereinigt — von einer zweiten Kläranlage abgesehen — , in nächster Nähe der Stadt direkt am Strande in den Strelasund. Die im Juni und September 191 2 und August 191 3 ausgeführten Untersuchungen des Strelasundes bei Stralsund ergaben im wesentlichen folgendes : Durch die Zuführung ungenügend gereinigter Ab- wässer „Am nassen Dreieck" in den Strelasund findet eine beträchtliche Verunreinigung des Wassers in der Umgebung der Sielmündung statt. Dies ging aus den biologischen, chemisch-physikalischen und bakteriologischen Untersuchungsergebnissen deutlich hervor, machte sich aber am Siel auch schon grobsinnlich bemerkbar, indem hier eine starke Trübung des Wassers, Aufsteigen von Gas- blasen, Treiben von grobem Unrat und üble Ge- rüche festzustellen war. Am Grunde in der Um- gebung der Sielmündung besteht eine starke Ab- lagerung fäulnisfähigen Schlammes, die durch die zugeführten Abwässerbestandteile hervorgerufen wird. Die Verunreinigung am Grunde ist eine lokal begrenzte, indem sich einige loomseeeinwärts und an der Hafenmauer am Grunde Einwirkungen der Abwässer nicht mehr in stärkerem Maße be- merkbar machten. Wie weit die Einwirkungszone der Abwässer auf der Wasseroberfläche des Strela- sundes reicht, hängt im wesentlichen von der Windrichtung (auch von der Windstärke und der Wasserbewegung) ab. Kommt der Wind vom Lande her, so werden Abwasserbestandteile, und zwar auch gröbere zum Schweben geeignete, z. B. Fäkalbröckchen usw., hunderte von Metern weit auf den Strelasund hinausgetrieben, und selbst in 1000 m Entfernung von der Sielmündung ließ sich die Einwirkung der Abwässer durch die mikroskopische Untersuchung der mittels Plankton- netz absiebbaren Schwebestoffe des Wassers noch deutlich nachweisen. Ist der Wind auf die Küste gerichtet, so werden die Ab- wässer in nächste Umgebung der Sielmündung zurückgedrängt, wie besonders die chemischen und auch die bakteriologischen Befunde zeigten. 642 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 41 In diesem Falle macht sich dann die Einwirkung der Abwässer schon in wenigen hundert Metern Entfernung von der Sielmündung an der Wasser- oberfläche weder makroskopisch noch mikroskopisch bemerkbar. Aus den für die speziellen Verhältnisse des Strelasundes gemachten Feststellungen lassen sich folgendeErgebnisse von genereller Bedeutung heraus- ziehen : Die mehrfach gemachte Beobachtung, daß Abwässer nach Einleitung in Meerwasser relativ schnell (d. h. schneller als im Süßwasser) zur Sedimentation kommen, bestätigt sich wieder, doch mit folgender Einschränkung: Werden un- gereinigte oder grobmechanisch gereinigte Ab- wässer einem Meere, das keine Ebbe und Flut aufweist, zugeleitet, so kann sich bei ruhigem Wetter das Abwasser in einer mehr oder minder starken Schicht auf dem Meereswasser verbreiten. Feste Bestandteile des Abwassers können, sobald sie zum Schweben geeignet sind (z. B. fettige Fäkalbröckchen, Papierstücke usw.) und wenn der Wind nach dem Meere hin gerichtet ist, hunderte von Metern weit auf das Meer hinaus oder die Küste entlang an der Wasseroberfläche getrieben werden. In noch höherem Maße (er- mittelt bis zu 1000 m Entfernung) gilt dies für feinsuspendierte, zum Schweben geeignete Stoffe (wie z. B. Papier- und Stofffasern, Muskelfasern usw.). Auch die chemische Zusammensetzung und der Keimgehalt des Wassers an der Meeres- oberfläche in näherer oder weiterer Entfernung von einer Sielmündung ist in erster Linie von der Windrichtung, sowie auch von der Wasser- bevvegung abhängig. Der Einwirkungskreis von Abwässern ist daher durchaus wechselnd, kann aber unter Umständen (d. h. in Abhängigkeit von der Windrichtung) ein beträchtlicher sein. Da auch pathogene Bakterien in mehr oder minder salzhaltigem Meerwasser lange Zeit lebens- fähig bleiben '), so erhebt sich mit Rücksicht auf den unter Umständen großen Einwirkungskreis von Abwässern auf der Meeresoberfläche das hygienische Bedenken gegen die Benutzung des Meeres zum Baden in Entfernung von mehreren Kilometern von Sielmündungen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß bei der auf der Meeresober- fläche erfolgenden Schichtung des Abwassers pathogene Bakterien, z. R. die im Urin gegebenen- falls massenhaft vorkommenden Typhusbazillen, verbreitet werden können, ferner, daß die weit- hin verschleppbaren Abwasserbestandteile, wie Kartoffelzellen, Stärkezellen, Papierfasern, Muskel- fasern usw., Infektionsträger, zum Teil direkt Nährböden pathogener Keime, darstellen. Aus den biologischen Befunden ging hervor, daß spe- zifisch marine Organismen in weit geringerer Menge als Süßwasserbewohner im Strclasundc angetroffen wurden und zwar besonders in der Nähe der Küste; unter ersteren waren Verhältnis- ') Vgl. Anmerkung i S. 641. mäßig am zahlreichsten die Mollusken vertreten. Von Organismen, die spezifische Meeresbewohner sind, wurden vor allem Ceratium tripos und Chlamydothrix longissima (s. u.) sowie marine Diatomeen angetroffen. Von tierischen Süßwasser- bewohnern kamen in großen Mengen einige Rädertiere sowie Kleinkrebschen, ferner einige Mollusken sowie Turbellarien und zwar Tricladen vor, während die Zahl der im Strelasund ange- troffenen pflanzlichen Süßwasserbewohner beträcht- lich war. Außer Spaltpilzen und Grün- und Blaualgen sind hier besonders die Diatomeen zu nennen. Es ergibt sich hieraus, daß in diesem schwach salzhaltigen Meeresabschnitt für die bio- logische Beurteilung zum Teil auch das für das Süßwasser gültige oekologische System in An- wendung kommen muß, daß hingegen das für den stark salzhaltigen Golf aufgestellte Saprobien- system infolge der Organismenarmut der Ostsee und des Mangels aller an das stark salzhaltige Seewasser gebundenen Lebewesen sich hier nur in geringerem Umfange anwenden läßt. Als ein hier angetroffener pflanzlicher spezifischer Leit- organismus für Meeresverunreinigung ist die schon oben angeführte Chi. longissima zu nennen, auf die aber erst später näher eingegangen werden soll. Saßnitz (Rügen) läßt seine Abwässer wäh- rend der Badezeit nur grobmechanisch durch Rechen gereinigt etwa 2 km von dem Badestrand entfernt mittels kurzen Abflußrohrs in das Meer, während die Entwässerung außerhalb der Badezeit (im Winter) in der Nähe des Badestrandes erfolgt. Die im September J912 ausgefüiirten Unter- suchungen in Saßnitz ergaben : Die Einleitung der nur grobmechanisch gereinigten Abwässer von Saßnitz, die infolge der hier in weit geringerer Zahl vorhandenen Hausbäder bedeutend konzen- trierter als die Abwässer von Stralsund waren, machte sich an der Mündungsstelle, unweit des Wissower Ufers, deutlich bemerkbar. Grobsinnlich wahrnehmbar war die Trübung des Wassers an der Mündung der Abwässer, ferner das Treiben zahlreicher Fäkalbröckchen sowie Papierfetzen, ferner gleichartige Ablagerungen am Strande in unmittelbarer Nähe der Mündung des Kanalrohres. Unangenehmer Geruch war allerdings an der Ab- wassermündung kaum wahrnehmbar. Am Grunde in der Nähe der Abwässermündung machte sich keine nennenswerte Verunreinigung bemerkbar, welcher Umstand sich wohl dadurch erklärt, daß hier an freierer Küste eine fortgesetzte Verschie- bung und Vermengung des Grundsandes stattfindet. Die mikroskopische Untersuchung zeigte, daß in der Umgebung der Kanalmündung Abwasserbe- standteile deutlich nachweisbar waren. Besonders zu erwähnen ist, daß auch hier unter den absieb- baren Schwebestoffen der spezifische marine Ab- wasserpilz Chlamydothrix longissima zahlreich vor- handen war, wenn er sich auch am Strand nicht als grobsinnlich wahrnehmbarer Besatz bemerkbar machte; doch war er bei mikroskopischer Unter- N. F. XIV. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 643 suchung der Strandbeschafienheit wohl nachweis- bar. Der chemisch-physikaHsche Befund zeigte zu- nächst, daß sich die Einwirlcung der Abwässer in ca. 10 m Entfernung von der Kanalmündung hinsicht- lich Durchsichtigkeit, Farbe und Geruch des Wassers deutlich bemerkbar machte. Die übrige chemische Beschaffenheit des Wassers ließ erkennen, daß hier ziemlich schnell eine gute Durchmischung des Abwassers mit dem Meerwasser erfolgte. Etwa 1000 m seeeinwärts, also in etwa östlicher Richtung von der Kanalmündung, machten sich die Abwässer in chemischer Hinsicht nicht mehr bemerkbar. Die mikroskopische Untersuchung der absiebbaren Schwebestoffe ließ aber, wenn auch nur in sehr geringem Maße so doch unver- kennbar, die Anwesenheit von Abwasserbestand- teilen erkennen. Am Strande bei der Pumpstation, etwa I km südlich der Abwassermündung, also unweit des Badestrandes, konnte aus der che- mischen VVasserbeschaffenheit keine Verunreinigung festgestellt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß zur Zeit der Untersuchung der Wind die Abwässer von ihrer Mündungsstelle in einer zur Lage des Badestrandes etwa entgegengesetzten Richtung abtrieb. Trotzdem konnten durch die mikroskopische Untersuchung die absiebbaren Schwebestoffe des Wassers und des Uferbesatzes (Strand) belebte und unbelebte Abwasserbestand- teile sowie der erwähnte marine Abwasserpilz nachgewiesen werden. Diese in geringem Maße hier nachgewiesenen Verunreinigungsindikatoren müssen also schon früher bei anderer Windrichtung von der Abwassermündung hierher gelangt sein. Auf Grund dieser Befunde muß daher betont werden, daß alles, was über die Verbreitung der Abwässer im Strelasund bei Stralsund weiter oben dargelegt worden ist, auch in vollem Umfang für die Saßnitzer Abwässerbeseitigung Geltung hat und hier von größerer Bedeutung ist, da es sich um einen Badeort handelt. Am Selliner See auf Rügen wurden Unter- suchungen im Juni und September 191 2 ausge- führt. Seilin führt seine durch intermittierende Bodenfiltration gereinigten Abwässer in den Selliner See, der in weiter Entfernung vom Badestrand mit dem Meere kommuniziert. Bei der ersten Untersuchung des einen Salzgehalt von etwa 0,6 % aufweisenden Selliner Sees flössen demselben über- haupt keine Abwässer zu. Es konnte daher weder in chemischer noch in biologischer Hinsicht irgend eine Verunreinigung des Sees ermittelt werden. Bei der zweiten Untersuchung, fast ein halbes Jahr später, machten sich die dem Rieselfeldabfluß ent- stammenden gelösten organischen Stoffe, wie die chemische Untersuchung zeigte, in nur ganz ge- ringem Maße bemerkbar. Auch die biologischen Befunde ließen die Einwirkung derselben auf den See in geringem Maße erkennen. Eine Zunahme der außerordentlich starken Characeen-Bestände des Sees steht nicht zu befürchten, da das Wachs- tum derselben durch Zuführung der Abwässer eher beschränkt als gefördert werden dürfte. Im übrigen ist im vorliegenden Falle die Verkrautung des Sees durch den sogenannden „Thürs" (Characeen) von geringer Bedeutung, da der See seit Jahren entkrautet und der „Thürs" mit Vorteil als Dünge- mittel benutzt wird. Die Belebung des Selliner Sees war eine relativ reiche für ein Brackwasser. Dies ist einerseits wohl auf die starken Characeen- bestände, andererseits offenbar auch darauf zurück- zuführen, daß der Salzgehalt des Selliner Sees, da demselben keine nennenswerten Mengen von Süß- wasser zufließen, keine größeren Schwankungen aufweist. Speziefische Salzwasserbewohner waren unter dem Plankton in nur geringer Zahl vor- handen. Vielmehr wurden hauptsächlich süßwasser- bewohnende Organismen, die auch in schwach salzhaltigem Meerwasser lebensfähig sind, ange- troffen. Diese bestanden vorwiegend aus pflanz- lichen Organismen, während von tierischen nur Rädertiere und Kleinkruster in größeren Mengen angetroffen wurden. Am Grunde des Sees fanden sich mehr marine Organismen, besonders z. B. Mollusken. Es ist also einerseits festzustellen, daß infolge der für ein Brackwasser einigermaßen reichen Be- lebung des Sees die Bedingungen für die Selbst- reinigung ziemlich günstig sind, und andererseits, daß für die biologische Beurteilung hier weniger daß für das stark salzhaltige Meer (z. B. Golf von Neapel) ermitelte oekologische System, als das Saprobiensystem der Süßwasserbeurteilung in An- wendung zu bringen ist. Binz (Rügen) reinigte 191 2/1 3 seine Abwässer in einer biologischen Kläranlage, später zum Teil auch in einer mechanischen Kläranlage und führte sie dann dem Süßwasser führenden Schmachter See zu, der einen geringen Abfluß nach dem Bade- strande hin hat. Die Binzer Abwässerbeseitigungs- verhältnisse bieten insofern ein besonderes Interesse, als hier der durch den Badestrand bedingten Schwierigkeit, in das Meer zu entwässern, durch die Zv.'ischenschaltung eines Süßwasservorfluters, nämlich des Schmachter Sees, begegnet worden ist. Die im Mai und September 1912 und Sep- tember 191 3 ausgeführten Untersuchungen zeigten, daß der das Süßwasser führende Schmachter See die gereinigten Abwässer wohl zu bewältigen vermochte, und zwar mittels einer reichen Fauna und Flora, die während der Zeit der Untersuchung keine nachteilige Beeinflussung durch die Abwässer erkennen ließ. Auch der zum Meeresstrande führende Abfluß des SchmachterSee zeigte sich nicht nennens- wert beeinträchtigt. Flensburg, das im Begriff steht, eine ge- ordnete Abwässerreinigung und -beseitigung durch- zuführen, beseitigt die Fäkalien zum Teil noch durch das Kübelsystem. Es gelangen jedoch auch beträchtliche Mengen häuslicher und gewerblicher Abwässer ungereinigt in die innere Föhrde. Seit längerer Zeit bestehen Klagen über eine Verun- reinigung des inneren Teiles der Föhrde. Ver- anlassung zu dieser Verunreinigung soll die Zu- führung von (häuslichen und industriellen) Ab- 644 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 41 wässern sein , die der inneren Föhrde zum Teil direkt, zum Teil durch den Mühlstrom — v-on weniger wichtigen Zuflüssen abgesehen — zuge- führt werden. Die im Dezember 1913 und Mai 1914 ausgeführten Untersuchungen in der Flens- burger Föhrde hatten folgendes Ergebnis: Die bei der Untersuchung der einen ähnlichen Salz- gehalt wie die übrigen Küstenorte aufweisenden Föhrde gewonnenen Befunde bestätigten die bei Stralsund und anderenorts gemachte Erfahrung bezüglich der Sedimentation der durch Abwässer zugeführten Schwebestoffe im Meerwasser. So fand sich am Grunde der inneren Föhrde ein seiner Zusammensetzung nach großenteils auf Abwasser- bestandteile zurückzuführender Schlamm, in den grobsinnlich wahrnehmbare Lebewesen fehlten. Weiter draußen in der Föhrde fand sich am Grunde typischer Mud, zu dessen Ablagerung Ab- wasser kaum beigetragen haben dürfte. Zum Schweben geeignete feinere Abwasserbestandteile, besonders Fasern , wurden noch weit außerhalb der Innenföhrde unter den absiebbaren Schwebe- stoffen angetroffen. Unter den Organismen des Uferbesatzes der Innenföhrde kommen für die Beurteilung des Wassers die massenhaft vorhan- denen Miesmuscheln (Mytilus) und die Seepocken (Baianus) wenig in Betracht, da sie gegen verun- reinigtes Wasser ziemlich unempfindlich sind, ohne dieses direkt zu bevorzugen. Auch gegen Schwan- kungen im Salzgehalt sind beide Tierformen nicht empfindlich. Als spezifisch marine Verunreinigungs- indikatoren können von den übrigen Uferbesatz- organismen die Würmer Oncholaimus, Enchytraeus und Spioniden, ferner die Muschel Tellina baltica und die Fadenbakterie Chlamydothrix longissima genannt werden. Wie die Untersuchungen ergaben, fanden sich aber unter den Uferbesatzorganismen auch zahlreiche Vertreter des mehr oder minder verunreinigten Süßwassers, so daß also bei der Einmündung von verunreinigtem Süßwasser in das Meerwasser das für das Süßwasser bestehende Saprobiensystem mit zur Anwendung gebracht werden muß. Auf den wichtigsten Verunreinigungs- indikator, Chlamydothrix longissima, soll erst im nächsten Abschnitt (Kieler Bucht) eingegangen werden. Auch in der K iel er Bucht und. im Kaiser Wilhelm-Kanal wurden im Juli 1912 und im Juli 1913 einige Untersuchungen angestellt. Kiel beseitigt zurzeit noch den größten Teil seiner Abwässer durch Kübelsystem, ist aber im Begriff, durch .'Ausbau der Kanalisation nach dem Meere hin (Küste bei Bülk) zu entwässern. Gegenwärtig gelangen außer gewerblichen Abwässern und ge- reinigten Abwässern gewisser Betriebe (Germania- werft) die Abwässer der „Akademischen Heil- anstalten" ungereinigt in die innere Kieler Bucht. Über die Verunreinigung der Kieler Bucht liegen bereits ältere Untersuchungen in faunistischer Hinsicht, namentlich seitens Brandt, vor, worauf hier nicht näher eingegangen werden kann. Von besonderem Interesse war hier aber das Vorkom- men eines marinen Abwasserpilzes, den ich auch, wie erwähnt, an anderen verunreinigten Stellen der Ostsee traf, nirgends aber in solcher Menge wie in der Kieler Bucht, wo er in der Nähe der Akademischen Heilanstalten in enormen Mengen am Holzwerk vorhanden war. Im Januar 191 3 erhielt ich durch Herrn Prof. Dr. A. Steuer, Innsbruck, Material eines von ihm im Golf von Triest in Massen beobachteten Pilzes, der als flockiger weißer Belag im schmutzigsten und ruhigsten Teile des Triester Hafens in der Gezeiten- zone an den Molen und Riven angetrofi'en wurde, und zwar in dem innersten ruhigsten Teil des Hafens. Es handelte sich um den gleichen Pilz, den ich in großen Mengen in der inneren Bucht von Kiel und in dem inneren Teil der P"lens- burger Föhrde fand. Überall stellte er einen kurzflockigen, weißgrauen Besatz am Holzwerk in der Gezeitenzone dar. Weniger zahlreich traf ich den Pilz, wie bereits erwähnt, auch an Abwasser- mündungen bei Stralsund und bei Saßnitz an. Das weniger starke Auftreten desselben an den letztgenannten Küsten mag wohl auch durch die hier relativ geringere Verunreinigung bedingt werden. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß an den letztgenannten Orten eine lebhaftere Wasserbewegung an der Küste besteht. So darf nach den bisherigen Fundorten offenbar das ruhigere verunreinigte Meerwasser in Häfen und Buchten als der Hauptstandort des Pilzes ange- sprochen werden. Mit Hilfe lebenden Materials aus den oben genannten Orten der Ostsee und aus dem Hafen von Triest — letzteres freund- licherweise von Herrn Prof. Steuer eingesandt — wurde in der Königl. Landesanstalt für Wasser- hygiene die Züchtung des Pilzes begonnen , um dadurch eine genaue Bestimmung desselben zu ermöglichen. Leider wurde die Ausführung dieser Untersuchungen durch den Kriegsausbruch ver- hindert. Am meisten Ähnlichkeit zeigt der Faden- pilz (vgl. Abb. i) mit einer von Molisch*) als Chlamydothrix longissima n. sp. beschriebenen Art, die er im Hafen von Triest zusammen mit marinen Schwefelbakterien fand. „Es ist eigent- lich zu verwundern", sagt Molisch (1. c), „daß dieser durch eine auffallende Größe, der Massen- haftigkeit seines Auftretens und sein häufiges Vor- kommen ausgezeichnete Organismus nicht schon längst die Aufmerksamkeit der Bakteriologen erregt hat. . . . Die Fäden erinnern an eine farblose Os- zillatorie, unterscheiden sich aber sofort von diesei durch ihre Unbewcglichkeit. Sie sind stets unver- zweigt und auffallend lang." Die Dicke der Fäden, ohne die meist fehlende Scheide, soll i — 3 (/, die der ausgewachsenen Fäden gewöhnlich 2 ,« und die Höhe der Zellen i — 5 ß betragen. Nach diesen Angaben empfiehlt es sich, den P'adenpilz der Ostsee und der nördlichen Adria mit der von M o 1 i s c h beschriebenen Chlamydothrix longissima ') Molisch, Hans, Neue farblose Schwcfelbaklerie Centralbl. f. Bakt. 1912, 2. Abt., Bd. 33, S. 60. N. F. XIV. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 645 zu identifizieren. Jedenfalls stellt dieser Fadenpilz für die Beurteilung des verunreinigten Meerwassers einen sehr wichtigen Indikator dar. Bezüglich der Existenzbedingungen des Pilzes ist also einstweilen festzuhalten, daß er in organisch verunreinigtem JMeerwasser vorkommt, ferner, daß er nicht an einen bestimmten Salzgehalt des Wassers gebunden zu sein scheint, und schließlich, daß er ruhiges Wasser bevorzugt. In diesem Zusammenhange sei auch darauf hingewiesen, daß auch noch andere marine P'aden- bakterien, die als Verunreinigungsindikatoren dienen können, beschrieben worden sind. So erwähnt z. B. Migula') das Vorkommen von IVlassen- Vegetationen von Beggiatoa im Meere, z. B. im sog. toten Grunde der Kieler Bucht. Fer- ner wies Molisch (1. c.) im Meerwasser von Triest auf faulendem Algeninfus als neue farblose Schwefelbakterien die Arten Thiothrix annulata M., Thiothrix marina M., Bacterium bovista M., Bacillus thiogenus M. und Spirillum bipunctatum M. nach. Leider verbietet es Raum- mangel, auf die Untersuchungs- ergebnisse im einzelnen noch näher einzugehen. Um aber einen Überblick über die jetzi- gen und früheren Untersuchun- gen unter Berücksichtigung der dabei verwendeten Literatur zu geben, mögen hier zum Schlüsse Leitsätze, die über die Einleitung der Abwässer in das Meer und die biologische Beurteilung des verunreinigten Meerwassers aufgestellt werden konnten, in enger .-Anlehnung an die Originalarbeit wieder- gegeben sein: 1. Die Einleitung von .'\b- wässern in das Meer gestaltet sich bezüglich der eintreten- den Selbstreinigung im allge- meinen ungünstiger als die Zu- führung von Abwässern in das Süßwasser, und zwar infolge der physikalischen Eigenschaften und insbesondere wegen der Wirkungen des Salzgehaltes des Meer- wassers. 2. Ungereinigte Abwässer sollten Meeres- abschnitten nur unter besonderen Umständen zu- geleitet werden , z. B. an weiten unbewohnten Küsten , ferner an Stellen mit steil abfallenden, strandlosen Ufern (Ostküste von Helgoland) und schließlich an vorspringenden Küstenpunkten, an denen die Abwässer durch eine vorherrschende Strömung abgeleitet werden (Cumae bei Neapel). 3. Mit Vorteil kann an Küsten , die den Ge- zeiten ausgesetzt sind, durch nur zeitweisen Aus- laß der Abwässer von der ableitenden und ver- mischenden Wirkung der Ebbe Gebrauch gemacht werden (z. B. bei Boston, Mass.); auch weit ins Meer hinausführende Abwasserauslässe sind vor- teilhaft, jedoch in der Anlage und Unterhaltung (vergl. unter Leitsatz 8) kostspielig. 4. Nachteilig wirkt bei der Einleitung von Ab- wässern in das Meer die im Salzwasser beschleunigt erfolgende Sedimentierung der festen Abwasser- ') Migula, W., Die Pflanzenwelt der Gewässer. Leipzig 1903, G. J. Göschen, .S. 92. Abb. I. Mariner Abwasserpilz (Chlamydothrix longissima Molisch) E. Nitardy del. (Wilhelmi 1. c.) bestandteile; eine Ausnahme machen Stoffe, die zum Schweben besonders geeignet sind (vergl. Leitsätze 12, 13). 5. Die beschleunigte Sedimentation im Meer- wasser führt leicht zu Verschlammungen am Grund in der Nähe der Einmündungssteilen von .-Abwässern. 6. Nicht nur Abwasserbestandteile, sondern auch die belebten und unbelebten Schwebestoffe der Flüsse kommen bei dem Eintritt in das Meerwasser zu einer beschleunigten Sedimentation; ebenso sterben die von dem Meere herangeführten Planktonten in der Mündungszone von Süß- und 646 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 41 Meerwasser größtenteils schnell ab und sinken unter (Deltabildungen an Flußmündungen). 7. Die von Abwässern oder Flüssen dem Meere zugeführten belebten und unbelebten Be- standteile werden, wenn das Meer unter dem Einflüsse der Gezeiten steht, von den Wellen immer wieder an die Küste zurückgeführt und können hier am Strande (z. B. bei Bädern) Be- lästigungen hervorrufen oder zur Marschenbildung beitragen. 8. Die technischen Schwierigkeiten, die bei der Herstellung von Abwasserausmündungskanälen an Küsten schon an und für sich bestehen, werden dadurch vermehrt, daß einerseits der Zement durch Seewasser angegriffen wird, und daß anderer- seits auch Holzwerk und Zement von Organismen, unter denen besonders die Weichtiere Teredo na- valis, Lithodomus liihophagus und Pholas dactjlus zu nennen sind, geschädigt oder vernichtet werden können. 9. In hygienischer Hinsicht bieten sich bei der Einleitung von Abwässern in das Meer Schwierig- keiten infolge der Schlammablagerungen an den Kanalmündungen, infolge der Verbreitung gelöster oder ungelöster Abwasserbestandteile an ruhiger Meeresoberfläche und infolge unter Umständen eintretender Vergiftung oder Infizierung von Tieren, die zum menschlichen Genuß dienen (s. unten 16). 10. Die infolge der beschleunigten Sedimen- tierung an Abwassermündungen in Häfen, Buchten oder auch an Küsten entstehenden Schlammab- lagerungen können, namentlich im Sommer, in P'äulnis übergehen und starke Geruchsbelästigungen hervorrufen (Kristiana, Helsingfors u. a.). 11. In Buchten, denen Abwasser zufließt, kann eine Massenentwicklung des sog. Meersalates (Ulva lactuca) infolge des Stickstoffreichtums des Wassers entstehen. Durch Fäulnis der Ulven kann dann sekundär eine Verunreinigung erfolgen, die zu starken Geruchsbelästigungen zu führen vermag ( Belfast Lough und I lelsingfors). Gegenmaßnalimen dürften nur durch entsprechende Abwasserbehand- lung möglich sein, da \'ersuche, der Ulvenkalamität auf anderem Wege Herr zu werden, erfolglos waren. 12. Gröbere Abwasserbestandteile, die zum Schweben geeignet sind, z. B. F"äkalbrocken, fettige Substanzen, Korkstopfen u. a., werden von Ab- wassermündungen aus weit an der Wasserober- fläche fortgeführt, wie z. B. im Strelasunde einen halben Kilometer von einer Abwassermündung entfernt festgestellt werden konnte. 13. Feine Abwasserbestandteile, wie I'apier- und Stoffasern, Muskelfasern, die auch als Infek- tionsträger in Betracht konmien, können ebenfalls an der Meeresoberfläclie fortgeführt werden , zu- weilen mehrere Kiloineter weit (Strclasund , .Saß- nitzer Küste, Flensburger h'öhrde). 14. Bei ruhiger See kann in gczeitenlosen Meeren auch eine Schichtung des Wassers nach seinem Salzgehalt stattfinden. Auf diese Weise können sich die spezifisch leichten Abwässer weit- hin auf der Meeresoberfläche verbreiten; die Aus- streuung die darin etwa vorhandener Krankheits- keime (z. B. Typhusbazillen im Urin) auf diese Weise erscheint nicht ausgeschlossen. 15. Die mögliche Verbreitung von Krankheits- keimen an oder in gelösten und ungelösten Be- standteilen von Abwässern an der Meeresoberfläche läßt es ratsam erscheinen, Abwassermündungen nur in mehreren Kilometern Entfernung von Strand- bädern zu dulden, zumal es feststeht, daß mancher- lei Krankheitserreger {z. B. Typhus- und Cholera- baziilen) auch im Meerwasser mehrere Wochen lebensfähig bleiben können. 16. Zum menschlichen Genüsse dienende Muscheltiere können sich in verunreinigtem Meer- wasser unter Umständen mit Giften anreichern, die Vergiftungen beim Menschen hervorrufen (Mies- muschelvergiftungen : Wilhelmshafen, Kristiania). Miesmuscheln und Austern können pathogene Keime aufnehmen (z. B. Typhus) und so zu Infektions- krankheiten des Menschen Veranlassung geben. Aus der Umgebung von Abwassermündungen dürfen daher Muscheltiere nicht zur menschlichen Ernährung ei beutet werden. 17. Verunreinigungen von Meeresabschnitten durch liäusliche und industrielle Abwässer geben leicht zurSchädigung oder Vernichtung von Austern-, Hummer- und Fischzucht und zu anderen wirtschaft- lichen Schädigungen Veranlassung (z. B. Hafen von Triest nach Steuer). Schädigung oder Ein- gehen von Zuchten darf aber nicht ohne weiteres auf künstliche Verunreinigung zurückgeführt werden, da auch natürliche Schlammablagerungen nachteilig werden können, wie z. B. in Norwegen in den sogenannten „I'ollern", d. h. natürlich isolierten Buchten, diezur Austernzucht dienen, durch Heiland- Hansen festgestellt worden ist. 18. Für die Zulässigkeit der Einleitung von Abwässern in einen Meeresabschnitt und für die Beurteilung der Verunreinigung sind die bio- logischen Verhältnisse in \'erbindung mit den physikalischen und chemischen zu berücksichtigen. 19. Die Organismen des iNIeerwassers ertragen besser eine gewisse Aussüßung des Wassers als, umgekehrt, die Süßwasserorganismen den Eintritt in mehr oder minder salzhaltiges Wasser ertragen. Während wir aber von den tierischen Süßwasser- bewohnern nur wenige (z. B. Rädertiere, Klein- kruster, gewisse Turbellarien, einige Schnecken u. a.) im schwach salzhaltigen i\Ieerwasser an- treffen, finden sich von den pflanzlichen Süß- wasserbewohnern eine größere Zahl, besonders (irün-, Blau-, Kieselalgen und Fadenbakterien auch im Meerwasser. 20. Die Fauna der salzreicheren Meere (z. B. Mittelmeer und auch Nordsee) ist artenreicher als die der salzärmeren Meere (Ostsee), und die Einzel- individuen der ersteren sind größer als die der letzteren. Von den Temperaturverhältnissen abge- sehen, wird das Optimum für die tierische Ent- wicklung (Tierreichtum) durch die gleichmäßige N. F. XIV. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 647 chemische Beschaffenheit des Wassers, nament- lich bezügHch des Salzgehaltes, bedingt. Die günstigsten biologischen Verhältnisse von Meeres- abschnitten bieten auch die günstigsten Be- dingungen für die Einleitung von Abwässern, be- züglich der biologischen Selbstreinigung. 21. Da im Brackwasser mit wechselndem Salz- gehalt die biologischen \'erhältnisse ungünstig sind, eignet es sich weniger für die Einleitung von Abwässern als das Meerwasser. Dies gilt be- sonders für Abschnitte, in denen zeitweilige Schieb tungen des Wassers nach dem Salzgehalt vor- kommen, z. B. an Flußmündungen, in Ifaffen und mit dem Meer kommunizierenden Kanälen (Kaiser Wilhelm- Kanal). Ist ein Brackwasser durch Gleich- mäßigkeit des Salzgehaltes charakterisiert, so ent- wickelt es auch einen ziemlichen Organismen- reichtum und eignet sich somit auch als Vorfluter für Abwässer (Selliner See auf Rügen). 22. Sind in einem Meeresabschnitt die chemisch- physikalischen oder biologischen Verhältnisse oder besondere Umstände (Muschelzucht, Nachbarschaft von Strandbädern usw.) derart, daß der Einleitung von Abwässern Schwierigkeiten entgegenstehen, so empfiehlt sich die Zwischenschaltung eines Süßwasservorfluters, soweit ein solcher zur Ver- fügung steht (Schmachter See bei Binz auf Rügen, Swine bei .Swinemünde usw.). 23. Die Methoden und Apparate der Unter- suchungen zur biologischen Beurteilung von Meer- wasser sind etwa die gleichen wie für die Be- urteilung des Süßwassers. Zu untersuchen sind Plankton und unbelebte Schwebestoffe, sowie Sichttiefe, ferner Uferbesatz und Grundbeschaffen- heit. Für die Untersuchung letzterer bedarf es größerer und schwererer Dretschen als zur Prüfung von Süßwasser. 24. Die biologische Untersuchung von verun- reinigten Meeresabschnitten erfolgt — in gleicher Weise wie die Prüfung von Binnengewässern — am besten in Verbindung mit einer chemisch- physikalischen und auch bakteriologischen Unter- suchung. 25. Bei der biologischen Untersuchung ist be- sonders der Salzgehalt des Wassers zu berück- sichtigen, da für das Meerwasser kein einheitliches Saprobiensystem aufstellbar ist, weil nämlich die Fauna und Flora hinsichtlich des Organismen- reichtums, der Art der Organismen und auch der Größe der tierischen Organismen stark von dem Salzgehalte des betreffenden Meeresabschnittes abhängig sind. 26. Die Zahl der spezifischen Fäulnisbewohner (Polysaprobien) des Meeres ist viel geringer als die der Polysaprobien des Süßwassers. 27. Ein vom Salzgehalt offenbar wenig ab- hängiger Organismus, der schon grobsinnlich wahr- nehmbar ist, und daher einen guten Indikator für Wasserverunreinigungen in ruhigen Buchten und Häfen darstellt, ist ein einstweilen als Chlamydo- ihrix longissima zu bezeichnender mariner F'aden- pilz (Kieler Hafen, Triester Hafen, Flensburger Innenföhrde). Diesem Fadenpilz dürfte für die Meeresbeurteilung die gleiche Bedeutung wie dem Sphaerotilus für das Süßwasser zukommen. Auch andere Fadenbakterien, die durch Verunreinigung von Meerwasser zur Massenentwicklung kommen können, wie z. B. Beggiatoa- und Thiothrix-Arten, stellen gute Verunreinigungsindikatoren dar. 28. Unter den fäulnisliebenden tierischen Be- wohnern des stärker salzhaltigen Meereswassers (Miitelmeer) sind in erster Linie die Polychäten .Spio fuliginosus und Capitella capitata zu nennen; diese Würmer haben etwa die gleiche Bedeutung für das verunreinigte Meerwasser wie die zu den Oligochäten gehörenden Tubifex- Arten für das Süßwasser. Im mäßig verunreinigten Meerwasser (Mittelmeer) treffen wir ferner in größeren Mengen die Würmer Plagiostoma girardi, Arenicola clapa- redei, A. grubei, Hydroides pectinata, H. uncinata, Spirographis splalanzanii, Staurocephalus rudolphi, Sternaspis thalassimoides, den Seestern Asterias tenuispina, die Weichtiere Bornia corbuloides, Capsa fragilis , Tapes aureus, Bulla striata, Doris verrucosa, Spurilla neapolitana, die Moostierchen Bugula avicularia, B. calathus, B. purporotincta, die Krebstiere Nebalia galatea und Brachynotus sexdentatus und die Manteltiere Cione intestinalis und Botryllus aurolineatus. Zahlreiche Tiere fast aller Gruppen kommen im leicht bis mäßig ver- unreinigten Meerwasser vor, sind aber zum Teil nur fakultative Saprobien; unter ihnen sind be- sonders Muscheln (z. B. Mytilus edulis) und der sog. Schmutzfisch Box salpa zu nennen. Spezi- fische Reinwasserbewohner sind das Lanzettfisch- chen Amphioxus lanceolatus und die mit ihm zusammen lebenden Tiere. 29. Im minder salzhaltigen Meerwasser (Ostsee) sind als Bewohner des verunreinigten Wassers Anneliden zu nennen, unter ihnen besonders Enchytraeus moebii, Nereis diversicolor, Clitellio ater, Capitella capitata, der Nematod Oncho- laimus vulgaris, ferner die Muscheln Teilina bal- tica, ScorbiculariapiperataundMya arenaria, ferner das Krebschen Corophium longicorne. Zu diesen gesellen sich eine Anzahl sogenannter Mudbe- wohner, unter denen die Muscheltiere vorherrschen ; ferner sei hier das Mudkrebschen Cuma rathkei erwähnt. 30. Die vorstehend (unter 29) genannten Orga- nismen, namentlich die Muscheln, finden sich größtenteils auch im Brackwasser, indem aber im gleichen Maße, wie der Salzgehalt sinkt, die Zahl eigentlich im Süßwasser lebender Orga- nismen (besonders pflanzlicher, z. B. nach der östlichen Ostsee hin) zunimmt. Für die Beur- teilung kommt hier also auch das von Kolkwitz und Marsson ausgearbeitete Süßwassersaprobien- system in Betracht. So sind hier als stark meso- saprobe pflanzliche Organismen Beggiatoa-, Spi- rillum-, Spirulina-Arten, Phormidium autumnale, Oscillatoria tenuis, O. amphibia, O. chlorina und O. chalybaea zu nennen (östliche Ostsee, Helsing- fors nach Häyren). 648 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 41 31. Besonders zu berücksichtigen sind gegen Verunreinigung indiflerente IVleeresorganismen, unter denen namentlich Muscheln, z. B. die Mies- muschel Mytilus edulis und die Herzmuschel Car- dium edule, ferner fest gewachsene Krebstiere der Gattung Baianus und unter Pflanzen Enteromorpha und Ulva zu nennen sind. Letztere dürften faku- lative Saprobien sein (Helsingfors nach Häyren), indem bei VVasserverunreinigung sich loslösende Migrationsformen (Triest nach Schiller) im stick- sloffreichen Wasser auf schlammigem Grunde zu starker Entwicklung kommen (Triest, Belfast). Der Kreis der im Dann vorkomiiieiuleii Foriiicii des Bacteriuiii coli und ilire Diit'erentialdias^nose. Von H. von Bronsart. [Nachdruck verboten.] Die Flora des menschlichen Darmes wird be- herrscht durch den gewöhnlichen Darmbazillus, das Bactci-ium coli cviinniiiic. Es ist dies ein plumpes, nicht sporenbildendes Stäbchen von I — 3 /( Länge und 0,5 — 0,8 /( Dicke, rings be- geißelt und, wie alle normalen Bakterien des Darmtraktus, gramnegativ, d. h. es wird nach Vor- behandlung mit einem Anilinfarbstofif und Beizung mit Jodjodkalium durch absoluten Alkohol vollstän- dig entfärbt. Es verflüssigt die Gelatine niciit. Diese Eigenschaften teilt er mit einigen anderen Darm- bakterien, die ich deshalb als den Formenkreis der Coli-artigen Darmbakterien zusammenfasse. Vielleicht könnte man noch eher von einer Reihe sprechen, an deren eines Ende man den Kolibazillus stellt, während der Bazillus der Ruhr den anderen Endpunkt einnimmt. Die Zwischenglie- der sind etwa : Paratyphus B, Paratyphus A, Typhus. Mikroskopisch ist es unmöglich, die 5 Spezies von- einander zu unterscheiden. Im nach Gram ge- färbten Ausstrichpräparat bieten sie alle das gleiche Bild ; plumpe Stäbchen mittlerer Größe, gleich- mäßig hellrosa gefärbt. Auch lebend lassen sie sich schwer unterscheiden. Zwar gilt es als die Regel, daß Koli- und Ruhrbakterien unbeweglich, die anderen dagegen beweglich sind, doch, abge- sehen davon, daß das Substrat von Einfluß ist, gibt es atypische Kolistämme • — gewöhnlich wirken diese leicht krankheitserregend, oder sind durch ungünstige Einflüsse so verändert, daß sie ihre Funktion als Gesundsheitspolizei im Darm nicht ausüben können — , die eine lebhafte Bewegung haben, und die Ruhrbazillcn zeigen oft eine so starke Molckularbewegung, daß die Frage: „ Beweglich oder unbeweglich ?" nicht mit Bestimmtheit be- antwortet werden kann. Da haben nun in unermüdlichem Forschen die Bakteriologen untrügliche Merkmale gefunden in den chemischen Reaktionen, die die Bakterien auf ihre Nährböden ausüben, und eine Anzahl von Nährböden angegeben, die die „Differenlialdiagnose" auf Koli, Paratyphus usw. mit Bestimmtheit er- lauben. Die vorhin angeführte Reihe ist gewissermaßen nach der Stärke und Häufigkeit der chemischen Reaktionen aufgestellt. Mact. culi ist am ,,froli- wüchsigsten"; die wenigsten und schwächsten Reaktionen zeigt der Dysentcriebazillus. Im folgenden mögen die Haui)tgesichtspunkte, unter denen der Bakteriologe seine Diagnose auf- stellt, angeführt werden. Ein durchaus sicheres Erkennungszeichen lür Bad. coli ist die Gerinnung der Milch, die durch kein anderes Bakterium der KoliRuhr-Reihe hervorgebracht wird. Sie tritt manchmal nach wenigen Stunden, oft erst nach Tagen ein, aber immer wird man in einem mit Bacf. coli beimpf- ten Milchgläschen nach einiger Zeit des Kasein als schwammige Masse von der darüberstehenden trüben Molke geschieden sehen — ein Anblick, den man bei Paratyphus-, Typhus- und Ruhr- kulturen nie haben wird. B(7cf. coli ist auch das einzige seiner Verwandtschaft, das Milchzucker anzugreifen und zu vergären vermag. Wir machen uns dies anschaulich, indem wir eine mit Laknius- tinktur gefärbte Lösung von Milchzucker und Nutrose (Barsiekow) mit Bacf. coli beimpfen. Nach kürzerer oder längerer Zeit rötet sich die Lösung, trübt sich, und die Nutrose fällt aus, so daß zuletzt über dem ziemlich kompakten hell- roten Bodensatz das zur Lösung benutzte Wasser als klare Flüssigkeit steht. Eine ebenso hergestellte und beimpfte Lösung von Traubenzucker wird auf die gleiche Weise verändert, ein X'erhalten, das Bacf. coli mit seinen Verwandten teilt. Die starke Vergärung des Zuckers kann auf andere Weise sichtbar gemacht werden, nämlich durch die dabei stattfindende Entwicklung von CO.,. Der Bakteriologe bedient sich dazu entweder der Gärkölbchen, oder — meistens — eines festen Nährbodens, der durch die Gasblasen auseinander- getrieben wird. In einer sogenannten „Schüttel- kultur" in traubenzuckerhaltigem Nähragar bilden sich bei Bacf. coli und den Paratyphusbakterien Gasblasen, die bald zur Zerreißung der Agarsäule führen, und unter Umständen werden Agarstücke mitsamt dem Wattepfropf aus dem Reageiisglas herausgetrieben. Hier unterscheiden sich Typluis und Ruhr von ihren Verwandten: sie lassen den Traubenzuckeragar äußerlich unverändert. Sie vermögen zwar noch Traubenzucker zu säuern und Nutrose zu koagulieren, was man durch Ein- impfen in traubcnzuckerhaltige Lackmusnutrose- lösung veranschaulichen kann, aber bis zur Ver- gärung des Zuckers, d. h. zur Bildung \'on Kohlen- säure, bringen sie es nicht. Während die Ge- rinnung der Nutrose beim Typhusbazillus innerhalb 24 Stunden eintritt, ist die chemische Tätigkeit N. F. XIV. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 649 des Dysenteriebazilius soviel schwächer, dal.5 die Nutrose frühestens nach 1 — 2 Tagen gerinnt. Ein Bakterium, das auch zur Verwandtschaft des Bad. coli zu rechnen wäre, ist das Uact. faecalis alkaligciics. Es ist, wie Bacf. coli, ein harmloser Spaltpilz, der aber in seinem kulturellen Verhalten dem Typhusbazillus sehr ähnlich ist; nur macht er Milch und Molke alkalisch, anstatt sie, wie seine Verwandten, zu säuern. Zur Unterscheidung von Paratyphus A und B reichen die vorhin genannten Nährböden nicht aus; wir bedürfen dazu der mit Lakmus gefärbten Molke. Während Paratypus A diese unter leichter Trübung beständig säuert, schlägt bei Paratyphus B die saure Reaktion nach wenigen Pagen in alkalische um, was durch Blaufärbung der Lakmus- molke kenntlich wird. Dies sind, kurz die wichtigsten chemischen Merkmale des Darmbakterienkreises, die für jede der Arten konstant sind und daher fast in jedem wieder die kräftigsten Lebensäußerungen: auf festem Nährboden bildet es dicke undurchsichtige Kolonien, auf Kartoffelstücken einen schmierigen, oft grauen oder bräunlichen Belag. Die Kolonien von Paratyphus B und A sind schon weniger kompakt [Bacf. paratyplii B wächst immerhin noch deutlich kräftiger als Bacf. parat. A) und Typhus- und Ruhrbakterien zeigen auf Agar zarten durchsichtigen Wuchs, und ihr Waclistum auf Kartoffel ist völlig unsichtbar. Äußerst charak- teristisch und gar nicht zu verkennen sind Typhus- kolonien auf Nährgelatine ; dem Bakteriologen unter dem Namen , .Weinblatt-" oder „Maulbeerblattkolo- nien" bekannt, zeigen sie eine etwas gelappte P'orm mit erhöhtem, exzentrischen Nabel, von dem aus man auch wohl Rippen, den Blattrippen vergleichbar, nach den Spitzen der Lappen hin- ziehen sieht. In der Reihe Koli-Ruhr ist diese Wuchsform allein dem Typhusbazillus zu eigen. Die bakteriologische Unterscheidung der Darm- Nährboden Veränderung Bact. coli Bact. ]iarat. B Bact. parat. A Bact. typhi Bact. faee. alkalig. Bact. dyscnt. Gerinnung -\' - - - - - Säurebildung + alkalisch + + alkalisch + Milchzucker Vergärung + - - - - - Säurebildung + - - - - - Traubenzucker Vergärung + + + - - - Säurebildung + + + + + + Milchzuckernutrose- lösung (Gerinnung) + - - - - - Traubenzuckernutrose- lösung (Gerinnung) + + + binnen 24 Stunden binnen 24 Stunden nach 1—2 Tagen Molke Säurebildung + erst -|-, dann alkalisch + + alkalisch + bakteriologischen Laboratorium berücksichtigt wer- den. Ein nicht so konstantes Merkmal ist die Bildung eines aromatischen Stoffwechselproduktes, das sich bei Zusatz von Nitrit und SchwefeLäure durch rote Färbung zu erkennen gibt: die Indol- reaktion. Sicher ist wohl nur, daß das Indol fast immer bei Koli-, dagegen nie in Typhuskulturen vorkommt. Für die Zwischenglieder, Paratyphus A und B (manche Forscher spalten noch Paratyphus C ab) ist das Vorkommen schwankend und um- stritten. Erwähnenswert ist hier, daß die Indol- reaktion besonders stark bei den Choleravibrionen eintritt und hier mit dem Namen „Cholerarot- reaktion" bezeichnet wird. Endlich kennen wir noch ein optisches Hilfs- mittel, das uns mit ziemlicher Sicherheit die Unterscheidung allerdings nur der Endglieder der Koli-Ruhr-Reihe erlaubt, es ist des Aussehen ihrer Kulturen. Das Bact. coli zeigt auch hier bakterien ist also nicht leicht. Alle die „Dififeren- tialnährböden" (fast jedes Laboratorium hat da seine eigenen !) müssen in der charakteristischen Weise verändert sein, und auch dann noch zieht der geübte Bakteriologe ein letztes und durchaus sicheres Unterscheidungsmittel zu Rate: die Serum- reaktion (Pfeiffer oder Gruber-W'idal). Diese fällt aber schon aus dem eigentlichen Gebiet der Bak- teriologie heraus. Eine kurze Charakteristik der einzelnen Bak- terien möge hier folgen (s. auch die Tabelle). Bact. coli coiiuiuiiic ist in der Regel unbe- beweglich und besitzt 8 — 12 rings angeordnete Geißeln. Es bringt Milch zur Gerinnung, vergärt Milch- und Traubenzucker unter starker Gasbildung und zeigt überhaupt sehr kräftiges Wachstum und starke chemische Reaktion. Ihm am nächsten verwandt ist Bact. para- typlii B, zu dem man auch die Bakterien der 650 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 41 Fleischvergiftung rechnet. Die Gruppe des Bacf. parat. B umfaßt viele Abarten, die kulturell und morphologisch nicht oder nur sehr unsicher von- einander zu unterscheiden sind und nur ganz ver- schiedene Krankheitsbilder hervorrufen, so die Gärtner- oder Ratin-Gruppe (Rattenschädlinge), Kälberruhrbazillen, Erreger des Mäusetyphus und der Schweinepest u. a. Der Bazillus des Paratyphus B i. e. S. zeigt kulturell ein sehr interessantes Ver- halten. Bekanntlich verläuft der Paratyphus B auf zweierlei Weise, entweder typhus- oder cholera- artig. Der Bazillus der choleraähnlichen Erkrankung bildet auf Nähragar Kolonien mit Schleimwällen, die dem Bazillus der typhusähnlichen Erkrankung fehlen. Durch Umzüchtung kann man den ersteren Bazillus veranlassen, die Schleimwallbildung aufzu- geben; ob die derart veränderten Bazillen nun auch ein verändertes Krankheitsbild hervorrufen, ist noch nachzuprüfen. — In der Regel ist das Bad. parat. B lebhaft beweglich; seine Geißeln sind länger und zahlreicher als die des Bact. coli. Es bildet in Milch und Molke nach anfänglicher Säuerung Alkali und unterscheidet sich dadurch vom Bad. paratyplii A, das übrigens seltener vor- kommt. Das Bact. typlii ist lebhaft beweglich und be- sitzt einen an den Körperseiten angehefteten wohl- ausgebildeten Geißelkranz; es ist meist etwas schlanker und zierlicher als die vorgenannten Bak- terien, doch genügt dies Merkmal nicht zur mor- phologischen Unterscheidung. Seine chemische Tätigkeit ist im Vergleich zu der des Bad. coli und der Paratyphusbakterien gering : weder ver- mag es Milch zur Gerinnung zu bringen, noch Milchzucker anzugreifen, noch Traubenzucker zu vergären. In seinem kulturellen Verhalten gleicht es so dem Bact. faccalis alkaligciics, nur daß dieses in Molke sogleich Alkali bildet (was z. B. bei Bact. parat. B nach einigen Tagen eintritt). Die Ruhrbazillen nehmen dadurch eine etwas besondere Stellung in der Reihe ein, daß die Dysenterie keine rein infektiöse Krankheit, wie z. B. der Typhus, ist: vielmehr bleibt die bakteri- elle Erkrankung auf den Darm und die benach- barten Lymphdrüsen beschränkt, und das von den Bakterien produzierte Gift gelangt mit dem Lymph- strom in die Blutbahn und ruft so die schweren Vergiftungserscheinungen hervor, die wir als das Krankheitsbild der Dysenterie kennen. Man unterscheidet jetzt 2 Arten von Ruhr- bazillen; die starkgiftigen vom Typus Shiga-Krusc, die Erreger der schwersten Krankheitsfälle, und die giftarmen Typen P" lex n er, Y und Strong, die Erkrankungen mit im allgemeinen milderen Ver- lauf hervorrufen. Morphologisch ist keine Unter- scheidung möglich, kulturell nur eine sehr unsichere. Typus Flexner zeigt Indolbildung, die den anderen Typen abgeht. Nur das Bact. coli kommt häufig in der Natur vor, so immer in mit menschlichen oder tierischen Abgängen verunreinigtem Wasser. Verschiedene Formen sind als kräftige Gärungserreger bei der Zersetzung organischer Stoffe, .namentlich pflanz- licher, allgemein verbreitet. Typhusbazillen wurden selten im Wasser nachgewiesen, das für sie nur als sekundärer Standort in Betracht kommt, indem sie nur mit den Abgängen Typhuskranker hinein- geraten. Bakterien der Paratyphusgruppe finden sich in verdorbenem Pleisch. Konserven und Wurst. Ein X'orkommen von Ruhrbazillen außerhalb des erkrankten Körpers ist mir nicht bekannt. Einzelberichte. Physik. Treffen Kathodenstrahlen auf einen festen Körper, so entstehen an dessen Oberfläche Röntgenstrahlen. Man stellt daher der Kathode der Entladungsröhre die aus Platin oder Wolfram bestehende Antikathode gegenüber, in diese dringen die mit sehr großer Geschwindigkeit von der Kathode geradlinig fortgeschleuderten Elektronen ein und bei ihrer Bremsung (Verzögerung ihrer Be- wegung) entstehen die R-Strahlen. Gemäß der hohen Spannung von vielen Tausend Volt, die an der Röntgenröhre liegt, ist die Geschwindigkeit und damit die Wucht der Elektronen sehr beträchtlich. Es fragt sich nun: Können auch durch langsame Kathodenstrahlen R-Strahlen ^rze^g^ werden ? Diese Frage wird in einer Arbeit in den .Annalen der Physik 4. Folge Bd. 46 Seite 605—621 (191 5) untersucht. In dem lunladungsrohr befindet sich eine WehneltKathode, d. h. ein mit Kalziumoxyd überzogener Platindraht. Wird dieser durch den Strom einiger Akkumulatoren zum Glühen ge- bracht, so sendet das Metalloxyd reichlich Elek- tronen aus. In einigem .A.bstand von der Kathode ist als Antikathode, die zugleich als Anode dient, ein Metallblech angebracht, das um 45" gegen die Rohrachse geneigt ist. Legt man an die beiden Elektroden eine Spannung an — bei dem Versuche wurden niedrige Spannungen, meistens 500 Volt benutzt — , so erhalten die Elektronen eine be- stimmte, niedrige Geschwindigkeit. Es zeigte sich, daß auch diese langsam enKat hoden- strahle nRöntgenstrahlenerzeugen. Ihr Nachweis geschah auf folgende Weise : In Höhe der .Antikathode befand sich ein seitlicher Ansatz an dem Entladungsrohr, der in den Untersuchungs- raum führte. In diesem befand sich eine mit dem Elektrometer verbundene Metallplatte. Erzeugungs- und Uiitersuchungsröhre waren durch ein sehr dünnes Zelluloidhäutchen (i qcm derselben wog nur 0,1 bis 0,15 mg) getrennt, das trotz seiner Dünne Druckunterschiede bis zu 30 mm Queck- silber aushielt. Von der Antikathode drangen die R-Strahlen durch das Häutchen in den Unter- N. F. XIV. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 651 suchungsraum, der ebenfalls mit der Luftpumpe verbunden war; hier wurde die Luft ionisiert und das L.lektrometer entladen. Die Schnelligkeit dieser Entladung gestattet einen Schluß auf die Intensität der R-Strahlen. Selbst Elektronen von nur 120 Volt Geschwindigkeit erzeugten noch R-Strahlen. Das Material der Kathode hatte auf ihre Intensität nur sehr geringen Einfluß. K. Schutt, Hamburg. Mit der Ozonisierung von flüssigem Sauerstoff durch Bestrahlung beschäftigt sich eine kurze Ar- beit von E. Warburg in den Berichten der Deutschen Physikalischen Gesellschaft 17. Jahrg. (1915) Seite 194—197. Lenard hat 1900 die Ozonbildung durch ultraviolette Bestrahlung des Sauerstoffs nachgewiesen. Da Sauerstoff von Atmosphärendruck die Strahlen bis hinab zu 0,2 ,», wie man sie durch Metallfunken in großer Inten- sität erhält, nur schwach absorbiert, ist die Aus- beute sehr gering. Sie wird wesentlich größer wenn man Sauerstoff von 100 Atmosphären be- strahlt; eine Schicht von 1,8 cm Dicke absor- biert Strahlen bis 0,21 /( vollständig. Doch sind bei diesem hohen Druck experimentelle Schwierig- keiten zu überwinden. Bequemer kommt man zum Ziel, wenn man flüssigen Sauerstoff oder flüssige Luft verwendet. Die filtrierte Flüssigkeit befand sich in einem Ouarzrohr und wurde mit Zinkfunkenlicht bestrahlt. 1,5 cm flüssige Luft verschlucken das Spektrum bis zu 0,256 /« voll- ständig. Der Ozon wurde einerseits durch den Geruch und quantitativ durch Jodkaliumlösung, andererseits durch sein Absorptionsspektrum nach- gewiesen. K. Schutt, Hamburg. Chemie. Wie unterscheidet man Benzin und Benzol? Da Benzol in steigendem Maße an Stelle von Benzin als Betriebsstoff für Motoren Verwen- dung findet, ist es besonders erwünscht, beide Stoffe allein oder in Mischungen nachweisen zu können. Die Bestimmung des spezifischen Ge- wichtes gibt zwar Anhaltspunkte (spez. Gew. des Benzins ca. 0,70, des Benzols ca. 0,88), ist aber nicht immer einwandfrei, da manche Benzine höhere spezifische Gewichte haben und auch die Benzolsorten häufig große Schwankungen im spe- zifischen Gewicht aufweisen. Die Geruchprobe ist, wenn man nicht eine sehr empfindliche Nase hat, ziemlich unzuverlässig und läßt keine quanti- tativen Schlüsse zu. Von einigem Wert kann, richtig ausgeführt, die Verdunstungsprobe sein, bei der man die Geschwindigkeit der Verdunstung einer bestimmten Flüssigkeitsmenge bei bestimmter Oberfläche und Temperatur ermittelt. Chemische Methoden wie die Benzolprobe mit Isatin- Schwefel- säure oder durch Nitrierung mit Salpeter-Schwefel- säure sind nur bedingt von Wert. Eine zuver- lässige Probe ist von Holde angegeben worden; sie beruht darauf, daß ein besonders behandelter Asphalt an Benzin fast nichts abgibt, während Benzol ihn mit dunkler Farbe löst. Die Her- stellung dieses Asphalts ist aber ziemlich um- ständlich. Es ist daher zu begrüßen, daß es K. Dieterich (Helfe.nberg)') gelungen ist, im Suma- tra nischen Drachenblut ein Harz gefunden zu haben, das sich in Benzin gar nicht, in Benzol tief rot lost; Spiritus, auch ein vielverwendeter Ersatzstoff für Benzin, färbt sich ähnlich wie Benzol. Um auch dem Laien diese ,,Dracorubinharzprobe" leicht zugänglich zu machen, hat die Chemische Fabrik Helfenberg A.-G. (Helfenberg i. S.) ein Reagenzpapier in den Handel gebracht, das mit einer Lösung des gereinigten Harzes getränkt ist. Das Dracorubinpapier gestattet, auf einfache Weise die Natur eines vorliegenden Betriebsstoffes zu erkennen ; durch kolorimetrische Vergleichsver- suche läßt sich sogar eine annähernd quantitative Prüfung der Benzine auf Benzol ohne Schwierig- keit vornehmen. Je ungefärbter der zu unter- suchende Betriebsstoff ist, um so besser und reiner ist das betreffende Benzin ; je mehr dunkelblutrot der Betriebsstoff mit dem Reagenzpapier wird, um so besser ist das vorliegende Benzol. (G- C.) Dr. G. B. Zoologie. Die letzte Wandet taube. Im zoologi- schen Garten zu Cincinnati, Ohio, ging am 7. Septbr. 1914 Mittags I Uhr das letzte Exemplar eines Vogels ein, der ehemals in ungeheuren Schwärmen gewisse Gegenden Nordamerikas auf seinen Zügen überflog, die letzte der Wandertauben (Passenger pigeon, Ectopistes migratorius). In der ersten Hälfte des vergangenen Jahr- hundert lebten, wie R. W. Shufeldt,-) der das letzte Exemplar photographierte und unter- suchte, erzählt, noch ungezählte Mengen dieses Vogels östlich des Mississippi. Zwischen 1830 und 1840 passierten die „wilden Tauben" auf ihren Zügen von und zu den Brut- resp. Futter- plätzen tagelang die Landschaft in so dichten Scharen, daß die Sonne um Mittag verdunkelt wurde. Die Schwärme, die 15 — 20 Meilen breit und durchschnittlich 10 — 15 Fuß tief waren, schössen mit einer Geschwindigkeit von 60 — 70 Meilen in der Stunde dahin, ohne daß sich in 3, 4 ja 5 Tagen eine größere Lücke in ihren Reihen zeigte. Wer hätte es für möglich gehalten, daß diese unerschöpflichen Massen jemals ausge- rottet werden könnten ! Und doch ging es ihnen noch schlimmer wie den riesigen Büftelherden; in kurzer Zeit hat der Mensch dieses Glied unserer lebendigen Schöpfung einfach ausgelöscht, hinweg- gewischt. Mit Feuerwaffen, Fackeln, Fallen, Netzen ging man den hübschen Tieren zu Leibe, tausende wurden ohne irgendwelchen erkennbaren Zweck getötet, Millionen anderer wegen ihrer Federn, ungezählte Mengen kamen auf den Markt und ebensoviele blieben einfach da liegen, wo sie dem ') Vgl. Dr. Karl Dielcrich, Die Analyse und Wert- bestimmung der Motoren-Benzine , -Benzole und des Motor- spiritus des Handels. Berlin 1915. ■^) „The Auk", Vol. XXXll, 1915, S. 29 sowie „Blue-Bird^', Vol. VII, 1915, S. 85. 652 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 41 Knattern des Gewehrfeuers, dem Wüten der übrigen Mordwerkzeuge zum Opfer fielen. Jetzt steht das letzte Exemplar ausgestopft in der zoologischen Sammlung des Nationalmuseums zu Washington D. C, Ectopistes migratorius gehört zu den ausgestorbenen Vögeln, wie die Dronte, der Große Alk. Miehe. Der Hammerhai (Zygaena malleus Risso). — Eine der merkwürdigsten Tiergestalten ist der von Schiller auch in die deutsche Literatur ein- geführte Hammerhai. ,,I)es Hammers gräuliche Ungestalf' zählt im Gedicht „Der Taucher" zu den Bewohnern der Meerestiefe. Auch Gesner war der Hammerhai wohl bekannt; G. bildet das ganze Tier, sowie einen Kopf desselben besonders ab. Die Namen rühren offenbar von der eigen- tümlichen Gestalt her, welche dem Tier der kurze, in die Breite gezogene Kopf verleiht. In der Historia Animalium von Konrad Gesner (1558) heißt er: „Schlegetkopf oder Schlegelhund, Meer- schlegel und Meervvaag: im Fischbuch von Dr. Konrad Forrer (1598) ein Bleywaag, -Senckel, Setzwaag, Winckelmaß, Linier, Richtschnur, Richt- scheit und Linial. Fig. I. Hammerhai von der Rückcnscite. '/s nat. Größe. Seine auffallende Körpergestalt ist so in die Augen springend, daß darüber leicht eine andere Formeigentümlichkeit übersehen wird. Die Kontur- linie der Rücken- und der Unterseite des Kopfes bildet nämlich nicht einen nach vorn konvexen Bogen, sondern der Kopf ist vorn zugeschärft, eine Eigentümlichkeit, welche schon dem alten Gesner auffiel. Auch die Bedeutung dieser Formeigenlümlichkeit war ihm bekannt. Dieselbe besteht offenbar darin, daß der Körper beim raschen Schwimmen einen möglichst geringen Widerstand findet. G. sagt vom Kopf: „in aciem acuitur; ut dum celeriter piscis natat, ob- vios pisces secare posse credatur", „der Kopf ist so zugeschärft, daß man glauben kann, der F'isch sei imstande beim raschen Schwimmen ihm in den Weg kommende andere Fische durchzu- schneiden". In den mir bekannten Abbildungen des Hammer- haies kommt diese Formeigentümlichkeit am besten in Leunis, Synopsis der Tliierkunde (i.Bd. 3. Auflage 1S83) zur Darstellung, wird aber leicht Fig. 2. Hammerhai von der Bauchseite. Fig. 3' l^üpf des Hammerhaies von v ','2 nat. Größe. U = Nasenrinne. Übersehen, zumal im Text davon keine Rede ist. Es dürfte somit von Interesse sein, wenn ich vor- stehende photographischen Abbildungen eines kleinen (47 ein langen) Hammerhaies vorlege, der aus der Meerenge von Messina stammt. In l'lgur 3 kommt auch das eigentümlich ge- formte Nasenloch zur Darstellung. Dasselbe bildet nämlich eine langgestreckte Rinne (n I, die am Vorderrande des Kopfes bis dicht zu den .Augen verläuft. Diese Einsenkung war schon von Gesner gesehen worden. „In utraque praeterea ultima frontis parte, oculis proxima, oblongum insculptum est foramen." Die Frage, welchem Sinn die N. F. XIV. Nr 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 653 eigentümliche Bildung dient, läßt G. offen: „foramen auditui olfactuique, aut utrique (ut arbitror) sub- serviens." „Das Loch dient dem Gehör und Geruch oder — wie ich glaube — beiden." In Leunis- Ludwig ist übrigens die Form des Nasenlochs angegeben. Bei Forrer wird vom Hammerhai gesagt: „Ist gantz grausam und scheußlich anzu- schauwen, hat nit so eine rauche Haut als andere Hundfisch. Seer große / scheußliche / grausame Tier sollen diese Fisch seyn / komm.en zu keiner zeit an dz gestad / aus Ursache allein die kleinen gefangen werden / so sich verschiessen / fressen allerley Fisch / verschlucken und zerreißen auch die schwimmde Mensche." Es ist nicht zu ver- wundern, daß dem Erscheinen eines so wunderlich gestalteten Tiers eine schlimme Vorbedeutung für Schiffer beigemessen wurde. Gesner sagt: „Li- bella cum sit aspectu infausto, infelicique, non est prospera navigantibus." Auch Forrer sagt: „So sie von jemand gesehen werden / hat man es für unglückhafftig." Der Ilammerhai erreicht eine Länge von 3 — 4 m, bei einem Gewicht von 200 — 300 kg und wird beinahe in allen wärmeren Meeren ge- funden. Dr. L. Kathariner. Biologie. Untersuchungen über das Bastar- dierungsproblem. Es ist längst bekannt, daß die Umwelteinflüsse für die Entwicklung der Organis- men von großer Bedeutung sind. Auch in bezug auf die Bastardierung ist man zu der Annahme gezwungen, daß ihr Gelingen oder Mißlingen viel- fach von Einwirkungen der umgebenden Natur abhängt. Eine Bestätigung findet diese Annahme durch die mit Seeigeleiern und Seesternsamen durchgeführten Versuche von J. Loeb, des be- kannten Professors der Physiologie an der Univer- sität von Ivalifornien. Wie die meisten Meeres- tiere, so legen auch die Seeigel und Seesterne die unbefruchteten Eier und das Sperma in das Meerwasser ab. Nur die numerische Überzahl der Spermatozoa über die Ova sichert die Be- fruchtung, da eine gegenseitige Anziehung nicht stattfindet, sondern lediglich der Zufall beiderlei Keimzellen zusammenführt. Diese Tatsache, die dem widerspricht, was man lange Zeit glaubte, wurde durch zahlreiche Versuche verschiedener Forscher erwiesen. Prof. Loeb verweist darauf, ^) daß in einem bestimmten Gebiet in der Regel alle oder doch die meisten Individuen derselben Art an dem gleichen Tage die Keimzellen ausscheiden und daß an solchen Tagen das Meerwasser von Samen ganz durchmengt ist, welche die Fähigkeit zur Befruchtung einige Tage lang behalten. Zu ge- wissen Jahreszeiten ist es daher unvermeidlich, daß zugleich mehrere Arten von Eiern und Samen ') Experimcntal Study of the Influence of Environment on Animals. Darwinfestschrift d. Univ. Cambridge, S. 248 ff. — Befruchtung von Seeigcleiern durch Seesternsamen. Archiv f. d. ges. Physiologie, Bd. XCIX, S. 323 ff. im Meerwasser suspendiert sind, und es ist wun- dersam, daß nicht fortgesetzt recht verschieden- artige Bastardierungen vorkommen. Warum das nicht geschieht, wird klar, wenn man reife Eier und befruchtungsfähige Samen verschiedener Gattungen zusammenbringt; denn dabei wird gewöhnlich kein Ei befruchtet. Die Seeigeleier können befruchtet werden mit Samen der eigenen Art, in geringerer Zahl auch mit Samen anderer Seeigelarten, nicht aber mit dem Samen anderer Gruppen von Echinodermen, wie etwa Seesternen, Seewalzen, Seelilien usw., noch mit den Samen weiter entfernt stehender Tiergaltungen. Es be- stand die Meinung, daß der Same in das Ei durch einen engen Kanal eindringen muß, und daß nur der Same der eigenen oder einer nahe verwandten Art diesen Kanal passieren könne. Loeb kam auf den Gedanken, daß die Ursache der be- schränkten Bastardierungsmöglichkeit anderer Natur sein könne, und daß durch eine Änderung in der chemischen Zusammensetzung des Meerwassers heterogene Bastardierungen zustande gebracht werden könnten, die unter gewöhnlichen Verhält- nissen unmöglich sind. Diese Annahme erwies sich als richtig. Das Meerwasser ist durch eine geringe alkali- sche Reaktion ausgezeichnet. Wenn man diese Reaktion durch LIinzufügen einer bestimmten kleinen Menge von Natriumhydroxyd oder an- derer Alkalien etwas steigert, so erweisen sich Seeigeleier mit Samen sehr verschiedener Tier- gattungen befruchtbar, ja Loeb meint sogar mit Samen aller Tiere, die normalerweise in das Meer- wasser abgesetzt werden. Es gelang, durch Zu- satz von I bis i'/, ccm einer n/iO-Lösung von NaOH zu 100 ccm Meerwasser große Mengen der Eier von Strongylocentrotus purpuratus, eines an der kalifornischen Küste vorkommenden See- igels, mit Samen verschiedener Arten von See- sternen, Haarsternen und Holothurien zu befruchten, was in gewöhnlichem Meerwasser oder bei Zusatz von weniger Natrium - Hydroxyd ausgeschlossen ist. Die Samen der verschiedenen Seesternarten erwiesen sich bei Loeb 's Versuchen ungleich wirksam ; jene von Asterias ochracea ergaben das beste Resultat, da mit ihnen 50 7o oder mehr Seeigeleier befruchtet werden konnten, mit Samen von Pycnopodia und Asterina aber bloß 2 "/^j. Ein über ein gewisses Maß vermehrter Zusatz von Alkalien vermindert die Bastardierungsmöglichkeit und hebt sie schließlich ganz auf. Beachtenswert ist auch, daß bei der von Loeb künstlich ge- steigerten alkalischen Reaktion des Meerwassers die Befruchtung der Seeigeleier mit Samen der- selben Art unmöglich war. Godlewski benutzte dieselbe Methode zur Bastardierung von Seeigeleiern mit Samen von Autedon rosacea. Loeb befruchtete Eier von Strongylocentrotus franciscanus mit dem Samen eines Mollusken, nämlich Chlorostoma. Dabei er- höhte er die alkalische Reaktion des Seewassers, indem er auf 100 ccm i V2 ccm einer n/io-Lösung 654 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 41 von NaOH zusetzte. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch Kuppelwieser bei seinen Versuchen zur Befruchtung von Seeigeleiern mit Mollusken- samen. Loeb hält es nicht für ausgeschlossen, daß in früheren Perioden der Erdgeschichte solche hete- rogene Bastardierungen in der Natur vorkamen, denn es ist bekannt, daß in Lösungen wie Meerwasser der Grad der Alkalinität zunehmen muß , wenn die Menge des Kohlendioxyds in der Atmosphäre abnimmt. Wenn es richtig ist, wie Arrhenius annimmt, daß die Eiszeit durch eine Abnahme der Menge des Kohlendioxyds in der Luft verur- sacht wurde, so muß diese Abnahme auch zu einer Steigerung der Alkalinität des Meerwassers geführt haben und ein Ergebnis davon muß die Ermöglichung heterogener Bastardierungen in den Meeren gewesen sein, die jetzt wieder geschwun- den ist. Doch angenommen, daß solche Bastardierungen möglich waren , würden sie den Charakter der Tierwelt beeinflußt haben ": Diese Frage ist auf Grund der Ergebnisse der bisherigen Unter- suchungen von Loeb zu verneinen. Die ersten Versuche ließen die Lebensfähigkeit der hetero- genen Bastarde zweifelhaft erscheinen. Die Lebens- dauer der mit Seesternsamen befruchteten See- igeleier war sehr kurz. Doch zeigten spätere Experimente, daß dieses ungünstige Ergebnis auf Mängeln des Verfahrens beruhte, und es stellte sich heraus, daß Bastardlarven ebenso lebensfähig waren als seine Brüten. Was die Frage der Vererbung anbetrifft, so zeigen alle Versuche über heterogene Bastardie- rung, daß die Larven ausschließlich mütter- liche Merkmale tragen, wobei es ganz gleich, ob die Form, von der das Sperma stammte, mit der mütterlichen Form näher oder entfernter verwandt ist. So ergaben die Versuche von Loeb geradeso wie jene von Godlewski und Kuppelwieser, daß die aus Seeigeleiern und Samen von Seesternen, Crinoideen oder Mollusken hervorgegangenen Larven am dritten Tag, oder noch früher, das für Seeigel typische Skelett be- saßen. Godlewski's Versuche ergaben über- dies, daß bei der heterogenen Bastardierung die Vereinigung von Eikern und Samenkern in nor- maler Weise erfolgt. Wie ausgewachsene Bastarde aussehen, ob auch sie nur mütterliche Merkmale tragen, ist bisher noch nicht entschieden worden. H. Fehlinger. Bücherbesprechungen. Die chemische Konstitution der Eiwei§körper. Von R. H. A. Flimmer, D. Sc. Nach der 2. Aufl. des englischen Originals deutsch heraus- gegeben von J. M a t u 1 a. Zwei Teile in einem Band. Mit 5 Abb. Dresden u. Leipzig, Verlag von Theodor Steinkopf, 1914. — Preis geh. 8 M., geb. 9. M. Die Probleme der Eiweißchemie sind infolge ihres Zusammenhangs mit den wichtigsten Fragen der Physiologie seit langem der Gegenstand inten- siver I-^orschung. Seitdem Emil Fischer seinen Scharfsinn und seine Arbeitskraft in den Dienst der Lösung dieser Probleme gestellt hat, haben sich die Schleier, die auf diesem früher so dunkeln Gebiet der Chemie ruhten, gelüftet. Es ist gelungen, die Eiweißstoffe zu einfacheren Bestandteilen abzu- bauen, diese Bausteine chemisch zu definieren und zu komplizierteren Stoffen wieder zusammen- zusetzen, so daß die restlose Aufklärung der Konsti- tution auch der höchstmolekularen Proteine in absehbare Nähe gerückt worden ist. Unter diesen Umständen ist die Herausgabe einer Monographie, welche die Ergebnisse der neueren Forschungen über Eiweißstoffe zusammenstellt, ein Unternehmen, das nicht nur der Chemiker, sondern jeder natur- wissenschaftlich Gebildete dankbar begrüßen wird. Das in guter Übersetzung vorliegende Buch kann in jeder Hinsicht empfohlen werden. Eine sorgHiltige Literaturübersicht erleichtert demjenigen, der sich eingehender mit den Eiweißstoffen beschäftigen will, den Weg zum Studium der Originalarbeiten. Brehm's Tierleben, allgemeine Kunde des Tierreichs. Vierte vollständig neubearbeitete Auflage. Herausgegeben von Prof. Dr. C. zur Strassen. Säugetiere. III. Bd., neube- arbeitet von Ludwig Heck und Max H i 1 z - he im er. X, 722 S. gr. 8'^, mit 146 Abbild, nach Photographien auf 25 Doppeltafeln, 52 Text- abbildungen, 17 farbigen und 4 schwarzen Tafeln. Leipzig-Wien, Bibliographisches Institut, 1915. Einen neuen Band „Brehm" nimmt man immer mit einer gewissen Spannung entgegen. Handelt es sich doch in dem ,, neuen Brehm" um eine von anderen Grundsätzen ausgehende, völlige Neubearbeitung des so weitverbreiteten und auch in fremde Sprachen übersetzten Werkes 1 Wenn man auch bei jedem der bisher erschienenen Bände der vierten Auflage die Vortrefflichkeit der Dar- stellung in Wort und Bild immer wieder bestätigt findet und das mit vollem Recht auch beim jüngsten Bande erwarten durfte, so bietet doch jeder Band auch einen oder anderen besonderen Punkt, auf dessen Behandlung man — sagen wir- etwas neugierig ist. In dem vorliegenden dritten Säugetierbande, in dem H eck die Wale, Elefanten, Klippschliefer und Unpaarhufer, H i 1 z h e i m e r die Raubtiere und Sirenen bearbeitet haben, betrifft ein solcher Punkt die Haustiere unter den Carni- voren und Unpaarhufern. Hier war der alte Brehm im Text wie besonders in den Abbildungen nicht auf der Höhe. Beides ist in der neuen Bearbei- tung von Grund aus geändert worden: während es in der vorausgehenden Auflage heißt, die N. F. XrV. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 655 Kunde der Rassen (des Haushundes) liege außer dem Plane des Werkes , weshalb nur ein Über- blick der wichtigsten Formen gegeben wird, bringt Hilzheimer, der auf dem Gebiete der Haustierkunde selbst schaffend tätig ist, eine Systematik der Haushundrassen auf anatomisch- physiologischer Grundlage. In entsprechender Weise ist der ganze Abschnitt über das Pferd von Heck umgestaltet worden, sowohl nach der Seite der Abstammungszusammenhänge als nach der der Rassenschilderung. Die zugehörigen Abbil- dungen sind die besten, die man erlangen kann, weil vom lebenden Objekt, von Ausstellungs- bzw, preisgekrönten Tieren hergenommen. Ein zweiter Punkt betrifft die psychischen Leistungen der Hunde und Pferde, auch der rech- nenden Pferde. Für letztere stellt sich Heck ganz auf die Seite von Pfungst und bedauert, daß es diesem noch nicht möglich geworden ist, auch die Elberfelder Pferde zu prüfen , ist aber überzeugt, daß auch da die Lösung in derselben Richtung zu finden sein wird wie beim „Klugen Hans" — in derselben Richtung, weil eins der Elberfelder Pferde, wenn es wirklich blind ist, nicht auf unbewußt gegebene sichtbare Zeichen reagieren kann. Im allgemeinen gilt für den vorliegenden Band das bei der Besprechung der früheren Hervorge- hobene (vgl. Naturw. Wochenschr. 191 2 u. 1914). Die Schwierigkeiten, welche sich dadurch ergeben, daß der gewaltig angewachsene Stoff in gemein- verständlicher Form und dem heutigen Stande des Wissens entsprechend auf vorher abgegrenztem Raum zu bringen war, sind mit vollem Erfolge überwunden worden, wenn auch Streichungen bzw. Kürzungen des früheren Textes bei der völligen Umarbeitung nicht ausbleiben konnten. Bei der Lektüre empfindet man die Auslassungen gar nicht und es hätte darin noch weiter gegangen werden können. Jedenfalls ist der Ersatz weit wertvoller als das Gekürzte oder ganz Wegge- fallene: ist es doch auch in diesem Bande wieder gelungen, die Zahl der geschilderten Formen gegenüber der vorausgehenden Auflage zu steigern, von 225 auf rund 400. Die Zahl der durchweg vortrefflichen Abbildungen und Tafeln konnte über das urspünglich vorgesehene Maß hinaus er- höht werden; viele werden hier zum ersten Male veröffentlicht, andere gelangen durch den „Brehm" zur Kenntnis eines größeren Leserkreises, dem sie bis dahin kaum zugänglich waren, und nur wenige sind von der früheren Auflage übernom- men. Die Farbentafeln stammen meist von W. Kuhnert, andere haben Wa tagin, Wysotski, Remgius und Friese geliefert. Unter den Momentaufnahmen sind besonders zwei Delphin- bilder hervorzuheben, deren eins die Alte mit zwei an den Brustwarzen hängenden Jungen in der Flucht vor einem Dampfer zeigt. M. Braun. Külpe, Prof Dr. Oswald, Die Philosophie der Gegenwart in Deutschland. Sechste verbesserte Aufl. Teubner, Leipzig und Berlin, 19 14. („Aus Natur und Geisteswelt", 41. Bändchen.) Preis in Leinw. geb. 1,25 M. Die vortreffliche kleine Schrift, die auf nur 120 Seiten in allgemeinverständlicher, klarer und sachlicher Weise in die hauptsächlichsten Rich- tungen und Erscheinungen der modernen Philo- sophie einführt, kann auch gerade dem Natur- wissenschaftler dringend empfohlen werden. Sind doch von den vier Hauptrichtungen, die Külpe unterscheidet, dem Positivismus, Materialismus, Naturalismus und Idealismus, die beiden ersten fast ausschließlich einer Auseinandersetzung mit zwei bedeutenden philosophierenden Naturforschern gewidmet: Ernst Mach und Ernst Häckel. Die besonders an dem letzteren geübte Kritik K ü 1 p e's ist sehr scharf; aber es muß immer wieder ausgesprochen werden, daß Häckel's Einfluß in dieser Richtung, der bereits Schaden genug ge- stiftet hat, endlich völlig überwunden werden muß, wenn überhaupt Klarheit über die zwischen Natur- wissenschaft und Philosophie obwaltenden Ver- hältnisse als wünschenswert gelten soll. Denn Häckel sterilisiert seine Leser keineswegs nur in Hinsicht ihrer etwaigen metaphysischen Be- dürfnisse, sondern verlegt ihnen zu einem guten Teile die Möglichkeit eines Verständnisses philo- sophischer Probleme als solcher überhaupt. Es dürfte fraglich oder auch nicht fraglich sein, ob es nicht besser wäre, nie von Kant gehört zu haben und seine Tage als anspruchsloser Diener derExperimentalchemie hinzubringen, als H äc k e l's Auffassung von dem großen Philosophen als etwas Zuverlässiges oder Wertvolles dem eignen Geistes- besitz einzuverleiben. Da Külpe's Büchlein in sechster Auflage vorliegt, erscheint ein ausführliches Eingehen auf seinen Inhalt nicht angemessen und so muß es bei einer allgemeinen und warmen Empfehlung sein Bewenden haben. Wasielewski. Anregungen und Antworten. Herrn Dr. Fritsche-Bautzen. Wie ist die Entstehung der Eisenbisulfidkugeln (doch wohl Markasitf), die in den Schützen- gräben der Champagne so oft in den Kreideschichten sich finden, zu erklären, im besonderen auch ihre radiale Struktur? Eisenbisulfid , meist Pyrit, seltener Markasit, ist sehr ver- breitet in Sedimentgesteinen und geht überall in letzter Linie zurück auf die Verbindung des in allen Gesteinen verbreiteten Eisens mit dem durch die Verwesung der organischen Sub- stanz freiwerdenden Schwefel des Eiweißes. Der Absatz er- folgt entweder syngenetisch oder epigenetisch in der Phase der Diagenese des betreffenden Gesteines, aber auch dann doch aus Stoffsubstanz, die dem Gestein von Anfang an syn- genetisch beigemengt war. Vielfach ist bei der syngenetischen 656 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 41 Entstehung Beteiligung von Mikroorganismen (Si-hwefelhaktcrien u. a.) festzustellen. Das gilt insbesondere für die Bildung des fein verteilten Eisensulfides vieler hierdurch dunkel gefärbter Schlamme in PUüssen, Seen und im Meere, die indes zunächst nur Einfachschvvefeleisen (bzw. Eisensullidhydrat) enthalten. Dieses geht aber, sofern solche Bildungen unter Luftabschluß bleiben, durch Addition weiteren Schwefels in Eisenbisulfid über, das dann vielfach in deutlichen Kristallen des Pyrits oder auch kleinen Konkretionen auftritt, wie das van Bem- melen für alluviale Schlicke Hollands, Andrussow für Schlamme des Schwarzen INIeeres nachgewiesen hat. Die Frage , ob für alle Fälle der syngenetischen Entstehung von Schwefeleisen in Sedimenten bakterielle Tätigkeit anzunehmen ist, ist noch nicht endgültig gelöst. Das entstehende Eisen- bisulfid ist vermutlich immer zunächst ein Gel , das man mit Do SS als Melnikowit-Gel bezeichnet. Dasselbe geht spontan in eine kristalloide Phase, den Melnikowit, schließlich in den Pyrit über. Die ursprüngliche Gelform erklärt auch die Gestalt der vielfach im Laufe der Diagenese, wohl sicher ohne bakterielle Mitwirkung, in gewissen Gesteinen entstehenden Kugeln und Knollen von Eisenbisulfid und deren Radial- strahligkeit. Letztere ist darauf zurückzuführen, daß die Kri- stallisation gleichzeitig von vielen Punkten (sog. ,, Keimen") aus begann; ob sie aber zentripetal, von der Peripherie der Kugeln aus, oder zentrifugal, vom Zentrum aus, vorschritt, bleibt in den meisten Fällen eine noch offene Frage. Es handelt sich in solchen Knollen immer um eine nachträgliche Zusammen- ballung ursprünglich fein verteilter Substanz um irgendwelche ,, Keime" oder um diejenigen Stellen, an denen eventuell in- folge bestimmten Porenvolumens, welches die Größe der .Ad- sorption regelt, zuerst eine Übersättigung an der betreffenden Substanz eintrat. Eisenbisulfidkugeln sind besonders in der Schreibkreide, z. B. auf Rügen, gar keine seltene Erscheinung. Die Unterscheidung, ob Pyrit oder Markasit vorliegt, ist nicht immer leicht, wenn Kristallflächen fehlen oder unter erkenn- bare Größe heruntergehen. Die leichte Verwitterbarkeit, die manche dieser Kugeln zeigen, ist nicht ohne weiteres für Markasit beweisend. Die Frage, ob Markasit oder Pyrit vor- liegt, bedarf daher in vielen Fällen besonderer Untersuchung. In Frage kommen hierfür chemische Methoden, die optische Untersuchung im auffallenden Licht nach Koenigsberger (Markasit ist anisotrop , Pyrit isotrop !) und Feststellung des spezifischen Gewichts (beim Pyrit zwischen 4,9 und 5,2, beim Markasit zwischen 4,65 und 4,88. Vgl. z. B. Ad. Mahr, Über Schwefelkies und Markasit aus Hessen-Nassau und Wal- deck. Inaugural-Dissertation , Marburg 191 2.) Im heutigen Zustand ist die Schreibkreide äußerst arm an organischer Substanz. Das dürfte indessen eine sekundäre Erscheinung sein, denn bekanntlich besieht die Schreibkreide aus Billionen kleinster meist kalkschaliger Lebewesen. Hiernach ist anzu- nehmen, daß die Eisenbisulfidkugeln der Kreide recht bald nach der Bildung der Ablagerung entstanden sind. Andree. Hüpfende Blütenknospen. Am 4. Juni erhielt ich von einer Bekannten eine Anzahl Blütenknospen vom Weißdorn, welche eigentümliche Bewegungen ausführten. Ich konnte nun zunächst feststellen, daß nicht alle Knospen sich bewegten, trotzdem sie in ihrem Aussehen und in ihrer Größe alle gleich waren; sie machten nicht den Eindruck vertrockneter Gebilde, sondern sahen alle ganz frisch aus. Die Bewegungen bestan- den bald in einem kurzen, ruckartigen Drehen um die eigene Achse, bald in Sprüngen, die, nur wenige Millimeter hoch, eine Weite bis zu 3 cm erreichten. Einige Knospen lagen längere Zeit ganz ruhig, um dann die erwähnten Bewi.gungen auszuführen; andere dagegen waren unermüdlich in ihrem Hüpfen. Solche hüpfenden und springenden Bewegungen sind an Früchten beobachtet worden, nämlich an denen von Sebastiana Paroniana, den ,, springenden Bohnen aus Mexiko", und an denen der Tamari.i gallica, einer Pflanze, die der mittelländi- schen Flora angehört. Man weiß, daß sie durch Insekten- larven veranlaßt werden, die das Innere der Früchte bewohnen, und zwar ist dies bei der ersteren die Raupe eines Klein- schmetterlings, Carpocapsa saltitans, bei der letzteren die Larve des Käfers Nanodes tamarisci. Es lag daher die Ver- mutung nahe, daß auch bei den Blütenknospen eine Larve die Urheberin der Bewegungen sein würde. Ich öffnete daher eine der Knospen, und richtig, darin saß eine Käferlarve von gelblich brauner Farbe. Um nun zu erfahren, welcher Käfer- art die Larve angehöre, legte ich die Knospen in eine kleine verschlossene Pappschachtel. Die Bewegungen wurden in den nächsten Tagen schwächer und seltener und hörten vom 7. Juni an ganz auf. Die von den Larven bewohnten Knospen schrumpften etwas ein, und die weiße Farbe wich dem Braun, welches vertrocknende Pflanzenteile annehmen ; die nicht be- wohnten Knospen dagegen behielten fast ganz ihr bisheriges Aussehen. Am 27. Juni schlüpften die Käfer; es waren kleine Rüßler und zwar Apfelblütenstecher, .\nthonomus pomorum. M. Bcyle. Parthenogenese bei Lymantria dispar. Am Schlüsse meines Artikels: Ein Beitrag zur Vermehrung von Lymantria dispar: Ausfall der Digenese, Naturw. Wochenschr. 1911, Nr. 33, S. 5 '.3 ff. sprach ich die Vermutung aus, daß bei weiteren sorgfältigen Zuchtversuchen zeitweilige parthenogenesierende Vermehrung von L. d. als Ersatz nicht erreichter normaler Fortpflanzung beobachtet werden könnte. Meine Annahme wird bestätigt durch Beobachtungen zweier französischer Naturforscher, die vor langer Zeit bereits mehr festzustellen vermochten , als was mir gelang. Ihre Berichte sind mir erst jetzt bekannt geworden. Carl i er erhielt auf parthenogenetischem Wege drei Generationen, deren letzte nur (V'c/' ergab. (Carlier cit. in Lacordaire, Introduction ä l'Entomologie. Paris 1S34 — 1838.) H. Weijenbergh (Quelques observationes de Parthe- nogenese chez les Lepidopteres. Arch. neerl. Sc. exact et nat. Tom. V. 1870) brachte die Entwicklung ebenfalls auf drei Generationen. Er erhielt von 60 99 relativ wenig Eier, aus denen 50 Raupen entschlüpften. Von diesen Raupen brachte es die reichliche Hälfte (27) bis zur Imago, 99 und o^cy in ungefähr gleicher Zahl (14 9i 'So^)- Das Gelege der folgen- den Generation, das zahlreicher und kräftiger war als das der ersten, ergab wiederum gleichviel 99 und cfV- Obwohl auch die dritte Generation der Eizahl nach große Gelege hervor- brachte, entwickelten sich diese doch nicht. Es bliebe dem- nach zu untersuchen, ob der Ausfall digener Fortpflanzung sich auf mehr Deszendenten erstrecken kann, als er durch die Arbeiten der genannten Autoren erwiesen ist. Leipzig. Prof. Dr. William Fritzsche. Literatur. Das Pflanzenreich. 64. Heft (IV. 23 De.) Araceae— Philodendroideae — Anubiadeae , Dieffenbachieae , Zantedes- chieae , Typhonodoreae, Peltandreae mit 340 Bildern von A. Engler. 4 M. 65. Heft (IV. 147. VIII) Euphorbiaceae — Phyllanthoideae — Bridelieae mit 84 Bildern von E. Ja- blonszky. 5 M. Leipzig '15, W. Engelmann. Inhalts Wilhelmi: Kultur und Natur am Meeresstrande (mit I .Abbildung). von Bronsart: Der Kreis der im Darm vorkommenden Formen des Bacterium coli und ihre Differentialdiagnose. — Einzelbericbte: Schutt: Können auch durch langsame Kathodenstrahlen R-Strahlen erzeugt werden? War bürg: C>zonisierung von flüssigem Sauerstoff durch Bestrahlung. Dieterich: Wie unterscheidet man Benzin und Benzol? Shufeldt: Die letzte Wandertaube. Katha- riner: Der Hammerhai (Zygaena malleus Risso) (mit 3 Abbildungen). Loeb: Untersuchungen über das Bastardierungs- problem. — Bücherbesprechungen: l'limmer: Die chemische Konstitution der Eiweißkörper. Brehm's Tierleben, allgemeine Kunde des Tierreichs. Külpe: Die Philosophie der Gegenwart in Deutschland. — Anregungen und Antworten Literatur : Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. M i e h e in Leipzig, Marienstr.iße 1 1 a, erbeten. Verlag von (iustav F'ischer in Jena. Druck der G. Pätz'scben Buchdr. Lippe« & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Fulge 14. Band; ■ ganzen Keihe 30. Band. Sonntag, den 17. Oktober 1915. Nummer 42. Die freilebenden stickstoffbindenden Bodenbakterien und ihre Bedeutun2 im Haushalte der Natur. [Nachdruck verboten.] Von Prof. Dr. M. Wenn der spröde Fels von den verschiedenen Verwitteningsfaktoren zermürbt wird, so entsteht zunächst ein Produkt, das nur einer anspruchs- losen Flora die nötigen Existenzbedingungen zu bieten vermag. Jeder Ausflug in unsere herrliche Gebirgswelt zeigt, daß das verwitternde Gestein nur von Algen, Flechten, Moosen und einigen dürftigen phanerogamen Pflanzen besiedelt ist. Im Laufe der Zeit wird aber sowohl die chemisch- physikalische, wie die biologische Beschaftenheit der Verwitterungsprodukte auf eine Art und Weise verändert, daß auch anspruchsvollere Ge- wächse, vorab unsere Kulturpflanzen, zu reicher Ernte heranwachsen können. Auffallen wird uns dabei die Tatsache, daß der kahle Fels, der ur- sprünglich gar keinen oder nur Spuren gebundenen Stickstoff enthält, mit fortschreitender Zeit vielfach fruchtbares Erdreich liefert, das dem Pflanzen- bestand die absolut notwendigen Stickstoffverbin- dungen in genügender Menge zur Verfügung stellt. Leider schöpft die höhere Pflanze nicht, wie Frank seinerzeit vermutete, ohne weiteres aus dem unermeßlichen Reservoir des atmosjjhärischen Stickstoffes, um ihr Bedürfnis an diesem Elemente zu befriedigen. Sie verlangt vielmehr in weitaus der Mehrzahl der Fälle, daß ihr im Boden in Form geeigneter Stickstoffverbindungen das Notwendige geboten werde. Ist dies nicht der Fall, so versagt die Kulturpflanze auf Grund des Gesetzes vom Nährstoffminimum jegliches Wachstum, oder läßt durch kümmerliches Gedeihen keinen Moment im Zweifel darüber, daß sie sich nicht wohl fühlt. In solchen Fällen greift vielfach der Mensch ziel- bewußt ein und bearbeitet solchen Boden nicht bloß, sondern fügt jene Nährstoffe, die fehlen, vorab den Stickstoff in Form passender Verbin- dungen zu; mit anderen Worten: der Mensch düngt den Boden. Die Fälle sind aber recht häufig, wo ein Boden dichten Wald, oder einen geschlossenen Wiesen- teppich trägt und in den Ernten Jahrhunderte hindurch gewaltige Mengen stickstoffhaltiger Pflanzenmassen liefert, ohne je eine Düngung zu empfangen. Auf feuchtem, nährstoffarmem Sand siedeln sich erst Algen und Moose an und all- mählich setzt sich eine Pflanzengesellschaft, das Moor, fest, das einer enormen Anhäufung von Stickstoffmengen ruft. Diese Beobachtung, daß vielfach aus stickstoff- armen oder -freien Gesteinen im Laufe der Ver- witterungsvorgänge ohne Düngung ein stickstoff- haltiger Boden entsteht, der in den Ernteprodukten Düggeli, Zürich. bedeutende Stickstoffmengen exportiert, wird doppelt interessant durch den Umstand, daß dieser Boden noch anderweitige Stickstoffverhiste als bloß durch die Ernte erleidet und dennoch keines- wegs verarmt. Solche Stickstofifverluste können bedingt werden : fciinmal durch gewisse bakteriologische Prozesse im Boden, wobei vorab Denitrifikation und P'äulnis erwähnt seien. Unter Denitrifikation verstehen wir die Zersetzung von Salpeter unter Abspaltung elementaren Stickstoffes oder flüchtiger Stickstoff- verbindungen. Sowohl Denitrifikation wie Fäulnis können unter begünstigenden Verhältnissen zu nicht unbedeutenden Stickstoffverlusten führen. Zum zweiten kann durch Ammoniakverdunstung Stickstoff aus dem Boden entweichen, ein Vor- gang, der wohl selten größere Verluste bedingen wird. Schließlich katm zum dritten durch das Aus- waschen von löslichen Stickstoffverbindungen, vorab von Salpeter aus dem Boden , ein bedeutender V^erlust an Stickstoff hervorgerufen werden. Das Auslaugen des Erdreiches durch die Sickerwässer ruft sehr verschieden intensive Stickstoffverluste hervor. Ihre Größe ist von einer Reihe äußerer Faktoren abhängig, von welchen hier nur genannt seien : Niederschlagsgröße, Gehalt des Bodens an Stickstoffverbindungen, Intensität der Nitrifikation, Dichte des Pflanzenbestandes und Bodenart. Die Verluste durch Auslaugen von Nitrat sind auf Grund von Messungen pro Hektar und Jahr auf 0,5 bis 5 kg Stickstoff veranschlagt worden. Schlösing berechnet den Stickstoffverlust durch Auswaschen nach dem Gehalte der Hußwässer im Gebiet der Seine zu 4,2 bis 8,5 kg pro Hektar und Jahr. Die Verluste können aber auch be- deutend stärker sein; so wurde in einem Falle der Verlust zu 37, in einem zweiten sogar zu 2CO kg Stickstoff pro Hektar und Jahr berechnet. Da Stickstoffverluste aus dem Boden nicht bloß durch Wegführen von Ernteprodukten, son- dern auch, ohne Zutun des Menschen, durch die soeben genannten Momente herbeigeführt werden, so müßte schließlich ein Mangel an Stickstoff- verbindungen im Boden auftreten, sofern nicht von außen eine Zufuhr an Stickstoff erfolgt, die uns überhaupt den Stickstoffgehalt des Bodens erst erklären kann. Diese Bodenbereicherung wurde schon früh durch verschiedene Beobachtungen nachgewiesen; von ihnen seien einige hier erwähnt. Der fran- zösische Agrikulturchemiker Berthelot setzte 658 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 42 schon vor 30 Jahren Sand- und Tonböden längere Zeit der Luft aus und konstatierte nachher eine deutliche Zunahme des Stickstoffgehaltes. So wurde in 100 kg lufttrockenem Kulturboden, der auf offenem Felde 7 Monate lang in Gefäßen auf- gestellt wurde, eine Zunahme des Stickstoffgehaltes um rund 25 g festgestellt und in einer zweiten Probe, die sonst gleich behandelt, vor dem Ex- perimente aber von Salpetersäure befreit worden war, stieg der Stickstoftgehalt in der gleichen Zeit sogar um 46 g. Ramann entnahm mehreren mit Kiefern bestandenen Waldböden durch Entzug der Streue in 20 Jahren mehr Stickstoff, als sie ursprünglich enthielten, ohne sie zu erschöpfen. Henry brachte dürre Blätter von jungen Eichen und Hainbuchen in metallene Kästen, deren Böden mit Steinen, die oberen Offnungen aber mit Draht- gitter ausgelegt waren. Diese Kasten wurden, 60 cm über dem Boden, ein Jahr lang frei der Luft ausgesetzt. Der Stickstoffgehalt war bei den Eichenblättern von 1,108 auf 1,923 "/q, oder um 0,815 % der Trockensubstanz gestiegen, bei den Buchenblättern von 0,947 auf 2,246, also um 1,299 % der Trockensubstanz. Mit anderen Worten : Die ein Jahr lang der Luft ausgesetzten Blätter sind relativ doppelt so reich an Stickstoff, wie zur Zeit des Abfalles von den Bäumen. Nach den Ermittlungen von Deherain, sowie von Ger lach und Vogel und anderen Forschern wird in locker lagernder Erde durch öfteres Um- schaufeln der Gehalt an Stickstoff bedeutend er- höht. Kühn in Halle hat auf überzeugende Weise dargetan, daß beim Getreidebau sich im Boden Vorgänge abspielen müssen, die eine Vermehrung des Stickstoffkapitals bedingen. Der genannte Forscher baute während 25 Jahren auf einem Sandboden , der etwa vorhandene Humusstoffe rasch zersetzt, Jahr für Jahr Winterroggen. Dabei erhielten die einen Parzellen gar keine Düngung und zeigten im Laufe der Jahre trotz der weg- geführten Ernten eine Steigerung von 8,5 '% des Körnerertrages; andere Parzellen, die eine rein mineralische Düngung mit Phosphorsäure und Kali erhielten, ergaben eine Erntesteigerung um ii,6"/„ des Körnerertrages. Auf allen Versuchs- flächen war die Steigerung des Strohertrages, trotz mangelnder Zufuhr von Stickstoffverbindun- gen im Laufe der Jahre noch bedeutend größer als die des Körnerertrages. Kühn bercclinete, daß dem Boden pro Morgen jährlich rund 16 kg Stickstoff in geeigneten Verbindungen zugeführt würden durch P'aktoren, die ihm unbekannt seien. Ebenso deuten die Versuche von Caron auf Elleiibach darauf hin, daß auf schweren Böden durch die Ernteprodukte mehr Stickstoff aus dem Boden erhältlich ist, als demselben zugeführt wurde. Mit den Kühn'schen Versuchen vergleichbar sind die seit 1844 in Roth am st cd durchge- führten prinzipiell identischen Versuche. Auch da gelangte man auf Grund der gewonnenen Untersuchungsresultate zum Schlüsse, daß dem Boden Stickstoff in gebundener Form durch vor- läufig unbekannte Faktoren zugeführt werden müßte. Die in Rothamsted gesammelten Be- obachtungen sind insofern besonders interessant, als aus ihnen hervorgeht, daß in der ersten 35 Jahre umfassenden Zeit des Versuches, die Erträge zwar andauernd sanken, in den folgenden 25 Jahren aber eine geringe Erhöhung der Erträge wahrzunehmen war. Diese Erscheinung ist vor- aussichtlich darauf zurückzuführen, daß der Humus- vorrat des Bodens infolge mangelnder Zufuhr organischer Stoffe allmählich zurückging und da- durch die Mikroflora zunächst geschädigt wurde. Bei diesen langfristigen Versuchen in Rot- hamsted, in Halle und auf Ellenbach wurden pro Hektar und Jahr Stickstoffgewinne von 22,4, 29,24 bzw. 27,5 kg berechnet. Aus dem Gesagten dürfen wir wohl den be- rechtigten Schluß ziehen : Wir kennen reichlich Fälle, wo die Böden sich selbst überlassen, oder bei mangelnder Stickstoffdüngung der Kultur unter- worfen werden, eine Vermehrung ihres Stickstoff- gehaltes erfahren, resp. den durch die Ernteprodukte fortgeführten Stickstoff zu ersetzen vermögen. Es taucht nun die Frage auf: Woher stammt dieser den Böden zukommende Stickstoff. Eine solche Quelle kennen wir schon lange: Es sind die atmosphärischen Niederschläge. In der Atmo- sphäre finden sich kleine Quantitäten von salpeter- saurem, salpetrigsaurem, kohlensaurem und freiem Ammoniak, die durch die Niederschläge in den Boden gelangen. Die beiden ersteren Stoffe stammen vom elementaren Stickstoff der Luft, indem sie bei elektrischen Entladungen gebunden wurden; sie stellen für den Boden einen wirk- lichen Slickstoffgewinn dar. Das kohlensaure und das freie .Ammoniak entstammen aber dem Boden und haben sich daraus verflüchtigt. Gleichzeitig wissen wir, daß der humushaltige Boden aus der Luft etwas Ammoniak durch Absorption aufzu- nehmen vermag. Beide stickstoffliefernden Fak- toren, die atmosphärischen Niederschläge sowohl, wie die Ammoniakabsorption, wurden früher in ihrer Bedeutung entschieden überschätzt; die Analyse ergab hohe .Stickstoffgewinne, da der Stickstoff aus Heizgasen und aus der Laboratoriums- luft stammend, nicht oder nur ungenügend aus- geschaltet wurde. Immerhin ist darauf hinzuweisen, daß die Luft in dichtbevölkerten , industriellen Gebieten und in der subtropischen und tropischen Zone mehr Stickstoffverbindungen an die Nieder- schläge abzugeben vermag, als in nördlichen Wald- gebieten. Auf Grund zahlreicher Prüfungen schätzt man die Menge des im Mittel pro Hektar und Jahr dem Boden durch die Niederschläge zuge- führten Stickstoffes auf 2 — 6, im Maximum auf 10 kg. Die Ammonabsorption durch humushaltige Böden kann ebenfalls nicht groß sein und wir werden wohl kaum fchlgehlen, wenn wir bemerken: Die Stickstoffzufuhr zum Boden durch die behandel- ten beiden Faktoren wird wohl ausgeglichen oder gar übertroffen durch den Salpeterverlust infolge N. F. XIV. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 659 Auslaiigung des Bodens. Auf jeden Fall reichen Stickstoffgewinne von 2 — 6 kg pro Hektar und Jahr nicht hin, um das Resultat der Hallenser Versuche zu erklären, da dort pro Hektar und Jahr durchschnittlich 29,24 kg Stickstoff durch die Ernte dem Boden entzogen wurden. Wir wollen aber nicht versäumen darauf hinzuweisen, daß die durch elektrische Entladungen entstehenden Stick- stoffverbindungen der Atmosphäre voraussichtlich die alleinige Slickstoffquelle für die ersten pflanz- lichen Bewohner unseres Planeten waren. Wenn in den Natur- und Kulturböden ohne Düngung eine deutliche Zunahme des Stickstoffgehaltes be- obachtet werden kann, so ist die Ursache offenbar im elementaren Stickstoff der Atmosphäre zu suchen. Früher glaubte man, der elementare Stickstoff der Luft werde durch rein chemisch-physikalische Vorgänge gebunden, dem Boden einverleibt und den Pflanzen zugänglich gemacht. Die Stickstoff- anreicherung im Boden suchte man sich zu er- klären durch die Wirksamkeit organischer Sub- stanzen, der Oxyde des Eisens und Mangans, des Ozons, der Luftelektrizität, des verdampfenden Wassers usf Die meisten dieser Vermutungen konnten einer eingehenden Prüfung nicht stand- halten. Heute wissen wir, daß zwar nicht die alleinige, aber doch die wichtigste Ursache der Stickstoffzunahme im Boden die elementaren Stickstoff bindenden Mikroorganismen sind. Berthelot hat zuerst im Jahre 1885 diese Vermutung ausgesprochen auf Grund der Beobach- tung, daß ein genügend erhitzter Boden keine Zunahme seines Stickstoffgehaltes mehr aufwies, während vor der Erwärmung dies leicht konsta- tiert werden konnte; chemisch-physikalische Vor- gänge konnten mithin nicht die Ursache der Stickstoffixierung sein. Heute kennen wir eine ganze Reihe von Mikroorganismen, vorab Spalt- pilzarten, die elementaren Stickstoff zum Aufbau ihres Körpers verwenden können, ihn also fixieren, festlegen, binden. Die Bakterien oder Spaltpilze zeichnen sich bekanntlich dadurch aus, daß sie zwar morpho- logisch recht einfach und einförmig, physiologisch - biologisch aber außerordentlich stark differenziert sind. Gerade die Ansprüche, welche die Spalt- pilze an die notwendigen Stickstoffquellen stellen, sind hierfür ein sprechendes Beispiel. Die einen verlangen zu gutem Gedeihen Eiweiß und eiweiß- ähnliche Körper, andere Amidverbindungen, dritte begnügen sich mit Ammonverbindungen, vierte verwenden Nitrite und Nitrate und die fünfte, letzte Gruppe, die uns speziell interessiert, vermag mit dem elementaren Stickstoff der Luft als Stickstoftquelle vollständig auszukommen. Dabei sei aber ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß diese den elementaren Stickstoff verwenden- den Spaltpilze keineswegs auf ihn angewiesen sind, sondern vielmehr häufig den Stickstoff in gebundener Form als Nitrat, Ammon Verbindung, oder sogar als Eiweißkörper vorziehen würden. Auf den ersten Blick werden uns diese ver- schiedenen Ansprüche der Bakterien hinsichtlich Stickstoffernährung wie seltsame Ernährungs- kuriositäten anmuten. Beim genaueren Studium sind sie aber für den normalen Verlauf der Stoff- umsetzung in der Natur und namentlich im Land- wirtschaftsbetrieb von grundlegender Bedeutung. Es ist gebräuchlich bei den stickstoffixierenden Spaltpilzen auf Grund ihrer Lebensweise zwei Gruppen zu unterscheiden : Die erste Gruppe entfaltet ihre stickstoff bindende Tätigkeit in Symbiose, in Lebensgemeinschaft mit bestimmten höheren Pflanzen, den Hülsenfrücht- lern. Sie sind unter dem Namen Knöllchen- bakterien der Leguminosen allgemein bekannt. Neuere und neueste Arbeiten haben uns damit bekannt gemacht, daß in den Blättern bestimmter tropischer Gewächse Knoten vorkommen , die stickstoffbindende Bakterien bergen. Diese Spalt- pilze sind dem Bactcriuin radicicola der Legu- minosenwurzel ähnlich, scheinen aber mit der I^flanze eine erbliche Symbiose einzugehen, indem die Bakterien schon im Samen enthalten sind. Die zweite Gruppe von stickstoffixierenden Spaltpilzen entfaltet ihre Tätigkeit frei im Erd- boden lebend, unabhängig vom Leben bestimmter höherer Pflanzen. Diese zweite Gruppe wählen wir zum Gegenstand weiterer Erörterungen. •Die Zahl der bis heute bekannt gewordenen freilebenden stickstoffbindenden Bakterienarten ist eine stattliche; sie haben sowohl Vertreter in der Gruppe der Kugelbakterien wie der sporenbilden- den und der nichtsporenbildenden Stäbchen. Wir wollen für unsere Besprechung bei den freileben- den stickstoffixierenden Bakterienarten drei Grup- pen unterscheiden : a) Die Gruppe des Bacillus ainylobactcr (van Tieghem) A. Mayer und Bredemann, dadurch ausgezeichnet, daß die hierher gehörenden Formen entweder nur bei Sauerstoffabschlul3 oder doch nur bei mangelhaftem Sauerstoffzutritt gut ge- deihen. Bac. amylobactcr ist anaerob. b) Die Azotobakt er- Gruppe von Beije- r i n c k , die im Gegensatze hierzu nur bei genügen- dem Sauerstoffzutritt kräftig gedeiht und arbeitet. Azotobakter ist aerob. c) Die Gruppe des Bacillus astcrosporus (Mayer) Migula, die hinsichtlich Sauerstoffbedürf- nis große Latitüde zeigt, d. h. die hierher gehören- den Formen entwickeln sich sowohl bei mangel- haftem wie bei reichem Sauerstoffzutritt. Wir wollen die einzelnen Gruppen kurz be- sprechen. Zur Gruppe des Bacillus ainylobactcr gehört jener Organismus, bei dem das Ver- mögen des Stickstoffixierens zum ersten Male einwandfrei nachgewiesen wurde, nämlich das Clostridimn PastcKriaiinin Win. Durch Anwen- dung der sog. elektiven Methode gelang es dem russischen Forscher Winogradsky im Jahre 1893 das Clostridium Pastcuriaiuim rein zu züchten und bei ihm die Verwendung des elementaren Stickstoffes zum Körperaufbau fest- 66o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 42 zustellen. Die elektive Methode besteht darin, daß wir auf eine Mischung verschiedener Bakterien- arten solche Eiitwicklungsbedingungen einwirken lassen, welche die gewünschte Bakterienart in dem Maße begünstigen, wie sie unerwünschte Begleit- bakterien hintanhalten. Die für Clostridium Pastctiriaiiiim auslesend wirkenden Existenz- bedingungen sind: Eine an gebundenem Stickstoff freie Nährlösung, Vorhandensein einer reichlichen Kohlenstoffquelle in Form von Dextrose, voll- ständiger Sauerstoffabschluß und die Züchtungs- temperatur von 35 " C. Auf folgende Art und Weise kann man nach meinen Erfahrungen leicht Rohkulturen von Clustridinm Pastciirianitiii ge- winnen, wobei neben der erwünschten Bakterien- art noch andere Spezies sich bemerkbar machen. In flaschenförmige Glasgefäße, die leicht luftdicht verschlossen werden können, wird eine stickstoft- freie Nährlösung gegeben, die außer den notwendigen Mineralsalzen i — 2 "/q Dextrose enthält. Die Menge der Nährlösung ist so zu wählen, daß nur einige Kubikzentimeter Luft in die Hasche ein- geschlossen werden. Der Flascheninhalt wird mit etwas Bodenemulsion geimpft und bei 35 " C be- brütet. Schon nach 2 — 3 Tagen zeigt die Nähr- lösung kräftige Trübung, begleitet von starker Gas- produktion. Die Flasche muß, soll sie nicht ein Opfer der beginnenden Gärung werden, Gasab- fluß erhalten. Die Flüssigkeit riecht stark nach Buttersäure. Die in der Nährlösung enthaltene Dextrose wird nur zum kleinen Teile vom sich entwickelnden Clostridium zum Aufbau des Körpers verwendet, die viel größere Menge fällt der Butter- säuregärung anheim, um die zur Stickstoffbindung notwendige Energie zu liefern. Durch mehrmaliges Übertragen von gärendem Fiascheninhalt in neue Kolben, wobei zweckmäßigerweise ein Erwärmen des Impfmaterials auf 70'' C stattfinden soll, um nicht sporenbildende Begleitbakterien auszuschalten, führt zu Reinkulturen. Diese Reinkulturen, in reinem Stickstoffstrom gehalten, fixieren bedeutende Mengen gasförmigen Stickstoffes, um ihn zum Körperaufbau verwenden zu können. Pro Gramm vorwiegend zu Buttersäure, Essigsäure, Kohlen- dioxyd und Wasserstoff zersetzte Dextrose werden 2 — 3, im Maximum 6 mg Stickstoff festgelegt. Eine charakteristische Eigentümlichkeit der in Frage stehenden Bakterienart besteht darin, daß die spindelförmig aufgetriebenen Stäbchenmembran nur teilweise aufgelöst wird und deshalb zipfelmützen- artig über die Spore gestülpt erscheint. Nach dem Clustridinm Pastciiriammi wurden noch mehrere andere Clostridien aufgefunden und beschrieben, denen die I-'ähigkeit zukommt, den Stickstoff der Luft zum Körperaufbau verwenden zu können. Es seien genannt: Das Closlridimn IVolJiymciini aus südrussischer Erde, die Clostridien «. ß, Y> ö und E aus Boden von Marburg, sowie das Clostndinm amcricaiuiin aus Baumwollsaatmehl. Durch mühevolle Untersuchungen gelang es Bredemann zu zeigen, daß alle Granulöse führen- den Buttersäurebakterien zu ein und derselben Spezies gehören. L^nter übereinstimmenden Züchtungsbedingungen bei der Kultur können die verschiedenen Stämme ineinander übergeführt werden. Bredemann faßte 27 Stämme, die bis anhin teils als verschiedene Arten, teils als Varie- täten auseinander gehalten worden sind, zur Spezies Bacillus ainylobadcr zusammen. Das Sückstoff- bindungsvermögen erwies sich als recht labile Eigenschaft, wird beim künstlichen Weiterzüchten leicht stark reduziert, ja, kann gänzlich verloren gehen. Durch Kultivieren auf sterilisierten Boden- proben, kann das Vermögen, Stickstoff zu fixieren, wieder regeneriert werden. Außer Dextrose können auch Rohr und Fruchtzucker, Dextrin und Inulin dem Bacillns ainylobactcr als geeignete Energie- quellen gereicht werden, Auf Grund eigener Unter- suchungen kann ich mitteilen, da(3 sich unser Mikroorganismus in der Natur weitester X'erbrei- tung erfreut ; er ist in größerer Menge nachweis- bar sowohl in den Tal wie in den alpinen Böden verschiedenster Herkunft und wird in der Nadel- utrd Laubstreu der Wälder selten vermißt. Nun die zweite Gruppe freilebender stickstoff- fixierender Spaltpilze: die A zo tobakt ergruppe, die sauerstoffliebenden stickstoffbindenden Bak- terien. Im Jahre 1901 machte uns Beijerinck in Delft unter Zuhilfenahme der elektiven Methode mit dem häufigsten Vertreter dieser Gruppe, mit Azotobadcr clvroococcum Beij. näher bekannt. P'ür Azotobakter sind folgende Züchtungsbedingungen elektiv: Eine an gebundenem Stickstofffreie Nähr- lösung, Vorhandensein einer reichlichen Kohlen- stoffquelle in Form von Mannit, tunlichst reich- licher Sauerstoffzutritt und die Temperatur von 28 — 30" C. Nach meinen Erfahrungen kann auf folgende Weise eine Mischkultur von Azoto- bacter mit anderen Mikroorganismen erhalten werden. In breit ausladende Erlenmeyerkolben wird ca. ein Zentimeter hoch eine stickstoffreie Nährlösung gegeben, die außer den notwendigen Mineralsalzen 1—2% Mannit enthält. Der Kolben- inhalt wird mit etwas Bodenemulsion oder mit frischer Laubstreu aus einem Wald geimpft und zu 28 — 30" C gestellt. In der Regel entwickelt sich nach 2 — 3 Tagen an der Oberfläche der Nähr- lösung eine erst zarte, graue, später derb und braun werdende Decke. Das mikroskopische Bild zeigt die großen Azotobakterzellcn, begleitet von zahlreichen anderen Mikroorganismen, uiiter denen verschiedene Kurz- und Langstäbchen, Infusorien und Amöben selten fehlen. Diese Rohkultur bildet das Ausgangsmaterial zu reizenden Studien im mikro- skopischen Gesichtsfelde. Besonders interessant ist es die Mahlzeiten der Amöben zu verfolgen. Jedes Tierchen verzehrt pro Tag Hunderte von Spaltpilzen. Ein besonders geschätztes Amöben- futter scheint Azotobakter zu sein, so daß, falls die Amöben, unterstützt durch Infusorien, einige Tage in der Rohkultur ungestört ihre Jagd durchführen können, Azotobakter schließlich verschwindet. Der Geschmack dieser Amöben scheint kein schlechter zu sein, wenigstens sind N. F. XIV. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 661 ihre f. eckerbissen groß und reich an Nährstoffen, indem der Proteingehalt von Azotobakter 8 — ig^/o beträgt. Die getrockneten Zellen ent- halten nach den Untersuchungen von Gerlach und Vogel bis So"/,, Eiweißstoffe. Die Gefräßig- keit der Amöben und Infusorien ist auch die Ur- sache, weshalb Azotobakter nicht selten im Sommer im Boden durch sie stark dezimiert wird. Aus der Decke der Rohkultur kann durch Anlegen von Mannitagarplatten relativ leicht eine Reinkultur von Azofobactcr dirvocuccuin erzielt werden. Die stattlichen Azotobakterzellen lassen eine auffallend große morphologische Varia- bilität beobachten. Die jungen Zellen besitzen homogenen Inhalt, während ältere Individuen zu- folge ihres Glykogengehaltes stark körnig er- scheinen. Durch die Untersuchungen zahlreicher Forscher ist einwandfrei festgestellt, daß Azofobactcr clu-oo- cocciim in Reinkultur den elementaren Stickstoff der Luft zum Aufbau des Körpers verwenden kann. Bei solchen Prüfungen muß sehr vorsichtig zu Werke gegangen werden. Die Reinkulturen stehen unter Glasglocken, in die nur solche Luft eintritt , die mittels Kalilauge und Schwefelsäure gewaschen wurde, um flüchtige Stickstoffverbin- dungen, speziell Ammoniak, fernzuhalten. Unter solchen Glasglocken stehende Reinkulturen von Azotobakter reichern sich mit Stickstoff an, während Kontrollkolben keine Zunahme an Stick- stoff zeigen. Wenn sich in den anfanglich an gebundenem Stickstoff freien Rohkulturen von Azotobakter aus Erde neben der stickstoff- fixierenden Spaltpilzart noch verschiedene Kurz- und Langstäbchen, Protozoen, Flagellaten, Sproß- und Myzelpilze usf. bemerkbar machen, so ist dies leicht zu erklären; die genannten Mikro- organismen leben auf Kosten der stickstoffbinden- den Art. Azotobakter arbeitet bei der Stick- stoffbindung ökonomischer als Clostridiinu Pasten- naiiiü/i. In Nährlösungen werden pro Gramm kohlenstoffhaltige Substanz meist 10—15 mg Stickstoff gebunden, also das Fünffache des Be- trages, wie er beim Clostridiuvi beobachtet wird. Unter optimalen Bedingungen steigt die Menge des von Azotobakter festgelegten Stickstoffes pro Gramm zersetzten Zuckers auf 50 mg. Meist arbeitet Azo tobakt er in Mischung mit anderen Bodenorganismen ökonomischer und intensiver stickstofTbindend als in Reinkultur. Diese Be- obachtung hat Beijerinck zu der unrichtigen Hypothese verführt, daß andere Bakterienarten, vorab Granulobakter- und Radiobakter- Spezies zunächst eine lösliche Stickstoffverbindung unbekannter Beschaffenheit bilden, die dann von Azotobakter aufgenommen werde. Größer als in Nährflüssigkeiten ist der durch Azoto- bakter erzielte Stickstoffgewinn auf festen Nähr- substraten. So wies Krainsky nach, daß Azo- tobakter in flüssigen Kulturen loo — 200 Ein- heiten Kohlenstoff braucht zum Binden von einer Einheit Stickstoft'; in Sandkulturen dagegen nur II — 30 Einheiten, v. Freudenreich erzielte mittels Reinkultur von Azotobakter auf Gips- blöcken 160 mg Stickstoffgewinn pro Liter ver- wendete Nährlösung und Koch auf Mannitagar- platten pro Liter Agar sogar 180 mg. Als Ma- terial zum Aufbau der kohlenstoffhaltigen Zell- bestandteile, sowie zur Beschaffung der zur Stick- stoffbindung notwendigen Energie bieten wir Azotobakter zweckmäßigerweise Mannit. Als Stoffwechselprodukte treten dann auf: Äthylalkohol, Essigsäure, Buttersäure, Milchsäure, Kohlendioxyd und Wasserstoff, so daß die fördernde Wirkung von kohlensaurem Kalk im Boden auf Azoto- bakter durch bloße Säurebindung leicht erklär- lich ist. Statt Mannit sind auch brauchbar: Traubenzucker, Rolirzucker, Fruchtzucker und Milchzucker, Dextrin, Inulin, Arabinosc und Xylose. Die Zufuhr von Erde oder Erdextrakien in steri- lisiertem Zustande zu Azotobakterkulturen fördert ihr Gedeihen wesentlich. Nach den Versuchen der Praxis ist Azoto- bakter der kräftigste bekannte stickstoffixierenSe Mikroorganismus. Die Gattung Azotobakter umfaßt verschiedene Arten oder Varietäten, die sich alle durch relativ große Zellen auszeichnen. Die Stellung von Azotobakter im System ist keineswegs abgeklärt; gibt es doch Forscher, die Azotobakter für eine farblose Aphanocapsa, oder für farblose Parallelformen zu bestimmten Cyanophyceen halten. Auf Grimd eigener Untersuchungen kann ich hinsichtlich der Verbreitung von Azotobakter in der Natur folgende Angaben machen. Die Mikrobe ist weit verbreitet, erfreut sich aber doch nicht jenes kosmopolitischen Vorkommens, wie meist angegeben wird. In unseren Kulturböden ist Azotobakter allgemein verbreitet, ebenso in jenen Naturböden, die nicht ausgeprägt saure Reaktion besitzen. In Laubproben, die nicht weit- gehend zersetzt sind, findet sich ebenfalls regel- mäßig Azotobakter vor. Sobald aber die Zersetzung weiter fortgeschritten ist, so suchen wir in der Laub- und Nadelstreu der Wälder öfters vergeblich nach Azotobakter und die Mehrzahl unserer alpinen Böden scheint zufolge Vorkommens von reichlich absorptiv ungesättigten Humusstoffen auch gemieden zu werden. Die allgemein gehaltene Mitteilung von de Kruyff, daß Azotobakter der tropischen Zone fehle, bedarf noch weiterer Bestätigung. Das große Bedürfnis von Azotobakter für Luftsauersloff bringt es mit sich, daß dieser Spalt- pilz sich vorwiegend in den oberen Erdschichten vorfindet und dort intensiv tälig ist. Gleichzeitig spielt aber auch der Humusgehalt dieser oberen Erdschichten eine wichtige Rolle. Erwähnenswert ist die Beobachtung von Beij er inck, daß Azo- tobakter sich in großer Menge im Boden in der Nachbarschaft, in der sog. Rhizosphäre von Lcguminosenwurzeln findet, während diese Beobachtung bei Nichtleguminosen fehlt. Welche Bedeutung der Sauerstofifzutritt für die Tätigkeit 662 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 42 von Azotobakter besitzt, geht aus einer Be- obachtung von Ger lach und Vogel hervor, wobei eine in dünner Schicht ausgebreitete Boden- probe 20,3 mg Stickstoff, unter gleichen Bedingun- gen eine in dicker Schicht aufgestellte Probe nur 5,1 mg Stickstoff fixierte. Das Temperatur- optimum unseres Mikroorganismus Hegt bei 20 — 30" C, doch werden schon bei 10 — 12" C be- deutende Stickstofi'gewinne erzielt. In der freien Natur zeigt die Entwicklung und Größe der Stick- stoffbindung von Azotobakter in den einzelnen Jahreszeiten bedeutende Dififerenzen. Frühling und Herbst ergeben unverkennbare Höhepunkte, .Som- mer und Winter aber deutliche Depressionen in Wachstum und Tätigkeit. Trockenheit schadet den derbwandigen Ä zo tobakt er zellen relativ wenig. Da Azotobakter keinen gebundenen Stick- stoffes bedarf, so gedeiht er recht gut auf Ton, Kalk, Gips und Sand, sofern sie mittels mannit- haltiger Mineralsalzlösung feucht gehalten werden. Charakteristisch wächst Azotobakter auf Agar, dem 2 "/^ Calciummalat zugefügt wurden, wo seine Kolonien infolge Hofbildung, bedingt durch ausfallenden kohlensauren Kalk, leicht kenntlich sind. Die dritte Gruppe der freilebenden stickstoff- fixierenden Bakterien bezeichneten wir als diejenige des Bacillus aslfrosponts (A. M.) Migula. Aste- rosporus zeichnet sich, wie wir schon anführten, durch große Sauerstofflatitüde aus, so daß sowohl im offenen Kolben, wie bei Sauerstoffausschluß Stickstoff festgelegt wird. Bac. asterosporns ist gleichzeitig eine typisch Hemizellulose und Pektin- stofte vergärende Bakterienart, die bei der Röste oder Rotte von Flachs und Hanf eine praktisch wichtige Rolle spielt. Durch seine Tätigkeit wird ein nicht von Vibrovasalbündeln durchzogenes Pfianzengewebe in einen formlosen Zellbrei um- gewandelt. Diesen sternsporigen, als Kosmopolit zu bezeichnenden Bazillus erhält man leicht in Rohkultur, wenn eine mineralische Nährlösung, der ein Stück Kartoffel und pulverisierter kohlen- saurer Kalk beigemengt wurde, mit Erdemulsion impft und zu 30" C stellt. Bei der auftretenden stürmischen Pektingärung ist ziemlich regelmäßig Bac. asterosponis beteiligt und kann durch An- legen von Agarplatten rein kultiviert werden. Nach den Untersuchungen von Bredemann ge- hören die von Beijerinck und van Del den als stickstoffixierende Arten beschriebenen Graiiulü- hactcr folymyxa, Graiudobactcr sp/iarriciiiu und Gra>iitlubactcr replaiis zu Bac. asfcrospanis. Dex- trose wird durch Bac. asfcrosporus bei der Stick- stoffixierung zerlegt zu Kohlendioxyd, Wasserstoff, Essigsäure und Ameisensäure. Von dem in Frage stehenden Mikroorganismus sind Rassen bekannt, die das Sticksloffbindungsvermögen gänzlich ver- loren hatten, aber durch Züchten in Erde dasselbe regenerieren ließen. Durch neuere Arbeiten auf diesem Gebiete sind noch zahlreiche andere Spaltpilzarten bekannt geworden , die mehr oder weniger intensiv den Stickstoff der Luft binden. Ihre Zahl wird zweifel- los durch die Forschungen der Zukunft noch be- deutend vermehrt werden. Ich betrachte es nicht als zum Thema gehörend die Frage zu diskutieren, ob außer den behandelten Spaltpilzarten noch andere Mikroorganismen, vorab gewisse Algen und Myzelpilze das Vermögen, den elementaren Stickstoffder Atmosphäre auszunutzen, besitzen. Ich will aber doch darauf hinweisen, daß die Mehrzahl der auf diesen Gebieten tätigen Forschern der Ansicht huldigen, daß für gewisse Cyanophyceen und Myzelpilze die oben gestellte Frage zu bejahen sei. Wir wollen nun die F"rage streifen, welche Bedeutung den freilebenden stickstoffixierenden Bakterien im Haushalte der Natur zukommt. Grundlegend ist dabei, zu wissen, ob der Stick- stoff nach erfolgtem Festlegen im Bakterien- körper anderen Organismen , vorab den höheren Pflanzen, zugänglich gemacht werden könne. Ich habe anläßlich der Besprechung der Rohkulturen von Azotobakter daraufhingewiesen, wie reiz- voll es sei, das Verspeisen von Azotobakterzellen durch Amöben unter dem Mikroskop zu beobachten. Dieser Vorgang zeigt uns die Verwendbarkeit des atmosphärischen Stickstoffes zur tierischen Ernäh- rung, nachdem die Bindung im Bakterienkörper erfolgt ist. Etwas komplizierter spielt sich die Verwendung bei der Pflanzenernährung ab. Nach dem Tode der kurzlebigen Bakterienzellen wird ihr Körper im Boden durch Mikroorganismen zer- setzt und aus den stickstofl'haltigen Bestandteilen entstehen Ammoniakverbindungen. Diese Am- moniakverbindungen sind entweder der Pflanze direkt zugänglich, oder werden ihr nach erfolgter Nitrifikation in Form von Salpeter willkommen sein. Nach den Untersuchungen von Beijerinck und van Delden kann der Stickstoff der Azoto- bakterzellen schon nach 7 Wochen sich im Boden zur Hälfte als Nitrat vorfinden. Es wird durch diese so nützliche Gruppe von Stickstoffixierenden das ungeheure Reservoir des Luftstickstofifes den höheren Organismen zugänglich gemacht. Und unerschöpflich ist dieses Reservoir, türmt sich doch über einem einzigen Hektar Boden eine solche Stickstoffmenge auf, daß sie genügen würde, um den durchschnittlichen jährlichen Bedarf des Deutschen Reiches an Stickstoff in Form von Sal- peter zu decken. Es kann wohl heute nicht mehr in berechtigten Zweifel gezogen werden, daß für die wildwachsen- den Pflanzen, exklusive Leguminosen, in unge- düngtem Boden die freilebenden stickstoffixieren- den Spaltpilze eine sehr wichtige Quelle für die Versorgung des Körpers mit Stickstoff darstellen. Sie sind es, welche unsere Wälder, Magermatten und Alpweiden vorab mit Stickstoft' versorgen. Diese Gruppe von Spaltpilzen kann uns einwand- frei die eingangs erwähnten, so merkwürdigen Fälle von Stickstoffanreicherung im Boden erklären. Voraussetzung dabei ist, daß die stickstoffbinden- N. F. XIV. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 663 den Spaltpilze im Boden vorkommen und daß sie die zur Entfaltung intensiver Tätigkeit notwendigen Bedingungen dort antreffen. Wir kommen auf das letztere Moment noch zu sprechen. Schwieriger zu entscheiden ist die Frage, ob die freilebenden stickstoffbindenden Bakterien bei landwirtschaftlich intensiv benutzten Böden eine Stickstoffdüngung ganz oder teilweise zu ersetzen vermögen } Er herrscht wohl kein Zweifel dar- über, daß die in Symbiose mit Leguminosen arbeitenden Knöllchenbakterien dies vollauf zu tun vermögen, denn der durch sie hervorgerufene Stickstoffgewinn beträgt pro Hektar und Jahr 100 — 200 kg; bei den freilebenden stickstofif- bindenden Spaltpilzen aber sind die Ansichten der Forscher sehr verschieden. Während die einen die Tätigkeit der Stickstoffixierenden im Boden offenbar überschätzen, kann anderen der Vorwurf nicht erspart werden, daß sie durch gänzliche Negierung der Bedeutung wieder zu weit gehen. Weshalb ist es denn so schwierig die Be- deutung der Stickstoftixierenden im landwirtschaft- lich intensiv benutzten Boden richtig einzuschätzen? Wir stoßen bei diesem Studium namentlich auf zwei Schwierigkeiten. Die eine Schwierigkeit besieht darin, daß mit Hilfe der chemischen Bodenanalyse eine genaue Ermittlung der im Boden zur Bindung gelangenden Stickstoffquantitäten vorläufig nicht möglich ist. Zudem ist der Stickstoff im Boden ungleichmäßig verteilt und seinem quantitativen Nachweis haften große Fehlergrenzen an. Erst solche Differenzen im Stickstofigehalt des Bodens, die pro Hektar ca 500 kg ausmachen, sind durch die Analyse des Gesamtstickstoffs leidlich sicher zu fassen. 100 kg Stickstoff entsprechende Beträge können sich dagegen der Analyse vollständig 'ent- ziehen. Um diese Schwierigkeiten bei der chemischen Analyse zu umgehen, wurde zum praktischen Ver- suche gegriffen. Zu dem Zwecke erhielten die einen Parzellen von Kulturböden nur Kali und Phosphorsäure, nicht aber Stickstoff in gebundener Form, die anderen aber alle drei genannten Stoffe. Der Vergleich der Ernteerträge ergab, daß, wie von vorneherein zu erwarten war, die Stickstoff- parzellen überlegen waren, daß aber auch die stickstoffreien Parzellen solche Erntebeträge liefer- ten, die nicht den atmosphärischen Niederschlägen und der Ammoniakabsorption entstammen konnten. Dieses Plus an Stickstoff muß aber nicht notge- drungen der Tätigkeit der stickstoffbindenden Bakterien zugeschrieben werden, denn es kann auch möglich sein, daß zufolge fehlender Stick- stoffdüngung der Parzelle ihr im Boden enthaltener Stickstoffvorrat für die Pflanzenernährung heran- gezogen worden ist. Es wäre in diesem letzteren Falle ein Teil des Stickstoftkapitals des Bodens mobilisiert worden ; es hätte mithin Raubbau stattgefunden. Es läßt sich also auch nicht an Hand der praktischen Versuche ohne weiteres die Tätigkeit der .Stickstoffbindenden im Boden zahlen- mäßig nachweisen, da wieder das Versagen der chemischen Untersuchungsresultate störend ein- greift. Nun ist aber nachgewiesen, daß durch die Zu- fuhr kohlenstoffhaltiger aber stickstoffreier Substanz zu einem Boden seine Ertragsfähigkeit auf Jahre hinaus gesteigert wird, ohne daß sein Stickstoff- vorrat in nachweisbarer IMenge in IVIitleidenschaft gezogen würde. Ferner wurde gezeigt, daß das Zufügen kohlenstoffhaltiger, stickstoffreier Substanz zu einem Boden, der frei von natürlichen Stick- stoffkapital ist, eine ähnliche Wirkung ausübt, wie die Zufuhr von stickstoffhaltigem Dünger. Auf diese Weise wurden Stickstoffgewinne erzielt, die pro Hektar und Jahr 16—40, ja sogar bis 50 kg betrugen. Wenn solche, gewiß nicht zu verachtende Stickstoffgewinne im Boden durch die Stickstoff- bindenden erzielt werden sollen, so müssen den stickstoffixierenden Spaltpilzen gute Existenzbe- dingungen geboten werden. Im allgemeinen wird gesagt werden dürfen, daß in allen jenen Böden, vi^o die landwirtschaftlichen Kulturpflanzen ihr Be- dürfnis an Mineralstoffen, vorab an Kali, Kalk und Phosphorsäure zu decken vermögen, auch den Stickstoff bindenden Spaltpilzen die genannten Stoffe in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. Anders gestalten sich die Verhältnisse hinsichtlich passender Kohlenstoffquelle. Während die Kultur- pflanzen durch die Photosynthese ihr Kohlenstoff- bedürfnis aus dem Kohlendioxydgehalt der Luft decken, sind die freilebenden Stickstoft'bindenden auf passende Kohlenstoffverbindungen des Bodens angewiesen. Beim Züchten im Laboratorium stellen wir ihnen Zuckerarten, Mannit usw. zur Verfügung. Im Boden kommen die genannten Substanzen selbstredend nicht in Betracht, sondern an ihre Stelle treten Humusstoffe und andere leicht abbaubare kohlenstoffhaltige Substanzen, so beispielsweise jene Körper, wie sie beim Abbau von Zellulose im Boden zu entstehen pflegen. So ist es erklärlich, daß der Humusgehalt des Bodens für unsere Spaltpilze von so eminenter Bedeutung ist. Man hat berechnet, daß pro 100 kg zersetzten Humus durchschnittlich I kg Stickstoff gebunden wird, so daß also die Zersetzung von 1600 — 5000 kg Humus hinreichen würden, um dem Boden pro Hektar und Jahr die angeführten Stickstoffgewinne von 16 — 50 kg zu ermöglichen. Diese Humus- stoffe müßten durch Zufuhr organischer Stoffe, durch Ernterückstände, Stallmist oder Gründüngung ersetzt werden, um einem Verarmen vorzubeugen. Nicht bewährt hat sich die Zufuhr von Stroh und von Zucker zum Boden, da sie ungünstig wirkende Spaltpilze im Boden förderten, zur Produktion schädlich wirkender Stoffe Veranlassung gaben und zu hoch im Preise stehen. Von manchen Autoren wird die Mitarbeit niederer Algen und die Kohlendioxydassimilation durch Bakterien für die Stickstoffixierung im Boden hoch eingeschätzt. Ich möchte die Be- deutung nicht zu hoch veranschlagen, denn die Menge der organischen Substanz, die auf diesem 664 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 4; Wege in den Boden gelangt, ist verhältnismäßig nicht groß. Die salpeterbildenden oder nitri- fizierenden Spaltpilze müssen 35 — 40 Teile Stick- stoff in Form von Ammoniak oder salpetriger Säure oxydieren, um mit der hierbei gewonnenen Energie einen Teil Kohlenstoff in Form von Kohlendioxyd assimilieren zu können. Die jährlich im Ackerland gebildete Salpetermenge kann, reichlich gerechnet, auf 150 kg Stickstoff pro Hektar veranschlagt werden. Dem entspricht aber nur eine Zufuhr von 4 kg Stickstoff pro Hektar. Zum Vergleiche sei angeführt, daß durch eine mittelstarke Stallmistdüngung der gleichen Fläche Landes ca 50C0 kg Kohlenstoff zugeführt werden. Ebenso ist die Bedeutung der Algen für die Mehrung des organischen Kohlenstoffs im Boden nicht so groß, wie vielfach geglaubt wird, bilden doch diese bodenbewohnenden Algen im günstigsten Falle auf dem Boden einen grünlichen Schimmer. Die beim Impfen des Bodens mit freilebenden stickstoffixierenden Bakterien gemachten Er- fahrungen sind keine ermutigenden. Diese Be- obachtung versetzt uns keineswegs in Erstaunen, wenn wir bedenken, daß unsere Spaltpilze sich im Boden weiter Verbreitung erfreuen und sich in ihm auch ohne künstliche Zufuhr kräftig ver- mehren, sofern die Existenzbedingungen günstige sind; sind diese letzteren aber ungünstig gestaltet, und ist die Entwicklung der Spaltpilze aus dem Grunde eine mangelhafte, so hilft auch das Neu- zusetzen nicht viel. Landwirtschaftlich naturwissenschaftlich sehr zu begrüßen wäre es, wenn es gelingen würde Rassen von Azotobakter, oder anderer stickstoff- fixierender Bakterien zu züchten, die ein stärkeres Stickstoffbindungsvermögen besitzen, oder mit den gebotenen Kohlenstoftquellen sparsam umgingen. Lim die Bedeutung der freilebenden stickstoff- bindenden Bakterien kurz zu umschreiben, möchte ich sie als eine stetig fließende, wenn auch nicht sehr ergiebige Sticks' offquelle für unsere Gewächse bezeichnen, die für wildwachsende Pflanzen und den extensiven Landwirtschaftsbetrieb höchst wert- voll ist. Im intensiven Landwirtschaftsbetrieb ver- mögen unsere Spaltpilze zwar im allgemeinen eine .Stickstoffdüngung nicht zu ersetzen, liefern aber doch voraussichtlich wertvolle Zuschüsse zur Stickstoffernährung der Kulturpflanzen. Auf jeden Fall besitzen wir in der genannten Gruppe von Mikroorganismen ein nie erlahmendes Heer von Mitarbeitern, das bei geeigneter Bodenpflege und ge- nügender Zufuhr organischer Stoffe zum Boden seine Dienste unentgeltlich zur Verfügung stellt. (G. C.) Einzelberichte. Physiologie. Die Bedeutung des inneren Sekrets der Schilddrüse (Glandula thyreoidea) für den Stoffwechsel besteht in der Anregung zur Umsetzung des Glykogens in Zucker. Die wich- tigste Energiequelle für die Lebensprozesse ist ja die Verbrennung des Zuckers, in welchen das in der Leber deponierte Glykogen zurückverwandelt werden muß. Wenn eine erhöhte Menge des von der Schilddrüse gebildeten Hormons in Zirkulation gesetzt wird, so erfährt der Lebensprozeß eine Steigerung. Wie schon früher (Nr. 2 d. Bl. S. 25) berichtet wurde, wird die Metamorphose der Alyteslarve bei der Fütterung mit Schilddrüse beschleunigt. Ganz entsprechende Ergebnisse hatten Ver- suche mitThyreoideafütterung bei anderen Anuren- larven. (Experimentelle Untersuchungen über die Wirkung innersekretorischer Organe. II. Der Ein- fluß von Thyreoidea- und l"hymusfütterung auf das Wachstum und die Regeneration von Anuren- larven. Von Dr. Benno Romeis. Archiv für Entwicklungsmechanik der Organismen, XL. u. XLI. Bd. 191 5). Es trat nach einer anfänglichen vorübergehen- den Steigerung bei ganz jungen Larven, die in mehrtägigen Pausen mit Thyreoidea gefüttert wurden, bei älteren Larven sofort, eine starke Ab- nahme des Körpergewichts ein und zwar um so schneller, je größer die verfütterten Schilddrüsen- dosen waren. Die Gewichtsabnahme beruhte so- wohl auf einer Abnahme des Gehalts an Wasser, wie auch an organischer Substanz und Asche. Diese Bestandteile wurden jedoch nicht gleich- mäßig angegriffen; anfangs überwog der Wasser- verlust, während S[)äter der Rückgang an organi- scher Substanz zunahm. Die Thyreoideafütterung veranlaßt eine starke Steigerung des Stoffwechsels. Der bei der Metamorphose eintretende Gewichts- verlust ist hier bedeutend größer. Aber auch prozentualiter ist die Zusammensetzung des Körpers eine andere. Bei Schilddrüsenfütterung ist er viel ärmer an organischer und anorganischer Substanz, dagegen reicher an Wasser. Nach Voll- endung der Metamorphose haben die Thyreoidea- tiere fast -g der organischen Substanz verloren, die sie beim Verlassen der EihüUe hatten. Viel weniger groß ist der Unterschied im Ge- wicht bei den mit Thymus gefütterten Tieren von den mit Muskelfleisch gefütterten Kontrolltieren. Eine große Verschiedenheit im Gewichtsverhältnis bei Thymusfütterung ist bei den verschiedenen Arten zu konstatieren. So reagiert Bufo weniger stark als Rana. Auch spielt das Alter der Tiere eine bedeutende Rolle, in dem mit der Fütterung begonnen wurde. Wenn die Thymusfütterung sehr früh einsetzt, übertrifft das Körpergewicht N. F. XIV. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 665 jenes der Kontrolltiere. Der Körper ist ärmer an Wasser, aber reicher an organischer Substanz. Bei mit Pflanzenkost ernährten und bei im Freien gefangenen Kaulquappen ist der Aschenbestand besonders groß, was hauptsächlich auf die in den Darm aufgenommene Erde zurückzuführen ist. Werden die Tiere nämlich in reinem Wasser ge- halten, geht er sehr bald zurück. Nach der Resektion eines größeren Körper- abschnittes zeigen bei der Regeneration die Gewichtsverhältnisse kein einheitliches Bild. Nach der Resektion eines größeren Schwanzstückes tritt bei den Thyreoideakaulquappen eine Ge- wichtsverminderung der regenierenden Tiere ein, gegenüber den unverletzten Kontrolltieren. Nach sehr starker Resektion dagegen kann der Ge- wichtsverlust der nicht verletzten Tiere größer sein, da sie mehr Futter und damit mehr Hormon aufnehmen, als die in ihrer Bewegung stark ge- hinderten Vergleichsthyreoidealarven. Im Re- generationsvermögen zeigte sich ein beträchtlicher Unterschied zwischen Fröschen (Rana esculenta, fusca) und der Kröte (Bufo vulgaris). Bei ersteren erfolgte namentlich auf jüngerem und mittlerem Stadium ein vollkommener Ersatz bei einer Re- sektion von 50 — 70 7o der Schwanzlänge, dagegen nicht mehr bei 80 — lOO^/o- Von gleichalterigen, aber verschieden weit entwickelten Tieren re- generierten die größeren, kräftigeren Tiere im all- gemeinen besser, auch wenn sie weiter entwickelt waren, und stark hungernde Tiere schlechter als gut gefütterte. Die Thyreoideafütterung beeinflußt die Regeneration sehr ungünstig, und diese ist nie vollständig. Solche Larven, die schon vorher Thyreoidea erhalten hatten, regenerierten gleich von Anfang an schlechter. Die Geschwindigkeit der Regeneration ist bei Fütterung mit Thyreoidea größer als bei jener mit Thymus oder Fleisch, erreicht aber die geringste Höhe, da sie am frühesten zum Stillstand kommt. Man könnte den Grund dafür darin sehen, daß die Thyreoidea- larven infolge beschleunigter Entwicklung dem nicht mehr regencrationsfähigen Stadium nach der Metamorphose schon näher sind. Aber das Ergebnis verschiedener Versuche läßt erkennen, daß dem Alter und der Entwicklungshöhe nur eine bedingte Bedeutung zukommt. Die Re- generation ist in hohem Maße von dem Kräfte- zustand des Gesamtorganismus abhängig. Je mehr dieser durch die betreuende Ernährung geschwächt wird, desto schlechter ist auch die Regeneration. Bei der beschleunigend wirkenden Thyreoidea- fütterung ist es für das F^ndergebnis wichtig, wann damit begonnen, und in welchen Mengen der wirksame Stoff verfüttert wurde. Ein ge- wisser Prozentsatz der Tiere geht bei der Thyreoideafütterung zugrunde, und zwar um so mehr, je größer die Schilddrüsendosen sind. Be- stimmte Organe entwickeln sich überstürzt, während andere in der Entwicklung zurückbleiben. Die Todesursache liegt hier in diesem Mißver- hältnis; in anderen F"ällen ist der Stoffwechsel so gesteigert, daß in der Zeiteinheit mehr Körper- substanz abgebaut wird, als ersetzt werden kann. Von den Schilddrüsenpräparatcn waren am wirksamsten die Tabletten, und von diesen wiederum wirkten von den untersuchten Marken am intensivsten die Tabletten von Merck (Darm- stadt) und am schwächsten jene von Engelhard (P'rankfurt). Bei extremer Thyreoideafütterung kann die Form des Schädels eine Veränderung erfahren, welche an den Exophthalmus der Basedowkranken erinnert. Nach dem Verf. scheint das anorganische Jod nicht das entwickhmgsbeschleunigende Prinzip zu sein, vielmehr ein imjodothyrin enthaltener Körper. Die Behandlung mit Jodjodkali bewirkte nur eine ganz geringe Beschleunigung. Die Thymusfütterung erwies sich wachstums- fördernd und zugleich entwicklungshemmend. Ob dabei eine innersekretorische Wirkung vor- liegt, ist nicht sicher. R. kommt zu dem Schluß, daß Thymus- und Thyreoidea antagonistisch wirken. Kathariner. Geologie. Thüringer Goldbergbau und Gold- wäschereien und die Goldvorkommen im Thü- ringer Wald und im Frankenwald. — Die Gold- vorkommen in deutschen Flüssen sind schon in verschiedenen Arbeiten Gegenstand montangeolo- gischer Forschungen gewesen. Ein Werk des Preußischen Bezirksgeologen Dr. Hans Heß von Wichdorff, das 1914 von der Preußischen Geologischen Landesanstalt im Archiv für Lager- stältenforschung als Heft 4 herausgegeben wurde, faßt nun nach langen, gründlichen und schwierigen Untersuchungen des Verfassers alles zusammen, was von dem Goldvorkommen des Thüringer Waldes und von der Geschichte des Thüringer Goldbergbaus und der Goldwäschereien bekannt ist. In der Einleitung macht Dr. Heß von Wich- dorff auf neue Wege in der Erforschung von Erzlagerslätten aufmerksam, die er erfolgreich ge- gangen ist. Er hat die mühselige Arbeit nicht gescheut, die einzelnen vorhandenen Akten über den Goldbergbau, die so sehr zerstreut in den Archiven früherer Bergämter und Bibliotheken ruhen, kritisch durchzuarbeiten. Der Weg, den er dabei gegangen ist, ist neu. Er mißt diesen archivalischen Forschungen für die Erkenntnis der Lagerstätten einen großen Wert bei, weil Befah- rungen alter Stollen nur Gegenwärtiges, nicht Vergangenes zeigen. Die Beobachtungen, die dabei gemacht werden können, sind so unvollständig gegenüber denen, die man mit kritischem Auge aus den Akten herausfindet, denn die historischen, literarischen Zeugnisse für den Bergbau sind zum Teil von gut beobachtenden Bergleuten geschrie- ben worden. Besonders zuverlässig sind die Be- fahrungsprotokolle von fremden Bergleuten, die bei Streitigkeiten der Gewerken mit ihrem Landes- 666 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 42 herrn oder bei Streitigkeiten untereinander ent- standen. Den neuen Weg zu gehen, archivahsche Forschungen bei der Erkenntnis von früher abge- bauten Erzlagerstätten zur Gewinnung eines klaren Bildes des Bergbaues heranzuziehen, zeigt uns Dr. Heß von Wichdorff überzeugend in seinem fleißigen Werk. In dem einleitenden Kapitel behandelt er die ältesten Anfänge einer Goldgewinnung in Deutsch- land, wie sie von den Franken ums Jahr 867 aus den Rheinlanden des Mittelrheins (Rheingau, Phillipsburg, Seltz, Hagenbach, Germersheim) ge- schah. Ums Jahr 1250 wurde Gold wieder am Rhein und der Elbe gewaschen. Goldbergwerke bestanden um diese Zeit am Eisenberg bei For- bach in Hessen, 1200 — 1376 bei Goldberg, Löwen- berg und Nikelstedt in Schlesien. Bei Reichenstein in Schlesien wird Goldbergbau vom Jahre 1273 an bis heute betrieben. In Bayern bestand um 1365 ein Goldbergwerk bei Goldkronach bei Bayreuth. Seine spezifisch eigenen Forschungen beginnen im zweiten Kapitel. Auf dem Goldberge bei Reichmannsdorf im Thüringer Walde betrieb man nach seinen For- schungen in den Jahren 1200 — 1400 Duckelbcrg- bau. Gegen 900 Pingen und Halden weisen heute noch auf den umfangreichen Bergbau hin. 1335 wird er das erstemal in einer Urkunde Kaiser Ludwigs IV. erwähnt als „das Goldtwerk des zwi- schen Salueldt (Saalfeld) vund Lawenstein (Lauen- stein) ligtt." IVlittelalterliche Tagebau und Seifen hat er auf den Flußterrassen der Schwarza nach- gewiesen, die aus diluvialen Schottern bestehen. Das Gold findet sich darin als ,, glatte, abgeriebene Goldplättchen, Täfelchen und Flimmern, teils aus mehr oder minder abgerundeten Goldkörnern". Man unterscheidet drei solche Flußterrassen. Wie man das Gold, besonders auf der mittleren Ter- rasse gewinne, läßt ein Aufschluß, ein alter Tage- bau dicht am Bahnhof Sitzendorf- Blechhammer erkennen. 500 m ist er lang. Die hintere hohe Abbauwand ist 5 — 10 m hoch, von der sich lange Stege, die links und rechts von Seifenhalden be- gleitet sind, nacli der Schwarza herabziehen. Die groben Gerolle wurden scheinbar mit Seifengabeln links und rechts auf die Halden der Stege ge- worfen, während man das feinere, goldführende Material auf den Stegen nach der Schwarza zum Schlämmen karrte, oder aber an gleicher Stelle seifnete wie ein anderer Goldseifentagebau an der Mankenbachsmühle vermuten läßt. Man leitete dann das Bachwasser an der hinteren Grubenwand entlang und gewann so genug Wasserkraft, um die Sande zu seifnen. Ahnliche mittelalterliche Goldseifengebiete liegen zwischen Katzhütte und dem Gasthaus Zirkel in der Nähe von Schwarz- mühle und südlich des Kuraubaches. Diese Goldeisentagebaue beschäftigten gleichzeitig nach Dr. Heß von Wichdorff's Ansicht tausende von Goldwäschern. Eine zweite Art, Gold aus den Terrassen- schottern zu gewinnen, läßt sich aus den erhalte- nen Pingen, Löchern, Seifenhalden ersehen, die deutlich am Wege von Glasbach nach Manken- bach, 100 m über der heutigen Talsohle, zu be- obachten sind. Man betrieb hier überall den ein- fachen Duckelbergbau, Stück für Stück Terrasse wur3e unter Benutzung verschiedener Kanäle, die man von der Schwarza ableitete, ausgeseifnet. Solche Reste finden sich im Schwarzatal über der Sägemühle bei Sitzendorf, am Bergvorsprung unter dem Denkmal am Trippstein usw. Den genauen Zeitpunkt kann man nicht feststellen , weil Ur- kunden felilen. 1482 entdeckte man Gold bei Steinheid auf dem Thüringer Walde. 1504 gelang die Auffin- dung bauwürdiger Goldquarzgänge. Bis 1590 be- trieb man den Goldbergbau auf der „Steinheid". In dieser Zeit gewann man nahezu einen halben Zentner Gold, dessen Wert in keinem Verhältnis zu den hohen Unterhaltungskosten der Bergwerke steht. 1 567 werden zum ersten Male Goldbergwerke im Grubental und Kolitzschtal erwähnt. Sie waren bis 1602 im Betrieb. Dr. Heß von Wichdorff urteilt über diesen Bergbau: „Die Ausbeute von Gold auf dem Kolitzsch ist relativ nicht unbedeutend, wenn man erwägt, daß die Gewinnung nur auf einer einzigen Zeche erfolgt. Überhaupt scheinen im Kolitzschtal nur wenige Goldquarzgänge erschürft worden zu sein, im Gegensatz zu Steinheid, wo ihrer gegen 50 — 60 bekannt sind." Am Goldberg bei Reichmannsdorf wird in den Jahren 1477 — 1481 und 1577 — 1579 neu versucht, erfolgreich Gold abzubauen. Nachrichten sind spärlich. Im Ausgange des Mittelalters erfahren wir 1596 von großartigem Goldseifenbetrieb im Schwarzatal selbst und in seinen Nebentälern. Wie die Gold- wäschereien betrieben wurden, erzählt Bergmeister Kr am er in seinen Berichten: Auf die Terrasse wurde von einem Nebenbach Wasser geleitet. Ein Junge mußte den Kies aufhauen. Ein zweiter mußte den eben gewonnenen Kies auf einem Karren ans Wasser fahren. Dort wurde der Kies durchrädert. Zwei Wäscher lassen ihn in den Schlämmergraben durch. Zwei Jungen bringen neuen Kies auf die Schlämmgräben, leeren den Schlamm aus und setzen ihn auf Bühnen. Dann setzt man die geschlämmte Erde vor das Sieb und ein guter Goldwäscher zieht diese Erde zu Schlich. So würde man wöchentlich an Arbeit 2 Gulden brauchen, während man für 10 Gulden 10 Groschen 6 Pf. gewinnen würde. Nach den Untersuchungen Dr. Heß von Wichdorff's sind „fast alle heute noch sichtbaren Spuren alter Goldseifen und Goldwäschereien im Schwarzatal, von Scheibe abwärts bis zur Mündung in die Saale bei Schwarza, im Mittelalter selbst entstan- den, nicht in späteren Zeiten". Aber nicht nur im Gebiet der Schwarza und N. F. XIV. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 667 bei Goldisthai; Nebenflüsse der Schwarza, bei Katzhütte; Nebenflüsse der Schwarza, Nebenflüsse der Schwarza, seiner Nebenflüsse hat er Goldseifenspuren nach- gewiesen. Alle nachfolgend angeführten Thüringer Wasserläufe hat er als goldführend erkannt: die Schwarza zwischen Scheibe und der Mündung in die Saale, der Pechseifenbach „ Rotseifenbach „ Ronnseifenbach „ Raspisseifenbach das Rehtal „ Dunkeltal „ Grubental die Katze der Reichenbach „ Frauenbach „ Apelsbach die Gr. Wulst ) die Lichte ( bei Unterweißbach; Nebenflüsse das Schlegetal ( der Schwarza, der Blambach 1 , . c,. , ^ „ Hadenbach ( ^ei Sitze.idorf „ Cordobanger Bach beim Schweizerhäuschen die Lichte bei Königsee, zwischen Egelsdorf und Lichte ) die Saale von Rudolstadt bis Camburg, die Werra zwischen Eisfeld und Sophienau. der Grümpenbach von der Steinheider Rhizode ab bei Neumannsgrund über Theuern abwärts bis nach Grümpen. die Wettera, Nebenfluß der Saale bei Saalburg, der Köselebach \ bei Lobenstein, Nebenflüsse „ Sieglitzbach / der Saale, der Langwassergrund zwischen Hornsgrün und Wurzbach, Oberlauf der Sormitz, der Schlöteiibach bei Greiz-Neumühle „ Leubabach ^ , .,,,., die Weida / ^ei Weida die Elster oberhalb und unterhalb von Cronspitz, „ Göltzsch bei Mylau (Mühlwand und Kappel- stein), Nebenfluß der Elster. In neuerer Zeit nahm man bei Reichmanns- dorf unweit Gräfenthal zweimal wieder den Betrieb auf, einmal 1699 — 1728, dann 1740 — 1747. Stein- heid nahm man auch wieder in Betrieb 1690 — 1698, 1822 — 1824; Goldisthai 1695 — 1696, 1706—1717, 1724— 1737, 1771 — 1772- Nun findet sich Gold auch in anderen Thü- ringer Lagerstätten. Bei der Zschachenmühle im Tal der Großen Sormitz führen Arsenkies und Schwefelkiesgänge Gold, wie der Untersuchungen Dr. Heß von Wichdorff's zeigten, der für die Tonne Erz 0,8 g Gold und 34,8 g Silber nach- weisen konnte. Die Markasit- und Schwefelkies- konkretionen aus dem Alaunschiefer von Garns- dorf bei Saalfeld führen nach der Feststellung von Breithaupt ebenfalls Gold. Dr. Heß von Wichdorff stellte noch einen goldführen- Nebenflüsse der Elster, den Gang (Quarz) am Bahnhof Ruhla fest. Dem Quarzgang sind Arsenkieseinlagerungen beige- geben. Nach einer Analyse kommen auf eine Tonne 6,3 g Gold und 28,9 g Silber. Die Anti- monerze bei Oberloquilz, der Goldkuppe bei Leutenberg, bei Schleiz (Heinrichsruh, Buchhübel, Oberböhmsdorf, Lössau, Langenwolschendorf) bei Greiz (Teufelskanzel, Steinhübel, Silberberg bei Klein Reinsdorf) sollen ebenfalls Gold führen. In dem letzten Kapitel gibt er seine montan- geologischen Ergebnisse der Untersuchungen und Schlußfolgerungen über die Lagerstätten. Er führt dazu folgendes aus: Die Goldvorkommen sind auf das Thüringer Schiefergebirge beschränkt. Eine Ausnahme bildet Ruhla. Die goldhaltigen Quarzgänge sind im Kambriumgebiet verbreitet. Die Seifen finden sich auch außerhalb des kambrischen Gebietes. Die ursprünglichen Lagerstätten Thüringens sind alle an Quarzgänge im Kambrium gebunden, die meistens mit einer Neigung von 80 — 85 " das Gestein durchziehen. Im Quarz liegt das Gold frei. Es ist mit unbewaffnetem Auge zu erkennen. In rein weißem Quarz und in Adern über ^2 ^ Dicke sucht man vergebens. Es findet sich in Flitterchen und Blälterchen, als runde Körner, moosartige Gebilde. Die Farbe gleicht der ara- bischen Goldes. Oft tritt es an oder in Roteisen- erzeinlagerungen auf, die Einsprengunge im Quarz- gang sind. Begleitende Erze sind Eisenglanz, Roteisenerz, Arsenkies, Schwefelkies, Brauneisen- erz, Sleinmark und seilen Schwerspat. Im Ruhlaer Gang tritt es zuweilen frei im Quarz auf. Bei Katzhütte, Glasbach und zum Teil bei Goldisthai findet es sich als papierdünne Anflüge auf Klüften und Spalten des Quarzes. Das Seifengold entstammt Quarzgängen, die den Bach durch- queren. Die Eisen- und Goldstücke kann nur hoher Wasserstand fortbewegen. So wurden ge- wisse Stellen im Fluß- oder Bachbett und auf den Terrassen von Goldkörnern angereichert, dort, wo ein hemmendes Riff den Bach durchsetzt. Die Abbauwürdigkeit der jetzigen Thüringer Gold- vorkommen hängt von weiteren speziellen Unter- suchungen ab. Goldeisenbetrieb im Schwarzatal und in den anderen Tälern wäre mit großen Ein- bußen verknüpft. Dr. Heß von Wichdorff glaubt, daß man den Betrieb mit modernen Ex- traktionsverfahren etwas gewinnbringend betreiben könnte. Angefügt ist dem Werk ein Beitrag von B. Pick über „Münzen aus Thüringer Gold". Rudolf Hundt. Botanik. Um das Längenwachstum der nicht sichtbaren Teile des jungen Zuckerrohrstengels zu bestimmen, machte J. Kuyper (Archief voor de Java Suiker Industrie, Jaargang23, 1915. S. 528) mit ziemlich starken Nadeln quer durch den jüngeren Teil des Stengels in untereinander mög- lichst gleichen Distanzen feine Löcher. Man durch- 668 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 42 bohrt in dieser Weise die aufeinanderfolgenden Blätter, Scheiden und Stengelteile. Einige Tage später werden die Blätter mit den Scheiden sukzes- siv entfernt und die Verschiebungen der Löcher gemessen. Man kann aus diesen Zahlen das Wachstum der verschiedenen Zonen zwischen den Löchern feststellen. Die Vor- und Nachteile der Methode und die l'ehlerquellen werden in der Arbeit besprochen. Zur Bestimmung des Wachstums der Stengel- glieder wurde auch die gewöhnliche Tuschemarken- methode gebraucht. Es wurden schmale Streifen von ungefähr ^'^ cm Breite aus den einhüllenden Scheiden geschnitten und auf dem zutage kommen- den Teil des Internodiums die Tuschemarken in gleichen Abständen angebracht, worauf der so be- handelte Teil des Stengels dann mit Staniol um- wickelt wurde. Aus den Resultaten der Messungen geht hervor, daß bei Spreite, Scheide und Inter- nodium das Wachstum basipetal ist, weil die Zone des stärksten Wachstums nach unten vorschreitet; weiter daß die oberen Partien schon vollständig ausgebildet sind, während die unteren noch in Entwicklung begriffen sind; es tritt also auch inter- kalares Wachstum auf. Auch aus Messungen der mittleren Zellenlänge an Internodien verschiedenen Alters und in verschiedener Höhe an demselben muß gefolgert werden, daß die oberen Zellen ihre definitive Länge am ersten erlangen: je näher der Basis, um so später sind die Zellen völlig ausgewachsen. An den beiden Knoten findet man jedoch die ältesten Zellen, denn der Wurzelring stellt einen mehr oder weniger selb- ständigen Teil des Internodiums dar. Diese Be- obachtungen über basipetales Wachstum an der Scheide bei Monocotylen stehen in Widerspruch zu den älteren Stehlers. Die Blattspreite ist fast völlig ausgebildet, wenn die Scheide sich zu strecken anfängt ; ist diese letztere erwachsen, so fängt das Internodium sein Wachstum an. Am Schlüsse zeigt der Verf, daß verschiedene Erkrankungserscheinungen, die auf Java unter dem Namen „toprot" zusammengefaßt werden, wahr- scheinlich auf Entwicklungsstörungen zurückzuführen sind, und daß diese Untersuchungen verwendet werden, um den Augenblick des Auftretens dieser Störungen festzustellen. Bücherbesprechungen. Diels, H., Antike Technik. 6 Vorträge. Leipzig und Berlin 191 5, B. G. Teubner. — Preis geb. 4,40 M. Wenn man schon den reinen Naturwissen- schaften Mangel an historischem Sinn vorwirft, so gilt dies in noch höherem Maße für die ange- wandten, die Technik. Man kennt vielleicht den Erfinder des Schießpulvers, der Dampfmaschine, begnügt sich aber im übrigen zumeist, auf die erstaunliche Entwicklung und Leistungsfähigkeit der Technik in den jüngsten Jahrzehnten hinzu- weisen. Nun kann ja gewiß kein Zweifel darüber bestehen, daß der Aufschwung unserer Kenntnisse von der Natur und ihre auf jenen beruhende Meisterung besonders auffällig in der letzten Ver- gangenheit gewesen ist. Aber die geistige Ent- wicklung oder vielleicht besser, die Mehrung und Vervollkommnung des geistigen Besitzes ist eben- sowenig sprunghaft, wie. die Entwicklung organi- scher h'ormen, sondern ebenso wie diese ein all- mähliches Weiterbauen durch Jahrtausende. Je mehr wir in der Tat von der Kultur früherer Zeiten erfahren und, was dazu kommen muß , je besser wir sie von einem allgemein biologischen Standpunkte zu beurteilen versuchen, um so klarer kommt uns zum Bewußtsein, wie stetig sie fort- schreitet, wie vergleichsweise klein die Zahl der wirklich neuen Impulse ist, wie die großen Ideen, auch die auf Verbesserung des praktischen Lebens gerichteten, dieselben bleiben ebenso wie die Be- dürfnisse im wesentlichen immer die gleichen waren, wie sich höchstens die Komplikation, die Geschwindigkeit, die Verfeinerung steigert. Tele- graphieren taten die Griechen auch, es dauerte aber länger als heute. Archimedcs ersann Wurf- maschinen, die auf ein paar hundert Meter sehr wirksam gegen die Flotte der Angreifer operierten. Unsere schweren Strandbatterien schießen weiter und mit stärkerem Erfolge; wir brauchen deshalb aber nicht über Archimedes und die Syrakuser zu lächeln, sie hatten nicht nötig, Fernwirker zu übertrumpfen, und die Schiffe ihrer Gegner waren nur aus Holz. — Es sind immer nur neue Rekorde, die aufgestellt werden , das Rennen war immer da. Freilich ist sein Tempo rascher und rascher geworden, doch macht es ofifenber nichts aus, ob ein Fortschritt in lOO Jahren oder in einem erzielt wird. Überhaupt was bedeuten für den Biologen die Zeilräume, mit denen die Geschichte rechnet! Gar nichts. Unsere Mentalität ist gewiß die gleiche geblieben, wir sind sicher um kein Haar begabter als vor 7000 Jahren, um kein Haar besser veranlagt in sittlicher Hinsicht! Gewachsen ist die Masse des Kulturbesitzes, aber nicht die unseres Gehirns. So war auch der Erfinder- und Entdeckergenius früher so häufig wie jetzt — doch wir wollen auf die vielerlei neuen Fragen , die sich sofort erheben, hier nicht eingehen. Unsere Absicht war nur auf das oben bezeichnete hübsche und sehr anregende Büchlein des bedeutenden Philologen hinzuweisen , das uns manchen Stoff zum Nachdenken gab. Der mit einem glück- N. F. XIV. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 669 liehen naturwissenschaftlichen und technischen Sinn begabte Verf. entrollt hier in einer Reihe sehr fesselnder Aufsätze ein Bild der antiken Technik und des antiken „Techniten", der im Gegensatz zu unseren gefeierten Größen meist im Dunkel der Namenlosigkeit verblieb. Wir er- fahren von antiken Türen und Schlössern, Dampf- maschinen, Automaten und Taxametern, von antiker Telegraphie, Artillerie und Chemie. Sehr schätzenswert ist die eindringliche oft scharf- sinnige Analyse solcher alter IVIechanismen , die durch klare Abbildungen, z. B. sogar durch hübsche Experimente erläutert werden. Miehe. Braun, Prof. Dr. Max und Seifert, Prof. Dr. Otto, Die tierischen Parasiten des Menschen, die von ihnen hervorge- rufenen Erkrankungen und ihre Hei- lung. I. Teil : Naturgeschichte der tierischen Parasiten des Menschen von Dr. Max Braun. Mit 407 Textabbildungen. 5. vermehrte und verbesserte Auflage. Würzburg 1915, C. Ka- bitzsch. — Preis geb. 14,50 M. Es möchte überflüssig sein , ein so bekanntes und anerkanntes Buch, wie das vorliegende, zu seiner 5. Auflage erneut zu kennzeichnen und zu empfehlen. Erwähnt sei nur, daß es durch um- fangreiche Verarbeitung der neuesten Literatur (das Literaturverzeichnis füllt fast lOO Seiten!) auf den neuesten Stand gebracht, daß namentlich das Protozoenkapitel ganz neu gestaltet wurde und daß der der vorigen Auflage angeschlossene klinisch therapeutische Anhang diesmal als ein 2. Teil in der Bearbeitung von O. Seifert ge- sondert erscheinen soll. Miehe. Handbuch der Tropenkrankheiten unter Mit- wirkung zahlreicher Fachgelehrter herausgegeben von Prof. Dr. C. M e n s e. 2. Aufl. 2. Band. Mit 126 Textabbildungen, 14 schwarzen und 6 farbigen Tafeln. Leipzig '14, Joh. Ambr. Barth. — Preis geb. 42 iVI. Auch der 2. Band des bekannten grundlegen- den Handbuches, das wir früher anzeigten (Naturw. Wochenschr. N. ¥. XIÜ, S. 268), enthält außer speziell medizinisch wichtigen Gegenständen sehr viele, die den Naturforscher interessieren. Dar- über hinaus ist es aber für den Zoologen und Botaniker noch insofern besonders wertvoll , als es ihm durch die allen Kapiteln beigegebene Bibliographie eine Orientierung auf den medizini- schen Grenzgebieten ermöglicht, die wegen des außerordentlichen Umfanges dieser Literaturen und ihrer Zerstreutheit schwer zugänglich sind. Der Inhalt des 747 Seiten starken Bandes ist in Kürze folgender. In einem ersten Abschnitte behandelt Schilling die Blutlehre, soweit sie sich auf tropische Krankheiten bezieht, und diese Beziehung ist ja besonders eng. Neben der Technik der Blutuntersuchungen wird eine allgemeine morphologische Beschreibung der Blutbilder und zum Schluß eine spezielle gegeben, die sich auf die Blutbefunde bei tropischen Krankheiten er- streckt. Im 2. von A. Plehn verfaßten Ab- schnitte über tropische Hautkrankheiten werden den Botaniker besonders die durch Pilze hervor- gerufenen Krankheiten interessieren. Auch der Verf. hebt die großen Schwierigkeiten hervor, die der Mediziner in der genauen Beschreibung, der systematischen Charakterisierung und der Diagnose der Erreger findet, und die dadurch bewirkte ungebührliche Verwirrung auf diesem Gebiete. Das liegt einmal daran, daß hier noch mehr wie auf zoologischem und sogar rein bak- teriologischem Gebiete die speziellen Kenntnisse der Mykologen fehlen, und dann auch daran, daß man den Pilzen viel zu einseitig mit Färbungen und spezifisch medizinisch - bakteriologischen, und zu wenig mit allgemein botanisch-physiologischen Methoden zu Leibe geht. So z. B. ist das mikro- skopische Bild des Ausstriches für die Unter- suchung viel ungünstiger als etwa bei den Bak- terien. Schade, daß sich neben den zoologischen Helfern, wie Schaudinn und Prowazek ehrenvollen Angedenkens, nicht mehr Botaniker der Medizin zur Verfügung stellen! Sehr ausgedehnt ist dann das Kapitel, in dem A. Loos die große Schar der schmarotzenden Würmer behandelt. Gerade in diesem Abschnitt wird der Helminthologe viele wertvolle Ergän- zungen zur Biologie, Verbreitung, Pathogenität seiner Objekte finden. Die Vergiftungen durch pflanzliche (iifte wird von F. Rho in einem an vielen allgemein interessierenden Notizen reichen Kapitel dargestellt. Die Zahl der Giftpflanzen ist ja besonders groß in den Tropen und ihre An- wendung sehr mannigfach. Wir finden u. a. die Pfeügifte, die Gifte zum Fischfang und zur Tötung von Tieren, die zum Mord und Selbstmord ange- wandten, die gelegentlich in Nahrungsmitteln ent- haltenen, die heilsamen Gifte usw. Sehr angenehm sind die Tabellen, die die einzelnen Kategorien von Giftpflanzen in systematischer Anordnung vorführen. Den Schluß bilden die berauschenden und narkotischen Genußmittel. Besonders interessant ist dann das von A. Cal- mette und L. Bruyant verfaßte Kapitel über die tierischen Gifte, als welche hauptsächlich die Schlangengifte in Betracht kommen. Hier wird u. a. auch die Herstellung und Anwendung des berühmten Heilserums erörtert, des einzigen ratio- nellen, leider nicht überall anwendbaren Heilmittels gegen Schlangenbiß, wie es bekanntlich von einem der Autoren (Calmette) zuerst ausgearbeitet wurde. Der Zoologe findet daneben manche interessante Notiz über Lebensweise, P'ang, Hal- tung, Fütterung von Giftschlangen. Den Beschluß des Werkes macht ein Abschnitt von P. vanBrero über die Nerven- und Geistes- krankheiten in den Tropen, wo man z. B. auch eine Darstellung des bekannten Amoklaufens der Malayen findet. Miehe. 6/0 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 42 Thorbecke, Franz, Im Hochland von Mittel- kamerun. I. Teil. Mit 75 Abbildungen auf 50 Tafeln, i Farbentafel und i Kartenskizze. Hamburg 1914, L. Friedrichsen & Co. Der Verf. schildert in diesem ersten Teile den Verlauf seiner Forschungsreise, die er im Jahre 1911 gemeinsam mit seiner Frau und Dr. W'ai bei in das Hochland von Mittelkamerun östlich des Mbam unternommen hat, in chronistischer Form ohne Belastung mit den Ergebnissen der syste- matischen Forschung, die einem späteren Teil vorbehalten bleiben sollen. Die Reise ging zunächst mit der Nordbahn nach Nkongsamba und von da durch das Land der Bamum, das erst 1902 entdeckt, von einer interessanten schwarzen Herrschergestalt, Njoja, regiert wird und eine ziemliche hochstehende Kultur besitzt, nach dem Lande der Tikar. Das eigentliche Arbeitsgebiet war jenes Hochland, das nach Süden mit steiler Mauer in die Ebene der Wüte abfällt und nach Norden sich allmählich in großen Wellen nach dem Oberlauf des Mbam ab- dacht, die Ndomme, wie es der Verf. nennt. Sie wurden nach verschiedenen Richtungen in mehreren Fahrten durchzogen, die sich östlich bis zu der Station Joko erstreckten und auch den Nordrand der angrenzenden Wuteebene berührten. Auf den Streifzügen in das Inselbergland nördlich und nordwestlich von Ngambe fand die Expedition Spuren einer einheimischen, offenbar alten Baum- wollkultur, die sich späterhin noch vermehren ließen. Nachdem dann noch ein Ausflug nach dem nördlich Joko gelegenen Tibati gemacht war, wurde von Ditam aus, das als Mittelpunkt des einheimischen Baumwollbaues erkannt wurde, der Gebirgsstock besucht, der in der Kamerun- literatur und auf den Karten als Nguttegebirge bezeichnet wird, nach Ansicht Thorbeck e's jedoch Njantigebirge heißen muß. Am Fuß seiner höchsten Erhebung, des Jandjom, wurde ein kleines Dörfchen mit einer echten Zwergenbevölkerung entdeckt, die ursprünglich in den unzugänglichen Bergen hausend, vor nicht langer Zeit in jenem Dorfe angesiedelt worden waren. Diese Entdek- kung war wichtig und überraschend, da man bis- her annahm , daß Zwerge nur in den Urwäldern des Kongobeckens und im angrenzenden Süd- kamerun vorkämen. Der wertvolle Reisebericht, der zahlreiche Be- obachtungen ethnographischer, historischer, wirt- schaftlicher und pflanzenphysiognomischer Art enthält und trotz seiner knappen Sachlichkeit les- bar ist, ist mit schönen Bildern geschmückt, die von sehr entwickelter Technik und einem feinen Kunstgefühl zeugen. Möge bald der Tag kommen, wo wir Werke über unsere Kolonien nicht mehr mit dem Gefühl der Trauer, der Sorge, der Bitterkeit zur Hand zu nehmen brauchen, das uns heute erfüllt. Miehe. Kurt Arndt. Handbuch der ph ysikalisch- chemischen Technik für Forscher und Techniker. XVI u. 830 Seiten, gr. 8". Mit 644 Abbildungen im Text. Stuttgart 191 5, Verlag von Ferdinand Enke. Preis geh. 28 M. Wie in allen Experimentalwissenschaften hat auch in der Chemie die Versuchstechnik eine stetig wachsende Bedeutung gewonnen. Besonders der Anorganiker und der Physiko-Chemiker, aber auch der Organiker bedarf zur erfolgreichen Be- arbeitung der ihm gestellten Aufgaben zahlreicher mehr oder minder komplizierter Apparate und zahlreicher besonderer Veisuchsanordnungen. So sei — um hier einige Beispiele anzuführen — an die Wichtigkeit der Versuche bei sehr hohen und bei sehr niedrigen Temperaturen, bei besonders großen und bei besonders kleinen Drucken und an die vielfachen mechanischen, thermischen, elek- trischen und optischen Messungen erinnert, deren Durchführung heute dem Chemiker wohl ebenso oft wie dem Physiker obliegt. Daher spielt denn auch in der neueren chemischen Literatur die Beschreibung von Versuchsanordnungen und Meß- vorrichtungen eine sehr bedeutende Rolle, ja man kann wohl sagen, daß in vielen wertvollen Ar- beiten die Versuchstechnik, mit deren Hilfe der Forscher seine Ergebnisse erhalten hat, das gleiche oder bisweilen sogar ein größeres Interesse hat als die Ergebnisse selbst. Die Kenntnis vorbild- licher Versuchsanordnungen und Meßvorrichtungen ist daher für den selbständig arbeitenden Chemiker, mag er nun in einem wissenschaftlichen oder in einem technischen Laboratorium tätig sein, eine unerläßliche Voraussetzung, eine Voraussetzung, die zu erfüllen bei der großen Vielseitigkeit der Anforderungen und in Anbetracht des großen Um- fanges der Originalliteratur nicht immer leicht ist. In dem vorliegenden ,, Handbuch der physikalisch- chemischen Technik" hat der Privatdozent an der Technischen Hochschule Berlin Prof Dr. Kurt Arndt in umfassender Weise alles das dargestellt, was der Chemiker nach Versuchs- und meßtechnischer Hinsicht wissen muß, und zwar in sehr viel um- fassenderer Weise als es in dem bekannten , .Hand- buch piiysiko - chemischer Messungen" von Ost- wald und Luther und in dem von den Chemi- kern ebenfalls häufig zu Rate gezogenen ,, Lehrbuch der praktischen Physik" von F"r. Kohl rausch, zwei Werken, die sich auf die eigentliche Meß- technik beschränken, geschehen ist. Arndt behandelt in seinem Buche nach einem allgemeinen Teil, in dem einige wichtige Hand- fertigkeiten, wie die Bearbeitung des Glases, das Durchbohren von Kork- und Gummistopfen, Leimen, Kitten, Löten usw. sowie die Eigenschaften von Glas, Porzellan, Quarz usw. bei höheren Temperaturen besprochen werden, zunächst die Hilfsgeräte des Chemikers und ihren Gebrauch. Eingehend werden die zahlreichen Konstruktionen von elektrischen Widerstandsöfen für verschiedene Zwecke, die verschiedenen Luftpumpen, die Ther- mostaten für hohe, mittlere und tiefe Temperaturen, N. F. XIV. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 671 die verschiedenen Arten von Rührvorrichtungen und die V^orrichtungen zur Regelung und Konstant- erhaltung des Druckes beschrieben und Anweisun- gen zu ihrer sachgemäßen Behandlung gegeben. Der eigentlichen Meßtechnik ist der bei weitem größere Teil des Werkes gewidmet. Er beginnt mit den Methoden zur Messung mechanischer Größen, dem Messen von Maßen bzw. Gewichten, von Längen, Flächen und Rauminhalten und der Be- stimmung von spezifischen Gewichten. Besonderes Interesse haben die nun folgenden Methoden zur Messung von Gas- und Dampfdrucken, und von osmotischen Drucken sowie die Verfahren zur Be- stimmung von Löslichkeiten. Nach einem kurzen Abschnitt über Zeitmessungen werden die ver- schiedenen Verfahren zur Temperaturmessung, die Methoden zur Messung von Schmelz- und Siede- punkten und die kalorimetrischen Messungen be- sprochen. Die Abschnitte über die Messung von Zähigkeit, Oberflächenspannung und Diftusion wären zweckmäßiger wohl vor den Temperatur- und Wärmemessungen im unmittelbaren Anschluß an die mechanischen Messungen behandelt worden. Ausführlich und entsprechend ihrer Wichtigkeit für den Chemiker werden die elektrischen Messungen, so die Messungen von Widerstand, Spannung und Elektrizitätsmenge und die Verfahren zur Messung der Dielektrizitätskonstanten und zur Bestimmung der Überführungszahlen erörtert. Den letzten größeren Abschnitt des Buches bilden die optischen Messungen, nämlich die Messung des Brechungs- vermögens, des Drehungsvermögens, die photo- metrischen und die ultramikroskopischen Messungen. Mit einigen Bemerkungen über die zeichnerische Darstellung von Messungsergebnissen und ihre rechnerische Darstellung durch Gleichungen und einem Sach- und Namenregister schließt das Werk. Theoretische Erörterungen hat der Verf. im allgemeinen vermieden, weil er den Umfang des Buches nicht allzu sehr anschwellen lassen wollte. Auch ist ja wohl anzunehmen, daß die Leser, die sich über bestimmte Meßmethoden unterrichten wollen, mit deren theoretischen Grundlagen und Voraussetzungen vertraut sein werden. Wie wohl schon die vorstehende Inhaltsüber- sicht erkennen läßt, darf das Buch bei den Che- mikern und allen denen, die für chemische Mes- sungen Interesse haben, auf großes Interesse rechnen. Und dieses Interesse verdient es auch, denn es ist nicht nur klar und sachgemäß ge- schrieben, sondern enthält auch so viele aus der Praxis geborene Einzelhinweise und Bemerkungen, daß wohl ein jeder, der es in einer Sonderfrage befragt, von der Befragung den erhofften Nutzen haben wird. Allerdings sind abgesehen von den Messungen auf dem Gebiete der Radioaktivität und von den magnetischen Messungen, von deren Besprechung absichtlich Abstand genommen wor- den ist, — wenigstens nach Ansicht des Referenten — die optischen Untersuchungsmethoden etwas zu kurz behandelt worden. Zur Ergänzung sei daher außer auf die Werke über die Radioaktivität auf die „M a g n e t o c h c m i e" von E. W e d e k i n d (Berlin 1911) und auf die „Photochemische Ver- such s t e c h n i k" von Johannes Plotnikow (Leipzig 191 2) hingewiesen. Immerhin wäre es wünschenswert, wenn sich der Verf. bei der Be- arbeitung der zweiten Auflage des Werkes ent- schließen würde, wenigstens die wichtigsten Me- thoden der magnetischen und der Radioaktivitäts- messungen, die ja heute nicht mehr ein nur auf die engsten Fachkreise beschränktes Interesse be- sitzen, in sein verdienstvolles Werk neu aufzu- nehmen und die optischen L'ntersuchungsmethoden ausführlicher zu behandeln. Die dadurch verursachte Steigerung im Umfange des Werkes dürfte kaum ein ernstliches Hindernis sein. Abgesehen von diesen Wünschen über die weitere Ausgestaltung des Werkes glaubt der Referent, das Handbuch als eine wertvolle Bereicherung der chemischen Literatur, die zweifellos vielen Fachgenossen wert- volle Dienste zu leisten berufen ist, warm emp- fehlen zu sollen. Berlin-Lichterfelde W 3. Werner Mecklenburg. Die Kultur der Gegenwart, ihre Entwicklung und ihre Ziele. Herausg. von Paul Hinne- berg. III. Teil: Mathematik, Naturwissen- schaften , Medizin. 4. Abteilung : Organische Naturwissenschaften. Erster Band: Allgemeine Biologie. Redaktion: f C. Chun und W. Jo- hannsen, unter Mitwirkung von A. Günt- hart. Bearbeitet von E. Baur, P. Boysen- Jensen, P. Claussen, A. Fischel, E. God- lewski, M. Hartmann, W. Johannsen, E. Laqueur, fB. Lidforss, W. Ostwald, O. Forsch, H. Przibram, E. Radi, O. Rosenberg, W. Roux, W. Schleip, G. Senn, H. Spemann, O. zur Strassen. Mit 115 Abb. im Text. (XI u. 691 S.) Verl. von B. G. Teubner, Leipzig und I3erlin, 1915. Der „allgemeinen Biologie", die zurzeit im Vordergrunde der gesamten, im weitesten Sinne biologischen Forschung steht, ist der neueste um- fangreiche Band der „Kultur der Gegenwart" ge- widmet. Von gründlichsten Kennern der behan- delten Gebiete, ja zum Teil von ersten, führenden Forschern der Gegenwart verfaßt, bildet er in seinen 22 Aufsätzen eine neue ganz unschätzbare Quelle der Belehrung und des geistigen Genusses für alle, die aus Neigung oder Pflicht sich über allgemein-biologische Fragen unterrichten wollen und außerstande sind, umfangreiche und vielfach recht schwierige Spezialarbeiten oder auch nur die größeren zusammenfassenden Darstellungen, die über manche der Gebiete vorliegen , zu stu- dieren. Auch der Widerstreit der Meinungen, der in manchen allgemein-biologischen Fragen, nament- lich auf dem Gebiet der Abstammungslehre und der dieselbe berührenden Probleme der Vererbung und Anpassung herrscht, kommt in den Einzel- abschnitten des Bandes zum Ausdruck; die Stand- punkte der verschiedenen Verfasser sind nicht 672 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 42 immer die gleichen, und so erfährt denn auch ein und dasselbe Problem gelegentlich recht verschie- dene Beurteilung, aber darin spiegelt sich ja das Leben der Wissenschaft selbst wieder, und die Redakteure, von denen der eine, C. Chun, die Vollendung des Werkes leider nicht mehr erleben sollte, haben sicherlich recht daran getan, ver- schiedene Meinungen zu Worte kommen zu lassen. Eine einleitende historische Skizze : ,,Zur Geschichte der Biologie von L i n n e bis Darwin" von E. Rädl unterrichtet über die gewaltige Entwick- lung, die die Biologie in dem behandelten Zeit- raum genommen hat, und damit auch über die Ziele, die sich die verschiedenen Forschungsrich- tungen gesteckt haben; ihr folgen als Ergänzung zwei methodisch-technische Aufsätze von A.h'ischel („Die Richtungen der biologischen F"orschung mit besonderer Berücksichtigung der zoologischen Forschungsmethoden') und O. Rosenberg (,,Die Untersuchungsmethoden des Botanikers"). Eine nicht leichte Aufgabe löst der Artikel von H. Spemann: ,,Zur Geschichte und Kritik des Be- griffes der Homologie" mit ausgedehnter Sach- kenntnis und großem Geschick; ein mehr natur- philosophisches Problem „Die Zweckmäßigkeil" behandelt O. zur Strassen in einem groß an- gelegten Aufsatz. Von ganz besonderer Bedeutung sind dann die beiden folgenden Abschnitte, die enger zusammengehören: „Die allgemeinen Kenn- zeichen der organisierten Substanz" vonW. Ost- w a 1 d und „Das Wesen des Lebens" von W. R o u x ; im Anschluß an sie behandelt W. Schleip: „Lebenslauf, Alter und Tod des Individuums". Waren diese letzten Aufsätze wesentlich physio- logischen Fragen gewidmet, so kommt in den nächsten wieder mehr die Morphohigie zu Worte. Dem ,, Protoplasma", dem eigentlichen Träger des Lebens bei Tieren und Pflanzen, widmet Lidforss eine besondere Darstellung, die durch den näch- sten, von dem gleichen Autor herrührenden Auf- satz „Zellulärer Bau, Elementarstruktur, Mikroorga- nismen, Urzeugung" ergänzt wird. Eine noch bleiben- de Lücke füllt die kurze Besprechung von Senn: „Bewegungen der Chromatophoren" aus. Endlich gehört in diese Gruppe von Abhandlungen auch noch die von M. Hartmann über „Mikrobiologie. Allgemeine Biologie der Protisten". Innerlich zu- sammen gehören dann wieder die drei folgenden Kapitel von E. La q ue u r (Entwicklungsmechanik tierischer Organismen), . H. Przibram (Regene- ration und Pransplantation im Tierreiclie) und E. Baur (Regeneration und Transplantation im Pflanzenreiche"), die der Natur des behandelten Stoffes nach zu den interessantesten des ganzen Bandes gehören und ihrer dankbaren Aufgabe auch in der Darstellung voll gerecht werden. Der Schilderung der Fortpflanzungserscheinungen in den beiden großen Organismenreichen sind die beiden folgenden Abhandlungen von E. God- lewski jun. (,, Fortpflanzung im Tierreiche") und P. Claussen (,, Fortpflanzung im Pflanzenreiche") gewidmet; ein besonderer Aufsatz „Periodizität im Leben der Pflanze" gibt Johannsen, dem Her- ausgeber des ganzen Bandes und hochverdienten Forscher auf dem Gebiete der Vererbungslehre, Gelegenheit, an einem konkreten Beispiel zu zeigen, wie Erscheinutigen, die man besonders gern im Lichte der Selektionstheorie betrachtet und als Ani:)assungen an die Lebenslage gedeutet hat, bei näherem Zusehen sich als im Wesen der Organi- sation selbst begründet erweisen, wenn auch dem Einfluß äußerer Faktoren nicht völlig entzogen. Die „Gliederung der Organi!,menwelt in Pflanze und Tier" sowie die „Wechselbczieliungen zwi- schen Pflanze und Tier" untersucht O. Forsch; die junge Wissenschaft der „H}'drobiologie" ist mit einer besonderen kleinen Darstellung von Boysen- Jensen vertreten. Zum Schlüsse kommt endlich W. Johannsen noch einmal' zum Wort, um das Gebiet zu behandeln, auf dem er selbst allererste Autorität ist: „Experimentelle Grundlagen der Deszendenzlehre; Variabilität, Vererbung, Kreuzung, Mutation". Ganz besonders deutlich zeigt diese Schlußabhandlung, daß sich in der Biologie zurzeit ein Wandel der Anschau- ungen in grundsätzlichen PVagen , namentlich auf dem Gebiete der Deszendenztheorie, vollzieht. Die geistige Verarbeitung der Tatsachen und die Art ihrer Darstellung machen auch diesen Band der ,, Kultur der Gegenwart" zu einer her- vorragenden Erscheinung, die ein glänzendes Zeug- nis ablegt von der Kultur, auf deren Boden sie entstanden ist. E. Gaupp, Königsberg i. Pr. Literatur. Hoefer, Prof. Dr. II. von, Anleitung zum geologischen Beob,icliten, Kaiticren und Profilieren. Mit 26 Abbildungen. Braunsciuveig '15, Fr. Vieweg. Geb. 2,80 Mk. Glalzel, Prof. Dr. Bruno f, Elektrisclic Methoden der Momentpliotographie. Mit dem Bild des Verfassers und 51 Abbildungen. Heft 21 der ,, Sammlung Vieweg". Braun- schweig '15, Fr. Vieweg. 3,60 M. Böttger, Prof. Dr. H. , Physik. Zum Gebrauch bei physikalischen Vorlesungen in höheren Lehranstalten sowie zum Selbstunterricht. 2. Band: Optik, Elektrizität, M.agnetis- mus. Mit SS2 Textabbildungen und 2 Spektraltafeln. Braun- schweig '15, Fr. Vieweg. Geb. 26 M. Inhalt; Uüggeli: Die freilebenden stickstotTbindenden Bodenbakterien und ihre Bedeutung im Haushalte der Natur. — Einzelberichte: Kotncis: Die Bedeutung des inneren Sekrets der Schilddrüse (Glandula thyreoidca) für den Stoft'- wechsel. Heß von Wichdorff: Thüringer Goldbergbau und Goldwäschereien. Kuyper: Das Längenwachstum der nicht sichtbaren Teile des jungen Zuckcrrohrstengels. — Bücherbesprechungen: Diels: Antike Technik. Braun und Seifert: Die tierischen l'arasiten des Menschen, die von ihnen hervorgerufenen Erkrankungen und ihre Heilung. Mense: Handbuch der Tropenkrankheiten. Thorbecke: Im Hochland von Mittelkamerun. Arndt: Handbuch der physikalisch-chemischen Technik iiir Korscher und Techniker. liinneberg: Die Kultur der Gegenwart, ihre Entwick- lung und ihre Ziele. — Literatur: Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Scliriftleiter Professor Dr. H. Miehe in Leipzig, Marienstrafle IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 14. Band; der ganzen Reihe 30. Kaud. Sonntag, den 24. Oktober 1915. Nummer 43. [Nachdtuck verboten.] Chemisch-technische Tagesfragen. Von Prof. Dr. P. Rohland-Stultgart. In der jetzigen Kriegszeit bewegen sich die chemisch-technischen Tagesfragen nach der Richtung, daß alle Rückstände der verschie- denen Industrien in irgendeiner Weise nutzbar gemacht werden.') Da wir keine Schweröle zur Gewinnung von Benzin besitzen, so müssen wir uns nach anderen leicht verbrennbaren Gasen umsehen. Benzol können wir aus dem Stein- kohlenteer herstellen. Es steht uns aber auch noch der Spiritus zur Verfügung, für dessen Benutzung allerdings die Motore der Automobile erst entsprechend umge- ändert werden müssen. Für die Gewinnung des Alkohols stehen uns zahlreiche Hilf;.quellen zu Gebote. In solcher Zeit, wie der jetzigen gerade müssen die Abfall- produkte unserer Industrien nutzbar gemacht werden. So kann Äthylalkohol aus Holzabfällen, aus den Abwässern der Zellulosefabriken , aus den Abwässern der Preßhefefabriken, aus Rübenmelasse- syrup, aus Mohrrüben usw. gewonnen werden. Allerdings ist die technische Herstellung des Alkohols aus Zellulose noch mit Schwierigkeiten verknüpft. Diese Industrie hat nach mehreren Jahren nur etwa 60 hl reinen Alkohol dargestellt. Die Zellulose der Sägespäne wird in Stärke- zucker verwandelt; durch die Fermentation der letzteren erhält man Alkohol. Um 1 500 kg Säge- späne in Zucker zu verwandeln , braucht man 400 1 Wasser und 81 kg Schwefelsäure; als Fer- ment dient Bierhefe. Die Herstellungskosten sind billig, aber der Nachteil besteht darin, daß die Apparate durch die Säure und den Alkohol oxydiert und an- gegriffen werden. Dieser Übelstand macht sich auch bei der Verwendung des Alkohols als Be- triebsmittel der Motore bemerkbar. Äthylalkohol gehört zu den Substanzen , die die Oxydation der Metalle, z. B. des Eisens, be- schleunigen; es gibt nun eine Reihe von Stoffen, welche die Oxydation des Eisens verlangsamen, bzw. aufheben. Hierzu gehören alle Lösungen, die Hydroxylionen besitzen, wie Hydroxyde und Salze, die infolge Hydrolyse alkalisch reagieren; allerdings muß die Konzentration der Hydroxylionen einen bestimmten Wert haben, damit die rostschützende Wirkung eintreten kann. Diese oxydationsverhindernde Wirkung der Lösun- ') Vgl. Naturw. Wochenschr. Nr. 28, 1915. P. Roh- land, Die Verwertung der städtischen und industriellen Ab- fallprodukte. Am I. November erscheint eine neue Zeitschrift, Zeitschrift für Abfallverwertung, deren Herausgeber ich bin (Verlag Erich Krone, Berlin-Südende). gen, die Hydroxylionen enthalten, bezieht sich aber merkwürdigerweise ganz allein auf das Eisen. Alle übrigen unedlen Metalle, wie Zinn, Zink, Kupfer, Blei, selbst das in chemischer Hinsicht dem Eisen sonst so nahestehende Aluminium werden von solchen Lösungen oxydiert und an- gegriffen. Eine rostschützende Wirkung üben noch aus Alkalichromate und Bichromate, auch Chromichlorid, ^) obwohl ihre Lösungen Wasser- stoffionen enthalten, die sonst die Oxydation beschleunigen. Vielleicht ließe sich unter diesen Stoßen einer finden, der, in kleinen Mengen dem Alkohol zu- gesetzt, seine oxydationsbeschleunigende Wirkung aufhebt, andererseits sich nicht chemisch mit dem Äthylalkohol verbindet. Und auch jetzt schon kann bei sachgemäßer Behandlung der Motore eine Rostbildung größtenteils verhindert werden. Dann würde jedenfalls in noch viel größerem Umfange Spiritus für die Motore der Auto- mobile usw. gebraucht werden, und auch später könnten wir bezüglich der Benzineinfuhr aus Eng- land von diesem unabhängig werden. Auch aus den Abwässern der Zellulose- fabriken könnte für loMill. Mark etwa Spiritus gewonnen werden, wenn steuergesetzliche Maß- nahmen dem in Deutschland nicht entgegenständen. Ferner: Durch die Presse lief kürzlich die Nachricht, daß in Frankreich ein neues Spreng- mittel, „Turpin" genannt, erfunden worden ist, daß so enorm explosibel wäre, daß der gefühl- volle französische Präsident Poincare Bedenken getragen hätte, seinen Gebrauch zu gestatten ; es ist übrigens schon früher dargestellt worden. Wenn auch bei dem Bombenwerfen unserer Flieger und Zeppeline Versager noch vorkommen mögen — die französische Spreng- und ZündstofT- industrie kann nicht mit Stolz und Befriedigung auf die letzten Jahre zurückblicken. In Frankreich hat die Frage nach dem ge- eignetsten Pulver das allgemeine Interesse in- folge einiger höchst verderblichen Explosionen stetig in Erregung gehalten. Hunderte von Men- schenleben und Millionen Kapital sind in den letzten Jahren durch Pulverexplosionen vernichtet worden. Bekannt ist die Explosion des Linien- schiffes „Liberte", die am 25. September 19U auf der Reede von Toulon erfolgte und zahlreiche Opfer forderte. Die Ursache der Explosion be- ') Vgl. P. Rohland, Über die O.^ydationsverzögerung des Eisens durch Chromichlorid. Ztschr. f. Elektrocliemie 22, 1909. 674 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 43 stand in Selbstentzündung des Pulvers. Die Ver- suche ergaben, daß das französische Pulver nicht lagerbeständig war, und die vorhandenen Vorräte mußten vernichtet werden. Das französische B- (Boulangerj-Pulver ist reines Schießvvollpulver, mit Essigester gelatiniert. Aber es war doch den Engländern vorbe- halten, den Krieg in höchst unritterlicher Weise zu führen, indem sie mit Stinkbomben, Stinkgranaten, giftigen Gasen ihre Soldaten aus- rüsteten. Eine andere chemisch-technische Frage, die jetzt besprochen zu werden verdient, die voll- ständige Zerstörung der Befestigungen in Lüt- tich, Namur, IVIaubeuge hat die Über- legenheit unserer 42 cm • Mörser gezeigt. Die Befestigungen dieser Festungen waren aus Beton und Eisenbeton mit Panzertürmen hergestellt. Gelegentlich meiner Versuche, die bezweckten, aus Zement, Stahl und Eisen Schutz Schilde herzustellen, die vielleicht bei der Feld- und F"uß- artillerie Verwendung finden könnten, wurde bei Schießversuchen festgestellt, daß nicht etwa Löcher und Risse in diesen entstanden, sondern durch die Wucht des Geschosses die ganze Eisen- betondecke zertrümmert war. Die Ur- sache liegt gerade in der kolloid-chemischen Konstitution des Zements, die nach den Unter- suchungen des verstorbenen Professors Dr. M i c h e a 1 i s und den meinigen festgestellt worden ist, und die den Beton sowie Eisenbeton zu einem sonst so wertvollen Baumaterial macht. In einer solchen Eisenbetonplatte oder Beton- decke sind die einzelnen koagulierten Teilchen des Zementes dicht aneinander gedrängt und bil- den eine dicht zusammenhängende Schicht; da- durch ist eine große Spann u ng und Sprödi g- keit vorhanden, die, wenn sie auch nur an einer Stelle durch den aufprallenden Schuß gelöst wird, eine vollständige Zertrümmerung der Betondecke oder Platte zur Folge hat. Diese Spannung ist trotz der beigefügten Sande und Kiese, die den Beton poröser machen, vorhanden. Eine solche Platte verhält sich ähnlich einer Glasplatte; selbst Mauern von 2,50m Stärke sind in Belgien zerstört worden. Es ist weiter festgestellt worden, daß Beton- mauern und Decken ohne Eiseneinlagen von den Geschossen großen Kalibers, z. B. auch von den Geschossen der österreichischen 30,5 cm- Haubitzen zertrümmert worden sind, obwohl diese sich nur 50 cm eingebohrt haben. Die Spreng- wirkung wird noch dadurch begünstigt, daß der- artig starke Betonmassen sich nicht in einem Stück herstellen lassen und daher schon durch Volumenänderungen leicht Risse erhalten. Dagegen sollen Eisenbetondecken, richtig konstruiert, bei bedeutend geringerer Stärke eine größere Widerstandsfähigkeit erzielen können, vermöge ihrer Eiscneinlagen Zug- und Schub- spannungen aufnehmen, dadurch gefährliche Risse- bildungen vermeiden, eine Verminderung des Stoßes vermitteln und der Einbohrung des Ge- schosses größeren Widerstand leisten. Freilich ist bei allen diesen Vorgängen das Verhältnis zwischen der Dicke der Beton- oder Eisenbetondecke oder Wand und der Größe des Kalibers in Betracht zu ziehen, und in diesem letzteren Punkte sind wir allen unseren Feinden überlegen. Doch habe ich gefunden, daß ein Zusatz zum Zement ihn elastischer macht, ohne seine Zug- und Druckfestigkeit herabzusetzen. Von anderen Baumaterialien kommen noch Ziegelstein und zusammengemörtelter Naturstein in Betracht. Diese sind allerdings ganz anders konstituiert als Beton- und Eisen- beton; wird ein solches Bauwerk von einem Ge- schoß getroffen , so werden infolge des lockeren Gefüges, das das Mauerwerk seinen amorphen und kristallinischen Bestandteilen verdankt, nur die in der Nähe befindlichen Teile in Mitleiden- schaft gezogen , so daß nur ein größeres Loch, von dem einige Risse ausgehen, entsteht. Überblickt man die bisher gebrachten Abbil- dungen, so bemerkt man sofort, daß die Beton- mauern und -decken vollständig zertrümmert sind, während in einem Bau aus zusammengemörteltem Naturstein oder aus Ziegelwerk nur große Löcher mit einigen Rissen entstanden sind. Eine andere chemisch - technische Frage, die jetzt besprochen zu werden verdient, ist der Bezug von Kaolinen aus England. Englands Kaolineinfuhr nach Deutschland be- trug im Jahr 1907 102 534 t zu lOOO kg 1908 1 15 482 „ „ 1909 106417 „ „ 1910 105 336 „ 191 1 HO 148 „ „ 1912 143 706 „ „ 1913 118203 „ Der Wert dieser Einfuhr betrug in lOOO M. : 1907 3 794 190S 4273 1909 3938 1910 3 898 191 1 3965 1912 5174 1913 4256 Deutschland dagegen hat überhaupt nur in den Jahren 1912 37850 t zu 1000 kg 1913 42058 ausgeführt. Der Wert dieser Ausfuhr betrug in lOoo M. : 1912' I 311 1913 1403 Es werden also 3 — 4 Mill. Mark für Kaolin nach England ausgeführt, wenn man den Betrag für unsere Gesamtausführ abzieht. Wir haben es aber wirklich nicht nötig, Kaolin aus England zu beziehen; es ist das nur Über- schätzung eines ausländischen Produkts, wie das N. F. XIV. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 67s auch mit enghschen Stahlfedern, Stahl- waren und Tuch waren usw. geschehen ist. Abgesehen von Böhmen sind in Deutschland, in Sachsen und Bayern Kaoline in genügender Menge vorhanden, und stehen an Plastizität den englischen nicht nach, wenn sie diese nicht über- treffen. Mit Hilfe meiner Methode, ^) der Bestimmung der Adsorptionsfähigkeit gegenüber kompliziert zusammengesetzten Farbstoffen, wie den Anilin- farbstoffen , läßt sich die Qualität eines Kaolins leicht feststellen. Der Grad der Adsorptions- fähigkeit eines Kaolins gegenüber einem solchen Farkstoff ist auch der Grad seiner Verwendbarkeit in der keramischen Industrie und in der Papier- fabrikation. Denn diese Adsorptionen basieren auf der Menge von Kolloidstoffen, die der Kaolin in Be- rührung mit der Lösung bildet; und von der Menge der gebildeten Kolloidstoffe hängt wieder- um der Grad der Plastizität und die .'\dhasions- energie an der Faser ab. Ersterer bestimmt den Wert eines Kaolins für die keramische Indu- strie, letzterer seinen Wert als Füllstoff für die Papierfabrikation. Und die auf Grundlage dieser Methode angestellten Versuche haben ergeben, daß unsere deutschen Kaoline, besonders die aus Sachsen, um einen zu nennen, z. B. den Kaolin der Kaolinwerke Spergau in Magde- burg, die Qualität der englischen nicht nur nicht erreichen, sondern diese sogar übertreffen. Wenn englische Kaoline die deutschen an Weißheit überragen sollen, so kann auch dies bei uns durch sorgfältigere Schlämmerei mit reinem, einwands- freien Wasser erreicht werden. ') Vgl. Wochenblatt für Papierfabrikation 1913 u. 1914. Bezüglich der Nomenklatur der verschiedenen Kaolinarten dürfen wir uns nicht auf die eng- lischen Vorschläge einlassen. Die Engländer schlagen die Bezeichnung ,Kao Unit' für kristalli- siertes Aluminium hydrosi likat, in seiner reinsten Form der P'ormel Al.^Oj, 2 510,, 2H0O entsprechend, vor, sie wollen ,Kaolin' den von primärer Lagerstätte stammenden weißbren- nenden Ton, geschlämmten Kaolin ,chinaclay', und die amorphe Tonsubstanz: .Clayit' nennen. Unsere deutschen Bezeichnungen reichen aber vollständig aus: der aus der Grube kommende Kaolin heißt Rohkaolin, der gereinigte: ge- schlämmter Kaolin oder einfach Kaolin, und die Tonsubstanz Aluminiumsilikat. Übrigens auch bezüglich anderer Produkte be- findet sich England in wirtschaftlicher Hin- sicht uns gegenüber im Nachteil; wir beziehen Rohprodukte aus England, die wir auch anders- woher beziehen können, während England fertige Produkte einführt, die es aus Deutschland be- ziehen muß. Schon jetzt macht sich in England und auch in Amerika der Mangel an deutschen Fertigprodukten fühlbar, z. B. an Farbstoffen, wie den Anilinfarbstoffen , die in solcher Vorzüglichkeit nur in Deutschland hergestellt werden können, obwohl der echte Anilinfarbstoff, das Mauvein, in England von Perkin hergestellt worden ist, dann aber die Anilinfarbstoffindustrie dank dem Zusammenarbeiten von Wissenschaft und Technik nach Deutschland herübergewandert ist, ferner an optischen Instrumenten, Rohzucker, Drogerien und Chemikalien usw. England versucht diese und noch andere Fertigprodukte auf dem Umwege durch die neu- tralen Länder zu beziehen. (G. C.) [Nachdruck verboten.] In Nr. 26 dieses Jahrganges veröffentlicht Herr Dv. Dr. C. Schoy eine Studie über die Theorie der erstmals von mir bearbeiteten Zwillingssonnen- uhr. Da er rechnerisch vorgehend zu Ergebnissen gelangt, die, von seinen Prämissen aus geprüft, unantastbar richtig sind, halte ich es für meine Pflicht, auch hier festzustellen, daß diese Prämissen in einem höchst wesentlichen Punkte falsch sind. Schoy erschwert sich, ich weiß nicht weshalb, seine Aufgabe durch die Annahme, die beiden Gnomones wären gleich lang gewesen. Nun ist aber die „Skaphe", d. i. hohle Halbkugel, so gut erhalten, daß sich die Länge der Gnomones mit großer Genauigkeit ermitteln läßt. Da die Gno- monspitze bei der antiken Sonnenuhr in dem Schnittpunkt von Äquator, Horizont und Meridian liegt, so brauche ich den Lesern dieser Wochen- schrift nicht auseinanderzusetzen, daß einem Exem- Zur sog. Zwillingssonneuulir aus Pergamon. Von I'rof. Dr. A. Rehm, München. Mit 2 Abbildungen im Text. plar gegenüber, an dem diese drei Kreise voll- kommen sicher erhalten sind, der Satz von Schoy (S. 403) durchaus unrichtig ist: „Da die Gnomone verloren gegangen sind, so ist nicht ausgemacht, welche Lälige ihnen zukam." Schon die Aufnahme in Obersicht, die ich meiner Veröffentlichung bei- gegeben habe, läßt erkennen, daß der nördliche Gnomon etwa dreimal so lang gewesen ist als der südliche. Nach dieser F"eststellung behaupten die Unter- suchungen von Schoy wohl ihren Wert als Theorie für eine frei ausgedachte Variante der Zwillingsuhr von Pergamon , aber die Theorie dieser Uhr geben sie nicht. Doch regen Schoy's Ausführungen eine Erwägung an, die vielleicht klarer machen kann, worauf sich mein Versuch, die Konstruktion der Uhr zu wiederholen, gründet. Wie kam Schoy darauf, gleiche Länge der Gno- (>^(> Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 43 mones anzunehmen? Ich zweifle nicht, daß er von der Beobachtung ausging, daß sich eine un- endliche Zahl von ,, Zwillingsuhren" in eine Halb- kugel konstruieren läßt, wenn man nur die eine Forderung aufstellt, daß sich die beiden Systeme in einem Punkte berühren und vollends, wenn man keinen Anstoß daran nimmt , daß sich die Systeme, wie bei Schoy's Lösung der Fall, auf den größten Teil der begrenzenden elliptischen Kurven überschneiden. Die beigegebene Skizze ° G(L,) B T ^ B"^ Abb. 2. (deren Buchstaben der Abbildung entsprechen, durch die ich „Athen. Mitteilungen" 1911, 259 meine eigene Lösung illustriert habe) mag zeigen, wie einfach hierbei verfahren werden konnte. FH sei der Durchmesser der Skaphe, diesmal eine gegebene Strecke. Zur Hilfskonstruktion wird an ihn mit beliebigem Radius der Halbkreis um z angelegt, in den das dem Griechen völlig geläufige Schema der normalen Skaphe mit einem Gnomen eingezeichnet wird (wie ich es z. B. in dem früheren Aufsatze und wieder in dem Artikel „Horologium" in P a u 1 y -W i s s o w a's Realenzyklo- pädie der klassischen Altertumswissenschaft ent- wickelt habe): /?/, dem Äquator, yy, dem Wende- kreis des Krebses, o.'l, dem des Steinbockes ent- sprechend, ßv. der Schattenweg der Gnomonspitze an den Tagen der Wende , yy, der am Tage der Winterwende, aC, der am Tage der Sommerwende. Würde die ganze Konstruktion von M aus ge- macht, so erhielte man unmittelbar die Elemente für eine normale Uhr mit dem Radius MF = MH. Sollen nun in die große Skaphe zwei Uhren ein- gefügt werden, so braucht man natürlich zwei Konstruktionszentren, K und L, und wenn sich die Systeme an einem Punkt berühren sollen, so sind sie natürlich voneinander abhängig. Ich habe nun die vorliegende Skizze so gezeichnet, daß ich annahm, der Mittagsstrahl der Tag- und Nachtgleiche im System K solle den Nadirpunkt der Skaphe treffen, — natürlich eine ebenso will- kürliche Annahme wie die der gleich langen Gno- mones; sie empfiehlt sich nur vielleicht dadurch, daß man so ein Gesamtbild erhält, das mit dem Pergamener Exemplar nicht übel übereinstimmt; doch davon später. K wird gefunden, indem BK II /?/. gezogen wird, die Schnittpunkte der zwei anderen Schattenkurven mit dem Meridian werden gefunden, indem KC || v.y, KA [| za gezogen werden. Sollen die Systeme K und L sich im Meridian berühren , so kann sofort mit dem Ziehen von Parallelen weitergefahren wer- den: CL, II av. ergibt Punkt Lj, die Lage der zweiten Gnomon- spitze, sodann L,D || x/^ die Kurve der Gleichen, L^E || z;' den Mittagsschatten des kürze- sten Tages. Ein klein wenig umständ- licher wird die Sache, wenn sich die Systeme nicht im Meridian, sondern im Horizont berühren sollen. Da ist, wie ich es schon vor vier Jahren gezeigt habe, zuerst am Hilfshalbkreis, der jetzt in die Horizontebene aufgeklappt gedacht wird, der letzte oder erste Sonnenstrahl I ' ' u ^^^ längsten und des kürzesten I V I s\\ 1 1 Tages zu ziehen, v.i] und v.t)-\ C DE (Jet- entsprechende Strahl im System K (für den kürzesten Tag) ist KG || v.»\ Punkt G projiziert sich an die im senkrechten Durch- schnitt den Horizont darstellende FH in C,, d. h. C und C, sind Mittags- und Abend- bzw. Morgenpunkt des Schattenweges vom kürzesten Tag im System K. Im System L, fällt der Abend- oder Morgenpunkt des längsten Tages N. F. XIV. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ^n nicht nach C,, weil die Parallele zu x»; aufG(Li) statt auf G trifft, die beiden Systeme klaffen also gegen den Horizont hin, zwischen C, und C, (Lj). Sollen sie sich hier — in C, — berühren, so muß das zweite System seine Gnomonspitze in L2 durch GL2 II »;y. erhalten ; nun greift natürlich der Mittagsschatten des längsten Tages in den Bereich des Systems K über, wie die Skizze zeigt. Möglich, daß der Pergamener Handwerks- meister, dem wir die erhaltene Zwillingsuhr ver- danken, ungefähr so verfahren ist, wie ich's hier beschreibe, wobei die Zugrundelegung von Lj ungefähr ebensoviel für sich hat wie die von L., (für die Gewinnung der noch fehlenden Horizont- punkte zu A und E muß ich auf meine frühere Arbeit verweisen); wenigstens kommt, wie schon angedeutet, das Resultat dem Tatbestand des Originals ziemlich nahe, wie die Projektion der Meridianschnittpunkte an eine Gerade gleich FH unter der beigegebenen Skizze zeigt. Dort sind die Projektionen aus der darüber stehenden Figur mit Senkrechten von oben , sodann mit einem Winkel die entsprechenden Punkte des Pergamener Stückes bezeichnet, endlich mit Senkrechten von unten die Punkte nach meiner Rekonstruktion von 191 1; nach Schoy fallen, wie sich von selbst versteht, alle diese Punkte noch erheblich weiter nördlich. Doch das alles kommt mir nur wie eine Art Spielerei vor; was durch einen Steinmetzen miß- verständlich aus der Erfindung gemacht worden ist, hat schließlich nur ein sekundäres Interesse, selbst für den Archäologen. Und fester als je bin ich über- zeugt, daß diese entweder auseinanderklaffenden oder sich nicht unerheblich überschneidenden Systeme der Idee der Zwillingsuhr nicht entsprechen. Völlig zusammenfallen können die Grenzlinien der beiden Systeme nicht, — das hat Schoy S. 402 besser auseinandergesetzt als ich , doch ist es (S. 260 f.) auch von mir nicht übersehen worden; aber sollte es wirklich nicht die Idee der Zwillings- uhr sein, die Differenz so klein als möglich zu machen, indem man den zwei Systemen statt eines gemeinsamen Punktes im Quadranten deren zwei gab, d. h. sie sich im Meridian und im Horizont berühren ließ? Das war meine Auf- fassung 191 1 und ist es heute noch. Wie das konstruktiv zu machen ist, habe ich damals ent- wickelt; für die Leser dieser Zeitschrift wird die Andeutung einer Skaphe F, M, H, C„ G mit dem Radius M, G = M, C„ genügen. Um wieviel aber die Kurven, welche in beiden Systemen die Punkte C, und C,, gemeinsam haben, in ihrem Verlaufe voneinander abweichen, das zu berechnen, muß ich den Fachmännern überlassen; doch zweifle ich nicht, daß es bei dem bleibt, was ich 191 1 ausgesprochen habe, daß der Grieche, der als Grenze der Systeme einen Kreisbogen C, C„ zog, damit nur „eine kleine Ungenauigkeit in Kauf nahm". Nachtrag. Herr Prof. Dr. J. Drecker (Aachen) sendet mir, durch die Abhandlung von Schoy auf die Zwillingsuhr aufmerksam gemacht, seine Bearbei- tung der Uhr; er ist ohne Kenntnis meiner Dar- stellung auf mathematischem Wege zu ganz dem- selben Ergebnis gekommen wie ich auf zeichnerisch- konstruktivem. Mit seiner Erlaubnis teile ich seine Lösung hier wörtlich mit, unter Beigabe der von ihm skizzierten Figur: „Der Vorzug der verschieden langen Gnomone läßt sich analytisch leicht nachweisen. Gibt man ihnen nämlich gleiche Länge, so ist diese durch die Bedingung des Zusammenfallens der Schatten im Mittag eindeutig bestimmt. Bei der Annahme verschiedener Länge kann man diese Längen so bestimmen, daß die beiden in Betracht kommen- den Schattenlinien außer im Mittag noch in je einem anderen Punkte zu beiden Seiten der Mittags- linie zusammenfallen. Am natürlichsten wählt man dazu die Punkte beim Sonnenauf- und -unter- gang. Die Rechnung nimmt folgenden Gang: 1. Es sei A der Abstand der Spitze des Süd- gnomons vom Mittelpunkte der Kugel, x der für den Nordgnomon für den Fall, daß die Schatten- punkte im Mittag an der gleichen Stelle liegen (zur Zeit der Wintersonnenwende für den Süd-, zur Zeit der Sommersonnenwende für den Nord- gnomon), dann ist nach der Figur, die in den ausgezogenen Linien den Meridianschnitt durch die Sonnenuhr darstellt, w : (x -j- A) ^ sin (90 — ('/' -|- f )) : sin 2 « i ) r- = x--|- w--|- 2XW sin (y — t) 2) Aus diesen beiden Gleichungen folgt: x- [cos^ (r/) -f £) + sin 2(f> sin 2 £] -|- 2 xA [cos" (y -j- e) -f- sin 2 f/) sin 2 £] + A^ cos'^ (f=^ Abb. 2. Die Konstruktion des Tyndallmeters in scheraatischer Darstellung. parallel gemacht und nunmehr geteilt: Die obere Hälfte des Lichtbündels wird an der Gipsplatte g diffus reflektiert, passiert dann die drei Nikols N,, Nj und N3, von denen die beiden äußeren Nj und N3 in paralleler Stellung feststehen, während der mittlere N., gegen sie um einen an einer Kreis- skala ablesbaren Winkel gedreht werden kann, wird von dem totalreflektierenden Prisma P re- flektiert und geht schließlich durch den Lummer- Brodhun'schen Würfel LB und das Okular O in das Auge des Beobachters. Die untere Hälfte 682 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 43 des durch die Linse L^ parallel gemachten Licht- bündels passiert die Blende B,,, tritt dann in den Trog mit der trüben Flüssigkeit und erzeugt hier den Tyndallstreifen (vgl. Abb. i ). Das von dem Tyndall- streifen ausgehende Licht wird von oben her durch die Linse L,, den Lummer-Brodhun' sehen Würfel LB und das Okular O des Apparates beobachtet. Der Beobachter sieht also in dem Lummer- B rod hu n'schen Würfel einerseits das von? her- kommende Licht der Lichtquelle S, andererseits das an dem Silberspiegel des Würfels gespiegelte Licht des Tyndallstreifens. Die Messung beruht nun darauf, daß durch Drehung des mittleren Nikols N., das von S herkommende Licht soweit geschwächt wird, bis es nur noch ebenso hell er- scheint als das Licht des Tyndallstreifens; aus der Größe des Winkels, um den der mittlere Nikol gedreht ist, ergibt sich dann nach bekannten Prinzipien der Schwächungsgrad des Lichtes. ') Die Helligkeit des Tyndallstreifens wird also nicht in absolutem Maße — etwa in Hefnerkerzen — gemessen, sondern sie wird nur mit der Helligkeit des den Tyndalleffekt hervorrufenden Lichtes ver- glichen. Dies Meßverfahren ist zulässig, weil be- sondere Versuche gezeigt haben, daß die Hellig- keit des Tyndallphänomens der Helligkeit des das Tyndallphänomen hervorrufenden Lichtes direkt proportional ist, und es bietet den Vorteil, daß der Beobachter auf die absolute Helligkeit des immer intensiven und darum nur schwer kon- stant zu hallenden Lichtes S keine Rücksicht zu nehmen braucht. Die Messung selbst wird, wie ein Blick aul die Abbildung zeigt, an der Stelle A des Troges vorgenommen, liefert also in gewissem Sinne einen Zufallswert, weil ja einerseits das den Tyn- dallstreifen erzeugende Licht bereits durch die Absorption auf dem Wege 1 von der Stelle, an der das Licht in den Trog eintritt, bis zur Stelle der Messung und andererseits das Tyndallicht selbst auf dem Wege h von der Stelle, wo der Tyndallstreifen sich befindet, bis zur Oberfläche geschwächt ist. Von diesen sekundären Ein- flüssen, welche die Ergebnisse der Messungen in sehr hohem Grade beeinflussen können, muß sich der Beobachter frei machen , vi'as am einfachsten durch Messung des Tyndalleffckts an mehreren Stellen des Troges und graphische Extrapolation der erhaltenen Werte auf die Entfernungen 1 = h = O geschieht. Mittels des Tyndallmeters sind nun von M e c k - lenburg eine Reihe von Untersuchungen über die trüben Lösungen ausgeführt worden, aus denen sich ergab, daß, wie bereits weiter oben bemerkt wurde, das Rayleigh'sche Gesetz für Lösungen, deren Teilchen einen Durchmesser von 100 f-t^i oder weniger haben, volle Gültigkeit be- sitzt und daß nach einem Zwischengebiet, in dem die Intensität des Tyndalleffektes nicht wie es die Rayleigh'sche Theorie verlangt, umgekehrt proportional der vierten und auch nicht, was die Clausiu s'sche Theorie fordert, umgekehrt pro- portional der zweiten, sondern umgekehrt pro- portional der dritten Potenz der Wellenlänge des Lichtes ist, das C 1 au sius' sehe Gesetz gilt. Sind die Teilchen größer als looo //.((, so verliert auch das Cl ausi us'sche Gesetz seine Gültigkeit, und der durch den Tyndalleffekt gemessene Trübungs- grad wird von der Wellenlänge des Lichtes über- haupt unabhängig. Abb. 3. Abhängigkeit der Fluoreszenz alkalischer Fluoreszein- lösungen von der Konzentration. -)- einfacher Maßstab. o fünffacher Maßstab. Außer zur Untersuchung von trüben Lösungen eignet sich das Tyndallmeter, wie Mecklen- burg und Valentiner gezeigt haben, auch zur Bearbeitung mancher interessanter Frage auf dem Gebiete der Fluoreszenzerscheinungen. Äußerlich zeigen die Fluoreszenzerscheinungen manche Ähn- lichkeit mit den Erscheinungen, die bei trüben Lösungen auftreten , entsteht doch ebenso wie beim Eintritt des Lichtes in eine trübe Lösung ein Tyndallstreifen beim Eintritte des Lichtes in eine fluoreszenzfähige Lösung ein Fluoreszenz- streifen. ') Man kann daher mittels des Tyndall- meters gerade so wie die Intensität des Tyndall- effektes auch die Intensität der Fluoreszenz messen. So konnten Mecklenburg und Valentiner mit Hilfe des Tyndallmeters zum ersten Male die Abhängigkeit der Fluoreszenz von der Konzen- tration am Beispiele wässeriger alkalischer Fluo- reszeinlösungen experimentell ermitteln, und zwar fanden sie, daß die Intensität der I~luoreszenz, wie auch das beifolgende Diagrainm (Abb. 3) zeigt, der Konzentration der Lösungen annähernd, aber doch nicht vollständig proportional ist. Mg. ') Die so erhaltenen Ergebnisse sind nur relative Größen, weil sie noch eine Apparatkonstante enthalten. Über das Ver- fahren zur Ermittlung dieser Konstanten siehe die Original- literatur. ') Tyndallicht und Fluoreszenzlicht lassen sich experimen- tell leicht unterscheiden ; das echte Tyndallicht ist immer, das echte Fluoreszenzlicht niemals polarisiert. N. F. XIV. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 683 Bücherbesprechungen. Der Kompaßi. II. Teil. Sagen von der Er- findung des Kompasses. Magnet, Calamita, Bussole, Kompaß. Die Vorgänger des Kom- passes. IIa. die Fortsetzung von „Der Kom- paß, I.Teil". Die Tafeln 47 — 79 von A. Schuck, Hamburg 191 5. Selbstverlag des Verf. 68 Seiten Text und 32 Tafeln. Groß 4". Erneut ist uns durch den unermüdlichen Sammeleifer des Verf ein Werk beschieden, welches in der Literatur über die Entwicklung des Kompasses eine große Lücke auszufüllen berufen erscheint. Schon als vor etwa 3 Jahren der Verf mit dem ersten Teil an die Öffentlich- keit trat, war man hocherfreut jetzt ein Werk zu besitzen, welches die Entwicklung des Kompasses von seinen uns erhaltenen Anfängen bis in Neu- zeit zu verfolgen ermöglicht. Dieser jetzt vor- liegende zweite Teil darf als eine wertvolle Fort- setzung und Ergänzung des ersten Teils betrachtet werden. Wenn auch der Verf für seine mühevolle Ar- beit in erster Linie Dank verdient, so glaube ich bestimmt, im Sinne des Verf. zu handeln, wenn zugleich all den Kreisen gedankt wird, die durch finanzielle und tätige JVIithilfe in hohem Maße dazu beigetragen haben, die Herausgabe dieses vorzüglichen Werkes zu ermöglichen. In seinen Ausführungen geht der Verf zu- nächst auf die Sagen von der Erfindung des Kompasses ein. Der Behandlung seiner lite- rarischen Quellenstudien hat er die schon von A. E. Nordenskiöld gewählte Einteilung zu- grunde gelegt: 1. Die Entdeckung der magnetischen Richt- kraft in Gesteinen (Magnetstein). 2. Die Erkenntnis, daß Stahl oder gehärtetes Eisen durch Bestreichen mit dem Magnetstein magnetisch gemacht werden kann. 3. Die Erkenntnis, daß so hergestellte und entsprechend aufgehängte Eisenstäbe die Eigen- schaft besitzen, sich in einer bestimmten Richtung einzustellen. 4. Die Erkenntnis, diese Eigenschaften im Kompaß auszunutzen. Nach einigen allgemeinen Bemerkungen über die Sagen des Magnetsteins geht der Verf. auf die Sagen vom Kompaß in den einzelnen Ländern oder besser Erdteilen über. Zunächst wird ,,Die Sage vom Kompaß in China" einer Kritik unterzogen. Aus den Ausführungen ist ersichtlich, daß man den Magnetstein und seine Wirkung in China schon sehr früh gekannt hat. Schon in einem aus dem Jahre 121 nach Chr. stammenden chinesischen Wortbuche wird der Magnetstein als ein Stein bezeichnet, mit dessen Hilfe man der Nadel die Richtung geben kann, und zwar, wie es an anderer Stelle heißt, stets die Richtung nach Mittag oder Süden. Im weiteren Verlaufe seiner Ausführungen weist der Verf darauf hin, wie diese Kenntnis bei den Chinesen immer ausgedehntere Anwendung gefunden hat, zunächst wohl mehr für Reisen und F"ahrten auf dem Lande, als für solche auf dem Wasser. So werden die schon 1 loo vor Chr. benutzten magnetischen Wagen nach Einrichtung und Entwicklung näher beschrieben. Was in China schon lange bekannt gewesen ist, scheint auf Grund der vorhandenen Forschungen erst viel später in Japan bekannt geworden zu sein, da Überlieferungen über den Gebrauch der magnetischen Wagen in Japan erst seit 658 nach Chr. vorkommen. Am Schlüsse dieses Abschnitts wird dann noch einer Seereise des Pilgers Fahien in den südlichen Meeren zu Anfang des 5. Jahrhunderts nach Chr. Erwähnung getan. Darauf geht der Verf auf „Die Kompaß- SageinEuropa(FlavioGioja), die ersten Erwähnungen desselben und die natio- nalen Ansprüche an seine Erfindung" über. Aus den stellenweise recht interessanten Schilderungen und geschickt gegenübergestellten Vergleichen kommt der Verf zu dem Ergebnis, daß keine Beweise vorhanden sind, daß der Kompaß um 1200 herum von Flavio Gioja er- funden ist. Vielmehr sei mit Bestimmtheit anzu- nehmen, daß die Richtkraft der Magnetnadel und ihre Ausnutzung schon viel früher in Europa und nicht nur bei den Seefahrern des mittelländischen Meeres sondern auch bei denen der nordischen Gewässer — der Nord- und Ostsee — bekannt gewesen ist. Das Ergebnis seiner Studie legt der Verf schließlich dahin fest, daß Flavio Gioja nicht der Erfinder sondern ein hervorragender Verbesserer des Kompasses gewesen ist, dem man vor allen den Übergang von der schwim- menden oder an einem Faden hängenden Nadel auf die auf einer Spitze schwebenden Nadel zu danken hat. Auch über den Gebrauch der Cala- mita in den Bergwerken um etwa 1200 herum werden in diesem Abschnitte Angaben gemacht. In dem nächsten Abschnitte wird die Frage erörtert: ,,Hat Europa den Kompaß über Arabien oder hat Arabien ihn von Eu- ropa erhalten?" Zur Beantwortung dieser Frage ist von dem Verf eine Menge einschlägiger Literatur gesammelt und geprüft worden. Trotz eingehender Prüfung dieser Fülle von Literatur hat der Verf zu einer festen Beantwortung der gestellten Frage nicht kommen können. Das Ergebnis seiner Prüfung faßt er in die Worte zu- sammen, daß der Kompaß ein Findelkind von nicht hoher Abkunft sei, das sein Dasein und seine erste Ausbildung den Seefahrern und dann den für diese arbeitenden Mechanikern verdankte. In einem weiteren Abschnitte „Magnet, Calamita, Bussole, Kompaß" werden Be- nennungen aufgezählt, wie sie für den Magnetstein bei den verschiedenen Völkern gebraucht sind und teilweise auch heute noch gebraucht werden. Man begegnet dort Namen wie : „der liebende Stein", 684 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XrV. Nr. 43 „der Stein der Eisen einsaugt", „der mutige Stein", „der Südstein", „der Stein des Teufels", „der Segelstein" und manche andere mehr. Sodann werden über das Entstehen der Benennungen Calamita, Bussole und Kompaß Untersuchungen angestellt. Im letzten Abschnitte werden dann „Die Vorgänger des Kompasses" einer Be- sprechung unterzogen. Bei dieser Gelegenheit gibt der Verf. recht anschauliche Erklärungen der Zeichen in den Abbildungen der Tafeln i und 2 und der Figuren i bis 3 der Tafel 3 aus dem Kompaß I. Teil. Nachdem dann noch Abhand- lungen über die Entwicklung einiger Kompaß- teile gemacht sind und ein aus dem Anfange des 13. Jahrhundert stammendes proven(,alisches Liebeslied mit Bezug auf die Vorgänger der Schwimmbussole angeführt ist, folgen zum Schluß Mitteilungen, die die Fähigkeiten des Kompasses als Teufelswerk bezeichnen und die den Kompaß Benutzenden der Verfolgung, ja selbst dem Tode aussetzten. Diesen Abhandlungen sind dann als Fort- setzung des „K om paß I. Te il" die Tafel n 4 7 — 79 nebst ausführlichen Beschreibungen und Quellenangaben beigegeben. Die auf diesen Tafeln gegebenen Abbildungen sind ausnahmslos als her- vorragend zu bezeichnen. Von dem außerordent- lich mannigfachen und reichhaltigen Inhalte dieser Tafeln, deren Einzelaufzählung hier zu weit gehen und ungerecht gegen das Ganze sein dürfte, sei immerhin die folgende Einteilung kurz erwähnt. Die Tafel 47 zeigt die Magnete, ihre Verbin- dung mit dem Blatt der Kompaßrose, Hütchen und Pinne. Die Tafeln 49 — 60 zeigen das Blatt der Kompaß- rose bei den verschiedenen Völkern und zu den verschiedenen Zeiten, ferner seine Anwendung bei anderen Instrumenten, die Schwimmbussolen als Wappenzeichen und Hausmarken der Kompaß- verfertiger, und einige neuere Teilungsarten des Kompaßblatts, über die auf dem VI. Deutschen Schifiahrtstage in Berlin verhandelt ist. Die Tafel 61 zeigt die Kompaßteilung in der Ortsbestimmung, im Schmuck und Aberglauben. Die Tafeln 62 und 63 zeigen die Vorbilder für die Ausführung der Ost-, Süd- und West- striche. Die Tafeln 64 bis 71 zeigen eine Reihe von Kompaßkesseln, seine Gehänge und die Peil- vorrichtungen. Die Tafeln 72 — 79 zeigen dann noch recht wertvolle Vervollständigungen zu den bereits ge- nannten Tafeln, die dem Verf erst nach Abschluß der Sammlung zugänglich geworden sind. Wenn sie auch in ihrer Anordnung die Reihenfolge ver- missen lassen, so bilden sie dennoch wertvolle Ergänzungen zu dem hervorragenden Tafelwerk. Natürlich ist das Werk nicht für jedermann geeignet, aber für alle diejenigen, die sich aus Beruf oder Liebhaberei mit der Forschung über die Entwicklung dieses für die Navigierung so unentbehrlichen Instruments befassen, dürfte es eine selten reichhaltige und bei der gewohnten peinlichen Genauigkeit des Verf. auch zuverlässige Fundgrube bilden. August Budde. Henning, Dr. Hans, Ernst Mach als Philo- soph, Physiker und Psycholog. Eine Monographie. XVIII und 185 S. Mit einem Bildnis. Leipzig 191 5, Verlag von J. A. Barth. — Preis brosch. 5 M., geb. 6 Mk. Daß eine Monographie über Ernst Mach willkommen zu heißen ist, bedarf keines Beweises. Die vorliegende kann, soweit das Tatsächliche in Betracht kommt, zur Einführung in die Mach- sche Ideenwelt unbedenklich empfohlen werden. Sie beginnt mit einer Mach - Bibliographie, die in 144 Nummern die Arbeiten Mach 's chronologisch zusammenstellt. Es folgt eine kurze biographische Skizze, die zum Teil mit den eignen Worten Mach 's und einer Schwester von ihm gegeben ist. Daran schließen sich ein philosophischer, physikalischer und psychologischer Teil, die den eigentlichen Körper des Buches ausmachen. Einem kurzen Ausblick sodann auf Mach 's Verhältnis zur Biologie folgt wieder eine ausführlichere Er- örterung von Mach's Methodenlehre; den Schluß machen endlich zwei Kapitel „Mach's Vorläufer" und „Mach's Kritiker". Unter den ersteren er- scheint u. a. auch Goethe. Besonders erfreute den Referenten in diesem Kapitel die ausführliche Erwähnung eines der besten und noch längst nicht genug gekannten Köpfe, die wir Deutschen vor hundert Jahren besaßen, nämlich Lichten- berg' s. Die Darstellung der Hauptkapitel greift oft auf Mach's eigne Worte zurück, was dem Zwecke des Buchs, eine allseitige Bekanntschaft mit den Ideen des Forschers und Denkers zu vermitteln, offenbar nur zum Vorteil gereichen kann. Weniger haben Ref. die kritischen Partien behagt, die sich hier und da finden und besonders das letzte Ka- pitel einnehmen. Daß bisher kein Kantianer im- stande gewesen sei. Mach auch nur zu verstehen, sondern ein jeder sich unfehlbar in die gröblich- sten Mißverständnisse verrannt habe, ist an sich wenig glaublich ; doch mögen die betreffenden und betroffenen Herren sich gegen solche Vorwürfe selber verteidigen. Entschiedener Protest aber muß erhoben werden gegen die Art, in der Henning Kant selbst und gewisse K a n t i sehe Ideen, vor allem das Grundproblem des kritischen Idealismus, abtun zu können vermeint. Wer die vielleicht tiefsinnigste und jedenfalls folgenreichste Wendung, die das menschliche Denken je erfahren hat, von Kant in die Frage zusammengedrängt, ob sich die Gegenstände nicht nach unserer Er- kenntnis richten müßten anstatt unsere Er- kenntnis nach den Gegenständen — wer solchen Satz durch Bemerkungen zu treffen glaubt, wie, es gäbe doch keine violetten Sperlinge mit fünf P'lügeln usw., oder die Sonne wiche doch nicht aus ihrer Bahn, wenn irgend jemand den Wunsch N. F. XIV. Nr 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 685 danach äußerte, der sollte doch wohl zunächst einmal Kant's Philosophie gründlich studieren, oder, wenn er dies nicht will, wenigstens nichts über sie schreiben. WennHenningim übrigen sagt, dem Naturforscher und Mach besonders komme es nicht auf absolute Erkenntnis, sondern lediglich auf Empirie und Analyse an, wenn er weiter be- tont, welche großen und unbezweifelten Erfolge die Naturforschung errungen habe, gegenüber der Sterilität des reinen Denkens, so kann man darin bis auf einen gewissen Punkt ganz seiner Meinung sein , aber trotzdem behaupten, es sei ein bloßes Mißverständnis, darin ein Argument gegen die Philosophie zu erblicken. Es berührt sogar sehr eigentümlich, einen derartigen Einwand in einer Zeit zu hören, in der wohl kein einziger Fachphilosoph daran zweifelt, daß alle besonderen empirischen Daten unserer Kenntnisse und Er- kenntnisse der Erfahrung, und nur ihr, entnommen werden müssen, während freilich Erkenntniskritik und Erkenntnistheorie es gar nicht mit empirischen Einzelergebnissen , sondern mit den Fragen nach den Voraussetzungen der Wissenschaft als solcher zu tun hat. Wir empfehlen abermals jedem Natur- forscher, der sich über das Verhältnis speziell der Kan tischen Philosophie zur Naturwissenschaft gründlich informieren will, das vortreffliche Ruch von E. König (Kant und die Naturwissenschaft). Im übrigen hat Henning gewiß recht, wenn er findet, es könne niemand gezwungen werden, sich mit Kant's Philosophie zu beschäftigen. Gewiß kann dazu niemand gezwungen werden, solche Dinge sind Fragen des inneren Bedürfnisses. Gewisse erkenntnistheoretische Probleme und sämtliche Fragen der Metaphysik mögen für Mach und vom Mach 'sehen Standpunkte aus bloße Scheinprobleme sein — das hindert nicht, daß sie für andere Menschen und andere Be- trachtungsweisen eine sehr wirkliche Bedeutung haben. Gerade der Relativist sollte das aner- kennen, denn er dürfte doch am wenigsten seinen geistigen Standpunkt als absoluten und allgemein- gültigen proklamieren. Ein und derselbe Mensch kann sogar als Naturforscher alle Metaphysik aus- schalten und doch seine Weltanschauung wesent- lich mit auf ihr basieren. Das ist keine doppelte Buchführung, eine für den Kopf, eine andere fürs Herz, sondern die Fähigkeit, gewisse Gegensätze, die den meisten absolut erscheinen, doch als re- lativ und überbrückbar anzusehen. Jedenfalls werden die Menschen stets ver- schieden bleiben und neben solchen mit meta- physischer Bedürfnislosigkeit auch stets solche vorhanden sein, die metaphysische Bedürfnisse haben. Da Mach ein Weltbild aufstellt, kommt er und seine Lehre in Kontakt mit der Metaphysik, er mag wollen oder nicht, und so kann man dem hochverehrten Manne nicht zustimmen, wenn er gelegentlich selbst gesagt hat, daß eine Beschäfti- gung mit seinen Anschauungen aus erkenntnis- theoretischen und metaphysischen Gesichtspunkten zwecklos sei. Wasielewski. H. E.Boeke, Grundlagen der physikalisch- chemischen Petrographie. 4". 428 S., 1G8 Textfig., 2 Tafeln. Gebr. Bornträger, Berlin 1915. — Geh. 15,60 M., in Ganzleinen geb. 17 M. Die neuerdings herrschende Richtung in der Mineralogie bedient sich immer mehr der Errungen- schaften der modernen physikalischen Chemie zur Aufklärung der Bildungsumstände der Mineralien und Gesteine, und es hat sich hier ein Betätigungs- feld aufgetan, auf dem die nächste Generation von Mineralogen genug zu tun haben wird, da es sich eigentlich hierbei um alle wichtigen anorganischen chemisch-physikalischen Gleichgewichte handelt. Müssen zweifellos auch solche Grenzgebiete ihre Bearbeiter finden und ist es sehr häufig, daß Errungenschaften in einer Wissenschaft einen mächtigen Anstoß zum Aufschwung in einer ver- wandten Wissenschaft geben, so muß es doch von solchen Seiten, die ihrerseits der letzteren als Hilfswissenschaft bedürfen, sehr bedauert werden, wenn die Gleichmäßigkeit in der Behandlung der dieser zugehörenden Arbeitsgebiete nicht dabei ge- währleistet bleibt und die Mehrzahl der Inhaber der Lehrstühle auf einem solchen Grenzgebiet arbeitet. So geht es dem Geologen heute viel- fach mit der Mineralogie. Ist er doch unter Umständen gezwungen, seinen Schülern selbst die notwendige Erkennungsfähigkeit der einzelnen wichtigeren Mineralien zu vermitteln, da die Stu- denten solches vielfach in den zu rein physikalisch- chemischen Vorträgen gewordenen Mineralogie- vorlesungen nicht mehr in genügender Weise lernen. So bedauerlich dieses in vielen Fällen ist, so muß es anderseits mit großem Danke begrüßt werden, daß wir nun eine moderne Darstellung dieses Grenzgebietes zwischen Chemie, Physik und Mineralogie — Geologie besitzen, welche den Ordinarius für Mineralogie und Petrographie an der jungen Frankfurter Universität zum Verf. hat. In der Gefolgschaft vant' Hoffs an der Miterforschung der chemisch-physikalischen Be- dingungen der Entstehung der Salzsedimente ge- schult, ist derselbe weiterhin auch durch Er- forschung wichtiger anderer Gleichgewichte be- kannt geworden und steht somit bei der Bear- beitung dieses Grenzgebietes mit in erster Linie. Nach dem Verf. ist es die Aufgabe der syntheti- schen, induktiven Richtung der Gesteinsforschung, durch genaue systematische Untersuchungen fest- zustellen, welche Wirkungen jedem einzelnen der Gesteinsbildungsfaktoren (wie stoffliche Zusammen- setzung, Temperatur, Druck, Zeit, elektrische Ströme, Kapillarität usw.) zuzuschreiben sind. Sind aber auf den meisten Gebieten der Petrographie nur die ersten Anfänge der induktiven F"orschung gemacht worden, die vielfach im Vergleich zu der Entfernung des Endzieles und der Größe der Aufgabe nur als Tastversuche bezeichnet werden können, so ließ sich in vielen Fällen eben nur das bringen, was dem Verf. als ein Programm 686 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 43 der zukünftigen synthetisch-petrographischen For- schung vorschwebt, deren Fortgang nach Ansicht des Verf für die Gesteinskunde am allermeisten von- nöten ist, da es aus Mangel an sichereii Daten bis heute z. B. noch nicht möglich ist, auf viele Fragen, die heutzutage im Brennpunkte des Interesses stehen, wie die der magmatischen Differentiation, der Beziehung von Akali- und Alkalikalkgesteinen, von Grenzgefolge und Hauptgestein, eindeutige Antwort zu geben. Der Hauptteil des wichtigen Buches beschäftigt sich mit der magmatischen Gesteinsbildung und den verschiedenen Phasen der Erstarrung. Ein kürzerer Abschnitt behandelt die „chemischen" Sedimente. Nur ganz kurz sind die Verwitterung (einschließlich „Grundzügen der Kolloidminera- logie") und die Metamorphose der Gesteine be- handelt. K. Andree. M. B. Weinstein, Prof. Dr., Der Untergang der Welt und der Erde in Sage und Wissenschaft. Druck und Verlag von B. G. Teubner, Leipzig und Berlin, 1914. (Aus Natur und Geisteswelt, 470. Bändchen.) Preis geb. 1,25 M. Wer zu nachdenklicher Stunde das Bedürfnis fühlt, einmal in Kürze alles an sich vorüberziehen zu lassen, was Menschen über das Ende der Welt gedichtet, geahnt, geglaubt haben und neuerdings auf wissenschaftlicher Grundlage ein wenig zuver- lässiger zu erkennen glauben, der greife zu diesem Büchlein, einem Gegenstück des vom gleichen Verf in derselben Sammlung über die Entstehung der Welt und Erde bereits herausgegebenen. Er findet auf wenig mehr als hundert Seiten in klarer, umsichtiger und allgemein verständlicher Darstellung alles Wesentliche darüber beisammen. Die erste, etwas kürzere Hälfte behandelt die Vor- stellungen der alten und Naturvölker, die zweite die der modernen Naturwissenschaft. Letztere spitzt sich naturgemäß auf den „entropischen Tod" des Weltalls zu. Es folgt aber noch ein Schluß- kapitel, das sich mit dem Schicksal des Lebens und des Psychischen befaßt. Hier ist es nun un- erläßlich, philosophische und religiöse Vorstellungen wenigstens zu berühren, das Ende schließt sich gewissermaßen an den Anfang, und der Verf deutet auch hinlänglich daraufhin, daß die ganze Angelegen- heit in letzter Instanz vor ein höheres Forum ge- bracht werden muß, als das der empirischen Naturforschung. In diesem Sinne mündet seine Darstellung in einige dichterische Strophen aus, die die Suprematie und Ewigkeit des Geistes feiern. Hierzu mag jeder aus eigner Überzeugung Stellung nehmen. Naturwissenschaftlich von Interesse ist der in diesem Sehlußkapitel versuchte Nachweis, daß, wenn man die Psyche mit Ostwald als Energieform ansieht, sie der am wenigsten um- wandelbare Teil der Energie ist und deshalb am Ende der Dinge zuletzt übrig bleiben muß, freilich ohne Betätigungsmöglichkeit. Der Verf bezeichnet dies mit dem Wort „Lebentod" und erläutert diesen paradoxen Ausdruck; ,, Leben bleibt als Energie an sich, untätig wie in Buddhas Nirvana." Ge- meint ist nicht das physische Leben des Proto- plasmas, sondern das psychische als Energieform. Hierüber ließe sich manches sagen, zuvörderst aber wohl, daß wir vorläufig keinen Grund haben und ihn wohl nie haben werden, die Psyche als eine den anderen Energieformen einfach koordi- nierte, an ihren Umsetzungen beteiligte Form der Energie anzusehen. Wasielewski. Budde, E. NaturwissenschaftlichePlaude- reien. 4. Aufl. Berlin, G. Reimer, 1914. 346 S. — Geh. 3.50, geb. 4.50 M. In der vierten Auflage von Budde's „Plaude- reien" ist ein Teil der Aufsätze unverändert ge- lassen, einige sind mit Zusätzen versehen oder auch umgearbeitet worden. An mancher Stelle im biologischen Teil des Buches mag es etwas an der modernisierenden Hand fehlen, so z. B. bei den „Familienvätern unter den Fischen", wo auf einschlägige neuere Erfahrungen wohl hätte Bezug genommen werden können. Die beiden Seeschlangen-Aufsätze würde man ganz gerne missen; ebenso die Bemerkung, daß es Vögel mit Leuchtorganen am Schnabel gebe, da es sich nicht um eigentliche Leuchtorgane handelt, sondern um Lichreflektoren. Dagegen sei dem Verf das Wort „Intelligenz" bei Ameisen nicht verübelt, obschon er nur die hohen Instinktleistungen be- handelt; das ist nur Sache des Ausdrucks und bei den klaren tatsächlichen Angaben nicht mißver- ständlich. Überhaupt stehen derartigen etwaigen Schwächen des Buches große Vorzüge entgegen. Es geht in seiner Entstehung bis auf das Jahr 1877 zurück und zeichnet sich durch ernste Ge- diegenheit und fließende Sprache aus; es wird z. B. in den Regenwurm- , Spatzen- und den reizenden Schwalbengeschichten dauernden Wert behalten, steht gerade durch die Berücksichtigung älterer Erfahrungen vorteilhaft neben vieler neue- ster populärwissenschaftlicher Literatur da und wird somit für jedermann lehrreich sein und zu weiteren Studien anregen. F. Handbuch der präparativen Chemie. Ein Hilfsbuch für das Arbeiten im chemischen Labo- ratorium, unter Mitwirkung verschiedener P'ach- genossen herausgegeben von Prof Dr. Ludwig Vanino. II. Band: Organischer Teil. Mit 26 Textabbildungen. Verlag von Ferdinand Enke, Stuttgart. 1914 — Preis 18 M. Ebenso wie beim vorausgegangenen anorgani- schen Teil des Vanino'schen Handbuchs der präpa- rativen Chemie hat sich der Verf auch bei der Bearbeitung des organischen Teils von dem Be- streben leiten lassen, in knapper und doch für den praktischen Gebrauch hinreichend ausführ- licher Form die besten Darstellungsverfahren der bekanntesten organischen Präparate zu beschreiben. 1 Herbei sind auch zahlreiche Ausgangsmaterialien und Zwischenprodukte berücksichtigt worden, so N. F. XIV. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. daß das Bucli — es behandelt die Darstellung von mehr als lOOO organischen Verbindungen - auf eine gewisse Vollständigkeit wohl Anspruch machen kann, zumal da die Auswahl im allgemeinen geschickt getroffen ist. Wenn auch unsere hoch- entwickelte chemische Industrie den wissenschaft- lich arbeitenden Organiker immer mehr dadurch verwöhnt, daß sie ihm für seine Untersuchungen die Ausgangsstoffe in fertiger Form als käufliche Produkte liefert, so wird doch, schon vom päda- gogischen Standpunkte aus, das vorliegende Hand- buch seinen Zweck sicher erfüllen und sich als zuverlässiges Hilfsmittel der Laboratoriumspraxis Freunde erwerben. Hierfür bürgt schon der Name des Herausgebers, der selbst das chemisch- präparative Gebiet mit Erfolg praktisch bearbeitet hat. Bugge. Lampe, F., Große Geographen. Bilder aus der Geschichte der Erdkunde. Bastian Schmid's naturw. Bibliothek, 28. Leipzig, Teubner, 191 5. — Preis geb. 4 M. In anschaulichen Lebensbildern einzelner großer Geographen entrollt dieses Buch die Entwicklung der Erdkunde vom Altertum bis in die neueste Zeit, überall bemüht, die wesentlichen Gesichts- punkte herauszuarbeiten und die Einzeltatsachen im Zusammenhange mit der ganzen Kultur- entwicklung zu betrachten. Das Buch ist recht geeignet, eine fühlbare Lücke unserer populären Literatur auszufüllen, und die schwungvolle Art, in der das Ganze geschrieben ist, wird ihm mit Recht manche Freunde erwerben. Dr. E. Wunderlich-Berlin. Wetter-Monatsübersicht. Innerhalb des vergangenen September wechselten heiteres, trockenes und unfreundliches, regnerisches Wetter in ganz Deutschland mehrmals miteinander ab. Auch die Tcmparaturen wiesen in verschiedenen Teilen des Monats ziemlich scharfe Gegensätze auf. Anfangs lagen sie im Tagesmittel allgemein unter 15, in den Mittagsstunden unter 20" C. Nachdem es dann, besonders im Westen, ein wenig wärmer geworden war, kühlte"sich während mehrerer klarer Nächte um den 10. Sep- SBitTTcrc'Ictiijserafuren einiger 0rfe imJ^e^fctn^erlilS. l.Sepremben 6 II. 16. I I I I I I I I I I I I I I I I I I ~ Wilhelmsliaven. tember die Luft außerordentlich stark ab, in der Nacht zum 11. sank das Thermometer in Ilmenau bis auf den Gefrier- punkt. Dagegen wurden in den Tagesstunden zwischen dem 12. und 14. an den meisten Orten 20, an einzelnen sogar 35" C überschritten. Bald nach Mitte des Monats trat wieder eine empfindliche Abkühlung ein und das Wetter blieb dann längere Zeit hin- durch überall herbstlich kühl. Zwischen dem 20. und 24. September kamen in vielen Gegenden Nordwest- und Mitteldeutschlands Nachtfröste vor, z. B. brachten es Dahme in der Mark und auch Zehlendorf bei Berlin auf 2 Grad Kälte, zu liildesheim sank am 21. nachts die Bodentemperatur bis auf 3 Grad unter Null. Am 24. oder 25. wurden noch- mals an vielen Orten 25, in Cassel, Halle, Magdeburg und Schwerin 26, in Aachen sogar 27° C erreicht, jedoch endigte der Monat überall mit ziemlich kühler Witterung. Im Monatsmittel lagen die Temperaturen allgemein unter ihren normalen Werten, zwar an den meisten Stellen der Küste betrug der Unterschied weniger als einen, im Binnen- lande aber 1 '/2 bis 2 Grad und an einzelnen Orten noch etwas darüber. Dagegen war der September in den meisten Landesteilen durch einen großen Reichtum an Sonnenschein ausgezeichnet; beispielsweise hat in Berlin die Sonne im ganzen an 174 'Stunden geschienen, während hier in den früheren *)^iedfcr^ol&faa^^9^cn im ßz^tzm^ev 1915. .jg ^1 X Mierer Werf rc ^ ll "l5.bis2i. Sept. " ' "H~|"^^ ^fflFFI m^ 22.bisZ5.Sept m Deutschland. fllonatssumme im Sep- 1915.n. 13.12.11.10 Septembermonaten durchschnittlich nur 141 Sonnenschein- stunden verzeichnet worden sind. Regenfälle waren im letzten Monat nicht gerade häufig, traten jedoch bisweilen in sehr großen Mengen auf. In den ersten sechs Tagen fanden besonders an der Nordseeküste und im Süden verschiedentlich Gewitter und in den meisten Gegenden wiederholte Rcgenfälle statt. Namentlich gingen vom 5. bis 6. morgens östlich der Elbe lange anhaltende, an vielen Stellen wolkenbruchartige Regengüsse hernieder, die beispielsweise in Stettin 40, in Landsberg 4S , in Görlitz 58, in Schivelbein 68, in Arnsdorf im Riesengebirge 90, in Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 43 Dresden sogar 93 mm ergaben. Dabei wehten im Ostsee- gebiete stürmische nördliche und nordöstliche Winde. Nachdem vom 7. bis 14. September im Norden größten- teils und in Süddeutschland völlig trockenes Wetter geherrscht hatte, traten im westlichen Küstengebiete neue Gewitter und zahlreiche Regenfälle ein, die sich sehr rasch nach Osten und Süden weiterverbreiteten. Bis zum 21. kamen dann in den meisten Gegenden öfter Regenschauer vor, die besonders im Küstengebiete recht ergiebig und stellenweise von Hagel- oder Graupelschauer begleitet waren, am 20. fiel in Marienburg auch etwas Schnee. Nach vier abermals trockenen Tagen wiederholte sich dann das Regenwetter vom 26. September bis zum Schlüsse des Monats aufs neue. Die Niederschlags- summe des ganzen Monats betrug für den Durchschnitt aller berichtenden Stationen 57,7 mm, während die gleichen Sta- tionen im Mittel der 24 früheren Septembermonatc 63,4 mm Regen geliefert haben. Auch die allgemeinen Luftdruckverhältnisse Europas änderten sich während des vergangenen Monats oft bedeutend. Anfangs wurde der Norden von einer mäßig tiefen Barometer- depression durchzogen , während ein anderes Minimum vom 3. bis 5. September von der adriatischen Küste rasch durch Österreich-Ungarn und Polen bis in die Nähe der Ostseeküste vordrang, dann aber ostwärts ins Innere Rußlands abbog. Gleichzeitig rückte ein Maximum vom biskayischen Meere nach Südwesteuropa, ein anderes vom Nordmeer nach Nord- skandinavien vor und beide vereinigten sich bald zu einem umfangreichen Hochdruckgebiete, das von West- und Mittel- europa allmählich weiter südostwärts vordrang und bis zur Mitte des Monats für die Witterungsverhältnisse bei uns haupt- sächlich maßgebend blieb. Während der zweiten Hälfte des September traten in Nordskandinavien und Südwesteuropa neue Hochdruckgebiete auf, zwischen denen sich in den letzten Tagen mehrere , an- scheinend vom Ozean hergekommene Minima langsam von der Nordsee zur Ostsee und weiter nach Osten hinbewegten. Dr. E. Leß. Anregungen und Antworten. Aprikosen- und Pfirsichkerne als Mandelersatz. Die Frage, ob gesundheitliche Bedenken gegen die Verwendung von Aprikosen- und Pfirsichkernen an Stelle von Mandeln sprechen, behandelt in der Chem.-Ztg. ') K.B.Lehmann, der Direktor des Würzburger Hygienischen Instituts. .\us seinen Analysen ergibt sich, daß süße Aprikosenkerne, ebenso wie süße Man- deln, frei oder annähernd frei von Benzaldehyd sind. Da- gegen weisen bittere Mandeln und bitlere Aprikosenkerne den gleichen hohen Benzaldehydgehalt (mehr als 900 mg in loo g) auf. Süße Aprikosenkerne können also unbedenklich an Stelle von süßen Mandeln Verwendung finden (z. B. zur Marzipan- herstellung). Um bittere Aprikosenkerne als gesundheitlich einwandfreien Mandelersatz benutzen zu können, ,,entbittert'* man sie durch Ausziehen mit Wasser; ihr Benzaldehydgehalt läßt sich auf diese Weise bis auf 4,3 bis 5 "/„ des ursprüng- lichen Gehaltes herabsetzen. Im Geschmack sind süße Man- deln und süße Aprikosenkerne kaum voneinander zu unter- scheiden; auch die entbitterten Aprikosenkerne schmecken durchaus angenehm. Da gesetzliche Vorschriften zur Verhin- derung gesundheitlicher Schädigungen durch einen zu hohen Benzaldehyd- bzw. Blausäuregehalt von Mandeln oder Mandel- ersatz nicht existieren, empfiehlt Lehmann, bei Marzipan- massen einen Höchstgehalt von 30 bis 40 mg Benzaldehyd auf 100 g als zulässige Grenze aufzustellen, was 7 bis 10 mg Blausäure entspricht. Schließlich weist Lehmann noch darauf hin, dali es jetzt angebracht sei, außer Aprikosen- und Pfirsichkernen auch die Kerne von Pflaumen und Zwetschgen in entbittertcm Zustand als Mandelersatz zu verwerten. Dr. G. B. ») Nr. 91/92, 39. Jahrg. [1915]- Literatur. Liesche's Atlas der Giftpflanzen in natürlicher P'arbe mit Beschreibung. Graser's Verlag, Annaberg i. S. 90 Pf. Hambloch, Dr. A. und Mordziol, Dr. C, Über Trinkwasserversorgung im Felde. Braunschweig, Berlin, Ham- burg '15, G. Westermann. 1,25 M. Runge, Prof. Dr. C. , Graphische Methoden. Mit 94 Textabbildungen. Leipzig und Berlin '15, B. G. Teubner. 5 M. ,,Aus Natur und Geisteswelt". Leipzig und Berlin '15, B. G. Teubner. Jeder Band geb. 1,25 M. Mi ehe, Prof. Dr. H. , Allgemeine Biologie. Einführung in die Hauptprobleme der organischen Natur. 2. Aufl. der ,, Erscheinungen des Lebens". Mit 52 Textabbildgn. Hasse rt, Kurt, Die Polarforschung. Geschichte der Ent- deckungsreisen zum Nord- und Südpol von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. 3. Aufl. Mit 2 Textabbildun- gen und 2 Tafeln. Kirchhoff, Alfred, Mensch und Erde. Skizzen von den Wechselbeziehungen zwischen beiden. 4. Aufl. Kraepelin, Prof. Dr. K., Die Beziehungen der Tiere und Pfl.inzen zueinander. 1. Die Beziehungen der Tiere zu- einander. 2. verb. Aufl. Mit 64 Textabbildungen. II. Die Beziehungen der Pflanzen zueinander und zu den Tieren. 2. verb. Aufl. Mit 68 Textabbildungen. Goldschmidt, Prof. Dr. R., Die Urtiere. Eine Einfüh- rung in die Wissenschaft vom Leben. 2. Aufl. Mit 44 Abbildungen. Blochmann, Prof. Dr. Reinhart, Luft, Wasser, Licht und Wärme. Zehn Vorträge aus dem Gebiete der Experimen- talchemie. 4. Aufl. Mit 92 Textabbildungen. Bauer, Dr. H., Geschichte der Chemie. II. Von Lavoi- sier bis zur Gegenwart. Berlin und Leipzig '15, Göschen'sche Vcrlagshandlung G. m. b. H. 90 Pf. Bugge, I3r. G. , Edelsteine. Eine Einführung in das Gebiet der Schmuck- und Edelsteine. Mit 46 Textabbildungen. Leipzig, Th. Thomas. I Mk. P Öse hl, Prof. Dr. V., Einführung in die Kolloidchemie. Ein Abriß der Kolloidchemie für Lehrer, Fabriksleiter, .4rzte und Studierende. 4. verb. ."Xufl. Mit 18 Bildern im Text u.a. einer Tafel. Dresden '14, Th. Steinkopf. 2,50 M. Kriegsgeographische Zeitbilder: 5. Dr. Hugo Grothe, Der russisch-türkische Kriegsschauplatz. (Kaukasien und Ar- menien); 6. Dr. K. Wolff, Der Kriegsschauplatz zwischen Mosel und Maas; 7. Dr. Ed. Erkes, Japan und die Japaner; 8. Adr. Mayer, Die Vogesen und ihre Kampfstätten. Leip- zig '15. Woker, Dr. Gertrud, Die Katalyse. II. Spezieller Teil. I. Abteilung: Anorganische Katalysatoren. Mit 13 Abbildun- gen. Stuttgart '15, F. Enke. 28 M. Inhalte Rohland: Chemisch-technische Tagesfragen. Rehm: Zur sog. Zwillingssonnenuhr aus Pergamon (mit 3 .\bbil- dungen). — Einzelberichte: Weber: Anaphylaxie. G locker: Interferenz der Röntgenstrahlen und Kristallslruktur. Ernst: Fliegen als Melker von Blattläusen. Valeton: Kristallform und Löslichkeit. Mecklenburg: Über die Untersuchung von trüben und von fluoreszierenden Lösungen (mit 3 Abbildungen). — Bücherbesprechungen: Schuck: Der Kompaß. 11. Teil. Henning: Ernst Mach als Philosoph, Physiker und Psycholog. Bocke: Grundlagen der physikalisch-chemischen Petrographie. Weinstein: Der Untergang der Welt und der Erde in Sage und Wissenschaft. Hudde: Naturwissenschaftliche Plaudereien. Vanino: Handbuch der präparativen Chemie. Lampe: Große Geo- graphen. — Wetter-Monatsübersicht (mit 2 Abbildungen). — Anregungen und Antwrorten. — Literatur: Liste. Manuskripte und Zuschritten werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Mi ehe Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg Leipzig, Marienstrafie 1 1 a, erbeten. d.s. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Fulge r4. Band; zen Reihe 30. Band. Sonntag, den 31. Oktober 1915. Nummer 44:. Irrigatioiis- und Bewässerungssysteme in den Vereinigten Staaten von Amerika. Ein Beitrag zur Innenkolonisation. [Nachdruck verboten.] Von Dr. Heinrich Pudor. Große Strecken unseres deutschen Vaterlandes Land, umsäumt von Waldgebirgen und Schnee- sind entweder der Bebauung noch nicht zugäng- regionen : dazwischen liegen Täler und Tiefebenen, lieh gemacht oder ergeben nur geringe Erträge, welche Tausenden, und in einzelnen Phallen, wie weil ihre Bewässerung keine rationelle ist: einige bei der Gegend von Sacramento, Millionen Fa- sind zu trocken, andere sind sumpfig. Schon in milien Glück und Gedeihen schaften können. Wo Italien ist man in dieser Beziehung weiter als bei hier die rationelle Bewässerung schon durchge- uns. Vorbildlich aber können für uns in dieser führt ist, sind die latenten Kultivierungsmöglich- Richtung die in Amerika begonnenen Bewässe- keiten des Landes dargetan durch eine schier rungsmethoden sein, vor allem bezüglich der w^underbare Entwicklung. Solche Distrikte sind Wichtigkeit, die man überhaupt dieser Frage bei- das Tal des Salzflusses von Arizona, das San mißt. Wie hat nicht Li eb i g's Agrikuliurchemie Bernardinotal in Südkalifornien, das Salzseetal von die Landwirtschaft umgestaltet, dergestalt, daß Utah, das Boisetal von Idaho, das Yakimatal von man allerorten den Boden rationell ernährt und Washington. ihm Ersatz für die Nahrung, die ihm die Kulti- Der Amerikaner Elwood Mead sagt in vierung entzieht, wieder zuführt! Gerade von seiner vortrefflichen Schrift über Irrigation: Von diesem Gesichtspunkte aus erhellt die Bedeutung den Wind Rivergebirgen von Wyoming, südlich der Bewässerungsfrage. Denn ohne genügende von Yellowstone Park, gehen drei Ströme herab, Bewässerung kann von genügender Ernährung welche mit ihren Nebenflüssen die industrielle keine Rede sein. Wie beim Menschen zum Brote Zukunft eines Gebietes, größer als irgendein euro- das Wasser, gehört bei der Pflanze zur Erde das päisches Land, ausgenommen Rußland, kontrol- Wasser: die Feuchtigkeit erst befähigt die Pflanze Heren, und fähig sind, eine Bevölkerung aufzu- zur Nahrungsaufnahme. Stalldünger ist nicht nur nehmen größer als die jetzt östlich des Mississippi der Nahrung wegen, die er enthält, vorteilhaft, wohnende. Diese Stiöme sind der Missouri, Co- sondern auch der Feuchtigkeit wegen. Beim lumbia und Colorado. Der erste derselben be- künstlichen Dünger aber fehlt diese. Im allge- wässert die Gebirgstäler an den östlichen Abhängen meinen aber kann eine fette Erde noch eher mit der Rockie Mountains und die halbtrockenen geringer Feuchtigkeit auskommen, als eine magere Distrikte der großen Ebenen, der zweite das nord- Erde, bei der der Mangel an Wasser Dürre und westliche Pacificgebiet, einschließend Teile von Unfruchtbarkeit zeitigt. Fette Erde mit reich- Montana, das ganze Idaho und den größeren Teil lichem Wasser wiederum wird leicht zu Sumpf von Oregon und Washington, der dritte den Süd- und somit auch mehr oder weniger unfruchtbar. Westen, in sich fassend einen großen Teil von Rationelle Wasserzuführung und Regelung der Utah und Westkolorado, Teile von Mexiko und Wasseraufnahme bildet also unter allen Umständen Kalifornien, und das ganze Arizona. Dieses große eines der allerwichtigsten Kapitel der Kultivierung Gebiet , dessen Kultivierung keine besondere des Landes. staatsmännische Kunst erheischt, ist das Landgut In den Vereinigten Staaten von Amerika ist der amerikanischen Nation („the nations farm"). nicht weniger als Zweifünfiel des gesamten Bodens Gegenwärtig freilich hat es wenig Wert. Ein natürliches Dürrland, in dem weniger als zwanzig ganzes Stück Land ergibt jetzt kaum genug, um Zoll Regen jährlich fällt und die künstliche Be- dem bedürfnislosen Schafe notdürftigste Nahrung Wässerung eine Notwendigkeit ist. Rationell be- zu geben. Und dies lediglich, weil es an Feuchtig- wässert würde dagegen dieses Dürrland zu den keit mangelt. Da, wo man die Flüsse abgelenkt fruchtbarsten des amerikanischen Kontinentes ge- und Irrigation eingeführt hat, hat man Ernten er- hören. Dieses Land liegt in der Hauptsache Jen- zielt, welche denen von Gegenden mit reichlichem seits des Mississippi, seine Kultivierung hat kaum Regenfall gleichkommen. erst begonnen, es ist befähigt, eine Bevölkerung Die Kunst der rationellen Bewässerung der von 200 Millionen zu ernähren. Seine 75 Mill. Irrigation haben die Amerikaner erst neuerdings Acker anbaufähigen Dürrlandes und seine 400 Mill. wieder gelernt, sie selbst ist aber sehr alt und Acker Weidelandes zusammen mit seinen Mineral- war schon vor Jahrhunderten in Amerika in schätzen können Amerika einen Reichtum bringen, Übung. In verschiedenen Gegenden des Süd- der die jetzige Gesamtproduktion der Vereinigten Westens und der südlichen Distrikte von Kolorado Staaten weit hinter sich läßt. Es ist ein bergiges und Utah finden sich Spuren von Irrigations- 690 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 44 anlagen, welche der Bevölkerung zur Kultur ver- helfen haben : als die frühesten spanischen Kolo- nisten durch das Tal des Rio Grande kamen, ent- deckten sie in trockenen Gebieten desselben häufig Stellen mit einer üppigen Vegetatation ,, ähnlich der in den Gärten von Kastilien". Die Pueblo- Indianer hatten lange vor ihnen den Boden irri- giert. Die Spanier schufen in diesen Oasen An- siedelungen und lernten von den Eingeborenen die Kunst, eine nahrhafte, aber trockene und des- halb unfruchtbare Erde fruchtbar zu machen. Missionare kamen aus diesen Siedelungen und verbreiteten die Kenntnis der Irrigation weiter. Die Geschichte der Irrigation in dem jetzigen Amerika beginnt mit den Bestrebungen der Pio- niere der Mormonen , die Gewässer von City Creck über das Land des Salzseetales zu richten. Und bis zum heutigen Tage hat man die Mönche die besten Irrigationskolonisten genannt. Im Westen von Amerika gibt es ein Sprichwort: ein Mormone versteht es, das Wasser den Berg hinauf rennen zu lassen. Die alten Führer dieser Sekte sahen bald ein, daß nur mit den Mitteln der Irri- gation sie sich „über Wasser" halten konnten, und sie machten den Kanal zu der Grundlage ihrer industriellen Organisation, welche zum größten Teil eine kommunistische war. Die Irrigations- werke waren notwendigerweise Schöpfungen von Genossenschaften. Die zweite Phase in der Geschichte der Irri- gation bildet die Gründung der Kolonie von Greeley im Jahre 1870, welche einen Markstein in der industriellen Erschließung Kolorados bildet. Vorher waren die Kolonisten nur durch die Berg- werke herbeigezogen worden. Die Basis der Organisation war die Genossenschaft und der Irrigationskanal war die früheste und wichtigste Operation derselben. In derselben Zeit begann eine ähnliche Bewegung in Kalifornien mit Ana- heim als Mutterkolonie. Auch hier genossen- schaftliche Organisation des Irrigationssystemes, ebenso wie in Riverside, das einige Jahre später folgte. Spekulation und Kapitalanlage in Kanälen be- gann in Kalifornien und verbreitete sich rasch über den ganzen Westen. Sie lag in den Händen von Korporationen. Das kam daher, daß damals weder die Bundesregierung noch die Regierungen der einzelnen Staaten sich mit den Irrigations- fragen befaßten, während individuelles Kapital die Bedürfnisse nicht decken konnte. In der Tat haben während der letzten dreißig Jahre private Korporationen mehr als 100 Mill. Dollars auf die Errichtung von hunderten von Meilen Kanäle investiert, und hunderttausende Acker Land sind dadurch für die Kultur gewonnen worden. Wenn somit die Kanäle den Bewohnern und Bebauern des Landes selbst große Vorteile brachten, führten sie große Verluste für diejenigen herbei, welche das Geld gaben. Denn einmal dauerte es lange, bis das Land, durch das die Kanäle gingen, ge- nügende Bewohner und Bebauer fand, so daß die Kapitalauslagen zu lange unverzinst und un- produktiv blieben, ferner war der Erwerb des Kanallandes oft mit schweren Opfern verbunden, weil die Spekulation immer höhere Preise forderte, dabei für Bodenverbesserungen kein Interesse hatte. Dazu kommen die hohen Kosten derartiger um- fangreicher Kanalbauten. Die Entwicklung zielte also darauf hin, eine Kontrolle der Regierung zu Schäften, und diese wurde durch den sogenannten Carey-Akt gegeben. Dieses Gesetz der Bundesregierung gibt jedem Staate das Recht, eine Million Acker Gemeinde- land zu verteilen und dabei die Verteilung an die Ansiedler zu kontrollieren, damit die Besiedelung des Landes und die Konstruktion der Wasserwerke besser organisiert würde. Einige Staaten haben sich dieses Aktes bedient und zwar mit ver- schiedenen Erfolgen. In einzelnen Fällen ist ein ausgesprochener Sukzeß zu verzeichnen, so bei den Twinfällen in Idaho. Aber auch Mißerfolge sind zu bemerken, wobei sogar Skandale und Un- ehrenhaftigkeit vorkamen. Das kam daher, weil die einzelnen Staaten für sich nicht den Apparat haben, solche Unternehmungen durchzufuhren und deshalb mit privaten Korporationen für die Aus- führung des Irrigationssystems und den Verkauf des Landes paktierten. Im Jahre 1902 folgte der National Reklama- tion-Akt, eines der wichtigsten Gesetze unter der gegenwärtigen Generation. Er brachte die Irri- gationsfrage zu einer glücklichen Lösung. Denn er bestimmte, daß das Geld, welches aus den Verkäufen des Gemeindelandes in vierzehn Staaten und zwei Territorien der Trockendistrikte gewonnen wird, als Fonds für die Errichtung von Irri- gationswerken in den betreffenden Staate nundTerritorienverwend et werden soll. Der Reklamation-Akt bestimmt ferner, daß die Besiedelung solchen Landes von der Regierung nur wirklichen Kolonisten, welche sich eine eigene Scholle und ein eigenes Heim schaffen wollen, freige- geben wird, und daß in jedem einzelnen Falle nur soviel Land abgegeben wird, als zur Erhaltung einer F"amilie aus- reichend ist. In der Tat ist uns seit dem Erlaß des nor- wegischen Heimstättengesetzes kein Gesetz in irgendeinem Lande bekannt geworden , welches in solchem Maße Kultur aufbauende Tendenzen verfolgt, als eben dieses. Dasselbe Gesetz bestimmt im einzelnen, daß der Ansiedler für die dauernde Nutznießung des Wassers per Acker so viel oder so wenig be- zahlen soll, als genügen kann, der Regierung die vollen Auslagen des Systems zurückzuzahlen. Diese Kosten betragen ungefähr 30 Doli, per Acker, und dieser Betrag ohne Zinsen auf zehn Raten verteilt, stellt die durchschnittlichen Kosten eines Wasserrechtes auf Regierungsland dar. Die Rückerstattung dieser Auslagen an die Regierung N. F. XIV. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 691 gestattet eine unbeschränkte Ausdehnung des Systems, ohne daß die Steuerzahler zu den Un- kosten herangezogen werden brauchen. Ist ein Irrigationssystem auf diesem Wege im Verlauf der Zeit bezahlt, so wird es den Landeigentümern, welche Wasserrechte in seinem Umkreis besitzen, ausgehändigt, und das Geld wird für die Errich- tung neuer Werke verwendet. Im Jahre 1909 hatte der Reklamation Service, welcher die Administration der Irrigationsarbeiten hat, fünfundzwanzig Projekte in Arbeit. Nach ihrer Vollendung werden sie dem Gebiete fruchtbaren Landes in den Staaten mehr als 3 Millionen Acker und zwar fruchtbarsten Bodens hinzufügen. Drei- zehn neue Projekte, welche diesen Landzuwachs auf sechs und eine halbe Million Acker bringen werden, werden in Arbeit genommen, sobald als P'onds zur Verfügung stehen. Eines der ersten Projekte des Reklamation Service war der TruckeeCarson in Nevada, wel- cher bezweckte , die Vierzig - Meilen - Odländerei, welche mit der Ausnahme des Desth Valley der wüsteste Distrikt des amerikanischen Kontinentes ist, bewohnbar zu machen. Die Ingenieurarbeit bestand hier in der Hauptsache darin, den Truckee- fluß über sein natürliches Bett zu erheben und ihn in einen großen Kanal und von da in das Carson Reservoir zu leiten, aus dem seine Wasser- massen viele Meilen weit über das trockene Land verteilt werden. Die Kosten der Ausführung dieses Projektes betragen 9 Mill. Dollar, aber 400000 Acker Land, welche jetzt wertlos sind, werden durch dasselbe für die Kultur gewonnen und einen Wert von 30 Mill. Dollar mindestens re- präsentieren. Im Tale des Salzflusses sind 2000 Arbeiter mit der Errichtung des Rooseveltdammes be- schäftigt , welcher mit Ausnahme des Shoshone- dammes, der ebenfalls zum Reklamation Service gehört, der höchste in der Welt ist. Unter den Arbeitern befinden sich mehrere Hundert Apachen- krieger, die sich einst der Einwanderung der Weißen entgegenstemmten, und ihr jetziger Führer darf sich rühmen, eine große Zahl dieses Indianer- stammes getötet zu haben. Dieser Rooseveltdamm wird sich zu einer Höhe von 285 P'uß erheben und wird ein Reser- voir schaffen , größer als irgendein existierender künstlicher See. Am Ufer dieses Sees befindet sich gegenwärtig eine Stadt von 2500 Einwohnern. Nach Vollendung des Dammes werden die Be- wohner der Stadt Roosevelt ihre jetzigen Stein- häuser verlassen und zweihundert Fuß unterhalb des Wasserspiegels angesiedelt werden, und der Fluß, welcher jetzt durch einen Verbindungskanal läuft, wird alsdann seinen ursprünglichen Lauf wieder aufgenommen haben. Das schwierigste Problem, welches der Rekla- mation Service bisher zu lösen hatte, ist das Un- compahgne-Projekt in Colorado mit dem Gunnison- tunnel. Zuerst war die Erforschung eines tiefen Taleinschnittes nötig, das noch kein menschlicher Fuß betreten hatte. Ein Ingenieur und sein Assistent unternahmen unter außerordentlichen Strapazen und Gefahren den Zugang. i\Iindestens ebenso schwer war die Arbeit der dann folgenden Topographen. Darauf wurde ein Weg und eine Zugangsstraße in das Tal gelegt, schwere Ma- schinen und Motore beigeschafft. Ein Arbeiter- dorf wurde angelegt, und das Werk der Durch- tunnelung eines Gebirges über sechs Meilen Distanz wurde in Angritt" genommen. Heute ist das Werk des Gunnisontunnels fast vollendet, die über- wundenen Schwierigkeiten aber werden in den Annalen der amerikanischen Ingenieurgeschichte ewig einen denkwürdigen Platz einnehmen. Besondere Schwierigkeiten waren ferner bei dem Yumaprojekt in Südkalifornien zu über- winden. Ein enormer Damm über den Colorado- River war zu schlagen. Dabei war keine solide Fundamentierung möglich, sondern die gewaltigen Steinmassen mußten auf dem Sand fundamentiert werden. Der Damm wird ziemlich eine Meile lang sein und sich über 400 Fuß stromauf und stromab erstrecken. Sein Gewicht wird 600 000 Tonnen und seine Kosten werden 750000 Dollar betragen. In Verbindung mit diesem Werk steht die Unterführung des Gilaflusses quer unter dem Strombett des Coloradoflusses vermittels eines 3300 Fuß langen aus Zementstahl gearbeiteten Rohres. In dem Lande des Black Hills im Süden von Dakota ist eine gigantische Erdmauer in Arbeit. Sie wird 115 F"uß hoch und mehr als eine Meile lang sein, und als Schutzwall dienen gegen das Wasser eines Sees von 200 Meilen Länge und 5 Meilen Breite, an vielen Orten 100 Fuß tief. So hat der Reklamation Service während der fünf Jahre seiner Existenz zwölf hundert Meilen Kanallänge, zehn Meilen Tunnel und nahe an hundert umfängliche Baukonstruktionen herge- stellt. Als unmittelbare Folge dieser Operationen ergab sich die Gründung von acht neuen Städten, der Bau von einhundert Sekundärbahnen und die Ansiedlung von loooo Menschen, welche in den einstigen Ödländereien ihr neues Heim ge- funden haben. Des weiteren aber muß man bedenken, daß die Schätze des neuerschlossenen Landes nicht nur in der Kultivierung des Ackerlandes liegen, sondern daß mit seiner Erschließung erst die Schätze an wertvollen Metallen, an Kohle, an Bausteinen, an Wald, an Wasserkräften verfüg- bar werden. Die Bodenkultur freilich wird immer die Haupteinnahmequelle bleiben. Colorado ist der erste Staat Amerikas bezüglich Reichtums an wertvollen Metallen, aber der Wert des Er- trages seiner Landwirtschaft ist doppelt so groß als der seiner Bergwerke. Und nun erst können wir uns einen Begriff machen, was wir erreichen werden, wenn wir die Kindheitsperiode der Irrigation, in der wir uns noch jetzt, auch in Amerika, befinden, hinter 692 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 44 uns haben, wenn alles verfügbare Ödland „durch die magische Taufe des Wassers", um die Worte Forbes Linsays zu gebrauchen, befruchtet sein wird, wenn infolge blühender Landwirtschaft und aufblühender Industrie sich ein lebhafter Handel entwickelt haben wird, und Eisenbahnen und alle möglichen anderen Verkehrsmittel Menschen und Waren durch die Wüsten von dazumal tragen. Gifford Pinchot, Chef des Vorstandes der Bundesforstverwaltung, gab schon unter Roosevelt den Anstoß zu einer Bewegung zur Erhaltung der natürlichen Hilfsquellen des Landes und blieb auch unter Taft aufmerksam, so daß Ball inger, der Sekretär des Innern, der an der Verschleude- rung dieser Hilfskräfte früher nicht unbeteiligt war, aus einem Saulus ein Paulus wurde und in seinem Jahresbericht 1909 Gesetzvorschläge machte ^), daß der Bund Eigentümer aller Kohle und Erze verbleibt, soweit sie im Innern der nicht weiter begebenen Bundesländereien sich be- finden und daß er das Schürfrecht darauf auf eine bestimmte Anzahl von Jahren gegen eine dem Roherträgnis entsprechende Abgabe gestaltet. Ebenso soll der Bund sich den Besitztitel auf Ländereien mit Wasserkräften vorbehalten und nur eine Nutznießung für einen beschränkten Zeitraum im Höchstausmaß von dreißig Jahren haben zum Zweck der Erzeugung und Übermittlung von elektrischer Kraft für Privatzwecke und zur Aufspeicherung von Wasser für Krafterzeugung oder Berieselung. Auch sollen alle diejenigen, welche von der Bundesregierung Kohlenländereien mit dem Schürfrecht oder das Wasserbenutzungs- recht für eine Reihe von Jahren gepachtet haben, verpflichtet sein, ihre Bücher vorzulegen, um zu ') ^'g'- „Deutsche Bergwerks-Zeitung" vom 5. '• 'QOQ' kontrollieren, daß sie dem Abkommen gemäß verfahren und davon Gebrauch machen. Und schließlich die Nutzanwendung für uns Deutsche. Die Technik und die Ingenieurwissen- schaft haben heute eine solche hohe Stufe der L!nt- wicklung erreicht, daß technische Schwierigkeiten kaum mehr existieren, am wenigsten in Deutsch- land, wo die topographischen Verhältnisse um so vieles einfacher liegen, als in Amerika. Um mehr als 800000 Menschen vermehrt sich jährlich das deutsche Volk. Wir brauchen nicht nur an Außen- kolonisation zu denken. In unserem Lande selbst gibt es noch sehr, sehr viel zu kultivieren; ich erinnere nur an die Provinz Preußen, an Holstein, an Hannover, an Posen, an Bayern. Wie viele Ödländereien, wieviel sumpfiges Land, ja sogar wieviel Urwildland gibt es da nicht noch, wieviel Land kann dem Meere abgerungen oder vor den Raubfingern des Meeres geschützt werden, wieviel unfruchtbares oder nur halbfruchtbares Land kann durch rationelle Bewässerung, durch Irrigation fruchtbar gemacht werden, wie kann nicht aller- orten die bestehende Unfruchtbarkeit durch Ein- führung planmäßiger Irrigation gesteigert werden. Stehen wir doch vielfach noch auf dem kindlichen geradezu vorsündflutiichen Standpunkte, daß die Bauern vom Regen als Bewässerungsmittel ab- hängig sind 1 Hier liegen Innenkolonisationsauf- gaben vor uns, welche nicht nur für die Massen der Arbeitslosen Brot, für die Massen überschüssigen Menschenmateriales Ansiedelungsmöglichkeiten, für Tausende und Abertausende die Möglichkeit einer eigenen Scholle und eines eigenen Heimes, sondern eine neue Blüte der Landwirtschaft, neue Industrien, neue Absatzmöglichkeiten für die Industrie, neue Handelsquellen, und im allgemeinen eine ungeahnte Steigerung des Nationalreichtums bedeuten. Die biolojriscbe Beurteiluiifi: der Nahelsehnurzerreißiuii [Nachdruck verboten.] Von M. ReUter. Die Nabelschnur oder der Nabelstrang stellt den Weg dar für die Gefäße , welche vom Fötus zur Plazenta oder dem Mutterkuchen und von diesem zum P^ötus führen. Im Nabelstrange sind folgende Gebilde eingeschlossen ; 1. die beiden Nabelarterien, 2. die Nabelvene, 3. die Harn- oder Blasenschnur (Urachus), eine zwischen den Nabelarterien gelegene häutige Röhre und zur Zeit der Geburt noch wohl entwickelt, 4. die obliterierten Reste der Nabelblasen- gekrösgefäße und der Stiel des Nabel- bläschens, zur Zeit der Geburt jedoch nicht mehr vorhanden. Von dem Nabelstrang hängt während des P'ötallebens die Existenz des Jungen ab. Mit der Ausstoßung des Jungen aus den Geburtswegen hört dessen P^niktion auf, er ist oder wird alsbald überflüssig. Die Länge des Nabelstranges ist bei den Tieren eine sehr unterschiedliche. Beim Rinde verhält sich die Länge des Nabelstranges zur Körperlänge des Jungen wie 1:4,3, bei Schaf und Ziege wie i : 5,8, beim Hunde wie i : 2,4, bei der Katze wie i : 3,1. Die gleichen Verhält- nisse werden auch bei den wildlebenden Tieren der gleichen naturwissenschaftlichen Spezies angetroffen. Beim Menschen ist die Länge des Nabelstranges eine auffallend große, es ist das Verhältnis i:o,5, derselbe ist also doppelt so lang als der Kindskörper. Bei keinem unserer Haustiere erreicht der Nabelstrang die absolute und relative Länge des Nabelstranges vom Kinde. Den relativ längsten Nabelstrang hat das Schwein und dann das Pferd i : 1,8, während beim Schwein das Verhältnis i : 1,1 ist, es ist hier somit der Nabelstrang länger als der Körper des Tieres. Die Tragfähigkeit der Nabelschnur ist abgesehen N. F. XIV. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 693 von den Fleischfressern bei den domestizierten Tieren nur eine geringe. Ein Gewicht von der Schwere der Fruclit reicht beim Pferde, Wieder- käuer und Schwein weitaus hin, die Nabelschnur zum Zerreißen zu bringen. Das Gewicht des Jungen allein vermag sohin bei den genannten Tieren die Zerreißung zu bewerkstelligen. Anders verhält es sich beim Fleischfresser. Hier vermag der Nabelstrang das Dreifache vom Gewichte des Fötus zu tragen, und es reicht bei der Geburt das Gewicht des Jungen nicht hin, die Zerreißung derselben zu bewerkstelligen, die Hündin beißt unter solchen Verhältnissen den Nabelstrang ab. Wie bei den domestizierten Fleischfressern sind auch bei allen wildlebenden Tieren die Tragfähig- keit und die Kompaktheit, also die kräftigere Entwicklung des Nabelstranges ähnlich gelagert. So kam es vor, daß im Moment des Geburts- aktes aufgescheuehte Rehe, welche keine Zeit mehr fanden, die Nabelschnur durchzubeißen, noch eine Strecke das Junge auf der Flucht mit nach- schleppten, bis dieselbe auseinander riß. Bei den Haustieren erfolgt unter normalen Ver- hältnissen unmittelbar nach dem Austritte des und der Jungen (also sowohl bei den uni- als multiparen Tieren) aus den Geburtswegen die Zerreißung des Nabelstranges. Beim Pferde, Fleischfresser und Schwein erfolgt die Zerreißung der Nabelgefäße entweder außerhalb des Bauch- ringes oder noch in diesem selbst, bei den Wieder- käuern reißen die Nabelarterien innerhalb der Bauchhöhle oder sie ziehen sich nach der Zer- reißung weit in die Bauchhöhle zurück, während die Nabelvene und der im Nabelstrang einge- schlossene Urachus oder Nabelkanal im Bauch- ringe selbst abreißt. Bei den Jungen unserer Haussäugetiere machen sich zwei Arten der Nabelstrangzerreißung geltend : Entweder wird dieselbe durch das eigene Ge- wicht des Jungen zerrissen, so bei den Einhufern und den Wiederkäuern und allen analogen wilden Tieren oder es erfolgt die Zerreißung durch die Mutter, wie bei den P^leischfressern, wobei zu- weilen noch die Mitwirkung durch die Bewegungen des geborenen Jungen, so beim Schweine, in Frage kommen kann. Bei den Tieren der ersteren Gruppe ist die Tragkraft des Nabelstranges eine geringere als das Gewicht des Jungen. Die Zer- reißung erfolgt daher schon durch das Gewicht des Jungen, wobei noch die Kraft, mit der das Junge zur Ausstoßung gelangt oder beim stehen- den Tiere die Fallgeschwindigkeit mitwirkt. Bei Wiederkäuern, wenn sie auch im Liegen gebären, reißt demnach der Nabelstrang von selbst. Auch beim Kinde kann die spontane Zerreißung der Nabelschnur eintreten, wenn die Geburt im Stehen erfolgt. Beim Liegen erfolgt die Zer- reißung der menschlichen Nabelschnur infolge ihrer dicken und sulzigen Beschaffenheit nicht leicht von selbst. Nach der Geburt wird daher der Nabel des Kindes aus Rücksichten für Mutter, wie P'ötus doppelt unterbunden. Das zwischen der Ligatur liegende Stück der Nabelschnur wird darauf sofort abgeschnitten. Die Zerreißung des Nabelstranges ist bei den Tieren stets mit einer geringen Blutung verbunden. Bei kleinen Jungen sind es nur wenige Tropfen , bei Pferden und Kühen beträgt die Blutung bis zu einem viertel Liter. Die Blutung erfolgt hauptsächlich aus den größeren Gefäßstämmen des mit den Eihäuten noch in Verbindung stehenden Nabel- strangrestes. Eigentümlich ist es, daß der Nabel- strang selbst unter gewöhnlichen Verhältnissen nicht blutet. Allein es ist dies sehr leicht zu er- klären. Durch die mit der Ausstoßung des Jungen sofort eintretende Lungenatmung wird der Blut- kreislauf reguliert, der fötale hört auf und das Blut der Lungenarterie wird nunmehr gewisser- maßen in die funktionierende Lunge aspiriert. Die Nabelarterie kann also nicht bluten ; daß die Nabel- vene nicht blutet, ist sofort verständlich, denn sie führt ja Blut zum Herzen. Da ihre Bezugsquellen abgeschnitten sind, wird sie blutleer. Hierzu kommt aber noch , und zwar in besonders wirksamer Weise die Saugkraft des rechten Herzens. Das Blut der hinteren Hohlvene, in deren Bereich die Nabelvene gehört, wird förmlich vom Herzen aspiriert. Bei unvollständiger oder selbst auf- gehobener Lungenatmung (Scheintod) können schwächere Blutungen aus der Nabelvene bisweilen eintreten. Es liegen also dann pathologische Zu- stände vor. Die Nabelarterien zeigen niemals Bluterguß; sofort nach der Ruptur ziehen sie sich weit zurück in die Bauchhöhle und die Rißstelle selbst schließt sich bei der starken Muskulatur dieser Arterien vollständig. Außerdem bildet sich am peripheren Ende dieser Gefäße immer ein Blut pfropf. In physiologischer Hinsicht ist es aber hauptsächlich der mit dem ersten Atemzuge des Jungen einsetzende selbständige Blutkreislauf, welcher den Bluterguß nach außen unmöglich macht, so daß der Blutdruck in der hinteren Aorta sinkt und die Nabelarterien sofort veröden. Zu diesem Verschlusse der Arterien des Nabels trägt noch die Kontraktion des Nabelringes mit bei. Somit steht fest, daß bei normaler Ent- wicklung des Fötus durch die Zerreißung bzw. E^ntfernung der Nabelschnur eine Schädigung des Jungen nicht eintreten kann, daß dieselbe viel- mehr beim Menschen, wie bei den Tieren, den domestizierten und den wild lebenden eine bio- logische Notwendigkeit darstellt. Gleichwohl ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß einmal auch eine intensive Blutung und selbst Verblutung des Jungen eintreten kann, je nach den Organzustän- den beim Übergange vom Fötalleben zur selb- ständigen Existenz und nach der Struktur der Nabelgefäße. Bei den wildlebenden Tieren dürfte eine stärkere Blutung dur Ruptur des Nabelstranges, ganz abgesehen von der natürlichen Widerstands- kraft der freilebenden Tiere gegen schädliche Potenzen, im Vergleich zu den domestizierten Tieren und den Menschen nach gewöhnlicher Annahme auszuschließen sein. Und doch berichtete dem 694 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 44 Verfasser ein ernst zu nehmender Jäger und Forst- beamter, daß er einmal auf einem Birschgange ein im Setzen begriffenes Reh angetroften habe, das bei seiner Eräugung flüchtig ging und auf der Flucht ein Kitz geworfen habe. Dasselbe wäre noch einige Schritte von dem Reh geschleift worden, habe deutlich perpendikelartige Schwingungen beim Laufen des Rehes erkennen lassen , bis schließlich der Nabelstrang abriß. Es war ein sehr kräftig entwickeltes Kitz. Als der Jäger hinzukam, fand er dasselbe stark schweißend vor, so daß er glaubte, das Junge habe sich während der Flucht der Mutter und beim Herabfallen aus den Geburtswegen verletzt. Es stellte sich aber heraus, daß die Blutung aus dem Nabel stammte. Das Kitz ging ein; durch einfaches längeres Zu- halten des Nabels mit den Fingern oder durch Unterbinden mit einem Faden wäre das Junge sicherlich zu retten gewesen. Nun drängt sich die Frage auf: „Kann sich das Junge durch die Zerreißung der Nabelschnur überhaupt verbluten?" Diese für die kriminelle Medizin sehr wichtige Frage muß für normale Entwicklungsfalle des Jungen nach den bisherigen Ausführungen unbe- dingt verneint werden. Immerhin bleibt die Möglichkeit bei pathologischen Zuständen nicht ausgeschlossen, wie denn überhaupt nach dem Ausspruche eines pathologischen Anatomen, als er seinen Hörern eine Vorlesung über Mißbildungen zu halten hatte, in abnormer Hinsicht schließlich alles möglich ist. In den achtziger Jahren kam in einer Schwur- gerichtssitzung am Landgerichte Augsburg die Frage der Nabelschnurzerreißung in biologischer Hinsicht zum Austrage. Die wegen Kindesmord Angeklagte behauptete in der Voruntersuchung, ihr Kind wäre unmittelbar nach der Geburt durch Verblutung infolge Zerreißung der Nabelschnur gestorben. Das Gericht holte daher ein Gutachten auf Grund des Untersuchungsergebnisses vom medizinischen Senat der Universität München dar- über ein: i. Ob infolge Nabelschnurzerreißung der Tod des neugeborenen Kindes überhaupt eintreten könne. 2. Wenn dies möglich ist, ob dies im konkreten Falle anzunehmen sei. Beide Fragen waren in sehr ausführlicher Begründung verneint worden. In die Schwurgerichtsverhand- lung war darauf zur Vertretung des Gutachtens ein Professor für Physiologie abgeordnet worden. Zwei von der Veiteidigung geladene Ärzte wider- legten an der Hand des Sektionsbefundes das Gutachten, behaupteten, daß der Tod des Kindes tatsächlich infolge Nabelschnurzerreißung durch Verblutung eingetreten sei. Die Angeklagte wurde dementsprechend freigesprochen. Wenn die „vox populi" auch hier als die „vox dei" anzusehen ist, wäre die Frage rasch entschieden. Verf. beobachtete vor etwa 30 Jahren Ver- blutung eines frisch geborenen, sehr kräftig ent- wickelten Kalbes des Müllers Käs in Fellen bei Gemünden a. M. Zufällig in der betreffenden Ge- meinde anwesend, wurde er gebeten sofort zu kommen, eine Kuh habe gekalbt und das Kalb blute in einem fort, die Blutung wäre durch kein Mittel zu stillen. Bei der Ankunft war das Kalb bereits verblutet, eine überaus große Blutlache war bemerkbar; die Blutgefäße des Nabels waren in ihrem Lumen weit geöffnet, die innere Gefäß- haut, statt nach innen gekehrt, weit ausgespreitzt und ohne Blutpfropf. Die Nabelgefäße hatten nach dem äußeren Augenschein keine Neigung, sich zu schließen, erkennen lassen. In einem anderen Falle zu Karlstadt drohte auch das neugeborene Kalb eines Nachbarn vom Verf. infolge Nabelschnurzerreißung zu verbluten, es gelang jedoch durch Abbinden die Blutung noch zu stillen und durch künstliche Ernährung mittels roher Eier und Milch das gleichfalls über- aus kräftige Junge wieder auf die Beine zu bringen. Auch hier war die Anomalie in der Nabelarterie gelegen; dieselbe war zwar in der Muskulatur kräftig entwickelt, zeigte aber keine Neigung sich zu schließen. Die Verblutung konnte nur infolge der raschen Hilfeleistung durch Nabelunterbindung hintangehalten werden. In beiden — seinerzeit in den „Monatsheften für praktische Tierheilkunde" veröffentlichten — Fällen wurde das Blut nach außen getrieben statt dem Herzen zugeleitet. Der Blutkreislauf konnte daher in physiologischer Weise nicht in Aktion treten. Offenbar war ein Herzfehler vorhanden und dieser hatte, da die Saugkraft des Herzens fehlte, den Ab- und Ausfluß zur I'olge. Somit ist mit der Möglichkeit der Verblutung durch Zerreißung der Nabelschnur unter ganz bestimmten Voraussetzungen beim Menschen, wie bei den Tieren zu rechnen. Fleischfresser und Wild werden in dieser Hinsicht weniger in Betracht kommen. Bei den in der Gefangenschaft gehalte- nen wilden Tieren ist jedoch die Sache anders gelagert. Diese erweisen sich auch gegen Nabel- blutungen weniger resistent. Hündinnen und Rehe, vielleicht auch Hirschkühe beißen mit einer förm- lichen Geschicklichkeit den Nabelstrang ab; die Zähne wirken hier, wie ein Ekraseur, um Blutungen zu verhüten, die Hündin zerkaut vor dem Ab- beißen erst die Schnur, ähnlich verfährt auch oft das Schwein. Unter natürlichen Verhältnissen wird selbst bei wilden oder halbwilden Pferden, wenn sich nach der Geburt nicht gleich die Nabel- schnur von selbst löst, in ähnlicher Weise ver- fahren. Es sind außerdem sogar Fälle bekannt, in welchen die pflanzenfressende Stute, wie dies beim Pleischfresser Regel, die Eihäute aufzehrte. Wie nun der Vorgang der Nabelstrangzer- reißung als solcher in biologischer Hinsicht von Bedeutung ist, so ist dies in noch weit höhe- rem Grade bei der dadurch bewirkten Wunde des Nabels der P^all. Dieselbe ist in des Wortes vollster Bedeutung ein „locus minoris resistentiae", eine P'ingangspforte für putride und infektiöse Stoffe (somit für Blutvergiftungskrankheiten) und eine Gelcgenheitsursache zu lokalen Entzündungen, Mißbildungen und Entartungen des Nabels, wie N. F. XIV. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 69 s auch zu Nabelbrüchen. Die Nabelwunde kann daher den Ausgangspunkt für eine Reihe von Erkrankun- gen des jugendlichen Alters bilden und zwar bei den domestizierten Tieren, weil es hier gar oft an der nötigen Pflege des Nabels, wie an Reinhaltung der Lagerstätte (Einwirkung von Stallmiasmen) fehlt, in weit höherem Grade als beim Menschen. Die unter den Namen ,, Fohlen-, Kälber , Lämmer- und F'erkellähme", eine Kollektivbezeichnung für ver- schiedene Jugenderkrankungen der Tiere, bekannten und seuchenartig auftretenden Krankheiten sind nur auf eine Infektion der Nabel wunde zurück- zuführen. Der in den Körper vom Nabel aus eingedrungene Ansteckungsstoff gelangt direkt in den Blutkreislauf und infolgedessen zn den verschiedensten Organen , ruft dort effektive Er- krankungen hervor oder stört das Wachstum und die normale Entwicklung der Jungen. Der ur- sprünglich miasmatische Infekt ionsstoff erlangt die Eigenschaft eines kontagiösen Giftes, er besitzt die Fähigkeit sich im Körper zu reproduzieren und sich auf andere dafür empfängliche Individuen zu übertragen. So ist z. B. die Rhachitis, be- stehend in einer Entartung des Knochengewebes, nach bisheriger Anschauung Folge einer Ernäh- rungsstörung bei unzureichender Aufnahme von knochenbildendem Material, auch wohl unter Mit- wirkung heriditärer Veranlagung, nach den neuesten Forschungen auf eine Autoinfektion zurückzuführen. Dieselbe entsteht nur im Entwicklungsalter und hat für die Wucherungen und den Reizzustand des Knochen- und Knorpelgewebes einen niederen Organismus, einen Streptokokkus, zur Grundlage. Dieser kann durch die Nabelwunde am ehe- sten in den Körper eindringen und auf dem Wege der Blutinfektion den Weg zum Knochengewebe finden, um dort seine unheilvolle Tätigkeit zu be- ginnen, namentlich dann, wenn der Organismus nicht über die nötigen Schutz- und Abwehrstoffe gegen dieselben verfügt. Es gelang bereits Kul- turen aus dem Infektionsstoff herzustellen und durch solche die Rhachitis von Kindern auf Hunde künstlich zu übertragen. Allein auch manche anderen Infektionskrankheiten , vielleicht Masern, Diphtheritis, selbst Kinderlähmung usw. und bei den Tieren die Ruhr, der ansteckende Durchfall, die Knochen- und Beinweiche, infektiöse Gelenk- erkrankungen, wässerige Ansammlungen in den Gelenken, köimen von der Nabelwunde aus ihren Weg in den Körper nehmen. ') ') In Nr. 37 der ,,Berl. Tierärztl. W." von 1915 erwähnt Schlachthofdireklor Arnold, Oschatz, einen Fall, daß ein zehntägiges, anscheinend sehr gut genährtes und vom aus- wärtigen Fleischbeschauer für bankwürdig erklärtes Kalb ein- geliefert wurde. Dasselbe glich sogar einem Doppellender. Bei näherer Untersuchung erwies sich aber der Zustand nur vorgetäuscht durch verschiedene mit Gasblasen durchsetzte, mehr oder minder scrösblütig durchtränkte Partien (Haut- und Muskelemphyseme). Es stellte sich bei der mikroskopi- schen Untersuctiung des Muskelsaftes heraus, daß in demselben zahlreiche Rausch brandbazillen enthalten waren. Rausch- brand ist, wie auch Milzbrand, Wild- und Rinderseuche, Toll- Es kommt daher in biologischer Hinsicht der Nabelpflege , insbesondere der Behandlurg der Nabelwunde eine sehr große Bedeutung zu. Bei einer Gefahr drohenden Ruptur des Nabels ist auch bei den Haustieren, um die Verblutung des Jungen zu verhindern , das Abbinden des Nabels zu bewerkstelligen. In vielen Gestüten wird daher zur Vorsicht nach dem Abfohlen die Nabelschnur beim Jungen sofort unterbunden. Bei den übrigen Haustieren geschieht dies in der Regel nicht. In sanitärer Hinsicht bestehen beim Menschen ohnehin bestimmte Vorschriften, in welcher Weise die Unterbindung des Nabels zu bewerkstelligen ist. Allein damit ist noch keineswegs alles erreicht. Solange der Nabelstrang nicht vollständig ein- getrocknet oder verheilt ist, muß immer noch eine Nachbehandlung Platz greifen. Dieselbe hat in Reinhaltung, Anwendung antiseptischer, mög- lichst gefahrloser Mittel zu bestehen , um in der Nabelwunde und deren Umgebung die Infektions- keime abzutöten und eine Übertragung von Krank- heitsstoffen durch den Nabel zu verhindern. Bei den Tieren werden vielfach auch ätzende Medi- kamente eingestrichen, dadurch soll der Nabel- stumpf eher zum Absterben gebracht werden. Auch sollen die säugenden Mütter dadurch abge- halten werden, an dem Nabel zu lecken. Durch das Lecken wird nämlich die Heilung der Nabelwunde verzögert, der Nabel beständig gereizt, der Nabel- strang immer wieder aus der Bauchhöhle hervor- gezerrt und verunreinigt. Allein es kann sich die Auftragung differenter und stark reizender, daher meist giftiger Stoffe auf die Nabelwunde unter Umständen als ein. zweischneidiges Schwert er- weisen und durch das Lecken zu einer Erkrankung von Mutter wie Kind führen. Die Hygiene der Nabelwunde ist somit ein sehr wesentlicher Faktor für die Gesunderhaltung und die spätere Entwick- lung- der neugeborenen Individuen. wut, eine Wundinfektionskrankheit. Der Krankheits- erreger dieser Seuchen kann nur durch Einimpfung, also durch eine verletzte Stelle in der Haut in wirksamerweise in den Körper eindringen. Der Berichterstatter spricht daher die gewiß zutreffende Anschauung aus, daß in diesem Falle — sonst nimmt man die Haut und Muskeln als Eingangspforten und auch als sofortige Brutstätten für den Bazillus des Rausch- brandes an — die Infektion durch die noch nicht ver- heilte Nabelwunde erfolgt sein müsse. Das Fleisch war natürlich untauglich. Allein der Fall ist auch insofern inter- essant, als der Rauschbrand bisher und zwar sogar nach den offiziellen Belehrungen über die Seuche keine Krankheit des jugendlichen Alters ist und, wie man annahm, bei Tieren unter 4 Monaten gar nicht vorkommen kann. Da der Rausch- brand eine staatlich entschädigungspflichtige Viehseuche ist, so führte bisher, wenn bei einem jugendlichen Tiere das Verenden infolge dieser Seuche behauptet worden war, diese Behauptung meist zu weitgehenden Erörterungen. Neben dem mikroskopischen Befunde, der hier nicht immer als einwandfrei angesehen wurde, mußte dann oft noch das Ergebnis der Impfung entscheiden. So gut wie Rauschbrandbazillen, können auch die Erreger der obengenannten Seuchen und noch viele andere Infektionskörper durch die Nabelwunde den Eingang in den Körper finden und dort einen Vegetationsherd etablie- ren und zwar ganz ohne Rücksicht auf das Alter des Tieres. 696 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 44 Blut als Nahrungsmittel, bekanntlich, mühen sich bekanntlich, Deutschland dadurch lahmzulegen, daß sie ihm die Zufuhr eiweiß- haltiger Nahrung abschneiden, um es aus- zuhungern. Sie gehen dabei von der Annahme aus, daß im Inland die nötige Menge des für die Ernährung unentbehrlichen Eiweißes nicht produ- ziert werden könne. Von unseren Nahrungsmitteln findet sich dasselbe in der Form des für die Aus- nutzung günstigsten tierischen Eiweißes vor allem im Fleisch. Eine recht beträchtliche Menge Ei- weiß enthält indessen auch das Blut der Schlacht- tiere. Auf diese in normalen Zeiten mehr oder minder unbeachtet gebliebene Quelle weist der Straßburger Physiologe Prof. Franz Hofme ister in: „Über die Verwendung von Schlachtblut zur menschlichen Ernährung" hin (Münchener med. Wochenschrift Nr. 33, 17. August 1915 und Nr. 34, 24. August 1915). Seinen Ausführungen sei das Folgende entnommen. Nur ein kleiner Teil des Blutes, namentlich das Schweineblut, dient zur menschlichen Ernährung, indem es zur Wurst- bereitung verwendet wird. Auf eine Umfrage, was mit dem übrigen Schlachtblut geschehe, ant- worteten 219 Stadtverwaltungen; davon meldeten 12 „nichts", 183 wird als Dünger benutzt, wird fortgespült, läuft fort, wird vernichtet, kommt zum Abfall u. dgl.; nur auf 24 Schlachthöfen fand es mehr Beachtung und zwar bei 14 dient es zur Herstellung von medizinischen und chemischen Präparaten. Seinem Nährwert nach steht es dem Fleisch sehr nahe. So enthält es pro 100 g 76 Wärmeeinheiten gegenüber 99 Wärmeeinheiten des mageren Rindfleisches. Was die Ausnutzbar- keit anlangt, so ist dieselbe für die Blutwurst 94,2 ''/(, bis 95,3 % gegenüber höchstens 97 »/„ beim Fleisch. Der allgemeinen Verwendung des Blutes zu Nahrungszwecken steht einmal die an- geborene Abneigung gegen den Genuß von Blut entgegen. Deshalb konnte sich auch nicht das sog. Blutbrot bei uns einbürgern, welches mancher- orts seit alters gebräuchlich ist, wie z. B. das esthnische Brot in Rußland. Im Altertum scheint man dieses Vorurteil nicht gehabt zu haben. Wird doch bei Homer wiederholt eine Art Blutwurst erwähnt, und verdankt doch die schwarze Suppe der Spartaner ihre Farbe einem Zusatz von Blut. Ernstere Schwierigkeiten als die Abneigung und rituelle Verbote bereiten der Verwendung des Blutes zu Nahrungszwecken, die dunkele Färbung, welche an die Herkunft erinnert und dadurch die Ikkömmlichkeit beeinträchtigt, sowie bei Brot leicht als Zeichen der Minderwertigkeit gedeutet wird, endlich der Umstand, daß das Blut schwer haltbar ist und sehr rasch in Fäulnis übergeht. Diese beiden Schwierigkeiten zu beseitigen, ist als die Hauptaufgabe zu betrachten, will man das Blut in größerem Maße für die menschliche Er- nährung nutzbar machen. Daß es sich dabei um recht erhebliche Beträge handelt, ergibt sich aus Kleinere Mitteilungen. Unsere Gegner be- folgendem. Nach Eltzbacher betrug der Ge- samtverbrauch an Eiweiß vor dem Krieg 2307, der wirkliche Bedarf 1605 Tausend Tonnen. Bei Ausschaltung der Einfuhr und unveränderter Wirtschaftsweise würden also 1543 Tausend Tonnen zur Verfügung stehen. Nach Heiß be- trägt die Blutmenge in den deutschen Schlacht- höfen jährlich 73,12 Tausend Tonnen. Davon werden zur Wurstfabrikation nur 60 % verwendet, so daß noch 29,25 Tausend Tonnen übrig bleiben. Das würde, den Eiweißgehalt des Blutes zu 17 % veranschlagt, eine verfügbare Reservemenge von rund 5 Tausend Tonnen bedeuten. Daß es von der Schlachtmethode (Schlachtmaske, Herzstich, Schächten usw.) sehr abhängt, wieviel Blut im einzelnen Fall gewonnen wird, ist selbstverständ- lich. Sieht man aber auch davon, sowie von den Hausschlachtungen ab, so berechnet sich die Ge- samtmenge aus Schlachtblut in Deutschland auf rund 14 Tausend Tonnen Eiweiß jährlich. Legen wir weiterhin den Preis für das Kilogramm Eiweiß im mageren Rindfleisch zugrunde, so ließen sich durch die Nutzbarmachung des Bluteiweißes 37,1 Millionen Mark gewinnen; selbst wenn wir bei der Berechnung vom billigsten Markteiweiß aus- gehen, nämlich dem des trockenen Stockfisches zu go Pf. pro kg, kämen wir immerhin zu dem netten Sümmchen von 6,3 Mill. Mark. Man könnte nun verschiedene Einwände er- heben ; z. B. darauf hinweisen, daß der Kalorien- gehalt des Eiweißes überhaupt nicht sehr groß ist, und man billigere Nahrungsmittel zur Deckung des Bedarfs an Kalorien verwenden könnte, sowie daß man über die Höhe der nötigen Menge ge- teilter Ansicht wäre. Letzterem ist zu entgegnen, daß die Angabe der für Mitteleuropäer erforder- lichen Eiweißmenge auf jahrtausendealter Erfah- rung beruhen. Wenn man einen Umweg einschlagen würde, indem man durch Verfütterung des Blutes an Schweine, Milchkühe usw. Nahrungseiweiß ge- winnen wollte, so ist darauf hinzuweisen, daß dieser Umweg einen erheblichen Verlust bedeutete. So würde bei Schweinen nur ^|^, bei Milchkühen nur Vg cles verfütterten Eiweißes nutzbar gemacht werden. Vorschläge zur direkten Verwertung des Schlachlblutes für die Ernährung des Menschen wurden in letzter Zeit wiederholt gemacht, so von Block, Kobert, Salkowski u. a. Sie geben meist Kochrezeote an für die Benutzung des Blutes bei der Bereitung bereits eingeführter Speisen, wie Suppen, Saucen, Puddings, Klöße, Fricandellen usw., ganz besonders auch von Brot. Letzteres stände dem gewöhnlichen Roggenbrot in Geschmack und Bekömmlichkeit nicht nach. In der Tat ist es mancherorts, so in Bonn, Köln, Rostock und Berlin unter dem Namen Globulin- brot, Blockbrot, Esthenbrot usw. schon zu haben und erfreut sich der Gunst besonders der besser- N. F. XIV. Nr. 44 Naturwissenschaft! iche Wochenschrift. 697 situierten Kreise, während ihm die ärmere Be- völkerung ein gewisses Mißtrauen entgegenbringt, namcnilich wegen seiner dunklen Farbe, welche als Zeichen der Minderwertigkeit aufgefaßt wird. Für die praktische Einführung des Blutes zu Nahrungszwecken bildet übrigens seine geringe Haltbarkeit ein großes Hindernis, da nur ganz frisches Blut verarbeitet werden darf. Es setzt das aber ein so inniges Zusammerarbeitcn zwischen Backstube und Schlachthof voraus, wie es nur selten vorliegen dürfte. Es würde den praktischen Bedürfnissen nur eine Form genügen , in welcher das Blut längere Zeit aufbewahrt und leicht ge- prüft werden kann und in welcher es sich dem Preis nach relativ niedrig stellt. Diesen Anforde- rungen aber würde nur ein trockenes pulver- förmiges Präparat entsprechen. Den Weg zur Herstellung eines solchen glaubt nun H. gefunden zu haben. Man trocknet defi- briniertes Blut; zur Koagulation wird Phosphor- säure verwendet, da dieselbe für den Organismus wertvoller ist als andere Mineralsäuren und bei etwaigem Überschuß die Gerinnung nicht hemmt. Aus dem erhaltenen dicken Brei werden durch Filtration die für die Ernährung minderwertigen Stoffe (ganz geringe Mengen von Zucker und Harnstoff) entfernt, während Fett, Cholesterin, Cholesterinester und lezithinartige Bestandteile im Koagulum zurückbleiben. Durch eine mit hohem Druck arbeitende Presse wird letzteres größtenteils vom Wasser befreit, durch ein Sieb gestrichen, auf flachen Schalen in dünner Schicht durch einen nicht über 50" erwärmten Luftstrom getrocknet und endlich zu feinem Mehl vermählen. Dieses hat das Aussehen von Kakaopulver, einen schwachen Geruch und einen wenig ausgesproche- nen mehlartigen Geschmack. Es ist in Wasser unlöslich und leicht verteilbar. Es enthält alle Eiweißstoffe des Blutes in koagulierter Form. Dieses „Blutspeisemehl" läßt sich ohne weiteres mit Roggen verbacken und gibt dem Brot die- selben Vorzüge wie frisches Blut auch. Im Blut- brot nach Block sind 8 — 10 "/o Eiweiß enthalten; das Kriegsbrot enthält davon nur 4 und einige Zehntel Proz. Das gewöhnliche Roggenbrot über- trifft es durch seinen angenehmen Geschmack. Auch bezüglich das Preises befriedigt es; i kg Eiweiß kommt nur auf 38 Pf, während dieses selbst in der wenig geschätzten Stockfischnahrung 90 Pf. kostet. Doch steht hier wieder die dunkle Farbe im Weg. Für deren Beseitigung gibt es nun zwei Mittel: 1. Die Gewinnung des Bluteiweißes nur aus dem körperchenfreien Serum. 2. Die Entfärbung des Gesamtblutes durch chemische Mittel. Aber im ersten Fall wäre die Ausbeute an Eiweiß zu gering; für i kg Eiweiß wäre das Blut von 2^3 Rindern oder 10 Hammeln oder 17 Käl- bern erforderlich. Man kann das Blutspeisemehl zwar zu Marmeladen, Konditorwaren und Schoko- lade hinzufügen. Wäre es farblos, so könnte man damit auch das viel teuerere Eieralbumin ersetzen. Bis zurzeit ist dies indessen nicht möglich ge- wesen. Jedoch gelingt es durch Koagulation frischen Serums ein für Ernährungszwecke ge- eignetes trockenes Präparat von grauweißer Farbe herzustellen. Dasselbe ist geeignet gleich dem Kasein, dem Träger des Eiweißes der Magermilch, den verschiedensten Speisen, Teig, Backwaren und dem Brot zugesetzt zu werden. H. hat Brot mit einem Zusatz von solchem Trockenserum backen lassen ; dasselbe weist den hohen Eiweißgehalt von 9,3 "/„ auf und unterscheidet sich vom ge- wöhnlichen Brot nicht in Farbe und Geschmack. Jedoch ist, wie gesagt, bei der Herstellung von Serumeiweiß die Ausbeute zu gering; es mußte deshalb die Entfärbung von Präparaten versucht werden , welche aus dem Gesamtblut hergestellt wurden. Sie gelang Salkowski mit Wasser- stoffsuperoxyd oder Alkaliperoxyd oder Persulfat. Mit dem Hund angestellte physiologische Ver- suche verliefen indes derart unbefriedigend , daß S. glaubt, das entfärbte Bluteiweiß könnte nicht als Fleischersatz dienen; der Eiweißgehalt werde nur zu 80,29 "/o ausgenutzt und der Kot enthielt noch eine große Menge Stickstoff, 10,74 "j^. H. meint indes, pflanzliche Nahrungsmittel würden auf ihren Eiweißgehalt oft noch schlechter aus- genutzt, ohne daß es darum jemand einfiele, die Eiweißzufuhr, durch sie z. B. im Roggenbrot, deshalb für unzweckmäßig zu erklären. H. fand einen Weg, bereits koaguliertes, selbst getrocknetes Blut zu entfärben. Sein Blutspeise- mehl erinnert im Geschmack sehr an geröstetes Mehl, hat einen schwachen Geruch und löst sich in Wasser und schwachen Säuren , dagegen nur langsam in Alkali. Es zeigt die typischen Eiweiß- reaktionen. Ein Anhaltspunkt dafür, daß es schlecht verdaut wird, liegt nicht vor. Bemerkens- wert ist seine große Sterilität. Während koagu- liertes Blut in offenen Gefäßen nach wenigen Tagen in Fäulnis übergeht, blieb das Präparat 8 — 10 Tage unverändert und zeigte dann erst vereinzelte Schimmelkolonien. H. glaubt, daß die Entfärbung höchst wahr- scheinlich auf einer Oxydation des Hämatins be- ruhe. Während er so für die Haltbarkeit seines „Sanol" eintritt, äußert er sich bezüglich des Nährwertes desselben und der Ausnutzbarkeit mehr reserviert, weil darüber zurzeit noch keine Versuche vorlägen. Ebenso läßt er es dahingestellt, ob die Amine des Fleisches und der Hülsenfrüchte im koagulierten Blut erhalten sind. (U.C.) Kathariner. Der Fadenzieher. Eine weiteren Kreisen, ins- besondere aber vielen Bäckern schon seit langem bekannte Erscheinung ist das sog. „fadenziehende Brot", eine Krankheit des Brotes, die man gerade im Hochsommer vielfach findet, wenn längere Zeit eine größere Hitze andauert oder nach kühlen Tagen überraschend schnell starke Erwärmung 698 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 44 eintritt. Seinen Namen hat diese Erscheinung der klebrig zähen P"äden wegen erhalten, die sich beim Schneiden oder Brechen eines solchen Ge- bäckes bilden. Ganz besonders zeichnet sich ein derartiges Brot durch einen anfangs zwar aroma- tischobstartigen, allmählich aber dann üblen, ja ekelerregenden Geruch aus, der es zum Genuß unbrauchbar macht. Die Vermutung, daß es sich hier wie so oft bei ähnlichen derartigen Erschei- nungen um Mikroorganismen handelt, wurde durch experimentelle Untersuchungen bestätigt. Dr. M. P. Neu mann, Direktor der Versuchsanstalt für Getreideverarbeitung zu Berlin, hat sich in der von der Leitung der Anstalt herausgegebenen „Zeitschrift für das gesamte Getreidewesen" aus- führlich in längeren Arbeiten über die Entstehung der Infektion, Wachstum und Lebensbedingungen dieser Bakterien usw. verbreitet. Zunächst hatte man die Hefe in Verdacht, der Urheber und Träger der Infektion zu sein, da man gerade beim Hefebrot den Fadenzieher am meisten vorfand. Doch konmit nach eingehenden Untersuchungen die Hefe als Träger der Infektion nicht in Betracht. Vielmehr ist der Fadenzieher(Bac.mesentericus) neben anderen Bakterienarten, die man mit dem Sammelnamen Heu- oder KartofFelbazillen bezeichnet, bereits im Mehl vorhanden, übersteht den Backprozeß und kann seine Zersetzungstätigkeit gerade im Sommer — zwischen 30" und 40° liegt die für seine schnelle Entwicklung günstigste Temperatur — beginnen. Dazu kommt noch , daß er gerade Kartofifelerzeugnisse (und Reismehl), in der jetzigen Kriegszeit nicht nur Backhilfsmittel, sondern den Bundesratsverordnungen gemäß in größerer Menge vorgeschriebene Zutaten bevorzugt. Zwei Mittel und Wege empfiehlt Neu mann insbesondere zur Bekämpfung der Krankheit: Einmal richtige Lagerung des Mehls, d. h. kühle und luftige Auf- bewahrung, und zweitens als wichtigstes Mittel: Säuerung des Teiges bei der Verarbeitung, denn durch Untersuchungen mit saurem Nähr- boden wurde die große Säureempfindlichkeit dieser Organismen festgestellt. Recht zu beachten ist dabei jedoch, daß unsere Kriegsmehle infolge des hohen Ausmahlungsgrades an sich schon stark säuern, und zu saures Brot als nicht bekömmlich mit Recht zurückgewiesen wird und zu verwerfen ist. Um diesem Übelstand abzuhelfen, wird der Zusatz von saurer Milch zum Hefeteig oder die Verwendung von saurem Diamalt empfohlen, da- gegen ist der Zusatz von Essig zum Teig weniger zweckmäßig, überhaupt eine Übertreibung der Säuerung aus Furcht vor dem Auftreten des Fadenziehers möglichst zu vermeiden. Dr. Georg Stadler. Einzelberichte. Botanik. Eine eigenartige Pflanzenkrankheit, eigenartig in ihrer Ätiologie, ihrem pathologisch- anatomischen Befunde und ihrer Erblichkeit hat C. Correns (Jahrb. f. wissenschaftl. Botanik, 56. Bd. S. 585 1915) in seinen Kulturen der Wunder- blume, Mirabilis Jalapa, beobachtet, wo sie an zwei unabhängigen Stellen auftauchte. Die kranken Individuen entwickeln sich zunächst ganz normal, bekommen aber dann in einem gewissen Ent- wicklungsstadium an den Blättern kleine bräun- liche Flecken, die sich ausbreiten und zu größeren etwas einsinkenden F'lecken vereinigen können. Sie treten nur an der Oberseite der Blätter auf, zunächst an den älteren, wo sie sich von der Blattspitze aus nach dem Grunde ausbreiten; später greift auch die Krankheit auf die jüngeren und jüngsten Blättchen über, so daß die ganze Pflanze ein mißfarbenes schmutziges Aussehen erhält '), bleibt aber streng auf die Blätter be- schränkt. Die Pflanzen sind kleiner und wiegen weniger als die gesunden. Die anatomische Unter- suchung ergab, daß die Krankheitserscheinung ausschließlich auf die Paliiaden lokalisiert ist. Einzelne Palisadenzellen oder ganze Gruppen schrumijfen, sterben ab und färben sich braun; sie werden verdrängt und zusammengedrückt durch angrenzende andere Palisaden, die blasig '■) Daher nennt C. die Krankheit sordago. aufschwellen und schließlich auch ihrerseits ab- sterben können. Ganz merkwürdig ist nun, daß trotz sorgfältigster Untersuchung keine Spur irgend- eines Krankheitserregers (eines Pilzes oder einer Bakterie) nachgewiesen werden konnte. Die Krankheit beruht also auf einer krankhaften Kon- stitution des Palisadenparenchyms. Vererbungs- versuche ergaben, daß sie streng vererbt wird, einerlei vifie die Vegetationsbedingungen sind. Die gesamte Nachkommenschaft eines sordago kranken Exemplars ergibt bei Selbstbestäubung (oder bei vegetativer Vermehrung) ausschließlich kranke Individuen. Wurde eine gesunde Sippe mit einer kranken gekreuzt, so war die erste Generation vollständig gesund, so daß sie von der gesunden Stammsippe nicht zu unterscheiden war. Die folgende Generation spaltete aber ganz typisch nach dem Mendelschen Schema. Die Eigenschaft, welche die krankhafte Konstitution bedingte, war also rezessiv gegenüber dem gesunden Zustand. Die theoretisch äußerst interessante Krankheit ähnelt dem Diabetes oder der Polyurie, die eben- falls, wie man annimmt, Konstitutionskrankheiten sind und sich nach dem Mendel'schcn Schema vererben. Miehe. Winden an horizontaler Stütze. Man kann fast in jedem Lehrbuch der Botanik die Angabe lesen, daß Windepflanzen nur an senkrechten oder N. F. XIV. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 699 schwach geneigten Stützen emporzuklimmen ver- möchten. In dieser allgemeinen Fassung ist die Behauptung schon deshalb nicht zutreffend, als es viele VVindenpflanzen gibt, die ganz sicher an Stangen klettern, die um 45 ja um 30 Grad über den Horizont gehoben sind. Es gibt sogar, wie Mi ehe (Jahrb. f. wissenschaftl. Botanik, 56. Band S. 668 191 5) mitteilt, eine holzige Liane, deren Triebe dauernd an wagerechter Achse entlang- winden. Das ist die aus Japan stammende und bei uns hier und da an Spalieren gezogene Akebia quinata. Sie war allerdings die einzige Pflanze, die aus einer größeren Zahl daraufhin geprüfter diese auffallende Eigenschaft zeigte. Die Tatsache ist nicht ohne Belang, da sie zeigt, daß die An- sicht, der Windeprozeß sei ein geotropisch ge- leiteter Vorgang, in dieser allgemeinen Fassung wahrscheinlich nicht zutrifft. Welches nun aber die lebendigen Eigenschaften, Reizbarkeiten und besonderen äußeren Einwirkungen sind, durch deren Zusammenwirken die spiralige Umschlingung der Stützen zustande kommt, muß einer weiteren reizphysiologischen Analyse des sehr verwickelten Vorganges vorbehalten bleiben, die aber mit der oben erwähnten Tatsache zu rechnen haben wird. Miehe. Lichtreizbarkeit von Purpurbakterien. Thio- spirillum jenense (Ehrenberg's Ophidomönas jenensis) ist eine riesige schwefelführende Purpur- bakterie (Schwefelbakterie) von spiraliger Körper- gestalt und einem Geißelschopf an dem einen Fig. I. Thiospirillum jenense. Vergr. ca. 1500. Kleineres Exemplar. Im Innern Schwefelkugeln (Ehrenberg's ,,Magen- bläschen"). a das geißeltragende Ende eines anderen Exem- plars, stärker vergrößert, mit einer Vakuole im dichteren Plasma; die Geißeln nicht in ihrer ganzen Länge gezeichnet. etwas zugespitzten Ende des Körpers (Fig. i). Einzelne Individuen erscheinen unter dem Mikro- skop bei stärkeren Vergrößerungen fast farblos, in dichteren Ansammlungen aber ist die Farbe prächtig orangebraun. Job. Buder, der den Organismus namentlich in seinem Verhalten zum Licht näher studiert hat, konnte den Geißel- schopf in 4, 5, 6, ja selbst 9 einzelne Geißeln auf- lösen (Fig. 2), doch mochte ihre wirkliche Zahl noch beträchtlich größer sein. Das Geißelende des Bakterienkörpers enthält eine Zone, die von Schwefelkörnchen fast oder ganz frei ist. Kann die Zelle keinen Schwefelwasserstoff mehr von außen aufnehmen, so löst sich der Schwefel vom geißeltragenden Pole her auf; bei reichlicher Zu- fuhr von Schwefelwasserstoff wird der ganze Körper des Thiospirillum mit Schwefelkörnern vollgepfropft, bis schließlich nur ein kleiner Raum in unmittelbarer Nähe der Ansatzstelle der Geißeln frei bleibt. Man kann die an der Meeresküste und in Tümpeln des Binnenlandes auftretenden Spirillen auch nach Winogradsky's Verfahren in Rohkulturen erhalten, die mit Hilfe von Rhizom- stücken und Gips hergestellt werden. Die Thio- spirillen reagieren sehr prompt auf plötzliche Ver- änderungen der Beleuchtungsstärke. Verdunkelt man bei der mikroskopischen Beobachtung das Gesichtsfeld, so kehren wie auf Kommando sämt- liche Exemplare ihre Schwimmrichtung um, wobei das anfängliche Hinterende zum Vorderende wird. In guten Präparaten wird die neue Richtung bei- behalten und wächst so lange, bis irgendein neuer Reiz zu erneuter Umkehr führt. In anderen Fällen schwimmen die Spirillen nur auf einige Sekunden rückwärts; manche halten auch nur einen Augen- blick an. Dazwischen gibt es mannigfache Über- gänge. Die Geißeln befinden sich bei diesen Be- wegungen bald am Vorder-, bald am Hinterende des Körpers. Mit Hilfe äer Dunkelfeldbeleuchtung läßt sich das Verhalten des Geißelapparates ge- nauer verfolgen. Er schwingt, wenn er das Hinterende einnimmt, derart, daß er einen Raum einschließt, wie er in Fig. 3 a — d durch die Schraffierung angedeutet ist. Geht der Geißel- schopf dagegen bei der Bewegung voran, so ist er über den Körper nach hinten zurückgebogen (Fig. 3 , e u. f ). Der Geißelschopf bildet eine kurze Schraubenwindung (Fig. 1), die rechtsläufig im Sinne der Botaniker ist, während der Körper in entgegengesetzter Richtung gewunden ist. Die rechtsläufige Geißelschraube rotiert von rechts nach links. Dem Büt schli'schen Schema ge- mäß wird dabei der Körper durch die am Hinter- ende befindliche Geißel wie durch einen Propeller vorwärts getrieben und zugleich in Drehung ver- setzt, die aber in umgekehrter Richtung als die Rotation der Geißel erfolgt, d. h. von links nach rechts. Es hat also seinen guten Grund, daß die Windung der Körperspirale der der Geißelspirale entgegengesetzt gerichtet ist. Trifft ein Lichtreiz (Verdunkelung) den in dieser Weise sich vorwärts schraubenden Organismus, so schlägt sich der Geißelschopf um, ähnlich wie ein Regenschirm „überschnappt", und das Thiospirillum bewegt sich rückwärts. Der Windungssinn wird durch das „Überschnappen" nicht geändert. Ein neuer Lichtreiz ruft ein erneutes „Überschnappen" des „Regenschirms" und eine neue Umkehr der Be- wegungsrichtung hervor. Schon Bütschli hat die I'"ähigkeit des Thiospirillum, mit annähernd gleicher Leichtigkeit vor- wie rückwärts zu schwim- •joo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 44 men, hervorgehoben. Der Lichtreiz kann bei ge- wöhnlicher Beleuchtung schon dadurch hervor- gerufen werden, daß man die infraroten Strahlen des Lichtes durch Einschiebung einer zwei Finger dicken Schicht von Eisensulfatlösung, die vom sichtbaren Spektrum nur unwesentliche Teile schwächt, ausschaltet. Bei den hohen Beleuchtungs- intensitäten der Dunkelfeldbeleuchtung indessen bleibt die Reaktion , wenn gewisse starke Licht- quellen zur Anwendung kommen, aus; von be- stimmten Lichtintensitäten an reagiert Thiospiril- lum nämlich nicht mehr auf eine Verringerung der Fig. 2. Geißelsystem von Thiospirillum, nach ruhenden Exemplaren im Dunkelfelde gezeichnet. d e Fig. 3. Schwingungsraum der tätigen Geißel von Thiospirillum. Siehe den Text. Fig. 4. Ein Thiospirillum in der Lichtfalle, das sich in de Lichtstreifen ticstäiidig hin- und herbewegt. Bestrahlungsstärke, sondern nur auf weitere Er- höhung. In solchen h'ällen erfolgen dann die Reaktionsbewegungen nicht inehr beim Einschalten, sondern beim Ausschalten der Eisensulfatlösung aus dem Strahlengange. Entsprechendes gilt auch für die gewöhnliche Verminderung und Erhöhung der Beleuchtungsstärke. Beim Herabgehen von 20 auf 10 MK trat z. B. in einem Falle bei allen Exemplaren die Umkehr der Bewegung ein, die dagegen ausblieb, als statt dessen der Sprung von 10 auf 20 MK herbeigeführt wurde. Nahm man aber eine Beleuchtungsstärke von looo MK, so erfolgte die L'mkehr nicht, wenn sie auf 500 MK herabgesetzt, sondern wenn sie auf 2000 MK er- höht wurde. Oft reichten in des Verf Versuchen schon kleine Sprünge aus, um die Reaktion her- beizuführen, z. B. eine Verminderung der Beleuch- tungsstärke von 20 MK auf 18 MK, während bei der gleichen prozentualen Herabsetzung von 200 auf 180 MK keine Reaktion eintrat, sondern ein Herabgehen auf 150 MK nötig war, um die Um- kehr der Bewegung bei etwa der Hälfte der Exem- plare zu erzielen. Das Weber' sehe Gesetz für Unterschiedsempfindlich- keiten scheint hiernach innerhalb des verglichenen Bereiches keine Gültig- keit zu haben. Die Ver- dunkelung muß im allge- meinen sehr rasch erfol- gen , doch konnten z. B. beim Übergange von lOO MK auf 20 MK 2—3 Sekunden vergehen, wäh- rend deren die Helligkeit all- mählich und stetig abnahm. Die Beleuchtungsänderung muß ferner eine bestimmte Dauer haben, um wirksam zu sein; sehr weitgehende \'erdunkelun- gen von beispielsweise nur ^/, 0 oder ^/2o Sekunde Dauer führten nicht zur Reaktion. Wiederholt man aber solche kurzdauernde Verdunkelungen in geringen Abständen, so summieren sie sich und führen schließlich zu einem Reizerfolge. In einer sog. Lichtfalle, d. h. einem hellen beleuchteten Fleck im Prä- parat, den Verf in rechteckiger Form her- stellte (Fig. 4), ließ sich die Wirkung der Verdunkelung schön beobachten. Kam ein Thiospirilluin, dessen Bahn den Lichtstreifen nahezn senkrecht durchquerte, aus der Dtinkelheit geschwommen, so trat es ohne jede Störung in den Licht- streifen ein, durchschwamm ihn und tauchte in den jenseitigen Schatten, änderte aber nun sofort die Bewegungsrichtung und schraubte sich zurück, um den Rand an der gleichen Stelle zu erreichen, an der es zum ersten Male aus der Dunkelheil heraustrat. An geeigneten Präparaten lassen sich leicht etwa 5oHin- und Herfahrten beobachten. Die auf das Verhalten mancher anderer Organismen zutreffende Bezeich- nung „Schreckbewegung" hält Verf für die Rück- kehrbewegung des Thiospirillum für ebenso wenig gerechtfertigt ,,als für eine Lokomotive, die mit umgeschalteter Kuppel ting rückwärts fährt". Geht bei der Bewegung das Geißelende voran, so braucht die Grenzlinie der Lichtfalle nur wenig N. F. XIV. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 701 überschritten zu werden, damit die Reaktion ein- tritt; im umgekehrten Falle aber taucht meist der ganze Körper in den Schatten, ehe die Rückkehr beginnt. Subtil ausgeführte Versuche, in denen der Lichtraum den Bewegungen der Spirillen an- gepaßt wurde, ergaben, daß es zur Reizauslösung allgemein genügte, wenn ein verhältnismäßig kleines Körperstück, das den Geißelapparat trägt, auf kurze Zeit verdunkelt wurde, während eine viel längere Beschattung des entgegengesetzten Pol- endes bis etwa zu -'/g des Körpers keine Umkehr der Bewegung zur Folge hatte. Hieraus läßt sich zunächst auf eine Lokalisalion der Empfindlichkeit in dem der Geißel zunächst gelegenen Körper- teil schließen, der ja auch morphologisch durch größere Zuspitzung und Schwefelfreiheit gekenn- zeichnet ist. Doch führt Verf. aus, daß zur Sicher- siellung dieses Schlusses weitere Versuche not- wendig seien. Jedenfalls haben Buder's Unter- suchungen das Vorhandensein nicht nur einer morphologischen, sondern auch einer physiologi- schen Polarität bei Thiospirillum ergeben, während bisher polare Differenzierungen am Bakterienkörper hauptsächlich nur als einseitige Ausbildung der Geißeln oder einseitige Lage der Sporen näher bekannt waren (Jahrbücher für wissenschaftliche Botanik Bd. 56, 1915, S. 530 -584). F. Moewes. Geographie. In der Morphologie der Erd- oberfläche gehen drei Methoden der Problem- behandlung einander parallel; das theoretische Durchdenken eines angenommenen einfachen Bei- spiels, die deduktive Methode von Davis, zweitens das vergleichende Studium der Karte, wie es Oskar Peschel in der Geographie eingeführt hat, drittens die Beobachtung der Okjekte in der Natur selbst. Alle drei Methoden müssen sich ergänzen, um das Ganze des Problems zu erfassen und der Lösung näher zu bringen. Bei der Behandlung der Formen der Tief- landsflüsse sind alle drei Methoden oft angewandt worden ; doch ist die Theorie bisher nicht um- fassend genug durchgeführt worden. W. B e h r - mann versucht nun eine kurze Anlage einer solchen Theorie an der Hand von Beobachtungen, die ihm seine zweijährige Reise auf den lief- landsströmen Deutsch-Neu-Guineas gegeben hat (Geogr. Ztschr. 191 5. H. 8). Die Tieflandsstrecke des Flusses, der Unter- lauf, steht in großer Abhängigkeit vom Oberlauf, von den Wasserbehältern der Gebirge, die den Fluß ernähren. Der Oberlauf ist das Gebiet vorwiegender Tiefenerosion; es gibt dem Flusse seine Sedimente, die er im Unterlauf ablagert. Eine andere Gruppe von Formelementen erhält die Tieflandsstrecke des Flusses durch die all- gemeine Erosionsbasis des Meeres, sie wirkt entweder gleichmäßig oder hemmend bzw. beschleu- nigend beim Eintritt der Gezeiten. Das Meer ist das Ende der aufschüttenden Tätigkeit, es wirkt durch Küstenströmungen modifizierend auf die Mündung. Drei Gebiete heben sich in der Tieflandsstrecke der Flüsse deutlich voneinander heraus; das Gebiet der Akkumulation, der Verwilderung des P"lusses, das Gebiet der Seitenerosion, der Mäander, und das Gebiet der Stagnation, der Flußspaltungen. Diese Teilung beruht darauf, daß sich die Einwirkungen der Grenzen in der Nähe des Oberlaufes und der Mündung zeigen. Das Gebiet der Verwilderung oder Aufschüttung ist dadurch gekennzeichnet, daß die Wasserführung des Flusses schwankt, ebenso wie die Sedimentführung. Die äußere Form des P'lusses ist durch das Hochwasserbett bestimmt. In diesem arbeitet der P'luß nicht mehr im an- stehenden Gestein, sondern in der Anschwem- mungsfläche; die Sedimente bilden langgestreckte Sandbänke in Richtung des Flußlaufes. Nach dem Abfluß des Hochwassers irrt der Fluß ver- wildert zwischen den Bänken hin und her; es erfolgt der Übergang in das Gebiet der Mäander. Sie sind durch die regelmäßige Ausgestaltung durch die normalen Flüsse bedingt und schon oft der strengeren theoretischen Behandlung unter- worfen worden ; so vor allem die wichtige P'rage der Abhängigkeit der Mäandergröße von der nomalen Wassermenge. Eine andere Er- scheinung, das Abwärtswandern der Mäander, hat bisher noch keine genügende Erklärung ge- funden. Die Zentrifugalkraft, die die zuerst er- wähnte Abhängigkeit gemäß dem Gesetze von der lebendigen Kraft erklärt, kann für diese Er- scheinung nicht mehr in Anspruch genommen werden. Wir können vom Vorgange des Fließens nicht absehen und dürfen uns nicht auf die Vor- stellung eines sich im Stromstrich bewegenden Massenpunktes beschränken. Bei einer Biegung des Bettes kommen noch andere Kräfte in Frage. Es entstehen nach den Gesetzen der Hydro- dynamik Quellenfelder und Wirbelfelder, die zu Quellwirbeln an der konvexen, zu Saug- wirbeln an der konkaven Seite einer Flußbiegung führen. Der Stromstrich liegt also bei den Win- dungen an einer anderen Stelle, als die Zentri- fugalkraft allein angibt. Wir haben vielmehr eine erzwungene Bewegung vor uns, die infolge der Wirbelbewegung zustande kommt. Der wirkliche Anprall liegt unterhalb der Stelle des theoretischen aus der Zentrifugalkraft allein ge- folgerten Anpralles. Im Gebiet der Mäander ist das Hochwasser nicht mehr talbildend, sondern dammbildend. Die Schicht der stärksten Erosion ist die Grenz- schicht zwischen Wasser und Luft. Infolge der breiten Überschwemmung ist aber das ganze Fluß- bett unter Wasser gesetzt und der Einwirkung dieser Schicht entzogen. Behrmann beobach- tete oft nach Ablauf des Hochwassers lange, Strich- dünen ähnliche, Schlick- und Laubanhäufungen senkrecht zum Flußufer, die zusammengewachsen den natürlichen Flußdamm bilden. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 44 Für die Seltenerosion wichtiger ist die Zeit des Niedrigwassers; in dieser bilden die seitlich des Flusses abgeschnürten Hochwasserreste Seen und Tümpel. Dort, wo das Grundwasser austritt, bilden sich Ausquellungen des Erdreiches; es fallen Erdschollen in den Fluß und es entstehen Abbruche. Durch Üftnungen im Flußdamm fließt das übergetretene Wasser dem Mauptfluß zu; es erweitert die Öffnungen und bildet Flußabkürzungen, die an dem geradlinigen Verbindungsstück zweier Strombiegungen einsetzen und zur Entstehung der Alt Wässer führen. Diese Entwicklung konnte von B e h r m a n n in Neu- Guinea durch alle Zwischen- stadien verfolgt werden. Durch die Dammbildung erhöht sich der Fluß über die umgebende Fläche. Ist die Sohle selbst über die Ebene erhaben, so führt dies zu Fluß- spaltungen, zur Deltabildung. Zwischen beide Zonen schiebt sich eine Zone ein, in der der Fluß ziemlich geradlinig verläuft. Wenn dem Flusse die Geschwindigkeit zur Mäanderbildung fehlt, so bildet er Stromspallungen; unzählige Inseln und seilliche Arme begleiten den Haupifluß. Sand- bänke bilden sich auch hier infolge der Stagna- tion des Wassers. So ähneln sich also die Formen beim Eintritt des Tieflandflusses in die Ebene und bei seiner IVIündung; dazwischen liegt das Gebiet der IVIäander. Dr. G. Hornig. Geologie. Über „Das Alter des Lausitzer Granitits und der Diabase" berichtet C. Gagel in ,,Geologische Notizen aus der Lausitz im Centralblatt für Mineralogie, Geologie und Paläontologie No. 4 191 5 S. 113 — 118. In Deutschland haben sich verschiedene Granitvor- kommen einwandfrei als postculmisch, also jünger als das Unterkarbon ^Culm erwiesen. Es konnte jeweils wie z. B. am Hennberg bei Lehesten im Frankenwald nachgewiesen werden, daß die Dach- schiefer des Culms durch das erstarrende Magma des Granits kontaktmetamorph verändert wurden, indem die Wärme und der hohe Druck des langsam in der Tiefe erstarrenden Granits den typi- schen Dachschiefer in Knötchenscliiefcr, Chiasto- hthschiefer und am direkten Kontakt in Hornfels umwandelte. Andererseits tritt uns der Granit in Form von Rollstücken in Rot liegendkonglomeraten entgegen. Der Granit muß somit in der Ober- karbonzeit aufgedrungen sein, zur Zeit wohl, als eine intensive Gebirgsfaltung die karbonischen oder varistischen Gebirge auftürmte. Überaus prächtige und lehrreiche Profile dieser Art sind zurzeit in den großen Grauwacken- steinbrüchen des Culms von Ossling-Scheckthal i. S. südlich Hoyerswerda in der Nieder Lausitz aufgeschlossen. Durch einen intensiven Faltungs- prozeß sind die quarzilischen Grauwacken steil aufgerichtet und transversal geschiefert. Von ganz besonderem Interesse ist es, daß diese steil- gestellten Grauwacken durch meist horizontale Apophysen (Adern) des Lausitzer Granitits (Granit mit nur dunklem Glimmer) quer durchsetzt werden. Man hat also hier ganz augenscheinlich den Be- weis, daß die Intrusion des Lausitzer Granitits nicht nur postculmisch ist, sondern es kann wohl auch behauptet werden, daß die Intrusion des Granitits erst nach der Aufrichtung, Faltung und Schieferung des Culms erfolgt sei. In denselben Brüchen, noch besser aber in den Grauwackenbrüchen des Koschenbergs bei Senftenberg sind mächtige Diabasintrusionen zu beobachten, die ebenfalls postculmisch sind, da sie die culmische Grauwacke aufs deutlichste meta- morphosierten. Es sind also keine altpaläozoischen Diabase, sonden Mesodiabase. V. Hohenstein, Halle a. S. Von großer wirtschaftlicher Bedeutung sind die Erdölvorkommen auf dem Kriegsschauplatz der türkisch-persischen Grenze, über die F. Frech in der Geogr. Zeitschr. 1915, H. 9 nähere Mit- teilungen macht. Die Erdölquellen im Bereiche des unteren Tigris sind seit alter Zeit bekannt. Schon der Zarathustrakult der Anbetung des reinen Feuers muß auf sie zurückgeführt werden. Ältere und neuere Kulturstätten haben sich an diese Gasquellen geheftet, die Hauptstädte der Arsakiden- und Sassanidenreiche. Es sind vor allem zwei Gebiete, die besonders wichtig sind: i. das südliche Gebiet von Ach was im persischen Chusistan und 2. das in der Mitte der türkisch-persischen Grenze gelegene Revier von Kasr-i-Schirin an der Straße Bagdad- Teheran, an der alten Straße von Babylonien nach dem hochgelegenen Medien mit der Hauptstadt Ek- batana. Das Erdöl bei Kasr-i- Schirin kommt in einer 160 km langen Zone miozäner Mergel und Kalke zutage und wird in zisternenartigen Brunnen von 5 — 8 m Tiefe gewonnen, bei Kerkuk auf tür- kischem Gebiet, sogar in frei zutage ausgehenden Quellen. Alle diese Ölfelder sind geologisch ein Teil des sü d persisch en Faltungssys tem s; sie entspringen aus geringer Tiefe oder oberfläch- lich in einer Zone, deren Umfang noch nicht er- schlossen ist. Sie gehören zu den reichsten der Welt; beträgt doch die Längserstreckung des Ge- bietes über 400 km. Der Transport geschieht durch Röhrenleitung oder durch die Bagdadbahn, die in Zukunft das Ölfeld in Gajara längs durch- schneiden wird. Das ersterwähnte Erdölgebiet von Ach was liegt am Karunflusse in der an Nieder-Mesopo- tamien angrenzenden persischen Provinz Chusistan. Bei Achwas setzen die Sandsteinklippen der Vor- ketten des Djebel Hamun durch den F"luß; sie streichen in 85 " in der Normalrichtung der Gebirgszüge, ihr Fallen ist nach N gerichtet. Auch diese Schichten gehören dem jüngeren Tertiär an. Dieses von englischen Gesellschaften bisher ausgebeutete Gebiet ist im Mai von den Türken besetzt worden. Die Quellen liegen im Bereiche des persischen Golfes. Sie werden durch die Bahn Mohammera-Achwas-Disful erschlossen, die im Jahre 1914 begonnen wurde und an der eine größere N. F. XIV. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 703 Zahl von Bohrtürmen errichtet worden ist. Für dieses Vorkommen von großer Bedeutung. (G. C.) die Versorgung einer Flotte im persischen Golfe ist Dr. G. Hornig. Bücherbesprechungen. Victor Samter f, Physikalische Chemie und Patentrecht. Aus den Nachlaß heraus- gegeben von Prof. Dr. H. Groß mann. Aus der Ahrens-Herz'schen „Sammlung chemischer und chemisch - technischer Vorträge, Bd. 21, Heft 12. 17 Seiten gr. 8". Verlag von Ferdi- nand Enke, Stuttgart 1915. Einzelpreis 1,50 M. In der vorliegenden kleinen Schrift behandelt der Verf., ein Ende des vergangenen Jahres bei den Kämpfen im Osten gefallener Berliner Patent- anwalt, den Einfluß, den die Entwicklung der physikalischen Chemie auf die Begriffsbildung im Patentrecht auszuüben vermag, und zwar be- spricht er insbesondere die F'rage nach der Patentierbarkeit von Stoffen, der Patentierbarkeit von allgemeinen naturwissenschaftlichen Regeln und Gesetzen und ihrer Anwendung auf konkrete Elinzelfälle und schließlich die Frage, ob etwa eine neu aufgefundene Energieform patentierbar sei. Allen denen, die an der weiteren Entwicklung des Patentrechts Interesse haben, kann die kleine Schrift als anregende Lektüre empfohlen werden. Berlin-Lichterfelde W. 3. Werner Mecklenburg. Hansen, Prof. Dr. Adolf, Die Pflanze. Mit 33 Abbildungen. Sammlung Göschen, 191 5. In sehr geschickter Weise wird einem weiteren Leserkreis in einer Reihe von lose aneinander ge- reihten Aufsätzen die Pflanze als lebendiger Orga- nismus dargestellt. Besonders die Kapitel über die ,, Gesetze der Gewebebildung" und ,, Scheitel- zellen, Vegetationspunkte und Verzweigung", die sich also mit einem Stoffgebiet beschäftigen, das wegen seiner „Trockenheit" in populären Schriften selten behandelt wird, sind sehr beachtenswert. Man erkennt daraus, daß sich für eine Populari- sierung jedes F'orschungsgebiet eignet, wenn es nur richtig angefaßt wird. Sehr zu begrüßen ist, daß neben Goethe auch einmal Schopen- hauer als Naturforscher gewürdigt wird. — Das Verhältnis Goe the's zur modernen Morphologie scheint mir nicht ganz ins richtige Licht gestellt zu sein. Der Leser kann leicht den Eindruck erhalten, als ob die Goethe' sehe Metamorphosen- lehre durch die experimentelle Morphologie ge- wissermaßen bestätigt würde. WieGoebel aber in seiner vergleichenden Entwicklungsgeschichte überzeugend nachgewiesen hat, besteht doch wohl ein prinzipieller Unterschied zwischen der „idea- listischen Metamorphosenlehre" Goe the's und Alexander Braun's und derjenigen Meta- morphosenlehre, die sich auf entwicklungsgeschicht- liche und experimentelle Untersuchungen stützt. — Was Schopenhauer anbetrifft, so hebt der Verf. mit Recht dessen klare Definition der Reiz- erscheinungen hervor; um so merkwürdiger be- rührt darum die ablehnende Haltung Hansen's gegen die moderne Auffassung der Reizperzep- tionsorgane als „Sinnesorgane". Gerade mit Hilfe der .Schopenhau er 'sehen Willenstheorie läßt sich die scheinbare Kluft zwischen „Irritabilität" der Pflanzen und „Sensibilität" der Tiere sehr leicht überbrücken. — Ganz unverständlich ist dem Referenten, daß der Verfasser behauptet, Schopenhauer weise die Annahme einer Lebenskraft bei den Pflanzen zurück, und der ,, Wille" hätte nichts mit der Lebenskraft zu tun. Man mag zum Vitalismus stehen, wie man will, Schopenhauer hat jedenfalls den Leugnern der Lebenskraft drastisch genug zu verstehen ge- geben, was er von ihnen hält. — Ein paar Sätze rein sachlichen Inhalts mögen hier Schopen- hau er's Ansicht zur Geltung bringen: „Die Lebenskraft ist geradezu identisch mit dem Willen, so daß was im Selbstbewußtsein als Wille auf- tritt, im bewußtlosen, organischen Leben jenes primum mobile desselben ist, welches sehr passend als Lebenskraft bezeichnet worden." (Zur Philo- sophie und Wissenschaft der Natur. Parerga und Paralipomena. Reclam'sche Ausgabe Band V, S. 178.) ,, Zunächst nun also ist die Lebenskraft identisch mit dem Willen." (Die Welt als Wille und Vorstellung. Recl. Ausgabe Bd. 11, S. 346.) , und die Lebenskraft der Pflanzen ist, wie die der Tiere, der Ermüdung und Erschöpfung unterworfen." (Über den Willen in der Natur, Reclam'sche Ausgabe Bd. iii, S. 258.) Wächter. Migula , Prof. Dr. W^. , Pflanzen biologie. II. Blütenbiologie. Mit 28 Figuren. 3. verb. und verm. Aufl. Sammlung Göschen, 1914. Daß ein Buch, wie das vorliegende in dritter Auflage erscheinen konnte, ist ein Beweis dafür, daß das von Sprengel „entdeckte Geheimnis der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen" seine alte Zugkraft immer noch nicht verloren hat. Die Frage nach dem Zweck des Naturgeschehens liegt dem Laien immer näher als die PVage nach der Ursache einer Erscheinung; trotzdem wäre es wünschenswert, wenn bei einer neuen Auflage des leicht lesbaren Buches wenig- stens angedeutet würde, daß z. B. das Offnen und Schließen der Blüten auch anders betrachtet wer- den kann, als lediglich ,, blütenbiologisch". Durch den Hinweis auf experimentell gewonnene phy- siologische Tatsachen in populären Schriften teleo- logischer Tendenz dürfte manche vom Verf sicher nicht gewollte phantasievolle oder ,, poetische" Betrachtung der Lebensvorgänge auf eine schein- bar etwas nüchterne, aber richtige Bahn gelenkt werden. — Da bei dem geringen Umfang des 704 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 44 Bändchens nur eine „Auswahl der interessantesten Erscheinungen aus dem Gebiete der Blütenbiologie" gegeben werden konnte, so wäre ein Literatur- verzeichnis umfangreicherer Werke manchem Leser gewiß erwünscht gewesen. Wächter. Klebahn, Prof. Dr. H., Die Algen, Moose und Farnpflanzen. Mit 35 Figurentafeln. Sammlung Göschen, 1914. Nach einer Einleitung allgemeinen Inhalts über die zu besprechenden Pflanzengruppen werden nacheinander die Algen (einschließlich der Cyano- phyceen), Moose und Farnpflanzen in systemati- scher und morphologischer Hinsicht beschrieben, und die Beschreibungen durch viele Abbildungen erläutert. Als Leitfaden bei Vorlesungen oder als Repetitorium wird das Buch recht nützlich sein; zum Gebrauch für Laien oder Anfänger werden zuviel allgemeine Kenntnisse vorausgesetzt. Die als Tafeln bezeichneten Textabbildungen würden sehr gewinnen, wenn sie wirkliche Tafeln wären, also den Raum einer vollen Seite einnehmen würden. Da das Buch offenbar nicht für Laien geschrieben ist , so wirkt es nicht allzu störend, daß auf die Angabe von Vergrößerungen bei den Abbildungen kein Wert gelegt wird. Wächter. Sieger, R., Die geographischen Grund- lagen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und ihrer Außenpolitik. Leipzig, Teubner, 1914. — Preis geh. i M. Die Arbeit, die als politisch -geographi- sche Studie zuerst in der Geographischen Zeit- schrift veröffentlicht worden ist, stellt in den Vordergrund die Frage nach der geographischen Einheit der Österreich-Ungarischen Monarchie; sie wird in vollem Umfange bejaht. Wenn das Reich auch eine große Mannigfaltigkeit im einzel- nen besitzt, so ist doch die Vereinigung nament- lich der eigentlichen „Kernländer" und damit die Entstehung der Monarchie das Ergebnis einer ge- schichtlichen Entwicklung auf geographischer Grundlage. Die Geschlossenheit des Reiches wird nach Sieger 's Auffassung durch die Hinzufügung der verschiedenen ,, Randländer" keineswegs ver- schlechtert. — Der Hauptteil der Arbeit beschäf- tigt sich sodann mit der ikdeutung der verschie- denen geographischen I'^aktoren (Lage, völkische Gliederung usw.) für die inner- und außerpoliti- schen sowie die kulturellen Verhältnisse des Reiches, um daran zu prüfen , ob die Monarchie auch unter den gegenwärtigen Verhältnissen lebensfähig erscheint. Nach Sieger sind es namentlich innere Momente , die während des letzten Jahrzehnts die Erhaltung des Gemein- gefühls in der Monarchie gefördert haben, aber ihrerseits durchaus in der geographischen Ge- schlossenheit des Reiches begründet sind. — Man mag sich zu den Ausführungen im ein- zelnen, namentlich soweit sie (was sich eben nicht vermeiden ließ) mehr politischer als wissenschaft- licher Natur sind, stellen wie man will — sicher- lich wird die Arbeit nicht nur das methodische Interesse des Fachgeographen fesseln, sondern verdient auch, namentlich in der gegenwärtigen Zeit, in weiteren Kreisen bekannt zu werden. Denn auch der Nichtkenner Österreich-Ungarns gewinnt hier einen Einblick in die zum Teil außerordentlich verwickelten Verhältnisse unserer Nachbarmonarchie und ein Verständnis für so manche wichtige Tagesfrage. Dr. E. Wunderlich. Literatur. Die natürlichen Pflanzenfamilien etc. Ergänzungsheft III. Lieferung I — 3 bearbeitet von Dr. R. Pilger und Dr. K. Krause. Leipzig und Berlin '15, W. Engelmann. Jedes Heft Einzelpreis b M. Beiträge zur Kenntnis der Meeresfauna Westafrikas. Her- ausgegeben von W. Micbaelsen. Lief. 3: W. Michaelsen, Tunicata, mit 4 Tafeln und 4 Textabbildungen. Hamburg '15, L. Friederichsen & Co. 18 M. Beiträge zur Kryptogamer.flora der Schweiz. Band V, Heft I : Die schweizerischen Protomycetaceen mit besonderer Berücksichtigung ihrer Entwicklungsgeschichte und Biologie von Günther von Büren. Bern '15, K. J. Wyß. 8 M. Mchling, Elsa, Über die gynandromorphen Bienen des Eugster'schcn Stockes. Würzburg '15, C. Kabitzsch. 6 M. Heinersdorff, Pastor emer. K., Wörterbuch für Ver- steinerUDgssamniler. Elberfeld '15, A. Martini & Grüttesten. Heimstädt, O. , Apparate und Arbeitsmethoden der Ultramikroskopie und Dunkelfeldbeleuchtung mit besonderer Berücksichtigung der Spiegelkondensoren. Mit 71 Abbildungen. Aus ,, Handbuch der mikroskopischen Technik herausgegeben von der Redaktion des Mikrokosmos". Stuttgart '15, Franckh- sehe Verlagshandlung. 2, So M. Rabenhorst's Kryptogamenflora. 6. Band : Die Leber- moose, bearbeitet von Dr. Karl Müller. 23. Lieferung. Leip- zig '15, E. Kummer. Kippenberger, Prof. Dr. C. , Werden und Vergehen auf der Erde im Rahmen chemischer Umwandlungen. Für Studierende aller Fakultäten und gebildete Laien. Mit 26 Ab- bildungen. Bonn '15, A.Marcus und E. Weber's Verlag. Geb. 4,20 M. Ortleppi K. , Monographie der Füllungserscheinungen bei Tulpenblüten, nebst einem Anhang über die Kultur und das Treiben gefüllter Tulpen. Mit 3 farbigen Tafeln und 8 Texlillustrationen. Leipzig '15, O. Weigel. Inhalte Pudor: Irrigations- und Bewässerungssysteme in den Vereinigten Staaten von Amerika. Reuter: Die biologische Beurteilung der NabeUchnurzerreißung. — Kleinere Mitteilungen : Hofmeister; Blut als Nahrungsmittel. Stadler: Der Fadenzieher. — Einzelberichte: Correns: Eine eigenartige Ptlanzenkrankheit. Mi ehe: Winden an horizontaler Stütze. Buder: Lichtreizbarkeit von Purpurbakterien (mit 4 .Abbildungen). Behrmann: Formen der Tiefland- flüsse. Gagel: Das Alter des Lausitzer Granitits und der Diabase. Frech: Erdölvorkommen auf dem Kriegsschau- platz der türkisch-persischen Grenze. — Bücherbesprechungen: Samt er f : Physikalische Chemie und Patentrecht. Hansen: Die Pflanze. Migula: Pflanzenbiologie. Klebahn: Die .\lgen, Moose und Farnpflanzen. Sieger: Die geographischen Grundlagen der Österreich-Ungarischen Monarchie und ihrer Außenpolitik. — Literatur: Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an den Schriftleiter Professor Dr. H. Miche in Leipzig, Marienstraße ua, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. der ganzen Reihe 30. Hand. Sonntag, den 7. November 1915. Nummer 45. Die Wissenschaft vom fossilen Menschen eine geologische oder eine vorgeschichtliche Disziplin ? [Nachdiuck verboten.) Von Hugo Möte Die Erforschung des diluvialen Menschen schreitet mit Riesenschritten vorwärts. Immer wieder hören wir von der Auffindung neuer Fund- stellen diluvialer Werkzeuge, gelegentlich auch von der Entdeckung menschlicher Skelettreste. Gleichen Schritt mit diesen sich beinahe über- stürzenden Funden bemüht sich die streng wissen- schaftliche Literatur über den Eiszeitmenschen zu halten. Außerdem schießen in jüngster Zeit größere oder kleinere zusammenfassende Abhandlungen über die ersten Stufen des Menschengeschlechts in geradezu beängstigender Fülle gleichsam wie Pilze aus dem Boden — gewiß ein gutes Zeichen dafür, daß die Wissenschaft vom vorgeschicht- lichen Menschen nicht wie bisher allein in Zunft- kreisen gepflegt wird, sondern weitere Kreise zu interessieren beginnt. Wie die Dinge heute liegen, sind zur Beschäf- tigung mit dem diluvialen Phänomen drei Spezial- wissenschaften berufen und unentbehrlich: Geo- logie, Vorgeschichte und Anthropologie. Alle drei Wissenschaften haben bereits seit langem in dem Fundgebiet dieser fern zurückliegenden Zeiten ein reiche Frucht bringendes Arbeitsgebiet erkannt, das sie infolgedessen auf das eifrigste beackern; immer tiefer dringen sie in den Stoff ein und ver- suchen ihn zu bewältigen. In der ersten Zeit, wo die Funde und Ent- deckungen sich andauernd überstürzten, hatte jede von diesen drei Wissenschaften übergenug damit zu tun, ihr Spezialforschuiigsgebiet durchzuarbeiten; die Ergebnisse der übrigen beiden Wissenschaften wurden dabei nur insoweit verwertet, wie sie sich ohne weiteres mit den Ergebnissen des eigenen Forschungszweiges vereinen ließen. Wenn auch bei einigen Forschern intimere geologische, vor- geschichdiche und anthropologische Kenntnisse Hand in Hand gingen, so war es doch ausnahms- los Regel, daß die Geologen und die Paläonto- logen die vorgeschichtlichen Urkunden gar nicht in Betracht zogen oder erst aus zweiter und dritter Hand beurteilten. Umgekehrt ging es den Vorgeschichtlern ebenso mit den Dokumenten der Geologie. Jetzt erstrebt man das Material weit mehr systematisch zu durchdringen. Da konnte es natür- lich nicht ausbleiben, daß jeder P'orscher, der auf dem Gebiete der Diluvialforschung arbeiten will, in alle drei Forschungszweige, die sich mit diesem Ge- biete beschäftigen, zum mindesten soweit einge- arbeitet sein muß, um die Ergebnisse der For- schungen der betreffenden Wissenschaft richtig würdigen und verstehen zu können. Damit er- öffnen sich aber unendlich viele Schwierigkeiten. findt, Wernigerode. Der Vorgeschichtsforscher ist sehr selten geo« logisch geschult; in den allermeisten Fällen fehlt ihm jedes Verständnis für geologische Fragen; völlig hilflos steht er nun plötzlich vor einer Reihe von Fragen und Problemen, zu denen er irgendwie Stellung nehmen soll — ohne sich über sie klar zu sein. Nicht viel besser geht es dem Anthropologen. Der Geologe endlich kann sich mit der archäologischen Arbeitsweise nicht be- freunden; ihm fehlen hierfür jegliche Voraus- setzungen. So konnte es denn nicht ausbleiben, daß alle * bisherigen Versuche, die Forschung der drei Ge- biete insgesamt zu umfassen, zu dem Ergebnis führen mußten, das man von vornherein erwarten konnte: im entscheidenden Fall gibt der Geologe natürlich seiner Geologie, der Vorgeschichtler seiner Vorgeschichte recht. Außerdem haben diese Versuche etwas an den Tag gebracht, was von vornherein nicht zu erwarten war: sie haben einen gewissen Konkurrenzneid unter diesen drei Disziplinen gezeitigt, und man hadert über die Frage, wem das Arbeitsfeld dieser fern zurück- liegenden Zeit als ausschließliches P"orschungs- gebiet anzuerkennen ist. Der Anthropologie kommt wegen der Seltenheit der Skelettfunde von vornherein der geringere Arbeitsteil zu und sie hat sich deshalb auf eine Verarbeitung ihres Ma- terials beschränkt. Anders dagegen die beiden übrigen Forschungszweige, die Geologie und die Vorgeschichte. Zwischen den Vertretern dieser beiden Forschungsdisziplinen ist jetzt ein heftiger Streit entbrannt, in dessen Verlauf die Kernfrage, ob die Wissenschaft vom fossilen Menschen als eine geologische oder prähistorische Disziplin auf- zufassen ist, und welcher Disziplin das Forschungs- gebiet als ausschließliche Domäne zuzuerkennen ist, aufgeworfen wurde. Für den Naturwissenschaftler ist es höchst wichtig, sich über diese Frage auf dem Laufenden zu halten. Wir wollen deshalb im folgenden versuchen, einen Überblick über die in Betracht kommenden wissenschaftlichen Ausein- andersetzungen der letzten Zeit zu geben und daran anschließend unsere eigene Stellungnahme zu der Frage zu begründen. I. Zur Datierung der Fundstätte Markkleeberg. Bis zum Jahre 1908 etwa bildete die Umgebung von Weimar die berühmteste und ergiebigste Fundstätte der älteren Steinzeit auf deutschem Boden. Bereits in den siebziger Jahren waren in 7o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 45 diesem Fundgebiet, das sich durch die drei Orts- namen : Taubach, Weimar und Ehringsdorf näher umschreiben läßt, Spuren von der Anwesenheit des diluvialen Menschen bekannt geworden; seit- dem haben sich Jahr für Jahr die Zeugnisse ge- mehrt und — nicht nur in vorgeschichtlichen Fachkreisen — der Fundstätte einen Weltruf ge- schaffen. Vom Jahre 1909 an hat sich das Bild, das wir bisher von der vorgeschichtlichen Besiedlung Deutschlands in der älteren Steinzeit hatten, sehr wesentlich verändert: dem eifrigen Tübinger Privat- dozenten R. R. Schmidt verdanken wir die Ent- deckung nnd Erforschung zahlreicher neuer Fund- stätten in Süddeutschland ; Fundstätten wie der Sirgenstein, der Bockstein, der Hohlestein, die Ofnet u. a. m. erwarben sich durch Schmidt's Grabungen in Porscherkreisen einen guten Klang. Auch in den thüringisch-sächsischen Ländern sind in den letzten Jahren außerordentlich viel neue Fundstellen aufgefunden worden, welche die An- wesenheit des diluvialen Menschen in dieser Land- schaft aufs neue bestätigten; darunter befindet sich seit wenigen Jahren eine Fundstätte, die an Bedeutung Taubach-Weimar-Ehringsdorf zu über- flügeln droht — Markkleeberg in der Kreis- hauptmannschaft Leipzig. Als im Jahre 191 1 Karl Hermann Jacob die ersten Funde von hier bekannt gab (,,Paläo- lithische Funde aus Leipzigs Umgebung". Prä- historische Zeitschrift III, 191 1. S. iiöff.), da ahnte freilich wohl noch niemand etwas von den reichen Schätzen, die uns diese Fundstätte in Zu- kunft noch bieten sollte, sondern man schätzte Markkleeberg ein wie die zwei Dutzend übrigen Fundstellen aus den thüringisch-sächsischen Län- dern.') In der Folgezeit mußte man aber ein- sehen, daß man dabei die Bedeutung von Mark- kleeberg gewaltig unterschätzt hatte. Der Boden wurde dort von Jahr zu Jahr ergiebiger. Die Direktion des Leipziger Museums für Völkerkunde nahm die Erforschung der äußerst günstig vor den Toren von Leipzig gelegenen Fundstelle tat- kräftig und zielbewußt in die Hand, und heute können wir im Leipziger Museum große Mengen von einwandfreien Artefakten studieren. Sehr an- genehm empfindet es der Forscher, daß die Di- rektion des Leipziger Museums sich das alleinige Ausbeutungsrecht der Fundstelle rechtzeitig zu sichern verstanden hat und wir hier nicht wie in Taubach-Weimar-Ehringsdorf die P'undstücke auf etwa 30 öffentliche und private Sammlungen in allen Gegenden Europas zerstreut und der wissen- schaftlichen Forschung entzogen finden. In einem einzigen Punkte verursachte Mark- kleeberg der Forschung große Schwierigkeiten, nämlich in der Frage nach der Datierung seiner Schichten^ Karl Hermann Jacob be- zeichnete in seiner ersten Veröffentlichung das Alter der P'euersteingeräte als zwar noch nicht ') Vgl. Naturw. Wochenschr. 1914. S. 787. sicher, aber doch als wahrscheinlich Acheuleen. R. R. Schmidt hatte sich dem angeschlossen und war dann noch weiter gegangen : er sah das Fundmaterial als F'rüh-Acheuleen an. Inzwischen sind eine Reihe von typischen Handspitzen, Klin- genschabern und Klingen gefunden, die Jacob veranlaßten, der Frage nach der Datierung erneut nahe zu treten. Diese Frage glaubte Jacob am besten dadurch lösen zu können, daß er sein ganzes Material mit nach Paris nahm und dort den besten Kennern des französischen Paläolithikums: Breuil, Commont und Obermaier unterbreitete. Diese drei Forscher erklärten die Hauptmasse der Funde als reines Mousterien und ermittelten sogar eine Teilung des gesamten Fundmaterials in drei zeit- lich aufeinander folgende Niveaus: eine Unter- stufe, eine Mittelstufe und eine Oberstufe. Jacob schloß sich diesen Ausführungen völlig an und gab sie 19 13 in der Prähistorischen Zeitschrift Band V, S. 331 bekannt. Inzwischen ist dann eine Sonderschrift von Jacob und Gäbert er- schienen, die den Titel „Die altsteinzeitliche Fund- stelle Markkleeberg bei Leipzig" führt (Veröffent- lichungen des Städtischen Museums für Völker- kunde zu Leipzig. Heft 5, 1914. 103 S. 25 Taf. Ein geologisches Profil). Der archäologische Teil von Jacob enthält nichts Neues; wesentlich ist nur die Beigabe der ausgezeichneten Abbildungen, die allerdings bis zu einem gewissen Teile auch schon anderwärts erschienen waren. Im zweiten geologischen Teil wird von Gäbert auf Grund einer sehr ausführlichen Erörterung des gesamten Diluviums von Leipzig und Umgegend die geo- logisch - stratigraphische Stellung der Fundstelle festgestellt mit dem Ergebnis, daß die Artefakte führenden Schotterschichten altdiluvial und am Schlüsse der vorletzten, sehr lange dauernden Inter- glazialzeit abgelagert sind. Gegen diese Datierung von Markkleeberg er- hob sofort der Berliner Landesgeologe Fritz Wiegers aufs schärfste Einspruch in einem Auf- satz in der Zeitschrift für Ethnologie 19 14, S. 421 bis 438), der den Titel führt „Über die prähisto- rische Untersuchung einiger deutscher Diluvial- fundstätten''. Wiegers wendet sich hier in scharfen Worten gegen die geringe Berücksichti- gung der geologischen P'achüleratur und gegen die Untersuchungsmethoden von Obermaier, Breuil, Commont und Jacob, von der er mit Recht behauptet, sie ginge von ganz irrtüm- lichen Voraussetzungen aus. Für ganz ausge- schlossen erklärt er eine nachträgliche Horizon- tierung der P'unde von Markkleeberg, wie sie von Jacob u.a. vorgenommen ist, und die für einen Kenner der Fundstelle von Markkleeberg von vornherein als unrichtig erscheinen muß. Wie- gers geht auf die geologische Datierung von Markkleeberg ausführlich ein: Markkleeberg ist altdiluvial bzw. erstes Interglazial ; daher kann natürlich von einer Datierung der Funde ins Mousterien keine Rede sein. In der Tat weisen die Markkleeberger Funde zahlreiche Übereinstim- N. F. XIV. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 707 mungen mit den Artefakten von Hundisburg, der Lindenthaler Hyänenhöhle bei Gera und Taubach- Ehringsdorf auf, die Wiegers seit langem für Acheuleen erklärt hatte. Zur Frage nach dem Alter von Markkleeberg hat vor kurzem auch der Berliner Landesgeologe Kurt Gagel das Wort ergriffen in einem Auf- satze „Die altsteinzeitliche F"undstelle Markklee- berg", der den Untertitel „Gedanken eines Geologen über den gegenwärtigen Stand der paläolithischen Forschung" führt (Mannus V, 1914. S. 369 — 377). Wir begnügen uns, zu erwähnen, daß Gagel in der Datierung der Fundstelle Wiegers Acheu- leen zustimmt. In dem Streit um die Datierung von Mark- kleeberg scheinen demnach die Geologen Sieger zu sein. Die Prähistoriker können sich daraus die Lehre ziehen, daß die Datierung einer Fund- stelle zurzeit im wesentlichen von der Geologie abhängt. 2. Zu einigen Problemen aus dem Ge- biete der diluvialen Kunst. Von den vielen Fragen, welche die Erforschung des diluvialen Menschen uns zur Beantwortung vorlegt, ist eine der interessantesten die Frage nach der Ursache und dem Wesen der diluvialen Kunst. Die Kunstbetätigung tritt uns fast ur- plötzlich in der Mitte der jüngeren Steinzeit ent- gegen, und zwar anscheinend ohne Vorläufer, in einer Höhe der Vollendung, die genau so erstaun- lich ist, wie das anscheinend völlige Versiegen jeder Kunstäußerung am Ende der Eiszeit. Die auf die Entwicklung und das Versiegen der dilu- vialen Kunst gerichteten Fragen sind augenblick- lich wieder in den Vordergrund der Erörterung getreten durch einige neue Entdeckungen der vor- geschichtlichen Abteilung des Berliner Museums für Völkerkunde, unter denen ein Flachrelief einer nackten E"rauengestalt vom Abri Laussei , 5 km nördlich von Les Eyzies, in einem Seitentale der Vezere, die erste Stelle einnimmt. Diese neuen Erwerbungen wurden von Schuchhardt zunächst in den Amtlichen Berichten aus den königl. Kunst- sammlungen, 1915, S. 99 kurz veröffentlicht; be- reits in dieser Veröffentlichung finden wir an diese Fundstücke eine Reihe von Theorien geknüpft, über die sich Schuchhardt ausführlicher in der archäologischen Gesellschaft zu Berlin in einem Vortrage ,, Skulpturen aus der älteren Steinzeit und ihre Beziehungen zum Griechentume" ge- äußert hat (vgl. Archäol. Anzeiger 1914. S. 508 ff.). Über das gleiche Thema hat Schuchhardt dann auch in der Anthropologischen Gesellschaft zu Berlin am 17. Oktober 1914 einen Vortrag ge- hallen (vgl. Zeitschrift für Ethnologie 19 14. S. 772). Schuchhardt behandelte dabei die in Relief dargestellten Frauen aus dem Abri Laussei (vgl. L'Anthropologie 191 2), sowie die eine ähnliche demütige Haltung zeigenden Figuren von Mentone und Willendorf. Er verglich zunächst die Frisur der sog. „Venus von Willendorf" mit der von ägyptischen Gestalten und führte noch folgende andere Übereinstimmungen vor; Der Mann von Laussei trage einen Gürtel, wie ihn die ältesten ägyptischen und kretisch mykenischen Männer- gestalten haben; die Fettleibigkeit der paläolithi- schen Figuren zeige sich auch bei den weiblichen Figuren des Gebäudes von Hagiar Kim auf Malta. Noch wichtiger seien die Haltung und die Ge- bärden der paläolithischen Figuren : In Ägypten, in Kreta, in dem Hetiterlande benähmen sich so die Leute, die vor den Altar treten; die Erhebung der Hand bedeute ein teilweises Sichverhüllen in Demut; aus den Hörnern gössen die Frauen von Laussei auf den Altar; ihre demütige Kopfneigung und ilir Handerheben deute schon auf eine Kult- handlung hin. Schließlich fragt Schuchhardt, ob nicht auch die Frauen von Laussei, die da beten und opfern, schon solche verehrten Ahnen- bilder wären, wie sie in den späteren Mittelmeer- kulturen angetroffen werden. Störend bei dieser Betrachtung wirkte nur die Tatsache, daß die Geologen für die letzte Eiszeit und die Postglazialzeit soviele tausend Jahre her- ausgerechnet haben. Angesichts dieser und vieler anderer Beziehungen zwischen dem Paläolithikum und den späteren Kulturperioden im Mittelmeer erklärte Schuchhardt jedoch eine Nachprüfung der von der Geologie zumeist angenommenen hohen Zeitansätze der letzten Eiszeit für sehr wünschensvi/ert. Daß aus den späteren Perioden der Altsteinzeit weniger Kunstwerke vorhanden seien als aus den früheren, komme wohl in erster Linie daher, daß die Menschen nicht mehr in den Abris *) wohnten, die uns ja allein die Kunst des Diluviums aufbewahrt haben, sondern auf freiem Felde, wo die Folgezeiten alles beseitigt haben. Fortgesetzt habe sich die Diluvialkunst aber ge- rade in jenen Gegenden, wo sie selbst geblüht habe, einerseits im Mittelmeer (Malta, Ägypten), andererseits an der Donau entlang. Die hier von Schuchhardt vertretenen Ge- danken sind nicht neu. Schon Sophus Müller hatte in seiner ,, Urgeschichte Europas" (Straßburg 1905) S. 8 die Figuren von Mentone mit Stein- und Tonfiguren von Malta, Ägypten und Griechen- land verglichen; er hielt es für sicher, daß „eine große Gruppe von Bildern des griechischen Ge- bietes, die in eine verhältnismäßig späte Zeit, das dritte Jahrtausend vor Chr. fallen, mit diesen älte- sten figuralen Darstellungen verwandt sind und auf sie zurückweisen". Sophus Müller ging sogar soweit, daß er die Figuren von Mentone aus der Solutrezeit (nach der heutigen Auffassung ist es Aurignacien) für gleich alt oder etwas jünger hielt als die ägyptischen Figuren aus dem 5. oder 6. Jahrtausend vor Christo. Fritz Wiegers hat gewissermaßen als Ent- gegnung auf diese Seh uc h har dt 'sehen Aus- führungen mit einem Vortrage über „die Entwick- lung der diluvialen Kunst mit besonderer Berück- sichtigung der Darstellung des Menschen" in der Berliner anthropologischen Gesellschaft am 10. De- ') abri sous rochers = Zutluchtsstätte unter Felsen. 7o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 45 zember 1914 geantwortet; dieser Vortrag findet sich in der Zeitschrift für Ethnologie 1914 S. 829 bis 863 in voller Ausführlichkeit abgedruckt. VViegers führte etwa folgendes aus: Mit dem Ende des Magdaleniens hörte auch die Kunst vollkommen auf; die jüngere Steinzeit kennt sie so wenig wie das Asylien und das Campygnien. Die Behauptung, die Kunst der jüngeren Steinzeit sei nur darum verloren gegangen, weil wir keine jungneolithischen Kulturschichten aus Höhlen kennen, ist nicht richtig, denn es gibt neolithische Schichten in Höhlen, und dann gibt es Grab- setzungen, in denen Knochen so gut erhalten sind, daß auch verzierte Knochen ebensogut er- halten sein müßten. Das Aufhören der Kunst hängt ohne Zweifel zum großen Teil damit zu- sammen, daß Veränderungen in Klima, Fauna und Flora, das Freiwerden neuer, bisher von Eis be- deckter Landstriche Wanderungen und Änderungen der Wirtschaftsformen zur Folge hatten. Zwischen dem Magdalenien und der jüngeren Stein- resp. Bronzezeit liegt ein Zeitraum von mindestens 100 000 Jahren, der jede Verbindung zwischen diluvialer und kretisch-mykenischer Kunst unmög- lich macht. Zu ähnlichen Anschauungen wie Schuch- hardt ist inzwischen auch der Wiener Vorge- schichtsforscher Josef Szombathy gelangt, wenn er in seiner Abhandlung „Das V^ersiegen einzelner prähistorischer Kunstepochen und die Stellung der paläolithischen Kunst Mitteleuropas" (Mitteilungen der Wiener anthropologischen Ge- sellschaft 1915. S. 141 — 161) folgendes schreibt: „Begnügen wir uns einstweilen damit, zu wissen, daß sich die Spirale schon in vorzüglicher Aus- gestaltung und zwar als Relief auf Mammutelfen- bein geschnitzt, im Diluvium Südfrankreichs findet. Die Fundschichten gehören der Solutreperiode, also dem oberen Teile des Paläolithikums an. Bezüglich des absoluten Alters dieser Funde ist nicht mehr der Archäologe kompetent , sondern der Geologe. Und von dem hören wir, daß gegen- wärtig die kürzesten Schätzungen auf mehr als 20000 Jahre hinauslaufen. Ich will nicht ver- schweigen, daß wir, vom rein archäologischen Standpunkt aus, zwecks Erklärung der bisher be- kannten Funde durchaus keine so langen Zeit- räume in Anspruch zu nehmen brauchten, als uns die Geologie vormißt. Von diesem oberen Dilu- vium herwärts haben unsere Sammlungen wohl aus einer Reihe von Jahrtausenden keine Spiral- verzierungen aufzuzeigen, aber man kann nicht wissen, wie bald sich diese Lücke füllen wird." Diese Abhandlung von Szombathy weist übrigens zahlreiche Sonderlichkeiten auf, die wir hier leider nicht näher berücksichtigen können ; für den Dilu- vialforscher direkt beachtenswert ist, daß die These „Ex Oriente lux" hier auf das Paläolithikum übertragen wird. Die Hauptfrage, um die sich der Streit bei diesen I'roblemen aus dem Gebiete der diluvialen Kunst also dreht, ist denniach die folgende : Sind die Vorgeschichtsforscher berechtigt, auf Grund einiger Übereinstimmungen in der Kunst der älteren und jüngeren Steinzeit zu verlangen, daß die großen Zahlen des Paläolithikums gemindert werden müssen ? Wir glauben, daß jeder, der sich diese Fragen einmal genau in ihrer Tragweite überlegt, mit einem glatten „Nein" antworten wird. Von vornherein wissen wir, daß je weiter wir in das Dunkel der Vorgeschichte herabsteigen, die Zeiträume immer größer werden. Durch diese Übereinstimmungen zwischen Neolithikum und Paläolithikum — mögen sie noch so groß und so zahlreich sein — dürfen wir uns auf keinen Fall dazu verleiten lassen, eine zeitliche Annäherung dieser großen Zeiträume zu fordern. Gelegentlich seiner Stellungnahme zu diesen Streitfragen ist von Wiegers die Frage ange- schnitten worden, die wir unserm Aufsatz als Titel gegeben haben. Hören wir zunächst einmal das, was Wiegers darüber ausführt (Zeitschr. für Ethnol. 1914 S. 422): „Die prähistorischen For- schungsmethoden erschöpfen nur einen Teil der Wissenschaft vom fossilen Menschen, die in ihrer Gesamtheit keine prähistorische, sondern eine geologische Disziplin ist, an der Prähistorie und Anthropologie gewissermaßen als Hilfs- oder Grenzwissenschaften beteiligt sind. Der Anthro- pologie kommt leider wegen der Seltenheit der Skelettfunde nur der geringere Arbeitsanteil zu ; ein wesentlich größerer der Prähistorie. Sie hat stets die Aufgabe, wenn irgendwo eine alte Kultur- schicht ausgegraben wird, aus den gefundenen Werk- zeugen von Stein oder Knochen den Formenkreis dieser Werkzeuge und die Technik ihrer Her- stellung zu bestimmen, und wenn im engeren oder weiteren Gebiete dieselben P'ormenkreise auf- treten, diese zu einer „Kulturperiode" zusammen- zufassen. Liegen an einer Reihe von Stellen mehrere Kulturschichten übereinander, von denen jede einen anderen Formenkreis aufweist, so kann die Prähistorie verschiedene aufeinanderfolgende ,, Kulturperioden" aufstellen, aus denen das relative Alter des Menschen oder seiner kulturellen Hinter- lassenschaft hervorgeht. Diese Kulturperioden, von denen man in dem bis jetzt am besten untersuchten Frankreich sechs unterscheidet, nämlich Chelleen, Acheuleen, Mousterien, Aurignacien, Solutreen und Magdalenien, gelten mit ihrem charakteristischen Formenkreis zunächst nur für ein begrenztes Ge- biet, und es ist nicht richtig, wenn die Prähistorie die in Frankreich gewonnenen Anschauungen ohne weiteres auf andere Länder wie Deutschland, Österreich u. a. übertragen will. Sie beachtet dabei nicht das Entscheidende der ganzen Frage: das absolute Alter der Kulturschichten, das allein die Geologie feststellen kann Die Haupt- aufgabe der Geologie ist es, die Kulturgeschichte des diluvialen Menschen in die Eis- und Zwischen- eiszeiten richtig einzugliedern; sie mul3 ferner die Schichten , die sich zur Diluvialzcit in den nicht N. F. XIV. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 709 vereist gewesenen Ländern wie Frankreich gebil- det haben, in zeitliche Parallele bringen zu gleich- altrigen Schichten vereist gewesener Länder, wie Deutschland. Nur dadurch wird es möglich, fest- zustellen, ob die einzelnen Kulturperioden in Deutschland und PVankreich den gleichen oder einen abweichenden Formenkreis der Werkzeuge aufweisen, oder mit anderen Worten, ob in den langen Zeiträumen die jeweilige französische Kultur zu einer europäischen geworden ist, oder ob sie in anderen Ländern Eigenformen gezeitigt hat. Die Aufgabe der Geologie geht aber bedeutend weiter: sie bestimmt aus den Knochen, die in den Kulturschichten gefunden werden, die Tiere, mit denen der diluviale Mensch zusammengelebt hat, deren P'leisch ihm zur Nahrung, deren Fell ihm zur Kleidung, deren Geweih ihm als Werk- zeug, deren Zähne ihm als Schmuck gedient haben. Als letzteren findet man nicht selten auch durchbohrte Muscheln, die teils für die damalige Zeit rezent, teils damals schon fossil waren. So besaßen die Magdalenienmenschen, die im Keßler- loch bei Schaft'liausen wohnten, Muscheln, deren nächste F'undstelle das sog. Tertiärbecken von Mainz ist. Aus dem Funde dieser Tertiärmuscheln muß also geschlossen werden, daß die Familie oder der Stamm dieser Leute entweder einst die Wanderung von Mainz nach Schaffhausen gemacht hat, oder daß die Muscheln auf dem Wege des Tauschverkehrs dahin gelangt sind. Beide Schluß- folgerungen sind von gleichem Interesse. Die Geologie bestimmt ferner aus den Tieren und Pflanzen der Fundschichten das Klima der be- treffenden Zeit: der Altelefant (Elephas antiquus) und das Merckische Nashorn (Rhinoceros Merckii) in den Kalktuffen bei Weimar deuten auf das gemäßigte Klima der letzten Zwischeneiszeit, ebenso wie Hainbuche, Fichte, Eiche, Linde, Stechpalme (Hex aquifolium) u. a. m. Der Moschusochse, das Renntier, Lemminge und Schneehasen, die wäh- rend der letzten Eiszeit in Frankreich bis in die Dordogne, zum Teil sogar bis ans Mittelmeer und nach Nordspanien vorgedrungen waren, sind Ver- treter eines kalten eiszeitlichen Klimas, wie unter den Pflanzen die Polarweide (Salix polaris), die Zwergbirke (Betula nana) und Dryas octopetala. Die Geologie lehrt uns weiter die Geographie der Diluvialzeit, indem sie die damaligen Grenzen der Kontinente, die Verbreitung von Festland und Meer und den Lauf der großen Flüsse durch ihre Untersuchungen feststellt. England war zur Diluvial- zeit mit Europa fest verbunden, der Kanal war nicht vorhanden; der Rhein floß in der Höhe von Edinburgh in die Nordsee, nachdem er zuvor die Themse als Nebenfluß aufgenommen hatte. Die Feststellungen, wie lange eine Landverbindung zwischen Australien und Asien, Afrika und Europa, zwischen Europa und Nordamerika, zwischen Frankreich und England bestanden hat, sind außer- ordentlich wichtig und geben die wesentlichsten Unterlagen für die Frage der Wanderungen der primitiven Menschenrassen, die natürlich nur auf dem Landwege möglich war. Einer der inter- essantesten Skeletlfunde war die Ausgrabung mehrerer Skelette von durchaus negroidem Typ in einer der Grimaldigrotten bei Mentone. Nur auf geologischem Wege ist es möglich, festzustellen, ob es zur Diluvialzcit möglich war, außer über Kleinasien noch auf einem anderen W'ege, etwa über Griechenland oder Italien trockenen Fußes von Nordafrika nach Südeuropa zu kommen, und bis zu welchem Abschnitte der Diluvialzeit etwa solche Landverbindung vorhanden gewesen ist. Gehen wir in die ältesten Schichten des Diluviums und in das noch ältere Tertiär zurück , so ist es endlich die Aufgabe der Geologie, die entwick- lungsgesciiichtlichen Beziehungen der ältesten Menschenformen untereinander und zu verwandten Formen des Tierreiches zu untersuchen. Die richtige Erkenntnis des Diluvialmenschen , seines Alters, seines Lebens und Treibens, seines Wanderns und Werdens läßt sich mithin allein auf breitester geologischer Grundlage gewinnen; Die Wissen- schaft vom Diluviaimenschcn ist eine geologische Disziplin ; die Geologie ist Richtlinie und Grund- lage dieser neuesten, aber interessantesten Wissen- schaft über den menschlichen Ursprung." Wir können nicht umhin, diesen Ausführungen in mehr als einer Beziehung unseren Beifall zu spenden, müssen aber in anderen Punkten ihnen wieder scharf entgegentreten. Von vornherein ist wohl klar, daß der Geologe seine eigene Wissen- schaft natürlich sehr hoch einschätzt, und so ist es denn gekommen, daß bei dieser Auseinander- setzung Wiegers die Geologie überschätzt, die Vorgeschichte aber unterschätzt hat. Energisch möchten wir hier Front machen gegen die Behauptung, daß die Wissenschaft vom fossilen Menschen in ihrer Gesamtheit keine prä- historische, sondern eine geologische Disziplin sei, an der Vorgeschichte (Prähistorie) und Anthro- pologie nur als Hilfs- oder Grenzwissenschaften beteiligt seien. Freilich, wenn Wiegers das Entscheidende der ganzen Frage in einer Feststellung des abso- luten Alters der Kulturschichten sucht, so ist augen- blicklich die Geologie die überlegenere Wissen- schaft. Nur möchte ich bezweifeln, ob dieses Ver- hältnis so bleiben wird. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß wir zu einer derartigen feinert Unterscheidung unserer Artefakte kommen werden, daß wir Vorgeschichiler die Geologen korrigieren können. Wie wechselseitig die Geologie und Vor- geschichte in dieser Beziehung veranlagt sind, darauf hat derselbe P'orscher Wiegers bereits früher hingewiesen, als es sich um die Ermitte- lung des Alters des Lösses handelte; damals hat er gezeigt, daß sehr wohl die diluviale Vorge- schichtsforschung bereits in der Lage ist, der Geo- logie feste Datierungen zu bieten (vgl. Prähisto- rische Zeitschrift I, 1909. S. i ff".). Als er daher die obige Definition schrieb, scheint er sich diese seine .Arbeit nicht vergegenwärtigt zu haben. Eine andere Frage ist schließlich noch die, ob 710 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 45 wir überhaupt zugeben wollen, daß das Entschei- dende der ganzen Frage die Feststellung des ab- soluten Alters ist. Wie nützlich und notwendig auch der feinere Bau des Periodensy^tems ist, wie- viel Mühe und Sachkenntnis man gegenwärtig auch auf die Stufengliederung der ältesten und älteren Funde aus einem kleinen Teile der Erde verwendet — das kann doch nur eine Vor- arbeit sein, Mittel zum Zweck, nicht Hauptsache und Ziel der Wissenschaft, wie es manchmal scheinen möchte, und den leitenden Gedanken einer Urgeschichte der Menschheit können jene Be- strebungen nicht bilden. Ich sage das über mein eigenes Arbeitsfeld; aber wer möchte Spezialist sein und mit wenigen anderen eine Gruppe solcher bilden, wenn diese verui teilt wäre, in den Früchten ihrer Forschung die Summe der ihnen erreich- baren Einsichten zu erblicken? Ich persönlich bin im Verlaufe meiner Studien zu einer ganz anderen Auffassung gelangt: für mich gibt es eine Fragestellung wie die, welche wir über unsere Ausführungen gesetzt haben, überhaupt nicht. Meiner Auffassung nach ist es müßig darüber zu streiten, welche Wissenschaft mehr oder weniger an der Erforschung beteiligt ist; alle drei Wissenszweige müssen hier Hand in Hand gehen. Wenn überhaupt irgendwo, so ist es gerade hier, wo die beiden Wissenschaften Anthropologie und Vorgeschichte Hand in Hand arbeiten müssen, wie dies auf den letzten Anthro- pologenkongressen als Forderung aufgestellt ist (von Richard Andree in Frankfurt a. Main 1908, von Schliz in Posen 1909, von Seger in Heilbronn 1911, von Luschan in Weimar 191 2). In gleicher Weise wie diese beiden Wissens- zweige ist auch die Geologie beteiligt. Und dieses Hand in Handarbeiten verstehe ich in der Weise, daß jeder Forscher, von einem Wissenszweig aus- gehend, das ganze Gebiet zu erforschen sucht, wobei er natürlich bestrebt sein muß, die Ergeb- nisse der beiden anderen Disziplinen sich zu nutze zu machen. FAn Geologe wird dabei ganz natür- lich immer mehr Gewicht auf die Geologie, ein Vorge^chichtler auf die Vorgeschichte und ein Anthropologe wieder auf die Anthropologie legen. Es ist aber ein Unding, heute zu erklären, daß die Erforschung der älteren Steinzeit eine „Do- mäne" dieses oder jenes Wissensgebietes ist. Die Definition, die Obermaier einst niederschrieb: ,,Die ersten Dokumente der menschlichen Vorge- schichte führen uns in ein so hohes Altertum zu- rück, daß sie ebenso gut der Geologie und Palä- ontologie als der Archäologie angehören, und mit dem gleichen Rechte als fossile, denn als archäo- logische Dokumente betrachtet werden können" (Der Mensch der Urzeit. Berlin-München- Wien, 191 1, S. 113) besteht auch heute noch zu vollem Rechte. Eine Forderung dagegen, die Wiegers in seiner letzten Abhandlung aufgestellt hat, erkenne ich vollkommen an: ,,Wer mit der Diluvialgeo- logie nicht vertraut ist, dem bleibt auch die Di- luvialprähistorie wesensfremd; ohne Diluvialgeo- logie läßt sich keine wissenschaftliche Diluvial- prähistorie betreiben, ebenso wie sich die Archäo- logie nicht ohne historische Kenntnisse betreiben läßt." Diese Forderung möchte ich hier noch ein- mal unterstreichen. Einzelberichte. Chemie. Über die Dichte und die Licht- ergibt sich brechung kolloidaler Lösungen hat Robert W i n t g e n eine sehr beachtenswerte Untersuchung veröffentlicht (Kolloidchem. Beih. Bd. VII, S. 251 bis 282), über die im folgenden kurz berichtet wird. I. DieDichte kolloidaler Lösungen. — Unter der Voraussetzung, daß sich die Dichte der dispersen Phase und die des Dispersionsmittels mit der Konzentration nicht ändert, läßt sich leicht beweisen, daß das spezifische Volumen einer kolloidalen Lösung eine lineare Funktion der ,, Gewichtskonzentration" der Lösung ist, sofern man als ,, Gewichtskonzentration" die Anzahl g der dispersen Phase bezeichnet, die in 100 g der Lösung enthalten sind. Bei Anwendung der folgenden Bezeichnungen : Dispersions- disperse kolloidale mittel Phase Lösung Dichte dw d di Gewicht 100 — pg p„ 100 100 — Pg Pg 100 dy, d dl 100 100 — Pg , Pg Volumen dl dw d ' das spezifische Volumen also I _ I , I ; I ^' ~ dl ~ d;; "^ Too \ d ~ d,v / ■ P" oder, wenn man die konstanten Größen mit K, und K., bezeichnet V, = Kj + K., . Pg. In dieser Gleichung ist K, offenbar das spezifische Volumen des reinen Dispersionsmiltel (pg=o) und Kg die Änderung des spezifischen Volumens der Lösung bei Zunahme der Gewichtskompen- sation des Kolloids um i "/(,. In gleicher Weise läßt sich zeigen , daß die Dichte dl der kolloidalen Lösung eine lineare Funktion der ,, Volumkonzentration" pv der Lösung ist, wenn man als „Volumkonzentration" die An- zahl g der dispersen Phase in 100 com der Lösung bezeichnet : dl = K.j + K., • Pv. Als Beispiel für die Genauigkeit, mit der diese Gesetzmäßigkeit gilt, sei die folgende Tabelle an- N. F. XIV. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 711 geführt, welche die Abhängigkeit des spezifischen Volumens einer kolloidalen Arsentrisulfidlösung von der Trisulfidkonzentration bei 25" C angibt: 0,2025 0,2484 0,5195 0.6350 1.2365 1.2634 2.4524 3.647s Vi gefunden berechnet 1,00 157 1,00 126 0,99 943 0,99 856 0.99 438 0,99 422 0,98 597 0,97 773 1,00 157 1,00 126 0,99 938 0,99 858 0,99441 0,99 422 0,98 599 0,97771 V\ gefunden — Vj berechnet + + Die Berechnung der spezifischen Volumina ge- schah nach der Gleichung Vi = 1,00298 0,0069272 pfr. Die Richtigkeit der Theorie hat Wintgen durch eigene Messungen außer an dem Arsen- trisulfidsol noch durch Messungen an kollo- idalen wässerigen Lösungen von Antimontrisulfid, Kieselsäure, Molybdänsäure, Eisenhydroxyd und Tannin und durch rechnerische Behandlung der früher von anderen Autoren mit Arsentrisulfid, Kieselsäure, Tannin, Stärke, Gelatine und ver- schiedenen Eiweißarten erhaltenen Ergebnisse bewiesen. II. Die Lichtbrechung der kolloidalen Lösungen. — Macht man die Annahme, daß die Zeit, welche ein Lichtstrahl zum Durchlaufen einer kolloidalen Lösung gebraucht, gleich der Sumine der Zeiten ist, die er zum Durchlaufen des Dispersionsmittels und der dispersen Phase gebraucht, und setzt man ferner voraus, daß diese beiden letzten Zeiten von der Konzentration der Lösung unabhängig sei, so lassen sich durch eine einfache mathematische Betrachtung die beiden folgenden Gesetzmäßigkeiten ableiten. 1. Das Produkt aus dem Volumen vi der Lö- sung und ihrem Brechungsexponenten ni ist eine lineare Funktion der Gewichtskonzentration pj, der kolloidalen Lösung: V, . m = kj + k., • pg. 2. Der Brechungsexponent einer kolloidalen Lösung ni ist eine lineare Funktion der Volum- konzentration pv der Lösung rii = ka + K • Pv Die Konstante kg ist gleich dem Lichtbrechungs- vermögen des eigenen Wassers (pv = o). Als Beispiel für die Richtigkeit der Theorie seien wieder die reinen Messungen Wintgen's an einer kolloidalen Arsentrisulfidlösung angeführt: (Siehe nebenstehende Tabelle.) Weitere Beweise geben die eigenen Messungen Wintgen's an kolloidalen Lösungen von Anti- montrisulfid, Kieselsäure, Molybdänsäure, Eisen- hydroxyd und Tannin und die von Wintgen neu berechneten Messungen anderer Autoren an PS iil ni gefunden Vi berechnet ni . Vi gefunden — ni . Vi berechnet 0,2025 1.33311 1.33 521 1.3352' ± 0,00000 0,2346 1.33 322 1.33502 1.33 501 + I 0,2484 1.33 324 1,33 492 1.33 493 — I 0.3750 1,33362 1.33 413 1,33416 — 3 0.5 '95 1.33403 1,33327 1.33328 — i 0.6350 1,33451 1.33 259 1,33258 + I 1.2365 1.33645 1,32894 1,32894 ± 0 1.2634 1,33650 1,32878 1,32877 + I 2,4524 1.34 041 1,32 160 1,32 156 + 4 3.6475 1.34425 1.31 431 '.31 431 ± 0 kolloidalen Lösungen von Schwefel, Gelatine und einigen Eiweißarten. Mg. Botanik. Die Entstehung der Schnallen am Myzel der Basidiomyzeten, jener eigentümlichen Gebilde, die jedem bekannt sind, der sich etwas eingehender mit der Anatomie von Pilzen befaßt hat, ist neuerdings von Kniep (Zeitschr. f. Botanik, 7. Jahrg. S. 369 191 5) untersucht worden, der sehr interessante Einzelheiten dieses seit de Bary im Prinzip bekannten Vorganges beobachtete. Wie die kleine schematische Skizze, die nach den Zeichnungen Kniep 's entworfen wurde, zeigt, besitzen die Zellen des in Schnallenbildung be- griffenen Myzels, kurz des Schnallenmyzels, zwei Kerne. Wie diese Zweikernigkeit zustande kommt, ist noch unklar. Wenn die Endzelle eines Zweiges zur Schnallenbildung übergeht, ent- steht etwa in der Mitte zwischen den beiden Kernen eine seitliche kleine Ausstülpung der Seitenwand, ein kleines Hörnchen (a). Der spitzenwärts ge- legene Kern wandert nun an den Eingang dieses kleinen Schlauches und alsbald teilen sich beide Kerne gleichzeitig (b). Von den 4 Tochterkernen, die so entstellen, wandern 2 in das oberhalb der Schnallenanlage gelegene Spitzenende der Zelle, einer in das unterhalb jener gelegene Fußende, während der vierte in dem Hörnchen verbleibt (c). Nachdem sich dann Spitzen- und Fußhälfte durch eine unmittelbar unterhalb der Schnallenanlage verlaufende Scheidewand getrennt haben, und diese selbst sich ebenfalls durch eine Wand vom Stamme abgegrenzt hat (d, e), verschmilzt sie mit der unteren Zelle und durch die so herge- stellte Öffnung tritt ihr Kern in diese letztere ein (e). Nunmehr hat (f) jede der Zellen, zwischen denen sich eine Schnalle ausgebildet hat, wieder 2 Kerne, und zwar sind diese nicht, wie man sieht, Schwesterkerne. Das eigentümliche Ver- hallen der Kerne bei der Schnallenbildung ver- anlaßt den Verf, in ihr einen Vorgang von tieferer Bedeutung zu sehen. Nach seiner Meinung sollen nämlich die Schnallen der Basidiomyzeten (und nur bei diesen scheinen sie vorzukommen) den eigentümlichen Hakenbildungen an die Seite zu 712 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 45 setzen sein, die sich bei den Askomyzeten in einem gewissen Entwicklungsstadium der askogenen Hyphen bilden (vergl. hierzu Nienburg, Der Sexualakt bei den höheren Pilzen, Naturw. Wochenschr. X. F. Bd. 14 S. 33 1915) und diese letzteren sollen phylogenetische Vorstufen der Schnallen darstellen. Nach dieser interessanten Parallele, die wir hier nicht näher auseinandersetzen können, würde sich also ein weiterer Anhalt für einen verwandtschaftlichen Zusammenhang dieser beiden großen Pilzgruppen ergeben. Ein Unter- a b . - c d e f Schematisierte Darstellung der einzelnen Stadien der Schnallen- bildung, nach Zeichnungen H. K n i e p's. Die Bilder sind insofern scheniatiscli, als, um Platz zu sparen, das obere Zell- ende- .viel zu kurz gezeichnet wurde, zumal in den letzten Stadien, wo inzwischen die Zelle als stark herangewachsen und viedetup zu neuer Schnallenbildung sich anschickend zu ' .' ^^ ■ ■- - - denken ist. schied besteht nur insofern, als die Hakenbil- dung nur in engem Anschluß an die Entwicklung des Askus auftritt und nur beschränkt ist, wäh- rend die Schnallen nicht in diese ausschließliche enge Beziehung zu den den Asken homologen Basidien tritt, vielmehr das Schnallenmyzel sehr ausgedehnt ist. Doch stellte der Verf. an einigen Basidiomyzeten fest, daß unmittelbar unter den Basidien auch .Schnallen nachweisbar sind, was ebenfalls bisher unbekannt war. Miehe. . 'Die Bedeutung des lyiilchsaftes. Es ist sehr merkwürdig', daß ein so auffallender Be- standteil vieler Pflanzen , wie es der Milchsaft ist, in seiner Bedeutung für das Leben der Pflanze hur ganz unvollkoiimicn bekannt ist. Das ist nämlich das Ergebnis, zu dem Kniep auf Grund einer allseitigen, kritischen Erörterung des Problems kommt. (Aus den Schriften des „Internationaal Rubber CongresmetTentoonstelling",Batavia 1914, abgedruckt aus „RubberRecueil", Amsterdam. J. H. de Bussy.) Milchsaft ist bekanntlich eine wässerige Flüssigkeit, die durch Suspension ver- schiedener feiner Teilchen milchig getrübt er- scheint, selten auch noch gefärbt sein kann. Er ist enthalten entweder in Milchröhren oder in Milchgefäßen. Jene gehen auf verhältnismäßig we- nige Zellen zurück, die frühzeitig im Embryo angelegt werden und sich bei seiner weiteren Ent- wicklung durch Spitzenwachstum und reiche Ver- zweigung in der ganzen Pflanze ausbreiten, ohne miteinander in offene Verbindung zu treten. Die Milchgefäße hingegen sind Kanäle, die aus bestimm- ten Zellreihen durch Auflösung der trennenden Wände entstehen. Indem sie dann auch seitlich in Verbindung treten, ergiebt sich ein reiches, das Pflanzengewebe durchsetzendes Maschenwerk, das auch durch kambiale Tätigkeit noch vergrößert werden kann. So werden z. B. bei den beiden wichtigen Kautschukpflanzen Hevea und Manihot beim sekundären Zuwachs neue Maschenzylinder in der Rinde angelegt, die aber merkwürdigerweise in radialer Richtung nicht miteinander in Verbin- dung treten. Milchröhren finden sich bei den Euphorbiaceen (mit Ausnahme von Hevea und Manihot), Moraceen, Artocarpaceen, Apocynaceen, Asclepiadeen ; Milchgefäße u. a. bei Papaveraceen, Papayaceen, Campanulaceen, Compositen (haupt- sächlich in der Unterfamilie der Cichoriaceen). Eine Art Übergang machen die Sapotaceen, deren Milchröhren z. T. miteinander verschmelzen können. Milchröhren wie Milchgeläße sind lebende Elemente des Pflanzengewebes, besitzen also einen wandständigen Plasmabelag, in welchem viele Zellkerne eingebettet liegen. Der Milchsaft ist nun der Zellsaft dieser Riesenzellen resp. Riesen- netzplasmodien, wie man etwa die Gesamtheit der verschmolzenen Milchgefäßzellen bezeichnen könnte. Er besteht vorwiegend aus Wasser, in welchem folgende Stoffe gelöst resp. suspendiert sein können : Kautschuk, Harze, ätherische Öle, Fette, Wachsarten, Kohlehydrate als Glukose, Inulin, Stärke, Gummi, dann Eiweißkörper, Fer- mente, wie z. B. ein Labferment bei der Feige, ein peptisches bei der Papaya, Gerbstoffe, Alkaloide, Glukoside, anorganische und organische Säuren bzw. ihre Salze. Die nächstliegende Annahme ist, daß dieser ja recht substanzreichc Saft ein Nahrungs- und Bildungssaft ähnlich dem Blut der Tiere sei, das Milchgewebesystem also z. T. die Funktionen des Leitsystems mit vertreten könne. Es ist jedoch bisher nicht gelungen, diese Auffassung durch Ver suche zu beweisen, ja vieles spricht direkt dagegen, wie z. B. ein neuerdings von van der Wölk mit- geteilter \'ersuch (Publ. sur la Physiol. vegetale. II. Nimegue 1914). Der Autor brachte an einem dicken Zweige vom Gummibaum (Ficus elastica) einen breiten Ringelschnitt an. In bekannter Weise entsproßten bald dem oberen Rande der N. F. XIV. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 713 Wunde Würzelchen, dem unteren nicht, da ja der im Leitsystem der Rinde von oben herabfheßende Bildung^ssaftstrom durch den Ringelschnitt unter- brochen war. Nunmehr wurde oberhalb des ersten noch ein zweiter Ringelschnitt angelegt. Trotzdem sich in dem Stück zwischen den beiden Schnitten nach einiger Zeit reichlich IVIilchsaft erzapfen ließ, diese Zone also nicht von dem großen Milchgefäßsystem abgeschnitten war, gingen die Wurzeln, von denen oben die Rede war, rasch ein. Der unterbrochene Bildungssaftstrom konnte also nicht durch den Milchsaft ersetzt werden. Ebensowenig Anhalts- punkte liegen für die Ansicht vor, daß der Milchsaft einen Speicher für Reservestoffe darstelle. Nicht einmal die leicht zu verfolgende Stärke im Milch- saft ließ mit Sicherheit erkennen, daß sie ähnlich der Reservestärke bei irgendwelchen physiologischen Vorgängen verwandt würde. Und was die anderen Stoffe angeht, so fehlt überhaupt eine systematische Untersuchung der Zusammensetzung des Saftes im Verlauf des Lebens der Pflanze ganz. Es bleiben schließlich entweder allein oder neben bisher unbekannten physiologischen Er- klärungsmöglichkeiten noch ökologische übrig. Vielleicht dient der Kautschuk als Wundverschluß. Doch pflegen die Pflanzer gerade den Kautschuk an den Zapfwunden zu entfernen und letztere dann zu teeren, da sie meinen, daß die Wunde mit dem Kautschuküberzuge schlecht heile, eine Beobachtung, die auch von wissenschaftlicher Seite bestätigt werden konnte. Dagegen wurde er- wiesen, daß viele einheimische Kräuter durch ihren Milchsaft gegen Schnecken geschützt waren, die nur entmilchte Blätter verzehrten, und bei tropischen Bäumen sollen sich Bohrkäfer ab- schrecken lassen, Schnecken meist nicht. Ob aber diese Schutztheorie allgemeinere Bedeutung hat, läßt sich gegenwärtig nicht sagen. Überhaupt macht Kniep mit Recht darauf aufmerksam, daß es unmöglich sei, den Milchsaft chemisch irgend- wie einheitlich zu charakterisieren. Das Milchsaft- problem läßt sich deshalb auch nicht schlechtweg auf eine einfache P'ormel bringen. Miehe. Dünenbildung in der Sahara. Wie sich J. R ei n k e auf Grund seiner langjährigen Studien an der Küste der Nord- und Ostsee vorstellt, haben die Dünen- pflanzen nicht allein bei der Erhaltung der Dünen einen Anteil, wichtiger noch ist die Rolle, die sie bei der Entstehung der Dünen spielen. Die Pflanzen stellen ein Hindernis dar, an dem der Wind Sandmassen aufhäuft, sie werden bald ver- schüttet, wachsen durch den Sand hindurch, fangen erneut Sand auf und so geht das fort, bis an der Stelle, wo der Busch stand ein kleine Dünenan- lage emporgewachsen ist. Reihen dieser Hügel stellen dann schon ein größeres Hindernis dar, an dem sich nun mehr und mehr Sand aufhäufen kann. (Vgl. auch dazu die treffende Darstellung von Klein, Naturw. Wochenschr. N. F. 14. Bd. S. 569.) Reinke hat nun neuerdings auch die Binnenlandsdünen, wie sie sich in der Sahara finden, untersucht (Botanische Jahrbücher, Bd. 53. S. I. 191 5) und findet hier dieselbe Art der Ent- stehung. Nur ist es hier nicht Psamma arenaria und Triticum junceum, an denen sich die Dünen empor entwickeln, sondern ein Wolfsmilchgewächs Euphorbia Guyoniana und ein Gras Aristida pungens. Ganz ähnlich können dann auch kleinere von ihm als Lößdünen bezeichnete Gebilde dort entstehen, indem wieder bestimmte Pflanzen (meist Limoniastrum Guyonianum) den feinen Lehmstaub auffangen und durch die Hügel hindurchwachsen. Miehe. Stoßreizbarkeit von Enzianblüten. Eine auf Berührung eintretende Bewegung der Blumenkrone war bisher nur für einige Orchideenblüten (so z. B. für Catasetum) bekannt. Schon vor einigen Jahren machte nun Seeger (Sitzungsber. der Kaiserl. Akademie d. Wissensch. in Wien, Mathem.- Naturw. Kl. Bd. CXXI Abt. I 1912) die Ent- deckung, daß die Blüten des kleinen alpinen En- zians Gentiana prostrata reizbar gegen Berührung sind. Er sah, daß eine Blüte sich rasch schloß, als ein kleines Insekt in die Blumenröhre hinein- kroch, und stellte dann weiter durch planmäßige Beobachtungen fest, daß nur der Röhreneingang die reizbare Stelle ist; wird er etwa mit einem Grashalm berührt, so schließt sich die Blüte alsbald. Eine Erschütterung des ganzen Stengels wirkt aber nicht als Reiz. Neuerdings teilt C. E. B. Breme- kamp mit (Recueil des travaux botaniques neerlandais, Vol. XII S. 27 1915), daß auch Gentiana quadrifaria reizbar ist, sie meint aber, nur gegen Stoß, nicht gegen Berührung, ohne allerdings ausreichende Unterlagen für diese Be- hauptung beizubringen. Eine reizphysiologische Analyse der interessanten neuen Tatsachen steht noch aus; die biologische Bedeutung dürfte wohl in der Sicherung der Bestäubung gesucht werden. Beide Enziane sind sehr nahe verwandt, G. quadri- faria kommt am Himalaya und auf den Gebirgen Ceylons und Javas vor, während G. prostrata in Nordwest-Amerika, Turkestan und der Mongolei zu Hause ist, aber auch in einem ganz vorgeschobenen Posten die österreichischen Alpen erreicht. Miehe. Geographie. Das zurückgebliebene Mitglied der Deutschen Neu-Guinea-Expedition, ') die unter Leitung von Dr. W. Behrmann sich die Erforschung des Kaiserin-Augustastromes oder Sepik und seiner Nebenflüsse zum Ziel gesetzt hatte, Dr. R. Thurnwald, hat diese Arbeit noch in der Kriegszeit fortsetzen können. Seinem Be- richt (Ztschr. Ges. f. Erdkunde, 1915, Nr. 6) ent- nehmen wir folgende Ergebnisse: Von der Mündung des Oktober- und des Westflusses gelangte der Forscher im Sommer 1914, im Gebirge längs des Flusses vorgehend, zu einem 20 km breiten und 40 km langen Kessel, ') Naturwiss. \Vocbenschrift, Bd. 13, 1914, S. 489. 714 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 45 in den von allen Richtungen die Flüsse einmünden. Er liegt am SW-Fuße des als Viktor Emanuel- Gebirge bezeichneten Gebirgsstockes, der in Wahr- heit aus zwei Kelten besteht, dessen südliche den ursprünglichen Namen verdient. Der 1500 — 2000 m hohe Gebirgskessel ist ziemlich stark bevölkert, Thurnwald schätzt die Seelenzahl auf 2000. Im November 1914 befuhr Thurnwald noch den Sandfluß, einen Nebenfluß des Gelbflusses, im Dezember den Nordfluß bis an die Höhe des Küstengebirges. Auch dieser ist im Mittel- und Oberlauf ziemlich stark bevölkert, dagegen schwach im Unterlauf. Die Bewohner beider Ge- biete tragen eine Art geknoteter Panzerhemden. Im Gebiet des Nordflusses findet inan außerdem noch geflochtene Cuirasse und überall Penis- futteral. Großer Reichtum an Kokosnüssen zeichnet das Land aus. Bei seiner Rückkehr an das Lager am Mäander- berg fand Thurnwald dasselbe im Januar 1915 ausgeplündert; die Vorräte waren verschwunden. Auf der Reise stromabwärts wurde der Forscher von den Eingeborenen angegriffen, erreichte aber nach elfiägiger Fahrt Angorum, wo er der eng- lischen Besatzung seine Waffen und Munition übergeben mußte. Die Ausrüstung sowie die persönlichen Vorräte sind leider alle verloren, nur die Aufzeichnungen wurden ihm in Madang, wo- hin den Forscher ein Missionsdampfer von der Missionsstation Paräm (Marienberg) aus brachte, zum größten Teile zurückgegeben ; dagegen müssen die Sammlungen als verloren gelten. Das völker- rechtswidrige Verhalten der Engländer dem deut- schen Forscher gegenüber muß auf das schärfste gebrandmarkt werden. Dr. G. Hornig. Geologie. Interessante Mitteilungen über die „Hydrologische Untersuchung des Hils, des Ohm- gebirges und des KyH'häusers, nebst Bestimmung des radioaktiven GehaUs der Quellwässer. Mit einem Anhang: Die Quellen des Uracher Vulkan- gebiets der Schwäbischen Alb" gibt Eberhard Walter in den Geologischen und Paläonto- logischen Abhandlungen N. F. Bd. 13 H. 4 S. 223 — 301, 1915. Als Hauptaufgabe betrachtete der Verf. eine möglichst genaue Feststellung des Wasserumsatzes im Gebirge unter Berücksichtigung der in Betracht kommenden geologischen Faktoren. Im ganzen wurden 198 Quellen und 73 Bäche auf Härte, Temperatur, Ergiebigkeit und vor allem auf Radioaktivität untersucht. Die Härte des Wassers wurde mit der Clark 'sehen Seifenlösung ermittelt. Die allermeisten untersuchten Wässer blieben unter 12 Härtegraden, wobei man nach der in Deutschland üblichen Einteilung unter I Härtegrad i Gewichtsteil CaO in looooo Gew.-T. Wasser versteht. Die Ergieb igkei t einer Quelle wurde als Produkt von Querschnitt und Mießge- schwindigkeit bestimmt, wobei die Pließgeschwin- digkcit mittels Schwimmkörpern auf einer Strecke des Bachlaufcs mit möglichst gleichbleibendem Querschnitt beobachtet wurde. Für den allge- meinsten Typus einer Quelle führt der Verf. die Bezeichnung ,, Grundwasserquelle" ein, welche da- durch entsteht, daß die Erdoberfläche ein stärkeres Gefälle besitzt als der Spiegel des im gleichen Niveau eingeschlossenen Grundwassers. Außer- dem werden noch die andern bekannten Ouell- typen wie Schichtquelle, Uberfallquelle, Stauquelle und artesische Quelle unterschieden. Unter ,,K.luft- wasser" versteht man das auf Spalten und Klüften zirkulierende Wasser, unter „Schichtwasser" da- gegen das auf einer undurchlässigen Schichtfolge sich ansammelnde Wasser. Von den 4 hydrologisch untersuchten Gebieten wurde der Hils am eingehendsten untersucht. Er bildet eine 12 km lange und 6 km breite regelmäßig gebaute Mulde, die vom Hilssandstein (Unt. Albien) umrandet wird, während sich in der Muldenachse darüber noch jüngere Kreideschichten bergig erheben. Auf der SW.-Seite ist der Neo- komton transgredierend über die verschiedenen Juraschichten abgelagert. Das Einfallen ist auf der NO. Seite steiler als auf der SW.-Seite. Im Innern der Hiismulde verläuft eine quere Störungs- linie von Delligsen nach Holzen. Die hydro- logischen Verhältnisse der HiUmulde ge- stalten sich durch den mehrfachen Wechsel durch- lässiger und undurchlässiger Schichten außerordent- lich gesetzmäßig. Über einer Reihe undurchlässiger Schichten des Purbeck, Wealden und Neokom ist der starkdurchlässige 80 m mächtige Hilssandstein gelagert, welchem infolge seiner größeren Ver- breitung die meisten Quellen angehören. Darüber folgt der wenig mächtige Minimuston und der 100 m mächtige P^lammenmergel (Ob. Albien), die fast undurchlässig sind, während die darüber gelagerte ca. 180 m mächtige Schichtfolge ceno- maner und turoner Kalke wiederum sehr durch- lässig ist und einen zweiten Schichtwasserhorizont bildet, dessen Quellen freilich von untergeordneter Bedeutung sind. Wir haben also im Hils 2 i n 2 StockwerkenübereinanderlagerndeSchicht- wasserhorizonte. Die jährliche Regenhöhe im Hilsgebiet beträgt 80-90 cm. Die Entwässerung im Innern der Hiis- mulde ist zentripetal, nach dem Innern der Mulde gerichtet. Der außerordentliche Quellen- reichtum ist durch die mittlere Porosität und Durchlässigkeit des Hilssandsteines bedingt. Neben den ursprünglich allein vorhanden gewesenen Stau- quellen kommen auch Grundwasserquellen vor und der Endzustand wird sich wohl zugunsten der letzteren entscheiden. In den stark durch- lässigen scherbigen Cenoman- und Turonkalken folgen die Sickerwässer dem Phallen der undurch- lässigen Unterlage. Die Austrittsstelle der in ihnen angesammelten beträchtlichen Wassermassen findet sich da, wo die Erosion das Tiefste der Muldenachse freigelegt hat. Die Ergiebigkeit der Quellen ist im 1 lilssandstein am größten, während Schuttgrundwasserquellen des Plammenmergels meist nicht mehr als i secl. liefern. Die Tem- N. F. XIV. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 715 peratur gibt einen untrüglichen Hinweis auf die Herkunft der Quellwässer. Oberflächliche Scluitt- grundwasserqucllen lassen vielfach die täglichen Temperaturschwankungen zum Ausdruck kommen. Die Härte des Wassers ist am geringsten und gleichmäßigsten bei den demHilssandstein entsprin- genden Quellen, nämlich 0,9—1 Härtegrad. Bei den Stauquellen ist das Wasser um so härter, je näher sie dem Flammenmergel liegen. Schuttgrund- wässer auf Flammenmergel zeigen im Mittel 4 Härtegrade an. Die zentrifugale Entwässerung der Außenseite desHils erfolgt durch demHils- sandstein entstammende Überfallquellen, sowie durch Quellen, welche die in der Schuttbedeckung des Außenabhanges des Hilskammes sich sammeln- den Grundwassermassen abführen. Auf der ganzen Front des Hilssandsteinsteilrandes fließt aus dem Liegenden des Hilssandsteines in gleichmäßiger Verteilung ein schwacher Schichtwasserstrom — entgegen dem Schichtfallen — ab. In der Regel kommt es nicht zur Bildung von Quellen, sondern das Austreten von Wasser ist am l'^uße des Steil- anstieges meist durch feuchte sumpfige Stellen gekennzeichnet, die von Riedgräsern bestandene Hängemoore bilden. Vielfach ist der Lauf der Grund- und Oberflächenwässer durch künstliche Einflüsse geändert. Die Härte der Wässer ist am Außenrande des Hils ungleich und veränderlich im Gegensatz zu den viel konstanteren Schicht- wässern im Innern der Hilsmulde. Das Ohmgebirge bildet eine isolierte Muschelkalkscholle, die sich schroftaus den sanften Buntsandsteinhügeln des Eichfeldes erhebt. Tek- tonisch stellt es eine Mulde dar. Die Oberflächen- gestaltung ist stark durch die Tektonik bedingt. Schichtstufen bilden das Hauptelement der Land- schaftsformen in der rundum abgeschlossenen Gestalt des Ohmgebirges. Die jährliche Nieder- schlagshöhe beträgt 80 — 90 cm. Für den Wasser- haushalt ist die Lage der Schichtgrenze Röt- Wellen- kalk ausschlaggebend, denn die undurchlässigen Röttone schließen den durchlässigen Muschelkalk- komplex ab. Mit geringen Ausnahmen sind die Quellen einheitlicher Entstehung. Das Schichtwasser des Muschelkalk sammelt sich am Grunde der Mulde zu einem Grundwassersee an, der am Rande der Mulde zum Uberflitßen kommt und damit einen Kranz von entgegen dem Schichtfallen ausfließen- den Überfallquellen ringsum das Ohmgebirge entstehen läßt. Die Entwässerung des Ohmge- birges ist also im Gegensatz zur Hilsmulde trotz der tektonischen Übereinstimmung fast nur zentri- fugal. Der Schwerpunkt der Entwässerung des Ohmgebirges liegt am Austritt der beiden Haupt- täler aus dem Gebirge im N. und S. bei Holungen und Worbis, wo je eine schmale Muschelkalk- mulde auf das Ohmgebirge zu verläuft und sich in diesem fortsetzt. Die ergiebigsten Quellen, so die Wipperquellen mit 195 secl. liegen an den tiefsten Stellen des Muldenrandes. Die Härte der Wässer ist am geringsten bei den aus dem Hauptbuntsandstein entspringenden Quellen (1,9 bis 2,5 Härtegrade), während Muschelkalkwässer ziemlich hart sind (7 bis mehr als 12 Härtegrade). Gegenüber dem Hils und dem Ohmgebirge fällt der Kyffhäuser trotz seiner 80—90 cm Niederschläge durch seine Wasserarmut auf. Im Norden einen steilen Anstieg bildend, sind kristalline Gesteine und Rotlicgendes durch eine Verwerfung von 750 m Sprunghöhe gegen den eingesunkenen Buntsandstein der Goldenen Aue abgegrenzt, währenddem gegen Süden sich lang- sam verflachend, Rotliegend- und Zechsieinschichten ganz allmählich gegen Süden einfallen. Die eigen- artigen hydrologischen Verhältnisse sind durch die Beschaffenheit und Lagerung des Gesteinsmaterials bedingt. Undurchlässig sind die kristallinen Ge- steine und die Rotliegendgesteine, durchlässig da- gegen die aus Gips, Dolomit und Letten bestehen- den Zechsteinschichten. In dem ganz undurch- lässigen Gebiete des Nordens vermögen sich keine großen Niederschlagsmengen aufzuspeichern, doch fließt das Wasser nicht ganz oberflächlich ab, sondern es wandert in der mächtigen Schuttbe- deckung der Täler als Schuttgrundwasserstrom. In dem durchlässigen südlichen Teil des Kyfif- häusers sickern die Niederschläge fast restlos in die Tiefe, fließen auf der geneigten undurchlässigen LJnterlage des Rotliegenden ab und gehen dann in das Grundwasser des Wippertales über. Zur Feststellung der Radioaktivität wurden 119 Messungen an 90 Quellen ausgeführt. Durch L^ntersuchung zahlreicher und verschieden- artiger Quellen sollte der Zusammenhang zwischen der geologischen Natur der Quellen und dem Maß ihrer Radioaktivität untersucht werden. In Sedimentärgebieten mit durchweg geringer Radio- aktivität der Quellwässer sind bisher systematische Untersuchungen größerer hydrologischer Kom- plexe noch nicht vorgenommen worden. Die Messung der Radioaktivität erfolgte mit dem Fontaktoskop, einem empfindlichen Aluminium- blattelektrometer mit innerer Isolation, 2 Blech- kannen von je 2 1 Inhalt und einem 16,5 cm langen an das Elektrometer anschraubbaren Zer- streuungsstab, welcher frei in das Innere der Kanne hineinragt und das Abfließen der auf- geladenen Elektrizitätsmenge vermittelt. Die fon- taktoskopische Messung beruht auf den Eigen- schaften der im Innern der Kanne eingeschlossenen Luft, indem radioaktive Wässer Radiumemanation und unter Umständen winzige Spuren radioaktive Salze in Lösung enthalten, welche beide die Eigen- schaft besitzen, die Luft mit der sie in Berührung kommen, durch Abspaltung von Ionen leitend zu machen. Die elektrische Leitfähigkeit der Luft wird durch die Geschwindigkeit gemessen, mit der eine bestimmte Elektrizitätsmenge von einem Elektrometer durch die ionisierte Luft abfließt. Nach Mache wird die Aktivität der Quellen in absoluten elektrostatischen Einheiten angegeben. Da der Wert unbequem klein sein würde, so multipliziert man denselben nach Mache mit 7i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 45 lOOO; das Produkt, die Mache-Einheit = M. E. wird mit i >< lO'* bezeichnet. Das Hilssandstein- wasser zeiget im Mittel 0,75 M. E., die Aktivität der Quellen in den Kalken und Tonen der Jura- umrandung des Hils 1,2 M. E., im Muschelkalk des Ohmgebirges 1,6 M. E., im Granit und Rot- liegenden des Kyffnäusers 2,2 M. E. Dagegen zeigen die Quellen der Schwäbischen Alb sehr schwankende Verhältnisse. Während die Jura- kalkquellen im Mittel i M. E. besitzen, zeigen 2 Grundwasserquellen aus Basalttuff 1,4 bzw. 1,7 M. E., während die großen Karstquellen der Lenninger Lauter (0,229 M. E. ), der Erms (0,412 M. E.) und der Echaz (0,427 M. E.) eine sehr schwache Radioaktivität aufweisen. Die geringe Aktivität der Karstquellen hängt damit zusammen, daß sie eine unbekannte Laufstrecke als unterirdischer Bach mit luftbedeckter Oberfläche zurückgelegt haben. Dasselbe gilt für alle Schuttgrundwasser- quellen, die vor ihrem Austritt längere Zeit im oberflächlichen Gesteinsschutt geflossen sind und den Betrag i M. E. nicht erreichen. Alle Stau- quellen von größerer Ergiebigkeit besitzen eine Aktivität von mehr als i M. E. Die geringste Radioaktivität mit 0,07 M. E. zeigte eine kleine periodische Quelle bei Kaierde im Hils, wo der von der Quelle abgeschiedene poröse Kalktuff wie ein Filter auf den radioaktiven Gehalt ein- wirkt. Im Kyffhäuser hat die südlich Tilleda ge- legene Klingenbornquelle, welche über der 750 m Sprunghöhe betragenden Verwerfungsspalte an der Goldenen Aue liegt, 5,8—7,9 M. E. Möglicher- weise handelt es sich hier um juveniles Wasser. Die radioaktive Untersuchung der Hilsquellen hat ergeben, daß die Kenntnis der Radioaktivität auch für die geologische Charakterisierung der Quellen von Nutzen sein kann, indem sich hier die individuellen Züge der Quellen noch deutlicher zeigen als in den sonstigen Eigenschaften. V. Hohenstein, Halle a. S. Physik. Probleme komplexer Moleküle. In den drei Arbeiten (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, mathematisch-phy- sikalische Abteilung 1914, 27. 28. u. 29. Abhand- lung), die der Hauptsache nach theoretischer Natur sind, beschäftigt sich P. Lenard mit den Vorgängen in der Oberfläche von Flüssig- keiten. Eine ganze Reihe bekannter Erscheinungen lassen sich durch die neuen Anschauungen , die in den Arbeiten entwickelt werden, mühelos und einwandfrei erklären. Die Grundanschauung ist die, daß sich durch Zusammcnlagerung einer .An- zahl von Molekülen in der Müssigkeit komplexe Moleküle bilden, d.h. ein aneinander haftender Haufen von Molekülen. Schon Kohlrausch hat nachgewiesen, daß sich in der Lösung eines Elektrolyten an die Ionen Moleküle des Lösungs- mittels anlagern, die dann zusammen einen Molekül- komplex bilden, der besonders langsam wandert. Auch in (iasen ist die Bildung großer Elektrizitäts- trägcr festgestellt worden. Der Vorgang der Auf- lösung eines festen Körpers — auch eines Nicht- elektrolyten — in einer Flüssigkeit besteht nach dem Verf. darin, daß die Moleküle des festen Körpers voneinander getrennt und mit einer An- zahl von Molekülen der lösenden Flüssigkeit zu Lösungsmolekülen — so nennt er die kom- plexen Moleküle — zusammcngelagert werden. Doch kommen auch in einheitlichen Flüssigkeiten (Wasser, Alkohol usw.) komplexe Moleküle vor, indem sich mehrere Moleküle zusammenlagern, z. B. H.jO^, HgOu. Die Giöße der komplexen Moleküle ist nicht zeitlich konstant , vielmehr wechselt die Zahl der angelagerten Moleküle in- folge der Zusammenstöße, die wegen der unge- regelten Wärmebewegung in der Flüssigkeit statt- finden. Da in den Komplexen die Moleküle dichter gelagert sind als in den übrigen Teilen der Flüssig- keit, erfährt ein in der Oberfläche der Flüssigkeit befindliches Lösungsmolekül einen stärkeren Zug in das Innere der Flüssigkeit hinein als ein ein- zelnes Molekül. Die Folge ist, daß die Kon- zentration der Lösung an der Ober- fläche verringert ist, und zwar ergibt die Rechnung, daß sich die Oberflächenkonzentralion zur Konzentration im Innern verhält, wie das Vo- lumen des Lösungsmittelmoleküls zum Volumen des Lösungsmoleküls. Das Vorhandensein der komplexen Moleküle erklärt nun eine ganze Reihe von Tatsachen, die an Flüssigkeiten beobachtet sind; dadurch wird die Richtigkeit der neuen Anschauung außerordent- lich gestützt. Sorgfältige L^ntersuchungen haben den Nach- weis erbracht, daß eine verdampfende, elektrisierte Flüssigkeit nichts von ihrer Ladung mit dem Dampfe verliert, daß vielmehr der Dampf ganz unelektrisch von der Oberfläche, dem Sitz der Ladung, entweicht. Das Erstaunliche und bisher Unerklärliche des Vorganges ist, daß dieselben Moleküle der Flüssigkeit, die an deren Oberfläche Träger der Ladung sind, ohne diese Ladung in den Dampfraum entweichen, während man wegen der Zugkräfte des elektischen F"eldes vielmehr erwarten sollte, daß gerade die geladenen Mole- küle besonders zahlreich entwichen. Eine Rech- nung ergibt, daß bei dem stärksten Feld, das in Luft von einer Atmosphäre dauernd über einer Flüssigkeit hergestellt werden kann (ca. 40000 Volt pro cm), etwa 2- 10'° Elektronen auf dem Quadrat- zentimeter sitzen, während die Zahl der Moleküle auf dieser Fläche rund lO^'^ ist, so daß mitliin nur jedes 50 000ste Molekül eine elektrische Ladung trägt. Da nun aus einer Wasseroberfläche von 80" pro Sekunde und Quadratzentimeter etwa lo'-'* Moleküle entweichen, so müßte trotz der relativ kleinen Zahl der geladenen Moleküle die gesamte Ladung in außerordentlich kurzer Zeit entweichen. Man kommt demnach zu dem Re- sultat, daß die geladenen Moleküle über- haupt nicht verdampfen. Die Erklärung hierfür ist die, daß sich den geladenen Mole- N. F. XIV. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 717 küleneine ganzeReihe andereranlagert und diese komplexen Moleküle diircli die großen Molekularkräfte in der Oberfläche festgehalten und am Ver- dampfen verhindert werden. Ganz ähn- lich liegen die Verhältnisse z. B. bei einer wäss- rigen HCl-Lösung. Vermöge der großen Ge- schwindigkeit des H-Atoms sollte man erwarten, daß die H-Ionen zahlreicher aus der Oberfläche entwichen als die langsameren CMonen und daß sich demnach die Flüssigkeit negativ auflüde. Daß das nicht eintritt, erklärt sich daraus, daß beide lonenarten Lösungsmoleküle bilden und daher überhaupt nicht entweichen. Eine sehr anschauliche Vorstellung gibt der Verf. vom osmotischen Druck. Die halb- durchlässige Membran spielt die Rolle eines Siebes, dessen Öffnungen wohl die kleinen Lösungs- mittelmoleküle durchlassen, während sie für die Lösungsmoleküle, die ja komplex sind, zu klein sind. Diese letzteren wirken wegen ihrer Größe als Ventile, welche sich auf der Seite der Lö- sung vor die Öffnungen legen und einseitig den Durchgang versperren. Die Lösungsmittelmole- küle werden vermöge der Wärmebewegung von beiden Seiten gegen die Öffnungen getrieben, können aber wegen der einseitig versperrenden Wirkung der Ventile nur nach der Seite der Lösung hindurch, so daß auf dieser Seite ein Überdruck entsteht. Ist der auf der Lösungsseite entstehende Überdruck groß genug geworden, so stellt sich Gleichgewicht her: Der wegen der Ventiiwirkung nach der Lösungsseite hin diffun- dierende Überschuß wird dann kompensiert durch einen enigegengesetzten Überschuß vermöge des Überdrucks, und eben der Überdruck, bei dem dies erfolgt, wird der osmotische Druck genannt. Bei dieser Vorstellung ist es unmittelbar klar, daß die Größe des osmotischen Drucks nur von der Zahl der Ventile {Lösungsmoleküle) ab- hängen kann, so daß demnach äquimolekulare Mengen gleichen osmotischen Druck hervorbringen müssen. Auf ein Flüssigkeitsmolekül, das sich im Innern der Flüssigkeit befindet, wirken die anziehenden Kräfte der rings umherliegenden Nachbarmoleküle gleichmäßig nach allen Richtungen. Liegt das Molekül dagegen in der Oberfläche, so liegen über ihm überhaupt keine Moleküle; es wirkt in- folge dessen auf das betrachtete Molekül eine Kraft, die senkrecht zur Oberfläche nach innen gerichtet ist. Die Gesamtheit dieser auf die Oberflächenmoleküie wirkenden Kräfte bewirken, daß die Oberfläche das Bestreben hat, möglichst klein zu werden; die Oberfläche verhält sich wie eine gespannte Membran, sie besitzt Ober- flächenspannung. Sind komplexe Moleküle in der Oberfläche vorhanden, so werden diese stärker als einfache Moleküle in das Innere ge- zogen. Die Folge ist, wie oben gezeigt wurde, daß sie sich mehr in das Innere bewegen und daß der Gehalt der Oberfläche an Lösungsmolekülen abnimmt. Line ganz frisch hergestellte Oberfläche muß demnach eine besonders große Oberflächen- spannung zeigen, die nachher, wenn ein Teil der Lösungsmoleküle in das Innere gezogen wird, abnimmt. Die experimentelle Prüfung dieser zu erwartenden zeitlichen Abnahme der Oberflächen- spannung geschieht auf folgende Weise: Eine oben verengte Kapillarröhre ragt nur wenig höher aus dem Gefäß mit der Flüssigkeit heraus, als es der Steighöhe bei gealterter Oberfläche entspricht. Ein Luftstrom bläst gegen das obere Ende der Röhre, so daß sich ganz frische Oberfläche bildet. Wird jetzt der Luftstrom abgestellt, so findet man, daß es eine meßbare Zeit dauert, bis die kapillar gehobene Oberfläche sinkt; in dieser Zeit bildet sich also die Schicht von geringerer Konzentration an komplexen Molekülen an der Oberfläche aus. Bei Wasser betrug die Zeit 0,01 Sekunde, bei einigen wässerigen Mischungen war sie etwa doppelt so lang. Die Erscheinungen der Wasser fallelektri- zität, die vom Verf schon 1892 eingehend unter- sucht sind, lassen sich auf Grund der Annahme komplexer Moleküle wesentlich besser erklären. Wenn Wasser zersprüht oder Tropfen auf ein Hindernis treffen, oder wenn Luft durch Wasser hindurchsprudelt, so wird Elektrizität erzeugt. Diese Tatsachen erklären sich durch das Vorhan- densein einer elektrischen Doppelschicht an der Oberfläche der Flüssigkeiten. Über ihre Entstehung sagt der Verf folgendes: „Es müssen die senkrecht zur Oberfläche gerichteten Molekular- kräfte nicht nur die schon betrachtete Verschie- bung der komplexen , massiveren Moleküle nach innen hervorbringen, sondern sie müssen eine Wirkung der gleichen Art auch auf die beweg- lichen Teile der einzelnen Moleküle ausüben, sei es durch Drehungen oder durch innere Verzer- rungen der Moleküle, jedesmal so, daß dadurch die massiveren Teile der Moleküle dem Innern der Flüssigkeit genähert werden. Diese inneren Massenverschiebungen der an der Oberfläche ge- legenen Moleküle müssen bei der elektrischen Konstitution der sie aufbauenden Atome und bei der elektrischen Natur der die Atome im Molekül zusammenhaltenden (chemischen) Kräfte gleich- bedeutend sein mit elektrischen Verschiebungen in Richtung der Oberflächennormalen, d. i. mit der Herstellung einer elektrischen Doppelschicht an der Oberfläche. Die massiveren Teile der Atome sind, wie man weiß, mit einer positiven Ladung verknüpft; es ist also die äußere Belegung der Doppelschicht negativ zu erwarten, und dies ist in Übereinstimmung mit dem negativen Zeichen der bei der Wasserfalhvirkung in die Luft ab- gehenden Ladung." Je größer die Dielektrizitäts- konstante der Flüssigkeit ist, desto größer muß die elektrische Verschiebung, desto stärker also die Doppelschicht, desto kräftiger demnach der Wasserfalleffekt sein. Versuche von Coehn und Mozer haben die Richtigkeit dieser Schlüsse er- wiesen. An der Oberfläche von Wasser 7i\ Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 45 und allen dielektrischen Flüssigkeiten befindet sich demnach eine wohlaus- gebildete, durch die Molekular kräfte der Flüssigkeit selbst hervorgebrachte elektrische Doppelschicht, deren Dicke gleich dem Radius der Wirkungssphäre ist und deren äußere (stets negative) Belegung durch die äußerste IVIolekül- schicht der Flüssigkeit gebildet ist. Da die Doppelschicht auch beim Erstarren der Flüssig- keit bestehen bleibt, ist auch an den Oberflächen dielektrischer Körper eine ebensolche Do[)pel- schicht zu erwarten. Zerbläst man Wasser mit einem gewöhnlichen Zersprüher, so werden dauernd kleinste Wasser- partikel aus der äußersten Ober fläch en- schicht abgetrennt, die eine negative Ladung zeigen, da die äußerste Molekülschicht der Wasser- oberfläche ja negativ geladen ist. Ist der Durch- messer der abgetrennten Teilchen gleich oder größer als der Radius der Wirkungssphäre, dann müssen sie elektrisch neutral sein , da sie beide Belegungen enthalten, es tritt dann keine Elektri- sierung auf, während Teilchen von einem kleineren Durchmesser negativ geladen sein müssen. Beim Wasser treten demnach — und die Beobachtungen stimmen damit überein — nur negative Träger auf, deren Durchmesser bei der ganz überwiegen- den Zahl nur bis zu etwa 150- lo"** cm hinauf- geht; die meisten haben einen Durchmesser von 8o-lO~^cm. Hiernach wäre der Radius der Wir- kungssphäre zu 150-10^** cm anzugeben. Eine solche Abtrennung kleinster Wasserpartikel aus der äußersten Oberflächenschicht kann nur stattfinden, wenn große und zwar auf die äußerste Oberflächenschicht lokalisierte Beschleunigungen in der Wassermasse auftreten, wie es beim Zer- sprühen geschieht. Beim Auftreffen von Tropfen auf ein Hmdernis bringt das plötzliche Abströmen der Luft zwischen Tropfen und Hindernis, beim Sprudeln das plötzliche Entweichen der unter kapillarem Druck befindlichen Luft im .'\ugenblick des Platzens der Blase an der Oberfläche dieselbe Wirkung hervor. Wie man sich die Oberflächenkonstitution von Elektrolj'ten und von Lösungen flüchtiger Stoffe vorzustellen hat, möge in den Originalarbeiten nachgelesen werden. Bekanntlich wird durch Auflösung eines festen Körpers in Wasser der Dampfdruck des Wassers erniedrigt oder was auf dasselbe heraus- kommt, der Siedepunkt erhöht. Die Bildung komplexer Moleküle erklärt diese Tatsache auf einfache Weise: Wie oben auseinandergesetzt ist, sind die Lösungsmoleküle unverdampfbar, da die Kräfte, die sie in das Innere der Flüssigkeit ziehen, besonders groß sind. Die unverdampfbaren in der Oberfläche befindlichen Moleküle schirmen aber die Verdampfung der unter ihnen befindlichen Moleküle ab und machen also einen Teil der Oberfläche unverdampfbar, während die Konden- sation des Dampfes an diesem Teil unverändert bleibt. Diese .Anschauurg macht es verständlich, daß die Dampfdruckerniedrigung lediglich von der Zahl der gelösten Moleküle und nicht von ihrer Natur abhängt. Im Zusammenhang mit der Änderung der Dampfspannung durch komplexe Moleküle steht die Ko nd ensati o n des Dampfes an Elek- trizitätsträgern und Nebelkernen. Be- kanntlich kondensiert sich der Dampf an bereits vorhandenen festen oder flüssigen Oberflächen. Im freien Dampfraum und in der Atmosphäre dienen als Kondensationskerne Staubteilchen oder Molekülkomplexe, die häufig elekrisch geladen sind. Als wesentliches Resultat der Betrachtungen sei hier mitgeteilt, daß elektrische und ur.elektri- sche Kerne von gleicher Größe nicht entfernt den großen Unterschied in bezug auf Dampfkonden- sation zeigen, den man ihnen gewöhnlich zuschreibt und der in der verbreiteten Ansicht zum Ausdruck kommt, daß Dampf kondensation gewöhnlich an Ionen stattfindet. In allen gewöhnlichen Gasen und Dämpfen sind, auch wenn sie staubfrei ge- macht sind, stets eine Anzahl von komplexen Molekülen vorhanden, die durch besondere Mole- kularkräfte so zusammengehalten werden, daß sie bei der betreffenden Temperatur unverdampfbar sind und sich also wie feste Teilchen verhalten. Sind die Kerne unelektrisch, dann haben sie die Größe von nur wenigen Molekülen; sind sie da- gegen geladen, so sind sie größer. In gewöhn- lichen Gasen und in Wasserdämpfen beträgt ihr Radius 7 bis 11 -lO"* cm. K. Schult. Bücherbesprechimgen. KirchhofF, Alfred, Mensch und Erde. Skizzen von den Wechselbeziehungen zwischen beiden. 4. Auflage. (Aus Natur- und Geisteswelt 31. Bändchen.) 100 Seiten. Leipzig und Berlin, B. G. Teubner, 1914. — Preis i M. In Lcinw. geb. 1,25 M. Das Werkchen bietet nicht, wie man nach dem Titel vermuten könnte, einen kurzen Abriß der Anthropogeographie, sondern 7 Einzelskizzen, die als Unterlagen zu Vorträgen ausgearbeitet waren, die der vor einigen Jahren verstorbene Verf stets mit großem Erfolg vor einem breiten Zuhörerkreis gehalten hat. Das erste Kapitel be- handelt das Antlitz der Erde in seinem Einfluß auf die Kulturverbreitung und die Anpassung der einzelnen Völker an ihren Lebensraum, die zu einer tellurischen Auslese seitens der einzelnen Länder führt. Das zweite Kapitel ist der einzigen absoluten Großmacht auf Erden, dem Meere ge- widmet, dessen Bedeutung im Leben der Völker N. F. XIV. Nr 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 719 der Verf. nach verschiedenen Richtungen hin be- leuchtet. Dabei protestiert er jedoch gegen den geistlospseudogeographischen Fanatismus, der den Menschen als willenlosen, einem naturgesetz- lichen Zwang gehorchenden Automaten betrachtet. Eine Studie über die Steppen- und VVüstenvölker veranschaulicht die Anpassung dieser Nomaden an schwierige Daseinsbedingungen. Hagerer sehni- ger Körperbau, große Muskelkraft und Ausdauer, Gewandtheit und eine für unsere Begrifte oft nahezu unglaubliche Schärfe einzelner Sinne sind die hervorstechendsten Eigenschaften der Bewohner solcher Trockenlandschaften. Das vierte Kapitel befaßt sich mit der schöpferischen Tätigkeit des Menschen, der eine Wildnis in Kulturlandschaften umzuwandeln vermag. Je mehr sich die wirt- schaftliche Kultur eines Volkes hebt, und je dichter die Besiedlung wird, desto vielseitiger spiegelt das von ihm bewohnte Land seine Tätigkeit wieder, indem zuletzt von dessen ursprünglichem Antlitz wenig mehr übrig bleibt als das Relief des Bodens. Heute würde Tacitus sein Germanen- land kaum wiedererkennen. Die fünfte Skizze zeigt uns die geographischen Motive in der Ent- wicklung der Nationen und bietet daher gerade in der gegenwärtigen Kriegszeit besonderes Inter- esse. Manche Ausführungen des Verf haben durch den Krieg geradezu eine lebendige Illustra- tion erfahren. Mit ernsten Worten tritt er der Störung des Völkerfriedens entgegen, die da heuchlerisch einherschreitet unter der Lügenmaske vom „Nationalitätsprinzip", nach dem die .Staaten Europas zurechtgeschnitten werden sollten. Es müsse der Überzeugung Raum geschaffen werden, daß gesunde Staaten reelle Interessengemein- schaft vertreten und in diesem, nicht aber in ethno- logischem Sinne Nationalstaaten darstellen. Den Beschluß bilden zwei Kapitel aus der speziellen Erdkunde. China und die Chinesen einerseits, Deutschland und sein Volk andererseits bieten dem Verf Gelegenheit uns den großen Gegen- satz beider in Landesnatur, Klima, Bevölkerung und Kulturgepräge deutlich vor Augen zu führen. Der nach dem Tode des Verf. bereits mit der Herausgabe der dritten Auflage betraute Herr, Dr. K. Müller-Gera hat in einem Anhange eine Reihe von erläuternden Bemerkungen hinzugefügt- die teils erklärender Natur sind, teils den Wort- laut des Textes durch Zahlenangaben näher präzi- sieren. O. Baschin. Hassert, Kurt, Die Polar forschung. Ge- schichte der Entdeckungsreisen zum Nord- und Südpol von den ältesten Zeiten bis zur Gegen- wart. Dritte umgearbeitete Auflage. (Aus Natur- und Geisteswelt. 38. Bändchen.) 134 Seilen. Leipzig und Berlin, B. G. Teubner, 1914. Preis I M., geb. in Leinw. 1,25 iM. Das Werkchen ist die beste Geschichte der gesamten Polarforschung, welche die neueste geo- graphische Literatur aufzuweisen hat. Nach einem einleitenden Kapitel über Zweck und Aufgaben der Polarforschung werden die I^olarfahrten des Altertums und des Mittelalters kurz beschrieben, während die Reisen zur Aufsuchung der nord- westlichen und der nordöstlichen Durchfahrt eine ausführlichere Schilderung erfahren. Der Unter- nehmung Sir John Franklin's und den zu dessen Rettung ausgesandien Expeditionen ist ein be- sonderes Kapitel gewidmet. Weitere Abschnitte behandeln die neueren Foischungen im Parry-Ar- cliiptl (Sverdrup, Amundsen), d:e Fahrten durch den Smithsund ins oft'ene Polarmeer (Kane, Hayes, Hall, Markham, Greely), und die Erforschung Grönlands und seines Inlandeises (mit drei Karten- skizzen). Dann folgen die Entdeckungsfahrten im Europäischen Eismeer (Spitzbergen, Franz- Josef-Land, Novaja Semlja) und im Sibirischen Eis- meer, dem Schauplatz der nordöstlichen Durch- fahrt. Den Beschluß des ersten Teils macht eine Beschreibung der neuesten Vorstöße zum Nord- pol, die in dessen Erreichung durch Cook und Peary gipfelten. Auch die Versuche mit mo- dernen Hilfsmitteln, Luftballon und Eisbrecher, den Nordpol zu erreichen, werden kritisch ge- würdigt. Der zweite, der Antarktis gewidmete Teil ist naturgemäß kürzer. Die Entschleierung des Süd- polarlandes bis zum Ende des verflossenen Jahr- hunderts, die internationale Südpolarforschung 1900 bis 1905 und der siegreiche Kampf um den Südpol bilden drei natürliche Abschnitte dieses interessantesten Teiles der Entdeckungsgeschichte unseres Planeten. Mit der Eroberung beider Erdpole hat eine lange, verlust- und erfolgreiche Epoche der Polar- forschung ihr Ende erreicht, und die künftige Entdeckertätigkeit wird sich in Arktis und Ant- arktis andere Ziele suchen müssen. Um so will- kommener muß jedem Gebildeten eine kurze, prägnante Darstellung der bisher errungenen Er- folge und Resultate sein, die ihm in diesem Werkchen geboten wird. Der Verf hat die einschlägige Literatur gründ- lich durchgearbeitet, mit kritischem Verständnis benutzt und mit klarem und sicheren Blick eine geschickte Auswahl getrofifen. Von besonderem Wert sind die zahlreichen und zuverlässigen Lite- ratur-Angaben und ein kurzes Namen-Verzeichnis. O. Baschin. Kossowicz, Alexander, Prof. Dr. Die Zer- setzung und Haltbarmachung derEier. Eine kritische Studie mit zahlreichen eigenen Untersuchungen. 74 S. Wiesbaden 191 3. Bei der großen wirtschaftlichen Bedeutung des Eierhandels ist eine rationelle Konservierung frischer Hühnereier von ganz besonderer Wichtigkeit, da die Preise frischer Eier, besonders in den Winter- monaten oft unerschwinglich sind und Deutschland auf den Import konservierter Eier angewiesen ist. Um die Eier vor dem Verderben zu schützen und einwandfreie Konservierungsmittel ausfindig zu machen, ist die Kenntnis der Infektionsmöglich- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XrV. Nr. 45 keit unverletzter Eier Vorbedingung. Es ist sehr verdienstlich von dem Verf, die sehr umfangreiche Literatur über die Zersetzung der Eier durch Bakterien, Hefen und Schimmelpilze zusammen- gestellt, kritisch gewürdigt und durch eine Reihe eigener Untersuchungen ergänzt zu haben. Als Resultat dieser Untersuchungen ergibt sich, daß frische Eier gewöhnlich keimfrei sind und nur selten Bakterien enthalten, daß Bakterien, Hefen und Schimmelpilze unter den üblichen .'\ufbe- wahrungsbedingungen nach kürzerer oder längerer Zeit die unverletzte Eischale durchdringen können, daß alte Eier von Mikroorganismen leichter infi- ziert werden als frische und daß mit dem Inhalte frischer oder fauler Eier übergossene Eier leicht verderben. Besonders leicht vermögen l-'äulnis- bakterien (Proteus vulgaris) in das Innere unver- letzter Eier zu gelangen, wodurch das Eindringen anderer Organismen begünstigt wird. Außer dem Proteus vulgaris (Bact. vulgare) konnten u. a. Bac. mesentericus niger, Bac. mes. ruber, Bact. pro- digiosum die Eischale durchdringen und aus den infizierten Eiern wieder isoliert werden, desgleichen die Schimmelpilze Aspergillus niger, A. glaucus, Penicillium glaucum, P. brevicaule, Cladosporium herbarum, unh Phytophthora infestans. Auch Sac- charomyceten, Monilia Candida und Oidium laclis können die Eischale durchdringen. Im letzten Abschnitt der Arbeit bringt der Verf. eine Über- sicht über die bisher angewandten Arten der Haltbarmachung der Plier, woraus hervorgeht, daß die Erfahrungen mit den empfohlenen Mitteln oft recht ungleiche sind. Durch weitere Studien wird man die Widersprüche in der Beurteilung der Mittel aufklären müssen. Nach Ansicht des Verf. empfiehlt sich besonders die Konservierung in eigenen Kühlräumen durch Kälte in Verbindung mit Kohlensäureimprägnierung und das Einlegen der Eier in Kalkmilch oder Wa'serglaslösung. Die Aufbewahrung soll in trockenen gut gelüfte- ten Räumen erfolgen. Ein Autoren- und Sach- register beschließt das in erster Linie für Hygieni- ker, Nahrungsmittelchemiker und Mykologen be- stimmte, einfach und klar geschriebene und auch für den Praktiker lesenswerte Buch. Wächter. Erkes, Ed., Japan und die Japaner. Kriegs- geographische Zeitbilder. Hersg. von Dr. H. S p e t h m a n n und Dr. E. Scheu. Heft 7. Leipzig 1915, Veit & Co. — Preis 80 Pf. Kurze, aber anregend geschriebene vorwiegend historische Studie über die Japaner und die japa- nische Kultur, deren Verständnis der Verf. durch Entwicklung ihres geschichtlichen Werdeganges zu vermitteln sucht, bemüht den Eigenarten dieses Volkes nach Möglichkeit gerecht zu werden. Die Schrift ist gegenwärtig willkommen. Dr. E. Wunderlich-Berlin. Anregungen und Antworten. Dünenbildung und Strandroggen. In Nr. 36 dies. Jahrg. der Nalurw. VVochenschr. wird unter obiger L'berichrift eine Entgegnung auf einen in Nr. 25 gebrachten Artikel von mir über ,, Natürliche Verbündete bei der Landgewinnung an den Nordseeküsten", zur Kenntnis gebracht. Es war nicht meine Absicht, auf die Uünenbildung näher einzugehen, muß dies aber jetzt nachholen. Es ist richtig, der Sirandroggen, Ammo- phila arenaria Link, kann die Veranlassung zur Bildung einer Düne sein, dasselbe können aber auch andere Gegenstände, wie Steine, angespülte Fischkästen, Flaschen u. dgl. ; doch sind dies eigentlicli keine Dünen, sondern nur größere Sand- haufen. Während meines 18jährigen Aufenthaltes auf den Nordseeinseln habe ich obigen Vorgang genau beobachten wollen, doch eine richtige Düne bildete sich immer auf andere Weise. Wie kann man doch erklären, daß mehrere 2 bis 3 km lange und 20 bis 30 m hohe Dünen durch eine oder gar mehrere Grasbüsche entstehen sollten. Wo die Dünenbildung regelmäßig erfolgt, da kann man sie wellen- förmig nennen, und ähnlich wie der Wind auf dem Wasser die Wellen erzeugt, drückt er auch auf den losen Sand und verursacht ähnliche Bildungen , und dasselbe tut das Wasser auf dem Meeresgrund. Wenn sich deshalb am Meeresufer oder auf einer Sandbank eine Düne bildet, so kann dort nie- mals der Strandroggen die Ursache sein, er stellt sich erst später ein, teils von selbst, teils wird er von Menschenhand zur Festlegung des flüchtigen Dünensandes angepflanzt. In meinem Artikel kamen nur Neubildungen von Dünen auf neuem Boden in Frage, und hier vollzieht sich dieselbe ohne den Strandroggen. Philippsen-Flensburg. Woher rührt das Rauschen, das man wahrnimmt, wenn man größere Muscheln ans Ohr hält? Da wir auf diese der Redaktion kürzlich von einem Leser gestellte Frage keine hinreichende Auskunft erhalten konnten, möchten wir sie dem Leserkreise vorlegen mit der Bitte um freundliche Äußerung. Zu beachten wären die Teilfragen: 1. wird das Geräusch nur bei den großen marinen Schnecken- häusern oder auch bei anderen ähnlichen hohlen Gegenständen vernommen, wenn man sie ans Uhr hält? 2. hört man das Rauschen auch bei möglichst vollständiger Abwesenheit jeg- licher fremder Geräusche in der Umgebung? 3. bleibt das Geräusch auch dann hörbar, wenn man das Schneckenhaus bis auf den Spalt verschließt, der dem Ohr anliegt, und es dann möglichst luftdicht ans Ohr preßt? 4. würden nicht auch Geräusche in Frage kommen, die durch das Anlegen der Muschel, etwa mit Hilfe der Haare oder des Pulsschlages, entstehen? Die Schriftleitung. Notiz. Für den ins Feld gegangenen Herausgeber übernimmt Herr Privatdozent Dr. Joh. Buder die Redaklionsgeschäfte. Man bittet also, von jetzt an alle für die Redaktion bestimmten Sendungen an folgende ."Adresse gelangen zu lassen: Herrn Privatdozenten Dr. Joh. Buder, Leipzig, Linnestraße i. Inhalt; Mütcfindt: Die Wissenschaft .vom fossilen Menschen eine geologische oder eine vorgeschichtliche Disziplin? — ' Einzelberichte: Wintgen: Über die Dichte und die Lichtbrechung kolloidaler Lösungen. Knicp: Die Entstehung der Schnallen am Mycel der Basidiomyzeten (mit I Abbildung). Kniep: Die Bedeutung des Milchsaftes. Reinke; Dünenbildung in der Sahara. Seeger: Stoßreizbarkeit von Enzianblüten. B ehrmann: Erforschung des Kaiserin- Augustastroines. Walter: Ilydrobiclogische Untersuchung des Hils, des Ohnigebirges und des Kytfhäusers, nebst Be- stimmung des radioaktiven Gehalts der Quellwasser. Lenard: Probleme komplexer Moleküle. — Bücherbesprechun- gen: Kirch ho ff: Mensch und Erde. Hassert: Die Polarforschung. Kossowicz: Die Zersetzung und Haltbar- machung der Eier. Erkes: Japan und die Japaner. — Anregungen und Antworten. — Notiz. Manuskripte und Zuschriften werden an Dr. Joh. Buder, Leipzig, Linnestraße I, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a, d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. der ganzen Reihe 30. Band. Sonntag, den 14. November 1915. Nummer 46. Chemie und Arzneimittellehre. [Nachdruck verboten.] Von Dr. Wohl haben frühere Jahrhunderte eine Anzahl Heilmittel rein empirisch der Natur entnommen/) von denen manche noch heute Verwendung finden — doch blieb die systematische Arbeit auf diesem Gebiet der neueren und neuesten Zeit vorbe- halten. Bereits erprobte Substanzen unterwarf die rasch sich entwickelnde Chemie einer eingehenden Unter- suchung und es gelang, deren wirksame Bestand- teile zu isolieren. Ein Beispiel mag zur näheren Erläuterung dienen. Das Opium war schon den Alten bekannt. Diese Droge ist der eingedickte Milchsaft der Samenkapseln des Mohnes. Sie besteht aus einem sehr komplizierten Gemenge von Stoffen und ent- hält u. a. Kautschuk, Fette, Harze, Gummi, Zucker- arten, Eiweißstoffe, Mineralsalze, organische Säuren usw., neben zahlreichen Alkaloiden. Von diesen Alkaloiden sind etwa 20 verschiedene im Opium nachgewiesen. Unter ihnen kommt dem von Sertürner 1806 isolierten Morphin die größte Bedeutung zu. An Menge macht es ungefähr den zehnten Teil des Opiums aus. Für die therapeu- tische Verwendung ist viel durch die Absonde- rung einer solchen chemisch wohlcharakterisierten Verbindung gewonnen. Oft rührten die unange- nehmen, ja manchmal gefährlichen Nebenwirkungen einer Droge nur von beigemengten Substanzen her, die zu der Heilwirkung in keiner Weise bei- trugen. Durch Isolierung des Hauptbestandteiles wurde es möglich, die unerwünschten Neben- wirkungen auszuschalten. Und es konnte jetzt erst, frei von allen störenden Nebenwirkungen, die Wirkungsweise des reinen Heilmittels auf den Organismus geprüft werden. Die Dosierung war erst jetzt in befriedigender Weise möglich. Ein Gemisch der verschiedensten Stoffe, wie das Opium, ist ja naturgemäß sehr schwankend in seiner Zusammensetzung und kann daher nur sehr unvollkommen dosiert werden. Sehr bald aber begnügte man sich nicht länger damit, einzelne wohlcharakterisierte Verbindungen abzusondern. Die weitere Entwicklung geht nun dahin, den Aufbau, man könnte sagen die Archi- tektur, der wirksamen Substanzen zu erforschen. Die chemische Analyse stellt fest, daß ein Körper so und so viele Prozente Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff enthält — in der Tat sind dies die häufigsten Bausteine der Verbindungen, die uns hier interessieren. Auf Grund von allgemeinen Gesetzen und sinnreichen Annahmen läßt sich dann berechnen, aus wie vielen Atomen Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff das Molekül der vorliegen- den Substanz besteht.*) Es genügt aber nicht zu wissen, daß das Mo- lekül einer Substanz aus — um beim Beispiel des Morphins zu bleiben — 17 Atomen Kohlenstoff, 19 Atomen Wasserstoff, i Atom Stickstoff und 3 Atomen Sauerstoff zusammengesetzt ist, sondern man muß auch noch wissen, wie diese einzelnen Atome untereinander zusammenhängen, wie das Molekül aufgebaut ist. Es kommt oft vor, daß zwei Verbindungen aus der gleichen Anzahl von Atomen derselben Elemente bestehen und doch ganz verschieden voneinander sind, ganz verschiedene Eigenschaften haben. Z. B. haben sowohl Äthylalkohol, gewöhn- lich einfach Alkohol genannt, wie Methyläther die Zusammensetzung C.H^O. Sie besitzen aber vollkommen verschiedene Eigenschaften, haben verschiedenen Siedepunkt, verschiedene Dichtigkeit, verschiedenen Geruch, reagieren che- misch ganz verschieden, kurz sind Substanzen, die so ziemlich in allem verschieden sind, außer in ihrer prozentualen Zusammensetzung. Ihr Auf- bau, die Art und Weise, wie die einzelnen Atome im Molekül zusammenhängen, ist eben ganz ver- schieden, und dies bedingt die Verschiedenheit ihrer Eigenschaften. Dem Alkohol kommt die Formel zu : CH3.CH.J.OH dem Methyläther die Formel CH3 CH/ Im Alkohol sind die 2 Kohlenstoffatome direkt miteinander verbunden, im Methyläther sind sie durch Vermittlung eines Sauerstoffatoms ver- bunden. Der Alkohol hat ein an Sauerstoff ge- bundenes Wasserstoffatom, dem besondere Eigen- schaften zukommen und das dem Methyläther fehlt. Es leuchtet ein, daß solche Verschieden- heiten im Aufbau der Verbindungen ihre Eigen- schaften, ihre chemischen Reaktionen und schließ- ') Schon die alten Indier z. B. gebrauchten Quecksilber gegen Hautkrankheiten, Eisen gegen Blutarmut; und wenn Helena in der Odyssee (IV. Gesang) in den Wein ein Mittel warf ,, gegen Kummer und Groll und aller Leiden Gedächtnis", so ist das wohl Opium gewesen. ') Unter Molekül versteht man bekanntlich die kleinste existenzfähige Menge einer chemischen Verbindung, unter Alom die kleinste Menge eines Elementes. Ein Element ist ein einheitlicher Stoff, der nicht mehr in voneinander stoftlich verschiedene Bestandteile zerlegt werden kann, Kohlenstoff, Wasserstoff usw. sind solche Elemente. 722 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 46 lieh auch ihre physiologischen Wirkungen beein- flussen müssen. Daher war der weitere Schritt in der Kennt- nis der Heilmittel der, daß die Chemiker daran gingen, zu ergründen, wie der Aufbau der be- kannten Arzneimittel beschaffen war. Sie er- forschten ihre „Konstitution". Dieses Eindringen in den Aufbau einer Sub- stanz ist mühsam und schwierig. Wir kennen seit über 100 Jahren die Zusammensetzung des Mor- phins und wissen, wie viele Atome Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff sein Molekül enthält. Aber noch heute arbeiten bedeutende Chemiker daran, zu ermitteln, wie nun diese Atome sich im Morphin gruppieren. Aus diesem einen Beispiel kann auch der Laie die Schwierig- keiten dieser Forschungen ermessen. Solche Ar- beit ist aber notwendig, um dem Fortschritt die Bahn zu bereiten. Hat der Chemiker erst die Konstitution, den Aufbau eines Körpers ermittelt, dann gelingt es ihm auch nicht selten, den Körper künstlich im Laboratorium herzustellen. Von ein- facheren, schon bekannten Substanzen ausgehend, setzt er sozusagen aus diesen die gesuchte kom- pliziertere Verbindung zusammen, stellt sie „syn- thetisch" dar. So wurde das Cocain, das bekannte Lokalanästhetikum, das aus den Cocablättern ge- wonnen wird, von Willstätter, das anregende Prinzip des Kaffees , das Koffein , von Emil Fischer synthetisch dargestellt. Und nun ging die Forschung noch einen Schritt weiter. War es denn sicher, auch nur wahrscheinlich, daß die Natur uns die bestmöglichen Arzneimiitel bot ? Schließlich wachsen ja Pflanzen und Sträu- cher nicht ausgesprochen, um uns Mittel zur Hei- lung unserer Krankheiten und Gebrechen zu liefern. Es war also nicht vermessen, sich die Aufgabe zu stellen, das von der Natur Gebotene zu verbessern und durch chemische Eingriffe in die natürlich vorkommenden Stoffe ihre physio- logischen Wirkungen in der von uns erwünschten Richtung zu modifizieren. Ferner war ja auch denkbar, daß die Ver- bindungen, die wir dem Pflanzenreich entnehmen und die meist eine äußerst komplizierte Zusammen- setzung haben, nicht immer als solche wirkten, sondern daß vielleicht einzelne Gruppen von Atomen in ihrem Molekül die Träger ihrer Wir- kung seien. Dann mußte es möglich sein, Sub- stanzen von viel einfacherer Zusammensetzung herzustellen , welche diese wirksamen Gruppen enthielten. Die Bemühungen der Chemiker sollten sehr bald diesen Weg einschlagen. Den Anlaß dazu gab 1887 die zufällige Ent- deckung, daß ein relativ einfach zusammergesetzter Körper, das Acetanilid (Antifebrin) — aus Essig- säure und Anilin gewonnen — hervorragende temperaturherabsetzende Eigenschaften besaß. Bald darauf wurde das Phenacelin entdeckt und es folgte das so bekannt gewordene Antipyrin. Es eröffnete sich die Aussicht, ganz bestimmte Zusammenhänge zwischen chemischer Konstitution und physiologischer Wirkung zu ermitteln, Atom- gruppen zu hnden, mit deren Einführung in eine Substanz diese auch ganz bestimmte Eigenschaften in Bezug auf ihre Wirkung auf den menschlichen Organismus erlangen würde. Leider haben sich die großen Hoffnungen, die man in dieser Richtung zu hegen berechtigt war, noch nicht ganz erfüllt. Immerhin ist manche wertvolle Beziehung zwischen chemischem Aufbau und physiologischer Wirkung festgestellt worden. Man erkannte, daß gewissen Atomgruppen be- stimmte physiologische Wirkungen eigen sind und stellte Substanzen her, welche diese Atom- gruppen enthielten. So wurde eine große Anzahl von künstlichen, synthetischen Heilmitteln gewonnen und deren Wirksamkeit auf den menschlichen Or- ganismus geprüft. Diejenigen, deren Wirkung unseren Bedüfnissen am besten entsprach, sind dauernd dem .Arzneimittelschatz eingefügt worden. Und doch ist, bei näherer Betrachtung, diese Entwicklung, in der wir noch mitten drin stecken, und die schon unzählige künstliche Arzneimittel hervorgebracht hat, von nur wenigen Grundideen getragen. Die meisten dieser neuen Mittel lassen sich auf eine geringe Anzahl charakteristischer Gruppierungen zurückführen, deren Auffindung wirklich etwas Neues und Fruchtbares war. Die Mehrzahl der Mittel aber, welche die Fabriken täglich in übergroßer Zahl herausbringen, sind nur Varianten und Veränderungen an einer kleinen Anzahl dieser charakteristischen Gruppierungen. Das Wesentliche, die wirksame Gruppe von Ato- men, ist bei vielen Heilmitteln dieselbe, geändert wird bloß am Nebensächlichen. Die übergroße Produktion auf diesem Gebiete ist zu bedauern und wird sehr bedauert — nicht am wenigsten von den Ärzten, die sich oft vor der Hochflut der neuen Präparate nicht zu retten wissen, von denen das letzte immer auch, wenigstens nach der Meinung des Fabrikanten, das Beste sein soll. Zum Glück hilft da ein gewisser Konservatismus, der hier durchaus angebracht ist. Das erste gute Präparat einer wirklich neuen Gruppe behauptet sich meist gegen die späteren Konkurrenten. Ist es nun hier unmöglich, sich eingehend mit den neuesten Ergebnissen der Pharmakologie zu befassen, so wollen wir es uns doch nicht ver- sagen, wenigstens auf einige der Zusammenhänge hinzuweisen, welche die gemeinsame Arbeit von Chemikern und Pharmakologen erschlossen hat. II. Die organische Chemie, d. h. die Chemie der Kohlensloffverbindungen, umfaßt zwei Haupt- gruppen, die Fettkörper — sie werden so genannt nach den Fetten, die zu ihnen gehören — und die aromatischen Körper, welche ihre Benennung dem Umstand verdanken, daß vielen von ihnen ein angenehmer Geruch, ein Aroma, eigentümlich ist. Die Verbindungen der Fettreihe lassen sich alle herleiten vom Methan, einem Gase von der N. F. XIV. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 723 Formel CH^, was besagen will, daß sein Molekül sich zusammensetzt aus einem Atom Kohlenstoff und 4 Atomen Wasserstoff. Sehr vielen Substanzen der Fettreihe ist eine einschläfernde Wirkung auf den menschlichen Organismus eigen, sie sind Narkotika. Das Methan ist ein solches, allerdings nur ganz schwaches Narkotikum. Tauscht man der Reihe nach, was leicht zu bewerkstelligen ist, ein, zwei, drei und schließlich alle vier Wasserstoffatome des Methans gegen je ein Chloratom, so steigen die narkotischen Eigenschaften der entstehenden Ver- bindungen. Am stärksten einschläfernd wirken Chloroform CHCI3 und Tetrachlorkohlenstoff CCI4. Letzteres hat aber stark giftige Eigenschaften und ist deshalb als Narkotikum unbrauchbar. Das Chloro- form entdeckte Liebig 1831, als Narkotikum wurde es erst 1848 (Simpson) verwertet. Auch die Chloroformnarkose hat schon manches Mal zu Un- glücksfällen geführt, welche auf die Einwirkung von Zersetzungsprodukten des Mittels zurückge- führt werden. Deshalb sollte bei Operationen, wo immer möglich, frisch dargestelltes Chloro- form benutzt werden, das sich leicht gewinnen läßt, z. B. aus Salicylid, das aus Chloroform unter Bindung von diesem Lösungsmittel kristallisiert und es beim Erwärmen wieder abgibt. Auch die „Hydroxyl"gruppe (OH, das heißt Wasserstoff gebunden an Sauerstoff) begünstigt die narkotische Wirkung. So ist der Alkohol C.2H5OH ein Narkotikum. Die schwere Form der Trunkenheit ist dem Wesen nach nicht verschieden von der Chloroform- und Athernarkose. Der Alko- hol läßt sich indessen in der Medizin nicht als Narkotikum verwenden, schon weil hierzu Mengen nötig wären, deren Anwendung sehr schlimme Neben- und Nachwirkungen haben würden. Auch die langsame, dafür aber anhaltende Wirkung des Alkohols steht seiner Verwendung als Narkotikum im Wege. Von einem solchen muß, ganz im Gegensatz dazu, eine sofort einsetzende Wirkung verlangt werden. Ferner soll, nach Beendigung zeigt, daß er dieselbe Gruppe C.jHj, wie der Alko- hol enthält, aber diese Gruppe ist hier durch ein Atom Sauerstoff an eine zweite Gruppe C.2H5 ge- bunden. Diese C^Hg-Gruppe ist überhaupt recht wirk- sam in schlafbringender Hinsicht. Wir finden sie beim Veronal wieder, wo zwei solcher Gruppen an eine andere kompliziertere gebunden sind. Gerade dieses Schlafmittel ist ein sehr geeignetes Beispiel , um zu zeigen, wie die Einführung be- stimmter Gruppen von Atomen die physiologischen Eigenschaften einer Verbindung ändert. Die Bar- bitursäure hat die Formel NH-CO I I CO CH., I I NH— CO Sie ist physiologisch vollkommen wirkungslos. Er- setzt man in dieser Verbindung die zwei an einem Kohlenstoffatom sitzenden Wasserstoffatome durch zwei Methylgruppen (CH3), so ist die entstehende Verbindung ein schwachwirkendes Schlafmittel. Der Ersatz derselben zwei Wasserstoffatome der Barbitursäure durch zwei Äthylgruppen (C.jH^) liefert das Veronal, das bekannte, intensiv wirkende und zugleich unschädliche Schlafmittel. Die Ein- führung von zwei Propylgruppen (C3H-) führt zum Proponal, einem noch stärker wirkenden Hypnoti- kum. Die Verbindungen der „aromatischen" Reihe sind dadurch gekennzeichnet, daß ihnen eine ring- förmig geschlossene Struktur zukommt. Es ist eine Eigentümlichkeit der Kohlenstoffatome, daß sie fähig sind, sich gegenseitig zu binden zu Ketten von vielen Gliedern. Wie lang solche Ketten sein können, zeigt das Beispiel der Stearinsäure, welche in Verbindung mit Glyzerin eines der Haupt- bestandteile der Fette ist. Es kommt ihr die Formel zu CjgH.,g0.3. Das heißt, es sind in jedem ihrer Moleküle 18 Kohlenstoffatome kettenförmig aneinandergebunden : HHHHHHHHHHHHHHHHH / ,0 H— C- C— C-C— C— C - C— C-C- C— C— C— C— C- C— C-C— c I I I I I I I I I I I I I I I I I \oH HHHHHHHHHHHHHHHHH ^" der Operation, der Patient möglichst bald das Be- wußtsein wieder erlangen. Indessen sind Substanzen, wie der Alkohol oder solche, die ähnlich wirken, wohl als Schlafmittel zu benutzen, da ja für diese Verwendung eine langandauernde Wirkung er- wünscht ist. Ein hervorragendes Narkotikum ist der Äther, jetzt wieder viel im Gebrauch, weil er weniger gefährlich, als das Chloroform ist. Seine Formel C,H c,h/ Das Bienenwachs enthält sogar eine Verbindung, den Palmitinsäuremelissylester, der aus einer Kette von 30 Kohlenstoffatomen besteht, die ihrerseits durch ein Sauerstoffatom an eine zweite Kette von 16 Kohlenstoffatomen gebunden ist. Solche für die Fettreihe charakteristische Ketten von Kohlenstoffatomen sind offen, d.h. die beiden end- ständigen Kohlenstoffatome sind nicht miteinander verbunden. Alle aromatischen Verbindungen da- gegen haben eine ringförmig geschlossene Struktur. Sie lassen sich herleiten vom Benzol, CgHg, für den man folgendes Schema aufgestellt hat; 724 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XrV. Nr. 46 Sechs Kohlenstoffatome sind miteinander zu einer geschlossenen Kette einem „Ring" verbunden. Jedes dieser Kohlenstoffatome hält außerdem noch ein VVasserstoffatom fest. So sehr sich nun die aromatischen Verbindungen von den Fettkörpern in chemischer Beziehung unterscheiden , so verschieden ist auch ihre Wir- kungsweise auf den menschlichen Organismus. Den meisten Substanzen dieser Reihe kommen temperaturherabsetzende Eigenschaften zu, sie sind Fiebermittel. Schon das eingangs erwähnte Acet- anilid ist ein hervorragendes Fiebermittel, ein Antipyretikum, und alle Fiebermittel gehören der aromatischen Reihe an, so Chinin, Antipyrin, Pyramidon. Auch desinfizierende Eigenschaften besitzen die aromatischen Körper. Das Phenol QHä(OH) ist ein sehr wirksames Antiseptikum, d. h. es be- sitzt in hohem Maße die Fähigkeit, Bakterien ab- zutöten. Leider ist es jedoch auch für den Men- schen ein starkes Gift. Wird ein Wasserstoffatom des Phenols durch die Methylgruppe (CH.,) ersetzt, so entsteht ein Kresol (t:„H, ■ (CH3) • OH). Diese Substanz ist noch wirksamer als Desinfizienz als das Phenol und dabei für den menschlichen Organismus lange nicht so giftig. Durch Einführung einer solchen Methylgruppe in aromatische Verbindungen ge- lingt oft, sie bis zu einem gewissen Grade zu ent- giften, ohne daß sie ihre sonstigen Eigenschaften verlieren. Aus Kresolen oder kresolhaltigen Teerölen werden Creolin, Lysol und andere be- kannte Desinfektionsmittel bereitet. Sehr interessant ist, daß schon geringe Unter- schiede im Bau einer Verbindung, in ihrer Kon- stitution , ihre physiologisciie Wirkung erheblich beeinflussen. So ist para - Nitrophenol stärker giftig als meta-, dieses wieder giftiger als ortho- Nitrophenol. C-(OH) C-(OH) HC|^ jiCH HC^JcH C-(N02) para-Nitrophenol V HC.^ |CH HC^^C.(NO.,) CH meta-Nitrophcnol C.(OH) |C.(NO,) CH HO CH ortho-Nitrophcnol Manchmal ist indessen umgekehrt die o -Verbin- dung giftiger als die p-Verbindung, wie beim Nitrobenzaldehyd. Mit p. (para) bezeichnen wir die gegenüberliegende Stellung, mit o. (ortho) die direkt benachbarte, mit m. (meta) die dritte mög- liche Stellung von (OH) und (CH3) oder anderen Gruppen. Zu den wirksamsten bakteriziden Substanzen gehören die aromatischen Arsenverbindungen. Die arsenige Säure wird bereits von den arabischen Ärzten erwähnt. Sie ist eines der wenigen aus- gesprochenen Gifte, deren sich die Heilkunde schon früh bediente. Im allgemeinen läßt sich beobachten, daß man früher nur ungern giftige Stoffe anwandte, was ja auch erklärlich ist, denn der Gebrauch von Giften setzt fortgeschrittenere Kenntnisse voraus, als sie früheren Kulturen zu Gebote standen. Bei so gefährlichen Stoffen ist es eben schwer, einen bestimmten Wirkungsgrad zu erreichen, ohne durch ein Zuviel Vergiftungen herbeizuführen. Im 18. Jahrhundert entstand unter den Ärzten ein langandauernder Streit, ob überhaupt erlaubt sei. Gifte als Heilmittel anzuwenden. Diese Kon- troverse entspann sich hauptsächlich um das Arsenik, das damals von seinen Anhängern in sehr übertriebene-r Weise gegen so ziemlich alle bekannten Krankheiten gebraucht wurde. In der Tat sind die Arsenverbindungen phy- siologisch äußerst wirksam. Viele der aromatischen Arsenverbindungen gehören zu den stärksten, über- haupt bekannten desinfizierenden Stoffen. Sie sind aber nicht nur giftig für die Bakterien, sondern auch für den Menschen. Es kam daher darauf an, die bekannten Verbindungen so abzuändern, daß sie für den Menschen unschädHch wurden , dabei aber ihre bakterienzerstörenden Eigenschaften be- hielten. So war bekannt, daß Atoxyl sich gegen die von gewissen Protozoen, speziell Trypanosomen, hervorgerufenen Krankheiten, wie Malaria und einige die Haustiere befallende Krankheiten mit Erfolg verwenden ließ. Wir haben es hier mit einem sog. ätiologischen Heilmittel zu tun, das die Krankheit wirklich heilt, indem es die Krank- heitsursache beseitigt, während die meisten der bis jetzt besprochenen Arzneimittel ,, symptomati- sche" sind, solche, die nur die Äußerung der Krankheit bekämpfen, den Schmerz lindern, die Temperatur des Fiebernden herabsetzen. Nur ein I'iebermittel vernichtet auch gleichzeitig den Krank- heitserreger. Es ist das Chinin, daß die Parasiten tötet, welche die Malaria verursachen. Vom Atoxyl ging P. Ehrlich, dessen allzu- frühen Tod die ganze wissenschaftliche Welt jetzt betrauern muß, in seinen Forschungen aus. Er ermittelte dessen wirkliche Konstitution, über die irrige Ansichten bestanden. Wir sehen auch an diesem Beispiel, wie systematisch die Arbeit des heutigen Gelehrten ist. Ehe er auch nur ver- sucht, durch Veränderungen an einer bestimmten Substanz deren Eigenschaften zu modifizieren, setzt er alles daran, die Konstitution, den Aufbau, dieser Substanz kennen zu lernen. Sobald Ehr- lich die wahre Konstitution des Atoxyls aufge- N. F. XIV. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 725 deckt hatte, bot sich ihm die Möglichlage, was das prinzipiell Wichtige des Befruchtungsprozesses sei, wurde nun 740 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 47 auf dem Gebiete der allgemeinen Biologie über- tragen ; diese Frage hatte für Zoologen und Bota- niker gleiches Interesse. Der nächstfolgende Meilenzeiger wurde 1876 von Oskar Hertwig errichtet; seine Unter- suchungen über die Befruchtung von Seeigeleiern führten ihn zu der sehr wichtigen Tatsache, daß bei der Befruchtung nicht nur die beiden Proto- plasmamassen der Eizelle und des Spermatozoids zusammenfließen, sondern daß auch die beiden sphärischen Körperchen darin, die Kerne, sich einander nähern und schließlich einen Kern bilden. Damit wurde das Wesen der Befruchtung in dem Zusammenfließen der beiden Protoplasmamassen und in der Kernverschmelzung erkannt. Nach einigen Jahren kam eine ähnliche Ent- deckung auf botanischem Gebiete (1884): Stras- burger gelang es, dank der reichen Entwicklung der mikroskopischen Technik, die Kernverschmel- zung auch bei den Phanerogamen zu zeigen. Der weibliche Kern liegt in der Eizelle, die von Amici und anderen als Keimbläschen beobachtet und beschrieben wurde; der männliche Kern ist in dem Pollenschlauche gelegen, der sich an dem Gipfel öffnet und einen seiner Kerne hinaustreten läßt, der sich mit dem weiblichen Kern vereinigt. Auch bei den Phanerogamen ist also dasselbe Be- fruchtungsprinzip herrschend wie bei anderen Pflanzen und im ganzen Tierreich. Die dritte Richtung, welche die Wissenschaft nach 1822 einschlug, war die praktische Anwen- dung der Sexualitätslehre: die Bastardierung. Eine Übersicht über den Entwicklungsgang der hierauf bezüglichen Untersuchungen zu geben, deren Fundamente von Koelreuter gegründet waren, liegt nicht im Rahmen der hier besprochenen Fragen; es ist ein Gebiet, auf dem nach der Wiederentdeckung der M e n d e l'schen Regeln mit fieberhaftem Eifer gearbeitet wird, und dessen wichtigste Geschichte wir später einmal zuzammen- zustellen beabsichtigen. Einzelberichte. Chemie. Eine neue Art von heterozyklischen Systemen, nämlich Analoga des Piperidins h„/\h, I I ' Hol JHo NH die an Stelle des Stickstoffatoms ein Phosphor-, Arsen-, Antimon- oder Wismuthatom enthalten, haben Gerhard Grüttner und IVlaximilian Wiernik aufgefunden (Ber. d. D. Chem. Gesell- schaft 48, 1473— 1486, 1915) kryoskopischen Molekulargewichtsbestimmungen, die nahezu die berechneten Werte ergeben haben, und durch die Spaltung ihrer Chloride durch Destillation unter vermindertem Druck erbracht, bei der das 1-5-Dichlorpentamethylen zurückge- wonnen wird. Mg. Pflanzenkrankheiten. Seit der Zeit Friedrichs des Großen sind wiederholt Versuche gemacht worden, die Kultur des Maulbeerbaumes und die Seidenraupenzucht in Deutschland einzubürgern. Sie haben aber zu keinem praktisch bedeutenden Ergebnis geführt, da der Maulbeerbaum einmal zu Als Ausgangsmaterial für die Herstellung der lange Zeit gebraucht, um sich soweit zu ent- neuen Verbindungen diente ausschließlich das nach der bekannten Methode J. von Braun's leicht zugängliche 1-5-Dibrompentan Br ■ CH., • CH, • GH., • CH., • CH^ ■ Br, dessen Magnesiumverbindung ,CH.— CH.,-Mg.Br ^CH.3— CH,,— Mg-Br bei Behandlung mit geeigneten Halogeniden der wickeln, daß er eine genügende Menge Laub lie- fert, und zum anderen unter den Spätfrösten unseres Klimas empfindlich leidet. Neuerdings ist man in der Tagespresse auf den Gedanken Friedrichs des Großen zurückge- kommen. Man beabsichtigt, die Maulbeerkultur wieder aufzunehmen und durch den Betrieb der Seidenraupenzucht den invaliden Kriegern eine ihren Kräften entsprechende Erwerbsquelle zu schaffen. Zu diesen Plänen macht Sorauer in oben genannten Elemente heterozyklischen Ringe der Zeitschrift für Pflanzenkrankheiten (XXV, liefert, z. B. CH, XH,,— CHj— Mg.Br CU = CH, CHj — CH.j .CH.,-CH„ + )P-CoH, |Mg-Br CK ^P.C,H,+MgBr,+MgCl.,. ^CHj,— CH Der Beweis dafür, daß die erhaltenen — basi sehen — Verbindungen wirklich den angegebenen betrieben. Man pflegt dort die Bäume dicht über Formeln entsprechen, wird einerseits durch die der Wurzel zu köpfen und den frischen Stock 296 — 311. 1915) beachtenswerte Vorschläge. Um die beiden, oben erwähnten Schwierig- keiten der Maulbeerkultur zu beheben, empfiehlt er, die Pflanzen bei uns in Strauchform zu ziehen. Dadurch würde eine baldige Gewinnung von Futtermaterial für die Seidenraupen ermöglicht, und Frostschäden ließen sich durch entsprechende Behandlung leichter vermeiden. In ähnlicher Weise wird die Kultur in Japan N. F. XIV. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 741 ausschlag zur Fütterung zu benutzen. Allerdings hat diese Methode das Auftreten einer eigen- tümlichen Krankheit, der sog. „Sc h rümpf krank - iieit" (japanisch: Shikuyobyo) zur Folge: Wenn die jungen Triebe etwa 30 cm lang geworden sind, verfärben sich die Blätter und schrumpfen zusammen, die Zweige bleiben dünn, und auch die Wurzeln beginnen zu erkranken und zu faulen. Die Erscheinung wird nicht durch Parasiten her- vorgerufen, sondern ist ein physiologischer Schwäche- zustand. Durch das fortgesetzte Wegschneiden der Triebe werden der Pflanze Reserve- und Mineralstoffe in solchem Maße entzogen, daß sie schließlich zur Bildung gesunder Zweige nicht mehr imstande ist. Die Krankheit wird durch starke Düngung begünstigt. Heilen läßt sie sich unter Umständen dadurch, daß man die erkrankte Pflanze längere Zeit mit dem Schnitt verschont. In Japan hat dieSchrumptkrankheitzu erheblichen Verlusten geführt. Es ist daher notwendig, vor Wiederaufnahme der Maulbeerkultur in größerem Umfange durch Versuche festzustellen, wie der Anbau bei uns am zweckmäßigsten zu gestalten ist und wieweit die Pflanzen das Schneiden ohne Schaden vertragen können. Neben der Schrumpfkrankheit verdient die Schädigung des Maulbeerbaumes durch eine Sc h i 1 d - laus, Diaspis peiitaguiia, besondere Beachtung. Sie hat in Überitalien eine weite Verbreitung ge- funden und den dortigen Kulturen großen Ab- bruch getan. Da sie in bezug auf das Klima sehr anpassungsfähig ist, muß man damit rechnen, daß sie auch in Deutschland auftreten wird. Die von Diaspis befallenen Bäume sind schon von weitem an den unregelmäßigen, weißen, an Spritzer von Kalkmilch erinnernden Flecken er- kennbar. Es sind die von den Läusen gebildeten Kolonien, die sich aus männlichen, in Puppenhüllen eingeschlossenen Larven und den unter einem runden Schildchen versteckten Weibchen zusammen- setzen. Auf den im Spätjahr gebildeten Trieben fehlen die Männchen. Nur die Weibchen über- wintern. Anfang Mai beginnen sie mit der Ab- lage der Eier, aus denen in 8 — 10 Tagen die Larven ausschlüpfen. Diese setzen sich an ge- eigneten Stellen benachbarter Äste mit ihrem Saug- rüssel fest und entwickeln sich in 6 — 7 Wochen zu geschlechtsreifen Tieren. Im Sommer erscheint die zweite, unter günstigen Verhältnissen im Herbst eine dritte Generation, so daß sich die Nach- kommenschaft eines Weibchens im Laufe des Jahres auf Millionen steigern kann. Die Schildläuse rufen zunächst einen starken Laubfall hervor und bringen die Bäume, wenn sie sich zwei Jahre hintereinander lebhaft ver- mehren, zum Absterben. Es liegt auf der Hand, daß die Bekämpfung dieser Schädlinge für die Maulbeerzucht eine Lebensfrage ist. In Italien versuchte man es zuerst mit verschiedenen chemischen Mitteln, durch kulturelle Maßnahmen und Abbürsten der befallenen Zweige, erzielte aber auf keine Weise einen durch- schlagenden Erfolg. Erst als man zu einer „bio- logischen" Bekämpfungsweise überging, gelang es, der Schildlausplage Herr zu werden. Diese Me- thode bestand einfach darin, die in Ostasien be- heimatete Schlupfwespe Prospaltclla Bcrlcsei in Italien einzubürgern. Die Schlupfwespen legen ihre Eier bekanntlich in andere Insekten hinein; die ausschlüpfenden Larven nähren sich von den Körpersäften der Wirts- tiere und führen so ihren Tod herbei. Die ge- nannte Prospaltclla pflegt nun für die Eiablage mit Vorliebe die Schildlaus des Maulbeerbaumes zu wählen. Bereits im April beginnt sie ihre Tätigkeit. Und da im Laufe des Jahres 4 — 5 Ge- nerationen erscheinen, räumt sie unter den Schildläusen gehörig auf. In ihrer Heimat, China und Japan, wäre der Fortgang der Maulbeerkultur ohne sie kaum denkbar. Mit Hilfe dieser Schlupfwespe ist es auch in Italien gelungen, die Sphildläuse wirksam zu be- kämpfen. Da sie selbst sehr niedrige Tempe- raturen (bis — 12") ohne Schaden verträgt, dürfte ihre Einbürgerung in Deutschland keine Schwierig- keiten machen. F. Esmarch. Bücherbesprechungen. C. Runge, GraphischeMethoden. Sammlung mathematisch-physikalischer Lehrbücher, Heraus- gegeben von E. Jahnke, Bd. 18. VI u. 142 Seiten kl. 8". Leipzig und Berlin 1915. Verlag von B. G. Teubner. — Preis in Leinw. geb. 5 M. In dem vorliegenden Buch, das die Über- setzung der Vorlesungen enthält, die der bekannte Göttinger Mathematiker im Winter 1909/10 an der Columbia Universität in New York gehalten hat, werden die für die Praxis so außerordentlich wichtigen graphischen Methoden von einem allge- meinen Gesichtspunkte aus behandelt. ,,Bei dem heutigen Stande der Dinge sind die Methoden des Ingenieurs und des Feldmessers", sagt Runge zur Begründung der Wahl des Themas für seine Vorlesungen und der Betrachtungsweise, „in vielen Fällen dem Astronomen und Physiker ganz un- bekannt und umgekehrt, obgleich die Probleme, mit denen beide Gruppen es zu tun haben, mathe- matisch beinahe identisch sein können. Ganz be- sonders gilt dies von den graphischen Methoden, die für bestimmte Aufgaben ausgebildet worden sind. Ihre Verallgemeinerung erlaubt es, sie in einer Unzahl von Fällen anzuwenden, an die ur- sprünglich nicht gedacht worden ist." Das Buch, dessen abstrakter Inhalt durch die Besprechung einer Reihe von praktischen Beispielen belebt ist, ist daher nicht nur für Mathematiker, sondern be- 742 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 47 sonders auch für theoretische und praktische Naturwissenschaftler von hohem Interesse. Berliu-Lichterfelde-West. Werner Mecklenburg. Karl Fischer, Niederschlag und Abfluß im Odergebiet. Mit 7 Abb. im Text und 5 Tafeln. (Jahrb. für die Gewässerkunde Nord- deutschlands. Besondere Mitt. Bd. 3 Nr. 2). Berlin, Mittler und Sohn, 191 5. Fischer's Untersuchungen über das wichtige Verhältnis zwischen Niederschlag und Abfluß im Odergebiet, das sich, bei Hohensaathen gemessen, auf Grund der Beobachtungen im Zeitraum 1891/1905 auf 24,5 ";„ beläuft, womit die Oder an die unterste Stelle der norddeutschen Haupt- ströme rückt, bieten dadurch ein besonders hydro- graphisches Interesse, als sie feststellen, daß ein nicht unerheblicher Teil der Niederschlagsmenge im Stromgebiet überhaupt nicht in die Mündungs- strecke des Stromes gelangt, auch nicht bei niedri- gen Wasserständen wieder zum Vorschein kommt, sondern dauernd für dasselbe verloren geht. Bei einer früheren Untersuchung über die Oderhoch- wässer der Sommer 1902 und 1903 gelangte Fischer nur zu dem Resultat, daß ein beträcht- licher Teil der Hochwässer durch Versickerung aus dem Strom wieder ausschied, seine Mündung nicht erreichte; jetzt geht seine Untersuchung einen Schritt weiter und konstatiert, daß auch die mittlere jährliche Abflußmenge in der Mündungs- strecke des Stromes kleiner ist als die Gesamt- heit seiner Zuflußmengen. Es erleidet keinen Zweifel, daß dies Manko in der Abflußmenge sich nur durch enge Beziehungen zu Grundwasserströmen erklären läßt, welche in den Wasserläufen der jüngsten geologischen Ver- gangenheit liegen, die damals große W'assermengen abgeführt, sich später aber mit durchlässigem Boden ausgefüllt haben. Die Oder tritt nämlich schon oberhalb Breslau in den Bereich der dilu- vialen Talbildungen ein, welche bekanntlich sich im allgemeinen in ostsüdöstlich - westnordwesilicher Richtung, sich also vom Odergebiet quer ins Eibgebiet erstrecken. Weiter nördlich beginnen sie schon im Weichselgebiet und durchqueren von da aus das Odergebiet und dadurch erklärt sich wahrscheinlich die Tatsache , daß die Verluste im südlichen Teile der Diluvialzone größer sind als im nördlichen, weil in diesem der Abfluß ins Eibgebiet möglicherweise durch Zufluß aus dem Weichselgebiet teilweise ersetzt worden ist. Ge- wiß muß man dem \'erf. Recht geben, wenn er annimmt, daß ein Teil dieser Verlustmasse nicht durch das Eibgebiet zur Nordsee, sondern auch längs der unteren Oder zur Ostsee abfließt. Der jährliche Gesamtverlust im Mittel der Jahre 1896 1905 schätzt Fischer auf 1870 Mill. cbm, entsprechend 59 cbm/sec, wovon 814 Mill. auf den Winter, 996 Mill. auf den Sommer kommen. Rechnet man zur Jahresmenge des Gesamtab- flusses 16,07 cbkm, noch jene Verlustmengc hinzu, so erhöht sich der Abflußkoeffizient im Odergebiet auf rund 27 "/o. würde also denjenigen der Elbe und der Weichsel übersteigen, wenn man nicht annehmen müßte, daß auch bei anderen Stromgebieten mit der Möglichkeit ähnlicher Abflußverluste zu rechnen ist, wenn auch vielleicht nicht im gleichen Ver- hältnis wie bei dem Odergebiet. In der jährlichen Niederschlagsmenge im Stromgebiet bildet jene Verlustmenge nebenbei bemerkt nur etwa 2,8 "/„, woraus ohne weiteres folgt, daß ein weit größerer Prozentsatz des eingesickerten Wassers in Form von Quellen und Speisung des Hauptflusses und seiner Zuflüsse im Stromgebiet selbst wieder an die Oberfläche und zur Verdunstung gelangt. Das wichtige Ergebnis der vorliegenden Untersuchung konnte ermittelt werden, obwohl die Abflußmengen nicht nur des russischen Teils des Odergebietes sondern auch beträchtlicher Teile des deutschen Odergebietes nicht durch genaue Messungen be- kannt sind. Dieses Gebiet umfaßt in Deutschland die Stromgebiete der Klodnitz, Hotzenplotz, der Bober, der Ohle, Lohe, Weistritz, Weide und Katz- bach, ferner die der Boretsch und der Obrzyka und endlich ein Gebiet zwischen den Stationen PoUenzig und Hohensaathen, zu welchen auch das unterhalb Landsberg liegende Stück des Warthe- gebietes gehört. Der Abfluß der beiden zuletzt genannten Gebiete ist verhältnismäßig leicht zu schätzen, da ihre Niederschlags- und Bodenverhält- nisse von dem der Warthenur wenig abweichen und man daher auch auf ihre ähnlichen Abflußverhält- nisse schließen kann ; bedeutend schwieriger ge- staltet sich die Abflußberechnung für das zuerst genannte Gebiet, das glücklicherweise einen weit geringeren Umfang als jenes besitzt. Wir können auf Einzelheiten dieser Berechnungen hier nicht eingehen, ebensowenig auf die Untersuchungen des Verf. über Änderungen des Abflußverhältnisses in den Stromgebieten der einzelnen Nebenflüsse und auf Abweichungen vom Mittel in einzelnen Jahren und Jahresteilen und müssen auf die Lek- türe der Abhandlung selbst hinweisen, welche sich den früheren Arbeiten Fischer's auf hydrographischen Gebiet würdig anschließt. Jena. W. Halbfaß. Friederichsen, M., Die Grenzmarken des Europäischen Rußland. Ihre geogra- phische Eigenart und ihre Bedeutung für den Weltkrieg. Hamburg 191 5, L. Friederichsen und Co. — Preis geb. 4 M. Die vorliegende Schrift bietet eine willkommene Darstellung der Natur- und Kulturverhältnisse von Finnland, den Ostseeprovinzen, Polen, Kleinrußland, dem Kaukasus und Armenien. Als Geograph be- trachtet Friederichsen das Ganze unter einem einheitlichen Gesichtspunkt, bestrebt, sämtliche Er- scheinungen nach Möglichkeit genetisch mitein- ander zu verknüpfen. Damit bietet die Arbeit gute Grundlagen für ein tieferes Verständnis aller der Fragen, die sich gerade in der gegenwärtigen Zeit an die genannten Gebiete, die Kriegsschau- plätze im engeren und weiteren Sinne, knüpfen. N. F. XIV. Nr. 4- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 743 Das Buch sei deshalb jedem, der sich über diese Gebiete näher informieren will, bestens empfohlen. Nur kurz sei auf einen Punkt hingewiesen, in dem wir abweichender Meinung sind. U. E. hätten verschiedene Abschniite eine etwas gleich- mäßigere Behandlung vei dient; so will uns z. B. scheinen, als ob die morphologischen Ver- hältnisse des Kaukasus eine im Rahmen des Ganzen etwas zu eingehende Darstellung erfahren haben u. a. m. — Übrigens hätten auch einige rein fachwissenschaftliche Ausdrücke, wie z. B. die Bezeichnung „unterjochtes Gebirge" (S. 102) eine ausführlichere Erklärung verdient. Dr. E. Wunderlich- Berlin. K. Heinersdorff f; Wörterbuch für Ver- steinerungssammler. Jahresberichte Naturw. Verein Elberfeld Heft 14, Teil II Elberfeld 191 5. Aus eigenen Bedürfnissen des Autors, eines Geistlichen und eifrigen Versteinerungssammlers, heraus entstanden, mag die fleißige Zusammen- stellung auch anderen Liebhabern der Paläonto- logie von Nutzen sein. Um so mehr, als auch eine Anzahl geologischer Fachausdrücke Aufnahme ge- funden hat. Mehr als in anderen Naturwissen- schaften besteht ja in der Paläontologie die von Nichtfachleuten so oft beklagte Notwendigkeit, „wissenschaftliche", d. h. fremdsprachliche Namen für die Objekte einzuführen. Denn was im Leben nie eines Menschen Auge erblickte, konnte und kann auch in der Volkssprache keine Heimstätte finden. Künstliche, möglichst international ver- ständliche Bildungen müssen dafür eintreten. Für das Gedächtnis des Unkundigen ist das eine schwere Mehrbelastung. Es wird daher vielleicht mancher dem vor der Vollendung des Wörterbuchs verstorbe- nen Autor Dank wissen, daß hier durch Erläuterung der griechischen und lateinischen VVortstämmedieBe- nennungen dem Verständnis näher gebracht werden. Steckt doch im Namen häufig (nicht häufig ge- nug vielleicht) etwas wie eine Definition oder doch ein Hinweis auf besonders wichtige Eigen- schaften. Natürlich war eine starke Auswahl aus der ständig noch schwellenden Namenflut der Paläon- tologie nötig. Die getroffene Wahl muß durch- aus gebilligt werden. Denn der Verf. hat die beiden von Liebhabern wohl meist benutzten und empfehlenswertesten Leitbücher: Fraas „Petre- faktensammler" und Kay ser ,,Geologie" zugrunde gelegt und die dort vorkommenden Bezeichnungen seinem Wörterbuch mit möglichster Vollständigkeit einverleibt. E. Hennig. H. Höfer von Heimhalt, Anleitung zum geologischen Beobachten, Kartieren und Profilieren. (Mit 26 Abbildungen.) Vieweg, Braunschweig 191 5. Das Büchlein, ein Führer zum geologischen Arbeiten im Felde, ist aus langjähriger Lehr- tätigkeit auf diesem Gebiete hervorgegangen. Der Verf. ist also mit den Schwierigkeiten und Bedürfnissen des Anfängers wohl vertraut. Dennoch darf vielleicht ergänzend gesagt werden, daß ein solcher Führer, wie schließlich jedes Lehrbuch, den persönlichen Verkehr zwischen Lehrer und Schü- ler, den unmittelbaren Anschauungsunterricht, keinesfalls ersetzen kann. Aber gewiß wird manchem Studierenden damit gedient sein, alles Wichtige, das er bei Arbeiten im Freien zu be- achten und zu beobachten hat, auf engem Räume in handlichem Format Schwarz auf Weiß bei- einander zu haben. Das Büchlein unterrichtet eingehend über das nötige Rüstzeug des autnehmenden Geologen mit mancherlei nützlichen Winken zu dessen Ge- brauch. Es folgen Anleitungen zur ersten Orien- tierung im Gelände und einer vorläufigen Wieder- gabe des Gesamtbildes auf einer entsprechenden Kartenunterlage. Für die Einzelbeobachtungen, deren Zahl natürlich unendlich ist, werden mit kurzen Stichworten die hauptsächlichsten Fragen, die der Beobachter an die Natur zu stellen hat, angedeutet. Hier muß die .Aufmerksamkeit und der oftene Sinn des Einzelnen natürlich in jedem Falle ergänzend nachhelfen. Sodann wird die Ausarbeitung der Karte dargelegt und auch eine Vorlage für einen Aufnahmebericht geboten. Sogar über die Aufgaben der agrogeologischen Auf- nahme und Kartierung und ihr noch abweichend beurteiltes Verhältnis zur rein geologischen findet sich noch mancher praktische Hinweis. Einige Textfiguren und Tabellen sind zur Erläuterung bzw. zum praktischen Gebrauch beigefügt. E. Hennig. Dr. G. Bugge, Edelsteine. Eine Einführung in das Gebiet der Schmuck- und Edelsteine. Veröffentlichungen Deutsche Naturwiss. Ges. Leipzig 1915. — Preis i M. Aus den umfangreichen Werken über den Gegenstand von Groth, Rau, Bauer und Eppler und als Ersatz dafür ist mit viel Ge- schick das Interessanteste und für ein größeres Publikum Wichtigste in dem vorliegenden Heft- chen zusammen getragen worden. Geschichtliche, wirtschaftliche, auch kunstgewerbliche Daten sind in reichem Maße eingestreut und machen die Dar- stellung sehr lebendig. Im Druck sind solche Bemerkungen deutlich abgetrennt, so daß sie auch den Haupttext nicht zerreißen. 46 Abbildungen dienen der Erläuterung. Ein kurzer Abriß der Mineralkunde ist zur Einführung vorangestellt. Bei dem weitgehenden Interesse, das den Edelsteinen seit jeher entgegengebracht wird, werden die reichen und zuverlässigen Angaben sich gewiß viel Freunde machen. E. Hennig. E. Weinschenk, Die gesteinsbildenden Mineralien. Dritte, umgearbeitete Aullage. (Mit 309 Textfig., 5 Tafeln, 22 Tabellen.) Freiburg i. B. 191 5, Herdersche Verlagsbuch- handlung. Preis in Leinw. geb. 10,80 M. Es genügt, das Erscheinen der dritten Auflage 744 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 47 des bewährten Buches bekannt zu geben, sowie darauf hinzuweisen, daß es vom Verf. wiederum einer Umarbeitung unterzogen wurde, die nament- lich auch der illustrativen Ausstattung zugute ge- kommen ist. Der Hauptton des Titels ruht auf dem Adjektiv: es ist kein mineralogisches, sondern ein petrographisches Lehrbuch, wobei außerdem die rein beschreibende Wissenschaft allein zu Worte kommen soll. Der Gebrauch des Mikroskops und die Kenntnis der mikroskopisch- optischen IVIethoden, die ja ein anderes Buch des Verf. gewissermaßen als Teil I des Ganzen be- handelt, wurden hier vorausgesetzt. Dagegen werden die chemischen und physikalisciien Me- thoden der Trennung wie der Untersuchung vorweg behandelt. Der spezielle, die Mineralgruppen und Mineralien einzeln besprechende Teil ist wieder nach optischen, nicht nach chemischen Ge- sichtspunkten gegliedert. Die gute Ausstattung des Werkes verdient Hervorhebung. E. Hennig. Solbrig, Dr. O., Reg.- und Med. -Rat in Königs- berg, Desinfektion, Sterilisation, Kon- servierung. Aus Natur und Geisteswelt, 401. Bd. B. G. Teubner. Wie der Verf. am Schluß seines äußerst an- schaulich und klar geschriebenen Buches hervor- hebt, betrachtet er als Zweck seiner Arbeit, dem Leser in allgemein verständlicher Weise das Wich- tigste von dem Wesen der Desinfektion, Sterili- sation und Konservierung vor Augen zu führen. Dieser Zweck scheint dem Ref. völlig erreicht zu sein. Da der Verf. Arzt ist, wird naturgemäß auf den allgemeinen hygienieschen Teil besonders eingegangen, wodurch die Behandlung der Konser- vierung unserer Nahrungsmittel vielleicht etwas zu kurz kommt. Das Buch ist vor dem Kriege geschrieben, verdient aber gerade jetzt eine weite •Verbreitung im Publikum zu finden. Kleine Un- genauigkeiten lassen sich in einer zweiten Auf- lage leicht ausmerzen. Wächter. Anregungen und Antworten. Im Anschlüsse an den Bericht über das Aussterben der Wandertaube, deren letzter Vertreter im Zoologischen Garten von Cincinnali kürzlich einging (Heft 41, 8.651), macht einer unserer Mitarbeiter darauf aufmerksam, daß ein ausgestopftes Exemplar u. a. in der Vogclsammlung des verstorbenen be- kannten Ornithologen H. v. Berlepsch vorhanden ist, die nun bei einem Münchener Antiquar zum Verkaufe steht. B. Herrn Dr. Oudemanns, Arnhem. — Ein Werk über Tierfährten und Tierspuren ist von Eugen Teurosen bei J. Neumann in Neudamm unter dem Titel; Fährten und Spuren, eine Anleitung zum Spüren und Ansprechen für Jäger und Jagdliebhaber, erschienen. Es enthält 163 Abbildungen und kostet 6 Mk. Hilzheimer. Einbürgerungsversuche als Möglichkeiten zur Erforschung des Vogelzuges. (Nachtrag zu den Aufsätzen in ßd. 13 (1914) Heft 10 und Bd. 14(1915) Heft 15.) Die Beobachtung, dnä sich die einzelnen Individuen der beiden Schmuckentenarten Ac'x und iMmproiUssa verschieden verlialten hinsichtlich ihres Zuginstink- tes, zeigt folgendes weitere P>gebnis meiner in der Umgebung von Hildburghausen seit 1912 vorgenommenen Einbürgerungs- versuche: Die im Sommer 1913 von dem in der I.Mitteilung beschriebenen Paare stammenden Nachkommen waren, wie sich jetzt als sicher herausstellt, doch nur zum Teil abgezogen. Ein Teil blieb an einer nur sehr selten begangenen Strecke des Flusses zurück und ist auch im Sommer 1914 erfolgreich zur Brut geschritten, so dal3 im März 1915 mindestens noch 8 bis 10 Mandarinenten bei Hildburghausen vorhanden waren. Interessant ist, daß diese Vögel eine Stelle des Flusses bevor- zugen, die sich durch einen ausgedehnteren Wald mit steilen Muschelkalkfclscn windet. Hier haben die Mandarinenten jedenfalls ähnliehe Bedingungen vorgefunden, wie sie solche in der Heimat zu ihrem Aufenthalt lieben und benötigen. Auch zahlreiche Erlenbüsche, unter deren Wurzeln die Enten guten Unterschlupf finden, sind auf weiten Strecken der hohen Flußufer erhalten. Ein frisch importiertes Mandarinentenpaar wurde auf dem Schloßgartenkanal zu Hildburghausen im Frühjahr 1914 ausgesetzt. Da die Tiere jung gefangen waren, waren sie nicht sehr scheu und wurden im Laufe des Sommers ziemlich zahm unter der Gesellschaft anderer Enten. Das Paar hielt jedoch nicht besonders gut zusammen und verschwand im Herbste 1914 spurlos. Der Erpel erschien aber Ende März 1915 plö'zlich wieder auf einem in unmittelbarer Nähe jenes Gewässers in einem Waldpark gelegenen kleinen Privatteich, der infolge warmer Quellen nie zufriert, und auf dem daher während des ganzen Winters flugunlähige Braut- und Mandarin- enten gehalten werden, welchen jener Mandarinerpel bereits im Sommer 1914, nachdem ihm nach der Mauser seine etwas zurückgeschnittenen P'lügel wieder gewachsen waren, öfter Be- suche abstattete. Er paarte sich sofort mit einer überzähligen flugfähigen Brautente , die im Herbst von ihrem gleichartigen Gatten auf Nimmerwiedersehen verlassen worden war, und be- gab sich in der Umgebung auf die Nestsuche. Daß zur Zug- zeit die Nachkommen auch jahrelang eingebürgerter Schmuck- enten z. T. gelegentlich abziehen, ist ferner auch bei den in den Anlagen am Spreeufer zu Cottbus eingebürgerten Mandarin- enten schon beobachtet worden. Dr. Wilh. R. Eckardt. Daß die Entwicklung von Samen an isolierten Hanf- pflanzen, wovon auf Seite 730 dieser Nummer die Rede ist, auf Parthenogenesis beruht, ist wohl nicht ganz sichergestellt. (Lit. bei H. Winkler in Progressus Kei Botanicae 1910.) Es könnte sich vielleicht auch um eine ähnliche Erscheinung han- deln wie bei dem Bingelkraute (.Mercurialis annua), wo eine genaue Untersuchung solcher weiblichen Stöcke die Anwesen- heit vereinzelter, ganz versteckter männlicher Blüten ergab, auf deren Konto die Samenbildung zu setzen ist. B. Inhalt; Sirks: .Mtes und neues über Bestäubung und Befruchtung der höheren Pflanzen. — Einzelberichte; Grüttner und Wicrnik; Eine neue .Art von hetcrozyklischen Systemen. Soraucr; Die Kultur des Maulbeerbaumes und die Seidenraupenzucht. — Bücherbesprechungen: Runge: Graphische Methoden. Fischer; Niederschlag und Abfluß im Odergebiet. F r i e d c r i c h s e n ; Die (ircnzmarken des F^uropäischen Rußland. II e i n e rs d o r f f ; Wörterbuch für Versteincrungssammler. Höfer von Hcimhalt; .Anleitung zum geologischen Beobachten, Kartieren und Protilicren. Bugge: Edelsteine. Solbrig: Desinfektion, Sterilisation, Konservierung. — Anregungen und Antworten. Manuskripte und Zuschriften werden an Privatdozent Dr. Joh. Buder, Leipzig, Linnestraße Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Bucbdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. erbeten. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 14. Hand; ganzen Reihe 30. Band. Sonntag, den 28. November 1915. Nummer 48. Intermaritime Verkehrswege und ihre handelspolitische Bedeutung. [Nachdruck verboten.] Von Dr. Heinrich Pudor, Gebirge trennen, Meere verbinden, Iiat man und gesagt. Das Himalayagebirge trennt Indien von Asien und isoliert Tibet in Zentralasien. Das Uralgebirge gar trennt zwei Erdteile, Asien und Europa. Der Kaukasus trennt Kleinasien von Asien, die Alpen trennen Italien von Deutsch- land, romanisches vom germanischen Land, die Pyrenäen Spanien von Frankreich. Aber das mittelländische Meer verbindet Europa mit Afrika, der atlantische Ozean verbindet Europa mit Nord- amerika und Afrika mit Südamerika. Und diese Verbindungen werden verstäikt und betont durch die Meeresströmungen, so zwischen Westeuropa und dem Osten Nordamerikas, zwischen dem Westen Nordamerikas und Ostasien, zwischen dem Westen Südamerikas und dem Osten Australiens, zwischen dem Westen Australiens und dem Kap- land und dem Kap Hörn. Hinzu kommen hierbei auch die Passatwinde, denen die Schiffe folgen. Aber auch Flüsse und SchifFahrtskanäle ver- binden. Sie verbinden erstens einmal das Innere eines Landes mit seiner Küste und mit dem diese bespülenden Meer: So verbindet der Kongo das ganze innere Zentralafrika mit dem atlantischen Ozean, die Donau das Herz Europas mit dem Schwarzen Meer, die Elbe und der Rhein wiederum das Herz Europas mit der Nordsee, die Oder mit der Ostsee, die Wolga Zentralrußland mit der Kaspischen See, die Dwina mit dem Weißen Meer usf. Würden die I'lüsse nun gewissermaßen durch- laufen, also nicht mitten im Lande entspringen, sondern das ganze Land und den ganzen Erdteil durchqueren, so würden sie eine Verbindung nicht nur vom Innern bis an die Küste und an das Meer herstellen, sondern von einem Meere zum anderen, z. B. vom Schwarzen Meer bis zur Ost- see, oder von der Kaspischen See bis zum Weißen Meer, oder von der Adria bis zur Ostsee, vom mittelländischen Meer bis zur Nordsee und weiter vom Indischen Ozean bis zum Atlantischen Ozean, von diesem bis zum Großen Ozean. Aber dem steht entgegen, daß die Flüsse nicht nur mitten im Land entspringen, sondern zudem noch im Gebirge — Gebirge aber trennen, wie wir sagten — und infolgedessen sind die Quellen der Flüsse zugleich die Trennungsmauern und man spricht mit Recht von Wasserscheiden. Auf der anderen Seite kommen die oberen Läufe der Flüsse, da sie nicht schiffbar sind, als Verbindungsstraßen gar nicht mehr in Betracht. Wir haben mithin in allen Ländern von der Natur gegeben die Tat- sache vor uns, daß die Verbindung von der Küste immer nur bis In die Mitte des Landes reicht, zwar von beiden Seiten, von Ost und von West, oder von Nord und von Süd. Die voll- ständige Durchfuhr von einer Küste zur anderen, von einer See zur anderen, von einem Ozean zum anderen, erscheint nicht möglich — eben weil das trennende Gebirge dazwischen liegt. Bis zu einem gewissen Grade aber — und je mehr die Technik fortschreitet, desto mehr — läßt sich dieser Übelstand beseitigen, indem durch die Zone zwi- schen je einem nordwärts oder westwärts und einem anderen südwärts oder ostwärts strömen- den Fluß ein Kanal gelegt wird und das be- trefi'ende Gebirge entweder umgangen oder durch- stochen wird. Das größte und merkwürdigste Beispiel für den letzt angenommenen I""all bietet der Panamakanal, "^j der die Wasserscheide zwischen Atlantischem und Großem Ozean in einer Höhe von 85 F'uß durchschneidet mit Hilfe von sechs Schleusen. Und somit bietet dieser Panama- kanal, der eine neue Epoche des internatoinalen oder intermaritimen Verkehrswesens einleitet, zu- gleich eine gewisse Gewähr für die Möglichkeit anderer und ähnlicher Meeresverbindungen in der Art von Großwasserstraßen, die zum Teil mit Hilfe von Kanälen ganze Landmassive und Erd- teile durchfahren und somit zu mächtigen Kon- kurrenten der Eisenbahnen werden. Schon heute gibt es außer dem schon ge- nannten Panamakanal Beispiele solcher intermari- timer Verkehrswege und Großwasserstraßen, wie ') Am 28. September 1913 gewann ein kleiner Dampfer die erste Durchfahrt des Panamakanals von Colon her durch' die Schleusen bis zum Gatunsee, und am 17. November 1913, dem 44. Jahrestag des Eröffnung des Suezkanals fuhr der kleine Dampfer ,, Louise" der Bauverwaltung erstmalig von einem Ozean zum anderen. Am 9. Mai 1914 erfolgte die Betriebsübergabe des Kanals in bescheidenstem Umfang. Der geordnete Kanalbetrieb wurde am 15. August 1914 aufgenom-. men. Aber am 14. Oktober des gleichen Jahres und am 9. März 191 5 erfolgten große Böschungseinstürze in dem be- rüchtigten Culebraabschnitt. Immerhm haben schon vom 18. August bis 31. Dezember 1914 212 Fahrzeuge mit 1080000 t den Kanal durchfahren, d. i. 2 — 3 im täglichen Durchschnitt. Der Kanal hat von Gaston ab bei einer Länge von 16 engl. Meilen eine Breite von 1000 Fuß, verengert sich dann auf einer Strecke von 4 Meilen auf 800 Fuß, bei Bay Obissto auf Soo Fuß und erreicht die geringste Breite von 300 Fuß im ganzen Culebraeinschnitt. Die größte Höhe von 85 Fuß über dem Atlantischen Ozean bildet der Wasserspiegel des Gatun- sees, bei Pedro Miquel ist der Spiegel 3072 Fuß tiefer und von Miraflores ab senkt sich der Kanal in den Stillen Ozean. Durch die Schleusen werden die Schiffe mittels elektrischer Lokomotiven gezogen, die auf den Schleusenmauern in Schienen laufen. Die Durchfahrtszeit durch alle 6 Schleusen beträgt 3 Stunden, durch den ganzen Kanal 12 — 15 Stunden, während die Eisenbahn von Colon nach Panama I ' „ Stunde braucht. Übrigens ist es nur eine Frage der Zeit, daß auch Nicaragua, Honduras und Costa Rica ihre eigenen Kanäle bauen. 746 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 48 den Kaiser Wilhelm-Kanal, der die Ostsee mit der Nordsee verbindet und ein großes Land- massiv durchquert, dabei für Kriegsschiffe fahr- bar ist. Zu den ältesten Kanalbauten gehört der Suez-Kanal, der das Rote Meer mit dem Mitlei- ländischen Meer verbindet und die Landenge von Suez durchschneidet.*] Nicht durch seine Länge, aber durch die bedeutende Höhenüberwindung bemerkenswert ist der Trollhätter-Kanal in Schweden, der berühmt ist als Meisterwerk schwe- discher Ingenieurkunst. Der alle Kanal geht his auf das 18. Jahrhundert zurück, der neue wurde 1837 — 44 gebaut, ist 3 km lang und überwindet eine Höhe von 33 m (gegenüber derjenigen des Panamakanals von 85 Fuß, wie oben erwähnt). Anch die Entwicklung der Eisenbahnen hatte, als es sich um Überwindung des gleichen Hinder- nisses, die Durchführung über trennende Gebirge, handelte, ihren kritischen Punkt zu überstehen, aber mit Hilfe des Gotlhardtunnels ist nicht nur Italien mit der Schweiz, sondern auch das Mittel- ländische Meer mit der Nordsee, mit Hilfe des Semmering-Tunnels das Mittelländische Meer mit der Ostsee verbunden, wobei die Tunnel der Eisenbahnen den Schleusen der Kanäle ent- sprechen. Und somit haben es die modernen Schienenstränge in der Tat fertig gebracht, die Wasserscheiden zu überwinden, die Gebirge zu durchbrechen, Länder und ganze Erdeteile zu durchqueren und verschiedene Strom- und Meeres- gebiele, das Mittelländische Meer mit der Nord- see, das Schwarze Meer mit der Ostsee, ja sogar — quer durch Asien und Europa — den Großen Ozean mit Ostsee, Nordsee und Atlantischen Ozean zu verbinden, und auch vom Osten Nord- amerikas zum Westen ist die Verbindung des Atlantischen Ozeans mit dem Großen Ozean her- gestellt. Aber noch harren unserer auf diesem Gebiete großen Aufgaben. Noch gibt es keinen Schienenweg, der Kapstadt mit Kairo, der Ost- afrika mit Westafrika verbindet, noch gibt es keinen Schienenweg zwischen Konstantinopel und ') Die Gesamtlänge des Suezkanal (vgl. Fr. W. v. Bissing, „Der Suezkanal", Januarheft X915 der Süddeutschen Monats- hefte) beträgt l6l km, die höchste Tiefe 11 m, die Breite 65 m, an den Kurven 80 m und an den Ausweichstellen 135 m. Die Idee, einen Kanal zwischen den INil und dem Roten Meer zu legen, ist uralt und schon die alten Pharaonen arbeiteten an ihrer Ausführung. Der älteste Kanal wurde im Jahre 768 aus strategischen Gründen verschüttet. Nun dauerte es bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, ehe man den alten Plan wieder aufgriff. Der deutsche Philosoph Leibniz zwar war es, der schon im Jahre 1072 König Ludwig XVI. auf- forderte, das Rote Meer mit dem Mittelländischen Meer in einem Kanal durch die Landenge von Suez zu verbinden. Ludwig XVI. ging nicht darauf ein, wohl aber Napoleon. Indessen erst im Jahre 1847 bildete sich in Europa eine Ge- sellschaft zur Vornahme der Studien behufs Durchstichs des Suezkanals ; sie bestand aus einer franzosischen und öster- reichischen Gruppe, während die Engländer die Sache zu hintertreiben versuchten. Im Jahre 1856 erhielt die von Lesseps gegründete Compagnie Universelle du Canal Maritime de Suez die Erlaubnis zum Bau des Kanals, 1859 wurde mit den Arbeiten begonnen und 1869 der Suezkanal eröffnet. Persien und Indien und erst seit Ende Februar 191 5 ist der 8 km lange Pyrenäeniunnel, der Frankreich mit Spanien verbindet, in Betrieb. Auf der anderen Seite ist die Eisenbahn sogar dazu übergegangen, mit der verbindenden Meeresstraße ihrerseits zu konkurrieren, indem sie Meeresarme untertunnelt: zum mindesten im Entwurf ist die Kanal - Untertunnelung zwischen England und Prankreich fertig — diejenige zwischen Dänemark und Deutschland in der Ostsee wird folgen. Und heute schon gibt es hier und da Unterfuhrungen von P'lüssen, wie die Durchquerung des Severn in England nahe der Mündung, bei der das Wasser über dem Tunnel bis zu 28 m tief ist und die den längsten Eisenbahntunnel Englands bildet (doppelt so lang als der Simplon-Tunnel). Zu erwähnen wäre dann noch, daß eine Art Zusammenlegung des Schiffahrtsweges mit der Eisenbahn und somit Verdoppelung der Länder- verbindung mit Hilfe des Meeres die neue Fähre Saßnitz-Trelleborg bildet, die ganze Eisenbahn- züge ohne Umladung über die See schafft und Deutschland mit Skandinavien verbindet. Aber kehren wir zu den Wasserstraßen zurück. Zunächst seien einige Beispiele solcher künftiger intermantimer Verkehrswege genannt, soweit Europa in Betracht kommt : Die Verbindung zwi- schen dem Mittelländischen Meer auf der einen und dem Kanal und der Nordsee auf der anderen Seite, also zwischen Marseille und Genua auf der einen und Calais und Antwerpen auf der anderen Seite. Ferner die Verbindung zwischen Venedig und Triest an der Adria auf der einen und der Nordsee und Ostsee auf der anderen Seite, also zwischen Venedig und Triest auf der einen und Hamburg und Danzig auf der anderen Seite. Weiter die Verbindung zwischen dem Schwarzen Meer und der Ostsee und zwischen Schwarzem Meer und der Kaspischen See. Und im Norden die Verbindung zwischen dem Weißen Meer und dem Finnischen Meerbusen mit Hilfe des Ladoga- Sees und des OnegaSees. Und schließlich auch die Verbindung zwischen dem Bottnischen Meer- busen und dem nördlichen Atlantischen Ozean und im Süden die Verbindung zwischen dem Persischen Golf und dem Mittelländischen Meer, dem Schwarzen Meer und der Kaspischen See. Und um ein lerner liegendes aber verhältnismäßig leicht erreichbares Beispiel zu nehmen, die Durch- brechung der malayischen Halbinsel an ihrer schmalen Stelle, der bedeutsamen ostasiatischen Seeschiffahrt eine grandiose Erleichterung, bezugs- weise Zeitverkürzung schaffend. In Afrika wird es möglich sein, von Sambesi oder Rowuma durch den Nyassa- und Tangan- jika-See einerseits zum Kongo einen Schifiahrts- verbindungsweg herzustellen und somit den Indi- schen Ozean und die Straße von Mozambique mit dem Atlantischen Ozean zu verbinden und andererseits ebendaher weiter nördlich durch den Viktoria-See zum Nil einen Kanalweg herzustellen und somit den Indischen Ozean mit dem Mittel- N. F. XrV. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 747 ländischen Meer und zugleich auch VVestafrika, den Golf von Guinea im Atlantischen Ozean mit Kairo und Alexandria und dem Ostbecken des Mittelländischen Meeres zu verbinden. Wenn wir Deutsch-Ostafrika, wie wir erwarten, behalten und der Kongo, wie wir hoffen, deutsch wird, wird es an Deutschland sein, jenen intermaritimen Groß- schiffahrtsweg quer durch Zentralafrika herzustellen. Die handelspolitische Bedeutung solcher inter- maritimer Wasserstraßen zeigt sich am besten an dem Beispiel des deutschen Ostens. Ostdeutsch- land verfügt nicht nur über recht ansehnliche schiffbare Flüsse, sondern auch über eine ausge- dehnte Küste und eine Anzahl an und für sich recht bedeutender Seehandelsplätze. Die Bedeutung dieser letzteren hängt natürlich zu einem großen Teil wiederum von dem Schiftahrtsverkehr der Flüsse, die in diese Seehandelsplätze münden, ab. Der Flußschiffahrtsverkehr im Osten aber ist vor allem dadurch zurückgegangen, daß auf dem Ober- lauf der Flüsse nebst den dazugehörigen Kanälen zufolge der Vorteile der Eisenhahn-Verfrachtung die Verbindung mit dem Unterlauf und mit der See mehr und mehr eingestellt ist und der direkte Weg nach dem Westen und nach Berlin einge- schlagen wurde. .Als die Eisenbahn die Fluß- und Kanalschiffahrt noch nicht verdrängt hatte, hielten die Binnenstädte, wie Bromberg, Thorn, Graudenz den Verkehr mit den Seehandelsplätzen, vor allem Danzig, noch aufrecht, heute ziehen sie die nähere und leichtere Verbindung west- wärts mit Berlin vor. Die notwendige Folge da- von ist der Rückgang der ostdeutschen Seeplätze. Dazu kommt etwas weiteres: Der Westen Deutsch- lands ist wirtschaftlich so außerordentlich stark nicht nur deshalb, weil er in sich selbst sehr be- deutend industrialisiert ist, sondern zugleich auch deshalb, weil er auf seinen Handelswegen den Verkehr eines sehr bedeutenden Hinterlandes in sich aufnimmt. Und auf der anderen Seite haben die westeuropäischen und südeuröpäischen See- plätze solche große Bedeutung, weil sie aus einem so großen Hinterlande den Verkehr bezugsweise die Spedition in sich aufnehmen. In Ostdeutsch- land liegt die Sache aber nun folgendermaßen Schon in der Zeit des großen Kurfürsten wurde eine Kanalverbindung nach der mittleren und unter Friedrich dem Großen nach der unteren Oder geschaffen und der Ausbau des modernen Oder-Spreekanals, der an die Stelle des alten Friedrich Wilhelm-Grabens getreten ist, hat das ganze Gebiet der oberen Oder mit Breslau und dem oberschlesischen Montanbezirke in so leistungsfähige Verbindung mit Hamburg ge- bracht, daß der Oder- Elbe-Schiffahrtskanal heute wichtiger ist, als der von und nach Siettin. Die Oder ist es auch, die Hamburgs Einfluß nach dem Südosten Europas, vor allem nach Ungarn, Galizien und die angrenzenden Teile Ruß- lands hineinträgt. Das heißt mit anderen Worten, die deutschen Ostseehandelsplätze haben zum Teil deshalb an Bedeutung so stark einge- büßt, weil nicht nur Berlin, wie vorher gezeigt, sondern auch Hamburg mit Hilfe des Oder-Elbe- Schiffahrtskanals den Frachtenverkehr aus den östlichen Hinterländern an sich gezogen haben. Mit Hilfe der Tarifpolitik, sowie des Ausbaues weiterer billiger Wasserstraßen in Osten und Nordosten, auf deren gegenseitige Verbindung ge- richtet, muß also versucht werden, unseren Ost- seehandelsplätzen wieder mehr Bedeutung zu ver- schaffen. Der neue Großschiffahrtsweg Berlin- Stettin dürfte dagegen nur Stettin zugute kommen. Der Osten muß aus seiner bisherigen verkehrs- politischen Isoliertheit herausgerissen werden, er muß gleichsam in Verkehr gesetzt werden, wie eine Goldmünze, die in den Tresors gelegen hat. Dazu bilden die Aufhebung der Zollschranken zwischen Österreich und Deutschland — auch Triest muß in Verbindung mit Danzig gebracht werden — zweitens die engste Verbindung Ostdeutschlands mit dem russischen Westen, ferner aber die Ver- bindung der Ostsee mit der Adria, dem Ägäischen Meer und dem Schwarzen Meer ^) die wichtigsten Voraussetzungen. Über letzteren Punkt noch ein paar Worte. England bezieht auf der Handelsstraße Schwarzes Meer Ägäisches Meer zur Versorgung seines Lebens- mittelmarktes jährlich rund für 21,5 Mill. Z. oder rund ein Drittel seiner gesamten Zufuhr zur Volks- ernährung (67 Mill. Z.). Der Hauptlieferant dieser Güter aber ist die Ukraine, diegroßerussi- sche Weizen kammer, sagte Dr. Freiherr von Mackay, München, in dem Aufsatz: „Ruß- land, Deutschland und die Slawen Osteuropas" in den Ukrainischen Nachrichten, Wien, 8. Mai 191 5. Das Land der Ukraine bildet, wie bekannt, den fruchtbarsten Boden, die berühmte ,,schwarze Erde" des russischen Reiches, der Hauptnahrungs- zweig der Bevölkerung ist der Ackerbau , der unsere Industriestaaten mit Weizen versorgt. Dazu kommt neben Zuckerrüben — und Tabak — ein blühender Weinbau. Aber auch mehr als die Hälfte, nach einer anderen Statistik mehr als drei- viertel -j aller Kohlen und allen Eisens liefert die Ukraine dem russischen Reiche. Dazu kommen Mangan- und andere Erzminen und Salzfelder. Ein ähnliches Bild zugunsten der Ukraine zeigt die russische Schiffahrtsstatistik. Die ein- und auslaufenden Schifte, die den Handel mit dem Ausland vermitteln, hatten igog an der Balti- schen und Weißmeerküste 12 Mill. t Gehalt, an der Schwarzen und Asowschen Meerküste 14 Mill. t. Die Küstenschiffahrt hatte an der Baltischen und Weißmeerküste ca. 3,8 Mill. t Gehalt, an der ') Rußland selbst beabsichtigte schon vor dem Kriege einen Ostsee-Schwarzes Meer-Kanal zu bauen, nämlich von Cherson aus an den Dnjcpr nach Kopis und Witebsk. ^) Dr. Freiherr von Mackay schreibt sogar in den M. N. N. auf das Donezrevier, das an Größe das Pennsyl- vanische Kohlenbecken übertrifft, entfallen 75 v. H. der ge- samten russischen Kohlenerzeugung, auf das polnisch-galizische Dombrowarevier 22 , auf die innerrussisrhen Ural- und Mos- kauer Reviere nur 3 v. H. 743 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 48 Schwarzen und Asowschen Meerküste 38 Mill. t Gehalt. Auf der letztgenannten Wasserstraße be- zieht England jährlich an Brotfrucht für 21,5 Mill. •Getreide, d. i. rund ein Drittel seines Lebens- mittelbedarfs, zum größten Teil aus der Ukraine stammend — Grund genug für das gleiche Inter- esse Englands wie Rußlands die Dardanellenstraße zu bekommen. Kurz, die Ukraine ist auch wirt- schaftlich ein vollständig selbständiges in sich ab- geschlossenes Gebiet, das über die Fruchtbarkeit und reiche Bodenquellen verfügt und das geradezu den Lebensnerv des gesamten russischen Reiches bildet — wird der in Verbindung gesetzt mit dem deutschen Osten, so sind die wirtschaftlichen Grundlagen für die Stärkung der Ostmarken ge- geben. Bisher hat man dem deutschen Osten sonst immer dadurch zu helfen versucht, daß man ihm Verbindung nach Westen zu schaffen sich bestrebte. Auf diese Weise hat man im Höchst- falle den Westen noch mehr gestärkt, dem Osten aber geschadet, nicht genutzt. Künftighin muß der Osten eher nach Westen zu entlastet, vor allem aber nach Osten zu, also sowohl nach Nord- osten , als nach Südosten gestärkt und an die Verkehrslinien dieser Landgebiete angeschlossen werden. Auf diese Weise allein kann der deutsche Osten, nachdem er gewissermaßen auf Sand ge- raten war, wieder flott gemacht werden. (G. C.) Einzelberichte. Botanik. Über den Geotropismus der Gras- knoten hat Marie M. Riß einige bemerkenswerte neue Versuche ausgeführt. Vor 30 Jahren hatte E I f V i n g gefunden, daß Knoten von Avena elatior, die in gewöhnlicher, aufrechter Lage ihr Wachs- tum fast abgeschlossen haben, erneut zu wachsen beginnen , wenn man sie durch Rotation am Klinostaten dem krümmenden Einfluß der Schwer- kraft entzieht. Elfving schrieb diese Wieder- aufnahme des Wachstums dem Einfluß der „diffus", senkrecht zur Organachse wirkenden Schwerkraft zu. Dagegen vermutete Pfeffer, daß die Wieder- aufnahme des Wachstums eine Folge der Auf- hebung der Schwerewirkung in der Längsrichtung sein könnte. R i ß hat nun zunächst die Versuche Elfvings wiederholt und für Seeale cereale be- stätigt gefunden. Intermittierende Reizung zweier Gegenseiten (wobei jede Seite 2-/3 Minuten dem einseitigen Schwerkraftreiz ausgesetzt war) hatte eine noch stärkere Wirkung zur Folge als die gewöhnliche, allseitige Reizung am Klinostaten. Da sich nun weiter zeigte, daß ein einseitiger intermittierender Reiz von 2 -/3 Minuten Dauer groß genug ist, um eine sichtbare Reaktion her- vorzurufen, so wird auch bei der Wachstums- aufnahme infolge intermittierender Reizung anta- gonistischer Flanken die senkrecht zur Organ- achse wirkende Schwerkraft beteiligt sein. Und da ferner ,,ein wesentlicher Unterschied zwischen der intermittierenden zweiseitigen Reizung und der gleichmäßigen allseitigen nicht besteht , so gilt der Schluß auch für die auf dem Klinostaten bei gleichmäßiger Rotation gefundene Reaktion." Um aber auch die Bedeutung der Aufhebung der Schwerkraft in der Längsrichtung (Pfeffer) zu ermitteln, führte R i ß Versuche an aufrecht stehen- den Grashalmen aus, indem sie die Schwerkraft, die bei den Klinostatenversuchen senkrecht zur Organachse angriff, durch eine Fliehkraft ersetzte, die ebenfalls senkrecht auf die Organachse ge- richtet war und deren Größe 1,2 bis 11 g betrug (g ist die Beschleunigung). Auch hierbei wurde in einer Reihe von Fällen ein Zuwachs beobachtet, der aber weit geringer war als bei horizontaler Lage und vielfach ganz ausblieb. Beispielsweise hatte in einem Versuch eine Kraft von 1 1 g keinen größeren Erfolg auf die vertikalen Knoten als die Schwerkraft g auf die horizontalliegenden. Aus dem Ergebnis dieser und weiterer Versuche, in denen ein zweiseitiger und ein einseitiger Reiz bei vertikaler Stellung der Grasknoten zur An- wendung kam, schließen die Verf., daß die Schwer- kraft, die in der Längsrichtung angreift, nicht wirkungslos sei, sondern eine Hemmung auf den senkrecht zur Organachse gerichteten Reiz (der Fliehkraft) ausübt. Wird diese Kraft (in der Horizontallage) aufgehoben, so muß das die Re- aktion auf den senkrechten Reiz begünstigen. Mit- hin käme sowohl die Erklärung von Elfving wie die von Pfeffer zu ihrem Recht. Im Hin- blick darauf, daß es sich bei der Rotation auf den Klinostaten nicht um einen eigentlichen ,, dif- fusen" Reiz handelt, der gleichzeitig alle Flanken angreift, sondern um einen intermittierenden, bei dem das Verhältnis der Reizzeiten und Ruhe- pausen durch die Umdrehungszeit und die Ent- fernung des Objekts vom Mittelpunkt bestimmt wird, betrachtet Verf. die beobachtete Wachstums- aufnahme als eine „tropistische" Reaktion einer jeden Flanke auf den sie treffenden Reiz (Zeit- schrift für Botanik Jahrg. 7, 191 5, S. 145 — 170). F. Moewes. Paläophytologie. Über neuere Erfolge der Mazerationsmethode in der Paläobotanik berichtet Gothan in den Monatsber. Nr. i. 1915 der Zeitschr. der Deutschen geologischen Gesellschaft. Zur Mazeration kohliger Pflanzenreste werden folgende Reagentien angewandt: KCIO., -f- HNOj, rauchende HNO3, H.,0,, u. a. Das Prinzip der Methode ist die Isolierung und Bleichung festerer, insbesondere verkorkter Gewebeteile inkohlter Blätter, sowie die Gewinnung von Blattepidermen, Sporen oder Pollen. Zum ersten Male wurde die Methode von Schulze-Rostock angewandt. Schenk, Gümbel, Zeiller und vor allem N. F. XIV. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 749 Nat hörst haben ausgiebig Kohlen und besonders mesozoische Blätter damit untersucht, welch letztere sehr selten strukturbietende Reste zeigen. Car- bonische Blätter sind neuerdings mit Erfolg mazeriert worden, wobei man beide Epidermen der Untersuchung zugänglich machen konnte. Ein an sich unbestimmbares Stück aus dem Wealden von England, das Lycopodiumähnlich war, er- gab zweierlei Sporen, wodurch die Zugehörigkeit zu den Selaginellaceen erwiesen war. Manche fälschlich bestimmte Stücke konnten durch Ge- winnung von Pollen und Sporen auf ähnliche Weise entlarvt werden. Wunderbare Präparate mit Micropylarröhren erhielt Nat hörst von dem ,, Panzer" weiblicher Bennettitaceenblüten, insbe- sondere von Wielandiella angustifolia aus dem Rhät-Lias von Schonen. Intermittierende (unter- brochene) Mazeration hat zuweilen noch empfind- lichere Gewebsteile erkennen lassen. Neuerdings hat J e f f r ey s Kohlen durch Mazeration mit heißem alkalischem Alkohol und Anwendung von Fluß- säure für das Mikrotom schneidbar gemacht und dann in Celloidin eingebettet. V. Hohenstein, Halle a. S. Anthropologie. Die einzelnen die mensch- liche Augenhöhle zusammensetzenden Knochen zeigen hinsichtlich Form und Ausdehnung eine große Variabilität, da sie in gewissem Umfang vikariirend für einander eintreten können. Es wäre aber unrichtig, in diesen Varietäten nur zu- fällige Bildungen zu erblicken ; die meisten haben ohne Zweifei eine phylogenetische Bedeutung. Diese ist nun auch für die orbitale Frontomaxillar- sutur von Ludwig Cohn (Anatomischer An- zeiger, Bd. 48, 1915, S. 365) nachgewiesen worden. Als normale Bildung stoßen an der Innen- wand der menschlichen Orbita der Hinterrand des Tränenbeins und der Vorderrand der Papier- platte des Siebbeins in einer annähernd senkrecht gestellten Naht, der Sutura lacrimoethmoidalis zu- sammen. Die Höhe der Naht ist sehr gering bei Wedda, Australiern und Melanesiern, am höchsten beim Europäer. Diese Naht fehlt nun in den seltenen Fällen, in welchen sich von der Orbital- platte des Oberkiefers und vom Stirnbein her Fortsätze zwischen Tränenbein und Siebbein ein- schieben. Wenn diese Fortsätze spitz auslaufen, so berühren sie sich nur in einem Punkte, haben sie mehr rechteckige Form, so vereinigen sie sich in Form einer querverlaufenden Naht von wech- selnder Länge, der sog. Sutura frontomaxillaris. Bis jetzt ist diese letztgenannte Naht beim Men- schen nur bei einem Australier, einem Mann von den Neuen Hebriden, den Admiralitätsinseln, einem Salomonier, bei zwei Buschmännern und einem Patagonler beobachtet worden. Unter den übrigen Primaten tritt sie bei Schimpanse und Gorilla häufig (bei letzterem in -/., aller untersuchten In- dividuen) auf, während sie bei Orang Utan und den Hylobatiden niemals vorkommt. Diese Unterschiede können nur aus den spe- zifischen Bau- und Formverhältnissen der Augen- höhle verstanden werden. Die hauptsächlichste Differenz im Bau von Menschen- und Affenorbita liegt in der Form des Augenhöhlenbodens. Durch die starke Verbreiterung, die das ganze Gesichts- skelet beim Menschen erfahren, sind seine Augen- höhlen mehr in die Frontalebene gerückt und in ihrer Bodenfläche stark verbreitert worden. Der menschlichen Augenhöhle gegenüber stellt der Orbitalboden der niederen Affen einen keilförmig verengten und vertieften Graben dar. Die beim Menschen eingetretene Veränderung des Orbital- baues konnte aber nur durch eine bedeutende Verbreiterung des Augenfortsatzes des Oberkiefers erreicht werden. Auch bei den Anthropomorphen bahnt sich schon dieser flachere Orbitalboden an, und zwar stehen in dieser Hinsicht Hylobatiden und Orang Utan dem Menschen näher als Gorilla und Schimpanse. Zwar ist auch bei den letzteren im Jugendstadium der Orbitalboden relativ breit, er verengert sich jedoch mit zunehmendem Alter. Mit der Verbreiterung der Orbitalplatte des Oberkiefers ist aber zugleich auch ein Vordringen derselben in die Tiefe der Orbita verbunden, und aus diesem intensiveren Tiefenwachstum erklärt Cohn nun das Vorkommen der Sutura fronto- maxillaris, indem der Knochen eben die Tendenz hat sich zwischen Tränenbein und Siebbein hin- einzudrängen. Bei Gorilla und Schimpanse ist diese Tendenz noch stärker ausgesprochen als beim Menschen und führt daher zu einer größeren Häufigkeit der orbitalen F"rontomaxillarnaht. Cohn hält diese Naht beim Menschen wohl mit Recht nicht für ein progressives Merkmal; er bezeichnet sie als Rest einer aufgegebenen Ent- wicklungsrichtung und nimmt an, daß sie vor der völligen Ausmerzung steht. Danach müßte die Naht also früher in größerer Häufigkeit bestanden haben. Dafür fehlt aber jeder Beweis. Es scheint vielmehr wahrscheinlicher, daß für die gegen- wärtige Entwicklung des menschlichen Stirnhirns und die damit zusammenhängende Form des Obergesichtes die Ausdehnung der Orbitalplatte des Oberkiefers ein Optimum im Aufbau der Augenhöhle geschaffen hat, und daß nur in sel- tenen individuellen Fällen und aus noch unbe- kannten Ursachen eine vermehrte Wachstums- tendenz zu einer Sutura frontomaxillaris führt. R. Martin. Gärungstechnik. Über die Gewinnung und Zu- sammensetzung von Fliederbeerwein aus der Provinz Schleswig-Holstein berichtet der MarineStabsapo- theker G. Maue (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- und Genußmittel 30, 231, 191 5). Die Früchte von Sambucus nigra werden zur Zeit ihrer vollen Reife gepflückt, alsbald mit einer hölzernen Keule zer- quetscht und dann abgepreßt. Die Abwesenheit von Metallteilen sowie größte Sauberkeit ist bei diesem Keltern erforderlich. Der bedeutende Säure- 7SO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. gehalt und die reichen Extraktivstoffe einerseits und der Mangel an Zucker des frisch gepreßten Fruchtsaftes andererseits verbieten die Gewinnung eines naturreinen Weines, erfordern vielmehr eine Anmaischung mit zuckerhaltigem Wasser. Es wurde je i Liter Fruchtsaft mit 2 Liter Leitungs- wasser und I kg Zucker in einer Gärflasche ange- setzt, indem der erste Preßrückstand in dem zu- zusetzenden Wasser nochmals angemaischt und erneut abgepreßt wurde. Von einem Zusätze von Wein- oder Zitronensäure, wie er wolil bei anderen Beerenweinen üblich ist, wurde nach dem Verfahren von Th. D i tt m an n-Kiel abge- sehen. Die Gärflasche mit Inhalt wurde bei 12 — 20" der Gärung überlassen, diese trat freiwillig nach 3 Tagen ein. Zusätze besonderer Hefen sind nicht erforderlich. Nach 8 Wochen, als die stürmische Gärung vorüber war, wurde die Gär- flasche mit Zuckerwasser (i-|-2) vollgefüllt und, um den Inhalt vor dem Sauerstoff der Luft bzw. vor Kahm- und Essigpilzen zu bewahren, mit einem Gärspund (Wasserverschluß) abgedichtet. Bei ruhiger Lagerung blieb der Wein weiterhin der Nachgärung überlassen, wobei das Gefäß spundvoll gehalten wurde. Im Januar und Februar des folgenden Jahres wurde der Wein mit Hilfe eines Hebers abgestochen und nach weiterer Lagerung unter Wasserverschluß Ende März auf Flaschen abgefüllt. Die von G. Maue im De- zember desselben Jahres untersuchte Probe dieses Fliederbeerweines war klar und von purpurroter, rotweingleicher Farbe. Der angenehme Geruch und Geschmack erinnerte, abgesehen von dem prickelnden Geschmack der noch vorhandenen freien Kohlensäure, stark an Rotwein, seinem schweren, südländischen Charakter nach näherte er sich indessen auch dem Johannisbeerwein. Wie der Gehalt an freier Kohlensäure zeigte, war der Wein zur Zeit der Untersuchung, also im Anfang des zweiten Lagerungsjahres, noch nicht voll ausgebaut und dürfte gleich dem Johannis- beerwein von Jahr zu Jahr noch eine Verbesse- rung erwarten lassen. Der Wein enthielt in 100 ccm 10,89 S Alkohol und 2,2 g Extrakt; ge- naue Gesamtzahlen müssen in der Originalarbeit nachgesehen werden. Der Gehalt an Alkohol ist verhältnismäßig hoch und verhält sich zum Glyzerin wie 100: 5,79. Der Glyzeringehalt steht also zum Alkohol in einem (für Traubenwein) nicht mehr normalen Verhältnis, was aber in Hinsicht auf den hohen natürlichen Alkoholgehalt der Halt- barkeit des Weines in keiner Weise abträglich sein kann. Einen leichten, süffigen Wein aus Holunderbeeren zu bereiten, ist demnach eben- sowenig möglich wie aus anderen Beerenfrüchten. Der Gehalt an Zucker entspricht dem der ge- bräuchlichen Tisch- und Trinkweine. In Frankreich soll der Farbstoff der Hollunder- beeren zur Bereitung einer Weinfarbe dienen. Da sich nun nach den Untersuchungen von Maue der Farbstoff der Fliederbeeren bei Anstellung der gebräuchlichen Reaktionen wie Rotweinfarbstoff verhält, so kann der Nachweis von Fliederbeerwein durch diese Reaktionen nicht geführt werden. Nach Maue liegt der Verdacht nahe, daß in Frankreich Fliederbeerwein zum Auffärben bzw. Verschneiden von Rotwein benutzt wird, zumal er sich bei Anmaischung des Mostes mit Wein- trestern, Weinhefe, Weinsäure usw. und bei sorg- fältiger Kellerbehandlung wie kaum ein anderer Beerenwein rotweinartig zubereiten lassen dürfte. In diesem Zusammenhange erscheint die Behaup- tung französischer und italienischer Weinchemiker, daß Zitronensäure in größerer Menge zu den normalen Bestandteilen des Weines gehöre, einiger- maßen verdächtig. Maue fand im Fliederbeer- wein derartige Mengen von Zitronensäure, daß hierdurch ein Anhalt gegeben ist zum Nachweis auch des Verschnittes von Rotwein mit Flieder- beerwein. Der Gehalt an Weinsäure und Gerb- stoff ist — verglichen mit den Durchschnittswerten für Rotwein — gering. Die quantitative Be- stimmung von Weinsäure und Gerbstoff in Ge- mischen von Fliederbeerwein mit Rotwein dürfte daher einen Anhalt zum Nachweis derartiger Ver- fälschungen bieten. Der purpurrote, bittersüß und zugleich sauer schmeckende Saft der Fliederbeeren ist dem Apo- theker und Arzt seit altcrsher wegen seiner dia- phoretischen Wirkung in eingedickter Form be- kannt als Succus Sambuci inspissatus, er wird in vielen Gegenden in Form von Suppen bzw. als Suppenzusatz genossen. O. R. Biicherbesprechungen. Wilhelmi, Julius. Kompendium der bio- logischen Beurteilung des Wassers. Jena, Gustav Fischer. 191 5. 66 Seiten 148 Abb. — Preis: brosch. 2,60 M., geb. 3,20 M. Seit einigen Jahren ist die Mikrofloi-a und -Fauna der durch häusliche und industrielle Ab- wässer verunreinigten Flußläufe der Gegenstand eingehender Studien gewesen. Werden solche an organischen Stoffen reiche Abwässer einem zuvor reinen Wasserlaufe zugeführt, so tritt sofort eine tiefgreifende Änderung in der Gesellschaft der ihn bevölkernden Organismen auf Ein Heer von Bakterien ist geschäftig, die dargebotenen organischen Stofte abzubauen und zu zersetzen. Die Bakterien selbst werden eine Beute solcher Fla- geliaten und Infusorien, die in dem nährstoffreichen und sauerstoffarmen Medium ihre günstigsten Lebensbedingungen finden. Daneben treten aber auch zahlreiche pflanzliche Organismen auf, teils Pilze, teils Algen, die ebenfalls die organischen N. F. XIV. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 751 Bestandteile ausnutzen. Z. T. nehmen auch sie mit einem ganz geringen Sauerstoffgehalte des Wassers vorlieb, und die chloropliyllhaltigen unter ihnen sind durch ihre Assimilationsfähigkeit selbst als Sauerstoffproduzenten tätig. Durch den Stoff- wechsel all dieser Organismen werden die zuge- führten Verunreinigungen des Wassers zerstört und beseitigt und die faulende und übelriechende Flut bald wieder klar, von Fischen bewohnbar und für den Gebrauch des Menschen geeignet. Bei diesen Prozessen, die als biologische Selbst- reinigung der Gewässer bezeichnet werden, sind natürlich je nach dem Grade der Verunreinigung und dem Fortschreiten des Abbaues ganz ver- schiedene Organismen vorhanden, die bestimmte Lebensgemeinschaften bilden. Man unter- scheidet so Poly-, Meso- und Oligosaprobien, von denen die ersten in stark verschmutzten, die letzten in reinem oder in fast reinem Wasser vor- kommen. Die genaue Kenntnis der zu den genannten Kategorien gehörigen Formenkreise ermöglicht es nun umgekehrt, aus der Anwesenheit und Häufigkeit bestimmter Organismen einen Schluß auf die Beschaffenheit des untersuchten Wassers zu ziehen. So hat sich im Laufe der letzten Dezennien die biologische Beurteilung des Wassers neben den chemischen und bakteriologi- schen Untersuchungen als ein besonderer Zweig der Wasserhygiene entwickelt. Die Ergebnisse und Methoden dieser Disziplin hat der Verf, fußend auf den Untersuchungen von Hofer, Kolkwitz, Lauterborn, Mez, Marsson, Thienemann u. a. sowie eigenen Studien, kurz und übersichtlich an der Hand zahl- reicher Abbildungen dargestellt. Das gut ausge- stattete und mit einem ausführlichen hihaltsver- zeichnis versehene Büchlein wird nicht nur von den für Wasserhygiene und Abwässer unmittelbar interessierten Kreisen begrüßt sondern auch von Freunden der morphologisch wie physiologisch so reizvollen Kleinlebewelt der Gewässer gern be- nutzt werden. Buder. Dr. Viktor Pöschl, Einführung in die Kol- lo idchemie. Ein Abriß der Kolloidchemie für Lehrer, Fabrikleiter, Ärzte und Studierende. 4. verbesserte ,Aufl. Mit 18 Bildern im Text und auf einer Tafel. Dresden 1914, Verlag v. Theodor Steinkopff — Preis 2,50 M. Die Kolloidchemie steht in nahen Beziehungen zu fast allen Zweigen der Naturwissenschaften. Sie greift hinein in die Probleme der Biologie, der Heilkunde, der Mineralogie; sie ist ferner von großer Bedeutung für zahlreiche Gebiete der chemischen Industrie. Eine knappe Darstellung der wichtigsten kolloidchemischen Fragen, welche die rechte Mitte einhält zwischen „populärer" Behandlung und hochwissenschaftlicher, darf also Anspruch auf das Interesse der verschiedensten Krei^e machen. Das Erscheinen einer vierten Aufl. der Pöschl'schen Einführung beweist, daß dieses Interesse in der Tat vorhanden ist, und der Verf es im allgemeinen verstanden hat, den manchmal etwas spröden Stoff didaktisch zu meistern. Von einigen Unvollkommenheiten, die vielleicht bei einer späteren Auflage beseitigt werden könnten, seien folgende erwähnt. Bei der Erläuterung der Adsorption vermißt man ein Eingehen auf den typischen Verlauf der Adsorptionskurve und auf die Versuche zu ihrer quantitativen Deutung. Bei dem Kapitel über die Brown'sche Bewegung wäre wohl ein Hinweis auf die Theorie von Einstein und von Smoluchowsky sowie auf die Untersuchungen von Perrin am Platze gewesen. Einer Ergänzung bedürfen ferner die Ausführungen über die Struktur der Gele (vgl. hierzu: Mecklen- burg, über das Gel der Kieselsäure; diese Zeit- schrift Nr. 35 vom 29. 8. 191 5). Bugge- R. Blochmann, Luft, Wasser, Licht und Wärme. Aus Natur uud Geisteswelt Bd. 5. 4. Auflage. VI und in Seiten kl. 8" mit 92 Abbildungen im Text. Leipzig und Berlin 1914. Verlag von B. G. Teubner. Preis in Leinewand gebunden 1,25 M. geheftet i M. Eine elementare Darstellung von Grundlehren der Chemie und der Physik, deren Lektüre be- sonders solchen Lesern empfohlen werden kann, die einen kurzen Zyklus von populären Vor- lesungen über Chemie gehört haben und sich das Gehörte und Gesehene noch einmal in die Er- innerung zurückrufen wollen. Berlin-Lichterfelde-West. Werner Mecklenburg. Literatur. Hesse, A. und Groß mann, H., Englands Handels- krieg und die chemische Industrie. Sonderausgabe aus der Sammlung chemischer und chemisch-technischer Vorträge Bd. X.X-U. Stuttgart '15, Ferdinand Enke. — 12 M. Cohn, Georg, Geschmack und Konstitution bei organi- schen Verbindungen. Sonderausgabe aus der Sammlung che- mischer und chemisch-technischer Vorträge Bd. XXII. Stutt- gart '15, Ferdmand Enke. — 3 M. Knauer, Friedrich, Menschenaffen, ihr Frei- und Ge- fangenleben. Leipzig '15, Theod. Thomas. — i M. Behm, Hans Wollgang, Vom Tier zum Fels. Leipzig '15, Theod. Thomas. — 1 M. Verweyen, J. M. , Naturphilosophie. Aus Natur und Geisteswelt Bd. 491. Leipzig und Berlin '15, B. G. Teubner. — 1,25 M. Hartmann, Placidus , Zur Geologie des kristallinen SubStratums der Dents de Mordes. Bern '15, A. Franke. — 6 M. Schumburg, Die Geschlechtskrankheiten. 3. .'\ufl. Aus Natur und Geisteswelt Bd. 251. Leipzig und Berlin '15, B. G. Teubner. — 1,25 M. Ostwald, Wo., Die Welt der vernachlässigten Dimen- sionen. Dresden und Leipzig '15, Theodor Steinkopff. — 5.75 M. Poske, Friedrich, Didaktik des physikalischen Unter- richts. Leipzig und Berlin '15, B. G. Teubner. — 12 M. 752 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 48 Steinmann, Paul, Praktikum der Süßwasserbiologie mit Beiträgen von R. Siegrist und H. Garns. Berlin '15, Gebr. Borntraeger. — 7,60 M. Brunner, \V., Dreht sich die Erde? Mathematische Bibliothek, herausgegeben pon Lietzniann und Witting. .WII. Leipzig und Berlin '15, B. G. Teubner. — 80 Pf. Wetter-Monatsübersicht. Während des diesjährigen Oktober herrschte in Deutsch- land ziemlich veränderliches, jedoch weit überwiegend kühles, trübes, etwas nebeliges Wetter. Schon in seiner ersten Hälfte lagen die mittleren Tagestemperaturen, wie die beistehende Zeichnung ersehen läßt, sehr häufig, zu München sogar dauernd unter 10° C. In den Mittagsstunden wurden allerdings noch oftmals, besonders am Anfang und um Mitte des Monats, SßiTflcrc 1em))srafur6n einiger ©rfc im ©Rfwcr 1915. -Wilhelmshaven. Jrs* s 15° C überschritten, am 4. in Insterburg, am 14. in Münster und Geisenheim 19" C erreicht. Desto kühler war es im allgemeinen vom Abend bis zum Vormittag. Seit Mitte Oktober kamen im Nordosten und Süden Nachtfröste vor. Besonders aber trat gegen Ende des Monats für die Jahres- zeit ganz ungewöhnlich kaltes Wetter ein. Am 29 oder 30. brachten es Gardelegen, Posen, Köslin und Memel auf 9, Frankfurt a. O. auf 10, Tremessen auf 11 und Zehlen- dorf bei Berlin sogar auf 13" C Kälte. Selbst Mittags blieb das Thermometer an verschiedenen Orten etwas unter dem Gefrierpunkt. Kür Berlin waren der 28. und besonders der 29. die allerkältesten Oktobertage mindestens seit Mitte des vorigen Jahrhunderts. Die mutieren Monatstemperaturen lagen in den meisten Gegenden volle zwei Grad unter ihren normalen Werten. Während sich der Himmel am späten Abend bisweilen auf- klärte, war er an den Tagen fast immer mit Nebelgewölk be- deckt, durch das die Sonne nur selten hindurchzudringen ver- mochte. Beispielsweise hat in Berlin dje Sonne im ganzen Monat an nicht mehr als 47 Stunden geschienen, während hier durchschnittlich im Oktober 98 Sonnenscheinstunden ver- zeichnet worden sind. Bis zum 14. Oktober kamen in allen Landesteilcn äußerst zahlreiche Niederschläge vor. Besonders gingen am Anfang des Monats im Elbe-, Oder- und Weichselgebiet sowie in Bayern heftige Regengüsse hernieder, die z. B. vom I. bis 2. früh in Oppeln 32, in Habelschwerdt 39, vom 3. bis 4. in Dresden 22, in Posen und in München 26, in Görlitz li^isfae^raa^bö^cn im Ätcr 191§. • . ? ^ r . =-• 1 c 3 4^^ ^S Deukchlnnd. ^ i-i i"S>"|_i'g c^"g-s N 5ife-|-|"| {lonjfssummemOlftiibet ä.liä,Mi:äiMMäls^^l£i 1915.14.13 12 11 10. 1 ,z 1 y B faSiHiiliii '■1. MI 1 1 'j uH-j - 1 Jim. 1^ 1 ■ i^hiV OKfohf-r ■■■■■■ ,n ^ 1 II 1 U- »llllll '°_i -IJLL ± iiini ■■IIb - ■ w 1 llllll B«i*MtWtnwi>u«iu. J und in Passau 30, in Schreiberhau 45 und in Arnsdorf im Riesengebirge 50, vom 7. bis 8. wiederum in Habelschwerdt 40 mm ergaben. Vom 15. bis 24. Oktober waren trotz starker Bewölkung meßbare Niederschläge ziemlich selten, im wesentlichen blieben sie auf das Gebiet der Elbe und Oder und auf Südwest- deutschland beschränkt, wo sie sich auch am häufigsten wieder- holten. Dann aber traten in ganz Westdeutschland sowie nordöstlich der Oder wieder ergiebigere Regenfälle ein. Nach einem starken Temperatursturz gingen sie zwischen dem 26. und 27. Oktober zunächst an der östlichen Ostsecküste, bald darauf auch im mittleren und westlichen Norddculschland in Schneefälle über und der Schnee blieb während mehrerer Tage im größten Teile Nordostdeutschlands einige Zentimeter hoch liegen. Die Niederschlagshöhe des ganzen Oktober be- lief sich für den Durchschnitt aller berichtenden Stationen auf 39,2 mm, 19,4 mm weniger, als die gleichen Stationen im Mittel der früheren Oktobermonate seit 189I geliefert haben In der allgemeinen Anordnung des Luftdruckes war das wesentlichste Merkmal, daß der Norden Europas, besonders die skandinavische Halbinsel , sehr häufig von einem Hoch- druckgebiet bedeckt wurde. Zwischen dem 20. und 23. Ok- tober erreichte das barometrische Maximum in Ostschweden, vermutlich auch in Finnland und Nordrußland 7S0 mm Höhe. Tiefdruckgebiete traten gewöhnlich im Nordwesten und Süden auf, von wo sie sich in Ausläufern nicht selten bis nach Mitteleuropa erstreckten. Hier herrschten daher oftmals kalte östliche und nordöstliche Winde, die zwar im allgemeinen nur mäßig waren, mitunter jedoch stark anwuchsen, während milde ozeanische Luftströmungen verhältnismäßig selten und meist nur in geringer Stärke wehten. Dr. E. I.eß. Inhalts Pudor; Intermaritime Verkehrswege und ihre handelspolitische Bedeutung. — Einzelberichte: Riß; Über den Geotropismus der Grasknoten. Gothan: Über neuere Erfolge der Mazerationsraethode in der Paläobotanik. Cohn: Menschliche Augenhöhle. Mauc; Über die Gewinnung und Zusammensetzung von Fliederbeerwein aus der Provinz Schleswig-Holstein. — Bücherbesprechungen: Wilhelmi: Kompendium der biologischen Beurteilung des Wassers. Posch I; Einführung in die Kolloidchemie. Bloch mann: Luft, Wasser, Licht und Wärme. — Literatur: Liste. — Wetter-Monatsübersicht (mit 2 .Abbildungen). Manuskripte und Zuschriften werden an Privatdozent Dr. J o h. Buder, Leipzig, Linnestrafle I, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Bucbdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Folge 14. Band ; zen Reihe 30. Kan Sonntag, den 5. Dezember 1915. Nummer 49. Wie starb Alexandrine Tinne? [Nachdruck verboten.] Von Dr. von Bilguer, z. Z. Unter den vielen Opfern Afrikas nimmt Alexandrine Tinne, als die einzigste Frau, einen besonders tragischen Platz ein. Wenn auch ihre kostspieligen und in gewisser Hinsicht groß- artig angelegten Unternehmungen keinerlei nennens- werte wissenschaftliche Erfolge aufzuweisen haben, so sind sie doch in anderer Wei.se lehrreich ge- worden. Ihr Name wird immer mit Afrika ver- knüpft bleiben. Bisher waren wir betreffs der Kenntnisse ihres Schicksals fast ausschließlich auf die Berichte Nachtigal's, die Veröft'entlichungen Maltzan's und einiger anderer angewiesen. Namenilich der Erstgenannte kann, nächst Theodorvon Heug- lin, als der beste Kenner der Tinne ange- sehen werden. Er war auch der letzte gebildete Europäer, der mit ihr verkehrte. Es war daher ganz natürlich, daß, nach der Mordtat und nach der Rückkehr Nachtigal's aus Bardai nach Murzuq, dieser sich der Tinne'schen Angelegen- heit annahm; ihre Diener halten sich unter seinen Schutz gestellt und betrachteten ihn als ihren natürlichen Anwalt. Auch der holländische General- konsul in Tripolis hatte sich wegen der Tinne- schen Hinterlassenschaft durch ihn an die Fessäner Lokalbehörden gewendet und diese selbst schienen es selbstverständlich zu finden, daß er in allen Angelegenheiten zu Rate gezogen wurde. Von Vielen wurde die Reisende sogar für die Frau Nachtigal's gehalten.') Er begann seine ein- gehende Untersuchung mit den Verhören jedes einzelnen der Überlebenden der Expedition in der anfänglichen Hoffnung, daß „es nicht schwer halten werde, bei der erst kurzen Zeit, welche seit der Katastrophe verflossen, die Erinnerungen der Augenzeugen unverfälscht durch den Mangel an Gedächtnis derselben und ihrem Hang zur phantastischen Ausschmückung zu sammeln und zu einem klaren Bilde zusammen zu stellen." -) Die Untersuchung litt indes durch die Schliche der Augenzeugen bzw. Beteiligten sowie durch die Verschleppungskunst der dortigen Behörden. Nachtigal selbst beklagt sich bitter darüber: ,,Je mehr Zeit in dieser Hinsicht tatlos verstrich, desto unzuverlässiger mußten die Aussagen der Zeugen werden, von denen die meisten sich nicht eben einer hohen geistigen Begabung er- freuten und die zum Teil aus Frauen und halb- erwachsenen Jünglingen bestanden". ^) ') Nachtigal, Sahara und Sudan. Ergebnisse öjähriger Reisen in Afrika. (Berlin 1879.) I. Teil. p. 347. '^) Nachtigal, a. a. O. p. 167 u. 468. '■') Nachtigal, a. a. O. p. 476. Kriegsfreiwilliger. — Ost. Sehen wir uns zunächst diese Augenzeugen, auf deren Aussagen sich unsere Kenntnis aus- schließlich beschränken muß, näher an. Das T i n n e'sche Gefolge in Murzuq bestand (nach der Rückreise Gottlob Adolf Krause's) aus: den beiden holländischen Seeleuten Kes Oostmans und Aryjacobse, 3 aus Ägypten mitgebrachten Negern, 5 Dienerinnen, 10 Dienern, 15 Kamel- treibern, I Tuniser, 2 in Murzuq aufgenommenen Eingeborenen, 3 entlaufenen Sklaven und i ent- laufenen Sklavin (die bei ihr Asyl gefunden hatten),') den P"rauen der Diener und endlich aus dem „Troß von Freigelassenen oder durch sie befreiten Sklaven, der unter ihrem Schutz nach dem Sudan zu gelangen hoffte". -) Die Hauptperson des Tinne'schen Gefolges, den ägyptischen Neger Abdallah ben-Said, nennt Nachtigal einen „zügellos liederlichen Men- schen", ^) der nach dem Tode seiner Herrin in Murzuq ,, ungestraft seinem Hange zur Liederlich- keit fröhnen" konnte, *) die andern waren „nur durch Interesse an ihre Wohltäterin gebunden und hatten keinerlei wirkliche Anhänglichkeit gefühlt".*) Auch die beiden einzigen Europäer, die erwähnten Holländer, Matrosen der in Malta verkauften Yacht der Tinne, waren „ganz ungebildete Menschen, von denen weder Rat noch Tat zu erwarten war und die nebenbei weniger galten, als die bevor- zugteren unter den Negern". ") Nicht besser beurteilte Rohlfs dies Tinne - sehe Gefolge , das er in Tripolis kennen gelernt hatte. Vergebens suchte er sie zu bewegen, be- währte Diener aus Tripolis mitzunehmen „statt jener Algeriner und Tuniser, auf deren Treue sie gar nicht bauen konnte und welchen sich merk- würdigerweise eine Menge unnüizer Weiber und Kinder zugesellt hatte". '') Mal t z a n aber nennt das T i n n e'sche Gefolge eine „Bande höchst undisziplinierten, ja nach allem was ich höre, liederlichen und ausschweifenden Gesindels, welches der Herrin gegenüber zwar Unterwürfigkeit an den Tag legte, aber eigentlich tat, was es wollte. Fräulein Tinne hatte nie vermocht, Disziplin in diese Bande, welche auf 1) Nachtigal, a. a. O. p. 85. ^'j Nachtigal, a. a. O. p. 468. ^) Nachtigal, a. a. O. p. 47S. *) Nachtigal, a. a. O. p. 476. *j Nachtigal, a. a. O. p. 47S. ") Maltzan, ,, Fräulein .Mexandrine Tinne" in „Globus", lllustr. Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde (Braunschweig 1869), Nr. 7, p. 103. 'j Rohlfs, „Von Tripolis nach Alexandrien" (Norden 1885), 1. Band, p. 96. 754 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 49 ihrer letzten Reise bis zu 70 Köpfen angewachsen war, zu bringen". ^) Ich möcht nun der damals von Nacht igal gewissermaßen protokollierten Version über das Ende Fräulein Tinne's einiges neue hinzu- fügen, als Ergebnis meiner während meines zweijährigen Aufenthalts (1912 13) in Tripolis an- gestellten Nachforschungen, wo ich Gelegenheit halte, nicht nur mehrere dortige Persönlichkeiten kennen zu lernen, die mit Frl. Tinne in persön- liche Berührung gekommen waren, sondern auch mit solchen, die ganz besonders imstande waren, meine Nachforschungen zu erleichtern : den lang- jährigen K. u. K. Konsul Emil Rossi,'') den stellvertretenden großbritannischen Generalkonsul Alfred D ickson,^j sowie die beiden letzten Überlebenden der Tinne'bchen Murzuqreise, Gottlob Adolf Krause*) und Hädsch Abdallah ben-Said, der kein anderer ist, als der bereits von Nachtigal erwähnte „zügellos liederliche Mensch".^) Außerdem öffnete mir der österr.-ungar. Konsul Dr. Ernst von Kwiat- kowski in bereitwilligster Weise sein Konsulats- ') Maltzan, a. a. O. p. 103. ^) Auch dessen Vater war österr.-ungar. Konsul und deut- scher Vizekonsul gewesen. In seinem Landhause waren die E.Npeditionen von Kohlfs und Nachtigal ausgerüstet worden, dort waren die meisten Reisenden zu Gast. Leider wurde diese schöne Besitzung 1911 duich die Italiener zerstört und geplündert und der Familie dadurch ein Schaden von 50000 Kr. zugefügt. 3j Der Enkel John Dickson's 11779— 1847) "nd der Nefi'e des bekannten Reisenden und großbritannischen Vizekonsuls in Ghadames, Charles Hanmer Uickson (geb. 29. Aug. 1824, gest. 1870 in Konslantinupel). ■*) Krause hatte sich, nach seiner letzten Forschungsreise in Zentralalrika, im Mai 1907 in Tripolis niedergelassen und bewohnte in der Vorstadt Dhara ein Haus, welches am S.No- vember 19H von der italienischen Soldate^ka ohne allen Grund geplündert und verwüstet wurde: alle wissenschaftlichen Bücher, 30000 beschriebene Lexikonzettel, druckfertige Manu- skripte, Grammatiken und Wörterbücher bisher unbekannter zentralafrikanischer Sprachen wurden chaotisch durcheinander geworfen, zerrissen oder fortgeschleppt. In der Nähe des Hauses lag auf der Straße „Karl .Meinhof, Grundzüge der Lautlehre der Bantussprache", der wissenschaftliche Zusätze, das Ergebnis jahrzehntelanger Reisen und Forschungen ent- hielt. Krause besaß die größte existierende Sammlung von Haussa-Manuskripien. Einige der gestohlenen Bücher wurden später von italienischen Journalisten der Bibliothek von Bologna angeboten. — Im November I912 verließ Krause Tripolis, um die Vorbereitungen für seine achte Forschungsreise nach Zentralafrika zunächst nach Sökoto zu treffen. Aber: „In Afrika kommt immer alles anders." So schrieb mir Krause. Der Krieg kam dazwischen und Krause befindet sich heute in der Schweiz. ') Meine Unterredungen mit demselben fanden im Hause und in Gegenwart des Konsuls E. Rossi und seines Sohnes statt. In Chartum 1850 geboren, hatte Abdallah bereits Frl. Tinne auf ihren Reisen in Ägypten und .-Mgerien begleitet und stand, obgleich erst iSjährig, ihrem Hauswesen als Intendant vor. Später (l88l) führte er die Expedition des Kapt. William John Gill nach Nalut und war dann 30 Jahre hindurch Kawass des italienischen Generalkonsulats in Tripolis. Seit 1911 ist er Angestellter bei der italienischen Generaldircktion für zivile Angelegenheiten. Frl. Tinne hatte ihm ein Haus in Tripolis vermacht, doch wurde diese Erbschaft seitens der 1870 nach Tripolis gekommenen Neflfen der Tinne für nichtig erklärt. Auch eine Reise Abdallahs nach Liverpool in dieser Angelegenheit hatte keinen Erfolg. archiv (in dem sich auch die preußischen Akten der damaligen Zeit befinden). Endlich nenne ich noch als meine Gewährsmänner den greisen österr.- ungar. Konsulatskawassen a. D. Achmed-Agha Beschir'j sowie die tripoliner Kauf leute Jacob Arbib und Jacob Benjamin, beide groß- britannische Schutzbefohlene, ersterer Besitzer des Hauses, das Frl. Tinne bewohnte, letzterer der Nachbar desselben. Alexandrina Petronella Francina Tinne war im Haag am 17. Oktober 1S39-) geboren als Tochter der in zweiter Ehe mit einem in England naturalisierten sehr reichen Holländer vermählten Henriette Luise Marie van Capellen, der Tochter des niederländischen Vizeadmirals Baron Theodor Friedrich van Capellen. Als „große Dame" erzogen, unternahm sie ihre afrika- nischen Reisen nicht aus Liebe zur Wissenschaft, sondern zum Versuch, „die Wunden eines unbe- friedigten Herzens durch überweibliche Anspan- nung physischer und geistiger Kräfte zu heilen oder zu vergessen",^) d. h. wohl ihr unglückliches Liebesverhältnis zum Prinzen Heinrich der Nieder- lande und ihre Verlobung mit einem holländischen Legationsrat. Die Jahre 1850 bis 1858 verbrachte sie mit ihrer Mutler in Ägypten. Drei Jahre später traten beide eine neue Reise an, an der auch ihre Tante, Frl. Hadriane van Capellen teil- nahm. Die Damen schlössen sich im November 1862 Theodor von Heuglin*] in Chartum an, der damals gerade mit Steudner, Kinzel- bach und Munzinger seine vergebliche Expe- dition zur Aulfindung Vogel's beendet hatte. Sie gingen den Bahr elGhasal hinauf und im September 1864 nach Europa zurück. Später, ihre Mutter war in Bango am 21. Juni 1863 ge- storben und auch ihre Tante, lebte PVl. Tinne in Kairo. Im Jahre 1867 finden wir sie in Al- ') Er war in seiner Jugend in Diensten der Familie Rossi, organisierte unter dem bekannten Mohammed el-Gatrüni (der schon mit Barth in Timbuktu und mit Rohlfs in Bornü und Mandara gewesen war) die Nachtigal'sche Expedition und begleitete sie bis Murzuq, ebenso den Erzherzog Ludwig Sal- valor auf seinen Exkursionen im Tripoliianischeu (1873) und gleichfalls Rohlfs auf seiner Kufrareise bis Sokna ^1878/79). Ende 1882 schickte Nachtigal, damals Verweser des deutschen Konsulats in Tunis, während seines 40 lägigen Inkognito- aufenthalts im Hause Rossi in Tripolis, den Beschir nach Süd- lunesien mit dem Auftrage die Tätigkeil der dortigen fran- zösischen Geheimagenten zu beobachten und ihr auf den Grund zu gehen. Siehe Bilguer; Materialien zu den Reisen von Ger- hard Rohlfs und Gustav Nachtigal in ,, Mitteilungen der K. K. Geogr.aphischcn Gesellschaft in Wien" 1913, Hell 9 und 10, P- 578. Im Jahre 1889 führte Beschir die Expedition Blundel's und Kapt. Ford's nach Benghasi usw. und sollte auch die Saharaexpedition Artbauer's 191 I begleiten, die durch den Krieg vereitelt wurde. Er stand 40 Jahre hindurch in österr.- ungar. Konsulatsdiensten und lebt heute auf seinen Besitzungen in der Meschija von Tripolis. '') Nachtigal (a. a. O. p. 32) und andere geben fälsch- lich 1834 als Geburtsjahr an. ■■") Nachtigal, a. a. O. p. 473. *) geb. in Hirschlanden (Württemberg) am 20. März 1824, gest. in Stuttgart am 5. Nov. 1875. N. F. XIV. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 7SS gerien, von wo sie über Tunis und Malta am 21. November 1868 in Tripolis eintraf. Betreffs einer wenigstens ungefähren Charakte- risierung der „durch ganz Nordafrika als feenhafte Erscheinung und wegen ihres Reichtums be- kannten" ') „wunderlichen Alexandra" '') beschrän- ken wir uns auf die Urteile von Heuglin, Rohlfs, Maltzan und Nachtigal, wobei be- merkt sei , daß sie mit Heuglin fast zwei Jahre (November 1862 bis Oktober 1S64) bei- sammen war, mit Rohlfs 38 Tage (13. Dezember t868 bis 20. Januar 1869), mit Nachtigal ']1 Tage, davon 6 Tage (29. Dezember 1868 bis 3. Januar 1869) in Tripolis und 71 Tage (27. iVlärz bis 6. Juni 1809) in Murzuq. Maltzan war vom 6. März bis 26. Mai 1869 in Tripolis, also nach der Abreise der Tinne. Heuglin beklagt sich vor allem über den überall hindernden, allzugroßen Troß der Tinn e- schen Reisen, der bei ihrer gemeinsamen Abreise aus Chartum im November 1862 aus 150 Personen bestand,^) über die „sogenannten Soldaten und Diener",'') sowie darüber, daß die Damen sich tagelang „der schönen Gegend wegen" aufgehalten hatten. Madame Tinne hatte auf die Vorstel- lungen Heuglin's erklärt, daß „sie durchaus nicht Willens sei, sich einzuschränken und ohne den gewohnten Komfort zu reisen, nachdem sie so enorme Summen auf diese Expedition ver- wendet".''') Am 14. Juni 1863 hatte sich der Troß auf 400 Neger und 150 Soldaten erhöht; die Damen ließen sich in schweren Tragsesseln tragen „umgeben von den Soldaten des Uivans". „Die armen Neger," schreibt Heuglin, (weil kein Ge- treide miigenommen werden konnte, waren sie ausschließlich auf Rindfleischnahrung angewiesen) die statt 6 Tage nunmehr 3 Wochen unterwegs behalten wurden, hatten auch nicht den gering- sten Schutz. Viele von ihnen wurden von Dys- enterie befallen, welciier Krankheit binnen weniger Tage eine beträchtliche Anzahl erlag. Aber nie- mand kümmerte sich um das Loos dieser Men- schen. Mancher konnte sich buchstäblich selbst kaum mehr fortschleppen, und ihnen wurde noch aufgebürdet, bis sie zusammenbrachen".") Am 17. Juni 1S63 schrieb er, „da die Damen das Frühaufstehen durchaus nicht lieben und über- dies mehrere Stunden zu Toilette und Frühstück nötig haben, wird immer erst unter der glühen- den Mittagssonne, statt in den kühlen Morgen- stunden, abmarschiert".^) ') Dr. Fr. Embacher, ,, Lexikon der Reisen und Ent- deckungen". (Leipzig 1S32) p. 310. «) „Globus", l8b9, Band .KVI, Nr. 4, p. 63. 'j Heuglin, „Reise in das Gebiet des Weißen Nils und seine westlichen Zuflüsse in den Jahren 1S62 bis 1S64. (Leip- zig und Heidelbeig 186g), p. 59 und „Transactions of ihe Historical Society of Lanchire". Liverpool 1864, Bd. ib und Heuglin, ,,Die Tinne'sche Expedition ins westlichen Nil- gebiei 1863 — b4" (Goiha 1S65). *) Heuglin, a. a. O. p. 139. ■^) Heuglin, a. a. O. p. 140. «) HeugUn, a. a. O. p. 1S4. ■?J Heuglin, a. a. O. p. 185. Bald nach dem Ableben ihrer Mutter entließ Fräulein Tinne zwei Drittel ihrer Soldaten, ohne für deren Rücktransport in die Heimat zu sorgen, weshalb große Erbitterung entstand und sogar Todschlag vorkam.^) Endlich beschuldigt Heuglin die Tinn e'sche Familie des Plagiats: Er hatte auf der Reise Pflanzen gesammelt. „Ich bot die Sammlung dem kaiserlichen Herbarium in Wien an und über- machte sie bei unserer Rückkehr aus Ägypten dem bekannten Botaniker Dr. Th. Kotschy,-) welcher sich zugleich verpflichtete, mit Benutzung der von mir gefertigten Zeichnungen (welche nach ge- machtem Gebrauch wieder sollten zurückerstattet werden) ein Verzeichnis der kleinen Sammlung sowie eine Beschreibung der neuen Arten zu ver- öffentlichen. Nach Jahr und Tag erfuhr ich end- lich zufällig, daß die Pflanzen wirklich im Wiener Herbarium niedergelegt worden seien und daß der Bruder von Fräulein Tinne ihre Veröffent- lichung unter dem Titel „Plantae Tinneanae" ver- anlaßt habe . . ." ^) Hören wir nunmehr das Urteil Rohlfs: „wie immer auf ihren Reisen ohne festen Plan, hatte sie sich endlich doch entschlossen, nach Fessän und Bornü zu gehen, hatte aber auch schon damals die Absicht nach Ghat zu gehen, um die dort hausenden Tuärik zu besuchen. Ver- gebens suchte ich sie von diesem Gedanken ab- zubringen . . „ vergebens beschwor ich sie, jene großen französischen aus Eisen gemachten Wasser- kistcn nicht mitzunehmen, welche allerdings für die französischen Truppen in Algerien ganz prak- tisch sein mögen, aber lür einen einzelnen Reisen- den die größte Gefahr herbeiziehen, weil sie eben die Raublust der wilden Stämme erwecken, ver- gebens suchte ich sie zu bewegen , bewährte Diener von Tripolis mitzunehmen, statt jener Al- geriner und Tuniser ... Ale. xa ndrine Tinne ließ sich nicht raten."'') ') Heuglin, a. a. O. p. 350. ^) Dr. Theodor Kotschy, geb. in Ustra (Österreich. Schlesien) am 15. April 1S13, gest in Wien am II. Juni 1S66, war vor 1858 an Kustos am k. k. botanischen Hofkabinet in Wien. ') Das große, sehr luxuriös ausgestattete Werk erschien in Wien 1807 bei Karl Gerold Sohn in lateinischer und fran- zösischer Sprache: ,, Plantae Tinneanae etc." bzw. ,,Piantes Tinnecnnes ou description de quelques — unes des plantes recueilUes par l'expedition tinneenne sur les bords de Bahr el Ghasal et de ses affluentes en Afrique Central. Ouvrage orne de XXVII planches, compose par M. M. Theodore Kot- schy et Jean Peyritsch. Public aux frais de Alexandrine P. F. Tinne e John A. Tinne." Das Werk ist der Königin Sophie Friederike Mathilde der Niederlande gewidmet. John A. Tinne Esq. in „Transactions of the Historical Society of Lanchire". Liverpol 1S04, Bd. 16. Derselbe, „Geographical Notes of expeditions in Central Africa by three Durch Ladies." ^) Kohlfs, a. a. O. p. 95, 96. Rohlfs, ,,Quer durch Atrika, Reise vom Mittelmeer nach dem Tsadsee und zum Golf von Guinea". Leipzig '874/75- , . ,. ^ „So scheiterten die Tinne sehen Unternehmungen gänzlich, das eine Mal an dem zu groflen Troß, das andere Mal an dem bekannt gewordenen Reichtum des Fräulein." 756 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 49 Maltzan gibt uns folgende Beschreibung von der Ti n n eschen Haushaltung undReisean: „Ihr Haus stand bei allen Negern in Tripolis im Ruf ein wahres Schlaratfenland zu sein, wo man nichts zu tun und vollauf zu leben halte und nebenbei noch sehr gut bezahlt wurde, denn selbst die untersten ihrer Diener bekamen nicht weniger als 20 Taler Monatslohn." 'j Alle Wünsche der Diener wurden erfüllt. „Wenn z. B. der erste Diener und Indendant Fräulein Tinne's, der in Ägypten er- zogene Neger Abdallah das Bedürfnis empfand, einen vollzähligen Harem mit vier legitimen Gat- tinnen zu besitzen, so hätte ein anderer Gebieter ihn vielleicht auf die Vorzüge der Monogamie aufmerksam gemacht. Aber Fräulein T i n n e ließ es nicht nur geschehen, sondern sorgte auch noch selbst dafür, daß diese auszuwählenden Gattinnen jung und hübsch waren. Ja, diesem Schwarzen wurde der bei seinen Hautgenossen seltene und viel beneidete Vorzug zu teil, lauter weiße Gattinnen zu besitzen, blutjunge hübsche Algierinerinnen, welche seine Herrin vor zwei Jahren aus Algier mitgenommen und, wie man sagte, für ihn aus- gewählt hatte. Auch seiner etwas unbeständigen Laune setzte sie kein strenges Veto entgegen. Als es ihm z. B. gefiel, sich in Tripolis von einer seiner algicrischen Gatiinnen scheiden zu lassen, mischte sich seine Gebieterin nicht in die Ange- legenheit, sundern trug nur Vorsorge, daß die junge l'Vau unter gutem Schutz und reich mit Mitteln versehen nach ihrer Vaterstadt zurück- gebracht wurde. Da auch noch andere Neger im Gefolge der Reisenden dem Beispiel des poly- gamen Abdallah gefolgt waren, so beianden sich im Hause Fräulein Tinne's Frauen in Menge, welche außer ihren ehelichen Ptiichten keine zu erfüllen hallen, denn außerdem besaß die Dame noch ihre eigenen persönlichen Dienerinnen . . .'■■) Nachtigal's Urteil lautet im allgemeinen günstiger, was sich leicht erklären läßt, denn er selbst stand damals erst im Anfang seiner Lauf- bahn und sah viefleicht in Fräulein Tinne nur die durchaus erfahrene Fachmännin, die „schon so viel Proben hohen Strebens und festen Willens abgelegt, schon so viel Erfahrungen gesammelt hatte und mit bewundernswürdiger Zähigkeit an ihren Zielen festhielt". Aber trotzdem erfüllte sie ihn „zunächst mit scheuer Ehrlurcht" und auch seine tnpoliner Be- gegnung mit ihr „war nicht geeignet, dies Ge- fühl wesenilich zu modifizieren". Sie vermochte, wenigstens bei oberflächlicher Bekanntschaft, „nicht zu erwärmen. Die Siadt war erfüllt von dem Rufe ihres Reichtums und schon damals war sie nur unter der Bezeichnung Bent el-Re, d. h. die Tochter des Königs bekannt". •') Fräulein Tinne halte während iiires ÖQ-iägi- gen Aufenihalts (vom 2i. November i86S bis ') Ein Mudir oder Regierungspräsident hat 500 türkische Piaster = 26-,3 Taler. '■'J Maltzan, a. a. ü. Nr. 7, p. 103 ff. "j N a c h t i g a 1 , a. a. O. p. 32. 28. Januar 1869) in Tripolis für sich und den engsten Teil ihres Gefolges das dem heutigen deutschen Konsulat gegenüber liegende Haus ge- mietet, welches gegenwänig noch von der Familie des Kaulmanns Jacob Arbib bewohnt wird. Der Rest des Trosses war in anderen Mietshäusern untergebracht. Fräulein Tinne entfaltete in Tri- polis einen bisher unbekannten Luxus und eine dementsprechende Freigebigkeit. Daneben aber zeigte sie auch hier wieder ihre bereits erwähnten Schwächen und Absonderlichkeiten. Die kleinste Sache regte sie über die Maßen auf: als einmal der Hund der Nachbarfaniilie Benjamin einen ihrer Truthähne angebellt hatte, entsandte sie ihren Intendanten Abdallah (der wegen seines herrischen Auftretens den Spitznamen Mylord führiej mit dem Verlangen, ihr den Hund auszu- liefern. Ais dies verweigert wurde, bot sie ver- gebens eine hohe Kaufsumme. Schließlich setzte sie fast alle Konsulate und sogar den Pascha in Bewegung und wurde ihren Willen höchstwahr- scheinlich durchgesetzt haben, wenn der Hund nicht eines Nachis heimlicherweise, in einen Ba- rakan eingewickelt, in Sicherheit gebracht worden wäre. Durch ihre Leute ließ sie aber den Auf- enthaltsort des Hundes aufspüren und suchte sich nun desselben mit Gewalt zu bemächtigen.^) Der Gesamteindruck, den die Tinne und ihr Troß aul ihn gemacht halle, bestimmten Nach- tigal, sie nach Murzuq vorausreisen zu lassen: „ihre großen Mittel und ihr zahlreiches, zusammen- gewürfeltes Gefolge ließen mir die gemeinschaft- liche Reise nicht besonders wünschens- wert erscheinen'.-) In Murzuq bewohnte Fräulein Tinne ein großes Flaus in der Hauptstraße, in dem einst- mals der fezzaner Tyrann Muqni gehaust hatte. Nachtigal fand sie dort „ruhig, ernst, distin- guiert, wie immer, doch herzlicher und wärmer als in Tripolis".^) Ihre Bekanntschaft wurde immer intimer, ja Beide verabredeten sogar, daß, wenn sich keine Reisegesellschaft von Kaufleuten zusammen ge- funden haben würde, „allein mit Hilfe einer ge- mieteten, bewaffneten hskorte die Reise nach Bornü *j zu unternehmen". Unterm 17. April 1869 schrieb die Tinne von Murzuq aus: „Die Leichtigkeit, mit welcher man von hiei aus in weit entfernte und barbarische Länder gelangen kann, hat mich in bezug auf ') Persönliche Erinnerungen des tripoliner Kaufmanns Jacob Benjamin, Schara Azizie 252. ') Nachtigal, a. a. U. p. 32. '') Nachtigal, a. a, O. p. S6. *) Frl. Tinne hatte wegen eines hinlänglichen Vorrats von Maria-Theresia-Talern und wegen Geschenke für den Scheich von liornü nach Europa geschrieben „mit denen sie diejenigen des Königs von Preußen ^die Nachtigal überbringen sollte) zu verdunkeln hoffte". Nach ihrem Ableben kamen sie in Tripolis unter den Hammer, wie s. Zt. die höchst an- sehnlichen und luxuriösen Effekten eines preußischen Reisen- den, des verstorbenen Kreiherrn Krafit von Krafftshagen , die für wahre Spottsummen verkauft wurden. (Maltzan, a.a.O. Nr. II, p. 174.) N. F. XrV. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 757 meine Reisepläne sehr ambitiös gemacht und ich habe mich entschlossen, nach Bornü zu gehen. Auf dem Wege dorthin werden wohl nicht viele Schwierigkeiten zu überwinden sein ; Wasser ist hinlänglich vorhanden und die 6o bis 70 Leute, welche ich als Bedeckung mitnehme, werden wohl Räubern gegenüber hinreichend sein. Um bis dahin keine Langeweile zu haben, gedenke ich einen Ausflug zu den Tuariks zu machen, falls Ichnuchen, der Häuptling, mich friedlich emp- fangen will, oder ich gehe nach Osten hin zu den Tibbus." '■) Es fällt auf, daß sie ihren Berater, Beschützer und Reisegefährten Nachtigal mit keinem Wort erwähnt, trotzdem dieser sich der Tinn.e in der uneigennützigsten ^) und aufopferungsvoll- sten Weise annahm, sie warnte und beriet und ihr namentlich während ihrer schweren Erkran- kung beistand. „Auch mich, so schrieb er, er- eilte das Schicksal der Malaria -Vergiftung und zwar in srhr intensiver Weise. Leider fiel meine Erkrankung in eine für Fräulein Tinne so un- günstige Zeit, daß meine Abwesenheit von ihrem Krankenbette beinahe verhängnisvoll für sie ge- worden wäre. Nachdem sie sehr bald nach unserer Ankunft leichte Fieberanfälle gehabt hatte, zog sie sich gegen Ende April eine Blinddarmentzün- gnng zu, welche nach dem sechsten Tage den Weg der Besserung betrat. Schon vorher war die zwar energische, aber delikate Dame nicht stark gewesen und ich hatte sie oft vergeblich gedrängt, sich durch ausgewählte Kost, soweit dies möglich war, zu kräftigen. Seit Beginn der Krankheit hatte sie jede Nah- rungseinnahme verweigert und selbst nach Beginn der Rekonvaleszenz war sie nicht zu einer solchen zu bewegen." Als Nachtigal durch seine eigene Erkrankung fast eine Woche lang an seinen Be- suchen verhindert gewesen war, fand er „die Arme in einem Befürchtung erregenden Zustande. Skelettartig abgemagert, mit schmerzlichen Kon- trakturen der Gliedmaßen, furchtbaren Neuralgien, gänzlicher Schlaflosigkeit und absoluter Unfähig- keit, Nahrung einzunehmen, erregte sie gerechten Zweifel in mir an der Möglichkeit unserer ge- meinsamen Reise nach Borkü. Ich wagte sie *) Nouvelles Annales des voyages, Julinummer 1869, S. 1 15. ^) In Tripolis war das Gerücht verbreitet, Nachtigal habe bedeutende Geldzuschüsse von Frl. Tinne erhalten. Daran ist kein wahres Wort. In meinen ,, Materialien zu den Reisen von Gerhard Rohlfs und Gustav Nachtigal'' (Mitteilungen der k. k. Geographischen Gesellschaft in Wien 1913, Heft 9 und 10) habe ich die fortwährenden finanziellen Schwierigkeiten Nachtigal's aktenmäfiig bewiesen und auch die Shuldigen genannt. In Kakana mußte er sogar eine Anleihe von 200 Maria-Theresia-Talern zu IjO"/,) auf 8 Monate aufnehmen, da die 300 Taler, die ihm bei seiner Ankunft in der Haupt- stadt Bornüi verblieben waren, in 6 Monaten vollständig auf- gezehrt waren (S. 573)- Schon in Murzuq klagte er in einem Privalbriefe an den Kon'Jul L. Rossi in Tripolis: ,,Ich muß jetzt daran denken Kamele zu kaufen — eine Sache die mir viel Unruhe bereitet, denn die Reise von Tibesti hat mir viel Geld gekostet, welches mir sicherlich von der preußischen Regierung nicht zurückerstattet werden wird!" (S. 579. 1 kaum noch zu verlassen und einige Wochen ver- gingen, ehe sie unter dem Gebrauch von Narko- ticis und vorsichtigster, allmählicher Einflößung leicht verdaulicher Nahrungs- und Reizmittel sich zu neuem Leben aufschwang. Nach ihrer Wieder- herstellung gingen wir ernstlich an die Realisie- rung unserer vorläufigen Rei^eprojekte." ^) Diese murzuqer Annäherung an Nachtigal steht in einigem Widerspruch zur Tinne'schen ,, Abneigung gegen jeden ebenbürtigen Reisebegleiter".-) „Ohne Zweifel, schreibt Maltzan, stand dieser Widerwille (über den wir nur Gerüchte vernommen haben und deshalb für besser halten zu schweigen) in Verbindung mit ihrer für eine junge, nicht häßliche und reiche Dame höchst rätselhaften Abneigung gf-gen die Ehe, ja, wie man sagt, gegen das männliche Ge- schlecht überhaupt." ^) Nachtigal hatte der Tinne zwar die Ti- bestireise auszureden versucht, half ihr indessen bei den Vorbereitungen zu derjenigen nach Ghat. Aber seine Bemühungen, seine Verhandlimgen mit den Behörden wurden erschwert durch „einen auf ihrer Person lastenden Schatte n", den er trotz seiner Hinweise auf ihre Wohltätig- keit, ihre Generosität und Vorliebe für islamitische Länder nicht zu tilgen vermochte. Es handelte sich eben um ihre allen Mohammedanern absolut unverständliche Ehelosigkeit, der diese un- natürliche Gründe unterschieben zu müssen glaubten. „Schon jeder Mann nimmt als Jung- geselle eine mißachtete Stellung in jenen Gegen- den ein und provoziert dtirch seine Frauenlosig- keit nicht sehr schmeichelhafte Beurteilungen seiner Person, doch bei einer Frau erschien ein solches Verhältnis von noch viel gravierender Be- deutung, besonders die in Rede stehende welche durch ihre Ziele und Zwecke so sehr in die Öffentlichkeit trat.''^) Dabei hatte Fräniein Tinne sich vollständig arabisiert. Ihre Abneigung gegen das männ- liche Geschlecht, welche früher nur einzelnen ge- golten hatte, .steigerte sich mit der Zeit zu einem „Widerwillen gegen alle Europäer, ja gegen alles Europäische überhaupt. Sie arabi- sierte sich allmählich, verkehrte fast nur mit Arabern, kleidete sich arabisch, sprach nur arabisch, ja sie gewöhnte sich an die unaus- stehliche arabische Küche und soll sogar zu- letzt die Beduinen — nachgeahmt haben. So nährte sie sich bei ihrem letzten Aufenthalt in Tripolis nur noch von Brot und Datteln". Bereits in Algier hatte sie sich abstoßend gegen alle Europäer bis zu dem Grade benommen, daß sie den Besuch der Gem.ahlin des Generalgouver- neurs Marschall Mac Mahon zurückwies. In Tunis wurde sie anfangs vom holländischen Konsul mit der Bemerkung abgewiesen, daß er keine „Be- 1) Nachtigal, a. a. O. p. 107, 108. -) Maltzan, a. a. O. Nr. 7, p. I03. ") Maltzan, a. a. O. Nr. 7, p. 103. *] Nachtigal, a. a. O. p. Iii. 758 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 49 duinen" empfange, weshalb sie diese Stadt empört verließ.^) In Tripolis scheint sie ihre gute Auf- nahme hauptsächlich dem Einfluß von Rohlfs so- wie dem holländischen Generalkonsul Baron Testa (der früher in Mannheim gewesen war) verdankt zu haben. Bei diesem befremdenden Benehmen der Tinne, das schon in Tripolis einen ausgesprochen pathologischen Charakter angenommen hatte, suchte die arabische Psyche nach Gründen und fand solche endlich in ilirer ebenfalls krankhaften Liebe zu den Hunden.^) Man beschuldigte sie „einen verzauberten Mann in Gestalt ihres riesigen Lieblingshundes bei sich zu führen, der nur unter dem Dunkel der Nacht eine menschliche Gestalt annehme. Als dieses brave Tier in Laufe des Monats Mai an Altersschwäche starb und seine Herrin einen dort unbegreiflichen Schmerz über seinen Tod zur Schau trug, zweifelten nur wenige Skeptiker mehr an der Richtigkeit jener An- nahme." ^) Am 6. Juni 1869 trat Nachtigal seine Reise nach Tibesti an. Am gleichen Tage begab sich Frl. Tinne nach dem Wadi el-Gharbi*) zu dem dort eingetroffenen mächtigen Häuptling der Tuärik-Asgar, Ichnuchen. Diese höchst angesehene Persönlichkeit war der Tinne durch den Ge- neralgouverneur von Tripolis Ali Rizä Pascha be- sonders als sein Freund empfohlen worden, auf den er sich fest verlassen könne. Auf ihren dies- bezüglichen Brief hatte Ichnuchen geantwortet, daß er selbst durch Geschäfte in den westlichen Teil des Wädi Ladschal gerufen, sie abholen werde, daß er sie beschützen und, wenn sie wolle, nach Tuat, nach dem Sudan und selbst bis Tim- bukta begleiten wolle. '') Ichnuchen war ohne weiteres geneigt ge- wesen, die Reisende mit sich nach Ghat und in seine Weidehezirke zu führen, hatte aber leider die Geschäfte, welche ihn auf das Territorium von Fezzan geführt hatten, früher beendigt, als jene erwartet hatte. Als er ihr eines Tages den bevorstehenden Aufbruch nach Ghat ankündigte, „mußte sie gestehen, daß sie von der Plötzlichkeit derselben überrascht sei und darauf gerechnet habe, den wesentlichen Teil ihrer Reiseausrüstung 1) Maltzan, a. a. O. Nr. 7, p. 103 ff. ^) Frl. Tinne führte eine große Anzahl von Hunden mit sich. Einige arabisrlie Windhunde waren der speziellen Auf- sicht Gotllob Adolf Krause'.s anvertraut, was ihm das Leben rettete, denn weil einer der Windhunde auf der Reise zwischen Tripolis und Murzuq krepiert war, schickte Frl. Tinne Krause zurück, weil ihr der Anblick desselben wegen des Verlustes des Hundes ,, unerträglich" geworden war. 2) Nachtigal, a. a. O. p. III. *) Derselbe liegt in nordwestlicher Richtung von Murzuq. Die Entfernung wird sehr verschieden angegeben ; Carte d'Afri- que 1881 (R. de I.onnay de Hissi) 100 km. Allante d'Africa (Bergamo 1907) 170 km. Carla della Tripolitania-Algeria- Marocco (Bergamo igi i) 200 km. Der Scheich ben-AUua nennt als Ort der Zusammenkunft Ichnuchens mit Frl. Tinne den Wädi esch-Scharghi. '') Scheich ben-Allua, dessen Brief d. d. Murzuq 5. Aug. 1869, nach Maltzan wiedergegeben in „Globus" a. a. O. Nr. 1 1 , p. 1 74 ff. nach einer Beratung über dieselbe mit ihm zu- ■ vor in Murzuq machen zu können." Ichnuchen aber konnte nicht warten und übergab seine Schutzbefohlene dem Muräbid Hädsch Achmed Bü Släh (der im Wädi el Gharbi seinen Wohnsitz hatte, indessen aus dem Tuäriklande stammte) mit dem Auftrage, sie nach Murzuq und darauf nach Ghat zu geleiten. Mit der Versicherung, daß sie in den Händen jenes frommen Mannes gerade so sicher sein werde, als in seinen eigenen, reiste der alte Häuptling ab. ^) Während nun Fil. Timme mit dem Muräbid in Murzuq alle Anstalten zur Abreise traf, meldeten sich acht Tuärik bei ihr und boten sich als Reise- begleiter an. Nachtigal bezeichnete sie als „aus dem Gefolge Ichnuchens," unter denen sich der „Hädsch esch- Scheich, ein Schwestersohn Ich- nuchen's und ein Onkel des in Murzuq gemieteten Abd es Rahmän (dessen Mutter eine Täriki-Frau gewesen war)" befunden habe. -) Der murzuqer Scheich ben-Allua, den N a ch tigal als die ange- sehenste und wichtigste Persönlichkeit bezeichnet, leugnet die Angehörigkeit dieser acht Tuäriks zum Gefolge Ichnuchen's und nennt ihren Anführer den „Tuärik-Häuptling Hädsch bu Bekr el-Hog- gari." ä) Während Nachtigal nun die Tinne'sche Karawane gleichzeitig mit den acht Tuäriks von Murzuq aufbrechen läßt, die täglich in der Nähe ihres Lagers nächtigten, mit ihr zu derselben Stimde aufbrachen und auf dem Marsche in Sicht blieben, berichtet der Scheich Ben-Allua, daß die Tinne ,, jedoch nicht mit Bekr el-Hoggari, dem sie sich anstatt des ihr von Ichnuchen empfohlenen Hädsch Achmed Bü Släh anvertraut hatte, die Rei^e antrat, sondern erst in Scharba (3 Tage- reisen von Murzuq) mit ihm wieder zusammentraf. Dort machte sie ihm von Neuem Geschenke an Waffen, Burnussen und Geld. Während Nachtigal schreibt, daß die Tinne (wie dies bei großem Gefolge und am Anfang der Reise üblich) ,, kleine Märsche machte und das AberdschudscliTal, wohin man nötigen- falls in zwei Tagereisen von Murzuq aus gelangen kann, erst in der dreifachen Zeit erreichte" und die Episode von Scharba ganz verschweigt, be- richtet Hädsch Abdallah ben-Said, daß die Kara- wane nach 4 Tagereisen Schati erreichte und dann nach weiteren 5 Tagereisen in Bir Scherraba (Scharba) eintraf, und weiter nach 3 Tagereisen in Bir Bardschudsch (Aberdschudsch) ankain. Während nun Nachtigal von Folgendem nichts erwähnt, schreibt der Scheich ben-Allua, daß sich im Gefolge des die Tinne begleitenden Bu Bekr ,,auch Araber, Flüchtlinge aus der Regent- schaft Tripolis befanden, die nur vom Räuberleben ihr Dasein fristeten". Abdallah aber sagte wört- lich aus: „In Schati kamen die Tuärikhäupter ') Nachtigal, a. a. O. p. 469. ") Nachtigal, a. a. O. p. 469. ') In seinem erwühnten Briefe a. a. O. p. 174- N. F. XIV. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 759 Hatamen und Nachnuch und wurde neues Personal angeworben. Drei Tage .'Später, beim Brunnen Bardschudsch (Aberdschudsch) — 12 Tagereisen von Murzuq entfernt — wurde das Lager aufge- schlagen, wo man einige Tage verblieb. Dort stießen wieder mehrere Leute zur Karawane: lo Kameltreiber aus Hassuina sowie 35 Arbeiter". So bestand denn' der Tinne'sche Troß aus über 110 Köpfen. Selbst Nachtigal schrieb, ohne von den in Schati und Aberdschudsch hinzuge- kommenen etwas zu wissen, daß ,,ihre Gesellschaft (bereits vor der Abreise aus Murzuq) unerfreulich groß geworden war".') Während nun Nachtigal die Mordtat nur allgemein ins Aberdschudsch-Tal (etwa einen Tagemarsch westlich vom Dorf Tesäwa in Wädi Otba und in ungetähr derselben Entfernung von Wädi el-Gharbi verlegt ') und Abdallah denselben Mordort nennt, schreibt Scheich ben-Allua: ,,Bu Bekr begleitete sie nun bis Birguig" (also einem Brunnen dieses Namens). ^) Wir haben also betreffs der Lage des Schau- platzes der Mordtat drei verschiedene Ver- sionen: Seine Entfernung von Murzuq beträgt nach Nachtigal 6, nach Scheich ben-Allua 5 und nach Abdallah 12 Tagereisen. Carte d'Afrique von R. de Lonnay de Bissy 1881 gibt diese Entfernung auf etwa 140 km an, Kiepert (1892, Blatt 39) auf etwa 200, Atlante d'Africa (Bergamo, 1907) auf etwa 175 und Carta della TripoUtania- Algena-Marocco (Bergamo 191 1) auf etwa 150 an. Darnach würde diese Entfernung also etwa 5 '/s Normallagereisen (je 37'/» km den Tag) betragen. In Wirklichkeit reiste man viel langsamer, be- sonders die T i n n e ' sehe Karawane. ^) Sie machte, wie oben erwähnt, „nur kleine Märsche". Damit erklären sich wohl die 12 Tagereisen Abdalläh's. Wir kommen nun zum TagederErmordung. Er wird allgemein auf den i. August 1869 gelegt. Im alleinigen Widerspruch damit befindet sich der Scheich ben-Aliua. '') Nach der Version Nachtigal's begannen „zwei Araber unter sich" einen Streit, den der Holländer Kos Oostmans schlichten wollte, während die Tuarik in der Nähe standen. Der Hädsch esch-Scheich durchbohrte den Holländer mit der Lanze. Auch dessen Landsmann wurde getötet. Frl. Tinne, die aus ihrem Zelt getreten war, erhielt ,, einen Hieb mit scharfer Waffe über Hals und Schulter seitens des Arabers Otmän aus dem ') Nachtigal, a. a. O. p. 469. '') Nachtigal, a. a. O. p. 470. ä) Brief des Srheich ben-Allua, a. a. O. Nr. II, p. 174. *) In Tripolitanien machten täglich und durchschnittlich : Frl. Tinne 23, Rohlfs 2S, Nachtigal 22 km. Barth, Richard- son und Overweg legten dagegen bis zu 42 km zurück. ''I Dieser schreibt nämlich in seinem vom 5. August, aUo nur 4 Tage nach der Mordtat datierten Brief aus Murzuq. daß ,,alle drei begraben worden sind und zwar in Särgen, welche die Be- hörden von Murzuq mit einer Karawane nach Birguig abge- schickt hatten". Zum Überbringen der Todesnachricht und zum Abschicken der Karawane mit den Särgen brauchte man mindestens t Woche! (Brief, a. a. O. Nr. II, p. 174.) Stamme der Bü Sef". Aber erst ein zweiter Schlag über den Vorderarm seilen« eines Skla- ven des Hädsch esch-Scheich streckte sie zu Boden. ') Scheich ben Allua dagegen berichtet: Ska- denna (Alexand r ine) erhielt zwei Wunden: einen Säbelhieb auf die rechte Hand, welche voll- ständig vom Körper abgetrennt wurde und einen Büchsenschuß in die Brust; letzteren feuerte ein Araber ab. Der eine holländische Diener wurde erschossen, der andere durch Lanzenstiche der Tuärik ermordet. '^) Abdallah endlich sagte aus: ,, Zwischen den aus Hassaüna in Bardschudsch angekommenen Arabern brachen Streitigkeiten aus. In der Frühe des Mordtags wollte der eine den andern erschießen. Der eine griff zum Gewehr, aber der andere er- dolchte ihn. Der Mörder wurde von den anderen durch Säbelhiebe niedergemacht. Diesen Augen- blick benutzten die anwesenden Tuärik um vier Pferde zu stehlen. Frl. Tinne, die in ihrem Zelt mit Einpacken beschäftigt war, hörte den Lärm, trat heraus und rief: ,, Schämt Ihr euch nicht?" Da trat Otman el-Bethi aus Tchad vor und rief „Du bist eine Frau, die eine andere Religion als die unsrige hat. Deshalb wollen wir Dich löten!" Er gab einen Schuß auf sie ab, aber fehlte. Als Frl. Tinne ins Zelt eilte, um ihren Revolver zu holen, wurde sie durch einen zweiten Schuß ge- tötet." Wir haben also auch hier wieder drei ver- schiedene Versionen der Ermordung der Tinne i. durch zwei Säbelhiebe über Kopf, Schuller und Vorderarm, 2. durch einen Säbel- hieb auf die rechte Hand und einen Büchsenschuß in die Brust, 3. durch einen Schuß. Wer waren nun die Schuldigen und wer die Mörder? Nachtigal hielt bereits in Bardai die Tuäriks lür die Täter, wohl weil ihm diese als solche von den dort eingetroffenen Tebu-Reschäde bezeichnet wurden.'') Während und nach seiner in Murzuq geführten Untersuchung kommt er indessen zu keinem end- gültigen Schluß. „Daß die Tuärik die Anstifter waren, erleichterte wieder den Arabern die Teil- nahme am Komplot, denn es mußte diesen später immer leicht sein, die Tat den ersteren allein aufzubürden."*) Dann wieder: „Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der tunesische Diener Mohammed el-Kebir und der in Murzuq gemietete Abd er-Rahmän, dessen mütterlicher Onkel von manchen meiner Referenten anstatt des Hädsch esch-Scheich als erster Mörder bezeichnet wurde, mit in der Ver- schwörung waren. Besonders der erstere wurde von allen, welche bei dem Schreckensereignisse ') Nachtigal, a. a. O. p. 470, 471. 2) Brief des Scheich ben-Allua, a. a. O. Nr. 11, p. 174. ^) Nachtigal, a. a. O. p. 347. In den letzten August- tagen 1S69. •*) Nachtigal, a. a. O. p. 472. 760 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 49 zugegen gewesen waren, als Mitwisser, wenn nicht als Anstifter angesehen."') Nachtigal meint übrigens selbst, daß man den Tuäriks in der Tat ein solches Verbrechen nicht hätte zutrauen sollen. Die Tuärek sind wohl gewalttätig und fanatisch, genießen jedoch des Rufs der Wortfestigkeit und eines gewissen mannhaften Edelmuts. Ichnuchen hatte ein Leben von fast drei Menschenaltern hinter sich und man kann sich nur schwer zu der Annahme ent- schließen, daß er um weltlichen Besitzes willen seine für jene Welt achtbare Existenz mit einem Verbrechen zu beschließen sich nicht gescheut haben sollte." '-) Henri Duveyrier, nach Nachtigal ,,der beste Kenner der Tuärik und ein ruhiger und vorurteilsfreier Beobachter" schrieb diesem, nach dessen Rückkehr aus Tibesti, „daß er nun und nimmermehr daran glauben könne, daß Tuäriks die Täter sein, sondern ohne vollgültige Beweise des Gegenteils überzeugt sein müsse, daß die Schuld den Arabern zufalle". „Aber, so fährt Nachtigal fort, trotzdem ist die Urheberschaft des ganzen Verrats auf selten der Tuärik wahr- scheinlich, ihre Mitschuld sicher", um dann sofort zu dem Schlüsse zu kommen, daß es „möglich ist, daß erst unterwegs der tunesische Diener ihre Habgier rege machte oder daß ein perfider Araber den ganzen Plan schmiedete und sie zur Mit- wirkung vermochte, aber nicht wahrscheinlich . . ." „Man muß es für höchstwahrscheinlich halten, daß die Tuärik die Anstifter des Komplotts waren, zu dessen Ausführung sie natürlich die Araber als Bundesgenossen haben mußten . . . Man kann höchstens zweifelhaft sein, wer von beiden Teilen der intellektuelle Urheber war." ^) Es braucht wohl nicht besonders betont zu werden, daß Nachtigal nur die Aussagen der Tinne 'sehen Diener und Dienerinnen, der Araber, zur Verfügung standen, aber natürlicher Weise keinen einzigen Tuärik vernehmen konnte. Die Regierung in Tripolis gab die ganze Schuld den Arabern.*) Anfangs Dezember 1869 nahm man auf dem Markt in Murzuq „einen Täriki vom Stamm der Tinelkum (der zum großen Teil seinen Wohnsitz im Wädi elGharbi hat) ge- fangen". Derselbe sollte, nach den Aussagen der damals noch in Murzuq vorhandenen Zeugen der Mordtat nach auf den toten Aryjacobse geschossen haben, wurde aber bald aus Mangel an wirklichen Beweisen freigelassen.^) Maltzan war der Meinung, daß I-'räulein Tinne das Opfer einer Stammeszwistigkeit ge- worden und daß Ichnuchen nicht der Verräter sei. Die Tuäriks wollten (vor ihrer Weiterreise nach Ghat) von .Mjcrdschudsch aus noch einen Raubzug zum Dsclüraffi-Stamm unternehmen, wo- gegen Fräulein Tinne heftig protestierte. Als den Mörder der Tinne nennt er „den obersten Häuptling der Eskorte".') Scheich bcn-Allua beteuert die Unschuld Ich- nuchens, des großen Häuptlings der Tuärik. Nach ihm hatten Othmann vom Stamme der Bu Sif und fünf Männer der Ulad Kossen den Mord ge- plant, auf den Bu Bekr gern einging, einmal des Raubes wegen, und dann, weil er sich dadurch an Ichnuchen zu rächen hoffte dafür, daß dieser einen Frieden mit anderen Stämmen geschlossen hatte, gegen welche Bu Bekr sehr einträgliche Raubzüge zu unternehmen pflegte und ihm so eine namhafte Bereicherungsquelle versiegt war.-) Unmittelbar nach der Mordtat und nach der Verteilung der Beute „kehrten die Mörder und Räuber auf verschiedenen Wegen in ihre Heimat zurück; die lieblose Schaar der Diener verließ eiligst den Schreckensort, fast ohne einen Blick auf ihre Wohltäterin zurückzuwerfen" ^). Der tunesische Diener, der Sohn Ahmädi-Effendi's und der Sbäihi Ramadan wurden in -Murzuq verhaftet. Doch wurde ersterer nach wenigen Tagen entlassen, für den zweiten wurde der Vater — Dämin — Bürge. Nur den letzten und zugleich den Unschuldigsten von allen hielt man noch bei der Rückkehr Nachtigals aus Tibesti gefangen. Von den arabischen Kameltreibern hatten sich nur diejenigen ergreifen lassen, welche keine tätige Mitschuldige waren. Die übrigen, unter denen der als Haupt- mörder bekannte Bü Sefi Otmän, lebten sicher im Wädi Schijäti. Schritte der Regierung, die Auslieferung des letzteren sowie des nach Ghat verschleppten NjanmjamMädchcns Jasmina zu er- langen, blieben erfolglos. Hädsch Achmed Bü Släh war nach Ghat gezogen. Der General- gouverneur von Tripolis befahl alle Diener und sonstigen Begleiter Frl. Tinne 's nach Tripolis zu schicken, aber erst im November begann man von der Absendung der Leute zu sprechen. Diese erhielten in Murzuq seitens der Behörden eine Unterstützung von 3 Ghirsch, '') womit man sich sehr vergnügte Tage machen konnte. Endlich gegen Ende November reisten die meisten ab. In einem Privatbriefe an den damaligen Konsul L. R o s s i in Tripolis schrieb Nachtigal: „Endlich sind die Leute der Mademoiselle Finne, mit Ausnahme von wenigen, abgereist. Der Basch- Agha, der einen Angriff auf das Gepäck befürchtete, verlangt mindestens "O Bewaffnete für die Be- gleitung. Die der Ermordung der Demoiselle Tinne verdächtigen Individuen — die hier frei herumlaufen — • werden mit dem Gepäck gehen, und wenn sie sich schuldig fühlen, werden sie sicherlich versuchen wegzulaufen! Die beiden arabischen Mörder, die sich noch in Schiati 1) Nachtigal, a. a. O. p. 472. ') Nachtigal, a. a. O. p. 474. ') Nachtigal, a. a. O. p. 474. *) Nachtigal, a. a. O. p. 476. >*) Nachtigal, a. a. O. p. 477. 1) ,, Nachschrift über den Tod des Fräulein Tinne", „Glo- bus" 1869, p. III. ^) Brief des Scheich ben-AlIua, a. a. O. p. 174. ') Nachtigal, a. a. O. p. 473. *) Ghirsch el-Turki = I Piaster. Das Wort stammt vom Groschen der Kreuzfahrer. N. F. XIV. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 761 befinden, konnten bis jetzt noch nicht verhaftet werden. Ein Tuärik wurde hier durch einen Diener der Demoiselie Tinne als schuldig erkannt und augenblicklich verhaftet".') Eine im Anfang des Jahres 1870 erneuerte Aufforderung an Ichnuchen, den Hädsch Achmed Bü Släh und das Njamnjam-Mädchen Jasmine nach Murzuq zu schicken, hatte keinen Erfolg. -) Die letztere sowie zwei Araber aus dem Ge- folge der Tinne, die ebenfalls nach Ghat ver- schleppt worden waren, wurden durch die beiden in Tripolis angekommenen Neffen der Tinne befreit. Sie hatten einen Preis von je 200 Pfund Sterling für der Herbeischaffung der Araber und von 250 Pfund für das Mädchen ausgesetzt. Der tripoliner Karawanenführer Hädsch Mustafa Samid übernahm den Auftrag und brachte 1872 alle Drei wohlbehalten nach Tripolis. ") Alle die Tinne' sehe Angelegenheit betreffenden Akten des holländischen Zentralkonsulats in Tri- polis wurden bereits 1873 nach dem Haag ge- schickt. Mit den Verkauf der für den Scheich von Burnü bestimmten prachtvollen Geschenke der Tinne verlor sich die Erinnerung an dieselbe in Tripolis ziemlich schnell. Die erwähnten Neffen zeigten sich — sehr im Gegensatz zu ihrer Tante — wenig freigiebig. Der eine Neffe, J. Ernest Tinne, veröffentlichte 1873 in London: „The Wunderland of the Antipodes and oiher ') Bilguer, Materialien zu den Reisen von Gerhard Rohlfs und Gustav Nachtigal, a. a. O. p. 579. 2) Nachtigal, a. a. O. p. 475. **) Persönliche Erinnerungen des Konsuls E. Rossi und des Hädsch Abdallah ben-Said in Tripolis. Sketches of travel in the north Island of Neu-Zea- land." Eine Tochter desselben, Mrs. Charrington (How Green Thever) besuchte in den letzten Jahren viel Ägypten und suchte am Weißen Nil nach Reminiszenzen ihrer Großtante. ') Aus dem Vorhergehenden kann man wohl zu dem Schluß gelangen, daß wir — eigentlich nur recht wenig über die letzten Vorgänge im Aberd- schudsch-Tale wissen. Aber soviel scheint fest- zustehen, daß Othman vom Stamme der Bü Sif der Mörder war, daß eine eigentliche Verschwörung nicht bestand, daß die Araber die ursprünglichen Schuldigen sind und daß alle Zeugen, ohne Ausnahme, bei ihrer Vernehmung ge- logen haben, was sie konnten! Etwas sicherer können wir über die Beweggründe der Mörder urteilen: es war wohl nicht allein die Habsucht, die Beutegier, die die Mörder antrieb. Auch der eigentümliche Ruf, in dem Ft\. Tinne nun einmal bei den abergläubischen Eingeborenen stand, hatte sicherlich seinen Anteil daran. Ob sich die Katastrophe hätte vermeiden lassen ? Etwa wenn Frl. Tinne den Ratschlägen und Warnungen Rohlfs und anderen gefolgt wäre? P. Staudinger bejaht fast die Frage. -) Wir aber können heute nichts weiter als be- klagen, daß so viel Mut, soviel Energie, und so viele Mittel vergebens aufgewendet wurden und soviel Güte durch Undank belohnt wurde. Im Übrigen: Requiescat in pacel — ') nach Schweinfurth d. d. Luksor 4. Februar 1914. 2) „Er (Krause) schlol3 sich der Expedition des bekannten Fräulein A. Tinne an, aber nach IVIurzuq mit einem Auftrage zurückgesandt, entging er der Katastrophe, die bei seiner An- wesenheit im Lager vielleicht vermieden worden wäre. (Deutsche Kolonialzeitung, 18. November 1911, S. 769.) Einzelberichte. Botanik. Licht, Pflanzenwachstum und Photo- tropismus. Seitdem durch P'röscii el undBlaauw fast gleichzeitig die Abhängigkeit des phototropi- schen Krümmungsvorganges von dem Produkt aus Lichtstärke und Beleuchtungsdauer festgestellt wor- den war (Reizmengen- oder Energiemengengesetz), waren auch für die schon so viel untersuchten Beziehungen zwischen dem Licht und dem Längen- wachstum der Pflanzen neue Nachforschungen nötig geworden, die sich auf quantitativen Me- thoden aufbauten. In dieser Richtung bewegen sich zwei neue Arbeiten von Blaauw und eine dritte von Ernst Vogt.') Blaauw führte seine Untersuchungen in einem dafür zur Ver- fügung gestellten Räume der Teyler-Stiftung ') A. H. Blaauw, Licht und Wachstum I. u. IL (Zeit- schrift für Botanik. Jahrg. 6, 1914, S. 641 — 703; Jahrg. 7, 1915, S. 465—532. Ernst Vogt, Über den Einfluß des Lichts auf das Wachstum der Koleoptile von Avena sativa (Zeitschrift für Botanik. Jahrg. 7, 1915, S. 193—270). in Haarlem aus unter Benutzung eines besonders konstruierten Versuchskastens, der die Temperatur dermaßen konstant zu halten erlaubte, daß die Schwankung nicht über 0,02" betrug. In der ersten Versuchsreihe wurden die für Lichtwirkun- gen sehr empfindlichen Sporangienträger von Phycomyces nitens benutzt, da sie eine einzelne Zelle darstellen und der Gang der Lichtstrahlen in dem durchsichtigen Objekt in physikalischer Hinsicht ziemlich einfach ist, die Sporangienträger auch ein etwa dreimal schnelleres Wachstum haben als die zu Lichtversuchen häufig (so von Vogt und von Noack, vgl. Naturw. Wochen- schrift 1914, XIII, 99) benutzten Haferkeimpflanzen. In den auf Brot gezogenen sterilisierten Kulturen werden (unter Beleuchtung mit rotem Licht) alle Sporangienträger bis auf einen beseitigt. Diesen umgeben vier (anfänglich acht) kleine Spiegel, die mit der Vertikalen einen Winkel von 45" bilden. Von oben her fällt auf die Spiegel (nicht auf den Sporangienträger) das Licht einer Nernst- oder 762 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 49 Nitralampe und wird horizontal nach dem Ver- suchsobjekt reflektiert (s. Fig. i). Mittels eines Ableseniikroskops oder F"ernrohrs wird das Wachs- tum alle 2 — 5 Minuten gemessen. Es zeigte sich nun, daß nach dem Beginn der Belichtung, bei der sehr verschiedene Lichtstärken zur Wirkung kamen, zuerst während einiger Mmuten das Wachs- tum unverändert bleibt, dann aber rasch und kräftig beschleunigt wird und einen Höchst- betrag erreicht, worauf es allmählich wieder zum Normalwert abfällt, gewöhnlich noch beträchtlich unter ihn hinabgeht und dann wieder die normale Geschwindigkeit erreicht und beibehält. Blaauw bezeichnet diese Reaktion des Wachstums auf Licht mit dem nicht eben glücklich gebildeten Ausdruck : „Photowachstumsreaktio n". Für ihr Zustandekommen ist die Energiemenge (Pro- dukt aus Lichtstärke und Beleuchtungsdauer) maß- gebend: Die Wachstumsvermehrung steigt pro- portional mit der Kubikwurzel der zugeführten Fig. I. Energiemenge. Diese Gesetzmäßigkeit hört bei den größeren Lichtmengen oberhalb 210 Meter- kerzen Sekunden (14 MK. X 'S S.) auf; die Wachstumsbeschleunigung wird hier geringer, die Wachstumsverringerung kräftiger und es treten auch sonst Abweichungen auf. Verf. hebt hervor, daß die gefundene Gesetzmäßigkeit mit der Weber- F"ech ner'schen Formel nicht verwech- selt werden dürfe; diese stimme gar nicht mit den festgestellten Tatsachen überein. Er zeigt dann weiter, daß die Phofowachstumsreaktion sich auch bei der einseitigen Beleuchtung geltend macht und die dann auftretende phototrojjische Krümmung bedingt. Dies beruhe auf dem Gang der Strahlen in der Phycomyces- Zelle; infolge der Brechung konvergieren die (parallel auffallenden) Strahlen von der Vorder- nach der Ilinterseite, wie es Fig. 2 zeigt. Die Folge ist ein stärkeres Wachstum der Hinterwand und Eintreten der positiven Krümmung. Bei der auf die Wachstums- vermehrung gemäß dem oben gekennzeichneten Reaktionsverlauf folgenden Wachstumsverringerung tritt die entgegengesetzte Differenz ein, und die Krümmung gleicht sich wieder aus; sie kann, ins- besondere bei den größeren Lichtmengen auch negativ werden. So kommt Blaauw zu dem Schluß, „daß der ganze Phototropismus von Phy- comyces nichts anderes bedeutet als die Resul- tante der ungleichen Photowachstumsreaktion der ungleich belichteten Vorder- und Rückseite der Zelle". Verf. hat schon früher die Ansicht aus- ge-prochen, daß der Lichtreiz auf photochemi- schem W'ege aufgenommen werde. Nach seiner Deutung führen die dadurch veranlaßten Sioff- wechselprozesse bei Phycomyces zu der merk- würdigen Wachstumsreaktion, die dann den Photo- tropismns als sekundäre Erscheinung nach sich zieht. Die neuerdings wieder von Noack be- tonte Bedeutung der Richtung der Lichtstrahlen für den Phototropismus besteht nach Blaauw nicht, sondern ist auf Grund einer fehlerhaften Methodik erschlossen worden. Eine zweite Versuchsreihe stellte Blaauw mit einem vielzelligen Organismus , nämlich mit den Hypokotylen von Helianthus globosus fistu- Fig. 2. losus an. Um die bei den Beobachtungen sehr störende rotierende Nutation des Keimlings aus- zuschalten, wurde dieser mit dem Töpfchen, in dem er sich befand, mittels einer geflochtenen Seidenschnur unterhalb der Kotyledonen in der Weise aufgehängt, daß das von den Spiegeln zurückgeworfene Licht auf die ganze Wachstums- zone des Hypokotyls fiel. Das zur Messung des Längenwachstums dienende Horizontalmikroskop wurde auf die Spitze einer feinen Nadel gerichtet, die in eine Ecke des Töpfchens gesteckt war. Hier zeigte sich nun abweichend von der Wachs- tumsreaktion bei Phycomyces anfangs keine Wachstumsbeschleunigung bei der allseitigen Be- lichtung, sondern es trat nur eine je nach der Lichtstärke stärkere oder schwächere Wachstums- verringerung auf. Ihr folgt dann aber ein Ansteigen des Wachstums, das vielfach über den Normahvert hinaufgeht, worauf wieder ein Abfall eintritt. Die Photowachstumsreaktion bei Heli- anthus ist also gerade umgekehrt als bei Phyco- N. F. XIV. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 763 myces, wo sie außerdem 4 — 5 mal rascher ver- läuft. Übereinstimmung besteht aber darin, daß in beiden Fällen die Reaktion wenige (8, minde- stens 2 — 3) Minuten nach der Belichtung einsetzt, sowie darin, daß ihr ganzer Verlauf wellenartig ist, indem auf die primäre Reaktion (bei Phyco- myces Wachstumsbeschleunigung, bei Helianthus Wachstumsverringerung) eine Antireaktion folgt und ihren Einfluß auf sie ausübt, der bei Heli- anthus und Fhycomyces ähnliche Erscheinungen hervorruft. Blaauw kommt zu dem Schluß, daß der Wachstumsreaktion in beiden Fällen die gleichen physikalisch-chemischen Gesetze zugrunde liegen. Neben der kurzdauernden Bestrahlung mit be- schränkten Lichtmengen hat Verf. auch den Ein- fluß der Dauerbelichtung auf das Wachstum unter- sucht. Er fand, daß die Hypokotyle von Heli- anthus bei Dauerbelichtung (bis zu 512 MK.) eine langwährende Wachstums Verringerung aufweisen und daß diese um so stärker ist, je größer die Intensität der Dauerbelichtung ist. Bei einseiliger Dauerbelichtung krümmen sich die Hypokotyle dem Lichte zu: sie sind positiv photo- tropisch. Blaauw zeigt nun weiter, z. T. auf photochemischem Wege, daß bei einseitiger Be- lichtung die Lichtstärke in den Hypokotylen von vorn nach hinten abnimmt, so daß sie in den Zellen der Hinterseite etwa 3'/3mal geringer ist als an der Vorderseite. Die Pflanze erfährt also an der Vorderseite eine stärkere Wachst ums Ver- ringerung als an der Hinterseite, und die Folge ist die positive Krümmung. Obwohl die Photo- wachstumsreaktion wie die Lichtverteilung in der Pflanze bei Helianthus ganz anders ist als bei Fhycomyces, ist das Ergebnis bezüglich des Zu- sammenhanges des Phototropismus mit der Photowachstumsreaktion in beiden Fällen das gleiche. PIrnst Vogt verwendete zu seinen im Straß- burger botanischen Institut ausgeführten Unter- suchungen Haferkeimlinge (Koleoptile), deren Wachstum in der Dunkelheit und bei dauernder Beleuchtung (von oben her) zunächst geprüft wurde. In vollkommener Dunkelheit (und bei 22 — 23" C) ist es in 4 — 5 Tagen vollendet (es schließt mit dem Durchbruch des ersten Laub- blattes ab). Durch Belichtung wird die Wachs- tumsdauer verkürzt, um so mehr, je stärker die Beleuchtung war. Im Licht tritt wie im Dunkeln die große Wachstumsperiode mit Erreichung eines Höchstbetrages nach 24 oder 36 Stunden hervor. Doch ist im Lichte das Maximum geringer und das folgende Absinken rascher. Die Koleoptile erreicht im Licht eine geringere Endlänge als in der Dunkelheit. Vogt untersuchte nun den Ein- fluß des Licht wechseis auf das Wachstum (Messung alle 3 Minuten) und fand, daß plötzliche, genügend starke Beleuchtung eine charakteristische Reaktion der Pflanzen hervorruft, die darin be- steht, daß zuerst eine Wachstumshemmung und dann eine starke Wachstumssteigerung eintritt. Da diese Reaktion in gleicher Stärke und in ganz ähnlicher Weise auch bei längerer Beleuch- tung noch unter der Wirkung des Lichtes auftritt, so ist sie die Folge der Erhellung selbst, nicht etwa der vereinigten Wirkung von Licht und Dunkelheit. Blaauw wirft in der Besprechung der vorläufigen Mitteilung, die Vogt über seine Versuche veröffentlicht hatte, die Frage auf, ob nicht die zuerst eintretende Wachstumsverringerung die tatsächlich durch das Licht bewirkte Reaktion sei und die folgende Beschleunigung nur durch die Antireaktion , also sekundär, auftrete, wie er selbst es für Helianthus angibt. Übrigens sei darauf hinzuweisen, daß Blaauw selbst auch bei Fhycomyces in einer Reihe von Fällen vor der charakteristischen Beschleunigung, eine Verringe- rung des Wachstums beobachtet hat, die er aber nicht als zur Photoreaktion gehörig betrachtet, sondern als P'olge plötzlicher Temperaturerhöhung, die nach seinen Vorversuchen tatsächlich eine solche Wirkung — mit nachfolgender Wachstums- steigerung — haben kann, zu betrachten geneigt ist. Vogt, der bei den Haferkoleoptilen den Einfluß der Temperatur untersuchte, stellte fest, daß geringe Temperatursteigerungen keinen Ein- fluß auf den Gang des Wachstums hatten, daß aber plötzliche Erhöhung der Temperatur um 10 — 12" ein Emporschnellen der Wachstums- geschwindigkeit mit nachfolgendem raschen Smken bewirkt, worauf später wieder ein typisches Maxi- mum erreicht wird. Die so entstehende Kurve hat große Ähnlichkeit mit derjenigen, die bei An- wendung hoher Lichtintensiiäten erhalten wird. Diese Beziehungen zwischen Licht- und Tempe- raturwirkung werden bei der P'ortsetzung dieser Arbeiten noch sorgfältige Berücksichtigung er- heischen. Die jedenfalls in allen diesen Versuchen fest- gestellte Wachstumssteigerung unter dem Einflüsse des Lichtes, mag sie nun als Hauptreaktion (Fhy- comyces, Avena) oder als Antireaktion (Helianthus) betrachtet werden, erscheint insofern überraschend, als man bisher gewöhnlich annahm, daß das Licht ganz allgemein das Wachstum verlangsamt. Vogt hat diese auffallende Erscheinung noch dadurch weiter verfolgt, daß er die Wachstumsgeschwindig- keit von Koleoptilen, die teils verdunkelt, teils von oben beleuchtet waren, sich aber sonst unter ganz gleichen Verhältnissen befanden, durch halb- stündige Messungen miteinander verglich. Es ergab sich, daß die Förderung des Wachstums um so länger dauerte, je niedriger die Lichtstärke war; betrug diese 1000 MK. oder mehr, so trat bei dieser Art der Beobachtung eine Wachstums- förderung nicht mehr ein. Rotes Licht wirkt wie sehr schwaches weißes Licht. Vogt erinnert daran, daß H. Jacobi schon 1911 bei Versuchen mit verschiedenen Keimpflanzen eine Wachstums- beschleunigung bei Einwirkung geringerer Licht- mengen gefunden, bei Einwirkung großer Licht- mengen aber eine Hemmung des Wachstums fest- gestellt hatte. Dies Ergebnis war dadurch be- 764 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 49 dingt, daß die erste Beobachtung erst nach 24 Stunden vorgenommen wurde, zu einer Zeit, wo die durch schwache Intensitäten hervorgerufene Wachstumsförderung noch anhielt, während die auch bei hohen Lichtstärken anfangs eintretende Beschleunigung längst wieder ausgeklungen war. In allen Fällen folgt bei Avena auf die anfängliche Förderung die bisher fast allein bekannte heni- mende Wirkung des Lichts, die den Grund dar- stellt, warum die Koleoptile im Licht eine ge- ringere Endlänge erreicht als in Dunkelheit. Diese Verkürzung der Koleoptile wird um so stärker, je mehr Dauer und Intensität der Belichtung zu- nehmen. Indem Vogt zwei gleiche Keimlings- kulturen A und B der gleichen Lichtmenge aus- setzte, aber so, daß A längere Zeit schwächeres Licht, B kürzere Zeit stärkeres Licht empfing, stellte er fest, daß in beiden Fällen die Koleoptile um den gleichen Betrag verkürzt wurde. Das Reizmengengesetz gilt also auch hier. Hoffentlich gelingt es bei weiterer Prüfung dieser interessanten Erscheinungen, die vorhande- nen Abweichungen der Untersuchungsergebnisse auszugleichen. F. Moewes. Physiologie. Wie früher (Bd. XIII, N. F. S. 715) berichtet wurde, bestehen die Veränderungen, welche die Organismen unter dem Einfluß des Lichtes erleiden, wesentlich in einer Umwandlung der Eiweißkörper aus der leichter löslichen Form (Albuminate) in die schwerer löslichen Globuline. In einem Aufsatze „Über die Beziehungen des Lebens zum Licht" (Münch. med. Wochenschr. Nr. 39, 28. September 191 5) führt Schanz diesen Ge- danken weiter aus. Die Lichtempfindlichkeit der Albuminate wird wesentlich durch die Anwesen- heit eines „Photosensibilisators" gesteigert. Der verbreitetste derartige Stoff ist das Chloro- phyll. Ebenso wirkt das l'hylloporphyrin , ein Derivat des Chlorophylls. Ihm sehr nahe steht in der chemischen Konstitution das Hämatopor- phyrin, einer der kräftigsten positiven Photokata- lysatoren, ein eisenfreies .Abbauprodukt des Blut- farbstoffes, des Hämoglobins. Es ist ein in Säure mit roter, in Alkalien mit bräunlicher Farbe sich lösender Stoff mit schöner roter Fluoreszenz. Bei seiner Gegenwart in einer Verdünnung von I : 80000 werden die Paramäcien durch das Licht eines trüben Wintertages abgetötet. Auch Warm- blüter kann man durch Ilämatoporphyrin äußerst lichtempfindlich machen. Wenn geringe Mengen davon weißen Mäusen injiziert werden, so werden diese nicht geschädigt, so lange sie nicht dem Licht ausgesetzt sind. Im Licht dagegen ver- fallen die Tiere nach einigen Minuten in Narkose und gehen rasch zugrunde. Eine subakute Form dagegen tritt auf, wenn die Injektion längere Zeit — etwa l Woche — vor der Belichtung vorgenommen wurde. Sie äußert sich in unge- mein starkem Ödem der Haut, so daß die Tiere ganz unförmig aussehen. Wie durch einen Selbstversuch nachgewiesen wurde, gilt die photokatalytische Wirkung des Hämatoporphyrins auch für den Menschen. Spuren davon lassen sich im Harn nachweisen. Man denkt dabei ohne weiteres an das Ver- halten der weißen Mäuse bei Maisfütterung (s. Die Ursarhe der Pellagrakrankheit", N. F., XIL Bd., S. 708). Bei Tieren wurde das Hämatoporphyrin ge- funden in dem Intt gument der Schnecken, in bräunlich gefärbten Seesternen und im braunen Rückenstreifen des Regenwurms. Aus letzterem Befund erklärt sich vielleicht die schon so Vielen rätselhaft erschienene Lichtempfindlichkeit des Regenwurms, der trotz des Fehlens von Seh- organen äußerst lichtempfindlich ist. Nach Schanz könnte man sich den Vorgang der Lichtwahrnehmungen so denken, daß das Hä- matoporphyrin die chemische Umwandlung von Eiweißkörpern im Licht veranlaßte und diese Um- wandlung auf das Tier als Reiz wirkte. Schanz unterscheidet zwischen endogenen nnd exogenen Photokatalysatoren. Die ersteren entstehen im Organismus selbst (Chlorophyll, Hämatoporphyrin, Phylloporphyrin, Milchsäure, Traubenzucker und Harnstoff) , letztere werden von außen dem Organismus zugeführt; vor allem sind es anorganische Mineralsalze, welche nahezu allen organischen Stoffen und auch den Eiweiß- körpern eine ausgesprochene Sensibilität verleihen. Erstere liegen auch den prächtigen Farben zugrunde , welche viele sessile Meerestiere auf- weisen. Die prächtige Färbung ist hier um so auffallender, als die Tiere vielfach in Tiefen von 6 — 8 m unter dem Wasserspiegel anzutreffen sind, die Farben aber dort gar nicht mehr zur Geltung kommen. Die roten und gelben Strahlen des eingedrungenen Lichts werden erheblich stärker absorbiert, als die grünen und blauen. In der Tiefe von 6 — 8 m ist das rote und gelbe Licht absorbiert und nur noch blau und grün vorhanden. Die aber dort lebenden Tiere sind rot und gelb gefärbt, weil ihr Integument die Fähigkeit hat, das bis zu dieser Tiefe eingedrungene Licht zu absorbieren und auszunützen. Als Schutz- und Lockmittel dagegen können die prächtigen Fär- bungen nicht angesehen werden (vgl. die Referate über die Arbeiten von C. v. Hess in Bd. XII). Es erscheinen alle Gegenstände in dieser Tiefe grau in grau und die prächtigen F"arben haben nur als Photokatalysatoren eine Bedeutung. Das Pigment, welches sich in der Haut des Menschen bildet und bei starker Belichtung dunkel ist, dient als negativer Photokatalysator, indem es die Lichtwirkung auf die Eiweißkörper vermin- dert. Die l'ärbung der Blumen, welche von vielen Biologen als Lockmittel und Wegweiser zu den Hönigbehältern für die Insekten gedeutet werden, sind nach Schanz gleichfalls nur Photokatalysa- toren. Die Photokatalysatoren können auf das ganze Integument verteilt sein oder sie sind in besonderen N. F. XIV Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ■65 Teilen des Körpers, den Sehorganen, lokalisiert, nehmen, daß die Eiweißstofife dieser Sinnesepi- Das Licht wirkt in der Netzhaut des Auges auf thelzellen durch das Licht direkte Verändernngen einen besonderen Stoff, den Sehpurpur, welcher erleiden, und es hegt nahe anzunehmen, daß die dadurch Veränderungen erleidet, die als Sinnes- Sehsioffe und das Pigment der Netzhaut dabei als reize wirken. „Seit wir wissen, daß die Eiweiß- positive und negative Phoiokatalysaioren wirken." Stoffe photosensibel sind, müssen wir auch an- Kathariner. Kleinere Mitteilungen. N-Brot, ein Kraftbrot. Über ein Nährhefe- Brot, ein eiweißreiches Brot berichten Rossmann und Mayer in der Zcitschr. f. Spiri- tusindustrie 38, 357 [lyis], nachdtm sie zunächst nochmals ausdrücklich festgestellt haben, daß das K-Brot nicht etwa nur einen vollen Ersatz lür reines Roggenbrot bietet, sondern auch in Ge- schmack und Aussehen dem Roggenbrot über- legen ist. Ausgehend von dem Gedanken, den Nährwert des K-Brotes durch Zusatz eines eiweiß- reichen Mittels bedeutend zu erhöhen, um so eine Art Krafibrot darzustellen, wurden im Institut für Gärungbgewerbe zu Berlin Versuche unternommen, durch Zusatz von Nährhefe eine Eiweißanreicherung im K-Brot zu erzielen. Bei einem Versuche, ein K Brot mit 2 '/2 "/o Nährhefe-Zusatz zu backen, er- zielten Rossmann und Mayer ein sehr günstiges Resultat. Dies Nährhefebrot sieht sehr gut aus, Krume und Kruste sind von normaler Beschaflen- heit, das Brot besitzt einen gesunden, kräfugen, an Hefe nicht erinnernden Geruch und schmeckt vorzüglich, ohne einen Nebengeschmack zu haben. Für die Herstellung eines Brotes in der Form diente folgendes Verfahren: 217 g Roggen- oder Weizenmenl und 56 g Kartoffelsiärkemehl (Walz- mehl oder Flocken) wurden gut gemischt. So- dann wurden in 200 ccm Wasser 7 g Nährhefe, 8 g Kochsalz und 4—5 g Hete (als Treibmittel) fein verteilt bezw. aufgelöst, und mit diesem Wasser und obigem Mehlgemische ein Teig gebildet, der tüchtig durchgeknetet wurde. Dieser Teig wurde aufgehen gelassen und in der üblichen Weise zu einem Brot gebacken. Die Verfasser erhielten 457 g Brot folgender Zusammensetzung: im Brot in der Trockensubstanz Wasser Asche, Mineralslolfe 44,31 1.31 2,36 Fett 0,20 o,37 Rohfaser 0|03 0,06 Prolein Stickstoffreie Exlraktstoffe = Kohlehydrate 5,87 48,28 10.54 86,67 Der Proteingehalt dieses Brotes erweist sich hiermit als relativ sehr hoch, wenn man bedenkt, daß wir hier den ungünstigen P'all (Zusatz von 20 "/„ des proteinarmen Kartoffelstärkemehles) vor uns haben und nur 2 ^3 % Nährhefe dem Brote zugesetzt wurde. Die Konsum- Genossenschafts bäckerei zu Lichtenberg hat Backversuche im Großen durchgeführt. Aus 270 Pfund Mehl- gemisch (bestehend aus 22 "/o Weizenmehl, 7 "/o Kartufftlvvalzmehl, 3 "/g Kartoffelstärke, sowie 68 "/o Roggenmehl) und 6,8 Pfund Nährhefe (= 2,5 "/„) wurden 100 Brote gebacken; das Er- gebnis war nach jeder Hinsicht günstig. Die Konsum-Genossenschaft hat sich bereit erklärt, NBrot herzustellen und an Interessenten zu liefern, doch müßte natürlich der Preis des Brotes um einige Pfennige erhöht werden. Das N-Brot verdient die weiteste Verbreitung, besonders sei betont, daß es sich nicht nur während der Kriegs- zeit, sondern auch in der kommenden Friedens- zeit als einfaches, gutes und kräftiges Nahrungs- mittel bewähren würde. (G. C.) O. R. Die Lindner'sche Fetthefe. Die Zeitschrift für angewandte Chemie 28, III, 57S (1915) teilt hier- über folgendes : Professor L i n d n e r vom Institut für Gärungsgewerbe in Berlin erhielt von seinem Schüler Schretten seger aus einem Schützen- graben in Polen eine getrocknete Hefe und fand, daß jede Zelle mit einem Tropfen Ol erfüllt war. Bei den weiteren Nachforschungen, an denen Dr. Henneberg beteiligt war, zeigte sich ein Fettgehalt, der bisher noch niemals gefunden wurde, nämlich 1870 in der Trockensubstanz. (Jede Hefe enthält ja Fett.) Nach Aussagen von Sachverständigen ist schon eine industrielle Ge- winnung möglich, wenn der Fettgehalt 10 "/q überschreitet. Wir hätten also in dieser Fett- hefe ein Kraftfutter ersten Ranges, eine Hefe, die neben der Eiweißhefe als Nährhefe ihren Weg machen wird. Es wurde das Öl aus der Hefe gewonnen und verseift, wobei man eine schöne Kernseife erhielt. Es fragte sich nun, wie man das Fett am besten gewinnen kann. Als Ideal mußte es angesehen werden, wenn die Fetthefe wie die Futtereiweißhefe erblasen werden könnte. Es zeigte sich nun, daß auch diese Hefe mit Zucker und mineralischen Salzen genährt wächst, aber es hat sich auch gezeigt, daß im allgemeinen die Fetthefe sehr ruhebedürftig ist, sich ungern bewegt und nicht in zirkulierenden P^lüssigkeiien wächst. Es wurde daher die Hefe auf eisernen Platten in einer dünnen Flüssigkeitschicht ge- züchtet, die Restwürze von unten abgezogen und zu weiteren Züchtungen verwendet. Die Be- obachtungen sind dem Kriegsausschuß für Fette gemeldet worden, der eine Summe zur Verfügung 766 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 49 stellte, so daß die industrielle Verwertung des ermöglicht ist. Im Institut für Gärungsgewerbe Verfahrens an dem die Herren Lindner, Stock- ist eine kleine Versuchsfabrik angelegt worden, hausen, Henneberg, Völtz beteiligt waren, O. R. Bücherbesprechungen. Möbius, M., Mikroskopisches Praktikum für systematische Botanik. II. Krypto- gamae und Gymnospermae. 8". 314 S. 123 Textfiguren. Berlin 1915, Gebr.Born- traeger. — Preis geb. 9,50 M. Dem bereits 191 2 erschienenen i. Teile des mikroskopischen Praktikums für die systematische Botanik ist nun der zweite, den Kryptogamen und Gymnospermen gewidmete Teil getolgt. War die konsequente Durchführung der mikroskopischen Beobachtung für die Angiospermen — wenigstens in der hier gebotenen Form der praktischen An- leitung — als eine Neuerung zu bezeichnen — so ist für die im vorliegenden Bändchen be- handelten Gruppen das Mikroskop ja von jeher das unentbehrliche Hilfsmittel für das praktische Studium gewesen und alle botanischen mikro- skopischen Praktika widmen den Kryptogamen einen guten Teil ihres Inhalts. Dessenungeachtet trägt das Buch doch den Stempel der Besonder- heit; denn die Art der Auswahl und Behandlung des Stoffes weicht im ganzen von jenen Büchern ab. Es versteht sich, daß auch hier die gewöiin- lichen Schulbeispiele für Algen, Pilze, IVloose und Farne nicht fehlen, aber daneben konmien auch Vertreter anderer Oidnungen und Fanulien zur Gellung, bei deren Behandlung stets das Ziel des Buches, ein Praktikum der systematischen Botanik zu sein und zur Belebung und Ergänzung der syst ematischen Vorlesungen beizutragen, konsequent im Auge behalten wird. So werden physiologische Hinweise, - — so naheliegend sie oft sind — von verschwindenden Ausnahmen ab- gesehen, nicht gegeben, aber auch entwickhings- geschichiliche Fragen bleiben, soweit sie über das unmittelbar morphologisch Sichtbare hinaus- gehen, unerörtcrt, z. B. die ganze Cytologie der Pilze. So sehr auf der einen Seite diese Be- schränkung auf das Systematische im alten Sinne zu bedauern ist, erscheint sie doch andererseits berechtigt im Hinblick darauf, daß eine praktische Nachuntersuchung dieser Verhältnisse an der Hand selbstgefenigter Präparate im allgemeinen weit über den Rahmen eines die ge>amten Krypto- gamen berücksichtigenden Kurses hinausgeht, oft eine sehr entwickelte Züchtungs- und Mikrotom- technik voraussetzt, kurz eingehende Spezialstudien erfordert. Daß die Gymnospermen im Anschluß an die bisherigen Kryjnogamen mit in den Rahmen des Büchleins gezugen werden, ist nur zu be- grüßen; bricht man doch auch in den sy^temati- schen Vorlesungen mehr und mehr mit der Überlieferung, Angiospermen und Gymnospermen zusammen zu behandeln. Hingegen möchte dem Ref. das Festhalten an der alten Einteilung der Thallophyten in ,, Algen" und „Pilze" garnicht ge- fallen. Hat sich der V^erf. entschlossen, die Flagel- laten als besondere Gruppe hinzuzufügen, warum dann noch die Myxomyceten zu den Pilzen stellen, und die Schizophyten voneinander als Blaualgen und Spaltpilze trennen? Besonderer Erwähnung verdienen die 123 Fi- guren, die durchweg nach Orginalzeichnungen hergestellt sind. Diese Art des flotten Skizzierens, die im bewußten Verzicht auf anatomische Akribie das wesentliche gut zum Ausdruck bringt, scheint dem Ref. für ein solches Praktikum die gegebene Art der Abbildung zu sein. Die vielen Orginalzeichnungen verraten schon äußer- lich, daß der Verf. in dem Bändchen die Ergeb- nisse und Erfahrungen langjähriger eigener Arbeit niedergelegt hat, eine Eigenschalt, die das Büchlein in einen angenehmen Gegensatz zu den auf dem Gebiete der Kryptogamenkunde neuerdings allzu- stark ins Kraut schießenden Kompilationen bringt. So wird es mehr und besser als jene (die freilich das gleiche Ziel vorgeben !) dazu beitragen, das Studium der Kryptogamen zu beleben und ihm neue Freunde zuzuführen. In diesem Sinne wünscht der Ref. dem Buche eine weite Verbreitung und bedauert nur, daß der Verlag einen so hohen Preis angesetzt hat. Buder. Die Katalyse. Die Rolle der Katalyse in der analytischen Chemie. Von Privatdoz. Dr. Gertrud Woher. II. Spezieller Teil. Erste Abteilung. Anorganische Katalysatoren. Mit 13 Abbildungen. — XXI. Band der Sammlung. „Die cheniibche Analyse", herausgegeben von Dr. B. M. Margosches, Stuttgart 1915, Verlag von F'erdinand Enke. — Preis geh. 28 M. geb. 29,20 M. Die katalytischen Vorgänge gehören zu den immer noch nicht völlig aufgeklärten Erschei- nungen der Chemie, obwohl Männer wie Ost- wald einen großen Teil ihrer Lebensarbeit der katalytischen Forschung gewidmet haben. Das grü(5e Interesse, das diesem auch für die Technik immer wichtiger werdenden Gebiet entgegen ge- bracht wird, zeigt sich an der wachsenilcn Lite- ratur über Katalyse. Das vorliegende Buch der Berner Privatdozentin unternimmt es, die weit verstreuten Angaben über die analytische Rolle der katalytischen Reaktionen zu sammeln und zu sichten. Ohne Zweifel ist diese Autgabe, was Vollständigkeit und Zuverlässigkeit anbetrifft, von der Verfasserin mit Geschick gelöst worden. Es N. F. XIV. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 767 bedeutet keine Herabsetzung der Leistung der Verfasserin, wenn man ihr Werk in die Klasse der Bücher von vorwiegend rezeptivem Charakter einreiht, im Gegensatz zu produktiven Büchern wie etwa Sabaiier's „Katalyse". Der Betrieb der modernen Wissenschaft braucht diese Sammel- werke ebenso nötig wie die persönlicheren Ver- öffentlichungen der bahnbrechenden Forscher, und wenn sich, wie im Woker'schen Werk, Sach- kenntnis und Gründlichkeit in ihnen vereinen, so leisten auch diese dickleibigen Kompendien der Wissenschaft unsrhät/bare Dienste. Nicht nur der forschende Chemiker, sondern auch der Nahrung-^mittel-, Agrikuliurchemiker und Physio- loge wird aus dem Buche Belehrung und Anre- gung schöpfen. Während der größte aller Kriege Deutschland umtobt, erscheinen in diesem ,, barbarischen Lande" wissenschaftliche Werke, deren Drucklegung schon in Friedenszeiten eine Tat bedeuten wurde. Es verdient rühmende Anerkennung, daß ein Verlag es jetzt unternimmt, einen 790 Seiten starken Band an die Öftentlichkeit zu bringen, der einem Ausschnitt aus einem Spezialgebiet der Wissen- schaft gewidmet ist. Bugge. Goldschmidt, R., Die Urtiere. Eine Einführung in die Wissenschaft vom Leben. Aus Natur und Geistes weit, 160. Bändchen. 96 Seiten, 2. Auflage mit 44 Abbildungen. Leipzig und Berlin 1914, Verl. von B. G. feubner. — Preis geh. I M., in Leinw. geb. 1,25 M. Goldschmidt's Buchlein „Die Tierwelt des Mikroskops" ist unter obigem Titel in zweiter Auflage erschienen. Wesentliche Änderungen ent- hält die neue Auflage nicht. Auf eine kurze Schilderung der Entdeckung der mikroskopischen Lebewelt folgt eine Besprechung der einfachsten Fang- und Untersuchungsmethoden. Die wich- tigsten Erscheinungen des lebenden Organismus werden im nächsten Abschnitt an Hand einer Amöbe behandelt. Es schließt sich an eine Dar- stellung der großen Formengruppen der Protozoen, der Rhizopoden, Flagellaten und Infusorien. Den pathogenen Protozoen ist ein besonderer Ab- schnitt gewidmet. Zwei Kapitel, in denen die Bedeutung der Urtiere im Haushalte der Natur — Planktonorganismen und fossile Protozoen — skiz- ziert wird, beschließen das anschaulich und allge- mein verständlich geschriebene Bändchen. Nachtsheim. Wulff, K., Der Kriegsschauplatz zwischen Mose! und Maas. Kriegsgeographische Zeit- bilder Heft 6. Herausg. von Dr. H. Spethmann und Dr. E. Scheu. Leipzig 191 5, Veit & Co. — Preis So Pf. Mayer, A., Die Vogesen und ihre Kampf- stätten. Ebenda Heft 8. — Preis 80 Pf. Beide Schriften behandeln wichtige Teile des westlichen Kriegsschauplatzes und schließen eng aneinander an. Die Arbeit von Wolff ist, wie die Beigabe der verschiedenen Karten und Profile zeigt, auf modern-geographischem Gesichtspunkt aufgebaut, mit dem Bestreben, die verschiedenen natur- und kulturgeographischen Erscheinungen genetisch untereinander zu verknüpfen. Sie bietet eine wenn auch kurze, aber anschauliche länder- kundliche Übersicht über das behandelte Gebiet. Die Arbeit von Mayer ist mehr in dem Stil älterer geographischer Handbücher gehalten; in buntem Nebeneinander werden hier die ver- schiedensten Erscheinungen des Landes abge- handelt. Dr. E. Wunderlich-Berlin. Anregungen und Antworten. Herrn Rektor H. RI., Quedlinburg. — Die eingesandten flachen, runden, linsenartigen Gebilde, die heuer in Ihrer Gegend so massenhaft die Blätter der Eichen bedecken, sind keine Pilze, wie Sie glauben, sondern durch eine Gallwespe hervorgerufene Gallen (Fig. i a und 2). Sie lösen sich im Spätherbst von den Blättern und bleiben den Winter über auf dem Waldboden liegen. Jede der kleinen Linsen enthält eine winzige I^arve resp. Puppe. Durch die Anwesenheit des Gastes wird die Pflanze zur Bildung von Wucherungen veranlaßt, die wesentlich andere Gewebeformen liefern können, als im Bauplan der normalen Blätter vorgesehen sind, wie ja auch die äußere Gestalt der ganzen Galle weit aus dem Rahmen der gewöhnlichen Form- gestaltung der Eiche herausfällt. Besonders bemerkenswert erscheinen die Sternhaare, mit denen die Galle besetzt ist (Flg. 2), weil solche Haarformen im normalen Entwicklungs- gange bei keiner Eichenart angetroffen werden. Die Gallbildungen stellen eine der interessantesten Wechselbeziehungen zwischen Tier und Pflanze vor: Die Wirtspflanze wird ihrem kleinen Gaste tributär. Sie Hefert ihm Wohnung und Kost; sie baut ihm eine Larvenkammer, die sie gegen die Außenwelt mit einem dickwandigen, widerstandsfähigen Gewebe schützt, im Innern aber mit einer Schicht zarter, inhaltsreicher Zellen versieht, die der Larve zur Nahrung dienen. Aus der ,, Larvenkammer" schlüpft im kommenden April oder Mai eine Gallwespengeneration, die nur aus Weibchen besteht. Ohne jede Befruchtung, also parthenogenetisch, legt diese sog. ,,agame" (ehelose) Gene- ration ihre Eier und zwar wieder auf die Blätter oder diesmal auch auf die dann vorhandenen Blütenkätzchen der Eichen. Auch jetzt entwickeln sich Gallen, die der ausschlüpfenden Larve ,,Kost und Logis" liefern, aber diesmal sehen sie ganz anders aus, nicht linsenförmig und von lederig-knorpeliger Beschaffenheit wie die ersten, sondern kugelrund und weich, mit dicker, saftiger, etwas durchscheinender Wandung, fast wie eine kleine Weinbeere, ungefähr 0,5 cm groß (Fig. 3 a). Sie erscheinen aber weit weniger widerstandsfähig als die ,, Linsengallen", brauchen aber auch keinen Winter zu über- dauern ; denn die Entwicklung der Larve vollzieht sich in wenigen Wochen. Der Verschiedenheit der Gallen entspricht nun auch ein Unterschied im Aussehen und Verhalten der ausschlüpfenden Wespen; Diesmal sind es Männchen und Weibchen. Sie weichen in der Gestalt von den agamen Weibchen der vorigen Generation doch soweit ab, daß man die beiden Generalionen früher, als man den Zusammenhang noch nicht erkannt hatte, als zwei verschiedene Arten ansprach und die cste (aus den linsenförmigen Gallen entstandene, agame) Generation Neuroterus lenticularis, die zweite, sexuelle, aus den ßeerengallen hervorgegangene N. quercus-baccarum nannte. Da das Insekt zuerst in seiner Geschlechtsgeneration bekannt wurde, wird die ganze Art jetzt als N. quercus- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 49 baccarum bezeichnet, aber man gebraucht auch heute noch gern wegen ihrer Bequemlichkeit die Ausdrücke Lenticularis- und Quercus-baccarum-Gallen. Fig. I. Einige häufige Gallen der Eichenblätter. (Narh Roß.) Nat. Größe. a Neuroterus lenticularis (= N. quercus-baccarum, agame Generation), b N. numismalis, c N. laeviusculus, d N. funüpennis. Fig. 2. Neuroterus lenticularis ^/i (nach Roß). Darunter ein Längsschnitt, der die Larvenkammer zeigt. Die aus den Beerengallen hervorgegangenen Männclicn und Weibchen paaren sich, und die ganz normal befruchteten Eier werden an den Eichenblättern abgelegt, um im Herbste wieder die Linsengallen hervorzubringen, von denen wir aus- gingen. Die beigefügten .Abbildungen zeigen außer den genannten beiden Gallen noch einige andere ähnliche Gallen, die eben- falls nicht selten bei uns sind. Damit ist aber die Zahl der bei uns vorkommenden Eichengallen nicht etwa erschöpft. H. Roß, dessen Buche über die Ptlanzengallen Mittel- und Nordeuropas (Jena, Gustav Fischer 1911, mit 233 Fig., Preis 9 M.) wir die Bilder entnehmen, gibt nicht weniger als 131 verschiedene Gallbildungen für unsere gewöhnlichen Eichen- arten an. Dies Werk eignet sich auch sehr gut zum Bestimmen der Gallen, da es recht übersichtliche Bestimmungsschlüssel enthält. Sie finden dort auch weitere Auskunft über die inter- essanten einschlägigen Fragen der Biologie und Entwicklungs- geschichte. Fig. 3 (nach R o l a Neuroterus quercus-baccarum, geschlechtliche Generation. b Macrodiplosis dryobia. Für ein noch weitergehendes Studium der allge- meinen Probleme der ,,Cecidologie" sei schließlich noch auf E. Küster's Gallen der Pflanzen (Leipzig, Hirzel 191 1) ver- wiesen , ein Buch , das aber keine Bestimmungsschlüssel ent- hält. Buder. Literatur. Weber und Wellstein, Enzyklopädie der Elementar- Mathematik. Bd. II. 3. Aufl. Leipzig und Berlin '15, B. G. Teubner. — 12 M. Ruck h aber, Erich, Das Gedächtnis und die gesamte Denktätigkeit eine Funktion des Muskelsystems. Berlin '15, Psychologisch-Soziologischer Verlag (O. Matlha). — 3 M, Auerbach, Feli.x, Die Physik im Kriege. Eine allge- mein-versländliche Darstellung der Grundlagen moderner Kriegstechnik. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Mit 110 Textbildern. Jena '15, Gustav Fi.'icher. — 3,30 M. Stau fa eher, Heinrich, Der Erreger der Maul- und Klauenseuche. Leipzig '15, Wilhelm Engelmann. — 2, So M. Klesch, Max, Die Entstehung der ersten Lebensvorgänge. Vortrag. Jena '15, Gustav Fischer. — 60 Pf. Seh m eil, Otto, Lehrbuch der Botanik für höhere Lehr- anstalten und die Hand des Lehrers sowie für alle Freunde der Natur. 35. Auflage. Leipzig '15, Quelle & .Meyer. — Geb. 6,60 Mk. Inhalt; Bilguer: Wie starb Alexandrine Tinne? — Einzelberichte: Blaauw und E. Vogt: Licht, PHanzcnwachstum und Phototropismus (mit 2 Abbildungen). Schanz: Über die Beziehungen des Lebens zum Licht. — Kleinere Mit- teilungen: Rammstcdt: N-Brot, ein Kraftbrot. Rammstedt: Die Lindner'sche Fetihefe. — Bücherbesprechungen: Möbius: Mikroskopisches Praktikum für systematische Botanik. Woker: Die Katalyse. Goldschmidt: Die Ur- tiere. Wolff: Der Kriegsschauplatz zwischen Mosel und Maas. Mayer: Die Vogesen und ihre Kampfstätten. — Anregungen und Antworten (mit 3 Abbildungen). — Literatur: Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an Privaldozent Dr. Joh. Buder, Leipzig, Linnestraße I, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 14. Band; ganzen Reihe 30. Ba Sonntag, den 12. Dezember 1915. Nummer 50. Die Eimster'schen Zwitterbienen und ihre Entstehung. [Nachdruck verboten,] Von Dr. Hans Nachtsheim, Freiburg i. Br. Mit IS Abl)ildungen. In den letzten Jahren ist wiederholt der Ver- kaum ein historischer Wert beizulegen sei" die such unternommen worden, das Wesen des Gyn- Rede. Erst in den sechziger Jahren des vorigen andromorphismus bei den Insekten zu ergründen. Jahrhunderts brachte v. Siebold Lukas und Auf experimentellem Wege hat man Gynandro- seine Entdeckung zu Ehren, v. Siebold konnte morphen erzeugen können. Man hat allmählich die in einem Stock des Bienenzüchters Eugster Bedingungen kennen gelernt, unter denen Gyn- in Konstanz in ziemlich großer Zahl auftretenden andromorphen besonders häufig und in großer Zwitterbienen untersuchen. In einem Sendschreiben Zahl auftreten, ja man ist soweit gekommen, daß an die Wanderversammlung der deutschen Bienen- man bei bestimmten Experimenten sagen kann, wirte in Karlsruhe -') teilte er das Wichtigste aus ob und in welchem Prozentsatz Gynandromorphen seinen Beobachtungen an diesen merkwürdigen entstehen. Bastardierungen von Arten und Varie- Individuen mit, die geplante genaue Beschreibung täten, Inzucht und Parthenogenese, Temperatur- der Zwitterbienen unterblieb indessen, einwirkungen sowie parasitische Kastration können. In neuerer Zeit ist des öfteren über Zwitter- soviel wir heute wissen, die Entstehung von Zwit- bienen berichtet worden, aber es waren, wie es tern im Gefolge haben. Freilich, wenn wir die scheint, in den meisten Fällen nur vereinzelt auf- Bedingungen kennen, unter denen sich Gyn- getretene Tiere, die zur Beobachtung kamen. Der andromorphen entwickeln, so ist damit noch nicht erste etwas ausführlichere Bericht seit den Mit- das Problem des Gynandromorphismus gelöst, teilungen v. Siebold 's ist die im vorigen Jahre Die wahren Ursachen kennen wir bi.'-her nicht, aber die zahlreichen Beobachtungen und Ex|jeri- mente haben zu einer Reihe von Erklärungs- versuchen geführt, von denen einige recht an- nehmbar erscheinen. Daß gleich mehrere Hypo- erschienene Arbeit v. Engel hardt's.'') Die von ihm untersuchten Zwitterbienen stammten aus dem Terek-Gebiet im nördlichen Kaukasus. Leider konnte aber v. Engelhardt die Tiere nicht lebend uniersuchen; ihr Erhaltungszustand war thesen — sie sind überdies zum Teil recht ver- nach seinen Angaben ein äußerst mangelhafter, schiedener Natur — Existenzberechtigung haben und so erklärt es sich, daß auch seine Unter- sollen, darf uns nicht wundern, denn es ist, wie suchungen noch manche interessante Fragen un- Lang"^) mit Recht betont, ,, möglich, sogar wahr- beantwortet lassen. Es wäre sehr zu wünschen, scheinlich, daß der Gynandromorphismus in seiner daß wieder einmal ein solcher Zwitterbienen er- bunten Mannigfaltigkeit auf sehr verschiedene zeugender Stock lebend in wissenschaftliche Hände Weise zustande kommen kann". gerät, so daß es möglich wäre, Biologie und Mor- Wir wollen uns hier nicht mit allen diesen Er- phologie, eventuell auch die Entwicklung dieser klärungsversuchen befassen, sondern wollen nur Abnormitäten genau zu studieren, die Hypothesen auf ihren Wert prüfen, welche Daß indessen auch die Untersuchung von zur Erklärung bestimmter Gynandromorphen, der altem, zunächst wenig versprechendem Material Zwitterbienen, aufgestellt worden sind. noch zu sehr zufriedenstellenden Resultaten führen Schon im Anfang des vorigen Jahrhunderts kann, das zeigen zwei jüngst erschienene Arbeiten sind Zwitterbienen beschrieben worden. Der von Boveri*) und Mehling.^) Boveri und sächsische Schullehrer Lukas war der erste Mehling benutzten zu ihren Untersuchungen die Bienenzüchter, der sie entdeckte. Zwischen nor- vor nunmehr 50 Jahren von v. Siebold in Spi- malen Arbeiterinnen und Drohnen fand er im ritus konservierten Zwitterbienen des Eugster- Jahre 1801 einige Drohnen, die einen Stechapparat sehen Stockes, die v. Siebold seinerzeit zu seinen besaßen; er nannte sie deshalb ,, Stacheldrohnen". Aber Lukas fand wenig Glauben mit der Ver- öffentlichung seiner Beobachtungen bei den Im- kern der damaligen Zeit. Man erklärte ihn offen für einen Schwindler, und seine ,, Irrlehre" geriet bald in Vergessenheit. In einem Bienenbuch der ^J Siebold, C. Tlr. E.V., Über Zwitterbienen. Zeitschr. f. wiss. Zool., 14. Bd., 1864. ') Engelhardt, V. v. , Über den Bau der gynandro- morphen Bienen (Apis mellifica L.). Zeitschr. f. wiss. In- sektenbiol., 10. Bd., 1914. Boveri, T h., Über die Entstehung der Eugster'schen späteren Zeit ist von den Stacheldrohnen nur Zwitterbienen. Arch. f. Entwicklungsmech. d. Org., 41. Bd., noch „als von einer veralteten Kuriosität, welcher 1915- °) Mehling, Elsa, Über die gynandromorphen Bienen des Eugster'schen Stockes. Verhandl. d. phys.-med, Ges. zu ') Lang, A., Vererbungswissenschaftliche Miscellen. Zeit- Würzburg, N. F. 43. Bd., 1915. Auch separat erschienen bei Schrift f. indukt. Abstammungs- u. Vererbungsl., 8. Bd., 1912. C. Kabitzsch, Würzburg. Ladenpreis brosch. 6 M. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 50 eigenen Untersuchungen hatte verwenden wollen. Wenn die Tiere sich auch als stark gebleicht er- wiesen, so ließen sich doch „die für die beiden Geschlechter charakteristischen Färbungsdifferenzen an vielen Exemplaren noch gut erkennen'", und „auch die histologische Erhaltung war besser, als man von so altem Material vermuten möchte" (Mehling). Während Elsa Mehling, eine Scliülerin ßoveri's, in äußerst gewissenhafter Weise die Verteilung der männlichen und weib- lichen Teile und ihre gegenseitige Beeinflussung bei einer Reihe von Gynandromorphen studierte, machte es sich Boveri zur Aufgabe, diejenigen Eigenschaften der Gynandromorphen zu unter- suchen, welche sich auf ihre Entstehungs- weise beziehen, um so die Richtigkeit der von ihm bereits vor mehr als 25 Jahren gegebenen Erklärung der Entstehung der Eugst er'schen Zwiiterbienen prüten zu können. Das Resultat der Untersuchung Boveri 's sei gleich hier mit- geteilt: „die Annahme, daß die Zwitter- bienen durch sogenannte partielle Be- fruchtung entstehen, hat eine fast an Gewißheit grenzende Wahrscheinlich- keit ftir sich." Zunächst einiges über das Aussehen der Zwitierbienen. Sie können sehr verschieden ge- staltet sein. Bald unterscheiden sie sich kaum von einer normalen Arbeiterin, bald überwiegen die Merkmale des männlichen Geschlechts , in wieder anderen Fällen nehmen die Gynandro- morphen eine Zwischenstellung zwischen Arbei- terin und Drohne ein. E. Mehling hat die 40 von ihr untersuchten Tiere ihrer Arbeiterinnen- bzw. Drohnenähnlichkeit nach geordnet. Bei 8 In- dividuen halten sich Arbeiterinnen- und Drohnen- merkmale annähernd die Wage, 12 sind mehr drohnenähnlich, 20 ähneln mehr Arbeiterinnen. Die Hälfte aller Zwitter ist also größtenteils weib- lichen Geschlechts. Überdies ist noch zu be- merken, daß die Weibchenähnhchkeit weiter geht als die Männchenähnlichkeit; das Maximum der Arbeiierinnenmt- rkmale beträgt 96,7 "/^ , das der Drohnenmerkmale nur 83,3 7o- Nach der Verteilung der männlichen und weib- lichen Teile kann man die Gynandromorphen in vier Gruppen einteilen: in laterale (auch sagittale genannt), transversale, frontale und gemischte oder Mosaikgynandromorphen. Eine nähere Charakte- risierung der einzelnen Gruppen ist kaum not- wendig. Die gemischten Gynandromorphen sind weitaus am häufigsten. Arbeiterinnen- oder Drohnenmerkmale können bei ihnen überwiegen oder auch Eigenschaften beider Geschlechter in gleichem Maße vorhanden sein , charakteristisch aber ist die regellose Verteilung der verschiedenen Geschlechtsmerkmale, während bei den drei an- deren Gruppen durch einen bestimmten Schnitt jedes Individuum in eine weibliche und eine männ- liche Hälfte zerlegt werden kann. Fig. i z. B. zeigt den Kopf einer lateralgyiiandromorphen Biene, eines sogenannten „Halbseitenzwitters", dessen rechte Körperhälfte männlichen und dessen linke Körperhälfte weiblichen Geschlechtes ist. Am auffälligsten ist die Verschiedenheit der Fa- cettenaugen. Links (in der Abbildung) das große Auge einer Drohne, rechts das kleine einer Ar- beiterin. Auch die Ocellen sind verschiedenen Geschlechtes. Zwei von ihnen liegen vorne auf der Stirn wie bei der Drohne (Fig. 7 u. 8), das dritte liegt mehr scheitelwärts wie bei einer Ar- beiterin (s. Fig. 6). Die Antennen unterscheiden sich bei Männchen und Weibchen durch die Zahl der Glieder. Die Drohne besitzt 13, die Arbeiterin nur 12. Eine entsprechende Verschiedenheit finden wir auch bei den Fühlern der Zwitterbiene. Auf- fällige sekundäre Geschlechtsmerkmale weisen ferner die Mundgliedmaßen auf. Entsprechend ihrer stärkeren Verwendung sind sie bei der Ar- beiterin viel kräftiger gebaut als bei der Drohne. Besonders gilt das iür die Mandibeln (vgl. Fig. 6 mit 7 und 8). Die rechte Mandibel der Zwiiter- biene ist wieder männlich, die linke weiblich. Die Teilung in eine rechte männliche und eine linke weibliche Hälfte erstreckt sich natürlich auch auf Brust und Hinterleib. Besonders schön ist das an den Extremitäten zu erkennen, die auf der linken Seite den vollkommenen Pollensammel- apparat einer Arbeiterin besitzen, welcher den Drohnen fehlt. Fig. I. Kopf einer lateralgynandromorphen Biene. o Facettenaugen, ocl Ocellen, an .Antennen, md Mandibeln, rax Ma.\illen, p.mx Maxillarpalpen, li Zunge. (Nach V. Engelhardt.) Bei den frontalen Zwittern sind Rücken- und Bauchseite verschiedenen Geschlechtes, bei den sehr seltenen transversalen Vorderkörper und Hinterleib. Bei den letzteren kann auch nur der Kopf z. B. männlich sein, während Brust und Hinterleib weiblich sind. Zur Veranschaulichung der Verteilung männ- licher und weiblicher Charaktere sind in den Figuren 2 — 5 die vier von E. Mehli ng besonders eingehend untersuchten Zwitter — sie wurden zergliedert und auch ihre innere Anatomie studiert — schemalisch wiedergegeben. Alle männlichen Partien sind hell gehalten, die weiblichen dunkel, während Bezirke mit gemischten männlichen und weiblichen Merkmalen einen mittleren Ton zeigen. Die Köpfe der vier Zwitter sind in den F"iguren 9 — 12 bei stärkerer Vergrößerung etwas natura- N. F. XIV. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 771 Hstischer abgebildet. Die Zwitter I, II und IV müssen wir in die Gruppe der gemischten Gyn- andromorphen stellen, Zwitter III können wir als lateralen Gynandromorphen bezeichnen, wenn auch am Hinterkopf und an den Antennen die Ver- teilung der Merkmale in rechts männlich, links weiblich nicht genau ist. Wir haben bereits einige sekundäre Geschlechts- merkmale von Drohne und Arbeiterin kennen ge- lernt, die sich auf die Form einzelner Körper 772 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 50 % einer Arbeiterin, einer Drohne sowie einer Afterdrohne. (Nach Mehling.) Fig. 9. teile beziehen. Außer dieser sind Behaarung und Farbe die wesentlichen Geschlechtsmerk- male bei Bienen. ''} Innerhalb eines bestimmten Körperbezirkes weisen Form , Behaarung und Farbe immer den gleichen Cha- rakter auf. Kommen innerhalb eines Organs männliche und weib- liche Merkmale vor, so kann das Organ hinsichtlich seiner Form und Größe eine Mittelstellung zwischen dem entsprechenden Organ der Arbeiterin und Drohne einnehmen, während, was Farbe und Behaarung anbetrifft, die ver- schiedengeschlechilichen Bezirke sich mosaikartig aneinanderfügen. Wie solche Mittelformen zustande kommen können, zeigt die Unter- suchung eines Facettenauges, das aus männlichen und weiblichen Facetten zusammengesetzt ist. Die Facetten eines Drohnenauges sind nahezu doppelt so groß wie die eines Arbeiterinnenauges, können also mit Leichtigkeit unterschieden werden. „Manch- mal," so schreibt Mehling, „ziehen durch ein männliches Auge Streifen weiblicher Facetten, oder die eine Hälfte des .A.uges ist männ- lich, die andere weiblich. Ver- schiedene Male konnte auch ein komplizierteres Mosaik männlicher Fig. II. Fig. 12. Fig. 9—12. Köpfe der Zwitter I— IV. (Nach Mehling.; °) In mehreren Tabellen hat E. Meh- ling die sekundären und primären Ge- schlechtsmerkmale der Arbeiterinnen und Drohnen übersichtlich zusammengestellt, worauf hier besonders verwiesen sei. N. F. XIV. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 773 und weiblicher Facetten an den Augen be- obachtet werden." An den Konturen gehen aber die Bezirke verschiedenen Geschlechtes glatt ineinander über, es resultiert ein mosaik- artig zusammengesetztes Auge, das kleiner ist als das einer Drohne aber größer als das einer Arbeiterin. Auch an den Flügeln, Beinen, Mund- gliedmaßen und Köpfen führt das Mosaik der Teile häufig zu einer mittleren Größe des Organs. Es muß aber betont werden, daß die Zwitterbienen überhaupt nicht mit typischen Drohnen (F'ig. 7) verglichen werden dürfen sondern mit den etwas kleineren sogenannten Afterdrohnen (Fig. 8), die ebenso wie die Zwiiterbienen aus Arbeiterinnen- zellen hervorgegangen sind. Drohnenbrütige Kö- niginnen erzeugen solche Drohnen in Menge, aber auch in normalen Völkern beobachtet man sie bald häufiger bald selten. Die geringere Größe der Arbeiterinnenzelle — im Vergleich zur Drohnen- zelle — behindert die Entwicklung der Afterdrohnen und erlaubt ihnen nicht, d:e für die Drohnen normale Größe zu erreichen. In manchen Fällen ist abnorme Verkleinerung eines Organs bei einer Zwitter- biene wohl auch ein Zeichen von Verkümmerung. Schwieriger sind diejenigen Fälle zu erklären, wo z. B. ein Bein Form, Farbe, Behaarung, kurz die ganze Struktur der Körperoberfläche einer Ar- beiterin besitzt, während die Größe der einer männlichen Extremität entspricht; auch das um- gekehrte Verhalten beobachtet man. Es ist sehr wohl denkbar, daß wir hier Bildungen vor uns haben ähnlich den Periklinalchimären der Pflanzen. Das gesamte Ektoderm des Beines wäre zwar weiblich, die tieferen Schichten aber, Muskeln, Ganglienzellen usw. männlichen Geschlechtes, was eine größere VVachstumstendenz zur Folge haben mag als im umgekehrten Falle. Die Geschlechtsorgane zeigen verschiedenen Charakter bei verschiedenen Zwittern. Die Ge- schlechtsdrüsen sind bald männlich, bald weiblich, bald zwitterig, häufig auch verkümmert. Ge- schlechtsdrüsen und Kopulationsorgane können gleiches oder verschiedenes Geschlecht haben. Be- sonders interessant aber ist die Talsache, daß die Ovidukte bzw. die Vasa deferentia mit den Ge- schlechtsdrüsen in ihrem Geschlechtscharakter immer übereinstimmen bzw. mit diesen voll- kommen fehlen. Ist sie doch gewissermaßen eine experimentelle Bestätigung der Angabe von Kor- schelt und Heider, daß Oviducte und Vasa deferentia mit den Geschlechtsdrüsen mesoder- malen Ursprungs sind, im Gegensatz zu den übrigen Bestandteilen des Geschlechtsapparates, die dem Ektoderm entstammen. Schon die ersten Beobachter von Zwitterbienen legten sich die Frage vor, welchen Umständen diese Monstra ihre Entstehung verdanken. Von diesen älteren Erklärungsversuchen sei hier nur der v. Siebold's erwähnt. ,,Ein gewisses Mini- mum von Samenmasse," so vermutet v. Siebold, ,,ist nötig, damit sich ein Weibchen bilden kann. Mengt sich nun, durch irgendeinen Umstand ver- hindert, nicht die erforderliche Anzahl von Samen- fäden dem Eiinhalte bei, so wird ein Bienenei, das ohne Befruchtung eine Drohne erzeugt, unter dem Eitiflusse der unzureichenden Anzahl von Samenladen zwar nicht zur Erzeugung einer weib- lichen Biene gelangen können, aber doch durch die Beimischung einzelner Samenfäden in der par- thenogenetischen Entwicklung einer reinen Drohne in der Art gestört werden, daß sich teilweise weib- liche Organisationsverhältnisse niit einmengen, durch welche unvollkommene Befruchtung die oben erwähnten verschiedenen Grade von Zwitter- formen zustande kommen." Hätte v. Siebold bereits die genaueren Vorgänge bei der Befruch- tung des Bieneneies gekannt, so hätte er den Gyn- andromorphismus der Bienen vielleicht in der Weise erklärt, wie es später Boveri getan hat, denn auch dieser rechnet mit einer unvollkommenen Befruchtung. Ehe wir uns aber der Boveri 'sehen Hypo- these und einigen verwandten Erklärungsversuchen zuwenden, wollen wir noch einen ebenfalls mo- dernen Erklärungsveisuch der Entstehung der Zwitterbienen besprechen, wenn wir ihn auch als verfehlt bezeichnen müssen. Wheeler') geht von der Annahme aus, daß die Bienenkönigin zwei verschiedene Sorten von Eiern produziert, männliche und weibliche. Be- reits die jungen Oocyten sind nach seiner Ansicht geschlechtlich determiniert. Verschmelzen nun zwei Oocyten verschiedenen Geschlechtes, so soll ein gynandromorphes Individuum aus diesem zu- sammengesetzten Ei entstehen. Je nach der Rich- tung, in der die beiden Oocyten verschmolzen sind, sollen sich laterale, frontale, transversale Gyn- andromorphen entwickeln, gemischte Zwitter wer- den erzeugt, wenn die beiden verschmolzenen Oocyten sich mosaikartig durchdringen. Ganz abgesehen von schwerwiegenden Bedenken cyto- logischer Natur, die sich der W he el er 'sehen Hypothese entgegenstellen, ist auch die Annahme, von derWheeler ausgeht, gänzlich falsch. Er ist nicht der erste, der die Existenz männlicher und weiblicher Eier bei der Honigbiene postu- liert, aber auch schon vor ihm ist die Haltlosig- keit dieser Annahme vollkommen einwandfrei dar- gelegt worden. Die Beweise, daß die Bienen- königin nur eine Sorte von Eiern hervorbringt, und daß Befruchtung oder Nichtbefruchtung bei den Bienen über das Geschlecht entscheidet, sind so zahlreich, daß ich sie hier nicht alle erörtern kann. Die Erscheinungen der primären und sekun- dären Drohnenbrütigkeit, des Verhalten der Kö- nigin bei der Eiablage, die Ergebnisse der cyto- logischen Beobachtungen sind einige Glieder aus der Beweiskette dafür, daß das Geschlecht bei den Bienen weder progam noch metagam — wie erst kürzlich wieder behauptet wurde — sondern ') Wheeler, W. M., Tlic effects of par.isitic .-ind other kinds of castraüon in insects. Journ. of exp. Zoöl., Vol. S, 1910. 774 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 50 syngam, d. h. mit der Befruchtung, kurz nach der Ablage des Eies, bestimmt wird. Damit steht und fällt aber VVheeler's Hypothese. Boveri, Morgan und Lang nehmen denn auch die syngame Geschlechtsbestimmungsweise bei der Honigbiene zum Ausgangspunkte ihrer Hypothesen und suchen, ein jeder in anderer Weise, in anormalen Befruchtungsprozessen die Ursache zur Entstehung der Zwitterbienen. An der Hand dreier Schemata können wir uns die drei Erklärungsversuche veranschaulichen (F"ig. 13 bis 15). Fig. 13. Schema zur Veranschaulichung des Boveri 'sehen Erklärungsversuchs. Die väterlichen Chromosomen schwarz , die mütterlichen querschraffiert dargestellt. M — M die erste Furchungsebene, von der angenommen wird, daß sie der späteren Medianebene entspricht. (Nach Lang.) Fig. 14. Schema zur Veranschaulichung des Morgan'schen Erklärungsversuches, Bezeichnung wie in Fig. 13. (Nach Lang.) Bereits im Jahre 1888 hatte sich Boveri*) zu dem Problem geäußert. Beobachtungen über par- tielle Befruchtung bei Seeigeleiern unter gewissen abnormen Bedingungen, die er damals machte, veranlaßten ihn zur Aufstellung seiner Hypothese. Der Spermakern vereinigte sich in diesen Seeigel- eiern nicht mit dem Eikern, sondern der Eikern teilte sich parthcnogenetisch, der Spermakern ge- langte ungeteilt in die eine der beiden Biasto- meren und vereinigte sich erst jetzt mit dem Kern dieser Elastomere. In dieser Weise partiell be- fruchtete Eier können normale Larven liefern, die jedoch in einem Teil ihrer Zellkerne nur mütter- liches Chromatin enthalten. Was müssen wir er- warten, wenn im Bienenei eine derartige Unregel- *) Boveri, Th., Die Vorgänge der Zellteilung und Be- fruchtung in ihrer Beziehung zur Vererbungsfrage. Beitr. z. Anthropologie u. Urgeschichte Bayerns, 1888. mäßigkeit bei der Befruchtung vorkommt? Das Bienenei macht seine Reifungstfilungen erst nach dem Eindringen des Spermatozoons durch. Wäh- rend dieses sich in den männlichen Vorkern um- wandelt, schnürt der Eikern seine beiden Richtungs- körper ab. Nach der Bildung des weiblichen Vorkerties beginnt dieser ins Eiinnere zu wandern und trift't hier alsbald auf einen männlichen Vor- kern, mit dem er sich zum Furchungskern ver- einigt. Aus irgendwelchen Gründen könnte nun aber gelegentlich die Reifung vor der Besamung des Eies erfolgen oder die Umbildung des Spermakopfes in den männlichen Vorkern sich verzögern (Fig. 13a), so daß der Eikern Gelegenheit hätte, eine parthenogenetische Entwicklung zu beginnen, sich vielleicht mehrere Male zu teilen, ehe einer von seinen Abkömm- lingen mit dem Spermakern verschmilzt. In dem Schema (Fig- 13) wird angenommen, daß der Spermakern sich mit dem einen der beiden ersten Furchung.skerne (dem links ge- legenen in den Fig. 13 b u. c) vereinigt. So erhält der linke Furchungskern die diploide Chromosomenzahl, also die Chromosomengarnitur, die für das weibliche Geschlecht cha- rakteristisch ist, während der rechte nur mütterliche Chromo- somen, d. h. die Garnitur des Männchens, besitzt. Alle aus der rechten Blastomere hervor- gehenden Teile werden nur Eigenschaften der Mutter erben aber männlichen Geschlechtes sein. Nehmen wir an, daß die erste Furchungsebene (M — M) der späteren Medianebene ent- spricht, so müßte aus diesem Ei ein „Halbseiten- zwitter" hervorgehen. Werden aber die Furchungs- kerne bei der Bildung des Blastoderms regellos verteilt, so wäre ein mosaikgynandromorphes Individuum das Resultat. Vergleichen wir hiermit Morgan's") Er- klärungsversuch (Fig. 14). Bei Insekten ist die physiologische Polyspermie keine seltene Erschei- nung, d. h. es dringen häufig mehrere Spermato- zoen in ein Ei ein, ohne daß dadurch — wie bei vielen anderen Tieren — eine abnormale Entwick- lung hervorgerufen wird. In einem eben abge- legten Bienenei findet man meist 3—7 Spermato- ") Morgan, T. H., An alternative inlerpretation of the origin of gynandromorphous insecls. Science, N. S. Vol. 21, 1905. — — , Hybridology and gynandroraorphism. Amer. Nat., Vol. 43, 1909. , Heredity and sex. New York, 1913. N. F. XIV. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 775 zoen — sofern es sich um ein „Arbeiterinnenei" handelt — , bisweilen ist die Zahl der eindringen- den Samenfäden noch größer. Der dem Eikern zunächst liegende Spermakern kopuliert mit diesem, die übrigen Spermakerne wandeln sich zwar auch in männliche Vorkerne um, gehen aber normaler- weise während der ersten Furchungsteilungen, in der Regel, nachdem sie selbst den Versuch zu einer Teilung unternommen haben, zugrunde. Nun könnten aber, meint Morgan, aus uns un- bekannten Gründen die überzähligen Spermato- zoen gelegentlich nicht zugrunde gehen, sondern sich normal furchen und an der Entwicklung teil- nehmen. Den einfachsten Fall, die Teilnahme eines überzähligen Spermatozoons, zeigt Fig. 14. Das Ergebnis ist das gleiche wie in Fig. 13: der linke Furchungskern hat die Chromosomen- garnitur des Weibchens, der rechte die des Männ- chens, wieder würde ein „Halbseitenzwitter" ent- stehen, wenn M — M der späteren Medianebene entspricht. Aber e i n wichtiger Unterschied be- steht zwischen diesen beiden Zwittern : bei dem einen — bei Boveri's Zwitter — • besitzt die männliche Hälfte nur mütterliche Charaktere, bei dem anderen nur väterliche, da ja die Ver- erbungsträger dieser Hälfte, die Chromosomen, sämtlich vom Vater herrühren. M Fig. 15. Schema zur Veranscliaulichung des Lang' sehen Erklärungsversuches. Bezeichnung wie in Fig. 13. (Nach Lang.) Mit einer Befruchtungsanomalie wieder anderer Art rechnet endlich Lang.'") Bei vielen Insekten werden zwei Sorten von Spermatozoen gebildet, weibchenbestimmende und männchenbestimmende, die sich durch verschiedenen Chromosomenbestand unterscheiden. Die männchenbeslimmenden Chro- mosomen haben häufig ein Chromosom weniger als die weibchenbestimmenden. So wird in dem in Fig. 15 schematisch dargestellten Falle ange- nommen, daß das weibchenbestimmende Sperma- tozoon 4 Chromosomen besitzt, das männchen- bestimmende nur 3, ihm fehlt, wie man sagt, das — nicht selten auffallend große — - ,, Geschlechts- chromosom". Da alle Eier das Geschlechts- chromosom enthalten, sind im weiblichen Indi- viduum alle Kerne mit 2, im männlichen alle mit einem solchen Chromosom ausgestattet. Die ") Lang, A., l. c. Lang 'sehe Erklärungsweise des Gynandromor- phismus ist nun in gewisser Hinsicht eine Kom- bmation der Erklärungsversuche von B o v e r i und Morgan. Der Eikern teilt sich zunächst parthenogenetisch , sodann aber nehmen zwei Spermatozoen an der weiteren Entwicklung teil. Mit dem einen Furchungskern vereinigt sich ein weibchenbestimmender Spermakern, mit dem an- deren ein männchenbestimmender (Fig. 15 a). Wieder erhalten wir, wenn M — M der späteren Medianebene entspricht, einen „Halbseitenzwitter", der aber im Gegensatz zu Boveri's und Mor- gan's Zwittern in allen seinen Teilen mütterliche und väterliche Eigenschaften aufweisen kann, denn alle Kerne enthalten Chromosomen von der Mutter und vom Vater, die Befruchtung erfolgte zwar verspätet, war aber total. Der Lang'sche Erklärungsversuch kann in- dessen für die Zwitterbiene keine Gültigkeit haben, denn ebensowenig wie bei den Bienen zwei Sorten von Eiern gebildet werden, entstehen männchen- und weibchenbestimmende Spermatozoen. Die zur Bildung verschiedenweriiger Samenfäden führende Reduktionsteilung unterbleibt in der Spermatogenese der Bienen, sie muß unterbleiben, da den Drohnen ja nur die haploide Chromo- somenzahl gegeben ist. Auch die Schmetterlings- zwitter, an deren Entstehung Lang bei Aufstel- lung seiner Hypothese wohl in erster Linie ge- dacht hat, können wahrscheinlich nicht durch diese Hypothese erklärt werden, denn es scheint, daß bei den Schmetterlingen im Gegensatz zu den meisten Insekten zwei Sorten von Eiern existieren, daß aber alle Spermatozoen gleich sind.*) Die Hypothesen Boveri's und Morgan's haben, von einem allgemein cytologischen Stand- punkte aus betrachtet, ziemlich gleiche Wahr- scheinlichkeit für sich. Das verschiedene Aus- sehen der Gynandromorphen , das Ütierwiegen bald der männlichen bald der weiblichen Bezirke vermögen sie gleich gut zu erklären. Wenn erst nach mehreren parthenogenetischen Teilungen des Eikernes ein Spermakern mit einem der Ab- kömmlinge des Eikernes verschmilzt (Boveri), so wird ebenso eine Drohne mit mehr oder weniger schwachem weiblichen Einschlag ent- stehen, wie wenn von Anfang an eine größere Zahl von Spermakernen neben dem durch Am- phimixis entstandenen Furchungskern an der Ent- wicklung teilnimmt (Morgan). Ist der Zwitter weiblich mit männlichem Einschlag, so ist er nach Boveri aus einem Ei hervorgegangen, dessen erste Furchungskerne sich in der Mehrzahl noch mit Spermakernen vereinigt haben, nach Morgan aus einem Ei, in dem nur ein überzähliger Sperma- kern oder doch nur recht wenige und diese erst verhältnismäßig spät sich an der Entwicklung be- teiligt haben. Boveri gedachte zunächst durch Unter- *) Wenigstens hinsichllich ihrer geschlechtsbestimmenden Wirkung. 776 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 50 suchung der Kerne in den männlichen und weilj- lichen Teilen der Zwitter seine Hypothese zu prüfen. Bei Seeigellarven ist nach Boveri's Untersuchungen die Größe der Kerne proportional der in ihnen enthaltenen Chromosomenzahl. Da in den letzten Jahren festgestellt werden konnte, daß auch für Amphibienlarven diese Regel gilt, so konnte man vermuten, daß sie vielleicht allge- meine Gültigkeit habe, daß also auch bei den Bienen diploide Kerne eine doppelt so große Oberfläche besitzen wie haploide. Dem ist in- dessen nicht so. Maria Oehninger ^'), eben- falls eine Schülerin Boveri's, untersuchte ver- gleichend die Kerne von Drohne und Arbeiterin aus verschiedenen Organen. Haben die entspre- chenden Organe in beiden Geschlechtern gleiche Funktion, so ist auch die Kerngröße die gleiche. Wird aber das Organ in dem einen Geschlecht stärker beansprucht, so sind auch hier die Kerne größer als in dem anderen. So haben z. B. die F"acettenaugen der Drohne größere Kerne als die der Arbeiterin. ,,Eine erblich fixierte," sagt Bo- veri, „für verschiedene Organe ungemein ver- schiedene Zell große verursacht im diploiden wie im haploiden Kern ein dort schwächeres, hier stärkeres Chromatinwachstum, bis in beiden Fällen die nämliche Kernmenge erreicht ist." Hinsicht- lich der Größe der Furchungskerne in Drohnen- und Arbeiterinneneiern bin ich *^) zu dem gleichen Resultat gekommen wie M. O e h n i n g e r. Die Furchungskerne unterscheiden sich allerdings noch durch die Chromosomenzahl, aber in den Kernen des voll entwickelten Individuums scheint dieser Unterschied auch nicht mehr zu bestehen. Im Laufe der Entwicklung zerfallen die Chromosomen sowohl im Arbeiterinnen- wie auch im Drohnenei in geringerwertige Elemente. Das stärkere Chro- matinwachstum im haploiden Kern hat offenbar auch einen stärkeren Zerfall der Chromosomen zur Folge. Wenn wir daher schließlich in di- ploiden wie haploiden Kernen gleich viele Chromo- somen finden, so müssen zwei Chromosomen des haploiden Kernes einem des diploiden gleich- wertig sein, ist auch ihr Gesamtvolumen unge- fähr doppelt so groß wie das des einen Chro- mosoms. Gesetzt jedoch, die Untersuchung der Kern- größen hätte zu positiven Resultaten geführt, so wäre damit zwar eine wichtige Tatsache gewonnen gewesen, sie hätte indessen nicht genügt zur Ent- scheidung der Frage, ob die Eugster'schen Zwitterbienen nach dem Boveri 'sehen oder dem Morgan'schen Modus entstanden sind. Es gibt einen Weg, eine Antwort auf diese Frage zu er- halten, und dieser Weg hat Boveri denn auch zum Ziele geführt. Angedeutet wurde er bereits bei der Besprechung der beiden Hypothesen. ") Oehninger, Maria, Über Kerngrößcn bei Bienen. Vcrh. d. phys.-mcd. Ges. zu Würzburg, N. F. 42. Bd., 1913. '*) Nach tsh eim, H, Cytologische Studien über die Geschlechtsbestiramung bei der Honigbiene (Apis mcUifica L.). Arch. f. Zellforsch., II. Bd., 1913. Boveri's Zwitter können in ihren männ- lichen Teilen nur Erbeigenschaften der Mutter aufweisen, Morgan's Zwitter nur solche des Vaters. Wenn die Zwitter das Produkt einer Rassenkreuzung sind — und das ist bei den Eugster'schen Zwitterbienen der Fall — , dann können nur die weiblichen Teile gemischt- rassig, die männlichen aber müssen reinrassig sein. Die Königin des Eugster'schen Stockes war nach v. Siebold eine reine Italienerin (Apis mellificaligustica). „Sie mußte sich mit einer deutschen Drohne (Apis mellifica-mellifica) be- gattet haben, da sich außer reinen italienischen Arbeitern auch noch viele Bastardarbeiter von verschiedenen Abstufungen in demselben Stocke befanden, während die Drohnen dieses Stockes ihre reine italienische Abkunft verrieten." Die beiden Rassen mellifica und ligustica besitzen in F'ärbung und Zeichnung charakteristische Ver- schiedenheiten. Die Entscheidung der Frage, ob die männlichen Teile der Zwitter reinrassig sind, war indessen nicht leicht. Einmal sind die seit mehr als 50 Jahren in Spiritus liegenden Bienen sehr stark gebleicht und daher die Färbungsdift'e- renzen nicht mehr so deutlich wie bei lebenden Tieren, und andererseits erwiesen sich die bisher gegebenen Diagnosen der beiden Rassen als gänz- lich ungenügend. So mußten zunächst die Rassen- eigentümlichkeiten festgestellt werden und dann frische Tiere, um sie mit den Spiritusexemplaren vergleichen zu können, künstlich aufgehellt wer- den. Die Mühe war nicht vergebens. Das Re- sultat ist vollkommen eindeutig: die männ- lichen Teile der Zwitter sind Teile einer reinen ligustica-Drohne, sind also der Mutter ähnlich, wie es Boveri's Hypothese verlangt. Seinen ausführlichen Beschreibungen fügt Boveri noch zwei bunte Tafeln bei, auf denen Teile der Zwitter den entsprechenden Teilen der beiden Rassen gegenübergestellt sind. Sie dürften zusammen mit der Beschreibung auch den größten Skeptiker überzeugen. Können wir somit auf Gruntl dieser Unter- suchungen kaum noch daran zweifeln, daß die Zwitterbienen einer partiellen Befruchtung ihre Entstehung verdanken, so erhebt sich doch zum Schluß noch die Frage, weshalb gerade in den Eiern der Eugster'schen Bienenkönigin diese Abnormität so häufig war. Boveri läßt diese Frage offen. Auch die Tatsache, daß nach Sie- bold's Mitteilungen eine Tochter der Zwitier- mutter ebenfalls Zwitter erzeugte, scheint ihm keine weiteren Schlüsse zuzulassen. Verschiedent- lich habe ich der Ansicht Ausdruck gegeben ^■'), daß gerade die Bastardierung den Anlaß zu der häufigen abnormalen Befruchtung gegeben hat. Auch die von v. Engel hardt untersuchten Zwitterbienen waren Bastarde; sie stammten ,,von einer italienischen Königin ab, die von einheimi- ") Zuletzt in eincna Referat im Biol. Centralbl., 35. Bd., 1915. P- 332 f. N. F. XIV. Nr 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. m sehen Drohnen befruchtet worden war". Man könnte einwenden, daß bei der so häufig statt- findenden Kreuzung von Bienenrassen Zwitter dann öfters entstehen müßten. Sie mögen auch in Wirklichkeit öfters auftreten als uns bekannt ist; im allgemeinen haben ja die Bienenzüchter die Gewohnheit, nicht normal sich verhaltende Köni- ginnen gleich zu entfernen und durch normale zu ersetzen, und so kommen derartige Anomalitäten meist leider nicht in wissenschaftliche Hände. Viel- leicht ist die Befruchtung aber besonders dann leicht anomal, wenn die zur Kreuzung kommen- den Individuen zufällig extreme Varianten (Mu- tanten ?) der betreffenden Rassen waren. Das Spermatozoon vermag sich in dem „fremden" Ei zwar in einen männlichen Vorkern umzuwandeln, braucht aber längere Zeit hierzu als gewöhnlich, so daß der weibliche Vorkern die Möglichkeit er- hält, eine parthenogenetische Entwicklung zu be- ginnen. ,,Neue, den modernen Forderungen ge- nügende Kreuzungsversuche zwischen deutschen und italienischen Bienen stellen ein Postulat dar", sagt Boveri mit vollem Recht. Hoffentlich wer- den diese Experimente neben anderen wichtigen Resultaten auch über die Entstehung der Zwitter- bienen noch einiges zutage fördern. Theodor Boveri j. Die oben besprochene Arbeit Boveri 's sollte leider seine letzte sein. Viel zu früh, im Alter von 53 Jahren, ist er uns am 15. Oktober plötz- lich und unerwartet entrissen worden. Noch manche wertvolle Gabe hätten wir von ihm er- warten dürfen. Das Lebenswerk des großen Forschers vermag ich in den wenigen Sätzen, die ich bei der Korrektur meinem Aufsatze noch hin- zufügen kann, nicht auch nur zu skizzieren.*) Ein paar kurze persönliche Bemerkungen seien ihm aber als Nachruf an dieser Stelle noch ge- widmet. Die klassischen Arbeiten Boveri 's über die Befruchtungsvorgänge bei Ascaris und bei Seeigeln waren es, die zuerst nachhaltiges Interesse für die Cytologie in mir wachriefen. Und so wird es manchem ergangen sein. Mit wahrer Begeisterung vertieften wir Studenten uns i'i die „Zeileiistudien", und das Erscheinen einer neuen Arbeit Boveri 's wurde von uns Jüngeren geradezu als festliches Ereignis gefeiert. Ein aus- gezeigneter Beobachter, ein genialer Experimen- tator, ein geistreicher Theoretiker, der indessen den Boden der Tatsachen niemals unter den Füßen verlor, ein Meister der Sprache, ein trefflicher Zeichner, ein scharfer Kritiker, sowohl gegen sich selbst wie anderen gegenüber, stets vornehm aber in der Polemik — so steht Boveri vor uns. Seine Arbeiten, von der ersten bis zur letzten, werden in jeder Hinsicht stets musterhaft für uns bleiben. Möge er würdige Nachfolger in der deutschen Wissenschaft finden! Manch einer der Besten freilich, die erfolgreich Boveri's Bahnen be- schritten hatten, hat sein junges Leben bereits dem Vaterlande geopfert — ich nenne nurKautzsch, die Brüder Mulsow — , aber wir dürfen wohl hoffen, daß nach dem Kriege die vielen Lücken bald durch neue Kräfte ausgefüllt werden, die das Werk des großen Meisters der experimentellen Zellforschung in würdiger Weise weiterführen helfen! Nachtsheim. *) In einem besonderen Aufsatze soll das Lebenswerk Boveri's noch eingehend gewürdigt werden. Germanen als Staatenbildiier auf nichtgermanischem Boden. [Nachdruck verboten.] Von Th. Was in dem jetzt tobenden Kriege den Mittel- mächten zu einem großen Teile ihre überlegene Kraft verleiht, was sie in den Stand setzt, dem Angriffe der drei größten Weltreiche, die es je- mals gegeben hat, nicht bloß zu trotzen, sondern auch ihre Fahnen siegreich tief in das Land der Feinde zu tragen, das ist die außerordentliche organisatorische Befähigung, die neben vielen an- deren wertvollen Eigenschaften der nordischen Rasse zukommt und damit auch den Deutschen, die trotz aller Kämpfe der letzten Jahrzehnte doch auch im verbündeten Österreich das eigent- liche Kernvolk sind, das den ganzen Staat zu- sammenhält. Diese organisatorische Befähigung der Rasse erkennen wir ja auch bei unseren Feinden, unter denen nur die ebenfalls germani- schen Engländer organisatorische Erfolge aufzu- weisen haben, die sich mit den unsrigen einiger- maßen vergleichen lassen. Diese organisatorische Befähigung der nordi sehen Rasse oder, wie wir sie mit vollem Recht nennen können, der Germanen, zeigt sich auch in ihrer außerordentlichen staatenbildenden Kraft. Nicht bloß unter sich haben sie sich durchweg früh staatlich gegliedert, auch unter den um sie herumsitzenden Völkern anderer Rasse haben sie im Laufe der Geschichte immer wieder zu Staaten- gründungen Anlaß gegeben, mögen wir nun auf die kleinwüchsige, rundköpfige alpine Rasse im Gebiete der Alpen, in Oberitalien und in Frank- reich blicken oder auf die langschädeligen Iberer der Pyrenäen- und der Apenninenhalbinsel, auf die hochgewachsenen dunkeln Rundköpfe der dinarischen Rasse der Balkanhalbinsel oder auf die blonde östliche im Gebiete des europäischen Rußland. Aus ihrer Heimat in der L^mgebung der Ost- see sind schon seit Jahrtausenden germanische Völkerwellen nach dem Süden hin geflutet und haben den dort ansässigen Völkern immer wieder Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 50 jugendkräftige Elemente zugeführt, den Grund gelegt zu glänzender kultureller und staatlicher Entwicklung. Nur über die letzten dieser Wande- rungen sind wir etwas genauer unterrichtet, weil sie in eine Zeit fielen, in der die mittelmeerische Kultur schon eine hohe Stufe erreicht hatte. Je weiter wir zurückgehen, um so mehr verschwinden diese Wanderungen im Dunkel der Vorgeschichte und nur vereinzelte Lichtblitze geben uns darin .•Inhalt über die Vorgänge, die sich damals ab- gespielt haben. Die erste germanische Wanderung, von der wir durch die Geschichte erfahren, ist die der Arier. Sie führte die Stämme zunächst nach Südrußland und Westturkestan, wo uns noch in der Griechen- und Römerzeit iranische Stämme in den Skythen und Sarmaten begegnen, von denen es besonders die Sokoloten zwischen Kar- pathen und Don zur Bildung eines größeren Staates brachten. Weiterhin verbreiteten sie sich über Armenien und Iran, wo sie die alte rund- köpfige alarodische Bevölkerung sich unterwarfen und mit ihr verschinolzen. Noch heute ."-ind ja die Armenier der Sprache nach wohl indogerma- nisch, der Körperbildung nach aber immer noch alarodisch. Hier sind als germanische Staaten- gebilde besonders die Reiche der Armenier, der Meder, Perser und Parther zu bezeichnen, von denen besonders die drei letzten Jahrhunderte hindurch auf den Rang von Großmächten An- spruch hatten. Endlich drangen die Arier, wahr- scheinlich um 4000 V. Chr., über das Pandschab in Indien ein und setzten sich unter dessen dra- widischer Urbevölkerung fest. Wohl konnten sie auch hier die Urbevölkerueg nicht einfach ver- drängen. Die Hauptmasse des Volkes in den unteren Kasten ist auch heute noch nur sprach- lich arisch. .Aber in den höheren Kasten der Brahminen und der Kschatrijas, der Krieger, er- hielten sie sich doch bis zu einem gewissen Grade unvermischt, was auch an der helleren Farbe der Angehörigen dieser Kasten zu erkennen ist, und diese Kasten waren es, die die Träger der Staatenbildung in Hindustan und Dekhan bis in die Gegenwart gewesen sind. Aus den nächsten zweitausend Jahren sind wir über germanische Wanderungen nicht unter- richtet. Erst im zweiten Jahrtausend begegnet uns wieder eine solche nach Südeuropa flutende Völkerwelle, die erst an . den Toren Ägyptens Halt machte. Sie führte etwa in der Zeit von 1800 — 1 100 v.Chr. zahlreiche nordische Stämme nach Italien, der Balkanhalbinsel und nach Klein- asien und ließ durch ihre Verschmelzung mit deren Urbevölkerung im ersten die Italiker mit den Latinern und Sabellern entstehen, auf der Balkanhalbinsel im Süden die Griechen, im Westen die am wenigsten germanisch beeinflußten Illyrer, im Osten die Thraker, während sich über den Norden und die Mitte von Kleinasien die thrakischen und ]3hr)'gischen Völker bis an die Grenzen von Armenien hin ausbreiteten. Diese germanischen Scharen, die als Fürsten und Edle unter den kleinwüchsigen Miitelmeer- anwohnern saßen, wurden dann die Träger der klassischen Kultur und der klassischen Staaten- bildung. Berichtet uns doch schon Homer von vielen seiner Haupthelden, wie von Achilles, Odys- seus, Menelaos. daß sie blond gewesen seien, also germanischen Typus zeigten. Und wenn diese Helden auch keine geschichtlichen Personen sein dürften, so sind sie doch Typen für die alten Hellenen, die grundverschieden von den Typen waren, die uns heute am Miitelmeere begegnen. Alle die Staaten, die uns so in der griechischen Sage und Geschichte entgegentreten, wie Troja, Kreta, Orchomenos, Athen, Argos, Sparta u.a. sind so als germanische Gründungen zu be- trachten, und es verdient besondere Beachtung, daß die kräftigsten Staaten von den Stämmen gegründet wurden, die zuletzt nach dem Süden wanderten und sich darum den germanischen Charakter am reinsten bewahrten, von der Dorern, besonders denen von Sparta, oder die mehr im Norden ansässig blieben wie die Mazedonier. Je mehr sich durch die inneren Kämpfe, besonders durch den unseligen peloponnesischen Krieg, diese germanische Kriegerkaste aufrieb und die Urbe- völkerung wieder mehr hervortrat, um so mehr ging die staatenbildende und staatenerhaltende Kraft des Griechenvolkes zurück. Ein Jahrhundert schon nach den glänzenden Zeiten der Perser- kriege und des Perikles erlag Athen mit den meisten anderen griechischen Städten den jugend- frischen Mazedoniern und auch die Spartaner waren um diese Zeit schon weit von ihrer Höhe herabgesunken. Geradezu kläglich stand das Griechenvolk in den nächsten Jahrhunderten der Römerherrschaft und der Byzantiner da. Genau die gleiche Entwicklung beobachten wir auch auf i t alieni sc he m Boden. Auch hier brachten es Latiner wie Sabeller schon früh zur Bildung lebenskräftiger Staaten, von denen schließ- lich Rom die Oberhand gewann. In ihm zeigte sich die staatenbildende Kraft dieser germanischen Völkerwelle in höchster Vollendung. Auch hier rieben sich freilich die edlen Geschlechter auf, ähnlich wie in Griechenland. Daß dies nicht so rasch die gleichen verhängnisvollen P'olgen hatte, wie dort, rührt daher, daß Rom es immer recht- zeitig verstand, dem zu klein gewordenen Kreise der herrschenden Geschlechter neues Blut aus den neuerworbenen Provinzen zuzuführen, wobei be- sonders wieder germanische Elemente in Frage kamen, zuerst die verschiedenen Italiker und dann die Bürger hauptsächlich aus den europäischen Provinzen. Gerade eine ganze Anzahl der her- vorragendsten Kaiser sind so aus diesen hervor- gegangen. So war z. B. Trajan, unter dem Rom den Höhepunkt seiner Machtstellung erreichte, ein Spanier. Natürlich konnte dies nur so lange von Vorteil sein, als die neuen Elemente mit dem alten Volke verschmolzen. Sobald sie sich nicht mehr rasch genug romanisieren ließen, weil sie N. F. XIV. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 779 in zu großer Menge vorhanden waren, mußte schließlich der römische Staat ebenso zusammen- brechen, wie dies vor ihm die griechisch-mazedoni- schen Siaatengebilde getan hatten. Der griechich-thrakisch-italischen Wanderung im zweiten vorchristlichen Jahrtausend folgte die keltische im ersten. Auch sie führte wieder blonde germanische Elemente nach dem Süden und Westen Europas, zunächst nach Süddeutsch- land und Frankreich, und von hier aus nach Großbritannien und Irland, nach Spanien, nach Oberitalien , nach Slavonien und Serbien und selbst nach Kleinasien hinüber. Wie bei den Griechen und Italikern kam es bei ihnen zunächst zur Bildung kleiner Stammstaaten. Größere Staatengebilde konnten sich allerdings nicht aus- bilden, da diese Entwicklung durch die Erobe- rungen der Römer unterbrochen wurde., die in fast allen keltischen Gebieten sich festsetzen, noch ehe sie zu einiger politischer Geschlossenheit ge- langt waren. Immerhin finden wir zu Cäsars Zeiten in Frankreich schon einige Ansätze zur Bildung größerer Staaten. So erstreckte sich das Reich der Aeduer über Lyonnais, Bourbonnais, Nivernais und Bourgogne, aKo von Lyon bis in die Nähe von Sens und Troyes, und ähnlich groß waren die Staaten der Arverner im französischen Zentralplateau und der Sequaner im oberen Saöne- und im Doubsgebiete. Aber wenn diese Kelten auch nicht selbst zur Bildung größerer Staaten kamen, so haben sie um so größeren Einfluß auf Rom gehabt. Sie trugen ganz besonders zur Ver- jüngung des Römertums bei, das im Hauptkelten- lande, in Gallien, seine festeste Stütze sah, in dem es sich auch am längsten behaupten konnte. In derselben Zeit, in der die Kelten vom Ost- seegebiete nach Südwesten zogen, dürften auch die Urs la wen aufgebrochen sein, die sich zu- nächst im westlichen Rußland von der Weichsel ostwärts ansiedelten. Diese alten „Veneder" zeigten auch noch germanischen Typus. Wie dieser bei den Kelten durch die Vermischung mit der iberischen und der alpinen Rasse nach und nach verschwand, so bei den Slawen durch die Vermengung mit der rundköpfigen östlichen Rasse. Auch die Slawen haben es für sich allein nur zur Bildung weniger Staaten gebracht. In erster Linie wäre der Staat der Polen zu erwähnen, der, zwi- schen Sudeten und Weichsel entstanden, um das Jahr 1000 n. Chr. eine erhebliche Machtstellung einnahm. Noch früher war das großmährische Reich des Svatopluk entstanden, das am Ende des 9. Jahrhunderts auf kurze Zeit auch Böhmen, Westungarn und Kroatien mit umfaßt. Sonst kommen nur die Staaten der Kroaten in Kroatien und Westbosnien, die der Slowenen in Slavonien und der Serben in Ostbosnien und Serbien in Betracht, während das besonders um 900 und dann wieder um 1200 mächtige Reich der Donau- bulgaren keine slawische, sondern eine türkische Gründung war. Auch von den anderen Gründungen standen mindestens die Polens und Mährens stark unter deutschem Einflüsse. Besonders zahlreiche germanische Staaten- gründungen auf fremden Boden brachte die große Völkerwanderung mit sich, die das Römerreich endgültig in Trümmer schlug. Ihnen wenden wir uns nunmehr zu. Eine ganze Reihe germanischer Staaten auf nichtdeutscher Bevölkerungsgrundlage entstanden in Italien, wo ja schon in den letzten Jahr- zehnten der Römerherrschaft Deutsche im Staats- leben eine hervorragende Rolle gespielt hatten. War es doch der Vandale Stilicho, der nach dem Tode des letzten allrömischen Kaisers Theodosius des Großen unter dessen schwachem Sohne Ho- norius von 395 — 408 die Geschicke Westroms lenkte und in dieser Zeit zweimal Rom vor der Vernichtung durch die Germanen rettete, indem er 403 die Westgoten an den Grenzen Italiens zur Umkehr zwang und drei Jahre später die zahllosen Scharen des Radagais bezwang. Seine Ermordung lieferte das Reich wehrlos dem An- stürme der Goten und Vandalen und anderer Völkerschaften aus. Die erste deutsche Staaten- gründung in Italien war die des Odoaker, der, schon vorher in römischen Diensten stehend, sich an der Spitze von Herulern und Rugiern im Jahre 476 zum Herrscher Italiens und der romanischen Alpenländer aufschwang. Wenn auch dem Namen nach sein Reich ein römisches blieb, so wurde doch, wie auch bei späteren Staaten- gründungen dem germanischen Heere ein be- trächtlicher Teil des italienischen Grundeigen- tums, in diesem Falle ein Drittel überwiesen. Ein Staat von viel größerer Selbständigkeit und Ge- schlossenheit war der der Ostgoten, den der große Theoderich 493 nach der Besiegung Odoakers begründete, und der auch noch Westungarn, Bosnien und die Provence mit umfaßte. Gerade in diesem italischen Ostgotenreiche entwickelte sich die germanische Staatsidee zu hoher Blüte, verstand es doch der große König, sich unter den anderen germanischen F"ürsten seiner Zeit eine ausschlaggebende Stellung zu sichern und selbst der fränkische P>oberer Chlodwig mußte sich seiner Macht beugen. Nach den Stürmen der letzten Ka'serzeit schuf er in Italien wieder geordnete, sichere Verhältnisse und brachte das Land zu hoher Blüte. Leider gelang es nach seinem Tode der byzantinischen Hinterlist Un- ruhen und Zwistigkeiten unter den Ostgoten zu schüren und durch deren geschickte Ausnutzung und durch die Aufbietung gewaltiger Scharen von Söldnern aus anderen deutschen Stämmen, diesen glänzendsten aller germanischen Staaten Südeuropas schon 553 wieder zu vernichten. Doch konnte Ostrom sich nur 15 Jahre des so gewonnenen Besitzes erfreuen. Dann brachen die Langobarden ins Land und gründeten den dritten germanischen Staat auf italienischem Boden, der aber nicht die ganze Halbinsel umfaßte, beson- ders nicht die Südspitzen Apulien und Calabrien 78o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 50 und die Insel Sizilien. Über zweihundert Jahre liat dieser langobardische Staat sich selbständig behauptet, bald geschlossen und in hoher Blüte, bald in kleinere Gebiete zersplittert. 774 wurde er von Karl dem Großen unterworfen, doch be- haupteten in Süditalien die Fürstentümer Bene- vent und Salerno ihre Selbständigkeit bis 1077, so daß also die Gesamtdauer der langobardischcn Herrschaft in Italien ein volles halbes Jahrtausend umfaßt. Auch in dem fränkisch gewordenen Nord- und Miitelitalien stand das politische Leben nach wie vor ganz unter dem Einflüsse der lange- bardischen und fränkischen Geschlechter und bis in die Gegenwart haben die am meisten mit langobardischem Blute durchsetzten Italiener der Lombardei und der übrigen Potiefebene die maß- gebende Rolle gespielt. Von ihnen ist ja auch die schließliche Einigung des Landes ausgegangen. Nach der Auflösung der fränkischen Reichseinheit herrschten in Italien zunächst die fränkischen Karo- linger (bis 888). Dann kamen wieder die lango- banJischen Herzöge von Spoleto und Friaul zur Macht und die letzteren behaupteten sich bis 963 als Herren Oberitaliens, bis das ganze Land auf Jahrhunderte unter deutsche Herrschaft kam. Auch in späterer Zeit sind die Begründer des mailändi- schen Herzogtums, die Visconti, aus langobardi- schem Stamme entsprossen. Schon im 11. Jahr- hundert treten sie auf, 1277 erlangen sie die Macht in der Stadt und dehnen ihre Herrschaft bis an den Gardasee und nach Parma aus, 1395 werden sie Herzöge. Auch die Herrscher von Savoyen, auf die das heutige italienische Königs- haus zurückgeht, sind von Haus aus eine deutsche Familie, die ihren ersten Landbesitz in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts erwarb und ihn all- mählich über Piemont und schließlich über ganz Italien ausdehnte. Gehen wir nun nach Nordafrika über, so ist hier das Reich der Vandalen zu erwähnen, das sich von 429 — 533 über Algerien, Tunesien und Tripolitanien, sowie über die Balearen, Kor- sika und Sardinien erstreckte und mit seiner Flotte das ganze westliche Mittelmeer beherrschte. Der Name Vandalen ist leider von einem franzö- sischen Bischöfe zur Bezeichnung von unsinnig verwüstenden Horden geniißbraucht worden und in diesem Sinne in alle Kultursprachen über- gegangen. Doch tut man da einem hochgebil- deten Volke bitteres Unrecht. Die V^erwüstungen, die man den Vandalen in Rom zugeschrieben hat, das sie 455 eroberten, sind vielmehr durch die Streitigkeiten der Römer selbst in ihren mittel- alterlichen Bürgerkriegen verursacht worden und sicherlich haben jene angeblichen „Barbaren" in Rom nicht annähernd so gehaust, wie die „hoch kultivierten" Franzosen Ludwigs XIV. in der Pfalz und anderen deutschen Ländern. Leider waren die Vandalen an Zahl viel zu schwach, um ihr Reich auf die Dauer aufrecht erhalten zu können, auch mußte das Klima Nordafrikas binnen kurzem erschlaffend auf sie wirken. (Schluß folgt.) Einzelberichte. Allgemeine Biologie. Unter Aktivation ist ein Komplex von Vorgängen zu verstehen, welcher sich an die Befruchtung anschließt und mit der Teilung des Eies in Blastomeren, der Furchung, endigt. Wenn ein Spermatozoon in das Ei ein- dringt, setzt es dasselbe in Tätigkeit, und sofort beginnt die Furchung. Wenn man auf d;is Ei des Seeigels Buttersäure einwirken läßt (anfäng- liche Methode der künstlichen Parthenogenese von Loeb), aktiviert diese gleichfalls das Ei, aber un- vollständig, denn die Teilung schlägt fehl. Die Gerbsäure (anfängliche Methode von De läge) ak- tiviert es nicht besser, denn gewisse Erschei- nungen der Aktivation bleiben aus; aber das Ei wird refraktär gegen das Eindringen neuer Sper- matozoen. Diese Veränderung ist bei der normalen Befruchtung definitiv, aber in ihrem Mechanismus noch unklar. Esfragtsich, obnachder durchkünst- liche Parthenogenese hervorgebrachten AktivationdasEindringeneinesSperma- tozoons noch möglich ist. Von diesem Gedanken ausgehend unternahm A. Brächet einige Untersuchungen im Sommer 191 5 an der Stadion von Roscoff, und erstattete Bericht über seine Ergebnisse in der Sitzung der Pariser Akademie der Wissenschaften vom 20. September (Sur l'evolution cyclique du cytoplasme de l'oeuf active. Presentee par Delage. C. R. Ac. sc. Paris Nr. 12). Die Eier des Seeigels (Paracen- trotus lividus) wurden 2 Minuten durchschnittlich 1 m' 45 s" — 2 m' 1 5 s") mit Bultersäure nach der Methode von Loeb behandelt und in 6 Gruppen eingeteilt: I. Die Eier wurden in Seewasser mit dem Sperma des Seeigels zusammengebracht. 60 — 70 "/q bildeten die Befruchtungsmembran und ergaben Plutei. Polyspermie war eine Ausnahme. IL Die Eier kamen in reines Seewasser. Nach weniger als 2 Minuten hatten fast alle eine typische Befruchtungsmembran gebildet. Nach 10 Minuten wurde Sperma zugefügt. Kaum i "/q der Eier wurden befruchtet und F'urchungen hervorgerufen. Alle anderen unterlagen dem Zellverfall, wie er für Buttersäure tj-pisch ist. III. Die Eier blieben in reinem Seewasser, wo fast alle eine Membran bildeten; 20 Minuten später wurde dem Wasser Sperma zugefügt. Das Resultat war genau dasselbe wie bei I. 60 — 70''/o Eier wurden befruchtet und entwickelten sich. N. F. XIV. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. IV. und V. Die Eier blieben 30—40 Minuten in Seewasser bevor die Sperma hinzugefügt wurde. Wie bei Gruppe II wurde nur i "/„ der Eier be- fruchtet; diese teilten sich. VI. Die Eier blieben 50 Minuten im Seewasser. Darauf bildeten nicht allein fast alle ihre Befruch- tungsmembran, sondern um ihren Pronukleus herum erschien die Strahlung, ein Zeichen der partheno- genetischen Einwirkung. Trotzdem wurden nach Hinzufügen von Sperma 60 — 70 ^% der Eier sofort befruchtet und entwickelten sich wie in Gruppe I und III. Das Verweilen im Wasser kann bis auf 70 Minuten verlängert werden, ohne daß sich das Ergebnis änderte. Daraus ist zu folgern: 1. Die Bildung einer Befruchtungsmembran und die Abscheidung von Perivitellinflüssigkeit bilden für die Befruchtung kein ernstliches Hmder- nis. Trotzqjem sind beide schädlich, denn in Gruppe II, IV und V findet man häufig nach dem Hinzu- fügen von Sperma eine größere oder geringere Zahl von mobilen Spermatozoen, deren Bewegungen bald aufhören und die absterben. 2. Die durch Buttersäure aktivierten Seeigel- eier unterliegen in der Zusammensetzung ihres Cytoplasmas zyklischen Veränderungen, die zwei- mal in den ersten 50 Minuten nach ihrem Ein- tauchen ins Seewasser wiederkehren. Am Anfang und am Ende einer jeden Periode ist die Eisubstanz für das Spermatozoon durchgängig und dieses kann die nach der Parthenogenese begonnene Entwicklung vollenden. In den Zwischenzeiten verhält sich das Ei durchaus refraktär und die Spermatozoen, welche in die Perivitellinflüssigkeit gelangen konnten, gehen darin zugrunde. Die Veränderungen, welcke das Ei erfahren hat, seien zyklisch und könnten daher rückgängig gemacht werden. Sie sind mehr physikalischer als chemischer Natur; jedenfalls ist es wenig wahrscheinlich, daß es sich dabei um eine Oxydation handelt. 3. Die Strahlung, welche beständig im See- igelei 50 — 80 Minuten nach der Aktivation auftritt, verhindert nicht die Befruchtung; schon zweimal vorher war dies indessen der Fall gewesen, aber ohne äußerlich sichtbares Zeichen. 4. Bei der normalen Befruchtung schließt die Aktivation den ersten Entwicklungszyklus nicht ab, denn derselbe setzt sich fort in den Erschei- nungen, welche zur Teilung führen; die primäre Inhibition ist aber definitiv und eine nachträgliche Polyspermie unmöglich. 5. Herlant fand, daß die Wirksamkeit in der zweiten Periode bei der Methode von Loeb zwei Optima hat. Dieselben fallen genau zu- sammen mit den zwei Zeitpunkten, welche auf die Aktivation mit Buttersäurc folgen. Ein Ver- such, die Buttersäure nach der Technik von Delage durch Gerbsäure zu ersetzen, glückte nicht, denn die zyklische Entwicklung wie nach Aktivation durch Buttersäure trat nicht ein; sie hat sicher einen anderen Mechanismus als jene durch Buttersäure. Kathariner. Hygiene. F. Bordas und S. Bru er e setzten ihre Versuche fort, welche darauf hinzielen, ein Mittel zu finden, durch das man eine Beschleunigung der Zersetzung der Leichen und Kadaver auf dem Sclilachtteld herbeiführen könnte. Sie wiederholten mit Meerschweinchen die Versuche des Vergrabens in einem künstlichen Misthaufen. In einer früheren Mitteilung (vgl. Nr. 38 N. F. 14. Bd.) hatten sie berichtet über das Verhalten von schon im Embryonalsack verendeten Föten. Zur Wirkung der äußerlich anhängenden Mikroben, die der Umgebung ent- stammen, gesellen sich danach jene hinzu, welche im Verdauungskanal des Tieres nach einer Lebens- zeit von 48 Stunden enthalten waren. Es bestätigte sich, was zu erwarten war. Es wurden Versuche einmal bei der Durchschnittstemperatur des La- boratoriums (16") und gleichzeitig auch im Wärme- schrank (42") angestellt. Dabei zeigte sich, daß beim Zusammenwirken der äußeren und inneren Keime die Zersetzung in der Wärme rascher ver- läuft, und daß dabei die Temperatur einen sehr wichtigen Faktor bildet. Bei der Temperatur des Laboratoriums wurde ein Meerschweinchen von 680 g in 360 Stunden stark angegriffen. Fell und Haare allein blieben übrig und überkleideten bloß noch ein fast vollständig entfleischtes Skelett. Ein vorher 595 g schweres Tier wog dann nur noch 235 g und bestand lediglich aus Haut und Knochen. Gleichzeitig wurde mit einem 600 kg schweren Pferd ein entsprechender Versuch in einem Misthaufen angestellt. In 3 Wochen war das Ergebnis das gleiche. So also zeigten die Verf, daß man durch das Hinzufügen von Flüssig- keiten und festen Körpern, welche Bakterien ent- halten, Urin, Darmbakterien und Mikroben der Zellulosegärung die Zersetzung beschleunigen kann. Um die Rolle zu prüfen, welche jedem Faktor zukommt, wurden in einem Wärmeschrank bei 42** vier Gläser aufgestellt. Jedes enthielt einen 171 g schweren, dem Mutterschweine ent- nommenen Fötus, welcher im Fruchtsack verendet war. Der erste schwamm in einer Flüssigkeit, welche die Fermente der Harngärung enthielt, der zweite in einer solchen mit der Kultur von Darmbakterien, der dritte in einer solchen mit den Mikroorganismen, welche die Zellulosegärung veranlassen, und der vierte in einer Flüssigkeit, welche aus allen drei Sorten zusammengesetzt war. Am Ende von 23 Stunden war i schon mazeriert und nach 45 Stunden völlig verflüssigt; bei 2 dauerte es 69 bzw. 166, bei 3 69 bzw. 99 und bei 4 45 bzw. 69 Stunden. Diese Versuche zeigen ganz deutlich, daß die Harnfermente eine viel energischere Wirkung haben, als alles andere. Auch wurde untersucht, welche Rolle bei der Auflösung unabhängig von den Bazillen selbst die durch sie erzeugten Enzyme spielen. Zu diesem Zwecke wurde aseptische Urease ^) her- *) Urease ist ein Enzym, welcties den Harnstoff in Am moniumkarbonat umsetzt. Der Ref. 782 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XrV. Nr. 50 gestellt, dieselbe mit aseptischen Föten beschickt und die Gffässe auf 38" erwärmt. Daneben wurde ein Testobjekt aufgestellt, das in dieselbe Flüssigkeit nach Kerzenfiltration tauchte, die aber noch alle Fermente enthielt. Am Ende von 21 Stunden hatte die Flüssigkeit, welche die JMikroorganismen einschloß, schon gewirkt, jene, welche keine enthielt, dagegen scheinbar gar nicht. Nach 69 Stunden hatte erstere die 218 g organischer Substanz vollständig aufgelöst, während die Föten, welche in die Flüssigkeit der zweiten Art tauchten, durch dieselbe nur mazeriert er- schienen; ihre Körperform war nach 20 Tagen noch vollständig zu erkennen. Dieser Versuch scheint die Wirkung, welche durch die Urease hervorgebracht wird, sehr einzuschränken. Aber aus gewissen Anzeichen ist zu schließen, daß man bei bestimmten Modifikationen der Versuche ein Ergebnis erhalten würde, welches auf eine größere Wirk.samkeit der Enzyme bei der Ver- flüssigung schließen ließe. VVie dem aber auch sei, in der Wirklichkeit ergänzen sich Mikroorganismen und Urease, um im gleichen Sinne zu wirken. Die Verf. wollten auch feststellen, welche Wirkung den im Innern des Körpers enthaltenen Bazillen zukäme, bei einem Tier, das bereits ge- lebt hat. Zu diesem Zweck wurde ein vor 72 Stunden getötetes Meerschweinchen bei 42" ineinem Wärme- schrankaulbewahrt in einemGefäß, welches 500 cm^ faßte, in einer Flüssigkeit, welche die Fermente der Harngärung enthielt. Gleich in den ersten Stunden zeigte sich eine stürmische Reaktion; es fand eine reichliche Gasentwicklung statt, so daß das Gefäß überlief. Nach 48 Stunden schien die innere Zerstörung vollendet zu sein ; der Ka- daver war nach 120 Stunden vollständig aufgelöst, nur die Haare waren erhalten geblieben ; sie hatten sich losgelöst und schwammen obenauf, während der Körper selbst vollständig verflüssigt war. Zu- sammenfassend kann man sagen: Die Harnfer- mente bewirken zusammen mit Feuchtigkeit und entsprechender Wärme eine raschere Zersetzung der organischen Substanz. (G. C.) Kathariner. Kleinere Mitteilungen. Eiszeitspuren im zentralen Afrika. Wenn wir von der Eiszeit schlechthin sprechen, meinen wir meist die diluviale Vereisungsperiode, die in mehr- fachen Vorstößen des Inlandeises von den beiden Polgebieten aus riesige heute bewohnbare und zum großen Teil von Kulturvölkern bewohnte Gebiete in Eiswüsten verwandelte. Sie hat ihre Spuren bekanntlich nicht nur in den nördlichen und südlichen Regionen, sondern auch an hoch- ragenden Gebirgen und Einzelbergen bis in die äquatoriale Zone hinein hinterlassen, sei es auch großenteils nur als besonders niederschlagsreiche Zeit. Es ist durchaus nicht bekannt genug, daß diese Eiszeit bis in die geologische Gegen- wart hineingreift, vom Menschen noch miterlebt worden ist und eine verhältnismäßig sehr junge geologische Epoche darstellt. Ja man kann an- gesichts der heutigen Pol Vereisungen behaupten, daß die seltsame Kälte- oder Schneeperiode noch nicht ganz zu Ende sei. Wir kennen aber Eiszeitspuren auch aus viel älteren Perioden , freilich keine von gleich erd- umfassendem Umfange. Es- mag dabei auf die eine Folgerung hingewiesen sein, daß eine all- mähliche Abkühlung der Erde im Laufe der Zeiten geologisch keineswegs erkennbar ist. Vielmehr haben wir bei allem Schwanken zwischen heißen und kalten Perioden seit den ältesten klima- tisch deutbaren Ablagerungen mit wesentlich den gleichen Tem[)eiaturverhältnissen zu rechnen wie m jüngerer Vergangenheit. Am besten bekannt und studiert ist diejenige Vereisung, die nachweislich an der Grenze von Karbon und Perm vorneiimlich große Regionen unserer heutigen Südlialbkugcl betroffen hat; ,, heutige", denn die Ursache jener Erscheinung wurde und wird noch von einigen Forschern in einer Verlagerung der Erdachse und somit der Pole gesucht, 'j Maßgebend für diese Mutmaßung ist in erster Linie die nachweisbare Richtung des Eisschubes, die in Indien, Australien, Südafrika im allgemeinen vom Äquator fort führt, also auf ein dort zu suchendes gemeinsames Ausgangs- und Nährgebiet der Vereisung hinweist. Das könnte ja nun freilich auch ein ausgedehntes, hohes Ge- birge gewesen sein. An dem Charakter der Ab- lagerungen ist ein Zweifel nicht mehr möglich. Die geschrammte und glattpolierte L'nterlage, die Blockpackungen alles sind Glazialerscheinungen, wie wir sie auch aus unseren nordischen Diluvium seit langem kennen und verstehen. Es hat sich nun aber herausgestellt, daß auch noch ältere Formationen keineswegs frei von der- artigen Ablagerungen sind. Es ist deshalb nicht jedes glaziale Sediment von einigermaßen hohem Alter ohne weiteres als permokarbonisch anzu- sprechen selbst in Gebieten, die im Bereich jener großen Vereisung gegen Ende des Paläozoikum gelegen sind, in denen also eine entsprechende Entdeckung nicht zu verwundern wäre. Vielmehr sind stets möglichst genaue Erkundungen hin- sichtlich der Eingliederung in schon bekannte Schichtsysteme zu verlangen. Die Erfahrung, wie leicht andernfalls Irrtümer möglich sind, hat man im zentralen Afrika am oberen Kongolaufe machen müssen. Dort sind in sehr kurzen Abständen von ') Ausführlich untersucht und nicht endgültig ablehnend beantwortet wurde diese Frage durch Koken im Festbände des ,, Neuen Jahrb. f. Geol., Min., Paläont." von 1909 (mit schöner Übersiclitskarte). N. F. XIV. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 783 belgischen, amerikanischen, englischen und meh- reren deutschen F"orschern Beobachtungen von eiszeitlichen Spuren in alten Sedimenten gemeldet worden. Da die Unterscheidung der Schichten aus Mangel an Fossilien größten Schwierigkeiten begegnet, wurde die Entdeckung jedesmal freudigst begrüßt. Denn man glaubte nun einen Vergleichs- punkt mit dem wohldurchforschten und bekannten Südafrika zu haben. Fs stellte sich dann aber allmählich die Gewiß- heit heraus, daß die einzelnen F"unde am oberen Kongo einander nicht gleichaltrig sein können, daß also höchstens eine der dort gefundenen glazialen Ab- lagerungen mit dem berühmten permokarbonischen „Dwyka Konglomerat" oder „Tillit" Südafrikas in nähere Beziehungen zu bringen ist, und es erhob sich natürlich die Frage, für welchen der Funde das zutreffen könnte. In einer Betrachtung der hierfür vorhandenen Literatur bin ich zu dem Er- gebnis gelangt, ^) daß wir aus dem östlichen Kongosiaaie Nachrichten über drei getrennte Eis- zeiten haben, von denen nur die mittlere noch für eine Identifizierung mit der Permokarbon- Vereisung in Frage kommen könne. Die zeit- lichen Abstände zwischen den Glazialspuren sind unendlich viel weiter, als etwa zwischen den In- landeis-Vorstößen unseres nordischen Diluviums und nicht mit solchen Schwankungen ein- und derselben großen Epoche zu vergleichen. Viel- mehr müssen wir alle drei als selbständige Er- scheinungen ansprechen, die mehr oder weniger zufällig im gleichen großen Gebiete, nämlich im Bereiche des Lualaba-Stromes, eines der Quellriüsse des Kongo, auftreten. Freilich liegt auch darin gerade eine Parallele zu Südafrika vor, denn auch dort sind in älteren Schicht- systemen sehr schwache vereinzelte Gletscher- spuren unterhalb des permischen Dwyka be- obachtet worden. Dort wie hier sind auch die älteren Vorkommnisse noch höchst lückenhaft bekannt und nicht ohne weiteres als Beweis für wirkliche Kälteperioden, sondern zunächst nur für lokale Gebirgsvergletscherung anzusehen. Völlig abweichend ist im Kongogebiet vor allem das Aker der jüngsien Glazialablagerungen. Sie gehören im Gegensalz zu allen anderen bisher in Afrika bekannt gewordenen schon zum Mesozoikum und dürften an der Wende von Trias und Jura entstanden sein. Wie ich an anderer Stelle '-') aus- geführt habe, können wir auf Grund der bisherigen Beobachtungen um jene Zeit ein großes binnen- afrikanisches Becken annehmen (Afrika natürlich nicht in heutiger Gestaltung verstanden), das in gewisser Hinsicht als Vorläufer des jetzigen Kongo- beckens gelten darf. Es dürfte um eben jene Zeit mit Wasser erfüllt gewesen sein und mit dem Weltmeere, vielleicht nur durch einen schmalen Ausfluß, in Verbindung gestanden haben. Denn ^) E. Hennig, Die Glazialerscheinungen in Aquatorial- und Südafrika. Geol. Rundschau 1915, S. 154 — 164. *) Hennig, Zur Paläogeographie des afrikanischen Meso- zoikums. Branca-Feslschrift 1914, S. 8S — 92. einige wenige Tierreste in seinen Absätzen deuten auf solche Beziehungen recht deutlich hin. Nicht aber im Westen, wie heul, ist der damalige Aus- weg aus dem Binnenbecken zu suchen , sondern mutmaßlich gerade da, wo sich heut der höchste Riegel quer davor schiebt : durch Abessynien. Das nur nebenbei. Wichtiger ist, daß, wenn Tierwanderungen von außen nach innen statt- finden konnten, der Spiegel des Binnenmeeres nur in geringer Meereshöhe gelegen haben kann. An der Basis der Seeablagerungen und nach oben hin mit ihnen verzahnt, finden sich nämlich die Konglomerate, die deutlichsie Spuren einer Ent- stehung auf glazialem Wege tragen, d. h. als Grund- und Endmoränen anzusprechen sind. Mindestens die Stirn des Gletschers muß demnach in recht beträchtliche Tiefe hinabgcsüegen sein. Das ist hier zwischen dem driiten und fünften Grade südlicher Breite um so auffälliger, als wir etwa gleichaltrige Sedimente mit Resten einer subtropischen Flora in — Spitzbergen und Grön- land kennen. Wem drängte sich da nicht wieder das Problem einer Polverlagerung auf! Soweit die ersten Entdecker der Vorkommnisse Ball und Shaler feststellen konnten, muß das Nähr- gebiet des Eises südlich gelegen haben. Die Moränen nehmen nach Norden hin an Größe der Blöcke ab, erstrecken sich aber auffälligerweise weiter nördlich als vereinzelte grobe erratische Blöcke, die in feinerem Material eingebettet auf Ver- frachtung durch kalbendes Eis im Wasser hinzu- deuten scheinen. Man müßte demnach — und die amerikanischen Beobachter sind dazu sehr ge- neigt — annehmen, daß die nördlichen Moränen die ersten Absätze darstellen, daß dann die Glelscherzunge sich durch Abschmelzen südwärts zurückzog und nun vor ihrer Stirn jenes Wasser- becken entstand, in dem einzelne Eisberg-artige Gebilde abtreiben konnten, in dem die feineren Seeabsätze entstanden und eine Fauna von F~ischen und Schalenkrebsen zusagende Lebensbedingungen fand. Das jetzige Tal des Lualaba war vielleicht schon als F"jord vorgebildet und zeichnete in die- sem Falle dem weichenden Eisirom die Rückzugs- straße vor. Die beiden älteren Glazialablagerungen jener Regionen, d. h. im ganzen des Landes Katanga erlauben ihrer mäßigeren Erhaltung wegen noch nicht so genaue Einzelheilen abzulesen. Vor allem fehlt es da ja noch am vollen Verständnis der sie einschließenden Schichtsysteme und des Alters. Daß aber beide dem Paläozoikum, viel- leicht gar schon Archaikum angehören, darf als gesichert gelten. Der Lagerung nach kann man einstweilen , wie gesagt , voraussetzen , daß die permokarbonische Eiszeit auch hier einen Ver- treter findet. Es sind das sehr reizvolle Fragen von weit mehr als lokalem Interesse, die hier im innersten Afrika der künftigen Forschung noch offen stehen. Dr. Edw. Hennig. 784 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 50 Bücherbesprechungen. Beiträge zur Kenntnis der Meeresfauna West- afrikas, lierausgegeben von VV. Michaelsen (Hamburg). Lief. 3. 197 S. gr. 8". 4 Taf. u. 4 Textabb. Hamburg 19 15, L. Friederichsen & Co. — Preis 18 M. Mit dieser Lieferung schließt der erste Band des rasch fortschreitenden und gut ausgestatteten Werkes ab. In ihr behandelt W. Michaelsen die litoralen Tunicata Westafnkas von Kap Verde bis zur Mündung des Oranjeflusses mit Einschluß des Golfes von Guinea, jedoch unter Ausschluß der Inseln des Grünen Vorgebirges. Dieses große Küstengebiet war in bezug auf seine Ascidien- fauna — nur um diese handelt es sich in der vorliegenden Arbeit — bis 1896 ganz unbekannt und von da bis heute sind durch drei Autoren (Pizon, Michaelsen und Hartmeyer) nur neun Arten der in Rede stehenden Küste bekannt geworden, wobei auch noch der ganze tropische Teil zwischen Senegal und Deutsch Südwestafrika ausfiel. Durch die Untersuchungen Michael- sen's wird die Zahl der Arten auf 33, unter Hinzurechnung der Varietäten auf 42 gebracht. Bemerkenswert an der Zusammensetzung der west- afrikanischen Ascidienfauna ist die spärliche Ver- tretung einiger der größeren Familien, so der Phallusiiden und der Rhodosomatiden durch je eine einzige Art; weitere Dictyobranchier (Diazo- nidae, Cionidae und Perophoridae) scheinen ganz zu fehlen. Auch unter den Ptychobranchiern ist die in 88 Arten (und Varietäten) bekannte Familie der Botrylliden nur durch eine einzige Art ver- treten, wogegen die F"amilien der Krikobranchier in dem untersuchten Gebiet in gerade umgekehrten Verhältnis zu ihrem allgemeinen Artenreichtum auftreten : die artenärmste Pamilie (Clavelinidae) weist 13, die artenreichste (Synoicidae) nur eine, die etwa in der Mitte stehenden Didemniden 4 Arten auf. Noch schärfer drückt sich das eigen- artige Verhältnis in der zahlenmäßigen Vertretung der verschiedenen Ascidien-Familien im westafri- kanischen Küstengebiet aus, wenn man den Nord- und Südbezirk, die an artenreichere Gebiete gren- zen, außer Betracht läßt; dann fallen die Dictyo- branchier, deren man 178 Arten kennt, sowie die Botrylliden ganz weg. Als Ursache für diese Ver- hältnisse kommen nach dem Verf nur speziellere physiographische Momente, wie der ungünstig wirkende Wechsel von Temperatur und Salzgehalt, ungünstige Ernährung und für die Ansiedelung ungünstige BodenbcschafTenheit in Betracht. Weitere Eigentümlichkeiten der tropisch-west- afrikanischen Ascidienfauna sind das Fehlen großer, das Überwiegen von Zwergformen und die starke Inkrustation ihres Mantels. In tiergeographischer Beziehung läßt sich das ganze tiebiet mit Rücksicht darauf, daß die extremen Bezirke Anklänge an Nachbargebiete aufweisen — im Norden mediterran westeuropäi- sche, im Süden kapensische — in drei Llnter- gebiete sondern , ein nördliches oder irauretani- sches, ein tropisches oder guinensisches und ein südhches oder namaquaensisches, im Grunde ge- nommen dieselben Bezirke, welche Koehler auf Grund der Untersuchung westafrikanischer Echino- dermen unterscheidet (vgl. Naturw. Wocheiischr. 191 5, S. 479), jedoch darin abweichend, daß die Südgrenze des südHchen Gebietes weiter nördlich gelegt, d. h. ein besonderes Kapgebiet abgezweigt werden muß. Der sehr sorgsamen Beschreibung der gefun- denen Ascidien-Arten folgt eine Zusammenstellung planktonischer Tunicaten des Gebietes. Braun. Grothe, H., Der russisch -türkische Kriegs- schauplatz. Kriegsgeographische Zeitbilder. Hersg. von Dr. H. Spethmann und Dr. E. Scheu. Leipzig, 1915. Veit & Co. — Preis 80 Pf. Die Arbeit behandelt vorwiegend vom miliiär- geographischen Gesichtspunkt die russisch-tür- kischen Kriegsschauplätze, das Schwarze Meer, die Dardanellen und besonders Armenien und Kau- kasien. Gezwungen durch den geringen Umfang des zur Verfügung stehenden Raumes und — ver- mutlich — wohl auch zugunsten einer größeren Allgemeinverständlichkeit hat der Verf. auf eine exakte DarsteUung im einzelnen größtenteils ver- zichtet, und begnügt sich im wesentlichen mit einer allgemeinen Schilderung. Ihr Schwerge- wicht ruht — mit Recht — auf der Darstellung jenes bunten Völkergemisches, das für den Nicht- kenner die V'^erfolgung der Vorgänge gerade auf diesem Kriegsschauplatz so besonders schwierig gestaltet. Dr. E. Wunderlich-Berlin. Literatur. Born, Max, Dynamik der Kristallgitter. Fortschritte der raathem. Wiss. in Monographien, herausgeg. von G, Blumcn- thal, Bd. 4. Leipzig und Berlin '15, B. G. Teubner. — 7,60 M. Kippenberger, Carl, Werden und Vergehen auf der r.rde im Kahmen chemischer Umwandlungen. Bonn '15, A. Marcus und E. Weber. — 3,20 M. Beintker, Erich, Apparate und .■\rbeitsmethoden der Bakteriologie. Bd. II. Die Methoden des Tierversuchs und der Serologie. Handbuch der mikroskopischen Technik, hrsg. vom „Mikrokosmos", 6. Teil. Stuttgart '14, Frankh'sche Ver- lagshandlung. — 1,50 M. Inhalte Nachtsheim: Die Eugster'sclien Zwitterbienen und ihre Kntstchung (mit 15 Abbildungen). Arldt: Germanen alsStaatenhildner auf nichtgermanischem Boden. — Einzelberichte: Brächet: Kindringen von Spermatozoen in Eier, die zur parthenogenetischcn Entwicklung angeregt sind. Burdas und Bruere: Beschleunigung der Zersetzung der Leichen und Kadaver auf dem Schlachlfeldc. — Kleinere Mitteilungen: Hennig; Eiszeitspuren im zentralen Afrika. — Bücherbesprechungen: Michaelsen: Beiträge zur Kenntnis der Meeresfauna Westafrikas. Grothe: Der russisch- türkische Kriegsschauplatz. — Literatur: Liste. Manuskripte und Zuschriften werden an Privatdozent Dr. J o h. Buder, Leipzig, Linnestrafle I, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 14. Band; ganzen Reihe 30. Band. Sonntag, den 19. Dezember 1915. Nummer 51. Asymmetrie im Tierreich. Von F. Werner (Wien). [Nachdruck verboten.] Mit 13 Abbildungen. Man ist im allgemeinen gewöhnt, die Tiere ist, länger wird, als der gerade Abstand zwischen CTeradeso wie den IVIenschen für vollkommen seinen zwei Endpunkten beträgt und sich dann symmetrisch zu halten. Fast alle Tiere, mit denen entweder wellenförmig (geschlängelt) oder spiralig wir im gewöhnlichen Leben zu tun haben, lassen oder mehr oder weniger unregelmäßig zusammen- sich wenigstens äußerlich in zwei spiegelbildlich biegt. Diese Erscheinung ist überaus häufig am gleiche Hälften zerlegen, und wenn wir auch schon Darmkanal der verschiedensten Tierformen zu be- wissen, daß bei keinem Menschen die linke und obachten, namentlich an dem hinter dem Magen rechte Hälfte ganz gleich ist, so können wir uns folgenden Abschnitte; und wir können bei den doch denken, daß es sozusagen so gemeint war, Arthropoden häufig sehen , daß Raubtiere einen daß aber der ursprüngliche Bauplan der Natur gerade gestreckten, symmetrischen Darm besitzen durch verschiedene äußere oder innere Ursachen (Krebstiere, Spinnentiere, manche Insekten), wäh- verändert wurde. rend er bei Pflanzenfressern im Zusammenhang Fig. I. Luftröhre und Bronchien von Tesltido panialis. (Nach Siebenrock.) Aber auch diese Symmetrie ist nur eine schein- bare und es gibt eigentlich gar nicht so viele Tierformen, die auch mit dem Zugeständnis, daß eine vollkommene Symmetrie bei einem lebenden Organismus nur in der Theorie exi- stiert, als symmetrisch anzusehen sind. Diese Abweichungen lassen sich in der überwiegenden Zahl der Fälle auf bestimmte Ursachen zurück- führen, die in verhältnismäßig wenige Gruppen zusammengefaßt werden können. Ich bin aber weit entfernt davon zu glauben, daß ich in den folgenden Zeilen den Gegenstand erschöpfend be- handelt hätte. Es sollen nur einige Beispiele ge- geben werden.^) Einer der allerhäufigsten Fälle innerer (und in extremen Fällen auch äußerer) Asymmetrie ist darauf zurückzuführen, daß ein Organ, das ur- sprünglich in der Mittellinie des Körpers gelegen Fig. 2. Trachea von Phonygama in den Körperumriß eingezeichnet (nach Gadow). mit seiner Verlängerung geschlängelt oder spiralig aufgerollt ist.-) Unter den Wirbeltieren gibt es wohl keines, dessen Darm (ganz abgesehen von den mehr oder weniger unsymmetrisch gelagerten Anhangsdrüsen des Mitteldarmes) vollkommen 1) Ich habe davon abgesehen, Abbildungen von solchen Beispielen zu geben, welche in jedem guten Lehrbuche der Zoologie für Hochschulen sich vorfinden, wie namentlich solche, welche die innere Organisation von Cesloden und Trematoden, Mollusken, also überhaupt anatomische Einzel- heiten betreffen, welche typischen Vertretern größerer Kate- gorien allgemein zukommen. ■^) Ausnahme bei Heuschrecken ; hier haben die pflanzen- fressenden Acridier einen geradegestreckten, die fleischfressen- den Locustiden einen aufgerollten Darm, da hier im Zu- sammenhang mit dem weit höher entwickelten Springvermögen der Körper stark verkürzt ist und daher bei gleicher absoluter Länge der Darm mehr als Körperlänge besitzt (s. Werner, BioL ZentralbL XIV, 1894, p. 114 ff). 786 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 51 symmetrisch wäre, da wenigstens eine Schlänge- lung des Darmes kaum jemals vermißt wird. Ist am Darm noch ein Abschnitt selbst wieder mit einer spiraligen Einrichtung versehen (Spiraldarm der Selachier und Ganoiden, Drehung des Ein- geweidesackes bei den Schnecken), so ist dann eigentlich schon eine Asymmetrie zweiten Grades vorhanden. Fig. 3. Darmkanal von Gryllotalpa nach L. Dufour. K der asymmetrische Kropf. Aber auch andere Organe können durch eine Verlängerung über die direkte Verbindungshnie der beiden Endpunkte hinaus zur Schlängelung, spiraligen Einrollung oder unregelmäßigen Win- dung gezwungen werden und dadurch ihre Sym- metrie einbüßen; ob es sich nun um die außer- ordentlich verlängerte Luftröhre verschiedener afrikanischer Landschildkröten {Testudo pardalis u. a. s. Siebenrock, SB. Ak. Wiss., Wien, C VIII, 1 899, Taf III, Ciiiixys crosq s. Siebenrock, Ann. Hofmus. Wien XXII, 1907, p. 3) oder von Vogel- arten {Ala/iiicodia , Plionygaiiia ^ Gadow, in Bronn 's Kl. u. Ord., Vögel, II, 1893, Taf. II, E'ig. 4) handelt, oder um den vielfach hin- und hergeschlängelten Geniialapparat des männlichen Spulwurmes (dem paarigen weibHchen kann man wenigstens eme theoretische Symmetrie zuer- kennen) , den Uterus von Bothriocephaliden und Trcmatoden, oder schließlich um die schön spi- ralig gewundene Tentakelkrone von Röhrenwürmern {Spirographis, Scrpiila usw.). Eme Asymmetrie kommt aber auch schon da- durch zustande, daß ein ursprünglich in der Mittel- linie gelegenes Organ infolge besonderer Größe auf eine Seite umkippt oder aber, die übrigen Organe auf eine Seite drängend, sich auf der an- deren ausbreitet. Ein Beispiel für den einen Fall bildet der einseitig abstehende mächtige Kropf der Maulwurfsgrillen und der Wespen, sowie der bruch- sackartig vorgesiülpte Eingeweidesack der meisten Gastropoden, der um so mehr Neigung aufweist sich auf die Seite zu legen, je höher und schlanker er ist. Reduziert sich der Eingeweidesack wieder. Fig. 4. Anatomie einer Natter, von der Ventralseite (schematisch). RL = rechte, LL = linlie Lunge; RN = rechte, LN = linke Niere; RO = rechtes, LO = linkes Ovarium. Hinterende einer Riesenschlange (Python) mit asymmetrischen Bauchschildern. Fig. 6. Winkerkrabbe (Gelasimus). SO kann eine mehr oder weniger weitgehende sekundäre Symmetrie Platz greifen ; so sind unsere Nacktschnecken äußerlich leidlich symmetrisch, haben aber Geschlechts-, Nieren-, After- und Atemöffnung auf einer Seite; dagegen weisen die Doridier unter den Opisthobranchiern bereits einen hohen Grad von sekundärer Symmetrie auf, da die von einem Kranz sekundärer Kiemen um- gebene Afteröfifnung wieder in der Medianlinie N. F. XIV. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 787 des Körpers liegt, der Darm ebenfalls gerade in der Mitte verläuft, auch das Nervensystem sym- metriscli angeordnet ist. ■ — Bei im Wasser leben- den Lungenschnecken mit sekundär vollkommen symmetrisch gewordenen Schalen (bei Aufrollung des Eingeweidesackes in einer zu der Längsachse des Tieres senkrechten Ebene) braucht der Ein- geweidesack nicht seitlich überzuhängen, sondern kann in dieser Ebene aufgerichtet getragen wer- den, weil er im Wasser flottiert [Plauorbis cor- iiiiis und ähnliche P'ormen). ^) Vgl. daß auch Insekten mit langem Ab- domen dies auf dem Rücken umgeschlagen tragen , Wasserinsekten dagegen nicht. (Werner, Biol. Centrbl. XXIX 1909, p. 320). — Als Beispiel für die Asymmetrie in- folge seitlicher Verdräng- ung von Organen durch ein sich besonders stark entwickelndes Organ wäre die Leber vieler Wirbel- tiere zu nennen, die sich vielfach nicht nur kaudal- wärts, sondern auch seit- lich soweit ausdehnt, als es möglich ist und an- dere Organe dadurch zur Seite schiebt. Schon bei Amphioxiis sehen wir diese Asymmetrie der Leber, die bei verschie- denen Reptilien, häufig der Vena revehens com- munis der Niere entlang, einseitig einen langen Zipfel nach hinten ent- senden kann. Kaum merkbar ist die Asymmetrie, die durch die spiralige Drehung des Stammes bei den Siphonophoren entsteht, denn sie wird durch die zweizeilige Anordnung der ursprünglich einreihig am Stamm entstehenden Schwimmglocken vollständig verdeckt. Wie schon oben erwähnt, spielen Raumver- hältnisse bei der Entstehung innerer Asymmetrie eine beträchtliche Rolle. Am deutlichsten ist dies in der Lagerung paariger Organe bei langge- streckten, schlangenähnlichen Amphibien und Reptilien zu beobachten; eine Lunge, meist die ') Das ist etwa dieselbe Erscheinung, als wenn die bei vielen Vögeln (Hühnervögeln usw.) vielfach gewundenen Luft- wege nicht frei unter der tiaut zwischen den Gabelbeinen liegen, sondern in den Brustbeinkamtn eintreten; durch die seitliche Knochenwand wird die Trachea gezwungen, sich in einer vertikalen Ebene aufzurollen und dadurch symmetrisch zu werden (Singschwan, Kranich). rechte, vergrößert sich auf Kosten der anderen bis zu deren völligem Schwunde und mit dieser verschwindet natürlich auch die sie versorgende Arterie und Vene (Werner, Arb. Zool. Inst. Wien, XIX, 191 1, p. 373); Nieren und Genital- drüsen beider Seiten, die sonst (z. B. bei Lacerta) noch vollkommen symmetrisch liegen, haben nebeneinander nicht mehr Platz, es rückt der Hoden oder das Ovarium der einen Seite soweit nach vom , daß er mit seinem Hinterende das Vorderende des der anderen Seite berührt, beide Fig. 7. Diaplomus g^. Etwas schematisiert, namentlich Beine des 5. Paares voneinander weit getrennt, um ihre Asymmetrie zu zeigen. zusammen einen scheinbar einheitlichen Strang bilden. Bei außerordentlich starker Entwicklung des Genitalapparates der einen Seite kann der der anderen Seite (gerade so wie bei den Lungen) der völligen Rückbildung anheimfallen, wie dies beim Eierstock und Eileiter der Vögel zu beob- achten ist; vielleicht ist auf die Rückbildung des einen männlichen Ausführungsganges bei gewissen Copepoden {Diapfomiis) darauf zurückzuführen, da ja der andere (rechte) durch mehrfache Windung und steilenweise (namentlich im Endabschnitt, wo die Spermatophore gebildet wird) bedeutende Dicke relativ viel Raum beansprucht. 7^^ Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 51 Eine weitere Ursache von Asymmetrie ist eine Verschiebung der beiden Körperhälften gegenein- ander; bei Amphioxus beträgt die Verschiebung ein halbes Segment und damit sind nicht nur die Muskelsegmetite, sondern auch die jederseits aus- tretenden Nerven, die Kiemenspahen und Gona- den asymmetrisch gelagert. Auf eine solche \'er- schiebung ist zweifellos auch die abwechselnde Stellung der Flecken auf dem Riicken vieler Schlangen, die bei weiterer Vergrößerung und teilweiser Verschmelzung zu der von unserer Kreuzotter her bekannten Zickzackbinde führt, Fig. 8. Hinterleibsende männlicher Orthopteren Nyclibora cf" (Blattide) Danuria chen Dauersirukturen, deren Qualität schon in jeder Einzelzelle deter- miniert ist. „Für die Zelle besteht eine strenge Einsinnigkeit ihrer Lebensgeschichte, die sie für immer an die erstmalig von ihr geleistete Diffe- renzierung bindet und jede Entdifferenzierung und Umdiffercnzierung ausschließt. Die zellulare Determination gipfelt nach Erledigung der Teilungs- und Bfwegungsvorgänge in der Produktion einer spezifischen Dauerstruktur". Die funktionelle Leistungsfähigkeit der Zell- abkömmlinge ist eine begrenzte, sie wird bei längerer Beanspruchung geringer und führt zu degenerativen Umbildungen, die eben aus der Abnutzung resultieren. Es kommt dann zur Seneszenz und zum Zellentod, der in der zellularen Determination mit inbegriffen ist- Der Tod des gesamten Zellkomplexes wird aber dadurch hinaus- geschoben, daß die ausscheidenden Zellen durch in Reserve liegende, undifferenzierte ersetzt werden. Nie tritt ein Ersatz aus schon differenzierten Zellen ein, sondern nur ,, reservierte undifferenzierte An- lagen führen auf typischem Wege die Restitutionen aus". Ein solches Reservat aber totipotenter Zellen stellt auch das Keimlager dar. Unter diesen N. F. XIV. Nr. 52 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 805 Gesichtspunkt ergeben sich wichtige Folgerungen für das Problem der Vererbung. Die die Ontogenesis bewirkenden Vorgänge faßt der Verf. am Schluß in folgenden Worten zusammen: „Aus bestehender, typischer räumlicher Ordnung schaffen die Zellen durch Teilung und Bewegung neue typische räumliche Ordnung. Auf Grund der neuen räumliciien Ordnung er- zeugen sie durch Produktion in ihrer Qualität differierende, spezifische Dauerstrukturen. Der Organismus wird aus gleichwertigen, in sich be- stimmten Einheiten aufgebaut, und seine har- monische Zusammensetzung resultiert aus der Wechselwirkung der Teile." In dieser Besprechung konnte nur auf einige wesentlichste Punkte des inhaltreichen Buches kurz eingegangen werden. Die Schwierigkeit des Stoffes bringt es mit sich, daß man vielleicht nicht in allen Punkten die Überzeugung des Verf. teilen wird (z. B. in bezug auf die Natur der Zentrosomen). Auf jeden Fall ist aber die Arbeit, die die gesamte einschlägige Literatur einer Kritik unterwirft, eine äußerst wertvolle Neuerscheinung auf dem Gebiete der Zellforschung. Die klare Präzision der sich aus den Experimenten der Entwicklungsmechanik ergebenden theoretischen Folgerungen und ihre Verwertung für die großen Probleme der Entwicklungslehre, heben das Schaxel'sche Buch aus dem engen Kreis der Fachliteratur heraus und weisen ihm eine hervor- ragendere Stellung, als vorzügliches Einführungs- werk in die Probleme der modernen Zellenlehre und Entwicklungsmachanik an. Seine Lektüre mag deshalb auch allen, die sich überhaupt mit den Fragen moderner Biologie beschältigen, emp- fohlen werden. Dr. C. W. Schmidt. Auerbach, Felix, Die Physik im Kriege. Eine allgemein- verständliche Darstellung der Grundlagen moderner Kriegstechnik. 2. ver- mehrte und verbesserte Auflage. Mit iio Text- bildern. Jena 191 5, Gustav Fischer. — Preis 3,30 M. Das Büchlein schildert in ansprechender und leicht verständlicher P^orm die physikalischen Grundlagen der zahlreichen technischen Hilfs- mittel, deren sich die moderne Kriegsführung be- dient und deren großer Vollendung gerade im deutschen Heere wir einen guten Teil unserer Erfolge verdanken. Von Scheinwerfer, Scheren- fernrohr, Periskop, Entfernungsmesser, Zielfernrohr, von der Ballonphotographie nebst den Verfahren zur Ausmessung der Ballonaufnahmen, von der Röntgentechnik, der Telegraphie mit und ohne Draht, dem Telephon , den Signalapparaten, von Torpedo und Unterseeboot, von Geschützen, Ge- schossen, Minen und ihren Sprengwirkungen und manchem anderen, das uns täglich in den Kriegs- berichten entgegentritt, werden die zugrunde- liegenden physikalischen Prinzipien an der Hand zahlreicher und sauberer Abbildungen erläutert. Wie großen Anklang das Büchlein, das aus einer Vorlesung des Verf.s für Hörer aller Fakul- täten hervorgegangen ist, verdientermaßen gefun- den hat, geht schon aus der Tatsache hervor, daß innerhalb von vier Monaten eine zweite Auflage notwendig wurde. Auch dieser ist der gleiche Erfolg zu wünschen. Das Buchlein sei für den Weihnachtstisch warm empfohlen und wird, wenn schon in erster Linie für die „zu Haus Gebliebenen" bestimmt , auch manchem unserer Feldgrauen draußen im Schützengraben eine willkommene Lektüre sein. Der mäßige Preis ermöglicht auch weiteren Kreisen die Anschaffung. Buder. Anregungen und Antworten. Beantwortung der Frage auf Seite 720 der Naturwissen- schaftlichen WochcUschrilt von 1915 (Nr. 45): Das Rauschen, welches vernommen wird, wenn man größere iVluscheln ans Ohr hält, ist durchaus nichts Sonder- bares; es erfolgt ganz und nur nach akustischen Gesetzen und kommt daher allen ähnlich geformten hohlen Gegen- ständen zu. Man kann sich davon sofort und einfachsier- weise überzeugen: Kafteetassen, Trink- und Bechergläser aller Art, Koch- und andere Topfe, Kannen, Vasen, Lampen- glocken und Lampenzylinder jeder Gestalt, lassen, sobald sie ans Ohr gehalten werden, dai fragliche Geräusch vernehmen. Dieses ist eine sog. Flöienintonatiun, und es lassen sich da- rum Gefäße solchen Baues mit Orgelpfeifen , und zwar bei einendiger Ölfnung mit gedeckten, bei zweiendiger Öffnung mit offenen Orgelpfeifen vergleichen. Daß dieses zutreffend ist, beweist die Talsache, daß z. B. Lampenzylinder, kugel- förmige Lampcnglocken oder bodtnlochige Vasen, wenn man sie an dem, dem (rechten) Ohre abgewendeien Ende mit der Hand oder einem Finger verschließt, ein aus lieferen Tönen, also durch längerwelligc Schwingungen erzeugtes, zusammen- gesetztes Geräusch zu Gehör bringen. Dasselbe tritt ein, wenn an beiden Lnden offene Gefäße einendig dadurch verschlossen werden , daß man — eine genügend große Ofifuung voraus- gesetzt — sie über das Ohr schiebt und der Kopiseite an- drückt. Das Kauschen wird also gleicherweise wie bei Orgel- und anderen Pfeilen das Tönen erzeugt; die aus der näheren oder ferneren Umgebung herrührenden , inzwischen vielfach reflektierten, akustischen Luftschwingungen gehen mehr oder weniger senkrecht zu der im Gefäße befindlichen Luftsäule reibend an dieser vorbei und versetzen sie in tongebende Schwingungen. Hierbei kommt wohl immer, freilich in nur geringer btärke, auch eine Art von Resonanz und nicht ganz seilen auch eine Konsonanz — ein sog. Mittönen — zustande. Anders jedoch verhält sich das Tönen, wenn der Durchmesser des Geläßkreises groß oder erheblich größer als die Tiefe des Getäßes ist; dann ist keine Luftsäule mehr vorhanden, die in Schwingungen geraten könute ; dann werden die von nahen oder fernen Geräuschen kommenden Schwingungen an der Wand der an entgegengesetzter Kopfseite dem Ohre vorge- haltenen Gefäße, z. B. von Tellern, Schalen, Deckeln, auch schon von wenig tielen Oberlassen, nach den Gesetzen der Reflektion in das Ohr geleitet, wo sie meistens zur Verstärkung des Geräusches oder Tönens beilragen. In einem Räume, zu welchem keinerlei akustische Schwin- gungen gelangen köunen (ein solcher Raum dürfte wohl nur schwer herzusiellen seini) findet, wie es sich nach dem Vor- stehenden von selbst versteht, ein Geräusch der in Rede stehenden Art nichl statt; immerhin können Schwingungen dadurch hervorgerufen werden, daß der Rand von GefälJen an einem oder an mehreren in der Nähe des Ohres befindlichen Haaren streicht, wonach man ein Gemisch von Grunoton und harmonischen Obertönen des vorgehaltenen Gefäßes, den 8o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XIV. Nr. 52 Eigentönen desselben, vernimmt, das dem andernorts zu liören- den Rauseben mitunter täuschend ähnlich klingt. Wird ein solches Gefäß bis auf eine kleine Öffnung oder ganz verschlossen, so muß auch dann noch die innen befind- liche Luft akustisch schwingen und dieses, wenn auch leise-, hörbar werden. R. Wetter-Monatsübersiclit. Während des diesjährigen November herrschte trübes, nebliges, ziemlich kühles Wetter in Deutschland bei weitem vor. Zwar trat zu Beginn des Monats eine nicht unbedeutende Erwärmung ein, die im Nordwesten bis etwa zum 12. zunahm. Am 2. und 3., später wieder zwischen dem 9. und 13. No- vember wurden noch an vielen Orten 10° C überschritten, am 12 stieg das Thermometer in Karlsruhe bis auf 16" C. Dazwischen aber kamen um den 6. in veischiedenen Gegen- den leichte Nachtfröste vor und blieben selbst die Mitlags- temperaturen stellenweise etwas unter 5" C. Gegen Mitte des Monats wurde es merklich kühler und seit dem 17. schwankten die Tempe.aturen in den meisten Gegenden häufig um den Gefrierpunkt. Am 23. traten in Mittel- und Süddeutschland strengere Nachtfröste auf, Greiz und Beuthen hatten — ii, Friedrichshafen — 12, Pleß in Schlesien sogar —13° C. Vom 27. bis 29. aber herrschte Tag und Nacht über in ganz Deutschland für die Jahreszeit ungewöhnlich strenger Frost, am 28. brachten es Cassel, Schivelbein und München auf 15, Bamberg auf 18, Dahme in der Mark sogar auf 19" C Kälte. Die mittleren Monats- temperaturen lagen östlich der Elbe nicht ganz einen Grad, im Nordwesten und hüden i'/2 bis 2 Grad unter ihren nor- malen Werten. Ebenso war der vergangene Monat noch ärmer an Sonnenschein, als der November im allgemeinen zu sein pflegt. So halte Berlin im ganzen nicht mehr als 29 Sonnenscheinstunden, 27 weniger als hier in den 23 frühe- ren Novembermonaten verzeichnet worden sind. Desto häufiger waren besonders in der ersten Hälfte des Monats im ganzen Lande die Niederschläge, die in allen Formen und oft in sehr großen Mengen vorkamen. Zunächst trat im Rheingebiete Kegenwetter ein und pflanzte sich all- mählich weiter nordostwärts fort. Um den 5. gingen sodann nordöstlich der Oder außerordentlich heftige Regengüsse her- nieder, die besonders im Ostseegebiete lange anhielten. Vom 4. bis 5. morgens fielen beispielsweise in Görlitz und in Posen 28, in Bautzen 32, in Marienburg 34, in Graudenz 38 und in Neufahrwasser 47 mm Regen. Nach vorüber- gehender Abnahme fanden seit dem 13. in den meisten Jr^iccfcr^c^fa^^ö^an im IßupsmJer 1915. .;i ^J -L /Iftlfflerep Werf für Deutschiond. MotutssummeimNcvlii 19t5.1f.l3. 12. 11. 10 20.bis23. November. 11111 I i-UI i o1 I I I M ' '21.bis30.Novenibera - HjuI Berlin.nWi Gegenden wieder stärkere Regenfälle statt, die an einzelnen Orten mit Schnee- und Hagelschauern abwechselten und sich an der Ostseeküste am häufigsten wiederholten. Besonders im Oder- und Wcichsrl^ebiet nahmen die Niederschläge mehr und mehr zu, so fielen vom i8. bis ig. morgens in Frank- furt a. O. 22, in Bromberg 2b, in Beuthen 35 mm Regen und Schnee. Zwischen dem 20. und 23. war das Wetter, besonders im Norden Deutschlands, überwiegend nebelig, sonst aber allgemein trocken. Dann fanden in allen Gegenden häufig Regen- und Schneefälle statt, die abermals im östlichen Ost- seegebiete zu größter Stärke anwuchsen und eine bis zu 2 Vi dm hohe Schneedecke hinterließen. Die Niederschlags- summe des ganzen Monats betrug für den Durchschnitt aller berichtenden Stationen 53,0 mm , während die gleichen Sta- tionen in den früheren Novembermonaten seit 1S91 gerade 50 mm Niederschlag geliefert haben. Wie schon während eines großen Teiles des Oktober wurde auch zu Beginn des November die skandinavische Halbinsel von einem Hochdruckgebiet bedeckt, das aber bald durch eine atlantische Depression weiter nach Osten gescho- ben wurde. In Deutschland trat daher statt der bisherigen kalten östlichen Winde eine etwas mildere Südströmung ein, die sodann weitere atlantische Minima mit kurzen Unter- brechungen aufrecht erhielten. Erst um Mitte des Monats machte ihr ein neues Barometermaximum, das von Schottland ostwärts vordrang und am 20. November in Südskandinavien 780 mm Höhe überschritt, für etwas längere Zeit ein Ende. Es folgten in Mitteleuropa einige ruhige, zum Teil klare Tage, die jedoch, da seit dem 23. in Nordeuropa mehrere sehr tiefe Depressionen vorkamen, durch um so windigeres, größtenteils trübes Wetter abgelöst wurden. Dr. E. LeS. Inhalts Maurizio: Rückblick auf die Getreidenahrung seit den Urzeiten und unser täglich Brot. — Einzelberichte: Kathariner; Der Ilakenwurm (Necator ameriraniis). — Bücherbesprechungen: Scha.\el: Die Leistungen der Zellen bei der Entwicklung der Metazoen. Auerbach: Die Physik im Kriege. — Anregungen und Antworten. — Wetter-Monatsübersicht (mit 2 Abbildungen). Manuskripte und Zuschriften werden an Privatdozent Dr. J o h. Buder, Leipzig, Linnestrafle 1, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. r--^t<»i*i.'?aqw«»Jg«»iii«Mili*«I.JUii«i»liii'iliir«i><>l|i)iiti«l»WIMiMWB»»a>aMa M&SHtaaaaaäB^wiiAiiiiBiHiaaü